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Full text of "Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur"

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Beiträge  zur 
Geschichte  der 
deutschen 

Sprache  und 
Literatur 


Eduard  Sievers, 
Wilhelm  Braune 


ifarbart  College  Itbrarg 

FROM  TUE  BKQUEST  OK 

MRS.  ANNE  E.  P.  SEVER. 

OF  BOSTON, 
WlDOW  ok  Col.  James  Wakren  Sevek, 
(CUM  of  1B17) 


I 


BEITRÄGE 

ZUR 

GESCHICHTE  DER  DEUTSCHEN  SPRACHE 

UND  LITERATUR.  . 

* 

UNTER    MITWIRKUNG  VON 
HERMANN  PAUL  UND  WILHELM  BRAUNE 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

EDUARD  SIEVEHS. 


XXIL  HAND. 


HALLE  a.  S. 

MAX  NIEMEYER 

77/78  GR.  STEIN STRA8SE 
1897 


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I  N  H  A  L  T. 


»■  «1»« 

Ziir  r^rziv.ili'ragc.    v  n  J.  Liihtent>toin    | 

Zu  Wolframs  UruVrn.           t.  ü  i-k   >] 

Die  heimat  dtr  alrnordi.«  heu  ]it>i«  r  vm  den  'Velaung  n  nnd  ■!.  n 

XibeluagftL  I.  Von  S. Uugjre   u,, 

Zu  Heinrich  von  tfiteeln.  m  TV.   Von  K.  Huhn   135 

Zorn  Wigaloü..   Von  F.  Sara  n   151 

D.--3  toderjahr  des  Uiila*  und  der  übertritt  der  Goten  zum  .iriaais- 

;aus.    Von  F.  Joit6S   15S 

Zur  gotischen  etym.dogie.    Von  <\  C.  Chleubeck   1«S 

Miscellen.   Von  d  -mselben  .   .   .    .    :   19.1 

Althochdeutsche*  in  den  slavisrhen  Freisiug»-r  d<  nkmiilorn.  Von. 

W.  Vondrak   201 

teW  'int  iget  im  bairisclien.    Von  K.  Bohnen  herber     .    .    .  2<»<j 

Einige  fällt  von  consonRiitensehw-iud  in  deutschen  ra<\nd.irn<n. 

Von  W.  Horn   217 

Grammatisrhes  und  etymologisches.   Von  H.  Hirr   223 

Zur  genna;.;..<  hen  wortkunde.    Von  11.  WadsteKv,   23$ 

Grammatisch':  miscdlen :  1 1 .  Ag*.  weorold :  u  o/oJ. X  Von  E.  S  i e  v e  r *  5 
Untersuchungen  über  das  mhd.  gedieht  von  der  Minneburg.  Von 

G.  Ehrismann   2b: 

Znr  dinfeehen  heidensage.  Von  R.  C.  Iioer   342 

Satzvrbindende  Partikeln  bei  Ottrid  und  Tatian.    Von  W.  E. 

üoholten  _.    .  ;tv>J 

Bemerknng^L  :i;:n  HUdebiandslied.  Von  A.  Erdmann  .    ...  421 

Etymologie  von  1tdn>  'Steuerruder'.  Von  J.  Hoopa   ;:>.> 

Znr  Krone.  Von-G.  Ehrismann   J3ß 

Zur  spräche  des  Leidener  Williram.  Von  W.  van  Helten   .  437 

Wortgeschiohtlirhe  beitrage.   Von  K- T.  Bah  der   v:u 


INHALT. 


536 

543 

( 1 .  Die  Vertretung  der  labiovelaren  media  aspirata  im  anlaut : 

3,543.  —  2-  Nochmals  hana  :  hön:  s.  545. 

548 

An.  gabba,  ajrs.  ^abhiati.    Von  G.  Ehr is mann  

564 

507 

Antwort  anf  den  anfcarz  Kanffmannfl  'Der  arrianismtifl  de«  Wnlfila' 

571 

574 

Zur  herkunft  des  deutschen  reimverees.    Von  K.  Lnick     .    .  . 

57.; 

PROSPEKT. 


fllr 


Celtische  Lexikographie. 


7"nter  diesem  Titel  beabsichtigen  die  Unterzeichneten  in  einer 


Reihe  zwangloser  Hefte  Beiträge  zur  Lexikographie  der 
celtisehen  Sprachen  herauszugeben  und  fordern  ihre  Fachgenossen 
zur  Mitarbeit  auf. 

In  Ermangelung  umfassender  wissenschaftlicher  Wörter- 
bücher soll  das  Archiv  dazu  dienen,  den  künftigen  Lexiko- 
graphen der  Einzelsprachen  den  Weg  zu  ebnen,  dem  Sprach- 
forscher neues  Material  an  die  Hand  zu  geben,  und  ein  besseres 
Verständnis  der  Litterat ur  zu  befördern. 

Die  Beiträge  werden  sich  auf  sämtliche  celtische  Sprachen 
und  Sprachperioden  eistrecken.  Vor  allem  soll  der  Wortschatz 
der  nüttelirischen  Sprache,  in  welcher  die  grosse  Masse  der 
irischen  Litteratur  überliefert  ist,  soweit  er  nicht  in  Windischs 
Wörterbuch  und  Atkinsons  Glossar  zu  den  Passions  and  Homdks 
vorliegt,  Gegenstand  der  Sammlung  sein,  während  auf  alt- 
celtischem  und  altirischem  Gebiet  Hoblers  Sprachschatz  und 
Ascolis  Glossarium  nach  ihrer  Vollendung  kaum  mehr  als  eine 
Nachlese  erfordern  werden.  Auch  die  noch  unveröffentlichten 
einheimischen  Glossare,  die  trotz  ihrer  vielen  Mängel  doch 
manches  seltene  Wort  bewahren,  sollen  nach  und  nach  heraus- 
gegeben werden. 

Auf  dem  Gebiet  der  britannischen  Sprachen  wird  das  Archiv 
nächst  einer  kritischen  Ausgabe  der  altkymrischen,  altbretonischen 
und  alt  komischen  Glossen  auch  alphabetisch  geordnete  Indices  zu 


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diesen  Glossen  bringen;  ferner  ein  Verzeichnis  der  in  Bettnaus 
Meriasek  vorkommenden,  in  Williams'  Lexicon  nicht  enthaltenen 
kornischen  Wörter.  Desgleichen  sind  Sammlungen  aus  dem 
Sprachschatz  der  mittelkymrischen  Litteratur  (Mabinogion,  Four 
Ancient  Books  of  Wales  u.  s.  w.)  und  Listen  von  Lehnwörtern 
in  den  verschiedenen  Sprachen  beabsichtigt.  Auch  aus  den  noch 
lebenden  Dialekten  hoffen  die  Herausgeber  unter  Mitwirkung 
einheimischer  Gelehrter  Wörtersammlungen  bringen  zu  können. 

Schliesslich  liegen  auch  Onomastika,  welche  die  celtischen 
Personen-  und  Ortsnamen  Irlands,  Schottlands,  Wales'  und  der 
Bretagne  enthalten  sollen,  im  Plane  des  Archivs. 

Beiträge  zum  Archiv,  die  in  deutscher,  englischer,  fran- 
zösischer oder  italienischer  Sprache  abgefasst  sein  können,  werden 
an  die  Adresse  eines  der  Unterzeichneten  erbeten. 


Die  Herausgeber: 

Whitley  Stokes,  Kuno  Meyer, 

15,  Greuville  Place,  London  S.W.  57,  Hope  Street,  Liverpool. 

Die  Verlagsbuchhandlung: 

Max  Niemeyer, 

Halle  a.  S. 


Druck  von  Ehrhardt  Karraa,  Halle  a.  8. 


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ZUR  PARZIVALFRAGE.1) 


1.  Einleitung. 

Wolfram  von  Eschenbach  dichtete  seinen  Parzival  bald 
nach  1200.  Etwa  zwanzig  jähre  früher  war  derselbe  stoff 
von  dem  grossten  französischen  epiker  des  mittelalters,  Orestien 
von  Troyes,  behandelt  worden;  sein  Conte  del  graal  ist  zugleich 
die  älteste  und  die  bedeutendste  darstellung  der  gralsage  in 
der  französischen  literatur,  doch  hat  er  sein  werk  nicht  voll- 
endet. Wolfram  nennt  Crestien  am  ende  seines  Parzival,  aber 
nur,  um  seine  fassung  der  sage  in  gegensatz  zu  der  Oestiens 
zu  setzen.  Als  Urheber  der  von  ihm  benutzten  rehten  mcere 
bezeichnet  er  vielmehr  den  Provenzalen  Kyot,  der  franzö- 
sisch gedichtet  habe  (416,25.28).  Er  nennt  ihn  la  schantiure, 
was  nur  einen  lyriker  oder  einen  Verfasser  von  volksepen 
(chansons  de  geste)  bedeuten  kann  und  nebenbei  W.'s  merk- 
würdiges französisch  illustriert;  und  er  nennt  ihn  ferner  den 
meister  wol  behaut  (453,11).  Sonderbar  ist  es  nun,  dass  wir 
gerade  von  diesem  hochberühmten  dichter  und  seinem  werk 
sonst  auch  nicht  eine  spur  auffinden  können.   Wir  müssten 

')  Mit  dem  blossen  namen  der  Verfasser  sind  im  folgenden  citiert: 
S  im  rock,  Parz.  und  Tit.  tibersetzt  und  erläntert,  2.  und  5.  ausg.  —  Ur- 
bach, Ueber  den  stand  der  frage  nach  den  quellen  des  Parz.,  Zwickau  1872. 
—  Bartsch,  Die  eigennamen  in  Wolframs  Parz.  und  Tit.,  Germ.  Studien 
2, 114  ff.  —  Zarncke,  Zur  geschiente  der  gralsage,  Beitr.  3,  304  ff.  — 
Birch-Hirchfeld,  Die  sage  vom  gral,  Leipzig  1877.  —  Klipp,  Die 
unmittelbaren  quellen  des  Parz.,  Zs.  fdph.  17, 1  ff.  —  Hertz,  Die  sage  vom 
Parz.  und  dem  gral,  Nord  und  süd  18  (1881),  94 ff.  (auch  separat).  —  Piper, 
Wolfram  v.  Eschenbach,  Stuttgart  [1890].  —  Heinzel,  Ueber  Wolframs 
von  Eschenbach  Parzival,  WSB.,  phil.-hist.  kl.  bd.  130  (1894).  —  Wacker- 
nagel, Altfranz,  lieder  und  leiche,  Basel  184t». 

Beitrug,  zur  gotehiebto  dor  deutschen  apnehe.    XXH.  1 


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2 


LICHTENSTEIN 


denn  eine  alte,  viel  bestrittene  Vermutung ')  wider  aufnehmen, 
wonach  der  lyriker  und  spätere  Satiriker  Guiot  de  Pro v ins 
gemeint  ist,  der  durch  seine  anwesenheit  bei  dem  ritterfest  in 
Mainz  11842)  auch  in  Deutschland  bekannt  geworden  sein 
kann,  und  dessen  name  daher  sehr  gut  als  eine  autorität 
gegen  Crestien  ausgespielt  werden  konnte,  mochte  nun  ein 
misverständnis  zu  gründe  liegen  oder  nicht.  Einen  Parzival 
hat  dieser  Guiot  jedoch  nicht  gedichtet. 

Wenn  also  schon  die  einfache  nennung  der  quelle  bei 
Wolfram  der  kritik  Schwierigkeiten  bereitet,  so  liegt  das 
schwerste  bedenken  gegen  seine  angäbe  in  dem  umstände, 
dass  tatsächlich  sein  werk  mit  dem  uns  erhaltenen  unvollen- 
deten gediente  Crestiens  eine  beinahe  vollständige  Parallelität 
der  handlung,  vielfach  lange  stellen  wörtlicher  Übereinstim- 
mung, und  dazu  eine  reihe  von  mis Verständnissen  aufweist, 
die  nur  durch  entlehnung  aus  Crestien  erklärt  werden  können. 
Dem  gegenüber  steht  allerdings  auch  wider  eine  grosse  zahl 
von  abweichungen  und  Überschüssen  bei  Wolfram,  so  vor  allem 
die  Vorgeschichte  in  buch  1.  2,  der  abschluss  der  erzählung  in 
buch  14 — 16,  die  erklärung  des  grals,  die  bei  Crestien  fehlt, 
und  die  beziehung  auf  das  haus  Anjou. 

Um  diese  Schwierigkeit  zu  lösen,  haben  San  Marte  (Germ. 
3,445),  Bartsch  s.  114  und  Hertz  angenommen,  Wolfram  habe 
zwei  vorlagen  für  sein  gedieht  benutzt,  Kyot  und  Crestien. 
Das  entspricht  nun  schon  nicht  dem  einfachen  Wortlaut  der 
angaben  Wolframs,  und  dann  ist  es  doch  fraglich,  ob  man 
dem  dichter  Wolfram  eine  solche  kritische  tätigkeit,  wie  sie 
die  vergleichung  und  Verarbeitung  zweier  gralwerke  darstellt, 
zutrauen  darf.3) 

Bleibt  man  aber  bei  den  angaben  Wolframs  stehen  und 
nimmt  Kyot  als  seine  einzige  quelle  an,  dann  fordern  die  ähn- 
lichkeiten  zwischen  Kyot  und  Crestien  eine  erklärung.  Drei  an- 
sichten  hierüber  sind  möglich  und  tatsächlich  verteidigt  worden: 


')  Zuerst  aufgestellt  von  Wackernagel,  Altfranz,  lieder  und  leiche 
8.191.  Dass  Wolfr.  im  Wh.  437, 11  die  Stadt  Provis  kennt,  braucht  nicht 
als  gegenbeweis  zu  gelten,  vgl.  Heinzel  16. 

»)  Guiot s  Bible  v.  278  ff. ;  vgl.  Wolfarts  ausgäbe  in  San  Martes  Parz.- 
stud.  1,  einl.  s.  5. 

s)  Zarncke  s.  318  anm.   Golther,  Rom.  forsch.  5, 116. 


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ZUR  PARZIVAL FRAGE. 


8 


1.  Crestien  hat  Kyot  als  quelle  benutzt  (Haupt,  Bartsch 
s.  114). 

2.  Kyot  hat  Crestien  als  quelle  benutzt  (Wackernagel 
s.  191  anm.,  Simrock  1*,  489,  Martin,  QF.  42, 19,  Piper  s.  110). 

3.  Crestien  und  Kyot  schöpften  aus  einer  gemeinsamen 
quelle  (Küpp  s.  8,  Heinzel  s.  39). 

Die  erste  annähme  ist  literarhistorisch  und  kritisch  un- 
haltbar, wie  Zarncke,  Beitr.  3, 317  f.  und  Heinzel  s.  29  ff.  nach- 
gewiesen haben.  Aber  auch  die  zweite  erklärung  führt  zu 
unglaublichen  consequenzen  (s.  Birch-Hirschfeld  s.  275  f.  280  f. 
Heinzel  s.  37  ff.).  Eine  art  Übergangsstandpunkt  von  2  zu  3 
vertritt  Golther,  Rom.  forsch.  5,  116  ff.:  'Guiot  hat  erst  nach 
Crestien  gedichtet,  er  hat  den  Crestien  gekannt  und  vielleicht 
auch  aus  ihm  entlehnt,  daneben  aber  auch  ältere  quellen  be- 
nutzt.'1) Woher  dann  die  beinahe  vollständige  congruenz  der 
beiden  darstellungen  mit  ihren  zahllosen  wörtlichen  Überein- 
stimmungen und  directen  misverständnissen  kommt>  bleibt  da- 
bei unerklärt.2) 

Diese  Schwierigkeit  wird  auch  durch  Küpps  und  Heinzeis 
hypothese  nicht  genügend  gelöst.  Küpp  setzt  einfach  für  alles 
was  bei  Crestien  fehlt  oder  abweicht,  Wolfram  =  Kyot.  Heinzel 
betont  stark  Wolframs  Selbständigkeit  gegenüber  seiner  quelle 
und  weist  eine  grosse  summe  von  dem  plus  das  Wolfram 
gegenüber  Crestien  hat,  als  Wolframs  eigentum  nach;  dann 
aber  stellt  auch  er  alles  von  jenem  plus  übrig  bleibende  auf 
Kyots  rechnung.  Ein  zwingender  grund  hierzu  liegt  nicht  vor. 
Unsere  kenntnis  der  mittelalterlichen  literatur  wird  stets  un- 
vollständig bleiben,  und  in  bezug  auf  den  inhalt  des  uns  ver- 
lorenen kommen  wir  über  Vermutungen  nicht  hinaus.  Hat  es 
da  mehr  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  eine  grosse  menge  von 
abschweifungen  (die  ja  nach  Heinzel  s.  7  die  französischen 
dichter  des  12.  jh.'s  nicht  so  sehr  lieben  wie  die  deutschen 
des  13.),  anspielungen ,  namen  und  deutungen  dem  uns  un- 


»)  Aehnlich  San  Marte,  Zs.fdph.  15,411. 

*)  Eine  vermittelnde  anschauung  anderer  art  ist  es,  wenn  Urbach 
8.  36  und  Hertz  s. 94  in  Kyot  nur  eine  verloren  gegangene  erweiterte  re- 
daction  (iuterpolation)  des  Werkes  von  Crestien  sehen.  —  Auch  die  oben 
unter  2  genannten  forscher  nähern  sich  mehr  oder  weniger  diesem  Stand- 
punkt, 

1* 

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4 


LICHTENSTEIN 


bekannten  Kyot  zuzuschreiben  oder  Wolfram,  dessen  Vorliebe 
für  derartige  dinge  wir  kennen?  Ueberau  wo  sich  Wider- 
sprüche, dunkelheiten,  Seltsamkeiten  der  composition  ergeben, 
soll  nach  Heinzel  s.  22  ff.  die  unbekannte  quelle  die  lösung 
enthalten.  Aber  solche  unvoUkommenheiten  finden  sich  in 
jedem  mittelalterlichen  roman.  Und  bei  dem  weitschichtigen 
material  das  Wolfram  verarbeitete,  'sind  solche  irrungen  so 
natürlich,  dass  man  sich  eher  wundern  möchte,  deren  so  wenige 
zu  finden'  (Heinzel  s.  2G).  Ja,  Heinzel  geht  so  weit  auch  die 
kette  von  moti Vierlingen  und  beziehungen,  durch  die  bei 
Wolfram  im  gegensatz  zu  jenen  abschweifungen  und  Uneben- 
heiten eine  gewisse  einheit  in  den  gang  der  handlung  ge- 
bracht wird,  als  Kyots  werk  zu  bezeichnen  (s.  29  ff.).  Das 
heisst  aber,  um  mit  Golther  zu  reden,1)  die  grossen  geister 
der  Uteraturgeschichte,  denen  sich  alle  späteren  willig  unter- 
ordnen, jeder  eigenen  phantasietätigkeit  verlustig  erklären  und 
alles  bedeutende  und  neue  von  sehr  hypothetischen  Vorläufern 
tun  lassen,  die  dann  nur  abgeschrieben  zu  werden  brauchten. 

Dies  trifft  nicht  nur  Wolfram  und  Orestien,  sondern  auch 
Kyot.  Denn  wenn  Wolfram  wirklich  bei  letzterem  alles  ver- 
einigt gefunden  hat,  sowol  die  abweichungen  von  Orestien  als 
die  Übereinstimmungen,  dann  werden  wir  zu  der  unhaltbaren 
annähme  geführt,  dass  Orestien,  der  eigentliche  Schöpfer  des 
höfischen  romans  in  Frankreich,  und  Kyot,  der  von  Wolfram 
noch  über  ihn  gestellte  meister,  beide  die  hauptteile  ihrer  dar- 
Stellungen  aus  der  gemeinsamen  quelle  entnommen  haben,  und 
zwar  zum  grossen  teil  mit  demselben  Wortlaut,  Kyot  hat 
sich  dann  ausserdem  willkürlich  in  gegensatz  zu  der  in  Frank- 
reich herschenden  graltradition  gesetzt,  oder  er,  der  franzö- 
sisch dichtende  Provenzale,  hat  sie  selber  misverstanden,  oder 
endlich  er  hat  sie  ebenso  misverständUch  und  unvollständig 
überliefert  wie  Orestien.2)  Bevor  wir  uns  zu  einer  so  gewagten 
annähme  entschliessen,  werden  wir  doch  noch  einmal  den  ver- 
such machen,  durch  eine  genaue  vergleichung  der  beiden  vor- 
handenen dichtwerke  aus  ihnen  selbst  die  abweichungen  zu 
erklären,  und  nur  wo  diese  erklärung  uns  im  stich  lässt,  uns 


')  Sitz.-ber.  der  bair.  akad.,  ph.-hist.  kl.  1890,  bd.2,216. 
*)  Birch-Hirschfeld  8.  275  f. 


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ZUR  PARZIVALFRAGE. 


5 


nach  einer  anderen  quelle  umzusehen.  Bezüglich  des  grals 
ist  diese  aufgäbe  bereits  von  Zarncke  und  Birch- Hirschfeld 
glänzend  gelöst.  Ich  verweise  dafür  auch  auf  das  urteil  Böt- 
tichers,  der  am  Schlüsse  seiner  prüfuug  der  Wolfram-literatur 
anerkennt,  dass  Birch-Hirschfelds  beweisführung  'der  schwerste 
einwand  gegen  die  existenz  Kyots  ist,  und  dass  alles  früher 
beigebrachte  dagegen  unwesentlich  wird'.  Aber  'die  Kyot- 
frage  ist  durch  Birch -Hirschfeld  noch  nicht  aus  der  weit  ge- 
schafft; daher  ist  und  bleibt  es  wünschenswert,  dass  ein  jeder, 
der  sich  in  diese  fragen  vertieft,  sein  scherflein  zu  ihrer  lösung 
beitragen  möge'.  Von  grösster  Wichtigkeit  ist  nach  Botticher 
eine  genaue  und  zuverlässige  vergleichung  der  zu  erwartenden 
kritischen  ausgäbe  Crestiens»)  mit  dem  Parzival. 

Eine  vergleichung  von  W  olfram  und  Crestien  ist  auszugs- 
weise schon  1858  von  Rochat  und  1884  von  Küpp  geliefert 
worden.  Aber  Bötticher  (W.-lit.  40  anm.  und  59)  und  Heinzel 
(Grab*.  1)  bemerken  mit  recht,  dass  solche  auszüge  und  inhalts- 
angaben  immer  durch  die  auffassungen  und  absiebten  des  Ver- 
fassers beeinflusst  werden  und  somit  als  eine  objective  grund- 
lage  für  die  beurteilung  nicht  dienen  können.  In  der  tat 
kommen  die  beiden  Verfasser  bei  ihrer  vergleichung  zu  ent- 
gegengesetzten ergebnissen.  Eine  vollständige  gegenüberstel- 
lung  der  entsprechenden  textstellen  aus  Wolfram  und  Crestien 
und  eine  genaue  feststellung  des  nichtentsprechenden  habe  ich 
bereits  vor  mehreren  jähren  vorgenommen.  Diese  in  extenso 
hier  zu  veröffentlichen,  verbietet  der  räum;  es  ist  auch  nicht 
so  notwendig,  da  ja  das  meiste  immerhin  seit  Rochat  und 
Küpp  bekannt  ist.  Nur  wo  ich  neue  zusammenhänge  gefunden 
habe  für  stellen  die  man  bisher  als  abweichend  betrachtete, 
oder  wo  sonst  das  Verhältnis  Wolframs  zu  Crestien  eine  cha- 
rakteristische beleuchtung  empfängt,  werde  ich  die  textworte 
selbst  anführen.  Im  übrigen  kann  ich  mich  darauf  beschrän- 
ken, zahlenmässig  eine  vollständige  Übersicht  zu  bieten.  Wo 
die  darstellungen  beider  dichter  sich  in  inhalt  und  form  decken, 
setze  ich  das  zeichen  ^  ;  wo  nur  der  inhalt  übereinstimmt,  das 
zeichen  =;  blosse  ähnlichkeit  in  worten  bei  abweichendem 


')  Eine  kritische  ausgäbe,  die  prof.  Baist  vorbereitet  ,  ist  leider  noch 
nicht  erschienen. 


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6 


LICHTENSTEIN 


sinne  bezeichne  ich  durch  t/*..  Die  unterschiede  gebe  ich  jedes- 
mal mit  möglichster  genauigkeit  an,  und  Überschüsse  oder 
stärkere  ab  weichungen  zeichne  ich  durch  [  ]  aus. 

Zahlen  wirken  freilich  nicht  überzeugend  und  sind  nur 
ein  notbehelf,  damit  man  die  betreffenden  stellen  auffinden 
und  gegen  einander  halten  kann.  Aber  die  Übersichtlichkeit 
gewinnt  dabei,  und  es  ist  meines  erachtens  nicht  nur  für  die 
entscheidung  der  quellenfrage,  sondern  auch  für  culturhistori- 
sche  und  stilistische  Untersuchungen  von  Wichtigkeit  zu  wissen, 
ob  eine  stelle  im  Parzival  dem  deutschen  dichter  allein  zu- 
kommt, oder  ob  sie  ihr  Vorbild  im  Conte  del  graal  hat  ,  und 
was  Wolfram  aus  dem  vorliegenden  stoff  gemacht  hat.  Das 
ist  aber  durchaus  nicht  leicht,  da  sich  die  entsprechuugen 
häufig  an  ganz  verschiedenen  stellen  finden.') 

Für  die  gralsage  insbesondere  ist  es  kaum  anders  mög- 
lich als  sämmtliche  in  betracht  kommenden  stellen  im  Zu- 
sammenhang zu  untersuchen.  Hierfür  wird  man  doch  immer 
auf  die  umfassenden  arbeiten  von  Birch-Hirschfeld  und  Heinzel 
zurückgi-eifen  müssen;  ich  kann  daher  diese  teile  aus  meinen 
nachweisungen  ausscheiden.  Eine  weitere  abkürzung  wird  mir 
leider  durch  persönliche  Verhältnisse  geboten,  so  dass  ich  meine 
Übersicht  vorläufig  mit  dem  schluss  des  sechsten  buches  von 
Wolfram  abbrechen  muss.  Ich  hoffe  aber,  dass  auch  dies  ge- 
nügen wird,  um  die  enge  des  Verhältnisses  zwischen  Wolfram 
und  Orestien  vollständiger  als  bisher  zu  veranschaulichen,  um- 
somehr  als  häufig  auch  späteres  dabei  zur  spräche  kommt. 
Die  zusammenfassende  betrachtung  der  unterschiede,  die  ich 
der  Übersicht  folgen  lasse,  stützt  sich  auf  die  vergleichung 
des  ganzen  textes. 

2.  Textvergleichung. 

Farzivals  eitern. 

Das  Originalgedicht  Oestiens,  welches  in  der  ausgäbe  von 
Potvin  (abgesehen  von  einem  kurzen  prolog,  Potvin  2,  307  f.) 
mit  v.  1283  beginnt,  führt  uns  sogleich  mitten  in  seinen  eigent- 
lichen gegenständ  hinein,  während  Wolfram  der  geschiente  des 

»)  Weinhold,  Deutsche  frauen  1»,  KU  f.  führt  nach  Pare.  512,  16  eine 
sitte  als  echt  deutsch  an,  die  aus  C.  S205  ff.  stammt. 


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ZUR  PABZIVALFRAGE. 


7 


helden  diejenige  seines  vaters  vorangehen  lässt  (buch  1. 2). 
Schon  Rochat  (Genn.  3, 119)  hat  entdeckt,  dass  der  name  Gah- 
muret  aus  C.  stammt:  C.  1661  roi  Ban  de  Qomeret,  Variante 
Gamoret.  Der  name  kommt  dort  allerdings  nicht  Parzivals 
vater  zu,  von  dem  nur  im  vorhergehenden  die  rede  ist;  die 
ganze  stelle  aber  —  es  ist  die  klage  der  mutier  beim  abschied 
—  bringt  weitere  mitteilungen  über  Parzivals  geschlecht  und 
liefert  interessante  anhaltspunkte  zu  vergleichen,  die  bisher 
noch  nicht  genügend  beachtet  worden  sind. 


W.  5,  23 
Gahmuret  »1er  wigant 
verlos  sus  bürge  unde  laut 
da  sin  vater  schone 
truoc  zepter  unde  kröne 
mit  grözer  kfineelicher  kraft 
unz  er  lac  töt  an  riterschaft. 
17 

künge,  graven,  herzogen, 
Olaz  sag  ich  in  für  ungelogen) 
daz  die  da  huobe  enterbet  sint  . . . 
vgl.  7,27.  8,8.  12,  16  f. 

108,  12 

sin  pris  gap  so  hohen  nie, 
nienien  reichet  an  sin  zil 
Bwfi  man  noch  ritter  prüeven  wil 

317,22 
—  daz  iuwer  vater  wsere 
manlicher  triuwe  wise 
unt  witvengec  höher  prise. 

318, 1 

nu  ist  inwer  pris  ze  valsche  komn. 
owe  daz  ie  wart  vernomn 
von  mir  daz  Herzeloyden  bam 
an  prise  hat  sus  missevarn. 
vgl.  56,  21. 

Dann  berichtet  bei  C.  die  mutter  auch  von  ihrer  abkunft: 

1617   car  jou  sni  de  Chevaliers  nee 
de  mcllours  de  ceste  contree; 
es  illes  de  mer  n'ot  linage 
niellor  del  mien  en  mon  eage. 

Ihr  geschlecht  ist  nun  aber  sowol  bei  C.  (7790)  wie  bei  W. 
(476, 12  f.)  das  der  gralkönige.   Dass  diese  auch  von  C.  als 


C. 1632 

ses  grans  tieres,  ses  grans  tresore 

qne  il  avoit  come  prendom, 

ala  tont  a  pierdission; 

si  cha'i  en  grant  povretd; 

apovri  et  desirete 

et  essilie  furent  a  tort 

Ii  gentil  honie  apres  la  mort 
(lTter  Pandagrons  qui  rois  fu1) 
et  peres  le  bon  roi  Artu). 

1610 

n'ot  Chevalier  de  si  haut  pris, 
tant  redoute  ne  taut  cremu, 
bians  fius,  com  vostre  peres  fu, 

en  toutes  les  iles  de  mer. 
de  cou  vo8  poes  bien  vanter 
que  vous  ne  deeees  de  rien 

de  son  lignage  ne  del  mien. 


W.  56,  12  wird  Utepandragün  als  grossoheim  Gahmurets  genannt. 


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8 


LICHTENSTEIN 


Chevaliers  bezeichnet  werden,  und  zwar  als  die  besten  es  illes 
de  mer,  darf  nicht  übersehen  werven,  wenn  man  nach  dem 
Ursprung  des  gralrittertums  bei  W.  forscht. 

[C.  1621— 28  moralische  betrachtung;  vgl.  W.  103,20— 23 
oder  4, 27— 5,51.]  —  Die  Verwundung  des  vaters  (W.106, 15 — 17. 
C.  1629 — 31)  wird  verschieden  geschildert,  bei  C.  in  derselben 
art  wie  die  des  fischerkönigs  (C.  4687—91  =  W.  479, 8—12). 
C.  1650. 53—82  erwähnt  zwei  brüder  Parzivals  (s.  zu  W.  177.14). 

Der  held  selbst  trägt  zunächst  keinen  namen;  er  heisst 
bei  W.  der  knappe  (117,  30.  119, 9  u.  ö.)  =  C.  Ii  valh's  (1323. 38 
u.  ö.)  oder  ganz  zuerst  des  werden  Gahmuretes  kint  (117,15), 
fil  Ii  rot  Gahmuret  (122,  28)  tr.  C.  Ii  fius  a  la  vaivc  damc  (1288). 
Für  seine  spätere  widererkennung  durch  Sigune  (140,4—7) 
sind  die  zärtlichen  benennungen  wichtig,  die  ihm  die  matter 
beilegt,  Man  hat  bisher  gemeint,  diese  habe  W.  ganz  allein; 
sie  sind  aber  fast  wörtlich  aus  C.  entnommen: 

W.  113,  l  C.1561 
die  künegin  des  gelüste  mais  grant  joie  ot  en  icele  eure 

daz  sin  vil  dicke  kuste.  qu'ele  le  voit,  et  pas  ne  pot 

si  sprach  hinz  im  in  allen  fliz  celer  sa  joie  qu'ele  en  ot  ; 

'bon  fiz,  scher  fiz,  beä  fiz.'  car  corae  mere  qui  monlt  l'aime, 

keurt  contre  lui  et  si  le  claime 
biaus  fils,  biaux  fils,  plus  de 

.C.  fois. 

Dass  W.  statt  des  mehrfach  widerholten  biaus  fils  wech- 
selnde adjectiva  setzt  und  dabei  seine  französischen  sprach- 
kenntnisse  zeigt,  entspricht  der  sonstigen  art  des  dichters.  Zu 
vergleichen  sind  noch  die  widerkehrenden  anreden  biaus  fius 
oder  biaus  dous  fius  bei  C.  1582.  90.  1602.7.12  u.ö.«) 


')  In  dieser  beucnnung  haben  wir  eine  wichtige  berührung  der  Parz.- 
sage  mit  der  vom  Schönen  unbekannten,  was  Menuung  in  seiner  disser- 
tation:  Der  Bei  inconnn,  Halle  1890,  übersehen  hat.  Auch  die  wnrfspiesse, 
die  M.  vermisst.  finden  sich  C.  1600,  ebenso  die  hohe  Stellung  und  der 
spätere  stürz  des  vaters  1(510  ff.  1032  ff.  Die  jugend  des  beiden  stimmt 
genau  Uberein,  und  auch  sonst  finden  sich  viele  verwante  ztlge.  Da  der 
Schone  unbekannte  nach  Mennung  nicht  der  ursprüngliche  träger  der 
schlangengeschichte  und  ebensowenig  Parzival  der  der  gralsagc  ist  (vgl. 
Hertz  s.  103),  so  könnten  beide  aus  einer  und  derselben  dümmlingsfignr 
hervorgegangen  sein.  Jedenfalls  haben  die  verschiedenen  bearbeiter  jenes 
stoflfes  die  ähnlichkeit  gefühlt,  was  sie  durch  mannigfache  entlehnungen 
bekunden  (Orguillous  de  la  Lande,  Giftet  etc.). 


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ZUR  PARZIVALFRAGE. 


9 


Farzivals  erziehung. 

Auch  diese  einleitung  ist  nur  bei  W.  ausgesondert,  bei  C. 
sind  die  entsprechenden  angaben  in  die  erzählung  eingestreut, 

C. 1644 

[Vostre  peres]  ce  raanoir  ot 
ici  en  ceste  foriest  gaste; 

ne  pot  fuir,  mais  en  grant  haste 

en  litiere  aporter  s'en  fist. 

76 

et  jene  le  vie  moult  amere 
sofferte  puis  que  il  fu  mors. 
51 

petis  esties  et  alaitans 
poi  avies  plus  de  .11.  ans. 

1288 

Ii  fius  a  la  vaive  dame 
de  la  gaste  foriest  soutaine. 
1283 

(Ce  fu  el  tans  c')  arbre  florissent 
fuellent  boscage,  pre  verdissent. 
1296 

erceours  ke  sa  inere  avoit 
qui  ses  tieres  Ii  ahanoient. 

1532 

que  destouruer  Pen  quidoit  Ten 

que  ja  chevalier  ue  ve'ist 
ne  lor  afFaire  n'apresist. 

1602 

'Biaus  dous  tins,  de  chevalerie 
vous  quidoie  je  bien  garder, 
que  ja  n'en  oissies  parier 
ne  que  ja  nul  u'en  veissies, 
n'estre  Chevaliers  deüssies.' 

1414 

'Dont  vault  mius  Ii  .1.  de  res  trois 
ga verl os  que  vous  vees  chi; 
car,  kanke  jou  vocl,  en  ochi 

oisiaus  et  bicstes  au  besoing 
et  si  les  ocis  de  si  loing 
que  on  poroit  .1.  boujon  traire.' 
vgl.  1309  f. 


W.  116,28 
[frou  Herzeloyd  diu  riche] 
ir  drier  lande  wart  ein  gast. 
117,4 

si  vlöeh  der  werlde  wunne. 

7 

sich  zoch  diu  vrouwe  jämers  balt 
fti  ir  lande  in  einen  walt. 

116,  30 

si  tmoc  der  freuden  mangels  last. 

117,  14 

si  brahte  dar  durch  Hühtesal 
des  wenlen  (lahmuretes  kint. 
117,8 

—  in  einen  walt 
zer  waste  in  Soltäne; 

(niht  durch)    bluoraen    uf  die 

plane. 

117,  16 
Hute,  die  bi  ir  da  sint 
miiezeu  buwen  und  riuten. 

117,20 

ir  volc  si  gar  für  sich  gewan 
22 

den  gebot  si  allen  an  den  Up, 
daz  se  immer  ritters  wurden  lut. 

4  wan  fricschc  daz  mins  herzen  tritt, 
welch  ritters  leben  wiere, 
daz  wurde  mir  vil  sware. 
nu  habt  iuch  an  der  witze  kraft, 
und  helt  in  alle  riterschaft.' 
118,4 

bogen  unde  Wlzeliu 
[die  sneit  er  mit  sin  sell>e8  haut,] 
und  schoz  vil  vogele  die  er  vant. 
120,2 

er  lernte  den  gabilötes  swanc, 
da  mit  er  mangen  hirz  erschöz, 
des  sin  mnoter  und  ir  volc  genoz. 
ez  wsere  «eber  oder  snß 
dem  wilde  tet  sin  schiezen  we. 


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10 


LICHTENSTEIN 


118,8 

(den  vogel)  des  schal  von  sauge  e 

was  so  gröz. 

13 

—  —  alle  morgen, 
erne  knnde  niht  gesorgen, 
ez  enwjere  ob  im  der  vogelsanc, 
die  süeze  in  sin  herze  drauc: 
daz  erstracte  im  sinin  brüst  elin. 
vgl.  118,24-28. 

[\V.  118,9—10.  118,29  — 
von  ihm  ei*schossenen  vö^el. 
zu  töten.        118,11—18  P.'s 
morgen  am  nach.    —   120,  7 — 
heim.]  —  W.  118,18—22  ^  C. 

W.  119,  17 
'Owe  mnoter,  waz  ist  got?' 
'sun,  ich  sage  dirz  sine  spot. 
er  ist  noch  lichter  denne  der 

tac, 

der  antlitzes  sich  bewac 
mich  menschen  antlitze. 

119,  22 
snn,  merke  eine  witze, 
und  flehe  in  umbe  dine  not.' 
W.  119,25—27  =  C.  132«»- 30. 


12S5 

et  eil  oisel  eu  lor  latin 

docement  eantent  au  matin. 
1300 

et  inaintenant  Ii  eners  del  ventre 
por  le  douc  tans  se  resjooit. 
et  por  les  cans  qne  il  ooit 
des  oisiaua  qui  joie  faisoient; 
toutes  ces  coses  Ii  plaisoient, 

119,15  P.'s  schmerz  über  die 
Die  mutter  befiehlt,  alle  vögel 

Schönheit,  er  wäscht  sich  alle 
10  er  trägt  das  wild  unzerlegt 

1560  f. 

C.  1354 

et  ne  nie  dist  ma  mere  fable, 
qui  me  dist  que  Ii  angle  sont 
les  plus  beles  coses  du  mont, 

fors  dex  ki  plus  est  biaus  que 

tuit. 

vgl.  1577-81. 

1590 

—  'Biaus  fius,  a  dien  te  rent; 
car  moult  ai  grant  paor  de  toi. 


Begegnung  mit  den  rittern. 

W.  120, 11  —  125, 26.  C.  1290—1557. 
C.  1300—4.  1354—57.  1414—19.  1532—34  s.  vorigen  ab- 
schnitt. [C.  1290—93  P.  steht  früh  auf,  sattelt  sein  pferd  und 
nimmt  3  gavrelots.  Bei  W.  hat  er  1  gabylot  (120, 10),  aber 
kein  pferd  (126,20).  —  C.  1305— 6  er  nimmt  dem  pferde  den 
zäum  ab.] 

W.  125, 25—26  =  G.  1294—96.  —  W.  120, 11—12. 16  k£ 
C.  1299.  1307—11.  —  W.  120, 14— 15. 24— 26  ^  C.  1314— 16. 
23—24.  —  W.  120, 17— 24. 16  £  C.  1325— 38  (vgl.  \V.  119, 25 
—27).  —  W.  122, 1—12.  120, 25.  121, 14  <x  C.  1319—22.  41—48. 

W.  120,  27—28.  121, 30.  122, 1.  21—24.  120, 29  —  121, 2. 
122,25— 28  ^  C.  1348— 50.  58—70. 

Bei  C.  sind  es  5  ritter,  bei  W.  zuerst  3,  ein  vierter  kommt 


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ZUR  I'AKZIVALKRAUK. 


11 


nach,  er  ist  ihr  herr  121,13—15.23.  Dazu  vgl.  C.  1371—79 
der  herr  der  ritter  befiehlt  seinen  gefährten,  zurückzubleiben, 
um  den  knappen  nicht  zu  sehr  zu  erschrecken. 

W.  121,3— 9  £  C.  1454— 00.  —  W.  121,29.15  g  C.  1380 
— 81.  —  [C.  1382 — 85  er  grfisst  Parz.  und  sucht  ihm  seine  ver- 
meintliche furcht  zu  benehmen;  1\  verwahrt  sich  dagegen.]  — 
W.  122,  29  —  123,  4  ^  C.  1380—90. 


Bei  C.  bewundert  Parz.  die  Schönheit  des  ritters;  W.  über- 
trägt dies  lob  auf  seinen  beiden,  zum  teil  mit  denselben  Worten ; 
vgl.  W.  118, 11.  122.13. 

W.  122, 15—16. 20  (121, 16—22)  =  C.  1396-97.  Die  an- 
zahl  der  verfolgten  ritter  und  jungfrauen  weicht  ab,  wie  die 
meisten  Zahlenangaben.  —  Die  frage  wird  bei  C.  mehrmals 
widerholt  (1421—23.  1460—09.  1503—0),  weil  P.  nicht  ant- 
wortet. 

Die  folgenden  aufklärungen  über  waffen  und  ritterschaft, 
bei  W.  kurz  zusammengefasst,  bilden  bei  C.  einen  sehr  leb- 
haften, teilweise  in  halbzeilen  verlaufenden  dialog:  W.  123, 19 
—27.  124, 1—4  &  C,  1400—3.  24—26.  70—73.  —  W.  124, 5 
—10  ^  C.  1409.  13.  36.  40—41.  75. 82—85. 

W.  123,  28—30  vergleich  mit  den  kammerfrauen  seiner 
mutter,  gerade  wie  C. 1919 — 22. 

W.  124,11—14  üg  C.  1485— 88.  —  W.  124,15— 16  0.1443 
—47.  —  W.  124, 17. 19—21.  ^  C.  1448—53. 61—64.  —  W.  123, 
6—10  ^  C.  1497.  1501—2.  44—46. 

[C.  1547—54  der  konig  sei  in  Oarduel,  wo  ihn  der  ritter 
vor  vier  tagen  verlassen  habe.] 

W.  124,  22—30  i/i  C.  1507-22  die  ritter  kommen  [C:  von 
Parzival  geführt]  zu  den  pflügern  [('.:  in  den  destroit  de  Val- 
done\  —  Zu  W.  124,30  vgl.  noch  C.  1535.39  boviers. 

W.125, 17— 24.  124,27  £  C.  1523— 31.  —  W.  125, 1—10 
==  C.  1535—43  der  führer  der  ritter  [nach  C:  Parz.  für  ihn] 
erkundigt  sich  bei  den  pflügern  nach  dem  von  den  verfolgten 


W.  123,13 
Do  lac  diu  gotes  kunst  an  im. 
16 


mais  von»  este.s  plus  biau»  ke  dex; 


C.  1891 


nie  manne»  vanve  baz  geriet 
124, 18 

,6wi  wan  war  din  achcene  min! 


car  fusce  jou  ore  autreteus, 


ausi  luisans  et  ausi  fais!' 


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12 


LICHTENSTEIN 


eingeschlagenen  wege.  —  W.  125, 12  ^  C.  1555—57  er  setzt 
ihnen  eiligst  nach. 

[W.  121, 18— 22.  2G— 27.  125,11.  13—16  der  beweggrund 
der  Verfolgung,  der  erfolg  und  die  nanien  der  beteiligten. 
31elja(h)kanz  125,  11  =  Meljaijanz  Hartm.  Iw.  5080;  vgl.  W. 
343,26.  387, 1.  583,10.] 

Farzivals  auszug. 

W.  125,  27  —  129,  4.  C.  1558—1810. 

W.  kürzt  auch  diesen  auftritt  und  verwendet  das  material 
anderweitig:  C.  1577— 81.  90— 94  1(302— 6.  44— 52.  76— 77  s. 
unter  'P.'s  erziehung';  C.  1562  67.  1610—43  s.  'P.'s  eitern'; 
<  \  1653—82  s.  'bei  Ciurnemanz'. 

1.  P.  kommt  zur  mutter.  W.  125,27—29  —  1558—59. 
—  [C.  1560— 61. 68— 72  die  mutter  ist  wegen  P.'s  ausbleiben 
in  grosser  angst  gewesen;  vgl.  W.  118. 19  f.J  —  W.  125, 30—126, 
4.15  ^  V.  1597— 1601.  -  W.  126,9— 11  £  C.  1584— 88.96. 

Hier  fügt  C.  die  nachrichten  über  die  familie  des  beiden 
ein,  die  im  deutschen  gedieht  anderwärts  verwertet  sind.  Da- 
für bringt  W.  ein  anderes  stück  familiengesehichte.  um  zu 
motivieren,  dass  I».  nicht  in  seine  länder  zurückkehren  kann, 
und  damit  den  zustand  widerherzustellen,  wie  er  vor  der  ein- 
schiebung  der  büeher  1  und  2  vorhanden  war:  [W.  128,3 — 10. 
s.  auch  140, 25  141,  7  die  getreuen  P.'s  sind  von  Lii heiin,  dem 
eroberer  seiner  länder,  erschlagen  und  gefangen  worden;  vgl. 
(\  1609  ros  autres  amis  und  1611  les  tieres  furent  cssilies]. 

W.  126,  12—14.  16  18  ^  1687—91.  —  [W.  126,  19—20 
P.  verlangt  von  der  mutter  ein  pferd.  0. 1683 — 85  er  verlangt 
zu  essen;  ein  pferd  hat  er  bereits  nach  1291  f.J 

2.  P.'s  ausrüstung  mit  torenkleidern  (C.  a  lu  guise  de  Gnies). 
Die  veranlassung  zu  der  Übersetzung  'torenkleider'  entnahm 
W.  aus  C.  1455  f.  que  Gnlois  sont  tuit  par  nature  plus  fol  que 
besles  en  pasture;  vgl.  \V.  121,  5  ff. 

YV.  126.  26—27.  127, 1—9  \£  C.  1692—98.  1798.  —  W.  144, 
26—27  -=  0.  1795—97.  —  W.  145, 1-2  =  C.  1799—1805  er 
nimmt  sein  gabyWt  mit.  [Nach  ('.  lässt  ihm  die  mutter  von 
seinen  3  gavcrlos  2  wegnehmen,  damit  er  nicht  gar  zu  sehr  wie 
ein  Galois  aussehe.]  —  [W.  144, 23—25  bastzaum;  schwaches 
pferd.]  [C.  1806—7  une  roote,  por  sott  ceval  ferir.]  —  W.  127, 


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ZUR  PA RZIV ALFRAGE. 


13 


11—14  &  0. 1699— 1700  die  mutter  hält  ihn  noch  drei  tage 
fW.  eine  nacht]  zurück  [W.  um  ihn  zu  belehren]. 

3.  Die  4  lehren  der  mutter.  W.  127, 13— 14  ^  C.  1721— 22. 

a)  Kuss  und  ring  einer  frau  erwerben  W.  127.25  —  128,2 
=  C.  1740—50.  —  (C,  1745  cuinte  cainturc  u  aumosniere,  vgl. 
W.  131, 17  fürspan.)  —  [C.  1727—39  dienst  und  hilfe  den  damen. 
Diese  Weisung  hat  W.  mit  recht  der  ritterlichen  belehrung 
durch  Gumemanz  vorbehalten  (s.  W.  172, 7  —  173,6).  Nach  dem 
vorangegangenen  muss  es  ja  auch  auffallen,  wenn  bei  C.  die 
mutter  diese  lehre  so  begründet  (1725  f.):  du  wirst  in  kurzem 
ritter  sein,  und  ich  billige  es!] 

b)  Betragen  gegen  fremde.  W.  127, 19 — 20  grüssen,  stimmt 
zu  0. 1876  f.  2552 — 54,  ist  also  an  unserer  stelle  von  W.  richtig 
ergänzt.  [C.  1751 — 56  alle  gefährten  auf  wegen  und  herbergen 
um  ihren  namen  fragen.] 

c)  Bei  biedermännern  belehrung  suchen  W.  127, 21—24  = 
C.  1757—60. 

d)  [Kirchen  und  münster  besuchen  0.  1761  —  88.  Diesen 
rat  übergeht  W.  auch  an  den  beiden  anderen  stellen,  wo  er 
bei  C.  widerkehrt,  nämlich  in  den  Unterweisungen  des  Gurne- 
manz  und  des  Trevrezent  2855—63.  7816—32;  s.  zu  W.  169, 16.] 
—  [W,  127, 15—18  hat  dafür  die  lehre,  dunkle  fürten  zu  ver- 
meiden; veranlassung  dazu  gab  C.  2506  ff.,  s.u.] 

W.  128, 11—12  c/>  C.  1789—92  P.  drückt  seine  bereitwillig- 
keit  aus,  der  letzten  mahnung  zu  folgen,  die  aber  in  den  beiden 
texten  nicht  die  gleiche  ist. 

4.  Abschied,  tod  der  mutter.  W.  128, 13— 22  £  C.  1793 
—94.  1814—19  (bei  C.  sieht  er  die  mutter  niederfallen,  kehrt 
sich  aber  nicht  daran.  Erst  nachher  bei  Gumemanz  regt  sich 
sein  gewissen). 

C.  1810—13  die  mutter  betet  zu  gott  um  glück  für  ihren 
scheidenden  söhn.  W.  128, 23  —  129, 4  der  mutter  treue  wird 
im  himmel  ihren  lohn  finden;  getreue  frauen  aber  sollen  ihrem 
söhne  heil  wünschen. 

Die  dame  im  zelte. 

W.  129, 5  —  137, 30.  C.  1820—2025. 

1.  P.  kommt  zu  dem  zelte. 
W.  129,5—6. 12—23  £  C.  1823— 37  durchgehende  wörtliche 


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14 


LICHTENSTEIN 


Übereinstimmung.  Der  rest  der  beschreibung  ist  abweichend 
[\V.  129,  24—20.  0.  1838— 46J. 

[C.  1847 — 60  der  lehre  seiner  mutter  eingedenk,  will  P.  in 
das  münster  gehen,  das  er  vor  sich  zu  sehen  glaubt.  W.  hin- 
gegen, 129,7—11,  lässt  ihn  die  mahnung  befolgen,  dunkle  fürten 
zu  vermeiden,  genau  dieselbe  vertauschung  wie  oben.]  Jedoch 
hat  W.'s  text  seine  wörtlichen  entsprechungen  in  späteren 
stellen  O.'s: 

W.  129,10  C.  2506 

durch  daz  sin  fluz  bö  tunkel  was,        mais  en  l'enwe  n'entra  il  mie, 
der  knappe  den  furt  dar  an  vernieit,     qu'il  le  vit  monlt  parfonde  et  noire,  — 

9 

den  tag  er  gar  deraeben  reit  si  s'en  va  tout  »elonc  la  rive. 

vgl.  auch  C.  416(5—72. 

W.  129, 28— 29.  130,3.20  g  C.  1802-66.  —  [C.  1867— 70 
ihre  jungfrauen  waren  ausgegangen,  um  frische  blumen  zum 
streuen  zu  suchen.]  —  Der  name  Orilus  de  Laiander  W.  129, 27 
ist  aus  0.4991  vorweggenommen. 

[Zusätze  bei  W.:  die  titel  duc  und  hereoginne  129,27.30, 
der  name  der  Jeschüte  (nach  Bartsch  s.  133  aus  gisoit  C.  1864 
misverstanden)  und  die  Schilderung  ihrer  reize  130, 1—2.  4—19. 
21—25.  131, 23;  der  name  des  waldes  Bridjdn  129, 6  aus  Iwein 
263.  925.] 

W.  131, 1—5  ur.  C.  1871—74  die  dame  erschrickt  und  er- 
wacht, bei  C.  durch  das  wiehern  des  pferdes,  bei  W.  durch  P.'s 
ungestüme  annäherung.  —  C.  1875— 80  s.  zu  W.  132,23—24. 

2.  Gewaltsame  umarmung  und  raub  des  ringes. 

W.  132, 6—8.  131, 6—15. 19—21  ^  C.  1881—88.  94—1900. 
—  (C.  1901—3  er  küsst  sie  20 mal;  vgl.  W.  132, 20.)  —  W.  130, 
26. 29—30.  131, 16  ^  C.  1904. 6—7. 15.  —  [C.  1909—12  sie  wei- 
gert sich  den  ring  gutwillig  herauszugeben.  —  1917—18  er 
wendet  sich  zum  gehen.]  —  C.  1919—22  s.  zu  W.  123, 28—30. 

3.  P.  isst  und  zieht  weiter. 

W.  132, 10—14  g  0,1923—27.  1885-86. 92—93.  —  W.  132, 
15—16.  131,22  =  0.1928—31.  —  W.  131, 27— 28  ^  0.1932. 
37.  —  W.  132, 1-3  g  0. 1938—44.  1953-54.  —  [C.  1945—52. 
55  er  ladet  die  dame  zum  mitessen  ein;  sie  erwidert  kein  wort. 
Er  deckt  den  rest  wider  zu.] 

W.  132, 23—24  ^  0. 1956—59.  1876—80.  —  [C.  1960—64 


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ZUR  PARZIVALFRAGE. 


15 


sie  möge  sich  um  ihren  ring  nicht  grämen;  bevor  er  sterbe, 
werde  er  ihr  ihn  widergeben;  vgl.  W.  132,  17—18.]  —  W.  132, 
21—22  =  C.  1965—73  sie  verweigert  ihm  den  abschiedsgruss 
(hier  wird  durch  die  parallele  die  interpretation  W.'s  gefördert). 

4.  Eifersucht  des  gatten. 

W.  132, 28  —  133, 13.  133, 15—18  ^  0.  1974—84  (charak- 
teristisch für  W.  ist,  dass  er  die  herabsetzenden  ausdrücke 
durch  ein  lob  der  Schönheit  seines  beiden  ersetzt  ;  dieses  dient 
ihm  zugleich  als  verstärkendes  motiv  für  die  eifersucht  des 
gatten  133,21.  271,4). 

W.  133, 14. 19—20. 22  ^  0. 1988. 92—95.  2000.  —  [W.  133, 
23 — 28  sie  wreist  die  Verdächtigung  durch  berufung  auf  ihren 
f ürstenrang  zurück.  0. 2002 — 1 1  sie  gesteht,  P.  habe  sie  wider 
ihren  willen  geküsst;  der  gatte  glaubt  nicht  an  ihre  Unschuld.] 

[W.  133, 29  —  135, 15  reminiscenzen  aus  dem  Erec,  hervor- 
gerufen durch  den  umstand,  dass  auch  dort  ein  Orgucillous  de 
la  lande  vorkommt^  s.  Bartsch  s.  125.] 

W.  135, 16-18  antieipiert  0. 2234— 38.  -  W.  135, 21— 24 
antieipiert  C,  4642  f.  und  5001. 

W.  136, 24-25.  137,1—4.  136,29—30.  137,15—19.  135, 
19—20  =  C.  2012—24.  —  [W.  135, 25  —  136, 22.  136, 26-28 
Scheidung  von  tisch  und  bett.  Die  fürstin  bittet  um  ritter- 
liches gericht,  —  137,5—12  die  angekündigte  strafe  wird  an 
dem  sattelzeug  des  pferdes  sogleich  vollzogen.  —  137,  20 — 30 
sentimentaler  epilog.]  —  [C.  2025  der  eifersüchtige  gatte  setzt 
sich  zum  essen  nieder.] 

Die  folgende  partie  bietet  die  erste  bedeutendere  abwei- 
chung.  W.  schiebt  138, 9  — 142, 2  eine  begegnung  P.'s  mit 
seiner  cousine  ein.  Bei  C.  fehlt  dieser  auftritt  hier;  die  einzel- 
heiten  sind  aber  der  späteren  begegnung  bei  C.  entlehnt,  s. 
zu  W.  249, 11.  —  Das  motiv  dieser  einschiebung  bei  W.  ist 
offenbar,  dass  er  seinen  neiden  nicht  länger  unbenannt  lassen 
wollte.   Er  selbst  sagt  das  140, 10: 

nu  hoert  in  rehter  nennen, 
daz  ir  wol  niiiget  erkennen, 
wer  dirre  aventiure  herre  si. 


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16 


TJCHTKNSTEIN 


Erstes  auftreten  bei  hofe. 

W.  138, 1—8.  142,  3  —  161, 8.    C.  2026—2496. 

1.  Der  Wegweiser. 

In  diesem  kurzen  Zwischenstück  zeigt  sich  starke  Ver- 
schiedenheit. W.  138,  2  =  C.  2026.  —  [W.  138, 5—8.  142,6—10 
P.  folgt  dem  zweiten  rat  der  mutter.  142,11  —  143,7.  143, 
10—20  er  kommt  zu  dem  hause  eines  geizigen  fischers,  dem 
er  für  eine  herberge  das  fürspan  der  Jeschute  gibt.]   [C.  2027 

—  28  er  trifft  einen  köhler,  der  einen  esel  vor  sich  hertreibt.] 

-  W.  143,8-9.  144,5-7.  9-10.  17—18  —  C.  2029.  31—32. 
34—35.  55—56.  51 ».  53—54. 

fC.  2036—50  episode  vom  könig  Rion*).] 

[\V.  144, 11—16  ein  bauer  darf  sich  dem  hofe  nicht  nahen; 
vgl.  Wh.  187,26— 29,  San  Marte,  Ueb.Wh.  s.  67.  —  143,21— 
144,4.  144,20—22  zwei  polemische  ausfälle  auf  Hartmanns  Krec 
und  Eilharts  Tristrant.  —  145,  4 — 6  anspielung  auf  buch  2.] 

Artus'  residenz  heisst  bei  W.  Nantes  (vielleicht  misver- 
ständnis  aus      asnes  C.  2028),  bei  C.  Carduel. 

W.  144, 23  —  145, 2,  s.  s.  12. 

2.  Der  rote  ritter. 

W.  145,  7. 30.  146,1.  145,22.25—27.17—18  ^  C.2057— 66. 

[W.  145,  8—12. 15  nach  der  lehre  der  mutter  grüsst  P.  den 
ritter,  dieser  dankt.  Des  ritters  name  und  verwantschaft  mit 
Artus  (der  name  Ither  von  Gaheviez,  vgl.  Wh.  467, 3,  kann  aus 
Hartm.  Erec  1657  stammen,  wo  die  hs.  Iher  Gaheries  hat;  s. 
Heinzel  s.  5).  —  146,  5—12  P.'s  Schönheit.]  —  fC.  2067—73 
P.  will  schnurstracks  zum  könige  gehen  und  die  waffen  von 
ihm  fordern.] 

W.  146,13-15.  17-18.  21— 23».  145,13-14.  146,2  = 
C.  2076—77.  80—89.  —  [W.  146, 26—30  hinweis  auf  die  alt- 
deutsche rechtsform  der  besitzergreifung  mittelst  strohwischs, 
8.  Grimm,  RA.  196.]  —  [W.  147, 9  f.  P.  nimmt  den  auftrag  an. 
C.  2090  f.  er  hört  nicht  darauf.]  -  W.  147, 11. 28  =  C.  2092-94. 

3.  Im  palast. 

[W.  147, 12— 15.  148,19-22.  150,30.  151,7—10  P.  wird 
wegen  seiner  Schönheit  von  allen  umdrängt;  s.  0.2169—70.] 

')  Nach  Heinzel  s.  38  einschub ,  den  C.  ans  einer  anderen  erzählnng 
entnahm.   Vielleicht  aber  ist  es  nur  eine  interpolation? 


zed  by 


ZUR  PARZIV ALFRAGE. 


17 


[W.  147,  27 — 29  P.  wird  von  Iwanet  zum  palast  g-efühi*t, 
wo  er,  die  anwesenden  übertönend,  seinen  auf  trag  ausrichtet, 
ohne  dass  ihn  der  könig  hört,  s.  148,29.  —  0. 2095— 2103  P. 
reitet  in  den  zu  ebener  erde  gelegenen  saal,  wo  die  bei  tische 
sitzenden  ritter  mit  einander  sprechen,  während  der  könig  selbst 
in  nachdenken  versunken  ist;  über  die  Ursache  s.  C.  2136  ff.  — 
W.  150, 6  ff.] 

W.  147, 19—22.  148, 2—8  =  C.2104— 6  P.  weiss  nicht,  wen 
er  grüssen  soll. 


W.  147, 22—23. 17. 25—26. 30  -  148, 1  g  0.2109. 11—15.') 
[0.2116—29  der  könig  bleibt  nachdenklich  und  stumm, 
auch  als  P.  ihn  zum  zweiten  male  anredet,  worauf  dieser  un- 
willig umkehren  will,  dabei  aber  aus  Ungeschicklichkeit  des 
königs  kappe  herabwirft.] 

W.  149, 5—7.  150, 6-8. 10  =  0. 2130-31. 33-39. 

W.  145,16  C.2142 
den  roten  riter  man  in  liiez  Ii  Vermaus  Chevaliers  a  nom 


Man  beachte  an  dieser  stelle  die  wörtliche  Übereinstim- 
mung und  zugleich  die  für  W.  typischen  ab  weichungen:  un- 
genaue namenwidergabe  und  titel. 

[0.  2144—47  die  königin  sei  hingekommen,  um  die  ver- 
wundeten ritter  zu  pflegen.] 

Daraus  dass  P.  bei  W.  sagt,  seine  mutter  habe  ihm  befohlen, 
könig  und  königin  zu  grüssen,  und  Herzeloyde  127,  13  davon  nichts  gesagt 
hat  (wol  aber  bei  C.  170«),  schliesst  Heinzel  s.  46,  dass  sowol  \V.  wie  C. 
hier  etwas  aus  der  gemeinsamen  quelle  weggelassen  haben,  ersterer  den 
auftrag,  letzterer  die  botschaft.  Das  ist  schwerlich  richtig:  denn  eben- 
sowenig hatte  ihm  die  mutter  besonders  aufgetragen,  die  von  der  tafel- 
runde  zu  grüssen  (148,4-  6)  oder  Ither  (145,9)  oder  die  traurigen  sowol 
wie  die  fröhlichen  (138, 25  f.)-  P.  wendet  vielmehr  nur  die  allgemeine 
lehre  127,  19  f.  jedesmal  auf  den  concreten  fall  an  (s.  138.  5— 8).  Schliess- 
lich ist  auch  bei  C.  1706  von  einem  auftrage  den  könig  zu  grüssen  gar 
nicht  die  rede. 

Beitrage  «nr  geschieht«  der  deutschen  •pracbe.   XXII.  2 


W.  147, 16 
Iwanet  dar  naher  spranc 
158, 1.17. 

Ywanet 


C.2117 

Tant  c'uns  serjans  contre  liu  vint 
var.: 

Tant  qu'Yvonnet  ... 


29 

der  kttnec  von  Kukümerlant 


de  la  foriest  de  Kinkerloi 
5505 

Kinkenroi 


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18 


LICHTENSTEIN 


W.  146, 22— 24  ^  C.  2150—54.  —  [W.  147, 1—2.  148.13 
— 14  sucht  die  Unschicklichkeit  des  roten  ritten  zu  entschul- 
digen, die  C.  2154  laide  et  vilaine  nennt.]  —  W.  149, 2 — 4  = 
C.  2155— 57.  —  W.  149, 15— 16  =  0.2160—65.  —  W.  148,22 
—28.  149,1  =  C.  2166— 70  (dies  ist  die  erste  stelle,  wo  auch 
0.  einige  worte  über  die  Schönheit  des  helden  hat).  —  W.  149, 
23—24.8—10.17—22  =  C.  2171— 76.  83— 85. 

W.  149, 11—16. 25—30  =  C.  2178—82.  86—92  P.  verlangt, 
auf  der  stelle  zum  ritter  gemacht  und  mit  den  waffen  des 
roten  ritters  beschenkt  zu  werden,  [\V.  150, 1 — 2  sonst  werde 
er  welche  von  seiner  matter  erhalten,  die  eine  königin  sei]. 
—  W.  150, 11— 14  =  C.  2193— 99  der  seneschall  [welcher  ver- 
wundet ist,  0]  erklärt  in  boshafter  ironie  die  forderung  für 
berechtigt.  P.  möge  sich  die  waffen  holen.  —  W.  150, 23—26. 
3—4  =  C.  2200—5  der  könig  nimmt  P.  in  schütz.  —  W.  150, 
16—22  Keie  begründet  seine  ansieht  durch  Sentenzen;  desgl. 
bei  C.  2206—25  der  könig. 

4.  Die  lachende  jungfrau. 

W.  150,  29.  151,3. 11—19  =  C.  2226—38,  vgl.  2251—54.  — 
W.  151, 21—  30  =  C.  2240— 44.  —  W.  152,  23-28.  153,9—13 
=  C.  2246—54. 

Unterschiede  (nach  Hagen,  Germ.  37, 124):  bei  W.  lacht 
Cunneware  und  wird  deshalb,  ohne  dass  sie  ein  wort  gesprochen 
hat,  von  Keie  sofort  bestraft.  Sie  wollte  niemals  lachen,  es 
sei  denn,  dass  sie  denjenigen  sähe,  der  den  höchsten  rühm  be- 
sässe  oder  noch  erwerben  würde.  In  demselben  sinne  wollte 
sich  Antanor  des  Sprechens  enthalten;  er  ist  nur  scheinbar 
ein  tor.  —  Bei  C.  lacht  eine  jungfrau,  die  zehn  jähre  lang 
nicht  gelacht  hat,  und  sagt  dem  P.,  er  werde  einst  der  beste 
ritter  sein.  Dasselbe  hatte  ein  narr  vorausgesagt,  dass  näm- 
lich die  jungfrau  nicht  eher  lachen  werde,  als  bis  sie  den 
besten  ritter  gesehen  habe. 

Von  diesen  unterschieden  ist  nur  das  nichtSprechen  wesent- 
lich, das  sowol  W.  wie  das  mabinogi1)  unabhängig  von  C. 
einführen.   Für  diesen  einen  märchenhaften  zug  scheinen  sie 


»)  Dort  begrüssen  ein  zwerg  und  eiue  zwergin,  die  ein  jähr  stumm 
gewesen  sind,  den  l'eredur  als  die  Wüte  der  ritterschaft  und  werden  deshalb 
von  Kei  gezüchtigt. 


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ZUIi  PAKZIVAIjFRAGE. 


somit  eine  andere  quelle  benutzt  zu  haben  (vielleicht  jedoch 
ist  W.'s  fassung  nur  ein  misverständnis  von  C.  2444  ff.,  einer 
stelle,  die  W.  auch  im  übrigen  hierher  versetzt  hat:  Ii  sos, 
ki  sist  jouste  le  feu,  ot  ki  parole  et  saut  en  pies  ...et  dist; 
ot  =  habuit  (bekam)  statt  —  audit ») ).  —  Dagegen  wäre  es 
ein  irrtum  anzunehmen,  dass  auch  Cunneware  bei  W.  sich 
stumm  verhalten  sollte.  Ihr  nichtSprechen  ist  rein  zufällig; 
die  worte,  die  ilir  C.  2231  ff.  in  den  mund  legt,  sind  bei  W. 
151, 14  ff.  einfach  erzählend  widergegeben.  Das  lachen,  worauf 
es  bei  ihr  ankommt,  hat  W.  mit  C.  gemein,  wie  sich  auch 
sonst  zahlreiche  Übereinstimmungen  ergeben.  Die  zehn  jähre 
bei  C.  sind  unerheblich  und  nur  des  reimes  wegen  gesetzt. 
W.  hat  die  roheit  Keies  gemildert:  bei  C.  schlägt  er  der  jung- 
frau  mit  der  hand  ins  gesicht,  dass  sie  zu  boden  stürzt,  und 
dem  toren  gibt  er  einen  fusstritt,  dass  er  ins  brennende 
kaminfeuer  fliegt.  Ebenso  nimmt  W.  den  Antanor  in  schütz, 
wenn  er  den  Vorwurf  der  torheit  als  mit  unrecht  gegen  ihn 
erhoben  darstellt. 

Die  Prophezeiung  des  toren  W.  152, 30  —  153, 8  anticipiert 
C.  2444 — 66.  —  Der  ausdruck  la  puchiele  la  ro'inne  C.  2439  = 
'die  jungfrau  der  königin'  könnte  von  W.  fälschlich  apposi- 
tionell  aufgefasst  worden  sein,  indem  er  die  Cunneware  zur 
fürstin  macht.  —  Der  stab  und  die  zöpfe  können  aus  C.  3971. 
75  stammen,  wo  Keu  /.  bastonet  hat  und  trecies  d'une  trece  ist. 

[W.  152, 1—22.  153,  14—22  scheltreden  Keies.  P.'s  ent- 
rüstung.  Verwantschaft  der  jungfrau  mit  Orilus  und  Lähelin. 
Namen:  Cunneware  und  Antanor,  letzterer  aus  Yeldeke  En. 3326. j 

5.  Der  kämpf. 


Falls  diese  parallele  richtig  ist,  so  liegt  hier  ein  neues 
misverständnis  W.'s  vor,  das  notwendig  auf  dem  Wortlaut  C.'s 
basiert.  —  Weiterhin  nimmt  W.  an,  dass  der  gegen  seine  ge- 


W.  151, 1 
Iwänet  in  an  der  hende  zöch 


C.  2259 

Yones  les  sentiere  savoit,  . . . 
ist  par  X  vergier  de  la  sale 


für  eine  louben  niht  ze  hoch. 
4 

ouch  was  diu  loube  so  nidr  . . . 


et  par  une  posterne  avale 


')  Heinzel  ».  12.  Auf  dieselbe  Vermutung  war  ich  vorher  selbständig 
gekommen. 

2* 


20 


LICHTENSTEIN 


nossen  diensteifrige  Iwanet  (C.  2260  f.)  den  Parz.  führe;  dazu  vgl. 


W.  153,21— 24.  154, 4 — 6.  153.28  t£  C.  2256— 58.  75— 77. 

—  \V.  153,25— 27.  154,3  -  (  '.  2279— 81.  86— 88.  —  W.  154, 
19—21  (\ 2282— 85.  -  W.  154,8— 10  C.  2289— 93.  — 
[W.  154, 11—18  ironische  antwort  des  ritters.  154,  24 — 26  er- 
innerung  an  Lä  heiin.  vgl.  128,3— 10.  |  —  W.  155, 1—3.  154,27 
—30.  155,4—11  s£  ('.2294—2311.  -  [W.  155, 12-18  epilog.] 

6.  Der  waffenraub. 

[('.2312— 14  P.  steigt  erst  jetzt  ab  und  entfernt  zunächst 
lanze  und  schild.]  —  W.  155, 19—28  =  0.2315— 21  vergebliche 
versuche,  den  heim  und  die  schinnelier  [('.:  den  heim  und  das 
schwertj  zu  lösen.  —  [W.  155, 29  —  156, 8  durch  das  wiehern 
der  pferde  angelockt,  kommt  Iwanet,  der  verwante  der  frau 
Ginover,  herbei.] 

W.  156, 9-10. 15—21  ( '.  2322-43  (ron  fuoze  üf  =  jwt- 
qucs  cn  Vortel).  —  W.  156,  25  —  157,  2  ^  C.  2344—56.  P.  will 
die  ihm  von  der  mutter  gegebene  kleidung  und  besondere  die 
ribbdton  nicht  ablegen.  [('.  2357—64  praktische  gründe.  —  Der 
deutsche  Parz.  wird  durch  das  ethische  motiv  bestimmt.]  — 
W.  157,  3-8.  10.  12-13. 22  —  158, 2.  5  ^  V.  7365—72.  75—83 
wörtlich.  Nur  fehlen  bei  \\.  der  heim  (C.  2373—74),  bei  C.  die 
schinnelier  (\V.  157, 13  s.  o.). 

[W.  158, 3 — 4.  6 — 12  Unterweisungen  Iwanets,  weitere  aus- 
führung  von  C.  2375 — 78;  dies  greift  jedoch  der  belehrung  durch 
Gurnemanz  vor.]  —  [C.  2386 — 88  er  schenkt  Yonet  sein  pferd.] 

—  [\V.  157, 17 — 21  Iwanet  behält  ihm  sein  gabylöt  als  nicht 
rittermässig  zurück;  vgl.  C.  2344  ff.  und  1802—5.]  —  [W.  158, 
13—16  hinweis  auf  die  deutsche  kunst:  dieser  muss  von  dem 
deutschen  dichter  stammen  trotz  der  berufung  auf  die  quelle. 
Uebrigens  hat  die  stelle  ihr  Vorbild  bei  ('.  2374  und  3008— 10.] 

—  W.  158, 17  —  159,3  ^  ( \  2384— 85.  89— 95. 99. 

7.  Der  schluss  dieses  abenteuers  bietet  viele  verschieden- 


[C.  2400— 30.  37— 43  bericht  des  knappen  bei  hofe;  viele 
widerholungen.  W.  hat  hiervon  nur  zwei  Zeilen  159,20 — 21.] 
—  C.  2444^-73  s.  W.  153, 1—8.  —  [C.  2431—36.  74—96  der 


W.  147,17 
der  knappe  valsehes  vrie 
der  bot  im  kump&nie. 


et  moult  volentier«  aportoit 
noveles  a  ses  corapagnons. 


C.  2260 


heiten. 


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ZUR  PABZIVALFRAGE 


21 


könig  beklagt  Keus  torheit,  die  Parz.  vom  hofe  vertrieben 
habe.]  —  [W.  159, 5  —  161, 8  155,11—18  der  tote  ritter  wird 
bei  bofe  beklagt  und  feierlich  bestattet.  Dies  folgt  aus  dem 
von  W.  eingeführten  verwantschaftsverhältnis.J 

Bei  Gurnomacz  von  Graharz  iGornomans  de  Grohort ). 

W.  161, 9  -  179, 12.  C.  2497—2890. 
1.  Ankunft. 

W.  161,9— 16  =  C.  2635— 37  Vorzüge  des  pferdes.  —  W. 
161.21-22  =  C.  2497-98.  -  (C.  2499-2517  terrain-schilde- 
ning,  vgl.  W.  129, 7-12,  s.  s.  14.)  -  W.  161, 23-27  £  ('.  2518 
—20.  —  [W.  161, 28  — 162,  5  naive  betrachtung  über  das  schloss.] 
[C.  2521— 38  detaillierte  beschreibung  des  Schlosses.] 

W.  162,  8  C.  253$ 

da  vor  stnont  ein  linde  breit  enmi  le  pont  ot  nne  tonr, 

nf  einem  grttenen  anger:  et  devant,  X  pont  torneis 

der  was  breiter  noch  langer  qni  estoit  fais  et  establi* 

nibt  wan  ic  rehter  maze.  a  ee  qne  la  droiture  aporte. 

43 

daz  ors  nnd  oneb  diu  »träze  Ii  varlfo  vere  le  pont  cemine; 

in  trnogen  da  er  sitzen  vant  viertln  d'une  reube  d'ermine 

de«  was  diu  bnrc  mit  oucb  daz  lant.     s'aloit  .1.  prendom  esbatant 

par  aus  le  pont,  et  »i  atant 
celni  ki  viere  le  pont  venoit. 

Wir  finden  hier  neben  wörtlichen  entlehnungen  und  mis- 
verständnissen  (cemine  verb  3.  sg.  —  diu  sträze)  die  grösste 
freiheit  der  darstellung.  Dass  P.  bei  \V.  den  burgherrn  unter 
der  linde  sitzend  trifft  (s.  auch  162,21 — 22)  entspricht  deutschem 
brauch. 

('.2550— 51  dem  burgherrn  folgen  2  knappen.  W.  162,20. 
26.  163,7 — 12  er  sitzt  zunächst  allein,  auf  ein  zeichen  von 
ihm  kommen  mehrere  knappen  heraus.  —  W.  163,  25  £  C.2552 
—55.  —  W.  162, 25. 27—28  =  C.  2556—58.  —  W.  163,  21—22 
=  C.  2560— 62.  —  W.  162,29  —  163,6.15—16  ^  C.  2594— 98. 
2605—10.  —  [W.  162, 15—19  grosse  müdigkeit  lässt  P.  seinen 
schild  ungeschickt  schwingen,  vgl.  ('.2630—34.  Hiermit  moti- 
viert dann  173, 14  Gurnemanz  die  Notwendigkeit  der  Unter- 
weisung in  ritterlichen  künsten.J 

Bei  ('.  folgt  unmittelbar  auf  die  begrüssung  die  frage  des 
Wirtes,  woher  P.  komme  2559;  W.  verschiebt  sie  dem  höfischen 


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22 


LICHTENSTEIN 


brauche  gemäss  bis  zum  folgenden  tage  169, 25 — 28.  Bei  C. 
findet  noch  am  selben  tage  die  waffenübung  statt,  während  im 
deutschen  gedieht  P.  ermüdet  am  abend  ankommt  und  sich, 
nachdem  er  gegessen  hat,  schlafen  legt,  sodass  die  ganze 
handlung  einen  tag  mehr  füllt. 

W.  163, 13—14  =  C.  2603—5.  2729—30.  P.  erhält  herberge. 

—  W.  163,  20  —  164, 5  =  (\  2611—14  P.  wird  [nach  langem 
sträuben,  AV.J  veranlasst  abzusteigen  und  entwaffnet.  Bei  C. 
besorgen  das  die  beiden  knappen,  bei  W.  eine  anzahl  ritter 
[163,17— 19J.  —  W.  164,6— 8  ^  C.  2615— 18.  —  [\V.  164, 11 
—23  P.'s  Schönheit.  164,24—165,14  seine  wunde  wird  von 
dem  wirt  mit  eigener  hand  gewaschen  und  verbunden;  vgl.  C. 
2816  ff.]  —  W.  165, 15  —  173, 10  s.  unter  no.  3.  4. 5. 

2.  Waffenübung. 

[W.  173, 11—20  der  wirt  hält  P.  seine  steife  Schildhaltung 
vor  (s.  o.  162, 15)  und  erklärt  eine  Unterweisung  in  ritterlichen 
künsten  für  notwendig.  V.  2576— 91  der  preudom  stellt  mit  P. 
ein  kleines  examen  in  der  kenntnis  des  waffenhandwerks  an 
und  lobt  ironisch  seine  naiven  antworten;  desgl.  später  zur 
repetition  2643  ff.  2702  ff.]  —  [W.  173,21-26  der  wirt  lässt 
pferde  und  lanzen  herausbringen;  ritter  und  knappen  beteiligen 
sich.  0.  2619 — 24  der  preudom  nimmt  P.'s  sporen,  schild  und 
lanze  und  besteigt  dessen  pferd.J 

W.  173, 12—13. 19—20.  27  —  174, 5  —  C.  2625—35.  —  W. 
174,6 — 9  lt,  C.  2638 — 64.73 — 76  pädagogische  begründung.  — 
W.  174, 10  —  175, 9  =  C.  2665—72.  77  —  2700  P.  bekundet  in 
einer  reihe  von  proben  seine  angeborene  tüchtigkeit,  vgl.  be- 
sonders W.  174,25  :  C.  2672  und  W.  175,7—9  :  C.  2677—82. 
Bei  C.  führt  er  diese  Übungen  dreimal  allein,  dem  beispiel 
seines  lehrmeisters  folgend,  aus;  bei  W.  stellt  ihm  der  schloss- 
herr  geguer  aus  seinen  rittern,  von  denen  er  fünf  niederwirft. 

—  [(  '.2702—26  gebrauch  des  Schwertes.  P.  sagt,  er  habe  schon 
bei  den  ochsentreibern  seiner  mutter  tüchtig  gelernt,  sich  gegen 
angriffe  zu  verteidigen.]  —  W.  175, 4  =  C.  2727—28. 

3.  Mahlzeit. 

Dieser  auftritt  ist  bei  W.  verdreifacht  :  165, 15  -  166, 4. 
169,21  -  170,6.  175,10—  177,8. 

W.  169,  5-6.  21.  175, 19  ^  0.  2731.  41—42.  —  [C.  2732 
—38  der  lehre  seiner  mutter  folgend,  fragt  P.  nach  dem  nanien 


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ZUR  PARZIV ALFRAGE. 


23 


des  wirts.]  —  \V.  162,  6  u.  ö.  Gurnemmiz  de  Graharz  =  C.  2740 
Gonemans  de  Gelbort,  Berner  hs.  Gornemans  de  Groort,  3084 
Gonemans  de  Gohort.  W.  gibt  diesen  namen  gleich  am  anfang 
des  abenteuere,  verschiebt  dagegen  die  mitteilungen  P.'s  über 
seine  reise  bis  hierher.  W.  169,  25  —  170, 2     C.  2559. 69—72. 

[C.  2563—67  der  schlossherr  bemerkt,  der  könig  habe  jetzt 
doch  wol  anderes  zu  tun,  als  ritter  zu  machen:  das  kann  auf 
den  roten  ritter  gedeutet  werden.  W.  170, 3—6  der  wirt 
erkennt  mit  schmerz,  dass  es  sich  um  den  roten  ritter  handele; 
er  überträgt  diesen  namen  nun  auf  P.;  vgl.  C.  5339.]  —  [C.  2743 
—48  ein  knappe  bringt  einen  kurzen  mantel  und  zwar  ganz 
ans  eigenem  antriebe;  vgl.  W.  167, 1.  —  C.  2749  Gornemans 
besitzt  reiche  und  grosse  häuser;  nach  W.  176,  2—3  ist  sein 
wolstand  nicht  eben  gross.]  —  C.  2750  er  hat  schöne  kinder; 
W.  nennt  die  schöne  Liaze  und  drei  söhne  (s.  no.  6).  Alles  was 
\V.  über  das  benehmen  der  Liaze  und  die  heiratspläne  des 
vaters  sagt,  ist  von  C.  unabhängig  [175,10—18.21  —  176,12. 
176.18—25.  177,3—4.  178,8—10.  178,27—  179,6].  Vgl.  je- 
doch  W.  175,7— 15  mit  C.  3052— 65. 

W.  165, 15.  169,22.  175,20  =  C.  2751— 52.  —  W.  165,26. 
169, 23  £  C.  2753—57.  —  [W.  176, 16—17  P.  muss  sich  bei  der 
dritten  mahlzeit  zwischen  seinen  wirt  und  dessen  tochter  setzen. 
-  W.  165, 16—25  P.  hat  grossen  hunger.]  —  W.  165, 26—30 
=  0.  2758— 60.  —  W.  166,5.  170,7  ^  C.2762. 

4.  Ritterliche  kleidung. 

\V.  166,  6—9  vgl.  C.  4302—7.  —  W.  166, 11.  14—20  der 
wirt  führt  den  müden  P.  an  eine  bettstatt;  dieser  schläft  fest 
bis  zum  tage.  G.  2787 — 91  sie  gehen  schlafen;  am  morgen 
kommt  der  wirt  an  P.'s  bett.  —  W.  166,12— 13  ^  ('.  2797 
—2813  P.  sträubt  sich  anfangs,  sich  von  den  von  seiner  matter 
gemachten  kleidern  zu  trennen.  —  \V.  168, 2—14  =  C.  2792 
-96.  2814,  vgl.  auch  2994—96.  —  W.  168,21.23  =  C.  2790. 

[C.  2816—30.  2886  P.  wird  zum  ritter  gemacht,  indem 
Gornemans  ihm  selbst  den  rechten  sporn  und  das  schwert, 
zahlreiche  knappen  die  anderen  waffen  anlegen.]  [\V.  164, 24 
—165,  14  Gurn.  wäscht  und  verbindet  mit  eigener  hand  P.'s 
wunde.    166,21—167,30  jungfrauen  bereiten  ihm  ein  bad.J 

5.  Gumemanz'  lehren. 

a)  Nicht  immer  die  mutter  im  munde  führen  W.  170, 9—14 


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24 


LICHTENSTEIN 


^  G  28G7— 80.  —  [W.  170, 15—20  knüpft  daran  einen  anderen 
rat:  ir  sult  nietner  iuch  verschemen;  vielleicht  ist  das  ein  mis- 
verständnis  von  C.  2873  vos  pri  que  vos  en  chasties.] 

b)  Bedrängten  helfen  W.  170, 23— 171, 6  =  C.  2848— 54. 
—  0.  fasst  männer  und  frauen  zusammen,  W.  widmet  dem 
verhalten  gegenüber  den  frauen  einen  besonderen  abschnitt 
172,  7  —  173,6,  welcher  aus  den  lehren  der  mutter  bei  0. 1727 
— 39  hierher  versetzt  zu  sein  scheint.  —  [W.  170, 27  mitte; 
171,7 — 16  rechte  masshaltung  zwischen  Verschwendung  und 
knauserei.  Diese  erweiterung  darf  wol  dem  deutschen  dichter 
zugeschrieben  werden,  vgl.  297, 16 — 29.] 

c)  Zu  vieles  reden  und  fragen  vermeiden  W.  171,  17—24 
=  C.  2840—48. 

d)  Besiegten  rittern  pardon  geben  W.  171,25— 30  ^  C.2831 
—39.  —  [W.  172, 1—6  äugen  und  bände  von  rost  waschen  beim 
ablegen  der  rüstung.] 

e)  [Fleissig  ins  münster  gehen,  nur  C.  (2855—66);  P.  er- 
innert sich  dabei  der  gleichen  lehre  seiner  mutter  (s.  s.  13), 
und  dies  gibt  veranlassung  zu  der  belehrung  a.].  Zu  vergleichen 
wäre  aus  W.  169, 15—20,  wo  beim  schlossgottesdienst  P.  opfern 
und  sich  segnen  lernt. 

W.  173,7— 9  ^  C.  2881— 85.  Trotzdem  W.  die  reihenfolge 
der  lehren  geändert  hat,  hat  er  am  schluss  die  antwort  P.'s 
beibehalten,  die  auf  die  lehre  a  bezug  nimmt. 

6.  Abschied. 

W.  176,  28  —  177, 2  <s>  C.  2763—70  um  sich  in  ritterlichen 
Übungen  weiter  auszubilden,  will  P.  fort  bei  W.,  während 
bei  0.  gerade  dasselbe  motiv  ihn  an  Gurn.  fesseln  soll;  aber 
hierfür  hatte  W.  ja  das  heiratsproject  erfunden.  Die  besorgnis 
um  die  mutter,  welche  im  französischen  gedieht  den  helden 
forttreibt  [2771—86.  2893—94],  durfte  er  auch  deswegen  nicht 
äussern,  weil  er  ja  gelehrt  worden  war,  von  seiner  mutter  zu 
schweigen  (er  hatte  sie  auch  nicht  niedersinken  sehen,  wie 
in  C);  aber  der  deutsche  Parz.  trägt  darum  nicht  weniger  die 
mutter  im  herzen,  s.  W.  173, 8  f.  169, 10—14,  vgl.  223, 17  ff. 

Bei  W.  pflegt  man  ihn  14  tage,  bei  C.  möchte  man  ihn 
einen  monat  oder  am  liebsten  ein  ganzes  jähr  dabehalten. 

W.  177, 9— 10.  178,10.  179,7—8  —  C.2887—92;  vgl.  be- 


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ZUR  PARZIVALKRAGE. 


25 


sonders  178,  10  (stt)  . . .  min  lant  in  niht  behagt,  2890  qne  Ii 
demorers  vos  anuie. 

W.  hat  diese  abschiedsscene  bedeutend  erweitert  durch  die 
erzählung,  die  Gurnemanz  von  seinen  drei  söhnen  gibt.  Auf 
den  ersten  blick  scheint  es,  dass  er  dies  aus  einer  anderen 
quelle  geschöpft  oder  frei  erfunden  haben  müsse;  denn  C.  sagt 
(2750)  nur,  dass  G.  schöne  kinder  gehabt  habe.  Sieht  man 
aber  näher  zu,  so  findet  sich  ein  deutliches  Vorbild  für  jene 
erzählung  in  der  abschiedsklage  der  mutter  bei  C.  Schon  bei 
besprechung  der  lehren  des  Gurnemanz  wurden  wir  veranlasst, 
auf  diejenigen  der  mutter  zurückzugreifen.  Und  in  der  tat  ist 
die  Situation  in  den  beiden  scenen  eine  so  ähnliche,  dass  die 
annähme  nicht  zu  gewagt  erscheiut,  W.  habe  aus  der  einen 
züge  für  die  andere  entlehnt,  P.  nimmt  abschied,  dort  von 
einer  liebenden  mutter,  hier  von  einem  zweiten  vater,  welche 
beide  ihm  lehren  fürs  leben  mitgeben  und  dann  im  augenblick 
des  Scheidens  ihrer  anderen  söhne  gedenken,  die  vordem  auf 
ritterschaft  ausgezogen  und  nicht  mehr  nach  hause  zurück- 
gekehrt sind.   Man  vergleiche  besonders  folgende  stellen: 


W.  177, 23 
diu  drin  für  miniu  werden  kint 


C.  Hi50 

.II.  monlt  bians  freres  avies 


diu  ellenthaft  erstorben  sint. 


lönt  iedoch  din  ritterschaft : 
ir  zagel  ist  jamerstricke  haft. 

178,4 

de«  ist  mir  dftrkel  als  ein  znn 
min  herze  von  järaers  sniten. 
25 

(de»)  lac  min  wip,  »in  mnoter, 

töt: 

gröz  jämer  irz  nach  im  gebot. 

177,  14 

ir  sit  min  vierder  sun  verlorn, 
ja  wand  ich  ergetzet  wtere 
drier  jämmerlichen  maere. 

178,  <i 

nfi  sit  ir  alze  froo  geriten 
von  mir  tröstelösen  man. 


as  armes  fnrent  mort  andui. 
«2 

en  .1.  jonr  andni  Ii  vallet 
adoubet  et  chevalier  fnrent, 
et  en  .1.  jor  mesmes  mornrent. 
75 

dou  doel  des  fins  morn  Ii  pere, 
et  j'ettc  le  via  moult  amere 

»Offerte  pnis  qne  il  fn  mors. 


78 

vous  estiies  tous  Ii  confors 
qne  jon  avoie  et  tons  Ii  biens, 
car  il  n'en  i  a  plna  des  miens, 

qne  plns  ne  m'avoit  dex  laissie 
dont  je  fusoe  joians  et  lie. 


Im  einzelnen  finden  sich  natürlich  viele  abweichungen;  so 


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26 


LICHTENSTEIN 


hat  W.  die  zahl  der  söhne  um  einen  vermehrt,  und  die  affären 
bei  denen  sie  ihren  tod  finden,  teils  einer  späteren  stelle  P.'s 
entnommen  (Kingrün  —  s.  C.  3484  cor  .1.  de  ses  fr  er  es  gier- 
muins,  de  ceste  guerre,  Ii  hocis),  teils  dem  deutschen  Erec  (W. 
178,11 — 24)  mit  hinzufügung  einiger  anderer  namen.')  Ich 
glaube,  damit  ist  erwiesen,  dass  an  irgend  eine  unbekannte 
quelle  hier  nicht  zu  denken  ist. 

In  Pelrapeire  (Biau-Bepaire). 

W.  buch  4.  C.  2891— 4151. 

1.  Ankunft. 

W.  179, 13—15  ^  Q  2891—92.  —  fW.  179, 16  —  180,  2  P. 
kann  den  gedanken  an  Liaze  nicht  los  werden.  C.  2892 — 94 
P.  sehnt  sich  nach  der  mutter.]  —  W.  180,  3—8  ^  C.  2895 
—97.  —  W.  180, 15. 21—23.  181,5.  180,24—25  ^  C.  2898—2903. 

—  W.  181, 3. 9—10  ifi  C.  2904—6. 

fW.  180,9— 14.  180,29—  181,2.  181,7—8  drastische  ver- 
gleiche.] —  Die  namen  Bröbarz  und  Tampcnteire  scheinen  ledig- 
lich dem  reime  auf  Gräharz  und  Pelrapeire  ihre  entstehung 
zu  verdanken.  —  [W.  181, 11—24.  182,  2—4.  6  die  ritter  der 
Stadt  halten  ihn  für  einen  feind  und  ziehen  sich  aus  furcht 
zurück.] 

W.  181, 26—27.  182, 1.  7—8.  U.5  =  C.  2907-11.  —  W.  182, 
13-17  ^  C. 2914-16.  -  W.  182,  20— 29  </i  C.  2917— 22.  27. 
Bei  W.  wird  P.  wider  als  feind  gefürchtet,  er  erbietet  sich  je- 
doch zur  hilfe.  —  [C.  2928—30  P.  beginnt  aufs  neue  zu  klopfen.J 

2.  Empfang. 

W.  183.  3.  11.  13.  17.  184, 1-3.  7-11.  22-25  ^  C.  2934 
—35.  31—33.  36—40.  60—65.  Man  beachte  die  wörtlichen  ent- 
sprechungen  sarjande  =  serjant,  haschen  =  haces,  ferner  mctc 

—  cydrc  cervoise,  kröpften  =  paste.  Daneben  hat  wider  jeder 
der  beiden  dichter  seine  besonderheiten  in  der  Schilderung. 
fW.  183, 4— 10. 16.20—30  die  milizen  der  stadt;  der  marschall; 
die  befevstigungen,  vgl.  C.  2521— 33.  —  184,4 — 6  der  graf  von 
Wert  heim;  184, 24  Trühendingen;  184, 27  —  185, 9  des  dichters 

')  Bartsch  s.  124.  Heinzel  8.5.  Auch  der  name  Sdttnteflürs  in  dem 
C.  entnommenen  abenteuer  ist  dem  deutscheu  Erec  entlehnt.  Diese  wunder- 
liche mischung  von  namen  und  abenteuern  gebort  nur  W.  an,  ebenso  die 
Übertragung  des  frauennamena  GciUeflur  auf  einen  mann. 


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ZUR  PARZ1VALFRAGE. 


27 


eigene  armut]  [0.  2948—57  zwei  klöster;  zu  vgl.  W.  190.  21  die 
einsiedeleien  der  beiden  oheime,  ferner W.  196. 13  kirchen  münster] 

—  W.  185, 10-18.  194,  7-8.  16-17  =  C.  2941-47.  58-59. 

W.  185,  21-22.  30  =  0.  2966-68  P.  wird  hineingeführt 
und  entwaffnet.  —  W.  185, 21—26  =  C,  3027—34.  3136—38. 

—  [W.  185, 27—29  man  legt  einen  teppich  auf  das  gras  — 
vielleicht  misverständnis  des  französischen  covert  d'ardoise  2966, 
var.  de  gloise.  —  Die  deutsche  linde.  —  186,  1—6  P.  wäscht 
sich  von  rost  und  gleicht  an  glänz  der  sonne.  —  186,  11—14 

.  er  nimmt  den  Vorschlag  an,  die  herrin  zu  sehen.]  [C.  2973—76 
ein  knappe  bringt  sein  pferd  in  den  stall.] 

W.  186, 15—16.  7—9  g  C.  2969—72.  —  W.  186, 28  —  187, 
1.  7—8  ^  C.  2980—86  (durchaus  wörtlich).  —  W.  186, 24—27 
s.  C.  3104 — 5,  C.  erwähnt  einen  oheim  des  fräuleins  moult  sains 
hont  et  relegious;  W.  macht  daraus  zwei  und  identifiziert  die- 
selben mit  den  beiden  edlen  herren  welche  beim  empfang  das 
fräulein  führen. 

Die  lange  Schilderung  der  Schönheit  bei  C.  2987 — 3021 
wird  von  W.  abgekürzt  und  in  einzelne  skizzen  aufgelöst,  in 
denen  er  vielfach  die  beschreibung  in  handlung  umsetzt  (vgl. 
Bock,  QF.  33, 11).  Auch  scheint  er  einzelne  züge  von  C.'s  ge- 
mälde  anderwärts  verwertet  zu  haben:  C.  2994 — 96  vgl.  W.  168, 
12—14;  0.3052—65^^1.^.175,7—15;  C.  3019— 21  vgl.  W.  148, 
24 — 28.30.  —  Im  übrigen  beruht  W.'s  darstellung  trotz  der 
eingestreuten  anspielungen  auf  Erec  und  Tristan  vollständig 
auf  dem  texte  (Ts:  W.  187, 12—18.  188, 6—8  =  C.  2997—3001. 
3019—21.  —  W.  186, 17—20.  188, 10—14  ^  0.  3012—18  (der 
beidiu  tviz  ist  unde  rot  =  Ii  vermaus  sor  le  blatte  assis;  daz 
fuogte  ir  gaste  gröze  not  —  por  embler  euer  et  sens  de  gent  etc.). 

\V.  187, 2—6  =  C.  3022-26.  38.  41.  43.  —  W.  187,  7.  9.  27 
—29.  188,15—21  ^  C.  3044— 51.  —  W.  187, 24— 26.  3  =  C. 
3056—61.  —  W.  187, 30  =  G.  3067— 68.  —  W.  188, 25-30  ^ 
C.  3069—73.  -  W,  189, 6. 13-20  ^  C.  3074—84.  —  W.  188,27. 
190,3—8.10.13.11(14—15)  ^  C.  3093-97.  3102-9  (beachte 
zwelf  pröt  =  V.  mices;  zwei  buzzel  mit  win  =  J.boueel  piain 
de  vin  cuit).  —  W.  189, 21—26  vgl.  C.  4302—7.  —  [W.  190, 16 
—25  die  beiden  oheime  reiten  nach  ihrer  einsiedelei  zurück, 
vgl.  C.  2948—57  die  beiden  klöster.]  —  W.  190, 26  —  191, 1.  3 
—5  £  C.  3110— 14. 


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28 


LICHTENSTEIN 


3.  Die  nacht. 

\V.  191,  7. 10—11. 21—24  —  C.  3115. 22—26.  —  fW.  191,25 
— 27  P.  schickt  die  ihn  geleitenden  ritter  zurück  und  wird  von 
knappen  entkleidet.]  [C.  3116—21.  3267—71  die  eine  hälfte  der 
mannen  geht  schlafen,  die  andere  übernimmt  die  wache.]  — 
W.  191,  27  san  er  slief  ^  C.  3135.  W.  191, 28—30  </>  C.  3156 
—63.  —  W.  192,  5-8  ^  0.  3139—43. 


C.314R 
si  sVst  en  aventure  mise 
come  hardie  et  corajreuse, 
mais  co  n'est  mip  wyseuse; 
ains  se  porpense  qu'ele  ira 
a  lon  hoste  et  Ii  dira 
de  son  affaire  nne  partie. 

44 

mantel  de  soie  taint  en  graine 
a  afuble  sour  sa  cemise. 


W.  192,9 
do  giene  diu  küneginne 
niht  näch  sblher  minne  . . . 
(diu)  meide  wip  heizet, 
si  suochte  helfe  unt  frinndes  rät. 
an  ir  was  werlichin  wat, 
ein  hemde  wiz  sidin: 
waz  mfihte  kampflicher  sin  ... 

18 

oueh  swanr  diu  frouwe  nmh  ir  Up 
von  samit  einen  mantel  lane. 
si  gienc  als  si  der  kumber  twanc. 

W.  192,21—23  ^  0.3264—66.  —  W.  192,24—25.30.  193, 
1.16—21  ^  C.  3156— 64.  —  W.  193,8— 10  =  C.  3169— 71. 

C.3127 
trestonte  l'aise  et  le  delit 
que  on  puist  deviser  en  lit 
ot  Ii  chevaliers  cele  nuit, 
fors  qne  seulement  le  deduit 
W.  193,  2  de  pucele,  se  lni  pleüst, 

si  heten  heidiu  kranken  sin,  u  de  dame  le  recheüt; 

er  unt  diu  küneg-inue.  mais  il  ne  savoit  nule  rien 

an  bi  ligender  minne.  d  amor  ne  de  nule  autre  bien. 

Die  vergleichung  der  angeführten  stellen  zeigt,  dass  W. 
einfach  seiner  quelle  gefolgt  ist.  mithin  der  ihm  wegen  dieser 
scene  gemachte  Vorwurf  (Piper  1, 12)  unberechtigt  ist. 

W.  193,22— 24  0.3172—73.  —  [0.3174—80  sie  bittet, 
dass  er  sie  nicht  für  schlecht  halte,  weil  sie  fast  nackt  ge- 
kommen sei.]  —  W.  193,25— 29.  194,2—4^  0.3241.46—53'. 
—  W.  194,  14—30«  0.  2941—43.  3456.  3191—98.  84—90.  (7a- 
mitU  der  kt'inec  von  Iserterrc  \Y.  220,  6  Clamadcjc  des  illcs 
0. 3197.  3952.  Clamediu  3805.  Kintjrim  sin  schmeschUmt  194, 15 
--  Enynrains  Ii  scncscaus  3196,  var.  En-(A-)yuigtron,  gui- 


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:^  ...iirKi,:'iJT:>3llllBnHBHBW 


ZUR  PARZIV AL KRAGE 


20 


grenon,  Affuinfjeron  Berner  Iis.  2603  -=  Potvin  3914.  Guhiyrron 
Pariser  hs.  12577  bei  Potvin  2,  s.  113  randnote,  Quinyeron  prosa 
1530  bei  Potvin  2,  s.  132  anm. 

W.  195, 1—5  s.  C.  3484  f.  —  [W.  195,0—11  P.  wird  durch 
die  erinnerung  an  Liaze  traurig  gestimmt.]  —  [0.8199 — 3202 
die  dame  beklagt  die  getöteten  und  die  gefangenen  ritter,  s. 
W.  195, 16.J  —  C.3205  ff.  s.  W,210, 17  ff. 

W.  195,  12—13  ^  0.  3239—40.  42.  —  W.  195,  16—17  = 
C.  3203—4.  —  W.  195,  18-26  =  C.  3214—26.  3379.  —  W.  195, 
27—196,1  =  0.3317—19.  —  W.  196,  2— 3. 5— 8  (vgl.  192, 21 
—23)  ==  0.3261—66.  —  W.  196,4  -  0.3174. 

[0. 3230—38.  3250—61.  3272—3316  die  dame  verstellt  sich 
und  bittet  ihn  widerholt,  dem  gefährlichen  kämpfe  auszuweichen 
und  sie  zu  verlassen,  immer  in  der  absieht,  ihn  nur  desto  mehr 
in  seinem  vorhaben  zu  bestärken.  Sie  küssen  sich  und  liegen 
die  nacht  hindurch  mund  an  mund  und  arm  in  arm.  Am 
morgen  kehrt  sie  noch  einmal  zurück.  Kr  fordert  ihre  liebe 
als  lohn.  Sie  will  seine  amie  werden  (vgl.  W.  200, 7),  aber 
angeblich  nicht  unter  der  bedingung,  dass  er  für  sie  sterbe.] 

4.  Parzivals  kämpf  mit  Kingrun. 

[W.  196, 12 — 19  das  volk  sucht  kirchen  und  münster  auf 
(vgl.  C.  2948 — 57);  P.  und  die  konigin  hören  den  gottesdienst, 
den  der  schlosskaplan  abhält]  —  W.  196,20— 23  ^  0.3330 
—35.  —  W.  196,30— 197,2  j£  0.3336—53  die  bürger  geben 
P.  das  geleit  bis  zum  tor  und  beten  für  sein  heil;  bei  0. 18  verse, 
bei  W.  nur  3,  dafür  der  gottesdienst,  s.  o.  —  W.  196, 24.  26.  28 
£  0. 3354.  59—60.  —  [0.  3355—58.  61—87  Guingeron  glaubt, 
man  wolle  ihm  das  schloss  übergeben  und  beginnt  ein  hoch- 
mütiges gespräch  mit  ihm;  vgl.  \V.  197, 14 — 19.] 

W.  197, 4— 7  -    0.3390-95.  —  [W.197,8  beide  kämpfer 

werden  herabgeworfen.  0.  3396—3400  Guingeron  kommt  allein 

zu  falle,  P.  steigt  ab.]  —  W.  197, 12—13  ^  0. 3397—99.  — 

W.  197,  9—10.  20  -  198, 1  =  0.  3402—11. 

W.  198,2  C.3412 
(sin  Sicherheit)  et  eil  Ii  dist  que  il  n'i  a 

ir  enwolde  niht  der  mit  im  streit       de  la  merci  ne  tant  ne  quant. 

[0. 3414—23.  36—43  P.  wird  erst  durch  die  erinnerung  an 
Gornemans  und  die  inständigen  bitten  des  besiegten  bewogen, 
diesem  pardon  zu  gewähren,  s.  W.  212— 30  —  214,3.] 


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30 


TilCHTENSTEIN 


W.  108, 8-12  =  C.  3424. 30-35.  -  W.  198,3—4  =  0.3468 
-70.  -  W.  198,  5-7  (214,8—12)  C.  3480-88.  Nach  W. 
ist  es  der  söhn,  nach  C.  der  bruder  des  Guraemanz,  der  in 
diesem  kriege  umgekommen  ist.  W.  ist  hier  viel  kürzer  als 
C.  und  bringt  dieselben  gespräche  noch  einmal  ausführlich  bei 
Clamides  besiegung.  Die  reihenfolge  der  beiden  ersten  vor- 
schlage ist  bei  W.  umgekehrt.  Bei  C.  wird  Gornemans  immer 
als  der  besitzer  des  schöngebauten  Schlosses  bezeichnet,  vgl. 
0. 2521—38,  W.  183,  23—27. 

W.  198, 13—22  =  C.  3445—55.  57—67.  —  W.  198, 23—24. 
199, 3—4. 9—10.  198, 25  —  199, 2  ^  C.  3489—99.  —  W.  199, 13 
—17.  203,  21—22  =  C.  3500—4.  —  [W.  199, 19—21  das  äussere 
beer  wird  mutlos,  bleibt  aber  vor  der  Stadt  liegen,  s.  203, 23. 
C.  3505—7  das  belagerungsheer  zieht  ab.J  —  fC.  3508—13.  16 
— 29  die  bürger  bedauern,  dass  ihr  feind  nicht  in  ihre  bände 
geliefert  oder  getötet  worden  sei.]  —  W.  199, 22—25.  29—30. 
200,1—2.6—7  =  C.3514— 15.30— 38  (3306). 

5.  Die  schiffe  mit  lebensmitteln.  Die  hochzeit. 

Bei  0.  ist  es  nur  ein  schiff,  welches  erst  später  ankommt. 
W.  200, 10— 19  £  a  3700— 10.  -  W.  200,  28  die  hmfliute  ifi 
C.  3713  marceant  somes.  —  W.  200,  24  —  201, 3  =  C.  3721—33 
die  kaufleute  erhalten  glänzende  bezahlung.  —  W.  201, 4.  7  = 
C.  3732-33. 15-16.  -  W.  201,  8—18  ^  C.  3737—41.  47-49. 
54—61  die  Speisung  der  hungrigen.  W.  lässt  dabei,  wie  schon 
vorher  beim  einkauf,  P.  eine  weise  vorsieht  zeigen. 

Dass  P.  die  geliebte  und  ihr  land  gewinnt,  wird  bei  C. 
erst  am  schluss  des  ganzen  abenteuere  deutlich  ausgedrückt, 
4088  ff.;  vorher  gehen  mehrfache  zärtliche  Zusammenkünfte. 
Auch  bei  W.  ist  ja  das  erste  beilager  nur  formell,  aber  das 
zweideutige  des  Verhältnisses  wird  damit  beseitigt  (vgl.  auch 
das  gebende). 

6.  Clamides  ankunft. 

W.  203, 12—22.  25  —  204,  3  £  C.  3539—63.  Die  beiden 
langen  stellen  stimmen  wörtlich  überein.  W.  203,  16  des  ors 
zen  siten  was  durchslagen  scheint  ein  misverständnis  zu  sein 
von  C«  3548  que  de  ses  puins  ses  ceviaus  trait. 

[W.204,5 — 12.  15 — 17  derkönig  kann  den  schnellen  glücks- 
wechsel  nicht  begreifen;  ein  ritter  bestätigt  die  nachricht. 
C.  3564 — 68  der  könig  ist  ratlos;  der  knappe  schlägt  ihm  vor 


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ZUR  PARZIV AL FRAGE. 


31 


umzukehren.]  —  W.  204, 7—10  =  C.  8540—41.  —  W.  204,  18 
—19  =  C.  3565.  —  W.  204, 13. 21. 28—29  =  C.  3569—76.  — 
[0.  3577 — 86  der  alte  ritter  macht  den  könig  auf  die  hungersnot 
in  der  Stadt  aufmerksam.  Dieses  motiv  konnte  W.  nicht  brau- 
chen, da  nach  ihm  die  neue  .zufuhr  schon  eingetroffen  war. 
Um  den  könig  zu  ermutigen,  lässt  er  daher  den  fürsten  sagen, 
dass  Kingrun  gar  nicht  ernstlich  ihre  allgemeine  sache  ver- 
fochten habe.]  —  W.  204, 30  —  205, 2  ^  C.  3587—89. 

C.3593  ist  zum  ersten  male  der  name  der  geliebten  P.'s, 
Blancheflour,  genannt  und  dann  nur  noch  einmal  am  schluss 
des  abenteuers,  4090.  Es  wäre  denkbar,  dass  W.,  der  nicht 
so  zurückhaltend  im  namengeben  ist,  jene  benennung  bei  0. 
überhaupt  übersehen  oder  erst  hinterher  gefunden  hat.  Viel- 
leicht behagte  ihm  der  name  Blancheflour  auch  deshalb  nicht, 
weil  er  schon  für  eine  person  in  Eilharts  Tristran  bekannt 
war.  Eine  änderung  war  ja  nicht  so  sehr  kühn,  da  der  name 
bei  C.  eine  so  geringe  rolle  spielt.  Wie  dem  auch  sei,  eins 
ist  sicher,  dass  der  bei  W.  eingesetzte  name  Condwir  ämürs 
(Cundwierämürs  282, 28)  nicht  aus  einer  französischen  quelle 
stammt.  Es  ist  eine  deutsche  imperativische  bildung  aus  dem 
deutsch-französischen  verb  condwieren  und  dem  object  ämur. 
Das  verb  condwieren  kommt  bei  \V.  vier  mal  vor  (155,  18. 
199, 22.  495, 22.  696, 18),  das  zugehörige  Substantiv  cond(e)wier 
zweimal  (401,13.  741,15).  Besonders  zu  beachten  ist  495,22 
ir  minne  condwierte  mir  freude  in  das  herze  min.  Danach  ist 
W.  die  bildung  dieses  namens  wol  zuzutrauen.1) 

[W.  205,  9—14  namen,  offenbar  W?8  eigener  zusatz:  Ga- 
logandres  der  herzöge  von  Gippones  stammt  aus  Hartm.  Erec 
1661  Galagaundris  und  fil  dou  Giloles.  Ein  fürste  üz  Wer- 
lernt  und  210,2  norden  über  den  Ukerse  sind  ganz  unfranzösi- 
sche und  unsinnige  bildungen  nach  dem  muster  von  121,27 
leh  cons  UUerlec*).] 

W.  205, 3-8  C.  3590—91.  3599-3602.  -  [C.  3604—9 
der  könig  lobt  diesen  rat  ;  vgl.  W.  205,  8.  —  C.  3609  st  les 
prendrons  come  gent  morte  ^  W.  205, 16  den  man  töten  truoc 


*)  327,20.  508,22  bildet  W.  den  acc.  ( 'otuhriren  ämiirs.  Vgl.  Martin, 
QF.42,8.  Heinzel  s.  11. 

*)  Bartach  s.  151.  Heinzel  s.  13  f. 


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32 


LICHTENSTEIN 


herdan.]  [W.  205, 17  —  206, 4  die  bürger  rüsten  sich  zur  Ver- 
teidigung und  verbrennen  die  belagerungsmaschinen.] 

Hier  folgt  bei  W.  206, 5  —  207, 5  die  reise  Kingruns  zu 
Artus;  der  letzte  vers  scheint  anzudeuten,  dass  W.  hier  selb- 
ständig das  mcere  unterbrochen  habe,  um  diesen  teil  einzu- 
schieben, der  bei  ('■.  mit  der  reise  riamides  verbunden  ist, 

W.  207,  6—8.  14.  12—13.  15.  9.  16—18  ^  C.  3610—11.  15 
—25.  20  (durchaus  wörtlich).  —  W.  207,  21—26  die  bürger 
stechen  zuerst  grausam  auf  die  von  P.  besiegten  ritter  ein 
(ähnlich  sticht  P.  selbst  bei  C.  3626—28),  dann  nehmen  sie 
auf  P.'s  geheiss  20  lebend  gefangen  (vgl.  ('.3610  vint  Chevaliers). 
C.  3630—31  P.  übergibt  die  gefangenen  und  ihre  pferde  den 
damit  beauftragten. 

Der  kämpf  gegen  die  zweite  abteilung  entwickelt  sich 
verschieden.  [W.  207, 27  —  208.  4  P.  merkt  den  plan  und  um- 
geht den  feind.J  [C.  3632—59  als  das  hauptheer  den  unter- 
gang  der  kameraden  sieht,  kommt  es  in  auflösung  heran,  wäh- 
rend die  belagerten  sich  geschlossen  an  das  tor  zurückziehen 
und  von  den  nachdrängenden  einen  teil  innen  gefangen  nehmen, 
den  andern  durch  ein  falltor  zerschmettern.] 

W.  208,  5-6.  18-20  =  C.  3660— 61. 64— 66.  -  [C.3667 
—87  der  alte  Waffenmeister  ermahnt  den  könig  auszuharren, 
die  bürg  werde  durch  hungersnot  in  weniger  als  drei  tagen 
bezwungen  werden;  vgl.  W.208, 16  der  kundez  l%cr  wol  manen 
(208,  17  er  fällt  an  des  königs  seite).  —  C.  3688—91  sie  la- 
gern sich.] 

W.  208, 23—25. 27—28.  209, 1  £  0. 3692—98.  —  [W.  209, 
2—7  die  gefangenen  kehren  zu  dem  äusseren  heer  zurück. 
Dadurch  wird  motiviert,  wie  Hamide  von  der  frischen  ver- 
proviantierung der  bürg  erfährt,  s.  C.  3762  ff.].  —  W.  209,  8—10 
t£  C.  3742—46.  65—67.  —  (C.  3700—61  s.  auch  unter  no.  5). 
7.  Einzelkampf  zwischen  P.  und  (Hamide. 

W.209, 15—29  ^  C.  3762— 63.  69—75.  79—81.  —  [C.3776 
—78.  3782—3816.  3820—21.  28  das  fräulein  und  alle  herren 
und  danien  des  Schlosses  bestürmen  P.  mit  bitten,  dem  gefähr- 
lichen kämpfe  fernzubleiben;  vgl.  3230 — 38  etc.  s.  29.]  —  W. 
209,  30  —  210,  3  C.  3834—37.  —  W.  210,  4—6  =  C,  3817 
—20.  24-  25.  29—33  (W.  bezeichnet  das  pferd  Clamides  als 
ein  (jewiipent  kastelän,  C.  das  P.'s  als  ein  cheval  norais).  — 


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ZUR  PARZIVALFRAGK. 


33 


[W.  210, 7 — 13  die  herkunft  des  pferdes,  norden  vgl.  C.  norois; 
Ukerse  s.  zu  205, 14.J  —  W.  210, 14.  20  tusent  sarjant  und  fünf- 
hundert ritter  ^  C.  3607—8.  34 — 35  IV.  cens  Chevaliers  armes 
et  mil  serjans  tous  acesmes. 

W.  210, 27  =  C.  3826—27.  —  W.  211, 10— 13.  15— 29  = 
C.  3838— 53.  —  [W.  211,30  — 212, 16  zwei  vergleiche  zur  be- 
lebung  des  karapfbildes,  vgl.  197, 22—26.  —  C.  3854—57  bricht 
ab.]  —  W.  212, 17.  21— 22  =  C.  3858— 59.  —  [W.  212, 24— 29 
P.  wirft  seinen  gegner  zu  boden,  reisst  ihm  den  heim  herab 
und  ist  im  begriff  ihn  zu  töten;  vgl.  197,28.  C.  3410  f.] 

Die  Verhandlungen  über  die  Unterwerfung  kürzt  C.  mit 
hinweis  auf  die  gleiche  scene  mit  dem  seneschall  ab  (s.  s.30); 
W.'s  längere  reden  holen  hier  das  früher  übergangene  nach. 
W.  212, 30  —  213, 21  =  0.3412—13.  19—35.  -  W.  213, 29- 
214, 12  =  C.  3414-18.  68-70.  80-88.  3865-67. 

W.  214, 18  C.3191 

da  täten  gnote  ritterschaft  de  .III.  cens  Chevaliers  et  dis 

ninn  hundert  ritter  die  wol  striten  dont  eis  castiaus  estoit  garois, 
21 

und  fünfzehn  hundert  sarjant:  n'a  eaiens  reines  que  .L. 
25 

ir  kom  ouch  kürae  der  säme  widr.  et  .11.  et  dis  raains  de  .LX.  . 

Diese  angaben  beziehen  sich  bei  W.  auf  die  von  Gurne- 
manz  geschickten  hilfstruppen ,  bei  C.  auf  die  gesammte  be- 
satzung;  C.'s  zahlen  sind  etwas  unklar. 

[C.  3862— 64  er  soll  sich  nach  Biau-Repaire  in  die  gefangen- 
schaft  begeben.]  —  W.  214, 29—30.  215, 2.  6—9  =  0. 8868—73. 
Das  bei  W.  stets  kundgegebene  bedauern  für  Cunneware  (statt 
des  rachegefühls  bei  C.)  hat  ein  vorbild  in  C.  4074  car  de  la 
buffe  se  doloit  qui  Ii  fu  en  la  goe  assise  (das  subject  des  haupt- 
satzes  kann  verschieden  ergänzt  werden). 

[C.  3876 — 84  P.  lässt  Clamide  versprechen,  dass  er  die 
gefangenen  ausliefern  und  nie  wider  etwas  feindseliges  gegen 
die  schlossherrin  unternehmen  werde.  —  \V.  215, 10—18  P. 
lässt  Clamide  geloben,  dass  er  sich  der  geschlagenen  jungfrau 
als  gefangenen  stellen  werde.]  —  [C.  3887—95  die  auslieferung 
der  gefangenen.  —  W.  215, 30  —  216, 1  die  bestattung  der  toten.] 
—  W.  216, 2—4  =  C.  3885— 86.  [W.216,4  das  land  Löver  s. 
s.  43.J  . 

Beiträge  »or  gMchiohte  der  deaUohen  ipr»obe.  XXII.  3 


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LICHTENSTEIN 


8.  Kingrun  und  Clamide  ziehen  an  den  hof. 

Die  beiden  reisen,  bei  C.  zusammengefasst,  sind  bei  W. 
getrennt  beschrieben  206,5  —  207,3  und  216,3  —  222,9;  vgl. 
s.  32.   Auch  C.  fängt  zweimal  an  zu  erzählen,  3924  und  3961. 

[W.  206, 7 — 9  Artus  hält  sich  zuerst  im  jagdhaus  Karminal 
auf.]  —  C.  3898—3905  s.  W.  217, 23.  —  C.  3910—23  s.  W.  222, 
12—28. 

W.  206,  5—6.  216,  3—12  £  C.  3906—9.  24—25.  29—31. 
Dianazdrün  W.  =  Dinatiron,  Dinaderon  en  Gates  C.  (s.  s.  43). 

—  W.206, 10— 11.  20.  28.  207,1  =  C.  3934— 39  (messenie  = 
maisnie).  —  W.  216, 13—18.  217, 10—13.  218, 15  [16]  ±Q  C.  3961 
—65  (pfinxtac  =  pentccoste  etc.).  —  W.  217, 19—27  =  C.  3932 
—33.  3900—5.  —  W.  217, 28— 30  =  C.  4070— 71.  —  W.218, 
1—12  =  C.  4072—75.  4020—26.  —  W.  279, 7—8  (beim  empfang 
des  Orilus)  =  C.  4074—84. 

Bei  C.  kommt  er  zu  der  geschlagenen  jungfrau  erst  ganz 
zuletzt,  sie  sitzt  in  den  gemächern  bei  den  hofdamen  der  königin; 
nach  W.  isst  die  königin  mit  Cunneware  allein  an  einem  be- 
sonderen tische.  Nach  C.  stellt  er  sich  dem  könige  als  gefan- 
genen, nach  W.  der  Cunneware,  und  zwar  mit  den  gleichen 
Worten. 

W.218, 17-24  =  C.3969.  4050-54  (doch  warne  ich  des, 
erst  üf  gelogen  =  le  tient  a  mottlt  grant  musardie\  der  wider- 
saz  im  ein  teil  =  par  estoutie).  —  [C.  3970—4005  der  äussere 
prunk  des  seneschalls  (vgl.  W.  151, 28. 24)  contrastiert  mit  der 
bosheit  seiner  zunge  (W.  nimmt  ihn  in  schütz  218, 25  ff.,  vgl. 
152, 7  ff.  296, 13  —  297, 29).  Der  könig  will  nicht  eher  essen, 
als  bis  sich  ein  abenteuer  seinem  hofe  naht  (denselben  zug 
verwertet  W. 309, 3—9)].  —  [W.218, 28  —  219,3  man  nimmt 
dem  Clamide  den  heim  ab,  das  ermöglicht  seine  widererkennung.] 

W.  219, 4—6. 1 1—13  ^  C.  3934. 41—43. 59—60.  —  [ W.  219, 
14  —  220,10  vgl.  213,22—28  Clamide  ergeht  sich  in  liebes- 
klagen,  indem  er  die  Pilatuslegende  und  die  erzählung  von 
Mabonagrin  streift,  vgl.  178, 23.  —  Bei  C.  4017  sagt  er  nur  ce 
poise  moi\.  —  W.  220, 11—13. 17. 19—22  =  C.  4015—18. 36—41. 

—  Q  4020—26  s.  W.  218, 3—12.  —  [C.  4028—35  Artus  erkun- 
digt sich  nach  P.'s  ergehen.]  —  [W.  220, 14—18. 23—24.  206, 
24 — 26  anspielung  auf  eine  frühere  feindschaft  zwischen  Cla- 
mide und  Artus.  —  220,25  —  221,6  gedränge  bei  hofe;  moti- 


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ZITR  TARZIV ALFRAGE. 


35 


vierender  Übergang  zum  folgenden.]  —  W.  221,  7—8. 10 — 12  = 
C.  4060 — 65  dem  ankömmling  wird  gesellschaft  erwiesen  bei 
AV.  von  Gawan,  bei  C.  von  Yvain  und  Gyfles  (Giflet).  Hiermit 
sind  zwei  andere  stellen  zu  vergleichen,  wo  teils  einer,  teils 
zwei  der  genannten  in  ähnlichem  zusammenhange  auftreten: 
W.277,4.  C.  5464  nach  der  ankunft  des  Orilus  und  W.311,6 
— 7.  C.  6096. 99  nach  der  ankunft  Parzivals,  bez.  nach  der  an- 
kunft der  gralsbotin  bei  hofe.  An  diesen  drei  stellen  erscheinen: 

bei  W.  bei  C. 

1.  Gawan  Yvains  und  Gyfles 

2.  Gawan  und  .Tofreit  fiz  Idoel  Gawains 

3.  Gawan  und  Jofreit  fiz  Idoel  Gawains  und  Gifles  Ii  fius  Do. 

Aus  dieser  Zusammenstellung  ergibt  sich  schon  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit,  dass  auch  an  der  ersten  stelle  bei  C.  Ga- 
wains für  Yvains  zu  lesen  sein  wird,  und  diese  Vermutung 
wird  noch  sicherer  durch  die  Charakteristik  des  betreffenden 
ki  amande  tous  ciaus  qui  a  lui  s'accompagnent,  die  viel  eher 
auf  Gawain  passt. 

W.  221, 13  —  222, 6  =  C.  3943—56.  4034—35.  —  W.  222, 
7—9  tsi  C.  4056—59  (bei  C.  vom  könige  gesprochen).  —  [C.4042 
—49  neue  Prophezeiung  des  toren,  vgl.  2444  ff.  W.  152,30  ff. 

—  4086—87  der  könig  behält  Clamide  an  seinem  hofe,  vgL  3938 
—39]. 

9.  P.'s  abschied  von  seiner  gattin. 

W.  222, 12—28  t/>  C.  3910—23  die  freude  im  lande,  im  ein- 
zelnen ganz  abweichend  geschildert.  —  W.  222, 29  —  223, 14 
s£  C.  4088—94.  —  W.  223, 17—22  =  C.  4095—99.  —  [W.  223, 
23  fügt  als  zweites  motiv  den  wünsch  nach  abenteuern  hinzu.] 

—  [W.  223, 26 — 30  P.  nimmt  Urlaub,  den  ihm  seine  gattin  aus 
liebe  nicht  versagt;  er  trennt  sich  von  seinen  mannen  und 
reitet  allein  fort.  C.  4100 — 4151  P.  wagt  nicht  von  seiner 
geliebten  Urlaub  zu  nehmen,  sie  versagt  ihm  denselben  (ähn- 
licher unterschied  beim  abschied  von  Jeschute);  auch  alle 
mannen  bestürmen  ihn  mit  bitten.  Er  verspricht  widerzu- 
kommen mit  seiner  mutter,  wenn  sie  noch  lebt,  sonst  allein. 
Die  mönche  und  nonnen  geleiten  ihn  in  feierlicher  procession; 
er  verspricht,  seine  mutter  in  ihrem  kloster  nonne  werden  zu 
lassen  oder  für  ihre  seele  messen  zu  bestellen.] 

3* 


36 


LICHTENSTEIN 


Ich  übergehe  nun  P.'s  besuch  auf  der  gralburg  und  scheide 
auch  aus  dem  folgenden  abenteuer  alles  aus,  was  sich  auf  die 
gralwunder  bezieht. 

Parzivala  oouaine  (Sigune). 

W.  249-255.  138-142,2.  C.  4606-4864. 

C.  gibt  in  diesem  abschnitt  ausser  einigen  andeutungen 
über  den  gral  den  ohne  grund  so  lange  verschwiegenen  namen 
des  beiden.  Letztere  aufgäbe  hatte  W.  schon  in  einem  früheren 
einschub  (s.  s.  15)  erledigt  und  verweist  hier  noch  ausdrück- 
lich darauf,  indem  Sigune  zweimal  als  diejenige  bezeichnet 
wird,  die  P.  seinen  namen  gesagt  habe  (252, 13.  28 — 29).  Auch 
aus  den  versen  139, 20  und  141, 26  scheint  hervorzugehen,  dass 
die  ganze  scene  früher  hinter  dem  gralabenteuer  gestanden 
hat.  Zur  gewissheit  vollends  wird  die  annähme,  dass  W.  eine 
derartige  teilung  vorgenommen  habe, ')  durch  die  tatsache,  dass 
beide  Sigunen-abenteuer  sich  ergänzen  und  nur  zusammen  ge- 
nommen den  inhalt  des  einen  auftritts  bei  C.  vollständig  wider- 
geben. Wir  erhalten  bei  der  vergleichung  bald  doppelte  ent- 
sprechungen,  bald  entspricht  nur  der  erste  oder  der  zweite 
abschnitt  W.'s  dem  französischen  texte. 

W.  138, 1—2. 13—14. 17—19  (249, 1—2. 11—15)  £  C.  4606 
—11  (slä,  huof siege  kraz  =  trace\  brach  ir  langen  zöpfe  —  se 
deraisnc;  üz  rehtem  jämcr  schrei,  einer  frouwen  stimme  jämmer- 
lich ~  qui  crie  et  pleure;  üf  einer  linden  —  sous.  .1.  kaisne, 
hs.  von  Möns  sor).  —  [C.  4612—30  lange  klagen  der  jungfrau. 
W.  139, 24  drückt  dies  in  einer  einzigen  zeile  aus,  dagegen 
betont  er  249, 15. 18—20.  24—25.  139, 25  —  140, 2  widerholt  die 
treue  Sigunens.]  -  W.  138,  22-23  (249, 16—17)  =  C.  4632 
—33.  -  W.  138, 15. 20  (249, 21-22)  k2  C.  4634—35.  —  W. 
(138,  25—27.  139,  25-28)  249,  26.  250,  1  g  C.  4636—38.  — 
W.  138, 28  -  139, 2  (249, 27—30)  £  C.  4639—41.  —  W.  141, 
8—10  =  C.  4642—43  (vgl.  auch  W.  135,  21  hiute  morgen  = 
hui  matin). 

W.  wird  hier  sogleich  concret:  er  nennt  den  namen  des 
Schionatulander,*)  der  bei  C.  fehlt,  und  den  namen  des  Orilus, 

•)  Schon  Urbach  s.  18  äusserte  diese  ansieht  n.  v.  a. 
*)  Wahrscheinlich  nach  Ganatulander  im  Erec  1690  gebildet;  s.  Bartsch 
s.  126.  Heinzel  s.  5. 


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ZUR  PARZIVALFRAGE. 


37 


der  bei  C.  erst  4991  vorkommt;  er  sagt  auch  sogleich  ausdrück- 
lich, dass  dieser  den  tod  des  ritters  verschuldet  habe,  was  bej 
C.  erst  4823  und  5001  ganz  unbestimmt  angedeutet  wird.  An 
der  letzteren  stelle  wird  erzählt,  dass  Orilus  soeben  einen 
getötet  habe,  wie  er  jeden  töte,  der  seine  gattin  anspreche 
(s.  s.39).  Diese  unmotivierte  grausamkeit  konnte  W.  schon 
aus  dem  gründe  nicht  gebrauchen,  weil  bei  ihm  P.  unmittelbar 
nach  dem  abenteuer  mit  Jeschute  die  Sigune  mit  dem  toten 
ritter  trifft.  Er  gibt  deshalb  eine  andere  veranlassung  zu  dorn 
kämpf  oder  vielmehr  zwei  verschiedene  motive  an  [140, 28  — 
141, 7  die  Verteidigung  der  erbländer  P.'s;  141, 16—23  die  ge- 
schiente vom  brackenseil,  weiter  ausgeführt  im  Titurel]. 

W.  139,  7-8.  141, 27-28  (249, 27-30)  =  C.  4810-13.  — 
[W.  139, 9—22  P.  greift  in  den  köcher  und  findet  Jeschutens 
ring  und  spange;  das  veranlasst  den  dichter  zu  einigen  be- 
merkungen.]  —  W.  253, 6— 8  ^  C.  4804— 6. 8— 9.  —  C.4802 
— 3. 7. 16 — 19  P.  schlägt  der  jungfrau  vor,  mit  ihm  weiterzu- 
ziehen; sie  will  das  um  keinen  preis  tun,  auch  ihren  geliebten 
nicht  verlassen,  bevor  er  beerdigt  ist.  Dazu  vgl.  W.  253, 9 — 18 
Sigune  ist  durchaus  nicht  gewillt,  sich  mit  einem  anderen 
manne  zu  trösten,  wie  Lunete  im  Iwein  das  geraten  hatte.  — 
W.  141, 11— 12.24  (252,19—23)  =  C.  4783— 87. 


'deiswar  du  heizest  Parzival  ...      devine  et  dist  que  il  avoit 


ein  Waleis  von  der  muoter  din  . . .'     Percevaus  Ii  Galo  is  a  nom. 


dö  sprach  si  'du  bist  Parzival'. 

Bei  C.  weiss  er  seinen  namen  nicht  und  rät  ihn;  bei  W. 
kennt  er  nur  seine  kosenamen  (140,6,  s.  s.8),  daran  erkennt 
ihn  die  cousine,  und  sie  erkennt  ihn  ein  zweites  mal,  da  ja 
die  begegnung  verdoppelt  ist,  an  seiner  stimme  [251, 28].  Die 
glückliche  änderung  W.'s  ist  vorbereitet  durch  C.  4772  je  te 
conois  mius  que  tu  inoi.  —  W.  gibt  auch  eine  deutung  des 
namens  Parzival  [140,  17  der  name  ist  rehte  enmitten  durch], 
dennoch  bezweifele  ich  stark,  ob  er  den  namen  so  verstanden 


W.  140,  4 
si  vragte  in  wie  er  hieze. 

10 

si  erkant  in  bi  dem  namen  san. 
16 


C. 4748 

'coment  aves  vos  nom,  amis?' 


et  eil  ki  son  nom  ne  savoit 


2« 


251,29 


38 


LICHTENSTEIN 


hat,  wie  wir  ihn  heute  verstehen,  und  wie  er  schon  im  alt- 
französischen gedeutet  wurde1):  perce  val  oder  perce  aval,  son- 
dern er  scheint  nur  an  die  praeposition  par  gedacht  und  daher 
auch  den  namen  entsprechend  umgestaltet  zu  haben.  —  [W. 
140, 25  ein  Anschevin]. 

W.  140, 21—24.  141, 13  (252, 15)  C.  4772—77.  —  [C.  4769 
—71  P.  erfährt  den  tod  seiner  mutter.]  Seltsamerweise  em- 
pfängt er  dieselbe  nachricht  noch  einmal  bei  dem  eremiten, 
ofone  erkennen  zu  lassen,  dass  er  sie  schon  weiss.  W.  unter- 
drückt die  erste  stelle  sammt  der  folgenden  argumentation 
[C.  4797— 4801],  benutzt  aber  einiges  für  die  spätere  Unter- 
redung: W.  476, 12-13. 25— 26.  490,20-25  ^  C.  4769— 71  = 
7766—72.  —  W.  476, 21-24  ^  C.  4788—93.  —  W.  476, 16—18 
xr.  C.  4796— 98. 

W.  141, 30  —  142, 2  =  C.  4820—29  sie  zeigt  ihm  den  weg 
zu  dem  mörder  ihres  geliebten:  nach  W.  einen  falschen  weg, 
weil  sie  P.'s  tod  fürchtet;  nach  0.  wünscht  sie  nicht,  dass  P. 
nachziehe  (offenbar  aus  demselben  gründe),  und  doch  hasst  sie 
den  mörder  tödlich.2) 

W.  250, 3—5. 20—23  g  C.  4644—50  drUec  tntln  =  bounes 
V.  liues).  —  W.  250, 19  vgl.  C.  4658—60.  —  [C.  4652—57  sie 
findet  sein  pferd  gut  verpflegt.]  [W.  250, 6 — 11  sie  macht  ihn 
auf  die  gefahren  der  gegend  aufmerksam.]  —  W.  250,  13 — 16 
=  C.  4661—70. 

W.  255, 30  £  C.  4862.  —  [W.  255, 21—29  P.  möchte  sein 
vergehen  wider  gut  machen;  Sigune  aber  will  nichts  mehr  von 
ihm  wissen.] 

Orilua. 

W.  256—279.  C.  4865—5463. 

[W.  256, 1—10  Übergang:  P.  wird  von  reue  und  von  der 
hitze  des  tages  gequält.] 

1.  Begegnung  mit  Jeschute. 

W.256,11— 12.  256,14—257,25.  260,6—7.  258,24—29.  257, 
27  ^  C. 4865-4913. 4930,  vielfach  wörtlich  übereinstimmend,  nur 
dass  W.  die  hässlichen  spuren  [C.  4906]  unterdrückt,  überhaupt 

')  Holland,  Crest.  von  Troyes  8.55.  Hertz  s.  104.  Heinzel  8.90. 
•)  Küpp  s.  25  hat  hier  0.  niisYeratanden,  er  interpretiert :  'doch  wünscht 
sie  den  tod  des  mörders  nicht  \ 


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ZUR  FARZIVALFBAGE. 


39 


die  Schönheit  der  dame  weit  mehr  hervorhebt  als  C.  (dieser 
sagt  nur  biele  et  gente  fust)  und  ausserdem  ihre  Vornehmheit 
[W.  257,  7]  und  vor  allem  ihre  edle  Weiblichkeit  [257,  23—24. 
26 — 30.  260,  8 — 11]  im  gegensatz  zu  ihrer  augenblicklichen 
demütigung  betont.  —  W.  256, 16.  259, 2—4  g  C.  4914—17.  — 
[C.  4921—51  klagen  der  dame.] 

Die  folgende  Unterhaltung  zeigt  recht  interessant,  wie  W. 
ein  stellenweise  etwas  unklares  stück  C.'s  ausdeutet  und  dabei 
die  Situation  unbewusst  verschiebt. 

W.  285,  1  C.  4952 

(16  Parziväl  gruoz  gein  ir  sprach        lors  Ii  dist:  'bele,  dex  vos  saut!' 

62 

[an  in  si  erkenneclichen  sach].  'ciertes,  je  ne  pens  ne  ne  croi 

5  qne  jon  onques  mais  vos  veüsce, 

si  sagete  'ich  h&n  iuch  6  gesehn.        ne  riens  nnle  vos  meffcsisce.' 
d&  von  ist  leide  mir  geschehn:  'si  as,  fait  eile,  qne  je  sni 

doch  müez  in  freude  nnt  £re  tant  caitive  et  tant  ai  anni'  . . . 

got  immer  geben  mere  57 

4  Ii  tnens  cners  ait  ce  qu'il  voroit! 
denn  ir  nm  mich  gedienet  hät.'  et  se  n'i  ai  jou  mie  droit.' 

Bei  C.  erwidert  die  dame  P.'s  gruss  unfreundlich,  und  als 
er  nach  dem  gründe  fragt  —  er  habe  sie  doch  nie  gesehen 
und  sich  durch  nichts  gegen  sie  vergangen  —  da  antwortet 
sie:  'doch,  denn  ich  bin  so  unglücklich,  dass  mich  niemand 
grüssen  darf.'  Darin  also  besteht  in  ihren  äugen  (und  in  denen 
ihres  mannes)  sein  vergehen,  dass  er  sie  gegrüsst  hat.  Dass 
sie  ihn  erkennt,  davon  steht  nichts  da.  W.  aber  bezieht  das 
si  as!  der  antwort  auch  auf  das  veisce  in  v.  4963  (was  ja  sehr 
nahe  liegt),  und  das  vergehen  bezieht  er  auf  jene  frühere 
umarmung,  wodurch  die  bei  C.  zunächst  fehlende  Verbindung 
der  abenteuer  hergestellt  wird.  Daher  W.  258,  2  an  in  si  er- 
kenneclichen sach  und  dann  der  Vorwurf  258, 10—14  (dazu  vgl. 
C.  4968—69). 

W.  258, 15—23  =  C.  4961.  70—80.  —  [W.  259,  5—10.  P. 
bietet  ihr  gutherzig  sein  kursit  an.]  —  W.  259, 11—18  —  C. 
4981—88.  —  \V.  259, 19—22  =  C.  4989— 96.  —  W.  259, 23— 
26  =  CL  4949-51.  —  W.  260, 3—5  =  C.4998.  —  (C.5001  = 
W.  135, 21—24,  s.  s.  16).  —  [C.  4997-5000.  5002-4  der  gatte 
töte  jeden,  der  sie  anspreche,  und  erzähle  vorher  jedem  den 
grund  seines  zornes,  s.  s.  37.]  —  [W.  260, 12—17  motivierender 


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40 


LICnTENSTEIN 


Übergang.  Während  P.  sich  kampfbereit  macht,  beginnt  sein 
ross  zu  wiehern;  dadurch  wird  Orilus  aufmerksam.] 

2.  Dazwischenkunft  des  Orilus. 

W.  260, 18—19. 22—26  =  C.  5005—8.  —  [W.  260, 27  —  262, 
13  Schilderung  der  waffen  des  Orilus,  als  eigene  zutat  W.'s  er- 
kennbar durch  die  conipilation  aller  möglichen  vorher  dagewe- 
senen namen  und  details:  ein  roter  Speer  von  Gaheviez,  heim 
von  Trebuchet  gefertigt,  schild  aus  Dolet,  Kailets  lande,  etc. 
Das  land  Tenabroc,  schon  erwähnt  232,25,  stammt  aus  dem 
Erec  2233.  2240,  2352  (s.  Bartsch  s.  125).] 

C.  5009— 91  Li  Orguellous  erzählt  die  Ursache  seines  zornes. 
P.  gesteht,  dass  er  selber  der  Urheber  gewesen  sei,  und  be- 
teuert die  Unschuld  der  dame;  drohende  wechselreden.  W.  gibt 
von  den  bekannten  tatsachen,  die  dem  streite  zu  gründe  liegen, 
nur  ein  kurzes  resume  264;  die  beteuerung  P.'s  enthält  der 
wunderliche  eid  nach  dem  kämpfe  269,  und  auf  den  anfang 
seines  zornes  kommt  Orilus  noch  einmal  271  zurück.  Ueber- 
einstimmung  in  allem  wesentlichen  und  selbst  wörtliche  an- 
klänge sind  nicht  zu  verkennen,  nur  dass  C.  historisch  schlicht 
erzählt,  während  W.  in  seiner  etwas  krausen,  hastigen  art 
vorgeht,  eigene  betrachtungen  einmischt  [264,4—5.16—19.25 
—30],  den  Trevrezent  mit  seiner  klause  anticipiert  [268, 25—30] 
und  aus  Hartmanns  Erec  und  Iwein  den  wilden  Dodines ')  ein- 
führt, dessen  bruder  einen  speer  dort  vergessen  haben  soll 
[271, 10—13]. 

W.  264, 1—19  =  C.  5030— 33.  51—72,  vgl.  besonders: 

W.  204,  2  C.  5051 

daz  sin  wip  wol  geborn  pur  ce  quic  jou  qu'il  giut  a  Ii  . . . 
da  vor  was  genotzogt  ...  58 

8  orena  son  loier  si  der 

uut  daz  si  guneret  m'ainie  com  il  Ii  apert: 

het  ir  kiusche  unde  ir  pris  qui  fait  folie  sei  compert, 

mit  einem  andern  Amin,  si  qu'il  se  gart  del  renkeoir. 

des  lasters  nam  er  phlihte.  monlt  m'en  pot  on  irie  veoir 

onch  ergienc  sin  gerihte  quant  jou  reving  et  jou  le  soi, 

über  si  . . .  et  jurai  moult  ke  droit  en  oi. 
4 

er  was  iedoch  ir  rehter  Yogt 


»)  Erec  1030.  Iwein  87.  4090;  s.  Bartsch  s.  125.  —  Der  name  Troys 
W.  271, 10  dient  nur  zum  reim  auf  poys. 


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ZUR  PARZIV ALFRAGE. 


41 


Zu  C.  5034—50  vgl.  W.  201, 21  —  202, 18. 


W.  271,8 
'fürz  forest  in  Brizljan 
reit  ich  dö  in  juven  poys.' 
2 

do  ich  die  stiezen  eine  liez 
269, 20 

 ob  missetän 

disiu  frouwe  habe,  dÖ  diz  geschach 

doz  i'r  fürspan  von  ir  brach, 
och  fuort  ich  mer  goldes  dan. 
ich  waa  ein  t6re  nnd  niht  ein  man, 
gewahsen  niht  pl  witzen. 
vil  weinens,  da  bi  switzen 
mit  jämer  dolte  vil  ir  lip. 

sist  benamn  ein  unschuldic  wip. 

Ueber  die  bedeutung  des  galois  s.  s.  12.  —  Dass  P.  bei 
W.  seine  handlung  anders  beurteilt  als  bei  C,  fällt  nicht  ins 
gewicht.  Die  grundzüge  zu  jenem  merkwürdigen  eide  bei  W. 
sind  unverkennbar  bei  C.  vorhanden.  Ja  selbst  die  ganze 
scenerie  sammt  dem  gemalet  sper  hat  eine  verdächtige  ähn- 
lichkeit  mit  einer  späteren  stelle  C.'s,  die  dort  bei  W.  fehlt: 


C.  5019 

'voirs  ert  k'ales  el  bois  estoie, ') 
et  ceste  damoisele  avoie 

laissie  en  nn  mien  pavellon, 
et  n'amoie  rien  se  Ii  non; 
tant  ke  par  aventnre  avint 
que  nns  varles  galois  i  vint 
75 

'aniis,  or  sacies  sana  dotance 
qne  ele  a  fait  sa  penitance, 
car  je  sui  eil  qui  le  baisa 
maugräsuen,  et  moult  Ten  pesa, 
et  son  anel  en  son  doi  pris, 
ne  plus  n'i  ot  ne  plus  ni  fis; 
84 

de  con  ne  fis  je  pas  que  fols.' 


W.  268,25 
dä  wart  niht  langer  da  gebitn  . . . 
28 

eine  kefsen  Parzival  dä  vant: 
ein  gem&let  sper  derbi  da  lent. 
269,2 

er  nam  daz  heiltuom,  druf  er  swnor. 


C. 7573 

X  monlt  pressieus  saintuaire 

Ii  a  on  maintenant  fors  trait, 
et  il  a  le  sairement  fait 


qne  il  metra  tote  sa  paine 
a  querre  la  lance  qni  saine. 

Auch  die  veranlassung,  diese  eidscene  einzuschieben,  hat 
W.  aus  C:  5319  que  le  mal  n'avoit  ele  mie  deservi,  ce  te  puis 
jurer. 

3.  Der  kämpf. 

W.  262, 14— 19.  265,10—13.  263,2—5  g  C.  5092— 5100. 
—  W.  mustert  diesen  kämpf  mit  kennerblick  [262,20—263,1. 
263, 6 — 30.  265, 4 — 9],  aber  er  verändert  durchaus  subjectiv  die 
kämpf  Ordnung,  indem  er  den  sch  Wertkampf  noch  zu  pferde 

')  Variante  oen  en  bois  alis  estoie,  Germ.  3, 98.  Bartsch  im  commentar 
vermutet,  dass  der  von  W.  benutzte  text  en  i'oen«  bois  las. 


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42 


LICHTEN8TEIN 


ausfüliren  lässt  (263,23)  und  daran  ein  ringen  anschliesst, 
durch  welches  P.  den  gegner  aus  dem  sattel  hebt  und  mit 
ihm  zu  boden  springt.  Bei  C.  räumen  sie  die  sättel  beim 
lanzenstoss,  et  porte  Ii  uns  Tautre  jus.  Uebrigens  hält  C.  es 
für  verlorene  mühe,  von  dem  kämpfe  viel  worte  zu  machen 
(5306—7). 

[C.  5101 — 5304  interpolation  der  Monser  hs.;  s.  Urbach  s.  19.] 
W.  265, 1. 4. 18—19  (265, 30  —  266, 6)  ^  C.  5305.  8—10.  —  Bei 
W.  weigert  sich  Orilus  zunächst  sich  zu  ergeben  mit  denselben 
Worten,  die  P.  bei  C.  vor  dem  kämpfe  spricht:  W.  265,  24.  26 
^  C.  5090—91.  —  [W.  265, 27  —  267, 8  er  wird  noch  einmal 
von  P.  bedrängt,  will  sich  aber  auch  jetzt  nicht  zur  Versöh- 
nung mit  seiner  gattin  verstehen,  bietet  vielmehr  ein  land 
seines  bruders  und  sein  eigenes  herzogtum  als  lösegeld  an.]  — 
[C.  5311 — 14  P.  erinnert  sich  der  lehre  des  Gornemans.]  — 
—  W.  265, 20—23.  266,  7—9.  267, 25—30.  269, 18—21  ^  C.5315 
—20;  vgl.  s.  41. 

4.  Die  Versöhnung  der  gatten. 

W.  270, 23  —  271, 1. 6—7  &  C.  5321—27.  —  W.  267, 12—24 
(276, 21)  =  C.  5334—41.  47—58.  Der  gruss  an  Artus'  frau. 
W.  267, 21  ist  anticipiert  aus  C.  5424;  umgekehrt  ist  die  be- 
zeichnung  chevalier  verntel  C.  5339  hier  tibergangen,  aber  W. 
276, 21  angewendet.  —  fC.  5328—33  es  wird  ihm  auch  befohlen, 
seine  frau  durch  bad  und  pflege  wider  frisch  und  gesund  zu 
machen,  wozu  er  sich  5363—65  bereit  erklärt.  Bei  W.  tut  er 
dies  aus  eigenem  antrieb  272.  —  C.  5342—46  er  soll  das  aben- 
teuer  bei  hofe  erzählen;  vgl.  5002— 4.J  —  [W.  268,  7— 24.  270, 
2—22  ausbrach  der  gattenliebe.  Die  eidesscene  scheint  erst 
nachträglich  zwischen  diese  beiden  abschnitte  hineingeschoben 
zu  sein.]  —  W.  268, 3—6  t/>  C.  5359—62.  —  W.  271, 18—23  = 
C.  5366— 75.  —  W.  271, 25— 27.  272,4—6  ^  C,  5328—31;  statt 
des  rice  nmnoir  O.'s  setzt  W.  das  poulün,  das  wir  von  der 
ersten  begegnung  her  kennen.  —  W.  272, 1.  4—6.  27.  273, 15 
—25  =  C.  5362—65.  76—79. 

W.  stattet  diese  versöhnungsscene  mit  einer  menge  gemüt- 
voller einzelheiten  aus,  wobei  das  meiste  als  eine  weitere  aus- 
führung  des  Crestien'schen  et  tant  Ii  fist  cCaaiscment  gelten 
kann:  1 271,  27 — 30  das  volk  nimmt  herzlichen  anteil  an  der 
Versöhnung;  die  messenie  niuss  bei  dem  plus  rice  tnanoir  O.'s 


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ZUB  PARZIVALFBAGE 


43 


ja  auch  als  anwesend  gedacht  werden.  272,21  zwölf  schöne 
jungfrauen  besorgen  das  bad.  272,2—3. 20.  273, 12—13  Orilus 
selber  nimmt  ein  bad.   272, 11—18  reflexion  über  die  liebe J. 

5.  Empfang  bei  hofe. 
Hier  treffen  wir  auf  grössere  differenzen:  a)  Artus'  residenz 
befindet  sich  nach  C.  5382  in  Carlion,  von  wo  er  erst  nach 
der  ankunft  des  Orilus  aufbricht.  Nach  W.273, 1—11  scheint 
er  sich  schon  unterwegs  zu  befinden,  aber  nachträglich  erfahren 
wir  erst,  dass  er  von  seinem  hause  in  Karidcel  aufgebrochen 
war  (280,2).  Karid&l  ist  auch  nicht  identisch  mit  Carlion, 
sondern  mit  Carduel  C.  1548.  2031.  Bei  W.  sind  überhaupt 
die  orte  etwas  durcheinander  geraten.  Zur  klarstellung  gebe 
ich  hier  eine  Übersicht  über  die  residenzen  des  Artus  in  den 
einzelnen  abenteuern  bei  W.  und  C: 

1.  P.'s  1.  auftreten:  Nantes  W.  144,8    Carduel  C.  1548.  2031. 
2a.  Kingrun:  Kanninäl  in  Bertäne  206,6 — 9     1  Dinatiron  en  Gates 
b.  Clamide:  Dianazdrun  in  Löver  216,4.7.10  /        3907.  3929 

3.  Orilus  \  (Karidcel  280,2)  ,3.  Carlion  5381. 

4.  P.'s  2.begegnung  \  üf  einem  plan  273,2.  274,28  5533.  5984. 

bidem  Plimizal  ze  tal  273, 10  >  4.  en  une  praerie 

281,  14  I      les  une  f ortest 


Nimmt  man  an,  dass,  wie  ich  s.  16  vermutet  habe,  Nantes 
ein  misverstandnis  aus  .1.  asnes  (C.  2028)  ist,  dann  hat  man 
den  Schlüssel  zu  der  ganzen  Verschiebung  der  namen  bei  W. 
Dass  er  für  Kingrun  noch  einen  besonderen  empfangsort  an- 
setzt, kommt  daher,  dass  er  die  reisen  Kingruns  und  Clamides 
getrennt  schildert  (s.  s.  34).  Das  land  Galcs  konnte  W.  für 
Artus  nicht  gebrauchen,  da  dies  bei  ihm  ja  das  land  P.'s  ist 
(Wals  oder  Wäleis  —  Valois);  statt  dessen  finden  wir  bei  ihm 
Löver*)  und  Bertäne,  wie  es  scheint  promiscue;  diese  dürften 
ihm  wol  als  länder  des  Artus  bekannt  gewesen  sein. 

b)  Die  empfangs-formali täten.  Bei  C.  ist  es  Artus,  der 
die  huldigung  der  besiegten  empfängt,  sie  begnadigt  und  zu 

*)  Von  W.  niisverstanden  nach  Bartsch,  anra.  zu  W.  610, 17. 

*)  Nach  Heinzel  s.  13  identisch  mit  Logres  C.  10007,  dem  geburtsland 
der  Orgelnse,  bei  W.  Lögroys  67, 15.  506,  25.  Noch  mehr  passt  hierher  0. 
7543  /*  roiaumes  de  Logres,  falls  die  stelle  echt  ist 


115, 12  1  5538—39. 

en  Oranie  10258 
(bien  en  ai  la  novele  ole)*) 


5.  Gawans  böte:  Berns  bi  der  Korea  610, 17 


44 


LICHTENSTEIN 


der  von  Keu  geschlagenen  jungfrau  führen  lässt.  "W.  kehrt 
die  scene  in  der  regel  um:  der  besiegte  stellt  sich  als  gefan- 
gener der  Cunneware,  die  ihn  freigibt  und  ihm  gastfreundschaft 
erweist;  dann  begrüsst  er  den  könig  (W.  275, 12— 13.  19—20. 
276,1—11.  278,8—23.  279,11—30).  Das  hängt  mit  der  ver- 
änderten Stellung  der  Cunneware  zusammen,  die  W.  zur  fürstin 
gemacht  hat  (s.  s.  19). 

c)  Cunneware  ist  bei  W.  Orilus'  Schwester  [275, 20  —  276, 
3.27—30;  vgl.  135,14—15.  152,20—23]. 

d)  Die  rolle  der  Jeschute,  der  gattin  des  Orilus.  die  sich 
bei  C.  ganz  passiv  verhält,  gewinnt  in  dem  deutschen  gedieht 
an  bedeutung.  Sie  ist  hier  die  treue  gefährtin  ihres  mannes, 
stets  bereit  ihm  zu  dienen  [W.  274, 24—25.  275, 6],  obwol  sie 
von  königlichem  geschlecht  und  eine  Schwester  Erecs  ist  [277, 
18—29  vgl.  134, 2  ff.] 

e)  W.  setzt  zwischen  Orilus  und  dem  hofe  gespannte  be- 
ziehungen  voraus  [277, 30  —  278, 5,  vgl.  135, 7—13],  ebenso  bei 
Clamide,  s.  s.  34. 

f)  Die  ähnlichkeit  dieser  scene  mit  dem  empfange  Cla- 
mides  veranlasst  W.  von  dort  einige  kleine  züge  zu  entlehnen: 
der  besiegte  erscheint  in  demselben  aufzuge  wie  er  aus  dem 
kämpfe  kam  (274,6—11.  275,2-4  vgl.  217, 21— 27  =  C.  3898 
—3905).  Gawan  und  Jofreit  fiz  Idoel  [dazu  Clamide  u.  a.J  bieten 
ihm  ihre  dienste  an  (277,4—11  vgl.  s.  35);  die  veranlassung  zu 
dieser  anknüpfung  bot  C.  5463  f.  et  puis  desarmer  le  commande; 

et  messire  Gawains  demande  —  Cunneware  hat  die  schuld 

nicht  vergessen  (W.  279,  4—8  vgl.  C.  4074—84,  dort  von  W. 
übergangen).  —  Dagegen  unterdrückt  W.  die  jedesmal  wider- 
holte Prophezeiung  des  toren  [C.  5450 — 54]  und  berührt  nur 
kurz  die  immer  darauf  folgenden  vorwürfe  gegen  Keie  (W.  277, 
1—2  =  C.  5455—59). 

Man  braucht  nur  ein  wenig  W.'s  eigenart  bis  hierher  be- 
obachtet zu  haben,  um  zu  erkennen,  dass  man  alle  diese 
änderungen  ihm  eher  als  irgend  einem  anderen  zutrauen  kann. 
Dasselbe  gilt  wol  auch  von  der  beteiligung  des  volks  beim 
abschied  (s.  o.  bei  der  Versöhnung)  und  von  der  einführung  des 
ritters,  der  den  weg  zu  Artus  weist  [W.  273, 1—11.  274,14 — 
18. 22— 23J.  —  Die  poulün  des  Artus  273, 3.  274, 20  sind  anti- 
eipiert  aus  C.  5527.  —  Schliesslich  nimmt  noch  bei  W.  einen 


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ZUR  PARZIVALFRAGE. 


45 


breiten  räum  die  wappenschilderung  ein,  die  das  motiv  der 
widererkennung  des  Orilus  durch  seine  Schwester  ergibt  [275, 
21.  276, 10.  278, 14—20  vgl.  262, 4—13.  265, 17]. 

W.  274,  13.  19—20.  24—29.  273,  2  =  C.  5380—85.  —  W. 
275, 8. 17—19.  276, 4—8  =  C.  5386—95.  —  [C.  5396— 5410.  5415 
—22  der  könig  heisst  ihn  voll  freude  willkommen  (W.  275, 18) 
und  fordert  ihn  auf  sich  zu  entwaffnen.  Orilus  will  zuvor  die 
königin  mit  ihren  jungfrauen  sehen;  diese  werden  herbeigeholt.] 
—  W.  275, 12—15  =  Q  5411—14. 37—38.  —  W.  276, 11  =  C. 
5462.  —  W.  276, 19—26  (277, 12)  =  C.  5423—29. 39—49.  — 
W.  277, 14—16  vgl.  C.  5430—31.  -  [C.  5432-36  Oril.  erzählt, 
wie  er  seine  frau  behandelt  habe,  vgl.  W.  278, 3 — 5.  —  C.  5450 
—54  widerholte  Prophezeiung  des  toren.]  —  W.  277, 1— 3  = 
C.  5455—59  vorwürfe  gegen  Keie  (bei  C.  vom  könige  aus- 
gehend, wie  früher).  —  W.  278, 21.  277,4—11  <✓>  C.  5463— 64 
(s.o.).  —  W.279,16— 18  =  C.5460— 61.  —  [C.  5464-5510 
auf  Gawans  frage  erzählt  der  könig  ausführlich  P.'s  erstes 
auftreten  bei  hofe,  vgl.  W.  278, 24— 26.  280,11—15.] 

C.  hat  hier  unendlich  viel  widerholungen.  Die  botschaft 
wird  mit  denselben  Worten  vorgetragen,  wie  sie  aufgetragen 
wurde;  dann  folgt  die  Prophezeiung  des  toren  mit  den  vor- 
würfen des  königs  und  schliesslich  die  ganze  lange  erzählung 
des  königs  Artus.  W.  bringt  nicht  nur  abwechslung  in  die 
reden,  er  gibt  auch  der  ganzen  scene  neuen  reiz  durch  das 
schwesterliche  Verhältnis  der  Cunneware  zu  Orilus,  und  wir 
empfangen  den  eindruck  eines  gemütlichen  familienfestes  [vgl. 
Urbach  s.  21). 

Parzivals  zweite  begegnung  mit  dem  hofe. 

W.  buch  6.  C.  5511— 6191. 

1.  Der  aufbrach  des  hofes. 

In  W.'s  gedieht,  wo  sich  der  hof  schon  bei  der  ankunft 
des  Orilus  unterwegs  befindet  (vgl.  s.  43),  werden  hier,  dem 
französischen  text  entsprechend,  die  näheren  umstände  des 
aufbrachs  nachgeholt. 

W.  280,  1—3.  5.  8—10  =?=  C.  5511.  18.  33—34.  —  [C.  5522 
—32.35—37  zurüstungen  zur  abreise;  vgl.  zu  W.273,3  8.44. 
die  königin  mit  allen  frauen  nimmt  teil.]  —  [W.  280, 7  acht 
tage  ist  der  könig  unterwegs.]  —  W.  280, 19  —  281, 9  ^  C.  5512 


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46 


LICHTENSTE  FN 


—21  gelübde:  bei  C.  gelobt  Artus,  nicht  zwei  nächte  nach- 
einander in  einer  kammer  zu  liegen,  bevor  er  P.  gefunden 
hat;  die  ritter  fügen  sich;  —  bei  W.  lässt  Artus  die  ritter 
geloben,  sich  in  keinen  kämpf  ohne  seine  besondere  erlaubnis 
einzulassen;  dies  ist  anticipiert  aus  C.  5728— 34. 

2.  Die  drei  blutstropfen. 

W.  281, 12—13.  282, 4—6.  9.  11  —  0,  5540=48.  —  W.  282, 
13—21  =  C.  5549—60.  64—66.  —  W.  282, 23—29.  283,  5—9. 
16—23  ^  C.  5572—90.  92. 

Unterschiede:  bei  C.  ist  P.  aufgestanden,  um  abenteuer 
zu  suchen,  bei  W.  hat  er  die  nacht  im  freien  zugebracht. 
Bei  C.  sind  die  gänse  durch  den  schnee  geblendet,  bei  W.  hat 
der  falke  durch  den  schnee  den  weg  verloren.  Sein  erscheinen 
wird  bei  W.  begründet  und  an  das  vorhergehende  angeknüpft ; 
zugleich  dient  er  mit  seinem  nächtlichen  verweilen  als  folie 
zuP.  [281,23  —  282,3.12].  —  Bei  C.  lässt  der  falke  von  dem 
kämpfe  ab,  weil  er  zu  matt  ist;  bei  W.  findet  die  verfolgte 
unter  einem  gefällten  baumstamm  Unterschlupf,  sie  ist  zum 
hochfliegen  nicht  mehr  fähig.  —  Bei  W.  wird  P.  durch  die 
drei  blutstropfen  auf  dem  schnee  nicht  nur  an  die  färben  in 
dem  gesiebt  seiner  gattin,  sondern  auch  an  die  formen  des- 
selben erinnert  [283, 10— 13J.  —  [W.  281, 14—22  literarischer 
seitenhieb.J 

Im  übrigen  zeigt  sich  engster  anschluss  und  namentlich 
gegen  den  schluss  wörtliche  Übereinstimmung,  z.  b. 


3.  Kampf  mit  Segramors. 
W.  283,  24—29  =  C.  5591—92  (bei  0.  mehrere  knappen, 
bei  W.  der  knappe  der  Cunneware).  —  W.285, 11— 13.  284,4. 
285, 2—10  =  C.  5594—99  (die  kurze  Charakteristik  des  Segra- 
mors ist  bei  W.  anschaulich  ausgeführt,  wobei  auf  den  Rhein 
bezug  genommen  wird).  —  W.  284, 8 — 22  waffenruf  des  knap- 
pen, vgl.  407, 13  ff.;  als  zeichen  der  heransf orderung  gilt  es, 
die  lagerschnüre  zu  durchreiten  (284,22)  und  mit  aufgerich- 
tetem Speer  zu  rosse  in  der  nähe  des  lagere  zu  halten.  Diese 


W.  283,10 


C. 55S0 


Bus  begnnder  sich  verdenken, 
nnz  daz  er  unversunnen  hielt. 


si  pensa  tant  que  il  s'oblie. 


23 

sus  hielt  er  als  er  sliefe. 


93 

si  quidoient  qu'il  soinellast. 


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ZUR  PARZTVAL  FRAGE. 


47 


offenbar  aus  den  ritterlichen  anschauungen  der  zeit  genom- 
menen zutaten  W.'s  bedingen  weitere  änderungen,  insofern  es 
sich  nun  bei  den  tafeirunden  von  vornherein  um  kämpf  han- 
delt, während  nach  C.  Parz.  nur  an  den  hof  gebracht  werden 
soll.  Nur  einmal  294,  5  hat  W.  verabsäumt,  diese  änderung 
durchzuführen.] 

W.  284, 24—27.  1—3  =  C.  5600—5  (bei  C.  ist  Segramors 
der  fragende,  bei  W.  viele  ritter;  bei  C.  kurze  wechselrede, 
bei  W.  indirecte  und  erzählende  form).  —  W.  285, 14 — 15.  19. 
29  =  C.  5608— 11  (bei  W.  ist  die  königin  Gynover  mit  herein- 
gezogen). —  [W.  285, 16—18.  20  spasshaftes  intermezzo.  — 
286, 1—14  als  neues  niotiv  für  sein  verbot  führt  Artus  die 
nähe  der  gralburg  an.  Dieser  zusatz  ist  nicht  ganz  gerecht- 
fertigt: denn  woher  konnte  Artus  wissen,  dass  die  gralburg 
in  der  nähe  sei?  —  285,21—27.30.  286,15—22  auf  die  für- 
sprache  der  königin,  seiner  verwanten,  erhält  Segramors  die 
erlaubnis  zum  kämpfe.]  [C.  5612—14  der  könig  befiehlt  Se- 
gramors und  bittet  ihn  zugleich,  den  ritter  an  den  hof  zu 
führen.] 

W.  286, 23—26.  287. 5—6  =  C.  5615—21.  —  [W.  286, 27— 
287,  4  humoristische  Schilderung.  —  287,  11 — 18  persönliche 
bemerkung  des  dichters  über  die  minne.]  —  W.  287, 7 — 10.  25. 
28  —  288, 3  =  C.  5622—31  (C.  geht  von  der  aufforderung,  an 
den  hof  zu  kommen,  aus,  W.  von  dem  Vorwurf  der  beschim- 
pfung  des  königs,  s.  o.).  —  W.  288,  5—6  =  C.  5632—35.  — 
W.  288,  7—9.  14—16.  20—26  =  C.  5638—46  (bei  C.  wird  P. 
durch  einen  anruf  des  Segramors  wider  zum  bewusstsein  ge- 
bracht, bei  W.  durch  eine  instinctive  Wendung  seines  pferdes, 
welche  die  blutstropfen  seinen  blicken  entzieht).  —  [W.  288, 
17—19  s.  zu  271,  10—13  s.  41.]  —  W.  289,  3—4.  13—14.  20. 
290, 3—5  =  C.  5647—55  (W.  289,  14  daz  si  Parzivälen  sähen 
vielleicht  falsche  deutung  von  C.  5649  et  eil  le  voient). 

[W.  288, 27  —  289, 2.  289, 5  —  290, 2  P.  beginnt  wider  auf 
die  blutstropfen  zu  starren,  während  Segramors  zu  seinen  ge- 
nossen zurückkehrt,  wo  er  seinem  ärger  luft  macht.  C.  schweigt 
darüber,  was  die  beiden  kämpfer  nachher  tun;  indessen  die 
analogie  des  zweiten  kampfes  (C.  5706 — 7)  und,  mit  bezug  auf 
Segramors,  die  worte  Keies  (C.  5655  vee's  com  Saigremors  re- 
vient)  können  recht  wol  die  veranlassung  zu  dieser  erweiterung 


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48 


LICHT  ENSTE  IN 


geboten  haben,  die  übrigens  durchaus  in  Wolframs  stile  scher- 
zender reflexion  gehalten  und  mit  heimischen  reminiscenzen 
geschmückt  ist:  289,  17  =  Veldeke,MSF.  66,  16;  ferner  289, 24 
vgl.  Winsb.  20, 9.] 

4.  Kampf  mit  Keie. 

W.  nimmt  offen  Keie  in  schütz  (besonders  296,13 — 297,30), 
er  bemüht  sich,  ihn  von  jedem  Vorwurf  freizumachen  (W.  290, 3 
Keye  der  küene  man  :  C.  5652  Kex  qui  onques  ne  se  pot  tenir 
de  felonnie  dire,  vgl.  auch  s.  19. 21. 44);  und  aus  diesem  gründe 
übernimmt  er  den  spott  gegen  Segramors  auf  eigene  rechnung 
(W.  289, 5— 12  :  C.  5655— 57). 

W.  290,  8—22  =  C.  5660—66  Keie  erhält  die  erlaubnis 
zum  kämpfe  (bei  C.  den  auf  trag,  den  ritter  herbeizubringen, 
vgl.  unter  no.  3).  —  W.  290,  23—28.  293, 19—21  ==  C.  5667—71 
(vgl.  besondere  290,  28  ez  ist  siinde,  swer  im  mer  nu  tuot  : 
C.  5671  il  n'avoit  d'autre  cose  soing). 

[W.  291, 1  —  293, 13  umfangreiche  abschweifung  über  die 
macht  der  minne,  mit  beziehung  auf  Heinr.  v.  Veldeke;  vgl. 
289,16—17;  ferner  283, 18— 19.  287,11—18.  288,30.  290,29— 
30.  293, 24—27.  294, 9.  21—30.  296, 5—12.  300, 14—19;  aus  C. 
stimmt  hierzu  6249— 52.J 

W.  293, 28  —  294, 8  =  C.  5672-75.  -  fW.  294, 10—20.  295, 
1—9  selbst  ein  schlag  von  Keies  lanzenschaft  rüttelt  P.  nicht 
aus  seiner  erstarrung  auf;  erst  die  wendung  seines  rosses  zieht 
seinen  blick  von  den  blutstropfen  ab,  vgl.  den  vorigen  kämpf.] 
—  W.  295, 1—2.  10—30  =  C.  5676—97  W.  hat  in  diesen  kämpf 
einige  abwechslung  hineingebracht,  z.  b.  wird  das  ross  des  geg- 
ners  getötet,  während  es  bei  C.  wie  im  vorigen  kämpfe  ledig 
ins  lager  zurückläuft.  Die  Verwundung  Keies  ist  vermehr^ 
indem  zu  dem  gebrochenen  rechten  arm  noch  das  linke  bein 
gefügt  wird.  Hat  vielleicht  das  wort  canole  C.  5688  hierzu 
veranlassung  gegeben?  —  Von  den  Übereinstimmungen  sind 
charakteristisch:  W.  295,  19  übern  ronen  <s-  C  5687  sor  une 
roce.  W.  295,  28  sus  galt  zwei  bliwen  der  gast  =  C.  5692  si 
com  Ii  sos  le  devina. 

W.  296, 1—4  =  C.  5706—7.  —  W.  298, 2—5  =  C.  5700—5. 
5723.  —  [W.  296, 13  —  297, 30  ehrenrettung  Keies  mit  hinweis 
auf  die  zustände  am  thüringischen  hofe.]  —  [C.5708— 22. 24—26 
der  könig  ist  sehr  betrübt  über  das  Unglück  seines  seneschalls, 


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ZUR  PARZIVATjPKAGE. 


40 


den  er  liebt,  und  schickt  ihm  seinen  arzt  und  zwei  jungfrauen 
aus  der  schule  desselben;  zu  vgl.  W.  575, 1  —  576, 19.] 

5.  Gawan  führt  P.  an  den  hof. 
W.  298,  6.  8  =  C.  5727  (C.  5728—34  ist  bei  W.  vorweg- 
genommen 280,  20—25  s.  s.  46.  —  C.  5738—41  ist  später  an- 
gebracht W.  301, 21—25,  ebenso  0. 5742—47   -  W.  300, 9—10). 

—  W.  298,  9—11  C.  5735—37  (bei  W.  beklagt  Gaw.  den 
Keie  und  nennt  ihn  seinen  freund,  vgl.  0.  5787  biaus  dos  amis). 

—  W.  298,  12—28  bs  C.  5748—49.  59—63.  72—79  (gegen  die 
redefertigkeit  Gawans).  —  W.  298,  29  ^  C.  5764—67.  77.  — 
W.  298, 30  —  299, 2  C.  5750—51.  —  W.  299, 3—12  =  C.  5752 
— 58.  68—71  Vorwurf  der  feigheit,  bei  beiden  dichtern  eigen- 
artig ausgeführt;  vgl. 


W.  299,  13  der  wol  gelobte  man  und  299,  16  wol  gezogne 
man  —  C.  5797  eil  ki  de  toutes  les  bontes  a  los  et  pris.  — 
W.  299, 20—26  —  0.  5782—87.  —  [0.  5791—95  der  könig  lobt 
Gawans  entschlaft,  aber  er  solle  alle  warfen  mitnehmen.]  — 
W.  299, 27—30  =  C.  5796—99  [bei  W.  reitet  er  ohne  schwert 
und  sporen  aus]. 

W.  300, 1-2. 6— 8  g  C.  5800— 3.  5810—12.  —  W.300,9 
—10  =  0. 5742—47.  —  [C.  5804—9  da  bereits  zwei  tropfen 
und  auch  der  dritte  schon  zum  teil  von  der  sonne  aufgetrocknet 
sind,  ist  P.  nicht  mehr  so  sehr  in  sein  nachdenken  verloren. 
W.  verschmäht  dieses  einfache  und  natürliche  motiv  und  wählt, 
wie  in  den  beiden  vorhergehenden  fällen  ein  stärkeres  mittel, 
um  P.  seinen  träumen  zu  entreissen:  Gawan  breitet  ein  sei- 
denes tuch  über  die  drei  tropfen  301, 28—30,  vgl.  C.  5768—69.] 
—  W.  300, 11— 12.  301,1—3  =  C.  5813— 19. 

[W.  300,  12—30.  301,  5—19  P.  antwortet  weder  auf  den 
gruss,  noch  auf  die  sanfte  drohung,  noch  auf  die  bitte  Gawans. 
Echt  wolframisch  sind  darin  die  beiden  digressionen  über  die 
minne  (300,  14—19.  301,  3—25,  vgl.  s.  48),  wovon  die  zweite 
auf  ein  uns  unbekanntes  abenteuer  aus  Gawans  leben  anspielt. 
Die  ganze  erweiterung  lehnt  sich  an  stellen  aus  C.  an:  W.  301, 

Beiträge  aar  geschieht«  der  deutschen  «pr»che.    XXII.  4 


W.  299,  3 
och  enist  hie  ninder  fronwen  här 

5 


C.  5708 

ciertes,  en  .1.  bliaut  de  soie 


ez  eiiwjere  doch  ein  veate  baut 
ze  wem  strites  inwer  haut. 


pories  eeste  besongne  faire 
(vgl.  W.  301,28-29). 


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50 


UCHTENSTEtN 


1—3  =  C.  5816—19  s.  o.;  W.  301,  21—25  =  0.  5738—41  s. 
s.  49.] 

W.  302,  1—30.  305, 1—6  =  C.  5808—9.  20—34  W.'s  dar- 
stellungsweise ist  hier  durchaus  frei  und  originell.  Nach  ihm 
erfährt  P.  auf  seine  fragen  erst  durch  Gawan  von  den  vorauf- 
gegangenen kämpfen,  während  er  bei  C.  eine  erinnerung  davon 
hat.  —  W.  303, 1—4  ir.  C.  5835—37.  —  W.  303, 5—10  ^  C. 
5840—43.  —  W.  303, 14. 25—28  =  C.  5860—64  bei  C.  fragt 
Gawan  zuerst  P.  nach  seinem  namen,  nachdem  er  in  ihm  den 
vom  könige  gesuchten  erkannt  hat  5856—59,  dazu  vgl.  W. 
308,24—25.  Eine  weitere  parallele  bietet  eine  spätere  stelle 
O/s  (1.  Gawan -episode),  die  hier  offenbar  von  W.  anticipiert 
worden  ist: 


Gawan  mich  die  nennent. 

W.  304, 1—7.  303,  29  —  C.  5865—73.  77—78.  —  fW.  303, 
15—24  Gaw.  nennt  Artus  seinen  herrn  und  Lot  seinen  vater.| 
—  W.  304, 8— 21  £  C.5844— 55.  -  [W.  304, 22— 24  Gawan 
zeigt  P.  die  spuren  des  kämpfe*.]  —  W.  804, 30  j£  C.  5874—76. 
(C.  5877—78  s.  o.,  desgl.  W.  305, 1—6.)  —  [C.  5879—91  sie  um- 
armen sich  und  lösen  ihre  helme.  Knappen  bringen  die  nach- 
richt  zum  könige,  vgl.  W.  307, 17— 18.] 

6.  Empfang. 

W.  305, 9—12  0. 5892—94.  —  [C.  5895—5911  Keu  spottet 
über  den  sieg  ohne  Schwertstreich.]  —  W.  305, 13.  24.  (306, 10 
—11)  306,24—25.29  =  C.  5912— 21  (bei  W.  empfängt  P.  die 
kleider  von  Cunneware  statt  von  Gawan,  er  hat  daher  auch 
aus  dem  cambrelen  eine  juncfrotre  gemacht). 

Der  empfang  durch  Cunneware  geht  dem  durch  den  könig 
voraus,  bei  C.  ist  es  umgekehrt,  vgl.  s.  44.  —  W.  305, 14. 16— 
18.26-  306,4  C.  5974— 80  (bei  W.  dankt  Cunneware  ihm 
für  die  geleisteten  dienste,  bei  C.  für  das  anerbieten,  ihr  ritter 
sein  zu  wollen).  —  Zusätze:  die  erwähnung  ihres  bruders  und 
seiner  gattin  Jeschute,  wodurch  das  ganze  ein  familiäres  ge- 
präge  erhält  [305, 19—20];  der  kuss  [306, 5—9];  die  vertraulich 
gemütlichen  zurüstungen,  die  kostbaren  Stoffe  [306,  12-20. 


W.  303, 25 


C. 0099 


min  nam  ist  oucli  vil  unverholn, 
an  allen  steten  unverstoln: 
linte  die  mich  erkennent, 


sire,  (ranwains  sni  apieles; 
onqnes  mes  iioms  ne  fu  eeles 
en  liu  on  il  nie  fust  reqnis. 


ZUR  PARZIVALFRAGF. 


51 


306, 30  —  307, 6];  das  lob  der  Schönheit  des  helden  und  das 
waschen  [305, 22—23.  306, 23—28.  3u7,  7—12]. 

[W.  307, 13 — 30  der  könig  hat  so  lange  die  messe  gehört 
und  kommt  nun  mit  den  tafelrundern  in  Gawans  zeit,  um  P. 
zu  begrtissen.  Antanor  springt  ihm  vor  und  frohlockt  über 
Keies  demütigung;  dem  entspricht  C.  5948—53.]  [0. 5922—32. 
36 — 40  Gawan  kommt  hand  in  hand  mit  P.  zum  zeit  des  königs 
und  stellt  ihn  als  den  gesuchten  vor.  Auf  befragen  des  königs 
nennt  P.  seinen  namen,  wie  schon  einmal  Gawan  gegenüber 
5860  f.,  s.  s.  50.] 

W.  308,  4-15.  23-29  -  C.  5933-35.  41-56.  —  W.309, 
3—11  Artus'  gewohnheit,  nicht  eher  zu  speisen,  als  bis  sich 
ein  abenteuer  dem  hofe  naht,  ist  aus  C.  4000 — 4  hierher  ver- 
setzt. —  fW.  309, 12—30  einrichtung  der  tafeirunde  s.  u.]  — 
W.  310, 1-2.  8—12  =  C.  5957.  60.  62—64  (bei  W.  führt  Artus 
Parzival  und  Cunneware  an  der  hand,  bei  C.  befindet  diese 
sich  in  der  begleitung  der  königin). 

C.  5965—73  P.  und  die  königin  tauschen  höflichkeiten  und 
complimente  aus.  W.  310,  13 — 26  liefert  dazu  ein  witziges 
gegenstück.  Wie  vorher  (281,  16)  ArttU  der  meienbwre  man 
ihn  zur  satire  gereizt  hatte,  so  travestiert  er  hier  la  plus 
bele,  la  mellor  de  toutes  dames  qui  soient  durch  die  einlad ung 
des  königs  an  Parzival  ich  teil  iweren  clären  Up  lasen  küssen 
min  altes  wip. 

[W.  310, 27  —  311, 3  die  königin  verzeiht  ihm  den  tod  Ithers.] 
—  W.  311,  4—30.  309,  15—16  —  0.  5981—83.  86—88  fest  zu 
ehren  P.'s,  im  einzelnen  ganz  verschieden  geschildert;  bei  W. 
langer  excurs  über  die  Schönheit  des  helden.  —  Jöfreit  ßs  Id(rl 
aus  0. 6099,  vgl.  s.  35.  —  C.  5984—85  rückkehr  nach  Carlion 
s.  W.  336, 6. 

7.  Die  gralbotin. 

Die  Schilderung  der  hässlichkeit  zeigt  ebenso  viele  wört- 
liche anlehnungen  wie  freiheiten.  Einige  der  schlimmsten 
züge  hat  W.  unterdrückt  [C.  6009—15.  2—3],  und  er  entschul- 
digt sich  noch  hinterher  wegen  dessen  was  ihn  die  Wahrheits- 
liebe zu  berichten  gezwungen  habe  [313, 26—28].  Seine  zusatze 
andrerseits  sind  geeignet,  diese  hässliche  person  etwas  zu  heben 
[312, 9  —  313, 13  ausrtistung  ihres  maultieres;  kenntnisse,  name 
und  kostbare  kleidung  der  jungfrau];  so  auch  die  erste  ein- 

4* 


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52 


LIECHTENSTEIN 


führung  ein  rnagt  gein  triwen  wol  geborn  und  am  schluss  ihr 
mitgefühl  318,  5  ff.  27  und  die  bezeichnung  diu  unsüeze  und 
doch  diu  ßere  319,2. 

W.  312,  1—8  ^  C.  5988—90  (ein  mül  val  =  une  fauve 
mule).  —  W.  312, 15.  313,1—3  —  0.  5994— 97.  6018—19.  — 
W.  313, 17  —  314,  9  =  (\  5991—6008  (ein  zopf  swarz  = 
tresces  trestoutes  noires;  genaset  als  ein  hunt  ^~  ses  nes  fu  de 
singe  u  de  cat;  ztven  ebers  zene  =  ses  levres  d'asne  u  de  bueft 
si  dent  sambloient  mioel  d'uef;  gevar  als  eines  äffen  hüt  truoc 
hende  diz  gaibe  trat,  die  nagele  wären  niht  ze  lieht  —  ains  ne 
ve'istes  si  noir  fer  come  ele  ot  les  mains  et  le  cor;  ein  geisel 
fuorte  sc  in  der  haut  —  tint  en  sa  main  destrc  une  escorgie). 

W.  313,  20.  24—25  scheint  der  Schilderung  des  hässliehen 
knappen  der  Orgeluse  entlehnt  zu  sein  (sie  sind  bei  W.  ge- 
schwister): 

W.  313, 19  ('.8350 
(zopf)  swarz,  herte  und  niht  ze  dar,     les  kevians  ot  iuelles  et  rous, 
linde  als  eins  swines  rilekehar.     roides  et  contremont  drecies 
24 

iet weder  wintpra  sich  dranc  come  pors  qni  est  hirecies; 

mit  züpfen  für  die  harsnnor.  et  les  sourcius  ot  antrete» 

vgl.  auch  313,  18.23.  que  tout  le  vis  et  tont  le  nes 

Ii  couroient  jusques  gernons, 
qu'il  les  avoit  torncs  et  Ions. 

W.  314,  11—13  =  C.  6016—17.  —  [W.  314,  14—18  grup- 
pierung  der  speisenden;  die  königin  von  Janfuse  s.  s.  54.]  — 
fW.  314, 23  -  315, 19  Oundrie  versagt  Artus  und  der  tafeirunde 
den  gruss,  weil  dieselbe  durch  P.  entehrt  sei.  Nach  C.  6020 
— 22  grüsst  sie  den  könig  und  seine  barone,  nur  P.  nicht.] 

W.  315, 20  —  316, 28  =  C.  6026—47.  —  Die  parallele  wird 
ergänzt  durch  die  Trevrezent-scene  W.'s,  wo  ähnliche  aufklä- 
rungen  Uber  den  gral  erfolgen.  W.  483,  22—23.  484, 3—8  = 
C.  6049 — 52  (ern  sol  ab  niemer  künec  wesen  darf  vielleicht  er- 
klärt werden  durch  übersehen  von  C.  6051  und  misverständ- 
liche  auffassung  von  C.  6054  del  rot  qui  tiere  ne  tenra).  — 
[C.  6053—61  unheilvolle  folgen  der  unterlassenen  frage.]  — 
[W.  317, 3-10  Feirenz.]  -  W.  317, 22  -  318, 4,  s.  s.  7. 

W.  318, 11-24  ^  C.  6062-82.  -  [C.  6083-92  es  gilt,  eine 
jungfrau  auf  Montesclaire  zu  befreien  und  das  schwert  as  es- 
tranges  ranges  zu  gewinnen.   Das  ist  offenbar  ein  besonderes 


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ZUR  PARZIVA I.FRAGE. 


53 


abenteuer,  von  dem  auf  Castel  Orguellos  verschieden,  aber  es 
wird  bei  C.  nicht  fortgesetzt,  und  daher  ist  es  vermutlich  von 
W.  übergangen  worden;  aber  die  Übergangszeilen  6079—82 
verwendet  er  mit  bezug  auf  das  erste  abenteuer.] 


Den  namen  Castel  Orguellos  C.  6067.  6101  verwandelt  W. 
in  Schastel  marveil  318, 19  und  nennt  auch  das  land  Terre  mar- 
veile  557,6  wegen  des  Lit  marveile  557,7  =  C.9179  Uz  de  la 
merveille;  das  ist  bewusste  angleichung.  —  Die  insassen  des 
Schlosses  sind  nach  W.  vier  kimiginnen  und  400  juugfrauen, 
nach  C.  570  ritter,  von  denen  jeder  seine  geliebte  bei  sich  hat; 
aber  nach  C.  8890  ff.  sind  drei  königliche  frauen,  gegen  500 
knappen  und  eine  menge  frauen,  alte  und  junge,  dort;  vgl.  auch 
C.  8603  ff.  9092  f.  W.  534, 27  ff.  600, 15. 

W.  318, 25—26.  319, 19  f.  =  C.  6093—95.  —  [W.  318, 5—10. 
318,27  —  319,18  mitgefühl  Cundriens,  des  dichtere  und  der 
anwesenden.] 

Nach  C.  erklären  sich  sofort  Gawan,  Perceval  und  eine 
grosse  anzahl  ritter  bereit  aufzubrechen.  W.  hat  alles,  was 
mit  dem  aufbrach  zusammenhängt,  ans  ende  des  buches  ver- 
schoben: doch  wol  in  bewusster  künstlerischer  absieht. 

8.  Kingrimursel. 
Kingrimursel  (C.  Guigambresil,  Berner  hs.  Gninguebresil) 
fordert  Gawan  zum  Zweikampf  auf  den  vierzigsten  tag  (ains 
le  cief  d'ane  quarantainc  6168)  vor  dem  könig  von  Ascalun 
(le  roi  de  Cavalon  6169,  d'Escavalon  6694,  vgl.  Hartm.  Iwein 
2274  kiince  Ascalön)  in  der  hauptstadt  Schanpfanzun  (nach 
Bartsch  aus  tans  et  raison  O.  7100  entstellt).  Kingr.  ist  dem 
hofe  bekannt  (W.  325, 3—4),  aber  er  selbst  scheint  Artus  und 
Gawan  nicht  zu  kennen,  da  er  sie  sich  zeigen  lässt  [320,  14 
— 16];  C.  6133  sagt  ausdrücklich  Guigambresil  le  roi  conut.  — 
Im  übrigen  schliesst  sich  W.  eng  an  C.  an,  aber  sein  stil  wird 
weitläufiger;  der  ausdruck  der  gefühle  und  der  teilnähme  der 
anwesenden  nimmt  einen  breiten  räum  ein  [319, 28  —  320,  8. 
320, 29—321, 4.  321, 23—322, 30.  325,  5—16],  [W.  320, 10—13 


W.  318,20 


C.  6079 


al  äventinre  ist  ein  wint, 
wan  die  man  da  bezalen  mar, 
hoher  minne  wert  bejae. 


mais  ki  vorroit  le  pris  avoir 
de  tont  le  mont.  je  qnic  savoir 
le  lin  et  la  piece  de  terre 
u  on  le  poroit  mius  conquerre. 


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54 


LICHT KNSTEIN 


deutsche  rechtsform  der  gerichtlichen  anklage,  s.  Grimm,  RA. 
878.  —  W.  324, 11  — 18  verwantschaft  zwischen  Kingr.  und 
seinem  könige.] 

W.  319, 20—27.  320, 9  =  G.  6125—32  (die  wappenschilde- 
rung  übergeht  hier  W.,  während  er  sonst  eine  Vorliebe  dafür 
hat).  —  W.  320, 20—27.  321, 5  =  C.  6134  -35.  —  W.  321, 8—15 
=  C.  6136— 43.  —  W.  321, 16— 22  ^  C.  6166— 71.  —  W.323, 
1—23  =  C.  6146—52  (für  Ägrerains  setzt  W.  Beäcurs,  behält 
aber  die  apposition  der  stolze  man  —  Ii  orgueüeus  bei;  ferner: 
der  spranc  üf,  sprach  zehant  =  a  son  frere  saut  e  Je  tire  et 
si  Ii  dist  Bei  W.  wendet  er  sich  zuerst  an  Kingr.  und  dann 
an  seinen  bruder).  —  W.  323,  24— 30  ==  C.  6153— 65.  —  [W. 
324,  1—10  Kingr.  weist  ebenfalls  das  anerbieten  des  Beacurs 
zurück.  J  —  \V.  324,  25— 28  freies  geleit,  antieipiert  aus  C. 
7516—22 : 

'ouch  gib  iTm  vride  über  al  daz  lau t,  'sire  (»anwain,  sire  (Jauwain, 
niwan  von  min  eines  hant:  je  vos  avoie  en  eonduit  pris, 

mit  triwen  ich  vride  geheize  mais  taut  i  a  que  je  vos  dis, 

üzerhalp  des  kämpfe»  kreize.'  que  ja  si  hardis  ne  fussies 

que  vons  el  castiel  entrissies 
n  eu  tite  que  mesire  etist, 
se  destorner  vos  en  pleüst.' 

9.  Die  abreise. 
Hierher  zieht  W.  auch  das  Zwischenstück  C,  6096—6125 
(s.  s.  53).  Auch  sonst  ist  die  scene  ziemlich  frei  umgestaltet 
und  erweitert.  Die  abreise  P.'s  und  der  übrigen  vergisst  C. 
ausdrücklich  zu  erwähnen;  nur  Gawans  auszug  wird  genau 
beschrieben.  W.  macht  die  Versäumnis  gut,  indem  er  einen 
weitschweifigen  bericht  mit  vielen  fremdartigen  Zusätzen  ein- 
schiebt: [W.  325, 17— 326. 8.  326,15—329,24.  330,1  —  331,10. 
332, 1  —  333, 30.  334, 9—30.  336, 1—4.  7-  30.  337  nacht  rag  zu 
der  erzählung  der  gralbotin  über  P.'s  eitern.  Die  heidin  Ekuba 
von  Janfuse,  deren  auftreten  durch  nichts  motiviert  ist,  be- 
richtet über  Feirefiz.  der  grieche  Clias  über  die  vier  königinnen 
auf  dem  wunderschiosse.1)  Jedermann  beeilt  sich,  P.  zu  trösten 

')  Diese  einflieknng  ist  ungeschickt  und  mit  dem  übrigen  schlecht 
verbunden  (vgl.  Heinzel  s.  40).  Man  muss  annehmen,  dass  Artus  und  der 
ganze  hof  die  namen  Amive,  Sangive  etc.  gänzlich  Überhören,  denn  sonst 
mussten  sie  doch  sofort  wissen,  um  wen  es  sich  handele,  und  später  072,  1  ft". 
könnte  Artus  nicht  in  Unkenntnis  über  die  namen  sein. 


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ZUR  PARZIVALFRAGE. 


55 


(s.  u.),  dessen  hochstrebender  geist  jede  hilfe,  auch  die  gottes 
zurückweist.  Die  geschiente  Clamides  und  Cunnewares  wird 
durch  eine  heirat  zum  abschluss  gebracht.  Nach  der  all- 
gemeinen abreise  rechtfertigt  sich  der  dichter  den  frauen 
gegenüber  in  einem  epilog  337;  vgl.  313,  26—28.  334,  10. 
26—30]. 

W.325, 1— 2  =  0.6175.  —  W.  326, 5— 14  =  C.  6184— 90 
grosse  trauer  bei  hofe:  nach  C.  um  Gawan,  nach  W.  um  Parz. 
und  Gaw.;  vgl.  auch  W.  327, 21— 30.  331,1—10.  335,4—9.  — 
W.  329,  25—30  :  C.  6105—18.  —  W.  331,  11—30  Artus  und 
Gawan  bieten  P.  hilfe  an,  vielleicht  aus  0.  6096:  et  mesire 
Gautcains  saut  sus  et  dist  que  son  pooir  fera  de  Ii  secorre. 
Das  Ii,  das  sich  bei  C.  auf  das  fräulein  von  Montesclaire  be- 
zieht, könnte  von  W.  falsch  bezogen  worden  sein.  —  C.  6099 
Giftes,  Ii  fiusDo  s.  zu  W.  31 1,6  s.  51  und  s.  35.  —  C.  6103  Ca- 
hadins  vgl.  W.  351,  12  Kaheti,  Kahadi,  Ortsname;  386,  6  die 
Kahetinc,  Kahadme.  —  W.  334, 1—7. 23  =  C.  6100  f.  6119—24. 
—  W.  335, 1—3.  10—21  ^0.6176—83  Gawan  rüstet  sich,  er 
nimmt  mit:  3  (2)  schilde,  7  (7)  rosse,  12  speere  (7  knappen).1) 
Nach  W.  335,  19  nimmt  er  die  Speere  ze  sinen  friwenden; 
Bartsch  erklärt  'als  seine  freunde  und  begleiter';  richtiger 
wol  'von  seinen  freunden'  (wie  384,  29  f.  465,  28);  W.  355,  26 
—29  Artus  gibt  ihm  reiche  geschenke  mit;  vgl.  C.  6188:  que 
hon  eheval  et  hone  lance  et  hon  ebne  et  hone  espee  ot  present 
a  tut,  mais  lui  ne  plot  quil  emportast  rien  del  autrui,  was  die 
prosa  von  1530  übersetzt:  lesquelles  choses  lui  furent  plusieurs 
foys  presentees  par  ses  amys  chevalliers. 

W.336,5  vgl.  <\  5984  Artus  kehrt  nach  Karido?l  (Carlion) 
zurück  (bei  C.  unmittelbar  nach  P.'s  empfang);  vgl.  s.  43. 

In  dem  epilog  337  führt  W.  zum  beweise  dafür,  er  Kunde 
tviben  sprechen  baz,  an:  1)  die  königin  Belakane  mit  ihrer 
treue  gegen  den  toten  geliebten;  2)  froun  Herzeloyden  troum\ 
3)  froun  Ginovercn  llaye  an  Ithcres  endetage;  4)  seine  anteil- 
nahme  an  der  trauer  Jeschutens  und  5)  an  der  Züchtigung  Cun- 
newarens  und  seine  genugtuung  über  die  herstellung  der  ehre 
beider.    Von  diesen  punkten  sind  2—5  sicher  W.'s  freie  zutaten 


>)  Die  eingeklammerten  zahlen  sind  die  (Ys.  Die  knappen  erwähnt 
W.  352,  27  ff.        29  ff.  429,  3  ff. 


56 


LICHTENSTEIN 


(zu  3  s.  s.  21 ;  zu  4  s.  39  und  W.  137, 20—30.  257, 20—30.  260, 
8—11;  zu  5  s.33  und  44  und  \V.  158,  27  ff.  198,  30  f.  206,  15. 
215,9.  276,13).  Es  wird  dadurch  im  höchsten  grade  wahr- 
scheinlich, dass  auch  die  figur  Belakanens  ebenso  zu  beurteilen 
ist,  dass  also  W.  sich  zu  seiner  rechtfertigung  nur  auf  Schöpf- 
ungen seines  geistes  beruft. 

3.  Ergebnisse  der  vergleichung: 
das  Verhältnis  zwischen  Wolfram  und  Crestien. 

Aus  der  vergleichung,  die  wir  bis  zu  dem  einsetzen  der 
ersten  Gawan-episode  geführt  haben,  ergibt  sich  zur  genüge, 
dass  die  abhängigkeit  W.'s  von  C.  erheblich  grösser  ist,  als 
man  bisher  annahm.  Für  vieles,  was  man  als  ab  weichungen 
ansah,  findet  man  bei  widerholtem  vergleichen  die  Vorbilder 
bei  C.  Von  solchen  hier  besprochenen  punkten  hebe  ich  her- 
vor: P.'s  vater  (s.  7),  P.'s  brüder  bez.  Gurnemanz'  söhne  (s.  25), 
P.'s  kosename  und  seine  erkennung  durch  Sigune  (s.  8. 37),  den 
vergleich  mit  den  kammerfrauen  123,28  (s.  11),  die  bezeichnung 
torenkleider  (s.  12),  die  warnung  der  mutter  vor  dunklen  fürten 
(s.  14),  die  belehrung  bei  Gurnemanz  über  das  verhalten  gegen 
frauen  (s.  24);  die  stummheit  des  toren  und  seine  erste  rede 
bei  W.  153, 1  (s.  19),  Keies  stab  und  die  zöpfe  der  Cunneware 
(s.  19),  die  laube  im  palast  des  Artus  (s.  20),  die  polemik  gegen 
die  frauen  201, 22  (s.  30),  P.'s  heirat  (s.  30),  Gawan  und  Jofreit 
fiz  Idu?l  (s.  35),  P.'s  widererkennung  durch  .Teschute  (s.  39),  P.'s 
eid,  Taurians  speer  (s.  41),  Artus1  residenzen  (s.  43),  sein  verbot 
des  kampfes  (s.  46),  Kingrimursels  freies  geleit  (s.  54). 

Unter  den  abweichungeu  führt  Küpp  auch  Vergulahts 
feenhafte  Schönheit  an.  Diese  hat  ihre  genügende  entsprechung 
in  C.  6169  devant  le  roi  de  Cava  Ion  qui  plus  est  biaus  que  Ab- 
salon;  —  7093  dont  Ii  uns  estoit  jourcnciaus  sor  tos  les  autres 
gratis  et  biaus.  Eine  klare  erinnerung  an  die  erste  stelle  be- 
wahrt W.  796,  8  f.  Was  bei  W.  hinzukommt,  ist  nur  die  ab- 
leitung  seines  geschlechts  und  seiner  Schönheit  von  der  famosen 
fee  Terdelaschoye  aus  Feimurgan  (400,  8).  Der  jagd  Vergu- 
lahts auf  einen  reiner  W.  401,  1.  19  entspricht  bei  C.  genau 
an  derselben  stelle  und  mit  demselben  ausgang  eine  jagd  (Ha- 
waiis auf  eine  hirschkuh  (7053 — 61),  so  dass  auch  hier  nicht 
die  tatsache  an  sich,  sondern  nur  die  änderung  in  frage  kommt. 


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ZUR  PARZIV ALFRAGE. 


57 


Das  Verhältnis  zwischen  W.  und  C.  können  wir  auf  gTund 
unserer  beobaehtungen  folgendermassen  formulieren: 

1.  Der  gang  der  erzählung  ist  der  gleiche;  die  wenigen 
ausnahmen  erklären  sich  ungezwungen  (erstes  Sigunen  -  aben- 
teuer,  s.  15  und  36). 

2.  Lange  stellen  wörtlicher  Übereinstimmung,  entsprech- 
ungen  selbst  in  unbedeutenden  nebensächlichkeiten  weisen  auf 
eine  so  enge  beziehung  W.'s  zu  C.  hin,  dass  zur  erklärung 
dieser  tatsache  die  annähme  einer  gemeinsamen  quelle  für 
Kyot  (W.'s  vorläge)  und  C.  oder  einer  selbständigen  neubear- 
beitung  auf  grund  von  C.  nicht  hinreicht.  Die  beiden  werke 
müssten  in  grossen  teilen  geradezu  identisch  gewesen  sein. 

8.  Die  misverständnisse  des  Orestien'schen  textes  bei  W., 
die  nach  den  bisherigen  forschungen ')  schon  auffallend  genug 
waren,  und  deren  zalü  sich  durch  unsere  vergleichung  noch 
vermehrt  hat,1)  haben  eine  directe  benutzung  C.'s  durch  W. 
zur  notwendigen  Voraussetzung. 

4.  Auch  da  wo  W.  von  C.  abweicht,  behält  er  meist  einzel- 
heiten  und  worte  aus  letzterem  bei,  welche  uns  die  quelle  ver- 
raten: viele  beispiele  in  P.'s  erziehung,  s.  9  f.;  ferner  das 
schönheitslob  123,13,  s.  s.  11;  kumpanie  147,18,  s.  s.  20;  Gur- 
nemanz  unter  der  linde  162,8 — 12,  s.  s.  21;  P.'s  antwort  173, 
7 — 9,  s.  s.  24;  Gurnemanz'  söhne,  s.  25;  Clamides  botschaft  218, 
1—12  ^  C.  4015— 21,  s.  s.  34  u.s.w.  Die  änderung  ist  bis- 
weilen nicht  vollständig  durchgeführt:  der  kirchenbesuch,  s. 
B.  65;  die  einholung  P.'s,  s.  s.47;  die  belagerung  von  Bearosche3) 

')  Bartsch  s.  133  f.  Heinzel  s.  11  ff.  Birch-Hirschfeld  s.  274.  278. 

*)  C.  2028  J.  asnes  :  Nantes  W.  144,  8  (s.  16);  2439  la  puciele  la 
roinne  :  m  was  von  arde  ein  furstin  152,  19  (s.  19);  2203  rergier  :  loube 
151,2  (8.19):  2444  ot  la  parole  (s.  19);  2543  cemine  verb.  3.  sg.  :  diu 
sträze  162,12  (s.  21);  2872  chasties  :  verschonen  170,  16  (s.24);  3548  de 
ses  puins  sen  ceriaus  trait  :  des  ors  zen  siten  icas  durchsingen  203,  10 
(8.30);  4965  'Si  as'  (s.  39).  Spätere  falle  sind:  8910  sages  dem  (Tastrc- 
nemie.  que  la  roine  en  ttmena  (vielleicht  qui  verstanden  V)  :  ein  phaffe  der 
xcol  zouber  las,  mit  dem  diu  froutce  ist  hin  getränt  60,  4;  0057  as  feniestres 
d'une  torniele  u  esgardoit  une  puciele  et  MM  cheralier  :  Gäuan  sach  in  der 
siule  riten  ein  riter  und  ein  f  raunen  592,22;  9370  et  t  oient  le  pais  en- 
totir  :  diu  lant  umb  giengen  590,9;  9890  se  lance  verb.  3.  sg.  :  mm  sper 
602,  26. 

3)  .So  erklären  sich  auch  die  bei  Heinzel  s.  102  aufgeführten  Wider- 
sprüche.   Vgl.  endlich  unten  das  auftreten  P.'s  in  den  Gawanepisoden. 


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58 


LICHTEXSTEIX 


(s.  unten).  Die  veranlassung  zu  seinen  abweichungen  findet 
W.  häufig  in  (Vs  texte  selbst,  sei  es  durch  misverständnisse, 
sei  es  durch  andeutungen,  die  ihn  zu  weiterer  ausführung 
reizten  (s.  die  eidesscene  s.  43;  die  digressionen  über  minne 
und  Gawans  erlebnis  s.  48.  40  etc.). 

5.  Umgekehrt  ändert  \Y.  auch  an  stellen,  die  sich  sonst 
völlig  entsprechen,  bis  in  unbedeutende  kleinigkeiten  hinein. 
Einen  seltsamen  beleg  hierfür  bieten  die  differenzen  in  den 
Zahlenangaben.1)  P.  trifft  im  walde  4  (3)  ritter,  welche  2  (5) 
ritter  und  1  (3)  jungfrauen  verfolgen.  Er  wird  von  (Tiirne- 
manz  als  sein  vierter  söhn  bezeichnet,  während  er  bei  C.  der 
dritte  söhn  seiner  eitern  ist  (s.  25).  ( Ymdwiramurs  erhält  von 
ihrem  oheim  12  brote  und  2  bnzzcl  mit  wein  (5  mices  et  1  bouvel 
piain  de  ein  cttit,  s.  27);  der  andere  oheim  sendet  ihr  ebenso 
viel  (bei  C.  nur  ein  oheim,  aber  s.  s.  27).  Neue  lebensmittel 
kommen  ihnen  auf  zwei  schiffen  (einem  schiff,  s.  30)  zu. 
Clamides  Verstärkungen  betragen  500  (4U0)  ritter  und  1000 
(1000)  sarjant,  ähnlich  differiert  die  zahl  der  besatzung  von 
Pelrapeire  (s.  33).  die  zahl  der  insassen  des  wunderschlosses 
(s.  53),  (4awans  ausrüstung  (s.  55).  Manchmal  lässt  sich  ja 
auch  für  diese  abweichungen  ein  grund  erkennen,  so  wenn  W. 
beidemal  (225,21.  250,22)  die  einöde  um  die  gralburg  auf 
30  meilen  im  umkreise  angibt,  während  C.  an  der  ersten  stelle 
(41*»«))  von  20,  an  der  zweiten  (4048)  von  5  meilen  spricht, 
oder  wenn  er  der  Symmetrie  halber  in  dem  gralznge  zwei 
silberne  messer  statt  eines  tailleoir  d'argent  aufführen  lässt.2) 
Aus  der  gesammtheit  der  fälle  aber  ergibt  sich,  dass  es  nicht 
zulässig  ist.  aus  Zahlendifferenzen  auf  eine  unbekannte  vor- 
läge für  \Y.  zu  schliessen.  Aendert  er  doch  auch  unbesorgt 
und  geradezu  willkürlich  die  überlieferten  namen:  Kinlerloi  > 
Kukanierlant.  Ksearalon  >  Asealän,  Dinatiron  >  Dianazdrnn, 
Gninyambresil  >  Kingrinmrsel,  Guiromelans  >  Gramoflanz, 
Griogoras  >  Vi  Ums,  Gifles  Ii  fitis  Do  >  Jo freit  fiz  Ido  l,  Tie- 
baut  >  Lijtftaut  (Libattt),  Gerin  le  fil  Berte  >  Sehendes;  Ar- 
nire  ist  vielleicht  nur  ein  anagramm  aus  lyieme;  vgl.  Bartsch 
s.  123.    Das  adjectiv  Waleis     Galois  gebraucht  er  auch  als 

')  Die  eingeklammerten  zahlen  beliehen  Bich  auf  ('. 
J»  Rirrh- Hirse  Ilfeld  h.  278  f.    Hunzel  ».  14  schlicsst  au«  der  zweizahl 
bei  W.  auf  eine  andere  quelle. 


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ZUR  PA  KZI  V  ALFRAGE. 


59 


Substantiv  =  Valois  (Bartsch  s.  117),  und  Ortsnamen  verwan- 
delt er  häufig  in  Personennamen  und  umgekehrt,  z.  b.  Ter- 
delaschoye,  Feimurgän*  GaJmuret,  der  künee  Translapins  < 
Transalpina  Gallia  (Martin,  QF.  42, 5).  Ebenso  frei  verschiebt 
er  die  verwantschaftsverhältnisse:  Gahmuret  s.  Bartsch  s.  117; 
P.'s  brüder,  s.  s.25;  Gawans  brüder  s.  Bartsch  s.  118;  Gurnemanz' 
bruder  wird  sein  söhn  Schenteflurs,  s.  s.  26;  der  alte  gralkönig, 
der  vater  des  reichen  fischers,  wird  zum  grossvater  desselben, 
s.  Birch-Hirschfeld  s.  281. 

Dass  es  je  eine  darstellung  des  Parzivalstoffes  gegeben 
habe,  die  sich  mit  der  Wolframs  in  den  liier  angeführten 
punkten  deckte,  muss  als  ausgeschlossen  betrachtet  werden. 
Ja,  man  kann  sagen,  dass  W.  fast  nie  nur  einfach  nacherzählt 
(man  vergleiche  die  eidesscene,  die  Schilderung  der  Condwira- 
murs, der  gralbotin,  der  drei  blutstropfen),  dass  er  alles,  was 
er  sagt,  so  mit  dementen  seines  geistes  durchdringt,  dass  etwas 
ganz  neues  und  eigenartiges  daraus  entsteht.  Und  das  eben 
ist  der  grund,  weshalb  über  seine  quellen  so  viel  zweifei  und 
Streitigkeiten  möglich  sind  trotz  der  engen  beziehungen  zu  C. 

4.  Wolframs  behandlung  des  Stoffes  im  Willehalm. 

Um  einen  massstab  für  die  beurteilung  der  abweichungen 
und  Überschüsse  im  Parzival  zu  gewinnen,  müssen  wir  die  art 
und  weise  feststellen,  wie  W.  überhaupt  mit  den  ihm  vorliegen- 
den Stoffen  verfährt.  •)  Wir  erkennen  dies  aus  dem  Willehalm, 
dessen  quelle,  die  Bataille  d'Aliscans,  uns  vorliegt;  ausser- 
dem kommen  dann  noch  die  zahlreichen  stellen  im  Parzival 
wie  im  Willehalm  in  betracht,  in  denen  der  dichter  mit  seiner 
persönlichkeit  und  seinen  künstlerischen  absiebten  hervortritt. 

•Im  Willehalm  hat  W.,  dem  die  chansons  über  Willehalms 
Vorgeschichte  nicht  bekannt  waren,  die  begründung  des  krieges 
und  die  frühere  lebensgeschichte  Willehalms  aus  wenigen 
andeutungen  der  Bataille  d'Aleschans  und  den  reminiscenzen 
aus  der  deutschen  spielmannspoesie  glücklich  componiert  und 
die  einzelnen  details  mit  künstlerischem  bewusstsein  durch 
das  ganze  gebiet  seiner  dichtung  hin  verstreut.'2)   'Eine  reihe 

»)  Bötticher,  W.-lit.  59. 

4)  Seeher,  Progr.  von  Brixen  1894,  8.8,  nach  Suchier,  Ueh.  die  quelle 
Ulrichs  v.  d.  T.  39  f.  43. 


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60 


LICHTKN8TEIK 


von  abweichungen  von  der  Hat.  AI.  konnte  San  Marte  nicht 
erklären;  er  nahm  deshalb  an,  dass  W.  noch  andere  dichtlingen 
gekannt  und  aus  ihnen  einzelheiten  entnommen  habe.  Eine 
eingehendere  kenntnis  des  französischen  textes  hat  nun  er- 
geben, dass  die  meisten  abweichungen  entweder  durch  mis- 
verständnis  der  Chanson  oder  durch  die  dem  deutschen  dichter 
eigentümliche  darstellungsweise  herbeigeführt  wurden.'1)  W. 
gestaltet  das  lose  ge wirre  der  französischen  dichtung  nach 
einem  selbständigen,  einheitlichen  plan  um  und  versetzt  scenen 
und  gesprache.*)  Er  bringt  seinen  geist  und  sein  gefiihl  hinein 
und  ändert  unbesorgt,  was  dem  widerstreitet,  'Nicht  der 
glaube,  sondern  die  minne  ist  die  kraft,  welche  mit  gleicher 
stärke  den  Christen  und  den  beiden  in  den  kämpf  treibt.'3) 
Die  minne  erscheint  als  motiv  für  abenteuerzüge  Wh.  6,  1—7 
(zugleich  mit  der  enterbung).  7,  4.  22,  22  ff.  24,  5  ff.;  weibes 
minne  und  gottes  minne  verbunden  (doppelmotiv)  9,  7—20.  — 
4 Je  mehr  gegen  den  schluss,  desto  mehr  entfernt  sich  der 
dichter  von  seinem  vorbilde.'  Das  8.  buch  ist  4 ein  freies 
phantasiestück  W.'s,  berechnet  auf  den  geschmack  seiner 
ritterlichen  Zeitgenossen.'4)  —  Die  beziehungeu  auf  deutsche 
heldensage,  auf  das  Kolandslied,  auf  zeitgenössische  dichter, 
auf  den  Parzival,  die  deutschen  ortsnamen  und  die  beziehungen 
auf  deutsche  specialgeschichte  gehören  \V.  an,  ebenso  das  ein- 
gangsgebet.5) 

Wir  werden  alle  diese  züge  in  den  abweichungen  des 
Parzival  widerfinden,  und  wenn  wir  hinzunehmen,  wie  der 
dichter  sich  in  seinen  werken  selbst  gibt,  so  werden  wir 
nicht  im  zweifei  sein,  was  wir  als  sein  eigentum  betrachten 
dürfen. 

')  Saltzmann,  Prngr.  von  Pillan  1^S3,  ».  1.  l'cber  misverständnisse 
im  Wh.  vgl.  Bartsch  *.  133:  kante  Antikote  <  Ii  rois  iVantiquite;  lirfmtm 
Aloe  <  «lotr;  40,  17  er  sluoe  Lihilun,  Arofeh  sieester  nun  <  fiert  le  nereu 
Arofle  le  Um  AI.  351  a. s. w. 

3)  Seeher  a.a.o.  s.  11.  17.  San  Marte.  Tob.  W.b  v.  E.  rittergedieht 
Wilh.  v.  Orange  s.  03.  70. 

3)  Saltziuanu  a.  a.  o.  s.  9  f. 

*)  San  Marte  a.  a.  o.  ».  S7. 

Ä)  San  Marte  a.  a.  o.  s.  20 — 102.  Seeher  a.  a.  o.  s.  7.  l'eher  die  zahl- 
reichen namen.  die  an«  dem  Parzival  in  den  Willehalm  eingeführt  sind,  vgl. 
Bartsch  s.  131. 


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ZUR  PARZIVALFRAGE. 


61 


5.  Wolframs  persönlichkeit 
als  massstab  für  die  beurteilung  der  Abweichungen. 
Aenssere  lebensumstände. 

Wolfram  ist  bekanntlich  nicht  zurückhaltend  mit  äusse- 
rangen  über  seine  person,  seine  erlebnisse  und  seine  anschau- 
ungen.  Er  spricht  von  einer  ganzen  reihe  von  deutschen 
örtlichkeiten  und  ereignissen,  und  wir  wissen  fast  nur  aus 
diesen  erwähnungen,  wo  er  gelebt  und  wann  er  gedichtet  hat. 
Diese  zusätze,  die  sich  im  Wh.  sowol  wie  im  Parz.  finden, 
sind  natürlich  sein  freies  eigentum,  wie  überhaupt  alle  stellen 
wo  seine  person  oder  deutsches  wesen  hineinspielt  (z.  b.  der 
hinweis  auf  die  deutsche  kunst  158.  13,  die  bezugnahme  auf 
den  Rhein  in  der  Charakteristik  des  Segramors  285, 6).  Auch 
die  genaue  kenntnis  steirischer  Ortschaften,  die  er  mit  Gandin, 
Uahmuret  und  Trevrezent  in  Verbindung  bringt  (496,15.  498,26), 
brauchte  er  gewis  nicht  aus  einem  französischen  dichter  zu 
holen, !)  zumal  da  sie  von  dem  sonstigen  Schauplatz  der  erzäh- 
lung  weit  ab  liegen.  Er  kann  jene  angaben  den  Schilderungen 
eines  freundes  (Walthers)  verdankt  haben,2)  falls  wir  nicht 
einfach  annehmen  wollen,  dass  er  hier  persönliche  reiseerinne- 
rungen  einflicht,  denn  mir  scheint  W.  aus  erfahrung  zu  sprechen, 
wenn  er  gerade  im  anschluss  an  die  steirischen  reisen  bemerkt 
(499,9):  stvcr  Schildes  ambet  Heben  wil,  der  muoz  durchstrichen 
lande  vil  'Mit  diesen  steirischen  localitäten,  der  erfindungW.y 
sagt  Heinzel,  'hängt  das  wappen  des  hauses  von  Anjou  zu- 
sammen und  die  ableitung  von  könig  Gandhis  namen  498,26. 
101, 17/3) 

Ueberhaupt  liebt  es  W.  nicht  nur,  bei  jeder  gelegenheit 
seine  persönlichen  Verhältnisse  und  die  ihn  umgebenden  zu- 
stände mit  den  geschilderten  in  vergleich  zu  bringen,  sondern 
sie  beeinflussen  deutlich  auch  unmittelbar  seine  darstellung. 

')  S.  Haupt  bei  Beiger,  H.  ata  academischer  lehrer  8.  281  f. 

r)  Bartsch  s.  13*5.  Heinzel  s.  20.  Dass  W.  erst  durch  eine  stelle  seiner 
vorläge  zu  der  Verwechslung  des  orientalischen  Rohas  mit  «lein  steirischen 
berg  und  dadurch  zu  der  einHecht nng  der  anderen  steirischen  orte  geführt 
»ei.  ist  eine  überflüssige  annähme.  Derartige  Verwirrungen  geographischer 
begriffe  gehören  zu  den  eigenheiten  W.'s  (vgl.  s.  59),  und  den  namen  Rohas 
=  JSr/e.w«  konnte  er  in  der  zeit  der  kreuzzüge  oft  genug  gehört  haben. 

3;  Vgl.  Haupt,  Zs.  fda.  11, 4b.  Bartsch  s.  136. 


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62 


LICHTENSTEIN 


Aus  welchem  anderen  gründe  wol  nähme  er  im  Wh.  sowol 
wie  im  Parz.  die  erblosigkeit  des  beiden  zum  ausgangspunkt 
der  erzählung  und  knüpfte  daran  betrachtungen,  wenn  er  da- 
bei nicht  an  sich  gedacht  hätte?  In  der  quelle  stand  davon 
nichts,  in  der  Schlacht  von  Aliscans  ebensowenig  wie  in  einer 
französischen  gralerzählung.1)  Die  gelehrte  anmerkung  aber 
von  dem  welschen  recht,  das  auch  in  einem  deutschen  landes- 
teile gilt  (4, 28)  stammt  wie  manche  anderen  gelehrten  zusätze 
bei  W.  aus  Otto  von  Freising  (s.  unten),  und  ihr  inhalt  wird 
bei  den  deutschen  lesern  als  bekannt  vorausgesetzt  (4,  30). 
Wenn  ferner  W.  in  der  ehrenrettung  Keies  (296,13  —  297,30), 
die  wir  als  seinem  geiste  entsprungen  ansehen  dürfen,  das 
ged ränge  an  Artus'  hofe  mit  dem  beim  fürsten  Hermann  von 
Thüringen  vergleicht,  so  ist  das  mehr  als  ein  vergleich:  hier 
hat  die  erinnerung  an  das  selbsterlebte  erst  die  ganze  stelle 
mit  ihrer  polemischen  tendenz  hervorgerufen. 

Mit  besonderem  nachdruck  betont  \V.,  dass  er  ritter  sei 
(115,11),  und  dieses  hohe  gefühl  von  der  würde  des  Standes 
wird  von  seinem  beiden  geteilt  (269,  4  ff.  472, 1  ff.  612,7).  Ein 
kämpf  nach  den  regeln  der  kunst  erfüllt  den  dichter  mit  be- 
friedigung  (262,20  —  265,17),  und  er  benutzt  seine  erfahrung 
darin,  um  ein  grosses  detail  zu  entrollen  (buch  7,  vgl.  Wh. 
buch  8).  Abenteuerfahrten  und  minnedienst  geben  wie  im  Wli. 
(s.s. 60)  das  motiv  für  viele  Verwickelungen;  sie  spielen  eine 
entscheidende  rolle  in  dem  leben  des  Gahmuret,  des  Galoes, 
des  Anfortas,  des  Trevrezent,  des  Schionatulander.  Als  Parz. 
das  gralschloss  verlässt,  brennt  er  sogleich  vor  begierde,  sich 
im  dienste  des  gralkönigs  und  seiner  nichte  auszuzeichnen 
(246,11—18.  248,20—30;  ebenso  vor  Pelrapeire  182,25—28); 
der  wünsch  seine  mutter  widerzusehen  tritt  zurück  vor  dem 
verlangen  nach  ritterlichen  taten  (177,  2—8.  223,  23,  s.  s.  24 
und  35). 

Die  minne  bildet  ein  lieblingsthema  W.'s  (s.  s.  48  und  W. 
532.  533.  584, 5);  auch  in  sein  leben  hat  sie  bedeutsam  ein- 
gegriffen, und  er  kommt  widerholt  mitten  in  der  erzählung 
auf  diese«  persönliche  Verhältnis  zu  sprechen  (114,8.  334,10. 
26.  337.  827,  25).    Kr  verherrlicht  vor  allem  die  eheliche  liebe 

')  Abgesehen  von  der  dunklen  andeiitung  bei  C,  s.  s.  7. 


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ZUR  PARZIVALFRAOE. 


63 


(Belakane,  Herzeloide,  Condwiramurs,  Sigune,  .Teschute:  s.  ferner 
468, 1.  474, 14),  die  stcete,  die  keuschheit  und  die  edle  Weib- 
lichkeit (3,25.  24,8.  26,10.  115,2.  176,12.  192,2.  201,21).  In- 
dessen ist  der  dichter  von  prüderie  so  weit  entfernt,  dass  er 
auch  der  Sinnlichkeit  und  ihren  freuden  ihr  recht  gibt  (vgl. 
W.'s  lieder),  mehr  in  dem  geschmacke  seiner  Zeitgenossen  als 
in  dem  unsrigen  (vorbild  bei  C.  s.  8.  28 — 30).  Seine  ritter 
werden  bei  der  begrüssung  regelmässig  von  den  damen  ge- 
küsst  (20,25.  23,30.  46,1  —  48,2.  175,26.  176,9.  187,2.  310,15 
u.  ö.)  und  von  reizenden  jungfrauen  bedient  (167.  176,18.  243,20. 
423,5.  430,27.  549,1.  550,15.  551,3.  552,25.  553,26.  575,1). 

Für  die  Schönheit  des  weibes  wie  des  mannes  hat  der 
dichter  einen  lebhaft  empfindenden  sinn  (s.  z.  b.  450, 1),  und 
neben  den  herzenseigenschaften  sollen  uns  auch  äussere  Vor- 
züge für  seine  gestalten  einnehmen.  Die  Schönheit  des  beiden 
ist  überall,  wo  er  hinkommt,  der  gegenständ  höchster  bewun- 
derung  (s.  s.  11.  16.  22.  51;  bei  V,  nur  eine  stelle:  2166—70), 
und  auf  ihn  werden  auch  bemerkungen  (Vs  übertragen,  die 
anderen  personen  gelten  (s.  s.  11.  27).  Die  Schilderung  der 
hässlichkeit  widerstrebt  dem  dichter,  er  kürzt  sie  ab  und  ent- 
schuldigt sich  noch  überdies  bei  den  damen,  auf  deren  bei- 
stimmung  er  wert  legt,  (s.  38.  51.  55;  vgl.  114,5.  827,25). 

Auf  höfische  zucht  und  gute  sitte  hält  \V.  sehr  (2,13  — 
3,10.  188,15  —  189,3.  193,23.  230,25.  297.  576,20.  582,11 
etc.).  Die  Vorschriften,  die  wir  bei  ihm  den  lehren  des  Gur- 
nemanz  hinzugesetzt  finden,  oder  die  von  seinen  personen  be- 
obachtet werden,  sind  der  deutschen  gesellschaft  der  zeit 
gemein:  müte  (170,27.  191,1.  297,20.  336,17.  394,22;  vgl. 
142,15.  150,11)  und  mäee  (171,13.  3,4.  13,4)  werden  als 
wichtige  tugenden  empfohlen.  Der  ritter  soll  sich  vom  rost 
waschen,  nachdem  er  die  rüstung  abgelegt  hat  (172,1.  186,2. 

228.1.  272,3.  306,21.  550,11;  ferner  118,13.  167.  Erec  3054. 
Biterolf  1809,  s.  Schultz,  Höf.  leben  P,224);  er  soll  vom  pferd 
steigen,  wenn  er  einer  dame  zu  fuss  ansichtig  wird  (217,  28. 
437,3.  509,2,  s.  Schultz  1, 181),  und  er  soll  die  waffen  ablegen, 
bevor  er  an  den  hof  kommt  (275,10.  437,11;  vgl.  Nib.  A  391. 
1583.  1683.  1799—1805.  Konr.  v.  Haslau  712.  724).  Ritterlich- 
keit wird  auch  gegen  feinde  geübt  (527,  23—27.  539,  25  - 

540.2.  543,9—26;  Schultz  2, 172.  Erec  827).    Unter  der  linde 


64 


LICHTENSTEIN 


sitzend  empfängt  Gumemanz,  der  Hauptmann  der  wahren  zucht, 
seinen  gast  (162,8.21);  unter  einer  ummauerten  linde  wird  P. 
in  Pelrapeire  entwaffnet  (185,  27,  vgl.  Schultz  1,  663).  Mit 
aufgerichtetem  speer  in  der  nähe  des  hofes  zu  halten  oder  gar 
die  lagerschnüre  zu  durchreiten,  gilt  als  herausforderung  und 
besehimpfung  (281,1.  284,3.22.  598,24);  der  waffenruf  kündet 
die  drohende  gefahr  (284, 13.  407, 13).  Deutsche  rechtsformen 
spielen  öfter  in  die  darstellung  hinein:  besitzergreifung  mittels 
stroh wischs  146,  26,  s.  Grimm,  RA.  196;  anklage  vor  gericht 
320, 10—13,  RA.  878;  gerichtsverhandlung  525, 11  —  529,  23, 
RA.  633.  684;  das  gericht  der  standesgenossen  136,15.  152,14. 
347,24.  415,19.  Deutsch  sind  ferner  die  vier  hofämter  mar- 
schall,  kämmerer,  truchsess  und  schenk  (666,23 — 29.  183,20. 
353,4.  354,9.  662,17.20),  und  die  Vorliebe  W.'s  für  titel  und 
rangerhöhung  (duc,  hcrzoyinne  s.  s.  14;  künec  von  Kuktimerlant, 
s.  s.  17  u.  s.  w.)  darf  man  wol  ebenfalls  als  deutsch  bezeichnen. 
Nicht  minder  gefällt  sich  W.  in  der  Schilderung  von  wapj>en, ') 
und  er  verwendet  sie  bisweilen  wirksam  als  motiv  der  wider- 
erkennung  (s.  s.45,  ferner  W.  18,  5.  80,11).  Da  das  wappen 
von  Anjou  seine  erfindung  ist  (s.  8.61).  so  dürften  die  übrigen 
ebensowenig  auf  alter  Überlieferung  beruhen.  Das  drängen 
und  schauen  bei  der  begrüssung  von  gästen  und  hervorragen- 
den personen,  das  \V.  nie  zu  erwähnen  vergisst,2)  ist  charak- 
teristisch als  eine  höfische  sitte,  deren  auch  andere  deutsche 
dichter  gedenken.3)  —  Der  gralzug,  der  ceremonielle  empfang 
bei  hofe,  die  hochzeiten  und  die  feste  der  tafeirunde  (309,3 
—30.  311,  5—9.  775, 1  —  778, 15)  beweisen  W.'s  sinn  für  schöne 
formen,  und  es  wäre  auffallend,  dass  er  zweimal  die  ceremonie 
des  ritterschlags  übergeht  (C.  2816— 30.  10538—55),  wenn  nicht 
die  von  C.  geschilderte  form  specifisch  französisch  wäre  (s. 
Schultz  1, 182—184).  Ebenso  unterdrückt  er  dreimal  (s.  13.  24) 
den  rat,  kirchen  und  klöster  zu  besuchen,  sowie  dessen  törichte 


l)  W.  14,  12  -  15,  7.  50, 1.  «4,  23.  70,  22.  99,  11.  101,  7  Gahinnret:  474, 
5-9  Gral;  202,4  -13.  203,10.  275,21.  270,10.  27b,  14  Orilus;  730,10. 
741,10.  708,24  Feirefiz;  575,27  Gawan;  3S3,  2  Iiinot. 

*)  W.  147,12.  148,19.  150,30.  151,7.  210,20.  217,  2S.  220,28.  275,8. 
305,  9.  320,  0  u.  ö. 

s)  Walther  20,7.  28,15  (».  Wilmanns,  anra.).  Winsbeke  23.  Konrad 
v.  Harlan  153.  191  (b.  Hildebrand,  Genn.  10, 144). 


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ZUR  PARZIV ALFRAGE. 


65 


anwendung  durch  P.  (0.  1847—60,  s.  s.  14)  und  setzt  dafür 
einmal  die  beim  Schlossgottesdienst  erfolgende  belehrung  'zu 
opfern  und  sich  zu  segnen'  (bekreuzigen)  aus  dem  einfachen 
gründe,  weil  auf  den  deutschen  schlossern  die  tägliche  messe 
in  der  schlosskapelle  gehört  winde  und  nicht  in  der  kirche, 
welche  oft  weit  entfernt  und  unter  umständen  gar  nicht  zu 
erreichen  war  (Schultz  1, 111;  vgl.  W.  196, 12—19,  ferner  378, 
21—25  gegen  C.  6860  f.  und  W.  705, 1—9;  ein  rest  ist  stehen 
geblieben  461,4). 

6.  Individuelle  charakterzüge. 

So  zeigt  sich,  dass  W.  getreu  das  leben  seiner  zeit  und 
seiner  Umgebung  copiert,  und  noch  manches  vielleicht  wird 
sich  aus  dem  milieu  erklären  lassen,  in  dem  sein  werk  ent- 
stand. Andererseits  aber  ist  er  ein  durchaus  origineller  geist 
der  das  gepräge  seiner  individualität  unverkennbar  allen  seinen 
Schöpfungen  aufgedrückt  hat.  Directe  Zeugnisse  seiner  denkart 
sind  die  einleitungen  und  Schlüsse  des  ganzen  Werkes  und  ein- 
zelner bücher,  ferner  zahlreiche  in  die  erzählung  eingestreute 
reflexionen  und  excurse,  wozu  auch  die  reden  des  Trevrezent 
zu  einem  grossen  teile  gerechnet  werden  müssen,  da  sie  sich 
in  ihren  erweiterungen  nur  noch  scheinbar  an  Parzival,  tat- 
sächlich aber  an  das  publicum  richten  (s.  463,  27  ff.).  Der 
gesammteindruck,  den  wir  daraus  von  W.  empfangen,  ist  der 
einer  imponierenden  persönlichkeit,  eines  durchaus  selbständig 
denkenden  kopfes,  überreich  an  gedanken  (4, 2  ff.),  von  hohem 
sittlichen  ernst  und  von  tiefem  gefühl.  Dieser  mann,  das  er- 
gibt sich  ohne  weiteres,  wird  sich  nimmermehr  zum  dolmetsch 
der  gedanken  eines  andern  machen;  und  wenn  man  eine  noch 
vollständigere  vorläge  für  sein  gedieht  zu  finden  hofft,  so  wird 
sie  doch  ebenso  wie  C.'s  roman  grundverschieden  sein  von  dem, 
was  er  daraus  gemacht  hat. 

Eigenartig  ist  W.  zunächst  in  seiner  religiösen  richtung. 
Eine  Vorliebe  für  dieses  gebiet  bezeugt  schon  die  wähl  der 
Stoffe  im  P.  und  Wh.,  mehr  noch  die  art,  wie  W.  sie  behan- 
delt, die  tiefsinnigen  erörterungen,  die  er  einflicht.  So  ist  im 
Wh.  das  Zwiegespräch  über  Christentum  und  muhamedanismus 
(215—220)  sein  eigentum»),  und  ebenso  bis  auf  wenige  wen- 

>)  San  Marte,  Ueb.  Wh.  v.  Orange  b.  73. 

Beitr&g«  «ur  geschieht«  der  deutschen  ■prache.   XXII.  5 


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66 


LICHTENSTEIN 


düngen ')  das  tief  empfundene  eingangsgebet.  W.  steht  aller- 
dings im  allgemeinen  durchaus  auf  dem  boden  der  ansckau- 
ungen  der  mittelalterlichen  katholischen  kirche;*)  auch  von 
ihrer  scholastischen  gelekrsamkeit  hat  er  sich  ein  gut  teil 
angeeignet  (463—465.  481, 19 ff.  482, 12  ff.  518  u.a.),  und  aus 
der  übergehung  des  rates,  kirchen  zu  besuchen,  darf  man  nicht 
ohne  weiteres  einen  abweichenden  Standpunkt  folgern  (s.  s.  65). 
Und  doch  welch  tiefgreifender  unterschied  zwischen  C.  und 
ihm  in  der  Trevrezentscene:  bei  dem  einen  das  festhalten  an 
den  kirchlichen  formen,  der  gottesdienst  unter  assistenz  des 
priesters  (0. 7717  ff.  7867  f.),  das  gebet  mit  den  hochheiligen 
namen  gottes,  die  man  nur  in  grosser  gefahr  aussprechen  darf 
(7855 — 66):  bei  dem  anderen  der  laienbeistand  des  menschlich 
fühlenden,  ritterlich  ratenden  Trevrezent  (462, 11.  489. 1.  501, 
18),  der  herzbewegende  hinweis  auf  die  liebe  gottes,  des  wahren 
winnceres  (W.  466, 1;  vgl.  119,24).  Die  werkheiligkeit  tritt  zu- 
rück, innere  heiligung,  deutscher  mysticismus  tritt  an  ihre 
stelle.  Die  beiden  klöster  in  Pelrapeire,  die  lange  procession 
der  mönche  und  nonnen  und  die  Zusicherung  der  totenmesse 
(s.27.  35)  fehlen  bei  W.;  nur  ihm  dagegen  gehören  an  die  ein- 
siedeleien  der  beiden  oheime  der  Tondwiraniurs  zer  wilden 
alhe  Husen  (190, 22,  s.  27),  die  waldklause  der  Sigune,  die 
selten  messe  hörte,  deren  ganzes  leben  jedoch  gottesanbetung 
und  ewige  minne  war  (435, 24  ff.).  Auf  edle  menschlichkeit 
und  teilnahm  volles  fühlen  werden  auch  die  geheimnisse  des 
grals  von  W.  zurückgeführt  (255,  17.  315,  30.  473,  1);  ihrer 
würdig  ist  nur,  wer  falschheit  und  halbkeit  (zivivel)  in  sick 
überwunden  und  sick  zu  unverzagtem  mannesmut,  zu  cka- 
rakterfestigkeit  (stcete)  und  treuer,  keuscker  gesinnung  durch- 
gerungen kat. 

Das  ist  die  stiure,  die  idee,  die  W.  selbst  in  der  einleitung 
aus  seinem  werke  abstrakiert;  und  am  scklusse  desselben  fasst 
er  nock  einmal  das  ideal  des  lebens,  wie  er  es  in  seiner  dicb- 
tung  verwirklickt  kat,  in  den  Worten  zusammen: 

627.  19   Hwes  lebn  sich  so  verendet, 
daz  got  niht  wirt  gepfendet 


>)  Rolin,  Aliscans,  einleitung. 

»)  Sattler,  Die  religiösen  anschauungen  W.'s,  Graz  1895. 


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ZUR  PARZIV ALFRAGE. 


67 


der  s£le  durch  des  libes  schulde, 
und  der  doch  der  werlde  hulde 
behalten  kan  mit  werdekeit, 
daz  ist  ein  nütziu  arbeit. 

Diese  durchdringung  geistlicher  und  weltlicher  ideen,  wie 
sie  sowol  den  Parz.  wie  den  Wh.  beherscht,  ist  specifisch  wolf- 
ramisch.1)  Aus  ihr  entsprang  die  Vorstellung  von  jener  ritter- 
lichen brtiderschaft,  der  er  den  namen  templeisen  gegeben  hat 
in  anlehnung  an  den  zu  jener  zeit  viel  genannten  namen  der 
tenipelritter.  Bei  dieser  Weiterbildung  der  fabel,  die  übrigens 
auf  andeutungen  bei  C.  beruht,  lässt  sich  also  der  nach  weis 
erbringen,  den  Bötticher  (W.-lit.  59)  fordert,  dass  sie  nämlich 
der  ideenrichtung  W.'s  angemessen  und  aus  ihr  leicht  zu  er- 
klären sei. 

Die  idee  W.'s,  wie  sie  in  der  einleitung  zum  Parzival 
gekennzeichnet  ist,  setzt  psychologische  entwickelung  voraus. 
Dass  W.  ganz  der  mann  dazu  war,  diesen  gesichtspunkt  in 
die  geschiente  Parzivals  einzuführen,  zeigen  seine  widerholt 
eingeflochtenen  reflexionen,  durch  die  er  die  aufmerksamkeit 
von  dem  äusseren  geschehen  auf  die  inneren  beweggründe, 
auf  das  Seelenleben  des  helden  lenkt.  Hierher  gehören  die  ein- 
leitungen  zu  buch  4,  5,  9  (433, 17  ff.),  15  (734, 23  ff.),  der  schluss 
von  14  (732.  733),  aus  buch  6  der  excurs  über  die  gewalt  der 
minne  291,1—293,16;  ferner  im  innern  der  bücher  kürzere 
bemerkungen  an  wichtigen  Wendepunkten  161, 7.  256  1  ff. 
319, 1  ff.  443, 1.  445, 30.  Statt  des  dichters  übernimmt  oft  der 
held  selbst  die  rolle,  seine  seelenstimmung  zu  schildern2): 
329, 18  ff.  332,1  ff.  441, 4  ff.  461, 9  ff.  472, 1  ff.  seine  seelen- 
schmerzen,  Verzweiflung  an  gott;  688, 24  ff.  sein  Schuldbewußt- 
sein; vgl.  689, 26  ff.  (Gawan)  der  sieg  über  sich  selbst.  Eine 
ausdrucksform  von  plastischer  anschaulichkeit  und  dramatischer 
kraft  fand  W.  in  den  träumen  Herzeloydens  und  ihres  sohnes 
(103,25.245;  vgl.  374, 6),  die  zu  den  perlen  wolframischer 
poesie  gerechnet  werden  müssen.  Häufig  beschränkt  sich  die 
Charakteristik  auf  ein  blosses  epitheton,  z.  b.  der  knappe  tump 
unde  teert  126, 19,  unser  teer  scher  knabe  138, 9,  der  unverzagte 


«)  Vgl.  Vogt  in  Pauls  Grundr.  2  a,  277. 

■)  Vgl.  Urbach  s.  21,  der  besonders  auf  die  an  Wendung  von  monologen 
bei  W.  zum  ausdruck  der  gedanken  aufmerksam  macht. 

5* 


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68 


LICHTENSTEIN 


138,3,  der  hoch  gemuot  267.0,  der  freudenflühtec  man  733,25; 
und  auch  ohne  solche  direeten  hinweise  erkennt  man  öfter 
das  streben  nach  psychologischer  Vertiefung.  So  malt  sich  die 
Stimmung  an  manchen  stellen  wirksam  in  der  Situation:  180,  3 
P.'s  gedankenloses  hin-  und  herreiten,  282,  1  sein  nächtliches 
verweilen  am  unwegsamen  orte,  den  falken  zur  seite.  Bei  0. 
kommt  P.  bereits  ganz  zerknirscht  zu  dem  eremiten,  W.  lässt 
uns  den  inneren  Vorgang  seiner  demütigung  beobachten.  Die 
innere  entwicklung  ist  dem  dichter  so  sehr  die  hauptsache, 
dass  darüber  die  an  die  erwerbung  des  grales  geknüpfte 
äussere  bedingung,  dass  die  frage  ungenann  t  geschehen  solle, 
schliesslich  unberücksichtigt  bleibt.  Der  held  ist  des  grales 
würdig  geworden,  da  wird  denn  die  lösung  höchst  einfach  und 
kunstlos  durch  eine  inschrift  am  grale  und  durch  eine  aber- 
malige entsendung  der  gralbotin  herbeigeführt.  Was  jedoch 
den  beiden  von  vornherein  vor  allen  anderen  dazu  befähigt, 
hüter  des  grales  zu  werden,  und  was  ihm  in  den  schwierigsten 
lebenslagen  halt  verleiht,  das  ist  der  von  vater  und  mutter 
her  ererbte  adel  der  gesinnung,  die  angeborene  werdekeit 
146,  6  f.  149,25.  164,19.  174.  24  f.  179,24.  212,2.301,5.  317. 
11  f.  325,  30  ff.  451, 3  ff.  u.  ö.);  damit  rechtfertigt  sich  denn 
die  ausführliche  Vorgeschichte. 

Während  der  französische  dichter,  abgesehen  von  dem 
kurzen  prolog,  vollständig  zurücktritt,  mischt  sich  W.'s  stark 
subjective  natur  überall  mitten  in  die  handlung  ein,  polemi- 
siert gegen  seine  Zeitgenossen,  bringt  seine  gefühle  zum  aus- 
druck  oder  wendet  sich  an  die  der  leser.  sucht  seine  personen 
in  unserer  achtung  zu  heben,  indem  er  ihre  edle  gesinnung 
(triuwe)  betont,  und  nimmt  das  wort  für  einen  verkannten 
Charakter  (Keie  s.  s.  48,  gralbotin  s.  51  f.,  Jeschute  257, 23—30. 
260, 8—11  s.  s.38f..  Obie  365,  Antikonie  427,  5,  Orgeluse  516, 3). 
Was  an  seinen  personen  anstoss  erregen  könnte,  sucht  er  zu 
entschuldigen  oder  psychologisch  zu  motivieren  (s.  die  eben 
erwähnten  beispiele.  ferner  Ither  s.  18,  Antanor  s.  19,  Lippaut 
355,27,  Klinschor  618, 1.  656,  1.  20  ff.  659,8);  roheiten  und 
Unziemlichkeiten  mildert  er  oder  unterdrückt  sie  ganz  (mis- 
handlung  Cunnewarens  s.  19,  P.  handelt  mehr  aus  mitleid  für 
Cunneware  als  aus  räche  gegen  Keie  s.  33,  P.'s  Ungeschick- 
lichkeit C.  2116—29  s.  17,  Blancheflours  Verstellung  s.  29.  32, 


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ZUR  PARZIVALFRAGE. 


69 


Orilns'  grausamkeit  s.  37,  Obies  ohrfeige  C.  6417;  vgl.  über  Wh. 
Seeber  s.  10.  Rolin,  einl.  25). 

Wie  in  dieser  herzlichen  anteilnahme  des  dichten  sich 
seine  deutsche  gemütsrichtung  offenbart  (vgl.  Hartmann  von 
Aue),  so  auch  in  der  sinnigen  art,  womit  er  sozusagen  alle 
personen  seines  gedichts  zu  einer  grossen  familie  vereinigt. 
Nor  wenige  ansätze  hierzu  fand  er  bei  0.  vor.  Auch  dort  ist 
Sigune  der  Herzeloyde  verwant,  der  einsiedler  ist  bruder  des 
gralkönigs  und  oheim  P.'s,  die  graljungfrau  ist  nicht«  des 
königs,  Gawan  Artus'  neffe.  'Bei  W.  sind  diese  familiären 
beziehungen  ausgedehnter.  Zwischen  Parz.  mit  seiner  gral- 
sippe  und  Artus  mit  seinen  tafelrundern  sind  mittelpersonen 
eingeschoben.'1)  So  ist  P.  mit  Artus  durch  Gahmuret  ver- 
want (769),  P.  mit  Vergulaht  durch  Gahmurets  Schwester  Flur- 
damurs (420,6),  Kingrimursel  mit  Vergulaht  (324,11),  Gawan 
mit  Vergulaht  (608,  14),  Ither  mit  Artus  und  Parz.  (145, 11, 
498,  13),  Condwiramurs  mit  Gurnemanz  (198,  27),  Cunneware 
mit  Orilus  (s.  44),  Segramors  mit  Ginover  (285,  21).  Durch 
heiraten  werden  neue  verwantschaftsbande  geknüpft  (327,  1. 
397,  3.  730,  27).  Wo  nun  einige  dieser  personen  zusammen- 
treffen, da  entfaltet  sich  ein  gemütliches  familienleben,  das 
den  leser  mit  behagen  erfüllt,  so  besonders  zwischen  Orilus 
und  seiner  Schwester  (s.  45)  und  bei  P.'s  ankunft  am  hofe 
(s.  50).  Eine  woltuende  wärme  ist  über  jede  häuslichkeit  aus- 
gegossen: ohne  das  walten  züchtiger  frauengest  alten  wäre  sie 
für  den  deutschen  dichter  nicht  denkbar.  Ihm  haben  wir  da- 
her die  einführung  der  töchter  im  hause  des  Gurnemanz  und 
Plippalinot,  der  mutter  im  hause  des  Lippaut  zu  danken;  er 
machte  aus  den  pilgernden  herren  und  damen  ((■.  7716  f.)  einen 
ritter  mit  frau  und  töchtern.  die  P.  in  der  kälte  mitleidsvoll 
eine  wärmende  Unterkunft  anbieten  (446, 10.  448, 27).  Hierzu 
kommt  eine  fülle  von  kleinen  zügeu.  die  dem  leben  abgelauscht 
sind,  wie  die  ihre  puppen  anbietende  Clauditte  372,  18,  P.'s 
weise  und  patriarchalische  Verteilung  der  speisen  nach  der 
hungersnot  201,8,  Arnives  mütterliche  fürsorge  für  den  schwer- 
verwundeten  Gawan  574,  5.  578, 4  —  581, 26.  der  geizige  fischer 
(ein  gegenstück  zu  dem  gastfreundlichen  fährmann  Plippalinot), 


')  Urbach  «.21. 


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70 


LICHTENSTEIN 


der  nur  für  sich  und  seine  kinder  sorgt  142, 26.  Echt  deutsch 
und  wolframisch  schliesslich  sind  scenen  von  ergreifender  ge- 
mütstiefe, wie  der  schmerz  des  kindes  Parzival  über  den  tod 
der  unschuldigen  vögelein  118,  9.  23;  die  rührende  bestattung 
Ithers,  das  blumendach  und  die  klagen  der  frauen  159,  13; 
vor  allem  jene  versöhnungsscenen  zwischen  Orilus  und  Jeschute 
(268, 15.  270, 6,  s.  s.42)  und  zwischen  Obie  und  Meljanz  (396,  21 
s.  Martin,  QF.  42,  3),  in  denen  das  hervorbrechende  gefülü  so 
meisterhaft  zum  ausdruck  gelangt. 

Wie  diese  familiären  und  gemütlichen  züge  geeignet  sind, 
uns  die  auftretenden  personell  menschlich  näher  zu  bringen,  so 
gilt  dies  auch  von  einer  anderen  zutat.  Die  erwähnungen 
früherer  abenteuer,  von  denen  uns  sonst  nichts  überliefert  ist, 
dienen  nämlich  bei  W.  vielfach  nur  dazu,  alle  mitwirkenden 
mit  einander  in  irgend  eine  persönliche  beziehung  zu  bringen. 
Er  gibt  von  ihnen  nicht  nur  die  namen,  die  zum  grossen  teil 
in  seiner  vorläge  fehlen,  sondern  auch  ihre  lebensgeschicke, 
so  dass  sie  uns  vertraut  werden  und  nicht  mehr  als  blosse 
Statisten  die  bühne  füllen.  C.  4774  f.  und  W.  141, 13  berichten 
übereinstimmend,  dass  Sigune  von  P.'s  mutter  Herzeloide  er- 
zogen wurde.  W.  805,  6  lässt  nun  aber  auch  Condwiramurs 
bei  Sigunens  mutter  Schoysiane  erzogen  werden,  was  nach 
Titurel  25  unmöglich  ist,  wie  Heinzel  s.  45  zeigt.  Mir  scheint 
das  dafür  zu  sprechen,  dass  dieser  zug  unecht,  d.  h.  ein  zusatz 
W/s  nach  analogie  jenes  früheren  bei  C.  ist.  Schianatulander 
ist  bei  V.  nur  der  tote  geliebte  der  Sigune  (auch  die  namen 
fehlen  bei  C);  W.  macht  ihn  zum  Verteidiger  der  erbländer 
P.'s  (s.  s.37.  81.  83)  imd  bringt  ihn  im  Titurel  in  ein  ähnliches 
Verhältnis  zu  Gahmuret  wie  Sigune  zu  Herzeloide.  Eine  ähn- 
liche Stellung  bei  Trevrezent  nimmt  Ither  ein  (498,  14),  den 
wir  bei  C.  nur  als  roten  ritter  kennen  lernen.  Trevrezent, 
der  einsiedler,  hat  wie  alle  anderen  helden  (s.  s.  62)  aben- 
teuerfahrten  im  minnedienst  unternommen  und  ist  dabei  mit 
Gahmuret  zusammengetroffen  (495,  18).  Clamide  und  Orilus 
spielen  bei  C.  eine  bloss  episodenhafte  rolle;  W.  erhöht  ihre 
bedeutung,  indem  er  ihnen  frühere  fehden  mit  Artus  zuschreibt 
(s.  s.  34. 44).  Den  Orilus  bringt  er  ausserdem  in  Zusammen- 
hang mit  den  abenteuern  des  Erec  (s.  s.  15),  weil  auch  dort 
ein  OrgueiUous  de  la  lande  (Hartm.  2575  der  höehvertiye  Landö) 


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ZUR  PA RZIV ALFRAGE. 


71 


vorkommt,1)  und  seiner  gemahlin  Jeschute  dichtet  er  eine 
verwantschaft  mit  Erec  an,  um  ihr  eine  königliche  abkunft 
zu  geben  (134,2)  und  dadurch  um  so  mehr  mitleid  mit  ihrer 
unverdienten  demütigung  zu  erwecken  (277,  19).  Charakte- 
ristisch ist  die  einführung  des  wilden  Dodines  aus  Hartmanns 
Erec  bei  gelegenheit  der  aus  verschiedenen  stellen  O.'s  zu- 
sammengearbeiteten eidesscene  (s.  40)  und  die  anknüpfung  an 
Erecs  vater  Lac  bei  der  erwähnung  von  Trebuchets  brunnen 
(W.  254, 1  =  C.  4848  qui  la  voie  tenir  sauroit  |  au  lac).2)  Ein 
klassisches  beispiel  aber  ist  der  bericht  W.'s  von  den  söhnen 
des  Gurnemanz  (s.  26),  diese  sonderbare  verquickung  von  namen 
und  tatsachen  aus  C.  mit  personen  und  abenteuern  aus  dem 
deutschen  Erec. 

Die  letzten  fälle  machen  es  unzweifelhaft,  in  wem  wir 
den  gemeinsamen  Urheber  dieser  erweiterungen  zu  suchen 
haben,  die  eine  durchgehende  künstlerische  absieht  verraten. 
Zugleich  führen  sie  uns  auf  die  frage  nach  W/s  literarischen 
kenntnissen  und  nach  seiner  geistigen  bildung  überhaupt. 

7.  Wolframs  geistige  bildung. 

W.  citiert  eine  ganze  reihe  von  deutschen  dichtern  und 
deren  werken,  teils  direct  und  meist  polemisch,  teils  in  an- 
spielungen  oder  vergleichen.3)  Hartmann  von  Aue  (134,  21), 
Veldeke  (292, 18.  404,  28),  Walther  (297,24)  und  Xeidhart  (Wh. 
312, 12)  nennt  er  mit  namen  und  zeigt  sich  mit  ihren  werken 
vertraut.  Die  beiden  ersteren  waren  offenbar  die  muster,  nach 
denen  er  sich  bildete,  und  Hartmanns  Erec  insbesondere  be- 
nutzte er  als  eine  wahre  fundgrube  für  namen.4)  Dass  er 
auch  abenteuer  daraus  in  seine  erzählung  verwebte,  ist  oben 
(s.  70  f.)  bemerkt  worden.  Ebenso  ist  in  die  erzählung  ver- 
flochten der  frauenräuber  Meljakanz  125,  11.  343, 26  u.  ö., 
dessen  name  aus  dem  Iwein  5680  stammen  kann,  dessen  aben- 
teuer mit  Lanzelot  aber  (387, 2.  583,  8)  nur  aus  einer  uns 

')  Bartsch  s.  125.  Dass  Hartmanns  werk  zu  gründe  liegt,  beweist  der 
ortsname  Prurin  134,12,  Euerin  Hartm.  Erec  2241.  2353,  Erröte  Crestiena 
Erec  2131;  s.  Heinzel  s.  5. 

»)  Bartsch  s.  122. 124.  Heinzel  8. 12. 

»)  Bartsch  s.  124  ff.  Heinzel  8.  4  ff. 

*)  S.  Bartsch  und  Heinzel  a.a.o. 


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72 


LICHTENSTEIN 


unbekannten  Übersetzung  von  C.'s  Karrenritter,  wenn  nicht 
aus  diesem  selbst,  genommen  sein  kann.  Aehnlich  verhält  es 
sich  mit  der  bezugnahme  auf  den  Cliges  (334, 11.  586,27.  712,8). 
Anspielungen  und  entlehnte  namen  weisen  ausserdem  auf  be- 
kanntschaft  mit  Eilharts  Tristan  und  Ulrichs  Lanzelot. ') 
Ferner  muss  W.  eine  reihe  von  erzählungen  gekannt  haben, 
die  uns  heute  verloren  sind:  von  Gawans  liebe  zur  königin 
Inguse  von  Bahtarliez  301,  8,  von  Garel  583,  12,  von  Artus' 
söhn  Iiinot  383, 4.  575, 28.  585, 30,  von  Lämbekin  von  Brabant 
74, 1.  270, 20.  Dass  diese  anspielungen  W.'s  eigene  zutat  sind, 
wird  allgemein  zugestanden;  es  ergibt  sich  auch  schon  daraus, 
dass  sie  grösstenteils  in  betrachtungen  und  vergleichen  an- 
gebracht sind,  'also  an  stellen,  wo  Selbständigkeit  W.'s  wahr- 
scheinlich ist  '  (Heinzel  s.7).  Am  allerdeutlichsten  aber  sprechen 
für  seine  Selbständigkeit  die  dem  Liddamus  in  den  mund  ge- 
legten beziehungen  auf  die  deutsche  heldensage  (Nibelungen 
und  Ermenrich  420, 22  —  421,  28), 2)  auch  insofern  als  W.  der 
einzige  unter  den  grossen  höfischen  epikern  ist,  der  fuhlung 
mit  der  volkspoesie  sucht.  Sogar  in  der  darstellung  macht 
sich  das  bemerkbar;  er  verwendet  einige  male  volksmässige 
formein  (390,9.  461,8),  und  die  scene,  welche  den  oben  er- 
wähnten anspielungen  vorausgeht  (411—412),  ist  ganz  im  Stile 
und  geiste  des  volksepos  gehalten.  Allerdings  forderte  die 
stelle  bei  (\  durch  manche  ähnlichkeit  mit  dem  letzten  kämpfe 
der  Nibelungen  zu  weiterer  angleichung  auf.s)  Wie  dort  be< 
reits  der  an  der  turmtür  gegen  seine  gastgeber  kämpfende 
Gawan  an  den  grimmen  Hagen  erinnert,  so  hat  offenbar  W. 
bei  dem  edlen  landgrafen  Kingrimursel  an  Rüdiger,  bei  dem 
schwachen,  wankelmütigen  könig  an  Etzel  gedacht.  Hat  er 
also  auch  hier  widerum  die  darstellung  nach  seinen  literarischen 

')  Für  Eilhart  beweist  hauptsächlich  die  namensfonn  Isolde  187,19, 
für  Ulrich  mit  den  sc/urnen  (V.liehteti)  nchrnkeln  Mnurin  W.  6Ö2,  19.  lTlr. 
3052.  Heinzel  hält  es  auch  hier  für  möglich,  das«  W.  die  französischen 
originale  gekannt  habe. 

*)  Heber  die  im  Wh.  vorkommenden  anspielungen  auf  das  Nibelungen- 
lied, die  Ermenrichsage  und  das  Rolandslied  s.  San  Marte.  Ueb.  Wh.  28-  1 02. 
Kaut,  Scherz  und  humor  89  f. 

n)  Der  hypothetische  »atz  C.  7428  se  il  esioit  enx  atoec  lui  hat  ver- 
mutlich veranlassnng  zu  W.'s  anffassung  gegeben,  dass  Kingrimursel  wirk- 
lich iu  den  türm  gehe. 


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ZUR  PARZIV  ALFRAGE. 


73 


reminiscenzen  frei  umgestaltet,  so  spricht  doch  wol  die  Wahr- 
scheinlichkeit dafür,  dass  die  im  ersten  buche  auftretenden 
deutschen  namen  Isenhart  und  Fridebrant  von  Schotten,  Schil- 
tunc,  Hiuteger,  Hernant,  Herlinde  derselben  quelle  entstammen ; 
zum  mindesten  bedürfte  es  eines  sicheren  gegenbe  weises,  ehe 
man  an  ihren  französischen  Ursprung  glauben  kann.1) 

Bei  W.  wenigstens  ist  es  eine  bekannte  tatsache,  dass  er 
allerlei  füllwerk  anzubringen  suchte,  um  seiner  dichtung  einen 
reichen  inhalt  zu  geben,  und  leider  überschritt  er  darin  bei 
weitem  das  rechte  mass.  'Sicherlich  hatte  W.  bei  seinem 
erstaunlichen  gedächtnisse  allerlei  kenntnisse  in  sich  auf- 
gesammelt, und  bei  seiner  neigung  für  anspielungen  und  be- 
ziehungen  dürfen  wir  auch  glauben,  dass  er  reichlich  von 
ihnen  gebrauch  machte'  (Bartsch  s.  131).  Ausser  namen,  die, 
aus  allen  möglichen  quellen  zusammengeholt,  oft  in  langen 
listen  bei  einander  stehen  (65,29  —  67,28.  770.  772),  ausser 
den  schon  erwähnten  angaben  über  wappen  (s.  64),  über  genea- 
logische und  persönliche  Verhältnisse  (s.69ff.)  gehört  hierzu 
eine  für  uns  recht  auffallende  summe  von  gelehrten  notizen. 
Jedoch  muss  man  sich  vor  äugen  halten,  dass  bei  der  im 
mittelalter  herschenden  encyklopädischen  Verbreiterung  und 
Popularisierung  des  wissens  mancherlei  kenntnisse,  zum  teil 
recht  abenteuerlicher  natur,  ins  volk  gedrungen  waren  und 
offenbar  von  mund  zu  mund  giengen.  Auf  diesem  wege  könnte 
unserem  dichter  seine  medicinische  und  astronomische  Weis- 
heit,1) seine  kenntnis  von  den  wunderbaren  eigenschaften  vieler 
tiere  und  steine1»)  zugeflossen  sein.  Es  lässt  sich  aber  erweisen, 
dass  er  directe  entlehnungen  aus  ganz  bestimmten  literarischen 
werken  gemacht  hat,  die  unmöglich  in  so  unveränderter  form 
bei  ihm  aufnähme  gefunden  hätten,  wenn  er  sie  aus  zweiter 
hand,  etwa  aus  einem  französischen  roman  übernommen  hätte. 

Eine  solche  gelehrte  quelle  ist  ,  wie  Martin,  QF.  42,  s.  5 

')  Der  hinweis  auf  (tonnond  und  Aquin  (Heinzel  8.  87)  genügt  nicht. 

»)  109,13  —  18.  480,3  —  483,18.  484,13—18.  489,24  —  490,30.  492,23 
—  493,  8  (521,  21  f.  8.  C.  8280—8305).  575,  20  -  576,  19  (vgl.  C.  5708—26). 
577,18—24.  578,8-11.  579,12-22.  580,19-30.  581,9— 21  (Vtfl.C.  9337-42). 
736,10-14.  741,16.  789,4  -  790,13.  792,1—7.  Wh.  216,  5— 23. 

3)  Steinkunde:  566, 21  f.  589,18-  22.  592,1.  741,6  14.  743,5-8. 
757,2—5.  775,5.  791. 


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74 


LICHTBN8TBH9 


nachgewiesen  hat,  Solinus'  Polyhistor.  Von  den  59  per- 
sonen-  und  völkernamen,  welche  in  dem  Verzeichnis  der  von 
Feirefiz  besiegten  könige  (770)  vorkommen,  lassen  sich  31  mit 
Sicherheit  bei  Solin  widerfinden,  bei  8  weiteren  ist  entlehnung 
wahrscheinlich.  Manche  sind  nach  einem  bestimmten  System 
verändert,  wie  wenn  jemand  sich  eine  kunstsprache,  einen 
jargon  zurecht  macht,  aber  immer  auf  directer  grundlage  der 
lateinischen  form,  so  die  völkernamen  auf  -jente  und  -jentestn 
(=  gentes  -f  -in  adj.-endung),  z.  b.  Trogodjente  770, 1  =  Troglo- 
dytue  populi  Sol.  28, 1  u.  ö.;  Nomadjentesin  8  —  Nomades  populi 
15, 14  iL  ö.  Hervorgehoben  zu  werden  verdient  der  name  Lid- 
damus  4  =  Lygdamis  Sol.  1,  74,  weil  dieser  selbe  name  416, 19, 
für  eine  andere  (bei  0.  unbenannte)  person  gebraucht,  den 
dichter  zu  der  ersten  berufung  auf  seine  autorität  Kyot  ver- 
anlasst. Das  vorkommen  des  namens  in  jener  liste  770  beweist 
für  die  entlehnung  aus  Solin;  es  ist  aber  durchaus  unwahr- 
scheinlich, dass  W.  denselben  zweimal  aus  verschiedenen  quellen 
geschöpft  habe.  Von  den  anderen  namen  in  jener  liste  inter- 
essieren besonders  Azagouc  und  Zazamanc,  die  bekanntlich  im 
ersten  buche  als  länder  Belakanens  auftreten  und  sogar  in  das 
Nibelungenlied  (Azagouc  nur  in  recension  C  439,  2)  eingang 
gefunden  haben.  Die  herleitung  aus  Solins  Azachaei  und  Ga- 
ramantes  wird  von  Martin  für  zweifelhaft  gehalten  und  bei  dem 
zweiten  wort  nur  unter  annähme  einer  textverderbnis  für 
möglich  erachtet.  Bei  Azachaei  ist  das  jedenfalls  nicht  nötig, 
denn  der  erste  teil  des  wortes  stimmt  ganz,  und  der  letzte 
teil  wird  bei  \V.  fast  immer  verändert,  z.  b.  Hiberborticön  < 
llypcrborei  populi  Sol.  lb\  1.')  Und  nun  beachte  man  die  teils 
auf  irrtum  teils  auf  Willkür  beruhenden  Verstümmelungen,  die 
W.  an  den  bei  C.  überlieferten  namen  (s.  58)  und  sogar  an 
denen  aus  deutschen  Schriftstellern  (Heinzel  s.5f.)  vorgenommen 
hat,  die  wunderlichen  misverständnisse  im  Parz.  und  im  Wh. 
(s.  57.  (30),  die  bizarren  Wortbildungen  W.'s  (Berns  tri  der  Korea, 
s.  s.  43;  Ligweiz  p  reif  jus;  Lischoys  Gwelljus;  Av  estroit  mävoie, 
s.  Bartsch  s.  121  f.),  so  wird  man  auch  geneigt  sein,  der  ablei- 
tung  Zazamanc  <  Garamantes  im  Zusammenhang  mit  den 


>)  Vielleicht  (lachte  W.  hei  Azayouc  an  die  hihlischen  länder  Gog 

und  Magog. 


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ZUR  PARZIVALFRAGE.  75 


anderen  namen  der  liste  zuzustimmen,  zumal  es  sich  hier  um 
einen  lateinischen  Schriftsteller  handelt  und  treue  ihm  gegen- 
über für  W.  nicht  geboten  war.  Manche  namen  der  liste 
sind  ebenso  wie  Ässagouc  und  Zazamanc  von  W.  noch  ander- 
weitig benutzt  worden,  so  namentlich  Nomadjen  tesin  Wh.  356,  5; 
Orastegentesin  <  Orestae  populi  (Sol.  9,  4)  P.  335,  22.  385,  6. 
Wh.  22,  20.  23, 22.  'Auch  abgesehen  von  abschnitt  770  hat  W. 
Solins  Polyhistor  als  namenverzeichnis  benutzt  und  ganz  be- 
sonders da,  wo  es  sich  um  Feirefiz  handelt'  (seine  geliebte 
Secundille  stammt  aus  Solin  1,  88,  deren  land  Tribalibot  <  Pa- 
libotra  Sol.  52,  12,  ihre  Stadt  Tabronit  <  Taprobane  Sol.  53,  1 
u.  s.  w.).  Ebenso  verdankt  er  die  kenntnis  der  zauberhaften 
Wirkung  des  bocksblutes  105, 18  ff.  dem  Solin  52,  59.  Die  stelle 
W.  657,28  Persidä  da  erste  zouber  wart  erdaht  ist  eine  wort- 
getreue Übersetzung  aus  des  Honorius  von  Augustodunum 
Imago  mundi  1. 1.  c.  14  Persida  .  .  .  in  hoc  primum  orta  est  ars 
magica  (Martin,  QF.  42, 6). 

Ein  mehr  als  zufälliges  zusammentreffen  ist  es  ferner, 
dass  eine  reihe  solcher  Specialkenntnisse  W.'s  sich  auf  Otto 
von  Freising  zurückführen  lassen:  1)  von  dem  welschen 
erbrecht  4,  28  ff.  =  Gesta  Friderici  2,  29,  s.  Zarncke,  Beitr. 
3,323;  —  2)  von  dem  katolicö  von  lianculat,  dem  armenischen 
Patriarchen  563,  7  f.  =  Chronicon  7, 32,  s.  Heinzel  s.  21.  Wilken, 
Kreuzzüge  7, 42.  Haupt,  Zs.  f da.  11, 42;  —  3)  von  den  zwei  ge- 
walten  im  Orient,  der  geistlichen  des  baruch  in  Baldach  und 
der  weltlichen  des  adnürats  entsprechend  dem  römischen  papst 
und  kaiser  Parz.  13, 22.  Wh.  45, 16.  217. 23.  434, 1  Chronicon 
7, 3  ff.,  s.  Heinzel  s.  8;  —  4)  von  dem  priester  Johannes,  der  an 
Feiretiz'  nachkommenschaft  angegliedert  wird  wie  der  schwanen- 
ritter  an  die  Parzivals  822,  23.  Nach  Oppert,  Der  presbyter 
Johannes  in  sage  und  geschiente1,  Berlin  1864,  s.  13.  ist  Otto 
v.  Freising  derjenige  Schriftsteller,  welcher  zuerst  (( 'hron.  7, 83) 
den  presbyter  namentlich  erwähnt  und  ausführlich  von  ihm 
berichtet. 

Noch  interessanter  ist  es,  dass  wir  für  eine  gelehrte  ein- 
schiebung  W.'s  nicht  bloss  die  lateinischen  quellen,  sondern, 
wie  es  scheint,  sogar  die  textrecension  des  Werkes  nachweisen 
können,  aus  dem  sie  stammen.  Es  ist  die  liste  der  58  edel- 
steine  W.  791.   Hierfür  hat  Bartsch  in  seinem  commentar  die 


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7G 


LICHTENSTEIN 


nachweisungen  aus  Albertus  Magnus  (Museum  f.  altd.  litt. 
2,  141),  aus  Josephs  Gedicht  von  den  edelsteinen  und  aus 
Marbods  weit  verbreitetem  Uber  lapidum  seu  de 
beigebracht.  Nun  stimmen  aber  viele  namensformen  nur  un- 
genau zu  denen  Marbods,  wie  sie  in  den  ausgaben  stehen, 
genauer  dagegen  zu  den  lesarten  der  Prager  hs.,  deren  Va- 
rianten in  Zachers  exemplar  des  Marbod  (ed.  Beckmann,  Gött. 
1709),  das  sich  jetzt  auf  der  Halleschen  universitäts-bibliothek 
befindet,  eingetragen  sind.')  Ich  stelle  nachfolgend  die  betref- 
fenden fälle  zusammen: 


w. 

Marh. 

Präger  hs. 

, 4  coralitt 

§  20  corallu* 

coraliu* 

5  optaUie» 

49  Ophthalmitis 

optalim  (Joseph 

var.  optalliu* 

optalias) 

7  eljotröpiö 

29  heiiotropia  gemma 

etitropia  (sonst  -Mit) 

8  antrodrayma 

48  androdramanta 

androdrama 

14  echites 

25  aetite» 

erhites 

15  Ugurivs 

24  hjncHriux 

Uguritu 

gof/t'ttes 

18  gagates 

a  gagates  ? 

10  cegölitus 

55  teculithus 

cegolitus 

17  jacinctus 

6  u.  14  hyacinthm 

iacinctus 

19  alabanda 

21  aiabandina 

alabamla 

24  lippareä 

45  laparaea 

liparaea 

28  melochites 

54  molochite* 

melochite» 

30  berilhts 

12  beryllos 

perilloH. 

(i  perillus 


Dies  sind  die  sicher  nachgewiesenen  literarischen  quellen; 
dass  W.  aber  noch  andere  benutzt  hat.  besonders  für  die  arabi- 
schen planetennamen  782  (vgl.  Bartsch  s.  1H2)  und  die  schlangen- 
namen  481.  8  (wo  er  sich  auf  die  nrzdbuoche  beruft),  ist  mit 
höchster  Wahrscheinlichkeit  anzunehmen. 

Ks  erhebt  sich  nun  die  frage:  wie  ist  W.  zu  dieseu  dingen 
gekommen?  Zwei  möglichkeiten  sind  offen:  entweder  hatte 
er  gelehrte  freunde,  die  ihm  diese  kennt nisse  zubrachten,  oder 
er  hatte  aufzeichnungen  darüber,  collect aneen  oder  dgl.  zur 
band.  Im  letzteren  falle  muss  man  natürlich  die  alte  ansieht, 
dass  W.  nicht  schreiben  und  lesen  konnte,  fahren  lassen;  aber 
auch  im  ersten  falle  ist  sie  kaum  aufrecht  zu  erhalten.  Wie 
konnte  er,  der  ritter,  derartige  gelehrte  notizen,  wie  konnte 

•)  Hierauf  hat  mich  herr  professor  .Sievers  aufmerksam  gemarht. 


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ZUR  PARZIVALFRAGE.  77 

er  jene  lateinischen  namen  aus  Solin  im  köpfe  behalten,  um 
sie  an  den  betreffenden  stellen,  zum  teil  mehrmals  mit  solcher 
genauigkeit  anzuwenden?  Als  ein  unding  aber  erscheint  es 
geradezu,  dass  er  jene  58  lateinischen  steinnamen  in  verse  und 
reime  bringen  konnte,  ohne  sie  geschrieben  vor  sich  zu  sehen. 
Man  mag  sein  gedächtnis  noch  so  hoch  veranschlagen,  man 
mag  auch  die  spielleute  und  wandernden  rhapsoden  anführen, 
die  viele  tausende  von  versen  im  gedächtnis  bewahrten;  aber 
das  waren  eben  verse,  die  sie  noch  dazu  unzählige  male  wider- 
holten, bis  sie  ihnen  zum  geistigen  besitz  wurden,  und  vor 
allem  es  waren  dinge,  die  in  ihrem  vorstellungskreise  lagen! 
Hier  aber  handelt  es  sich  um  gelehrte  notizen,  um  lateinische 
namen,  es  handelt  sich,  alles  in  allem  genommen,  um  einen 
höfischen  roman,  den  W.  aus  einer  fremden  spräche  übertrug, 
und  zu  dem  er  weitere  fremdartige  zutaten  von  beträchtlichem 
umfange  hinzufügte.  Die  art,  wie  er  dieses  ungeheure  niate- 
rial  zu  einem  kunstvollen  gewebe  verarbeitete,  indem  er  be- 
ständig vor-  und  zurückgriff,  lässt  ebenfalls  die  annähme,  er 
habe  dies  alles  ohne  Unterstützung  durch  das  auge  fertig  ge- 
bracht, als  nicht  recht  glaublich  erscheinen.  Darum  wird  nichts 
anders  übrig  bleiben,  als  in  seiner  äusserung  P.  115,  27  ine 
htm  decheinen  buochstup  eine  polemische  Übertreibung  zu  sehen, 
was  auch  durch  den  folgenden  vers  wahrscheinlich  gemacht 
wird,  der  ja  deutlich  auf  Hartmannn  zielt.') 

Ganz  ähnlich  steht  es  mit  der  anderen  frage,  was  wir 
von  W.'s  kenntnis  des  französischen  zu  halten  haben.  Auch 
hier  hat  man  sich  durch  eine  polemische  äusserung  W.'s  irre 
führen  lassen:  Wh.  237,  5  ein  ungef Heger  Tschampäneys  künde 
iril  baz  franzeys  dann  ich,  siviech  franzeys  spreche.  Das  geht 
doch  nur  auf  das  wie,  auf  die  qualität  seines  französisch. 
Damit  war  es  allerdings  nicht  weit  her;  das  zeigen  die  formen 
la  schantiure,  der  pareliure  456.21,  schuhtelakunt  43,19.  52,15, 
maJiinandc  646,30  u.s.w.2)  und  seine  misverständnisse  des  fran- 
zösischen textes  (s.  s.  57.  60  anm.),  obgleich  man  hier  nicht  den 
heutigen  massstab  anlegen  darf.  Dass  er  aber  eine  grosse 
menge  französisch  verstand,  das  geht  schon  aus  dem  umstände 

•)  Vgl.  Holland,  Gesch.  der  altd.  dichtimg  iu  Baiem  (Regensburg  1SB2) 
s.  127.   San  Marte,  Ueber  Wh.  s.  106. 
»)  Bartach  s.  13S.    Heinzel  8. 11. 


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LICHTENSTEIN 


hervor,  dass  er  unter  allen  mhd.  dichtem  die  meisten  fran- 
zösischen Wörter  und  redewendungen  in  seine  darstellung  ein- 
mischte.') Bisweilen  gibt  er  auch  die  deutsche  bedeutung  dazu, 
z.  b.  beä  curs.  der  name  ist  Huschen  schamcr  Up  187, 22.  Wir 
sehen  hieraus  ferner,  dass  W.  im  stände  war,  französische 
nanien  zu  machen,  denn  Beacurs  begegnet  bei  ihm  auch  als 
eigenname  (323, 1).  Er  verrät  sich  häufig  durch  unfranzösische 
bildungen  oder  gebrauchsweisen,  wie  Condwir  ämürs  (s.  31), 
Salvasche  ah  Muntäne  261,  28,  Scheute  flars  als  mannesname 
(s.  26  anm.).  Er  bildete  zu  Lit  marveile  eine  Terre  marveile 
und  ein  Schaufel  maneil  (s.  53)  und  ebenso  zu  Munsalvcesche 
eine  Terre  de  Salv&sche  251.4  und  Fontane  la  Salvätsche 
452, 13.  Ja,  dieses  Munsalvcesche  oder  Salväsche  ah  Muntäne 
ist  vermutlich  nichts  weiter  als  eine  Übersetzung  von  Wilden- 
bcrc,  dem  namen  seines  eigenen  lehens,  mit  dem  er  das  gral- 
schloss  contrastierend  vergleicht  230,  13.  242,  29.2)  Da  sieht 
man,  was  es  mit  W.'s  vielgerühmter  treue  gegen  die  Über- 
lieferung (Haupt,  Zs.fda.  11,48)  auf  sich  hat.  Ich  halte  es 
sogar  für  eine  offene  frage,  ob  nicht  W.  noch  andere  fran- 
zösische gedichte  gekannt  hat  ausser  den  beiden,  die  er 
bearbeitet  hat,  ob  er  nicht  vielleicht  gar  selber  einmal  in 
Frankreich  war  oder  wenigstens  mit  französischen  rittern  sich 
unterhalten  hat,  An  gelegenheit  dazu  dürfte  es  ihm  nicht 
gefehlt  haben.  'Damals  war  es  an  den  deutschen  höfen  sitte, 
die  französische  spräche  zu  reden  und  die  kinder  darin  unter- 
richten zu  lassen.  Landgraf  Hermann  und  sein  bruder  Ludwig 
waren  im  knabenalter  zu  ihrer  ausbildung  nach  Paris  gesant 
worden.  Von  daher  mag  auch  des  landgrafen  schätz  fran- 
zösischer bücher  herrühren,  die  der  bücherfreund  deutsch  be- 
arbeiten Hess,  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  er  selbst 
und  seine  nähere  Umgebung  der  französischen  spräche  mächtig 
gewesen  sei.  (Jewis  haben  an  seinem  geräuschvollen  und  nach 
W.'s  eigenem  Zeugnis  von  ab-  und  zuströmenden  gasten  über- 
füllten hofe  auch  französ.  adlige  und  ritter  sich  eingefunden.' a) 

l)  Otto  Steiner,  Die  fremdwörter  in  mhd.  dichtwerken,  Genn.  stud. 
2,  245.    Leo  Wiener,  French  words  in  Wolfrain  you  Escheubach,  American 
journal  of  philology  16  (1895)  1326  ff. 
Bartsch  s.  139.    Heinzel  8.  8. 

3)  San  Marte,  Ueber  Wh.  117  ff.  —  Vgl.  Schultz,  Höf.  leb.  1«,  157. 


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ZUR  PARZIYALFRAGE 


79 


Uebrigens  ist  bei  W.  nicht  alles  echt  französisch,  was  so  aus- 
sieht: ja,  die  namen  in  der  liste  der  von  Parz.  besiegten  fürsten 
(772)  erinnern  stark  an  volaptik  und  dürften  wol  zum  grossen 
teil  reine  phantasiegebilde  W.'s  sein. 

8.  Stil  und  composition. 

Wir  können  nach  dem  vorstehenden  gegenüber  der  be- 
hauptung  Haupts  von  der  treue  W.'s  in  bezug  auf  die  Über- 
lieferung constatieren,  dass  sich  W.  in  allen  beziehungen  die 
grössten  freiheiten  erlaubt  hat  (vgl.  s.  58  f.).  Dieser  Charakter 
prägt  sich  auch  in  seinem  stil  aus.1)  Er  schaltet  souverän 
mit  der  spräche  und  lässt  seiner  subjectivität  ungehindert  die 
zügel  schiessen.  Fast  nie  bewegt  er  sich  in  gerader  linie  vor- 
wärts, sondern  er  erlaubt  sich  die  wunderlichsten  abschwei- 
fungen  und  Sprünge.  Sein  gedankenreichtum  und  eine  gewisse 
unruhe  des  geistes  sind  die  treibenden  kräfte.  Wo  er  belehren 
will,  verfällt  er  alsbald  ins  phantastische,  in  'fliegende  bei- 
spiele';  wo  er  erzählt,  da  greift  er  beständig  vor  und  fühlt 
ausserdem  das  bedürfnis,  den  gang  der  erzählung,  das  vor- 
läufige verschweigen  wichtiger  umstände  dem  publicum  gegen- 
über zu  rechtfertigen,  ob  wol  er  sich  in  völliger  Übereinstim- 
mung mit  seiner  quelle  befindet  (241.  338.  453.  734).  Lange 
reden  kürzt  er  oder  löst  sie  in  gespräche  und  erzählung  auf 
(klage  der  Jeschute  ('.4921— 51  s.39,  der  Sigune  C.  4612— 30, 
s.  86,  Orilus  C.  5009—91  s.  40,  Artus  C.  5464—5510  s.  45,  klage 
der  mutter  C.  1602—82  s.  7.  8.  9.  25);  aber  auch  die  knappen 
wechselreden  C.'s  sind  nicht  sein  fall.  Häufig  überstürzt  sich 
bei  ihm  der  redende,  und  muss  lünterher  nachholen,  was  er 
gleich  anfangs  hätte  sagen  sollen  (P/s  eid  s.  40,  Gawan  303, 15. 
Obie  346, 3). 

Diese  eigenart  kennzeichnet  W.'s  darstellung  überhaupt 
und  kommt  auch  in  der  Ökonomie  der  einzelnen  bücher  zum 
ausdruck:  anfangs  rasches  vorwärtsdrängen,  am  schluss  behag- 
liches ausmalen  der  Situation,  nachträgliche  erwähnung  von 
namen  und  persönlichen  beziehungen  (s.  besonders  buch  6). 
Man  hat  die  verspätete  einführung  der  auftretenden  personen 

»)  Kinzel,  Zur  Charakteristik  des  Wolframscheu  stils,  Zs.  fdph.  5, 1. 
Vogt  in  Pauls  Grundr.  2a,  281.  Ausserdem  habe  ich  mündliche  anregungen 
des  herrn  prof.  Sievers  benutzt. 


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LTCHTENSTEIN 


besonders  auffällig  gefunden  in  den  ersten  beiden  büchern. 
Hier  werden  wir  erst  gegen  den  schluss  über  die  Personalien 
unterrichtet  (56. 108,5);  manche  namen  wie  Galoes  und  Schoette 
werden  überhaupt  nur  nebenbei  genannt  (80,14.  92,24).  'Nun 
kann  man  zugeben',  sagt  Müllenhoff,1)  'dass  diese  art  unprag- 
matischer erzählung  bei  W,  ganz  die  gewöhnliche  ist;  halb 
vergisst  er,  weil  er  zu  lebhaft  mitten  in  den  dingen  steckt, 
seine  personen  am  ersten  orte  ihres  auftretens  mit  namen  zu 
nennen;  ähnlich  wie  der  volksepiker  setzt  er  oft  den  stoff  als 
bekannt  voraus  und  beruhigt  sich  dann,  wenn  er  weiterhin 
oder  gelegentlich  das  nötige  nachholt,  teils  unterlässt  er  auch 
aus  künstlerischen  absichten,  um  dramatisch  und  erfolgreich 
zu  wirken,  die  nennung  oder  schiebt  sie  hinaus;  ja  man  kann 
sagen,  dies  unterlassen  der  nennung  wird  bei  ihm  aus  beiden 
gründen  beinahe  zur  inanier.  Aber  hat  er  die  fabel  selbst 
allein  erfunden  und  sagt  dann  seinen  hörern  nicht  gleich  im 
anfange:  der  sterbende  fürst  war  Gandhi  von  Anjou  u.  s.  f.,  so 
ist  das  . . .  der  abgefeimteste  betrug.'  Dieser  aussprach  enthält 
eine  starke  Übertreibung,  denn  Gandin,  Galoes  und  Schoette 
sind  nur  nebenpersonen ,  Gahmuret  hingegen  ist  an  der  rich- 
tigen stelle  genannt.  Dass  ausserdem  die  beurteilung  der 
Sachlage  falsch  ist,  ergibt  sich  aus  der  vergleich ung  mit 
Crestien.  Wo  W.  auf  C.  fusst,  bringt  er  die  namen  früher 
als  dieser:  Parzival  (s.  15),  Condwiramurs  (s.  31),  Gahmuret 
(s.  7),  Herzeloide  (bei  C.  gar  nicht  benannt),  Gurnemanz  (s.  23), 
Orilus  (s.  30).  Hier  ist  er  ruhiger  und  besonnener;  hingegen 
wo  seine  eigene  erfind ungskraft  tätig  ist,  da  geht  er  viel 
weniger  sorgfältig  zu  werke:  man  darf  wrol  sagen,  es  fehlt 
ihm  an  der  künstlerischen  mässigung,  um  ordnungsgemäss  zu 
berichten. 

Das  gleiche  Verhältnis  lässt  sich  auch  in  anderen  dingen 
beobachten.  (7s  darstellung  bewegt  sich  vielfach  in  allgemeinen 
ausdrücken  und  dunkeln  andeutungen,  z.  b.  über  die  folgen  der 
frage  und  ihrer  Unterlassung  4707.  0054.  7542,  über  feinde  des 
königs  Artus  und  des  vaters  des  beiden  1029—48.  2036—50. 
W.  bevorzugt  demgegenüber  concrete  angaben:  er  lässt  es  von 
vornherein  nicht  im  zweifei,  dass  die  frage  dem  oheim  genesung 


»)  Bei  Martin,  QF.  42, 17;  vgl.  auch  Botticher,  Zs.  Mph.  13, 428. 


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ZUR  PAKZIVALFRAOK. 


81 


und  Parzival  den  gral  erwerben  solle  (240, 2—9.  253, 20—30. 
255,17—20.  315,30—317,2.  483,20—484,8);  ihre  Unterlassung 
bringt  schände  und  gewissenspein  (245.  255,12.  315,20.  318,1 
u.  <">.);  auch  die  bestimmung  des  Schwertes  bleibt  nicht  im  un- 
klaren (240.  5.  254, 15).   Als  feinde  der  sippe  Parzivals  werden 
Orilus  und  Lähelin  genannt,  als  frühere  feinde  des  Artus  Ola- 
mide  und  Orilus  (s.  12.  34.  37.  44).  Den  Zusammenhang  zwischen 
dem  tode  Schianatulanders  und  dem  folgenden  Orüusabenteuer 
muss  man  bei  0.  mehr  erraten;  W.  stellt  dies  klar,  allerdings 
nicht  in  dem  sinne  O/s  (s.  37).   Das  zweideutige,  das  bei  C. 
in  dem  Verhältnisse  P.'s  zu  seiner  geliebten  liegt,  wird  durch 
eine  formelle  hochzeit  beseitigt  (s.  30).    Das  abenteuer  der 
verfolgten  ritter  und  jungfrauen  im  walde  ergänzt  W.  in  einer 
weise  die  den  Stempel  freier  erfindung  deutlich  an  sich  trägt 
(s.  12).   Einige  dunkle  andeutungen  C.'s  unterdrückt  er  ganz: 
über  die  foles  brctes,  die  leichtfertigen  bretonischen  jungfrauen 
8070;  die  verwundeten  ritter  an  Artus'  hofe  2144—47.  2193: 
das  abenteuer  auf  Montesclaire  0084  s.  s.  52.  Dessenungeachtet 
ist  W/s  gedieht  voller  dunkelheiten.   Seine  springende  dar- 
stellungsweise, seine  neigung,  überall  anspielungen  und  ver- 
gleiche anzubringen,  seine  originelle  spräche,  die  das  ungewöhn- 
liche und  entlegene  zu  suchen  scheint,  geben  dem  leser  oft 
auf  schritt  und  tritt  rätsei  auf.   Er  kennt  diese  seine  schwäche, 
er  weiss  auch,  dass  man  ihn  deswegen  angegriffen  hat  (Wh. 
4, 19.  237, 8,  s.  Gottfr.  v.  Strassb.  118, 16),  aber  er  folgt  unbeirrt 
seinen  eigenen  bahnen  und  macht  sich  über  diejenigen  lustig, 
die  ihm  in  seinen  kühnen  gedankenverbindungen  nicht  folgen 
können  (1, 15).   Allerorten  guckt  bei  W.  der  schalk  heraus, 
der  sich  mit  seinen  lesern  herumneckt  und  ihnen  schlankweg 
die  Verantwortung  zuschiebt  für  das  was  bei  ihm  wunderbar 
und  unglaublich  erscheinen  möchte.1)  Was  ergibt  sich  hieraus? 
Offenbar,  dass  die  dunkelheiten  W/s  aus  ihm  selber,  aus  seinen 
stilistischen  gewohnheiten  und  seinen  zutaten  zu  erklären  sind. 
Keine  von  den  dunkelheiten  C.'s  findet  sich  bei  ihm.  Es 
kann  gar  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  W.  ganz  der  mann  dazu 
war,  zusammenhänge  und  deutungen  selber  zu  suchen,  wo  sie 
in  seiner  quelle  fehlten.   Wir  sind  demnach  weder  berechtigt 

')  Vgl.  Kaut.  Scherz  und  huinor  a.  63  f.    San  Marte,  Zs.  fdph.  16,  133. 

Beiträge  mr  gotchlch'«  der  deutschen  sprach«.    XXII.  G 


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82 


LICHTENSTEIN 


anzunehmen,  dass,  'wo  W.  in  auffälliger  weise  kurz  erzählt, 
die  quelle  mehr  geboten  haben  müsse',  noch  'dass  seine  quelle 
hier  bis  zur  un Verständlichkeit  kurz  gewesen  sei'  und  W.  sie 
so  copiert  habe,  ohne  dem  mangel  abzuhelfen.  Beide  erklä- 
rungsweisen wendet  Heinzel  s.  21  f.  an.  Von  den  dort  an- 
geführten fällen  sind  die  ersten  beiden  auszuscheiden  (197. 12 
P/s  kämpf  mit  Kingrun,  200.  10  die  landung  zweier  schiffe 
vor  Pelrapeire),  weil  in  diesen  W.  wörtlich  mit  C.  überein- 
stimmt (s.  s.  30)  und  die  kürze  hier  nur  stilistische  eigen- 
tümiichkeit  ist.  Es  fehlt  hier  überhaupt  nichts  was  zum 
Verständnis  nötig  wäre.  Der  dritte  fall  aber,  das  abenteuer 
des  griechen  Hias  im  wundersehloss  334. 8.  ist  ganz  gewis 
eine  zutat  W.'s  (s.  s.  54  nebst  anm.  1).  weil  diese  hineinziehung 
von  personell  fremder  Sagenkreise  in  die  von  0.  überlieferten 
tatsachen  zu  \\7s  eigentümlichkeiten  gehört  (s.  s.  70  ff.). 

Zu  den  fällen  wo  Heinzel  auslassung  oder  kürzung  seitens 
W.'s  für  wahrscheinlich  hält,  gehört  das  Verhältnis  Gahmurets 
zur  königin  Ampflise  von  Frankreich.  Hier  erkennt  man  aber 
vielmehr  daraus,  wie  W.  immer  neue  einzelheiten  nachbringt, 
nachdem  er  anfangs  nur  ein  sin  friundin  und  deren  geschenke 
erwähnt  hat  ■)  (12, 8,  76, 6.  325, 27.  Tit.  38  f.  54.  92.  96.  99),  dass 
diese  geschichte  erst  nach  und  nach  in  seinem  köpfe  entstanden 
ist.  Ganz  ebenso  verhält  es  sich  mit  der  liebesgeschichte  Si- 
gunens  und  Schianatulanders,  die  schliesslich  den  dichter  so 
sehr  interessierte,  dass  er  ihr  ein  besonderes  epos  widmete. 
Von  einer  ausscheidung  dieses  Stoffes  aus  seiner  vorläge 
(Heinzel  s.  22—26)  kann  keine  rede  sein.  Wenn  W.  die  voll- 
ständige erzählung  von  anfang  an  vor  sich  gehabt  hätte,  dann 
hätte  er  sich  schwerlich  enthalten  können,  an  den  entsprechen- 
den stellen,  z.  b.  bei  gelegenheit  der  orientfahrten  Gahmurets 
(8,2.  12,3.  101,21.  105,3.  498,13),  einen  hinweis  auf  die  be- 
teiligung  Schianatulanders  und  sogar  auf  dessen  weitere  Schick- 
sale anzubringen,  wie  er  es  bei  allen  in  seine  geschichte  ver- 
flochtenen abenteuern  tut.  Denn  vorgreifen  und  verdeutlichen, 
nicht  zurückhalten  und  verdunkeln  ist  seine  art  gegenüber 
den  überlieferten  Stoffen  (  vgl.  s.  88).  Ich  erblicke  also  in  dem 
verschweigen  wichtiger  umstände  an  der  gehörigen  stelle  ein 


l)  Vgl.  Schultz,  Höf.  leb.  P,  ISS  anm.  2  und  3. 


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ZUR  PAKZIVALKUAGE.  83 

kriterium  für  deren  spätere  erfindung  durch  W.  und  für  seine 
Selbständigkeit  in  den  betreffenden  einflechtungen  überhaupt. 
Daher  auch  der  unbestimmte  ausdruck  dm  muost  se  Alexan- 
dra sin  18. 11,  wo  nachträglich  noch  eine  waffentat  Gahmurets 
in  den  dienst en  des  baruchs  erwähnt  wird;1)  daher  die  auf- 
fallende kürze  in  der  erzählung  dieser  abenteuerfahrten  Gah- 
murets 14.3  —  15,20  und  in  der  seines  todes  102,23.  Auch 
in  diesen  fällen  wird  der  bericht  erst  nachträglich  durch  den 
mund  des  meisterknappen  Tampanis  105,  13  und  durch  den 
mund  Trevrezents  407,23  ergänzt. 

Eine  solche  ergänzung  hat  W.  auch  am  schluss  seines 
sechsten  buches  für  notwendig  erachtet.  Hier  sind  nicht  bloss 
die  beiden  letzten  dreissiger,  welche  in  den  meisten  hand- 
schriften  fehlen,  ein  späterer  znsatz  W.'s,  wie  Heinzel  s.  27 
zugibt,  sondern  auch  die  andern  nachtrage  (325,17  —  326,3. 
320,15  —  329, 14,  s.  s.  54  f.)  und  schon  die  erste  einflechtung 
von  Feirefiz  in  der  rede  der  gralbotin  317,  3 — 10  sind  W.'a 
eigentum.  Ja,  die  heidin  Ekuba  von  Janfuse  scheint  eigens 
aus  dem  morgenlande  gekommen  zu  sein,  nicht  durch  ma>re 
mit  zerkennen  äventiure,  wie  es  \V.  329,  2  in  seiner  Verlegen- 
heit motiviert,  sondern  eben  um  jene  genaueren  notizen  über 
den  orient  und  Feirefiz  anzubringen. 

Nun  gar  die  geschiente  von  dem  Warenlager  der  Secun- 
dille,  die  durch  nachträgliche  aufklärungen  immer  complicierter 
wird  (519,2  —  520,2.  616,15  —  617,30.  623,20.  Wh.  279,  13; 
vgl.  Heiuzel  s.  27.  31).  Den  ausgangspunkt  bildet  das  Schach- 
spiel- und  juwelenlager  des  reichen  eskiekier*)  vor  der  wunder- 
burg  bei  C.  9013.  Es  musste  erklärt  werden,  wie  dieses  dorthin 
kam,  und  dabei  fand  sich  zugleich  die  mögliehkeit,  auch  für 
andere  wunder  und  kostbarkeiten  den  Ursprung  zu  bestimmen 
(zwerge,  wundersäule,  kostbare  Stoffe  und  steine  519, 2.  589, 10. 
592, 18.  629, 20)  und,  was  noch  wichtiger  war,  drei  bei  0.  ge- 
trennte personell  mit  einander  in  Verbindung  zu  bringen: 

•)  Die  widererkennung  Gahmurets  durch  den  marsehall  der  künigin 
ist  vielleicht  der  Siegfrieds  durch  Hagen  nachgebildet. 

2)  Heinzel  s.  30  übersetzt  eskiekier  mit  1  Wechsler':  das  ist  unrichtig; 
eskiekiei-  ist  ein  verfertiger  von  eskies  s.  C.  9014:  er  ist  damit  beschäftigt, 
einen  esehenstab  zu  glätten,  führt  aber  auch  arbeiten  in  gold,  silber  und 
edelsteinen  ans;  er  ist  also  kunstdrechsler  und  juwelier  zugleich. 

0* 


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■ 

84 


LICHTENSTEIN 


Anfortas  —  Orgeluse  —  Klinschor.  Und  dazu  kommt  noch, 
dass  die  namen  Secundille,  Tribalibot,  Tabronit  von  W.  aus 
Solin  entlehnt  sind  (s.  75). 

Liegt  demnach  sachlich  kein  grund  vor,  an  kürzungen 
oder  auslassungen  \V7s  zu  glauben,  so  darf  man  sich  am 
allerwenigsten  durch  gewisse  poetische  Übergänge  bei  ihm 
täuschen  lassen,  durch  welche  er  scheinbar  andeutet,  dass  er 
mehr  sagen  könnte,  wenn  er  wollte  (Heinzel  s.  21).  Dass  diese 
Wendungen  rein  phraseologisch  sind  und  nach  ihrer  scherz- 
haften färbung  einen  bestandteil  seines  'persönlichen  humors'1) 
bilden,  ergibt  sich  bei  näherer  prüfung  und  vergleichung  mit 
C.  durchweg.  W.,  der  personen  und  namen  so  gerne  häuft 
(vgl.  s.  73),  lässt,  nachdem  er  fast  2  x  30  zeilen  mit  den  wun- 
lichen  namen  besiegter  könige  gefüllt  hat,  Parz.  bemerken: 

772,  26  solt  ich  gar  nennen  da  ich  Mtreit, 
daz  wieren  unknndiu  zil: 
durch  not  irh»  muoz  verewigen  vil. 

Wer  wird  das  ernst  nehmen?  Derselbe  fall  liegt  im  siebenten 
buche  vor,  das  W.  mit  hilfe  seiner  Sachkenntnis  und  phantasie 
zu  einem  grossen  schlachtengemälde  mit  einer  menge  einzel- 
kämpfe erweitert  hat  (s.s.  62);  schliesslich  bricht  er  ab  mit 
den  Worten: 

388.  4  solt  ich  se  in  alle  nennen, 

ich  wurde  ein  uinniiezec  mau. 

Diese  geradezu  stereotypen  redewendungen  sind  dem  Parz.  mit 
dem  Wh.  gemein,  für  den  der  dichter  doch  gewis  keine  zweite 
vorläge  hattte:  zu  vgl.  P.277,8  (s.s.  44).  b'99,  28.  809,23.  Wh. 
319.  16.  44<>,  29.  Es  ist  überhaupt  in  so  gut  wie  allen  fällen 
nichts  weiter  zu  sagen  oder  zu  verschweigen,  es  handelt  sich 
um  ausschmückungen,  um  füllwerk,  also  um  erweiterungen  W.'s 
(  vgl.  noch  515, 8.  (542, 10.  731, 9.  773, 18).  Der  Übergang  selbst 
enthält  manchmal  alles  was  man  noch  erwarten  könnte,  z.  b. 
816,  1—7,  oder  aber  'der  dichter  stellt  sich  zuerst,  als  wolle 
er  etwas  übergehen,  erzählt  es  dann  aber  doch'  401,28.  403, 15 
(Heinzel).  Dass  W.  sehr  viel  aus  eigener  anschauung  und 
Phantasie  geschöpft  haben  mag,  verraten  schliesslich  solche 
schalkhaften  Wendungen  wie:  'wenn  ihr  noch  mehr  wissen 
wollt,  dann  fragt  nur  die  leute,  die  es  gesehen  haben '  (504,5) 

»)  Kant,  Scherz  und  humor  8.  67. 


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ZUR  PARZ1VALFRAGK. 


85 


oder  *die  nachbarn'  (Wh-208, 28)  oder  *die  fahrenden  leute, 
die  bei  jener  hochzeit  gäbe  empfangen  haben*  (397, 7)  oder 
4  die  sachverständigen  bauleute  nnd  küchenmeister'  (403,  15. 
037,  1). 

In  Übergängen,  Verbindungen  und  moti  Vierlingen  entfaltet 
W.  überhaupt  eine  originale  kunst,  da  0.  hiervon  nichts  hat 
und  unvermittelt  abenteuer  an  abenteuer  reiht.  Das  bestreben, 
den  verlauf  der  handlung  glaubhaft  zu  machen,  tritt  dabei 
deutlich  zu  tage.  Es  verrät  sich  einmal  in  directer  psycholo- 
gischer motivierung  (s.  s.  67 — 69),  ausserdem  aber  in  kleinen 
abänderungen  und  Zusätzen,  durch  welche  die  innere  Wahr- 
scheinlichkeit gehoben  wird;  133.17.  133,27  (s.  15).  155.29 
(s.20).  162,15.  173,14  (8.21),  177,1  (s.  24).  204,22  (s.31). 
209, 2  (s.  32).  218,  28  (s.  34).  221, 1  (s.  35).  140,  6  (s.  37).  281.  23 
—282, 3  (s.  46).  361, 1.  vgl.  f.  6548.  Als  P.  durch  das  anstarren 
der  drei  blutstropfen  in  eine  art  von  hypnotischem  zustand 
versetzt  worden  ist,  da  bedarf  es  besonders  starker  motive, 
um  ihn  zum  bewusstsein  seiner  läge  zurück  zu  bringen  (s.  47. 
48.  49). 

Wie  wenn  W.  sich  hierin  nicht  genug  tun  könne,  häuft 
er  bisweilen  die  motive.  Diese  erscheiming,  die  Bötticher, 
Zs.  fdph.  13, 424  für  zwei  stellen  des  zweiten  buchs  beanstandet 
und  gegen  \V.  auslegt,  ist  vielmehr  bei  diesem  ganz  gewöhn- 
lich und  geradezu  charakteristisch.  Sie  begegnet  im  Wh.  (s. 
s.  60)  und  kehrt  im  Parz.  bei  vielen  gelegenheiten  wider,  und 
zum  teil  an  stellen,  wo  W.'s  Selbständigkeit  ausser  zweifei 
steht  (z.  b.  737, 25).  Zwei  gedanken  begleiten  P.  durch  alle 
Prüfungen  und  kämpfe:  die  Sehnsucht  nach  der  gattin  und 
nach  dem  gral  389,10.  425,5.  441,4.  467,26.  619,4.  737,27. 
740, 19.  Wer  W.  kennt,  wird  nicht  zweifeln,  dass  das  erstere 
motiv  sein  zusatz  ist  (vgl.  s.  62  f.  69).  Zwei  gründe  bestimmen 
P.,  von  seiner  gattin  abschied  zu  nehmen:  der  wünsch,  die 
mutter  widerzusehen,  und  ottch  durch  äventiure  eil  223, 23 
(s.  35).  Zwei  veranlassungen  führen  den  kämpf  zwischen 
Orilus  und  Schianatulander  und  den  tod  des  letzteren  herbei : 
die  fehde  um  P.'s  erbländer  und  ein  minnedienst  140.  28.  141, 16 
(s.  37).  Hiermit  vergleiche  man  das  turnier  vor  Kanvoleiz: 
zwei  verschiedene,  für  sich  durchgeführte  und  nur  äusserlieh 
in  der  person  Gahmurets  verbundene  motive  laufen  hier  neben 


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86 


LICHTENSTEIN 


einander  her:  die  fehde  zwischen  Hardiz  und  Kailet  07,  29. 
89,9.  100,21.  48,11  und  das  turnier  um  Herzeloydens  hand 
00,9.  85.13.  88,25.  96,1.  Jenes  stammt  möglicherweise  aus 
der  von  W.  hier  eingeflochtenen  erzählung  von  Lämbekin 
von  Brabant  89, 13,  vgl.  s.  72);  dieses  ist  für  die  haupthand- 
lung  notwendig  und  W/s  erfindung  wol  zuzutrauen.  Das 
'ganze  hat  ausserdem  ein  analogon  in  dem  turnier  vor  Bea- 
rosche  im  siebenten  buch.  Auch  diesem  liegt  keine  einheit- 
liche anschauung  zu  gründe:  (\  spricht  nur  von  einem  turnier 
(6211.42.  48  u.ö.),  W.  macht  daraus  eine  kriegerische  belage- 
rung  (349,  7.  351,  25);  aber  die  sache  läuft  auf  dasselbe  hinaus, 
denn  einerseits  hat  auch  0.  die  vermauerten  tore  0274,  andrer- 
seits schwankt  \V.  noch  zwischen  den  beiden  begriffen  347, 13 
t'z  si  strifen  oder  turnei,  vgl.  355,  19.  350,  11.  380,28.  387.30. 
Das  motiv  des  Melianz  bei  (\  ist  einfach,  sich  in  rittertaten 
auszuzeichnen,  wie  die  dame  es  geraten  hatte.  0247;  bei  W. 
kommt  ein  edler  zorn  und  das  verlangen  nach  räche  hinzu, 
weil  er  dem  vater  mitschuld  an  seiner  demütigung  beimisst, 
347,  9.  Vergleicht  man  die  beiden  darstellungen,  so  sieht 
man  deutlich,  wie  eine  aus  der  anderen  hervorgegangen  ist, 
und  W.  brauchte  gewis  keinen  vermittler,  um  diese  Weiter- 
bildung der  fabel  vorzunehmen,  die  mit  ihrer  tiefen  seelischen 
erregung  und  mit  ihren  germanischen  rechtsansehauungen  (ge- 
rieht der  genossen  347.24.  mannentreue  354,30)  durchaus  für 
seine  Urheberschaft  spricht.  In  ähnlicher  weise  kann  man 
vielfach  bei  \Y.  eine  entwicklung  der  Vorstellungen  beobachten 
(vgl.  s.  82).  dergestalt  dass  die  anfangs  heischende  begründung 
einer  handlung  zurücktritt  und  einer  neuen  auffassung  platz 
macht.  Das  kampfverbot  des  Artus  280,  20  ist  zuerst  eine 
massregel  zur  aufrechterhaltung  der  diseiplin.  nachher  280, 10 
führt  der  könig  die  nähe  der  gralburg  als  grund  an;  das  ist 
aber  ein  zusatz.  der  keine  berechtigung  hat.  wie  s.  47  gezeigt 
worden  ist.  Gahmurets  auszug  wird  zu  beginn  der  erzählung 
4,  27  mit  seiner  crblosigkeit  motiviert;  später  wird  dieser 
grund  durch  den  edelmut  des  bruders  hinfällig.')  und  nun  ist 
es  einfach  der  tatendrang,  der  ihn  aus  der  abhängigkeit  und 
Untätigkeit  hinaus  in  die  freie  weit  und  zur  eroberung  eines 

'>  Bottiche,  Zs.fdph.  12,  37S». 


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ZUR  PARZIVAL  FRAGE. 


87 


eigenen  herdes  treibt  (7,  19.  8.  8).  Nichts  verbietet,  diesen 
gedankengang  dem  dichter  tatsächlich  zuzuschreiben.  Seinen 
abschied  von  Belakane  motiviert  Gahmuret  ihr  selbst  gegen- 
über in  einem  briefe  (55,24.  56,25)  mit  der  Verschiedenheit 
ihres  glaubens.  Als  entscheidenden  grund  aber  gibt  er  später 
(90,29.  96,29)  die  Zurückhaltung  von  ritterlichen  taten,  die 
sie  ihm  auferlegte,  und  die  besorgnis  sich  zu  verliegen  an. 
Dieses  zweite  motiv  hat  nach  Bötticher  (Zs.  fdph.  13, 424)  W. 
hinzugefügt,  'um  den  sittlichen  makel,  der  seinem  beiden  an- 
haftete, von  ritterlichem  gesichtspunkte  aus,  so  weit  es  mög- 
lich war,  zu  vertuschen'.  Das  erste  motiv  aber  war  darauf 
berechnet,  auf  Belakane  eindruck  zu  machen.  Sei  es  nun, 
dass  dieses  nur  ein  vorwand  war,  oder  dass  Gahmuret  wirk- 
lich zu  seinem  schritte  durch  mehrere  erwägungen  bestimmt 
zu  denken  ist,  oder  endlich  dass  in  dem  köpfe  des  dichters 
die  eine  Vorstellung  die  andere  ablöste:  ein  grund  zur  annähme 
einer  verlorenen  quelle  liegt  nicht  vor. 

Aus  all  dem  angeführten  geht  eius  mit  Sicherheit  hervor, 
dass  wir  W.  die  tendenz  zu  motivieren  und  zusammenhänge 
herzustellen  in  hohem  grade  zuschreiben  dürfen;  damit  ist  frei- 
lich nicht  gesagt,  dass  dieses  princip  nun  überall  gleichmässig 
durchgeführt  wäre.  Wie  in  bezug  auf  die  eingestreuten  an- 
spielungen  und  beziehungen,  so  gibt  er  auch  hierin  stellen- 
weise ein  zuviel,  während  anderwärts  mancher  unvermittelte 
gedankensprung  stehen  geblieben  oder  vielmehr  durch  \\7s 
stilistische  eigenheiten  erst  hineingekommen  ist. 

Ein  streben  nach  einheitlichkeit  und  besserer  Verbindung 
gibt  sich  auch  in  der  anordnung  des  Stoffes  kund,  die  gegen 
C.  manche  Verschiebungen  innerhalb  der  einzelnen  abenteuer 
aufweist.  Urbach  s.  23  führt  eine  ganze  reihe  von  beispielen 
auf,  wo  bei  W.  Unterbrechungen  des  dialogs  (P.  und  die  ritter 
im  walde,  P.  und  die  mutier,  P.  und  Sigune)  oder  der  erzäh- 
lung  (die  schiffe  vor  Pelrapeire,  die  schmähreden  der  damen 
in  Bearosche)  durch  Umstellung  beseitigt  und  ein  zweckloses 
zerreissen  des  gedankenzusammenhangs  glücklich  vermieden 
ist.  Ich  möchte  besonders  auf  den  schluss  des  sechsten  buches 
hinweisen,  wo  alles  was  sich  auf  die  abreise  bezieht  (auch 
das  Zwischenstück  zwischen  dem  erscheinen  der  gralbotin  und 
des  Kingrimursel  und  die  rückkehr  des  hofes  nach  Karidcel, 


88 


MCHTENSTEIN 


s.  s.  53.  54. 55),  bis  zuletzt  verschoben  und  hier  zu  einer  gemüt- 
vollen absclüedsscenc  ausgesponnen  ist.  Umgekehrt  ist  am 
anfang  des  dritten  buches  zusammengestellt,  was  C.  erst  später 
gelegentlich  über  die  erziehung  P.'s  sagt,  und  diesem  teile 
wider  ist  die  geschiente  der  eitern  vorausgeschickt,  die  auf 
motiven  aus  der  abschiedsscene  bei  0.  beruht.  Anticipationen 
bilden  überhaupt  die  regel  unter  den  Umstellungen  W.'s.  Nicht 
nur  namen  finden  wir  bei  ihm  früher  (s.  s.  80)  und  andetitungen 
späterer  abenteuer  (135,14.21.  340,1),  sondern  es  sind  in  die 
darstellung  eine  menge  einzelner  züge  und  ganzer  scenen  ver- 
webt, die  bei  C.  viel  später  und  bisweilen  in  einem  ganz 
anderen  zusammenhange  ihre  wörtliche  entsprechung  finden: 
P.'s  kosenamen  (s.  8),  die  entführung  der  Arnive  (s.  57,  anm.  2), 
die  lehren  über  das  grtissen  und  über  die  Vermeidung  dunkler 
fürten  (s.  13.  14),  das  erste  Sigunenabenteuer  (s.  15).  die  Prophe- 
zeiung des  toren,  Keies  stab,  die  zöpfe  (s.  19).  der  tod  des 
Schenteflurs  (s.  26),  Trevrezents  kefse  und  Taurians  speer  bei 
P.'s  eid,  vorweggenommen  aus  (Hawaiis  eid  (s.  41).  (Hawaiis  be- 
merkung  über  seinen  namen  (s.  50),  Kingrimui-sels  sicheres 
geleit  für  flawan  (s.  54).  Die  Verfluchung  P.'s  durch  Sigune 
255.2  wird  von  Küpp  s.  25  unter  den  Überschüssen  W.'s  auf- 
geführt; ich  meine  aber,  dass  sie  nichts  weiter  ist  als  eine 
vorgreifende  nachahmung  der  Verfluchung  durch  die  gralbotin. 
Sigunens  rede  ist  im  anfange  bei  beiden  dichtem  überein- 
stimmend ein  weheruf.  dann  aber  schwebte  W.  die  spätere 
stelle  vor,  und  er  konnte  der  Versuchung  nicht  widerstehen, 
schon  hier,  unmittelbar  nach  der  Verschuldung  P.'s.  den  fluch 
einzuführen. 

In  solcher  weise  hat  \Y.  oft  bei  parallelen  scenen  aus- 
gleiche vorgenommen,  vgl.  den  empfang  der  besiegten  ritt» 
(s.  44),  Gawan  und  Jofreit  fiz  Idcpl  (s.  35).  Aber  unangenehme 
widerholungen  unterdrückt  er:  das  schweigende  verhalten  des 
königs  auf  P.'s  zweimalige  anrede  C.  2099. 211(5  (s.  17),  Iwanets 
berieht  (s.  20),  die  nachricht  vom  tode  der  mutter  (s.  38),  die 
erzählung  des  Orilus  (s.  40).  Clamides  botschaft,  die  Prophe- 
zeiung des  toren,  Artus'  erzählung  (s.  45),  die  zweimalige 
namensnennung  P.'s  ('.  5800  f.  5936 — U)  (s.  51),  die  zweimalige 
erinnerung  an  (iurnemanz  auf  der  gralburg  (■.  4380 — 90.  4421 
-31  —  \V.  239, 8— 17,  den  dreifach  widerholten  streit  der 


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ZUR  PA  KZI  V  ALFRAGE. 


89 


damen  in  Bearosche  C.  6376  —  94.  6408  —  29.  6898  —  6946  = 
W.  357, 28  —  358,14,  das  zweimalige  erwachen  des  Griogoras 
0.  7949.  8325  ^  W.  506,  18.  Geschickt  versteht  er  es,  ab- 
wechslung  zu  schaffen,  siehe  Orilus'  zusammentreffen  mit 
seiner  Schwester  (s.  45  f.),  P.'s  kämpfe  mit  Segramors  und  Keie 
(s.  48).  Tn  fast  allen  parallelen  scenen  hat  W.  entlehnungen 
von  vor-  oder  rückwärts  gemacht  und  dadurch  oft  eine  pas- 
sendere anordnung  genommen:  siehe  die  lehren  der  mutier 
und  des  Gurnemanz  (s.  13.  24),  P.'s  kämpfe  mit  Kingrun  und 
Hamide  (s.  30. 33).  die  hässlichkeit  der  gralbotin  und  des 
knappen  Malcreatiure  (s.  52),  die  scene  auf  der  gralburg  und 
die  erklämng  derselben  durch  Sigune,  Kundrie  und  Trevre- 
zent  (s.  52). 

Nichts  nötigt  oder  berechtigt  uns.  auf  einen  dritten  zu 
schliessen,  der  unserm  W.  die  hier  erwähnten  änderungen  so 
zurechtgelegt  hätte,  wie  er  sie  widergibt.  Das  ist  bei  W/s 
bekannter  Selbständigkeit  sogar  im  höchsten  grade  unwahr- 
scheinlich und  in  einigen  der  angeführten  fälle  direct  aus- 
geschlossen (vgl.  auch  W.'s  verhalten  im  Willehalm,  s.  60). 
Ausserdem  ersieht  man  aus  den  theoretischen  excursen,  in 
denen  W.  den  gang  der  erzählung  verteidigt,  241.  338.  453. 
734,  dass  er  sich  mit  bewusstsein  von  künstlerischen  principien 
leiten  lässt. 

Wie  von  der  zweckmässigen  anordnung  und  Verbindung 
des  einzelnen,  so  gilt  dies  insbesondere  von  dem  planvollen 
aufbau  des  ganzen.  Dass  wir  den  romantorso  (7s  bei  ihm 
vorn  und  hinten  ergänzt  finden,  will  noch  nicht  viel  bedeuten: 
das  hätte  ein  unbedeutenderer  bearbeiter  auch  vermocht.  Die 
abgerundete  form  jedoch  und  die  übersichtliche  disposition,  in 
der  das  ganze  bei  W.  erscheint,  ist  das  werk  eines  grossen 
dichters.  Die  geschiente  des  hehlen  gliedert  sich  darin  in 
fünf  grosse  abschnitte: 

1.  P.'s  jugend  bis  zur  Verfluchung  durch  Kundrie  (b.  3 — 6). 

2.  P.'s  trotzige  Verzweiflung:  erste  Gawanepisode  (b.  7 — 8). 

3.  P.'s  bekehrung  und  absolution  (b.  9). 

4.  P.'s  reumütiges  suchen  nach  dem  gral:  zweite  Gawan- 
episode (b.  10—13). 

5.  P.'s  bewährung  und  erlangung  des  gralkönigtums  (b.  14 
-16). 

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90 


LICHTENSTEIN 


Man  braucht  gar  nicht  anzunehmen,  dass  W.  diese  disposition 
in  ihrer  abstracten  fonn  vor  äugen  gehabt  und  etwa  danach 
gearbeitet  habe:  es  genügt,  dass  sich  das  vorliegende  werk 
dieser  betrachtungsweise  ungezwungen  fügt.  Und  W.  ist  nicht 
ohne  verdienst  daran. 

Die  störenden  Gawanepisoden  wegzulassen  oder  erheblich 
einzuschränken,  dazu  konnte  er  sich  freilich  nicht  entschliessen, 
weil  er  überhaupt  so  gut  wie  nichts  weglässt  (ausgenommen 
einige  widerholungen,  dunkle  andeutungen  und  rohe  züge,  s. 
s.  88.  81.  68):  insofern  also  ist  er  treu  gegen  die  Überlieferung. 
Aber  er  hat  ein  anderes  mittel  gefunden,  um  die  Störungen 
des  Zusammenhangs  nicht  zu  völligen  Unterbrechungen  werden 
zu  lassen  und  sie  sogar  für  die  darstellung  der  inneren  ent- 
wicklung  des  beiden  in  geschickter  weise  zu  verwerten.  Er 
lässt  diesen  fortwährend  im  hintergrunde  der  scene  erscheinen 
und  bewirkt  dadurch,  dass  wir  nie  aufhören,  uns  in  gedanken 
mit  ihm  zu  beschäftigen.  Die  entstehung  dieser  meisterhaften 
einfleehtungen  will  Küpp  s.  25  in  die  hypothetische  gemeinsame 
quelle  verlegen,  'weil  bei  der  erzählung  eines  so  wichtigen 
und  ausführlich  berichteten  ereignisses'  der  held  des  gesammten 
gediehtes  4 doch  nicht  gänzlich  vergessen  gewesen  sein  kann*. 
Heinzel  s.  37  erblickt  darin  einen  'künstlerischen  vorzug'  des 
nicht  minder  hypothetischen  Werkes  von  Kyot,  'den  ('.  wol 
gewürdigt  und  beibehalten  hätte',  wenn  er  ihn  in  der  gemein- 
samen quelle  vorgefunden  hätte.  Ich  meine  aber,  dass  dieser 
zug  demjenigen  angehört,  der  selbst  im  AVillehalm  sich  nicht 
enthalten  konnte,  beziehungen  auf  Parzival  anzubringen,  der 
scene  für  scene  die  gelegenheit  wahrnimmt,  auch  die  übrigen 
personell  des  dramas  an  der  handlang  zu  beteiligen  (vgl.  Cla- 
mide  in  der  Orilusscene  277,6.  das  turnier  von  Kanvoleiz  65, 
20  ff.  68, 22),  und  der  die  getrenntesten  abenteuer  mit  einander 
in  Verbindung  zu  bringen  gewusst  hat  (Anfortas  —  Orgeluse 
Klinschor).  Hier  haben  wir  die  übereinstimmenden  merkmale 
einer  dichterindividualität,  die  nirgend  wider  mit  solcher  be- 
stimmtheit  in  der  mittelalterlichen  literatur  auftreten.  In  den 
uns  überlieferten  französischen  gralromanen  ist  von  einer  plan- 
mässigen  anordnnng  und  Verteilung  des  Stoffes  überhaupt 
keine  rede:  die  Gawanepisoden  nehmen  bei  den  fortsetzern 
C.'s  einen  immer  breiteren  räum  ein.    \V.  allein  hat  es  ver- 


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ZUR  PARZIV ALFRAGE.  .  91 

standen,  sie  in  den  rahmen  des  ganzen  einzufügen,')  und  er 
folgte  dabei  wol  nur  einem  glücklichen  instinct  seiner  eigen- 
artigen dichternatur,  jenem  triebe,  überall  beziehungen  her- 
zustellen. 

Wie  wenig  abstract  logisch  er  dabei  verfuhr,  zeigt  die 
ziemlich  inconsequente  durchführung  des  planes.  Golther  unter- 
scheidet deshalb  s.  1 16  ganz  richtig  eine  doppelte  umgestaltende 
tätigkeit  innerhalb  des  Parzival:  einmal  den  planmässigen 
aufbau  der  geschichte,  andererseits  die  zahlreichen  Ungleich- 
heiten, Seitensprünge  und  abschweifungen.  Letztere  zusammen 
mit  der  ethischen  auffassung  will  er  \V.  vindicieren,  erstere 
schreibt  er  Guiot  (Kyot)  zu.  Das  ist  jedoch  durch  nichts  be- 
wiesen; die  Vereinigung  beider  Seiten  in  einem  dichtergeiste 
ist  möglich  und  für  W.  sicher  zu  erweisen.  Der  trieb,  überall 
beziehungen  anzubringen,  der  sich  auch  im  Titurel  und  Wille- 
halm  so  bestimmt  ausprägt,  führte  ihn  einmal  zur  Verbindung 
des  zusammenhangslosen,  in  seiner  Übertreibung  aber  bewirkte 
er  die  einflechtung  von  allerlei  überflüssigen  und  störenden 
hinweisen  und  verschuldete  es  so,  dass  jene  einheit  unvoll- 
kommen bb'eb. 

Nun  wird  jeder  zugeben,  dass  es  leichter  ist,  einen  über- 
lieferten stoff  planvoll  auszugestalten,  als  in  eigener  erdichtung 
das  rechte  mass  zu  beobachten.  Freie  erfindung  war  überhaupt 
nicht  die  stärke  des  deutschen  dichters  im  mittelalter.  Dürfen 
wir  uns  also  wundern,  wenn  wir  gerade  in  den  ersten  beiden 
büchern  des  Parzival,  die  von  (\  so  gut  wie  unatfiÄngig  sind, 
so  viel  des  überflüssigen  finden?  Der  eigentliche  gegenständ 
dieser  bücher  ist  die  geschichte  von  P/s  eitern;  aber  wie  Höt- 
t  icher,  Zs.  fdph.  13, 421  bemerkt,  macht  dieselbe  nur  einen  teil 
ihres  inhalts  aus:  1—15  Gahmurets  abenteuerfahrten,  58,  27  - 
80, 30  turnier  vor  Kanvoleiz,  87, 1—0.  90, 1  —  97, 12.  98, 15  — 

')  Dass  wir  es  mit  einer  nenerung  W.'a  zu  tun  haben,  erkennt  man 
auch  aus  «lein  Übergang  IX,  433.  14.  434,  4.  wo  «ler  dichter  ganz  wie  ('.  75  8<» 
IM»  voraussetzt,  dass  «ler  leser  von  Parz.  seit  seinem  al»schie«l  von  Artus 
hl  VI  nichts  wisse,  während  doch  VII,  383,  23.  388.  8.  3W2.  20.  VIII,  424,  18 
von  V.  die  rede  gewesen  ist,  vgl.  Heinzel  s.  102.  Hätte  sich  dieser  wuler- 
spruch  schon  in  W. 's  vorläge  befunden,  dann  müsste  W.  widerum  ge«lanken- 
los  übersetzt  haben,  statt  dass  er  nach  unserer  annähme  nur  verabsäumt 
hat,  alle  spuren  der  alten,  von  ihm  geänderten  fassung  zu  verwischen,  vgl. 
».  57,  4  und  anm.  3. 


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92 


LICHTENSTEIN 


101,20  Vermählung,  101,21  —  114,5  ftahmurets  tod  und  Par- 
zivals  geburt  'Diese  abschnitte  enthalten  alles,  was  zum 
Verständnis  der  geschichte  P.'s  nötig  ist':  alles  übrige  ist 
überflüssig  und  geeignet,  das  interesse  von  dem  hauptzweck 
abzulenken,  so  vor  allem  die  geschichte  der  mohrenkönigin 
Belakane,  welche  den  grössten  teil  des  ersten  buche«  füllt. 
Die  einführung  ihres  sohnes  Feirefiz,  der  allerdings  zum 
Schlüsse  des  Parzival  in  directer  beziehung  steht,  bedurfte 
keineswegs  einer  so  umständlichen  motivierung.  Das  ist  voll- 
kommen richtig,  aber  diejenigen,  welche  bei  dem  dichter  con- 
sequenz  und  beschränkung  auf  das  streng  notwendige  suchen, 
vergessen  die  lust  am  fabulieren,  welche  auch  bei  W.  stark 
entwickelt  war.  Die  ansieht,  dass  die  bücher  1  und  2  nur  dann 
W.'s  erfindung  angehören  könnten,  wenn  sie  die  aufgäbe,  eine 
Vorgeschichte  des  eigentlichen  romans  zu  bilden,  vollkommen 
und  ausschliesslich  erfüllten,  beruht  auf  einer  falschen  Voraus- 
setzung; sie  überschätzt  \\7s  kunst  in  der  composition  und 
die  kunstanforderungen  der  zeit  überhaupt  'Wenn  man  von 
einem  meisterhaften  aufbau  des  Parzivalgedichts  spricht', 
sagt  Hertz  s.  108,  'so  kann  das  nur  für  den  phantastischen 
stil  seiner  zeit,  nicht  für  die  strengeren  anforderungen  des 
modernen  kunst  vei-standes  gelten.  Die  epen  der  ritterlichen 
dichter  lieben  wie  ihre  bürgen  mehr  den  eindruck  malerischer 
Willkür  als  architektonischer  notwendigkeit.'  Wollte  man  übri- 
gens unsere  berühmtesten  neueren  romane  daraufhin  prüfen, 
Goethes  Wilhelm  Meister  nicht  ausgeschlossen,  es  würde  so 
manches  eapitel  von  dem  tadel  Böttichers  getroffen  werden. 

Die  mangelhaftigkeit  der  composition  in  den  beiden  ersten 
büchern  des  Parz.  spricht  also  nach  dem  gesagten  weit  eher 
dafür,  dass  W.  sich  hier  in  selbständiger  erdiehtung  versuchte, 
als  dass  er  eine  fertige  vorläge  bearbeitete.  Zu  dieser  er- 
kenntnis  ist  auch  Bötticher  am  Schlüsse  seiner  hier  und  oben 
s.  80  citierten  abhandlung1)  gekommen:   'gestützt  auf  den 

')  Zs.  fdph.  13.  420.  Erwähnt  mag  noch  werden,  das.*  die  Verwechs- 
lung von  hämisch  and  zeit  in  bnch  1  und  2,  die  nach  Bötticher  s.  428 
'eins  der  wichtigsten  momente  sind,  welche  die  annähme  einer  verlorenen 
quelle  unbedingt  fordern  ",  trar  nicht  existiert,  wie  Heinzel  s.  SM»  nachweist, 
sondern  nur  hnrnosch  in  einer  weiteren  hedeutunir  (krie»sausrüstunir  sainint 
dem  zeit;  gebraucht  ist  wie  353,0.  302,17. 


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ZUR  PARZIVALFRAGE. 


93 


umstand,  dass  Kyot  in  diesen  beiden  büchern  nicht  genannt 
wird,  und  mit  rücksicht  darauf,  dass  W.  den  Kyot  ganz  me- 
chanisch und  gedankenlos  übersetzt  haben  müsste,  wenn  er 
die  Vorgeschichte  bei  ihm  schon  so,  wie  er  sie  uns  gibt,  vor- 
fand, könnte  man  vermuten,  dass  Kyot  die  Vorgeschichte  gar 
nicht  hatte,  sondern  dass  W.  die  verschiedenen  erzählungen 
...zu  einer  einleitung  in  die  geschichte  P.'s  verarbeitete; 

Fassen  wir  die  vorstehenden  ausführungen  über  die  per- 
sönlichkeit unseres  dichters  zusammen,  so  ergibt  sich,  dass  die 
versuche,  aus  den  abweichungen  \\7s  von  C.  eine  einheitliche 
vorläge  zu  construieren,  zu  künstlichen  und  unwahrscheinlichen 
deutungen  führen,  dass  vielmehr  alle  die  scheinbar  so  ver- 
schiedenartigen bestand  teile  sich  am  einfachsten  und  ungezwun- 
gensten als  aus  dem  geiste  W.'s  hervorgegangen  erklären.  Man 
hat  meines  erachtens  bei  der  ganzen  Untersuchung  allzu  sehr 
das  logische  element  betont  und  den  psychologischen  gesichts- 
punkt  darüber  nicht  genügend  beachtet.  W.  ist  ein  mann,  in 
dem  sich  starke  Widersprüche  vereinigen:  ritterliche  kampfes- 
lust  und  grübelnder  tiefsinn;  Verehrung  edler  Weiblichkeit  und 
sinnliche  derbheit;  echt  deutsche  riehtung  in  sitte,  denken 
und  gefühlsleben  und  prunken  mit  französischen  sprachbrocken ; 
enger  anschluss  an  seine  vorläge  und  freiheit,  ja  Willkür  in 
unzähligen  einzelheiten;  klarheit  gegenüber  unbestimmten  an- 
deutungen  in  seiner  quelle  und  geheimnisvolle  dunkelheit  in 
seiner  eigensten  ausdrucks weise;  planmässige  anordnung,  syste- 
matische Verknüpfung  des  unzusammenhängenden  und  locke- 
rung  des  gefüges  durch  abschweifungen  und  nebenbeziehungen. 

[Nachtrag.  S.  30  ist  bei  no.  5  durch  ein  versehen  der 
letzte  absatz  ausgefallen:  \V.  201,  19—20.  202, 26—30.  203, 
2—3.  6—11  ^  C.  3750—53.  3807—13.  4088—93  (vgl.  3260— 
61).  —  W.  203, 1  zwen  tage  unt  die  dritten  naht;  nach  C.  3926 
beträgt  die  Zwischenzeit  zwischen  den  beiden  kämpfen  P.'s 
drei  nächte.  —  W.  201,21  —  202, 9  moralisierende  betrachtung, 
die  sich  inhaltlich  vielfach  berührt  mit  0.  5034—50  und  8542  ff. 

-  \Y.  202, 10— 14  =  C.  8205—14.  —  [W.  202, 25  deutsche  sitte. 

—  203,  3—5  P.  erinnert  sich  der  lehren  der  matter  und  des 
Gurnemanz.J  ] 

LISSA.  JULIUS  LICHTENSTEIN. 


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ZU  WOLFRAMS  LIEDERN 


1.  Die  echtheit  der  beiden  letzten  lieder. 

lieber  die  echtheit  des  bei  Laclimann  s.  9  und  des  in  der 
vorrede  s.  xn  abgedruckten  liedes  ist  schon  viel  gestritten,  ohne 
dass  bisher  die  arten  über  diese  frage  geschlossen  wären.  Das 
erste  lied  ist  von  Laehmann  zwar  der  Sammlung  einverleibt, 
aber  nachträglich  auf  eine  bemerk ung  Wackernagcls  hin  ein- 
geklammert. Paul  (Beitr.  1. 202),  dem  Behaghel  (Germ. 84. 488 ff.) 
und  Roethe  (Zs.  fda.  34.  95)  gefolgt  sind,  nimmt  die  drei  ersten 
Strophen  für  Wolfram  in  ansprach.  Andere  (v.  d.  Hagen.  Ooe- 
deke,  San  Marte,  Kant,  Bartsch)  halten  an  dem  wolframischen 
Ursprung  des  ganzen  liedes  fest. 

Ich  teile  die  ansieht  Pauls  und  bemerke  zu  ihrer  stütze 
noch  folgendes: 

Die  mythologische  anspielung  in  str.  5  (Venus  diu  gotinnc) 
steht  in  Wolframs  Hedem  einzig  da.  Für  Paul  sprechen  femer 
die  anklänge  von  ir  frömde  krenketz  herze  min  (10,  7)  an  Mo- 
rlingen und  ir  fremeden  h  enket  mir  duz  herze  min  (MF.  126,20) 
und  von  daz  schaffet  mir  ir  roter  munt,  ir  minneclichez  Jüchen 
kan  mir  wol  gemachen  höhen  muot  (10, 18 — 21)  an  Walther 
daz  hat  ir  scheene  und  ir  giiete  gemachet  und  ir  röter  munt, 
der  so  liepliehen  lachet  (110,18).  Auch  durliuhtic  röt  ist  ir 
munt  als  ein  rubbin  (10,2)  enthält  einen  häufig  vorkommenden 
vergleich.  Ob  dem  unbekannten  Verfasser  hierbei  gerade  Par- 
zival stellen  vorgeschwebt  haben  (einen  munt  durliuhtic  röt 
130,5;  sin  munt  als  ein  rubin  sehein  03, 16),  mag  dahingestellt 
bleiben;  dagegen  zeigt,  worauf  schon  von  anderer  seite  hin- 
gewiesen ist,  die  'tauige  rose'  (9,38)  im  zusammenhange  mit 
den  andern  gründen  sicher  den  bewussten  nachahmet-  Wolframs 
(Wh.  270, 20.  Tit.  110. 1).    Und  am  Schlüsse  welche  nachlässig- 


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ZU  WOLFRAMS  LIEDERN. 


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keil  des  ausdruckst  diu  hat  gehcehet  mir  dm  muot  uud  eine 
reihe  weiter:  tV  minnecUchez  fachen  kan  mir  wol  gemachen 
höhen  muotl 

Gegen  den  gemeinsamen  Ursprung  der  drei  ersten  Strophen 
hat  man  wol  den  Übergang  von  der  anrede  der  geliebten  (str.  1 
und  2)  zur  dritten  person  (in  str.  3)  angeführt  und  deshalb 
Wolfram  auch  die  dritte  strophe  absprechen  wollen  (Stosch, 
Zs.  fda.27.321  anm.  2).  Dieser  grund  ist  nicht  stichhaltig:  um 
ein  beispicl  herauszugreifen,  so  wird  in  dem  Morungischen  liede 
MF.  132,  27  von  der  geliebten  in  der  dritten,  dann  in  der 
zweiten  und  in  der  schlussstrophe  wider  in  der  dritten  person 
gesprochen.  Der  vlins  von  donrestralen  (in  str.  3)  begegnet 
freilich  auch  Wh.  12, 16— 18,  aber  dieser  umstand  allein  darf 
unser  urteil  nicht  beeinflussen;  da  str.  3  nach  ihrem  inhalt 
und  ihrer  sprachlichen  und  metrischen  form  genau  zu  den 
beiden  vorhergehenden  stimmt,  so  haben  wir  uns  dahin  zu 
entscheiden,  dass  Wolfram  sich  späterhin  im  Willehalm  wider- 
holt hat:  eine  bekanntlich  bei  ihm  häufiger  zu  beobachtende 
erscheinung. 

Das  lied  dürfte  somit  von  einem  nachahmer  Morungens 
und  Wolframs  zu  seiner  heutigen  gestalt  erweitert  worden  sein. 

Auf  diese  mulier  desinens  in  piscem  folgt  in  C  ein  lied. 
das  Lachmann  aus  metrischen  gründen  von  vornherein  aus- 
geschlossen und  nur  in  der  vorrede  abgedruckt  hat.  Hehaghel 
(a.a.o.)  weist  Lachmanns  begrtindung  als  nicht  beweiskräftig 
zurück  und  schreibt  Wolfram  das  gedieht  zu.  räumt  aber 
ausdrücklich  ein,  dass  es  'nicht  besonders  originell'  sei. 
Nun  haben  Lachmanns  gründe  freilich  wenig  bestechendes, 
aber  dennoch  dürfte  sein  urteil  das  richtige  getroffen  haben. 
Denn  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  lässt  sich  auch  dieses  lied 
als  das  produet  eines  nachahmers  erweisen. 

Vgl.  mich  hat  leit  in  truren  bräht  XII,  11  :  mich  hat  ein 
Uep  in  trüren  bräht  Reinmar,  MF.  158, 9.  Ferner:  der  ich  mine 
tage  habe  gedienet  uz  der  mäze  zil  XII,  15  :  disiu  sorge  get  mir 
für  der  mäze  zil  Morungen,  MF.  138, 8.  Ausführlicher  ist  ein- 
zugehen auf  XII,  18—20: 

geschürt  des  niht  und  stirbe  ab  ich. 

frowe  min,  uu  .sprich, 

öf  wen  erbe  ich  danne  diae  not? 


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96 


KÜCK 


Der  dichter  kann  nur  nieinen:  'auf  wen  soll  ich  im  falle  meines 
vorzeitigen  todes  meine  liebesnot  vererben,  sc.  damit  er  dich 
in  liebe  bezwingt  und  so  mich  rächt?'  Die  crgänzung  dieses 
gedankens  ist  nicht  gerade  leicht;  der  dichter  lässt  sich  hier 
ohne  zweifei  von  M orangen  (MF.  124, 32  —  125, 18)  ins  Schlepp- 
tau nehmen.  In  diesem  bekanntlich  auch  von  Walther  (72,31 
—  73,22)  nachgeahmten  gediente  heisst  es: 

mime  kinde  wil  ich  erben  dise  not 
und  diu  klagenden  leit  diueh  hau  von  ir. 
wtenet  si  daii  ledic  sin.  ob  ich  bin  tot. 
ich  laz  einen  tröst  doch  hinder  mir, 
daz  noch  scluene  wirf  min  nun. 
daz  er  wunder  ane  %v 
also  daz  er  mich  reche 
und  ir  herze  uar  zerbreche, 
so  sin  also  rehte  sclnenen  se. 

Ks  findet  sich  zwar,  wie  Rehaghel  nachweist,  im  reim  und 
ausdruck  einiges  was  an  Wolfram  erinnert,  aber  nach  den 
bisherigen  ausführungen  ist  dies  auf  die  rechnung  eines  be- 
wussten  nachahmers  zu  setzen.  Ausserdem  geht  die  erste 
strophe  auch  unter  den  namen  Gedruts  und  Rubins  von  Rü- 
deger, ein  umstand,  der  die  Verfasserschaft  Wolframs  von 
vornherein  in  bedenklichem  lichte  erscheinen  lässt  und  dies 
um  so  mehr,  als  das  lied  in  0  an  letzter  stelle  steht. 

Ich  fasse  meine  darlegungen  dahin  zusammen,  dass  im 
gegeusatze  zu  dem  ersten  teile  des  vorletzten  (8.)  liedes  der 
zweite  teil  und  ebenso  das  letzte  (9.)  lied  von  uachahmungen 
verschiedener  dichter  durchsetzt  sind  und  schon  aus  diesem 
gründe  schwerlich  Wolfram  zum  Verfasser  haben  können. 
Roethe.  dem  ich  vor  längeren  jähren  als  Student  dieses  niate- 
rial  vorlegte,  zog  aus  dem  umstände,  dass  die  nachahmung 
Wolframs  und  Morungens  sich  über  8,2  und  9  erstreckt,  den 
allerdings  wol  unabweisbaren  sehluss,  dass  der  fortsetzer  des 
achten  und  der  dichter  des  neunten  liedes  eine  und  dieselbe 
person  seien. 

2.  Die  reihenfolge  der  lieder. 
Die  von  San  Marte  zuerst  ausgesprochene  ansieht,  dass 
wir  in  den  Uedem  Wolframs  einen  cyklus  von  lyrischen 
erzeugnissen  hätten,  die  einem  und  demselben  liebesverhältnis 


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ZU  WOLFRAMS  LIEDERN 


97 


ihre  entstehung  verdankten,  lässt  sich  nicht  aufrecht  erhalten. 
Zuletzt  hat  Domanig  in  einem  aufsatze  'W.  v.  Büchenbach  und 
seine  gemahlin'  (Hist.  jahrb.  d.  Görres- Gesellschaft  3,  1,  67  ff.) 
die  frage  berührt,  aber  sein  dort  gegebenes  versprechen,  über 
die  lieder  Wolframs  eingehender  zu  handeln,  noch  nicht  eingelöst. 
Er  setzt  richtig  den  hebel  bei  dem  dritten  liede  an,  betrachtet 
es  im  zusammenhange  mit  der  einlage  zwischen  buch  2  und  3 
des  Parzival1)  und  folgert  hieraus,  dass  der  dichter  damals 
mit  seiner  ersten  geliebten  zerfallen  gewesen  sei,  sie  mit  schelt- 
gedichten  verfolgt  und  sich  hierdurch2)  den  hass  der  frauen- 
weit in  seinen  kreisen  zugezogen  habe.  Somit  bezöge  sich 
das  dritte  lied  auf  eine  zweite  geliebte,  während  alle  übrigen 
an  die  erste  gerichtet  seien  (s.  70  anm.  1).  Ich  stimme  Domanig 
bei  einmal  in  der  Verteilung  der  lieder  auf  zwei  liebesverhält- 
nisse  und  darin,  dass  III  an  die  zweite  geliebte  gerichtet  sein 
muss,  aber  im  übrigen  bin  ich  bei  der  näheren  durchforschung 
der  uns  hier  beschäftigenden  frage  vielfach  zu  anderen  ergeb- 
nissen  gelangt  und  halte  Kinzels  (Jahresber.  f.  kl.  ph.  4,  140) 
beistimmendes  urteil  nur  teilweise  für  berechtigt. 

Ausgehend  von  der  'künstlerischen  Wahrhaftigkeit'  Wolf- 
rams —  und  nur  die  Überzeugung  von  der  richtigkeit  dieser 
ansieht  berechtigt  uns  zu  solchen  Untersuchungen  —  haben 
wir  zunächst  die  vier  tagelieder  (I,  II,  V,  VII)  derselben 
zeit  und  demselben  Verhältnisse  zuzuschreiben:  der 
gleiche  inhalt,  die  gleiche  kecke  und  doch  von  lüsternheit 
freie  Sinnlichkeit  durchzieht  sie  und  hebt  sie  scharf  von  den 
übrigen  Hedem  ab,  in  gedanken  und  ausdruck  finden  sich  auf- 
fallend viele  Übereinstimmungen.1)   Auch  der  umstand,  dass 


')  l'ebrigens  sah  schon  v.  «1.  Hagen  (Minnes.  4,  227).  das«  die  im  dritten 
lied  genannte  schnldhafte  fran  jene  wankelmütige  »ei,  deren  in  der  einlage 
de«  Parzival  erwiihnnng  geschehe.  Die  richtigkeit  dieser  bemerknng  er- 
kannte auch  Haupt  an  (Zs.fda.  11.  49);  was  Haupt  im  übrigen  in  seinem 
Wolframcolleg  über  die  lieder  gelehrt  hat,  ist  leider  von  Belger  in  Haupts 
biographie  (vgl.  s.  27S)  nicht  veröffentlicht  worden. 

*)  Besser  'hierbei',  denn  nicht  die  Bchmähgedichte  an  und  für  sich 
erreiren  die  erbittemng  der  frauenweit,  sondern  die  angriffe,  zu  denen  sich 
der  gekränkte  dichter  gleichzeitig  gegen  die  frauen  schlechthin  fortreissen 
Itat  (s.u.). 

8j  Ich  zähle  25  stellen,  an  denen  zwei  oder  mehr  tagelieder  zusammen- 
klingen. 

Beiträge  nur  getckiciite  der  deuticheu  ipraobe.    XXII.  7 


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98 


KÖCK 


epische  demente,  wenn  auch  ungleichmäßig,  in  alle  eingestreut 
sind  und  jedes  lied  —  offenbar  der  abwechslung  wegen  — 
eine  andere  Staffage  zeigt  (in  I  spricht  nur  die  dame,  in  II 
Wächter  und  dame,  in  V  ritt  er  und  Wächter,  in  VII  ritter  und 
dame),  darf  mit  als  beweis  hierfür  benutzt  werden.  Eine 
chronologische  anordnung  der  tagelieder  scheint  sich  dagegen 
nicht  mit  hinreichender  Wahrscheinlichkeit  vornehmen  zu 
lassen.1) 

Weshalb  ist  nun  die  dame  mit  der  Wolfram  nach  dem 

ausweis  des  dritten  liedes  und  der  Parzivaleinlage  sich  über- 

worfen  hat,  die  geliebte  der  tageslieder?    Die  Worte  der 

Parzivalstelle  (114,5): 

wan  einer  bin  ich  unbereit 

dienstlicher  triuwe : 

min  zora  ist  immer  niuwe 

«:ein  ir,  sit  ich  se  an  wanke  saeh. 

beweisen  zunächst,  dass  der  bruch  durch  die  untreue  einer 
gehebten  herbeigeführt  ist.  Der  dichter  muss  also  bereits 
die  gunst  seiner  dame  genossen  haben:  nur  so  rechtfertigen 
sich  seine  klagen  über  ihre  untreue,  nur  so  lässt  sich  sein 
leidenschaftlicher  hass  gegen  sie  verstehen.  Ich  denke,  das 
weist  deutlich  genug  darauf  hin,  dass  die  ungetreue  und  die- 
jenige dame,  mit  der  er  in  der  zeit  der  tagelieddichtung  ver- 
trauten Umgang  gepflogen  hat,  dieselbe  person  ist.  Noch  eine 
audere  erwägung  führt  zu  diesem  resultat:  im  dritten  buch 
des  Parzival  (str.  172),  d.h.  nicht  lange  nach  dem  beginne  der 
neuen  liebe  (s.  u.),  spricht  der  dichter  durch  (Tiirnemanz'  mund 
ein  Verdammungsurteil  über  die  Unsitte  und  unsittlichkeit  der 
gefahrvollen  nächtlichen  liebeshändel:  er  selbst  hat  also  da- 
mals die  tagelied periode  bereits  überwunden,  und  diese  muss 

')  Im  metrischen  bau  zeigen  I  und  II  mit  ihrem  sechszeiligen  auf- 
gesange  und  seiner  reimstellung  abc  abc  eine  nähere  verwantschaft  gegen- 
über  dem  am  kunstvollsten  von  allen  tageliedern  gebauten  VII.  Hede,  wah- 
rend V  in  der  zahl  und  der  reimstellung  der  auftaktszeilen  mit  I  und  II 
übereinstimmt,  andererseits  in  den  gleitenden  reimen  des  abgesanges  an 
die  reimkünste  von  VII  erinnert.  Möglicherweise  wäre  also  die  reihenfolg«' 
I.  II  (II,  I?),  V,  VII  anzusetzen.  Was  die  beinüschuug  epischer  elemente 
betrifft,  so  sind  diese  in  I,  dem  vielleicht  ältesten  tageliede,  am  stärksten 
vertreten  (titi  proc),  dann  folgt  freilich  VII  (33  proc.),  V  (25  proc;  und 
schliesslich  II  (20  proc.;. 


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2U  WOLFRAMS  LIEDERN.  90 

mit  dem  ersten  Verhältnis  zusammenfallen.  Dass  aber  die 
tageliedperiode  sich  nicht  etwa  zwischen  der  abfassung  der 
Parzivaleinlage  und  derjenigen  von  P.  172  abgespielt  hat,  zeigt 
deutlich  das  dritte  lied;  denn  in  diesem,  das  ungefähr  gleich- 
zeitig mit  der  ersten  Parzivalstelle  entstanden  sein  muss,  er- 
scheint der  dichter  seiner  neuerwählten  geliebten  gegenüber 
so  kleinmütig  und  verzagt,  dass  er  unmöglich  sich  kurz  darauf 
als  feuriger  liebhaber  einem  ausgelassenen  sinnestaumel  in  die 
arme  geworfen  haben  und  dann  bis  P.  172  zu  seinem  peccavi 
gelangt  sein  könnte. 

Das  dritte  lied  und  die  Parzivaleinlage  sind  somit  später 
als  die  tagelieder  anzusetzen.  >)  Der  an  beiden  stellen  zu  tage 
tretende  hass  des  dichters  gegen  die  ungetreue  wird  uns  nun 
noch  verständlicher  bei  der  betrachtung  des  vierten  liedes, 
dessen  abfassungszeit  unschwer  zu  bestimmen  ist.  Der  dort 
angeredete  Wächter,  der  bisher  ie  gegen  dem  tage  daz  stire 
nach  dem  säeeen  sanc  und  für  die  Zukunft  seinen  weckgesang 
unterlassen  soll,  ist  doch  offenbar  der  Wächter  der  tagelieder, 
der  wenn  auch  fingierte  Wächter  auf  der  bürg  von  Wolframs 
geliebten,  der  vertraute  ihrer  nächtlichen  Zusammenkünfte, 
und  ihm  kann  doch  vernünftigerweise  —  wenn  auch  bloss  in 
der  fiction  —  stillschweigen  nur  geboten  werden2)  zu  einer 
zeit  wo  die  erste,  die  in  den  tageliedern  gefeierte  leidenschaft 
noch  andauert.  Folglich  gehört  das  lied  noch  dem  ersten 
liebesverhältnis  an.  Daraus  ergibt  sich  weiter,  dass  Wolfram, 
weil  dieses  Verhältnis  nicht  zur  ehe  geführt  hat,  das  lied  als 
un vermählter  gedichtet  hat  —  trotz  San  Marte,  der  die  von 
ihm  selbst  nicht  bewiesene  behauptung  aufgestellt  hat,  dass 
ein  unvermählter  dichter  mit  einem  solchen  preise  des  ehe- 
glücks  sich  lächerlich  gemacht  haben  würde.  Wahrscheinlich 
ist  das  lied  gedichtet  zu  einer  zeit  wo  Wolfram  der  gefahren 

')  Bemerkenswert  ist  noch,  dass  der  im  dritten  liede  hervortretenden 
neuen  liehe  in  der  einlade  noch  keine  erwähnung  geschieht.  Sollte  wol 
Wolfram,  wenn  ihn  diese  bereits  hei  der  abfassnng  des  Parzivalstiickes 
ergriffen  hätte,  diesen  trnmpf  gegen  die  Verdächtigungen  der  trauen  weit 
auszuspielen  versäumt  haben?  Möglicherweise  ist  also  das  genannte  Heil 
erst  etwas  später  als  die  einlage  gedichtet. 

*)  Vergleichen  lässt  sich  4,  20 — 24,  wo  der  Wächter  ebenfalls  zum  still- 
schweigen aufgefordert  wird  —  dort  allerdings  von  der  dame,  die  in  der 
Verblendung  der  leidenschaft  den  geliebten  noch  bei  sich  behalten  will. 

7* 


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100 


KÜCK 


des  bisherigen  liebesverkehres  überdrüssig  war,  vielleicht  auch 

bei  seiner  tief  angelegten  sittlichen  natur  das  unwürdige  des 

Verhältnisses  mehr  und  mehr  erkannte  und  es  auf  gesetzliche 

grundlage  zu  stellen  suchte.    Ein  ganz  ähnlicher  wünsch  gab 

Botenlauben  (Bartsch.  L.  125)  die  worte  ein: 

din  kuslich  munt,  diu  lip  klär  ltude  siieze, 
din  drücken  au  die  brüst, 
din  uinbevahen  lat  mich  hie  betauen. 
Paz  ich  noch  bi  dir  betauen  müeze 
ä  n  aller  vrbude  vlust! 

so  daz  gesehiht,  .so  endiirfen  wir  niht  klagen. 
Und  bei  Morungen  (MF.  143,30)  heisst  es: 

owe,  sol  aber  er  iemer  in 4 
den  morgen  hie  betauen, 
als  una  diu  naht  eng£, 
daz  wir  niht  dürfen  klagen? 

Der  unterschied  ist  nur  der,  dass  während  Botenlauben  sich 
unmittelbar  an  die  dame  wendet  und  Morungen  seinen  herzens- 
wunsch  der  geliebten  in  den  mund  legt,  Wolfram  —  nach 
meinem  empfinden  eine  sehr  feine  einkleidung  —  seine  worte 
an  die  adresse  des  beteiligten  Wächters  richtet.  Die  Situation 
ist  entweder  die,  dass  der  wider  einmal  beim  morgengrauen 
von  der  seite  der  geliebten  verscheuchte  dichter  dem  Wächter 
sein  verlangen  nach  der  gefahr-  und  mühelosen  ehelichen  liebe 
mitteilt,  oder  —  wofür  ich  mich  wegen  des  praeteritums  du 
sunge  noch  lieber  entscheiden  möchte  —  dass  er  nach  einer 
längeren  zeit  der  trennung  mit  der  Sehnsucht  nach  Vermählung 
heimkehrt  und  nun  diesem  verlangen  eine  poetische  fassung 
verleiht. 

Vielleicht  stand  dem  dichter  bei  der  abfassung  des  liedes 
die  erfüllung  seines  herzenswunsches  schon  in  naher  aussieht, 
da  kam  der  schlag,  der  den  von  den  edelsten  absiebten  er- 
füllten liebhaber  doppelt  schwer  treffen  musste. 

Das  vierte  lied  ist  also  vor  dem  als  produet  des  zweiten 
liebesverhältnisses  oben  erwiesenen  dritten  liede  und  nach  den 
tageliedern  entstanden.  Dieses  heranrücken  von  IV  an  die 
tagelieder  empfehlen  auch  verschiedene  anklänge:  vgl.  5,34 
mit  4.31,  ebenso  mit  4,18—20;  5,35  mit  4.23:  5,37.38  mit 
4,39;  5,40  mit  6,21;  5,  41  mit  5,1;  5,42  mit  4,24.  Auch  die 
wol  nicht  ohne  absieht  gewählte  Variation,  dass  allein  der 


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ZU  WOLFRAMS  LIEDERN. 


101 


ritter  spricht,  scbliesst  diesen  'abschied  von  dem  tageliede' 
passend  mit  den  eigentlichen  tageliedern  zu  einem  ganzen  zu- 
sammen. 

Wolframs  erste  geliebte  gehörte  der  vornehmen  gesellschaft 
an;  denn  wenn  er  seine  schmählieder  einem  höheren  damen- 
kreise  vorträgt,  so  darf  man  daraus  schliessen,  dass  die  frühere 
geliebte  in  ihm  heimisch  ist,  ferner  vgl.  P.  115, 5— 7.  Die  ent- 
schuldigungen  femer,  mit  denen  er  in  der  letzten  strophe  von 
III  der  neuen  geliebten  gegenüber  sein  vorgehen  gegen  die 
damenweit  vor  misdeutungen  zu  schützen  sucht,  finden  nur  so 
ungezwungen  ihre  erklärung,  wenn  man  annimmt,  dass  jene 
demselben  damenkreise,  dessen  hass  er  sich  zugezogen,  dem- 
selben also  wie  die  erste  geliebte,  angehörte  und  dass  der  be- 
ginn der  neuen  liebe  in  eine  zeit  fällt,  wo  der  eklatante  abbrach 
des  vorigen  liebesverhältnisses  und  das  wild -leidenschaftliche 
gebahren  des  getäuschten  dichters  noch  unvergessen  im  ge- 
dächtnis  der  damen  lebten. 

Es  bleibt  noch  übrig,  die  chronologische  bestimmung  von 
VI  und  VIII  (str.l — 8),  deren  gleiches  thema  (unerhörtes  liebes- 
werben)  für  gleichzeitige  abfassung  zu  sprechen  scheint.') 
Domanig  weist  beide  —  offenbar,  weil  nach  seiner  ansieht 
der  dichter  bei  der  abfassung  von  Parz.  210  (im  vierten  buche) 
bereits  vermählt  ist  (s.  a.)  dem  ersten  liebesverhältnis  zu, 
d.h.  also  einer  zeit,  wo  die  liebe  zur  geliebten  der  tagelieder 
noch  keine  erhörung  gefunden  hat,  Nun  wissen  wir  aber  ein- 
mal nicht,  dass  Wolframs  liebe  zu  dieser  dame  anfangs  lange 
zeit  erfolglos  gewesen  sei,  wol  aber  hören  wir  ihn  im  sechsten 
buche  des  Parzival  an  verschiedenen  stellen  Über  erfolglosen 
minnedienst  klagen: 

und  ouch  diu  strenge  misse, 
diu  mir  dicke  nimt  sinne 
mit  mir  daz  herze  unsanfte  regt, 
weh  not  ein  wip  an  mich  leert : 
wil  si  mich  alsus  t winden 
mit  selten  hilfe  bringen, 

')  Die  von  anderer  seite  gelegentlich  angezogenen  Übereinstimmungen 
im  ausdruck  (guot  irip  7,  29  und  9.3;  liebez  eiule  7,32  und  9,  13)  sind  al» 
nicht  beweiskräftig  bei  seite  zu  lassen,  weil  guot  irip  auch  8,9  begegnet  und 
mit  diu  hei  fei  ich  gebot  (7,  30)  und  mit  ein  helfelichez  irort  (7,  38)  auch  eine 
stelle  des  dritten  liedes  (*<  treit  den  helfclichen  gruoz)  sich  vergleichen  lässt» 


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102 


KL  CK 


ich  hoI  »is  underziehen 

und  von  ir  tröste  vliehen    (287,  11). 

Ganz  ähnlich  292, 1  ff.,  wo  es  unter  anderm  heisst: 

het  ir  (fron  Minne)  mir  geholfen  baz, 
min  lop  wier  gein  iu  niht  so  laz 

und  334, 10: 

ich  pin  doch  frouwen  lönes  laz. 
Ich  bin  überzeugt,  dass  Wolfram  an  diesen  stellen  von  der 
erfolglosigkeit  seiner  liebe  zu  derjenigen  dame  spricht,  an  die 
er  sich  im  dritten  liede  wendet,  denn  ebenso  wie  er  dort  dem 
kreise  der  damen  gegenüber  seinen  hass  gegen  die  eine  ent- 
schuldigt, wegen  dessen  man  ihn  nicht  schlechtweg  zum  weiber- 
hasser  stempeln  dürfe,  und  zugleich  einer  andern  (der  zweiten) 
geliebten  seine  huldigung  darbringt,  sagt  er  gleich  nach  den 
soeben  angeführten  Parzivalstellen: 

nu  weis  ich.  »welch  sinnec  wip. 
ob  si  hat  <;etriwen  lip, 
diu  diz  mtere  <;esehriben  siht. 
daz  si  mir  mit  wärheit  &riht, 
ich  künde  wiben  sprechen  baz 
denne  als  ich  sanc  gein  einer  maz. 


ich  twtz  in  gerne  fürbaz  kunt, 
wolt  ez  gebieten  mir  ein  munt, 
den  doch  ander  füeze  tragent 
dan  die  mir  ze  Stegreif  wagent 

(337, 1—7  und  27—30). 

Wie  Domanig  die  zuerst  angeführten  drei  Parzivalstellen 
(287. 11.  292, 1.  334, 10)  als  aus  der  liebessehnsucht  des  von 
seiner  gattin  (!)  räumlich  getrennten  dichters»)  hervorgegangen 

')  Auch  P.  272,  7  ff.: 

dö  lac  frou  .lesehnte 
al  weinde  bi  ir  trute, 
vor  liebe,  und  doch  vor  leide  niht. 
als  guotem  wibe  noch  geschürt, 
ouch  ist  Teilungen  Hilten  kunt, 
weindiu  ougn  haut  süezen  munt 
und  283,  10  ff. :    des  beides  ougen  mäzen. 

als  ez  dort  was  ergangen, 
zwen  zäher  au  ir  «rangen, 
den  dritten  an  ir  kinne  — 
diese  gedanken  hrain hen  dein  dichter  durchaus  nicht,  wie  homauig  will, 


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ZÜ  WOLFRAMS  LIEDERN. 


103 


bezeichnen  kann,  ist  mir  völlig  unbegreiflich.  Ueberhaupt 
scheint  mir  die  hypothese,  dass  Wolfram  in  str.  216  als  ver- 
mählter erscheine,  sehr  problematisch.  Dort  wird  nämlich 
geschildert,  wie  könig  Artus  mit  den  rittern  und  damen  ein 
fest  begeht;  darauf  fährt  der  dichter  fort  (v.  26): 

ich  enttetes  niht  decheinen  wis 

(ez  was  dö  in  an  rr  tumber  Up), 

ich  brühte  ungerne  nn  min  wip 

in  also  groz  geraenge: 

ich  vorht  nnknnt  gedrenge. 

etslicher  hin  zir  Sprache, 

daz  in  ir  miune  stieche 

und  im  die  freude  blaute: 

np  si  die  not  erwante. 

daz  dienter  vor  nnde  nach. 

mir  warn  e  mit  ir  dannen  gäch. 

ich  hau  geredet  um  min  dinc: 

nu  hoert  wie  Artuses  rinc  u.  s.  u: 

Hieraus  soll  nach  Domanig  hervorgehen,  dass  Wolfram  damals 
bereits  verheiratet  war.  Seine  hauptstütze  ist  das  nu  (v.  28), 
das  er  durch  den  druck  hervorhebt  und  so  zu  deuten  scheint, 
als  ob  der  dichter  bald  nach  der  hochzeit  diese  worte  ge- 
schrieben habe  ('bemerkenswert  ist,  mit  welch  eifersüchtigem 
stolze  W.  vor  der  weit  von  seiner  jungen  gattin  redet'):  aber 
die  stelle  lässt  sich  auch  so  auffassen,  dass  mit  dem  nu  der 
dichter  sich  und  seine  zeit  den  personen  und  der  zeit  des 
geschilderten  gelages  entgegenstellt,  wie  er  ähnlich  kurz  vor- 
her (216,  20)  nach  der  Schilderung  der  paniere  hinzusetzt  :  ez 
(Huliten  nu  vil  gröziu  dinc.  Ich  interpretiere  also:  'wenn  in 
unserer  zeit  dieses  fest  stattgefunden  hätte,  so  würde  ich 
wenigstens  [significant  an  den  anfang  gestellt]  meine  frau  (sc, 
wenn  ich  verheiratet  wäre)  ungern  mitnehmen;  es  gieng  dort 
nämlich  etwas  locker  zu.'  Ich  glaube,  diese  auffassung  wird 
der  stelle  durchaus  gerecht,  und  sie  ist  notwendig,  weil  die 
aus  dem  sechsten  buche  des  Parzival  oben  aufgeführten  stellen 
den  dichter  nach  meinem  urteil  als  unvermählt  zeigen.1) 

erst  durch  erlebnisse  seines  ehelebens  nahegelegt  zu  sein.  Man  vgl.  doch 
in  den  tageliedern  (!)  3,  2b'  ireiniliu  ougen,  süezer  fronen  kwx  und  3,  16  ir 
uuyen  diu  beijuzzen  ir  beider  wengel. 

l)  Auch  P.  201,  21  ff.,  wo  Wolfram  manchen  frauen  seiner  zeit  grosse 
unmässigkfit  im  liebesgenuss  vorwirft,  musste  im  munde  eines  kürzlich 


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104 


KÜCK 


Eins  könnte  noch  eingewant  werden,  dass  Wolfram  beim 
beginn  der  zweiten  liebe  von  freudiger  hoffnung  auf  erfolg 
erfüllt  sei  (yil  lihte  erschtnet  noch  der  tac,  da*  man  mir  muoz 
rröiden  jehen.  noch  yrozer  wunder  ist  geschehen  5, 25 — 27)  und 
dem  die  aus  den  stellen  in  Parzival  VI  und  den  liedern  VI  und 
VHP)  hervorgehende  aussichtslosigkeit  des  Verhältnisses  nicht 
zu  entsprechen  scheine.  Aber  einerseits  bezeichnet  der  dichter 
mit  den  letzten  worten  den  von  ihm  erhofften  erfolg  immerhin 
noch  als  ein  'wunder',  und  andererseits  beweisen  die  nach  den 
obigen  ausführungen  auf  das  zweite  Verhältnis  sich  beziehen- 
den Strophen  287.  202  und  384  des  Parzival  deutlich,  dass  der 
erfolg  tatsächlich  den  anfangs  gehegten  erwartungen  nicht 
entsprochen  hat. 

Wir  haben  somit  folgende  reihenfolge  der  lieder  fest- 
gestellt: 

vermählten  oder  kurz  vor  der  Vermählung  stehenden  dichter»  sich  etwas 
eigenartig  ausgenommen  haben.  —  l'ebrigens  würde,  selbst  wenn  jemand 
Domanigs  auffassung  von  P.  210  teilen  sollte,  damit  meine  ansetzung 
der  lieder  VI  und  VI  II  und  meine  auffassung  der  widerholt  erwähnten  drei 
Parzivalstellen  nicht  hinfällig  werden.  Man  müsste  sich  dann  eben  so 
entscheiden,  dass  der  verheiratete  dichter  in  diesen  beiden  liedern  und 
während  der  ahfassung  des  sechsten  buchen  des  Parzival  einer  fremden 
dame  gehuldigt  hätte.  Da  aber  die  danie,  in  deren  dienst  er  hier  steht, 
wie  oben  nachgewiesen,  die  zweite  geliebte  ist.  so  würde  man  dann  zn 
der  absurden  folgerung  geführt,  dass  Wolfram  trotz  seiner  neigung  zu  der 
zweiten  geliebten  irgend  einer  ungeliebten  dame  seine  hand  gereicht  und 
nun  als  vermählter  im  dienst  der  zweiten  geliebten  verharrt  hätte. 

')  Im  achten  buche  (401,  1  ff".)  huldigt  der  dichter  bei  der  erwähnung 
der  schonen  Antikonie  einer  markgräfin.  diu  dicke  rannte  Heitstein  über 
td  die  marke  sehein  .  . .  Neben  Heitstein  (Lachmann)  findet  sich  in  der 
(i-klasse  der  handschriften  auch  aitsteine  und  heitstein,  daneben  hat  je  eine 
handschrift  beider  klassen  die  form  hertstein.  We  n  n  sich  der  bündige  be- 
weis erbringen  Hesse,  dass  der  dichter  sich  der  letzteren  form  bedient  habe, 
so  kiinnte  dies  zugleich  hinsichtlich  des  achten  liedes  zu  einein  wichtigen 
resultat  führen.  Dort  spielt  nämlich  der  dichter  in  z.  9  und  10,  wie  schon 
von  anderer  seite  bemerkt  ist,  mit  seinem  namen  W  olfram:  eine  ähnliche 
Spielerei  mit  dem  namen  der  geliebten  würden  wir  bei  der  obigen  Voraus- 
setzung in  der  dritten  (unserer  schlnss-) Strophe  annehmen  dürfen,  wo  es 
heisst:  got  müe*  ir  herze  erireiehen  und  ein  rlins  ran  donrenträlen  mäht  ieh 
zallen  malen  tum  erbeten,  da:  im  der  herte  entwicht  tiv  teil.  Ich  wollte 
die  gelegenheit  nicht  unbenutzt  lassen,  die  beobachtung  hier  kurz  mitzu- 
teilen: vor  der  hand  erscheint  mir  ihre  unterläge  nicht  stark  genug,  dass 
ich  weitere  Schlüsse  daraus  ziehen  möchte. 


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ZU  WOLFRAMS  LIEDERN. 


105 


Die  vier  tagelieder  (I,  II,  V,  VII)  und  nach  ihnen  IV. 
sämmtlich  dem  ersten  liebesverhältnis  entsprungen;  dann  folgen 
die  verloren  gegangenen  scheltlieder;  producte  der  zweiten 
liebe  sind  III  und  später  die  beiden  lieder  VI  und  VIII,  deren 
reihenfolge  sich  aber  ebensowenig  sicher  wie  die  der  vier 
tagelieder  bestimmen  lässt.  Danach  hätte  also  der  lyriker 
Wolfram  sich  anfangs  in  der  mit  starker  Sinnlichkeit  getränkten 
IjTisch-epischen  tagelieddichtung  versucht  und  wäre  später 
(mit  der  absage  an  das  tagelied,  III,  VI  und  VIII)  zu  den  von 
jeder  Sinnlichkeit  sich  freihaltenden  gedichten  übergegangen. 
Der  ent wicklungsgang  von  Wolframs  liebesieben,  soweit  dieser 
aus  seinen  Hedem  erkennbar  ist,  wäre  danach  kurz  der  fol- 
gende: zunächst  die  liebesabenteuer  der  tagelieder  mit  einer 
adligen  dame,  hierauf  der  wünsch  des  dichter«  nach  Vermäh- 
lung (IV),  kurz  vor  ihr  bruch  des  Verhältnisses  durch  die  un- 
treue der  geliebten,  nicht  allzu  lange  darauf  beginn  einer 
aussichtsvollen  liebe  zu  einer  dame  desselben  kreises  (III), 
lang  andauernde  erfolglosigkeit  des  neuen  Verhältnisses  (VI 
und  VIII). 

Am  schluss  des  sechsten  buches  des  Parzival  ist  der 
dichter  noch  unvermählt,  wahrscheinlich  noch  im  anfang  des 
elften  buches: 

bi  mir  ich  selten  sehonwe, 

<laz  mir  abents  txler  fruo 

solch  aventiure  «liehe  zno  (554,  4— Kj. 

3.  Die  einlage  zwischen  dem  zweiten  und  dritten 

buche  des  Parzival. 

Schon  mehrmals  ist  oben  auf  die  enge  Verbindung  hin- 
gewiesen, die  zwischen  Wolfranis  lyrischem  dichten  und  dieser 
einlage  besteht.  Unter  dem  titel  "Wolframs  Selbstverteidigung' 
hat  Stosch  (Zs.fda.  27,  313  ff.),  ohne  übrigens  von  dem  im  jähre 
zuvor  erschienenen  aufsatz  Domanigs  notiz  zu  nehmen,  eine 
längere  abhandlung  veröffentlicht,  die,  wenn  die  darin  auf- 
gestellten behauptungen  billigung  verdienten,  meine  behaup- 
tungen  in  betreff  der  entstehung  der  wolframischen  lieder 
wenigstens  zu  einem  grossen  teile  in  frage  stellen,  zugleich 
auch  eine  nach  meinem  urteil  vollständig  verkehrte  auffassung 
des  dritten  liedes  zur  folge  haben  würde.    Aus  diesem  gründe 


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KÜCK 


kann  icli  nicht  umhin,  zu  dem  genannten  aufsatz  Stellung  zu 
nehmen. 

Stosch  versucht  nachzuweisen,  dass  der  abschnitt  P.  114,5 
— 116, 4  nicht,  wie  Lachmann,')  vorrede  s.  ix  und  Haupt,  Zs.  fda. 
11, 49 5)  meinten,  zu  einer  zeit  gedichtet  sei,  wo  der  tadel  der 
frauen  im  anfang  des  dritten  buches  anstoss  erregt  hätte,  son- 
dern dass  den  anlass  zu  der  Selbstverteidigung  die  von  dem 
dichter  gegen  eine  dame  gerichteten  und  ihn  bei  der  übrigen 
damenweit  discreditierenden  scheltlieder  gegeben  hätten:  von 
einer  tendenz  daneben  auf  das  dritte  buch  könne  keine  rede 
sein  (s.  314).  Nachdem  dann  Stosch  den  inhalt  der  Selbstver- 
teidigung eingehend  erläutert  hat  (s.  315 — 23),  gelangt  er  zu 
dem  resultat,  dass  der  abbruch  eines  liebesverhältnisses,  den 
wir  im  fünften  und  sechsten  buche  des  Parzival  schrittweise 
sich  vollziehen  sähen,  zur  zeit  der  abfassung  des  Zwischen- 
stückes bereits  vollendete  tatsache  geworden  sei  und  die  ent- 
stehungszeit  der  einlage  somit  ungefähr  mit  derjenigen  der 
letzten  partien  von  Parzival  Yl  zusammenfalle.  Am  ende  des 
sechsten  buches  sei  also  Wolframs  minnedienst  zu  ende,  und 
aus  diesem  gründe  dürften  auch  die  schlussworte  dieses  buches 
nicht  mehr  wie  bisher  als  huldigung  für  eine  dame  aufgefasst 
werden,  sondern  dieselben  enthielten  wahrscheinlich  eine  Wid- 
mung an  den      landgrafen  von  Thüringen  (s.  332). 

iSehen  wir  zunächst,  zu  welcher  paradoxen  behauptung 

in  betreff  des  dritten  liedes  Stosch  durch  seine  hypothesen 

gedrängt  wird.    Die  letzte  Strophe  lautet  dort: 

Seht  waz  ein  storch  de«  roten  schade: 
noch  ininre  schaden  hänt  min  din  wip. 
ir  haz  ich  untrem  üf  mich  lade, 
din  nn  den  schuldehaften  Up 
ge^en  mir  treit,  das  laze  ich  sin: 
ich  wil  nn  pflegen  der  zühte  min. 

Diese  strophe  zeigt,  dass  das  Med  während  des  Zerwürfnisses 
des  dichten*  mit  der  damenweit  und  bald  nach  dem  bruch  des 
Verhältnisses  entstanden  ist.    Nehmen  wir  die  beiden  ersten 

')  Seiner  ansieht  schloss  sich  übrigens  auch  Simrock  an  (Parz.  u.  Tit. 
1,510). 

*)  Dass  es  sich  um  scheltlieder  handele,  sah  auch  Haupt  bereits,  er  hielt 
daneben  alter  die  von  Lachuuuin  behauptete  heziehung  auf  den  anfang  des 
dritten  buches  aufrecht. 


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ZU  WOLFRAMS  LIEDERN. 


107 


Strophen,  in  denen  er  einer  neuen  geliebten  huldigt,  hinzu,  so 
ergibt  sich  mit  evidenz,  dass  Wolfram  bald  nach  der  lösung 
des  ersten  Verhältnisses  ein  neues  begonnen  hat. 

Auch  Stosch  bezieht  die  dritte  Strophe  richtig,  wie  Haupt, 
v.  d.  Hagen  und  Domanig,  auf  den  abbruch  der  liebschaft.  Da 
dieser  nun  nach  ihm  ungefähr  gleichzeitig  mit  der  absehliessung 
von  P.  VI  vor  sich  gegangen  ist.  so  setzt  er  folgerichtig  auch 
die  dritte  strophe  für  diese  zeit  an.  Mit  den  beiden  ersten 
Strophen  aber  kommt  er  ins  gedränge:  seine  hypothese  näm- 
lich, dass  der  schluss  des  sechsten  buches  eine  widmung  an 
den  landgrafen  enthalte,  hat  ihre  hauptstütze  an  der  annähme, 
dass  im  laufe  dieses  buches  der  minnedienst  des  diehters  zu 
ende  gehe.  Nun  aber  zeigt  das  dritte  lied  in  der  überlieferten 
form  die  recht  unbequeme  tatsache,  dass  der  getäuschte  dichter 
alsbald  in  neuer  liebe  entbrannt  ist  und  an  das  tragische  ende 
des  früheren  minnedienstes  nach  kurzer  zeit  den  hoffnungs- 
freudigen anfang  einer  zweiten  minne  geknüpft  hat!  Was  tut 
nun  Stosch  in  dieser  Verlegenheit?  Anstatt  die  drei  ein  ab- 
gerundetes, durchaus  unanstössiges  ganze  bildenden  Strophen 
als  ein  solches  hinzunehmen  und  aus  den  beiden  ersten  Stro- 
phen die  bald  nach  dem  brach  geschehende  anknüpfung  eines 
neuen  Verhältnisses  und  aus  der  dritten  einen  zu  gleicher  zeit 
auf  das  gelöste  geworfenen  rüekblick  herauszulesen,  zerschlägt 
er  das  lied  in  zwei  zeitlich  auseinander  liegende  teile,  von 
denen  er  den  ersten  (str.  1  und  2)  noch  beim  bestehen  des 
(zweiten)  liebes  Verhältnisses,  hingegen  den  zweiten  (str.  3) 
nach  seiner  lösung  entstanden  sein  lässt.  Zur  recht fertigung 
der  'landgrafen-hypothese'  muss  also  Wolfram  im  laufe  des 
sechsten  buches  den  minnedienst  aufgeben,  und  zur  beseitigung 
einer  dieser  letzteren  annähme  entgegenstehenden  tatsache 
muss  das  dritte  lied  sich  eine  zerschneiduug  gefallen  lassen. 

Tebrigens  leuchtet  mir  auch  die  annähme,  dass  im  sechsten 
buche  sich  schrittweise  der  brach  eines  Verhältnisses  vollziehe, 
nicht  ein.  Ich  vermag  aus  den  —  bereits  oben  angeführten 
—  stellen  nur  das  herauszulesen,  dass  der  dichter  seinen  klagen 
über  die  erfolglosigkeit  seiner  minne  ausdruck  verleiht.  Teber- 
haupt  glaube  ich  schon  im  zweiten  teile  der  abhandlung  (s.  102) 
zur  evidenz  gebracht  zu  haben,  dass  die  geliebte,  mit  der 
Wolfram  nach  dem  ausweis  der  Parzivaleinlage  gebrochen 


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KUCK 


hat)  «ine  andere  ist  als  diejenige  auf  die  sich  seine  klagen 

im  sechsten  buche  beziehen.   Schon  hieraus  ergibt  sich,  dass 

die  einlage  nicht  erst  gleichzeitig  mit  dem  sechsten  buche  des 

Parzival  entstanden  ist1)    Es  liegt  folglich  auch  gar  kein 

grund  vor,  an  der  bisherigen  ansieht,  dass  der  dichter  am 

Schlüsse  des  sechsten  buches  einer  geliebten  dame  gedenkt,  zu 

zweifeln  und  eine  Widmung  an  den  landgrafen  anzunehmen, 

ganz  abgesehen  davon,  dass  die  worte 

ich  ta»tz  in  gerne  fürbaz  kunt, 
wolt  ez  «^bieten  mir  ein  mimt, 
den  doch  ander  fileze  tragent 
dan  die  mir  ze  Stegreif  wagent. 

nach  meinem  dafürhalten  ohne  jeden  zweifei  den  fehdeinstigen 
reiter  und  ritter  im  gegensatz  zu  der  zarten,  vorzugsweise  in 
haus  und  Wirtschaft  waltenden  dame  schildern  sollen.  Eine 
beziehung  auf  den  landgrafen  Hermann  Hesse  sich  aus  diesen 
versen  wol  nur  in  einem  falle  herauslesen,  wenn  er  nämlich 
—  das  zipperlein  gehabt  hätte. 

Auf  Stoschs  hypothese  in  betreff  des  dritten  liedes  noch 
näher  einzugehen,  ist  nach  dem  gesagten  unnötig.  Nur  dar- 
über wünschte  man  eine  nähere  erklärung,  ob  nach  seiner 
ansieht  Wolfram  die  letzte  Strophe  als  einen  zusatz  zu  str.  1 
und  2  oder  als  selbständige  einheit  verfasst  hat.  Im  ersteren 
falle  wäre  ein  ganzes  zu  stände  gekommen,  in  dessen  erstem 
teile  der  dichter  eine  geliebte  anfleht,  mit  der  er  im  zweiteu 
gebrochen  hat,  im  zweiten  hätte  Wolfram  ein  einstrophiges 
lied  verfasst,  das  —  sonderbar  genug  —  mit  einem  seiner  an- 
dern gedieht«  zu  einer  passenden  einheit  zusammengeschweisst 
wäre. 

Nach  meiner  ansieht  steht  die  Selbstverteidigung  des  dich- 
tere nicht  nur  an  ihrer  richtigen  stelle,  sondern  es  ist  auch 
die  von  Stosch  gegen  Haupt  aufgestellte  behauptung,  dass 
jene  nicht  zugleich  auf  die  durch  Wolframs  scheltlieder  her- 
vorgerufene Verstimmung  der  damenweit  und  auf  den  anfang 

')  Auch  P.  137,29  (im  dritten  buch): 

w:er  mir  aller  wibe  haz  bereit, 
mich  miiet  doch  fronn  Jeschnten  leit. 

lässt  sich,  wie  auch  bereits  geschehen,  dafür  verwerten,  dass  die  apologe- 
tische partie  an  ihrer  richtigen  stelle  steht. 


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ZU  WOLFRAMS  LIEDERN 


100 


des  dritten  buches  sich  beziehen  könne,  zurückzuweisen.  Ich 
denke  mir  den  Vorgang  folgendermassen:  Wolfram  ist  mit  der 
geliebten  durch  deren  schuld  zerfallen.  Sein  zorn  kennt  keine 
grenzen  und  versteigt  sich  in  einer  unberechtigten,  aber  bei 
dem  heißblütigen  Wolfram  psychologisch  leicht  erklärlichen 
Verallgemeinerung  zu  angriffen  auf  die  frauenweit  überhaupt. 
Das  muss  in  den  scheltliedera  geschehen  sein,  denn  die  worte 
(337.  1    6):        nn  wejz  ich,  »welch  sinnec  wip, 

ob  si  hat  getriwen  lip, 

diu  diz  mrere  geschriben  siht, 

daz  si  mir  mit  wärheit  gibt, 

ich  künde  wiben  .sprechen  baz 

denne  als  ich  lanc1)  gein  einer  maz, 

beweisen,  dass  Wolfram  in  denselben  Uedem,  in  denen  er  gein 
einer  sanc  maz,  auch  die  frauen  im  allgemeinen  angriff.  Es 
werden  ähnliche  angriffe  gewesen  sein,  wie  der  in  den  ein- 
leitungsworten  des  dritten  buches,  doch  noch  schärfer  und 
allgemeiner  gehalten: 

ez  machet  trüric  mir  den  lip, 
daz  also  mangiu  heizet  wip. 
ir  stimme  sint  geliche  hei: 
genuoge  sint  gein  valsche  snel. 
etsliche  valsches  la»re  (!):  ... 
daz  die  geliche  sint  genamt, 
des  hat  min  herze  sich  geschämt, 
wipheit.  din  ordeulicher  site, 
dem  vert  und  fuor  ie  triwe  mite. 

Durch  diese  angriffe  kommt  er  in  den  ruf  eines  weiberhassers 
und  mag  unter  der  hierdurch  hervorgerufenen  misstimmung 
des  ihm  bekannten  damenkreises  nicht  wenig  gelitten  haben. 
Allmählich  kehrt  der  von  der  leidenschaft  fortgerissene  dichter 
zu  ruhiger  besonnenheit  zurück  und  singt  in  der  einlage  seine 
palinodie.  Er  gibt  die  erklärung  ab,  dass  er  hinfort  gegen 
die  frauen  im  ganzen  nichts  einzuwenden  habe,  und  nur  die 
eine  hasse  und  hassen  werde  (114, 5—15).  Er  erklärt  zugleich, 
wer  die  schuld  an  seinen  ausfällen  gegen  das  weibliche  ge- 

l)  Sollte  diese  stelle  nicht  auch  dafür  sprechen,  dass  der  brach  und 
die  schmählieder,  folglich  auch  die  einlage,  bereits  einer  weit  früheren  zeit 
angehören,  nicht  erst,  wie  Stosch  will,  der  zeit  wo  der  schluss  des  sechsten 
buches  entstanden  ist  ? 


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KÜCK 


schlecht  trage,  nämlich  einzig:  die  ungetreue:  "sie  hat  mich  so 
schmählich  behandelt,  dass  ich  mir  in  meinem  hasse  gegen  sie 
keinen  rat  weiss.  Darum  [sc.  weil  ich  mich  durch  diesen  hass 
zu  falschen  Verallgemeinerungen  habe  hinreissen  lassen]  hassen 
midi  die  andern  (v.  10 — 19)/  Und  er  setzt  hinzu:  6we  warumbe 
tuoni  st  das?  d.  h.  'ein  anlass,  mich  zu  hassen,  liegt  nach  meinen 
nunmehrigen  erklämngen  nicht  mehr  vor'.  'Doch  mag  mich 
der  —  für  die  zukunft  unverdiente  —  hass  der  trauen  noch 
so  sehr  schmerzen,  der  adel  ihrer  Weiblichkeit  ist  —  auch 
von  meiner  seite  —  unantastbar;  ich  erkläre  dies,  weil  ich  in 
der  letzten  zeit  anders  und  zwar  falsch  gesprochen  und  hier- 
durch an  mir  selbst  schändlich  gehandelt  habe;  das  wird  nicht 
wider  vorkommen  (21— 25).'»)  Wenn  somit  Wolfram  der  frauen- 
schaft  als  ganzem  gegenüber  klein  beigibt,  so  hält  er  doch 
mit  seiner  ansieht  nicht  zurück,  dass  er  unter  den  einzelnen 
damen  sehr  wol  einen  unterschied  zu  machen  wisse. 

Ich  glaube,  diese  ausführungen  zeigen  schon  zur  genüge, 
dass  an  Haupts  auffassung  der  einlage  nicht  gerüttelt  werden 
darf  und  das  dritte  lied,  das  ungefähr  gleichzeitig  mit  der 
Parzivalpartic  entstanden  und  mit  ihr  der  angelpunkt  für  alle 
Untersuchungen  über  Wolframs  liebesieben  ist.  durch  Stosch 
eine  vollständig  falsche  und  zugleich  wegen  der  Wichtigkeit 
des  liedes  doppelt  energisch  zurückzuweisende  beurteilung  er- 
fahren hat. 

Teber  die  andern  lieder  äussert  sich  Stosch  (s.  321  und 
s.  329  anm.)  nur  so  weit,  dass  VI  und  VIII  1—3  (auch  er  hält 
nur  die  ersten  drei  Strophen  für  wolframisch)  möglicherweise 
mit  III  1.  2  einem  und  demselben  —  später  abgebrochenen  — 
Verhältnis  entsprungen  seien  (er  vergleicht  liebe*  ende  7,  32 
und  9, 13);  über  die  tagelieder  spricht  er  überhaupt  nicht. 


')  Einen  uanz  ähnlichen  Gedankengang  schläft  die  dritte  strophe  de« 
dritten  Heden  ein:  'ich  —  der  hekehrte  dichter  —  schade  den  franen  so 
wenig  wie  ein  storch  den  saaten.  Ihr  hass  schmerzt  mich  —  und  ist  hin- 
fort ungerecht,  denn  mau  !*ich  auch  die  eine  «jegen  mich  verkaufen  hahen, 
ich  will  fortan  mich  eines  hütisehen  heuehinens  hefleissigen,  nicht  mehr  die 
zuftt  durch  ungalantes  hetragen  getreu  die  damenweit  schlechthin  ver- 
letzen' (vgl.  in  der  einlade  au  einer  späteren  stelle:  sin  lop  hinket  ante 
spat,  sirer  allen  frouwen  sprühet  »tat  durch  sin  eines  frouiren). 


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ZU  W0LKRAM8  LIEDKKN. 


111 


4.  Einzelne  bemerkungen. 

Den  schluss  des  ersten  liedes  (4,  8—7)  halte  ich  für  ver- 
dorben: 

(1)  »weih  schiltser  entwürfe  daz 
gesellecliche 

als  si  lagn,  des  wtere  ouch  dem  gennoc. 

(2)  ir  beider  liebe  doch  vil  sorgen  truoc. 

(3)  si  phlagen  minne  an  allen  haz. 

Mag  die  Schreibweise  Wolfranis  noch  so  lapidarisch  gewesen 
sein,  es  ist  ganz  undenkbar,  dass  an  den  zweiten  gedanken, 
der  einen  gegensatz  zum  ersten  enthält,  der  dritte,  widerum 
dem  zweiten  entgegengesetzte  gedanke  ohne  jede  dieses  logi- 
sche Verhältnis  andeutende  Verbindung  angeschlossen  wäre. 
Da  der  dritte  gedanke  auf  den  ersten  wider  zurücklenkt,  so 
sind  die  beiden  schlussgedanken  offenbar  so  angeordnet  ge- 
wesen, dass  der  zweite  gegenüber  dem  dritten  etwas  zurück- 
trat. Ich  betrachte  ir  als  einen  eindringling  aus  4, 2  (ir  munde, 
ir  brüste)  und  setze  dafür  sicie  ein  (stvie  doch  —  obgleich): 

s wie  beider  liebe  doch  vil  sorgen  truoc, 
si  phlagen  minne  an  allen  haz. 

Zur  Stellung  des  doch  vgl.  Pauls  Mhd.  gramm.  §  :352,  7  und  das 
dort  angeführte  beispiel:  er  was  so  wol  bescheiden,  swie  er 
doch  wcere  ein  Jieiden. 

Mehrfach  ist  schon  die  frage  erörtert,  ob  das  im  anfang 
des  zweiten  liedes  (4,8.9)  sich  findende  kühne  bild  des  an- 
brechenden tages: 

sine  kläwen 

dnrh  die  wölken  sint  geslagen 

Wolframs  dichterisches  eigentum  oder  anderswoher  —  etwa 
aus  der  mittelalterlichen  hymnenpoesie  —  entlehnt  sei.  Zu 
irgend  welchem  ergebnis  ist  man  meines  wissens  nicht  gelangt, 
wie  auch  der  vom  dichter  gebrauchte  bildliche  amdruck  noch 
keine  hinreichende  erklärung  gefunden  hat.  Wo  steckt  das 
tertium  comparationis?  Nahe  liegt  der  vergleich  mit  der 
ifoöoöaxrvXoQ  r)coq  des  ionischen  Sängers,  und  hierbei  mag  der 
hinweis  auf  die  bemerkung  von  Ameis  zu  Odyssee  2, 1  gestattet 
sein,  dass  die  bezeichnung  (tododaxxvXoq  ('rosenfingerig')  her- 
zuleiten sei  von  den  fünf  blassroten,  perpendiculär  am  horizonte 
aufsteigenden  lichtstreifen,  die  in  Kleinasien  und  Griechenland 


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112 


KÜCK 


vor  dem  aufgange  der  sonne  wahrzunehmen  seien.  Sollte  es 
nicht  denkbar  sein,  dass  nnserm  nordischen  dichter  die  beob- 
achtung  einer  älinlichen  naturerscheinung  und  zwar  grauer, 
in  form  einer  klaue  sich  ausbreitender  lichtstrahlen  das  bild 
eines  mit  seinen  grauen  klauen  das  dunkle  gewölk  zerreissen- 
den  raub vogels  vor  die  seele  gezaubert  hätte?1) 

Eine  andere  frage  ist  die  nach  der  Originalität  des  Ver- 
gleichs. In  der  bibel  findet  sich  nur  eine  stelle,  die  sich  viel- 
leicht vergleichen  Hesse,  Psalm  139  [138],  9.  10:  si  sumpsero 
pennas  meas  dilueulo  et  habitarero  in  extremis  maris,  etenim 
illuc  manus  tua  deducct  me  et  tenebit  me  dextera  tua.  Hier 
liegt  das  bild  der  flügelgleich  ausgespannten  morgenröte  zu 
gründe,  aber  haben  die  mittelalterlichen  dichter  es  benutzt 
und  weitergegeben?  Meines  wissens  nicht.  Und  warum  sollte 
nicht  auch  die  phantasie  des  dichter»  hier  selbsttätig  haben 
arbeiten  können?  Ihm,  dem  mit  der  natur  und  ihren  geschöpfen 
so  innig  vertrauten  ritter  und  jäger,  der  au  einer  andern 
stelle  (im  dritten  liede)  den  blick  des  falken  und  den  der 
eule  im  gleichnis  verwendet,  konnte  auch  unser  vergleich 
nicht  allzu  fern  liegen.  Und  haben  wir  nicht  auch  bei  Goethe, 
dein  man  Wolfram  in  der  auffassung  der  natur  so  gerne  con- 
genial  sein  lässt,  mehrfache  personificierungeu  gerade  des  an- 
brechenden tages?  Man  vgl.  z.  b.  den  anfang  der  ' Zueignung' 
und  die  worte  Clärchens,  die  sie  im  fünften  act  beim  anbruch 
des  tages  spricht:  'ja,  er  wird  grauen,  der  tag!  vergebens  alle 
nebel  um  sich  ziehen  und  wider  willen  grauen.' 

Die  erste  Strophe  des  vierten  liedes.  Die  ansieht 
Lucaes,  dass  der  beiden  minne  ir  klage  eine  Umschreibung  des 
Wächters  enthalte  (De  nonn.  loc.  Wolfram,  p.  1 — 14)  hat  bereits 
Paul,  ßeitr.  1.202  f.  verworfen,  der  mit  Lachmann  diese  worte 

')  Hoethe  weist  in  der  recension  der  dissertatiou  De  Groyters  über  das 
tagelied  (Auz.fda.S4)  darauf  hin.  dass  in  der  tagelieddichtung,  wenigstens 
ihren  früheren  erzeuguissen,  von  den  dichtem  hei  der  Schilderung  des  an- 
brechenden tages  scharf  unterschieden  werde  zwischen  der  roten  und  der 
ihr  voraufgehenden  grauen  färbung  des  hiuiuiels.  Pass  an  unserer  stelle 
der  dichter  von  der  letzteren  ausgeht,  zeigen  deutlich  die  folgenden  worte 
ich  tili  in  grauen  ....  Beiläufig  mag  hier  die  beinerkung  platz  finden, 
dass  ähnlich  die  griechischen  dichter  von  der  poöoäüxtvkoq  rjty<  die  xqo- 
xÖjz t n j.og,  d.  h.  die  safrangewandige,  unterscheiden  (tot.  aurora  lutea). 


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ZU  WOLFRAMS  LIEDERN*. 


113 


als  object  zu  du  sunge  und  den  vers  daz  si'tre  nach  dem  süezen 
als  nähere  erklärung  zu  der  Helden  minne  ir  klage  fasst.  Eine 
parallelstelle  zu  dieser  auffassung  bietet  auch  4, 18 — 20: 

waht&r,  du  singest 

daz  mir  manege  freude  nimt 

unde  m£ret  mine  klage. 

Mit  unrecht  aber  entfernt  sich  Paul  in  anderer  hinsieht 
von  Lachmann.  Er  fasst  nämlich,  indem  er  nach  z.  39  einen 
punkt  und  nach  z.  36  ein  komma  setzt,  die  ersten  sechs  verse 
zu  einem  satze  zusammen:  'du  sagst  immer  worte,  über  die 
die  heimliche  liebe  klagen  musste  (der  Helden  minne  ir  klage 
du  sunge  ?e),  das  bittere  nach  dem  süssen,  so  dass  sie  sich 
scheiden  mussten,  welche  minne  und  weiblichen  gruss  auf 
solche  weise  (d.h.  verholne)  empfiengen.'  Diese  zurückbeziehung 
des  alsö*)  ist  schon  wegen  der  entfernung  nicht  leicht  und 
misfällt  besonders  deshalb,  weil  aus  der  Helden  minne  (der 
heimlichen  liebe)  bloss  der  begriff  des  heimlichen  zur  ergän- 
zung  herausgenommen  wird:  wie  gefällig  dagegen  schliesst 
an  das  also  (alse)  sich  das  folgende  an:  daz  si  sich  muosen 
scheiden."1)  Ich  behalte  daher  Lachmanns  anordnung  bei,  und 
zwar  nehme  ich  den  satz  swer  minne  (37)  . .  .  sine  (42)  als 
eine  art  anakoluth.  Wolfram  wollte  ungefähr  sagen:  'wer 
liebe  und  weiblichen  gruss  nur  um  den  preis  des  Scheidens 
empfieng,  wie  wenig  hat  der  gewonnen!'  Nach  dem  Vorder- 
satze aber  ergreift  ihn  sein  gefühl  so  mächtig,  dass  er  den 
ursprünglich  beabsichtigten  nachsatz  unterdrückt  und  die 
eigentlich  sich  erst  aus  ihm  ergebende  Weisung  an  den  Wächter 
unmittelbar  an  den  Vordersatz  anschliesst.  Zur  Verdeutlichung 
dieses  logischen  Verhältnisses  der  sätze  wird  man  nach  z.  39 
am  besten  einen  gedankenstrich  setzen.  —  In  der  zweiten 
Strophe  kehrt  dann  Wolfram  zu  dem  ausgelassenen  gedanken 
zurück,  beleuchtet  ihn  aber  nunmehr  von  der  entgegengesetzten 
seite  ('wie  glücklich  ist  der  zu  preisen,  der  eheliche  liebe  ge- 

l)  Zu  schreiben  ist  übrigens  aUe  enpfienc  (Uberliefert  also),  entspre- 
chend den  worten  der  nächsten  Strophe  dannen  streben.  Paul  vermutet  so 
enpfienc. 

*)  Vgl.  auch  4,34  er  gab  sich  miner  tritt e  also,  daz  ih  in  Imrhte 
ouch  teider  den. 

Boilräge  «ur  gesciiichte  der  deutschen  «pracho.    XXII.  S 


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114 


KÜCK,  ZU  WOLFRAMS  LIEDERN. 


niesst').  Eine  Streitfrage  knüpft  sich  ferner  noch  an  den 
schluss  der  ersten  Strophe: 

swaz  du  dö  riete  in  beiden, 
dö  üf  gienc 

der  niorgensterne,  wahtier,  »wie,  dä  von 
niht  gerne  sine. 

Paul  (a.  a.  o.)  sieht  gerne,  weil  es  in  B  fehlt,  in  C  nach  sing 
steht,  als  Schreiberzusatz  an  und  ersetzt  es  durch  mere.  Doch 
wenn  auch  für  Walther  B  in  textlicher  hinsieht  über  C  steht, 
so  gilt  dies  nicht  ohne  weiteres  auch  für  Wolfram.  Vielmehr 
zeigt  eine  vergleichung  der  lesarten  für  III — V,  dass  beide 
Überlieferungen  gleichwertig  sind.  Daher  haben  wir,  da  nach 
dem  ausweis  der  zweiten  Strophe  an  unserer  stelle  sowol  B 
wie  C  verdorben  ist,  das  gerne  von  C  dankbar  anzunehmen, 
selbst  um  den  preis  der  Umstellung.  Sehen  wir  doch  auch 
den  grund,  weshalb  der  Schreiber  sing  gerne  schrieb:  er  wollte 
reimbindung  mit  morgensteme  herstellen,  weil  der  reim  gienc  : 
.Wnc  durch  verderbung  des  ersten  wortes  zu  gie  zerstört  war. 

8,33.34  Ir  ougen  naz  dö  wurden  baz:  och  twanc  in  klage: 
er  muose  fdan]  von  ir. 

Dan,  das  in  beiden  handschriften  fehlt,  ist  von  Lachmann  er- 
gänzt. Sollte  wegen  der  parallelstellen  er  muoz  et  hinne  (4,28) 
und  er  tnuos  et  dannen  (6,40)  nicht  die  lesart  er  muose  doch 
von  ir  vorzuziehen  sein? 

ROSTOCK.  EDUARD  KÜCK. 


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DIE  HEIMAT  DER  ALTNORDISCHEN  LIEDER 
VON  DEN  WELSUNGEN  UND  DEN 
NIBELUNGEN. 

I. 

In  der  zweiten  reihe  meiner  Studien  über  die  entstehung 
der  nordischen  götter-  und  heldensagen  habe  ich  die  ansieht 
begründet,  dass  die  Helgilieder  der  älteren  Edda  von  nor- 
wegischen dichtern,  zum  teil  unter  benutzung  dänischer  lieder, 
in  Brittannien  verfasst  worden  sind.  Daselbst  habe  ich 
ferner  die  ansieht  angedeutet,  dass  die  Norweger  auch  die 
sage  von  Sigfrid  und  den  Nibelungen  zuerst  in  Brittannien 
kennen  lernten  und  dass  die  meisten  Volsungenlieder  der 
älteren  Edda  dort  von  norweg4schen  dichtern  verfasst  wor- 
den sind. 

Im  folgenden  werde  ich  untersuchen,  inwieweit  die  Vol- 
sungenlieder der  älteren  Edda«)  sprachlich  und  in  betreff 
der  poetischen  ausdrücke  den  einfluss  angelsächsischer  dich- 
tung  verraten  oder  wenigstens  darauf  hinweisen,  dass  die 
norwegischen  Verfasser  derselben  in  England.  Schottland  oder 
Irland  gelebt  haben.  Später  hoffe  ich  die  sagen  dieser  lieder 
behandeln  zu  können. 

Siguröarkviöa  in  skamma. 
Nachdem  die  einleitenden  Strophen  dieses  gedichts  von 
dem  ersten  besuch  Sigurds  bei  Giuki  und  dann  von  der  hoch- 
zeit  Gunnars  und  von  der  Sigurds  in  kurzen  und  raschen 
zügen  erzählt  haben,  wird  der  mord  Sigurds  ausführlich  moti- 
viert. Dies  geschieht  durch  monologe  und  gespräche;  Bryn- 
hild,  Gunnar  und  Hogni  sind  die  auftretenden  personen.  In 

')  Die  citate  beziehen  sich  auf  meine  ausgäbe,  Christiania  1867. 

8* 


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Iii) 


BtTGOR 


wenigen  kräftigen  Strophen  folgt  dann  eine  zusammengedrängte 
darstellung  des  mordes.  Nach  einer  rede  des  sterbenden  Si- 
gurd') hören  wir  das  Jammergeschrei  Gudruns  bei  seiner  leiche 
und  einen  gewaltigen  ausbruch  der  leidenschaft  Brynhilds. 
Der  ganze  übrige  teil  des  gedichts  (str.  31 — 70)  enthält  nur 
wenige  erzählende  Strophen.  Die  scenen,  welche  hier  unmittel- 
bar nach  dem  morde  vorgeführt  werden,  finden  darin  ihren 
abschluss.  dass  Brynhild,  um  die  sich  alles  hier  gruppiert, 
durch  eigene  hand  stirbt,  um  mit  Sigurd  auf  den  Scheiter- 
haufen gelegt  zu  werden.  Die  Situationen  und  die  Charaktere 
werden  hier  fast  ausschliesslich  durch  reden,  namentlich  durch 
die  ausführlichen  äusserungen  Brynhilds  beleuchtet.  Sie  sucht 
ihre  handlungsweise  durch  einen  ruckblick  auf  ihr  früheres 
Schicksal  zu  erklären.  Dann  prophezeit  sie  ihren  nächsten, 
welches  Schicksal  sie  erwarte.  Endlich  bestimmt  sie,  wie  Sigurd 
und  sie  selbst  auf  den  Scheiterhaufen  gelegt  und  verbrannt 
werden  sollen. 

Auf  das  Verhältnis  dieses  gedichts  zu  andern  Eddaliedern 
und  auf  die  Unterscheidung  älterer  und  jüngerer  Strophen  gehe 
ich  hier  nicht  ein. 

In  Übereinstimmung  mit  Gudbrand  Vigfusson  habe  ich 
bereits  früher  nachgewiesen,  dass  die  Sigui  öarkviöa  mehrere 
Wörter  und  ausdrücke  enthält,  welche  aus  dem  angelsächsi- 
schen entlehnt  sind. 

So  kälhr  'becher'  Sig.  29  aus  ags.  cdlic  (auch  caekt).  Das 
wort  kälkr  findet  sich  in  vielen  Eddaliedern  (Skirn.,  Lok.,  Hym.. 
Rigsj\,  Atlakv.),  auch  in  der  prosa  bei  sagengeschichtlicher 
erzählung  in  der  Ynglinga  saga  und  in  der  Gulljwis  saga. 
Allein  es  lässt  sich  nicht  nachweisen,  dass  das  wort  in  der 
alltäglichen  spräche  in  Norwegen  gebräuchlich  gewesen. 

vaUi  mengt  Sig.  00,  4  'viele  knechte',  aus  ags.  weafh  pl. 
tcvalas  'knecht',  eig.  ein  mann  von  brit tannischer  herkunft. 
So  findet  sich  das  wort  valir  nicht  in  der  alten  isländischen 
oder  norwegischen  prosa  angewendet.  Auch  mctuji  n.  scheint 
aus  dem  ags.  (mengeot)  entlehnt:  s.  'Helge-digtene'  s.  35. 

')  Sigurd  sagt  tröstend  Sig.  25:  'weine  nicht,  (iudruu.  so  bitterlich! 
[xr  hnrdr  hlifa;  dich  schonen  deine  brnder*.  Statt  Ufa  mnss  man  hlifn 
lesen. 


H  KIM  AT  DKR  ALTO.  WEISUNGEN-  ü.  NIB.-LIEDER. 


117 


trigli  eine  art  schmuck  Sig.  49  und  Lok.  20.  Korm.  str.  77. 
aus  ags.  &igle  i haisschmuck \  In  Sig.  49  in  der  Verbindung 
hrodit  sigli.  Dies  particip  kommt  im  anorw.  sonst  nicht  un- 
zusammengesetzt vor,  findet  sich  aber  im  ags.  hroden  'ornatus, 
deauratus'  wider. 

Das  nicht  seltene  an.  yullrodinn  ist  -  ags.  goldhroden, 
nicht  von  rjoöa  'röten'. 

Der  anorw.  ausdruck  drekka  ok  dama  Sig.  2  (auch  Rigs)\ 
und  Herv.  saga)  ist  ,  wie  das  mengl.  pag  dronkm  tO  dalten  tf- 
demed  (Sir  Gawayne  1668),  eine  umdeutung  des  ags.  drincan 
and  dramin  (drytnan),  s.  meine  'Studien'  1,  s.  5. 542. 

Finnur  Jonsson  meint  (Lit.  hist.  1,  68  anm.),  dass  diese 
Wörter  für  die  heimat  derjenigen  lieder,  in  welchen  dieselben 
vorkommen,  gar  nichts  beweisen.  Die  Wörter  können  nach 
ihm  aus  England  nach  Norwegen  gekommen  und  dort  in  der 
spräche  eingebürgert  sein. 

Allein  drekka  ok  dama  und  wahrscheinlich  hrodit  sigli 
sind  poetische  ausdrücke  und  müssen  daher  aus  englischen 
gedienten  herübergenommen  sein. 

Im  folgenden  werde  ich  nachweisen,  dass  der  einfluss  der 
angelsächsischen  dichtung  auf  die  ausdrücke  der  Siguröarkvifla 
so  umfassend  und  tief  ist,  dass  das  gedieht  in  England  ent- 
standen sein  muss. 

Der  dichter  schildert  die  eifersucht  Brynhilds.  Sie  sitzt 
abends  einsam  draussen.   Str.  6: 

nam  hon  4sva  bert' 
um  at  ma-lask. 

Der  text  muss  entstellt  sein,  denn  die  alliteration  fehlt ;  allein 

man  hat  eine  evidente  besserung  nicht  gefunden.  Ich  lese  jetzt  : 

nam  8vä  aliert 
um  at  m&laek. 

I  )ie  entstellung  entstand  dadurch,  dass  der  Schreiber  das  wort 
dbert  nicht  kannte  und  dass  ein  a  unmittelbar  vorausgieng. 

Ein  ags.  adjectiv  celnere,  *o?bere  i  manifest  us'  kommt  in  den 
ausdrücken  se  a?bera  J>e6f,  abiere  manslagan  in  den  gesetzen  vor. 
Bei  Lajamon  1, 96  findet  sieh  noch  }nt  ebure  (var.  ebare)  sot. 
Dies  ags.  wort  cebere  hat  der  norwegische  dichter  nach  meiner 
Vermutung  als  dbert  aufgenommen,  indem  er  ags.  &  durch  d 


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118 


BUGOK 


widergab,  weil  an.  d  regelrecht  dem  ags.  <k  entspricht  (an. 
rdöa  --■=  ags.  rcedan,  an.  Svdfa  —  ags.  Sictkfa  u.  s.  w.). 

Brynhild  offenbart  ihre  bösen  gedanken  in  Worten. 
Sig.  8: 

er  J>au  Guflrun 
ganga  ä  beö 
ok  hana  SignrOr 
sveipr  i  ripti, 
konungr  inu  hünski 
kvan  'fria'  sina. 

Früher  (Norr.  fornkv.  420a)  habe  ich  die  Vermutung  aus- 
gesprochen, dass  ein  zeilenpaar  (eine  langzeile),  das  den  an- 
fang  einer  neuen  Strophe  gebildet  habe,  vor  konungr  fehle. 
Dies  hat  bei  Sv.  Grundtvig,  Hildebrand,  Möllenhoff  beifall  ge- 
funden, scheint  mir  aber  jetzt  unnötig.  Finnur  Jonsson  erklärt 

konnngr  inn  hnnski 
kvan  fria  «Ina 

für  unecht.  Die  annähme  solcher  interpolationen  erklärt  mei- 
stens nur  wenig,  wenn  man  nicht  zugleich  erklärt,  warum,  in 
welchem  sinne,  wo  oder  wann  die  angeblichen  interpolationen 
zugedichtet  worden  seien. 

Halbstrophen  die  aus  5  (6)  zeilenpaaren  bestehen,  finden 
sich  oft  in  der  Siguröarkviöa  (4.  8.  11.  13.  14.  37.  39.  44.  45.  56. 
58.  CO.  65)  und  in  anderen  Eddaliedern.  An  einigen  der  ge- 
nannten stellen  macht  es  die  bedenklichkeit  des  ausdrucks 
wahrscheinlich,  dass  eine  spätere  interpolation  die  erweiterung 
der  halbstrophe  verschuldet  habe.  Allein  Sievers  (Altgerm, 
metrik  §  42,3  und  anm.  1)  hat  gewis  recht,  wenn  er  behauptet, 
dass  halbstrophen,  welche  aus  5  oder  6  langzeilen  bestehen,  ur- 
sprünglich sein  können. 

In  kvan  fria  sina  ist  fria  ein  unpassender  ausdruck,  wenn 
man  das  wort  als  infinitiv  versteht.  Ich  verstehe  es  jetzt 
vielmehr  als  acc.  sg.  fem.  vom  adj.  frir,  und  dieselbe  auf- 
fassung  habe  ich,  nachdem  dies  geschrieben  war,  bei  Lüning 
gefunden.  Dies  fria  ist  hier  aus  angelsächsischem  einfluss  zu 
erklären.  Vgl.  ...  and  his  wi'f  somcd,  frio  fa'^rostv  (»enesis 
456  f.,  freoltc  wif,  freolicu  folccwtn  (fwnme,  ttwowle);  mengl. 
(hat  lady  freo,  fiat  fre  qucnv,  that  leuedi  fre.  Das  adjectiv 
gieng  von  der  bedeutung  'frei'  in  die  von  'hochgeboren,  edel' 


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HEIMAT  DER  ALTN.  WEISUNGEN-  ü.  NIB.-LIBDER.  119 

über.  Der  poetischen  darstellung  wegen  vgl.  Faerösk  antho- 
logi  no.  IS  v.  90:  Hergeiri  liggur  t  songini  og  fatmar  friÖa  fru. 

Vigfusson  hat  in  Sig.  8  frtda  für  fria  eingesetzt;  allein 
das  metrum  zeigt,  dass  friÖa  nicht  das  richtige  ist. 

Sig.  9, 1. 2.   Brynhild  sagt: 

Von  geng  ek  vilja 
4vers  oc  beggia\ 

Diese  wunderliche  Wortstellung  erklärt  Möllenhoff  (D.  alt.  5,375) 
daraus,  dass  der  dichter  ein  stümper  sei.  Finnur  Jönsson  hat 
in  seiner  ausgäbe  ok  vers  beggja  eingesetzt.  Allein  hiergegen 
spricht  Guör.  1,23: 

Vqn  se  au  veettr 
vers  ok  barna, 

und  F.  .T.  hat  selbst  in  Litt.  hist.  1,  290  die  änderung  auf- 
gegeben.  Vigfusson  hat  barna  statt  beggia  in  Sig.  9  eingesetzt. 

Ich  wage  eine  andere  unsichere  Vermutung  zu  nennen.  Hat 
die  verszeile  in  einer  ags.  verszeile 

werea  and  beja 

ihr  vorbild  gehabt  ?  Dies  bega  war  nach  meiner  Voraussetzung 
als  beaga  gen.  pl.  von  beag  'ring'  gemeint.  Vgl.  begas  Genesis 
1876;  beg  Beow.  3164;  bih  Beda  5,  21.  Andere  beispiele  bei 
Sweet,  Old.  engl,  texts  s.  615.  Allein  ags.  bega  konnte  auch  gen. 
pl.  zu  begen  'beide'  sein.  Darf  man  es  dem  norwegischen  Ver- 
fasser der  Siguroarkvioa  zutrauen,  dass  er  das  bega  der  ihm 
bekannten  ags.  verszeile  so  verstand  und  daher  durch  beggja 
widergab?   Richtig  hätte  der  dichter  bei  dieser  Voraussetzung 

sagen  sollen:  Von  geng  ek  vitfa, 

vers  ok  banga. 

Dass  dies  dem  zusammenhange  nach  trefflich  passen  würde, 

erhellt  aus  den  Worten  Brynhilds  v.38: 

lek  mer  meir  i  nimi 
meiöniar  piggja, 
bauga  ranöa 
bnrar  Sigmundar. 

Sigurd  besass  ja  den  schätz  Fafnirs. 

Sig.  12, 5—8  liest  F.  Jönsson  gewis  richtig  so: 

hveira  verfir  hoMa 
bQnd  lettari 
Hiftan  tü  satta? 
at  sonr  lifit. 


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120 


BUGGE 


'Wenn  der  söhn  (eines  getöteten)  nicht  mehr  da  ist,  wird  es 
leichter  andere  verwante  zu  versöhnen?'  Die  handschrift  hat 
hefnd  statt  hond  und  lifi  statt  Ii  fit,  das  Sv.  Grund  tvig  zuerst 
gefunden  hat. 

Für  at  'dadurch  dass',  'wenn'  mit  conjunctiv  vgl.  atpann 
hjälm  hafi  Fafn.  19,  at  fietta  treyröf  um  talit  wart  Guör.  hv.  21, 
at  i  brynjti  fwrir  Akv.  16,  at  kann  ßgr  Pceyi  Am.  63. 

Ein  ausdruck  der  dem  hpnd  lettari  Hl . . .  völlig  entspricht, 

findet  sich  in  ags.  dichtung  (Widsiö  71  f.): 

se  hsefde  moncyunes  mine  gefrwje 
leohtcste  hond  lofes  to  wyrcenne. 

Sig.  13:  'K<?i|>r'  varö  Gunnarr 

ok  hnipnafli. 

Hier  fehlt  die  alliteration,  und  reiör  ist  dem  sinne  nach  un- 
passend. Man  hat  dafür  u.a.  hrmhlr  oder  hryyyr  vermutet. 
reidr  ist  hier  doch  wol  nicht  unrichtige  Übersetzung  des  ags. 
hreotc  'moestus'?  Ags.  hrtow  kann  auch  *iracundus'  bedeuten. 
Dies  wäre  an  sicli  neben  hnipnaöi  nicht  unpassend;  vgl.  öd 
wearp  Cain  suiöe  hra>dlice  irre  and  hnipodc  Gregor.  Pastor, 
ed.  Sweet  235,  6. 

Sig.  14:  [>at  var  cigi 

'arar'  titt, 
at  fra  'kommg  dorn* 
kvanir  gengi. 

• 

Gegen  das  metrum  hat  man  drar  in  arar  (afar)  geändert.  Dies 
hat  eine  weitere  änderung  hervorgerufen:  honom  afar  titt  (F. 
Jönsson)  oder  afar  titt  hdnum  (Genug).  Nichts  darf  hier  ge- 
ändert werden. 

Ich  verstehe  jetzt  drar  als  lehnwort  aus  dem  ags.  äror 
'  früher ';  vgl.  an.  dr,  das  s.  v.  a.  ags.  &r  bedeutet  und  an.  siöar. 
Für  den  vocal  der  ersten  silbe  vgl.  dbert  aus  allere.  Neben 
drar  kann  titt  •gewöhnlich'  bedeuten  und  braucht  nicht  als 
•angenehm'  verstanden  zu  werden. 

Statt  lonunydom  hat  mir  rector  -Ton  porkelsson  die 
besserung  Jconunyom  mitgeteilt.  Dasselbe  wort  hat  Vig- 
fusson  eingesetzt.  Also:  'es  war  früher  nicht  gewöhnlich,  dass 
könige  von  ihren  gemahlinnen  verlassen  wurden',  konunyar 
ist  hier  neben  hrdnir  gestellt  wie  ags.  cyningas  and  vwene 
Rätsel  508. 


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HEIMAT  DER  ALTN.  WELSÜNGEN-  U.  NIB.-LIEDER.  121 


Sig.  18  heisst  es  in  den  Worten  Hognis: 

ef  fimra  sonn 
foeönm  lengi. 
attumgöfta 
cexla  kmettim. 

Der  nominativ  fimm  (in  der  handschrift  rer  v.)  wird  durch  das 

vorhergehende  meöan  fjörir  ver 

fölki  raftum 
ok  sä  inn  hiinski 
herbaldr  lifir 

erläutert,  .lene  fünf  männer  sind  Gunnar,  Hogni,  Guthorni, 
Sigurd  und  entweder  Giuki  oder  ein  vierter  söhn  Giukis. 

Mehrere  forscher  haben  gesehen,  dass  lengi  1  lange'  hier 
impassend  ist.  Dies  wort  müsste  voraussetzen,  dass  sowol 
Guthorni  als  Hogni  und  Gunnar  zu  der  zeit  wo  Hogni  dies 
spricht,  je  wenigstens  einen  söhn  hätten.  Allein  dies  ist  der 
sage  unbekannt.  Auch  mit  rücksicht  auf  den  alten  Giuki, 
wenn  er  mitgezählt  ist,  ist  'lange'  hier,  wie  Müllenhoff  be- 
merkt, sonderbar.  Allein  man  hat  die  Schwierigkeit  nicht 
überzeugend  gelöst, l) 

Ich  vergleiche  Beowulf  2730 — 2733,  wo  der  sterbende  Beo- 

wulf  sagt:         Nu  ic  suna  minura  svllan  wolde 

Äuft-jewiedu,  \>ivr  me  ^ifeöe  iwa 
«nfa  yrfeweard  irfter  wurde 
lice  seiende. 

yrfetcmrd  lice  seiende  'erbewart  zu  dem  leibe  gehörig*  be- 
zeichnet 'leibeserbe'.  Sowol  in  der  Siguroarkvioa  als  im  Beo^ 
wulf  finden  wir  einen  bedingungssatz,  und  dieser  satz  bezieht 
sich  an  beiden  stellen  auf  die  möglichkeit,  dass  ein  leibeserbe 
einem  fürsten  vergönnt  werde. 

Ags.  lenge  findet  sich  in  derselben  bedeutung  wie  gelenge. 
Ich  vermute  daher,  dass  der  dichter  in  der  Sig.  das  ags.  adj. 
Icnge  oder  jelenge  nachgeahmt  hat  und  dass 

ef  fimm  sonn 
foeAnm  lengja 

gemeint  war:  'söhne  die  zu  uns  gehören',  d.  h.  leibeserben; 

l)  Vigfusson  setzt  unga  statt  lenyi  ein.  Müllenhoff  (I).  alt.  5,  377  f.) 
und  Ranisch  (ArkivS,  170)  erklären  letuji  ans  der  Ungeschicklichkeit  eines 
interpolierenden  poeten.  Gering  im  Glossare  versteht  lenyi  als  in  Zukunft'; 
allein  diese  bedeutung  hat  das  wort  nicht. 


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122 


BUGOE 


söhne,  die  unser  fleisch  und  blut  sind.  Das  adjectiv  hebt  den 
Zusammenhang  (die  leibliche  beziehung)  zwischen  vätern  und 
söhnen  stärker  hervor. 

Es  war  natürlich,  dass  ein  Isländer  dies  lengia  vor  dttom 
nicht  verstand  und  daher  statt  dessen  lengi  vor  dttom  einsetzte. 

Sig.  22:  kynbirt  tarn,  kyn-  in  verstärkender  bedeutung 
'mire'  ist  in  der  alten  spräche  nicht  nachgewiesen,  auch  nicht 
birta  =  skyygja  (statt  hlyrbirtr  bei  Vigf.  hat  Fritzner  nach 
Fiat,  hlyrbjartr).  Daher  vermutet  dr.  Falk,  dass  kynbirt  ein 
ags.  *cynebirht  widergebe;  vgl.  cynerof.  Ich  hatte  an  dasselbe 
gedacht. 

Sig.  24.   Gudrun  erwachte  freudenlos, 

er  hon  'freys  vinar' 
flaut  i  dreyra. 

In  den  Hamö.  7  wird  dieselbe  Situation  in  den  folgenden  nahe 

verwanten  ausdrücken  dargestellt:  bcekr  pinar  . . .  flutu 

i  vers  dreyra.  Wie  für  Sigurd  hier  vers  'des  gatten'  gesagt 
ist,  erwartet  mau,  dass  Sigurd  in  Sig.  24  nicht  als  'der  freund 
Freys',  sondern  in  seinem  Verhältnisse  zu  Gudrun  bezeichnet 
sein  sollte.    Ags.  wine  bezeichnet  oft  den  geliebten  eheherra. 

Nach  meiner  Vermutung  hat  ein  ags.  gedieht,  das  hier 
das  Vorbild  des  norwegischen  dichter»  gewesen  ist,  den  Sigurd 
(Sefert)  durch  frmmnes  'ihres  geliebten  ehehernT  bezeichnet. 
Ags.  freatvine  ist  aus  dem  Beowulf  bekannt.  Anorw.  freyr 
war  wesentlich  dasselbe  wort  wie  ags.  freu.  Der  norwegische 
dichter  gab  daher  freauines  durch  Freys  vinar  wider.«) 

Sig.  36.   Die  Zeilen 

J>a  er  mer  jööungrri 
eiga  aeldi 
ok  liier  joönugri 
'ara'  talfti 

hat  Finnur  .Tönsson  mit  recht  als  die  zweite  hälft«  einer 
.Strophe  bezeichnet,  deren  erete  hälft«  verloren  ist. 

Mit  unrecht  hat  man  dagegen  ara  in  aura  geändert,  denn 
dies  gibt  eine  unnatürliche  Wortstellung. 

Die  verlorene  Strophenhälfte  lässt  sich  nicht  mit  sicher- 

»)  Nach  Münch  (Noinke  folks  hist.1,  1,  59)  und  Noreen  (Uppsalastudier 
223)  entspricht  Ingututr-Freyr  Lok.  43  dem  ags.  fria  Ingwina.  Anders  Axel 
Kock. 


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HEIMAT  DER  ALTN.  WELSUNßEN-  U.  NIB.-LLEDER.  123 


heit  herstellen.  Durch  die  folgende  restitution  will  ich  den 
sinn  anschaulich  machen.    Nach  der  Strophe  (39) 

J)eim  hrturak  pk 

pjöökonungar 

folgte,  wie  ich  vermute: 

[Vartat  sä,  Gunnarr! 

er  Grana  reiö, 

J>6  hefr  broöur  nüiis 

banga  pejrna] 

pa  er  mer  joOungri 

eiga  seldi 

ok  mer  joöungri 

ära  talöi. 

dra  verstehe  icli  als  eine  nachahmnng  des  ags.  geara  'vor 
Zeiten'.  Mit  meiner  restitution  vgl.  Vols.  s.  cap.  29,  wo  Bryn- 
hild  zu  Gunnar  sagt  :  hat  geröir  pü  af  bring  Peim  er  eh  selda 
Per,  er  BuÖli  honungr  gaf  nur  at  efsta  skilnaÖi  (s.  150)  und 
zu  Sigurd:  eigi  reiö  Gunnarr  eldinn  til  vär  (s.  152). 

Sig.  41:  'At  peygi'  skal 

JmnngeÖ  kona 
annarrar  ver 
aldri  leiöa. 

In  diesem  unabhängigen  satze  ist  At  peygi  sinnlos.«)  Ich 
habe  früher  At  gestrichen  oder  statt  At  ein  Oc  vermutet;  F. 
Jonsson  schreibt  At  prige.  Das  ursprüngliche  war,  wie  ich 
jetzt  vermute.  Ac  peygi:  ac  ags.  ac  'aber,  allein'.  Im  ags. 
lindet  sich  die  Verbindung  ac  hwasfare.  Es  war  natürlich,  dass 
ein  isländischer  abschreiber,  der  Ac  nicht  verstand,  dies  später 
in  At  änderte,  denn  c  und  /  sind  in  isL  handschriften  oft 
einander  so  ähnlich,  dass  man  sie  leicht  verwechseln  kann. 

Sig.  47:  aftr  sik  iniölafli 

nwkis  eggjnm 

'sich  durchbohrte'.  An.  midla  hat  sonst  eine  weit  verschiedene 
anwendung:  'mitteilen,  vermitteln'.  Ags.  gemdlian  bedeutet 
'in  der  mitte  teilen,  dimidiare'.  Daher  ist  die  anwendung  von 
midla  sik  Sig.  47  wol  (wie  dies  auch  dr.  Falk  vermutet  hat) 
aus  angelsächsischem  einfluss  zu  erklären.  * 


')  Was  Hildebrand  zu  dieser  stelle  bemerkt,  ist  mir  unverständlich. 


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124 


BUOOE 


Sig.  52  sagt  ßi ynhild  zu  den  mägden,  welche  mit  ihr  nicht 
sterben  wollen: 

pö  mun  a  beinnin 
brenna  yörum 
fa?ri  eyrir, 

p&  er  er  frain  komio 
•nejt  menio  god' 
min  at  vitja. 

Die  fünfte  zeile  ist  bisher  nicht  genügend  erklärt  worden. 
Hildebrand  (ergänzungsband  zur  Zs.  fdph.  132  f.  und  in  seiner 
ausg.)  liest  nevit  (was  nirgends  vorkommt)  statt  nett,  versteht 
(jöd  als  subst.  n.  pl.  und  übersetzt  'noch  die  schätze  der  Menja' 
(d.h.  gold).  Aehnlich  meint  Müllenhoff  (I).  alt.  5,  283),  dass 
nett  sich  zu  eyvit  wie  ags.  ndictiU  zu  uwiht  verhalte,  was  laut- 
lich bedenklich  ist. 

Ich  lese  nach  der  handschrift  neitt  Menju  yöö  und  fasse 
dies  als  mit  fwri  eyrir  coordiniert  god  ist  hier  subst.  sg.  neutr., 
und  diese  anwendung  ist  aus  dem  einfluss  des  ags.  yöd  u.  'gutes, 
gut  (subst.),  das  gute,  das  man  einem  erzeigt'  zu  erklären.  Das 
vorkommen  des  neitt  'kein  in  einem  unabhängigen  satze,  wo 
keine  negation  vorausgeht,  deutet  auf  den  einfluss  des  ags.  nän 
hin.  Ich  deute  neitt  Menju  (jöÖ  so:  'keine  gute  gäbe  der  Menja', 
'kein  segen  der  Menja',  d.  h.  kein  gold. 

Jedoch  hat,  wie  ich  vermute,  neitt  Menju  yod  einen  älteren 
einfacheren  ausdruck  ersetzt,  worin  statt  Menju  eine  form  des 
subst.  n.  men  (ags.  wene).  gen.  pl.  menju,  genannt  war.  Etwa 
ags.  nun  inene  göd. 

Sig.  57  ist  wol  so  zu  lesen: 

Marg»  ak  minna*k, 
live  vifl  mik  fom 
tfkeyti  sko»oa 
skatna  men^i. 

Diese  zwei  letzten  Zeilen  finden  sich  in  der  handschrift  sinnlos 
nach  56,2.  Durch  meine  Umstellung  erhält  man  zwei  regel- 
mässige Strophen.') 

Brynhild  war  als  walküre  skeyti  shed  skatna  mengt  1 durch 
geschosse  vielen  beiden  schadenbringend': 

')  KIk'uso  siu«l  wol  nach  eaia  mengt  66, 4  mit  Umstellung  die  folgenden 
Zeilen  zn  lesen:  peirar  sultu 

meö  Siguröi. 


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HEIMAT  DER  ALTN.  YVEL8UN0EN-  U.  NIB.-LIEDER.  125 


siu  seöz  mit  snellen  degenen  nmbe  minne  den  schaft 

Nib.  325  L. 

Sigfrid  sagt  Nib.  352  L.: 

ja  hat  diu  küneginne  so  vreisliche  sit. 

»wer  umb  ir  minne  wirbet,  daz  ez  im  höhe  stät. 

An.  skati  ist  ein  anderes  wort  als  ags.  seeada,  allein  die 
anwendung  des  sceaöa  in  ags.  gedienten  wirkt,  wie  es  scheint, 
auf  die  des  an.  skati  ein.  Man  schrieb  Helgi  Haddingia  scafri 
und  H.  H.-scati.  Mit  skatna  mengt  (auch  Akv.81  in  einer  späten 
zeile  und  Fornald.  ss.  2. 319)  vgl.  ags.  sceuÖena  Jireatum  Beow.  4. 

In  Sig.  60:         \>\\\  honnm  Gnftrfa 

'grymir'  ä  beÖ 
snqrpum  eggjuni 
af  särum  hug 

findet  sich  ein  sonst  nicht  bekanntes  verbum  grymir.  Ist  dies 
vielleicht  eine  umdeutung  des  ags.  gehrhteS  'berührt,  greift  an', 
das  hier  dem  sinne  nach  trefflich  passen  würde?  Vgl.  nie  sdr 
Sehrdn  GÜöL  1000;  ic  Jmrh  liest  hrino  hildepüum  (instrum.)  lad- 
gewinnum  Rätsel  16,28. 

Bei  der  widergabe  und  umdeutung  fremder  namen  wird 
inlautendes  n  im  anorw.  oft  in  m  geändert.1)  Die  form  grymir 
ist  wol,  wenn  die  combination  richtig  ist,  ohne  beachtung  des 
anorw.  hrina,  von  ags.  gerytnan,  anorw.  ryma  beeinflusst;  vgl. 
ryma  (aufbrechen)  fjalir  i  golfi,  jyrdin  rymdi  sik  ok  opnadi. 

Ob  gehrined  in  einem  entsprechenden  ags.  vei*se  mit  km 
alliteration  gebildet  hat,  lasse  ich  unentschieden. 

Sig.  64:  Hana  raunu  bfta 

Bikka  raö, 
J?viat  jQrmiuirekkr 
6)>arft  lifir. 

Vigfusson  hat  gesehen,  dass  lifir  hier  unpassend  ist;  allein  seine 
änderung  ist  willkürlich. 

Ich  möchte  ein  ags.  vorbild  voraussetzen.  Dies  hatte,  wie 
ich  vermute,  den  ausdruck  lifcÖ  =  gelifeö  (gclyfeJ,  gelte  fcd)\ 
d.h.  vertraut  (glaubt)  dem  Bikki.    Dies  wort  wurde  wegen 

')  Kolyrimr  fllr  Volyrinm  bei  (ialfridu«:  Hatngestr  ans  Hengext: 
Sighjalmr  ans  Sichelinus.  Xamsboryar  Strengt.  ».  24  au»  franz.  de»  Kaum 
(Xante*);  Zemon  =  Xenon  Heil.  s*.  5.  Vgl.  lychami*  Coekayne.  Leechdoms 
1.50  =  Xvxnc:  schwel.  Hi/melandh  =  Hünaland  f>iör.  5.  Siehe  Arkiv 
5,  35  anm. 


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126 


B0GOB 


des  lautlichen  anklanges  an  Ii  fad  (lyfaö,  Hof  ad)  zu  dem  hier 

dem  sinne  nach  unpassenden  anorw.  Ufr  'lebt'. 

Aehnliche  entstellungen  kommen  bei  der  traditionellen 

Wanderung  volkstümlicher  dichtungen  häufig  vor.   So  z.  b.  Isl. 

fornkvaeöi  no.  38  A  14  hcegt  htm  hlö  (nicht  hdtt  h.  h)  nach 

dem  dänischen  höyht  (hbjt)  hun  lo.    Isl.  fornkv.  no.  44  A: 

drla  myrgins,  Merkrinn  saung,  allein  in  dänischen  Hedem: 

aarle  om  morgen,  lerken  sang.    Aehnlich  in  Sprichwörtern, 

z.  b.  morgenstund  hat  gold  im  mund,  dagegen  nisl.  morgunstund 

her  gull  i  mund  (d.  h.  in  der  hand).   In  allen  diesen  fällen  hat 

man  bei  der  Übertragung  in  eine  fremde  spräche  den  ungefähren 

laut  des  einzelnen  wortes  festgehalten,  aber  den  sinn  desselben 

vollständig  geändert. 

Sig.  65:         lattu  sva  breiöa 
borg  ä  velli  . . . 

66:  Tjaldi  }>ar  um  \>k  borg 

tjolduui  ok  »kjohlum. 

Vote.  s.  gibt  dies  borg  durch  bdl  wider.  Ebenso  wird  das  wort 

von  Ülfr  Uggason  angewendet:  borg  sonar  ÖÖins  (Snorra  Edda 

1,264).   Dasselbe  wird  von  Ülfr  in  einer  anderen  Strophe  so 

ausgedrückt:  kgstr  sd  er  goÖ  hloÖu  at  mgg  fallinn  hrafnf reist- 

aöar  (Sn.  Edda  1, 240). 

Dr.  Falk  vermutet,  dass  borg  in  dieser  an  Wendung  eine 

umdeutung  des  ags.  beorg  'grabhügel'  sei;  vgl.  z.b.  Beow.3096  f.: 

bted  |>8Et  je  jeworhtou  . . . 
in  b&lstede  beorh  J>one  hean. 

Dies  lässt  sich  mehrfach  stützen.    Statt  (rnder  ane)  berli$e 

Lasamon  2, 89  hat  der  jüngere  text  borewe,  statt  (vnder)  beor- 

gen  2, 451  borewe.    In  nordischen  namen  wechselt  -bjprg  (dän. 

bicergh)  mit  -borg  (dän.  burgh);  s.  'Helge-Digtene'  s.  127. 

Sig.  68.   Brynhild  bestimmt: 

Liggi  okkar  enn  i  milli 
mälmr  hringvariör. 
egghvaat  earn 
'sva  endr  lagiö'. 
|>a  er  vit  baeöi 
beö  cinn  stigum. 

Finnur  J6nsson  hat  gesehen,  dass  z.  1—2  aus 

Liggi  okkar 
enn  i  milli 


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HEIMAT  DER  ALTN.  WELSUNGKN-  Ü.  NIB.-LIEDEK. 


127 


erweitert  sind;  dasselbe  hatte  ich  unabhängig  von  ihm  ge- 
funden. 

svd  endr  lagiÖ  u.  s.  w.  ist:  '  das  ebenso  damals  gelegt  war, 
als  wir  — Finnur  Jönsson  setzt  sem  statt  sra  ein.  'So  wie' 
ist  hier  einfacher,  allein  dabei  erwartet  man  ein  verbum  finitum. 
Ich  vermute,  dass  ein  ags.  Vorbild  in  einer  entsprechenden 
verszeile  stvd  hatte,  was  im  ags.  'sowie'  bedeuten  kann.  Die 
ags.  verszeile  mochte  etwa  so  gelautet  haben:  swd  hit  ceror 
lwg\  vgl.  stvd  hit  (kror  wces  Beow.  3069.  Das  svd  wurde  in 
dem  anorw.  gedieh te  beibehalten,  obgleich  svd  im  anorw.  'so', 
nicht  'so  wie'  bedeutete. 

Sig.  69,  wo  Brynhild  von  der  ankunft  Sigurds  in  die  heimat 
der  toten  spricht,  heisst  es: 

Hryiya  honum  J>a 
ä  hiel  J>eygi 
'hlvN  blic  hallar  " 
lniniri  litkuÖ. 

Die  herausgeber  schreiben  hlunnblik  hallar.  Die  Volsunga  saga 
gibt  die  stelle  so  wider:  ok  eigi  fellr  honum  J>d  hurd  d  hmla. 
hlunnblik  kann  nicht  die  tür  bezeichnen,  denn  hlunnr  ist  ein 
stock,  der  als  unterläge  dient,  wenn  man  etwas  (besonders  ein 
schiff)  zieht,  und  blik  ist  'glänz,  das  blinken',  hlunnblik  ist 
überhaupt  sinnlos.   Nach  meiner  Vermutung  ist  das  ursprüng- 

licne:  hlyn  blikhallar 

'die  tür  (eig.  'das  türgitter')  der  glänzenden  halle'. 

Der  cod.  reg.  der  Saem.  Edda  hat  öfter  v  für  y;  siehe  meine 
ausgäbe  s.  x  f.,  die  phototyp.  ausg.  s.  xxxi.  Auch  ältere  hand- 
schriften  haben  v  für  y,  z.  b.  Reykjaholts  mdldagi  II  fvlgia 
u.s.w.  (ausg.  s.  23  a).  Cod.  reg.  hat  öfter  y  für  »;  siehe  meine 
ausgäbe  s.  xii,  die  phototyp.  ausg.  s.  xxv.  Ich  vermute,  dass  der 
Schreiber  des  cod.  reg.  nach  seinem  originale  hlvy  für  hlyn, 
ohne  es  verstanden  zu  haben,  geschrieben  habe,  hlyn  scheint 
mir  aus  ags.  *hlynu  =  *hleonu,  Vdinu  entlehnt. 

Im  ags.  gediente  Walfisch  im  Exeterbnche  v.  78  bezeichnet 
helle  hlinduru  die  tür  der  hölle,  durch  die  niemand  der  hinein- 
gekommen ist,  wider  entschlüpfen  kann.  Andreas  995  wird 
hlinduru  von  der  tür  des  gefängnisses  angewendet,  Ebenso 
bezeichnet  hlinrceced  in  Andreas  und  Juliana  ein  gefängnis, 
Minscua  in  denselben  gedienten  'tenebrae  carceris'.   Dem  sinne 


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128 


BUGGE 


ua<m  passt  es  hierzu  trefflich,  dass  hlyn  in  der  SigurAarkviöa 
die  tür  der  halle  der  totenweit  bezeichnet,  welche,  wenn  je- 
mand eingetreten  ist,  zuschlägt. 

Das  geschlecht  des  Hin- ')  kann  ich  aus  dem  angelsächsi- 
schen nicht  belegen.  Nach  ahd.  hlina  (klimm  cancelli),  mhd. 
linc  vermute  ich  ags.  *hlinu  fem.  Der  norwegische  dichter 
hat  hlyn  als  neutr.  pL  angewendet,  wol  weil  die  sinnverwanten 
an.  Wörter  hliÖ  und  lok  neutra  waren.2)  Wegen  des  y  von 
hlyn  vgl.  ags.  hlyniende  hleonifende,  hlynigen  praes.  conj. 
3.  ps.  pl. 

blikholl  'die  glänzende  halle'  bezeichnet  die  halle  der  toten. 
Mit  diesem  ausdrucke  vergleiche  man  einerseits  blikjanda  byl, 
den  namen  des  bettvorhanges  (Sn.  Edda  1,  lOti)  oder  der  tür 
(Sn.  Edda  2,  494)  der  Hei,  andrerseits  Breidablik,  die  wohnung 
Baldrs. 

Der  tür  (hlyn)  ist  das  epitheton  hrinyi  litkud  4 mit  einem 
schönen  ringe  geschmückt'  gegeben.  Der  ring  wird  hier  her- 
vorgehoben, weil  davon  die  rede  ist,  dass  die  tür  klirrend  zu- 
schlägt. Türringe  werden  in  der  nominell  literatur  nicht 
selten  erwähnt,  siehe  Fritzner2  unter  hringr,  hnröarhringr. 
Mehrere  solche  sind  aus  alter  zeit  im  norden  noch  jetzt  be- 
wahrt, und  türringe  sind  ja  noch  jetzt  gebräuchlich.  Auch 
der  ausdruck  hrinyi  litkud  ist  aus  ags.  einfluss  zu  erklären. 
Denn  litka  bedeutet  im  anorw.  sonst  nur  'färben'  (neunorw. 
dial.  likka,  siehe  Aasen  und  Ross),  z.  b.  moldu  litkadr  (befleckt), 
litkadr  —  raudleitr.  Dagegen  wird  geivlite$ad  in  ags.  dichtung 
in  der  bedeutung  'geschmückt'  mit  einem  instrumentalen  dative 
verbunden:  ivuldrc  jewlitesad/) 

')  Grein  und  Bosworth-Toller  schreiben  Min. 

*)  Aisl.  stafröf  neutr.  ist  aus  ags.  sttrf'rnw  fem.  entlehnt. 

9)  Finnur  Jönsson  ändert  hrinyi  in  hringa  und  erklärt  hringa  litkop 
'der  Schwerter  röter'  als  appos.  zu  hünom  (z.  1).  Dies  scheint  mir  aus 
folgenden  gründen  nicht  richtig:  1)  hringr  bedeutet  nur  in  den  kunst- 
gedichten  der  skalden,  nicht  in  den  Eddaliedern  'schwert'.  2)  litkudr  wird 
so  sonst  nicht  angewendet,  litudr  nur  in  den  kuustgedichten  der  skalden. 
3)  Die  pluralform  hrinya  ist  unpassend,  da  Sigurd  nach  der  sage  nur  mit 
dem  einen  Schwerte  (?ram  kämpft.  4)  Die  apposition  neben  honum  ist 
wenig  passend.  5)  hrinyi,  die  handschriftliche  form,  gibt  einen  richtigen 
ausdruck.  Auch  die  erklärung  (»erings:  hringa  litkud  'röter  der  panzerringe, ' 
ist  nach  dein  vorhergehenden  gewis  abzuweisen. 


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HEIMAT  DER  ALTN.  WEISUNGEN-  U.  NIB.-LIEDEK.  120 


Von  den  im  vorhergehenden  gegebenen  deutungen  mögen 
manche  zweifelhaft  sein.  Allein  jedenfalls  glaube  ich  eine 
sehr  umfassende  einwirkung  der  angelsächsischen  dichter- 
sprache  auf  die  Siguroarkviöa  nachgewiesen  zu  haben.  Diese 
beweist,  dass  der  norwegische  Verfasser  lange  in  einer  Land- 
schaft gelebt  hat.  wo  englische  gediente  neben  nordischen 
bekannt  waren.  Es  wird  sogar  wahrscheinlich,  dass  die  Si- 
gurrtarkvifta  zum  teil  die  umdichtung  eines  angelsächsischen 
gedicktes  von  dem  berühmten  Vplsungr  oder  (wie  dieser  name 
in  ags.  form  gelautet  hat)  Wcehin&t)  ist.  Dies  wird  durch  die 
ausführlichkeit  welche  wir  in  der  Schilderung  des  gemüts- 
zustandes  der  personell  und  in  den  repliken  Brynhilds  finden, 
gestützt.  Brynhild  hält  wie  Beowulf  lange  reden,  nachdem 
sie  tötlich  verwundet  ist.  Wie  Beowulf  spricht  Brynhild  vor 
ihrem  tode  eine  bitte  aus,  welche  sich  auf  das  verbrennen 
der  leiche  bezieht.  Brynhild  wie  Beowulf  bittet,  dass  man 
den  Scheiterhaufen  mit  Schilden  schmücke.  In  beiden  gedienten 
wird  angegeben,  welchen  platz  die  hauptperson  (hier  Brynhild, 
dort  Beowulf)  auf  dem  Scheiterhaufen  erhält.  Bei  dem  tode 
Brynhilds  wie  bei  dem  Beowulfs  wird  sowol  ein  rückblick 
als  eine  aussieht  in  die  zukunft  gegeben.  In  beiden  gedichten 
sucht  die  sterbende  person  sich  zu  rechtfertigen. 

Die  von  mir  in  der  Sigurdarkvida  angenommene  Sprach- 
mischung ist  darum  weniger  auffallend,  weil  wir  wissen,  dass 
die  nordischen  und  die  englischen  demente  sich  auch  in  der 
englischen  spräche  sehr  intensiv  gemischt  haben;  man  denke 
z.  b.  an  die  inschrift  aus  Aldborough,  Holderness.  Yorkshire: 
Ulf  het  ararran  cyrice  for  Hanum  and  for  Gunware  saula. 
Siehe  Kluge  in  Pauls  Urundr.  1,  785—92. 

In  der  Siguröarkviöa  finden  wir  zugleich  mehrere  andere 
Übereinstimmungen  mit  ags.  gedichten  in  betreff  des  poetischen 
ausdrucken  Von  diesen  betreffen  manche  poetische  formein,  die 
dem  uralten  gesammtgerniaiii sehen  vorrate  an  poetischen  for- 
mein angehört  haben  können,  bei  denen  es,  namentlich  weil 
die  gotischen  gedichte  uns  unbekannt  sind,  nicht  entschieden 

')  Wenn  »Sigurd  in  Sig.  1.3,  13  als  Yohungr  bezeichnet  wird,  erkläre 
ich  dies  aus  der  anwendung  des  ags.  Welsing  (vgl.  Beow.  877).  Was 
Finnor  .Tönssnn  (Litt.  hist.  1.  200  Mim.)  hiergegen  anführt,  ist  nicht  be- 
weisend. 

Beitrüge  *ur  geschieht«  der  deutschen  spräche.  XX 11.  U 


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130 


BUr.OE 


werden  kann,  bei  welchem  germanischen  stamme  sie  zuerst 
ausgebildet  worden  sind;  z.  b.  nn  er  pprf  mikil  Sig.  44  (vgl. 
Hav.  148),  ags.  //////  mwj?  //tw/'  mtceZ,  as.  töcs  is  iharf  mikil 
(Sievers,  Heliand  s.394);  af  grimmum  hug  Sig.  9  und  sonst,  as. 
grim  hugi  (Sievers  s.  398).  vgl.  ags.  hygegrim;  varat  hann  i 
augu  yär  um  Ii  kr  ne  d  engt  hlut  at  dlituni  Sig.  39.  vgl.  as. 
uuesan  an  is  dädion  gilic,  an  is  ansiunion  (Sievers  s.  415); 
undir  St  ella  Sig.  71  (von  der  sterbenden  ßrynhild).  vgl.  ags. 
sio  wund  ongon  swelan  and  swellan  Beow.  2713  (von  dem 
sterbenden  Beownlf);  hveim  holda  Sig.  12,  ags.  hwleÖa  gehwcrm 
Metra  7, 13;  firrask  ör  fiandgardi  Sig.  26.  vgl.  ags.  wie  feondum 
dfyrr  Psalm  68,  14;  bgll  i  brynju  Sig.  37,  vgl.  ags.  bealdc  byrn- 
wissende  Jud.  17;  maskis  eggjum  Sig..  ags.  meees  eegum,  as. 
mdkeas  eggiun;  Ufa  orvwna  Sig..  ags.  aldres  (fvores)  orwvna. 
Man  kann  bei  mehreren  in  Sig.  vorkommenden  ausdrücken 
auch  einen  einfluss  der  dichtung  westgermanischer  auf  dem 
festlande  wohnender  stamme  auf  die  spräche  der  nordischen 
skalden  für  möglich  halten.  Allein  da  ich  in  der  Siguroar- 
kvirta  einen  starken  einfluss  der  spräche  der  englischen  dich- 
tung nachgewiesen  habe,  liegt  es  auch  bei  den  im  folgenden 
genannten  ausdrücken  ebenso  nahe  oder  meistens  näher  hieran 
zu  denken. 

oöaltorfa  Sig.  62,  auch  bei  I>j6<Vdfr  Arnörsson,  Sn.  Edda 
1.454;  vgl.  ags.  poet.  vdcUurf  (Corp.  poet.  bor.  I,  lxi).  —  erft- 
rprdr  Sig.  63,  Guöt.  hv.  14,  Atlakv.  12,  bei  Starkaör  Fas.  3.  26. 
auch  in  Noregs  konunga  tal  (arfrordr  Sigvatr  Öl.  s.  h.  Heims- 
kr.  13  und  Haukr  in  Isl.  dr.  11),  nie  in  der  spräche  der  gesetze; 
vgl.  ags.  erfeweurd,  yrfeweard  (as.  erbiward).  —  seygr  hin 
sudrun't  Sig.  4  und  Atlakv.  2;  ags.  süöerne  sevg  Kätsel639 
(Corp.  poet.  bor.  1,557).  —  heitu  at  runtun  Sig.  14,  Gttdr.hv.  12, 
entstellt  hvetja  at  runum  Sig.  44.  vgl.  ags.  hvt  fid  gefrtigan  . .  . 
tu  ruue  Jul.  60—62.  Kiene  1161  f.  —  grimmar  urÖir  Sig.  5 
(sonst  nur  Vrdr  sing.),  vgl.  ags.  terdöe  uyrde. 

mjntudr  Sig.  71  (in  verschiedenen  Verbindungen  auch  in 
anderen  gedienten),  vgl.  ags.  mvotud  (as.  metod)  (Corp.  poet. 
bor.  1.558).  -  meidmar  f.  pl.  Sig.  2.  15.  38.  46.  auch  in  I)rym., 
KigsJ».,  Akv.,  Am.  (nie  in  der  prosa)  'kleinode';  vgl.  ags.  muömas 
in.  pl.  •kleinode',  wie  as.  mvdnws  (got.  maipms  'geschenk'). 
Vgl.  besonders  meidma  fj(>ld  Sig.  2.  Am.  95  (fj{)l(J  . . .  nwithna 


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HEIMAT  DER  ALTN.  WEL8UNGEN-  U.  NIB.-MEDER.  181 

I)rym.  23)  mit  ags.  mddma  fela  Beow.  36  (im  Heliantl  mtömo 
ßhi);  an.  meiÖmar  piyyja  Sig.  38,  ags.  mdÖmas  picgean. 

Ob  der  gen.  pl.  haukstaldu  Sig.  31,  Og.  6,  auch  bei  I)j6ö- 
61fr  Arnorsson,  Sn.  Edda  1, 462  (in  dem  verse  Sn.  E.  2, 469  un- 
richtig s.  v.  a.  konunya)  eine  umdeutung  des  ags.  hagusteald, 
hfpxesteald,  h(exsteald  ist,  kann  zweifelhaft  sein,  da  ein  urnord. 
name  HayustaldaK  vorkommt  und  da  in  neunorweg.  mund- 
arten  hoystall,  hauystaU  'witwer'  bedeutet.  Allein  vinr  hauk- 
staldo  Og.  6  scheint  durch  ags.  hasgstealdra  tcyn  Genesis  1862 
(von  Pharao)  beeinflusst  zu  sein,  obgleich  an.  vinr  'freund' 
ein  anderes  wort  als  ags.  tcyn  Yvonne'  ist.  Ob  die  in  Sig. 
und  in  mehreren  anderen  gedienten  vorkommende  anwendung 
von  svdta  für  'sterben'  ererbt  (vgl.  got.  swiltan)  oder  aus 
ags.  einfluss  zu  erklären  ist,  lasse  ich  unentschieden. 

eöhtm  göÖir  Sig.  70,  vgl.  ags.  a'öelum  göd  Beow.  1870.  — 
seldusk  eiöa  Sig.  1 ;  ungum  yram  eiöa  seldah  Helr.  6;  mar  hefir 
Sigurd r  selda  eiöa,  ei  Ja  sclda  Brot  2.  Dieser  ausdruck  findet 
sich  weder  in  den  gesetzen  noch  in  den  sagas.  Vgl.  dagegen 
ags.  scaldon  . . .  hdli$c  döas  Metra  1,24  f.;  auch  in  der  spräche 
der  ags.  gesetze:  heora  celc  sylle  fione  dd,  pwt  u.s.w.  —  mwki 
mdlfdn  Sig.  4,  auch  Skirn.  23,  25;  vgl.  ags.  sweord  fyrmcelum 
fdg  Andr.1136. 

Die  angeführten  ausdrücke  beweisen  jedenfalls,  dass  eine 
Übertragung  aus  der  ags.  spräche  an  vielen  stellen  des  gedichts 
sehr  leicht  war. 

Schliesslich  mache  ich  darauf  aufmerksam,  dass  ein  zug 
in  der  Sig.  kv.  mit  dem  schottischen  Volksglauben  überein- 
stimmt. Als  Brynhild  das  Jammergeschrei  Gudruns  bei  der 
leiche  Sigurds  hört,  lacht  sie  laut  auf.  Gunnar  sagt  dann 
(Sig.  31):  'dein  gelächter  bedeutet  nichts  gutes.  Warum  wech- 
selst du  die  färbe?  Nicht  fern  ist  dein  tod  :  du  bist  feiy\ ') 


•)  Müllenhoff  (D.  alt.  5,  380)  versteht  nicht  den  ansdruck  a  yölft,  denn 
er  meint,  derselbe  sei  hier  ohne  alle  berücksichtigung  der  Situation  ge- 
braucht. Brynhild,  die  zu  bette  liegt  (til  hvilo  Sig.  30),  wird  als  eine  Wöch- 
nerin bezeichnet.  Von  Wöchnerinnen  wird  ligyja  a  f/ölfi  gesagt,  s.  Fritzner. 
Brynhild  hat  die  ungeheuer,  mit  welchen  sie  schwanger  war,  geboren 
(fetkna  fa-Öir). 

Aehnlich  heisst  i-s  von  der  Medea  Ovid.  Heroid.  12.  20S:  ingmtt's  par- 
turit  ira  min«*. 

9* 


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132 


HUQGK 


Vergleiche  hiermit  den  schottischen  glauben  'that  men 
becoine  violently  hilarious,  fei/,  just  before  a  violent  deatlf 
(Revue  celt,  4, 180). 

Siguröarkviöa  kann  nacli  ihrem  von  mir  nachgewiesenen 
Verhältnisse  zu  der  angelsächsischen  spräche  und  dichtttng 
nicht,  wie  dies  Finnur  Jönsson  (Litt.  hist.  1, 08  ff.)  meint,  in 
Grönland  verfasst  sein. 

Er  begründet  seine  meinung  durch  den  hinweis  auf  Sig.  8: 

Opt  grengr  innan 
ilk  um  fyUd 

t-;t  ok  jqkla 
aptan  hvern, 

wo  er  tsa  ok  jokla  als  accusative  auffasst. 

Ich  will  die  richtigkeit  dieser  anffassung  vorläufig  voraus- 
setzen. Allein  daraus  folgt  gar  nicht,  dass  das  gedieht  in 
Grönland  verfasst  sei.  Der  dichter  könnte  ja  Brynhild  ihren 
einsamen  gang  über  eisbelegte  strecken  im  winter  wandern 
lassen.  Sowol  angelsächsische  als  alt  norwegische  dichter  ver- 
binden ja  die  Vorstellung  von  kummer  und  pein  mit  kälte. 
Vgl.  z.  b.  hafde  htm  to  zesidÖe  \  sor*e  and  longad.  \  winter- 
eealdc  ivrwce  Deor  3  ff.  Das  wort  jokla  würde  dann  am  ehesten 
von  eisbelegten  strecken  zu  verstehen  sein.  Vgl.  z.  b.  norvv. 
AM.jukleföre  bei  Aasen,  joklclaupen  bei  Koss;  ags.  fand  wo?ron 
freorif  eealduni  cyle^iceluiu  Andr.  1261  f. 

Dass  der  dichter  grönländische  Umgebungen  wenigstens 

nicht  consequent  durchführte,  ersieht  man  aus  Sig.  20: 

gnlln  vift 
gnew?  i  tüni. 

Da  innan  neben  gengr  steht.1)  erwartet  man  bei  gengr 
keinen  accusativ.  der  die  strecke,  worüber  Brynhild  geht,  be- 
zeichne. Die  metaphorische  anwendung  von  im  ok  jokla  (gen.  ) 
habe  ich  durch  kaldrifjadr,  kell  mik  t  hofud,  Jmhii  sorgir  ge- 
stützt. Ich  habe  dabei  Merl.  1.51:  kold  hrimi  hvers  konar  hjgrtu 
hjöa  hervorgehoben,  weil  der  ausdruck  hier  mehr  specialisiert 
(hvers  konar)  ist.  Auch  mehrere  gelehrte,  denen  das  islän- 
dische muttersprache  war.  haben  im  ok  jokla  als  genetiv  mit 
fylld  verbunden.  Björn  Olsen  erklärt  jykla  hier  als  mit  klaka 

')  Ich  verbinde  hman  mit  gvmjr,  nicht  mit  ftjlUL 


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HEIMAT  DER  ALTK.  WELSUNGEN-  U.  NIB.-LIEDER.  133 


synonym;  vgl.  hierüber  jykull1)  bei  Fritzner.  Finnur  Jonsson 
verwirft  fißhl  isa  ok  jgkhi.  weil  dies  unästhetisch,  mehr  als 
geschmacklos  wäre.    Was  sagt  er  denn  von  Ovid.  Met.  7. 33: 

tmn  ferruui  et  scopnlos  gestan»  in  conle  fatebor? 

Die  eifersüchtige  Brynhild  ist  fylld  isa  ok  jokla,  nachdem  Si- 
gurd der  gatte  eines  anderen  weibes  geworden  ist.  Es  verdient 
beachtnng.  dass  es  von  der  eifersüchtigen  Medea.  welche  schau- 
dert, als  sie  die  Verbindung  lasons  mit  einem  anderen  weibe 
ahnt,  Heroid.  12,  142  heisst:  in  toto  pectore  frigus  erat.  Ich 
werde  hierauf  vielleicht  zurückkommen. 

W  ie  die  in  Sig.  (und  in  Atlam.)  vorkommende  bezeichnung 
des  Sigurd  als  hunskr,  inn  hünshi  für  die  grönländische  heimat 
des  gedieht s  (wie  Finnur  Jonsson  meint)  sprechen  sollte,  ist 
mir  unverständlich.  Es  ist  meine  absieht,  diesen  ausdruck  bei 
der  behandlung  der  sage  zu  besprechen. 

[Nachträge.  Zu  s.  117.  Ags.  (eben:  Dies  adjectiv.  das 
*  manifestum '  bedeutet,  findet  sich  nicht  nur  au  den  angeführten 
stellen,  sondern  auch  sonst  in  den  ags.  gesetzen:  cebere  tnord 
('mit  2,(54.  cebwre  horetvenan  Edw.  u.  (*udhr.  11.  Noch  im  Or- 
mulum  7189  (  Holt  1.  249  ):  all  Jte^re  wbiere  unpannkess. 

Wie  ich  mit  Mätzner  u.  a.  vermute,  ist  ags.  cebere  mit 
ahd.  äpiri  apricus'.  mhd.  a'btr,  oberd.  aber  -von  schnee  frei, 
blossgelegr  zusammenzustellen.  Ahd.  äjriri  ist  eine  nebenform 
zu  *äpar,  oberd.  aber. 

Im  ahd.  *äpar.  *äbar  vermute  ich  das  privative  praetix  d- 
und  das  adj.  bar.  In  äpiri  aus  *dbari  (vgl.  fagiri  fagari) 
ist  das  wort  als  nicht  zusammengesetzt  behandelt.  Im  fränk. 
äfer  ist  das  /'  wie  r  in  amfränk.  leren,  belirc  u.s.w.  (Braune, 
Ahd.  gi-.J  zu  erklären. 

Dass  ahd.  *äbar  mit  bar  zusammengesetzt  ist.  wird  in 
betreff  der  bedeutung  durch  mhd.  ein  aber  man  'ein  armer 
von  geld  und  gut  entblösster  mann'  gestützt. 

Die  Zusammensetzung  ahd.  *d-bar  ist.  worauf  mich  dr.  Falk 
aufmerksam  macht,  mit  nnorw.  dial.  avherr  ganz  analog.  Dies 
bedeutet  u.v.a.  oberd.  aber  'blossgelegt'  (wo  der  schnee  aufgetaut 

h  Ihr  st.ll»*  ist  in  Thnarit  lö,  110  f.  (von  Björn  Ols.-n».  1»;.  35  -37  (von 
Finnnr  J6n>son),  lö,  S2f.  (von  ß.  0.)  diskutiert  worden. 


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134     BUGGE.  HEIMAT  DER  ALTO.  WEL8UNGEN-  U.  NIB.-MEDER. 

ist).    Das  nord.  af-  entspricht  dem  sinne  nach  dem  adeutsch.  A 
vgl  dän.  afinagt  aus  mnd.  anweht. 

Lye  hat  bereits  ags.  (ebere  mit  ags.  dbarian  'denudare. 
detegere.  prüdere'  zusammengestellt.  Das  praefix  ags.  &■  bei 
nominibus  entspricht  dem  bei  verben  angewendeten  d-.  Die 
in  der  jüngeren  handschrift  des  Lagamon  vorkommende  mengl. 
form  ebare  spricht  dafür,  dass  das  wort  mit  bar,  ags.  basr  zu- 
sammengesetzt ist.  Ags.  erben'  entspricht  dem  sinne  nach 
wesentlich  dem  anorw.  ba  r,  ostnord.  bar;  siehe  z.  b.  aschwed. 
in  den  gesetzen  bar  oh-  atakiu  'auf  frischer  tat  ertappt'. 

Zu  s.  125.  Ein  anorw.  verbum  gryma,  das  mit  w^s.^vrynmn 
identisch  und  mit  an.  ryma  synonym  ist,  findet  sich,  wie  es 
scheint,  in  einem  verse  des  Kinarr  Skälaglam  Snorra  Edda  1,240, 
wo  bergs  grymi-ld  dverga  eine  kenning  für  'dichtung'  ist.  Drei 
hss.  haben  grymi.  Die  versuchten  änderungen  sind  gewis  nicht 
richtig.  Ich  deute  den  ausdruck  so:  'die  welle  der  zweige, 
welche  den  berg  öffnet'  (d.h.  welche  veranlasst,  dass  man  den 
berg  durchbohrt,  so  dass  Oflinn  die  (iunnlort  im  berge  besucht  ). 
gryma  verhält  sich  zu  ryma  wie  anorw.  yreida  zu  dän.  rede.] 

OHKISTIANIA.  october  18%.  SOPHUS  BUWE 


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ZU  HEINRICH  VON  MÜGELN. 


HL 

Heinrich  von  Mügeln,  Heinrich  von  Neustadt 
und  Alan us  de  Insulis. 

Was  aus  Heinrichs  von  Mügeln  werken  über  seine  lebens- 
schicksale  und  seine  person  geschlossen  werden  kann,  das  ist. 
wie  im  21.  bd.  dieser  Beiträge  gezeigt  wurde,  nur  sehr  wenig. 
Sein  im  nie.  seine  heiinat.  die  böte  zu  denen  er  während  seines 
lebens  in  beziehung  trat,  das  ist  alles:  was  über  seine  person 
und  lebensstellung  behauptet  worden  war.  hat  sich  als  un- 
haltbar erwiesen  (a.  a.  o.  s.  240')).  Auch  keiner  seiner  Zeit- 
genossen hat  uns  von  ihm  berichtet.  Wol  lebt  sein  name  in 
Verbindung  mit  seinen  meisterliedern  fort,  aber  halb  sagenhaft 
wie  der  Frauenlobs.  Mit  diesem  zusammen  nennt  ihn  die 
tradition  der  meistersinger  unter  ihren  ersten  zwölf  meistern. 
Dass  ihm  dabei  der  titel  eines  doctors  der  theologie2)  zugelegt 
wurde,  darauf  darf  man  natürlich  kein  gewicht  legen.  Die 
einseitige  Würdigung  Heinrichs  als  eines  meist  ersingers  hat 
bis  auf  unsere  tage  reichlich  nachfolger  gefunden.  Zu  diesen3) 
gehört  offenbar  auch  Wölkau  (Geschichte  der  deutschen 
literatur  in  Böhmen  bis  zum  ausgang  des  lb\  jh/s).  der  an  den 

')  Ich  halie  «lein  in  «leu  Beiträgen  21  ausgeführten  nachzutragen,  «lass 
Lamhel  hereits  1877  in  »einer  einleitung  zu  Vohnars  Steinbuch  s.  xxxi 
zweifei  an  «1er  ri<htigkeit  von  Kchröers  anweht  über  H.s  Stellung  am  hofe 
Karls  IV.  und  über  die  ent8tehung  «1er  (ibttinger  bs.  geäussert  hat. 

-)  Puschmann.  Hall,  neudr.  73  s.  4:  Und  sind  neudieh  der  ersten  Meisler 
in  dieser  Kunst  an  dir  zul  zwölfte  ffcicesen,  deren  Xnnien  ich  zu  mehrem 
ttnterrirht  hieheu  n, zeichnen  1010  . . .  Doctur  Fruuetdoh,  Doctur  Mügelimj, 
hetde  Jhtctores  Theolotfiue. 

°)  Auch  S«  herer  (s.  252)  uinl  Vilmar  (s.  3S5J  kennen  H.  nur  als  nieister- 
smger. 


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186 


HELM 


wenigen  bei  Lambel  (s.  126  ff.)  abgedruckten  Strophen  genügen- 
des material  zu  besitzen  glaubt,  am  über  H/s  bedeutung  sein 
endgültiges  urteil  abzugeben,  das  dahin  geht,  man.  werde  nach 
diesen  proben  wohl  kein  bedürfnis  nach  weiteren  Veröffent- 
lichungen haben. 

H.'s  bedeutung  beruht  aber  zum  geringsten  teil  auf  seinen 
allerdings  sehr  zahlreichen  meisterliedern  und  fabeln,  sondern 
darauf,  dass  er  einer  der  hauptrepräsentanten  der  im  14.  jh. 
so  beliebten  didaktisch -mystischen  dicht  ung  ist.  Am  besten 
'wird  man  ihn  alseinen  polyhistor  bezeichnen,  denn  geschichte. 
astronomie,  chemie.  geistliche  Symbolik  und  allegorie  sind  ihm 
in  gleichem  masse  vertraut.  Doppelt  bedauerlich  ist  deshalb 
die  Unkenntnis,  in  der  wir  uns  in  beziehung  auf  sein  leben 
befinden.  Ob  er  selbst  dem  gelehrtenstande  angehörte,  ob  er. 
wie  Martin  (Mitteilungen  des  Vereins  für  gesch.  der  Deutschen 
in  BOhmen  bd.  16)  vermutet,  mit  seinen  dichtungen  in  irgend- 
welcher beziehung  zu  der  Prager  hochschule  stand  und  ob 
hinter  Puschmanns  notiz.  dass  er  doctor  der  theologie  gewesen 
sei,  doch  etwas  wahres  versteckt  ist?  Der  gedanke  hat  viel 
bestechendes:  leider  besteht  jedoch,  wenn  uns  nicht  irgend  ein 
neuer  inhaltsreicher  fund  zu  hilfe  kommt,  keine  aussieht,  in 
dieser  frage  weiteres  zu  erfahren.  Mit  dem  material  das  uns 
bis  jetzt  zu  geböte  steht,  sind  wir  am  ende  unserer  Weisheit. 

Als  Heinrichs  hauptwerk  kennzeichnet  sich  schon  rein 
äusserlich  durch  seinen  umfang  Der  meide  Cranz,  nicht  minder 
aber  durch  seinen  inhalt.  der  am  charakteristischsten  für  die 
besprochene  mystisch -theosophische  richtung  ist.  Schon  <Ter- 
vimis')  machte,  allerdings  ohne  genügende  beachtung  zu  finden, 
die  bemerkung,  dass  dieses  werk  an  Heinrichs  v.  Neustadt 
gedieht  Von  gotes  zuokunft  (mit  dem  Apollonius  desselben 
Verfassers  im  auszug  hg.  von  Strobl,  Wien  1875)  erinnere.  Im 
folgenden  soll  gezeigt  werden,  dass  H.  v.  M.  dieses  gedieht  bei 
abfassung  von  Der  meide  cranz  benutzt  hat.  Dabei  werden 
wir  vor  die  frage  gestellt  werden,  ob  H.v.  M.  auch  über  H. 
v.  Neustadt  direct  auf  dessen  quelle  zurückgegriffen  hat,  näm- 
lich auf  den  Anticlaudianus  des  Alanus  de  Insulis  (vgl.  Migue, 

'»  Handbuch  <1.  £fes<  h.  der  poet.  natinnal-literatur  d.  Deutlichen,  2.  anfl. 
s  1<>7. 


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ZU  HKINRK'H  VON  MÜGELN. 


137 


Patrologia  latina  210).  Dass  Heinrich  dazu  eine  ausreichende 
lateinkeimt nis  besass,  beweisen  seine  umfangreichen  über- 
setzungswerke.  andererseits  war  Alanus  im  14.  jh.  ausser- 
ordentlich bekannt:  auch  Frauenlob  nennt  ihn  gelegentlich 
(Strobl  s.  7).1) 

Bei  A  und  N  wird  die  prudentia  (Weisheit)  von  der  natur 
zu  gott  geschickt,  bei  M  die  tilgenden  von  der  natur  herbei- 
gerufen, um  bei  der  krönung  der  theologie  anwesend  zu  sein. 
In  beiden  fällen  wird  ein  wagen  gezimmert,  dessen  bau  aus- 
führlich beschrieben  wird.  Bei  X  (A)  bauen  ihn  die  sieben 
freien  künste,  die  als  dienerinnen  der  Weisheit  (bei  A  der  natur) 
erscheinen:  die  grammatik  baut  die  deichsei.  die  logik  die 
achse,  die  rhetorik  schmückt  beide  aus.  die  anderen  künste 
machen  die  räder.  Bei  M  bauen  die  tilgenden  den  wagen 
selbst  (v.  1100):  gerechtigkeit,  Friedfertigkeit,  baraiherzigkeit, 
freigebigkeit  die  räder,  die  Wahrheit  die  deichsei,  die  kraft  die 
achse.  Eine  beschreibung  fügt  M  nur  dem  letzten  der  räder 
hinzu  (v.llOG):  daz  vi  nie  rad  von  golde  gar.  Dazu  vergleiche 
man  X  887  duz  rirde  rad  mit  golde  fin,  zurückgehend  auf  A 
357,  13  nascitur  ex  auro  rota  quarta.  Es  ist  nur  eine  un- 
bedeutende einzelheit.  die  aber  im  Zusammenhang  doch  be- 
merkenswert erscheint.  Jedenfalls  ist  die  idee  des  wagen- 
baues  auch  trotz  der  Verschiedenheit  der  handelnden  personell 
bei  beiden  dichtem  durchaus  dieselbe.  (Gelenkt  wird  der  wagen 
bei  X(A)  von  der  ratio,  bei  M  von  der  Vernunft  (v.  1123), 
gezogen  wird  er  bei  X  (A)  wie  bei  M  von  fünf  pferden,  die 
als  die  fünf  sinne  interpretiert  werden,  wobei  auch  in  einzel- 
heiten  interessante  Übereinstimmungen  zu  constatieren  sind. 

Daz  erste  ros  hiez  das  sehn,  sagt  M  1111.  rot  was  sin  färbe 
Itore  ich  jehn.    I  >ies  ist  zu  vergleichen  mit  A  358.  (> 

Utatn 

respersus  eandore  color  subrufus  inaurat. 

ll  Abkürzungen  werden  gebraucht :  A  —  Anticlandianus  des  Alanus. 
N  =  H.  v.  Neustadt.  M  —  H.  v.  Mügeln;  und  zwar  wenn  kein  znsatz  dabei 
ist,  .stets  Von  gotes  zuokunft  bez.  Der  meide  <  ranz.  In'e  citate  für  N  sind 
nach  Strobl,  oder  bei  stellen  die  dieser  nicht  abdruckt,  nach  Cod.  pal.  genu. 
401.  M  ist  citiert  auf  urrund  der  hss.  Orthographische  eigenheiten  sind 
ln>i  X  und  M  beseitigt.  Inhaltsangabe  von  M  Vgl.  Schröer.  WSB.  n.r».  401  ff. ; 
über  da*  handschrifteiiverhültnis  s.  unten. 


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138 


HELM 


Dadurch  ist  schon  erwiesen,  dass  H.  v.  M.  auch  A  selbst  gekannt 
hat;  denn  S  schreibt  anders  (v.  905): 

daz  ernte  ros  was  daz  sehen, 
an  dem  rosse  mag  man  spehen 
swarz  flecken  vnd  wiz. 

Auch  in  der  Schilderung  der  Schnelligkeit  des  pferdes  steht  11 

A  näher  als  N.    Die  entsprechenden  stellen  sind: 

A35S,  S  non  iiieait  inio  volat  nee  enim  discrimine  passns 
inscrihit  terram,  nee  gramen  curvat  cumlo. 
sed  celeri  enrsn  terram  delibat  enntis 
passiis  et  in  terra  vestigia  nnlla  relinqnit 

M  1118  keyn  mensche  siner  fiiezze  phat 
noch  sinen  trit  erkiesen  kau. 
das  gras  ez  treit  nf  keiner  hau. 

N  beschränkt  sich  hier  auf  den  einen  zug  (v.  916)  nid  dovii  nit 

heim  nidertrat. 

A  35*.  Iii  antieipat  inonitnm  calcaris.  sponte  meatniu 
aggreditnr. 

M  1121  oueh  gar  snellen  loufes  ez  phlag: 
man  dorft  im  «rohen  keinen  slag. 

Das  zweite  pferd  ist  wenig  geringer  als  das  erste:  cursn  re- 
missior  Uli  (A  458. 28);  bei  X  (919)  vz  was  freidig  nid  geil, 
doch  was  ez  drv.yvr  ein  teil  (hs.  V.  fnudiij).  und  bei  M,  der 
diesmal  im  ausdruck  sieh  eng  an  X  anschliesst  (v.1181): 

vil  na  ez  sam  daz  erste  was. 
«loch  ez  sin  Sprunge  t reger  maz. 

Das  dritte,  vierte  und  fünfte  pferd  erledigt  X  dann  ganz  kurz 
mit  den  Worten  dir  diu  siat  mich  ahtbrre,  euphinden  rirchrn 
rud  yestnac,  M  kann  hier  nur  auf  A  selbst  zurückgehen.  Die 
anklänge  sind  indes  nicht  mehr  so  evident.')  Keim  dritten 
pferd  wird  die  Unbestimmtheit  der  färbe  ganz  ähnlich  aus- 
gedruckt wie  bei  A: 

M  1155  sin  färbe  glich  was  in  der  Schicht 
als  wann  sich  lnft  in  nehil  flicht. 

A  35U.  1»  snhtilis  respergit  cum  mistnra  eoloris. 

s»-d  tniricns  ocnlod  visnin  color  ille  rocusat. 

Das  vierte  pferd  wird  bei  A  als  weit  tiefer  stehend  gedacht: 

l)  In  der  M-hihhmng  lies  5.  pferdes  hahen  A  und  \\  gar  nichts  gemein- 
same«. 


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ZU  HEIN !< ICH  VON  MÜGELN. 


IM 


A  359,  22  praedictis  famulan*  illos  quasi  prorsus  adorat 
ancillatnr  eis  nee  sc  nejfat  esse  dienten 
homm,  »eil  tanquam  dominis  ut  venia  minist  rat. 

M  nennt  das  pferd  zwar  grosses  goldes  wert,  dann  aber  fährt 

er  schart"  tadelnd  fort,  und  wo  bei  A  (859,48)  steht: 

Ihm-  speciale  sibi  retinet,  propriumque  reservat, 
quod  eeler  ad  potuiu  non  oblivisritur  eflcam, 
potibus  indnlget,  pro  cunitis  solus  ad  esum 
enrrit.  et  in  potn  defeetus  snpplet  equoruni. 

da  finden  wir  bei  M  die  worte  (v.  11(>1 — 04) 

in  frasse  phla-  ez  Sprunge  vil. 
wer  im  den  zogel  lassen  vil 
vnd  des  zu  Haiden  nicht  jyerucht, 
dem  ist  von  tfote  wol  verflucht. 

Dabei  erhalten  auch  die  Böhmen  einen  seitenhieb,  v.  1159:  daz 

res  die  liehym  lobten  auch  (P  narren  statt  Behym).    Diese  be- 

merkung  geht  vielleicht  auf  N  zurück,  dessen  gedieht  ja  zum 

teil  eine  Strafpredigt  gegen  die  sitten  Oesterreichs  und  Wiens 

ist,  speciell  auch  gegen  die  Üppigkeit  im  essen,  v.  4b(i  ff.: 

frazheit  genomen  hat  obern  haut 
und  allermeist  iu  Osterlant. 
trunken  vol  vnd  vhersat 
ist  manie  man  in  Wiener  stat 
und  etlich  fronwe  mich  alda  . . . 

Dass  M  die  stelle  auf  die  Böhmen  bezieht,  ist  für  ihn  ja  nahe- 
liegend, vielleicht  wirkte  dabei  bestimmend  auch  eine  stelle 
des  Apollonias,  in  der  auch  in  diesem  sinne  eine  anspielung 
gemacht  wird:  v.  18329  nämlich  nennt  der  dichter  nach  auf- 
zählung  einer  grossen  reihe  von  fischen  einen  offenbar  wol  als 
feinschmecker  bekannten  mann  mit  der  bemerkung.  nicht  ein- 
mal dieser  habe  so  gute  fischweiher.  Der  genannte  ist  ein 
Böhme:  ron  Peheim  herre  Dobisch  het  so  yttoter  uivr  nicht).1) 

Die  rolle  der  freien  künste  ist  in  N  (A)  und  M  ganz  ver- 
schieden: dort  sind  sie  nebensache,  hier  treten  sie  in  den  Vorder- 
grund. Aber  X  und  A  geben  bei  dem  bericht  von  der  erbauung 
des  wagens  für  jede  der  künste  in  einer  reihe  von  versen  eine 
beschreibung.  die  sich  mit  den  beschreibungen  bei  M  vielfach 
eng  berührt.  Von  der  grammatik  berichtet  A  (842.11):  sunt 
tarnen  in  multo  lactis  iorrente  natantes  tnammae.    Darnach  M 

l)  Aehnliche  stelle  13o%. 


- 


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140 


HELM 


(v.  514)  ir  bmatclm  waren  milche  rot.   Dem  entspricht  M  172 

welch  kint  uz  miner  Urliste  tich 
trinket,  daz  erkennet  wol 
wi  ez  sin  latin  reden  »ol 

und  212  zwei  kint  ich  ner  an  niiner  brüst. 

Bei  weitem  auffälliger  ist  die  congruenz  bei  der  loprik. 

A  (345. 14)  schildert  ihre  erscheinung: 

haec  habitu  gestu  macie  pallore  tignrat 
insomnes  animi  motns. 

N  (826)  schreibt  dafür 

mit  sinne  sie  dort  her  (deich, 
die  waz  mager  und  bleich. 

und  fast  wörtlich  dasselbe  lesen  wir  bei  \I(221)  bleich  vnd 

mager  ir  yestalt. 

Als  attribute  teilt  ihr  Alanus  blumen  und  schlänge  zu 

(345}25):    dextra  manus  ttoris  donatur  honore.  sinistram 
scorpius  ineidens  caudae  mneroue  ininatur. 

und  später  (346.  42) 

Hörem  dextra  resignat 
ad  praesens  aliisque  vaeat,  serpensijue  sinistram 
exit. 

X  ändert  ab.  indem  er  an  die  stelle  der  blumen  die  taube  setzt: 

v>7  ein  dnbe  in  der  lebten  haut, 
dir  linke  drutr  einen  serpant. 

und  so  hat  es  M  übernommen  v.  2231: 

ein  tube  trug  ir  rechte  haut, 

«  in  »lange  sieh  durch  die  linke  wrant. 

W  ahles  und  falsches  zu  unterscheiden  wird  als  erste,  kunst 

der  logik  an  die  spitze  gestellt.  A  M'k  36: 

vis  loifieae  veri  facie  tunieata  reeidit 

falsa,  negans  talsum  veri  latitare  siib  uinbra. 

X  S2!»  mit  den  <  mittlren  gelinge 
bezeiehen  warheit  vnd  luge. 

Endlich  M  (v.225): 

*i  sprach  'in  aller  rede  gar 

ich  kenne  wol  falsch  und  war.'1) 

Die  weitere  ausführung  bei  M  muss  auf  eine  andere,  mir 

1 1  Vxrl.  dazu  H. 's  von  Mügeln  kleinere  gedichte  Sepln»  arfes  und  Kon 
tiUrn  fritn  Lintatn»,  wo  sieh  fast  wörtlich  die  gleichen  ausdrücke  finden. 
Wir  kommen  darauf  unten  im  Zusammenhang  zurück. 


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ZU  HEINRICH  VON  MÜGELN. 


141 


unbekannte  quelle  zurückgehen;  auch  im  abschnitt  von  der 

rhetorik  ist  M  von  A  und  X  unabhängig.    Dagegen  wird  die 

arithmetik ')  als  nrspmng  alles  bestehenden  wider  mit  den 

Worten  des  Alanus  geschildert: 

A  351,  13  quomodo  concordi  numerus  ligat  nmnia  nexu, 

singula  componit.  mundnm  retrit,  ordinat  orbem, 
astra  inovens 

M  331  des  himels  Btern,  de»  meres  «,'riez 
und  alles  daz  recheuunge  hiez, 
daz  floz  durch  mines  herzen  rine. 
nach  mir  buwet  nature  ding. 

Doch  ist  hier  auch  wider  directe  anlehnung  an  den  ausdruck 
von  X  nachweisbar  (v.  852): 

die  sterne  und  des  meres  griez 
zelet  sie  sunder  driez. 

Xoch  deutlicher  ist  die  entsprechung  zwischen  M  und  A  in 

folgenden  stellen: 

A  351,  21  Quomodo  principium  numeri.  fons,  mater,  origo. 
est  monas.  et  numeri  de  se  parit  nnica  turbam. 

M  335  Ein  ding  vor  allen  dingen  was. 
daruz  sich  alles  zelen  mas: 
eins  ist  kein  zal,  wizz  ane  wank, 
doch  ist  ez  zal  ein  anefang. 

Auch  die  folgende  erläuterung  über  die  einzelnen  zahlen- 
und  rechnungsgattungen  kann  wol  von  A  inspiriert  sein,  gegen 
dessen  ausführungen  sich  M  freilich  nur  ziemlich  unbeholfen 
ausnimmt;  doch  muss  man  ihm  auch  hier  für  einzelnes  Selb- 
ständigkeit zuerkennen  (z.  b.  .544  wie  man  die  zal  denarius 
stetlieh  mit  zehen  zelen  muz  u.s.w.). 

Die  geometrie  erscheint  bei  X  (A)  und  M  wesentlich  als 

die  messkunst.  sie  trägt  deshalb  eine  messrute  als  attribut: 

A  354,  41  Virgam  vir^o  gerit,  qua  tut  tun  circuit  orbem. 

qua  terrae  spatinm  metitur,  qua  raare  claudit 
limitibus  certis,  qua  circinat  ardua  coeli. 

X  808  fügt  neu  hinzu,  woraus  die  messrute  gefertigt  ist: 

sie  drug  ein  messe  werten  M  371 

von  golde  rot  in  der  haut.  die  trug  ein  rate  von  golde  rot, 

da  mite  misset  sie  diu  lant  da  mit  sie  sich  zu  mezzen  bot 
und  des  hrmamentes  »tei^e 

')  Ich  folge  hier  der  anordnung  der  Gtfttiuger  hs..  vgl.  unten. 


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142 


HELM 


und  des  wilden  meres  wege 
und  der  abyssen  strare. 
sie  kan  alle  inaze. 


der  himels  steinen  speren  kreis, 
w\  hoch  sie  sint.  mein  zirkel  weiz. 


377 


381 


daz  mer  vnd  erde  nach  inazes  trift 
uz  meinem  zirkel  ward  gerift. 
feur  flam  ich  messe  und  ouch  die  lnft, 
dem  fege  feur  vnd  helle  gmft. 
den  mezz  ich  irre  tieffe  zil. 


Aber  auch  als  geometrie  im  eigentlichen  sinne  erscheint 
sie;  allerdings  sind  die  der  lehre  vom  kreis  und  vom  winkel 
entnommenen  beispiele  des  Alanus  bei  M  ziemlich  unverständ- 
licli  geworden. 

In  der  rede  der  musik  folgt  M  nur  ganz  wenig  X,  näm- 
lich in  der  angäbe  des  attributes  das  dieser  kunst  beigegeben 
wird:  M  420  die  trug  ein  hur  ff  in  irre  hunt,  N356  dy  trug  ein 
harphen  in  der  haut,  während  A  von  einer  cither  spricht  (353.11) 
dum  citharain  manus  mia  gerit,  manns  altera  chordas 


Darauf  folgt  bei  X  nur  noch  ein  vergleich  mit  David,  während 
M  noch  in  einer  längeren  partie  die  fachausdrücke  erklärt,  die 
sich  bei  A  hier  vorfinden: 


«juis  resonet  nuitus.  vel  quis  sesqualter  ad  illnm 
sit  »onus,  aut  illi  Concors  sonet  in  diapente: 
(juae  vocum  junetnra  parit  diatesseron. 

M  430  die  noten,  die  da  lanffen  sin, 
in  di  octaucn  uz  der  prira. 
der  wise  wisse  sunder  wan, 
die  ist  genant  dyapason. 
die  wise  dyapente  sal 
han  uz  der  quinten  iren  val: 
so  sal  sich  uz  der  quarten  Inn 
die  wise  dyatesseron. 


In  der  astronomie  zeigt  M  sich  wol  bewandert:  er  steht 
hier,  abgesehen  von  der  rhetorik.  seinen  quellen  am  selbstän- 
digsten gegenüber. 

X  beschränkt  sich  hier  auf  wenige  verse  (881): 


sollicitat. 


A  353.  47 


in  iliapason 


der  sonnen  louf.  des  manen  iraiur. 
der  siben  himel  vmhevang 
künde  sie  erkennen  wol; 


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ZU  HEINRICH  VON  MÜGELN 


143 


ir  kleit  was  liehter  steine  vol. 
sie  kennet  wol  der  steine  kraft. 

M  führt  zunächst  das  letzte  weiter  aus: 

473  sie  sprach  ' wai  tat  zu  kunftic  ist, 

daz  offen t  miner  kunste  list. 
477  wen  hunger  sterben  koraen  sal, 

von  strite  menschen  wen  zu  tal 

ifemeinlich  vallen  mnoz  durch  not, 

dez  ich  der  werlt  ie  vor  entbot.'1) 

Im  weiteren  über  die  bewegung  des  himmels  gellt  M  Alanus 

folgend  mehr  ins  einzelne,  praecisiert  aber  auch  dessen  angaben 

über  den  lauf  der  Sterne  durch  nennung  von  zahlen: 

A  35t).  42  Quis  lunae  motns,  qnae  solis  sphaera.  quis  orbis 
Mercurii,  Veneria  quae  semita,  qnae  via  Martis, 
qnae  mora  Satnrnium  retinet,  quo  limite  currit 
Stella  .Jovis.  inotus<|iie  vagos  qnis  circnlns  aeqnat. 
M  4S1I  die  achte  spere  snnder  spar 

lonfft  sechs  und  drizig  iar: 

Saturaius  drizijr.  zwelf  Jupiter, 

Man»  zwei2),  irelonbe  mir  der  mer. 

ein  jar  die  sonne  lonffen  mnz, 

acht  stund  mynner8)  hat  Venns. 

Mercurins4)  dri  virtel  jar, 

«ler  mond  vir  wochin  sundir  spar.5) 

Daran  schliesst  M  endlich  noch  eine  aufzählung  des  tierkreises, 
die  mit  weitläufiger  ausfuhrung  und  entwicklung  astrologischer 
Weisheit  am  Schlüsse  des  gedichtes  widerkehrt. 

Wir  sehen  also  H/s  v.  M.  gelehrte  erörterungen  über  die 
künste  zusammengesetzt  unter  benutzung  von  X  und  A  und 
hinzufügung  einzelner  eigener  züge:  doch  müssen  ihm  auch 
wol  noch  andere  quellen  zu  geböte  gestanden  haben.  Im  ein- 
zelnen hat  ihm  in  der  auswahl  dessen  was  er  von  seinen  Vor- 
gängern übernehmen  oder  beiseite  lassen  wollte,  oft  vielleicht 
nicht  der  inhalt  bestimmt,  sondern  das  bestreben,  jeder  der 
künste  die  gleiche  verszahl  (50)  zu  widmen. 

Weitere  parallelstellen  zwischen  X  (A)  und  M  finden  sich 
in  der  beschreibung  der  Wohnung  der  natur  und  dieser  selbst. 

')  Aach  sonst  von  Heinrich  gern  behandeltes  thema.    Vgl.  Von  der 
knnst  astrouoinie  (Gütt.  hs.  11«));  W'nz  der  cometa  betUtUt  (G.  hs.  190). 
-)  PWL  drei.  3)  PW  ein  w«-ni-  minner. 

*)  PW  vnd  d.  stein  Mercurins.  •)  PW  . .  wochen  lonfen  muz. 


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144 


HELM 


Der  Zugang:  zur  wohnung  der  natur  ist  bei  X  wie  bei  \I 
(Alanus  hat  davon  nichts)  abgesperrt  durch  die  vier  elemente. 
die  bei  N  als  vier  türine,  bei  M  als  riesen  an  den  vier  toren 
dargestellt  werden,  und  zwar  ist  bei  M  dies  motiv  zweimal 
angebracht,  bei  der  ankunft  der  künste  im  reich  der  natur 
und  bei  der  ankunft  -der  tilgenden. 

1)  Das  feuer  (ich  folge  der  reihenfolge  von  M,  s.  unten): 


M  901 

in  des  landes  mittel  lag 
ein  bürg,  der  ersten  phorten  phlag 
ein  rise  groz  vnd  vngehenr, 
der  liez  vz  sinem  halse  fenr 
in  grira  über  alle  berge  gen. 
90$ 

daz  tor  gein  süden1)  waz  gericht. 

später  11 85 
sie  quamen  an  daz  erste  tor. 
da  vor  so  lag  ein  rise  groz, 
daz  fenr  nz  sinem  halse  schoz. 

2)  Das  wasser: 

M  909 

sie  gingen  furbaz  an  ein  tor. 
do  stund  ein  ander  rise  vor, 
der  waz  durchsichtig  vnd  groz. 
ein  ström  durch  sine  kele  floz. 
der  was  gar  tief  breit  unde  lang, 
gen  westen  was  des  tores  gang. 

später  119b 
..  füren  da  ein  weiser  man 
dort  stund,  der  gar  durchsichtig  was. 
1202 

der  wize  man  daz  wazzer  ist, 
daz  ist  durchsichtig  vnd  dar. 
1208 

manich  wunder  ist  darin  gesmit. 

3)  Die  luft  : 

M  91 S 

(am  dritten  tor)  da  lag:  ein  ander 
920        rise  vor. 

«well  wind  liez  er  durch  sinen  munt. 
922 

daz  tor  gen  norden2)  was  gerieht. 


N  127 

do  sach  er  einen  torn  sten. 

vz  dem  torne  sach  er  gen 

fuwer.  dez  flamme  was  hoch. 

die  flamme  sich  vmb  den  torn  soch 

an  dem  ecke  unmazen  groz. 

gein  meridie  der  schoz 

mit  ungefuoger  hitze. 


X  111 

der  eine  torn  wiz  erschein 
als  ein  liehtes  helfenbein. 
uz  dem  wizen  torne  groz 
manig  edel  brunne  floz. 

11$ 

bi  dem  torne  st  mit  ein  sef 
der  was  michel  und  lang: 
gein  occidente  was  sin  gang, 
da  sach  er  inne  besunder 
manig  mer  wunder, 
dier.  fische,  menschen  bilde, 
und  manig  wunder  wilde 


N  13S 

von  dem  torn  ein  wint  brach, 
me  danne  an  hundert  enden. 
143 

der  torn  was  bla  als  ein  lasnr. 
einhalp  druz  ging  ein  schür. 


l)  P  norden.  G  osten. 


*)  P  sUden. 


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ZU  HEINRICH  VON  MÜGELN.  14"» 

später  12t(>  awlerhalp  ein  nasser  regen, 

da  stund  in  blaer  wete  vor  daz  ander  teil  het  sne  gewegen. 

ein  man  der  vientlichen  bliez. 
zwelf  wind  er  uz  dem  munde  liez. 
den   hagel,   sue  schanr  unde 

regen. 

4)  Die  erde: 

M  924  N  152 

(am  vierten  tor)  da  lag  in  grüner     (der  vierte  türm)  der  het  sin  richez 

wete  vor  obedach. 
ein  rise  starck  und  lobelieb.  ^  waren  U11(l  j,rUnez  ioup. 

mit  boumen  groz  er  dackte  sieb.  |ßQ 
daz  vird  tor  gen  osten')  ging.  ^n  orjente  was  der  phat. 

später  1230 
da  lag  in  grüner  wete  vor 
ein  man  der  ewiglichen  slief. 
manieb  tier  uf  sinem  halse  lief 
und  barg  sich  in  des  manne»  wat. 

In  der  reihenfolge  der  elemente  stimmen  M  und  N  nicht 
überein,  aber  auch  die  himmelsrichtungen  die  den  einzelnen 
zugewiesen  werden,  sind  verschieden,  ja  darin  weichen  die 
einzelnen  hss.  von  M  selbst  von  einander  ab.  Nur  für  das 
wasser  nennen  beide,  übereinstimmend  mit  N,  den  westen.  Da- 
gegen gibt  für  das  feuer  P  norden,  G  osten  an.  Die  lesart 
von  P  ist  sinnlos,  aber  auch  die  von  G  scheint  mir  nicht  richtig 
zu  sein.  Bei  N  ist  die  reihenfolge  der  himmelsgegenden  westen, 
Süden,  norden  (der  nicht  ausdrücklich  genannt  wird),  osten. 
Man  sieht,  dass  dies  der  gedachten  Situation  (Alanus  um  die 
bürg  der  natur  gehend)  nicht  entspricht:  darin  mag  wol  für 
M  der  grund  gelegen  haben,  überhaupt  zu  ändern.  Eine  ände- 
rung  in  der  Zuteilung  der  einzelnen  himmelsgegenden  an  die 
verschiedenen  elemente  war  dagegen  durchaus  unnötig,  und 
überdies  entspricht  gerade  die  Verteilung  bei  N  den  natürlichen 
Verhältnissen  am  besten.  Wir  haben  deshalb  für  das  feuer 
auch  bei  M  den  süden  eingesetzt.  Die  lesart  von  G  (osten) 
ist  aber  auch  deshalb  bedenklich,  weil  die  dadurch  entstehende 
reihenfolge  (osten,  westen,  norden,  süden)  ebensowenig  als  die 
von  N  der  Situation  (hier  die  künste  um  das  reich  der  natur 
fahrend)  entspricht.    Dass  für  die  luft  der  norden  (P  süden), 


*)  G  süden. 

der  deuuclio»  «räche.    XXJI.  10 


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146  HELM 

für  die  erde  der  osten  (G  Süden)  die  richtige  lesart  darstellen, 
ergibt  sich  aus  dem  vorher  gesagten  von  selbst. 

Natürlich  ist  nur  der  weg  wo  die  erde  herscht.  passierbar; 
er  führt  zu  dem  hause  der  natur.  vor  dem  sich  eine  wiese 
ausbreitet: 

N  m  946 

der  weg-  trug  in  an  ein  tor.  ein  anger  vor  dem  huse  was. 

da  «t mit  ein  lichte  anger  vor. 

Einen  verwanten  zug  hat  Alanus,  wenn  er  berichtet,  wie  die 
pferde  (d.  h.  die  sinne)  die  schwelle  des  himmels  nicht  über- 
schreiten können,  wie  der  wagen  bei  M  drei  tore  nicht  pas- 
sieren kann. 

Die  natur  wird  geschildert  als  eine  schöne  frau: 

N  301  M  980 

Xatnre  was  das  schönste  wip.  ir  aneplik  so  schone  was. 

die  ie  gesach  kein»  manne«  lip.  daz  mensche  ny  so  schone  wart. 

N  307  M  083 

ir  heubt  drug  ein  kröne.  von  sihen  Sternen  was  ir  cron. 

do  st  mit  nf  schone 
sieben  steru  herlich. 

X  312  M  1024 

die  sonne  vü  d'niane  auch  stund  nf  irer  achsel  schrank 

stunde  als  zwei  tassel  die  snnne  vnd  auch  der  nionde  dar. 

nf  den  abseien  sinewel.  und  leuchten  ir  zu  dinste  dar. 

Ihr  mantel  wird  dann  beschrieben,  in  M  ganz  kurz,  1018: 

in  ires  mantels  valteu  vil 
tir.  Tische,  mensche  wonte  da. 
der  gründe  was  ir  feie  na, 
wen  aneuaug  die  grau  bedeut,1) 

bei  X  ausführlicher  (v.  323) : 

ir  mantel  waz  ein  feie  groz. 
die  werlt  hat  nit  ir  genoz; 
da  was  uf  manig  bilde 
mit  mauiger  forme  wilde: 
zwelf  tier  gar  wunderlich 
  mit  golde  dar  uf  geworht  rieh ; 

')  (iriin  als  färbe  des  anfangs  bei  H.v.  M.  noch  öfters,  dagegen  nicht 
bei  H.  v.  X,  bei  dem  auch  der  mantel  der  natur  blau  ist.  Vgl.  für  H.  v.  M. 
im  gediente  Der  dorn  strophe  23  di  grüne  antra nc  betlut,  anrane  der  gloube 
nam  vnd  grauet  uz  dines  herzen  »tarn  (Lambel  s.  128).  Die  stelle  aus  Ha- 
damar, auf  die  dort  hingewiesen  wird,  ist  Strophe  243  (nicht  343)  gruen 
anevanges  meine  u.s.  w. 


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ZU  HEINRICH  VON  MfOELN. 


147 


333  der  raantel  was  lasttrbla. 

die  tierlin  stunden  hie  und  da 
gefilzet  uf  den  mantel. 

Bei  M  findet  sich  das  motiv  auch  noch  auf  die  erde  übertragen 
bei  deren  Schilderung  bei  ankunf  t  der  tugenden  v.  12^2  (s.  oben). 

Damit  ist  jedoch  noch'  nicht  erschöpft  was  auf  eine  be- 
kannt sc  ha  ft  H.'s  von  Mügeln  speciell  mit  Alanus  hinweist. 
H.  von  Mügeln  hat  die  freien  künste  noch  in  zwei  kleineren 
gedienten  behandelt  (Cod.  pal.  gernL  693)!),  die  Schröer  unter 
VII A  und  VIIB  bespricht.  Ob  die  von  Schröer  dort  ausgespro- 
chene ansieht  über  die  reihenfolge  ilirer  entstehung  richtig  ist, 
kann  für  unsere  zwecke  füglich  ausser  betracht  bleiben. 
Zwingend  ist  Schröers  beweisführung  ja  nicht,  auch  dass  in 
dem  gedieht  Von  allen  frien  kunsten  die  zahl  der  künste  auf 
15  erhöht  ist,  kann  nicht  unbedingt  als  beweis  dafür  gelten, 
dass  dieses  zuletzt  entstanden  ist:  es  ist  sehr  wol  denkbar, 
dass  H.  es  vorgezogen  hat,  die  nicht  besondere  glückliche  er- 
weiterung  des  kreises  der  freien  künste  später  wider  einzu- 
schränken. Immerhin  steht  so  viel  doch  wol  fest,  und  das 
ist  das  einzige  worauf  es  uns  ankommt,  dass  Der  meide  cranz 
nicht  als  erstes  der  drei  gediente  von  den  freien  künsten  ent- 
standen ist,  denn  jene  beiden  gediente,  die  untereinander  und 
mit  Der  meide  cranz  im  einzelnen  oft  wörtlich  übereinstimmen, 
machen  doch  in  zu  vielen  punkten  geradezu  den  eindruck  von 
vorarbeiten.  In  beiden  kleinen  gedichten  findet  sich  nun  ein 
in  Der  meide  cranz  nicht  vorkommender  zug  aus  A  wider, 
dass  nämlich  am  ende  jeder  strophe  einer  der  hervorragendsten 
Vertreter  der  betreffenden  diseiplin  genannt  wird.  Die  an- 
knüpfung  ist  meist  ganz  mechanisch.  Die  namen  decken  sich 
allerdings  nicht,  auch  abgesehen  davon,  dass  bei  A  meist  eine 
ganze  reihe,  bei  H.  von  Mügeln  stets  nur  einer  genannt  wird. 
Bei  der  musik  nennt  A  den  Michalus,  H.  v.  M.  den  Boethius, 
bei  der  astronomie  wird  bei  A  kein  name  genannt.  Auf  diese 
Verschiedenheiten  ist  jedoch  kein  gewicht  zu  legen. 

Eine  kleine  stilistische  reminiseenz  an  A  dürfen  wir  viel- 
leicht in  der  häufung  der  verba  an  folgender  stelle  erkennen : 

Sept.  art.      ein  iczliek  don  nympt  uz  musica  do  seyn  zyl, 
se  wirket,  bawet.  raunzit  allifl  zeytenspil. 

')  Siehe  oben  8.  140  anm. 

10* 


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148 


HELM 


An  der  entsprechenden  stelle  findet  eine  solche  häufung"  bei 
Alanus  allerdings  nicht  statt,  sie  ist  indes  bei  ihm  ausserordent- 
lich beliebt;  am  charakteristischsten  sind  dafür  vielleicht  die 
folgenden  verse: 

341,20  Krgo  Minerva  videns  tanto  »plendore  Sophiwe. 
tot  donis.  tantisque  datis,  splendore  »orores. 
ordinat.  injungit,  jubet.  imperat,  orat,  ut  instant 
quaelibet  istarum  comitum,  comitante  Sophia, 
corpore,  mente.  tide,  stndeat,  desudet.  anhelet, 
instet,  et  efficiat,  ut  cum»  currat  adesse. 

Endlich  weist  aber  auch  die  ganze  anläge  von  Der  meide 

cranz  auf  Alanus  zurück.   Mit  dem  urteil  des  kaisers  (789—814) 

ist  das  thema  eigentlich  erschöpft,  das  gedieht  konnte  damit 

schliessen.    Nun  aber  folgt  ein  weiterer  teil  von  beinahe  1800 

versen:  die  sendung  der  künste  zu  der  natur.  der  Wettstreit 

der  natur  und  der  tilgenden,  wobei  die  künste  immer  mehr 

zurücktreten  mit  ausnähme  der  theologie.  die  als  richterin 

erhaben  über  den  anderen  thront;  v.  1268: 

die  künste  sassen  sunderlieh 
und  auch  die  togende  lohelich: 
zu  mittelst  in  der  seihen  schul 
erhaben  stand  ein  rieher  stul, 
darauf  theolnva  saz  ... 

Aehnlich  heisst  es  von  der  theologie  bei  der  ankunft  der  Pru- 
dentia  in  A  Ecce  puella  polt  residens  in  ctdmine  (3(37.  44). 

Die  idee.  das  urteil  durch  die  natur  bestätigen  zu  lassen, 
ist  so  merkwürdig,  dass  dies  allein  uns  schon  veranlassen 
müsste,  uns  nach  einer  quelle  umzusehen,  in  der  künste  und 
natur  in  engerem  Zusammenhang  erscheinen.  Hatte  H.  v.  M. 
den  Antielaudianus  vor  äugen,  in  dem  sie  geradezu  in  dem 
Verhältnis  von  dienerinnen  und  herrin  stehen,  so  erklärt  sich 
sein  plan  von  selbst. 

Auch  für  die  beziehung  die  in  M  einige  künste  zur  geburt 
Christi  für  sich  in  ansprach  nehmen,1)  wobei  das  dogma  der 

Vi  Arithm.  M  'MW  :  sind  ich  nach  zal  gegeben  hau 
hie  gotes  kinde  sin  gelit. 
(ieometr.  M  405:  da  got  sin  kint  in  menschen  art 
saute,  ich  maz  im  sein  gelid. 
Musik  461 :  min  sang  waa  ewig  von  der  mait. 

durch  die  den  menschen  leben  tait. 


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ZU  HEINRICH  VON  MÜGELN. 


149 


unbefleckten  empfängnis  stets  besonders  hervorgehoben  wird, 

findet  sich  in  A  ein  vorbild  bei  der  arithmetik: 

351,23  Quomodo  virgo  parit,  gignens  manet  integra.  wimplex 
sese  multiplicat,  de  sese  gignit,  et  in  se 
incornipta  manet,  partus  imitata  parentis. 

Ja  in  nuce  ist  selbst  der  Wettstreit  der  künste  in  A  schon 

enthalten.    Der  wert  jeder  einzelnen  in  ihrem  Verhältnis  zu 

den  andern  wird  schon  hier  kürzer  oder  länger  besprochen: 

Non  oul tu  facieqne  minor,  non  arte  secunda 
tertia  virgo    (A  347,  43) 

heisst  es  von  der  arithmetik;  ähnlich  von  der  geometrie(A  354,33): 
instat  sexta  soror  operi.  se  fundibus  urget 
ad  Studium,  studio  reliquis  studiosius  haerens. 

Am  deutlichsten  und  zugleich  am  meisten  schon  im  sinne  H/s 

von  Mügeln  endlich  ist  dies  ausgesprochen  bei  der  arithmetik : 

A  350,  30  Qnarta  soror  sequitur.  quartae  rota  prima  soruris 
est  opus,  huic  operas  operose  dedicat  illa. 
et  quamvis  haee  qnarta  foret,  tarnen  esse  seeunilam 
se  negat  in  faito.  eontendens  prima  voran. 

IV. 

Das  Verhältnis  der  hss.  in  denen  uns  Der  meide  eraiiz 
überliefert  ist.  lässt  eine  betrachtung  der  in  den  einzelnen 
fehlenden  verse  leicht  erkennen.  Für  den  teil  des  gedichtes, 
dessen  text  uns  alle  hss.  bieten  (die  Leipziger  reicht  bis  718, 
die  Weimarer  bis  864,  nur  die  Heidelberger  [P]  und  die  Göt- 
tinger sind  vollständig)  ergibt  sich  nämlich  folgendes: 

es  fehlen  in  P  und  W  die  verse  316.  409—414: 
es  stehen  an  falscher  stelle  in  P  v.  496— 98, 

in  W  v.  497—98; 
es  fehlen  in  L  v.  1-68.  496-498  und  sind  geändert  v.87-  98; 
es  fehlen  in  (1  v.  420.  613-  15.  es  sind  geändert  262— 68. 

661-68. 

Wir  haben  darnach  eine  hs.  x  anzusetzen,  aus  der  einerseits 
durch  unbekannte  Zwischenstufen  (i,  andererseits  eine  hs.  y 

min  doli  der  slug  und  brach  dy  luft. 
biz  daz  ich  in  des  herzen  gnitt 
lokte  gut  als  ez  im  zam, 
und  mensrhheit  vun  der  meide  nam. 


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150  HELM,  ZU  HEINRICH  VON  MÜGELN. 


hervorgegangen  ist,  in  der  die  verse  496 — 98  an  falsche  stelle 
gerieten.  Aus  dieser  giengen  dann  hervor:  L,  das  die  falsch 
gestellten  verse  verlor,  und  z,  das  sie  behielt,  aber  die  verse 
316  und  409 — 414  verlor.  Aus  z  flössen  P  und  W,  von  denen 
P  die  verse  496—98  an  falscher  stelle  Hess.  W  nur  497—98, 
496  dagegen  richtig  stellte: 

X  

 y 

z  L  (i 

P  VN- 
Für  die  textherstellung  hat  also  G  einerseits  und  PWL 
andererseits  gleich  viel  gewicht ;  wo  eine  hs.  der  gruppe  PWL 
zu  G  stimmt,  wird,  besondere  ausnahmsfälle  abgerechnet,  da- 
durch die  ursprüngliche  lesart  gesichert  erscheinen. 

Verschieden  von  G  sind  die  hss.  der  gruppe  P  auch  in 
der  reihenfolge  der  freien  künste.  indem  bei  ihnen  die  musik 
vor  arithmetik  und  geometrie  treten.  Hier  ist  die  lesart  von 
G  vorzuziehen.  Sie  entspricht  vor  allem  der  anordnung  in 
H.'s  v.  M.  kleineren  gedichten. 

Bei  Alanus  ist  die  reihenfolge  anders:  arithmetik.  musik, 
geometrie.  Für  H.  v.  M.  wäre  als  grund,  dass  er  gegen  A 
ändert,  wol  die  absieht  anzunehmen,  die  enger  zusammen- 
gehörigen künste  arithmetik  und  geometrie  zusammenzustellen. 
Die  weitere  Umstellung,  durch  die  die  musik  dann  an  erste 
stelle  kam,  hätte  in  y  vor  sich  gehen  müssen  und  könnte 
darin  begründet  sein,  dass  die  arithmetik  von  der  musik  gerade 
so  redet,  als  habe  diese  schon  vorher  gesprochen.  Aus  dem- 
selben gründe  hätte  y  dann  aber  auch  die  geometrie  und 
astronomie  vorstellen  müssen,  auf  die  die  arithmetik  auch  be- 
zug  nimmt,  v.  323: 

buchst  abeu  hat  graimnatiea 

in  Sil,  ir  spruche  loyca, 

«ler  rethor  varben  hat  in  zol, 

der  musieus  fa  und  sol, 

geometria  hat  ir  bunt 

in  zal,  so  bat  der  ziffer  fallt 

astroloyam  wol  gericht. 

als  mir  Vernunft  der  kunste  hiebt . 

Es  wäre  freilich  auch  denkbar,  dass  das  original  von  M 
noch  so  anordnete  wie  A,  und  dass  erst  die  späteren  hss.  — 


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SAR  AN.  ZUM  WIG  ALOIS.  151 

also  sowol  G  als  y  —  dann,  um  Arithmetik  uiid  geometrie  neben- 
einander zu  stellen,  in  verschiedener  richtung  geändert  haben. 
Ich  ziehe  jedoch  die  oben  ausgeführte  annähme  vor. 

HEIDELBERG.  September  1896.  K.  HELM. 


ZUM  WIG  ALOIS. 

Zu  meiner  Untersuchung  über  Wirnt  von  Grafenberg  und 
den  Wigalois  (Beitr.  21, 253  ff.)  möchte  ich  hier  verschiedene 
nachtrage  geben  und  bei  dieser  gelegenheit  zugleich  einige 
versehen  berichtigen. 

Zu  g  5  (Wirnt  und  die  dichtkunst)  bemerke  ich.  dass 
Heinrich  von  dem  Türlin  in  der  Krone  Wirnts  einleitung  be- 
nutzt. Vgl.  Wig.  7,  3  ff.  und  Krone  v.  4  ff.  Ebenso  Wig.  6, 3  ff. 
und  Krone  v.  32  ff.  40  ff.  89  ff.  Dass  Heinrich  den  Grafenberger 
genau  kennt,  habe  ich  schon  a.a.  o.  §2  gezeigt. 

Was  übrigens  die  in  §  2  besprochene  stelle  aus  der  Krone 
v.  2939—90  anbetrifft,  so  fehlt  sie  bekanntlich  in  der  Wiener 
Iis.  V.  Singer.  Zs.  fda.  38, 255  meint  daher,  die  verse  seien  un- 
echt und  in  V  eingeschoben.  Mir  ist  das  sehr  wenig  glaublich. 
Sollte  nicht  der  Schreiber  von  V  oder  ein  Vorgänger  die  stelle 
ausgelassen  haben,  weil  der  dichter  darin  die  herreil  vom  Oster- 
land  sehr  schlecht  behandelt  ?  Osterland  konnte  auch  als  Oester- 
reich verstanden  werden.  Ein  patriotischer  österreichischer 
Schreiber  oder  jemand  der  auf  Oesterreich  nichts  kommen  lassen 
wollte,  musste  alsdann  an  den  verseil  anstoss  nehmen.  Im  stil 
scheinen  sie  mir  durchaus  in  Heinrichs  art.  Ist  nun  die  stelle 
echt,  so  würde  sie  vielleicht  im  verein  mit  der  des  Wigalois. 
auf  die  sie  deutet,  dazu  verwendet  werden  können,  die  heiniat 
Heinrichs  zu  bestimmen.  Freilich  bedarf  sie  noch  der  erklärung. 
V.2971  1.  swie,  2973  1.  surä,  2979  L  kunst.  Ist  2985  twci  aus 
turnet  entstellt  und  der  für  den  zu  lesen?  Zwei  gleiche  reim- 
worte  auch  v.  3536/37. 

In  g  10  der  abhandlung  ist  s.  282.  z.  10  v.o.  statt  'prosa- 
erzählung'  bloss  •erzählung'  zu  lesen.    Vgl.  dazu  s.412. 


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152 


SARAN 


In  §  11  ist  durch  ein  verseilen  unterlassen  worden,  die 
s. 281. 333 und  334  citierte  arbeit  E.Kölbings,  Engl.stud.  1,121  ff. 
(1877.  also  noch  vor  Mebes  erschienen)  zu  würdigen.  Kolbing 
ist  der  erste  der  sich  bemüht,  das  Verhältnis  zwischen  Wigalois, 
Desconeu  und  Libeaus  auf  grund  einer  textvergleichung  fest- 
zustellen. Er  und  nicht  Mebes  hat  also  zuerst  den  richtigen 
weg  zur  ermittelung  des  Sachverhalts  betreten.  Ich  hole 
darum  hier  das  versäumte  nach  und  bitte,  die  folgenden  be- 
merkungen  auf  s.  286  meiner  arbeit  hinter  dem  ersten  absatz 
eingeschaltet  zu  denken. 

Kölbing  glaubt  mit  Meissner,  dass  Wirnt  nicht  nach  münd- 
licher Überlieferung  gedichtet  habe.  Vielmehr  habe  ihm  ein 
knappe  die  drentiure  aus  einem  französischen  buch  vorgelesen 
bez.  übersetzt,  da  der  dichter  nicht  französisch  verstanden. 
An  dem  so  überlieferten  stoff  nahm  Wirnt  wenig  änderungen 
vor:  sein  werk  spiegelt  also  wol  die  quelle  treu  wider.  Auch 
der  englische  Libeaus  folgte  seiner  quelle  treulich.  Demnach 
erhebt  sich  die  frage:  wie  verhalten  sich  diese  von  dein  mhd. 
und  engl,  gedieht  repräsentierten  frz.  romane  und  der  Des- 
coneu zu  einander?  Kölbing  zeigt  nun.  dass  alle  drei  viele 
motive  gemeinsam  haben,  an  einigen  wenigen,  jedoch  nicht 
unwichtigen  stellen  aber  Wigalois  mit  Libeaus  gegen  Desconeu 
stimmt.  Daraus  wird  gefolgert,  dass  W  nicht  aus  I)  geflossen 
sei,  sondern  mit  ihm  auf  eine  gemeinsame  quelle  zurückweise. 
Das  Verhältnis  der  drei  texte  beurteilt  K  so:  alle  drei  gehen 
ohne  allzu  viel  niittelglieder  auf  ein  älteres  X  zurück,  etwa 
nach  dem  Schema 

 x  

O  "  L« 

w         D  L 

Der  inhalt  von  X  kann  somit  durch  die  combinationen  WDL 
WD,  DL  mit  Wahrscheinlichkeit  erschlossen  werden.  Was  im 
Wigalois  auf  die  mit  D  und  L  stimmenden  teile  folgt,  ist  nach 
K.'s  meinung  unecht,  d.  h.  dem  ursprünglichen  anfang  von  einem 
fortsetzer  zugefügt.  Eben  diesem  schreibt  er  auch  die  Vor- 
geschichte zu.  In  der  quelle  des  Libeaus  sieht  er  die  relativ 
ursprüngliche  fassung  des  Stoffes. 

So  ist  Kölbing  auf  grund  der  erwähnten  stellen  im  wesent- 


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ZUM  WIGALOIS. 


158 


liehen  zu  derselben  ansieht  über  das  verwantschaftsverhältiiis 
der  texte  W,  D  und  Ii  gelangt,  die  ich  a.  a.  o.  auf  grund  einer 
genauen  inhaltsvergleichung,  durch  erörterung  von  Wider- 
sprüchen (§§  25 — 27)  und  directen  nachweis  der  quelle  für 
den  Wigalois  gewonnen  habe.  Nur  freilich  kann  man  den 
wenigen  parallelen  die  von  K.  angeführt  werden,  unmöglich 
so  viel  bedeutung  beilegen,  dass  sie  das  Verhältnis  wirklich 
sicherten.  In  der  tat  haben  auch  die  forscher  welche  das 
problem  neu  aufnahmen,  Mebes,  Bethge  u.  a.,  jene  beweis- 
führung  nicht  als  durchschlagend  anerkannt,  Man  ist  vielmehr, 
wie  meine  darstellung  a.a.O.  s. 286  ff.  lehrt,  zu  anderen  auf- 
stellungen  fortgeschritten,  allerdings  ohne  damit  dem  richtigen 
näher  zu  kommen. 

Zu  §  28  ff.  Die  ausgäbe  des  Chevalier  du  Papegau,  worauf 
ich  in  meiner  arbeit  bereits  bezug  nehmen  konnte  (s.  336  anm.). 
ist  inzwischen  erschienen.  In  der  einleitung  dazu  hat  der 
herr  herausgeber.  wie  ich  sehe,  eine  andere  ansieht  über  das 
Verhältnis  der  texte  W  und  P  aufgestellt,  als  ich  in  meiner 
Untersuchung.  Auch  sonst  modificiert  er  meine  resultate  mehr- 
fach. Was  jene  neue  ansieht  anbetrifft,  so  halte  ich  sie  für 
sehr  unwahrscheinlich,  da  sie  ein  mittelglicd  mehr  ansetzt 
als  die  meinige  und  dadurch  unnötig  umständlich  wird.  In 
fragen  wie  die  worum  es  sich  handelt,  auf  dem  boden  des 
hypothetischen,  ist  aber  das  einfachste  stets  das  wahrschein- 
lichste. Ich  verweise  insonderheit  auf  §  50  s.  404  und  §  31  s.  345 
meiner  arbeit. 

Im  einzelnen  bemerke  ich  folgendes.  Die  begründung.  die 
Heuekenkamp  für  den  Wegfall  der  drei  episoden  auf  s.  xxxn 
gibt,  hält  nicht  stich:  auf  s.  xxxm  gesteht  er  selbst  ein,  dass 
eine  tapferkeitsprobe  auch  bei  Artus  wol  angebracht  ist.  Dazu 
vergleiche  man  den  titel  des  romans  in  der  hs.  (s.  v)  und  text 
1, 25  ff.  Man  sieht  hieraus,  dass  Artus  von  dem  dichter  keines- 
wegs schon  als  der  berühmte  könig  der  berühmten  tafeirunde 
eingeführt  wird.  Ebensowenig  überzeugt  die  ansieht  H.'s.  dass 
der  Verfasser  von  P  die  Lion  -  bestrafung  im  Wigalois  hätte 
streichen  müssen  (s.  xxxi).  Schleppend  ist  diese  geschichte, 
aber  das  ist  offenbar  Wirnts  schuld:  dass  sie  in  0  oder  gar 
in  dem  alten  (iuiglois.  den  H.  fordert,  schleppend  war,  ist  doch 
keineswegs  sicher.    Jedenfalls  hängt   sie  mit  dem  grund- 


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154 


SA  RAN 


gedanken  des  hauptteils  von  W  genau  zusammen  (vgl.  meine 
abh.  s.  294  und  8.  419  unten).  Dass  sie  mehr  historisch  gefärbt 
ist  und  somit  von  dem  stil  des  Artusromans  etwas  abweicht, 
dürfte  P  kaum  beunruhigt  haben. 

Gegen  die  ausführnngen  von  s.xxxmff.  halte  ich  an  meiner 
ansieht  fest,  dass  in  P  eine  ältere  Version  mit  motiven  einer 
neuen  contaminiert  ist.  Dass  die  erzählung  wenigstens  au 
einer  stelle  unklar  ist,  gibt  H.  s.  xxxviii  selber  zu.  Dass  sich 
der  dichter  s.  5,  22  den  papagei  als  Wanderpreis  vorstellt, 
möchte  ich  nicht  behaupten.  Hier  soll  wol  der  ritter  zunächst 
nur  den  papagei  bekommen:  aber  später  hat  Artus  papagei 
und  zwerg.  Ich  möchte  darin  eher  einen  neuen  Widerspruch 
erblicken.  Dass  hoftag  (5,15)  und  monatsversammlung  (5,30) 
neben  einander  bestehen,  also  vom  dichter  als  zwei  verschie- 
dene feste  gedacht  sind,  davon  kann  ich  mich  nicht  über- 
zeugen. Die  Chevaliers  de  la  eontree  (5.  19)  und  les  aultres  de 
la  eontree  (5. 27),  d.  i.  um  Causuel  herum,  sollen  docli  offenbar 
dieselben  leute  sein.  Man  könnte  ja  denken,  die  dame  führe 
Artus  zum  hoftag  (5.  20).  und  ehe  sie  dorthin  kommen,  treffen 
sie  die  Versammlung  vor  Causuel  (6,31).  Aber  damit  ist  die 
sache  um  nichts  klarer.  Wir  haben  liier  eben  eine  recht  ober- 
flächliche Verschmelzung  anzuerkennen. 

Die  möglichkeit,  dass  Beauvoisin  aus  Heinain  verlesen  sei 
(s.  xl),  habe  auch  ich  erwogen:  herr  prof.  Suchier  hat  mich  bei 
gelegenheit  darauf  aufmerksam  gemacht.  Ich  halte  diese  an- 
nähme aber  nicht  für  wahrscheinlich.  Wir  haben  zwei  ver- 
schiedene berichte  über  die  grundlagen  des  grossen  abenteuers 
(§§:j9.  40).  Das  königreich  um  das  es  sich  handelt,  hat  zwei 
verschiedene  namen  (Pap.  25,  26.  25.  28):  wenn  nun  auch  der 
name  des  königs  doppelt  angegeben  wird,  so  entspricht  das 
nur  dieser  Sachlage  und  weist  auf  quellenverschmelzung  zurück. 
Ebenso  heisst  im  \Yigalois  Laries  vater  einmal  Lar,  das  andere 
mal  Jorel. 

Die  bemerkungen  Heuckenkamps  über  die  episode  von 
Schaffilun  (s.  xli)  sind  gewis  richtig.  Vgl.  auch  die  begegnung 
des  YVigalois  mit  dem  zwerg  Karrioz  Wig.  169, 2  ff. 

In  der  erzählung  vom  confanonnier  nehme  ich  s.  374  an 
der  stelle  Pap.  59, 28  ff.  anstoss.  Ich  habe  sie  nicht  anders 
verstanden  als  Heuckenkamp  s.  xlui,  d.  h.  als  ausdruck  der 


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ZUM  WIGAL01S. 


155 


bekannten  Überzeugung,  dass  die  gegenwart  der  damen  den 
raut  ihrer  ritter  erhöhe.  Nur  finde  ich,  dass  das  liebenswürdige 
anerbieten  des  bannerträgers  hier  sehr  wenig  am  platze  ist, 
wo  es  gilt  den  ritter  von  der  bürg  fernzuhalten.  Die  tjost 
mit  dem  truchsessen  im  Wigalois  ist  freilich,  wie  H.  richtig 
gesehen,  auch  nicht  gerade  glücklich  motiviert.  Aber  das 
motiv  scheint  trotzdem  in  Artusromanen  beliebt  gewesen  zu 
sein.  Man  vergleiche  die  entsprechende  scene  im  Desconeu 
(a.  a.  o.  §  24)  und  Libeaus,  der  mit  dem  steward  der  zu  er- 
lösenden dame  kämpft.  Mir  ist  darum  meine  s.  321  angedeu- 
dete  auffassung  der  scene  noch  immer  wahrscheinlich:  der  zu 
hilfe  kommende  ritter  muss  zur  probe  seiner  tüchtigkeit  noch 
mit  einem  gewaltigen  beiden  von  der  partei  der  zu  erlösenden 
einen  letzten,  gefährlichen  kämpf  bestehen.  Siegt  er  auch 
hier,  so  ist  er  ein  tapferer  kämpe,  der  aussieht  hat  das  aben- 
teuer  zu  vollenden.  Dieser  ursprüngliche  sinn  ist  dann  sowol 
in  W  wie  P  verdunkelt  worden:  dort,  weil  vielleicht  Wirat 
das  mwre  Hure  war  (a.  a.  o.  s.  282),  hier,  weil  der  confanonnier 
zum  gegner  der  prinzessin  und  mann  des  marschalls  gemacht 
wurde.  Diese  erzählung  würde  danach  mit  der  vom  chendur 
du  passaye  in  ihrer  bedeutung  zu  vergleichen  sein  (erschwe- 
rungsmotive;  vgl.  H.  s.  lxi).  Für  secundär  halte  ich  im  gegen- 
satz  zu  H..  dass  in  P  der  confanonnier  als  ritter  der  prin- 
zessin bezeichnet  wird. 

H.  hält  ferner  meine  annahmen  in  o'.>.  40  für  unnötig 
und  führt  dagegen  betrachtungen  über  die  mythische  bedeutung 
des  zauberabeuteuers  ins  feld  (s.  xliv).  Was  diese  betrifft, 
so  mögen  sie  richtig  sein,  aber  zur  erkläruug  der  Widersprüche 
in  P  genügen  sie  nicht,  und  ich  halte  an  dem  fest,  was  ich  in 
jenen  Paragraphen  erörtert  habe.  Ich  kann  mir  die  Situation 
der  Flor  de  mont  auf  grund  der  botenerzählung  mutatis  mu- 
tandis  nicht  wesentlich  anders  vorst eilen  als  die  der  Condwir- 
amur  im  Parzival.  Flor  de  mont  und  der  marschall  liegen 
im  kriege,  der  marschall  belagert  die  bürg.  Was  soll  sonst 
Pap.  26,  4  et  si  la  (die  bürg)  tient  u  moult  peu  de  yens  en- 
contre  le  mareschal  bedeuten?  Wer  kann  bei  der  ersten 
leetüre  unter  der  yent  (20, 10)  etwas  anderes  verstehen  als  die 
belagerer? 

Dass  man  bei  nachsichtiger  interpretation  die  risse  die 


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156 


SARAN 


überall  sichtbar  sind,  überkleistern  kann,  bezweifle  ich  nicht. 
Ich  bin  auch  überzeugt,  dass  beim  vorlesen  in  der  gesellschaft 
die  Widersprüche  nicht  bemerkt  worden  sind:  für  den  zweck 
den  der  Verfasser  verfolgte,  war  die  einheitlichkeit  gewis  ge- 
nügend erreicht.  Aber  es  ist  doch  zweierlei,  ein  kunstwerk 
zu  geniessen  oder  so  zu  erklären,  dass  der  genuss  nicht  beein- 
trächtigt wird,  und  andererseits  auf  kritischem  wege  das  ver- 
wantschaftsverhältnis  zweier  texte  festzustellen.  Tut  man  das 
letztere,  so  ist  die  von  Heuckenkamp  (s.  xi.v  anm.)  nicht  ge- 
billigte unerbittliche  kritik  eine  notwendigkeit.  Natürlich 
müssen  Widersprüche  unanfechtbar  sein,  wenn  man  sie  kritisch 
verwerten  will:  aber  umgekehrt  darf  man  dergleichen  auch 
nicht  verdecken,  wo  sie  die  unbefangene  lectüre  nahe  legt. 
Ganz  scharfe  Widersprüche  kann  man  von  vornherein  überhaupt 
nicht  erwarten:  das  hiesse  an  dem  kunst verstand  der  alten 
dichter  zweifeln,  und  dazu  ist  hier  keine  veranlassung.  Eine 
philologische  Untersuchung  muss  sich  darum  naturgemäss  auf 
Unebenheiten  stützen,  die  ein  unbekümmert  geniessender  nur 
selten  bemerkt  und  die  mit  einer  nachsichtigen  deutung  auch 
zur  not  weggeräumt  werden  können. 

Mein  zweck  war  eine  quellen untei-suchung:  darum  also  die 
unerbittliche  kritik.  Mi  bin  übrigens  persönlich  überzeugt, 
dass  man  im  vorliegenden  falle  auf  grund  der  inhaltskritik 
noch  über  X  und  Y  zurückkommen  könnte.  So  kann  man  das 
abenteuer  der  zauberburg  gewis  ablösen  von  den  motiven  die 
auf  bürg  Korentin  bezug  nehmen  u.  s.  w.:  ich  habe  aber  solche 
betrachtungen  unterdrückt,  weil  sie  nicht  zum  thema  gehörten. 
Ich  meine  also,  wenn  man  die  von  mir  gerügten  Widersprüche 
nicht  in  ganz  evidenter  weise  durch  eine  bessere  interpretation 
des  textes  beseitigt,  so  bleiben  sie  bestehen. 

Nun  denke  ich  mir  die  entstehung  einer  contaminations- 
srene  keineswegs  so  mechanisch,  wie  H.  das  s.  xlvi  anm.  aus 
meinen  erörterungen  herausliest.  P  hatte  natürlich  nicht  etwa 
links  die  quelle  Y,  rechts  die  quelle  N  liegen,  um  daraus  nach 
bedarf  hier  oder  dort  abzuschreiben.  Contamination  ist  ein 
weiter  begriff,  der  viele  arten  umfasst.  Hier  dürfte  P  seine 
quelle  Y  aus  der  erinnerung  an  eine  andere  geschichte  auszu- 
schmücken begonnen  haben.  Denn  dass  ein  dichter  jener  zeit 
eine  nicht  geringe  literaturkennt  nis  besass,  kann  man  doch 


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ZUM  WIGALOIS. 


157 


annehmen.  Allmählich  trat  hervor,  dass  die  Zusätze  aus  der 
geschiente  X  nicht  recht  passten.  alsdann  hörte  P  auf,  die  neu 
angenommene  Situation  streng  durchzuführen:  das  alte  machte 
sich  wider  geltend  und  blieb.  Ich  finde  eine  solche  annähme 
gar  nicht  unwahrscheinlich,  um  so  weniger  als  der  Verfasser 
von  P  sicher  auch  im  gewöhnlichen  sinne  des  Wortes  contami- 
niert  hat.    Vgl.  Heuckenkamp  s.  xxxi. 

Die  bemerkungen  H.'s  über  die  tierbeschreibung  in  P 
(s.  xlvi  und  vn)  treffen  zu,  dagegen  überzeugen  mich  die  über 
den  drachenkampf  nicht.  Ein  dankbarkeitsmotiv  liegt  in  W 
nicht  vor,  während  es  P  ganz  deutlich  enthält. 

Zur  Ruelepisode  (H.  s.li)  füge  ich  hinzu,  dass  das  motiv 
überaus  beliebt  war  und  vielfach  widerkehrt.  Man  findet  es 
z.  b.  Krone  9129  ff.  9340  ff.  Hier  geschieht  die  befreiung  zwar 
nicht  durch  das  wiehern  des  rosses,  aber  in  einer  weise  die 
mit  Pap.  72, 11  einigermassen  verglichen  werden  kann  (Krone 
9439  ff.),  jedenfalls  vom  Wigalois  ganz  abweicht.  Dort  liest 
man  auch  eine  beschreibung  des  ungetümes.  Der  held  der 
episode  ist  Gawein.  Ich  bin  überzeugt,  dass  Heinrich  hier 
seiner  frz.  quelle  treu  folgt.  An  einer  solchen  zu  zweifeln, 
liegt,  soweit  ich  sehe,  gar  kein  grund  vor.  Im  gegenteil  weist 
die  schachteldisposition  der  Krone  unzweideutig  auf  eine  solche 
hin.  Die  frz.  quelle  oder  deren  vorläge  schon,  hat  wie  es 
scheint,  die  romane  Chrestiens  auf  Gaweinerzählungen  hin  ex- 
cerpiert  und  diese  stoffe  mit  andern  Uaweinmotiven  zu  einer 
grossen  compilation  verarbeitet, 

Vielleicht  kann  man  auf  grund  der  Krone  behaupten,  dass 
ursprünglich  Uawein  der  held  von  Y  war  und  dann  erst  Wi- 
galois seine  rolle  übernahm.  Es  würde  das  mit  der  bedeutung 
die  (iawein  im  älteren  Artusroman  hat,  wol  stimmen. 

HALLE  a.  S.  F.  SARAX. 


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* 


DAS  TODESJAHR  DES  ULFILAS  UND  DER 
UEBERTRITT  DER  GOTEN  ZUM  ARIANISMUS. 

Die  neuerdings  wider  wach  gewordenen  Meinungsverschie- 
denheiten über  das  todesjahr  des  berühmten  Gotenbischofs 
lassen  sich  nach  meiner  ansieht  endgiltig  begleichen,  wenn  man 
die  nachrichten  des  Auxentius  und  des  Maximin  mehr  in  ihrem 
Verhältnisse  zu  einander  betrachtet  als  es  bisher  geschehen  ist. 
Die  beiden  Schriftsteller  verfolgen  verschiedene  zwecke,  darum 
sind  auch  ihre  interessen  verschieden  und  müssen  ihre  angaben 
nach  diesen  interessen  verschieden  beurteilt  werden.  Der  anlass 
aus  welchem  die  Schrift  des  Auxentius  entstanden  ist,  lässt 
sich  nicht  deutlich  erkennen,  wol  aber  die  absieht  welche  ihn 
beim  schreiben  leitete:  der  un verhältnismässig  grosse  räum 
der  den  damaligen  unterseheidungslehren  gewidmet  ist,  beweist, 
dass  es  Auxentius  zuerst  und  vor  allem  darauf  ankam  die 
theologische  Stellung  des  llfilas  zu  diesen  möglichst  scharf  zu 
betonen:  alles  andere  ist  für  ihn  mehr  nebensache.  Wir  haben 
es  also  weniger  mit  einem  eigentlich  historisehen  berieht  als 
mit  einer  theologischen  apologie  zu  tun.  Da  aber  Auxentius 
ein  sehüler  des  Ulfilas  war  und  in  inniger  beziehung  zu  ihm 
gestanden  hatte,  so  muss  seinen  wenigen  geschichtlichen  an- 
gaben der  grösste  wert  beigemessen  werden.  Soweit  sie  für 
uns  hier  in  betracht  kommen,  besagen  sie,  dass  Ulfilas,  als  er 
vierzig  jähre  bischof  gewesen,  von  Theodosius  zu  einem  con- 
cile  nach  Constantinopel  berufen  sei,  um  gegen  eine  oder 
mehrere  religiöse  parteien  zu  disputieren.  Aber  als  er  bald 
nach  seiner  ankunft  in  der  oströmischen  hauptstadt  die  läge 
des  concils,  an  dem  viele  arianischen  bischöfe  teilnahmen,  erwog 
und  überlegte,  wie  er  seine  gegner  von  ihrem  irrtume  über- 
zeugen und  zur  wahren  kirche  (die  für  Auxentius  die  gemein- 
schaft  der  strengsten  A rianer,  der  Anomöer  war)  bekehren 


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DAS  TODESJAHR  DES  ULFILA8  Ü.S.W. 


159 


und  so  vor  dem  ewigen  verderben  bewahren  könnte,  da  sei  er 
krank  geworden1)  und  gestorben,  nachdem  er  seinem  volke 
sein  glaubensbekenntnis  als  testament  zurückgelassen  habe. 

Da  es  nicht  nur  umstritten  ist.  ob  Auxentius  mit  einer 
runden  biblischen  zahl  rechnet,  sondern  wir  auch  das  jähr 
nicht  kennen,  in  welchem  TTlfilas  zum  bischof  geweiht  wurde, 
so  können  wir  mit  der  angäbe,  er  sei  vierzig  jähre  bischof 
gewesen  als  er  auf  dem  concile  gestorben,  nicht  operieren. 
Man  hat  geglaubt,  es  würde  sich  die  zeit  des  conciles  genau 
und  sicher  bestimmen  lassen,  wenn  die  stelle  leserlich  wäre, 
an  der  die  gegner  genannt  waren,  gegen  welche  Ulfilas  dis- 
putieren sollte.  Ich  glaube  nicht,  dass  wir  damit  viel  weiter 
kämen,  denn  welche  gegner  Auxentius  im  auge  hatte,  scheint 
mir  sich  unschwer  erraten  zu  lassen.  Einmal  wissen  wir  ganz 
genau,  welches  ziel  Theodosius  in  den  ersten  jähren  seiner 
regierung  verfolgte:  er  suchte  eine  allgemeine  einigung 
aller  parteien  zu  stände  zu  bringen;  dass  er  sich  für  eine 
reduction  derselben  interessiert,  für  die  eine  (mit  ausnähme  der 
der  Homousianer,  die  hier  nicht  in  betracht  kommt)  zu  Ungun- 
sten der  andern  massregeln  ergriffen  habe,  davon  wissen  wir 
nichts,  und  es  ist  auch  im  höchsten  masse  unwahrscheinlich. 
Auxentius  sagt  auch  ganz  deutlich,  dass  es  ein  concil  war 
auf  dem  die  disputation  stattfinden  sollte,  und  zu  einem  solchen 
mussten  sämmtliche  bischöfe  des  oströmischen  reiches  ein- 
geladen werden.  Und  da  Ulfilas  gewis  nicht  allein  seine 
gegner  in  dem  einladungsschreiben  angezeigt  bekommen  hätte, 
so  hätte  der  kaiser  ja,  wenn  er  die  gegner  bestimmt  hätte, 
von  vornherein  die  heftigsten  debatten  beabsichtigen  müssen, 
und  zwar  offenbar  zu  Ungunsten  derjenigen  partei  der  er 
selbst  am  nächsten  stand.  Wir  dürfen  daher  mit  Sicherheit 
annehmen,  dass  Theodosius  auch  Ulfilas  nicht  ausdrücklich  die 
Parteien  angegeben  hatte,  gegen  die  er  disputieren  sollte.  Für 


')  Wenn  Martin  annimmt,  Auxentius  habe  durch  den  vergleich 
des  Ulfilas  mit  dem  in  seiner  krankheit  vom  künige  Joas  besuchten  pro- 
pheten  Eliseus  besagen  wollen.  Ulfilas  habe  auf  seinem  todesbette  den 
besuch  des  kaisers  Theodosius  empfangen,  so  ist  das  gewis  unrichtig:  das 
würde  Auxentius  deutlicher  ausgedrückt  haben.  Aber  auch  Bessell  irrt, 
wenn  er  meint  der  vergleich  sei  'recht  bitterlich Das  tertium  compara- 
tionis  liegt  in  den  Worten  currux  Israel  et  auriga  eins  4.  Reg.  2,12. 


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160 


JOSTE« 


Auxeutius  aber  war  es  selbst  verständlich,  gegen  welche  er 
gestritten  haben  würde:  gegen  alle  die  welche  Ulfilas  nach 
seiner  angäbe  das  ganze  leben  hindurch  scharf  bekämpft 
haben  soll:  die  Manichäer,  Marcionisten,  Montanisten,  Pauli- 
nianer,  Anthropianer,  Patripassianer,  Photinianer,  Xovatianer, 
Donatisten,  Homousianer,  Homoiusianer  und  Macedonianer,  d.  h. 
gegen  sämmtliche  christliche  parteien  (soweit  sie  noch  vor- 
handen waren)  mit  ausnähme  jener,  der  Auxeutius  selbst  an- 
gehörte, der  anomöischen.  Diese  werden  wol  mit  einem  Sammel- 
namen —  denn  für  viele  worte  bietet  die  lücke  keinen  räum 
—  an  der  jetzt  unlesbaren  stelle  genannt  sein.  Für  die  Ano- 
möer  sogar  zu  Ungunsten  der  inittelparteien  zu  kämpfen, 
dürfte  der  kaiser  schwerlich  selbst  befohlen  haben,  es  wäre 
das  der  denkbar  falscheste  weg  gewesen,  die  gewünschte  Union 
zu  erzielen.  Die  benennung  der  gegner  dürfte  also  dem 
Auxentius  zugeschrieben  werden  müssen,  und  die  welche  er 
im  auge  hat,  hat  er  bereits  früher  genannt. 

Aber  so  viel  ist  festzuhalten,  dass  auf  dem  einberufenen 
concile  zwecks  einer  union  disputiert  werden  sollte  und  dass 
viele  arianische  bisehöfc  in  Constantinopel  anwesend  waren. 
Es  war  also  keine  unbedeutende  Versammlung,  und  bei  den 
reichhaltigen  quellen,  die  wir  für  die  geschiente  jener  zeit 
besitzen,  müssen  wir  daher  annehmen,  dass  sie  mit  einer  von 
denen  identisch  ist,  die  uns  bekannt  sind.  An  sich  könnten 
da  drei  in  betracht  kommen,  die  von  381,  382  und  383.  Auf 
der  ersten  waren  aber  nur  Homousianer  und  Macedonianer 
anwesend,  auf  der  zweiten  gar  nur  Homousianer.  Diese  beiden 
kann  schon  deshalb  wenigstens  Auxentius  nicht  im  auge  gehabt 
haben:  es  bleibt  bei  seinen  angaben  somit  nur  das  concil  von 
383  übrig,  da  zu  diesem  auch  die  arianischen  bischöfe  ein- 
geladen waren,  und  zwar  zum  zwecke  einer  disputation.') 

Für  dasselbe  concil  spricht  auch  noch  eine  andere  angäbe 
des  Auxentius.  Dieser  berichtet,  dass  Ulfilas  den  Goten  testa- 
mentarisch sein  glaubensbekenntnis  hinterlassen  habe  und  teilt 
dasselbe  mit.    Ks  beginnt  mit  den  Worten  Ego  Ulfila  episkopus 


l)  "Ekeyiv  (TheodcwiufO  xt  Aeiv  yvfivaa&rjvat  ro  /tv^op  ta<;  ixxhj- 
oias  tymattt  tt)v  le  öiayovlav  ixnoöujv  7iott}aarxac,  6fto<fwviai>  rali 
ixxXtjolan;  igyaoaa9ai  Socrates  5,  10. 


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DAS  TODESJAHR  DES  ULFILAS  U.S.W. 


161 


et  eonfessor  . . .  testamentum  facto  ad  dominum.  Die  phrase 
testamentum  facwe  ad  dominum  ist  sprachlich  aiistössig  und 
schien  sich  mir  auch  durch  einwirkung  des  griechischen  oder 
gotischen  nicht  recht  erklären  zu  lassen.  Ebenso  befremdete 
es  mich,  dass  ein  seit  vierzig  jähren  seinem  volke  genau  be- 
kannter bischof  auf  seinem  Sterbebette  das  bedürfnis  empfunden 
haben  sollte,  für  jenes  volk  ein  glaubensbekenntnis  aufzusetzen, 
das  ebenso  kurz  wie  in  wichtigen  punkten  mindestens  zwei- 
deutig ist.  Ich  kam  daher  auf  die  Vermutung,  dass  hier  testa- 
mentum vielleicht  als  testimonium  aufzufassen  oder  gar  zu  lesen 
sei.  Deshalb  bat  ich  meinen  freund  Bedier  in  Paris,  in  der 
betreffenden  hs.  der  nationalbibliothek  ■)  einmal  nachzusehen. 
Er  fand  an  der  betreffenden  stelle  weder  testamentum  noch 
testimonium  geschrieben,  sondern  ganz  deutlich  —  situm.  Ein 
fachmann  wie  herr  Omont  glaubte  noch  zwei  weitere  buch- 
staben  mit  Sicherheit  erkennen  zu  können:  t..nsitum.  Es 
kann  demnach  keinem  zweifei  unterliegen,  dass  wir  nicht 
testamentum,  sondern  transitum  zu  lesen  haben,  was  auch 
grammatisch  sehr  gut  passt. 

Ulfilas  leitet  sein  glaubensbekenntnis  also  mit  den  worten 
ein:  'ich  IT.,  bischof  und  bekenner  habe  immer  so  geglaubt 
und  gehe  in  diesem  allein  wahren  glauben  zum  herrn,  d.  h. 
in  diesem  glauben  habe  ich  gelebt  und  will  ich  sterben'.  Das 
ist  eine  nicht  ungewöhnliche  phrase,2)  aber  indem  Ulfilas  die 
form  des  praesens  von  facere  wählt,  gibt  er  doch  zu  erkennen, 
wie  mir  scheint,  dass  er  den  tod  bereits  in  nächster  nähe 
sieht.  Die  form  eines  testamentes  hat  er  aber  seiner  letzten 
erklärung  nicht  gegeben,  und  inhaltlich  geht  ihr  der  Charakter 
eines  solchen  ebenfalls  vollständig  ab.  Man  lese  nur  einmal 
genau  die  wenigen  zeilen  und  vergleiche  sie  mit  den  übrigen 
Symbolen,  die  uns  aus  jener  zeit  überliefert  sind,  dann  wird 
man  nicht  verkennen  können,  dass  es  sich  unter  den  obwal- 
tenden Verhältnissen  für  das  gotische  volk  sehr  wenig  eignete: 
es  ist,  wie  ich  schon  bemerkte,  zu  knapp  und  zu  zweideutig 
für  das  volk,  namentlich  dann,  wenn  Ulfilas  der  extreme 

')  Sie  trägt  jetzt  die  Signatur  Lat.  5809. 

»)  So  beginnt  auch  das  syrabolum  des  märtyrers  Lucian:  xavxrjv 
ovv  * xovrf ?  ttjv  niaxiv  xal  i£  ttfVfc       P^XQ1  xiXovq  ix0Vl*<l  •  •  •  v£l- 
unten  s.  170:  nos  ab  initio  didicimus  (zweite  antiochenische  fonnel). 
Beiträg«  zur  guohlcbt«  der  deuteoben  spreche.   XXII.  \\ 


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162 


.FOSTfcS 


Arianer  war,  als  welchen  ihn  Auxentius  hinstellt;  wenn  dieser 
die  paar  Zeilen  einer  so  langen  und  wortreichen  ausdeutung 
für  bedürftig  hielt,  so  ist  er  dabei  von  einem  durchaus  rich- 
tigen gefühle  geleitet  gewesen.  Ein  bischof  der  vierzig  jähre 
lang  seinem  volke  den  arianismus  in  der  schroffsten  form  ver- 
kündet und  alle  anderen  richtungen  auf  das  schärfste  bekämpft 
hatte,  von  dem  sollte  man  doch  annehmen  müssen,  dass  er  auf 
seinem  Sterbebette  in  bedenklichen  Zeitläuften  —  und  bedenk- 
lich stand  die  sache  der  Arianer  in  den  ersten  achtziger  jähren 
des  4.  jh.'s  zweifellos  —  in  einer  deutlicheren  und  entschiede- 
neren spräche  redete,  als  es  hier  geschieht.  Denn  namentlich 
ist  der  hauptstreitpunkt  zwischen  den  Arianern  und  Homou- 
sianern,  das  Verhältnis  des  sohnes  zum  vater  (wie  ich  unten 
weiter  ausführe)  hier  so  obenhin  und  mehrdeutig  bezeichnet, 
dass  strenge  Arianer  zu  jener  zeit  dadurch  in  ihrem  glauben 
eher  wankend  gemacht  als  gestärkt  werden  konnten. 

Auf  keinen  fall  gibt  uns  also  Ulfilas  selbst  eine  handhabe 
für  die  annähme,  er  habe  das  glaubensbekenntnis  für  sein 
volk  bestimmt,  Wenn  Auxentius  es  so  bezeichnet,  so  braucht 
das  nicht  mehr  zu  besagen,  als  wenn  auch  wir  heutzutage 
noch  die  (auch  zufällig)  letzte  willensäusserung  eines  mannes 
'sein  testament'  nennen. 

Irgend  eine  veranlassung  zu  der  abfassung  des  Schrift- 
stückes muss  für  Ulfilas  nun  aber  doch  vorgelegen  haben;  ein 
inneres  bedürfnis  allein  kann  dabei  nicht  entscheidend  gewesen 
sein:  es  wäre  dann  sicher  nicht  so  lakonisch  ausgefallen.  Ein 
solcher  äusserer  anlass  ist  nun  in  der  tat  noch  nachweisbar. 
Nachdem  nämlich  die  einladung  zu  dem  concil  von  Constan- 
stinopel  im  jähre  383  bereits  erfolgt  war,  setzten  es  die  Ho- 
mousianer  in  Verbindung  mit  den  Xovatianern  beim  kaiser 
durch,  dass  die  versprochene  disputation  untersagt  wurde. 
Statt  der  mündlichen  ordnete  Theodosius  insoweit  eine  schrift- 
liche Verhandlung  an,  als  er  den  bischöfen  der  verschiedenen 
Parteien  glaubensformulare  einzureichen  befahl,  aus  denen  er 
eins  auswählen  und  allgemein  anzunehmen  befehlen  wollte. 
Schon  Krafft  hat  die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  unser 
testamentum  auch  als  ein  solches  glaubensformular  für  den 
kaiser  gedieut  habe;  jetzt  nachdem  sich  testamentum  als  ein 
lesefehler  herausgestellt  hat,  dürfen  wir  bei  dem  ganzen 


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DAS  TODESJAHR  DK8  ULFILAS  U.8.W. 


163 


charakter  des  Stückes  imbedenklich  annehmen,  dass  es  allein 
und  ausschlieslich  für  Theodosius  bez.  für  das  concil  bestimmt 
war.  Ob  es  freilich  nach  dem  tode  des  Ulfilas  noch  in  dessen 
hände  gelangte,  muss  dahingestellt  bleiben:  unwahrscheinlich 
ist  es  grade  nicht.  Auxentius  sagt  von  dem  weiteren  verlaufe 
des  concils  überhaupt  nichts;  mit  dem  tode  des  Ulfilas  hat  es 
das  interesse  für  ihn  verloren,  oder  er  setzt  das  weitere  als 
bekannt  voraus. 

Bei  dieser  annähme  verliert  die  abfassung  eines  solchen 
glaubensbekenntnisses  alles  auffällige,  das  sie  sonst  behält, 
wie  man  die  sache  auch  immer  wenden  und  kehren  mag. 
Denn  für  jenen  zweck  war  es  nicht  so  ungeeignet:  bei  der 
Vermeidung  des  wortes  omousios  einer-  und  dem  anschluss  an 
die  ausdrucksweise  der  älteren  zeit  über  das  Verhältnis  des 
sohnes  zum  vater  andrerseits  —  wobei  die  damalige  kluft 
zwischen  den  parteien  allerdings  mehr  verschleiert  als  über- 
brückt wurde  —  konnte  Ulfilas  bezüglich  dieses  punktes  viel- 
leicht noch  wol  eine  allgemeine  annähme  erhoffen.  Mit  an- 
deren Worten:  ich  halte  das  testamentum  lediglich  für  einen 
Vorschlag  zu  einer  unionsformel  und  nicht  für  einen  dem 
gotischen  volke  gesetzten  Wegweiser. 

Doch  wie  dem  auch  immerhin  sein  mag:  was  in  den  an- 
gaben des  Auxentius  für  ein  bestimmtes  concil  spricht,  spricht 
deutlich  für  dasjenige  vom  jähre  383:  für  ein  anderes  spricht 
gar  nichts. 

Genau  zu  demselben  ziele  werden  wir  durch  Maximin 
geführt,  freilich  nicht  auf  einem  directen  wege,  denn  die 
person  des  Ulfilas  Ist  für  ihn  nur  von  nebensächlicher  bedeu- 
tung.  Ihm  kommt  es  lediglich  darauf  an,  die  beiden  illyrischen 
bischöfe  Palladius  und  Secundianus  in  ihrer  haltung  auf  dem 
concil  von  Aquileja  zu  rechtfertigen  und  zu  zeigen,  auf  welche 
weise  sie  gehindert  worden  seien,  selbst  vor  aller  weit  den 
nachweis  zu  führen,  dass  nicht  sie,  sondern  Ambrosius  und 
seine  anhänger  die  häretiker  seien.  Zu  diesem  zwecke  will  er 
auch  die  glaubensformeln  angesehener  bischöfe1)  der  früheren 

')  Unbegreiflich  ist  der  irrtum  Kaufmanns,  welcher  meint,  dass  diese 
bischöfe  mit  Ulfilas  auf  der  synode  in  Constantinopel  gewesen  seien.  Die 
beiden  welche  genannt  werden.  Eusebios  und  Theognis,  waren  ja  schon 

11* 


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104 


JOST ES 


zeit  mitteilen  —  u.  a.  das  des  kirchengeschichtsschreibers  Euse- 
bios  und  das  des  Theognis  von  Nicaea  —  die  dasselbe  gelehrt 
und  geglaubt  hätten.  Allein  diese  formein  sind  ihm  nicht  zur 
hand  gewesen,  mit  ausnähme  einer  einzigen,  der  des  Ulfilas, 
welche  ihm  in  der  schrift  des  Auxentius  vorlag.  Da  die  letz- 
tere im  wesentlichen  eine  mehr  oder  minder  zutreffende,  für 
Maximin  jedenfalls  brauchbare  ausführung  der  formel  bildete 
und  sie  zugleich  als  das  glauben sbekenntnis  eines  weiteren 
bischofs  gelten  konnte,  so  nahm  er  die  ganze  schrift  einfach 
so  auf  wie  sie  ihm  vorlag. 

Es  ist  im  gründe  also  blosser  zufall,  dass  diese  schrift 
jetzt  ganz  allein  als  be weisstück  für  die  behauptung  des  Ma- 
ximin dasteht.  Maximin  lebte  augenscheinlich  in  einer  gegend 
wo  die  schrift  des  Auxentius  verbreitet  war,  die  werke  der 
Orientalen  ihm  aber  nicht  zur  hand  waren.  Aus  seiner  leb- 
haften Sympathie  grade  für  Palladius  darf  man  vielleicht 
schliessen,  dass  er  ein  nachfolger  desselben  im  bischofsamte 
war;  persönlich  nahe  kann  er  ihm  nicht  gestanden  haben, 
da  er  sich  für  die  anwesenheit  der  beiden  bischöfe  auf  der 
synode  von  Constantinopel  auf  eine  schriftliche  quelle  (epi- 
stuh '))  beruft  und  von  dem  divinum  magisterium  des  Anus 
spricht,  während  Palladius  auf  dem  concil  von  Aquileja  von 
einer  ideengemeinschaft  mit  Arius  nichts  wissen  wollte.  Ma- 
ximin gehört  eben  einer  späteren  generation  an,  die  sich 
bereits  ausdrücklich  und  mit  stolz  als  anhänger  des  Arius 
bekannte. 

Da  nun  aber  die  schrift  des  Auxentius  formell  nicht 
deutlich  bei  Maximin  als  eine  der  von  ihm  versprochenen 
professiones  erscheint,  zumal  sie  einige  geschichtliche  angaben 
enthält,  wird  das  gefühl  erweckt,  dass  sie  den  Zusammenhang 
der  schrift  Maximins  unterbricht,  und  dieses  gefühl  wird  noch 
dadurch  verstärkt,  dass  dieser  an  das  stück  in  einer  weise 
anknüpft,  als  wenn  er  gar  keine  anderen  prnfcssinnes  habe 
bringen  wollen.    Denn  da  Flfilas  —  was  an  sich  ganz  neben- 

jahrzehnte  tot!  Die  memnrati  epiacopi  sind  natürlich  Palladius  und  Se- 
cundianus. 

•)  Die  schrift  des  Auxentius  kann  damit  nicht  gemeint  sein;  ich 
möchte  eher  an  den  hrief  des  kaisers  Theodosius  denken,  iu  welchem  dieser 
den  Palladius  zum  concile  herief. 


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DAS  TODESJAHR  DES  ULFILA8  F. S.W. 


165 


sächlich  ist  —  auf  demselben  concil  anwesend  war  wie  die 
beiden  illyrischen  bischöfe,  so  benutzte  Maximin  diesen  um- 
stand, um  zur  fortsetzung  seiner  eigenen  erörterungen  wider 
überzuleiten.  In  Wirklichkeit  war  nfilas  ja  gar  nicht  in  die 
angelegenheit  jener  beiden  bischöfe  verwickelt;  auf  dem  concil 
von  Aquileja  —  über  das  wir  sehr  gut  unterrichtet  sind  — 
war  er  nicht  einmal  anwesend,  geschweige  denn  angeklagt 
oder  gar  verurteilt  worden;  nicht  einmal  sein  name  kommt  in 
den  acten  desselben  vor.  Deshalb  konnte  er  sich  auch  gar 
nicht,  wie  Palladius  und  Secundianus,  in  Constantinopel  recht- 
fertigen wollen.  In  beiden  Sätzen,  in  denen  Maximin  den 
rifilas  erwähnt,  geschieht  dies  ganz  nebenher,  das  subject 
bilden  Palladius  und  Secundianus;  von  Ulfilas  konnte  auch 
unmöglich  gesagt  werden,  er  habe  sich  ad  alium  comitatum 
begeben. 

Ich  kann  daher  Waitz  und  seinen  nachfolgern  nicht  zu- 
stimmen, wenn  sie  meinen,  dass  durch  den  verlust  der  Zeilen 
unmittelbar  vor  der  schrift  des  Auxentius  der  Zusammenhang 
vollständig  verdunkelt  worden  sei;  mir  will  scheinen,  dass 
dieser  trotz  der  lticken  des  textes  doch  noch  deutlich  genug 
erkenntlich  ist.  Derselbe  ist  nämlich  nach  meiner  meinung 
dieser:  das  verfahren  des  Ambrosius  und  seiner  anhänger  in 
Aquileja  gegen  Palladius  und  Secundianus  war  durchweg 
ungerecht:  nicht  die  majorität  sondern  die  minorität  hat  dort 
den  glauben  der  alten  kirche  vertreten,  wie  das  die  professiones 
der  bischöfe  alter  zeit  beweisen.  Dies  haben  auch  Palladius 
und  Secundianus  in  Constantinopel  selbst  öffentlich  nachweisen 
und  sich  damit  rechtfertigen  wollen,  aber  das  durch  die  Um- 
triebe der  gegner  erlangte  verbot  des  kaisers  hat  es  unmög- 
lich gemacht. 

Also  nicht  der  eigentliche  gedankengang  Maximins  ist 
dunkel,  wol  aber  ist  es  seine  aussage  über  das  concil  selbst, 
und  zwar  ist  sie  es  hauptsächlich  dadurch  geworden,  dass  er 
das  was  bereits  in  der  schrift  des  Auxentius  stand,  nicht  hat 
widerholen,  sondern  nur  ergänzen  wollen.  Deshalb  sagt  er 
auch  nicht  ausdrücklich,  dass  die  bischöfe  sich  zu  dem  bereits 
formell  einberufenen  concil  nach  Constantinopel  begeben 
hätten,  von  dem  Auxentius  spricht.  Dass  er  aber  dieses  und 
kein  anderes  meint,  beweisen  die  worte  ut  sanctus  Auocentim 


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JOSTES 


exposuit,  denn  dieser  spricht  nur  von  einem  einzigen  concile, 
und  zwar  von  einem  nicht  noch  zu  erbittenden,  sondern  be- 
reits formell  einberufenen.  Dabei  schiebt  er  —  und  das  er- 
klärt sich  durch  den  speciellen  zweck  seiner  schritt  —  den 
Palladius  und  Secundianus,  die  Auxentius  nicht  einmal  erwähnt, 
ganz  in  den  Vordergrund  und  stellt  die  sache  fast  so  dar,  als 
ob  sich  das  ganze  concil  um  sie  gedreht  hätte  und  lediglich 
durch  sie  und  für  sie  erbeten  gewesen  sei.  Wenn  es  nun  auch 
nicht  zu  bezweifeln  ist,  dass  die  beiden  an  ein  orientahsches 
concil  appelliert  hatten  und  ihre  sache  auf  dem  programm  des 
einberufenen  stand,  so  hatte  dieses  doch  sicher  noch  andere 
und  noch  wichtigere  aufgaben  zu  lösen,  von  denen  Maximin 
nichts  sagt.  Sein  verfahren  ist  das  aller  einseitigen  apologeten 
und  deshalb  nicht  befremdlich.  Aber  ganz  misverständlich, 
wenn  nicht  geradezu  unrichtig  ist  es,  wenn  er  angibt,  dass 
Palladius  und  Secundianus  erst  nach  ihrer  ankunft  in  Con- 
stantinopel  —  denn  das  besagt  doch  wol  der  Wortlaut  —  das 
concil  von  den  kaisern  erbeten  hätten.  Das  muss  vorher 
geschehen  sein!  Denn  was  war  noch  zu  erbitten,  wenn  es 
sich  hier  um  dasselbe  concil  handelt,  von  dem  Auxentius 
spricht?  und  das  tut  es  doch  nach  Maximins  eigenen  Worten! 
Und  wann  hätten  sie  die  beiden  kaiser  (imperatorcs)  in 
Constantinopel  um  ein  concil  bitten  können?  Was  hatte 
Gratian,  bei  dem  übrigens  Palladius  schon  vor  der  Synode 
von  Aquileja  eine  audienz  hatte,  mit  einem  orientalischen 
concil  zu  tun?  Man  mag  sich  für  ein  beliebiges  concil  ent- 
scheiden, diese  angäbe  des  Maximin  bleibt  mindestens  unver- 
ständlich. Sie  ist  übrigens  auch  nicht  von  wesentlicher  be- 
deutung  für  die  beantwortung  unserer  frage,  denn  einmal  ist 
klar,  dass  Maximin  von  demselben  concil  spricht  wie  Auxen- 
tius, und  dann  ist  bei  vemssent  und  adissent,  wie  das  alt  um 
comitatum  beweist,  an  Ulfilas  als  subject  überhaupt  nicht  zu 
denken. 

Ueberhaupt  scheint  es  mir  auch  ganz  unmöglich  zu  sein, 
die  bittreise  von  der  concilsreise  zu  trennen.  Denn  nach 
Auxentius  wurde  l'lfilas  zu  einem  concile  berufen  und  starb 
während  desselben.  Deshalb  kann  er  nicht  an  einer  bittreise 
der  beiden  illyrischen  bischöfe  teilgenommen  haben,  die  nach 
diesem  concile  fiel.  Aber  auch  dann,  wenn  man  mit  Sievers 


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DAS  TODESJAHR  DES  ULFILA8  t'.S.W. 


167 


die  bittreise  vor  das  concil  verlegt  und  jene  380/81,  diese 
383  ansetzt,  ist  noch  keineswegs  'alles  in  schönster  Ordnung 
vielmehr  ist  diese  annähme  ebenso  unmöglich  wie  die  andere. 
Denn  da  Palladius  und  Secundianus  von  dem  erkenntnisse  der 
synode  zu  Aquileja  an  ein  orientalisches  (bez.  allgemeines) 
concil  appellierten,  müsste  auf  jeden  fall  die  bittreise  ebensogut 
wie  das  concil  selbst  nach  dieser  synode  stattgefunden 
haben.  Nun  begannen  aber  die  Sitzungen  der  synode  von 
Aquileja  erst  im  September  des  jahres  381,  zu  einer  zeit,  als 
das  concil  des  gleichen  jahres  in  Constantinopel  bereits  beendigt 
war.  Selbst  die  bittreise  könnte  daher  kaum  mehr  in  das 
jähr  381  fallen,  und  ganz  unmöglich  ist  es,  dass  das  auf  der- 
selben erlangte  versprechen  eines  concils  durch  das  gesetz  vom 
10.  jan.  381  rückgängig  gemacht  worden  sei.  Wenn  Ulfilas 
mit  Palladius  und  Secundianus  in  Constantinopel  gewesen  ist 
—  und  daran  zu  zweifeln  ist  unzulässig  —  dann  muss  er 
jedenfalls  das  jähr  381  überlebt  haben,  und  muss  das  concil 
von  dem  Auxentius  und  Maximin  sprechen,  ein  anderes  sein 
als  das  jenes  jahres. 

Meines  erachtens  liegt  die  (übrigens  nebensächliche)  frage 
der  bittreise  so:  Maximin  will  sagen,  dass  die  beiden  illyrischen 
bischöfe  nicht  bloss  zu  dem  concile  berufen  seien,  sondern  auch 
das  versprechen  gehabt  hätten,  dass  ihre  angelegenheit  auf 
demselben  verhandelt  werden  sollte.  Das  ibique  imperatores 
bleibt  aber  auf  jeden  fall  für  uns  unerklärlich. 

Hat  nun  aber  Clfilas  —  und  das  steht,  auch  nach  Maximin, 
unbedingt  fest  —  die  synode  von  Aquileja  und  somit  auch  das 
concil  von  Constantinopel  des  gleichen  jahres  überlebt,  dann 
werden  wir  widerum  zu  dem  concil  vom  jähre  383  geführt, 
auf  welchem  die  bischöfe  aller  parteien  zu  einer  disputation 
versammelt  waren. 

Dass  nun  die  änderung  des  ursprünglichen  planes,  statt 
mündlich  gewissermassen  schriftlich  zu  verhandeln  —  wodurch 
der  charakter  eines  conciles  überhaupt  verloren  gieng  —  nur 
durch  einen  kaiserlichen  erlass  erfolgen  konnte,  liegt  auf  der 
hand.  Aber  dieser  erlass  war  doch  wol  nur  an  die  bischöfe 
selbst  gerichtet  und  wurde  nicht  in  die  allgemeinen  gesetze 
aufgenommen,  so  dass  der  irrtum  des  Maximin,  der  nach  dem- 
selben in  einer  gesetzsammlung  suchte,  leicht  erklärlich  ist. 


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168 


.JOST  KS 


Vorzüglich  unterrichtet  ist  Maximin  überhaupt  nicht;  er 
hätte  sich  sonst  gewis  nicht  auf  das  glaubensbekenntnis  des 
Eusebios  berufen  können;  sein  glaubensgenosse  Philostorgios 
beurteilt  diesen  ganz  anders  und  viel  richtiger. 

Nach  alledem  scheint  es  mir  keinem  zweifei  mehr  unter- 
liegen zu  können,  dass  Ulfilas  auf  dem  concile  vom  jähre  383 
gestorben  ist.  Ob  die  angäbe  des  Philostorgios,  dass  er  von 
Eusebios  von  Nikomedien  geweiht  sei,  auf  einem  irrtum  beruht, 
oder  (was  ihr  auch  noch  nicht  einmal  widerspräche)  Auxentius 
eine  runde  biblische  zahl  gebraucht,  wenn  er  dem  Ulfilas  ein 
genau  vierzigjähriges  bisehofstum  zuschreibt,  darüber  mag  man 
meinetwegen  streiten;  Sievers  hat  das  letztere  zum  mindesten 
sehr  wahrscheinlich  gemacht,  und  wer  das  bestreben  hat, 
scheinbare  widerspräche  der  quellen  in  möglichst  wenig  gewalt- 
samer weise  auszugleichen,  wird  auf  seine  seite  treten  müssen. 

Ich  habe  vorhin  schon  nebenbei  bemerkt  ,  dass  es  dem 
sogenannten  testament  des  Ulfilas  an  deutlichkeit  fehle.  Da 
die  worte  des  einganges  Semper  sie  credidi  als  beweis  dafür 
dienen,  dass  die  angäbe  des  Socrates  u.s.w.,  Ulfilas  habe  ur- 
sprünglich zur  gemeinschaft  der  orthodoxen  gehört,  unwahr 
sei,  so  dürfte  es  nicht  überflüssig  sein,  auf  dieses  'testament' 
etwas  näher  einzugehen.  Ist  es  doch  verschieden  genug  be- 
urteilt worden!  Während  Waitz  auf  grund  desselben  den 
Ulfilas  einer  milderen  richtung  des  arianismus  zuwies,  pflegt 
man  in  neuerer  zeit  seine  entschiedenheit  immer  mehr  zu  ver- 
schärfen, wobei  man  weniger  auf  die  worte  des  Ulfilas  als 
auf  die  des  Auxentius  fusst.  Nun  ist  es  aber  jedenfalls  un- 
gerechtfertigt, den  lehrer  dann  nach  den  Sätzen  des  schülers 
zu  beurteilen,  wenn  die  des  lehrers  selbst  noch  vorliegen. 
Hätte  Ulfilas  alles  das  sagen  wollen  was  Auxentius  sagt,  dann 
hätte  er  das  selbst  können;  und  wenn  er  es  unterliess,  so  wird 
das  seine  guten  gründe  gehabt  haben.  Wir  bedürfen  der  bei- 
hilfe  des  Auxentius  gar  nicht,  um  das  glaubensbekenntnis 
seines  lehrers  richtig  beurteilen  zu  können. 

Vergleichen  wir  es  mit  den  übrigen  uns  erhaltenen  Sym- 
bolen jener  zeit.1)  so  stellt  sich  das  urteil  etwas  anders  heraus; 

')  Hahn,  Bibliothek  der  symbole  und  glaubensbckenntnisse  der  alten 
kirche2,  Breslau  1877.   Die  symbole  wurden  jeweilig  nicht  nur  nach  den 


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DAS  TODES.»  AHR  DES  TLFILAS  IL  S.W. 


man  muss  dabei  jedoch  bedenken,  dass  man  damals  auf  den 
blossen  Wortlaut  nicht  viel  gewicht  legte;  ist  es  doch  vor- 
gekommen, dass  auf  ein  und  derselben  synode  vier  verschiedene 
formein  neben  einander  aufgestellt  und  gutgeheissen  wurden! 
Unter  allen  formein  nun  scheint  mir,  was  den  hauptstreit- 
punkt  zwischen  Arianern  und  orthodoxen  anlangt, 
keins  so  sehr  mit  dem  des  Ulfilas  übereinzustimmen  als  das 
des  heiligen  Basilius  (f  379).  Ich  stelle  zum  vergleiche  hier 
die  texte  neben  einander: 

Jltoxtvoutv  xal  bftoXoyovfJitv  £Va 
povov  aktjSivbv  xal  dya&cv  Otbv 
xal  naxtga  Txavioxudxopa,  ig  ov 
xd  ndvxa,  xbv  &fbv  xal  naxiga  xov 
xvqiov  tifitöv  xal  9eov  'Irjoov  Xpt- 
oxov.  Kai  £rcr  xov  fiovoyevrjv  av- 
xov  vibv,  xvqiov  xal  btbv  tjftiöv 
'iqoovv  Xqioxov  fwvov  ufa]9ivöv, 
<fi'  ov  xd  ndvxa  iyivixo,  xd  xe 
boaxu  xal  dogaxa,  xal  iv  tp  xa 
ndvxa  . . .  b\  iv  fioo<py  9eov  vrtdg- 
X<i>v  ov%  agnayfibv  ^yrjoaxo  flvat 
ioog  Bttji,  oaa  havxbv  ixivtoot,  xal 
Aid  xijg  ix  nap9ivov  yfvrtofatg  fxop- 
if>tjv  Aovkov  kaßd>v  xal  oxnuaxi  trot- 
Belg  tug  dv&pwnog  Tidvxa  xa  tig 
avxbv  xal  nepl  aCxoi  ytygafifiiva 
intfpatot  xaxa  xijv  ivxoXriv  xov 
naxpbg,  yfvopevog  vnqxoog  fiixQ1 
Bavdxov  . .  xal  $v  fiovov  nvevfja 
äyiov,  xbv  naodxkrixov  . .  ') 

Man  sieht,  es  existiert  bis  auf  die  frage  vom  hl.  geist  gar 
kein  wesentlicher  unterschied  zwischen  den  beiden  formein; 
selbst  das  so  stark  betonte  qui  et  dei  nostri  est  dem  findet 
sich  bei  Basilius  wider:  tov  &bov  xal  xarioa  tov  xvqIov  tjficöp, 

zeit  Verhältnissen .  sondern  sogar  nach  den  personen  die  sie  abzulegen 
hatten,  im  Wortlaute  abgeändert.  So  musstcn  die  zur  Orthodoxie  zurück- 
kehrenden Apollinaristen  ein  von  Hieronymus  aufgesetztes  glanbensbekennt- 
nis  unterschreiben ,  in  das  dieser  auf  wünsch  des  papstes  Damasus  die  be- 
zeichnnng  Christi  als  homo  dominicus  aufgenommen  hatte.  Vgl.  Hefele, 
Conciliengeschichte  2. 40. 

•)  Man  beachte  auch,  dass  Basilius  sich  (wie  alle  Orientalen  und  auch 
L'lnlas)  bemüht,  auch  in  den  Worten  sich  möglichst  biblisch  auszu- 
drücken- 


Ego  Ulfila  episkopus  et  confessor 
semper  sie  credidi  et  in  hac  fide 
sola  et  vera  transitum  facio  ad  do- 
minum. Credo  nnnm  esse  deum  so- 
lum  ingenitum  et  invisivilem  et  in 
unigenitnm  filium  eins  dominum  et 
deum  nostrum,  opificem  et  factorem 
universe  creature,  non  habentem  si- 
mileni  suum  —  ideo  unus  est  deus, 
qui  et  dei  nostri  est  deus  —  et  unum 
spiritum  sanetum  virtutem  inlurai- 
nantem  et  sanetiticantem  . . .  nec 
deum  nec  dominum  sed  ininistrum 
Cristi  . . .  subditnm  et  oboedientem 
in  omnibus  ftlio,  et  filium  subditum 
et  oboedientem  in  omnibus  deo 
patri. 


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170 


.1  OST  ES 


und  diese  stelle  bei  Basilius  macht  es  sogar  wahrscheinlich, 
dass  der  fehler  der  hs.  de  nostris  nicht  aus  dei,  sondern  aus 
domint  (di)  nostri  der  vorläge  entstanden  ist;  sachlich  ist  da« 
freilich  gleichgiltig.  Basilius  war  ein  Zeitgenosse  des  Ülfilas; 
es  gibt  noch  eine  ältere  form,  die  man  zum  vergleiche  herbei- 
ziehen kann;  es  ist  die  erste  der  synode  in  Encaeniis  (341), 
auf  der  vielleicht  rifilas  zum  bischof  geweiht  wurde;  jeden- 
falls gehört  sie  derselben  zeit  an:  (warn)  nos  ab  initio  didi- 
cimus,  in  unum  deum  totius  universitatis ,  omnium  verum 
quae  (um  mente  tum  sensu  percipiuntur  opiftcem  et  rreatorem 
credere:  et  in  unum  filium  dei  unigenitum,  qui  fuit  ante  omnia 
saeeidu  et  una  cum  patre,  qui  cum  genuerat,  exstitit:  per  quem 
omnia  risibilia  et  inrisibilia  facta  sunt:  qui  in  norissimis  diebus 
secundum  patris  beneplaeitum  descendit  et  carnem  de  sancta 
virgine  ajisumpsit:  qui  omnem  patris  voluntatem  eplevit. 
Credimus  etiam  in  spiritum  sanctum :  et  si  quid  amplius  adiun- 
gendum  est,  credimus  carnis  resurrectionem  et  vitam  aeternam 
(Harduin  1,606). 

So  viel  ist  sicher,  dass,  auch  wenn  Ulfilas  sein  ganzes  leben 
von  dem  Verhältnisse  des  sohnes  zum  vater  so  geglaubt  hat. 
er  ebensowol  mit  seinen  Goten  zur  gemeinschaft  der  ortho- 
doxen kirche  gehört  haben  kann  wie  etwa  Basilius.  Wenn 
Auxentius  aus  dem  texte  etwas  anderes  heraus  liest,  als  ich 
darin  finde,  so  muss  man  doch  das  zugestehen,  dass  sich  aus 
Basilius'  worten  genau  dasselbe  herauslesen  lässt.  Muss  es 
nicht  auch  höchst  merkwürdig  erscheinen,  dass  Auxentius 
nicht  einen  einzigen  ganz  unzweideutigen  beleg  für  die  dem 
rifilas  von  ihm  zugeschriebenen  ansichten  aus  dessen  anderen 
Schriften,  die  ihm  doch  bekannt  sein  mussten,  beibringt? 
Warum  lediglich  diese  paar  Zeilen,  die  einer  so  ausführlichen 
und  mindestens  gewaltsamen  interpretation  bedürftig  waren? 

Es  ist  richtig,  dass  rifilas  das  wort  omotisios  vermeidet, 
aber  das  taten  auch  orthodoxe  theologen,1)  selbst  solche,  die 

')  So^ar  Athanasius  sa^t :  tidoc  Ai  ro»c  unoAr/ouivoii:  r«  ftiv  a).ka 
xuvta  twr  tv  SixaUt  youtpiviutv,  ntgl  6t  ftovov  to  ofxoovaiov  dft<pißaX- 
i.ovxaq  %pij  j<//  wq  Ttgbq  t/9govq  Aittxüo&ui,  xal  yttg  xai  ^fiflq  ov'A  <«C 
ngbq  Anniiutn  trrtQ,  oi'A'  oj^  fiaxonivovt;  ngbq  zovq  naxtgaq  ivtoTctfif9ay 
dk/'  otq  uAt).<poi  ijfilv  Aiävoiav  l%ovtaq.  ntg\  AI  tu  ovofta  ftovov  Atoiü- 
lovtaq.  De  synodi*  DO.  41. 


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DAS  TODESJAHR  DES  ULFILAS  U.S.W. 


171 


unter  die  heiligen  der  kirche  aufgenommen  sind.  Andrerseits 
vermeidet  er  auch  das  schiboleth  der  damaligen  Arianer,  dass 
der  söhn  eine  'creatur'  des  vaters  sei,  und  ebenso  nennt  er  gott 
vater  innsivilem,  während  wenigstens  die  strengen  Arianer 
gott  für  ebenso  erkennbar  hielten  als  sich  selbst  (Eunomius). 

Soweit  vermag  ich  aus  dem  stücke  keinen  anderen  ein- 
druck  zu  erhalten  als  den  dass  es  inhaltlich  orthodox  ist, 
dass  wir  aber  in  ihm  einen  Vorschlag  zu  einer  unionsformel 
vor  uns  haben,  in  der  das  für  beide  Seiten  anstössigste  fort- 
geblieben ist  und  die  spräche  der  mittelpartei  geführt  wird. 

Ganz  anders  steht  es  mit  Ulfilas'  ansieht  vom  hl.  geiste. 
Von  den  Arianern  alten  Schlages  war  derselbe  überhaupt  noch 
nicht  in  die  discussion  gezogen  worden,  oder  wenigstens  war 
kein  streit  über  ihn  entstanden.  Erst  lange  nachdem  Ulfilas 
bischof  geworden  war,  war  die  frage  durch  Macedonius  zu 
einer  brennenden  geworden;  das  Nicaenum  sagte  nur:  ciedo  et 
in  spiritum  sanetum.  Wenn  nun  Ulfilas  vom  hl.  geist  sagt: 
nec  deum  nec  dominum  sed  ministrum  Cristi,  so  eignet  er 
sich  damit  ganz  unstreitig  das  schiboleth  der  Macedonianer 
oder  Pneumatomachen  an,  die  er  nach  Auxentius  immer  be- 
kämpft haben  soll,  und  wer  ihn  lediglich  nach  seinem  'testa- 
mentum',  ohne  rücksicht  auf  die  interpretation  des  Auxentius 
richtig  unterbringen  will,  der  kann  ihn  nur  zu  jenen  stellen 
und  nicht  zu  den  eigentlichen  Arianern.  Uebrigens  zeigt  diese 
stelle,  dass  Ufilas  auch  auf  seinem  Sterbebette  noch  wol  deut- 
lich das  zu  sagen  verstand,  was  er  sagen  wollte. 

Dieser  umstand  nun,  dass  Ufilas  grade  beim  hl.  geiste 
sich  so  entschieden  ausdrückt,  scheint  mir  auch  darauf  hinzu- 
weisen, dass  dieses  'testament'  auf  dem  concil  von  383  und 
für  dasselbe  abgefasst  ist.  Denn  man  hatte  diese  frage  nur 
auf  kleineren  synoden  behandelt,  bis  das  concil  von  381  die 
lehre  der  Pneumatomachen  verurteilte,  und  deshalb  war  es 
selbstverständlich,  dass  die  angelegenheit  wider  zur  Verhand- 
lung kommen  würde.  Und  hierbei  war  es  viel  weniger  sicher 
als  bei  dem  omousios,  wie  der  entscheid  ausfallen  würde,  denn 
auch  hochangesehene  orthodoxe  theologen,  z.  b.  Basilius,  hatten 
sich  bisher  hier  sehr  reserviert  verhalten.  Bardenhewer  sagt 
von  letzterem:  1 nichtsdestoweniger  hat  er  mit  rücksicht  auf 
die  den  Pneumatomachen  günstigen  zeit  Verhältnisse  (ob  allein 


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172 


.1  OST  ES 


deshalb?)  fort  und  fort  scheu  getragen  den  hl.  geist  geradezu 
gott  zu  nennen'.1)  Es  ist  immerhin  auch  sehr  auffallend,  dass 
Ulfilas  allein  bei  diesem  punkte  seine  meinung  mit 
schriftstellen  stützt. 

Die  behauptung  der  griechischen  kirchenschriftsteller,  dass 
Ulfilas  ursprünglich  zur  gemeinschaft  der  orthodoxen  gehört 
habe,  brauchte  durch  das  semper  &ic  credidi  also  auch  dann 
noch  nicht  einmal  als  erschüttert  betrachtet  zu  werden,  wenn 
man  diesen  ausdruck  viel  schärfer  auffassen  dürfte,  als  es  bei 
seiner  formelhaftigkeit  erlaubt  ist. 

Vollends  unzulässig  ist  es  hier  'orthodoxe  entstellung', 
'fälschung  der  Überlieferung'  u.s.  w.  anzunehmen:  wenn  man 
diese  glaublich  machen  wollte,  müsste  man  sie  doch  mindestens 
psychologisch  begreiflich  zu  machen  wissen.  Aber  kein  mensch 
wird  angeben  können  —  geschweige  denn  dass  es  bisher  ge- 
schehen wäre  —  was  die  orthodoxen  damit  hätten  bezwecken 
können,  wenn  sie  behaupteten,  Ulfilas  habe  nicht  von  anfang 
an  zu  den  Arianen)  gehört,  sondern  sei  erst  später  zu  ihnen 
übergetreten,  und  zwar  erst  als  bischof.  Mir  ist  weder  aus 
der  erfahrung  noch  aus  der  geschiente  ein  fall  bekannt,  dass 
ein  apostat  —  sei  es  nun  religiöser,  politischer  oder  auch 
wissenschaftlicher  art  —  sich  von  seite  seiner  früheren  Partei- 
genossen einer  liebenswürdigeren  behandlung  erfreut  hätte  als 
die  welche  nie  zur  partei  gehört.  Im  gegenteil  ist  er  immer 
der  am  schärfsten  beurteilte:  nie  gereicht  es  ihm  zur  ent- 
schuldigung,  dass  er  ehemals  anders  gedacht,  wol  aber  wird 
ihm  in  der  regel  vorgeworfen:  im  herzen  habe  er  eigentlich 
nie  zur  partei  gehört,  und  er  hätte  viel  besser  getan  bereits 
früher  auszuscheiden !  Die  drei  griechischen  kirchenhistoriker, 
Sokrates,  Sozomenos  und  Theodoret,  hätten  demnach  psycholo- 
gisch gleichmässig  wunderbar  veranlagt  gewesen  sein  müssen, 
wenn  sie  hätten  glauben  sollen,  ihrer  sache  einen  dienst  zu  er- 
weisen, indem  sie  Ulfilas  erst  als  bischof  arianisch  werden  Hessen. 

An  und  für  sich  braucht  man  diese  kirchenhistoriker,  die 
rund  t)0  oder  mehr  jähre  nach  dem  tode  des  Ulfilas  schrieben, 
nicht  für  zeugen  erster  klasse  zu  halten,  allein  ihre  angäbe 
wird,  und  das  ist  von  grosser  bedeutung,  durch  Zeitgenossen 


')  Patrologie  s.  259. 


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DAS  TODESJAÜR  DES  ULFILAS  U.8.W. 


173 


bestätigt.  Wir  kommen  damit  zu  der  frage  nach  dem  Über- 
tritte der  Goten  zum  arianismus  überhaupt. 

Bei  der  behandlung  dieser  frage  scheint  man  mir  von  der 
ansieht  auszugehen,  dass  die  Stellung  des  arianismus  zur  da- 
maligen oilhodoxie  ungefähr  der  heutigen  Stellung  des  Pro- 
testantismus und  zwar  des  freisinnigen  Protestantismus  zum 
katholicismus  entspräche,  wobei  dann  hier  und  dort  auch  noch 
die  'schweren  sorgen  um  glaubensfreiheit'  bei  den  Arianern 
betont  werden.  Nun  abgesehen  davon,  dass  dieser  moderne 
begriff  damals  noch  fehlte  und  die  toleranz  auf  seite  der 
Arianer1)  mindestens  nicht  grösser  gewesen  ist  als  bei  den 
orthodoxen,  ist  die  gleichstellung  schon  deshalb  falsch,  weil 
beide  parteien  sich  nur  in  der  lehre,  nicht  aber  im  cultus 
unterschieden.  Damit  lag  es  wesentlich  an  den  bischöfen  und 
allenfalls  noch  manchmal  an  den  fürsten,  zu  welcher  partei 
eine  gegend  oder  eine  gemeinde  gehörte.  Waren  diese  ge- 
wonnen, dann  vollzog  sich  der  übertritt,  wie  auch  z.  b.  der  der 
Goten  zum  katholicismus,  sehr  leicht  und  unauffällig.  So  er- 
klärt sich  auch  das  ewige  schwanken  des  besitzstandes  der 
beiden  parteien  im  vierten  jahrh ändert.  Deshalb  müsste,  wenn 
Ulfilas  von  anfang  an  Arianer  gewesen  wäre,  auch  sein  volk 
im  ganzen  wenigstens  arianisch  gewesen  sein,  denn  einen 
orthodoxen  bischof  neben  ihm  hat  es  nicht  gegeben.  Dass 
dies  aber  nicht  der  fall  gewesen  ist,  lässt  sich  aus  den  zeit- 
genössischen Schriftstellern  mit  voller  Sicherheit  beweisen.  Die 
Wichtigkeit  der  hier  in  betracht  kommenden  stellen  hat  am 
besten  der  scharfsinnige  Bessell  gewürdigt,  wenn  er  auch  leider 
bei  der  auffassung  und  auslegung  mehrerer  von  ihnen  einen 
irrweg  gegangen  ist. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  zunächst  das  urteil  des  Mai- 
länder erzbischofs  Ambrosius,  dem  der  kaiser  Gratian  wie  ein 
söhn  ergeben  war,  und  der  ganz  gewis  zuverlässig  unterrichtet 
sein  konnte.  Am  Schlüsse  seines  zweiten  buches  De  fide  (ab- 
gefasst.378)  redet  er  den  kaiser  an:  Gog  istc  Gothus  est,  quem 
iam  vidimus  exisse,  de  quo  promittitur  nobis  futura  victoria . . . 
Nec  ambiguum,  sanete  Imperator,  quod  qui  perfidiae  alienae 
pugnam  excepimus,  fidei  mtholicae  in  te  vigentv  habituri  sumuft 

v)  Diese  tauften  die  orthodoxen  sogar  von  neuem,  was  umgekehrt  nicht 
geschah. 


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ITA 


.TOST  KS 


auxilium.  Emdens  Ctl  l  IN  antehac  dirinae  indignationis  causa 
praecessit:  ut  ibi  primum  fides  Romano  imperio  franyeretur, 
ubi  fracta  est  deo.  Non  licet  confessorum  neces,  tormenta,  exilia 
recordari,  piorum  sacerdotia,  proditorum  munera.  Nonne  de 
Thraciae  partibus  per  ripensem  Daciam  et  Mysiam  omnemque 
Valeriam  Pannoniorum .  totum  illum  lfmitem  sacrilegis  pariter 
vocibus  audivimus  inhorrentem  ? 

BesseH1)  bemerkt  dazu:  'wenn  es  bekannt  gewesen  wäre, 
dass  die  Goten  gar  durch  einen  offenen  vertrag  mit  Valens 
vorher  schon  Arianer  geworden,  ja  dass  sie  überhaupt  Christen 
waren,  so  hätte  man  doch  ganz  andere  Wendungen  des  Am- 
brosius zu  erwarten  gehabt.  Er  hätte  in  jenem  kämpfe  eher 
eine  sich  selbst2)  zerfleischende  häresie  sehen  müssen,  und  den 
krieg,  den  der  kaiser  Gratian,  an  welchen  jenes  werk  gerichtet 
ist,  eben  zu  unternehmen  im  begriff  war,  mindestens  unter 
den  gesichtspunkt  gestellt,  dass  er  in  den  Goten  selbst  die 
häresie  zugleich  bekämpfe,  während  er  doch  in  den  Worten, 
die  er  in  bezug  auf  den  zu  erwartenden  sieg  des  kaisers 
schreibt:  »wir,  die  wir  den  kämpf  mit  der  häresie  aufgenommen 
haben,  werden  in  te  vigente  eine  hilfe  des  katholischen  glaubens 
haben«,  nur  an  eine  mittelbare  Unterstützung  von  seiten  des 
kaisers  denkt.' 

Das  unterschreibe  ich  vollständig  bis  auf  die  annähme, 
Ambrosius  habe  hier  die  Goten  überhaupt  noch  nicht  für 
Christen  gehalten:  sie  ist  unmöglich.  Man  muss  bedenken, 
dass  bei  Ambrosius  (und  hierin  ist  ihm  Philostorgios  ganz 
gleich)  die  Sympathie  für  seine  glaubensgenossen  durch  seine 
sorge  um  die  cultur  gezügelt  ist  und  er  in  den  Goten  doch 
'barbaren'  sieht,  welche  diese  cultur  zu  vernichten  drohen. 
Dass  die  zunächst  betroffenen  Stämme  arianisch  waren,  kommt 
für  ihn  gar  nicht  in  bet rächt;  er  will  trotzdem  den  kämpf 
und  trotzdem,  dass  die  Goten  gut  und  blut  für  den  glauben 
dahingegeben  haben,  l'nd  diesen  glauben  hält  er  für  seinen 
eigenen. 

Die  zweite  stelle  findet  sich  in  seiner  Expositio  evang.  sec. 
Lucam  lib.  2,  cap.  2.3) 

«>  A.  a.  o.  s.  M. 

*)  Weil  in  Thracien  und  Müsieu  'damals  der  ariauiamus  blühte'. 
3)  Bardenhewer,  Patrologie  h.  404  nagt,  dass  dieses  werk  aus  385—387 


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DAS  TODES.? AnK  DES  ULKILAS  Ü.S.W. 


175 


Da  Bessell  diese  stelle  nicht  im  zusammenhange  gelesen 
oder  doch  nicht  gewürdigt  hat,  ist  er  einem  misverstandnisse 
anheimgefallen. 

Die  betreffende  homilie  hat  nämlich  den  vorsprach:  factum 
est  au  fem  in  dicbus  Ulis,  exiit  edictum  a  Caesar  e  Augusto,  ut 
censum  profiteretur  unirersus  orbis  und  handelt  über  die  be- 
rufung  der  Völker  zum  Christentum.  Die  uns  hier  interessie- 
rende stelle  lautet:  vis  Christi  audire  censoresV  Iubentur 
censere  (d.  h.  das  Christentum  anzunehmen),  sed  non  viryis: 
nec  terrore  sed  gratia  plebern  quaerere:  condere  gladium,  non 
possidere  aurum.  Talibus  censoribus  acquisitus  est  orbis. 
Denique,  ui  scias,  censum  non  August  i  esse  sed  Christi ,  totus 
orlris  profitcri  iubetur.  Quando  nascitur  Christus,  omnes  pro- 
fitentur,  quando  mundus  concluditur,  omnes  periclitantur.  Quis 
ergo  poterat  professionein  totius  orbis  exigere,  nisi  qui  totius 
habebat  orbis  imperium?  Non  enim  Augusti,  sed  domini  est 
terra  et  plenitudo  eins,  orbis  terrarum  et  universi  qui  habitant 
in  eo.  Gothis  non  imperabat  Augustus,  non  imperabat  Arme- 
niis, imperabat  Christus.  Acceperunt  utique  Christi  censores, 
qui  Christi  martyres  ediderunt.  Et  ideo  fortassc  nos  rincunt, 
ut  praesentia  docent,  quoniam  quem  Uli  oblatione*)  san- 
guinis fatebantur,  huic  Ariani  quaestionem  generis 
inferebant. 

Wenn  Bessell  meint,  'dass  Ambrosius  in  bezug  auf  das 
Christentum  der  Goten  nicht  von  der  gegenwart  spricht',  so 
liegt  da  ein  arger  irrtum  vor:  es  handelt  sich  hier  um  das 
censere,  d.h.  um  die  annähme  des  Christentums  (—  hätten 
die  Goten  es  in  der  arianischen  form  angenommen,  würde  er 
sie  auch  gewis  nicht  so  unmittelbar  neben  die  katholischen 
Armenier  gestellt  haben  — ),  und  die  gehörte  bei  den  Goten 
wie  bei  den  Armeniern  der  vei-gangenheit  an.  Dieser  irrtum 
hat  dann  die  ganzen  weiteren  ausführungen  ßessells  entgleisen 
lassen,  so  die,  dass  Ambrosius  das  zweifelnde  fortassc  gewis 
nicht  gesetzt  haben  würde,  'wenn  er  die  siegreichen  Goten 
allgemein  für  katholiken  gehalten  hätte'.    Nun,  das  for fasse 

gehaltenen  homilien  entstanden  sei.  Diese  homilie  ist  sicher  älter  als  das 
jähr  3S5,  wie  die  historische  anspielung  beweist.  Bessell  setzt  sie  frühe- 
stens nach  379. 

')  Bessell  liest  oblicione,  was  offenbar  ein  dmckfehler  ist. 


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17(5 


JOSTES 


hat  Ambrosius  gesetzt,  einmal  weil  den  ausgang  eines  krieges 
doch  niemand  mit  Sicherheit  vorhersagen  kann,  und  dann,  weil 
er  den  sieg  der  Goten  aus  sorge  um  das  reich  und  die  cultur 
nicht  wünschte,  trotzdem  es  seine  glaubensgenossen  waren. 

Darin  wird  aber  jedermann  Bessell  recht  geben,  dass  sie 
damals,  also  c.  380,  keine  Arianer  waren  (wenigstens  dass  Am- 
brosius sie  nicht  dafür  hielt);  heiden  können  sie  aber  auch 
jener  worte  wegen  nicht  mehr  gewesen  sein,  das  ist  unmöglich. 

Somit  sehen  wir,  dass  Ambrosius  die  Goten  bis  minde- 
stens zum  jähre  380  für  seine  glaubensgenossen  hielt,  und  dass 
ein  mann  der  so  wie  er  mitten  im  getriebe  der  kirchlichen 
und  weltlichen  politik  stand  und,  wie  sein  vorgehen  gegen 
Palladius  und  Secundianus  beweist,  wol  ein  scharfes  auge  für 
Arianer  besass,  hier  schlecht  unterrichtet  gewesen  sein  soll, 
das  ist  doch  ganz  unwahrscheinlich.1) 

Aber  Ambrosius  steht  mit  seiner  ansieht  auch  keineswegs 
allein,  vielmehr  besagen  eine  reihe  anderer  zeitgenössischer 
berichte  genau  dasselbe.  Ich  führe  hier  zunächst  die  Goten 
an,  auf  deren  aussage  Augustin  fusst,  wenn  er  in  der  Civitas 
dei  18, 52  sagt  :  nisi  forte  non  est  persecutio  computanda, 
quando  rex  Gothorum  in  ij)sa  Gothia  persecutus  est  Christ ianos 
crudelitate  mirabili,  cum  ibi  non  essent  nisi  catholici, 
quorum  plurimi  martyrio  coronati  sunt,  sicut  a  quibusdam 
fratnbus,  qui  tunc  (370 — 372)  illic  pueri  fuerant,  et  se  ista 
ridisse  incuncUtnter  recordabantur,  audirintus. 

Dazu  stimmt,  dass  nicht  nur  Nicetas  mit  seinen  genossen, 
sondern  auch  die  beiden  zur  gemeinde  des  Ulfilas  gehörenden 


•)  Das«  Ambrosius  über  die  Verhältnisse  unter  den  Goten  nicht  nn- 
unterrichtet  war.  beweisen  die  acten  des  eoncils  von  Aquileja,  wo  von 
einem  verlaufenen,  auch  arianisch  gesinnten  priester  .Julianus  Valens,  der 
sich  bei  ihnen  herumgetrieben  hatte,  die  rede  ist.  Die  stelle  beweist  auch, 
dass  Ambrosius  wusste,  da.«*  damals  noch  nicht  alle  Goten  christlich  waren. 
Mit  derartigen  individuell  ist  indes  nicht  viel  zu  beweisen,  sie  versuchen 
immer  ihr  heil  mit  vorliehe  auf  neuerworbenen  boden.  Auch  die  angaben 
des  Eunapius  über  die  qnalität  des  gotischen  Christentums  dürfen  wir  nicht 
zu  hoch  taxieren,  nicht  weil  er  ein  beide  war,  sondern  weil  er  seinen 
massstab  von  dem  Christentum  der  gebildeten  stadter  nahm.  Namentlich 
wenn  der  übertritt  massenhaft  erfolgt,  ist  es  auch  bei  redlicher  Über- 
zeugung eines  Volkes  nicht  möglich,  ihm  gleich  reine  begriffe  beizubringen. 
Vgl.  Bessell  a.  a.  o.  s.  611. 


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DAS  TODES.! AHR  DES  t'LFILAS  U.8.W 


177 


priester  Vereka  und  Batvins  (Yericas  und  Bathusis)  in  das 
römische  martjTologiuni  aufgenommen  sind.  Die  annähme 
Kaufmanns,  dass  dies  geschehen,  trotzdem  man  gewusst  habe, 
dass  es  Arianer  gewesen  seien,  scheint  mir  schon  an  sich  ganz 
unannehmbar;  eher  könnte  man  noch  an  einen  irrt  um  denken, 
aber  dazu  liegt  auch  nicht  der  geringste  anlass  vor,  und  die 
aussage  Augustins  u.  s.  w.  steht  dem  als  ein  nicht  zu  beseitigen- 
des hindernis  im  wege. 

Nicht  anders  als  die  weströmischen  lauten  die  oströmischen 
Zeugnisse  in  dieser  sache.  Die  von  Bessell  s.  69  f.  aus  Sozo- 
menos  und  Theodoret  angeführten  erzählungen  setzen,  wie  er 
bereits  richtig  bemerkt  hat,  voraus,  dass  die  Goten  zu  ende 
der  siebziger  jähre  mindestens  keine  Arianer  waren.  'Aber 
als  noch  wichtiger  muss  das  Zeugnis  des  Gregor  von  Nazianz 
gelten,  der  während  des  Gotenkriegs  eine  reihe  kirchlicher 
reden  zu  Constantinopel  hielt,  die  uns  erhalten  sind  . . .,  wenn 
er  (aber)  etwa  in  der  mitte  des  jahres  379  sagt,1)  dass  man 
die  niederlage  der  Römer,  die  doch  einst  den  erdkreis  unter- 
worfen hätten,  nicht  erklären  könnte  aus  ihrer  feigheit,  son- 
dern nur  aus  ihrer  verderbt heit  und  der  gottlosigkeit  der 
nicht -trinitätslehre,  so  ist  sein  urteil  offenbar  dasselbe 
welches  Ambrosius  in  demselben  jähre  aussprach  und  Trajanus 
sowol  wie  Isaak  ausgesprochen  haben  sollen.  Es  muss  das 
um  so  mehr  geltend  gemacht  werden,  als  derselbe  redner  in 
der  mitte  des  jahres  380,  also  sogleich  nach  dem  zweiten  fluss- 
übergange  der  Goten,  in  bezug  auf  die  arianischen  kämpfe 
sagt:  *nach  der  auflösung  der  eintracht  durch  die  Verschieden- 
heit der  meinungen  verfolgen  wir  uns  mit  fast  grösserer  grau- 
samkeit  als  die  jetzt  uns  mit  krieg  überziehenden  barbaren, 
welche  die  aufgelöste  trinität  vereinigt.«   Nach  dieser 


l)  dtivbv  6h  xal  xa  vvv  oQM/xtvd  xe  xal  dxovofifvw  naxQlöfq 
dvtaxäutvai  xal  fivftiäöfq  nlnxovaat'  xal  xäfirovaa  yrj  xolq  a'ipaai  xal 
xoiq  nxwfjtaat  xal  ).aö<;  dlköyktuoooi  w;  oixtiav  diaxQixutv  xrtv  dk).o- 
XQiav  ov  öi  dvavÖQlav  xwv  nQOfiaxofdvwv  xaxtjyoQtixat  jWpfe/fc  ovxot  yap 
tiot  ol  iiixQov  näaav  xrjv  oixovfiivr^v  naftaaxtjadftfvot,  u).ka  öia  xfjv  q/tt- 
xtgav  xaxiav  xal  xqv  imxpaxovaav  xaxa  xrji;  T^iaöoq  daißetav.  Oratio  22 
no.  2  (Migne,  Patr.  gr.  25, 1133). 


Beiträge  zur  geachichte  der  deutschen  «pr.ch«.  XXII. 


12 


178 


.»OSTES 


bemerkung  kann  kein  zweifei  sein,  dass  die  Goten  damals 
gleich  als  Arianer  aufgetreten  sind.'1) 

Hier  liegt  offenbar  wider  ein  misverständnis  Bessells  vor; 
Gregor  kann  mit  jenen  Worten  unmöglich  sagen  wollen,  dass 
die  Goten  Arianer  seien,  sondern  er  will  sagen:  wir  sind  un- 
eins,  und  ein  grosser  teil  von  uns  Römern  hat  sich  gegen  die 
trinität  verfehlt,  indem  er  sie  nicht  anerkennt.  Und  weil  wir 
sie  aufgelöst  haben,  hat  sie  sich  von  uns  abgewant  und  be- 
günstigt jetzt  die  barbaren.  Gregor  hätte  doch  eine  merk- 
würdige logik  und  eine  noch  merkwürdigere  pastoral  haben 
müssen,  wenn  er  seinen  zuhörern  hätte  beibringen  wollen,  die 
trinität  begünstige  die  Goten  zu  Ungunsten  der  Römer,  weil 
jene  in  der  leugnung  ihrer  existenz  (im  orthodoxen  sinne) 
einig,  sie  aber  nur  zum  teil  Arianer  seien! 

Man  sieht  übrigens,  dass  Gregor  (ebenso  wie  Ambrosius) 
über  die  tatsache,  dass  die  Goten  seine  glaubensgenossen 
waren,  ganz  sanft  hinweggleitet.  Welche  waffen  würden  die 
beiden  in  bänden  gehabt  und  wie  würden  sie  dieselbe  ge- 
schwungen haben,  wenn  die  politischen  zugleich  ihre  religiösen 
gegner  und  glaubensgenossen  der  arianischen  minderheit  ihres 
volkes  gewesen  wären! 

Nach  alledem  kann  es  keinem  zweifei  unterliegen,  dass 
die  koryphäen  der  zeitgenössischen  orthodoxen  Ambrosius  und 
Gregor  von  Nazianz  die  Goten  mindestens  bis  zum  jähre  380 
für  ihre  glaubensgenossen  ansahen,  und  ihr  zeugnis  ist  um  so 
wertvoller,  als  es  nicht  nur  von  sonst  sehr  gut  unterrichteten 
männern  herrührt,  sondern  auch  ganz  nebenbei,  ohne  jeden 
apologetischen  zweck  abgegeben  ist.  Ja  man  kann  wol  sagen, 
dass  sowol  die  Stellung  des  Ambrosius  wie  Gregors  eine  wesent- 
lich günstigere  gewesen  wäre,  wenn  sie  die  ; barbaren'  auch 
als  Arianer  hätten  behandeln  können.  Dass  sie  dies  nicht 
taten,  kann  an  nichts  anderm  gelegen  haben  als  daran,  dass 
es  nicht  gieng. 

Zu  dieser  tatsache  stimmen  nun  aber  anscheinend  nicht 
ganz  die  angaben  der  drei  griechischen  orthodoxen  kirchen- 


')  KaxtHg  fdv  tobt  dXXqXmv  intTrjpovfitv  xaiQovi  xal  tu  ovftxvxov  rtp 
htQoöogy  kvoavrtq,  ftixgov  xal  xwv  ivv  nokefiovvtwv  r^dv  ßapßäptov, 
ov;  r/  T(><«$  Xvo^avtj  ovvtoTTjötv.  Or.  33  110.  2. 


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DAS  TODESJAHR  DES  l'LFILAS  U.S.W. 


179 


Historiker  Sokrates',  Sozomenos'  und  Theodorets  wenigstens 
insofern  nicht,  als  sie  den  übertritt  der  Goten  zum  arianismus 
früher,  360  oder  375,  ansetzen.  Sie  schrieben  aber  alle  drei 
erst  rund  sechzig  jähre  nach  dem  tode  des  Ulfilas;  es  ist  daher 
nicht  unangebracht  ihre  Zeugnisse  nach  dem  Ursprünge  zu 
untersuchen,  zumal  dieselben  sich  auch  unter  einander  wider- 
sprechen. Vergleicht  man  sie  mit  einander,  so  stellt  sich  als 
allen  dreien  gemeinsame  angäbe  diese  heraus:  Ulfilas  trat  in 
( "onstantinopel  zu  einer  zeit  als  dort  mehrere  häupter  der 
A rianer  versammelt  waren,  (durch  sie  beeinflusst)  mit  den  Goten 
zum  arianismus  über.  Das  müssen  schon  die  quellen  gehabt 
haben,  und  wahrscheinlich  gaben  diese  auch  an,  dass  es  auf 
einem  concile  geschehen  sei.  Sokrates  fand  den  namen  des 
Ulfilas  nicht  in  den  concilsacten,  natürlich  auch  nicht  in  denen 
vom  jähre  383,  da  er  ja  schon  beim  beginne  des  concils  ge- 
storben war.  Und  da  arianische  bischöfe  mit  Ulfilas  zu- 
sammengewesen waren,  blieb  für  ihn  nur  die  annähme  übrig, 
dass  die  Arianersynode  von  3*30  gemeint  sei.  Dass  Ulfilas  an 
dieser  teil  genommen,  davon  wissen  wir  sonst  nichts,  nur 
Sokrates  (und  der  von  ihm  abhängige  Sozomenos)  hat  die 
nachricht.  Sie  ist  schon  früher  angezweifelt,')  und  mit  vollem 
rechte;  denn  wenn  einer,  so  hatte  Auxentius  interesse  daran 
sie  zu  erwähnen,  er  sagt  aber  nichts  davon,  sondern  erwähnt 
nur  ein  einziges  concil  an  dem  Ulfilas  teil  genommen,  das 
auf  dem  er  starb.  Sokrates  gerät  durch  diese  annähme  auch 
in  Widerspruch  mit  den  oben  erwähnten  lateinischen  Schrift- 
stellern, und  was  auch  etwas  besagen  will,  sogar  der  sonst 
nicht  sehr  kritische  Sozomenos  hat  sich  an  ihr  gestossen. 

Theodoret  hat  Sokrates  nicht  gekannt;  er  oder  schon  sein 
Vorgänger  dachte  bei  dem  übertritt  in  Constantinopel  an  die 
zeit  da  Ulfilas  angeblich  als  gesanter  zu  Valens  nach  Con- 
stantinopel geschickt  sei,  und  schrieb  die  schuld  dem  längst 
verstorbenen  arianischen  bischof  Eudoxios  zu,  den  er  vielleicht 
mit  Eunomios  verwechselte. 

Sozomenos,  der  anscheinend  die  quellen  beider  vor  sich 
hatte,  hat  weder  mit  ihren  angaben  auskommen  zu  können 
geglaubt,  noch  auch  der  combination  des  von  ihm  benutzten 

*)  Sievern,  Grundr.  2,  67  bezeichnet  sie  nur  als  'wahrscheinlich'. 

12* 


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180 


J OSTES 


Sokrates  getraut.  Er  hat  offenbar  noch  andere  nachrichten  ge- 
habt, die  mit  dieser  nicht  in  einklang  zu  bringen  waren.  Er 
übernimmt  dieselbe  zwar,  fügt  aber  hinzu,  dass  die  teilnähme 
des  Ulfilas  an  der  Arianersynode  von  3b'0  mehr  aus  Unvorsichtig- 
keit erfolgt  sei,  da  er  nach  wie  vor  kirchengemeinschaft  mit 
den  Nicänern  gehalten  habe.1)  Die  erzählung  von  dem  Über- 
tritte anlässlich  der  gesantschaft  und  den  religionsverhand- 
lungen  mit  den  arianischen  bischöfen  ist  ihm  ebenfalls  zweifel- 
haft vorgekommen,  sonst  würde  er  sie  nicht  mit  Xiytxai  ein- 
geleitet haben.  Wenn  dabei  irgendwie  ein  confessionelles 
interesse  ersichtlich  wäre,  könnte  man  verdacht  schöpfen. 
Aber  das  ist  nicht  der  fall:  Sozomenos  denkt  nicht  daran 
Ulfilas  für  seine  partei  in  anspruch  zu  nehmen.  Wann  aber 
grade  sein  übertritt  erfolgt,  das  war  nun  doch  sehr  gleich- 
giltig.  Dass  aber  die  bedenken  des  Sozomenos  nur  zu  gerecht- 
fertigt waren,  haben  wir  oben  gesehen. 

Offenbar  wusste  man  um  die  mitte  des  5.  jh.'s  in  den 
kreisen  dieser  schriftsteiler  nicht  mehr  genau  die  zeit,  in  der 
die  Goten  arianisch  geworden  waren,  sondern  nur  noch,  dass 
rifilas  den  anstoss  dazu  gegeben  hatte,  und  zwar  in  Constan- 
tinopel.  Angesichts  dieser  tatsache  und  den  übereinstimmen- 
den nachrichten  der  oben  genannten  Zeitgenossen  scheint  mir 
nur  eine  möglichkeit  übrig  zu  bleiben,  nämlich  anzunehmen, 
dass  Ulfilas  erst  im  jähre  388  in  Constantinopel  öffentlich  als 
mehr  oder  weniger  entschiedener  Arianer  aufgetreten  sei  und 
dass  der  übertritt  der  Goten  durch  sein  'testameutum'  ver- 
anlasst wurde.  Nimmt  man  das  an,  dann  wären  alle  Wider- 
sprüche gehoben  und  die  irrtümer  der  kirchenhistoriker  er- 
klärten sich  leicht.  Aber  dieser  annähme  steht  ein  zeuge 
entgegen:  der  schüler  des  Ulfilas,  Auxentius.  Es  ist  daher 
notwendig  auf  dessen  Schrift  hier  näher  einzugehen.  Kauf- 

*)"&2onfQ  dt  yaQiv  dnoAiöovg  Ovüktvxt,  xal  navxutv  y/Ao?  thai 
niaxov^itvoi,  ixotvwvtjoe  xijs  avxov  Hgrjoxfiaqt  xal  xovg  xti9ofttvin\; 
uvxvi  ßaQjictyovq  (ntt&$V  iv<h  pgovttv.  Ov  xnvzo  AI  ftovov  oiiiui  ahmr 
yiyovtv,  tloiu  vir  nüv  xb  <pv).ov  ngoaxt&ffvai  xoiq  ra  'Afttiov  tSn^citovotr. 
'AXXa  yag  xal  OvXyikaq  o  nag'  avxolg  xoxe  IfQiuftiioz,  xa  plr  nyojxa 
ovölv  AietptQero  TtQng  xijv  xa$6?.ov  txx?.tjoiav,  ini  61  xr/r  Kiovoxavxlov 
ßaai).flac,  dnfQiaxinxiog  oiftat  fttxaaywr  xoi$  d/itpi  EvAd^tor  xal  Axä- 
xmv  xiji;  iv  KtovoxavxtvovTtolci  ovvööov,  StifMtivf  xotrwruiv  xnig  itpovat 
Xiöv  ir  Ntxaitf  ovveMvxwv. 


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DAS  TODESJAHR  DES  ULFILA8  Ü.8.W. 


181 


mann1)  sagt:  'die  schrift  des  Auxentius  ist  also  eine  partei- 
schrift,  verfasst,  um  in  entscheidender  stunde  den  arianismus 
gegen  die  angriffe  der  durch  den  thronwechsel  plötzlich  zum 
siege  gelangten  Athanasianer  zu  verteidigen.  In  diesen  käm- 
pfen ist  die  geschichtsfälsehung  eine  gewöhnliche  waffe.  Ten- 
denziöse Sammlungen  von  briefen  und  actenstücken,  tendenziöse 
berichte  und  Protokolle  sollten  die  menge  gewinnen  und  vor 
allem  die  massgebenden  personell  im  kaiserlichen  palaste ' 
u.s.w.  AVenn  das  wahr  ist.  und  es  ist  wahr,  dann  tut  man 
doch  besser,  nicht  wie  Kaufmann  ohne  jede  weitere  prüfung 
trotzdem  zu  erklären:  'die  schrift  ist  der  lautere  ausdruck  des 
eindruckes  den  Auxentius  von  seinem  grossen  lehrer  empfangen 
hat*.  Ein  parteischriftsteller  darf  immerhin  doch  etwas  con- 
troliert  werden,  zumal  wenn  seine  Behauptungen  mit  unserm 
sonstigen  wissen  in  Widerspruch  stehen:  ganz  fehlt  es  uns 
hier  dazu  nicht  an  den  mittein. 

Sehen  wir  zunächst  einmal,  welches  bild  wir  aus  der 
darstellung  des  Auxentius  von  dem  theologen  llfilas  gewinnen; 
ich  führe  hier  einzelne  ausspräche  an,  denen  es  an  deutlichkeit 
nicht  fehlt: 

1)  qui  (deus  pater)  . . .  uniyenitum  demn  creavit  et  genuit, 
f'eeit  et  fundavit. 

2)  Omousionorum  odivilem  et  execrabilem,  prabam  et  per- 
versam  professionem  ut  diabolicam  adinventionem  et  demoniorum 
doetrinam  sprevit  et  caleuvit  . . .  sed  et  Omoeusianorum  errorem 
et  inpietatem  flevit  et  deritavit 

Omousionorum  sectam  destruebat.  quin  non  confusas  et 
eoneretas  personas,  sed  diseretas  et  distinctas  crcdebat  , . . 

4)  Secundum  Maeedonianam  fraudulentam  pravitatem  et 
pervvrsitatem  

5)  Omnes  haereticos  non  cristianos  sed  antecristos,  non 
pios  sed  impios,  non  rel'ujiosos  sed  inreligiosos ,  non  timoratos 
sed  temerarios,  non  in  spe,  sed  sine  spe,  non  cultores  dei  sed 
sine  dco,  non  doctores  sed  seduetores,  non  pracdicatores  sed 
praevariealores  adserehat,  sibe  Jfanieheos  sice  Marcionistas  sive 
Montan istas  sirc  Pauli  nianos  sive  Psabellianos  sive  Äntro- 
pianos  sive  Patripassianos  sive  Fotinianos  sive  Novatianos 

Z*.  fda.  27,  206. 


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182 


J OSTES 


sive  Donatianos  sive  Omousianos  sive  Omoeusianos  sive  Maee- 
donianos.  — 

6)  prabam  eorum  doctrinam  repellebat  . . .  lupos  graves  et 
canes,  malus  operarios  effuyabat. 

7)  Quia  et  una  est  eelesia  dei  viri  . . .  cetera  vero  \omnid\ 
convcnticula  non  esse  eclesias  dei  sed  synayoyas  esse  satanae 
adserebat  et  contestabatur.  Et  haec  omnia  de  dirinis  sribturis 
dixisse  et  nos  describsisse ,  qui  leyit  intelleyat.  Qui  et  ipsis 
tribtts  Unguis  plures  tractatns  et  mtritas  interpretationes  volen- 
tibus  ad  utilitatem  et  ad  aedificationem,  sibi  ad  aeternam  memo- 
riam  et  mercedem  post  se  dereliquid. 

Wenn  das  alles  wahr  sein  sollte,  was  Auxentins  hier  von 
seinem  lehrer  sagt,  dann  wäre  dieser  ein  denkbar  schroffer 
Streittheologe  gewesen,  der  jedem,  auch  unorthodoxen  anders- 
denkenden weder  luft  noch  licht  gegönnt  hätte.  Das  hätte 
dann  doch  aber  auch  kaum  unbekannt  bleiben  können,  und 
namentlich  würde  das  wol wollen  das  die  orthodoxen  kirchen- 
historiker  für  ihn  offenbar  haben,  sich  dann  nicht  erklären 
lassen.  Mir  erscheint  hier  aber  der  grosse  Ulfllas  zu  einem 
kleinen  Auxentius  gemacht  zu  sein,  und  das  ganze  bild  auch 
zu  einem  Arianer  der  alten  zeit  nicht  zu  stimmen. 

Angaben  wie  die  no.  3  sind  auch  höchst  sonderbar,  denn 
confusas  et  eoncretas  pcrsonas  nahm  auch  kein  Homousianer  an. 

Eine  behauptung  ist  aber  unter  den  obigen,  die  sicher 
unwahr  ist,  die  in  no.  1  enthaltene.  Die  worte  unigenitum 
deum  creavit  et  yenuit,  freit  et  fundavit  enthalten  das 
schiboleth  der  damaligen  strengen  Arianer,  und  wenn  llfilas 
deren  ansieht  in  diesem  punkte  geteilt  hätte,  dann  hätte  er 
als  ehrlicher  mensch  das  in  seinem  glaubensbekenntnisse  sagen 
müssen.  Das  hat  er  aber  nicht  nur  nicht  getan,  sondern  das 
glaubten  seine  Goten  selbst  zur  zeit  des  Theodoret  noch  nicht 
einmal,  obwol  sie  damals  schon  lange  aus  der  orthodoxen 
kirchengemeinschaft  ausgeschieden  waren.  Denn  dieser  sagt 
ausdrücklich  (4,33):  Ov  tvtxa,  fitxQi  xal  rrmtgov  oi  Fot&oi 
fitl^ova  fikv  top  jtattQa  Xtyovoi  rov  viov,  xtlofia  dt  tov 
vtov  tljtelv  ovx  uvixovrat ,  xaizoi  xoivcovovtnti;  rolg  Xi- 
yovot.  Die  übrigen  schüler  des  Ulfilas  dürften  demnach  doch 
wol  ganz  anderer  meinung  über  die  ansieht  ihres  lehrers 
gewesen  sein  und  das  auch  aus  dessen  'testaraent  '  nicht  haben 


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DAS  TODESJAHR  DES  ULF1LA8  U.8.W. 


18a 


entnehmen  können,  was  Auxentius  luce  clarins  darin  zu  finden 
vermeint. 

Und  wenn  es  nun  sicher  ist,  dass  die  angäbe  des  Auxen- 
tius über  die  Stellung  des  Ulfilas  (und  damit  auch  der  Goten) 
zu  der  fundamentallehre  des  damaligen  arianismus  (Arius 
selbst  war  so  weit  nicht  gegangen)  unrichtig  ist,  handeln  wir 
dann  noch  wissenschaftlich  correct,  wenn  wir  ihm  alles  andere 
trotzdem  ohne  weiteres  glauben?  Welche  beweise  bringt  er 
denn  für  die  geradezu  haudegenmässige  tätigkeit  seines  lehrers 
vor,  von  der  sonst  niemand  etwas  erwähnt?  Obwol  Ullilas 
zahlreiche  Schriften  in  drei  sprachen  hinterlassen  hat,  beruft 
er  sich  nicht  auf  eine  einzige,  sondern  nur  auf  das  von  ihm 
(in  dieser  schrift?)  mitgeteilte  mündliche  wort  desselben. 
Wenn  aber  ein  lehrer  eine  reihe  schriftlicher  werke  hinter- 
lässt,  so  tut  man  doch  gut  sich  auf  diese  zu  berufen:  gegen 
das  geschriebene  fällt  das  wort  eines  auch  noch  so  begeisterten 
schülers  nicht  sehr  ins  gewicht;  selbst  nach  einem  collegien- 
hefte  werden  sich  nicht  viele  lehrer  beurteilen  lassen  wollen, 
am  wenigsten  wenn  der  schüler  so  befangen  und  wenig  be- 
fähigt erscheint  wie  es  Auxentius  tatsächlich  tut.  Ein  ein- 
ziges schriftliches  Zeugnis  führt  dieser  allerdings  an:  das 
'testamentum';  und  wenn  man  erwägt,  was  ich  oben  über 
den  inhalt  beigebracht  habe,  dann  wird  man  sich  dem  ge- 
danken  nicht  verschliessen  können:  wenn  Auxentius  nichts 
anderes  für  seine  weitgehenden  behauptungen  beibrachte,  dann 
hat  er  sicher  wenigstens  nichts  besseres  anzuführen  gehabt! 
Ks  ist  übrigens  allgemein  angenommen,  soweit  ich  sehe,  dass 
die  schrift  des  Auxentius  im  wesentlichen  nichts  anderes  ist 
als  eine  ausdeutung  eben  dieses  Schriftstückes,  und  man  sollte 
doch  meinen,  dass  die  gewaltsamkeit,  die  dabei  zu  tage  tritt, 
unbegreiflich  wäre,  wenn  Ulfilas  die  ganze  lange  zeit  seines 
bischoftums  seine  ansichten  vor  aller  weit  klar  und  energisch 
zum  ausdruck  gebracht  hätte,  wie  das  nach  den  oben  an- 
geführten stellen  der  fall  gewesen  sein  müsste.  Das  konnte 
auch  damals  nicht  verborgen  bleiben,  und  wenn  es  bekannt 
war,  was  war  dann  noch  zu  beweisen?  Was  hätte  dann  über- 
haupt noch  die  ganze  schrift  sollen?  Warum  führt  Auxentius 
nicht  an,  dass  Ulfilas  sich  auf  den  synoden,  etwa  auf  der  der  ent- 
schiedenen Arianer  zu  Constantinopel  360,  so  gezeigt  hätte,  wie 


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184 


JOSTES 


er  ihm  gegenüber  persönlich  es  getan  haben  soll?  Tlfilas 
hätte  dann  jedenfalls  auch  das  symbolum  dieser  synode  unter- 
zeichnet und  sich  damit  angeeignet.  Dieses  aber  wäre  für 
den  zweck  des  Auxentius  jedenfalls  viel  brauchbarer  gewesen 
als  das  'testamentum',  abgesehen  davon,  dass  es  die  streng 
arianische  gesinnung  seines  lehrers  schon  23  jähre  früher  be- 
zeugt hätte.  Vergessen  geblieben  ist  dies  und  anderes  offenbar 
nicht,  offene  türen  werden  nicht  eingerannt,  sondern  man  fühlt 
'an  dem  herzschlag  des  mannes*.  dass  es  noch  keineswegs  so 
allgemein  anerkannt  war  was  er  behauptet,  er  will  die  leser 
oder  hörer  noch  erst  davon  überzeugen!  Auch  Kaufmann  sieht 
in  dem  Schriftstück  ja  eine  zu  einem  praktischen  zwecke  ver- 
fugte parteischrift,  und  solcher  bedurften  die  Arianer  383  sehr. 
Der  verlauf  des  concils  hatte  ihre  politische  bedeutung  so  gut 
wie  vernichtet;  sie  schickten  nach  allen  Seiten  briefe  an  ihre 
anhänger,  um  diese  darüber  zu  trösten,  dass  so  viele  zu  den 
Nicänern  übergetreten  seien, ')  als  sich  die  staatssonne  für  sie 
verfinsterte.  Bei  dieser  läge  der  dinge  dürfte  es  sehr  begreif- 
lich sein,  dass  man  einen  allgemein  hochgeachteten  mann 
—  und  dass  Ulfilas  das  war,  scheint  mir  noch  deutlich  genug 
aus  den  Worten  der  orthodoxen  kirchenhistoriker  herauszu- 
klingen  —  der  nach  dem  'testamentum'  nun  doch  nicht  mehr 
als  Parteigänger  der  orthodoxen  durchgehen  konnte,  der  partei 
der  allein  übrig  gebliebenen  Anomöer  zu  vindicieren  suchte, 
zu  der  er,  wie  allein  schon  die  spätere  Stellung  der  Goten 
zeigt,  sicher  nicht  gehörte.  Bei  Basilius  hätte  Auxentius  mit 
dem  gleichen  verfahren  mindestens  keine  grösseren  Schwierig- 
keiten gehabt  und  mit  leichtigkeit  bessere  beweise  für  seine 
behauptungen  beibringen  können  als  bei  Ulfilas. 

Man  braucht  bei  alledem  an  'fälschung'  (mit  deren  an- 
nähme man  hier,  freilich  nicht  bei  Auxentius,  sonst  nicht 
sparsam  gewesen  ist.  trotzdem  sich  kein  grund  dafür  finden 
Hess)  gar  nicht  einmal  zu  denken;  auch  in  jüngerer  zeit  lassen 
sich  bei  subjectiv  ehrlichen  Schreibern,  die  aufregende  kämpfe 
mitmachten,  wol  ähnliche  fälle  nachweisen,  l'lfilas  gehörte 
eben  einer  ganz  anderen  generation  an  als  Auxentius:  wenn 
auch  Philostorgios  uurecht  damit  hätte,  dass  er  ihn  durch 


»)  SokratesS,  10. 


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DAS  TODES.TAHK  DES  ULKILAS  f.  S.W. 


185 


Eusebios  von  Nikomedien  weihen  lässt,  so  können  wir  doch 
wol  annehmen,  dass  er  diesem  in  seinen  ansichten  nicht  allzu 
fern  stand,  dass  er  jener  mittelpartei  angehörte,  die  da  mit 
recht  oder  unrecht  annahm,  dass  man  sich  viel  zu  viel  um 
worte  streite.  Von  den  ganz  durch  die  Philosophie  des  Euno- 
mios  beherschten  Arianen  der  achtziger  jähre  war  diese 
partei  mindestens  so  weit  entfernt  wie  von  den  Athanasianern. 
Ulfilas  kam  dann  in  ein  amt,  das  ihm  ein  gerütteltes  und 
geschütteltes  mass  von  arbeit  und  mühsal  einbrachte.  Männer 
in  solchen  Stellungen  werden  keine  doctrinäre,  und  wenn  sie 
es  waren,  hören  sie  bald  auf  es  zu  sein.  Nichts  hören  wir 
davon,  dass  Tlfilas  sich  während  seiner  vierzigjährigen  amts- 
dauer  öffentlich  an  den  Streitigkeiten  jener  zeit  beteiligt 
hätte;  nur  von  einer  synode  wissen  wir  sicher,  dass  er  daran 
teil  genommen  hat,  aber  ihren  abschluss  hat  er  nicht  erlebt. 
Als  er  damals  am  ende  seines  lebens  in  Oonstantinopel  an- 
kam, mag  er  sich  als  zeuge  einer  längst  entschwundenen  zeit 
vorgekommen  sein  —  er  war  es  wirklich  — :  denn  wenn  auch 
vielleicht  im  lebensalter,  in  der  amtsdauer  war  ihm  kaum 
einer  voraus.  Die  mittelpartei  alten  Schlages  war  verschwun- 
den; als  ihre  Stellvertreter  konnten  etwa  die  Macedonianer 
allenfalls  gelten;  sonst  gab  es  nur  noch  versprengte,  die  nicht 
entweder  zu  den  Homousianern  oder  zu  den  Anomöern  ge- 
hörten, denn  die  Xovatianer  unterschieden  sich  in  ihren  lehr- 
meinungen  nicht  von  den  ersteren.  Vm  worte  stritt  man 
nicht  mehr:  was  nicht  bestimmt  und  klar  für  die  eine  oder 
andere  partei  sich  entschied,  das  verstand  man  nicht  mehr. 

Historisch  dachte  und  urteilte  die  junge  generation  nicht. 
Man  sieht  das  deutlich  bei  Maximin,  der  den  kirchenhistoriker 
Eusebios  zum  Parteigenossen  des  Palladius  macht,  man  sieht 
es  auch  bei  Auxentius,  der  dem  Hfilas  den  glauben  an  die 
creatürlichkeit  des  sohnes  zuschreibt !  Wenn  nur  etwas  nicht 
zur  Orthodoxie  jener  zeit  stimmendes  vorlag,  dann  war  man 
bald  damit  fertig,  den  Urheber  einer  zur  zeit  bestehenden 
partei  zuzuschreiben. 

Tebrigens  brauchen  wir  den  Auxentius  wahrhaftig  auch 
nicht  allzu  sanft  zu  behandeln:  eine  offenbare  Unrichtigkeit 
berichtet  er  zweifellos,  und  die  einzige  schriftliche  quelle  die 
er  anführt,  behandelt  er  durchweg  mindestens  sehr  gewaltsam. 


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186 


J08TES 


Er  ist  ein  ausgesprochener  tendenzschriftsteller,  zu  dessen 
gnnsten  wir  nicht  notwendig  haben,  von  den  urteilen  der 
übrigen  Zeitgenossen  abzusehen,  bei  denen  eine  tendenz  nicht 
sichtbar  ist. 

Streng  genommen  sagt  er  auch  gar  nicht,  dass  Ulfilas 
von  anfaiig  an  dem  arianismus  angehört  habe;  wenn  man  an 
und  für  sich  einen  ausdruck  auch  dahin  deuten  könnte,  so 
macht  es  der  ganze  bombastische  schwulst  seiner  spräche 
doch  unmöglich,  seine  worte  auf  die  goldwage  zu  legen. 
Belegen  kann  er  die  unorthodoxie  nur  von  dem  ende 
seines  lebens  mit  dem  'testamentum',  und  am  wenigsten 
dürfte  man  genötigt  sein,  aus  des  Auxentius'  worten  zu  fol- 
gern, dass  Ulfilas  niemals  mit  den  Xicänern  in  kirchen- 
gemeinschaft  gestanden  habe.')    Das  glaubensbekenntnis 

')  Man  hat  freilich  auch  in  der  bibelübersetzung  ein  Zeugnis  für  den 
arianismus  des  Ulfilas  sehen  wollen:  ich  glaube,  mit  unrecht.  Man  wirft 
ihm  damit  doch  vor,  dass  er  absichtlich  falsch  übersetzt  habe,  und  einen 
solchen  Vorwurf  soll  man  ohne  not  überhaupt  nicht  erheben.  Wollte  er 
fälschen  zu  gnnsten  seiner  partei,  dann  hätte  er  grade  die  stelle  nehmen 
müssen,  welche  die  Homousianer  am  meisten  betonten:  Joh.  10.30  iyat  xai 
»  natifQ  ¥v  ta,ufr:  aber  da  übersetzt  er  ganz  wörtlich:  ik  iah  atta  meitus 
uin*  xijtt.  Dieser  fall  sollte  «loch  von  vornherein  daran  zweifeln  lassen, 
dass  er  bei  Pliilipper  2. «'»  (iou  Öftji  =  guleiko  gußu)  anders  verfahren  sei. 
l'm  aber  herauszubringen,  dass  'gleich'  im  gotischen  nicht  dasselbe  be- 
deutet habe  wie  jetzt,  construiert  man  willkürlich  einen  unterschied 
zwischen  den  Zusammensetzungen  mit  ga-  und  sama-.  Schon  (irimm  ist 
darüber  stillschweigend  hinweggegangen,  indem  er  Gr.  2.  740  sa^t:  'man 
halte  epun-alt  zu  ki-alti  »,  rpun-Uh  zu  ka-Uh,  epun-hlozo  zu  ki-Mozo,  xin-hii  an 
(coninges)  zu  gi-hdeihi  für  guuwto  setzt  Otfrid  (5,0.18)  xuinati-xindo'. 
Auch  gotisch  ist  der  unterschied  nicht  vorhanden,  wenigstens  ans  dem 
sprach^ebrauche  des  l'lfilas  nicht  festzustellen.  Pas  wort  i'oo$  kommt  über- 
haupt nur  selten  im  N.T.  vor  (viermal  als  adjectiv.  einmal  iaovuy/f/.ot 
und  zweimal  Ajo'rr/c).  Davon  fehlen  indes  im  gotischen  mehrere  fälle.  In 
den  erhalteneu  ist  das  adjectiv  nicht  zweimal  gleich  übersetzt: 
Luc.  0,  34  tu  i'ou  =  xantalauil]  Luc.  20,  3»'»  ioovnyyf/.ot  ~  ihn  uns 
uggdum  und  Phi). 2,0  toa  &ttp  =  galeiko  gujju.  Noch  mehr:  Phil.  3,  32 
gibt  ibnaskauii*  ov/unfoyo^.  dagegen  Kömer  l.V,0  gawüjis  bno&vf*aö6v 
wider.  Lucas  0.  20  übersetzt  sumuleikn  sogar  xatlc  tu  uvxat  während 
es  sonst  auch  mehrfach  bfiotwQ  widergibt,  l'nd  wenn  guleiks  nur  ähn- 
lich' hiesse,  dann  könnte  mixsaltiki  auch  nur  di**hnili*  und  nicht  rariux 
bedeuten.  An  den  drei  stellen  wo  es  vorkommt  (Marc.  1.34.  Luc.  4, 40. 
2.  Tim.  3,  fi)  entspricht  es  aber  stets  dem  griechischen  nmxiko*.  Für  die 
bedeutuug  von  mma-  ist  besonders  die  stelle  Phil.  2,  2  interessant;  at'/u- 


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DAS  TODESJAHR  DES  ULFILAS  T.S.W 


187 


des  rifilas  konnte  zur  zeit  seines  amtsantrittes  ganz  wol  als 
orthodox  gelten;  wegen  seiner  logoslehre  brauchte  er  aus  der 
orthodoxen  kirchengemeinschaft  nicht  auszuscheiden,  und  über 
das  wesen  des  hl.  freistes  wurde  derzeit  noch  nicht  gestritten. 
Aber  während  seiner  vierzigjährigen  amtstätigkeit  hatte  sich 
vieles  geändert,  und  383  konnte  das  'testamentum'  schlechter- 
dings nicht  mehr  als  orthodox  angesehen  werden,  und  wenn 
sich  die  gotische  geistlichkeit  auch  auf  den  Standpunkt  des- 
selben stellte,  dann  wurde  eine  trennung  von  der  katholischen 
kirche  unbedingt  notwendig.  Ich  glaube,  dass  wir  diese  f ac- 
tische trennung  unmittelbar  nach  dem  tode  des  rifilas  anzu- 
setzen haben;  erscheint  meine  annähme  zu  kühn,  nun,  ich  bin 
zufrieden,  wenn  die  Untersuchung  von  jemand  wider  auf- 
genommen wird,  der  mit  den  Verhältnissen  jener  zeit  vertrauter 
ist  als  ich  es  bin  und  meine  Vorgänger  es  waren. 

tyvxoi,  ro  ¥v  (pQOvovvzeq  —  Hain  amiualat ,  HamafraPjai.  Wahrlich, 
Massmann  hat  seine  durchaus  richtige  ansieht  Castiglione  viel  zu  leicht 
preisgegeben  —  Dass  der  Hebräerbrief  fehlt,  beweist  nichts;  einmal  braucht 
er  in  der  Übersetzung  nicht  gefehlt  zu  haben,  wenn  er  auch  in  der  einen 
oder  anderen  handschrift  fehlt,  und  dann  bringt  unsere  handschrift  auch 
nur  die  paulin ischen  briefe,  und  zu  diesen  rechneten  anch  die  ortho- 
thodoxen  den  Hebräerbrief  nicht  allgemein.  Noch  zur  zeit  des  Hieronymus 
gab  es  hier  meinungsverschiedeuheiten ;  er  selbst  denkt  ausser  an  Paulus 
auch  an  Lukas  als  autor. 


FREIBURG,  Schweiz. 


FRANZ  JOSTEN. 


ZUR  GOTISCHEN  ETYMOLOGIE. 


1.  Aha.  In  meinem  Etym.  wb.  habe  ich  zweifelnd  die 
alte  erklärung  dieses  Wortes  (zu  ahd.  uobo,  uoban  O.8.W.)  an- 
genommen, weil  ich  eben  nicht  im  stände  war  etwas  neues 
und  besseres  zu  geben.  Es  soll  aber  eine  andere  möglichkeit 
in  betracht  gezogen  werden,  nämlich  dass  aba  ursprünglich 
ein  onomatopoeticum  mit  einer  allgemeineren  bedeutung  als 
'ehemann'  gewesen  sein  könnte.  Das  vorgerm.  *apä  'vater, 
lieber'  u.s.w.  wäre  dann  in  die  analogie  der  n-  Stämme  ge- 
raten, wie  es  mit  dem  nach  der  laut  Verschiebung  neu  gebil- 
deten atta  (s.  mein  Etym.  wb.  s.  v.)  tatsächlich  der  fall  ist.  Apd 
wäre  ein  ähnliches  lall  wort  wie  gr.  xdjtjta,  jtajtxos,  türk.  bal>a. 
maori  papa  u.  dgl.  Oder  dürfen  wir  an  eine  koseform  zu  *p9t4r- 
denken  (vgl.  Fick  1  <.  470)?  Hezzenberger  (BH.  21.  290  anm.2) 
fragt  jetzt ,  ob  aba  aus  *o?vm-  entstanden  und  mit  lit.  itszvis 
•Schwiegervater'.  «W  'Schwiegermutter'  verwant  sei.  Weil 
diese  Vermutung  auf  einer  unrichtigen  Voraussetzung  beruht, 
dürfen  wir  sie  mit  bestinimtheit  ablehnen:  aus  *ohun-  hätte 
im  germ.  nur  *a(y)iccn-,  niemals  aber  *at>en-  werden  können. 

2.  Jirnjts.  Das  unerklärte  brftfti-  kann  ursprünglich  ein 
verbalabstractum  gewesen  sein  und  etwa  •Versprechung,  Ver- 
lobung* bedeutet  haben.  Dass  solche  abstracta  oft  auf  per- 
sonell übertragen  wurden,  ist  eine  bekannte  tatsache.  vgl. 
z.  b.  aind.  tirati-  •feindseligkeit '  und  'feind',  russ.  nänovl 
•schwäche,  krankheit"  und  'schwacher,  kranker".  Besonders 
lehrreich  in  dieser  hinsieht  ist  Wolter,  Kazyskanija  po  voprosu 
o  grammaticeskom  rode.  St.  Petersburg  1 882.  Es  liegt  darum 
nahe  in  braßt-,  das  auf  *mrnii-  zurückgehen  kann,  eine  abstract- 
bildung  zu  aind.  brdnmi,  avest.  mraomi  zu  vermuten.  Indog. 
*mrüti-  wäre  eigentlich  Sias  sprechen',  woraus  sich  die  bedeu- 
tungen  •Verabredung,  Versprechung,  Verlobung'  entwickelt  hätten. 


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ZUR  O OTISCHEN  ETYMOLOGIE. 


180 


8.  Fagrs.  Neben  fayra  und  *flkfjan  (indog.  *>%-)  steht 
bekanntlich  eine  wurzelvarietät  mit  indog.  media  im  anstaut 
Dazu  gehören  ausser  lat.  pango,  gr.  xrtfi'vftt  und  aind.  pajrd- 
noch  einige  slavische  Wörter  welche  bis  jetzt  als  isoliert  be- 
trachtet werden,  nämlich  russ.  slow  paz  'fuge',  slow  paz,  wend. 
pazen  'bretterwand*  u.  s.  w.  (s.  Miklosich  234),  deren  bedeu- 
tungen  sicli  nahe  mit  denen  von  hd.  fach  (s.  Kluge 5  95)  be- 
rühren. 

4.  Galya.  Auffällig  anklingend  an  got.  galya  (urverwant 
mit  lit.  zalya,  armen.  dzaXk  'stange')  ist  ein  lesghisches  wort 
für  'bäum',  nämlich  Varkun  kalka,  Akusa  galyi,  chürkilinisch 
galya  (von  Erckert,  Die  sprachen  des  kaukasischen  Stammes  44). 
Loewe  (IF.3, 146 f.)  hat  zwei  gotische  lehnwörter  im  ossetischen 
nachgewiesen  {yau,  qau  'dorf  aus  yawi  und  mid  'met,  honig' 
aus  *midus),  was  uns  auf  den  gedanken  bringt,  ob  auch  dieses 
kalka,  yalgi,  yalya  nicht  etwa  ein  lehnwort  aus  dem  gotischen 
sein  könnte.  Man  hätte  wol  ossetische  vermittelung  anzu- 
nehmen. Ein  anderes  gotisches  wort  im  Kaukasus  wäre  viel- 
leicht kabardinisch  jrrade  'garten'  (von  Erckert  a.a.O.  70), 
tschetschenisch  kart,  kerth  'zäun,  cinfassung'  (von  Erckert 
a.  a.  o.  155),  vgl.  got.  yards,  yarda. 

5.  (iunds.  Ausser  gr.  xai&vX?},  das  Holthausen  (KZ. 
28.282)  herangezogen  hat,  sind  vielleicht  noch  russ.  zud  'das 
jucken',  zudetl  'jucken'  hierher  zu  stellen,  welche  auf  *zadü, 
*zade'ti  zurückgehen  können.  Der  grundbegriff  wäre  etwa 
'hautentzündung'. 

0.  Hana  :  hön.  Es  kann  kaum  bezweifelt  werden,  dass 
as.  hön,  ahd.  huon  eine  vrddhi  -  ableitung  von  hana  ist.  Dass 
nicht  nur  das  arische  (wie  von  Bradke,  ZDMG.  40,  301  ff.)  an- 
nimmt), sondern  auch  schon  die  indog.  Ursprache  secundäre 
ableitungen  mit  vrddhi  bildete,  meist  mit  adjectivischer  oder 
collectiver  bedeutung,  darf  für  sicher  gelten  (s.  Kechtel,  Haupt- 
probleme 175  f.  Streitberg,  IF.  3, 379  ff.),  und  es  gibt  gute  gründe 
anzunehmen,  dass  hana  schon  ursprachlich  eine  wilde  hühner- 
art  bezeichnet  hat  (s.  Schräder.  Sprachvergleichung  und  Ur- 
geschichte2 300,  vgl.  Hehn*  328.  580).  Ein  schlagendes  beispiel 
von  secundärer  vrddhi  ist  aksl.  slava  'rühm'  :  sloco  'wort'. 
Slovo  ist  bekanntlich  ein  «-stamm  (gen.  slovtse)  und  identisch 
mit  aind.  crdvas,  avest.  sravah-,  gr.  xXioc,  weshalb  ich  slava 


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190 


tJHLENBHCE 


auf  indog.  *klo~uös  zurückführe,  das  eine  collect ive  ableitung 
von  indog.  *kleuos  war  (zum  teil  anders  Meillet,  Mem.  de  la 
soc.  de  ling.  9, 146).  Im  auslaut  musste  das  s  im  slavischen 
verloren  gehen,  wodurch  der  tibertritt  von  slara  in  die  «-klasse 
veranlasst  wurde.  Aehnlich  ist  der  ursprüngliche  r- stamm 
roda  4  wasser',  nachdem  das  auslautende  r  von  indog.  *uadör 
(vgl.  gr.  Ua>Q)  geschwunden  war,  in  die  ä-klasse  übergegangen. 
Ausser  slara  möchte  ich  auch  slav.  *labadt  (poln.  labedz,  kasub. 
labqdz  u.s.w.)  :  hbedr  'schwan'  als  eine  secundäre  vrddhi-ab- 
leitung  auffassen,  zumal  weil  das  gegenseitige  Verhältnis  dieser 
beiden  Wörter  lebhaft  an  dasjenige  von  huhn  zu  hahn  erinnert: 
nur  ist  zwischen  *labadl  und  lebedl  (urverwant  mit  ahd.  clbiz, 
ags.  ielfetu,  an.  elptr,  olpt,  gegen  Miklosich  162)  kein  bedeu- 
tungsunterschied  nachzuweisen.  Vgl.  noch  fälle  wie  slav. 
bagno  'sumpf  :  ahd.  bah,  ahd.  brtwh  :  aind.  giri-bhrdj-,  ahd. 
muor  :  meri,  ahd.  luoy  :  aksl.  -logü,  an.  not  :  net,  mhd.  buost  : 
bast,  ahd.  nodal  :  adal,  mhd.  gruose  :  gras  u.  a.,  welche  zum 
teile  schon  von  andern  hervorgehoben  sind.  Besonders  sei 
noch  got.  wöhrs  'wucher',  ahd.  wuohhar  'ertrag,  gewinn,  nach- 
kommenschaft'  genannt,  das  sich  durch  seine  bedeutungen  als 
ein  collectivum  zu  erkennen  gibt.  Am  nächsten  steht  apers. 
vatrka-,  npers.  bueurg  'gross',  vgl.  ferner  aind.  rdjra-,  avest. 
razra-  'keule,  donnerkeil'  :  die  Wörter  gehören  mit  hd.  waclien, 
wachsen,  wacker  (s.  Kluge5)  zu  einer  und  derselben  wurzel. 
Beiläufig  weise  ich  noch  hin  auf  die  analoge  bedeutungsent- 
wicklung  von  pehlevT  vax$  (~  avest.  raxsa-  :  uxfyeiti,  aind. 
ükshati,  gr.  at£co,  got.  wahsjan),  das  nicht  nur  'anwachs,  zu- 
nähme, Sonnenaufgang',  sondern  auch  ganz  wie  hd.  wucher 
•anwachs  des  capitals,  Zinsen'  bedeutet.  Ich  schliesse  diese 
erörterung  über  indog.  vrddhi  mit  einem  erklärungsversuche 
von  ahd.  muos,  as.  mos,  ags.  mos  'gekochte  speise,  speise'. 
Dieses  wort  kann  nämlich  auf  indog.  *mätso-  zu  aind.  mdisya-, 
avest.  masya-  'fisch'  beruhen,  welches  nach  alter  annähme 
zur  sanskritwurzel  mad  'sättigen'  gehört  und  einmal  die  all- 
gemeine bedeutung  'speise'  gehabt  haben  wird.  Dass  ein 
wort  für  'speise'  die  specialisierte  bedeutung  'fisch'  annehmen 
konnte,  beweisen  gr.  lx&vc,  lit.  £ur)s  und  armen,  dzukn,  deren 
aind.  verwanter  kshü-  nach  der  tradition  ein  synon)Tn  von 
Unna-  ist. 


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ZUR  GOTISCHEN  ETYMOLOGIE. 


101 


7.  Hau  i.  Jetzt  stelle  icli  tatet,  an.  hey,  ags.  hkg,  ahd. 
kern,  hon  zu  niss.  kovylr  'federartiges  pfriemengras  in  den 
steppen1,  wobei  eventueller  Zusammenhang  mit  an.  hoggra,  ags. 
hcatvan,  ahd.  houivan,  lit.  kdttti,  aksl.  kovati  natürlich  nicht 
ausgeschlossen  ist.  Trifft  meine  Vermutung  das  richtige,  so 
muss  lit.  szekas,  aind.  gäka-  ferne  bleiben.  Gr.  xoln,  noa 
darf  auf  keinen  fall  herangezogen  werden,  denn  durch  lit. 
p'eva  'wiese'  ist  das  anlautende  n  als  indog.  p  gesichert  (s. 
Kretschmer,  Einleitung  in  die  geschiente  der  griech.  spräche 
s.  168). 

8.  Lamb.  Mikkola  (BB.  21,  219  f.)  vergleicht  lett,  löps 
'hausvieh',  das  auf  *lampas  zurückgeht.  Von  urverwantschaft 
kann  freilich  keine  rede  sein,  denn  lamb  war  ursprünglich  ein 
neutraler  s-  stamm  und  also  wurzelbetont.  Aus  vorgerm. 
*lotnpes-  konnte  aber  nicht  germ.  *lambis-  hervorgehen,  wes- 
halb wir  vielmehr  *lömbhes-  als  grundform  ansetzen  müssen. 
Dass  lamb  ursprünglich  ein  oxytoniertes  collectivum  gewesen 
sei,  wie  Mikkola  annimmt,  lässt  sich  durch  nichts  wahrschein- 
lich machen,  denn  in  allen  germ.  sprachen  wird,  so  viel  ich 
sehe,  nur  das  einzelne  tier  damit  bezeichnet,  Ist  lett.  löps 
wirklich  mit  lamb  identisch,  so  wird  es  wie  finn.  lammas, 
lapp.  labbas  aus  dem  germ.  entlehnt  sein  (von  collectiver  be- 
deutung  ist  auch  im  finnisch-lappischen  keine  spur,  s.  Thomsen, 
Den  got.  spr.  indflydelse  128). 

9.  Stikls.  Schon  früher  habe  ich  für  stikls  slavischen 
Ursprung  vermutet,  Jetzt  stelle  ich  aksl.  sttklo  'glas'  (die 
materie)  zu  einer  wurzel  *stek-  'fest  sein,  starr  sein,  spröde 
sein',  wobei  das  r  als  Schwächung  von  e  zu  betrachten  ist:  vgl. 
lett,  stakans  'trinkglas',  stakle,  staklis  'gabel,  zacke,  zinne,  ge- 
rüste'  iL  s.w.,  avest.  stayra-  'steif,  fest',  vielleicht  auch  apr. 
•stachln,  ahd.  stahal  'stahl'.  Zubaty  (Sitzungsberichte  der  kgl. 
böhm.  ges.  16  [1895],  18)  hat  neuerdings  diese  sippe  besprochen 
und  sie  in  einen  weiteren  Zusammenhang  einzureihen  versucht. 
Russ.  stakän  'trinkglas'  dürfte  nach  ihm  baltischen  Ursprungs 
sein:  ist  aber  stiklo  echt  slavisch  (\it. stiklas  ist  daraus  entlehnt), 
so  liegt  es  nahe  auch  russ.  stakdn  für  einheimisch  zu  halten. 

10.  Pragjan.  Gegen  die  oft  angenommene  verwantschaft 
von  pragjan  mit  gr.  rp^tw,  fut.  ftotgouai  spricht  ein  wort  für 
'töpferscheibe',  nämlich  gr.  rpo^o<?,  armen,  durgn,  welches  kaum 


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192 


UIILKXBECK 


von  T()ixa>  getrennt  werden  darf.  Dtirgn  weist  auf  eine  wurzel 
mit  dh  und  gh  (s.  Hübschmann,  Armen.  Studien  28),  weshalb  wir 
TQix<n  auf  *dhreghö,  nicht  aber  auf  *threkhö  zurückführen 
müssen.  Auch  was  den  vocalismus  betrifft,  ist  es  nicht  un- 
bedenklich, pragjan  mit  rot/co  zu  verbinden,  denn  die  zu 
ersterem  gehörigen  keltischen  Wörter  scheinen  auf  eine  ff-wurzel 
hinzuweisen  (s.  Whitley  Stokes,  Urkelt.  Sprachschatz  13G,  der 
daneben  ein  kelt.  treg-,  trog-  Wertere'  annimmt). 

11.  Wamba.  Pedersen  (BB.20,238)  wird  mit  seiner  glei- 
chung  wamba  :  aind.  gahhä- '  Vulva'  doch  das  richtige  getroffen 
haben;  dann  aber  müssen  cymr.  gumbe-,  bret.  gwamm  wol  aus 
dem  germ.  entlehnt  sein.  Wamba  und  gabhd-  gehören  zur 
wurzel  *ghembh-  1  klaffen '  (in  meinem  Et.  wb.  s.  v.  wamba  ist 
natürlich  zu  lesen:  'aus  velarem  gh1),  welche  noch  folgenden 
Wörtern  zu  gründe  liegt:  aind.  gabhird-,  gambhird  'tief,  gdm- 
bhan-  'tiefe,  grund',  gambhdra-  'tiefe',  poln.  geba,  czech.  huba 
'maul',  russ. giiba  'lippe',  slov.gdbec  'maul'  (anders  Fick  l4,  33). 

12.  Wandus.  Got.  wandus,  an.  rgndr  'rute'  wird  meist 
zu  windan  gestellt,  wofür  allerdings  die  bedeutungen  der  lehn- 
worter finn.  ranne  'vimen  vel  circulus  ligneus,  quo  vasa  eou- 
stringuntur'  und  läpp,  rttodda  'ligamen  calceamenti'  (die  ent- 
lehnung  des  letzteren  ist  freilich  nicht  sicher,  s.  Thomsen 
a.  a.  o.  158)  zu  sprechen  scheinen.  Nun  ist  aber  wind-  wahr- 
scheinlich aus  *wmd-  entstanden  und  aus  der  wurzel  *uex-  in 
aind.  rdtjati,  lat.  viere,  lit.  ryti,  aksl.  viti  weitergebildet  (wozu 
vermutlich  noch  waddjus  und  wein:  s.  über  letzteres  Schräder 
a.  a.  o.  408  f.  Jensen,  ZDMG.  48,  464  f.),  welchenfalls  der  ablaut 
wind-,  wand-,  wund-  nicht  ursprünglich  sein  kann.  Wandus 
hat  aber  einen  durchaus  altertümlichen  Charakter,  denn  die 
M-klasse  ist  auf  germ.  boden  keine  produktive  kategorie  ge- 
wesen. Es  dürfte  also  kaum  zulässig  sein,  wandus  als  eine 
ableitung  von  windan  zu  betrachten,  und  wir  müssen  uns  nach 
einer  besseren  erklärung  umsehen.  Eine  solche  bietet  sich  aber 
ungesucht  dar,  denn  wandus  kann  als  'dasjenige,  womit  man 
schlägt'  zu  aind.  vadh-  'schlagen'  gehören  (indog.  *uendh-, 
*twndh-,  *undh-).  Sind  vielleicht  auch  wunds,  wundufni  hier- 
her zustellen,  deren  verwantschaft  mit  lit.  votis  u.s. w.  jeden- 
falls nicht  für  sicher  gelten  darf?  •Wund'  wäre  also  eigent- 
lich 'geschlagen,  zerschlagen'. 


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MXSt'ELLBir 


19a 


13.  Wnpjan.  Got.  wöpjan,  an.  dpa,  ahd.  wuoffan  d.s.  w. 
habe  ich  in  meinem  Et.  wb.  nicht  erklären  können.  Jetzt 
identificiere  ich  es  mit  slav.  räbiH  'heranlocken,  herbeirufen'. 
In  lit.  vajwti  'schwatzen,  plappern'  könnte  vielleicht  eine 
wurzelvarietät  mit  tenuis  im  auslaut  vorliegen  (vgl.  noch 
aksl.  rupiti  'schreien');  eher  ist  es  aber  eine  ähnliche  ono- 
matopoetische Schöpfung. 

14.  Zum  Schlüsse  berichtige  ich  zwei  störende  fehler  in 
meinem  Et.  wb.  der  got.  spräche:  s.  v.  hneiwan  lies  germ. 
Vmeigtr-  (statt  *yneiyw-\  s.  v.  sihtbr  lies  2iußQoc  (statt  27/1- 
ßQog).  Unter  Ufa  hätte  noch  kurd.  lapk  'pfote1  (Justi  bei 
Kretschmer  a.a.O.  102),  unter  skaban  noch  pers.  siknftan  'spal- 
ten' (Xöldeke,  s.  Horn,  Neupers.  etym.  175,  vgl.  Hübschmanu. 
Pers.  Studien  80)  erwähnt  werden  sollen.  Auch  ist  s.  v.  stiur 
J.  Schmidts  meinung  (Die  Urheimat  der  Indogermanen  7)  nicht 
genau  widergegeben:  nur  ein  teil  der  indog.  stiernamen  (xüvqoq 
u.s.w.)  könnte  nach  ihm  aus  dem  semitischen  stammen. 

AMSTERDAM,  mai  1896.  C.  C.  UHLENBECK. 


MISCELLEN. 

1.  Zur  lehre  von  den  geminaten. 

Die  urgerm.  geminaten  hh,  ff,  ß]>  und  gg,  bb,  dd  sind  nicht 
auf  lautgesetzlichem  wege  zu  stände  gekommen,  sondern  con- 
taminationsproducte  von  kk,  pp,  tt  mit  h,  f  p  und  g,  bt  d  (s. 
Kluge,  Beitr.  9,  176  f.).  Das  einschlägige  material  aus  den 
agerm.  sprachen  hat  Kluge  (a.  a.  o.  s.  157 — 162)  zusammen- 
gestellt und  zum  teile  erklärt,  es  bleibt  aber  noch  vieles 
etymologisch  dunkel.  Einige  der  hierher  gehörigen  fälle  auf 
ihren  Ursprung  zu  prüfen,  habe  ich  mir  im  folgenden  zur 
aufgäbe  gestellt. 

I.  Wörter  mit  hh,  ff,  ]tp. 

Ags.  teohhian,  mhd.  zechen  'anordnen'  neben  ags.  teon,  ahd. 
gizehön  können,  wie  Kluge  (Et.  wb.5  414)  annimmt,  mit  got. 

Beitr&ge  sur  «eiehiobu  der  deuticheu  ipnche.   XXII.  13 


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l'HLKNBKCK 


tetva  'Ordnung',  (jafewjan  'verordnen',  ags.  getane  'rüstung', 
tdwian  'bereiten'  auf  eine  wurzel  *d?q-  hinweisen,  deren  exi- 
stenz  aber  durch  keine  andere  spräche  gestützt  wird:  gr. 
ötlxvov  ist  jedenfalls  ferne  zu  halten,  denn  es  beruht  auf 
einer  wurzel  mit  auslautendem  p  (s.  Prellwitz  s.  70).  Darum 
ziehe  ich  es  vor,  tcwa  und  seine  nächsten  verwanten  mit 
taujan  zu  verbinden  und  teohhian  —  zecJien  auf  die  indog. 
wurzel  *deh  zurückzuführen,  von  welcher  in  mehreren  sprachen 
ableitungen  vorliegen:  s.  Fick4s.  66  und  Prellwitz  s.  70.  Hier 
seien  nur  diejenigen  erwähnt,  deren  bedeutung  am  nächsten 
mit  der  von  gerat.  teyj-,  übereinstimmt.  An  erster  stelle 
muss  lat.  decus  genannt  werden,  dem  aind.  dacas-  in  dacasydti 
'leistet  dienste,  verehrt,  ist  gefällig'  vollkommen  entspricht. 
Auch  aind.  dueü  'zustand,  läge'  erklärt  sich  aus  dem  begriffe 
der  'ordnung'  und  dasselbe  gilt  vielleicht  von  dem  gleich- 
lautenden worte,  das  'die  am  ende  eines  gewebes  hervor- 
ragenden zettelfäden,  fransen,  Verbrämung  eines  gewandes' 
u.  dgl.  bedeutet:  man  wird  es  dann  freilich  von  got,  tagt 
trennen  müssen.  Die  dehnstufe  der  wurzel  liegt  vor  iu  aind. 
drirati  'beweist  ehre,  bringt  verehrend  dar,  gewährt,  verleiht', 
dessen  ältere  bedeutung  wol  'ordnet  an'  gewesen  ist.1) 


[')  Mir  sind  beide  etyniologien,  die  alte  wie  die  neue,  verdächtig,  weil 
wie  ich  glaube  zeche  und  sippe  mit  not  wendigkeit  auf  eine  /-wurzel  zurück- 
geführt werden  müssen.  Das  deutsche  zeche  bietet  mit  seinein  e  natürlich 
keinen  beweis  für  eine  e-  wurzel.  Dagegen  sind  die  spätws.  formen  tcohh, 
teohhian  etc.  nur  die  gewöhnlichen  spätformen  für  älteres  liohh  etc.,  das 
durch  h  -  brechung  aus  *tihh  entstanden  ist.  Dies  folgt  direct  aus  der  angl. 
forin  ^etihhode  im  leben  des  hl.  Ohad.  Anglia  10,  143,  86,  deren  i  innerhalb 
des  angl.  eben  nur  auf  vorags.  t  zurückgehen  kann.  Man  könnte  nun 
freilich  dies  i  durch  annähme  eines  i'-umlaiits  (*tihhj~  ans  *tehhj-)  erklären 
wollen.  Dem  widersprechen  aber  die  altws.  formen.  Von  den  altws.  texten 
hält  nämlich  die  t  ura  pastoralis  auch  noch  den  später  im  südengl.  schwin- 
denden unterschied  zwischen  io  und  eo  (vgl.  Beitr.  18.411  ff.)  so  ziemlich  fest. 
Das  wort  erscheint  aber,  s.  Cosijn  1,  40  f.,  in  C  2  mal  mit  io,  1  mal  mit  eo, 
in  H  aber  13  mal  mit  io,  3  mal  mit  eo.  Das  io  aber  schliesst  die  annähme 
eines  /-umlauts  aus,  da  in  diesem  falle  *tiehh-,  *tihh-  zu  erwarten  wäre. 
Ebensowenig  fordern  die  kent.  formen  tihhap,  tihodon,  ^eiihhod,  die  im 
Boethius  begegnen,  die  annähme  eines  solchen  umlauts.  da  ja  auch  sonst 
altes  io  (nicht  eo)  später  mit  y,  i  wechselt  (am  nächsten  liegt  hier  spätws. 
Hiyr  neben  meox  aus  mio.e  mist).  Freilich  hat  derselbe  Boethius  auch  die 
formen  tehhafi,  jetehhod:  aber  die  brauchen  bei  einem  so  mit  kenticismen 


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MI8CKM.KN. 


195 


Ags.  nuhhunj  Rabies'  und  mhd.  ivüchzen  'brüllen'  scheinen 
mit  got,  auhjfm  (aühjün?) 'lärmen'  verwant  zu  sein,  womit  man 
lett.  auka  *  Sturmwind',  serb.  üka  'geschrei'  und  andere  Wörter 
vergleicht.  Der  onomatopoetische  Charakter  von  wuhltung  u.s.w. 
macht  es  unmöglich,  mit  Sicherheit  verwante  ausserhalb  des 
germ.  nachzuweisen.  Gewis  erst  im  germ.  gebildet  sind  ags. 
cohhettan,  nl.  kuchen,  hd.  keuchen  und  ags.  ceahhettan,  mhd. 
kochen,  kachzen.  Dagegen  geht  die  sippe  von  ags.  pohha  (s. 
Franck  s.  745  s.  v.  pok)  in  ein  höheres  altert  um  zurück,  denn 
lat.  bucra,  büvina,  gr.  ßvxdvrj  u.s.w.  setzen  eine  indog.  wurzel 
*buk-  'aufblasen'  voraus. 

lieber  ags.  seohhe,  geneahhe,  *sihhian  (engl,  siyh),  ahd.  seh, 
scahho,  zuhha  s.  Kluges  aufsatz  und  über  das  rätselhafte  ags. 
reohha,  rohhu  s.  Franck  s.  803  s.  v.  roy.  Zur  erklärung  dieser 
Wörter  weiss  ich  nichts  neues  zu  sagen. 

Ags.  woffian  'delirare,  lärmen'  stellt  sich  zu  aksL  vüpiti 
'schreien',  rüpll  'schrei',  rypü  'larus'  welche  natürlich  von 
got.  tcöpjan  zu  trennen  sind  (s.  über  wöpjan  oben  s.  193). 

Ags.  lyffettan  'schmeicheln'  ist  ein  schwieriges  wort:  das 
ff  weist  auf  einen  alten  Wechsel  pp  :  /'  aus  indog.  im  :  p,  wes- 
halb man  nicht  an  verwantschaft  mit  got.  Hufs,  lat.  labet,  aind. 
lubh-  u.  s.  w.  denken  darf  (ebensowenig  ist  got.  lubja-,  air.  luib 
heranzuziehen). 

Nicht  viel  besser  steht  es  mit  ags.  wlceffetere  'narr'  (?) : 
man  könnte  an  die  indog.  wurzel  *uelep-  anknüpfen,  vgl.  lat 
rolup,  voluptäs,  gr.  iXxlq,  iXjtwQ^,  Unikat,  tXxofiai  (wozu  auch 
eiXaxlvTj  'festschmaus'). 

Ags.  hoffins  'kreis'  gehört  offenbar  zu  hof,  das  nicht  nur 
'hof,  gehöft',  sondern  auch  'kreis,  bezirk'  bedeutete  (s.  Kluge, 
Et.  wb.&  s.  170  s.  v.  hof).  Im  anord.  ist  hof  eigentlich  'tempel 
mit  dach',  was  auf  die  Vermutung  bringt,  dass  germ.  *hofa- 
aus  *hufa-,  vorgerm.  *küpo-  zur  wurzel  *heup-  'wölben'  ge- 
hört, vgl.  ahd.  hovar  'buckel'.  hubil  'hügel',  lit.  kuprä  'höcker', 
kupstas  'hügel',  lat.  cüpa  'tonne,  kufe',  gr.  xvjisXXov  'becher, 
xvxTf  TQa>yXri,  xvjtqos  'ein  getreidemass',  aind.  kupa-  'grübe, 

durchsetzten  texte  natürlich  nichts  anderes  zu  bedeuten,  als  die  keut.  ent- 
sprechungen  von  ws.  tyhhap,  geiyhhod.  Der  genn.  befund  weist  also  unsere 
Wortsippe  deutlich  zur  w.  rlik.    E.  S.) 

13* 


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196 


UHLKNBECK 


höhle,  brunnen'  (vgl.  noch  die  sippe  von  hd.  kaufen,  lit.  kaiipas, 
aksl.  ktipü  und  mit  /  aus  ph  apers.  fani/ä-,  avest.  Avio/«-  'berg' : 
s.  Prellwitz  s.  169). 

Mit  ags.  gaffeiung  'obscenity'  ist  nicht  viel  anzufangen 
(vgl.  unten).  Teber  ags.  snoffa  'schnupfen'  s.  ausser  Kluges 
aufsatz  noch  sein  Et.  wb.5  332  und  334  (schnauben,  schnüffeln, 
schnupfen). 

Von  den  spärlichen  belegen  von  urgerm./»//  lässt  nur  mengl. 
läppe,  ahd.  latta,  nl.  lat  eine  befriedigende  erklärung  zu.  Kluge 
(Et.  wb.*227)  verbindet  es  mit  hd.  laden,  mhd.  fade,  das  ur- 
sprünglich 'brett'  bedeutete,  und  vergleicht  ir.  slat,  bret.  las 
Tute,  stange',  welche  mit  cymr.  lläth  auf  urkelt.  *slattä  hin- 
weisen (s.  Whitley  Stokes,  Urkelt.  Sprachschatz  319).  Indog. 

findet  sich  noch  in  russ.  htok  'flaches  holzgefäss'.  Da- 
gegen sind  czech.  lat,  slow,  latra,  serb.  letra,  poln.  wend.  lata 
(Miklosich  s.  161)  und  franz.  latte,  it.  latta,  span.  lata  (Diez5 
s.  190)  aus  dem  gerin.  entlehnt. 

Ob  wir  in  ags.  moppe  (mohpe),  mhd.  motte,  an.  motte  und 
ags.  oppe,  "got.  aippKiu  (as.  c/tfo,  fries.  ieftha)  urgerm.  pp  an- 
nehmen dürfen,  ist  ganz  zweifelhaft  (s.  Sievers,  Ags.gramm.  99). 
Ahd.  spottön,  an.  spotta,  nl.  spotten  hat  urgerm.  ist  aber 
etymologisch  dunkel:  vgl.  etwa  aksl.  $pyft  'vergebens \  spyt'mü 
'vergeblich'  (indog.  *spüt-\  welche  begrifflich  vielleicht  zu  weit 
ab  liegen.  Andere  unklare  fälle  finden  sich  bei  Kluge  und 
können  hier  unerwähnt  bleiben:  nur  auf  ein  wort,  das  nach 
Kluge  pp  haben  soll,  werde  ich  noch  eingehen.  Ich  meine 
ahd.  ratio,  ratta,  dessen  verschiedene  formen  bei  Kluge  (Et. 
wb.5  295)  und  Franck  s.  774  gesammelt  sind.  Man  vermutet 
fremden  Ursprung:  'das  tier  selbst,  dem  altertum  noch  un- 
bekannt, tritt  erst  nach  der  zeit  der  Völkerwanderung  in 
Huropa  auf.  Dennoch  halte  ich  ratte  für  ein  genn.  wort,  in- 
dem ich  annehme,  dass  ratio,  ratta  aus  dem  niederdeutschen 
stammen:  dafür  sprechen  oberd.  ratz  'ratte',  hess.  thüring.  ratz 
'marder'.  bair.  schwäb.  ratz  auch  'raupe',  welche  hd.  te  aus 
urgerm.  tt  zeigen.  Das  wort  kann  ursprünglich  'nager'  be- 
deutet haben  und  ein  nomen  agentis  (*ratt-,  *ratm-  aus  indog. 
*radn-,  *raden-)  zu  aind.  rddati  'kratzt,  ritzt,  hackt,  nagt', 
lat.  rodo  *nage'.  rädo  'schabe,  kratze'  gewesen  sein.  Bei  dieser 
auffassung  gibt  ahd.  rato  (rada)  aus  urgerm.  *raden-,  das  neben 


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MI8CELLEN. 


107 


ratto  steht,  einige  Schwierigkeit:  dürfen  wir  vielleicht  eine 
wurzelvarietät  mit  auslautendem  dh  oder  t  annehmen?  Auf 
indog.  *ra(n)dh~  scheint  aind.  rdndhra-  'spalte,  höhlung'  hin- 
zuweisen, das  auch  im  Petersb.  wb.  mit  rad-  verbunden  wird. 

II.  Wörter  mit  gg,  hh,  dd. 

Ags.  froc$a  (neben  frocra)  'frosch',  vgl.  an.  fraukr  und  mit 
Verlust  eines  gut t urallautes  an.  froskr,  ags.  forsc,  ahd.  frosc: 
bisher  unerklärt.  In  deutschen  mundarten  wird  der  frosch 
'liüpfer'  (höppcr,  ln>ptzgcry  s.  Kluge,  Et.  wb.5  121)  genannt 
und  ein  indischer  name  des  tieres  ist  placangaina-  (plavaga-), 
was  auch  für  frucja  und  seine  nebenformen  eine  ursprüngliche 
bedeutung  'Springer'  wahrscheinlich  macht.  Genn.  ru  kann 
auf  indog.  r  zurückgehen  und  es  ist  durchaus  erlaubt  *frukk-, 
*  frühen-  aus  älterem  *prghn-,  *pryhcn-  zu  erklären.  Aber 
dann  liegt  es  nahe,  die  ganze  sippe  von  frocra -frosch  von  der 
wurzel  *spergh-,  *sprengh-,  *prengk-  abzuleiten,  welche  weit  im 
indog.  verbreitet  ist:  vgl.  gr.  omo/agat  'eile',  aind.  sprhayati 
•eifert,  strebt':  mit  nasal  ahd.  ags.  springan  'springen':  ohne 
das  anlautende  s  aksl.  pragu  'heuschrecke',  russ.  pryyatJ,  pryg- 
nuü  'springen'  (mit  //  durch  urslav.  dehnung  aus  m  vor  nasal?). 
Zieht  man  aber  vor  das  ru  in  frocga  u.s.w.  wegen  an.  fraukr 
auf  indog.  ru  zurückzuführen,  dann  bietet  sich  jedenfalls  russ. 
l>rygati,  prygnut)  zur  vergleichung  dar.  Die  oben  gegebene 
erklärung  dürfte  jedoch  in  allen  hinsichten  empfehlenswerter 
sein,  denn  dadurch  wird  der  germ.  froschname  mit  russ.  pryg- 
in  eine  allgemein -indog.  Wortsippe  eingereiht,  Zum  Schlüsse 
bemerke  ich,  dass  das  k  in  an.  fraukr  aus  kk  (indog.  ghn)  ver- 
einfacht ist  und  dass  sein  au  durch  übertritt  in  die  «-reihe 
erklärt  werden  kann. 

As.  roggo,  ahd.  rocko  :  aksl.  rüzl,  lit.  rugys  und  an.  ragya  : 
ahd.  icaya  :  got.  ya-iciyan  sind  etymologisch  klar,  und  ags.  clucze, 
ahd.  ylocka  ist  ein  lehnwort  aus  dem  keltischen  (s.  Kluge,  Et. 
wb.5 141  f.).  Mhd.  wache  'feldstein',  mit  ck  aus  gy,  stelle  ich 
zu  gr.  ayvvftt  (vgl.  für  die  bedeutung  lat.  rüpes  :  rumpo).  wo- 
mit Kern  (Tijdschr.  v.  ned.  taal-  eu  letterk.  10, 114),  nl.  wuk  \\n 
an.  cok  f.,  schwed.  vak  m.  "Öffnung  im  eise'  verbunden  hat.') 

l)  An.  rok,  gen.  rakar  ist  nach  Kern  ----  gr.  «;  //.  Dagegen  führe  ich 
nl.  icuk,  plur.  uakken,  auf  indog.  "uaynit-  '  gebrochen '  zurück.  Derartige 


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108 


UHLENBECK 


Andere  Wörter  mit  urgerm.  gg,  wie  ags.  docga,  flocgian, 
hocgian  weiss  ich  nicht  zu  erklären. 

Auch  die  zahlreichen  fälle,  in  welchen  man  urgerm.  Ib 
annimmt,  sind  zum  teile  dunkel.  Ags.  ebba  'ebbe'  wird  wol 
mit  recht  zu  ahd.  ippihhän  'revolvere'  und  got.  ibuhs  'sich 
rückwärts  bewegend'  gestellt,  und  mengl.  sobbin,  engl,  sob  ge- 
hört mit  hd.  seufzen  zusammen  (vgl.  Kluge,  Kt.  wb.s  347). 
Tnter  den  klarsten  fällen  gehört  noch  ags.  nL  drabbe  Miefe; 
das  ich  schon  Beitr.  16, 563  mit  hd.  treber  zu  lit.  dreht  u  'werfe 
breiiges'  gestellt  habe.  Ueber  Jcrabbc,  knappe,  rappe,  kippen, 
quappe,  hnüppel,  hrüppel  vgl.  Kluge,  Et,  wb. 

Ahd.  häppa  'hippe,  sicher  lässt  sich  am  besten  als  'ge- 
bogene' auffassen  und  mit  der  indog.  wurzel  *käp-,  *kamp- 
1  biegen,  krümmen'  verbinden:  eine  ablautsstufe  *kep-  findet 
sich  auch  in  aind.  capa-  'bogen'.  In  diesem  falle  beruht  hd.  pp, 
urgerm.  bb  auf  contamination  von  pp  aus  pn  und  b  aus  vor- 
tonigem p.    Vgl.  aber  Kluge,  Et  wb.5  168  s.v.  hippe. 

Ags.  gabbian,  an.  gabba  'deridere',  ags.  gahbung,  an.  gabb 
'derisio'  sind  wegen  ags.  gaffet  ung  'obscenity'  auf  eine  wiirzel 
mit  auslautendem/)  zurückzuführen:  ausserhalb  des  germ.  kann 
ich  aber  keine  anknüpfung  finden.  Ags.  lobbe,  scrub,  ahd.  trappa 
und  andere  Wörter  bleiben  leider  unerklärt. 

Seltener  sind  Wörter  mit  urgerm.  dd,  wie  ags.  ßoddettan 
'pulsare'  (das  wegen  seines  dd,  contaminiert  aus  tt  und  (T,  auf 
eine  wurzel  mit  auslautendem  dh  oder  t  zurückgehen  muss, 
also  zu  aind.  tuddti,  lat.  tundo  u.s.  w.  nicht  recht  passt).  brod- 
dkm  'luxuriare'  (neben  brottettan,  vgl.  etwa  die  sippe  von  nl. 
brodden,  Franck  s.  147),  codd  'sack'  (an.  kodde  'pillow'),  sceadd 
'maifisch',  an.  todde  =  ahd.  zotto  'zotte',  ahd.  chratto  'korb' 
(s.  Franck  s.  510).  Keine  Schwierigkeit  bietet  ags.  rudduc  *rot- 
kelchen'  :  got.  mups. 

Ags.  budda  'käfer'  würde  sich,  wenn  der  vocalismus  es 


-no  -  partieipia  mit  assimiliertem  n  sind  z.  b.  hd.  strack  aus  *str.njnö- 
(*strognö-?)  zu  derselben  wurzel  wie  hd.  stark  und  got.  ga-staitrkiian:  nl. 
slak  'schneeke'  aus  *  slakko,  indog.  *  shgna  zu  gr.  kayttoog\  hd. 

bock  =  air.  bocc  aus  *bhugn6-  zu  gr.  fproyo»,  aind.  bhuj-  u.s.w.;  ahd. 
Zoe  'locke'  zu  gr.  Avyt%w  u.s.w.;  hd.  dick  zu  gedeihen;  hd.  speck  zum 
wurzelnomen  aind.  ttphij-  'hüfte';  mnd.  soppe  ' fleisebbrühe '  zu  süpaii. 


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MI8CELLEN. 


100 


gestattete,  gilt  aus  lat.  fodio  'ich  grabe',  aksl.  boda  i ich  stosse', 
lit.  Itadan  'ich  steche,  stosse'  als  'gräber'  oder  'nager  erklären 
lassen  (vgl.  Kluge,  Et. wb.5  180  s.v.  käftr).  Nun  hat  Sievers 
(Beitr.  16. 234  ff.)  einige  fälle  nachgewiesen,  wo  germ.  u  ohne 
die  nähe  von  liquida  oder  nasal  sich  aus  einem  unbestimmten 
vocale  entwickelt  hat:  ist  auch  das  «  von  Imdda  so  zu  be- 
urteilen? 

Ein  schwieriges  wort  ist  noch  an.  padda,  nl.  päd,  paddik, 
engl,  paddock  'kröte'.  Urgerm.  *padd-  weist  auf  einen  alten 
Wechsel  *patt;  *paden-  und  wir  dürfen  also  annehmen,  dass 
wir  es  mit  einem  alten  n- stamm  zu  tun  haben,  der  vor  der 
laut  Verschiebung  *badhn-,  *badhcn-  oder  *batn-,  *baten-  lautete. 
Vielleicht  ist  gr.  ßdcrga/oc,  ßoxQaxog  (daraus  mit  Umsetzung 
des  (>  auch  ßQotnyoq),  ßd&Qaxog  'froseh'  verwant,  das  aus 
einem  /  -stamm  (wegen  ßd&Qaxog  wol  eher  *badher-,  *badhf- 
als  V,atn-,  *batr-)  erweitert  zu  sein  scheint.  Andere  halten 
das  ß  in  ßictgaxog  u.s.w.  für  indog.  y  und  vergleichen  ahd. 
ehre'ta,  chrota,  indem  sie  ßgora/pg  als  eine  ursprüngliche  form 
betrachten:  mir  scheint  die  obige  erklärung  den  Vorzug  zu 
verdienen. 

2.  Etymologien. 

Ags.horh,  gen.  horwes,  ahd.  as.  horo  'kot,  schmutz'  wird 
bei  Prellwitz  s.  150  zu  gr.  xoQtco  'fege,  reinige',  xoqos  'besen' 
gestellt.  Falls  dies  richtig  ist,  dann  muss  das  h  :  ir  aus  indog.  q 
suffixal  sein.  Ich  führe  germ.  *xu*lLmt-  auf  indog.  *krqo-  zu- 
rück und  vergleiche  noch  russ.  sor  1  schmutz,  kehricht',  sorill 
'beschmutzen'. 

Nl.  smuykn  'subridere'  (Kilian),  mhd.  smielen  'lächeln'  ist 
offenbar  verwant  mit  russ.  u-chmyljutt-sja,  das  ebenfalls  'lächeln' 
bedeutet. 

Nl.  varken,  mnd.  ferken  ist  zunächst  mit  aksl.  prazu  'männ- 
liches tier,  bock',  russ.  poroz  'männliches  schwein,  stier'  ver- 
gleichbar: iiidog.  *])or(j-  ist  eine  Varietät  von  *pork-  in  ags. 
fearh,  ahd.  farah,  air.  orc,  lat.  porcus,  gr.  jroQxog,  aksl.  prasq, 
lit.  pärszas. 

Nl.  zimk  'wolkenhimmel',  aind.  svargd-  iiimmel'  (s.  Franck 
s.  1233)  hat  auch  im  sla vischen  einen  verwanten,  nämlich  den 


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2U0 


UBLENB  g  K,  MlßCELLEN. 


iminen  des  alten  himmelsgottes  Srarogü.  Ich  betrachte  Sva- 
royü  als  eine  vrddhi-ableitung  von  ziverk-svargä-  und  nehme 
als  ursprüngliche  bedeutung  an  'der  himmlische*,  lieber  andere 
vrddhi-bildungen  habe  ich  in  einem  vorigen  aufsatze  (luina-liön) 
gehandelt,  wozu  noch  russ.  skvdzina  'riss,  Öffnung,  Schlüssel- 
loch': skvözl  'durch'  nachzutragen  ist. 

AMSTERDAM,  sept.  1896.  ('.  (\  THLKNHKCK. 


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ALTHOCHDEUTSCHES  IN  DEN  SLAVISCHEN 
FREISINGER  DENKMÄLERN. 


Die  slav.  Freisinger  denkmäler  wurden  im  j.  1808  in  einem 
lat.  codex  der  sich  bis  dahin  im  kloster  zu  Freisingen  befand, 
entdeckt.  Jetzt  wird  der  codex  in  der  bibliothek  zu  München 
bewahrt  (sign.  cim.  0420).  Den  hauptinhalt  desselben  bilden 
verschiedene  lat.  Sermone  und  homilien.  Auf  bl.  78  steht  I.  eine 
slav.  beichtformel  in  35  Zeilen,  und  auf  bl.  158b—  100a  folgen 
dann  die  zwei  anderen  slav.  denkmäler.  nämlich  II.  eine  beleh- 
rung  oder  betrachtung  über  den  sündenfall  und  die  beichte  (sie 
endet  auch  mit  einer  aufforderung  zur  beichte)  in  118  gebro- 
chenen Zeilen;  III.  und  das  dritte  denkmal  ist  ein  beichtgebet, 
das  75  gebrochene  Zeilen  umfasst.  Die  denkmäler  wurden 
von  P.  J.  Koppen  im  j.  1827  in  seinem  Sbornik  slovenskieh 
pamjatnikov  herausgegeben;  sprachlich  beleuchtet  hat  sie  in 
dieser  ausgäbe  Vostokov;  später  von  Kopitar  in  seinem  be- 
kannten werke  'Glagolita  C^zianus1  (1880)  s.  xxxm—  xlvil 
Die  texte  allein  erschienen  dann  noch  mehrmals. 

Was  das  alter  der  denkmäler  anbelangt,  so  lässt  prüf. 
E.  Mühlbacher,  von  dem  ich  mir  ein  diesbezügliches  gut- 
achten  erbeten  habe,  das  erste  in  der  wende  des  10.  u.  11.  jh.'s 
entstehen,  das  zweite  und  dritte  teilt  er  der  zweiten  hälft e 
des  11.  jh.'s  zu.  Der  director  der  Münchener  bibliothek  G.  v. 
Laubmann  meint,  sie  seien  ende  des  10.  oder  in  der  ersten 
hälfte  des  11.  jh.'s  entstanden,  G.  H.  Pertz  hielt  sie  für  älter 
(10.  oder  selbst  0.  jh.),  ebenso  Jac.  Grimm  (0.  oder  erste  hälfte 
des  10.  jh.'s.).  Schon  in  den  ersten  ausgaben  musste  man  eine 
gewisse  verwantschaft  dieser  denkmäler  mit  althochdeutschen 
beichtformeln  zugeben.  Prof.  W.  Braune  lenkte  zuerst  die 
aufmerksamkeit  auch  der  deutschen  philologeu  auf  dieselben, 


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202 


VONDRAK 


indem  er  zeigte,  wie  sich  darin  in  mehreren  punkten  die  alt- 
hochd.  Orthographie  äussere  (Die  altslov.  Freisinger  denkmäler 
in  ihrem  Verhältnisse  zur  althochd.  Orthographie,  Beitr.  1  (1874), 
s.  527-534).  Er  wies  insbesondere  darauf  hin,  dass  in  den  Freis. 
denkmälern  die  dentalen  Spiranten  s,  z  mit  z  und  die  eacumi- 
nalen  s,  z  in  der  regel  mit  v  (f)  bezeichnet  werden,  woraus 
eben  rticksehlüsse  auf  die  lautliche  geltung  des  ahd.  s  erlaubt 
waren.  Weiter  hob  er  hervor,  dass  die  dentale  affricata  c 
vor  e  und  t  mit  c  (das  vor  a,  o,  w,  wie  im  ahd.  mit  k  als  be- 
zeichnung  der  gutturalen  tenuis  wechselt)  und  zwar  4  mal  (in 
Wirklichkeit  nur  2  mal)  und  ausserdem  mit  z  und  zwar  vor 
dunklen  vocalen  stets,  aber  auch  vor  hellen  bezeichnet  werde. 
In  der  doppelten  ahd.  anwendung  des  z  als  dentale  affricata 
und  dentaler  Spirant  sah  Braune  am  deutlichsten  eine  beein- 
flussung  der  Freisinger  denkmäler  durch  die  ahd.  Orthographie. 
Kr  sah  aber  noch  andere  berührungspnnkte.  Das  slav.  ch 
werde  am  wollende  wie  im  ahd.  mit  h  (z.  b.  uzeh  moih  ijreh), 
selten  mit  ch  widergegeben,  das  im  inlaut  regel  ist,  ebenso 
wie  auch  im  anlaut  (das  deutsche  //  konnte  man  hier  nicht 
brauchen,  da  es  im  anlaut  den  blossen  hauch  bezeichnete). 
Das  slav.  v  werde  ebenfalls  nach  ahd.  weise  im  anlaut  und 
im  inlaut  zwischen  vocalen  mit  uu  (uv,  vu)  widergegeben  und 
mit  einfachem  m  stets  im  auslaut  (wie  auch  vor  und  nach 
consonanten).  Hei  der  bezeichnung  des  j  bemerkt  Braune, 
dass  sich  II  von  I  und  III  unterscheide  (was  er  übrigens  im 
geringeren  grade  bei  der  bezeichnung  des  s  bemerkte).  In 
I  und  III  wird  im  anlaut  und  inlautend  zwischen  vocalen 
ausnahmslos  j  durch  /  dargestellt,  wogegen  in  II  anlautend 
vorwiegend  y  und  seltener  /  stehe;  inlautend  zwischen  vocalen 
wechsle  y  mit  i  ab.  Zur  erweichung  des  n  wurde  ebenfalls 
ff  verwendet:  pomnyit  1.  13.  Kndlich  führt  Braune  an,  dass 
in  II  im  anlaut  17  mal  statt  des  slav.  p  das  weiche  b  ge- 
schrieben wurde  und  einmal  auch  im  inlaute  {gozbod  80).  was 
übrigens  schon  den  ei  sten  herausgebern  dieser  denkmäler  auf- 
gefallen war.  Diese  angaben  Braunes  sind  im  grossen  und 
ganzen  richtig,  und  es  kann  höchstens  nur  in  dem  angeführten 
statistischen  material  hie  und  da  eine  kleine  correctur  vor- 
genommen werden.  Ferner  verdient  hervorgehoben  zu  werden, 
dass  auch  das  dritte  denkmal  teilweise  aus  dem  rahmen  der 


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AHD.  IN  DEN  8LAV.  FREIRINGER  DENKMALERN.  203 


durchschnittsorthographie  dieser  denkmäler  heraustritt,  und 
zwar  insbesondere  hinsichtlich  der  bezeichnung  des  slav.  r, 
da  hier  tu  nur  1  mal,  v  nur  4  mal,  uv  dagegen  und  vr  gar 
nicht  vorkommt  (auch  für  u  steht  hier  nie  /•),  was  in  den  bei 
den  anderen  denkmälern  sich  anders  verhält.  Man  ersieht  da- 
raus, dass  die  denkmäler  auf  verschieden  geartete  vorlagen 
zurückgehen,  wenn  auch  das  II.  und  III.,  wie  wir  noch  sehen 
werden,  von  derselben  hand  herrühren. 

Mit  den  Freisinger  denkmälern  und  namentlich  mit  der 
frage  nach  ihrer  herkunft  habe  ich  mich  in  letzterer  zeit  ein- 
gehender beschäftigt.  Da  aber  meine  diesbezügliche  arbeit  in 
böhmischer  spräche  unter  den  publicationen  der  böhm.  akademie 
der  Wissenschaften  in  Prag  als  Frisinske  pamatky,  jich  vznik 
a  vyznam  v  slovanskem  pisemnictvi  (Die  Freisinger  denkmäler, 
ihre  entstehung  und  bedeutung  im  slav.  Schrifttum).  Prag  1896, 
4°,  82  s.  mit  9  tafeln  erschienen  ist  und  somit  wegen  der  spräche 
nicht  allen  germanisten  zugänglich  ist,  so  sei  mir  erlaubt,  hier 
aus  der  arbeit  das  hervorzuheben,  was  sie  interessieren  dürfte. 
Zunächst  möchte  ich  nur  anführen,  dass  ich  eine  wörtliche 
Übersetzung  des  sog.  St.  Emmeramer  gebetes  in  dem  altkirehen- 
slav.  glagolitischen  Eucholoffittm  sinaiiicum,  das  von  (ieitler 
herausgegeben  ist,  gefunden  habe.  Diese  slav.  Übersetzung 
gibt  uns  sogar  aufschluss  über  eine  etwas  eorrupte  stelle  des 
ahd.  textes.  Einzelne  stellen  dieser  Übersetzung  finden  sich 
nun  auch  im  dritten  der  Freisinger  denkmäler.  so  dass  sich 
diese  nun  noch  mehr  als  Übersetzungen  althochdeutscher  ori- 
ginale herausstellen  (vgl.  nieinen  kurzen  berieht  darüber  im 
Archiv  für  slav.  phil.  15,  s.  118— 132:  Althochdeutsche  Deicht- 
formein  im  altkirchenslavischen  und  in  den  Freisinger  denk- 
mälern). Dass  die  slav.  texte  Übersetzungen  deutscher  originale 
sind,  zeigt  sich  auch  deutlich  in  den  misverstandenen  ahd. 
relativsätzen  wie:  trohtin,  du  in  desa  uuerolt  qwhni  suntiga 
za  generienna,  kaunerdo  mih  yahdUan  etc.,  was  im  slav.  wört- 
lich, also  ohne  relativpronomen  übersetzt  wurde,  was  hier 
unmöglich  ist.  So  haben  wir  es  im  Euch,  sin.,  ähnlich  auch 
im  1.  Freis.  z.  17  (in  der  transscription):  boze,  ti  pride  sr  ticbes<>, 

uze  sc  du  etc.,  statt  etwa  h.,  ize  jcsi  priscl  u.  s.w.    In  III 

lesen  wir  schon  ganz  richtig  z.  67— 71:  Kristc,  Infi  sinu,  ize 
jesi  racil  na  si  sve't  priti  etc.  uchrani  u.s.w.    In  allen  drei 


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204 


VONDKAK 


denkmälern  wie  auch  im  texte  des  Euch.  sin.  kommt  weiter  die 
phrase  vor  ispoue'den  rsech  grech,  was  eine  Übersetzung  des 
deutschen  bigichtig  allero  suntono  ist. 

Was  nun  speciell  die  Freisinger  denkmäler  betrifft,  so 
zeigt  sich  darin  der  einfluss  der  ahd.  Orthographie  ausser  in 
den  von  Braune  hervorgehobenen  punkten  noch  in  einigen 
anderen.  Am  deutlichsten  sieht  man  ihn  in  der  widergabe 
des  slav.  y  mit  ui,  z.  b.  bui  (fiy),  mui  (my)  u,  s.  w.,  aber  das 
zeigt  sich  nur  in  II  und  hier  nur  nach  den  labialen  b  und  m. 
Ja,  einmal  haben  wir  hier  auch  muzlite  (  myslite  II  84), 
also  ganz  wie  im  ahd..  wo  auch  mitunter  w  st.  ü  geschrieben 
wurde.  Noch  interessanter  ist  folgender  iu  der  ahd.  literatur 
sonst  verhältnismässig  seltener  fall.  Der  diphthong  in  gieng 
um  1000  in  H  über,  was  auch  im  und  m  geschrieben  wurde, 
so  dass  dieser  laut  mit  dem  umlaut  u  zusammenfiel  (Braune. 
Ahd.gramm.  §40).  Daneben  finden  wir  aber  auch  vereinzelt 
z.  b.  die  Schreibweise  rugir  (neben  fnir,  mint  etc.  1.  c.  anm.  8). 
<;anz  in  derselben  weise  wird  nun  in  11  das  slav.  //  geschrieben 
und  zwar  im  worte  neimugi  z.  15  ueimy  (part.  praes. 
'non  habens').  Ks  muss  autfallen,  dass  nur  in  II  das  slav.  y 
auch  graphisch  unterschieden  wird,  wenigstens  in  einigen 
fällen,  wählend  in  I  und  III  dafür  einfach  /'  steht.  Statt  des 
slav.  k  ist  in  II  im  anlaut  zweimal  ch  geschrieben:  chifto  80 
(  kUshh)  und  in  dem  verstümmelten  ausdruck  choife  ih  28 
(wol  für  kakhze)  und  im  inlaut  einmal  g:  pagi  14  st.  paki.  In 
dem  erwähnten  chifto  80  haben  wir  auch  /  statt  d  und  im 
Worte  detd  II  1  steht  td  statt  d. 

Wie  im  ahd.  j  in  anlehnung  an  den  vocal  i  oder  den 
diphthong  ei  steht:  frif  frier,  aber  auch  frigtr,  frige  (Braune 
§  117),  so  haben  wir  auch  hier  ugongenige  II  28,  zcei>ufgenigc 
11.80.  bulotmtniye  II  02.  aber  es  beschränkt  sich  diese  eigen- 
tümlichkeit  wider  nur  auf  II.  denn  wir  finden  sonst  rttezelie 
I  34  (und  nicht  ntezelige),  pomiflenie  III  08  u.s. w. 

Der  ahd.  einfluss  zeigt  sich  jedoch  in  II  in  einigen  fällen 
die  in  lautlicher  hinsieht  beachtung  verdienen.  Wie  man  aus 
«lern  faesimile  ganz  deutlich  ersieht,  hat  der  Schreiber  zuerst 
rafzbni  (eig.  rofzbui)  z.  22  (taf.  8,  col.  2,  z.  22)  geschrieben.  Krst 
nachdem  er  irgendwie  auf  den  fehler  aufmerksam  gemacht 
worden  war.  corrigierte  er  es  zu  rofzboi.    Analog  verhält  es 


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AHD.  IN  DEN  8LAV.  KREISINGER  DENKMÄLERN. 


205 


sich  mit  crnrri  51  (taf.  4.  col.  1.  letzte  zeile).  das  er  nachträglich 
auch  zu  cron  i  corrigierte.  Kbenso  mit  preftupam  (preftopam) 
25  (taf.  3,  col.  2,  z.  8)  und  wol  auch  mit  banedal  88  (taf.  5,  col.  2. 
z.  3),  wo  er  anfänglich  auch  ein  u  statt  o  schreiben  wollte. 
Der  Deutsche  war  also  geneigt  ein  slav.  o  als  u  aufzufassen 
(man  vgl.  Weinhold,  Bair.  gr.  s.  43:  'dazu  kommt  die  über  das 
ganze  gebiet  verbreitete  neigung  o  in  u  zu  verdiimpf  en').  So 
alte  belege  für  diese  erscheinung  wie  in  unserem  falle  ver- 
dienen gewis  beachtung.  Weiter  hat  der  Schreiber  ursprüng- 
lich zpoßtel  II  01  (taf.  5,  col.  2,  z.  0)  geschrieben  und  corrigierte 
es  zu  zpafitel,  ebenso  das  schon  oben  erwähnte  rofzbui,  das 
er  zu  rafzboi  machte.  Ks  ist  dies  wider  eine  eigentümlichkeit, 
die  den  Deutschen  verrät  (vgl.  Weinhold  a.a.O.  s. 37  § 22:  'eine 
reiche  quelle  des  unechten  o  ist  die  neigung  des  bairischen  a 
sich  zu  verdumpfen.  Wir  können  sie  durch  jahrhunderte  ver- 
folgen'). Auch  hier  dürften  so  alte  belege,  wie  sie  unser  denk- 
mal  bietet,  willkommen  sein. 

Höchst  auffallend  ist  der  deutsche  einfluss  in  bofi  raba 
II  z.  109— 110  (taf.  0,  z.  7— 8)  und  grcrhi  ruasa  gleich  in  der 
nächsten  zeile  (beides  schon  zum  schluss  des  denkmals).  Man 
hat  bis  jetzt  grosse  mühe  mit  der  erklärung  dieser  ausdrücke 
gehabt,  und  doch  ist  die  sache  sehr  einfach.  Bekanntlich 
zeigen  die  kurzen  und  langen  e  der  endsilben  im  späteren 
bairisch  (10.  und  11.  jh.)  eine  starke  neigung  in  a  überzugehen 
(Braune,  Ahd.  gr.  §  58  anm.  3).  Es  ist  also  hier  bozi  rabe  und 
grechi  vase  zu  lesen,  was  auch  der  sinn  verlangt.  Wie  im  ahd. 
in  endungen  i  neben  e  auftritt,  so  haben  wir  auch  hier  mofhn 
II  106  statt  tnofem  (—mozem  possumus)  und  vielleicht  noch 
andere  ähnliche  fälle. 

Wie  im  ahd.  die  sog.  secundärvocale  sich  nach  dem  vocal 
der  folgenden  silbe  richten,  also  bißihit,  aber  befelahftnnc 
(Braune  §  69  a),  so  werden  auch  die  slav.  halbvocale  durch  e 
und  i  ersetzt,  wobei  auch  der  vocal  der  nächsten  silbe  nicht 
ohne  einfluss  zu  sein  scheint:  nezegrefil  112,  gkmßa  III  49, 
timnicach  II  52  u.  s.  w. 

Auch  spuren  einer  accentbezeichnung  scheinen  sich  in 
unseren  denkmälern  erhalten  zu  haben,  wie  dies  in  einigen 
ahd.  handschrifteil  der  fall  ist  (vgl.  darüber  s.  35—38  meiner 
ausgäbe). 


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206 


VONDRAK 


Nun  ist  aber  noch  ein  wort  zu  erwähnen,  welches  ganz 
den  deutschen  habitus  hat.  nämlich  cruz  1190  (taf.  5,  col.  2, 
z.4),  wenn  man  bedenkt  ,  dass  das  deutsche  criuz  ab  und  zu 
im  ahd.  auch  so  geschrieben  wird  (vgL  crucc  bei  Braune  §  49 
anm.  1).  Die  ganze  stelle,  die  das  wort  enthält,  betest  naf 
gozbod  zucti  cruz  ifc  geft  bali  telez  naffih  i  zpafitcl  du/' tutffih 
ton  bozzledine  balouvanige  pofledye  pozftavv  %  ucazal  ge  ... 
u.s.  w.  Man  sucht  unter  cruz  eine  Verstümmelung  von  Christus, 
welches  wort  man  hier  etwa  erwartet.  In  III  kommt  es  auch, 
allerdings  in  der  form  Grifte  67,  vor.  Allein  so  wie  das  wort 
in  II  erscheint,  kann  es  nur  der  reflex  des  deutschen  criuz 
(cruz)  sein.  Ks  muss  demnach  hier  ein  misverständnis  ob- 
walten, welches  auf  die  wol  nicht  ganz  richtig  hier  erfasste 
vorläge  zurückgeht.  II  und  III  rühren  von  einem  und  dem- 
selben Schreiber  her:  das  bestätigte  mir  auch  K.  Mühlbacher. 
Während  wir  aber  in  II  so  viele  lautliche  germanismen  fanden 
(wie  a  statt  e  im  auslaut,  b  statt  p  im  auslaut  u.s.  w.),  Ist  in 
III  keine  spur  davon:  hier  sind  nur  die  allgemeinen  ortho- 
graphischen traditionell  gewahrt  (z.  b.  die  widergabe  des  slav. 
s  und  i  etc.),  wozu  wir  auch  die  ausdrücke  wie  sancte  petra 
III  14  hinsichtlich  des  sancte  rechnen  müssen,  da  sie  sich 
auch  in  ahd.  denkmälern  vorfinden.  Das  spricht  dafür,  dass 
die  vorlagen  verschieden  waren.  Die  vorläge  zu  III  war 
schon  in  einer  für  den  Schreiber  verständlichen  form  da,  also 
offenbar  auch  in  lateinischer  schrift;  daher  hat  der  deutsche 
Schreiber  einfach  nur  das  hier  wort  für  wort  abgeschrieben, 
was  er  in  seiner  vorläge  lesen  konnte,  und  brauchte  nicht  dem 
einflusse  seiner  muttersprache  in  lautlicher  hinsieht  zu  unter- 
liegen. Anders  verhielt  es  sich  offenbar  mit  der  vorläge  des 
zweiten  denkmals.  Die  so  starke  beeinflussung  von  Seiten  des 
ahd.  in  lautlicher  hinsieht  spricht  dafür,  dass  II  nach  dem 
gehör  geschrieben  wurde  und  dass  keine  vorläge  in  lateinischer 
schrift  vorlag.  Sie  war  wol  in  einer  anderen  schrift  verfasst, 
und  zwar  spricht  vieles  dafür,  dass  sie  glagolitisch  war  und 
von  den  Kroaten,  bei  denen  damals  der  glagolismus  herschte, 
herrührte.  Unter  den  Slovenen  irgendwo  in  Kram  oder 
Kärnten  hat  sich  dann  die  deutsche  geistlichkeit  diese  glago- 
litischen texte  zu  nutze  gemacht;  daher  verraten  die  denk- 
mäler  auch  einen  starken  slovenischen  einfluss,  und  es  hat 


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AHD.  IN  DEN  SI,AV.  PHK1SINORR  DENKMÄLERN.  207 


Sprachforscher  gegeben,  die  sie  für  rein  slovenisch  hielten, 
was  unrichtig  ist.  Aber  bei  den  Kroaten  selbst  sind  die  glag. 
altkirchenslav.  texte  ursprünglich  nicht  entstanden.  Ks  wird 
dies  schon  dadurch  unwahrscheinlich,  wenn  wir  bedenken,  dass 
sie  aus  althochdeutschen  texten  geflossen  sind.  Dazu  fehlen 
die  Vorbedingungen  bei  den  Kroaten.  Wie  einige  boheniismen 
oder  slovacismen  bezeugen,  sind  die  ahd.  texte  irgendwo  in 
Mähren  oder  unter  den  Slovaken,  wo  einerseits  die  deutsche 
geistlichkeit  wirkte,  andererseits  auch  der  slav.  gottesdienst 
eingeführt  war,  so  gut  es  gieng.  ins  altkirchenslavische  über- 
setzt worden  und  von  dort  erst  kamen  die  texte  zu  den 
kroatischen  glagoliten.  Es  würde  natürlich  zu  weit  führen, 
wollte  ich  hier  alle  unistände  anführen,  die  dafür  sprechen, 
dass  die  Übersetzung  aus  dem  ahd.  zuerst  altkirchen- 
slavisch  war. 

Ob  derjenige  der  den  text  von  II  dictierte,  auch  ein 
Deutscher  war,  oder  ob  der  Schreiber  von  1 1  selbst  den  glago- 
litischen text,  so  gut  es  gieng,  las  und  dann  mehr  nach  dem 
gedächtnis  niederschrieb,  lässt  sich  freilich  schwer  beweisen. 
Uebrigens  ist  mir  das  zweite  nicht  recht  wahrscheinlich.  Ks 
wurde  auch,  wie  einzelne  fehler  beweisen,  nicht  alles  ver- 
standen. Dafür  spricht  auch  das  oben  erwähnte  cruz.  In 
der  glag.  vorläge  dürfte  die  abbreviatur  chü,  wie  gewöhnlich 
für  Christus,  gewesen  sein,  was  wol  als  krstri,  kstü  (kreuz) 
gedeutet  wurde.  Das  könnte  namentlich  von  seiten  eines 
Deutschen  erklärlicher  sein,  der  das  anlautende  k  mit  cli 
verwechselte.  Uebrigens  wird  in  späteren  kirchenslav.  denk- 
mälern  selbst  auch  Christ  mitunter  mit  k  geschrieben.  Und 
selbst  wenn  schon  die  vorläge  hier  krstü  (kreuz)  enthielte, 
dürften  wir  in  II  nicht  cruz  erwarten,  sondern  entweder 
ebenfalls  etwa  Jcrist,  kr  st  oder  unter  dem  böhmisch-slo  venischen 
einflusse  kriz  (also  crif).  Cruz  bleibt  hier  also  unter 
allen  umständen  ein  deutsches  wort. 

So  gehören  die  Freisinger  denkmäler  zu  den  slavischen 
texten  die  auch  der  deutsche  philolog  in  den  bereich  seiner 
Untersuchungen  ziehen  kann,  und  sie  zeigen  uns  eine  merk- 
würdige Verkettung  in  der  art  wie  man  sich  die  literarischen 
producte  die  von  anderwärts  kamen,  zu  nutze  zu  machen 
wusste.   Ursprünglich  althochdeutsche  texte  (wol  auf  grund- 


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208     VONDRAK,  AHD.  IN  DEN  6LAV.  FREISINOER  DENKMÄLERN. 

läge  von  lateinischen  verfasst),  werden  sie  bei  den  Slaven 
übersetzt,  machen  bei  ihnen  mannigfache  Wanderungen  durch, 
werden  schliesslich  widerum  von  einem  Deutschen  für  die 
Slaven  in  seiner  weise  abgeschrieben  (wenigstens  sicher  IT 
und  III)  und  lassen  sich  den  Stempel  der  jeweiligen  behand- 
lungsweise  ruhig  aufdrücken. 

WIEN,  juli  1896.  W.  VONDRAK. 


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URBER  GAT  I  GÖT  IM  BAIRISCHEN. 

Was  sich  bei  Untersuchung  der  frage  nach  dem  gebrauche 
der  ä-  oder  e-form  der  verba  r/dn  und  stän  in  der  bairischen 
mundart  ergiebt.  ist  recht  charakteristischer  art.  Ist  es  an 
sich  unwahrscheinlich,  dass  entsprechend  der  gewonlichen  an- 
nähme die  bairische  mundart  durch  die  ganze  ahd.  und  mhd. 
zeit  hindurch  im  ind.  praes.,  inf.  und  part.  die  ä-  und  e-formen 
neben  einander  benützt  hat.  so  lässt  sich  wirklich  erweisen, 
dass  von  der  ahd.  zeit  bis  zur  gegenwart  an  diesen  stellen  nur 
eine  der  beiden  formen  gilt.  Sodann  zeigt  sich,  dass  für  die 
fraglichen  formen  die  spräche  der  ahd.  quellen  und  der  im 
letzten  viertel  des  13.  jh.'s  beginnenden  Urkunden  ohne  weiteres 
zusammenstimmt,  dass  die  dazwischen  liegende  periode  aber 
abweicht.  Hier  wird  die  einheimische  mundartliche  form  und 
eine  fremde  neben  einander  verwendet,  Dieser  schwankende 
gebrauch  geht  von  den  autoren  selbst  aus,  und  er  beruht  auf 
praktischen  gründen. 

Dass  in  der  heutigen  bairisch-östeiTeichischen  mundart 
nur  die  <'-formen  gelten,  ist  gemeine  annähme.  Die  e- formen 
heischen  auch  in  den  Urkunden  des  13.  und  14.  jh.Ts.  Es 
liegt  hierfür  ziemlich  reiches  material  vor.  in  erster  linie  dank 
den  österreichischen  publicationen.  Auf  bairischem  boden  ist 
wenigstens  bd.  35  der  Monumcnta  boica  für  unsere  zwecke 
verwendbar. ») 

')  MB  —  Mounnienta  Boica.  —  ÜB.d.Lo.d.  E.  =  Urkundenbuch  des 
laudes  ob  der  Enns.  —  TB.  v.  Kr.  =  Urkundenbuch  für  die  geschieht«  des 
B.  8t  von  Kremsmünster.  —  F.  r.  A.  —  Fontes  rerum  Austriacarum.  1  abt 
Diplomata.  —  Not.-bl.  =  Notizenblatt,  beilage  zum  Archiv  für  künde  Öster- 
reichischer geschiehtsquellen.  -  Oe.  ws.  =  Oesterreichische  weist  Unter  ges. 
v.  d.  ks.  ak.  d.  wiss.  —  Eine  gründliche  Verarbeitung  des  sprachlichen  mate- 
rials  dieser  österreichischen  publicationen  wäre  sehr  zu  wünschen,  sie  ist 
i\l>er  nur  bei  kenntnis  der  lebenden  mundart  möglich. 

Heurige  rat  gwebicht«  der  dcuUch-n  «pracho.    XXII.  M 


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210  BOHNEN BEUG EH 

MUnchen  1293:  gen.  sten  MB.  35,  2,  13:  1294:  get,  stet,  stennt  MB.  35, 
2,14:  1304.131«:  MB.  35.  2,  2b.  47.  Passau  1288:  stet,  gesten  UB.d.l.O. 
d.E.  4, 96.  -  Linz  128b:  stet  l'B.  «1.1.  o.  d.E.  4,  81.  —  Kremsmiinstcr 
1293.  1300:  Stent,  hegen  ÜB.  v.  Kr.  151.  158.  Wintendorf  1292:  stent 
l'B.  d.  I.  o.  d.  E.  4,109.  —  Kloster  Neuburg  1311:  sten,  gen,  stet  F.  r.  A. 
10,127.  —  Wien  1284:  sten  F.  r.  A.  31.420;  1291:  stet  TB.  d.  1.  o.  d.  E. 
4,158:  1207.  1300.  1305.  1307:  stent,  stet,  get  F.r.A.  18.94;  15.2.1:  Not.- 
bl.  4,9:  F.r.A.  15,  21.  Heiligenkreuz  (?)  1294:  stet,  get  F.r.A. 

11,275.  o.o.  1274:  get  F.  r.  A.  31.  325.  Hzgt.  Salzburg  15.jh.:  gern, 
steen  (Hallein,  Oe.  wst.  1,  143):  gent.  steet,  get,  geen  (Mittersill.  Oe.  wst.  1.  284). 
—  Tirol  1387:  «fef  (Neustift  im  Stubaithal.  Oe.wst.2,270);  1434:  get  (Muttern. 
Oe.  wst.  2.  252):  1444:  gen  (Brandenberg.  Öe.  wst.  2,  135.  —  Kärnten  1283: 
Stent  (Klagenfurt,  F.r.A.  1,213);  1337:  get  (St.  Paul?  F.r.A.  39.227).  — 
Steiermark  1278:  stent,  gen  ( Wildon,  F.  r.  A.  1,192);  1330:  steent,  steet 
(o.o.  Oe.  wst.  «.  160):  1434:  get,  stet  (Admont,  Oe.  ws.  6,268). 

Ebenso  weisen  die  ahd.  quellen  des  9—11.  jh.'s  in 
Müllenhoff-Seherers  Denkmälern3  durchweg  c-formen  auf: 

Muspilli:  get  6.  stet  44.  45.  61.  87.  sten  81.  stent  89.  Otlobs 
gebet:  gen  18.  —  Predigten  (86):  steift  A,  1.15:  sten  A.  4.7,  8:  /»>- 
stenni,  stet,  sten,  gen,  stent,  firsten  B  1.23:  2,34.  52.  54.  55:  3.29:  stet, 
rohtet  ('  1,1:  2. 12.      Geistliche  ratschlage  (85):  ken  3. 

Auch  im  12.  jh.  haben  einige  quellen  noch  durchweg 
e-  formen: 

Benediotbourer  glanbe  I  (87):  ernten  14.  —  Bened.  gl.  IIT 
(96):  stet  25.  Wessobrunn  er  gl.  II  (95):  gestent  22.  sjente  26.  — 
Pater  noster  (43):  gesten  (i.  6,  testen  6,  11;  eigen  :  ersten  8,3,  stet  10.1. 
irgent  11.2,  irgen  :  iisten  11.3  und  durch  den  reim  noch  ausdrücklich  ge- 
sichert stente  :  ellent*-  20,  7.  Trotz  der  beträchtlichen  länge  kein  reim  mit  ä. 

Gegenüber  diesen  c-formen  finde  ich  solche  mit  ä  in  alter 
zeit  auf  ba irischem  sprachboden  nur  in  den  Pariser  und 
Hrabanischen  glossen  geschrieben  (vgl.  Bremer,  Beitr.  11,43). 
Mit  diesen  quellen  begründet  auch  Braune  (Ahd.gr.  §383  anm.2) 
seine  angäbe,  dass  sich  bairisch  nicht  ganz  selten  «  formen 
linden,  l'mgekehrt  haben  wider  die  Emmeram  er  glossen 
c  :  uuidwshHt  (Steinmeyer-Sievers.  Ahd.  gll.  2. 103.  62.  vgl.  auch 
Lndw.  Wüllner,  Hrab.  glossar,  1882,  s.  133). 

Nun  zeigen  aber  die  zuvor  aufgeführten  belege  zu  deutlich 
einen  geschlossenen  bestand  von  c-formen,  als  dass  ihnen  gegen- 
über aus  denkmälern  von  der  art  der  glossen  ein  gegenbeweis 
zu  erbringen  wäre,  zumal  bei  einer  an  sich  so  unwahrschein- 
lichen sache,  wie  es  die  doppelform  get  /  yät  ist.   Nicht  die 


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GAT     G kl'  IM  UAIHISCHKN. 


211 


Bestimmung  der  mundartlichen  formen  kann  hier  von  den 
glossen  abhängen,  sondern  man  hat  nun  umgekehrt  zu  er- 
klären, wie  die  glossen  zu  nicht -baltischen  formen  kommen. 
Dieser  frage  habe  ich  hier  nicht  weiter  nachzugehen.  Ich 
hebe  nur  hervor,  dass  Pa  auch  gtntgis,  gantfit  hat  (Steinmeyer- 
Sievers,  Ahd.  gll.  1. 20. 8.  34.  28)  und  weise  noch  darauf  hin.  dass 
nach  den  Verhältnissen  welche  Fischers  Sprachatlas  zeigt,  auch 
ein  grenzbezirk  mit  «-formen  für  gen,  stin  gegenüber  sonstigem 
wesentlich  bairischem  spraehbestande  unter  die  in  erwägung 
zu  ziehenden  möglichkeiten  gehört.  Als  rest  einer  bis  ins 
8.  jh.  herabreichenden  doppelbildung  gnn  f  gm,  die  mit  ausgang 
des  9.  jh.'s  aus  der  gesprochenen  mundart  verschwunden  wäre, 
wird  man  die  fraglichen  formen  kaum  erklären  wollen.  Dann 
treten  «-formen  neben  solchen  mit  v  von  der  mitte  des 
11.  jh.'s  an  im  reim  auf.  Diesen  formen  zulieb  scheide  ich 
zunächst  einmal  die  zweite  hälfte  des  11.  jh.'s  aus,  und  ich 
nehme  diese  formen  mit  den  entsprechenden  doppelformen  der 
nächsten  zeit  zusammen.  Somit  bleibt  die  zeit  vom  9.  jh.  bis 
zur  mitte  des  11.  jh.'s.  In  dieser  sind  auf  bairischem  boden 
allein  e-formen  nachzuweisen,  und  sie  sind  daher  auch  allein 
der  bairischen  mundart  zuzuerkennen. 

Nun  bleiben  die  zwei  Jahrhunderte  von  1050  bis  zum 
auftreten  der  Urkunden  nach  1270.  Sie  müssen  die  Verbin- 
dung für  die  vorhergehende  und  die  folgende  zeit  bilden  und 
es  sind  daher  gleicherweise  auch  hier  ausschliesslich 
c-formen  zu  erwarten.  Hiemit  lässt  sich  die  spräche  der 
quellen  ohne  Schwierigkeit  vereinigen  und  die  grammatik  hat 
daher  künftig  allein  gen  für  die  bairische  mundart  zu 
verzeichnen. 

Die  literarischen  quellen  schreiben  vom  12.  jh.  ab  sowol 
t  als  ä.  und  schon  seit  mitte  des  11.  jh.'s  ist  beides  im  reim 
nachzuweisen.  Kine  grosse  anzahl  von  quellen  hat  im  reim 
vorhersehend  «-formen,  verwendet  aber  auch  c- formen,  wo 
sich  ein  reim  für  diese  bietet.  Einige  quellen,  zumal  solche 
geringen  umfanges,  haben  im  reim  nur  «-formen.  Wo  gen  mit 
sien  gebunden  ist.  wird  bald  «  bald  e  geschrieben,  mehrfach 
im  anschluss  an  das  verfahren  im  innern  des  verses.  An  dieser 
letzteren  stelle  erscheint  in  einem  teil  der  quellen  vorwiegend 
oder  auch  ausschliesslich  fi.  andere  haben  auch  hier  viele  ä. 


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212 


BOHNENBERGER 


Diesen  bestand  erkläre  ich  so.  Die  dichter  haben  die 
fremden  d- formen  kennen  gelernt,  sie  haben  dieselben  im 
reim,  wo  sie  sehr  bequem  verwendbar  sind,  bald  häufig 
benützt.  Da  für  die  c-formen  im  reim  sehr  wenig  Verwendung 
ist,  so  wiegen  im  reim  die  a- formen  recht  bedeutend  vor. 
Hiemit  wird  die  «-form  sehr  geläufig,  und  es  entsteht  die 
gewohnheit,  sie  auch  da  zu  setzen  wo  man  ihrer  nicht  bedarf: 
im  innern  des  verses  und  da  wo  gen  mit  sten  gebunden  ist, 
Zwischen  den  beiden  extremen,  die  mundartlichen  e- formen 
wo  immer  möglich  festzuhalten,  oder  auf  die  überflüssigen 
c-formen  ganz  zu  verzichten,  finden  sich  daher  mittelstufen  in 
grosser  menge. 

Original  und  copie,  dichter  und  schreiber  können  dabei 
auch  verschieden  verfahren.  So  lässt  sich  vermuten,  dass  für 
einen  teil  der  formen  abänderung  des  Schreibers  vorliegt,  wenn 
im  innern  des  verses  stets  e-formen  auftreten,  im  reim  dagegen 
regelmässig  mit  ä  gät :  stät  geschrieben  wird.  Dass  dieser 
bestand  schon  vom  dichter  stammt,  ist  nicht  wahrscheinlich, 
wenn  auch  nicht  ausgeschlossen.  Wahrscheinlicher  ist,  dass 
der  dichter  wol  an  der  reimstelle  die  dort  herschende  «-form 
auch  für  den  reim  gut :  stät  verwendet,  und  im  innern  des  verses, 
aber  frei  verfahrend  bald  «-formen  bald  solche  mit  c  benützt 
hat.  Der  schreiber,  der  sich  vor  änderungen  im  reim  hütet, 
hat  dann  gät :  stät  unverändert  gelassen,  im  innern  hat  er  zu 
gongten  der  heimatlichen  e- formen  ausgeglichen.  Dagegen  ist 
m.  e.  mit  der  weiteren  möglichkeit,  dass  alle  c-formen  mit  aus- 
nähme der  wenigen  durch  den  reim  gedeckten  dem  schreiber 
zuzuweisen  sind,  nicht  ernstlich  zu  rechnen.  Da  für  die 
dichter  die  e- formen  im  reim  nicht  verpönt  sind,  werden  sie 
von  ihnen  auch  ausserhalb  des  reimes  nicht  gemieden  worden 
sein.  Und  wenn  all  die  vielen  e- formen  in  nichtreimender 
stelle  von  den  schreibei  n  stammen,  so  wäre  zu  erwarten,  dass 
die  schreiber  auch  den  rest  der  ungedeckten  «-formen  beseitigt 
hätten. 

Ich  gebe  im  folgenden  eine  reihe  von  belegen.  Wem  die 
bände  weniger  gebunden  sind  als  mir,  der  wird  manche  da- 
von durch  bessere  ersetzen  können.  An  dem  gesammt- 
ergebnisse  wird  sich  kaum  viel  verschieben.  Ich  ziehe  auch 
solche  quellen  bei,  bei  welchen  bairische  herkunft  nicht  be- 


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GAT     G$J  IM  BATRI8CHEN. 


213 


stimmt  erweisbar  oder  selbst  bestritten  ist.  Ausscheidung  der- 
selben ändert  ebenfalls  an  dem  ergebnisse  nicht  viel,  es  ist 
aber  von  interesse  zu  sehen,  wie  ihr  verfahren  von  dem  der 
sicher  als  bairisch  bestimmbaren  quellen  nicht  abweicht. 

(i  enesis  («la.**  stück,  welches  in  den  Wiener  Sitzungsberichten  47, 636  ff. 
von  Dienier  uach  der  Vorauer  handschrift  veröffentlicht  ist,  verglichen  mit 
der  Wiener  [Hoffmaiiiis  Fundgruben  2]  und  der  Milstfttter  hs.  [Geneiüs  und 
Exodus  n.  d.  Milst.  hs.  hg.  v.  Diemer]):  irgen  :  willen  46,  Buben  :  nten  71, 
chouften  :  gen  92,  fasten  :  Jessen  864.  lobent :  nirstent  1031  (M  abweichend); 
man  \  gan  61,  getan  :  irgan  «21.  gat  :  stat  1169.  Dazu  gen  :  sten  7  mal  mit 
e  in  VWM,  1  mal  mit  e  in  V,  «  in  WM  und  1  mal  mit  e  in  VM  gegen  r/en : 
stan  in  W.  Ohne  reim  oder  in  ganz  unreinem  reim  4  mal  e  in  VWM,  2  mal 
e  in  V  gegen  ä  in  WM.  1  mal  r  in  VM  gegen  «  in  W. 

Frau  Ava  (nach  Zs.  fdph.  10.  129)  :  Johannes  :  Xazareth  :  */rf  91 ; 
stan  :  man  49.  ergan  :  71,  gegan  :  fagan  223,  man  :  gegan  263,  /wf  :  «7a/ 
361,  stan  :  man  405,  ma«  :  gan  421 ;  gende  :  erstenrie  337.  Jüngstes  ge- 
richt:  IC«  :  zergen  203;  zergaf  :  hat  57  ;  getan  :  gan  bb,  tu gat  :  rat  227; 
<#T0«i  (Schreiber!)  :  fyeffin  115,  dazu  f  ohne  reiin  oder  im  reim  gen  :  sten 
12 mal.  Weitere  reime  mit  e  aus  dem  Leben  Jesu  (uach  Langguth,  Zu 
den  gefliehten  der  A..  1880,  diss.,  8.6),  gen  •  Jietlehem,  Jerusalem,  Effrem 
243.  389.  401.  1155.  1433.  1121. 

Johannes  baptista  aus  Baumgartenberg  (Deutsche  gediente 
des  12.  jh."s  hg.  v.  C.  Kraus,  1894):  stan  :  gan  1,  e  :  ue rufen  21. 

Johannes  baptista  von  Adelbreht  (ebda.):  Elisaheth  :  stet  49, 
getan  :  gan  188. 

Kaiserchrouik  (hg.  v.  Schröder,  MG.),  1—1200  und  10500  ff.:  Jeru- 
salem :  gen  721.  865.  1079  ;  gestan  :  man  197;  man  :  gan  549.  1047:  gan  : 
ersinn  10708;  rerlat  :  gpttöf  10720;  getan  :  gan  16083. 

Heinrich  von  Melk  (hg.  v.  Heinzel)  1 — 200:  stät,gät  :  hat,  tat  43. 
101.  170;  gen  :  8/rn  2  mal  mit  e,  2  mal  mit  ri. 

Küren  berger:  entsinn:  man,  2  mal  ri,  3  mal  e. 

Dietmar  von  Eist:  a  im  reim  8 mal.  f'  ohne  reim1)  3 mal. 

Burggraf  von  Kegensbnrg:  we  :  entsten. 

Burggraf  von  Bietenburg:  a  im  reim  2mal. 

Hartwig  von  Bute:  a  im  reim  2 mal,  ohne  reim  1  mal,  e  1  mal. 

Konrad  von  Fussesbrunn:  Kindheit  Jesu  (hg.  v.  Kochendörffer. 
QV.  43)  1  —  1000  und  2500  ff.:  a  9 mal  im  reim,  e  2 mal  (Eli sähet  im,  Na- 
zaret  2543),  ausserhalb  des  reimes  fast  durchweg  e. 

Walt  her:  ohne  reim  weitaus  vorhersehend  f.  bei  reim  gin  :  $ten 
teils  i,  teils  a,  sehr  viele  reime  auf  anderweitiges  a. 


»)  Hierzu  ist  weiterhin  auch  der  reim  gen  :  sten  gerechnet ,  fall»  der- 
selbe nicht  noch  besonders  aufgeführt  wird. 


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214 


UOHXENHERGEK 


Heinrich  von  dem  TU rl in.  Krone:  ohne  reim  in  der  regel  <S  auch 
yen  :  xtin  mit  c.  Neben  den  reimen  auf  n  ziemlich  häufig  solche  anf  f, 
z.  b.  ztrin  3894.  4204.  42S0.  5134:  het  29877. 

•Stricker,  Karl,  Ami».  Daniel:  viele  reime  anf  ö.  ohne  reim  nach 
den  ausgaben  im  Karl  (Bartsch)  und  Amis  (Lambel)  vorhersehend  e.  im 
Paniel  (Bosenhagen,  vgl.  auch  dessen  Untersuchungen  über  P..  ISO»,  diss., 
s.  40)  immer  «. 

Wem  her,  Helmbrecht:  reime  auf  ä:  19.  115.  211.  333.  585.  031. 
852.  1163.  1601,  ohne  reim  c:  335.  1392.  1717.  1916,  «  1309. 

Ulrich  von  Lichtenstein,  Frauendieust :  sehr  viele  reime  auf  «, 
ohne  reim  und  im  reim  ffSti  :  tffti  viele  e.  aber  auch  a. 

Herr  and  von  Wildonie:  reime  auf  <t,  ausserhalb  des  reimes  c 
und  t'i. 

Seharpfenberger:  *t£t,  gä n,  gu . 

Nibelungenlied:  ohne  reim  meist  i,  aber  bei  reim  gtn  :  stcii  mehr 
ä  als  «?.  ABC  weichen  von  einander  ab.  Klage  wie  das  lied:  reim  mit  r: 
Mtuhnzeu  :  (/t  steii  905  (B).    Gudrun:  ohne  reim  iu  der  regel  <?. 

Ich  fasse  das  ergebnis  dahin  zusammen:  die  literarischen 
kreise  in  Raiern  haben  von  der  mitte  des  ll.jh.'san  oder  jeden- 
falls bald  nachher  die  fremde  sprachform  mit  a  gekannt, 
sie  haben  sich  derselben  neben  der  einheimischen  bedient 
und  zwar  zunächst  da,  wo  die  fremde  form  praktischer  war, 
dann  auch  in  anderen  fällen,  immer  aber  ist  auch  die  ein- 
heimische daneben  literarisch  in  geltung  geblieben.  So  sind 
parallelformen  in  die  literatur  gekommen  und  die  spräche  der 
denkmäler  ist  keine  einheitliche  mehr.  Ohne  zweifei  haben 
wir  dies  ergebnis  über  den  einzelneu  fall  hinaus  zu  erweitern, 
und  es  fehlt  in  den  mhd.  denkmälern  nicht  an  formen,  welche 
verwanten  Charakter  vermuten  lassen.  Das  problem,  um  wel- 
ches es  sich  dabei  handelt,  ist  dem  der  Schriftsprache  ähnlich, 
aber  es  steht  doch  nicht  direct  mit  diesem  in  Zusammenhang: 
ja  es  enthält  auch  momente  welche  der  Schriftsprache  ent- 
gegen stehen.  Die  Schriftsprache  verlangt  dem  grundsatze 
nach  einheitlichkeit  der  sprachform,  wenn  diese  auch  nicht 
immer  consequent  durchgeführt  ist;  hier  aber  handelt  es  sich 
im  prineip  darum,  dass  zweierlei  formen  neben  einander 
verwendet  werden.  Die  Schriftsprache  wählt  die  fremde 
form,  weil  man  sich  deren  in  massgebenden  kreisen  be- 
dient, weil  sie  für  feiner  und  britischer  gilt:  hier  wird  diese 
gewählt,  weil  sie  leichter  zu  handhaben  ist,  also  weil  sie 


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GAT    Cttj  IM  BAIRI8CHEJT 


215 


praktischer,  nicht  weil  sie  feiner  ist  als  die  andere.  Manche 
erscheinung  zu  deren  erklärung  man  sonst  die  Schriftsprache 
beizuziehen  hätte,  wird  man  aus  der  aufnähme  der  prakti- 
scheren form  erklären  können.  Man  hat  hienach  auch  weniger 
als  je  die  texte  zu  normalisieren.  Nicht  allein  von  der  nor- 
malisierung  nach  einer  Schriftsprache,  sondern  auch  von  der 
normalisierung  nach  einer  mundart  hat  man  nur  sehr  vorsich- 
tigeil gebrauch  zu  machen.  Wo  die  handschrift  formen  ver- 
schiedener herkunft  neben  einander  zeigt,  hat  man  nicht  so 
ohne  weiteres  die  eine  dem  Schreiber  und  die  andere  dem 
autor  zuzuweisen:  der  autor  selbst  kann  beide  gebraucht 
haben.  Sind  solche  doppelformen  demnach  nicht  aus  den 
texten  auszuscheiden,  so  um  so  ernstlicher  aber  aus  den 
grammatiken  der  mundarten.  Hierin  hat  noch  viel  zu  ge- 
schehen. Je  mehr  quellen  aber  erschlossen  werden,  welche 
nicht  aus  den  literarischen  kreisen  im  engeren  sinne  stammen, 
und  die  dagegen  örtlich  und  zeitlich  genau  bestimmbar  sind, 
desto  eher  kann  man  dieser  aufgäbe  nachkommen. 

Wie  das  fremde  ydt  auf  bairischem  boden  in  der  literatur 
auftritt,  so  ist  ißt  in  schwäbisch  -  alemannischen ')  quellen 
möglich.  Daher  kann  der  reim  Vrtrn  :  sten  bei  Hartmann 
(Iwein  4184)  nicht  mehr  auffallen.  Man  darf  nun  auch  nicht 
ohne  weiteres  in  den  schwäbisch  -  alemannischen  denkmälern 
alle  nicht  durch  den  reim  gedeckten  ('-formen  tilgen.  Da  für 
die  fremde  form  auf  schwäbisch-alemannischem  boden  im  reim 


')  Wenn  ich  für  das  schwäbisch -alemannische  gebiet  in  literarischer 
zeit  im  grossen  und  ganzen  die  ei -form  ansetze,  so  lasse  ich  dabei  nicht 
ausser  acht,  dass  für  die  heutige  mnudart  des  äusserst en  S\Y  (canton  Bern 
bis  Monte  Rosa)  formen  angegeben  werden,  welche  <?  voraussetzen.  Für 
das  hauptgebiet  sind  die  d- formen  von  ältester  literarischer  zeit  her  zu 
sicher  als  die  einzig  mundartlichen  erwiesen,  als  dass  unsere  auflassnng 
durch  jene  e-formen  beeinflusst  werden  könnte.  Dabei  «oll  dort,  so  viel  ich 
sehe,  e  in  der  flexion  mit  ä  wechseln:  yet  aber  gun.  Ich  glaube  nicht, 
dass  wir  berechtigt  sind,  darin  eine  ältere  alemannische  stufe  zu  sehen, 
die  in  vorliterarischer  zeit  im  alemannischen  weitere  Verbreitung  gehabt 
hätte.  Alt  muss  das  e,  freilich  sein,  aber  kaum  auf  alemannischem  boden. 
Man  pflegt  heute  gar  nicht  mehr  mit  burgundischen  resten  zu  rechnen: 
ob  hier  nicht  doch  ein  solcher  vorliegt?  Die  Urkunden  des  Berner  ge- 
biete» schreihen  zu  eude  des  13.  und  beginn  des  M.jh.'s  auffalleuder- 
weise  yäl 


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216  BOHNEN UERO ER,  OAT     GÜT  IM  BAIRI8CHEN. 

viel  weniger  Verwendung:  ist  als  auf  bairisehem,  so  wird  auf 
ersterem  die  c-form  vom  dichter  ausserhalb  des  reimes  auch 
weniger  häufig  verwendet  worden  sein,  als  die  d-form  auf 
letzterem,  aber  ausgeschlossen  ist  die  e-fonn  auf  ersterem  damit 
nicht:  im  14.  und  15.  jh.  tritt  sie  auch  in  recht  ansehnlicher 
zahl  auf. 

TÜBINGEN,  September  1896.       K.  BOHNEN BERK EU. 


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EINIGE  FÄLLE  VON  C'ONSON ANTENSCHAV UNI) 
IX  DEUTSCHEN  MUNDARTEN.1) 


I.  Schwund  eines  anlautenden  ». 

Nach  dem  Schweizerischen  idiotikon  1,  164  ist  Schweiz. 
äcke,  ecke  (nacken,  bug),  bair.  äck,  gack  aus  anke  'verkürzt*: 
4 Verstümmelung  aus  nacken  anzunehmen,  empfiehlt  sich  nicht, 
weil  die  bedeutung  bug  ziemlich  absteht  und  n  viel  leichter 
vortritt  als  wegfällt.  Unerklärt  bleibt  der  umlaut.  der  in  der 
ausspräche  e  sich  als  alt  ausweist."  Bei  der  ableitung  von 
äcke  aus  anke  wäre  der  ausfall  des  n  unbegreiflich.  Aus  nacken 
lässt  sich  das  wort  befriedigend  erklären. 

Sicher  ist.  dass  anlautendes  n  von  Substantiven  als  un- 
bestimmter artikel  aufgefasst  werden  und  abfallen  kann2); 
das*?  der  vortritt  eines  n  sich  leichter  vollzieht  als  der  abfäll, 
ist  ganz  natürlich,  denn  es  gibt  mehr  Substantive  mit  vocali- 
schem  anlaut  als  mit  anlautendem  u. 

Ein  weiteres  hindernis.  äcke  von  nacken  abzuleiten,  sind 
dem  Idiotikon  die  bedeutungen  des  Schweiz.  Wortes:  vgl.  äcke 
'nacken.  (knie-)  bug,  kleine  bodenerhebung'  mit  mM.  anke  *ge- 
nick.  fussgelenk',  gr.  äyxcov  'ellenbogcn,  vorsprang  an  einer 
mauer.  Vorgebirge'.  Aber  auch  nacken  kann  einmal  eine  wei- 
tere bedeutung  gehabt  haben:  bair.  nacken  ist  ein  knochen. 


Abkürzungen:  HM.  —  Baierus  mundarten,  heraus^,  von  Brenner  und 
Hartmann.  —  DM.  s=  Frommanns  Deutsche  mundarten.  Schweilers  Mund- 
arten Baien»  und  Kauftmanns  (»esehichte  der  schwäb.  inundart  sind  mit 
den  namen  der  verf.  eitiert. 

r)  Beispiele  s.  bei  Schnieller  gfcj  1510.  ttll.  Lexer,  Kämt.  wb.  s.  xm. 
Jellinghaus,  NL  volksraa.  s.  118.  PM.  5,451.  BM.  1,242:  einer  (bair.  wald) 
=  nahiger,  eugl.  auyer,  nl.  {n)an'<jaar;  nd.  nl.  ük  (nachen):  otter  (engl. 
bL  adder)  :  notier ;  verbreitet  ist  est  (tiest),  Mnd.  wb.  3, 142. 


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218 


HORN 


das  keltische  cnocc,  cnoch,  das  von  Kluge  mit  unserem  wort 
verglichen  wird,  bedeutet  'hügel,  erhebung'. 

Der  umlaut,  den  das  Idiotikon  unerklärt  lässt,  ist  aus  dem 
dat.  sing.  *neckm  eingedrungen1);  vgl.  altobd.  henin  zu  hano, 
nemin  zu  namo  (ttraune.  Ahd.  gr.2  §  221,  anm.  2).2)  Damit  ist 
aber  nur  ecke  (mit  geschlossenem  e)  erklärt;  das  viel  weiter 
verbreitete  äcke  hat  secundären  umlaut:  unter  einwirkung 
der  übrigen  casus  bildete  sich  neckin  zu  nackin  um,  wo  dann 
später  der  umlaut  doch  durchdrang,  aber  nur  bis  zu  ä  ge- 
langte. 

II.  Schwund  eines  anlautenden  g. 

Kluge  erwähnt  in  seinem  Wörterbuch  für  gips  auffälliges 
schwäb.-bair.  ips.  Das  wort  findet  sich  auch  im  Odenwald 
mit  dem  zugehörigen  verbum  ipso:  es  ist  aber  im  aussterben 
begriffen,  da  seit  etwa  '.\Q  jähren  kein  ips  mehr  als  dünge- 
mittel  auf  die  kleeäcker  gestreut  wird.  Dazu  bemerkt  Ph. 
Lenz3):  'ob  der  ausfall  des  anlautenden  g  durch  eine  ältere 
ausspräche  *jij)s  oder  durch  falsche  auffassung  des  g  in  dem 
verbum  gipsen  als  Vorsilbe  ge-  zu  erklären  ist.  bleibt  ungewis.' 
Jips  kommt  tatsächlich  vor  im  Elsass*),  auch  in  der  Schweiz6) 
(neben  ips). 

Romanisches  (//,  z  (-_  lat.  j  oder  g)  wird  dort  in  mehreren 
Worten  durch  j  widergegeben:  Jet*/* (Genf),  jentsian  (gentiana), 
justement  (justement);  vgl.  A.  Heusler,  Alem.  cons.  s.  89.  Beitr. 
18,  847,  Aber  schwund  des./  vor  vocalen,  wie  ihn  Lenz  und 
das  Idiotik.  annehmen,  kann  höchstens  in  unbetonter  satzstelle 
erfolgen:  schwäb.  westböhm.  nachdrucksloses  ö  für  j$  (ja).8) 

Gehen  wir  vom  verbum  gipsen  aus,  so  löst  sich  das  rätsei: 
im  part.  praet.  gipst  konnte  g  als  Vorsilbe  ge-  erscheinen;  so 
bildete  sich  ein  neuer  Infinitiv  ipso,  der  nur  in  gegenden  vor- 
zukommen scheint,  die  partieipia  wie  gössen,  geben  gebrauchen: 


')  Diwe  erkläruii»;  des  f  hat  herr  prof.  Beuaghel  im  germ.  «-miliar 
vorgetragen. 

|»)  Vgl.  noch  alem.  mmttig  aus  muninUig.   0.  Behaghel.] 

')  HamLschuhslieimcr  «liahkr.  nachtrag,  progr.,  Heidelberg.  1892,  f.  II. 

«)  Alemannia  5,  200. 

4)  Srhwciz.  id.  :\,  50. 

•)  Kauffmanii  §  180  aiiiu.   BM.  2,  355. 


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COXSONANTENSCHWCND. 


210 


gipst :  ips9  =  ges<)  :  Ebenso  darf  wol  schwäb.  pr»  (gären) 
erklärt  werden,  das  Kauffinann  §  180  anm.  ans  Balingen  eitiert. 

Anders  steht  es  natürlich  mit  ilge  (lilie)  in  süddeutschen 
mundarten. ')  Kauffinann  §  182  sagt:  "unter  nicht  bekannten 
bedingungen  ist  g  vor  t  geschwunden,  vgl.  gilgen  >  ilgo.'  Ilgc 
muss  aber  nicht  notwendig  aus  gilge  entstanden  sein;  aus  liljc, 
lüge  lässt  es  sich  mit  annähme  totaler  dissimilation  leicht  er- 
klären. 

Wie  aber  erklärt  sich  gilge  mit  anlautenden»  g?  Heyne 
im  DWb.  (unter  lilie)  meint,  gilge  habe  sich  wie  im  rom.  (it. 
ffiglio)  dissimilierend  aus  lilie  entwickelt.  Aber  eine  solche 
erscheinung  hätte  im  deutschen  kein  analogon;  wegen  der  it. 
form  vgl.  Meyer -Lübke,  Gr.  d.  rom.  spr.  1,  §  573.  Klier  dürfte 
man  vielleicht  an  eine  art  assimilation  des  anlautenden  l  an  // 
in  lüge  denken;  vgl.  dial.  samt  <  sunst  Aber  wie  wollte 
man  damit  die  form  jilge2)  in  einklang  bringen?  Wir  haben 
oben  gesehen,  dass  rom.  dz  durch  j  widergegeben  wird:  aus 
it.  giglio  konnte  zunächst  jilge  werden,  das  mhd.  gilge  ge- 
schrieben, in  manchen  gegenden  auch  gesprochen  wurde. 
Denn  der  mhd.  Wechsel  zwischen  j  und  g  ist  nach  ausweis 
der  heutigen  ma.  nicht  überall  nur  orthographisch.  In  man- 
chen dialekten  ist  /'  vor  e,  i  zu  g  geworden,  vgl.  Hehaghel  in 
Pauls  Grundr.  1,580.  Aus  diesen  ma.  können  übrigens  nhd. 
gären,  gischt,  gähn  stammen,  es  wird  daher  nicht  nötig  sein, 
mit  Wadstein,  Zs.  fdph.  28, 525  in  gären  ein  gc- compositum  zu 
sehen. 

III.  Schwund  eines 

Otto  Aron  hat  Beitr.  17, 225  f.  folgende  hypothcse  für  die 
entstehung  von  .s'  aus  s  in  Verbindung  mit  bestimmten  conso- 
nanten  vorgetragen:  .v  entstand  aus  s  wortinlauteiid  nach  r 
und  in  st,  sofern  folgendes  i,  j  die  vorhergehenden  consonanteii 
mouillieren  konnte  (gast :  gvste).  Im  wortanlaut  entwickelte 
sich  s  zu  s  nach  r  des  vorangehenden  Wortes,  'wenn  unmittelbar 
ein  den  hauptaceent  nicht  tragender  laut  folgte':  er  stemmt  > 


')  Schw.  Hl.  1?  179.  Sclimellcr.  Bair.  wb.  I,  B7.  Kauffmaim  IM».  1*2. 
Taubergrand  ifa,  Bmlieu  iiijr. 

a)  Elsass  jiU  Alem.  5.200.  Schw.  id.  1,  171».  Heunebei^.  DM.  2,  4  »8. 
Blätter  f.  laudesk.  Nieder-Oestr.  23, 137  (ßtlt'ny). 


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220 


HORN 


er  swimmt,  aber  er  sagt  mit  erhalt  ung  des  s.  Wo  Aron  da- 
mit nicht  auskommt,  nimmt  er  seine  Zuflucht  zur  'lautlichen 
analogie'.  Ausser  anderen  gründen  sprechen  gegen  die  an- 
nähme, 8  vor  /,  m  u.s.w.  sei  dem  das  vorausgehende  wort 
scliliessenden  r  zuzuschreiben,  die  lautverhältnisse  der  Brienzer 
ma.:  dort  wird  nämlich  s  nach  (alveolarem!)  r  nicht  zu  s,  den- 
noch sagt  man  Stein,  Spilan  u.  s.  w.  (Beitr.  18, 387).  Auch  die 
ent Wickelung  von  s  +  consonant  in  der  mundart  von  Basel 
lässt  sich  kaum  mit  Arons  hypothese  in  einklang  bringen  (vgl. 
s.  267):  dort  haben  wir  dieselbe  erscheinung  wie  in  Brienz, 
aber  r  ist  velar. 

s  ist  ganz  geschwunden  in  sti  er,  swaz,  wofür  im  14.  jh. 
wer,  waz  auftritt.  Paul,  Mhd.  gr.3  §  342, 2  und  Beliaghel,  Pauls 
Orundr.  1, 585  nahmen  an,  das  verallgemeinernde  surer,  swaz 
sei  durch  das  einfache  interrogativ  teer,  waz  verdrängt  worden. 
Neuerdings  vertritt  herr  prof.  Beliaghel  in  seinen  Vorlesungen 
über  deutsche  grammatik  die  ansieht,  dass  stver  auf  lautlichem 
weg  ZU  teer  geworden  sei.  Swer  ist  bekanntlich  aus  so  wer 
entstanden,  und  sw  war  schon  zu  sie  geworden,  als  sieh  soteer 
allmählich  durch  *sewer  zu  sieer  entwickelte.  Beliaghel  nimmt 
nun  an:  nach  dem  lautgesetz  sw  >  sw  wirkte  das  lautgesetz 
sw  >  te,  und  verweist  auf  nhd.  schlohweiss :  scJilossweiss,  alem. 
(nffima  (neuwä),  niewa,  niewer  (neizwer).*)  [Das  ergebnis  einer 
älteren  zusammenrückung  ist  schwäb.  ojsnu  (heizten)  neben 
ojtnj,  (Jerm.  36,433.  In  einer  Schweiz,  chronik  von  1482  ist 
nciiwaz  belegt,  vgl.  Geschieht sfreund  38, 225.]  Vgl.  ausserdem 
kawasser  'käswasser'  (in  den  Alpen),  Schmeller  §  660. 

Ich  glaube,  dass  ebenso  ein  lautgesetz  sni  m  gewirkt 
hat.  So  erklären  sich  die  von  Kauffmann  §  152  anm.  1  an- 
geführten Wörter:  mtumr  (mttoz  man),  lame  (läz  mich),  aber 
las  bleibd,  las  gab. 

Auch  für  den  lautwandel  sn  >  n  finden  sich  belege; 
Schmeller  §  660  verzeichnet  :  Sinzau'n  (Sinzhausen),  Massn- 
haun  (Mässenhausen).  Westböhmen  (BM.  2,  225.  345)  bietet 
folgende  beispiele:  bin  bis  -f-  n  (n  ist  die  vorausgenommene 
personalendung  der  3.  pers.  pl.,  vgl.  Schmeller  §  722);  won  =- 
was  -f-  n;  an  —  *a$n  =  'aus  dem',  aun  =  'aitssen'. 

l)  c>.  DWb.  unter  ueiss. 


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CONSONANTBNSCIIWITND. 


221 


Aurh  vor  /•  scheint  *  jresr.li wunden  zu  sein:  an  der  Nah 
und  Pegnitz,  im  Ochsenfurter  gau,  im  Tauhergrund  sagt  man 
unrv)  für  unser,  in  Buchen  im  Odenwald  Or.7)  In  Westhöhmen 
{Byi.  2.  445)  findet  sieh  aa'ar  nehen  aussar  (ausser). 

Aurh  in  folgenden  fällen  haben  wol  die  erörterten  gesetze 
gewirkt : 

Schweiz,  ma.  haben  da  (das),  tra  (was);  da  ist  auch  fränkisch 
und  we  st  böhmisch.3)  Der  Schwund  des  s  ist  aus  dem  sandlii 
zu  erklären:  es  schwand,  wenn  das  folgende  wort  mit  .*  oder 
Nr,  m,  n  (r)  anlautete.  Kbenso  können  die  s -losen  formen  von 
müssen*)  erklärt  werden:  miiez»  verliert  z  vor  n,  muoz  vor 
folgendem  s,  m,  n,  w  (Heusler,  Alem.  cons.  §  1<>8  hält  mäend 
für  eine  analogiebildung:  tuost :  täaid  -  muost :  mäend).  Man 
beachte  auch  bei  Schmeller  §  662:  ostlech.  er  tva3s  :  i  wa.)'  et 
(ich  weiss  nicht);  der  abfall  des  anlautenden  n  von  'nicht', 
der  sich  auch  im  schwäb.,  in  gegenden  der  Schweiz,  in  nl. 
in iindarten5)  findet,  beruht  auf  falscher  abtrennung  im  Satz- 
zusammenhang (z.  b.  bin  nieht  >  bin  icht).  Man  dachte  daran, 
et  sei  vielleicht  •**•);  da  aber  in  Kärnten  (DM.  2, 340)  et 
nach  vorangehendem  vocal  nrt  gesprochen  wird,  liegt  es  näher. 
et  aus  niht  abzuleiten. 

Die.se  betraehtungen  werfen  wol  licht  auf  das  unaufgeklärte 
yjtcea  in  Nordschwaben,  in  teilen  Baierns,  im  Odenwald  (bei 
alten  leuten,  sonst  gwest).  Fischer,  Geographie  der  schwäb. 
ma.  s. 5(3  sagt:  'darf  man  daran  erinnern,  dass  die  lautgesetz- 
liche form  gewern  wäre?  Das  r  konnte  vor  n  fallen.  Aber 
vgl.  das  auffallende  allgäuische  gic&x».'  •)  Im  Odenwald  wäre 
ausfall  des  r  nicht  möglich. 

Nach  obigen  erörterungen  wird  gares»  zu  genen.  Die 
nasalierung,  die  strichweise  in  geuen,  genr.)  erscheint,  kann 

»)  Schmeller  §  MO.  Bavaria.  3.  21».  Heilig,  Wh.  der  ma.  de«  Tauber- 
gründe«,  progr-  1894, 

*)  Breunig,  Laute  der  ma.  von  Buchen,  progr.  IS91.  ».  33. 

3)  Weinhold.  AI.  gr.  S  1&8.    Bavaria  3.  209.    BM.  2.  345. 

*)  Weinhold,  AI.  gr.  §151.    Schmeller  S  «»2.    BM.  2.  245.    Bav.  3.  21». 

*)  Jellinghaus,  XI.  volksmaa.  s.  103. 

°)  So  schon  (Trimm,  Gr.  (nendruck)  3,  714;  neuerdings  Fischer,  Ueogr. 
der  schwäb.  ma..  s.  57. 

')  S.  karte  24  von  Fischers  Sprachatlas. 


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222 


HO  KM.  C0M80NANTKNSC1IWUN1». 


durch  das  n  bewirkt  sein:  möglicherweise  aber  ist  sie  zu  be- 
urteilen wie  in  lals  (leise):  gerade  vor  s  findet  sich  im  schwäb. 
eine  unaufgeklärte  nasalierung  (vgl.  Fischer  s.  r»7).  Aber  wie 
steht  es  mit  ywtwrd  an  der  oberen  Hier?  Auch  im  romanischen 
schwindet  s  vor  cons..  am  frühesten  vor  nasalen  und  liquiden. 
s  war  in  manchen  gegenden  vor  dem  ausfall  zu  einem  /-  oder 
^•ähnlichen  laute  geworden,  der  sich  noch  in  heutigen  in  und- 
arten  findet1);  auch  mhd.  lehnwörter  aus  dem  französischen 
weisen  h  für  .s-  vor  cons.  auf:  schuht  vi  afrz.  vhastvl;  foreht 
(im  reime  mit  sieht)  Parz.  601.  10. 5)  So  hat  vielleicht  auch 
im  deutschen  eine  Zwischenstufe  .roder  /  (+  cons.)  bestanden, 
die  sich  im  allgäuischen  gwezx.*  erhalten  hätte. 

')  Vgl,  t.  b.  Bulletin  de  la  soc.  des  parlers  de  France  1.  ».7:1.85. 

*)  Mcyer-Lübke,  (Jr.  «1.  nun.  spr.  I.  4j>j  4<»8.  525».  Was  Köritz.  s  vor  cons. 
im  frz..  diss.  IS85.  s.  34  tfe«rn  F.  Neunianns  ansieht  (Zur  laut-  and  flexions- 
lehre  des  afrz.  s.  10(»)  vorbringt,  ist  nicht  stichhaltig. 

WESSKX,  juni  189(5.  WILHELM  HORN. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES. 


I.  Zu  den  germanischen  auslautsgesetzen. 

Axel  Kock  und  \Y.  van  Helten  beschäftigen  sich  Beitr. 
21, 429  ff.  und  476  f.  mit  der  frage  nach  dem  abfall  des  aus- 
lautenden u  im  gotischen.  Dabei  ist  van  Heltens  hinweist  auf 
lat.  cornu  gegenüber  germ.  hörn  verfehlt.  Das  wort  hörn  ist 
nämlich  nicht  nur  im  germanischen  ein  o-stamm.  sondern  auch 
im  keltischen,  wie  Hesychs  galat.  xupiw  n)v  oulxiyya  be- 
weist. In  folge  dessen  bedarf  vielmehr,  falls  man  nicht  eine 
indogermanische  doppelheit  statuieren  will,  die  lateinische  form 
der  erklärung.  Kine  solche  ist  auch  schon  von  Danielsson  in 
Paulis  Altital.  Studien  3.  188  versucht  worden.  Er  nimmt  an, 
dass  ein  alter  dual  *cornö,  cornns  aus  *comous  sich  zu  cornti, 
comiis  ausgeglichen  habe  und  dieses  dann  singularisch  ge- 
braucht sei.  Man  braucht  nur  an  aengl.  nosu,  dum  zu  denken, 
um  diese  erklärung  für  sehr  wol  möglich  halten  zu  können. 

Ganz  anders  wiegt  der  hinweis  Kocks,  dass  tdr  im  aisl. 
nicht  umgelautet  ist.  Man  müsste  *tör  erwarten,  wie  es  tat- 
sächlich rond,  Orr  heisst.  Kock  erwägt  zwei  möglichkeiten 
für  die  erklärung:  es  könne  das  u  von  *tuyru,  da  es  im  ab- 
soluten auslaut  stand,  früher  geschwunden  sein  als  das  gedeckte 
u.  oder  *tagru  habe  sich  schon  vor  der  Wirkung  der  auslauts- 
gesetze  der  flexion  der  (/-stamme  angeschlossen,  da  ja  vor- 
geschichtlich eine  menge  Wörter  auf  analogischeni  wege  aus 
der  einen  flexionsklasse  in  die  andere  übergetreten  seien.  Kock 
entscheidet  sich  für  diese  annähme,  gegen  die  sich,  wie  mir 
scheint,  doch  einiges  geltend  inachen  lässt.  Im  ahd.  fiectiert 
nämlich  zaiutr  im  plural  nach  der  /-declination.  Belegt  sind 
zahari  gl.  K..  0.  3. 24.  72.  1.  20,  9:  zaharin  K.  4.  0.  3.  24.  9. 48.  58; 


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224 


HIKT 


5,6,36.  T.  92. 138.  Ein  Wechsel  zwischen  «-  und  /-deelination 
ist  zwar  sehr  gewöhnlich,  aher  doch  nur  der  art,  dass  zu  den 
alten  i-  und  « -stammen  der  [dural  auf  -«  häufig,  selten  aber 
ein  plural  auf  -i  hei  sicheren  «-Stämmen  gebildet  wird,  vgl. 
v.  Bahder.  Verbalabstracta  s.  18.  Das  ae.  tan;  north,  tmhher 
zeigt  den  reinen  «-stamm,  ist  also  insignificant,  aber  immerhin 
lassen  sich  das  ae.  und  ahd.  am  leichtesten  aus  der  alten 
«-flexion  erklären,  die  demnach  wahrscheinlich  im  wgerm.  noch 
vorhanden  war.  Der  übertritt  in  die  «-flexion  wäre  dann  also 
nur  gotisch-nordisch. 

Es  fragt  sich  zunächst,  ob  dieser  übertritt  in  diesen  beiden 
sprachen  gemeinsam  vollzogen  ist.  oder  ob  wir  etwa  eine  plau- 
sible erklärung  für  einen  dieser  dialekte  allein  finden  können. 
Vor  allem  muss  ich  gestehen,  dass  Kocks  annähme  einer  ana- 
logischen Umwandlung  der  flexiou  mich  deshalb  nicht  befriedigt, 
weil  «-stämnie  sonst  nicht  zu  «  Stämmen  geworden  sind.  Mir 
ist  kein  einziger  fall  ausser  tayr  bekannt,  obgleich  nicht  gerade 
wenig  indog.  «-Stämme  in  das  germanische  hinein  gekommen 
sind.  Die  blosse  annähme  eines  analogischen  Übertritts  ohne 
den  nachweis,  dass  gewisse  lautlich  zusammengefallene  formen 
oder  gewisse  begriffskategorien  oder  endlich  irgend  ein  der  be- 
deutung  nach  verwantes  wort  den  übertritt  bewirkt  haben, 
verschiebt  die  Schwierigkeiten  nur,  ohne  sie  zu  lösen. 

Vielleicht  wird  uns  eine  genaue  Untersuchung  der  im  ger- 
manischen vorhandenen  möglichkeiten  der  entwicklung  von 
*dakru  klarheit  über  den  wert  der  gotisch -nordischen  formen 
verschaffen.  <4r.  öccxqv,  lat.  dacruma,  lacruma,  lacrinw,  com. 
dagr,  pL  dagrou,  ahd.  pL  tahari,  in  Verbindung  mit  aengl.  tmr 
lassen  eine  indog.  form  *ddkru  n.  erschliessen.  Wie  sich  dazu 
aind.  drru  n.  verhält,  ist  einstweilen  unklar.  Aber  das  eine 
steht  fest,  dass  es  eine  ganze  menge  indog.  'reim Wörter'  gibt, 
die  sich  nur  durch  das  plus  oder  minus  eines  anlautenden 
consonanten  unterscheiden.  Man  vergleiche  aind.  hr'mish 
und  lat.  vermin,  got.  dags,  lit.  ddgas,  aind.  aJias.  Es  darf 
nicht  verschwiegen  werden,  dass  es  im  indischen  auch 
ein  avrdm  gibt,  welches  indessen  weder  im  Kg.  noch  im 
Atharvaveda  auftritt,  und  dass  das  lateinische  nicht  un- 
bedingt für  einen  «-stamm  spricht.  Indessen  ergibt  sich 
aus  griechisch,    eornisch  und   wgerm.    der    «-stamm  mit 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  225 


voller  Sicherheit.  Ausser  dem  got.-nordischen  ist  nirgends  ein 
o-stamm  zu  spüren,  und  damit  ist  wol  die  indog.  doppelstam- 
migkeit  ausgeschlossen. 

Weiter  ist  zu  fragen,  wie  der  indog.  u -stamm  flectierte. 
Bekanntlich  gibt  es  in  dieser  klasse  zwei  arten  von  flexion,  ent- 
weder -us,  gen.  -ous,  oder  -us,  gen.  -uos,  die  sich  zum  teil  noch 
recht  gut  scheiden  lassen.  Doch  ist  diese  Unterscheidung  ziem- 
lich bedeutungslos  für  das  germanische,  da  hier  fast  durchweg 
die  flexion  -us,  -ous  gesiegt  hat,  wie  am  besten  got.  kinnus  — 
aind.  hunush,  gr.  ylvvi,  yiwoq  beweist.  I  >as  doppel-w  des  germa- 
nischen erklärt  sich  aus  obliquen  casus  wie  *kinues,  die  später 
die  endungen  der  «-Stämme  angenommen  haben.  Andere  bei- 
spiele  sind:  aind.  mddhuas,  mddhvas,  07 mal  belegt  gegenüber 
18  mddhös,  und  gr.  ftiftv,  fji&voe,  an.  mindr  nach  der  M-decli- 
nation,  und  aengl.  meodu;  aind.  pagväs  gegenüber  ahd.  fihiu, 
an.  fidr. 

Wir  werden  also  für  das  urgermanische  eine  flexion  *tdhru, 
*tdhrous  u.s.w.  anzunehmen  haben.  Wie  der  nominativ  plu- 
ralis  anzusetzen  ist,  dürfte  zweifelhaft  sein;  entweder  als 
*tagrhcö  oder  *togruwö.  Aus  jenem  erklärt  sich  die  ahd.  form 
zahari  lautgesetzlich ,  womit  dann  zugleich  der  genuswechsel 
klar  wird.  Doch  ist  es  nicht  unbedingt  nötig,  sie  vorauszu- 
setzen, vgl.  Michels,  Zum  Wechsel  des  nominalgeschlechts  s.  21  f. 
Im  nordischen  sind  der  dat.  plur.  thront  und  gen.  plur.  tdra  als 
formen  des  «-Stammes  verständlich;  und  weiter  hätte  eine  dem 
gr.  öäxQva  entsprechende  pluralform  wol  über  *tahruuö  zu  tyr 
geführt.  Da  das  wort  neutrum  geblieben  ist,  stand  es  als 
ti -stamm  vollständig  isoliert,  und  unterlag  naturgemäss  dem 
einfluss  der  neutralen  o- Stämme,  so  dass  sich  als  nom.  sing, 
nach  dem  muster  von  born  :  barn  zu  iyr  ein  tdr  ergeben 
.  musste.  Es  scheint  mir  demgemäss  wol  möglich  zu  sein,  die 
nordische  form  ohne  rücksicht  auf  das  gotische  zu  erklären. 
Hier  aber  versagen  alle  versuche,  den  übertritt  in  die  a-flexion 
durch  den  zusammenfall  irgend  welcher  u-  und  a-  formen  zu 
erklären,  und  ich  glaube,  wir  müssen  doch  wider  unsere  Zu- 
flucht zu  dem  abfall  des  u  im  nominativ  *tayru  nehmen.  Aber 
*ta(fru,  dessen  u  im  absoluten  auslaut  stand,  beweist  zunächst 
nichts  für  -us  und  -um .  wie  Kock  mit  recht  hervorhebt.  Da 
Kock  ferner  auf  die  Verhältnisse  des  Röksteins  hinweist,  in 

Beitrage  *ur  ge«chichte  der  deutschen  ■prmclie.    XXII.  15 


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220 


HIRT 


denen  i  geschwunden,  u  aber  erhalten  ist,  so  erhalten  wir  eine 
treffliche  illustration  der  behandlung  der  auslautenden  vocale 
im  gotischen,  und  ich  erkenne  demnach  an,  dass  -tts  und  -um 
in  zweiter  silbe  im  gotischen  noch  erhalten  waren.  Mehr  und 
mehr  haben  uns  ja  die  nordischen  runeninschriften  gelehrt, 
dass  die  germanischen  apokopierungsgesetze,  die  für  die  histo- 
rischen dialekte  auf  ein  einziges  lautgesetz  zurückzugehen 
scheinen,  in  eine  reihe  zeitlich  getrennter  Vorgänge  zerfallen. 
Man  kann  daher  auch  sehr  wol  mit  van  Helten  anerkennen, 
dass  -um  im  gotischen  in  dritter  silbe  (fadar)  bereits  ge- 
schwunden ist,  in  zweiter  dagegen  erhalten  war.  Freilich 
fragt  es  sich,  ob  -um  aus  m  unbedingt  mit  altem  -um  auf 
einer  linie  stand.  J.  Schmidt  hat  Kritik  der  sonantentheorie 
s.  80  den  zusammenfall  der  beiden  laute  geleugnet.  Aber  da  die 
alten  consonantischen  stamme  fotus,  handus  entweder  vom  acc. 
sing,  oder  vom  acc.  plur.  (*fotum,  *ßtuns),  eventuell  auch  vom 
dat.  plur.  (*fotum-x)  in  die  w-flexion  übergetreten  sein  müssen, 
so  kann  das  lautgefühl  der  Goten  hier  keinen  unterschied  mehr 
statuiert  haben.  Immerhin  waren  die  beiden  u  verschieden 
betont,  da  die  n- Stämme  überwiegend  oxjioniert  waren,  -um 
aus  -m  aber  nicht  den  ton  trug.  Aber  wir  haben  ja  leider 
noch  gar  keinen  anhält,  um  die  Wirkung  des  indog.  aecentes 
auf  den  abfall  oder  die  bewahrung  der  auslautenden  vocale 
im  germ.  festzustellen.  Dass  *ddiru  im  singular  wurzelbetont 
war,  ist,  glaube  ich,  ziemlich  sicher.  Der  tonende  spirant 
stammt  aus  dem  plural. 

Ich  lege  indessen  nicht  allzu  viel  gewicht  auf  diesen  einen 
punkt,  da  wir  ja  darüber  einig  sind,  dass  auch  für  das  gotische 
dieselben  auslautsgesetze  anzunehmen  sind,  wie  für  das  nord- 
und  westgermanische,  nämlich  früherer  abfall  der  vocale  nach 
langer  als  nach  kurzer  Wurzelsilbe. 

Auf  die  bemerkungen  van  Heltens  a.  a.  o.  s.  480  ff.  des 
näheren  einzugehen,  möchte  ich  vermeiden.  Ich  habe  aus 
ihnen  nichts  mich  überzeugendes  entnehmen  können,  und  fühle 
mich  ausser  stände,  meinerseits  neue  argumente  ins  feld  zu 
führen.  In  solchem  falle  ist  von  einer  erneuten  discussion 
nichts  erspriessliches  zu  erwarten.  Einige  versehen  muss  ich 
jedoch  berichtigen.  Die  ausführungen  auf  s.  482  erledigen  sich 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES. 


dadurch,  dass  van  Helten  auf  den  wesentlichen  unterschied 
verschiedeninoriger  vocale,  auf  die  ich  jetzt  in  erster  linie  die 
behandlung  der  längen  zurückführe,  gar  nicht  eingeht.  Ich 
verkenne  nicht,  dass  die  tenninologie  und  accentbezeichnung 
des  litauischen  auf  den  fernerstehenden  verwirrend  wirken 
kann.  Lit.  ranka  und  szirdts  tragen  zwar  die  gleiche  accent- 
bezeichnung, sind  aber  in  ihrem  Ursprung  ganz  verschieden. 
Der  gravis  bezeichnet  hier  nur  den  sitz  des  accentes,  über 
die  ursprüngliche  qualität  desselben  erhalten  wir  erst  durch 
die  Sprachgeschichte  aufschluss.  welche  lehrt,  dass  ranka  auf 
*ru*hd  und  weiter  auf  *rdnka  zurückgeht.  Ferner  sagt  van 
Helten:  'die  kürzung  war  nach  der  accenttheorie  die  folge 
einer  stosstonigen  (d.  h.  haupt-  oder  nebentonigen)  ausspräche 
der  ultima.'  Ich  brauche  wol  kaum  zu  bemerken,  dass  die 
in  klammern  angeführten  worte  falsch  sind,  da  auch  unbetonte 
silben  ebensogut  verschiedene  accentqualitäten  besitzen  können 
wie  sie  lang  und  kurz  sein  können. 

Van  Helten  löst  die  Verkürzungsfrage  jetzt  dahin:  'wenn 
die  spiranten  Ö  und  fi  abgefallen  waren,  sind  die  längen  ge- 
kürzt, bei  schwund  von  /  =  indog.  (/  sind  sie  erhalten.'  Diese 
lösung,  über  deren  innere  Wahrscheinlichkeit  man  wol  ver- 
schiedener meinung  sein  kann,  hilft  leider  nicht  über  die 
Schwierigkeiten  hinweg,  die  die  nasalierten  silben  bieten,  und 
den  unterschied  von  got.  bairai  indog.  *bharoit  und  haitada 
vermag  sie  nicht  aufzuklären.  Dass  ausserdem  bei  van  Heltens 
versuch  eine  reihe  von  formen  unerklärt  bleiben  (s.  485 ')  und 
formen  zur  erklärung  herangezogen  werden,  die  es  nicht  gibt 
(s.  487 3  f.  J.  Schmidts  dativendung  -<•  aus  -ei  und  -ö  aus  -öi), 
dient  ihm  nicht  gerade  zur  empfehlung.  Ich  halte  auch  diesem 
neuesten  versuch  gegenüber  die  'accenthypothese'  fftr  uner- 
sehüttert. 

2.  Gab  es  wgerm.  reflexe  von  got.  -ans,  -ins,  -uns 

des  acc.  plur.? 

Diese  frage  hat  van  Helten  Beitr.  20, 516  f.  gegen  Scherer, 
Mahlow,  Kluge,  Jellinek  und  mich  verneint,  aber  mit  unrecht, 
wie  ich  nicht  weiter  ausführen  will.  Erkennt  man  aber  die 
gleichung  aengl.  suntt  —  got.  sununs  an,  so  wird  man  nicht 
umhin  können,  aengl.  acc.  plur.  stma  mit  got.  dayans  zu  ver- 

15* 


228 


HI  KT 


gleichen.  Auch  im  aengl.  muss  eine  Unterscheidung  des  nom. 
und  acc.  der  a-stämme  existiert  haben,  die  im  got.  vorhanden, 
im  alid.  und  as.  noch  nachweisbar  ist.  Die  formen  mussten 
lauten  dömas  und  *döma.  Die  durch  den  nom.  verdrängte 
accusativform  der  a-stämme  hat  aber  bei  den  kurzsilbigen 
«•Stämmen  ein  unterkommen  gefunden,  während  die  langsilbigen 
die  nominativform  herübergenommen  haben,  feldas. 

3.  Gr.  örofia,  got.  mnnps. 

Got.  munjts,  ahd.  mund  m.,  ags.  muö,  aisl.  munnr,  urgerm. 
*mn}mz  hängt  ziemlich  sicher  mit  lat.  mentum  kkinn  bei  men- 
schen und  tieren*  zusammen.  Des  weiteren  kann  man  aber 
gr.  orofAUj  azofjarog  leicht  mit  den  beiden  Wörtern  verbinden. 
Ich  halte  zunächst  die  /-flexion  des  griechischen  hier  wie  in 
zahlreichen  anderen  fällen  für  alt.  ordfia  geht  dann  auf 
*stömnt  zurück,  das  sich  zu  *mnto-  aus  *sfmnto-  verhält  wie 

o  7  o  o 

*dvkmt 4 10'  zu  *butom  aus  *(lkmtöm.  Derartiger  fälle,  in  denen 
der  vocal  der  ersten  silbe  völlig  geschwunden,  und  die  an- 
lautende complicierte  consonantengruppe  alsdann  vereinfacht 
ist,  gibt  es  ja  genug,  ich  erinnere  nur  an  gr.  TQujrt^a  aus 
*ptra-,  *qtra -jrt^a,  an  gr.  xrt/c,  xrtvoq  aus  *pktcnos  zu  lat. 
prrten,  pectinis.  Die  Verbindung  von  wund  mit  maul,  ahd. 
mala  f.  ist  unter  diesen  umständen  freilich  aufzugeben.  Die 
wurzelbetonung  des  germanischen  muss  auf  accent Verschiebung 
beruhen.  Ich  lasse  zunächst  einige  ähnliche  fälle  von  Schwund 
der  ersten  silbe  folgen. 

4.  (ir.  GTOfdayog,  ahd.  mayo. 

Den  iuayen  mit  möyen,  vermögen  in  Zusammenhang  zu 
bringen,  hat  nahe  gelegen,  so  unwahrscheinlich  das  auch  bei 
genauer  Überlegung  scheinen  mag.  Denn  die  körperteil- 
bezeichnungen  widersetzen  sich  der  herleitung  aus  verbal- 
wurzeln und  gehören  zum  ältesten  bestand  der  spräche  über- 
haupt. Die  im  titel  angeführte  vergleichung  von  gr.  oxoitaxoc 
mit  ahd.  mayo  ist  genau  so  gut  möglich  wie  die  von  mund 
mit  ordfia.  Die  bedeutungen  stimmen  vortrefflich.  Die  w-flexion 
der  germanischen  wird  auf  dem  einfluss  der  übrigen  körper- 
bezeichnungen,  namentlich  von  ahd.  nioro,  herea  beruhen. 


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GRAMMATISCHE8  UND  ETYMOLOGISCHES.  229 


5.  Ahd.  muodi. 

Ahd.  muodi  'müde',  ahd.  mttojan  'beschweren'  gehören  zu 
lat.  möles  Anstrengung,  mühe,  last',  mölestus  'beschwerlich*, 
gr.  fimXoq  'anstreiigung',  umXve  'matt,  trag'.  Eine  erkennbare 
ablautsstufe  der  w.  mö,  eine  stufe  m9  ist  bisher  noch  nicht 
gefunden;  das  weist  darauf  hin,  dass  wir  es  mit  einer  zwei- 
silbigen formation  zu  tun  haben.  In  der  tat  kann  man  sie 
leicht  mit  gr.  xufjaroc,  xfi^roq,  aind.  gamitäs  u.s.w.  verbinden. 
Xhd.muodi  wäre  aus  *(k)mötjos  herzuleiten.  Nach  den  IF.  7, 203 f. 
gegebenen  auseinandersetzungen  muss  die  basis  kemö  die  ab- 
lautsstufen  kemo  und  k(e)mö  zeigen.  Letztere  war  bislier  nicht 
aufzufinden,  und  liegt  in  mö  vor,  da  die  anlautsgruppe  hm 
wahrscheinlich  schon  im  indogermanischen  das  k  verloren  hat. 
Gr.  xfj?]Tog  spricht  nicht  dagegen,  da  man  hier  ui\  als  Ver- 
treter der  indog.  gruppe  etno  auffassen  kann.  Sonst  findet  sich 
im  gr.  nur  xjitXt&Qov,  das  nach  Pamphilus  in  E.  M.  p.  521. 28 
=  fiiXa{>Qov  sein  soll.  Nun  hat  man  dieses  zwar  mit  ahd. 
himil  zusammengebracht,  was  indes  immerhin  unsicher  bleibt. 
Ich  glaube  also,  dass  vor  der  band  x(iiXti>Qov  nicht  gegen  die 
annähme  eines  indog.  abfalls  des  k  spricht. 

(3.  Got.  mops  'zorn\ 

Got.  mops  m.  'mut,  zorn'  hat  man  mit  abulg.  sii-mej^ 
'wage',  gi\  fictiouat  -strebe,  trachte',  piai(iäo>  'verlange  heftig' 
zusammengestellt.  Ich  will  diese  möglichkeit  nicht  bestreiten, 
schlage  aber  eine  andere  vor.  Vergleicht  man  die  bedeutungs- 
entwicklung  von  gr.  &vuog  gegenüber  lat.  famus,  abulg.  dymU, 
aind.  dhümds,  so  kann  man  möds  aus  *dhmütds  herleiten  und, 
mit  aind.  dhmütds  von  dham,  dhmä  'blasen,  durch  blasen  an- 
fachen (das  teuer)'  vergleichen.  Der  anlaiit  dm  wurde  im 
germanischen  oder  schon  früher  vereinfacht  (vgl.  auch  Osthoff, 
lat.  materies,  Festgruss  an  Roth  s.  120),  und  die  bedeutungs- 
entwicklung  von  'angefacht,  angeblasen'  zu  'zorn,  mut'  ist 
einfach  und  verständlich. 

7.  Got.  dius. 

Man  hat  längst,  um  got.  diusn.  'wildestier'  zu  erklären, 
auf  lat.  animal  zu  nninnts  verwiesen,  und  daher  lit.  dresiit 
'hauche',  dräse  'atem,  geist',  abulg.  dusa  'atem,  seele'  heran- 


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HI  KT 


gezogen.  Man  kann  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  auch  lat. 
bestia  ans  *duestia  wie  bellum  ans  dueUum  vergleichen,  in 
dem  die  ablautsstufe  dres  gegenüber  gerin.  *dcus  in  demselben 
sinne  verwant  ist.  Freilich  geht  lat.  dues  anf  indog.  du  zu- 
rück, während  das  germ.  wort  anf  dh  weist,  aber  dasselbe 
Verhältnis  besteht  auch  zwischen  ahd.  hart  und  lat.  kirim,  für 
das  wir  farba  erwarten,  und  ein  Wechsel  zwischen  media  und 
media  aspirata  ist  auch  sonst  belegt. 

8.  Ahd.  her. 

Ahd.  btr  geht  mit  as.  berswin,  ags.  bar,  auf  urgerm.  *baira- 
zurück,  und  das  indog.  bhoiro-  ist  ein  reimwort  zu  gr.  /otyoc, 
alb.  der  'schwein'  aus  ghoiros.  Mit  russ.  bororu  'eher  kann 
das  wort  natürlich  nichts  zu  tun  haben.  Vielmehr  ist  dieses 
aus  einer  form  *harws,  vgl.  mhd.  bare,  ahd.  baruy,  barh,  aengl. 
bearh,  an.  boryr  entlehnt. 

9.  Got.  usgrudja. 
Got.  usyrudja  icairjum  übersetzt  das  griechische  txxtcxttv. 
Das  wort  kommt  weder  in  den  übrigen  germanischen  sprachen 
vor,  noch  ist  es  etymologisch  erklärt.  Ich  verbinde  es  mit  der 
aind.  wurzel  hrr,  hrtt,  hur.  Bekanntlich  wechselte  die  laut- 
gruppe  rr  im  indog.  häufig  mit  ru,  und  zwar  kann  man  mit 
ziemlicher  bestimmtheit  behaupten,  dass  diese  aus  jener  ent- 
standen ist.  Den  stamm  hrüt  finden  wir  im  Veda  in  der  be- 
deutung  'feind',  hru  aber  heisst  'von  der  graden  richtung 
abbiegen  oder  abbiegen  machen'.  Dass  sich  daraus  die  got. 
bedeutung  'mutlos,  träge'  entwickelt  haben  kann,  unterliegt 
wol  keinem  zweifei. 

10.  Got.  u  ulf's. 

lTeber  die  verwantschaftsverhältnisse  von  got.  u  ulf's  spre- 
chen sich  die  etymologen  sehr  verschieden  ans.  Ganz  neuer- 
dings trennt  Uhlenbeek,  Kurzgef.  et.  wb.  d.  got.  spräche  lat.  lujms 
von  dem  deutschen  wort,  sicher  aber  mit  unrecht,  lupus  und 
gr.  Xvxoj;  gehören  entschieden  zu  dem  allgemein  verbreiteten 
wort.  Ihr  anlaut  ist  als  echtes  lu  zu  fassen,  das  im  indog. 
aus  /•/  entstanden  ist,  vgl.  Wackernagel.  Aind.  gr.  $  184.  s.  2<M». 
Das  p  lässt  sich  aus  sabinischem  einfluss  erklären,  und  dann 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  231 


wird  man  nicht  umhin  können,  lat.  vulpes  (trotz  Kluge,  Et.  wb.) 
mit  ahd.  wulpa,  an.  ylgr,  aind.  rrkhsh  zu  verbinden.  Die  flexion 
vulpes,  vulpis  weist  auf  die  alte  i<7-declination,  für  die  auch 
noch  vulpinus  spricht.  Wie  man  dazu  kam,  die  wölfin  eine 
frau  fiichsin  zu  nennen,  erklärt  unsere  deutsche  tiersage,  der 
in  diesem  punkt  ein  altes  tiermärchen  zu  gründe  liegt,  da  ja 
begattungen  von  fuchs  und  wölfin  in  der  tat  vorkommen. 

11.  Got.  augo. 

Man  darf  wol  behaupten,  dass  das  germanische  wort  für 
4ange'  trotz  aller  bemühungen  noch  nicht  einwandsfrei  erklärt 
erklärt  ist.  Sowol  der  einfluss  von  ausö  wie  eine  contamina- 
tion  von  *ag  und  *aiv  scheinen  mir  nicht  überzeugend  zu  sein. 
Nun  führt  aber  die  nächste  erwägung  dazu,  in  got.  auyö  eine 
reduplicierte  bildung  zu  sehen.  Denn  der  indog.  stamm  lautet 
ob',  was  im  germanischen  zu  au-  füluen  kann,  und  in  dem  g 
sehe  ich  den  andern  laut,  der  als  entsprechung  von  kr  an- 
genommen werden  darf,  augö  führte  also  auf  *ok*9fa,aJ  das 
sich  direct  mit  gr.  ojtoijtt)  vergleicht.  Nur  muss  man  im  ger- 
manischen an  stelle  des  vollstufenvocals  ö  ein  9  voraussetzen. 
Freilich,  sicher  ist  diese  deutung  deshalb  nicht,  weil  wir  über 
die  verschiedenen  laut  Vorgänge,  die  hier  eine  rolle  haben 
spielen  müssen,  noch  nicht  genügend  unterrichtet  sind.  9  wird 
Weif  ach  durch  a,  z.  t.  aber  auch  durch  u  vertreten.  Um  die 
erhaltung  der  labialisation  zu  erklären,  mussten  wir  hier  das 
erste  annehmen.  Ueber  die  bedingungen,  unter  denen  schwache 
vocale  schwinden,  sind  wir  gleichfalls  noch  nicht  genügend 
unterrichtet,  vgl.  IF.  7, 194,  wenngleich  ich  nicht  zweifle,  dass 
sie  schwinden,  so  dass  diese  etymologie  als  gesichert  erst  be- 
trachtet werden  kann,  wenn  die  lautgesetze  genügend  fest- 
gestellt sind. 

12.  Germ.  hund. 

Vielleicht  hat  sich  schon  mancher  gefragt,  wie  kommt 
eigentlich  das  germanische  wort  für  'hund'  zu  dem  ableitenden 
dental,  von  dem  sich  in  den  übrigen  sprachen  keine  spur  zeigt : 
gl-,  xvcw,  lat.  canis,  lit.  szh,  aind.  vva.  Wir  haben  es  hier 
m.  e.  mit  einer  Umbildung  unter  dem  einfluss  verwanter  worte 
zu  tun.  Man  könnte  fast  sagen,  es  gibt  im  germanischen  ein 
tiersuffix  -nt  wie  im  slavischen,  nur  dass  es  fast  ausschliesslich 


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HIUT 


in  einsilbigen  Worten  erscheint,  so  dass  wir  diese  worte  mehr 
unter  dem  begriff  der  Adaptation  of  suffixes'  betrachten  müssen. 
Die  meisten  beispiele  sind  bekannt.  Mit  kind  kann  man  be- 
ginnen, weil  hier  der  dental  alt  ist,  und  got.  ulbandus,  mhd. 
olbentc  darf  man  in  gleichem  sinne  hinzufügen.  Dann  ahd. 
hinta  'hirschkuh',  ahd.  lind,  lint  'schlänge',  an.  linnr,  ahd.  wint 
'Windspiel',  ahd.  hrind  n.  'rind',  neben  nl.  rund,  ahd.  wisunt. 
Es  ist  bekannt,  dass  sich  im  slavischen  wirklich  ein  tiersuffix 
-nt  entwickelt  hat,  vgl.  russ.  >///*/«',  serb.jagnjcjagnjcta  gegen- 
über lat.  agnus;  russ.  porosjd,  serb.  prase  gegenüber  lat.  porcus, 
ahd.  forh\  ferner  russ.  ditjd,  tcljd,  kurjd  u.s.w. 

Wie  jung  das  suffix  -t  ist,  erkennt  man  daran,  dass  es 
in  weiteren  ableitungen  fehlt,  vgl.  z.  b.  telenoM. 

13.  Nhd.  hornung. 

Nhd.  hornung  ist  schon  um  dessentwillen  auffällig,  weil 
es  der  einzige  altgermanische  monatsname  ist,  der  sich  bis 
heute  erhalten  hat.  Die  bisherigen  etymologischen  deutungen 
befriedigen  nicht.  Eine  beziehung  zu  horn  *eornu\  der  monat. 
in  dem  die  hirsche  ihr  gehürmi  'geweilr  abweisen,  wie  Schade, 
Altd.wb.  s.v.  meint,  lässt  sich  nicht  halten.  Eine  ableitung 
von  horo  ;kot,  schmutz'  widerspricht  der  natur  der  dinge. 
Wichtig  für  die  etymologie  sind  ein  paar  sachliche  erwägungen. 
Die  alten  Germanen  haben  sicherlich  keine  monatseinteilung 
besessen,  wie  sich  weniger  aus  dem  fehlen  alteinheimischer 
monatsnameii  als  aus  allgemeinen  cultiirhistorisehen  erwägungen 
ergibt.  Der  name  hornung  kann  daher  ursprünglich  nur  eine 
durch  bestimmte  naturcrscheinungen  im  allgemeinen  charak- 
terisierte, nicht  eine  im  kalender  genau  abgegrenzte  zeit  ge- 
meint haben.  Man  könnte  fast  sagen,  es  war  ein  jahres- 
zeitennamen  wie  herbst,  imz  u.s.w.  Einen  weiteren  anhält 
gewährt  der  von  J.  (iiimm,  Gr.  2,  360  anm.  citierte  bauernreim: 
der  kleine  horn  (februar)  spricht  zum  grossen  horn  (januar), 
woraus  sich  ergibt,  dass  horn  mindestens  einen  zweimonat- 
lichen Zeitraum  bezeichnete.  Die  bedeutung  ist  nun  schon 
ziemlich  sicher  zu  erraten.  Wenn  etwas  januar  und  februar 
charakterisiert,  so  ist  es  die  kälte,  und  diesen  begriff  wird  man 
zunächst  in  dem  worte  suchen.  Ich  stelle  horn  daher  zu  lit. 
szarmä  •pruina',  lett.  serma,  summ,  russ.  screnn  'reif,  wozu 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES. 


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aus  dem  an.  hjam  'gefrorner  schnee  oder  erde'  zu  ziehen  ist. 
Der  Wechsel  von  m  und  n  im  suffix  fällt  nach  dem,  was  J. 
Schmidt,  Kritik  der  Sonantentheorie  s.  87  ff.  an  parallelen  bei- 
gebracht hat,  nicht  weiter  auf,  wenngleich  die  erklärung  J, 
Schmidts  mir  nicht  in  allen  fällen  zuzutreffen  scheint.  Was 
die  bedeutung  betrifft,  so  verhält  sich  an.  hjam  zu  hom  wie 
gr.  yimv  zu  lat.  hiems.  Natürlich  könnte  man  ja  auch  an  ent- 
fernteren Zusammenhang  mit  got.  haurn,  lat.  cornu  denken,  da 
sich  ja  in  der  härte  des  hornes  und  des  gefrorenen  bodens  eine 
bedeutungsähnlichkeit  ergibt,  die  eine  ableitung  des  einen  vom 
andern  als  möglich  erscheinen  liesse. ') 

14.  Got.  födjan. 

Got.  fodjan,  aengl.  ft'-dan  verbindet  man  mit  gr.  xaTtoftai, 
'esse,  verzehre'.  Bei  Schade  s.  v.  findet  sich  auch  der  hin  weis 
auf  abnlg.  pitati  'ernähren'.  Kluge  hat  Et.  wb.5  diese  glei- 
chung  ebensowenig  aufgenommen,  wie  Thlenberk,  Kurzgef.  et. 
wb.  der  got.  spräche,  höchst  wahrscheinlich,  weil  die  ablauts- 
verhältnissc  nicht  stimmen.  Wenn  wir  aber  von  einer  w-wurzel 
ausgehen,  so  können  wir  die  germanischen  worte  mit  dem 
sla vischen  vereinigen.  (Gehört  gr.  xattoimt,  wie  wegen  ahd. 
fatunya  'nahrung.  speise'  wahrscheinlich  ist.  hierher,  so  haben 
wir  es  mit  einer  der  zahlreichen  ablautsentgleisungen  zu  tun, 
die  zur  gentige  bekannt  sind,  vgl.  W.  Schulze,  KZ.  '27,  422. 
xmua,  jtixmxa  zu  jtl&i,  .Tlvm  und  jroroV.  nixoxat  bieten  eine 
genaue  parallele. 

15.  Ahd.  riuti. 

Ahd.  riuti  und  seine  verwanten  haben  im  ahd..  namentlich 
in  Ortsnamen,  ihre  spuren  hinterlassen.  Aus  der  weiten  Ver- 
breitung der  bildungen  auf  -rode,  -Werf,  -reut  muss  man  schliessen. 
dass  das  wort  im  agerm.  ganz  gewöhnlieh  war.  Hei  Kluge.  Et. 
wb.5  s.v.  reuten  fehlt  die  anknüpfung  an  die  verwanten  spra- 
chen, die  schon  Schade  gegeben  hat.  Ahd.  riuti  ist  /Vableitung 
und  starkes  neutrum  und  führt  lautgesetzlich  auf  \m\o%.  reut  16m. 
Es  ist  wahrscheinlich  reu-tiom  zu  teilen,  das  sich  als  zu  reu-, 
m-  stellen  würde.    Vocalisch  auslautende  wurzeln  werden  mit 


Vgl.  Wfiuliold,  Die  tkutückuu  mouutiiaiuuu  s.  10.    £.  S.J 


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HIRT 


'tjp-  weiter  gebildet.  Das  entsprechende  verbum  ist  erhalten 
in  Ii t. rauft  'mit  der  wnrzel  ausroden,  jäten'  (nicht  bei  Kurschat), 
raveti  'das  kraut  aus  den  blumen  jäten',  lett.  raut  Geissen, 
ziehen,  raufen,  schleppen',  ravft  'jäten',  abulg.  ryti  'graben', 
weiter  dann  im  got.  raupjan  'ausreissen,  abrupfen'.  Auch  lat. 
ras,  rüris  'das  land  im  gegensatz  zur  Stadt,  feld,  besitzung, 
landgut*  kann  verglichen  werden.  Ebenso  gehört  ahd.  riostur, 
eig.  'Werkzeug  zum  reuten'  hierher,  s.  Schade  s.  v. 

16.  Got.  brap.s. 

Got.  brii])s  bedeutet  'Schwiegertochter,  braut,  junge  frau'. 
Kluge  s.  v.  braut  bezeichnet  es  als  etymologisch  unaufgeklärt. 
Uhlenbeck,  Et.wb.  verweist  auf  die  'gewöhnliche',  mir  aber  neue 
vergleichung  mit  lat.  Frutis,  einem  beinamen  der  Venus.  Da- 
mit steht  es  aber  sehr  zweifelhaft.  Denn  Frutis  ist  vielleicht 
etruskischer  name  der  Venus,  und  nach  0.  Müller,  Etrusk.  2,  74 
aus  gi*.  'AqQoöirij  entlehnt.  Wie  weit  das  richtig  ist,  vermag 
ich  nicht  zu  sagen.  Bugges  deutung,  Beitr.  13, 184  als  *par- 
Udhis  'die  heimgeführte'  scheint  mir  auf  wenig  beifall  rechnen 
zu  können.  Ich  halte  die  angesetzte  form  aus  den  verschie- 
densten gründen  für  unmöglich,  will  mich  aber  nicht  weiter 
mit  ihrer  Widerlegung  aufhalten. 

Morphologisch  ist  das  wort  ein  iV-stamm  mit  endbetonung 
und  regelrechter  Schwundstufe  der  wnrzel.  Die  <i- stamme 
haben  gewöhnlich  eine  abstracte  bedeutung,  die  aber  zur  con- 
creten  werden  kann.  Unter  der  annähme,  dass  indog.  mr  im 
germ.  zu  br  geworden  sei  (vgl.  Johansson  KZ.  30,  445  ff.  Ost- 
hoff, Ml T.  5, 123  ff.),  könnte  man  brüps  mit  aind.  bravlti,  avest. 
mm  verbinden,  die  sicher  mit  mr  anlauteten  (vgl. Osthoff  a.a.O.). 
*mrüti's  wäre  ursprünglich  'die  Versprechung,  die  Verlobung', 
lat.  S2)onsio,  gr.  kyyvrjoi^.  In  betreff  des  Überganges  zum  con- 
cretum  vgl.  Delbrück,  Grundr.  3, 102  ff.») 

17.  Got.  raus,  ahd.  rör. 

Got.  raus,  ahd.  rör  hat  man  mit  lat.  ruscus,  'binse,  busch, 
mäusedoru,  ruscus  aculeatus  L.'  bedeutend  verglichen,  mit  un- 
recht wol,  wie  auch  Kluge  im  Et.wb.5  annimmt.  Ich  möchte 

[')  Vgl.  auch  oben  s.  m.   E.  S.J 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGI8CHE8.  235 


das  wort  lieber  mit  gr.  oQorfoc  tsl  'röhr'  verbinden,  grundform 
indog.  rogk*.  Dazu  kann  dann  auch  mit  Grimm,  Gr.  3,  370 
serb.  royoz  'rietgras',  poln.  royoz  'binse'  gestellt  werden. 

18.  Ahd.  bona. 

'Es  ist  noch  nicht  gelungen  den  urgerm.  pflanzennamen 
mit  den  gleichbedeutenden  lat.  faba,  abulg.  bobtt  (gr.  tpaxo^ 
linse*)  zu  vermitteln',  sagt  Kluge  im  Et.wb.  Hier  nur  ein 
versuch,  eine  möglichkeit.  Ich  nehme  auch  hier  den  ausfall 
eines  gutturals  an,  der  uns  auf  eine  indog.  form  *bhayhvnä 
oder  *bhahmä  führen  würde.  Eine  vermittelung  mit  dem  grie- 
chischen oder  lateinischen  ergibt  sich  nur,  wenn  wir  verschie- 
dene entlehnungen  annehmen.  Denn  ohne  weiteres  kann  gcrm. 
bkahv  nicht  mit  gr.  g>rcxo.\  r/«x;y  vereinigt  werden,  weil  die 
gutturale  Schwierigkeiten  bereiten,  zumal  wenn  alb.  baOt  f. 
'saubohne'  mit  palatalem  guttural  mit  G.  Meyer,  Et.  wb.  zum 
griechischen  zu  stellen  ist.  Auf  der  anderen  seite  wäre  eine 
vermittelung  mit  lat.  faba  möglich,  wenn  dieses  aus  dem  umbr. 
osk.  entlehnt  auf  *bhayh"ä  zurückgiengc.  Kann  aber  das  slav. 
l>obü  ein  lelinwort  sein?  Mir  scheint  auch  hier  alles  auf  Ver- 
hältnisse hinzuweisen,  wie  sie  beim  worte  erbst  (vgl.  Kluge, 
Kt.  wb.  s.  v.,  Hehn,  Kulturpflanzen  und  haustiere  211)  vorliegen, 
d.h.  entlehnung  mit  mannigfachen  kreuzungen  aus  dem  Osten ; 
vgl.  das  folgende. 

19.  Ahd.  rohho  'roggen'. 

Ahd.  rokho,  as.  royyo  zeigen  eine  w-bildung  wie  bona, 
gegenüber  aengl.  ryge,  an.  rttyr,  die  zu  lit.  ruyys  'roggenkorn', 
rugial  pl.,  abulg.  rüzi  'roggen'  stimmen.  Man  hält  die  gcrm. 
lit.  slavischen  worte  für  urverwant,  wogegen  sich  aber  starke 
bedenken  erheben  lassen.  Ein  glücklicher  zufall  hat  uns  den 
thrakischen  namen  ßQt^a  erhalten,  der  den  roggen  bezeich- 
nete. Da  im  phrygischen  wahrscheinlich  u  zu  •  geworden  ist 
(vgl.  die  namen  Bglysc  und  <l>Qvytc),  so  können  wir  dies  auch 
für  das  nah  verwante  thrakische  voraussetzen.  Wir  kommen 
auf  eine  grundform  *brityja,  das  wahrscheinlich  für  *trrttyia 
steht,  denn  die  Griechen  inussten  anlautendes  tv  durch  ti 
widergeben.  Die  form  stimmt  nun  ausgezeichnet  zur  lit.  sla- 
vischen,  denn  im  lit.  slav.  ist  ur  im  anlaut  zu  r  geworden, 


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2m 


HI  KT 


nicht  aber  im  germanischen.  Das  germanische  wort  mnss 
daher  ein  uraltes  lehnwort  sein,  wahrscheinlich  nicht  ans  dem 
lit.-slavischen,  sondern  aus  einem  südöstlichen  dialekt.  In  das 
griechische  ist  oQv^a  entlehnt,  das  ebenfalls  eine  form  urttgia 
voraussetzt.  Woher  es  stammt,  lässt  sich  freilich  nicht  sagen. 
Auch  aind.  rrihi  'reis'  kann  mit  dem  griechischen  wort  zu- 
sammengehören, natürlich  nur  auf  dem  wege  der  entlehnung. 

20.  Xhd.  schlürfen. 

Nhd.  schlürfen  ist  im  mhd.  und  ahd.  unbelegt,  wegen  nl. 
slurpen  aber  wahrscheinlich  alt.  Es  stimmt  laut  für  laut  mit 
lat.  sorbcre,  wenn  man  annimmt,  dass  hier  ein  l  oder  r  in  der 
ersten  silbe  durch  dissimilation  verloren  gegangen  ist,  vgl. 
royel  und  geflügel. 

21.  Got.  haims. 

Got.  haims  zeigt  eine  eigentümliche  mischung  in  der  decli- 
nation.  Im  sing,  geht  es  nach  der  fem.  i-,  im  plural  nach  der 
<7-declination.  Jene  ist  in  den  übrigen  germanischen  sprachen 
so  wenig  wie  das  feminine  geschlecht  zu  belegen.  Ahd.  heim 
ist  n.,  an.  Itchur  m.,  as.  htm  st.  m.  und  n.,  ags.  kam  m.  Aus 
den  verwanten  sprachen  ergibt  sich  zunächst  lit.  kemas  'baueni- 
hof  und  gY.x(6fitj  *dorf  als  verwant,  von  denen  dieses  offenbar 
das  feminima  collectivum  zu  jenem  ist.  Ausserdem  ist  im 
apreuss.  Vocabular  caymis  'dorf  überliefert.  Die  mit  dem  got. 
übereinstimmende  flexion  und  bedeutung  machen  mir  die  an- 
nähme von  entlehnung  wahrscheinlich,  zumal  sich  solcher  ent- 
lehnungen  ja  gerade  im  preussischen  noch  mehrere  finden.  Sie 
stammen  offenbar  aus  der  zeit,  wo  die  Goten  nachbarn  oder 
henen  der  alten  Preussen  waren. 

Im  gotischen  sind  von  snigularformen  nur  nom.  haims.  acc. 
haim  und  dat.  haimai  überliefert.  Letztere  kann  man  unmittel- 
bar mit  ahd.  heimi,  keime,  as.  kerne  4 zu  hause'  vergleichen  und 
als  alten  dativ  -  locativ  eines  o  -  Stammes  auffassen.  Wir 
sind  jetzt  wol  ziemlich  darüber  einig,  dass  got.  daya  lautlich 
dem  instr.  ahd.  Uiyu  entspricht.  Für  den  dativ  tage  milssten 
wir  im  got.  *dagai  finden,  und  eine  solche  form  könnte  sich 
wol  in  haimai  erhalten  haben.  Auch  haims  und  haim  können 
formell  masculinformen  sein.    Da  nun  zu  dem  masculinen 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  237 


Singular  ein  femininaler  plural  gehörte,  so  wurde  der  Singular 
auch  feniininum,  vielleicht  noch  unter  dem  einfluss  von  baurgs, 
vgl.  die  Verbindungen  du  paiw  bisuujanc  haimöm  jah  baurgim 
Mc.  1, 38;  baurgs  alias  j ah  ha i mos  Mt.  9, 35;  in  haimös  aifißan 
baurgs  Meß,  50;  and  baurgs  jah  haimös  L.  8, 1.  Man  ist  also 
keineswegs  genötigt,  eine  doppelte  Stammbildung  bei  diesem 
worte  anzunehmen,  vielmehr  erklärt  sich  alles,  wenn  man 
neben  einem  singularischen  o-stamm  haima-  lit.  Icemas  mit 
der  bedeutung  'haus'  ein  femininales  * haima  ■-■■=  gr.  xeoptn 
'dorf  ansetzt,  das  nur  im  plural  gebraucht  wurde.  Der  dativ 
haimai  wäre  dann  ausserdem  für  das  gotische  eine  hohe  alter- 
tümlichkeit. Er  steht  aber  nicht  allein.  Für  den  einmal  er- 
scheinenden dativ  sunnin  setzt  man  den  nominativ  sunna  an, 
was  indes  unnötig  ist,  da  die  flexion  got.  sunnö,  sunnin  der 
ahd.  sunno,  sunnen  entspricht.  Ebenso  ist  das  einmal  belegte 
U  sunja  neben  gewöhnlichem  sunjai  die  dem  ahd.  dativ-instru- 
mental  gebu  entsprechende  form.  Ags.  dat.  kam  wird  man 
am  besten  der  alten  instrumentalform  gleichsetzen. 

LEIPZIG  -  GOHLIS.  H.  HIRT. 


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ZUR  GERMANISCHEN  WORTKUNDE. 


L  Deutsch  böse  u.  a. 

Von  (1.  böse  sagt  Graff  3, 210:  'kommt  weder  im  got.  noch 
im  ags.  und  nord.  vor',  eine  angäbe,  die  fortwährend  in  den 
etymologischen  Wörterbüchern  widerholt  wird.  Ich  glaube 
indessen,  dass  es  zu  diesem  worte  im  nordischen  entsprechende 
formen  gibt,  und  zwar  norw.  baus  'hitzig,  heftig,  übermütig, 
stolz'  (vgl.  norw.  bausa  '[blindlings]  darauf  losgehen',  banste 
'unverzagt  und  heftig  heranstürmende  person',  bausta-kar 
'dreister  und  etwas  gewaltsamer  mann',  s.  Aasen  und  Koss) 
und  schwed.  dial.  bös  'wild,  verwegen  daherfahrend'  (Rietz) 
auch  'dicktuerisch'  (in  Östra  härad,  Km&land,  z.  b.  in  der  Zu- 
sammenstellung karat  rt  bös  'hochmütig  und  dicktuerisch',  nach 
einer  mitteilung  von  lic.  0.  Lagercrantz  >)•  Aehnliche  bedeu- 
tungen  bei  dem  hier  in  rede  stehenden  deutschen  stamme  sind 
schon  aus  dem  ahd.  belegt;  man  beachte  ahd.  (jebose  'levitate 
(arrogantiae)',  Graff  3.217,  bösa  'Widersetzlichkeit,  trotz'  (Kelle. 
Gloss.  d.  spr.  Otfrids),  'herzenshärtigkeit'  (Piper,  Gloss.  zu  Ot- 
frid)  und  ahd.  bösa  als  gegensatz  zu  milti  (s.  Graff  3,  21(5). 

Diese  Zusammenstellung  von  d.  böse  mit  norw.  baus,  schwed. 
dial.  bös  (alle  aus  urgerm.  *b«tis-)  wird  dadurch  kräftig  gestützt, 
dass  ein  paar  besondere  bedeutungen  von  d.  böse  auch  im  nord. 
bans-  anklänge  haben.  Wie  im  DWb.  2,  252  erwähnt  wird, 
kommt  d.  böse  dialektisch  in  einer  der  gewöhnlichen  fast  ent- 
gegengesetzten bedeutung  vor,  und  zwar  in  Verbindungen  wie 
en  bösa  jeycr  'ein  geschickter,  trefflicher  jäger',  ein  böser 
mann  'ein  feiner  mann'.   Hiermit  sind  zu  vergleichen:  norw. 

•)  Dieses  schwed.  dial.  bös  ist  gewis  ein  echt  schwedisches,  und  nicht 
ein  lehn  wort  aus  dem  deutschen,  da  die  bedeutungen  mit  denjenigen  der 
angeführten  norwegischen  Wörter  vollständig  übereinstimmen. 


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ZUK  GERMANISCHEN  WOKTKUNPE. 


289 


baust  adv.  * tiiclitigr,  reichlich',  hause  4  bedeutender  mann'  und 
norw.  bosc  'tüchtiger  mann'  (Aasen).  Die  bedeutungen  von 
ahd.  bösn  'albernheit '  (Schade),  bösi  'ineptus'  (Graff)  finden 
sich  auch  in  der  nord.  sippe  wider:  norw.  b&ysing  'hervor- 
stürmender narr',  häl(v) -b&ysing  4 halbnarr '  (Ross);  vgl.  auch 
schwed.  dial.  byssing  (aus  urgerm.  *bus-)  'alberner  keil'.  Hierzu 
stellt  sich  ja  auch  gut  nl.  beuzding  'gehaltlosigkeit,  narr- 
heit'  etc. 

Schon  früher  (s.  Kluge,  Et.  wb.)  ist  d.  böse  mit  engl,  boast 
'prahlen,  sich  rühmen'  in  Zusammenhang  gebracht  worden.  Die 
Zusammengehörigkeit  dieser  Wörter  wird  bestätigt  durch  norw. 
haus  'stolz,  hochmütig',  bausa  'laut,  schnell  und  rücksichtslos 
sprechen'  (vgl.  ahd.  bösön  'blasphemare',  Graff  3, 217),  bausta 
'mit  etwas  herausplatzen',  bauska  'aufschneiden,  prahlerische 
geschienten  (norw.  'skronor')  erzählen'  (s.  Aasen  und  Ross; 
vgl.  auch  das  schon  —  s.  Franck,  Wb.  —  zu  d.  böse  gezogene 
nl.  beuzel,  älter  bözeh  'malligheid,  leugen'  und  mnl.  heuzel-maren 
'fabelachtige  tijdingen',  Oudemans  Wb.')). 

Die  schon  im  ahd.  und  mhd.  bei  bösi  etc.  vorkommende 
bedeutung  'schlecht'  =  'wertlos,  nichtig'  könnte  von  ahd.  gt~ 
bösi  als  glosse  zu  'levitas  (arrogantiae)'  (oben  aus  Graff  an- 
geführt) beleuchtet  werden.  Uebermut  und  dickt  uerei  sind  ja 
gewöhnlich  mit  nichtigkeit  verbunden.  Indessen  stehen  auch 
andere  von  den  oben  verzeichneten  bedeutungen  des  hier  in 
rede  stehenden  Stammes  (wie  'narrheit.  gehaltlosigkeit',  'leugen') 
jener  bedeutung  nahe.1) 


')  Hierher  scheint  auch  ahd.  hörn  'frivola',  Ahd.  gll.  2,  498,  42  (in  fol- 
gendein Zusammenhang:  nimirum  vacuae  credentur  frivola  famae,  Pru- 
dentius,  Psych.  231)  zu  gehören  und  vielleicht  auch  bose  in  sus  getan  gechose 
('rede')  daz  dunchet  mich  so  bose,  Graft"  3,  21«;  vgl.  ferner  in  der  note 
s.240.  Schon  früher  ist  vorgeschlagen  worden,  mlat.  bausiare  'fallere,  deci- 
pere',  prov.  bausios  'fallax'  etc.  (s.  z.  b.  DWb.  unter  böse)  mit  böse  zu- 
sammenzubringen. Die  bedeutungen  dieser  formen  schliessen  sich  ja  den 
hier  oben  angeführten  gut  an. 

-')  Im  Mhd.  wb.  scheint  mir  die  bedeutung  'schlecht'  —  'wertlos,  ge- 
ring, armselig'  bei  batse  zu  viel  hervorgehoben  zu  sein.  Nach  der  dort 
gegebenen  darstellung  könnte  man  glauben,  das«  im  mhd.  jene  bedeutung 
die  bei  weitem  gebräuchlichste  und  mithin  die  eigentliche  sein  sollte. 
Sieht  man  aber  die  mitgeteilten  belege  näher  an.  so  findet  man.  dass  in 
vielen  ebensogut  die  bedentnng  'schlecht'  =  'schlimm,  arg  (malus,  pravus)' 


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240 


WADSTKIN 


Zu  dieser  sippe  urgerm.  *baus-,  Mfe-  'heftig,  übermütig: 
etc'  gehören  offenbar  auch  mlid.  bus  (paus)  'aufgeblasenheit, 
schwellende  fülle',  nhd.  ba-us  'abundantia,  tumor,  inflatio',  bansten 
'turgere',  mhd.  Imsen  ' schwelgen',  nM.  bansen  'tumere,  turgere'. 
iargiter  potare,  schlemmen  und  demmcn'  (DWb.).  mnl.  Imysen, 
engl,  bouse  'zechen';  vgl.  norw.  Imsa  i  sey  'gierig  fressen,  hinter- 
schlingen', busen  'gef rassig',  banse  'wolernährte  person',  bansten 
'appetit  habend'  (Aasen  und  Koss).  Ferner  stellen  sich  gut 
hierher:  d.  bauseh  'tumor.  willst,  geschwulst'  (I)AVb.),  mhd. 
büsch  'wulst.  schlag  der  beulen  gibt,  kn Uttel',  hinsehen  'schlagen, 
klopfen',  nhd.  bauschen  'tumere,  turgere'.  'ferire,  schlagen, 
schwellen  machen'  (DWb.). 

Diese  von  mir  gemachten  Zusammenstellungen  werden 
durch  bedeutungen  hierher  gehöriger  slavischer  Wörter  be- 
stätigt. Auf  meine  frage,  ob  sich  vielleicht  im  slavischen 
verwante  von  dieser  germanischen  sippe  bans  :  btis  'schwellen, 
aufgeblasen  sein  etc.'  finden  sollten,  hat  mich  mein  freund 
Mikkola  auf  das  slav.  buch-  (aus  ieur.  bhous-)  von  ähnlicher 
bedeutung  aufmerksam  gemacht.  Zu  diesem  stamme  gehörige 
formen  der  verschiedenen  slavischen  sprachen  finden  sich  bei 
Miklosich,  Et.  wb.  s.  23  verzeichnet.  Russ.  buehnntl  bedeutet 
eben  'schwellen,  sich  werfen*,  neuslov.  bnhnoti  'anschwellen', 
serb.  nabnhnnti  -anlaufen,  anschwellen,  intumescere';  —  vgl. 
d.  bansen  'schwellen'  etc.  oben.  Die  bedeutung  von  norw. 
bans,  schwed.  dial.  bös  'übermütig'  findet  sich  in  den  mir  von 
Mikkola  aus  dem  kaschubischen  mitgeteilten  bucfoi  'hochmut' 
und  bustii  'hochmütig'  wider.  Poln.  buchnqc,  buchae  bedeutet 
u.  a.  'gewaltig  hervorbrechen,  hervorbrausen,  herausplatzen'; 
vgl.  norw.  bausa  '(blindlings)  darauf  losgehen'  etc.  Auch  die 
bedeutung  von  norw.  bausa  "laut  und  rücksichtslos  sprechen' 
erscheint  im  slav.:  czech.  bauehati  'hitzig  reden',  auch  'schwä- 
tzen, plappern,  gehirnlos  reden'.    Die  letztere  bedeutung 

angesetzt  werden  kann.  Auch  andere  bedeutungen  können  unterschieden 
werden.  So  ist  b(?se  rede  in  b'tt  ho  se  rede  und  tuot  diu  irerc  Iw.  5009 
und  Im  Wigal.  2207  offenbar  mit  *  grossprahlerische  reden'  zu  übersetzen. 
In  bwne  Herren  Waith.  2b,  33  •  schlechte,  die  versprechen  und  ihr  wort  nicht 
halten'  kommt  eine  ähnliche  bedeutung  zum  Vorschein.  Ebenso  int  in  sirä 
sieh  der  bwse  selbe  lobt  Iw.  2499  gewis  in  Iw«  die  nebenbedentung  'gross-  . 
prahlerisch,  dicktuerisch'  mit  einbegriffen. 


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ZUR  GERMANISCHEN  WORTKUNDK. 


241 


erinnert  an  germ.  *baus-  'narr,  albern'  (s.  oben);  vgl.  auch 
czech.  bauehnauti  sc  *sich  vernarren  (in  etwas)'.  Ferner  be- 
ileilten poln.  buchac  gierig  fressen,  hinterschlingen'  und  czech. 
bauchati  («*  sc)  'gierig  fressen',  also  ganz  dasselbe  wie  mhd. 
Imsen  'schwelgen'  etc.  (s.  oben).  Mit  poln.  buchac  (hxjo)  '(jemand) 
derb  prügeln',  czech.  bauchati  'einen  schlagen'  ist  d.  hinsehen 
'ferire,  schlagen  etc.'  (s.  oben)  zu  vergleichen.1) 

Zu  der  hier  behandelten  sippe  stelle  ich  ferner  auch  isl. 
bysia  *to  gush'  (von  blut.  thränen).  vgl.  poln.  buchac  *mar- 
quant  Faction  unique,  des  choses  liquides:  jaillir.  saillir, 
sourdre,  s'cchapper  avec  abondance',  Janusz.  Dict.  pol-frang.) 
norw.  beysa  'gewaltsamer  windstoss',  bysja  'böe.  windstoss', 
schwed.  dial.  busa  'stark  blasen'  (vgl.  poln.  buchac  \co]  'heftig 
aushauchen,  gewaltsam  ausatmen',  Booch - Xrkossy).  Ebenso 
gehört  wahrscheinlich  hierher  isl.  norw.  byrr,  schwed.  dial.  byr, 
bor,  dfln.  bor  -wind'. 

2.  Deutsch  (ftp fei  u.a. 

Von  hd.  (jipfel  ist  bisher  keine  einigeinlassen  wahrschein- 
liche etymologie  gegeben  worden  (s.  Kluges  Wb.).  Das  wort 
ist  in  keiner  germanischen  spräche  oder  dialekt  ausser  im 
oberdeutschen  gefunden  worden.  Man  hat  nicht  einmal  einen 
verwanten  davon  im  ganzen  germanischen  Wortschätze  an- 
treffen können.2)  Dies  ist  in  der  tat  auch  nicht  zu  erwarten, 
da  hd.  (fipfel,  wie  aus  dem  folgenden  hervorgehen  dürfte,  nicht 
ein  echt  germanisches  wort,  sondern  aus  dem  romanischen 
entlehnt  ist. 

Wie  bekannt  tritt  (jipfel  in  der  literatur  ziemlich  spät  auf. 
Nach  Weigand  kommt  das  wort  erst  im  10.  jh.  als  allgemein 
üblich  vor.  Einzelne  belege  sind  jedoch  aus  älterer  zeit  ge- 
funden worden  und  zwar  steht  der  älteste  mir  bekannte  in 
einer  oberdeutschen  quelle  von  1420,  welche  das  mlat.  c'nua 
mit  gipfel  glossiert  (s.  Diefenbach,  X.gl.  s.9Ö*  und  s.  xvi,  no.52). 
Auch  in  schweizerischen  dialekten  bedeutet  [fipfel.  mit  der 

')  Die  bedeutungsangaben  der  polnischen  und  czechisehen  Wörter  habe 
ich  den  Wörterbüchern  von  Booch-Ärkossy  und  Jungmann  entnommen. 

*)  E.  Liden  stellt  es  BB.  21,115  zu  schwed.  gippa  'wippen':  vgl.  in- 
dessen darüber  verf.  in  derselben  Zeitschrift  22.  116. 

RrltrUgo  '»r  getchichto  der  druUcheu  «pra:he.    XXII.  \{j 


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242 


WADSTKIN 


ncbenform  lipfrf.  noch  besondei-s  'oberster  teil  von  pflanzen* 
(s.  Schweiz,  id.  2,  890);  vgl.  auch  bair.  dial.  yipfliny  'der  oberste, 
noch  ganze  teil  eines  gefällten  baumes'  (Schmeller  1, 028). 

Der  Wechsel  von  anlautendem  y  und  /.•  in  oberd.1)  yipfel 
und  kipfel  erklärt  sich  am  einfachsten  bei  annähme  von  ent- 
lehnung;  denn  bei  solchen,  zumal  romanischen,  tritt  ein  der- 
artiger Wechsel  bekanntlich  oft  auf.  Heber  denselben  verweise 
ich  auf  Grimm,  \Yb.  4, 1, 1  sp.  1100  unter  .V\  wo  hervorgehoben 
wird,  dass  4  in  fremd  Wörtern,  besonders  romanischen,  ein  k  (c) 
gern  als  y  erscheint  ;  so  in  oberd.  yant  . . .  Gaspar  . . .  gerner 
carnarium.  (fitster  küster,  yumpost  eompost'2);  vgl.  ferner  Wein- 
hold, Bair.  gramm.  175,  Alein.  gramm.  211  und  Franz,  Die  lat.- 
roman.  elemente  im  ahd.  s.  30. 

Das  wort  yipfel  findet  sich  auch,  wie  aus  der  vorher- 
gehenden erwägung  zu  erwarten  ist.  im  romanischen  wider 
und  zwar  in  dem  afranz.  ctpel.  Dieses  eepel  ist  (s.  Godefroy) 
ein  diminutivum  zu  afranz.  nfranz.  eep,  das  (s.  z.  b.  Hatzfeld- 
Darmesteter)  dem  lat.  eippus  •stamm,  stock'  etc.  (vgl.  unten) 
entsprungen  ist.  Afranz.  eepel,  das  folglich  auf  ein  ursprüng- 
liches *cippil-  zurückgeht,  bedeutet  'rejetoiv:  es  wird  z.  b. 
von  sepeaux  (aus  eep-)  et  souches  de  la  eigne  (s.  Godefroy) 
gesprochen.  Es  stimmt  also  das  romanische  wort  sowol  hin- 
sichtlich der  form  wie  hinsichtlich  der  bedeutung  (man  beachte, 
dass  das  mlat.  eima  auch  mit  sprösslein  glossiert  wird  — 
s.  Diefenbach,  Gl.  -  und  dass  span.  eepellon  "busch  reiser,  welche 
aus  einem  stamme  geschossen  sind'  bedeutet)  mit  dem  hier  in 
trage  stehenden  germanischen  worte  vollkommen  überein. 

W  ie  franz.  eepel  und  d.  yipfel  die  oben  angeführten  be- 
deutungen  bekommen  haben,  ist  leicht  zu  sehen.  *Cippil-. 
diminutivum  zu  eippns,  bedeutet  ja  eigentlich  'stämmchen, 
stöckchen'.  Daraus  erklärt  sich  ohne  weiteres  die  bedeu- 
tung 'rejeton'  (/sprössling').  Die  bedeutung  "oberster  teil 
von  pflanzen,  bäumen'  könnte  auf  folgende  weise  entstanden 
sein:  lat.  eippus  bezeichnete  eigentlich  nur  den  unteren 
dickeren  teil   eines  Stammes;    vgl.  z.  b.  eippus  'truneus* 


'J  Vgl.  auch  bair.  gipfd  :  kipfel  spitze  brod'  Schmeller  1.  92»>.  1273. 
<l.  yipf:  kippe  "spitze*  unten  ».247  u.a.m. 

-)  Man  beuchte  besonder«  auch  die  parallele  <j"p1\e)  :  kuppe. 


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ZUR  G RUMÄNISCHEN  WORTKUNDE. 


243 


(s.  Forcellini)  und  span.  eepn  'der  stamm  eines  baumes.  eigent- 
lich der  untere  teil  desselben  nebst  der  wurzel,  aber  ohne  den 
übrigen  teil  des  baums'  (Franceson).  *Cippil-  (gipfeJ)  'kleiner 
stamm'  ist  somit  eine  sehr  naheliegende  benennung  des  dün- 
neren, kleineren  oberen  teiles  eines  Stammes. 

Die  identität  von  afranz.  eepel  und  d.  gipfel,  kipfel  wird 
ferner  durch  ein  hierher  gehöriges  verbum  gestützt,  das  auch 
aus  dem  romanischen  ins  deutsche  gewandert  ist.  Ks  ist  dies 
das  mit  lat.  eippus  zusammengehörende  (s.  Littre)  franz.  re-reper 
'terme  de  jardinage:  couper  un  arbre  jusqu'au  collet  afin  de 
reconstituer  nne  nouvelle  charpente',  'forstwesen:  abschneiden, 
abholzen'  (Sachs -Villatte),  prov.  cepa  'reeeper.  couper  net' 
(vgl.  auch  prov.  cepage,  mlat.  ceppagium  'reeepage'  und  franz. 
cepage  "abästen  der  reben').  Aus  diesem  romanischen  verbum 
stammt  offenbar  das  d.  kippen  von  ganz  derselben  bedeutung: 
•im  forstwesen,  äste  an  den  bäumen  abhauen,  um  wider  junges 
holz  darauf  zu  ziehen'  (Heyne),  nach  dem  PWb.  -die  spitze 
abschneiden,  truncare'  (die  oberdeutsche  form  topfen  findet  sich 
in  Altenstaigs  vocabular  vom  j.  1508  und  wird  da  den  tolden 
im  bnum  abhauen,  decacum innre  übersetzt;  s.  PWb.  unter 
kipfen).  Im  nl.  kommt  dieses  Lippen  mit  der  bedeutung  'de 
spitz  abhakken'  (auch  'treffen,  slaan')  ebenfalls  vor  (s.Franck'). 

')  Dieses  kippen  (vgl.  auch  enifl.  chip  und  nord.  kippn)  entbehrt  bis 
jetzt  einer  etymologie  (Franek  sagt  darüber:  'schijnt  als  onomatopee  te 
knnnen  worden  optrevat  ;.  Ich  traue  mir  nicht  zu.  bestimmt  zu  entscheiden, 
ob  diese  verba  nur  denominativa  von  eippus  sind,  oder  ob  die  bedeutung 
*  hauen,  schlafen'  bei  dieser  sippe  eine  ursprünglichere  ist.  Lat.  eippus 
bezeichnet  indessen  gerade  einen  behanenen  stamm,  stein  Csäule.  pfähl  *) 
s.  unten;  vgl.  auch  dass  appus  im  Yet.  <rloss.  [s.  ForcelliuiJ  xogtutc  glossiert 
wird).  Prov.  cepa  'couper',  ( rom.o  «jenn.  kippen  'hauen,  schlagen',  lat. 
eippUB  könnten  deshalb  zu  der  bei  Fick.  Wb  1*.  421  angeführten  sippe  keip- 
'  bohren,  schlagen'  gehören,  wozu  u.  a.  gr.  xißihj  "metall  seh  lacke'.  xifrSwv 
'lt  ergmann',  xtjfiifi  •falschmünzer'  und  (von  Pcrsson.  Wurzelenveit.  177) 
d.  schiefer,  im  mhd.  'Splitter  von  stein  und  bes.  von  holz",  geführt  worden 
sind  (beachte  engl,  chip  u.a.  ~  'a  small.  and  esp.  thin,  piece  of  wood. 
stone  ...  separated  hy  hewing",  chip  verbum.  vom  steinhauen  benutzt,  s. 
Murray,  Piet.  chip  v.  1  X  c  und  chippcdZ:  mit  xl^Si^  'falschmünzer'  ist  d. 
Kipper  '  mttnzfälscher '  zu  vergleichen ).  IMe  ältere  von  Fick.  KZ.  20,  30] 
gemachte  zusammenstcllunir  von  eippus  mit  lat.  seipio,  gr.  axiniov  'stab' 
(wozu  nach  Johansson,  1F.  3,213  auch  skr.  cepu  'penis'  gehören  sollte)  wäre  ja 
mit  der  hier  vorgeschlagenen  von  eippus  sehr  leicht  vereinbar  ^skr.  cepa  'penis' 
ist  geradezu  von  Fick  a.a.o.  zu   leip-  'bohren,  schlagen'  gestellt  worden). 

10* 


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244 


WADSTKIN 


Der  liier  in  frage  stellende  romanische  stamm  dp-,  ccp- 
kommt  indessen  in  noch  mehreren  belegen  im  germanischen 
vor.  Er  ist  in  der  tat  ein  dort  überaus  häufig  auftretender 
gast,  was  bis  jetzt  nur  wenig1)  beachtet  worden  ist.  Wenn 
man  sich  an  die  bedeutungen  und  anwendung  von  lat.  cippus 
erinnert,  wird  es  auch  kein  wunder  nehmen,  dass  dieses  wort 
sich  so  stark  verbreitet  hat.  Ks  bedeutet  cippus  'spit-zsäule 
aus  stein  oder  holz  a)  als  leich enstein,  b)  als  grenzstein. 
c)  von  den  pfählen  eines  schanz  Werks'  (Georges,  Wb.).  l'eber- 
dies  bezeichnete  cippus2)  d)  'petite  colonne  ou  pilier.  que  les 
anciens  placaient  en  divers  endroits  des  grandes  routes,  et  <|ui 
offrait  des  explications  sur  le  chemin'  (Littre  s.v.  cippcA)  und 
ferner  auch  e)  'ligneum  vinculum,  ad  instar  ancilis  factum,  quo 
damnatorum  pedes  vinciebantur  aut  servorum'  (Forcellini4)). 
Wegen  dieser  bedeutungen  des  Wortes  ist  es  ja  offenbar,  dass 
cippus  fast  gleichzeitig  mit  dem  auftreten  eines  römischen 
heeres  in  einem  fremden  lande  dort  bekannt  werden,  und  dass 
es  mit  dem  vordringen  der  Kömer  gleichen  schritt  halten 
musste.  Ks  drang  auch  ins  keltische  ein:  vgl.  unten  anm.  1 
und  Littre  unter  ccp:  *ce  mot  est  dans  le  celtique:  gael.  aap 
trone,  kymr.  kyf,  bas.-bret,  kef,  und  es  drang  ins  germanische 
ein,  wo  es.  wie  ich  jetzt  ausführlich  zeigen  werde,  sehr  festen 
fuss  fasste  und  sich  besonders  stark  verbreitete. 

Zuerst  wende  ich  mich  zu  den  fällen,  wo  im  germanischen 
hip-,  kep-*)  (der  vocalwechsel  beruht  auf  dem  romanischen  über- 

')  S.  The  Century  dict.  unter  chip,  wo  ags.  cyp,  cipp  als  ein  Lehnwort 
aus  Lat  cippus  erklärt  wird,  und  Pauls  Grundr.  1,  :iu9,  wo  Kluge  'ahd.  chipfn, 
and.  ae.  cipp  (ir.  cepp)'  zu  cippus  stellt  (über  ir.  cepp  <  cipptis  s.  die  von 
Kluge  a.  a.  o.  citierte  ahhandlung  von  Güterbock,  Lat.  lehnwörter  im  iri- 
schen s.  25 ). 

*)  Von  diesen  bedeutungen  dninde)  scheint  es  keine  belege  aus  dem 
klassischen  latein  zu  geben:  sie  können  aber  doch  alt  gewesen  sein. 

»)  Vgl.  auch  it.  cippn  mezza  colouna  . . .  senza  capitello  ...  per  addi- 
tare  la  strada  ai  viaggiatori'  (Tommaseo  e  Bellini,  Du.). 

•)  Vgl.  über  die  bedeutungen  von  lat.  cippus  auch  die  bei  Du  l'ange 
citierten  alten  versus  memoriales: 

Est  cippus  truucus.  terrae  cumulus,  monuinentum, 
Petra  tegens  cimiterium,  cippus  quoque  lignum, 
<^uo  captivornm  vestigia  stricta  tenentur.  , 
5)  Mit  ki-,  ke~  aus  lat.  (-rom.)  ci-,  ce-  vgl.  dieselbe  entsprechung  in  d. 
kitte,  kicher~{erbse),  Keller,  kerbet  u.a.m. 


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ZCR  GERMANISCHEN  WORTKCNDE. 


245 


gang  von  J  zu  c,  vgl.  Gröber.  Aren.  f.  lat.  lex.  1,540'))  in  der 
bedeutung  etwa  'stamm,  stock'  vorkommt.  Ks  sind  diese: 
as.  kip  'stipes'  (beleg-  bei  Steinmeyer  und  Sievers.  Alid.  gll. 
2.585.513),  ags.  cxjp  'a  chip,  beam,  log,  trunk  of  a  tree,  ... 
stipes'  (Bosworth-Toller),  isl.  keppr  'a  cudgel,  club'J)  (Oleasby- 
Yigfusson),  norw.  kjep  *stoek,  stecken,  stummel  von  einem 
zweige',  auch  'von  einem  grossen  stamme,  baumstamm'  (Aasen), 
asebwed.  kwpper  'stecken,  stab'  (Schlyter.  Söderwall),  lisch wed. 
kapp.  dän.  kjep  dass..  schwed.  dial.  kippet  'Stäbchen,  das  in  den 
mund  der  füllen,  zicklein,  lämmer  gelegt  wird,  damit  sie  nicht 
saugen  können*  (hierzu  schwed.  dial.  kippla,  koppln  'kippe!  in 
den  mund  setzen',  norw.  kiplu  dass..  aschw.  kipla  'knebel  in 
den  mund  legen',  s.  Kietz.  Aasen  und  Schlyter3));  -  -  vgl.  mlat. 
eippus  :  truneus,  n/n  blök,  eyn  deue  stok;  cypa  :  stock  (Diefen- 
bach. (41.  und  X.  gl.),  cepus,  apptts,  ceppa  'truneus,  stipes'  (Du 
Cange).  it.  ceppo  -stamm,  baumstamm.  klotz,  block ',  eippo 
•alniosenstock',  span.  cepa  'der  stamm  eines  baunies '.  'der  wein- 
stock', provenc.  cep  'tronc',  cepo  'souche,  ce  qui  reste  d'un 
arbre  coupe',  franz.  cep  -reben-holz,  -stock,  stamm'. 

Der  bedeutung  'stock,  stamm'  schliessen  sich  die  folgenden 

')  Auch  im  irischen  ist  nach  (iüterboek.  Lat.  tehow.  im  ir.  25,  lat.  eip- 
zu  ce])-  geworden.  Zuweilen  könnte  deshalb,  in  hierhergehörigen  nordger- 
mauisehen  Wörtern  (z.  b.  in  isl.  kepjtr,  das  möglicherweise  über  Irland  ent- 
lehnt worden  ist),  e  statt  i  auf  diesem  irischen  übergange  beruhen. 

*)  E.  Liden  hält,  l'ppsalastudier  s.  89,  isl.  keppr  für  eine  ablautform 
zu  isl.  keipr  'ruderdulle'  (vgl.  auch  Noreen.  Urgerm.  lautl.  s.  21).  Auch  Frauck 
kann  das  hier  in  frage  stehende  wort  nicht  richtig  gefasst  haben,  da  er 
(unter  keper)  a*.  kip  'stipes'  mit  mnd,  keper  'het  balkwerk  van  het  dak, 
de  daksparren'  etc.  zusammenbringt  und  dadurch  für  bewiesen  erachtet, 
dass  keper  ein  echt  germanisches  wort  sei.  Erstens  ist  (vgl.  oben)  as.  kip 
selbst  kein  echt  germanische!  wort,  und  zweitens  können  kip  und  keper 
doch  nicht  zusammengehören,  da  man  keper  nicht  von  der  (im  I)\Vb.  unter 
käpfer  angeführten)  form  kapfer  mit  derselben  bedeutung  scheiden  kann. 
Letztere  bestätigt  die  meinuug.  dass  man  es  bei  diesen  bautechnischen 
benenmingen  mit  entlehnungen  zu  tun  hat,  die  mit  it.  capra  'bock  der  das 
irerüst  trägt",  franz.  rhrrre  'hebebock  beim  bauen',  cherron  ' daehsparre T, 
mlat.  capt  o  zusammenhängen  (s.  a.  a.  o. :  man  beachte  auch,  dass  mud.  keper 
gerade  mit  'capreolus'  glossiert  wird.  s.  Sehiller-Lübben  unter  kepere). 

3)  Zu  dem  oben  behandelten  kip-,  kep-  'stecken',  kippd  'Stäbchen' 
gehört  meines  erachten»  wahrscheinlich  auch  d.  kepf- eisen  'ein  hohnwort 
für  da«  schwelt'  (DWb.).  mhd.  kip  fei-,  kepel-hcn  'spött.  benennuug  eines 
bäurischen  Schwertes"  (Lexer). 


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21tf 


WADSTEIN 


Wörter  an:  ahd.  kipfa  etc..  mhd.  kipfc  'humerulus.  raupe,  stemm- 
leiste am  wagen'  (auch  chiph,  kipphel,  Diefenbach,  Gl.  191  <*), 
nhd.  kipf)  kipfc,  Schweiz,  dial.  chipf,  chipfe'1,  ffijyfe"  (Schweiz, 
id.  ö,  408)  dass.,  nl.  dial.  kip  'dwarsliout  aan  den  wahren,  waarop 
de  achterste  rongen  staan'  (Franck):  engl,  chep  "a  piece  of 
timber  forming  the  sole  of  a  tnrn-wrest  plough,  the  piece  of 
wood  on  which  the  share  is  fixed'.  (kip  'the  share-beam  of  a 
plough'  (Murray);  ags.  cipp  4a  coulter,  plough-share.  dentale' 
(Bosworth- Toller)  und  holl.  Mp  'smalle  strook  honts  aan  den 
ploeg,  die  het  ploegijzer  vastknelt'  (Franck):  —  vgl.  span. 
cepo  'deichsei  am  gcstell  eines  gesehützes*.  port.  cepo  "achse 
am  gestell  eines  geschützes'.  auch  'pflughaupt',  nnd  franz.  ccp, 
svp  'ptiughaupt'. 

Auch  die  bedentnng  iignemn  vincnlnm'  von  lat.  cippus 
tritt  im  germanischen  auf:  anfr.  kip,  fuotkip  'compes'  (s.  Heyne. 
Kl.  and.  denkm.,  Gloss.),  mnl.  kep  -pedica*  (s.  Diefenbach,  Gl. 
unter  pedica  und  Diutiska  2, 227);  vgl.  mlat.  cippus,  ceppus 
'  instrumentum  quo  reorum  pedes  constringuntur.  posterioribus: 
carcer  ipse'  (Du  Tange;  cippus  wird  auch  glossiert  stock  in 
einer  gefantjmtss ,  block  da  man  gefangen  lade  ynnc  seezeite, 
pyntjcreytschap,  Diefenbach.  Gl.),  it.  ccppo  'gefangenstock*.  Span. 
cepo  'stock  für  gefangene',  franz.  ccp  pl.  -fesseln*,  auch  'stock, 
wodurch  die  füsse  der  gefangenen  gesteckt  werden',  rippe  'ehm. 
folter-,  fuss-fessel'  (Sachs-Villatte ') ). 

Kine  weitere  bedeutung  des  hier  besprochenen  Stammes 
ist  'falle'.  Diese  liegt  in  folgenden  formen  vor:  mnl.  kip 
•knip.  vogelknip.  fall,  strik'  (Ondemans),  nl.  kip,  d.  kippe 
'falle',  'decipula.  qua*  dejecto  pondere  resurgit'  (DWb.):  vgl. 
mlat.  cippus,  cepus  'rete'  (Dn  Tange;  Diefenbach.  Gl.  unter 
eippa),  span.  ccpa  'falle  für  Wölfe*,    port.  cepo  'wolfsfalle'. 

')  Ueber  die  Constitution  dieser  fesseln  vgl-  Godefroy  unter  cepel: 
•  liropreinent .  inst l'iinieiit  en  bois.  consistant  en  denx  planches  eehancrees 
<le  mauiere  ä  recevoir  le«  pieds  et  les  mains  des  prisouniern .  et  «laut*  les- 
tjuelles  on  les  assujetissait  ' :  auch  die  eitate  bei  iMi  Canire:  tum  irati  inilHes 
mittun t  cum  in  cipp  um  norum  et  nodasissiinum .  Ha  ut  ttrtio  puncto 
»jus  tibius  cuuretareitt  und  (leimte  cum  jitssit  in  rarcerem  trudi.  et 
in  areto  eippo  exteudi.  Noch  eine  andere  art  man  eure  rät  war  das 
a.a.o.  in  folgendem  eitate  erwähnte:  Jehon  iifigtmtr  de  Monteurrel  fttmis 

en  Uli  ccp  en  ul  iiiif,  uutpui  le  <lil  ehemlier  fu  pendu  pur  l  nun  t  ein  pH 
en  l'air. 


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ZUR  OERMANISCHEN  WORTKUNDE. 


247 


proveuc.  cep  'piege*.  FYanek  sagt  vom  nl.  kip  'falle':  'van 
kippen  wippen,  kantelen  (vernioedelijk  een  onomatop.  forma- 
tier.  E*  konnte  aber  umgekehrt  sein,  so  dass  kippen  'wippen1 
ein  denominativnm  zu  kip  'falle',  und  eigentlich  von  der 
schnellen  bewegung  einer  zusammenklappenden  falle  benutzt 
worden  wäre.  Dagegen  ist  Franck  gewis  im  recht,  wenn  er 
sp.  448  sagt:  'de  bet.  van  kippen  vangen.  «rrijpen  zou  zieh 
aan  kip  knip«  kunnen  aansluten."  Mnl.  kippen  wird  nämlich 
geradezu  'betrappen"  (vgl.  trappe  'falle')  übersetzt;  andere 
bedeutungen  sind:  'onderscheppen,  met  list  achterhaleu.  heime- 
lijk  wegnemen'  (Oudemans);  vgl.  auch  d.  dial.  (Schweiz.) 
kippen  'schnell  und  heimlich  wegnehmen*,  'stehlen,  snppilare. 
rlepere.  fnrari'  (DWb.).  Hierher  stelle  ich  auch  provenc.  dpa, 
chipa  'attraper.  gripper.  saisir.  derober,  prendre'.  franz.  chiper 
•derober'  (über  ehi-  aus  *<•<-  s.  Diez,  ('ramm,  s.  3t>3),  das  bis  jetzt 
einer  etymologie  entbehrt.  Zum  teil  könnten  indessen  diese 
verba  in  der  bedeutung  'fangen'  zu  kip-,  cep-  -fessel'.  'gefäng- 
nis'  gehören:  vgl.  mlat.  eippare  'pedes  in  eipo  stringere'  (Du 
Cange):  stücken,  sioken,  Idogcrn  (Diefenbach.  (41.). 

Lat.  eippus  'leichenstein'  findet  sich  auch  im  germani- 
schen, und  zwar  im  mnl.  keppel,  kepel  'zuil,  piramide,  graf- 
naald'  (Oudemans).  Im  mlat.  bedeutete  eippus  auch  'grab' 
überhaupt:  vgl.  eippus,  eipus  :  dotcmjrab  (auch  surch,  Diefen- 
bach. (t1.).  Aus  dieser  anweiidung  ist  wol  die  bedeutung  von 
eippus  :  terrae  cumulus  (s.  die  versus  memoriales  oben  s.  2 14 
anm.  4).  hau  ff'  erden,  erden  hoep  (Diefenbach.  G).)  entwickelt 
worden.  Dieselbe  scheint  auch  im  germanischen  aufzutreten, 
vgl.  d.  dial.  kippet  'kleiner  hügel',  engl.  dial.  (schott.)  kip 
•spitzer  hügel'  (s.  DWb.  unter  kippe  I1»). 

Endlich  kommt  im  germanischen  kip{-)  auch  in  der  be- 
deutung 'spitze*  vor:  d.  tjipf  '(berg)spitze'  (bei  H.  Sachs,  s. 
DWb.  5, 2773),  d.  dial.  (Schweiz.)  gipf  'spitze'  (des  eies  u.s.  w., 
Schweiz,  id.  2,390).  d.  dial.  (westfäl.)  kip  'spitze',  d.  kippe  (bei 
Luther  einmal  kipfe)  'spitze'  (s.  über  diese  formen  das  DWb. 
unter  Kippe);  vgl.  auch  d.  kiplen  von  den  spitzen  der  ähren 
(DWb.  unter  kipplein).  Vielleicht  gehören  auch  hierher  mnd. 
kip  'der  zipfel  an  der  kapuze'  (Schiller-Lübben)  und  engl, 
dial.  (schott.)  kip  'a  jutting  point'  (The  Century  dict.).  Die 
bedeutung  'spitze'  hat  kip-  offenbar  dadurch  bekonunen,  dass 


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248 


WADSTEIN 


ein  cippus  (wie  noch  oft  grab-,  grenz-  und  wegsteine)  ge- 
wöhnlich spitz  war:  vgl.  z.  b.  cippus  'spitzsäule'  (Georges) 
und  mnl.  lepel  'pyramide'.  Diese  bedeutungsentwicklung  hat 
dann  mit  dem  oben  s.  242  für  d.  gipfel  dargelegten  zusammen- 
gewirkt, so  dass  schliesslich  gipfel  —  um  auf  dieses  wort  zu- 
rückzukommen, im  allgemeinen  -spitze',  'der  höchste  teil  eines 
ragenden  emporstrebenden  gegenständes'1)  (eines  baumes,  eines 
felsens  u.s.w.)  bezeichnen  kann. 

3.  Deutsch  gratis  u.  a. 

Der  Ursprung  von  d.  gratis  'Schiffsschnabel  u.s.w.'  ist  (vgl. 
Kluges  Et.  wb.)  bis  jetzt  dunkel  geblieben.  Ursprünglich  muss 
aber  das  wort  aus  *ga-  -raus-  entstanden  sein.  Neben  ahd. 
gratis  'Schiffsschnabel',  mhd.  gratis  'Schnabel  der  vögel,  maul 
oder  rüssel  anderer  tiere.  hervorragender  teil  eines  körpers. 
Schiffsschnabel'  kommt  nämlich  auch  ein  mhd.  raus  ' rüssel, 
maul  u.s.w.'  vor  (s.  Lexer).  Allerdings  tritt  die  form  gratis, 
ohne  vocal  zwischen  dem  g  und  r,  schon  im  Hrabanischen 
glossar  auf.  Da  aber  letzteres  auch  andere  bei  spiele  von 
synkope  dieses  präfixvocals  aufzuweisen  hat  (freilich  nur  vor 
vocalischem  anlaut,  s.  Wüllner,  Das  Hrab.  gloss.  s.  40,  vgl.  aber 
auch  fleosan  statt  far-leosan  daselbst.  Wüllner  s.  44  und  Braune, 
Ahd.gramm.  71  anm.  4).  so  ist  kein  grund  vorhanden,  gratis 
anders  denn  als  eine  j/a-bildung  zu  raus  aufzufassen. 

Dieses  raus  hat  im  nordischen  ein  rane  von  derselben 
bedeutnng  zur  Seite:  isl.  rane  'rostrnm  suis'  (Kgilsson:  vgl. 
auch  liöt-rannadr  'foedo  rostro.  de  lupo*.  ibid.)  auch  'schnauze 
einer  natter',  'spitze  eines  sui'n-iy Ikings'  (Fritzner).  Im  nor- 
wegischen bedeutet  rane  'spitze,  hervorragender  felsen1,  'stange, 
hoher  schmaler  bäum'  und  wird  'auch  von  einem  grossen, 
hageren  manne'  gebraucht  (Aasen).  Hierher  gehört  offenbar 
mhd.  ran  (mit  ä,  nicht  mit  a,  wie  Lexer  ansetzt,  s.  das  DWb. 
unter  rahn)  'schlank,  schmächtig'  (z. b.  in  alse  ein  gvrte  ran 
ant  swaiic  Lexer),  mnl.  ran  'rank,  dun'  (Oudemans).  nhd.  (ver- 
altet) rahn  'dünn,  schlank,  schmächtig,  auch  von  schlanken, 
dünnen  bäumen  gesagt'  (DWb.).  Ferner  stellt  sich  deutlich 
hierher  schwed.  dial.  rana  'schnell  in  die  höhe  wachsen'  (  Rietz). 

Sanders  gilit  »li<'s<-  «Utiititiou  von  »jq>l<l. 


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ZUR  GERMANISCHEN  WORTKÜNDE.  249 


Jetzt  dürfte  auf  der  hand  liegen,  dass  diese  Wörter  mit 
d.  rennen  u.s.w.  zusammengehören  müssen.  Im  norw.  bedeutet 
rcnna  u.  a.  'hervorspriessen,  emporwachsen,  von  bäumen  oder 
pflanzen' (Aasen);  sch wed.  rä'nm  upp  bedeutet  4 schnell  empor- 
wachsen'. Neben  den  formen  mit  nn  sind  von  diesem  stamme 
schon  formen  mit  einfachem  n  bekannt  (man  fasst  ja  das 
zweite  n  als  praesensbildendes  element);  ich  erinnere  an  ags. 
ryne  'a  course,  run,  running'  und  isl.  runi  'a  flux'.  D.  rahn, 
uord.  rane  u.s.w.  bedeuten  mithin  eigentlich  etwa  •hervor- 
springend'. Hinsichtlich  der  form  verhält  sich  mhd.  ran,  isl. 
ran-e  u.s.w.  zu  mhd.  rinnen,  isl.  renna  wie  z.  b.  mhd.  gram 
zu  (trimmen  oder  mhd.  weich,  isl.  reib',  zu  mhd.  wichen, 
isl.  vflria. 

Die  form  mit  s  (mhd.  rans  u.s.w.)  ist  zu  vergleichen  mit 
den  zu  demselben  rinnen  u.s.w.  gehörenden  got.  run-s,  ahd. 
run-. >\  run-s-a  ;alveus'  und  mit  isl.  ros  -lauf,  das  nach  Xo- 
reen.  Urgerm.  lautlehre  s.  K)0  und  Ark.  f.  nord.  fil.  8,37  aus 
*rans-  entstanden  ist. 

4.  Ags.  hr ff 8 tan  iL  a. 

Ags.  hrystan.  hyrstan  'ausstatten,  schmücken  u.s.w.'  und 
ahd.  rüsten,  mhd.  rüsten  -rüsten,  bereiten,  schmücken'  werden 
gewöhnlich  zu  ags.  hrvodan  ' schmücken '  und  isl.  hriööa  'rein 
machen,  aufräumen,  abladen',  hroÖenn  'geputzt'  gestellt.  Ich 
hoffe  im  folgenden  einen  näheren  verwanten  von  hrystan  u.s.w. 
aufweisen  zu  können.  Ob  trotzdem  ags.  hreodan  u.s.w.  mit 
diesen  Wörtern  zusammengehört,  lasse  ich  dahingestellt  sein. 

Wenn  man  die  anwendung  von  ags.  hrystan,  hyrstan  ge- 
nauer untersucht,  so  findet  man.  dass  dieses  verbum  zuweilen 
nur  'überziehen,  decken',  ohne  den  etwaigen  neben  begriff  von 
'schmücken'  bedeutet.  Ich  hebe  folgende  fälle  hervor.  In 
einer  grenzbeschreibung  vom  j.  970  (s.  Kemble,  Cod.  diplom. 
3,  130,  131)  heisst  es:  his  metis  rus  hoc  yyrutur.  Arrest  of 
tsenhyrste  zate  ...  (s.  131)  ...  Jon  eft  in  an  isenhyrsien 
geat  Hier  kann  iseuhyrst  geat  nur  'mit  eisen  beschlagenes 
(nicht  'geschmücktes')  tor'  bedeuten,  da  der  ausdruck  in  einer 
so  prosaischen  Urkunde  vorkommt.  Ebenso  ist  Menol.  35,  30 
hrime  jehyrsted,  ha^olscarum  fwrö  ^eond  mitUhin,scard  Mar- 
tins rede  zu  übersetzen  'mit  hagelschauern  fährt  der  grimmige, 


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250 


WADSTEIN 


mit  reif  bedeckte  m.  über  die  erde'.  Mau  kann  hyrsted  liier 
nicht  im  sinne  von  'geschmückt'  auffassen,  da  (der  monat) 
märz  dem  dichter  offenbar  gar  nicht  schön,  sondern  überhaupt 
grausam  vorgekommen  ist.  In  Bosworth- Toller^  Diet.  wird 
auch  bei  hyrstan  neben  der  bedeutung  'to  ornament  etc.*  die 
bedeiltung  'to  deck'  angesetzt. 

Meines  erachtens  ist  gerade  die  bedeutung  i überziehen, 
decken'  bei  unserem  verbum  die  ursprünglichere.  Icli  stelle 
nämlich  ags.  hrystan  u.s.w.  zu  lat.  crustare,  das  eben  ursprüng- 
lich 'überziehen',  dann  aber  auch  'mit  einem  schmückenden 
Überzug  decken'  (näheres  vgl.  unten)  bedeutet.  Die  im  lat. 
crustare,  subst.  crusta  'rinde,  kruste"  vorliegende  sippe  ist  schon 
mit  schwachem  ablautstadium  für  die  germanischen  sprachen 
nachgewiesen  worden.  Wie  bekannt  gehören  hierher  ahd. 
(h)rosa  (?  hroso)  'crusta.  glacies'  und  ags.  hruse-  'earth,  soil, 
ground'  (s.  Pick.  Et.  wb.  1«.  893  und  Grimm.  Deutsche  myth.1 
s.  2'M)\  vgl.  dass  lat.  crustu  auch  'die  erd kruste,  härtere 
obere  erdsehicht'  bezeichnet  ((Georges,  Wb.).  Zu  diesen  füge  ich 
norw.  rus,  ros  -dünne  schale,  auch  von  fischschuppen'  (Aasen: 
vgl.  Plinius'  sunt  autem  tria  yencra  pisrium,  primum  quae  mollitt 
appcUantur,  dein  contecta  crustis  tetiuibus  etc..  Georges  unter 
crusta). 

Die  allgemeine  bedeutung  von  einfach  'überziehen'  bei 
lat.  crustare  erscheint  z.  b.  in  lat.  porta  hostdis  crasso  ferro 
erustata  (citat  bei  Forceiiiiii),  das  ja  dem  oben  angeführten 
ags.  isen-ltyrst  settt  vollständig  entspricht.  Mit  ags.  hrinte 
gehyrsted  (s.  oben)  ist  das  lat.  crusta  in  der  bedeiltung  'eis- 
kruste.  -rinde'  :  crustae  pruinarum  (citat  bei  Georges)  zu  ver- 
gleichen. 

Auch  die  bedeutung  'schmückender  Überzug'  bei  lat. 
ernst-  findet  sich  bei  dem  germ.  hrust-  wider.  Lat.  crustare 
bedeutet  u.  a.  'mit  dünnen  platten  von  ciselierter  arbeit  über- 
ziehen* und  lat.  crusta  'die  eingelegte  arbeit,  dünne  platte  mit 
und  ohne  cälierte  arbeit,  halberhabener  zierat"  (vgl.  Georges). 
In  diesen  bedeutungen  erscheint  entstört,  crusta  z.  b.  in  rasa 
potoriu  erustata.  cundna  aryeutca  aurcis  crustts  nlajuia 
(belegstellen  bei  Georges).  Ganz  dieselbe  art  von  schmuck 
der  trinkgefässe  ist  offenbar  gemeint  im  Beowulf  '2761  f.:  fyru- 
iitanna  f'atu  ...  Uyrstum  bchrorene  'die  triukgefässe  in  alten 


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ZUR  GERMANISCHEN  WORTKl'NDE. 


251 


Zeiten  lebender  menschen,  der  eingelegten  Zieraten  entkleidet': 
vgl.  auch  Beow.  2255  senil  sc  heardu  heim,  hyrsted  joldc, 
fektum  bcfeallen  'dem  mit  gold  eingelegten  hei  nie'  (lateinisch 
könnte  dieses  geradezu  mit  yalea  mtro  erustata  widergegeben 
werden)  'werden  die  eingelegten  goldplatten  abfallen';1)  (ags. 
feet  s=  *a  thin  plate  < >f  metal.  gold-leaf.  ornament'). 

Mlat.  crustum  kommt  auch  etwa  in  der  bedeutung  'kleinod' 
vor.  s.  das  citat  bei  Du  fange  unter  crustum  2:  uuri  sitior, 
tulcntu,  vel  crusta,  vel  jocalia  ('juwelen')  emunxit.  Aehnlich 
ist  die  anwendung  von  ags.  hyrst  im  Beow.  :il(>4  f.:  heg  and  siglu, 
call  swylee  hyrsta  -ringe  und  juwelen,  alle  solche  kleinodien*. 

Die  bedeutung  von  mlat.  crusta,  crosta :  eyn  stucke  ran 
metallc,  blech,  die  yleste  am  yeschirr  (hiermit  ist  wol  Pferde- 
geschirr gemeint)  hat  auch  etwas  entsprechendes  bei  germ. 
hrust-.  Mit  ags.  hryste  (tehyrste)  wird  nämlich  mehrmals  phu- 
lerae  glossiert,  so  z.  b.  in  den  f  orpusglossen,  Sweet.  OKT.  (M\ 
(lat phalerae  —  'der  blanke  . . .  schmuck  . . .  der  pferde,  bestehend 
in...  schildchen,  mit  denen  das  riemenwerk...  geschmückt 
war'  (ieorges). 

Im  mlat.  bezeichnet  crusta  ferner  r cutis  spectes  rarieyato 
colore  ex  purpurn  et  alio  mixfa  (Du  fange).  Auch  erustatus 
erscheint  in  ähnlicher  anwendung,  von  Du  fange  -acupietus. 
intertextus.  gall(ice)  brode  uel  broche'  erklärt,  z.  b.  in  albam 
(=  -vestis  seil  tunicae  species')  supra  et  infra  uuro  crustatam, 
tunieas  erustatas  (belegst eilen  bei  Du  fange).  Kbenso  wird 
germ.  hrust-  von  prunkenden  kleidern  benutzt  :  vgl.  z.  b.  mhd. 
rüsten  •schmücken,  besonders  von  der  kleidung  gesagt'  (Mhd. 
wb.).  refl.  'schmücken,  kleiden'  (Lexer;  in  Schweiz,  dialekten 
kommt  rüsten  noch  in  der  bedeutung  'festlich  kleiden'  vor. 
s.  DYVb.). 

Zum  sehluss  ist  zu  bemerken,  dass  lat.  ernst-,  wie  ags. 
hyrst,  ahd.  yirusti,  sogar  in  der  allgemeinen  bedeutung  'orna- 
mentunT  benutzt  worden  ist.  Ks  werden  nämlich  erustis: 
ornamentis  und  crustu  :  ornatu,  fra-ttcunxe  glossiert  (die 

')  Ay;s.  hyrsled  stnonl  Beow.  «172  wird  also  nicht  einfach  1  #efccblUÜcktea 
schweif  zu  übersetzen  sein,  sondern  "  ciselhrtes  (mit  eingelegter  arl»eit 
geziertes)  sehwert'.  Ebenso  ist  /..Ii.  mit  dem  hei  La^annm  iösll  erwähnten 
acetd  ...  irust  nl  mal  yoUle  offenbar  ein  mit  eingelegter goldarteit ana- 
gestatteter  schild  gemeint. 


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252 


WADSTEIN 


stellen  finden  sich  bei  Wright-AVülker,Anglo-sax.vocabb.l,  52(5.4 
and  1,384,22). 

Die  Zusammengehörigkeit  der  lat.  und  germ.  Wörter  dürfte 
aus  den  angeführten  Übereinstimmungen  als  ganz  sicher  hervor- 
gehen. Da  die  bedeutungen  des  germ.  hrust-  in  vielen  fällen 
so  genau  zu  denen  des  lat.  crust-  stimmen,  liegt  indessen  die 
sache  vielleicht  so.  dass  jene  zum  teil  von  den  lat.  auf  die 
verwanten  germ.  Wörter  übertragen  worden  sind. 

Durch  die  verwantschaft  dieses  germ.  hrust-  und  lat.  crusta 
wird  auch  die  bedeutung  'waffenrüstung  (hämisch)'  bei  ags. 
hyrst,  ahd.  rust  u.  s.  w.  klargelegt.  Diese  Wörter  bedeuten  also 
eigentlich  geradezu  'fester  Überzug  aus  metallplatten  oder  dgl.'; 
vgl.  lat.  crusta  'die  harte  ...  Oberfläche  eines  übrigens  weichen 
körpers,  rinde,  schale',  'platte'  (Georges),  mlat.  crusta  :  blech, 
eyn  stucke  van  metalle  (Diefenbach,  Gl.  und  X.  gl.),  iamina 
quaelibet  vel  ...  argenti.  vel  alterius  metalli'  (Du  Tange). 

5.  Deutsch  ranzen  iL  a. 

^'eigand  erklärt  das  d.  ranzen  'sieb  bald  da-,  bald  dort- 
hin wenden,  springen',  'sich  begatten,  von  vierfüssigen  raub- 
tieren,  hunden'  aus  *rankzen,  zu  mhd.  rauhen  'sich  dehnen, 
sich  strecken,  hin  und  her  winden  oder  bewegen'.  Bei  ranzen 
•sich  begatten  u.s.w.'  fügt  er  ferner  hinzu:  'schwerlich  ab- 
geleitet von  ranken  'brüllen,  laut  schreien,  vom  esel,  löwen, 
hirsch  etc:  Auch  ranzen  in  anranzen  'jemand  schreckend  an- 
fahren' sollte  nach  AYeigand  aus  einem  *rankzen  entstanden 
sein  (näheres  a.a.O.).  Das  DWb.  lässt  es  unentschieden,  ob 
ranzen  in  seinen  verschiedenen  bedeutungen  aus  früherem 
*rankzen,  'von  rank  'Wendung,  drehung  als  iterativ  gebildet', 
entsprungen  sei.  oder  ob  es  mit  rennen  zusammenhänge. 
Kluge,  der  im  Et.  wb.  nur  ranzen  'jein.  anranzen'  aufnimmt, 
sagt  davon:  'wol  für  frunkzcn  zu  mhd.  ranken  »wie  ein  esel 
schreien  ;  kaum  zu  engl,  rant   lärmen,  schreien«'. 

In  der  tat  ist  aber  für  ranzen  nicht  eine  grundform 
*rankzen  anzunehmen.  Ks  gibt  nämlich  ein  nordisches  wort, 
das  die  frage  nach  dem  Ursprung  von  ranzen  anders  entscheiden 
dürfte.  Ich  setze  das  d.  ranzen  schwed.  dial.  rannta  (Kietz), 
norw.  ranta  (K'oss.  der  es  —  wie  die  schwed.  form  zeigt  — 
unrichtig  als  ein  ursprüngliches  eranta  auffasst),  wozu  es 


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Zl'K  HEKMANISOHKN  WORTKUNDK. 


25« 


lautlich  vollständig  und  auch  begrifflich  gut  stimmt.  Schwed. 
dial.  rannta  bedeutet  nämlich  'hin  und  her  rennen,  unnützer 
weise  herumlaufen',  norw.  ranta  heisst  'ohne  ziel  sich  herum- 
treiben, sich  herumtummeln  '.  Das  subst.  rannt«  bedeutet  in 
schwedischen  dialekten  'rennerin.  weib  (mädchen),  das  selten 
zu  hause  bleibt,  sondern  hinaus-  und  fortrennt';  vgl.  das  im 
DWb.  unter  vb.  ranzen  2)  angeführte  d.  ranz-besen  'namentlich 
das  erwachsene  mädchen.  das  »ranzt <'  (— 'sich  herumtreibt', 
mit  schlechter  nebenbedeutung:  ranzen  'herumlaufen,  auf  buhl- 
schaft ausgehen')  und  d.  ranze  'liederliche  Weibsperson' 
(Sanders). 

Schwed.  norw.  ran(n)ta,  d.  ranzen  ist  offenbar  ein  itera- 
tivum  (bez.  intensivum)  zu  schwed.  räumt,  norw.  rentut,  d.  rennen 
u.s.w.  (vgl.  Rietz  unter  rinna).  Auf  diese  weise  erklärt  sich 
auch  die  bei  d.  ranzen  vorkommende  bedeutung  'sich  begatten' 
(Adelung:  'sich  begatten  oder  ungestüm  nach  der  begattung 
verlangen').  Norw. rennasi  bedeutet  nämlich  u.a.  'befrachtet, 
trächtig  werden  (von  tieren,  besonders  von  kühen)',  schwed. 
dial.  ränna  'brünstig  sein  (von  sau,  widder)'  und  rännas  wird 
in  der  bedeutung  'brünstig,  läufisch  sein  (von  schafen)'  benutzt 
(s.Rietz):  vgl.  auch  schwed.  dial.  ränn-uls  'stier',  runn-rwre 
'(spring) widder'  u.  a.  m. 

Die  bedeutung  von  d.  an-ranzen  'jemand  schreckend  an- 
fahren', "scheltend  anfahren  u.s.w.'  aus  urspr.  'heftig  anrennen' 
(vgl.  mhd.  ranz  'streit',  eig.  wol  'anrennen,  anfahren'),  ist  ja 
sehr  erklärlich.  Hiermit  ist  zu  vergleichen,  dass  (s.  Rietz) 
schwed.  dial.  rannta  ebenfalls  eine  art  von  eifrigem  sprechen 
ausdrücken  kann;  es  bedeutet  nämlich  u.a.  'klatschen'  und  das 
subst.  rannta  heisst  auch  'klatschmaul'  (vgl.  mnl.  ranten  sowol 
'scheiden'  als  "pratende  mededeelen',  s.  unten). 

Das  nord.  ran(n)ta  dürfte  auch  die  bedenken  beseitigen, 
welche  gegen  die  identilicierung  des  d.  ranzen  mit  engl,  rant 
(und  dem  damit  bekanntlich  schon  zusammengestellten  mnl. 
ranten)  erhoben  worden  sind  (s.  Kluge,  Et.  wb.).  Die  bedeu- 
tungen  der  Wörter  sind  auch  sehr  verwant.  Es  bedeuten 
engl.;««/  vb.  'wild,  ausgelassen  sein  u.s.w.'  (Flügel)  und  rant 
subst.  'the  act  of  frolicking;  a  frolic;  a  boisterons  merry- 
making.  generali}'  accompanied  with  dancing'  (The  Century 


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254 


WADSTEIN.  ZUR  GERMANISCHEN  WORTKUNDE. 


dict.')).  ferner  4a  kind  of  da  nee'  (s.  a.a.O.),  engl,  ranty  heisst 
u.a.  -wild,  ausgelassen,  übermütig,  lärmend;  engl,  ranti-pole 
'das  wilde  ausgelassene  mädchen.  zügellose  dirne.  das  umher- 
sch wärmende  frauenzimmer';  —  vgl.  mhd.  ranzen  ' ungestüm 
hin  und  her  springen'  (Lexer),  d.  dial.  (s.  DWb.  unter  ranzen 
vb.)  ranzen  'sich  üppig  und  heftig  bewegen',  ranze  *  hemm- 
schwärmen, ausgelassen  springen,  von  kimlern,  toben',  schwed. 
dial.  rannta  'kleines  lebhaftes  mädchen'.  d.  ranz-hesen  •herum- 
laufendes mädchen'  (s.  oben).  Ferner  bedeuten  engl,  rant  (s. 
Flügel)  •schwärmen,  wüten,  toben',  ranty  'ausser  sich  vor  zorn. 
wütend',  ranti-pole  'das  wütig  schreiende,  ungezogene  kind.  der 
wilde  ungezogene  junge';  mnl.  raufen  heisst  u.  a.  'razen,  uit- 
varen,  scheiden,  doorhalen'  (Oudemans);  vgl.  mhd.  ranz 
'streit',  d.  anranzen  •scheltend  anfahren",  d.  dial.  ranzen 
•knurren,  keifen'  (s.  DWb.  unter  ranzen  0).  ranze  •bezeichnung 
eines  wilden  unartigen  kindes'  (s.  oben),  einen  ranzen  'ihm 
übel  mitspielen'  (DWb.  a.a.O.).  Mnl.  raufen  'pratende  mede- 
deelen'  stimmt  zu  schwed.  dial.  rannta  -klatschen'.  Was  end- 
lich die  Bedeutungen  von  engl,  rant  'hochtrabend  sprechen, 
sich  hochfahrend  ausdrücken  u.s.w.'.  subst,  rant  -die  heftige 
ungestüme  schreierei  u.s.w.'  betrifft,  so  ist  damit  zu  ver- 
gleichen, dass  (s.  oben)  auch  d.  ranzen  (mnl.  ranten)  und  schwed. 
dial.  rannta  von  heftigem  oder  eifrigem  sprechen  benutzt 
werden. 

')  Man  beachte  das  a.  a.  o.  mitgeteilte  /  hoc  a  (jood  rousvicurr  

unlrss  if  he  ahottt  a  raul  amoiuj  the  laxues,  da*  an  tl.  ranieit  'herumlaufen 
auf  buhlschaft  ausgehen'  <s.  oben)  erinnert. 

LKIPZKt.  klis  wadstktn. 


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G  RAM M ATISCH  K  MISCELL EN. 

11.  Ags.  wcorold  :  worold. 

Die  lautgruppe  weo  vor  einfachem  r,  /  geht  bekanntlich 
im  ags.  teils  in  wo  über,  teils  bleibt  sie  als  weo  erhalten:  das 
typischeste  beispiel  ist  worold  neben  wcorold. 

Es  scheint  nun  noch  nicht  beachtet  zu  sein,  dass  wir  es 
hier  mit  einein  nicht  unwichtigen  dialektuntersehied  zu  tun 
haben.  Ks  gilt  nämlich  wo  im  westsächsischen  und  dem  durch 
das  Durhambook  und  das  Rituale  von  Durham  vertretenen 
(nördlicheren)  teil  des  northumbrischen.  wco  aber  im  (süd- 
licheren) northumbrischen  des  Rushworth2,  im  mercischen  und 
kentischen.  Dass  sich  daneben  in  unreinen  texten  gelegentlich 
mischungen  finden,  braucht  nicht  wunder  zu  nehmen. 

So  hat  gleich  die  hs.  H  der  f'ura  pastoralis  nach  Cosijn. 
Altws.gr.  1,39  etc.  hier  4  weo,  die  aber  gegenüber  sonst  hei- 
schendem wo  kaum  ins  gewicht  fallen  können,  sondern  ent- 
weder altertümlich  oder  —  was  ich  für  wahrscheinlicher  halte 
—  durch  schreiber  eingeschleppt  sind.  Die  Chronik  aber  hat 
nur  wo,  das  z.  b.  auch  bei  /Klfric  durchaus  die  norm  bildet. 
Von  den  northumbr.  texten  hat  das  Durhambook  ausschliess- 
lich 20  wo-  (Cook  214).  «las  Ritual  19  fr«-  (Lindelöf  27). 

Dagegen  ist  bereits  für  Rushworth-  wco  charakteristisch: 
weor(u)kle  Mc.  4, 19.  10,30.  L.  1,55.  70.  18.30.  20,34.35.  .1.9,32. 
Natürlich  hat  auch  Rushworth 1  nur  weo-  (8  mal.  Brown  1.  33), 
ebenso  der  Yesp.  Psalter  (ca.  175  wco,  2  we-,  aber  kein  fr«), 
ebenso  die  von  Zupitza  edierte  merc.  hs.  Royal  2A20  des 
Britischen  museums  (7  wco,  Zs.  fda.  33.  54).  Für  das  kentische 
sind  beweisend  die  urkundlichen  belege  mworolde,  tveoroldcun- 
dum  Sweet.  OKT.,  urk.  no.  37.  29.  wcorldare  (Surrey)  45.53. 
umarahle  40.  20.    So  versteht  man  auch  wie  noch  in  den  jungen 


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2r,o 


* 

8IEVKB8,  GRAMMATISCH E  UISCELLEH. 


Metra,  die  so  stark  mit  kenticismen  durchsetzt,  überhaupt  wol 
in  Kent  gearbeitet  sind  (vgl.  Heitr.  10. 197),  über  30  weoruhl  etc. 
stehen,  während  diese  form  in  den  übrigen  luetischen  texten 
ganz  selten  ist.  Vgl.  ferner  z.  b.  aus  halbkentisclien  hss.  der 
predigten  Wulfstans  stellen  mit  wpo-  wie  216.3.  217.0.  210. 
14.31.  223.3  (2)  der  ausgäbe  Xapiers,  u.dgl. m. 

Alles  in  allem  genommen  ist  mir  die  form  weorold  nie  in 
absolut  reinen  westsäehsischcn  texten  begegnet,  solidem  stets 
nur  in  Verbindung  mit  anderen  dialekt formen,  die  entweder 
nach  Kent  oder  nach  Meiden  weisen.  Da  das  wort  an  sich 
ziemlich  häutig  ist,  so  bietet  es  ein  nicht  zu  verachtendes 
praktisches  kriterium  für  die  dialektscheidung. 

Die  übrigen  Wörter  hier  vorzuführen,  die  unter  dieselbe 
regel  fallen  oder  sich  damit  berühren,  verbietet  der  räum. 

LEIPZIG-GOHLIS.  14.  januar  1807.       E.  S JEVERS. 


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\  etlag  von  Joseph  Baer  D.  Co..  Frankfurt  a.  >!. 


Soeben  erschien  und  stellt  auf  Verlangen  grätig  scu  Diensten : 

Antiqimrisihi  f  .lnzri{/tr  4~>~t: 

Ritter-  Romane,  Volksbücher  und  Verwandtes 

bis 

vax  Ende  des  18.  Jahrhunderts. 

3&9  X Ummern, 
(iratis  timl  franko 

iiuf  Verlangen  sendet 

Albert  Haustein,  Schweiz.  Antiquariat  in  Zürich 

(gegründet  1828) 

si  iiit  u  nettesten  ('atalug  Nr        ('»792  Nummern): 

Allgemeine  und  vergleichende  Sprachwissenschaft. 
Germanische  und  romanische  Philologie. 

Literatur-  Denkmäler. 

Enthalt  u.  a.  die  Bibliothek  des  verstorb.  Prof.  Dr.  Ludwig  Tobler  in  Zum  h 

Verlag  \<»n  Max  Niemryer  in  Halle  a.  S. 

Deutsches  Wörterbuch 

von 

Hermann  Paul. 

1896.    Lex.  8.    Preis  geh.  s  Mark.    tr<kl».  in  Mark. 

Kleine  Beiträge 

zur 

Deutschen  Literaturgeschichte. 

im  11.  und  12.  Jahrhundert 

vun 

Friedrich  von  der  Leven. 
18$>7.   8.   I'n-is  geh.  Mark  2.40. 


Ausgegeben  den  15  Juli  18«? 

B  E 1 T  K  Ä  G  E 

zuu 

GESCHICHTE  DER  DEUTSCHEN  SPRACHE 

UND  LITERATUR. 


UNTER    MITWIRKUNG  VON 
H  Kit  MANN  PAUL  UND  WILHELM  HU  MM. 

IIB  RA  ÜSGEOEBEN 

VON 

EDUARD  SIEVERS. 


XXII.  BAND.   2.  Ulli. 


HALLE  a.  S. 
MAX  NIEMEYER 

TT  T-  OK.  STKIWI  K  \SN|; 

IS97 


Die  kerreu  mitarbeiter  werden  gebeten,  /u  Ihren  mauascripteu 
nur  lose  quartblüttcr  zu  verwenden,  nur  eine  Beite  zu  be- 
schreiben und  einen  breiten  rund  freizulassen. 


1  N  II  A  L  T. 


S-ilo 

[Juteisnchttngen  Uber  ili\s  mini,  gedieht  von  der  Mtnnebttrg.  \" « •  i » 

<i  Klirisiuanii   'JöT 

J£nr  dänischen  heldensAgCi  Von        Boer   342 

Sat/.v«'ihimlt  n*ic  partikelu  bei  on'riil  und  Tatian.   Von  W,  I" 

Schölten   391 

Bemerkungen  »um  Bildebrandalied.  Von  A.  Erdmaiiii ....  124 

Etymologie  von  keim  'stenerrnder'.  Von  J.  Hoops   435 

Zur  K Inn»'.   Von  (f.  E Ii ri siii;um   436 


Zur  naebriehl ! 

Ks  w  ird  gebeten,  alle  auf  die  redaction  der  'Beiträge'  bezü«*-- 
üchen  zuschritten  mnl  Sendungen  an  Professor  Dr.  K  Sie ver s 
in  Leipzig-Gohlis  (Titnierstrasse 26)  zu  richten. 


UNTERSUCHUNGEN 
UEBER  DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER 

MINNEBURG. 

Von  den  minneallegorien  des  14.  jh.'s  war  nach  Hadamars 
Jagd  die  von  der  Minneburg  die  beliebteste,  sie  fand  eine 
ziemliche  Verbreitung  und  ist  in  einer  verhältnismässig  reich- 
lichen anzahl  von  handschriften  überliefert.  Bis  jetzt  wurde 
sie  von  der  forschung  wenig  beachtet.  Ihr  wert  als  selb- 
ständiges kunstwerk  ist  auch  erstaunlich  gering,  sie  bildet  fast 
das  letzt  erreichbare  ziel  einer  für  andere  Zeiten  und  menschen 
ungeniessbaren  manier.  Doch  ist  sie  als  typus  unter  einer 
gruppe  von  erscheinungen  für  die  geschichte  der  literatur  und 
cultur  wol  nicht  ohne  interesse.  Auch  für  sprachliche  beob- 
achtungen  ist  sie  ein  nicht  ungeeignetes  object,  wie  sie  denn 
lünsichtlich  des  Wortschatzes  schon  früher  von  A.  Schönbach 
erfolgreich  benutzt  worden  ist. 

I. 

Die  Überlieferung. 

L   Die  einzelnen  handschriften. 

Die  handschriften  der  Minneburg  sind  angegeben  von 
Raab,  Ueber  vier  allegorische  motive  in  der  lateinischen  und 
deutschen  literatur  des  mittelalters  s.  36  anm.  69  (ausser  1 ) 
und  von  Bartsch,  Die  altdeutschen  hss.  der  Universitäts-biblio- 
thek in  Heidelberg  no.  208  (ausser  1  und  c). 

P,  die  Heidelberger  pergamenths.  Cod.  pal.  germ.  455,  15.  jh, 
beschrieben  von  Bartsch  a.  a.  o.  no.  246,  vgl.  auch  Stejskal,  Zs. 
fda.22,281f.  Das  gedieht  steht  auf  bl.  86a  — 202b,  ist  aber 
nicht  vollständig  überliefert;  ausserdem  ist  die  letzte  seite 
(202  b)  abgerieben.    Voraus  gehen  eine  prosaische  inhalts- 

Beitrftge  «or  «Mchlcht«  6n  deutschen  ipranha.  XXII.  17 


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258 


EIIKISMANN 


angäbe,  bl.  84»,  darauf  bis  bl.  85 b  drei  in  sehr  gekünstelter 
reimverschlingung  abgefasste  gedickte  religiösen  Inhalts  (s. 
unten). 

Die  mundart  von  P  ist  ostfränkisch:  es  fehlen  die  speciell 
alemannischen  und  bairischen  kennzeichen  ebenso  wie  die 
rhein-  und  mittelfränkischen  und  die  thüringisch-ostdeutschen; 
umgekehrt  finden  sich  einige  erseheinungen,  die  zusammen- 
gefaßt den  ostfränkischen  dialekt  ergeben,  keine,  die  ihm 
direct  widersprechen. 

Zum  vocalismus  ist  zu  bemerken:  ä  ist  häufig  zu  6  ge- 
worden, besondere  in  zwor,  mofze,  kro,  klo,  dagegen  meist  an 
—  äne.  Der  umlaut  von  d  ist  r.  Für  ie  steht  oft  i,  besonders 
in  -ir,  -iren  :  tir,  schir,  zirde,  infinitiv  -iren,  und  in  dinen; 
immer  in  ging,  hing,  ei  gilt  für  altes  ei  und  für  die  contrac- 
tion  aus  tgi.  u  bezeichnet  sowol  u,  ü  und  uo  als  auch  häutig 
üy  im,  üe.  Mhd.  ou  ist  au,  o  in  flog,  betrog.  Mhd.  öu  ist  eu, 
der  umlaut  ist  auch  eingetreten  in  lieubt,  gelruhen,  bereuben. 
Die  diphthongierung  von  t  zu  ei,  ü  zu  au,  iu  zu  eu  ist  nicht 
durchgedrungen,  es  finden  sich  nur  etwa  anderthalb  dutzend 
fälle,  worunter  mehrmals  kaum. 

Der  consonantismus  steht  ganz  auf  gemeinmhd.  stufe,  die 
Verschiebungen  sind  durchgeführt,  auch  d  zu  t.  Das  mhd. 
auslautsgesetz  vom  Wechsel  zwischen  lenis  und  fortis  ist  nicht 
mehr  streng  beobachtet,  aber  es  zeigt  sich  noch  in  einzelheiten, 
so  ist  z.  b.  mit  einer  gewissen  regelmässigkeit  nom.  acc.  bttrk 
gegen  gen.  dat.  bürge  {—-  bürge)  bez.  mit  apokope  bürg  ge- 
schrieben. —  sl,  am,  sn,  sie  sind  noch  nicht  schl  u.  s.  w., 
auch  Uv  ist  erhalten,  ebenso  qu  in  quecklich,  quam,  quentm 
(neben  kam,  kernen);  dagegen  ist  nc  zu  rb  geworden;  auch 
mb  zu  mm  (oft  einfach  m  geschrieben),  jedoch  immer  umh;  im 
auslaut  hält  sich  mb  bez.  mp  länger,  vgl.  Rückert,  Entwurf 
einer  systemat.  darstellung  der  schlesischen  ma.  hg.  von  Ketsch 
s.  177.  Behaghel,  Pauls  Grundr.  1,592.  v.  Bahder,  Zs.fdph.12,485 
und  Germ.  23, 199  (die  hier  angeführte  Schreibung  umbe  ist 
archaistisch:  regelrecht  ist  umb,  e  ist  abgefallen  ehe  mb  zu  mm 
Würde;  die  form  mit  assimilation,  um  aus  umbe,  ist  satzdoublette 
zu  umb);  w  tritt  an  stelle  von  j  in  geblutet  t,  muwet,  gluwende, 
vgl.  Braune,  Ahd.  gramm.  §  110  anm.  2  und  §  359  anm.  3.  v.  Bah- 
der, Germ.  23, 199. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURO. 


259 


Im  einzelnen  ist  hervorzuheben : 

1.  Die  dem  dialekt  des  gedichtet;  entsprechenden  infinitive 
ohne  n  (s.  unten)  sind  in  den  reimen  immer  bewahrt  und  finden 
sich  vereinzelt  auch  im  innern  der  verse,  sie  waren  also  dem 
Schreiber  von  P  mundgerecht. 

2.  Schwacher  conj.  praet.  mit  umlaut  begegnet  in  sente, 
wente,  merkst  =  merktest. 

3.  kumen  hat  als  wurzelvocal  u,  nie  o,  auch  im  part.  perf., 
dagegen  steht  o  entgegen  der  ma.  im  part.  perf.  ge-,  ver-nomen. 

4.  Immer  sulrk,  sulcher. 

5.  Die  verba  gen,  sten  haben  e,  d  nur  in  reimen  wie  kän  : 
gän,  tat :  stät. 

6.  Zu  den  verba  praeteritopraes.:  praes.  ind.  sg.:  sul,  pl. 
sullen,  sollen,  conj.  sttlle,  praet.  sohle;  mag  —  mugen  —  mokte; 
darf  —  dürfen  —  dorfte\  kan  —  kunnen  —  künde,  'wollen' 
flectiert  teil  —  wollen  —  wolte. 

7.  Schwacher  gen.  plur.  ist  häufig  bei  kunsten,  der  künsten 
spise,  der  künsten  sterke,  künsten  fruktir,  ähnlich  der  sinnen 
durf  tvitzenkünstenlos,  teitzenkaft  u.  a.,  vgl.  Jänicke,  Zs.  fda. 
17.  507.  Bech,  Germ.  20,  258;  zu  sinnen  vgl.  Roethe,  Reinmar 
s.  13  anm.  31. 

8.  Für  präfix  er-  steht  sehr  oft  das  dem  ostfränkischen 
ganz  geläufige  der-.  Die  zwei  ältesten  belege  für  der-  stammen 
aus  dem  12.  jh.,  worunter  der  eine  aus  dem  ostfränk.,  nämlich 
aus  der  hs.  von  Himmel  und  hölle,  vgl.  MSI).  23, 158.  Das  an- 
lautende d  ist  aus  dem  Satzzusammenhang  zu  erklären,  z.  b. 
im  Übergang  von  er  hat  erslagen  entstand  in  er  hat  derslagen 
eine  dem  im  ahd.  und  mini,  häufig  begegnenden  td  entsprechende 
articulation,  deren  physiologische  beschaffenheit  Paul,  Beitr. 
?,  129  erörtert  hat. 

9.  zu  gilt  für  präposition  und  präfix,  nie  ge;  aber  zer-, 
nicht  zur-, 

10.  entwurt  subst^  entwürfen  verb.  sind  in  Ostfranken  ge- 
bräuchlich für  antwurt,  antwurten,  vgl.  Bayerns  ma.  1,  385. 
Rückert-Pietsch  s.  29:  das  e  ist  umlaut,  entstanden  in  formen 
wie  anlwürte,  antwurten. 

11.  Für  wüestc  subst,  begegnet  einmal  (uf  ein)  wuehsten, 
eine  sonst  nur  im  bairischen  öfter  belegte  form  (Schmeller-Fr. 
2, 842.  Weinhold,  Bair.  gramm.  §  184).   Ferner  der  kirtze,  vgl. 

17* 


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260  EHRISMANN 


DWb.  4,2, 1563  f.;  und  immer  tmlle  für  teile,  eine  in  hss.  ver- 
einzelt begegnende  Schreibereigenheit,  die  keine  lautliche  be- 
deutung  hat. 

Der  ostfränkische  dialekt  findet  unten  eingehendere  be- 
handlung.  Hier  sei  aus  dem  obigen  nur  so  viel  herausgehoben, 
als  zu  einer  näheren  grenzbestimmung  der  hs.  P  innerhalb 
Ostfrankens  dienen  kann: 

1.  heubt,  geleuben,  bereuben.  Nach  Brenner.  Mundarten  und 
Schriftsprache  in  Bayern  s.  24  'geht  ein  streifen  landes  von  der 
Pfalz  herüber  ins  diesseitige  Franken,  wo  sich  die  form  keufen 
(mit  umlaut)  festgesetzt  hat,  mitten  durch  das  reich  der  un- 
umgelauteten  form  kaufen".  Femer  s.  Schindler,  Die  mund- 
arten  Bayerns  §§  177  und  178  {gleb,  kl  ff,  reff,  teff  am  Mittel- 
main, gleiib  u.s.w.  auf  der  Rhön).  Bavaria  3, 1, 213:  'nirgends 
im  Bambergischen,  aber  sehr  häufig  im  Würzburgischen  und 
der  Rhön:  ecJi  käfft,  ech  gläb  u.s.w.',  s.  auch  ss.  211.  245.  258. 
Firmenich  2, 407».  Bayerns  ma.  1, 283  und  285.  Als  engere  ab- 
grenzung  der  mundart  von  P  ergibt  sich  also  der  westliche 
teil  des  ostfränkischen  dialekts,  während  der  östliche,  das  hoch- 
stift  Bamberg,  ausgeschlossen  bleibt. 

2.  (legen  Bamberg  spricht  ferner,  dass  die  diphthongierung 
von  t  zu  ei  u.s.w.  nur  sehr  selten  in  der  hs.  vorkommt  In 
Bamberg  aber  ist  der  neue  vocalismus  schon  gegen  die  mitte 
des  14.  jh.'s  durchgedrungen,  in  Würzburg  eigentlich  erst  um 
die  mitte  des  15.  jh.'s. 

Eine  weitere  specialisierung  ergibt  sich  durch  die  aus- 
scheidung  des  Hennebergisch-ostfränkischen:  es  findet 
sich  nie  das  in  den  Henneberger  Urkunden  sehr  geläufige  sal 
für  sol;  ebenso  nie  die  allerdings  auch  in  den  genannten  Ur- 
kunden gemiedenen  he  neben  er,  forte  für  forhte  (vgl.  From- 
manns ma.  4,  238  und  459),  dat.  sg.  mi,  di  (ebda.  s.  459). 

Als  mundart  von  P  ergibt  sich  demnach  der  westliche 
teil  des  ostfränkischen,  also  Würzburg,  bez.  dessen  engeres 
dialektgebiet. 

6,  2  blätter  einer  papierhs.  des  14.  jh.'s  in  der  fürstlich 
Fürstenbergischen  hofbibliothek  zu  Donaueschingen  (no.  108), 
vgl.  Barack  s.  104  t;  enthält  v.  2860— 2931  und  v.  3075— 3147. 
Die  dialektischen  merkmale:  e  für  mhd.  ce,  ei  für  I  und  et, 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBÜRG.  261 

au  für  ü  und  ou,  eu  für  tu,  i  für  ie  (für  uo  als  monophthong 
liefert  die  Schreibung  keinen  anhält;  es  wird  geschrieben  u, 
i)  tX),  ferner  einige  male  ch  für  Ä-  (chvmen,  minnenburch),  einmal 
anlautend  p  für  b  (pin),  dann  noch  sülcher  —  weisen  auf  Böhmen 
als  heimat  der  hs.  (vgl.  Knieschek,  Ackermann  aus  Böhmen 
s.  86  f.  Benedict,  Das  leben  des  heil.  Hieronymus  s.  xliii  ff.). 

1.  Das  im  liederbuch  der  Hätzlerin  abgeschriebene  gedieht 
Wie  ainer  fein  fr  öd  wolt  begraben,  Haltaus  II,  no.  25,  s.  180  ff.  ist 
der  Minneburg  entnommen  und  bildet  daselbst  v.  2399—2664. 

c,  hs.  des  historischen  archivs  der  Stadt  Cöln  no.360,  papier, 
folio,  15.  jh.,  einspaltig.  Die  Minneburg  steht  auf  bl.  1» — 41b,  sie 
bildet  den  einzigen  inhalt  der  hs.  Laut  aufschrift  auf  der  innen- 
seite  des  deckblattes  gehörte  die  hs.  einst  zu  Wallrafs  biblio- 
thek  (Ferd,  Wallraf  Prof.  Colon.).  Zum  einband  ist  als  falz  ein 
pergamentstreifen  einer  Urkunde  verwendet,  worauf  der  name 
der  fürst -äbtissin  [des  Stiftes  Essen]  Elzabeta  zu  Mander- 
scheidt-Blankenheim  zu  lesen  (über  diese,  die  1575—1578 
dem  stifte  vorstand,  s.  Grevel  in  den  Beiträgen  zur  gesch.  von 
Stadt  und  stift  Essen,  heft  13,  3—96).  Es  ist  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  die  hs.  einst  zu  der  berühmten  bibliothek  der 
grafen  von  Manderscheidt- Blankenheim  gehörte,  aus  welcher 
viele  hss.  in  Wallrafs  besitz  übergiengen  (Ennen,  Zeitbilder 
aus  der  neueren  gesch.  der  Stadt  Köln  s.  345.  Suchier,  Zs.  fdph. 
13, 257  f.). 

Eine  zweite  bemerkung  auf  der  rückseite  des  deckblattes 
lautet:  N.B.  'Dies  Ms.  ist  im  7her  i816  abyesef trieben  worden', 
worauf  ein  ohne  nähere  anhaltspunkte  unleserlicher  namenszug 
folgt.  Die  notiz  rührt  ohne  zweifei  von  F.  W.  Carove  her, 
wie  sich  aus  einem  briefe  E.  v.  Grootes  an  Jakob  Grimm  vom 
18.  märz  1817  ergibt  (abgedruckt  von  Reifferscheid  in  Picks 
Monatsschrift  für  rheinisch-westfäl.  geschichtsforschung  1, 156  f.). 
Groote  schreibt  hier:  'seither  habe  ich  nun  noch  eine  hübsche 
hs.  41  blätter  kl.  folio  auf  papier,  jede  seite  42 — 44  Zeilen,  er- 
halten, von  welcher  Ihnen  vielleicht  Carove  schon  geschrieben, 
der  sie  1816  abgeschrieben  hat.  Den  Verfasser  weiss  ich  nicht; 
das  ganze  aber  ist  ein  grosses,  meist  allegorisches  gedieht 
über  die  minne,  in  welchem  anspielungen  auf  die  Niebelungen, 


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2(i2 


EHRISMANN 


auf  den  Gral,  den  Tristan,  Wiglisz  (Wigolais),  Blantschiflor, 

Laurin  und  Lancelot  vorkommen         Wenn  es  Ihnen  der  mühe 

wert  scheint,  so  teile  ich  Ihnen  nächstens  eine  probe  daraus 
mit.'  Alle  angaben  stimmen  auf  die  Cölner  hs.  der  Minneburg, 
auch  die  form  Wiglisz  (v.  3157;  Laurin  hat  Groote  aus  dem 
unsinnigen  und  unmöglich  zu  entziffernden  Laurmtipe  v.  3158 
der  hs.  erschlossen,  aber  sicher  mit  unrecht).  Dadurch  wird 
auch  der  namenszug  verständlich:  er  bedeutet  WC  =  W.  Ca- 
role. Aus  dieser  abschrift  Caroves  stammt  dann  jedenfalls  die 
von  W.  Grimm,  Heldensage2  283  f.  mitgeteilte  stelle.  —  Eine 
undatierte  abschrift  von  c  aus  v.  d.  Hagens  naclilass  (identisch 
mit  der  Caroves?)  befindet  sich  in  der  kgl.  bibliothek  zu  Berlin 
(Ms.  Germ.  oct.  2ö9). 

Dialekt  von  c.  Vocale:  ä  und  a  sind  oft  von  nach- 
schlagendem i  begleitet  und  zwar  ist  d  etwa  80  mal,  a  etwa 
50  mal  ai.  Dasselbe  findet  sich  ebenfalls,  aber  seltener,  nach 
6  und  o,  für  6  besonders  in  groifz,  vereinzelt  bloifz,  {be)sloifz, 
ßoifz,  schoifz,  genoifz,  troist,  doit,  noit,  hoich;  für  o  bes.  in 
woil,  seltner  hoiffe,  goitt,  spoitt,  beshifzen.  Nach  u  kommt 
dieses  i  besonders  vor  in  suifz  (  -  siicze),  etwa  25  mal,  gegen 
ebenso  viele  su/z,  süfz;  vereinzelt  in  huifz  (=  hüs),  guiz 
(=  giuz\e\)j  gruifz  (=  gruoz),  durchstuickct  (=  durchstücket). 

Für  umlauts-6'  steht  i  in  mircklich,  stircke,  stirckte,  gegen- 
wirtekeyt,  tvirt  (=  werte  'erwehrte'),  wichtig,  gestiebt,  gliter,  ie 
n  riede  sb.,  rieden  vb.;  für  e  steht  i  in  entwider,  wo  auch  nhd. 
geschlossenes  e;  umgekehrt  e  für  i  in  erdisch,  errend,  icedder 
('wider'),  derbedemt:  ausserdem  ist  i  auch  durch  ie  vertreten 
besonders  in  dieser,  wieder,  liedic,  friede,  hiemel,  siech  ('siehe'). 
Ursprüngliches  /  ist  erhalten  in  iz,  mich  ( =  got.  bileiks,  as. 
hwilik).  Alle  diese  Schreibungen  sind  jedoch  nicht  regelmässig 
durchgeführt. 

Der  umlaut  von  ä  ist  e,  auch  in  fregende,  frege  sb. 

o  ist  durch  a  ausgedrückt  in  den  seltenen  ab,  wanen  und 
durchweg  in  zabel  'zobel',  welche  nid.  form  auf  mlat.  sabclum, 
frz.  sablc  aus  lit.  sabalas  zurückgeht,  während  zobcl  direct  aus 
russ.  soboV,  poln.  sobol  stammt. 

o  ist  u  in  uffen,  uft'enliche. 

u,  auch  mit  index  ft,  u  (über  ui  s.  oben)  gilt  unterschieds- 
lus  für  u,  u,  ü,  im,  uo  und  üe\  zu  o  ist  u  geworden  vor  n: 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


he 


268 


wonder,  wonde,  uberwonden,  sonne,  könne  u.  a,;  vor  r:  dorch, 
borg,  worzel,  korcze  u.a.;  desgleichen  ä  zu  o  in  wonsch,  koning, 
fonf  u.  a.,  worde,  verlöre,  dorre,  worffei,  geborte  u.  a. 

Die  diphthongierung  von  %,  ü  ist  sehr  selten  eingetreten, 
bei »  einige  male  im  auslaut  und  vor  vocal  (sey,  Arabey,  treseney, 
arzeney,  gekreyet,  gefreyet),  bei  ü  in  gepawen,  trawen. 

ei  ist  ei  und  ebenso  cge  >  ei;  ou  ist  au  (an),  öu  ist  eu  (eü\ 
auch  in  gleuben,  lieupt,  erleupt,  verkeu/fen;  ie  bleibt  ie  und  wird 
selten  zu  i,  dann  meist  in  -iren  und  zir. 

Consonanten:  die  gemein -mhd.  lautverschiebungen  sind 
durchgeführt,  auch  rd  zu  rt,  doch  neben  anlautendem  t  aus  d 
findet  sich  nicht  selten  d  und  vereinzelt  begegnen  unverscho- 
bene  p,  pp  in  plag,  hoppen  :  droppen,  uner schopplich,  scliarpes. 
Dem  mhd.  auslautsgesetz  gemäss  stellt  auslautend  p  für  b  und 
t  für  d,  aber  g  bleibt  und  tritt  oft  sogar  für  ursprüngliches  /; 
ein,  besonders  in  starg.  —  hs  zu  88  in  wassen,  sez;  für  ht  ist 
neben  häufigerem  vorhte  zweimal  vorthe  geschrieben,  wol  des- 
halb, weil  vorhte  dem  Schreiber  nicht  die  geläufige  form  war, 
sondern  vorte1);  h  schwindet  einige  male  in  ho,  hoesten,  geschä. 

Einzelheiten:  neben  gewöhnlichem  sol,  solt  erscheint  auch 
sal,  salt,  neben  brennende  auch  burnde,  bimmle;  für  zwischen 
wechseln  thuschen,  zwuschen,  zusehen;  vor  vertritt  für  als  ad- 
verb.  präposition  und  präfix. 

Zur  flexion  sind  zu  notieren  vereinzelte  dative  sg.  masc. 
auf  -en  beim  starken  adj.,  gen.  und  dat.  sg.  fem.  auf  -er  beim 
schwachen;  zur  Wortbildung  fem.  abstracta  wie  stirckt  =  sterke, 
kurezt,  glimpfft,  gesmekt.  Endlich  durchgehends  antzlitz,  und 
leren  für  lernen. 

Die  Orthographie  von  c  ist  keine  einheitliche,  neben  den  im 
allgemeinen  geltenden  regeln  der  büchersprache  (über  ostfränki- 
sche spuren  s.  unten  beim  hss.-verhältnis)  gehen  die  angeführten 
mundartlichen  besonderheiten  des  Schreibers.  Diese  weisen  auf 
das  rheinfränkische  gebiet.  Gegen  süden  Ist  die  grenze  bestimmt 
durch  wassen,  das  heutzutage  nach  Wrede,  Anz.fda.  21, 2b*  1—2(58 

')  Der  schwnnd  des  h  in  der  lautverbindung  rht  beruht  darauf,  dass  h 
«r/i-lant  war  und  somit  dem  v,  dem  es  in  der  articulation  sehr  nahe  stand, 
assimiliert  wurde;  ebenso  ist  der  Übergang  von  vorhte  zu  vohte  zu  erklären 
(vgl.  dazu  besonders  Sievers,  Oxforder  Benedictinerregel  s.  ix  ff.).  Auch  in 
dur  für  durdi  ist  c/t  als  acA-laut  an  da«  vorangehende  v  assimiliert. 


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264  EHRI8MANN 

bis  nördlich  von  Ems,  Homburg,  Hanau,  Gelnhausen  reicht. 
Von  dem  überbleibenden  nördlichen  teile  sind  auszuschliessen 
die  eigentlich  hessische  mundart  und  das  nassauische,  denn  es 
fehlen  die  pron.  her  he,  dit,  unse,  sowie  die  contractionen  sien, 
geschien  gänzlich  (vgl.  Sievers,  Benedictinerregel  s.  xiv  und  s.xi). 
Es  ergibt  sich  also  etwa  die  Wetter  au  als  die  für  den  dialekt 
zu  bestimmende  landschaft, 

Im  eingangs-  und  ausgangsstück  fallen  einige  von  dem 
sonstigen  schriftgebrauch  abweichende  Schreibungen  auf:  neben 
mehrfachem  freude  etwa  zehnmal  freide,  dazu  fröde,  frede,  fro- 
driches  und  erzöget;  ferner  schöpf  er,  ie  für  üe  in  giete  (dreimal) 
und  gestiel,  briefer  (je  einmal),  endlich  th  im  anlaut  bei  thuon 
(elf mal),  (han  (tannwald),  thosen,  und  im  reime  bal  ==  bald 
(:  al),  gesynne  =  gesinde  (:  mynne).  Die  teile,  welche  diese 
spuren  aufweisen,  nehmen  auch  sonst  eine  Sonderstellung  ein 
(s.  unten). 

w,  hs.  der  k.  k.  hofbibliothek  zu  Wien  no.  2890,  papier, 
folio,  15.  jh.,  einspaltig,  vgl.  Hoffmanns  Verzeichnis  no.  LIU. 
Tabulae  codd.  mss.  praeter  graecos  et  orientales  in  bibl.  pal. 
Vind.  asservat.  2, 151.  Die  hs.  enthält  nur  die  Minneburg,  und 
zwar  auf  bl.  lb  bis  53a. 

Die  mundart  des  Schreibers  ist  schwäbisch.  In  der  Ortho- 
graphie zeigt  er  ein  lobenswertes  bestreben,  bestimmte  regeln 
einzuhalten.  Bei  der  verhältnismässig  sorgfältigen  Schreibweise 
ist  die  hs.  ein  muster  des  schwäbischen  dialekts. 

Vocale:  umgelautetes  a  wird  bezeichnet  1.  durch  c; 
2.  seltener  und  fast  nur  in  fällen  jüngeren  umlauts  durch  ä,  ä, 
wie  in  almdchtig  :  dry  trächtig,  geschldcht,  widerwärtige,  er- 
bärmde,  gegenwärtigkeit,  pfärd,  einfältig,  gewältig,  täglich, 
cläfferin,  mänlich,  schnäbelin,  fränckisch  (dies  hat  auch  nach 
Seb.  Helber,  Syllabierbüchlein  ed.  Roethe  s.  19,  12  offenes  e ), 

einmal  e  in  m echten-,  3.  der  ältere  umlaut  durch  6,  ö  in  schöpffer, 
störckst,  löschen,  öpffel :  tröpffei,  wöllen  ;  ö  auch  f  ür  die  schon 
mhd.  geschlossenen  e  in  löwe  (daneben  leowc  mit  auch  sonst 
belegter,  vom  lateinischen  beeinflusster  Schreibung)  und  dort  = 
dert  'dort',  vgl.  Kauffmann,  Gesch.  der  schwäb.  ma.  §  05  b  und 
§  84  anm.  1.  v.  Bahder,  Grundlagen  des  nhd.  lautsystems  s.  170. 
Doppelformen  sind  manges,  rnangen  (aus  manag)  neben  menger, 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


265 


mengen  (aus  manig)  und  einmal  mdnig  (vgl.  Bohnenberger,  Zur 
gesch.  der  schwäb.  ma.  im  15.  jh.  s.  35). 

Für  d  ist  ausser  dem  meist  gebräuchlichen  a  auch  «  ein- 
getreten, vor  nasalen  o  :  on[e]  (immer),  hon,  Ion,  ston,  geton, 
somen  u.a.,  seltner  han,  lan  u.s.w.;  au  in  Janssen,  autem, 
aubentür. 

Der  umlaut  des  ä  ist  ä  (e  einmal  in  wer  :  ler),  selten  e  : 
wider spenig,  wech  (  ="  wcehe),  spech  (  =  spielte),  seid  (=  scelde) 
u.a.,  vgl.  Bohnenberger  s. 47 — 51. 

Mhd.  e  ist  6  in  öwig. 

Zu  bemerken  ist  die  Schreibung  ßenster  'fenster',  die  drei- 
mal vorkommt  (daneben  zweimal  venster,  einmal  vinster)\  menster 
hat  auch  die  schwäbische  Schildbergerhs.  in  Heidelberg,  bl.  58, 
vgl.  Germ.  7, 376  und  Langmantels  ausgäbe  s.  132,  anm.  zu  s.82, 14. 
'Mhd.  e  ist  wie  e  behandelt  in  faestr'  u.s.w.,  Kauffmann  §  72 
anm.  4. 

Für  i  und  I  werden  in  den  hss.  des  14.  und  15.  jh/s  i  und  y 
verwendet,  und  zwar  meist  ohne  bestimmte  regel.  Ueber  die 
anwendung  des  y  haben  besonders  Rückert,  Entwurf  hg.  v. 
Ketsch  s.33  und  Pietsch,  Trebnitzer  Psalter  s.  xxxvm  fördernde 
beobachtungen  niedergelegt,  dagegen  ist  v.  Liliencrons  annähme, 
es  werde  durch  y  in  manchen  fällen  eine  abweicheude  aus- 
spräche bezeichnet  (J.  Rothes  Düringische  chronik  s.  712),  un- 
haltbar. Das  y  hat  seine  eigene  geschiente,  die  von  Otfrid  bis 
auf  J.  H.  Voss  reicht.  Für  das  14.  und  15.  jh.  hat  y  seine  eigent- 
liche Stellung  in  folgenden  fällen: 

1.  Vor  oder  nach  n,  nn,  m,  mm,  aus  rein  äusserlichen 
gründen,  weil  das  t  als  einfacher  strich  hier  mit  den  n-  und 
m-  strichen  zusammen  ein  unleserliches  gebilde  ergibt  (woher 
die  häufigen  Verwechslungen  in  mhd.  hss.  zwischen  diu  und  din, 
nu  und  im  u.  a.,  vgl.  z.  b.  0.  Zingerle,  Ueber  eine  hs.  des  Pas- 
sionals,  Wiener  SB.  105, 13—15). 

2.  y  ist  i,  insofern  es  aus  i  +j  =  i  +-  i  besteht,  vgl.  nl.  ij, 
weshalb  es  bei  den  grammatikern  des  16.  jh.'s  das  zwy fache 
und  lange  y  heisst  gegenüber  dem  kurzen  und  einfachen  /,  vgl. 
Joh.  Kolrosz  bei  Müller,  Quellenschriften  und  gesch.  d.  deutsch- 
sprachl.  Unterrichts  s.  60.  70.  72.  Fab.  Frangk  ebda.  s.  99.  Peter 
Jordan  s.  114.  J.  H.  Meichszner  s.  161.  Laurentius  Albertus  hg. 
von  Müller  -  Fraureuth  s.  27;  ferner  s.  Kauffmann  §74  anm. 


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266 


EHRI8MANN 


Bohnenberger  s.  61  und  68.  Nohl,  Die  spraclie  des  Niclaus  von 
Wyle  s.  40. 

3.  y  steht  in  diphthongen  vor  folgendem  vocal  (y  =  ij)  und 
im  wortauslaut,  vgl.  Joh.  Kolrosz:  so  das  lang  y.  zwüschen  zween 
stimbuchstaben  gesetzt  wärt,  so  thut  es  ein  i  vnd  ein  halb  g. 
Exemplum.  Meyer,  Beyer,  ayer,  ndyen,  sdyen  . . .  Müller,  Quellen- 
schriften s.  75,  vgl.  auch  Kauffmann  §  182  anm.  Fabian  Frangk: 
i:  wird  ans  end  eines  worts,  nicht  gestellet,  sondern  das  y,  als 
drey,  dabey  etc.,  Müller  s.  99;  s.  auch  Laurentius  Albertus  s.33. 
Joh.  Clajus  hg.  von  Weidling  s.  12  f.  Joh.  Becherer,  Zs.  f.  d.  d. 
Unterricht  9,  708. 

4.  Endlich  steht  y  im  wortanlaut  in  ye  und  in  den  damit 
zusammengesetzten  Wörtern  wie  yeman,  yeglich,  yezunt  etc., 
offenbar  um  anzuzeigen,  dass  der  diphthong  ie  auf  dem  i  zu 
betonen  ist,  zum  unterschied  vom  steigenden  diphthongen,  wo 
/  oder  j  statt  hat,  wie  jagen,  jugent.  So  schreibt  Joh.  Kolrosz 
(Müller  s.  69  und  75  f.)  Jesus,  icger  und  stellt  dagegen  ye  vnd  ye, 
yederman,  yedes  unter  diejenigen  Wörter,  die  das  t  betonen. 

Der  schreiber  von  w  hat  sichtbar  das  bestreben,  einen 
unterschied  zwischen  i  und  y  zu  machen,  und  zwar  gemäss  den 
angegebenen  vier  grundsätzen.  Für  kurzes  i  ist  y  überhaupt 
nicht  sehr  oft  gebraucht,  dann  aber  mit  ganz  wenigen  aus- 
nahmen wie  rysen,  rysel  und  in  einigen  fremdwörtern,  der 
regel  1  entsprechend  neben  n  und  m:  tnynne,  synn,  nytn,  ynnec- 
lich,  yngesinde  und  besonders  in  ymer,  nymer.  Seine  haupt- 
sächlichste Verwendung  findet  y  für  die  länge  (regel  2),  woneben 
viel  seltener  /,  dieses  jedoch  immer  in  min,  din,  sin.  Beispiele 
für  regel  3 :  dat.  pl.  zwayen,  aber  zivein,  mayen  (acc.  sg.),  weye, 
imp.  zu  mhd.  tvwjen  mit  echt  schwäbischem  ey  für  a>j,  vgl. 
Kauffmann  §66  anm.  3.  Bohnenberger  s.  47— 51.  H.Fischer, 
(leographie  der  schwäb.  ma.  s.  33  anm.  7.  Nohl  s.  64;  zway,  de- 
hainerlay,  schray,  ey  (interjection)  und  die  fremdwörter  Agleye, 
Troy.  Für  regel  4:  ye.  yeglich.  yemant,  yetznnt  gegen  jagen, 
janirr,  jar.  jugent,  jung.  —  In  den  beiden  schon  besprochenen 
hss.  P  und  c  sind  diese  regeln  über  die  Verteilung  von  *  und  y 
bei  weitem  nicht  so  correct  durchgeführt  wie  in  w,  aber  trotz 
der  Verwirrung  noch  bemerkbar  und  zwar  in  P  deutlicher  als 
in  c  (hier  eigentlich  nur  regel  1  und  2). 

i  wird  sehr  oft  zu  ü  nach  w,  besonders  in  der  lautgruppe 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MDXNEBURG, 


267 


wir-,  vereinzelt  auch  vor  r  ohne  vorangehendes  w,  hier  jedoch 
sichtlich  meist  nur  des  reimes  wegen:  ich  vmrd,  du  wärst,  er 
wärt,  diu  würde,  würde  :  gürde  (=  girde  sb.),  der  wart,  würs, 
würff,  erwürbt  :  stürbt,  wurcken,  würcket  :  zürcket,  zurckel, 
gewürckt  :  bürgkt,  ich  würb  :  ich  stürb  (ind.  praes.),  zwüret, 
zwüschcnt,  fürne,  ferner  ich  wüst,  süben,  tüschelin,  vmer  neben 
ynwr,  aber  nie  im  pronomen  wir;  vgl.  Kauffmann  §  86  anm. 
Bohnenberger  s.  58 — 61.  v.  Bahder,  Grundlagen  s.  181. 

Die  diphthongierung  von  i,  w,  in  ist,  dem  schwäbischen  des 
15.  jh.'s  entsprechend,  nicht  durchgeführt;  vereinzelt  ist  ge- 
(z)weyot :  gefreyot  zu  zwien,  frien. 

Die  umgelauteten  vocale  sind  von  den  nicht  umgelauteten 
reinlich  geschieden,  o  —  o  und  d,  dagegen  6,  ö  —  ö,  ce\  u  =  w 
(im  anlaut  v)  und  «,  dagegen  ü,  u  =  ü  und  in  (sowol  ursprtingl. 
diphthong  als  umlaut  von  u  bez.  /«),  u  =  uo,  dagegen  ü  =  iie. 
Damit  lässt  sich  feststellen,  dass  keinen  umlaut  haben  die  in- 
tensiven verba  rucken,  drucken,  zucken,  durchstucken,  gebucket, 
geschmückt,  geknuckt  (aber  erkiiek),  ferner  brück  'brücke',  ver- 
lupt  'vergiftet',  luppendig,  nützlich,  guldin,  genuchtig  :  süchtig 
(v.  2627,  aber  süchtig  :  briiehtig  v.  1657),  sül,  vgl.  Kauffmann 
§  124.  H.  Fischer,  Geogr.  s.  74  und  Germ.  422.  v.  Bahder, 
Grundlagen  s.  199  ff.;  suffix  -nus. 

Schwanken  der  Umlautsbezeichnung  herscht  in  der  Verbin- 
dung iuw  :  trüwe  und  truwe,  üwer  und  uwer,  und  in  üchf  uch, 
wie  auch  sonst  im  schwäbischen  des  15.  jh.'s,  vgl.  Bohnenberger 
s.  116— 122;  über  heutiges  üw  s.  H.  Fischer,  Geogr.  s.  41—4;$. 

Mlid.  ei  ist  ai;  davon  ist  die  contraction  von  cgi  als  et  ge- 
schieden, vgl.  Kauffmann  g  91—93.  H.  Fischer,  Geogr.  s.  44—48. 
Bohnenberger  s.  104—113:  treit,  seit,  gcleit,  gein  -  daneben  die 
unter  schwachem  satzton  entstandene  form  gen  (über  schwäb. 
gab  und  ge~  s.  H.  Fischer,  Germ.  36,  419).  Statt  ei  aus  cgi  wird 
m  nur  der  reimgenauigkeit  wegen  geschrieben,  wenn  die  betr. 
Wörter  mit  einem  ai  enthaltenen  worte  gebunden  sind,  das 
ihnen  als  reim  vorausgeht:  wyszhuit :  gesait,  vestigkait :  trait  u.  a. 
Umgekehrt  steht  mehrfach  ei  für  ai,  aber  nur  in  unbetonter 
silbe  in  -heit,  -keit,  arbeit  und  selbstverständlich  durchweg  in 
der  interjection  ey\  ferner  zweimal  beide  neben  sechsmal  baide 
(vgl.  Bohnenberger  s.  110).  Das  zweimal  erscheinende  tmding 
verhält  sich  zu  mhd.  teiding  wie  modle  zu  meidle  (zu  diesem 


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268 


EHHI8MANN 


8.  v.  Bahder,  Zs.  fdph.  12, 485.  H.  Fischer,  Geogr.  s.  47  f.  Germ. 
36,419  und  Zur  gesch.  des  mhd.  s.  66  anm.  3.1)  tceding  (vgl. 
Bohnenberger  s.  110—113)  ist  =  tagading,  teiding  =  *tagiding 
>  tegiding  mit  assimilation  des  mittel  vocals  an  das  i  der 
schlusssilbe  (vgl.  Braune,  Ahd.  gramm.  §  68  und  §  27  anm.  4). 
Mhd.  ie  ist  ie,  ye. 

Für  uo  vor  nasal  findet  sich  ganz  selten  o  in  ton,  stond, 
vgl.  Kauffmann  §  97,  2.  Bohnenberger  s.  132—135.  —  Präpo- 
sition und  adverb  sind  durcheinander  ztk  und  zü  geschrieben, 
hier  also  hat  der  index  keine  lautliche  bedeutung  mehr. 

Mhd.  0«  ist  ou  und  o  ohne  unterschied,  z.  b.  berouben  und 
beroben,  gelouben  und  geloben,  ougen  und  ogen  IL  a.,  aber  nur 
o  vor  im:  bom,  troni  und  in  frowe  und  och  =  ouch;  vereinzelt 
steht  gnaw  (Kauffmann  §  94.  H.  Fischer,  Geogr.  s.  40.  Bohnen- 
berger s.  122—128). 

Der  umlaut  von  ou  ist  ö:  fröde,  erzögen,  Sgen,  verströtcet, 
trömen. 

Die  schwäbische  nasalierung  findet  statt  in  zweimaligem 
sunfftzen  gegen  einmaliges  süfftzen,  s.  Kauffmann  §  134. 
H.  Fischer,  Geogr.  s.  56  f.  und  Germ.  36,  423.  Alemannia  3, 296. 

Synkope  und  apokope  der  schwach  betonten  e  ist  ganz 
geläufig,  erstere  IL  a.  z.  b.  in  gwel,  gnatv,  gbunden,  gsind.  . 

Consonanten:  die  medien  g  und  b  bleiben;  für  b  steht  in 
fremdwörtern  anlautend  auch  p  in  panier,  paner,  perlin  neben 
berlin,  pensei  neben  bensei,  sonst  nur  etwa  zweimal  (plickte, 
plMigkait).  Oefter  tritt  auf  anlautend  t  für  d:  fach  (Kauff- 
mann §  166.  s.  219  unten),  tachs,  Hessen,  getagen,  türrcs,  tringen  ; 
selten  th:  thun,  thorhus,  rnderthänig  (Kauffmann  §  158  anm.  3); 
mehrfach  dt  für  mhd.  d  und  t;  bt  zu  pt:  blipt,  hpien,  gehapt  u.a.; 
mt  zu  tnpt:  zhnpt,  nempt  u.  a.  Gutturaltenuis  ist  e  oder  k,  nie  eh. 
Verdoppelung  des  m  ist  oft  vereinfacht:  tutner,  verstundet, 
w  wird  auslautend  nicht  zu  b:  farw,  und  steht  nach  langem 
vocal  in  blaiv,  grate:  im  inlaut  wechseln  rw  und  rb,  Iw  und  Ib. 
Für  qu  ei^cheinen  die  ^-formen  erkucken,  keeklich  neigen  queck 
(  vgl.  Kauffmann  §  156  anm.).  sl,  sm,  sn,  sw  sind  zu  schl  u.s.w. 
geworden,  tw  zu  zw.  g  fiLr  j  in  biegender  (vgl.  Kauffmann 
§  180  s.  255),  w  als  übergangslaut  in  fmer  vor  sonantischem  r, 

»)  Vgl.  auch  magan  zu  man,  megin  iu  mein  'kraft'. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


209 


unterbleibt  vor  consonantischem  r:  dat.  füre,  adj.  fürin,  fürig. 
Wechsel  zwischen  h  im  inlaut  und  ch  im  auslaut  ist  eingehalten 
in  wdher  —  wäcJi  u.  a.,  dagegen  ist  bei  hoch  die  Spirans  auch 
in  den  inlaut  gedrungen:  hocher,  hochem  u.s.w.;  vorgesetzt  ist 
h  in  herfücht,  hertcandelieren,  hernüwet  (vgl.  Kauffmann  §  158 
anm.  1). 

Zur  flexion  und  Wortbildung:  verbum:  die  zweite  person 
plur.  endigt  neben  gewöhnlichem  -et  auf  -ent,  besonders  im 
imperativ;  part.  perf.  einmal  auf  ot:  geweyot  (entstellt  aus  ge- 
zweyot,  s.  oben  s.  267) :  gefreyot.  Der  conj.  des  verb.  subst.  hat 
neben  den  gemeinmhd.  formen  si  u.s.w.  in  der  1.  3.  sg.  sig, 
2.  tigst,  pl.  ir  sigent  (vgl.  Kauffmann  §  182  s.  254  f.).  In  dem 
einmaligen  verlör,  3.  sg.  conj.  praet.,  ist  die  ablaut&stufe  des  ind. 
sg.  praet.  eingedrungen.   Der  vocal  in  den  seltenen  sten,  gen 

—  gewöhnlich  stan,  gan  —  ist  aus  der  vorläge  übernommen. 

—  Oefter  begegnen  die  abstracten  fem.  auf  -in:  liebin,  gütin 
(gen.  dat.  sg.,  vgl.  Kauffmann  §114,  §116  und  §  135  s.  164),  und 
solche  auf  -nus;  häufig  ist  dennocht,  dannocht  (Weinhold,  Alem. 
gramin.  s.  141),  einmal  steht  gelernet  =  geleret. 

Einige  der  angeführten  mundartlichen  eigentümlichkeiten 
gehören  speciell  in  das  westliche  Schwaben:  die  beibehaltung 
der  alten  i,  ü,  iu,  wofür  ostschwäbisch  im  15.  jh.  ei,  au,  eu  gilt 
(Kauffmann  §  138.  H.  Fischer,  Germ.  36, 423—426.  Bohnenberger 
s.  62—70);  auch  ei  aus  egi,  wofür  ostschwäbisch  gern  ai  auftritt 
(Bohnenberger  s.  113).  Noch  einem  bestimmter  abgegrenzten 
westlichen  gebiet  gehören  üw  für  iuw,  sünjftzen  und  fienster  an, 
s.  dazu  die  nachweise  oben  s.  267,  s.  268  und  s.  265,  zu  fienster 
auch  Kauffmann  §  77  anm.  2. 

d,  hs.  der  fürstlich  Fürstenbergischen  hofbibliothek  zu 
Donaueschingen  no.  107,  papier  in  4°,  15.  jh.  (1468),  vgl.  Barack 
s.  102 — 104,  enthält  auf  bl.  1» — 69b  die  Minneburg,  und  zwar 
von  zwei  verschiedenen  händen  geschrieben:  da  von  bl.  la — 38» 
(v.  1905),  db  von  bl.38b  (v.  1906)  bis  69b  (schluss  der  Mbg.). 
Die  roten  anfangsbuchstaben  an  den  absätzen  und  meist  auch 
oben  an  den  seiten  in  db  sind  vom  zweiten  Schreiber  kunst- 
reich und  gewant  mit  blattornamenten,  köpfen  und  phantas- 
tischen tiergestalten  verziert.  Auch  die  arabesken  bl.  33  b  und 
34  a  in  der  partie  des  ersten  Schreibers  sind  vom  zweiten  nach- 


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270 


•EHRISMANN 


träglich  hinzugezeichnet.  Die  Iis.  gehörte  laut  einer  aufschrift 
auf  der  ersten  seite  vom  jähre  1088  (Mnrij  S.  Magnj  Fiefsa 
16SS)  einst  dem  kloster  S.  Mang  in  Füssen,  kam  später  an 
Lassberg  und  aus  dessen  nachlass  in  den  besitz  der  Donau- 
eschinger hofbibliothek.  Sie  ist  in  den  beiden  bibliotheks- 
katalogen,  die  von  der  einstigen  bibliothek  in  St.  Mang  erhalten 
sind,  nämlich  im  Oatalogus  bibliothecae  Sancti  Magni  de  annis 
1628—1686—1695  in  der  fürstlich  Wallersteinschen  bibliothek 
zu  May  hingen  und  im  Olm.  1387,  nicht  verzeichnet.  In  seinem 
briefe  an  Tliland  vom  16.  august  1821  (Briefwechsel  s.  23)  be- 
richtet Lassberg,  dass  er  aus  einer  schweizerischen  hs.  der 
Minneburg  eine  abschrift  genommen  habe.  Es  ist  möglich,  dass 
diese  'schweizerische'  hs.  eben  diese  jetzige  Donaueschinger  hs. 
ist.1)  lieber  den  verbleib  der  abschrift  konnten  mir  die  Ver- 
waltung der  fürst  1.  hofbibliothek  sowie  die  tochter  Lassbergs, 
fräulein  Hildegard  von  Lassberg  in  Mersburg,  keine  auskunft 
geben. 

Der  dialekt  der  beiden  teile  da  und  d**  ist  ebenfalls  schwä- 
bisch, aber  in  nicht  so  einheitlicher  Orthographie,  auch  nicht 
phonetisch  so  genau  widergegeben  wie  in  w. 

Zum  vocalismus:  ä  zu  6  vor  n,  besonders  in  on[e].  —  Für 
alle  r  und  ebenso  für  e  und  ce  haben  beide  teile  e,  mit  aus- 
ausnahme  von  geschl.  e  >  ö  in  Mischer,  wollen,  schöpfte 
öpffel,  löschen  und  etwa  einem  dutzend  ä  bez.  %  für  ce  in  db; 
dazu  Ivoice,  leuice  für  letve  in  d».  —  i  wird  zu  ü  unter  den 
nämlichen  bedingungen  wie  in  w,  aber  nur  etwa  in  der  hälfte 
der  fälle;  zu  e  in  brenge  (d»),  vgl.  Kauffmann  §  75.  Bohnen- 
berger  s.  58.  In  der  Verwendung  von  y  für  /*  verfolgt  d»  ähn- 
liche grundsätze  wie  w,  daneben  tritt  ie  auf  in  diese*)  db  da- 
gegen braucht  y  fast  nur  in  synn  und  mynne,  wofür  auf  den 
letzten  blättern  jedoch  wider  i  regel  wird.  —  Der  unterschied 

')  S.  unten  s.  274. 

*)  dieser  erscheint  in  hss.,  bes.  mittelfränk..  auffallend  häutig  mit  ie, 
auch  in  solchen  die  sonst  nicht  ie  für  i  brauchen  (s.  auch  oben  s.  262). 
Dies  kann  einen  lautlichen  grnnd  haben :  ie  kann  auf  *the  zu  thie,  die  stark- 
tonige  form  des  pron.  demonstr.,  zurückgehen,  wonach  dieser  in  beiden  coin- 
positiousteilen  tlectiert  ist :  vgl.  Isidor  dluasa  (Braune,  AM.  gramm.  §  2&i> 
aoffl,  3e.  Höfer,  Germ.  15,  71).  Auf  dieselbe  weise  ist  wol  das  in  der  Jolande 
erscheinende  dyser  (John  Meier  s.  xxvm)  zu  erklären,  indem  y  hier  für  ie 
stehen  kann. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEHURO. 


271 


von  mhd.  ei  >  ai  und  egi  >  ei  ist  durchgeführt.  —  Der  Um- 
laut von  ou  ist  in  d«  b\  du,  cu,  in  dh  nur  6.  —  ie  ist  ie,  e  in 
neman  (vgl.  Kauffmann  §96,2.  Bohnenberger  s.  114  f.  Wein- 
hold, Alem.  gramm.  §  37,  e).  —  Indices  über  vocalen  sind  in  dl) 
im  übermass  gesetzt,  abgesehen  von  allen  umgelauteten  vocalen 
massenhaft  beliebig  auf  andern.  Dieses  verfahren  zeigt  so  recht, 
dass  diese  zeichen  keineswegs  immer  einen  umlaut  bedeuten, 
sondern  oft  nur  eben  die  vocalische  natur  des  betr.  buchstabens 
hervorheben  sollen.  —  Nasaliert  sind  sünftzen  und  siinst  (db). 
—  Schwund  des  schwachen  e  ist  häufig. 

Zum  consonantismus:  für  anlautende  b  und  d  finden  sich 
mehrfach  p  und  t  (fach  etc.),  für  t  th  in  tkftn;  ferner  begegnen 
queck  und  fachlich  (da),  erquicken  und  erh'iclcn  (dh)  neben 
einander;  prothetisches  h  erscheint  wie  in  w  (s.  oben  s.  269); 
m  zu  n  in  hain  (da),  vgl.  Kauffmann  §  189,  4;  gäischlich  für 
(jeistlich  (db),  vgl.  Kauffmann  §  153  anm.  2. 

Zur  flexion  und  Wortbildung:  -ent  lautet  die  flexion  der 
2.  plur.  imp.,  selten  -en\  der  conj.  sig  für  si  ist  häufig;  über- 
einstimmend mit  w  kommt  einmal  verlor  (3.  conj.  praet.)  vor 

(da)  ,  ebenso  dannoeht,  dennocht  (da  und  d''),  gelernet  —  geleret 

(db)  ;  die  abstracta  auf  -tu  (auch  -i)  begegnen  nur  in  da,  die 
auf  -nuß,  -nüfz  in  beiden  teilen.  Von  dem  schwäbischen  typus 
weicht  nur  eine  form  gänzlich  ab,  das  in  da  etwa  siebenmal 
erscheinende  sal  für  sol.  Die  form  ist  ganz  unschwäbisch  und 
beruht  auf  einer  nicht  mehr  zu  ergründenden  laune  des  Schreibers 
von  d» 

In  den  beiden  teilen  da  und  dh  sind  nicht  genau  die  gleichen 
schreibgebräuche  befolgt,  die  Verschiedenheiten  sind  aber  nicht 
mundartliche,  sondern  nur  orthographische.  Jedenfalls  liegt 
beiden  ein  und  dieselbe  vorläge  zu  gründe,  wie  sich  auch  aus 
der  beobachtung  des  textes  ergibt,  d«  und  db  gelten  deshalb 
als  eine  hs.,  d. 

h,  die  Heidelberger  papierhs.  Cod.  pal.  germ.  385,  15.  jh., 
beschrieben  von  Bartsch  no.  208.  Der  in  den  sich  nur  in  dieser 
hs.  befindenden  eingangsversen  (s.  Bartsch  a.a.O.)  als  Verfasser 
genannte  Maister  Nectanerus  stammt  aus  dem  inhalt  des  ge- 
dieht«. Eine  abschrift  von  h,  gefertigt  von  dem  pfälzischen 
pfarrer  und  historiker  J.  G.  Lehmann  im  jähre  1847  (vgl.  Germ. 


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272 


EHRISMANN 


22,  120)  befindet  sich  jetzt  in  der  kaiserl.  universitär-  und 
landesbibliothek  zu  Strassburg. 

Die  mundart  in  h  ist  schwäbisch,  jedoch  einige  in  w  und  d 
bemerkenswerte  kennzeichen  fallen  hier  weg  oder  treten  noch 
mehr  zurück  als  in  d,  wogegen  andere  aber  weniger  ausgeprägte 
neue  erscheinen.  Der  Schreiber  von  h  zeigt  das  bestreben, 
sich  mehr  der  allgemeinen  geschäftssprache  anzupassen,  wäh- 
rend w  in  der  starken  betonung  mundartlicher  eigenheiten 
einen  sonderstaatlichen  Charakter  trägt.  Auch  dem  alter  nach 
ist  h  wol  einige  jahrzehnte  von  w  getrennt  und  gegen  das 
ende  des  15.  jh.'s  in  die  zeit  der  drucke  Steinhöwels  und  Niclas' 
von  Wyle  zu  setzen. 

Vocalismus:  ä  wird  o  vor  nasal,  immer  in  on\e]. 

Für  die  flaute  werden  drei  zeichen  verwendet,  e ,  e  und  ä, 
und  zwar  werden  im  grossen  und  ganzen  damit  die  geschlossenen 
und  offenen  laute  unterschieden:  e  steht  für  altes  e,  ältern  Um- 
laut (wofür  auch  ö:  löschen,  schöpfer  etc.)  und  $\  e  für  altes  e 
besonders  vor  r  und  l  (kern,  her,  mel,  heln)  und  für  ce;  ä  für 
den  jüngern  umlaut  (täglich,  schäntlich,  schnäbeln,  gefängnus) 
und  ebenfalls  für  ce.  Natürlich  ist  dieses  etwas  verwickelte 
System  nicht  ganz  pünktlich  durchgeführt. 

Die  rundung  des  i  zu  ü  ist  noch  seltener  als  in  d  (zwü- 
schcn,  sähen,  würde  sb.).  Im  Wechsel  zwischen  t  und  y  sind 
die  oben  gegebenen  regeln  zwar  nicht  streng  eingehalten,  aber 
grösstenteils  noch  sichtbar;  ausserdem  steht  ie  in  dieser,  wieder, 
friede,  wiessen  u.  a. 

u  bezeichnet  das  lange  m;  für  u,  ü,  iu,  uo,  iie  steht  ü  (im 
anlaut  für  uo  auch  «;  aber  immer  du,  vnd\  meist  zu,  aber 
zur,  zürn.  —  Vor  doppeltem  nasal  und  vor  nasal  +  cons.  wird 
u  zu  o,  meist  ö  geschrieben,  wie  denn  das  Umlautszeichen  mehr- 
fach auch  über  nicht  umgelauteten  o  und  6  steht  und  andrer- 
seits bei  umgelauteten  o,  ce  fehlt:  sönnder,  wönnder,  uünnde, 
sonne,  wönne,  wünsch,  kömmer;  ü  >  ö  in  konig,  konigin. 

ü  ist  0  in  körn,  vor  nasal,  vgl.  Kauffmann  §  82, 2.  Bohnen- 
berger  s.  91—90.') 

    _  • 

')  hone  nimmt  auch  sonst  in  hss.  eiue  Sonderstellung  ein:  m  ist  oft 
auch  in  solchen  hss.  diphthongiert,  die  sonst  meist  u  hewahren,  alemannisch 
z.  b.  in  der  Berner  Iis.  der  von  Rathmann  und  Singer  herausgegebenen  Volks- 
bücher (Lit. V6T.  185)  s.  lxxxv  koum  oft.  und  versoumpt,  vcrsoumbnufz, 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


273 


Beide  ei,  das  ursprüngliche  und  das  aus  egi  entstandene, 
sind  ai,  nur  unter  scli wacher  betonung  tritt  ei  ein,  daher  geht, 
einander,  wie  im  bair.  hochtonigem  ain  gegenüber  schwach- 
toniges  ein  (Bartsch,  Germ.  24, 198  f.). 

Mhd.  ie  ist  nur  in  ich  ging  durcli  i  widergegeben. 

Mhd.  ou  ist  ou,  aber  bom;  öu  ist  ö.  Bemerkenswert  ist 
schun  ( :  sun)  für  schon  ( :  son). ') 

roumpt;  s.  anch  Rosenhagen,  Untersuchungen  Ober  I>aniel  vom  blühenden 
tal  s.  3.  Im  bairischen  ist  um  unter  den  frühest  diphthongierten  lautverbin- 
dnngen  am  stärksten  vertreten,  vgL  Weinhold,  Bair.  gramin.  §  100.  Im 
heutigen  schwäbischen  ist  ü  vor  nasal  zu  äö  geworden,  sonst  zu  9U  (Kauff- 
mann  §  82,2).  S.  anch  Toischer,  Ulr.  v.  Eschenbacb,  Alexander  s.  xix  (kam[e\) 
nnd  oben  s.  258. 

')  Im  schwäbischen  tritt  manchmal  vor  nasal  ü  für  ö  ein,  s.  Bohnen- 
berger  s.  75.  L.  Voss,  Ueber  Friedrich  von  Schwaben  (dissertation,  Münster 
1895)  s.  0  (schun,  lu».  dun,  krün;  ü  soll  hier  vermutlich  ou  widergeben, 
vgl.  Kauffmann  §  SO  anm.  1).  Aber  gerade  für  schon  adv.  ist  schün  öfter 
zu  belegen,  so  in  der  Wiener  prosaischen  Minneburg  (s.  unten  s.  275),  in  dem 
derselben  hs.  augehörenden  gedieht  von  Friedrich  von  Schwaben  (s.  Voss 
a.a.O.),  bei  dem  von  H.  Hofmann  herausgegebenen  'Nachahmer  Hermanns 
von  Sachsenheim'  v.  541  und  1159  (im  reim  auf  thün).  Dazu  erscheint  als 
adjectiv  schiien  bez.  schien  bei  dem  letztern  (superl.  schienst  :  dienst  v.  305), 
bei  Bohnenberger  s.  84.  Anz.  fda.  5.  224  und  in  vielen  beispielen  bei  Michels, 
Studien  über  die  ältesten  deutschen  fastnachtsspiele  s.  1 15  f.  Besonders  lehr- 
reich für  die  formen  schiien  adj.  —  schuon  adv.  ist  die  Schreibung  in  dem 
gedieht  von  der  sultanstochter  im  blnmengarten,  das  Bolte  in  der  Zs.  fda. 
34, 18  ff.  aus  einer  hs.  des  frauenklosters  Inzigkofen  bei  Sigmaringen  heraus- 
gegeben hat.  Hier  werden  die  umgelauteten  vocale  von  den  unumgelauteten 
durch  index  pünktlich  geschieden:  mhd.  u  ist  durch  u  widergegeben,  mhd. 
m,  iu,  iie  durch  ei,  ferner  mhd.  uo  durch  m.  Nnn  haben  das  adj.  und  das 
abstracte  fem.  snbst.  immer  ü,  niemals  ü,  d.  h.  schün  (siebenmal),  schitni 
(zweimal) ;  das  adverb  dagegen  viermal  ü,  schün,  die  daneben  dreimal  vor- 
kommenden schün  können  nicht  auffallen,  da  adj-  nnd  adv.  nicht  mehr  streng 
getrennt  gehalten  wurden.  —  Es  fragt  sich,  ob  schiien  —  schuon  nur  mund- 
artliche entwicklungen  von  scho-n  —  schon  sind  oder  etymologisch  davon 
verschiedene  formen.  Michels  hat  das  letztere  angenommen.  Und  wol  mit 
recht.  Denn  schiien  —  schuon  haben  ein  weites  Verbreitungsgebiet,  auch 
über  mundarten  die  sich  feme  stehen.  Auch  würden  als  reime  beim  Nach- 
ahmer Saehsenheiras  angesetzt  werden  müssen  die  streng  dialektischen 
schö  :  tö  oder  schfW :  tilö,  scheust  :  denst  oder  schilest  :  d<le~st,  die  über  die 
sonstige  Zulassung  der  nmndart  bei  ihm  doch  hinaus  giengen.  statt  schuon  : 
tuon,  schuenst  :  dienst.  —  Etymologisch  stünden  dann  schiien  -  schuon  zu 
schwne  —  schone  in  demselben  ablantsverhftltnis  wie  guome  zu  gönnte,  ge- 
mäss Michels  erklärung. 

Beitritt  tur  geschieht«  der  deutachsn  spräche.    XXII.  18 


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274 


EÜRI8MANN 


Nasaliert  sind  gänst  —  giuzt  und  tönst. 

Synkope  und  apokope  des  schwachen  e  sind  in  h  viel  sel- 
tener als  in  w  und  d,  vielmehr  wird  umgekehrt  sehr  häufig 
am  wortende  ein  etjTnologisch  überflüssiges  e  zugefügt,  z.  b. 
der  stürme,  den  munde,  idi  vande,  icarde  u.s.w. 

Zum  consonantismus:  neben  d  kommen  anlautend,  wie  in 
w  und  d,  einige  t  vor;  für  b  ist  p  sehr  häufig  (plüme,  plüt, 
pringen);  qu  nicht  /;  in  erquicken  (keeklich  fehlt  in  der  hs.); 
h  statt  j  in  wehe  (mhd.  wage) ;  prothet.  h  in  herfucht,  herwan- 
del irren;  tw  ZU  ftp;  sl  u.s.w.  zu  scJd  u.s.w. 

Zur  flexion  und  Wortbildung:  1.  sg.  ind.  praes.  geht  oft  auf 
-en  aus,  besonders  im  hiatus,  sagen  ich,  ich  u  irden  oucfi;  die 
endung  -ent  ist  in  allen  zweiten  personen  des  plurals  neben 
•en  sehr  häufig  und  findet  sich  auch  in  den  ersten;  das  gerun- 
divum  hat  als  flexion  -ende;  die  conjunctivform  sig(e)  ist  selten. 
—  Wie  in  w  und  d  finden  sich  die  abstracta  auf  -in  (auch  -/), 
liebt,  güttin,  und  auf  -nüfz(e),  und  dannocht,  dennoeht.  Ausser- 
dem sind  anzumerken  yena,  nyena,  zwürnoL 

Die  für  h  gegenüber  w  und  d  charakteristischen  mund- 
artlichen bez.  orthographischen  erscheinungen  sind:  u  zu  o  vor 
nasal,  cgi  zu  ot,  anfügung  eines  überflüssigen  e,  anlautend  p 
für  b,  Lsg.  praes.  ind.  auf  -en,  -ent  in  allen  zweiten  personen 
des  plurals  und  auch  in  der  ersten  person.  Sie  kommen  alle 
auch  sonst  im  schwäbischen  vor:  o  für  n  vor  nasal  ist  echt 
schwäbisch,  vgl.  Kauffmann  §  81,  3.  H.  Fischer,  Geogr.  s.  28. 
Bohnen  berger  s.  87— 91;  ai  für  cgi  s.  bei  Bohnenberger  s.  110 
—113  und  s.  106;  die  überflüssigen  e  sind  aus  den  gleichzeitigen 
schwäbischen  Schriften  reichlich  zu  belegen,  vgl.  Kauffmann 
§  122  anm.  2.  Nohl,  Sprache  des  Niclaus  von  Wyle  s.  65—71; 
p  für  b  besonders  bei  Steinhöwel,  s.  Weinhold,  Alem.  gramm. 
s.  114.  Karg,  Die  spräche  H.  Steinhöwels  s.  23;  die  besprochenen 
verbalendungen  auf  -en  und  -ent  bei  X.  v.  Wyle  (Nohl  s.  73), 
bei  Steinhöwel  (Karg  s.  38). 

Die  drei  schwäbischen  hss.  w,  d,  h  stimmen  in  sehr  vielen 
einzelnen  auffallend  mundartlichen  Schreibungen  so  buchstäb- 
lich genau  überein,  dass  an  einer  gemeinsamen  schwäbischen 
vorläge  (über  ostfränkische  spuren  s.  unten  s.  278)  kein  zweifei 
sein  kann.    Dass  sie  auf  ein  und  dieselbe  quelle  zurückgehen, 


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DA8  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNKRITRO. 


275 


wird  durch  das  Verhältnis  der  Varianten  bestätigt  (s.  s.  277). 
w  hat  die  ursprüngliche  mundartliche  färbung  am  besten  be- 
wahrt, d  hat  etwas  mehr  davon  abgestreift,  h  hat  sich  einem 
neuen  princip  zugewendet  ohne  das  alte  ganz  zu  verwischen. 

In  dem  oben  s.  270  angeführten  briefe  bemerkt  Lassberg, 
dass  Conz  in  Tübingen  eine  hs.  der  Minneburg  besitze.  In 
der  tat  bespricht  Conz  in  seinen  Kleineren  prosaischen  Schriften 
2,  307  und  327  das  gedieht  in  einer  weise,  aus  der  hervorgeht, 
dass  ihm  eine  Iis.  muss  vorgelegen  haben  (in  der  ersten  fassung 
jenes  aufsatzes  in  seinen  Beyträgen  für  Philosophie  s.  82—131 
fehlen  die  beziehungen  auf  die  Minneburg).  Leider  ist  es  mir 
trotz  gütiger  bemühungen  des  herrn  dr.  Bohnenberger  in  Tü- 
bingen nicht  gelungen  den  gegenwärtigen  aufbewahrungsort 
dieser  hs.  zu  erfahren.  In  der  Universitätbibliothek  zu  Tübingen 
und  in  der  öffentlichen  bibliothek  zu  Stuttgart  sowie  in  der 
kgl.  hofbibliothek  daselbst  befindet  sie  sich  nicht,  auch  konnte 
mir  herr  stadtpfarrer  Conz  in  f  anstatt,  ein  nachkomme  des 
Tübinger  professors,  keine  auskunft  über  sie  geben. 

Ausser  der  gereimten  Minneburg  existiert  noch  eine  Um- 
arbeitung in  prosa.  Diese  ist  überliefert  in  der  papierhs. 
der  k.  k.  hofbibliothek  zu  Wien  no.  2984.  15.  jh.  (1463),  auf 
bl.  246a— 273b,  vgl.  Hofmanns  Verzeichnis  no.LXXXIX.  Tab. 
codd.  mss.  2, 168.  Toischer,  Aristotilis  heimlichkeit  s.  1.  L.  Voss, 
Friedr.  v.  Schwaben  (s.  oben  s.  273)  s.  6. 

Auch  diese  hs.  ist  im  schwäbischen  dialekt  abgefasst,  und 
zwar  tritt  das  mundartliche  element  stark  hervor,  z.  b.  sein* 
häufige  au  und  «  für  ä,  seltner  o  vor  nasal  für  ä,  geschlossenes 
e  zu  ä  (stärker,  härtt,  hör  'heer\  kräftig  u. s. w.),  «'zu  ie  vor  r 
(stiem,  tviert,  gegenwiertigen,  hiers;  vgl.  Kauffmann  §  75  anm.  1. 
H.  Fischer,  Geogr.  s.  27.  Bohnenberger  s.  58 — 62),  /  zu  ü  (ward, 
süben,  vermüschen),  äu  zu  ö  (fröd  etc.),  u  zu  o  vor  nasal,  ent- 
rundung  von  o  zu  e  (besen),  üe  zu  ie  (gr jener),  eu  zu  ai  (fraind), 
nasalierung  in  sunfftzm,  erhaltene  schwere  flexions-  und  ab- 
leitungssilben  wie  superl.  edlost,  sterkost,  part.  perf.  gclemot, 
conj.  praet.  romtin,  tvältist,  adverb  hinnan,  abstracta  auf  -in 
(hrrtin,  lyebin,  hepchin),  das  echt  schwäbische  niemm  ™  nvmcn 
(Kauffmann  §  70  b.  Bohnenberger  s.41 — 47),  houch,  troust  (Kauff- 
mann §  80  anm.  1.  Bohnenberger  s.  75).  sehün  =  sehön  (s.  oben 


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276 


EHKI8MANN 


s.  273);  m  zu  n  in  hain  =  heim  (s.  oben  s.  271),  eh  für  h  (seehen, 
flieehen,  stachel,  Kauffmann  §  158  anm.  2),  st  für  seht  in  erlast, 
ffeivonst  (Kauffmann  §  153  anm.  2).  Erwähnt  sei  noch  die  syn- 
taktische Umschreibung  des  praeteritums  das  lind  vnd  sein 
aiiiy  ...  dätten  sieh  frötven. 

2.  Das  handschriftenverhältnia. 

Die  hss.  des  gedientes  verteilen  sich  zunächst  auf  zwei 
klassen,  A  und  B,  die  sich  im  wesentlichen  durch  die  abwei- 
chende behandlung  des  eingangs  und  des  Schlusses  und,  damit 
zusammenhängend,  durch  ihren  umfang  unterscheiden;  das 
mittlere  stück  stimmt  in  beiden  überein.  Die  auf  diese  weise 
sich  ergebenden  je  drei  teile,  Ai  An  Am  und  Bi  Bn  Bin, 
verhalten  sich  folgendermassen  zu  einander:  der  eingang  ist  in 
A  (Ai  =  v.  1 — 80)  gänzlich  verschieden  von  dem  in  B  (Bi  = 
v.  1—180  B);  darauf  folgt  der  beiden  gemeinsame  hauptteil 
(Au  =  Bn);  der  widerum  sondergebildete  schluss  ist  in  B 
(Bin  -  3319—3628  B)  bedeutend  kürzer  als  in  A  (Am  = 
v.  3119 — 5488).  Dabei  sind  jedoch  gewisse  stellen  im  eingangs- 
und  schlussteil  bei  A  und  B  inhaltlich  gleich  und  nur  in  der 
sprachlichen  fassung  verschieden;  es  sind  dies  die  verse  1—80 
sowie  3119—3172  und  3605—3825  in  der  Zählung  von  A. 
A  zählt  in  der  vor  dem  schluss  abgebrochenen  hs.  P  schon 
5488,  B  nur  3628  verse.  Vorausbemerkt  sei,  dass,  wie  sich 
erst  aus  der  beobaehtung  der  reime  ergibt  (s.  unten),  A  das 
ursprüngliche  gedieht  darstellt  und  dass  die  in  B  abweichen- 
den eingangs-  und  Schlussstücke  (B  i  und  Bin)  erst  änderungen 
eines  späteren  bearbeiters  sind. 

A  ist  vertreten  durch  die  hs.  P  und  die  bruchstücke  rf, 
wozu  wahrscheinlich  noch  das  bruchstück  1  kommt. 

P  gibt  einen  lesbareren  text  als  jede  andere  hs.,  die  zwei 
blätter  von  6  ausgenommen,  ist  jedoch  von  flüchtigkeiten  nicht 
frei.  Solche  sind  einige  male  vom  Schreiber  selbst  gebessert. 
Ausserdem  aber  hat  eine  spätere  hand  mit  blasser  tinte  zahl- 
reiche correcturen  angebracht,  und  zwar  meistens  unter  bei- 
ziehung  einer  auf  x  (=  wdh)  zurückgehenden  hs.,  denn 
mehrere  änderungen  stimmen  mit  sonderlesarten  jener  schwä- 
bischen gruppe  überein.  Die  zur  richtigstellung  benutzte  hs. 
war  eine  andere  als  die  uns  erhaltenen  hss.  wdh. 


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DAS  MIll».  GEDICHT  VON  DEK  MINNEBURG. 


277 


Dass  d,  welches  die  verse  2860—2931  und  3075—3147  um- 
tost» zu  A  gehört,  beweist  der  umstand,  dass  die  letzten  29 
in  jenen  Schlussteil,  wo  A  und  B  auseinander  gehen,  fallenden 
verse  (31 17 — 3147)  den  text  von  P  bieten.  Im  Wortlaut  stimmt 
6  mit  P  fast  durchweg  tiberein;  wo  beide  verschieden  sind,  hat 
in  der  mehrzahl  der  fälle  ö  die  ursprünglichere  lesart,  wie  sich 
durch  vergleichung  mit  B  ergibt.  Es  erhellt  aus  der  beiziehung 
von  d,  dass  P,  was  für  die  beurteilung  ihres  textkritischen 
wertes  von  Wichtigkeit  ist,  in  einzelfällen  vielfach  von  dem 
grundtext  abweicht. 

Die  Stellung  von  1,  das  die  verse  2399 — 2664,  mit  aus- 
lassung  von  2403  f..  2465  f.  und  2597—2616,  aufweist,  lässt  sich 
gleich  durch  die  ersten  verse  2399—2402  näher  bestimmen: 
diese  fallen  in  eine  lücke  der  B-hss.,  1  zweigt  also  jedenfalls 
nicht  von  cx  ab,  auch  die  abweichungen  im  Wortlaut,  die  für 
cx  bezeichnend  sind,  teilt  1  nicht,  1  stimmt  in  weitaus  den 
meisten  fällen  mit  P,  kein  einziger  spricht  dafür,  dass  1  mit  B 
eine  gemeinsame  vorläge  hatte;  man  wird  daher  nicht  fehl 
gehen,  wenn  man  dieses  bruchstück,  obgleich  bei  seinem  ge- 
ringen umfang  eine  Übereinstimmung  mit  fehlem  von  P  nicht 
nachgewiesen  werden  kann,  dem  grösseren  gediente  A  zuteilt. 
—  Der  text  von  1  ist  sehr  entstellt  und  manchmal  ganz  un- 
verständlich, kann  aber  doch  zur  herstellung  einiger  kleinig- 
keiten  mit  nutzen  verwendet  werden. 

Die  übrigen  hss.,  c  w  d  h,  gehören  zu  der  kürzeren  fas- 
sung,  B.  w  d  h  weichen  im  mittelteil  (Bn)  an  sehr  vielen 
stellen,  worunter  zahlreiche  gemeinsame  fehler,  in  gleicher 
weise  von  c  und  Ali  ab,  desgleichen  im  anfangs-  und  endstück 
(Bi  und  Bin)  von  c,  so  dass  eine  gemeinsame  vorläge  der  drei 
hss..  x,  leicht  ersichtlich  ist.  Eine  solche  hat  sich  schon  durch 
die  übereinstimmende  Orthographie  in  den  dialektformen  (s.oben 
s.  274)  als  wahrscheinlich  erwiesen,  x  war,  jenen  zufolge,  in 
schwäbischer  mundart  abgefasst.  Innerhalb  der  gruppe  x  kom- 
men w  und  d  (d*  und  dl>  sind  ihrer  vorläge  gleichmässig  genau 
gefolgt,  gelten  also  auch  in  ihrem  textkritischen  werte  als  ein- 
heit)  dem  texte  An  c  am  nächsten,  sind  auch  in  bezug  auf 
die  widergabe  desselben  ziemlich  gleichwertig,  während  h  unter 
allen  hss.  ausser  1  von  dem  original  am  meisten  abweicht. 
Unter  sich  stimmen  je  zwei  dieser  hss.  mehrfach,  jedoch  nicht 


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278 


EIIRISMANN 


häufig,  gegenüber  der  dritten  in  fehlem  überein,  am  meisten 
noch  w  und  d.  Da  aber  in  diesen  fällen  die  sehr  frei  ver- 
fahrende hs.  h  durch  eigene  änderung  ursprüngliches  wider- 
hergestellt haben  konnte,  so  ist  daraus  auf  ein  näheres  zu- 
sammengehen von  w  und  d  nicht  zu  schliefen.  Für  die 
Herstellung  des  grundtextes  ist  eine  entscheidung  darüber 
auch  nicht  von  Wichtigkeit,  da  h  dazu  entbehrlich  ist.  — 
x  war  eine  sehr  willkürlich  ändernde  hs. 

Viel  geringer  sind  die  besonderheiten  von  c.  Die  gemein- 
same vorläge  von  c  und  x  war  im  Wortlaute  von  An  nicht 
erheblich  verschieden.  Am  meisten  treten  auslassungen  von 
kleineren  und  grösseren  stellen  hervor:  es  fehlen  in  cx  die  verse 
135  f.  247— 343.  4ü5i  1711  f.  2218.  2391  —  2402.  die  für  den 
Zusammenhang  meist  unentbehrlich  sind.  Sinnstörend  um- 
gestellt sind,  mit  änderung  einzelner  verse,  v.  1974  —  2018 
hinter  1672. 

Die  beschaffenheit  jener  gemeinsamen  vorläge  lässt  sich 
auf  folgendem  wege  näher  ergründen:  es  ist  oben  (s.  2i>4)  ge- 
zeigt worden,  dass  der  eingang  und  der  schluss  von  c  (ci  und 
ein)  formen  enthalten,  die  einer  andern  mundart  angehören 
als  der  mittlere,  der  hauptteil  (eil).  Diese  wenigen  merkmale 
lassen  eine  sichere  heimatsbestimmung  nicht  zu.  weisen  aber 
auf  das  schwäbische  oder  südrheinfränkische.  Da  nun  aber 
keine  ausgeprägt  schwäbischen  kennzeichen  in  jenen  teilen 
vorkommen  und  da  ferner,  wie  sich  aus  den  reimen  ergibt 
(s.  unten),  der  ursprüngliche  Verfasser  jener  stücke  (Bi  und 
Bin)  im  südlichen  Kheinfranken  zu  hause  war,  so  ist  anzu- 
nehmen, dass  jene  mundartlichen  besonderheiten  in  ci  und  ein 
Überbleibsel  des  südrheinfränkischen  Originals  Bi  Bin  sind 
(in  x,  das  seinen  schwäbischen  dialekt  streng  durchführte, 
sind  sie  grösstenteils  getilgt  worden,  ball  und  yesinn  sind, 
weil  im  reime  stellend,  erhalten  geblieben).  Daraus  lässt  sich 
nun  ferner  die  Zusammensetzung  der  vorläge  von  cx  erkennen: 
das  mittlere  stück,  das  in  c  keim*  rheinfränkischen  Sonder- 
heiten enthält  (selbst verständlich  auch  nicht  in  x),  wol  aber 
ost fränkische  (infinit ive  ohne  -//,  sowol  in  c  als  in  x.  allerdings 
nur  ganz  vereinzelt),  ist  gar  nicht  durch  die  feder  des  süd- 
rheinfränkischen bearbeiters  von  Bi  Bin  gegangen,  sondern 
unmittelbar  aus  einer  ost  fränkischen  vorläge  herübergenoiumen 


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DA8  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBÜRG.  279 

worden,  anfang  und  ende,  die  er  in  seiner  heimischen  mundart, 
dem  stid rheinfränkischen,  neu  hinzu  dichtete,  sind  von  ihm  ein- 
fach jenem  ostfränkischen  mittelteile  vor-  bez.  zugesetzt  worden. 
—  Ist  nun  zwischen  cx  und  B  ein  mittelglied  anzusetzen? 
Kaum.  Ein  solches  würde,  in  welcher  landschaft  es  auch  ent- 
standen sein  mochte,  in  c  jedenfalls  mundartliche  spuren  hinter- 
lassen haben,  auch  würden  bei  dem  durchgehen  durch  eine 
Zwischenhandschrift  die  in  ci  cm  sich  noch  findenden  südrhein- 
fränkischen  eigenheiten  mehr  verwischt  worden  sein.  Aus  dem 
Wortlaut  des  textes  lässt  sich  für  diese  frage  nichts  gewinnen, 
da  dieser  schon  in  seiner  ursprünglichen  anläge  ganz  verworren 
und  oft  unverständlich  war,  wie  aus  den  sicheren  bestand- 
teilen,  den  reimen  erhellt.  Mit  dem  gänzlichen  mangel  des 
bearbeiten*  an  schriftstellerischer  begabung  lässt  es  sich  auch 
vereinigen,  dass  er  solche  Störungen  des  Zusammenhangs,  wie 
sie  durch  die  s.  278  angeführten  auslassungen  entstanden,  ohne 
anstand  bestehen  Hess. 

Das  so  festgestellte  Verhältnis  der  hss.  des  gedichts  lässt 
sich  in  folgendem  schema  veranschaulichen: 

Ai  Am  —  An 

 1  \ 

A  BlI  Bl  Bill 


r 

c 


w  d 


Der  prosa  liegt  das  kürzere  gedieht  B  zu  gründe,  der 
eingangs-  und  schlussteil  sind  in  der  hauptsache  aus  B  über- 
tragen. Jedoch  ist  in  einzelheiten  des  Wortlauts  für  die  ab- 
schnitte wo  B  denselben  inhalt  hat  wie  A,  nur  in  anderer 
sprachlicher  darstellung,  beide  male  eine  hs.  von  A  beigezogen. 
So  sind  innerhalb  des  eingangs  mitten  unter  den  B-versen  die 
verse  73—78  aus  A  verwendet.  Besonders  eigenartig  zeigt 
sich  die  benutzung  von  A  im  schluss.  Hier  gehen  die  lesarten 
von  A  und  B  so  durcheinander,  dass  ersichtlich  der  prosa- 
bearbeiter  je  eine  hs.  von  A  und  B  vor  sich  hatte  und  die 


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280 


EI1KISMANN 


vvorte  bald  aus  der  einen  bald  aus  der  andern  nach  belieben 
auswählte.1)   Z.  b.: 

Prosa  bl.  268». 

vnd  täding  selb»  mit  «1er  frowen  das  geschaeh,  rayne  überwand  wen  si 
yrrett  vnd  gebar  jn  der  bnrg  ain  kind  dz  wider  myne  hieffz  recbt 
als  si  geborn  ward  Sy  ward  herr  jn  der  bnrg  vnd  da  ward  früde  sunder 
zal  in  der  bnrg  me  dun  kain  hand  gesrbriben  künde. 

A  (=  P)  v.  3140-3161. 


vnd    teyding   selber   mit  der 

fra  wen 

die  mynne  die  volgt  dem  rat 

nach 

vnd  tet  ez  gern  vnd  geschieh 
was  mynne  da  irret  daz  vber 

want 

sie  vnd  gebar  auch  allznbant 

in  der  bnrg  ein  edel  kint 

daz  waz  zum  mol  gesiebtes  blint 

B  v.  3140-  3151  (nach  w). 
vnd  haimlich  selb  zn  täding  ste 
da  by  erkenn  die  bnrjrfrow 
die  minn  vnd  iren  flyl'z  anschow 
das  g  esc  ha  oh  die  minn  bezwang 
mit  rechter  gilt  dar  nach  sie  rang 
vnd    gebar   in   der  bnrg  ain 

kind 


vnd  hiez  auch  wider  mynne 
daz  kint  jn  rechtem  synne 
wart  geborn  in  snlher  art 
als  mynne  vor  gebom  wart 
daz  ir  gehört  habt  hie  vor 
minne  wnrden  do  die  bnrgtor 
vff  geslol'zen  vber  al 
do  hube  sich  freude  ane  zal 
iiier  dann  geschriben  mag  kein 

hant. 


das  was  so  i?nr  des  wnnsches  find 
vnd  ward  die  wider  minn  genant 
als  sie  geboren  was  erkant 
sie  ward  da  in  der  bnrg  der 

her 

in  aller  frod  nach  wnnsches  ger 
nie  dann  volsprechen  kau  kain  mund. 


Ferner:  prosa  bl.  260». 

I>ie  bltrg  ward  von  feinem  grossen  hör  beräntt  Pie  fraisslichen  stürinten 
vnd  lYhnssen  vnd  wurffen.  vor  irem  stürmen  künd  sy  nit  besten  Ir 
gesehoiTz  was  scharpff  vnd  brantt  die  jn^estüle  von  zipperes  von  tre- 
st ain  jn  der  bnrg  jr  bleyden  freysslich  brachen  ärker  tiim  vnd 
miliig  starck  gewelb  Alles  jr  stürmen  was  zobell  töttlich  färb  dz  veld 
gar  beströwett  ward  mit  rotten  i'iirin  zungen. 

A  ( P)  v.  3630—3650. 
dajs  die  burk  vil  vefte 


wart  vi)  eim  grofzeu  her  he- 
ran t 

die  frei  Blich  stürmte  allzuhaut 
vor  irem  stürme  knnd  niht  be- 
sten 


sie  wurden  vast  hin  zu  gen 
der  slug  der  schoz  yener  warf 
ir  geschoz  waz  also  scharf 
daz  ez  die  edeln  jjestnl  verbrant 
die  an  der  bürge  waren  bekant 
die  waren  also  hübsch  vnd  kurk 


')  Es  ist  dies  ein  sicheres  heispiel  für  eine  sonst  im  mini,  ungebriiiu  h- 
licbe  arbeitsmethode,  vgl.  Paul.  Beitr.  1,30!*.  Steinmeyer,  (iött.  gel.  anz. 
Ihb7,  Tb»;  ff.  Stosch,  Anz.  fda.  11».  302  anin.  E.  Kettuer,  Zs.  fdph.  2a,  205. 


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DAS  MHfl.  GEDICUT  VON  PEK  MINNEBURG.  281 


als  yene  dort  zu  mynnenbnrk  wann  daz  must  allez  samt  entzwey 

die  ich  vor  genennet  hau  ir  stnnn  waz  mit  grofzem  geschreye 

daz  gestul  zum  mol  verbran  ir  banir  velt  vil  garbe 

tum  vnd  erker  musten  lyden  waz  von  zobel  tötlich  varbe 

lytlich  gebrechen  von  den  plyden        darin  waz  vil  gedrungen 

rotter  vintlicher  rangen. 

B  v.  3190— 3201  (nach  w). 

ain  grosses  her  die  bur^  beranten  gestül  von  Ciprefz  vnd  gestain 

»türmen  werffen  schiessen  blyden  gewelb  ercker  dnrn 

geschaeh  da  vnuerdriessen  brachen  von  des  sturmes  znrn 

das  sie  deshalb  nit  wol  bestünden  der  was  fraislich  totlich  zobel 

gescbofz  das  scharpff  tett  sie  wunden  das  veld  durch  ain  ander  strobel 

das  in  der  bnrg  blaib  gantz  dekain  was  bestrowet  mit  fiirin  zungeu. 

Die  hs.  welche  der  prosa  für  den  mittleren  teil,  wo  A 
und  B  zusammengehen,  vorlag,  hatte  die  einzelabweichungen 
von  x  sowie  mehrere  c  und  x  gemeinsame  fehler  nicht,  ebenso 
nicht  einige  fehler  von  P.  —  Der  text  der  Wiener  prosahs. 
ist  sehr  entstellt  (er  scheint  aus  einer  schwer  lesbaren  vor- 
läge flüchtig  abgeschrieben),  im  ausgang  oft  ganz  .sinnlos; 
offenbar  hatte  schon  der  prosaumarbeiter  das  confuse  mach- 
werk  von  B  gar  nicht  verstanden. 

Unter  solchen  handschriftlichen  Verhältnissen  lässt  sich 
der  ursprüngliche  text  der  Minneburg  annähernd  richtig  nur 
im  mittleren  teile  herstellen  (An  Bn).  Für  Ai  und  Am 
liegt  nur  die  vielfach  ändernde,  aber  doch  einen  verständlichen 
text  bietende  hs.  P  vor.  Bei  der  kritischen  herstellung  der 
in  B  umgeänderten  partien  Bi  und  Bill  fehlt  alle  Sicherheit, 
da  der  Verfasser  selbst  keinen  lesbaren  text  zu  stände  ge- 
bracht hat. 

n. 

Metrik.   Sprache  des  Originals. 

Die  Minneburg  ist  in  der  für  die  erzählenden  und  lehr- 
haften gediente  meist  gebrauchten  form  der  paarweise  gereimten 
verse  von  vier  hebungen  abgefasst. 

1.  Rhythmus. 

Hebung  und  Senkung.  Es  herscht  das  prineip  der  regel- 
mässigen abwechslung  zwischen  hebung  und  Senkung.  Die 
Minneburg  gehört  also  in  bezug  auf  die  rhythmische  gliederung 


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282 


EHRISMANN 


zu  der  zweiten  der  von  Paul,  Grundr.  2, 945  unter  den  gedienten 
des  späteren  mittelalters  unterschiedenen  gruppen.  Die  zwei- 
silbigkeit der  füsse  ist  jedoch  nicht  streng  durchgeführt.  Nicht 
selten  fehlt  eine  Senkung,  am  häufigsten  zwischen  der  vorletzten 
und  letzten  hebung,  sowol  in  ein  und  demselben  worte  bei 
starkem  neben  ton  der  zweiten  silbe,  wie  oügstem,  fiurstem, 

ursjrrmc,  herblrg(e),  tvinbr(hv{e),  drmüot,  gefenknt$$(e),  helbfonc, 
klüocheü,  wisheit,  biltich,  ddnnbch,  verelVendet  u.  a.,  als  bei  zwei 
Wörtern:  stein  bran,  hure  lig(e),  heim  gan,  in  die  bürc  gan,  liep 
he'te,  ue  iuo  u.  a.  Dem  gegenüber  finden  sich  öfter  auch  schwere 
senkungsfüllungen,  z.b.  er  lande  kriechisch  er  knnd(e)  kaldeisch 
(v.  468),  oder  von  der  fünf  sinne  kdren  (v.  (550),  wirklich 
Wirkung  des  willen  (v.  631)  u.a. 

In  der  behandlung  der  schwachen  e  folgt  der  dichter  je 
nach  bedarf  entweder  seiner  mundart  oder  der  seit  dem  13.  jh. 
überlieferten  fortdauernden  literatursprache,  denn  er  gebraucht 
sowol  die  syn-  bez.  apokopierten  formen  (wie  die  reime 
zeigen),  .als  auch  die  nicht  gekürzten,  was  daraus  hervorgeht, 
dass  dieselben  schwachen  e  Senkungen  zweisilbiger  füsse  und 
klingende  ausgänge  dreihebiger  verse  bilden  können.1) 

Die  quantität  der  Stammsilbe  kommt  dabei  nicht  mehr  in 
betracht.  In  dieser  doppelten  behandlung  der  schwachen  e 
stimmt  die  Minneburg  zu  dem  allgemein  üblichen  gebrauche 
derjenigen  gediente  des  14.  15.  jh/s  welche  den  syn-  bez.  apo- 
kopierenden  mundarten  angehören.  Jedoch  ist  nicht  in  jedem 
einzelnen  fall  die  entscheidung  möglich,  wie  sich  der  dichter 
denselben  gedacht  hat.  Da  indess  im  prineip  einsilbigkeit  der 
Senkung  gilt,  so  wird  tilgung  des  schwachen  c  da  vom  dichter 
gemeint  sein,  wo  durch  sie  dreisilbige  füsse  auf  zweisilbige 
zurückgeführt  werden  können. 

Das  zusammengehen  von  logischer  und  rhythmischer  be- 
tonung  ist  öfter  gestört.  Verletzung  des  natürlichen  satztons 
liegt  vor  an  stellen  die  zum  teil  unter  den  begriff  der  schwe- 

')  Dies»*  zwiefache  verwenduug  voii  Wörtern  mit  schwachem  e  in  der 
m  hlusssilbe,  je  nach  bedürfuis  für  klingenden  oder  stumpfen  reim,  begegnet 
schon  in  der  zweiten  hälfte  des  13.  jh.'s.  besonders  bei  den  schwierigeren 
strophenbildnngen  wie  z.b.  im  I-ohengrin  (Kiickert  s.  270  f.).  Ans  dem  Lor- 
engel (Zs.  fda.  15,  IbOflV)  sei  ein  auffallendes  beispiel  erwähnt:  in  Strophe  22 
(s.  Ibö)  reimt  er  auf  her,  in  der  darauf  folgenden  atrophe  cre  auf  Ure. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  M1NNEBCRG. 


283 


hcnden  betonung  fallen,  z.  b.:  sag(e)  ich  dir  das  so  betrüg(c) 
ich  dich  (v.  782),  swaz  er  mir  sdgt(c)  solt(e)  ich  duz  sägen 
(v.  451),  der  vor  dem  tag  üf  brich  et  und  so  diu  sünn(e)  üf 
sticket  (v.  1943  f.)  u.  a. 

In  der  setzung  des  auftakts  bestehen  keine  regeln;  die 
auftaktlosen  verse  bilden  jedoch  die  minderheit,  etwa  ein  achtel 
der  gesammtzahl.   Zweisilbiger  auftakt  ist  nicht  selten. 

Dass  der  hiat  us  nicht  vermieden  wird,  beweisen  verse  wie 
under  dem  dache  ouch  durchfrischet  (v.  212),  denn  wollte  man 
in  solchen  fällen  elision  des  e  vorziehen,  so  würden  übermässig 
viele  einsilbige  füsse  entstehen,  was  dem  charakter  der  rhyth- 
mischen gliederung  des  gedientes  widerspräche. 

Versausgang.  Bei  stumpfem  ausgang  haben  die  verse 
regelrecht  vier  hebungen,  nur  ganz  vereinzelt  begegnen  drei- 
hebige.  Die  klingenden  reime  von  den  stumpfen  zu  scheiden 
ist  sehr  oft  nicht  möglich,  da  die  ersteren  durch  apokope  oder 
synkope  des  schwachen  e  als  stumpfe  gelten  können.  Jedoch 
können  unter  folgenden  zwei  gründen  sicher  klingende  aus- 
gänge  festgestellt  werden:  einmal  sind  als  klingend  endigend 
alle  diejenigen  verse  aufzufassen,  welche  durch  tilgung  des 
schwachen  e  zu  stumpf  endigenden  mit  nur  drei  hebungen 
würden,  da  der  dichter  dreihebige  verse  mit  stumpfem  reim 
meidet,  lTnd  zweitens  bilden  die  zweisilbigen  Wörter  mit 
langer  paenultima  und  -<?/,  -cm,  -en,  -er  in  der  ableitungs- 
bez.  flexionssilbe  wie  wandet,  wunden,  guoter  jedenfalls  klingende 
reime,  wie  in  der  mhd.  blütezeit.  Abgesehen  davon,  dass  solche 
Wörter  physiologisch  nicht  als  einsilbig  gelten  können  (Paul, 
Beitr.  8, 188),  lässt  sich  aus  der  metrik  des  14.  15.  jh/s.  selbst 
der  beweis  führen,  dass  sie  als  zweisilbig  anerkannt  und  die 
sie  enthaltenden  verse  als  klingend  angesehen  wurden:  Suchen- 
wirt gebraucht  sie  nie  in  vierhebigen  verseil,  die  bei  ihm  immer 
stumpfen  ausgang  haben,  sondern  nur  in  dreihebigen,  stets 
klingend  endigenden,  wahrend  er  als  stumpf  auch  solche  zwei- 
silbige Wörter  mit  langer  paenultima  verwendet,  deren  letzte 
silbe  auf  e  oder  mit  bestimmten  einschränkungen  (vgl.  Kober- 
stein,  Ueber  die  spräche  P.  Suchenwirts  s.  55)  auf  e  -f-  geräusch- 
laut  ausgeht,  'Der  meide  kränz'  von  Heinrich  von  Mügeln 
hat  nur  stumpfe  reime,  und  darunter  keine  von  der  metrischen 
form  'länge  +  -el,  -em,  -en,  -er  (Benedict,  Die  metrik  in  H.'s  v. 


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284 


KUUISMANN 


Mügeln  -Der  meide  cranz'  s.  9f).  Hermann  von  Sachsenheim 
hat  in  den  3040  reimpaaren  seiner  nur  stumpf  gereimten  Mörin 
nur  sechs  solcher  Wortpaare  (Martin  s.  39),  keine  in  Jesus  der 
arzt  (die  consonantverbindung  r  +  [e\n  gilt  naturgemäss  als 
einsilbig:  järn  :  uärn,  ern  :  kern  :  sern,  vgl.  Martin  a.a.O.  Wil- 
manns,  Walther5  s.  2b"  und  47  und  Beiträge  zur  geschiente  der 
älteren  deutschen  Iii  4, 96  ff.  Paul,  Beitr.  9, 118),  der  ebenfalls 
nur  stumpf  reimende  'nachahmer'  Sachsenheims  hat  keine. 
Selbst  noch  bei  den  meist  ersingern  waren  'gezwungene  reime' 
wie  betragn  :  sagn  verpönt,  diese  'sind  mit  gewalt  aus  klingen- 
den zu  stumpfen  gemacht',  ebenso  die  'schnurrenden  reime' 
mit  kürzungen  wie  feur  für  feuer  (s.  Plate,  Strassburger  Stu- 
dien 3,  216).  Ueber  häufigere  Verwendung  von  Wörtern  des 
angeführten  masses  als  stumpfe  reime  im  jüngeren  Sigenot  s. 
Steinmeyer,  Altd.  Studien  s.85;  bei  Ulrich  Fürtrer  s.  Hamburger, 
Untersuchungen  über  Ulr.  Fürtrers  dichtung  von  dem  Gral  s.  9; 
im  lied  vom  Hürnen  Seyfrid  s.  Golther  s.  xvn  f.  —  Diese  sicher 
zweisilbigen  Wörter  werden  nun  nicht  nur  in  versen  mit  drei, 
sondern  auch  in  solchen  mit  vier  hebungen  verwendet,  und 
solche  klingend  endigenden  verse  mit  vier  hebungen  sind  nicht 
selten,  reimen  auch  mitunter  auf  dreihebige.  Schon  des  dichters 
landsmann  Hugo  v.  Trimberg  hat  sie  reichlich  gebildet,  zum 
König  vom  Odenwald  s.  v.  Bahder,  Genn.  23, 207. 

Ausser  diesen  durch  die  angegebenen  kriterien  als  klingend 
endigend  erwiesenen  versen  besteht  noch  eine  ziemliche  anzahl 
solcher,  deren  reimgattung  schwankt.  Es  sind  dies  alle  die- 
jenigen vierhebigen  verse,  deren  reimwort  in  der  endung  ein 
schwaches  e  allein  oder  vor  einem  gcräuschlaut  enthält.  Diese 
können  unter  verschweigung  des  e  als  stumpf  oder  mit  bei- 
behaltung  desselben  als  klingend  schliessende  gelesen  werden. 

Zweisilbige  Wörter  mit  ursprünglich  kurzer  paenultima 
4-  schwachem  e  treten,  in  Übereinstimmung  mit  der  mhd.  metrik, 
meist  in  vierhebigen  versen  auf,  seltener,  abweichend  von  dieser, 
in  dreihebigen.  In  manchen  fällen  mag  schon  dehnung  der 
Stammsilbe  eingetreten  sein,  aber  es  bilden  den  ausgang  drei- 
hebiger  verse  auch  solche  kurzstämmige  Wörter,  deren  stamm- 
vocal  niemals  verlängert  worden  ist,  z.  b.  üz  flddvrholz  (jesmten 
(v.  191),  tvan  ümb  die  mhtne  gotes  (v.  871).  Doch  enthält  in 
dreihebigen  versen  dann  das  reimwort  in  der  ableitungssilbe 


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PAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURO. 


285 


meistens  sonantisches  m,  n,  r,  selten  wie  in  dem  letzt- 
angeführten beispiel  bloss  schwaches  e  allein  oder  von  geräusch- 
laut  gefolgt.  Bei  dieser  Verwendung  der  kurzstämmigen  zwei- 
silbigen Wörter  in  versen  mit  nur  drei  hebungen  gilt  demnach 
in  der  Minneburg  eine  ähnliche,  nur  nicht  so  folgerichtig 
durchgeführte  einschränkung  wie  bei  Suchenwirt,  nämlich  dass 
nur  die  Wörter  mit  silbebildendem  nasal  oder  liquida  als 
klingende  reime  angesehen  wurden,  während  bei  den  andern 
Wörtern  unter  tilgung  des  schwachen  e  stumpfer  reim  eintrat. 

Das  Zahlenverhältnis  der  stumpfen  und  klingenden 
reime  ist  je  nach  dem  inhalt  abschnittweise  ein  verschiedenes. 
Die  klingenden  ausgänge  werden  mit  Vorliebe  angebracht  in 
den  lyrischen  minnereden  (rede),  die  zwischen  die  erzählung 
(materge)  eingestreut  sind  (s.  unten).  Demnach  verteilen  sich 
die  beiden  reimarten  im  grossen  und  ganzen  in  folgendem 
Verhältnis1): 

Anfang  bis  v.  1614  materge  ca.  33  proc.  klingende  ausgänge 

v.  1615— 2034  rede        „  56  „ 

v.  2037— 2304  materge  „  31    „  „ 

v.  2305—2677  rede       n  60 

v.  2677— 3272  materge  „  35  „ 

v.  3273— 3596  rede       „  50  „ 
v.  3597  bis  schluss  materge  ,.  29  „  r 

(die  in  diesem  letzten  eapitel  eingestreuten  minnereden  v.  4267  ff. 
und  5013  ff.  haben  nicht  den  hohen  proeentsatz  klingender  reime 
wie  die  früheren). 

In  den  minnereden  ist  der  lieblingsvers  des  dichters  der 
dreihebige  mit  klingendem  ausgang,  in  stil  und  verskunst  sind 
hier  die  gedichte  Egens  von  Bamberg  sein  vorbild  (s.  unten). 
Die  beiden  von  diesem  erhaltenen  minnereden  haben  ca.  54 
bez.  57  proc.  weiblicher  Schlüsse. 

Der  procentsatz  der  klingenden  ausgänge,  der  sich  selbst 

')  Als  klingend  sind  gerechnet  1.  alle  reimwürter,  bei  denen  durch 
tilgung  des  schwachen  e  ein  dreihebiger  stumpf  endender  vers  entstehen 
würde,  und  2.  alle  langstämmigen  reiinwörter  mit  sonantischcm  1,  m,  n,  r 
in  der  schluss-silbe;  als  stumpf  ausser  den  von  natnr  stumpfen  rcimwörtern 
auch  diejenigen,  die  in  vierhebigen  versen  stehend  tilgbares,  nicht  von  /, 
m,  n,  r  gefolgtes  e  enthalten.  Die  zweisilbigen  ausgiinge  mit  kurzer 
paenultima  sind  nicht  mitgezählt. 


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280 


EHRISMANN 


in  den  allegorisch  erzählenden  abschnitten  zwischen  29  und 
35  proc.  bewegt,  ist  also  auch  hier  schon  ein  grosser  gegenüber 
den  meist  in  den  erzählenden  gedienten  des  14.  jh.'s  geltenden 
Zahlenverhältnissen,  wie  sie  von  Kochendörffer.  Zs.  fda.  35, 290  f. 
und  von  Schröder,  Zwei  altd.  rittermären  s.x  beobachtet  worden 
sind.  Bei  den  allegorien,  lyrischen  und  didaktischen  'reden' 
und  reimsprüchen  treten  überhaupt  die  klingenden  ausgänge 
im  allgemeinen  weniger  zurück.  So  werden  z.  b.  in  den  im 
Liederbuch  der  Hätzlerin  und  in  Lassbergs  Liedersaal  ab- 
gedruckten minnereden  20  proc.  öfter  überschritten,  ebenso  in 
vielen  Sprüchen  Suchen wirts,  in  den  fünf  paarreimigen  reden 
Hugos  v.  Montfort  u.  a.  Die  klingenden  reime  beim  König  vom 
Odenwald  halten  sich  zwischen  20  und  44  proc. 

Enjambement.  Stärkere  Verletzungen  des  Sprechtaktes 
bez.  der  logischen  betonung  durch  enjambement  sind  häufig. 
Getrennt  sind  durch  den  versschluss  z.  b.: 

Partikel  bez.  adverb  und  verb: 

v.  851    swaz  dinem  geminten  an 

«tet  daz  dünkt  dich  wol  getan. 

v.  152«)   und  wil  ouch  iezunt  ieraer  an 
ruofen  dineu  zarton  lip. 

v.  2247   siufzen  »wenn  ez  dir  niht  wol 

get  in  dim  wirken  als  ez  sol. 
v.  3085   geschehener  schade  ist  niht  ze  bringen 

wider  zwar  mit  keinen  dingen. 

v.  4043    davon  weiz  ich  daz  dn  niht  an 

mich  muotest  daz  wer(e)  missetän. 

v.  5002    sö  sprach  fron  Triuwe  nud  heizet  reht 
teilen  als  ez  si  Mir  gezelt. 

Verbum  finitum  und  dazugehöriges  persönliches  pronomen : 

v.  1 300    ez  sprach :  '  lieber  meister  wart 
ich  geborn  aleine?' 

Keflexives  verb  und  dazugehöriges  pron.  reflexivum : 

v.  1800    min  ongen  künden  nie  derluoderOi) 
sich  der  zarten  frouwen  rein. 

Zusammengesetztes  tempus  oder  genus  verbi: 

v.  1454    gip  mir  als  vil  als  du  mir  hast 
genomen,  ich  mein  diu  herze. 

v.  3070    daz  ir  darumb  zeflieret 

werd  all  ir  fröud  in  truren  gar. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


287 


v.  4117   so  daz  sie  im  gekündet 

habe  wie  sie  angezündet, 
v.  4666   getihtes  geist  mich  verstandet 

ist  in  mir  und  verdumpfet. 

Hilfsverbum  und  inünitiv: 

v.  3745   daz  ich  mich  vor  den  Ixeaen  aol 
verbergen,  ach,  ez  stet  niht  wol. 

v.  3669   als  vil  als  ir  die  banier  moht 
begrifen  swa  daz  iemer  toht. 

(■opula  'sein'  mit  prädicatsnomen: 

v.  3S2S   daz  minne  von  natnre  ist 

ein  edel  ernte  diu  da  heilt. 

Artikel  und  Substantiv: 

v.  244   da  sach  ich  enmitten  ein 
mannes  bilde  vor  mir  stau. 

v.  5221    und  sprach  also:  'waz  meinet  die 
krä,  daz  ich  ir  noch  nie 

Adjektivisches  attribut  und  Substantiv: 

v.  820   minne,  du  hast  dinen  werten 
friunt  als  dich  selber  liep. 

v.  866   waz  ist  an  got  daz  nützest  und  edelst 
diuk  üf  aller  erden  hie? 

v.  1051    davon  sol  ein  sogetän 

wip  eins  mannes  rede  empfän. 

v.  2976    von  härmen  ist  der  vierde 

sinn  durchliuhtet  und  durchziert. 

Genitivisches  attribut  und  substantiv: 

v.  4570   geloubestu  der  philosophien 
meister  schrift  und  lere? 

Reimbrechung.  Diese  ist  in  den  'reden1  im  princip,  wenn 
auch  mit  manchen  durchbrechungen,  durchgefülirt,  auch  in  Egens 
gedichten  herscht  sie  vor,  ist  jedoch  dort  nicht  so  stark  aus- 
geprägt. In  den  allegorischen  teilen  ist  im  allgemeinen  die 
beziehung  zwischen  satzschluss  und  reimpaar  frei  gelassen,  in 
einzelnen  teilen  überwiegt  aber  auch  liier  die  reinibrechung 
das  rime  samenen. 

Der  rhythmus  ist  podisch,  der  abstand  in  der  betonung 
zwischen  hebungen  und  Senkungen  gering.  In  den  'reden'  liegt 
ein  Schwerpunkt  auf  den  seltsamen  reimen,  also  am  ende  des 


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2R8 


KIIRISMANN 


verses.  Begründet  ist  dieses  nicht,  in  logischen  Verhältnissen 
des  satzsinnes,  sondern  in  ästhetischen  liebhabereien  (über  die 
spehen  rime  s.  unten  IV  unter  'stil').  Die  inhaltliche  füllung 
der  einzelnen  verse  ist  meist,  erstaunlich  dürftig;  oft  könnte 
bei  den  schleppenden  widerholungen,  tautologien,  unnötigen 
Umschreibungen,  doppelgliedrigen  formein,  überflüssigen,  nur 
des  reims  wegen  angebrachten  flickwörtern  und  phrasen,  ja 
ganzen  Sätzen,  das  was  in  mehrere  verse  gedehnt  ist,  in  wenige 
worte  zusammengezogen  werden  ohne  dass  dem  gedanken  ab- 
brach getan  würde.  Die  armut  des  inhalts,  die  bei  der  beob- 
achtung  des  Verhältnisses  zwischen  dem  gesammtstoff  und  der 
ausdehnung  des  ganzen  gedichtes  so  auffällig  ist  (s.  unten  III) 
zeigt  sich  somit  schon  im  einzelnen  verse. 

2.  Reim. 

a.  Reim  und  spräche. 

Um  reine  reime  zu  gewinnen,  macht  der  dichter  sehr  oft 
von  mundartlichen  formen  gebrauch.  Die  Untersuchung  der- 
selben ergibt  zugleich  seine  heimat:  diese  ist  Ostfranken. 
Zur  feststellung  der  mundartlichen  erscheinungen ')  sind  die 
ostfränkischen  gediente  Hugos  von  Trimberg  (der  Renner), 
des  Königs  vom  Odenwald  (v.  Bänder,  Germ.  23, 193—222  und 
292—314),  Ruprechts  von  Würzburg  erzählung  Von  zwein  kauf- 
leuten  (Zs.  fdph.  7, 65—88),  stellenweise  auch  der  sprach  vom 
Würzburger  Städtekrieg  (Liliencron  1, 161  ff.)  beigezogen. 

Vocale. 

Sehr  häufig  werden  Silben,  die  in  der  mhd.  literatursprache 
als  kürzen  gelten,  gebunden  mit  längen;  so  reimen  a  :  d  häufig 
z.  b.  in  an  :  getan  :  hän  :  wän,  kan  :  hän  :  getan  :  wän,  Iran  : 
stun  :  hän,  versan  :  hän;  gar  :  dar  :  icär  :  zwar  :  äne  vdr  :jdr  : 
•bar,  eldr  :  nar  :  (ge)var  :  (ge)war  :  schar  :  tar\  nach  :  sprach  : 

')  Der  Renner  int  zum  vergleich  genommen  als  wichtigstes  ostfränkisehes 
denkmal  tles  13.,  U.  jh.'s,  Ruprechts  erzählnng,  weil  darin  möglichste  rein- 
heit  Und  dialektfreiheit  der  reime  erstrebt  ist:  des  Königs  vom  Odenwald 
gedichte.  deren  dialekt  von  K.  v.  Bahder  a.  a.  o.  trefflich  behandelt  ist,  und 
der  Stitdtekrieg  sind  es  als  ausgeprägt  mundartliche  dichtungen.  —  Nach- 
träglich verweise  ich  auf  die  reichhaltige  einleitung  M.  H.  Jellineks  zu  der 
psalmenübersetzung  des  Ostfrankeu  Melissus  (Braunes  Neudrucke  no.  144  — 
148).  welche  nach  abschluss  vorliegender  abhandlung  erschienen  ist. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG.  289 

Itesach  :  geschach;  gemäht :  gedaht;  %(e)  :  wäg{e)\  hast :  gast  : 
glast :  last;  tat :  bat,  hat  :  blat  :  mal :  stat,  rät :  stat,  stat :  bat] 
ttndcrläz.daz;  im  klingenden  reim:  namen  :  Amen,  mdsen  :  naseti. 

Offenes  e  :  e  —  w:  her  :  sich'  3769,  stvcr  :  ger  49,  teer  :  enber 
4749,  teert :  vermert  1733.  3891,  teern  :  gern  :  kern  2851.  401. 
bcteern  :  gern  4711,  teern  :  ern(c)[)  79,  umbemern  :  enbern  1053; 
getet{(>)  :  Gamuret  (vgl.  Franek,  Zs.  fda.  25,  223)  2991;  brech(e)  : 
frech{e)  4795;  ez :  rez{e)  3033. 4109;  klingend :  geeder  :  Uder  2443, 
fleäert :  edert  2453,  genehen  :  sehen  1141,  breitet  :  wvVW  2433. 
betrehtic  :  bedehtic  5337;  me&fe/  :  unseldct  127S. 

Geschlossenes  e  :  e  —  ee:  entecn  :  efcn  2145. 

Geschlossenes  e  :  t*:  re</c  :  bede  4613. 

?  :  «:  hin  :  sin  25,  smittcn  :  margariten  2467,  fltfCÄ  :  fröudcn- 
rich  1557.  Die  persönlichen  feminina  wie  künigin  werden  auf 
Wörter  mit  kurzem  und  langem  i  gebunden,  z.  b.  tot :  künigin, 
auch  keiscrinne  :  minnc,  neben  mcistcrin  etc.:  s<7ilw  :  ml»;  des- 
gleichen die  adjectiva  auf  -lieh:  heiclich  :  mich  :  dich  :  sich  : 
sprich  :  stich  und  eigenlich  :  rfcÄ,  ebenso  die  adverbia  auf  -liehen  : 
fesiielichen  :  stielten  und  festicUehen  :  wichen,  und  //c/tr/i  :  rtr/i  so- 
wie jp'/tVA  :  rfiWi  :  eigenlich. 

i  und  i  :  ie  vor  /•  bez.  ä:  gir  :  /5er  5097,  jw'ä/ :  licht  3229.  Im 
Renner  Her :  «?>,  vgl.  v.  Bahder,  reber  ein  vocal.  problem  des 
md.  s.  36. 

0  :  6:  cor  :  Amor  2821,  von  :  Salomon  3355,  tcort  :  gehört 
(3.pers.  sg.  praes.,  ohne  umlaut,  vgl.  Weinhold,  Mhd.  gramm.  - 
§  111)  2061. 

it  :  ü:  fluz  :  Az  1043. 

u  :  ho:  du  :  ztw  1039,  nu  :  ztw  5365,  nt't  :  tuo  2107. 

y)  e  in  ist  jüngerer  nmlaut  ('frank,  alem.  ärn  \  Kluge,  Et.  wb.  unter 
ernte),  denn  Tartan  hat  im  dat.  arm  (Sievers,  einleitung  $  r.T).  Das  mhd. 
subst.  diu  ente  für  ahil.  diu  (trn,  aran  ist  aus  Verallgemeinerung;  des  liüutig 
gebrauchten  dativs  in  fornieln  wie  ahd.  zi  artii,  mhd.  in  der  erne  abzu- 
leiten und  nicht  aus  dem  plural.  Dieselbe  erklärung  gilt  auch  für  4 ernte': 
verdrftngung  des  siiurulars  durch  den  plural  ist  gerade  bei  diesem  worte 
seiner  bedeutumr  Dach  nicht  wahrscheinlich.  In  dieser  beziehung  gehffrt 
also  erne,  ernte  zu  den  von  Paul,  Mhd.  gramm.  5}  127  anm.  1  zusammen- 
gestellten Wörtern.  —  Der  öfter  vorkommende  reim  erne  :  gerne  (Grimm, 
(»ramm.  1«,  s.  279.  Gute  frau  r<s.  fda.  2,391.  König  v.  Odenw.  Genn.  23, 19«. 
Minnebnrg  v.  35H7)  ist  also  rein. 

Hi.itrÄRi.  m  gmbfebto  der  deuUchen  sprach«.    XXII  19 


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200 


EIIRISMANtf 


In  der  heutigen  ostfränkischen  mundart  ist  die  dehnung 
älterer  kürzen  in  grossein  umfang  eingetreten,  vgl.  bes.  0.  Franke, 
Bayerns  ma.  1, 28  ff.  Nach  diesem  finden  sich  u.  a.  gelängt:  an, 
kann,  statt,  frech,  ich,  mich,  dich,  sich,  fluss.  Es  ist  demnach 
möglich,  dass  manche  der  angeführten  reime  in  der  heimat- 
lichen ausspräche  des  dichters  schon  rein  klangen.  Andrer- 
seits können  in  dieser  gedäht,  hcdehtic  u.a.  schon  gekürzt  ge- 
wesen sein.  —  Im  Renner  wird  a  :  ä  sehr  häufig,  ca.  180  mal, 
und  o  :  6  ca.  40 mal  gebunden,  dagegen  nie  i :  i  und  «  :  u:  hier 
herscht  also  dasselbe  Verhältnis  wie  bei  Wolfram  (vgl.  Wimmer, 
Ueber  den  dialekt  Wolframs,  programm  von  Kalksburg  1894/05, 
s.  12),  dass  wol  a  :  ä,  o  :  6,  aber  nicht  i :  i  und  u  :  u  reimen. 

a  ist  im  ostfränkischen  zu  6  geworden,')  daher  die  häu- 
figen (ca.  20)  reime  ä  :  6  wie  nach  :  hoch  :  zöcJi,  här  :  tör{e), 
st  dt :  rot,  änc  :  schöne,  tröst :  hast,  underläz :  gröz,  UUen  :  grözeti 
u.  a.  Sie  finden  sich  auch  beim  König  vom  Odenwald  (Germ. 
23, 196),  werden  aber  von  dem  der  literatursprache  strenger 
folgenden  Hugo  v.  Trimberg  nicht  gebraucht. 

ä  >  ö  reimt  auf  mhd.  o  in  lohen  :  gcvdhen  1059,  auf  ou  in 
Ironch  :  nach  4331. 

t>  =  (e  und  e  werden  in  der  Minneburg  so  wenig  gereimt 
als  in  den  s.  288  genannten  ostfränkischen  gedienten.  Die 
laut«'  sind  als  offenes  und  geschlossenes  c  phonetisch  getrennt : 
in  der  schrift  wird  allerdings  in  Übereinstimmung  mit  der  md. 
Orthographie  ce  ebenfalls  durch  e  ausgedrückt.  Das  gleiche 
ist  der  fall  im  elsässischen :  hier  wird  ebenfalls  e.  geschrieben, 
aber  mhd.  e  nicht  auf  m  gereimt,  z.  b.  bei  Altswert  (Karl  Mej'er, 
Meister  Altswert,  programm  von  (Böttingen  1880,  s.  37),  im  Par- 
zifal  von  f'laus  Wisse  und  Philipp  Colin.2)  Desgleichen  im 
Wetterauer  dialekt  der  Heil.  Elisabeth  und  der  Erlösung  (Rieger 
s.  30.  Bartsch,  Germ.  7,  3),  in  Athis  und  Prophilias  (W.Grimm, 
Kl.  sehr.  3,240).  im  md.  Sdiachbuch  (Sievcrs,  Zs.  fda.  17,385), 
im  böhmischen  des  Ulrich  von  Eschenbach  (Toischer,  Ueber  die 
spräche  Ulrichs  v.  Eschenbach,  programm  von  Prag-Neustadt 


')  Getadelt  von  Fabian  Frangk  (Müller.  Quellenschriften  s.  lor»),  auch 
von  .loh.  Nast,  Grundsätze  der  tentKchen  reehtschreibnng  (Herrigs  Archiv 
65,  42.U 

*)  Die  ersten  10000  vt  rse  habe  ich  darauf  hin  geprüft. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER,  M1XXERURG.  291 


1888,  s.  13),  im  schlesischen  in  Ludwigs  kreuzfahrt  (Zs.  fdph. 
8,381),  vgl.  auch  v.  Baader,  Grundlagen  s.  110. 

Dem  entsprechend  ist  auch  der  unterschied  zwischen 
offener  und  geschlossener  ausspräche  des  kurzen  e  gewahrt 
(offenes  e  reimt  auf  geschlossenes  e  nur  in  bestrebt :  entsebt). 
Da  das  praet.  weste  im  mhd.  geschlossenes  t  hat,  so  sind  reime 
der  Minneburg  wie  weste  :  beste  975  :  reute  1797  :  veste  3629  : 
reste(n)  3115  genau.  Das  abstracte  fem.  erye  reimt  auf  Her- 
berge (1477.  2543)  und  plur.  eryen  auf  verbergen  (3527.  3749), 
daneben  schreibt  P  3297  irge  :  gebirge  (die  stelle  fehlt  in  B). 
Die  aus  adjectiven  abgeleiteten  fem.  Substantive  auf  *  schwanken 
zwischen  älterem  und  jüngerem  umlaut.  In  einzelnen  Sprech- 
gemeinschaften gilt  der  erstere  in  der  volks-,  der  letztere  in 
der  gebildeteren  spräche.  Dem  jüngeren  umlaut  entsprechend 
bilden  erge  :  Herberge  :  rerberge(n)  reine  reime;  •  für  e  in  irge 
auf  gebirge  lässt  sich  als  älterer  umlaut  mit  geschlossenem  e 
auffassen,  wobei  allerdings  noch  eine  reimungenauigkeit  vor- 
läge. Es  sind  aber  möglicherweise  diese  beiden  reimwörter 
in  der  einzigen  hs.  die  sie  überliefert  (P)  verderbt  und  es  ist 
zu  lesen  erge  :  geberge,  welch  letzteres  bei  Lexer  aus  Megen- 
berg  mehrfach  neben  gebirge  belegt  ist. 

Auch  im  Kenner  sind  offenes  und  geschlossenes  e  beinahe 
niemals  gebunden,  beim  König  vom  Odenwald  und  bei  Ruprecht 
von  Würzburg  gar  nicht.  Diese  genaue  Unterscheidung  der 
beiden  e  beruht  nicht  etwa  auf  einer  besonderen  feinhörigkeit 
der  ostfränkischen  Verfasser,  sondern  sie  gilt  als  gesetz  für 
die  ganze  mhd.  poesie,  das  noch  viel  strenger  eingehalten 
worden  ist  als  meist  nach  den  grammatiken  und  sprachlichen 
einzeluntersuchungen  sich  schliessen  lässt.  Denn  in  diesen 
werden  die  e  ihrer  qualität  nach  fast  nie  ganz  genau  aus- 
einandergehalten. Darauf  hat  bezüglich  Konrads  v.  Würzburg 
Edw.  Schröder  hingewiesen  im  Anz.  fda.  19, 155.  Es  wäre  auch 
auffallend,  dass  z.  b.  die  alemannischen,  bairischen,  österreichi- 
schen, ostfränkischen  u.  a.  dichter  zwar  den  verschiedenen 
klang  bei  den  langen  w  und  e  wol  bemerkten  und  in  ihrer 
reimkunst  berücksichtigten,  aber  nicht  denselben  unterschied 
bei  den  kurzen  e. 

Ii  für  o  ist  regel  im  infinitiv  kumen  (:  frumen  sb.  und  verb. 
2687. 2899.  3661),  part.  perf.  (rol1en)hmien  (:  finmen  3083. 3707. 

19* 


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292 


feliftlSMANN 


5139),  demnach  auch  part.  (ge-,rer-)numen  (:  hinten)  mehrfach; 
ebenso  im  Renner  und  beim  König  vom  Odenwald,  auch  die 
Jetzige  ostfränkische  ma.  hat  diese  «  bewahrt. 

a :  uo  in  ruam  :  kam  2579,  vgl.  zum  König  vom  Odenwald. 
Germ.  23, 198. 

ei  aus  egi  in  (ge)seit,  leite,  geleit,  treit,  treist  reimt  mit  altem 
ei  (fünfzehn  mal  mit  der  ableitungssilbe  -heit,  -keit,  auf  runter- 
feit  und  zesneit,  einmal  meist :  treist),  viermal  sind  die  betr. 
Wörter  unter  sich  gebunden.  In  gelegt :  regt  (4241.  4393)  und 
gedagt :  gesagt  (4631)  wie  in  klagt :  verzagt  (4903)  ist  in  Über- 
einstimmung mit  der  ebenfalls  ostfränkischen  ha  P  erhaltung 
des  g  anzunehmen.  Im  Renner  reimen  behaget,  {ge)klaget, 
maget,  unverzaget  nur  unter  sich  oder  auf  saget,  welch  letz- 
teres nur  sehr  selten  ei  aufweist;  beim  König  vom  Odenwald 
vereinzelt  mtrerzeit,  Germ.  23,  307,  v.  22;  bei  Wirnt  sind  die 
formen  mit  ei  aus  egi  reichlich  vorhanden,  vgl.  H.  Fischer,  Zur 
gesell,  des  mhd.  s.  51. 

Noch  mehr  als  die  im  vorhergehenden  behandelten  mund- 
artlichen reime  weicht  von  der  literatursprache  die  bindung 
von  selie  :  heilie  (heilig  P,  helge  cx)  2041  ab.  Im  heutigen  Würz- 
burger  und  anderen  ost  fränkischen  dialekten  ist  ai  >  m  ge- 
worden, demnach  gäbe  selie  (—  stelir) :  helie  ( —  helie)  einen 
vollständigen  gleichklang.  Ks  erscheint  aber  gerade  in  gegen- 
den  des  heutigen  ostfränkischen  jenes  weitverbreitete  heiig, 
das  Kögel,  IF.  3, 287  in  as.  halag,  Schweiz,  haiig,  heiig  (Schweiz, 
id.  2. 1148)  nachgewiesen  hat:  so  henneberg.  heiig  adj.  und  be- 
sonders adverbiell  gebraucht  'recht,  tüchtig,  arg.  sehr',  hell- 
tage  'feiertage',  Spiess,  Beitr.  zu  einem  henneberg.  id.  s.  99  f.; 
Die  fränk.-henneberg.  ma.  s.  4;  Volkstümliches  aus  dem  fränk.- 
hennebergischen  s.14.  Frommanns  mundarten  5.515:  heiig  'sehr 
gross,  ungeheuer'  (und  ebenda  7, 297);  femer  in  den  nachbar- 
mundarten  von  Salzungen  (Hertel,  Wb.  der  Salzunger  ma.  s.  19); 
Ruhla  (Regel,  Die  Ruhlaer  ma.  s.  201.  207);  im  fuldischen  (Vil- 
mar,  Id.  s.  163  f.):  hellig  sehtrn  'ganz  besonders,  ausgezeichnet 
schön',  heltag,  hei  tag  -festlag'  (wol  aus  helgtag  —  Schweiz. 
heligtag)*)    Dass  heiig  im  älteren  ostfränkischen  auch  die 


')  Die  £rnndhe<lentnn°:  des  Wortes  kann  in  «lein  verstärkenden  adver- 
bialbegriff  'ungeheuer.  Mehr  yr»oss,  sehr'  noeh  erhalten  sein,  wonach  hahig. 


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PAS  MHP.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBÜRG.  203 

bedeutung  von  i heilig'  hatte,  beweisen  hrlltage  'f eiertage '  und 
die  lesart  heiig  für  heilig  in  der  Würzburger  hs.  des  Renner 
v.  12000.  —  Kögels  Vermutung,  dass  in  manchen  ahd.  und 
mhd.  quellen  heiig  mit  kurzem  e  anzusetzen  sei,  bestätigt  sich 
entschieden,  vgl.  auch  DWb.  4, 2, 827.  Ich  habe  keine  er- 
schöpfenden Sammlungen  angelegt,  es  ergaben  sich  mir  aber 
doch  folgende  gesichtspunkte.  Wenn  in  einer  quelle  vereinzelt 
e  für  ei  eintrat,  so  fand  sich  unter  den  betr.  Wörtern  fast 
regelmässig  auch  heiig,  oder,  allerdings  in  selteneren  fällen, 
es  fand  sich  gar  kein  ei  >  e  und  doch  heiig.  Im  ahd.  erscheint 
helag,  heiig  nicht  häufig  (s.  Braune,  Ahd.  gramm.  §  44  anm.  4. 
Milstätter  blutsegen,  Fulder  beichte  hs.  B),  auch  in  den  ge- 
fachten des  11. 12.  jh.'s  nicht  oft,  dagegen  tritt  es  mit  dem 
überhandnehmen  der  mundartlichen  Schreibung  in  den  hss.  des 
14. 15.  jh.'s  sehr  oft  auf  und  ist  in  allen  md.  und  obd.  dialekten 
nachweisbar:  im  mittelfränkischen  (hier  im  cölnischen  abgelöst 
durch  hillig),  rheinfränkischen,  thüringischen,  obersächsischen, 
schlesischen  und  ostdeutschen,  im  ostfränkischen  und  böhmischen, 
im  elsässischen  und  eigentlich  alemannischen,  weniger  im  schwä- 
bischen (doch  ist  hier  noch  gebräuchlich  hclgle  'heiligenbild',  • 
aus  heligle,  neben  hylge,  welches  nach  Kauffmann  §  02  anm.  3 
und  H.  Fischer,  Geogr.  s.  45  ei  als  wurzelvocal  hat),  und  im 
bairisch-österreichischen.  —  Auch  ein  reim  seifig :  heilig  wäre 
denkbar,  ei  für  w  in  seilig  ist  keineswegs  nur  eine  zufällige 
schreiberlaune,  sondern  es  hat  lautliche  geltung.   Es  reimt 

heiig  zw  gr.  nt).to(f,  ni/.ioQov  'ungeheuer',  nt/.topot,  nf?.t»Qioq  'ungeheuer 
gross,  riesenhaft',  lat.  ej-eello,  e.c-celsutt  u. 8. w.  gestellt  werden  kann.  Das 
ungeheure,  erhabene  erfüllt  den  menschen  mit  ehrlüreht  und  heiliger  scheu. 
—  Brenner  stellt  Beitr.  19. 482  ff.  einen  /-umlaut  von  ai  auf,  der  auch  in 
hailic>  helic  stattgefunden  habe.  Aber  dieser  umlaut  müsste  doch  in  viel 
grösserem  umfange  im  ahd.,  mhd.  und  nhd.  zu  belegen  sein,  auch  sind 
einige  der  beispiele  nicht  einwandfrei  (so  der  umlaut  fletsk  =  *flaisk(i),  der 
umlaut  in  tvenic  =  *  Winnie,  während  doch  ahd.  ursprünglich  nur  wenuc 
belegt  ist,  u.  a.),  und  die  ganze  an  sich  ansprechende  theoric  niuss  mit 
unverhältnisraässig  vielen  ausgleichungeu  rechnen. 

')  Auch  das  verbum  bezeichnen  findet  sich  verhältnismässig  oft  mit  e, 
hezeehnen,  geschrieben.  Hier  ist  wol  eine  einwirkung  der  verwanten  wurzel- 
form germ.  teih-,  Uiih-  (ahd.  zech)  anzunehmen,  die  ja  ursprünglich  auch  im 
germanischen  nicht  bloss  die  eingeschränkte  bedentung  von  zihen  'zeihen' 
gehabt  hat,  vgl.  got.  yateihan  anzeigen,  erzählen,  verkündigen',  ahd. 
zeiijon  'zeigen'. 


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204 


EHRISMANN 


seilte  :  unmv'die  in  der  Martina  6,55')  und  81,87  und  begegnet 
allzu  häufig  in  mhd.  quellen  verschiedener  landschaften,  s.  Wein- 
hold, Mhd.  gramm.2  §  89  und  95.  Alem.  gramm.  §  49  und  58,  5. 
Wackernagel,  Ad.  predigten  LV,  43  ff.  Bachmann-Singer,  Volks- 
bücher s.  lxxxiv.  Mon.  boica  41, 163  (Lexer,  Handwörterbuch 
unter  scelec).  Docens  Mise.  1,140  ff.  Heil.  Hieronymus  hg.  von 
Benedict  s.  xlvi.  Rückert-Pietsch,  Entwurf  s.  100.  Lacomblet, 
Urkundenbuch  3,  758  (Weinhold,  Mhd.  gramm.*  §  95).  Zs.  fda. 
19,  78.  Zs.  fdph.  27, 205.  Beitr.  3, 515  u.  a.  Leitzmann,  ebda.  14, 
476.  491;  ebenso  seilikeit  und  seilde  für  scelde,  s.  Weinhold,  Bair. 
gramm.  §  66.  Alem.  gramm.  §  49.  Mhd.  gramm.1  §  95.  Waag,  Beitr. 
11,95.  Zs.  fdph.  11,  247.  Möglicherweise  findet  seilte  seine  er- 
klärung  in  folgendem  psychologischen  Vorgang:  man  hatte  helic 
und  heilte  nebeneinander  und  bildete  danach  zu  scelie  ein  seilte, 
darauf  seilikeit  und  seilde;  vgl.  auch  Leitzmann  a.a.O.  s.  491. 

Apokope  und  synkope  des  schwachen  e  ist  ganz  geläufig. 
Stärkere  tilgungen  sind  lit(e)  (1.  sg.  conj.  praet.) :  unfrid(e)  2601, 
tcer(e)n  :  gern(e)  :  ern(e)  2851.79,  kern  :  wer{c)n  401,  ich  ge- 
lernte) :  ir  ger(e)nt  5363,  webfbe)  :  widerstrebte)  (subst.)  4277, 
reit :  überhel(le)t  2905,  liuht(et)  :  diuht(e)  4789,  ruo(we)  :  frtio  : 
zuo  947.  4607.  4731  u.  a. 

Consonanten. 

Die  consonanten  stehen  auf  gemeinmhd.  lautverschiebungs- 
stnfe,  das  ist  eben  die  oberfränkische,  g  ist  auch  im  auslaut 
verschlusslaut  r,  vgl.  hae.smac  907,  bere:  teere  2487.  3803. 
3815,  getwerc :  teere  683,  danc :  dranc  (praet.  zu  dringen)  3439. 

Abweichend  von  dem  obd.  lautstand  wird  d  mit  t  gebunden 
in  staden  :  gewaten  69,  betten  :  scheiden  2263,  brädem  :  ätem  1967 
(indess  ist  ädern  auch  in  obd.  quellen  öfter  zu  finden,  d  steht 
hier  in  grammatischem  Wechsel  zu  /,  vgl.  v.  Balider,  Grundlagen 
s.  244.  Braune,  Ahd.  gramm.  §  163  anm.  6).  Im  Renner,  beim 
König  vom  Odenwald  und  bei  Ruprecht  von  Würzburg  kommt 
dies  nicht  vor,  aber  im  heutigen  ost fränkischen  sind  d  und  t 
nicht  unterschieden,  vgl.  besondere  Brenner,  Bayerns  ma.  2, 269  ff. 
H.  Fischer,  Geogr.  s.  61  anm.  5. 

')  Die  hs.  hat  meUiv,  es  niuss  aber  unmeiliv  heilen ,  was  von  Wein- 
hold,  Alem.  gramm.  §  öS,  5  und  von  Laudiert,  Alemannia  17.213  übersehen 
worden  ist. 


DAS  MHI).  GEDICHT  VON  DKR  MINNBBUBG. 


295 


h  fällt  zwischen  vocalen  aus  (nicht  im  Reimer,  König  vom 
Odenwald,  Ruprecht  von  Würzburg):  empfän  :  söyetän  1051, 
an  :  van  2299,  stäl :  quäl{e)  45(57. 

hs  wird  zu  zu  8$  in  Hessen  'kniekehlen':  cipressen  193,  /nto.v: 
zuekermuos  3285.  Dieser  Übergang  findet  nach  der  grenz- 
bestimmung  bei  Wrede,  Anz.  fda.  21, 201  auch  in  einem  grossen 
teile  der  heutigen  ostfränkischen  uia.  statt  und  ist  besonders 
im  hennebergischen  gebräuchlich.  Hasse,  hesse  s.  bei  From- 
mann, Ma.  2, 49.  496.  7, 292.  Spiess,  Beitr.  zu  einem  henneberg. 
id.  s.  95.  Der  Renner,  König  vom  Odenwald  und  Ruprecht  von 
Würzburg  haben  nichts  einschlägiges,  aber  im  Städtekrieg  reimt 
fuchs  :  sus  1923. 

m  reimt  auslautend  auf  n:  heim  :  rein(e)  1785,  desgleichen 
beim  König  vom  Odenwald  (Germ.  23, 199.  205),  bei  Ruprecht 
man  :  genözsam  :  getan  120,  heim  :  enein  426,  in  :  vernim  643, 
im  Städtekrieg  Berchtheim  :  klein  1191,  Hein  in  den  gesetzen 
Ottos  von  Wolfskel,  Archiv  für  Unterfranken  11,  s.  95;  in  der 
heutigen  provinz  Unterfranken  ist  heim  zu  hS  geworden,  Bayerns 
ma.  1, 27. 

Zu  eesem  :  besem  1879,  beide  dat.  sg.,  vgl.  Lexer  unter  zese 
und  Zs.  fda.  17, 383;  kresem  :  zesem  bei  Frauenlob,  Ettmüller 
s.  22, 18, 1.  Trebnitzer  psalmen  hg.  von  Pietsch  s.  lix. 

Consonantisches  i  in  lateinischen  Wörtern  wird  zu  g\  ge- 
sperge :  materge  461.  1631,  bergen  Aatie  er  gen  3509,  zibörge  :  glörge 
3307,  brisilgen :  tilgen  1949,  geschedige(n)  :  remedige  5385.  Dieser 
Übergang  von  i>  g  kennzeichnet  die  umdeutschung  dieser 
lehnwörter,  während  daneben  die  fremdwortform  hergieng 
und  meist  die  Oberhand  gewann,  wie  z.  b.  materie.  Andere 
obd.  beispiele  ausserhalb  der  Minneburg  sind:  ri  :  rg,  in  reimen: 
sorgen  :  ysiorgen  in  Sachsenheims  Spiegel  (Keller,  M,  Altswert 
s.  151,  v.  6),  historgen  :  sorgen  in  dessen  Goldenem  tempel  v.  823; 
ausserhalb  des  reims  storie  'schar'  geschrieben  storige,  s.  Lexer 
s.v.,  ebda,  ziborge  unter  mzibörje\  not  ar  ins  —  not  (arge  Mörin2923; 
S.  Margen  aus  S.  Mariam,  vgl.  Behaghel,  Grundriss  1,  581.  — 
Ii  >  lg'  evangelig  :  stcilg  Mörin  2179,  gilgcn  :  Cecilgen  Sachsen- 
heims Spiegel  s.  197,  v.  30;  gilge  iilie',  Gilgc  'Aegidius',  pctcr- 
silgc  'petersilie'.  —  n£  >  ng:  venige  :  menige  Vetter,  Reinbot 
v.  Turn  s.  cxui,  katzedmigen  :  menigen  K.  Meyer,  M.  Altswert 
s.  9.  38,  fontangen  :  mangen  Otto  Baldemann  v.  47,  plange  :  lange 


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206 


EHRISMANN 


s.  Lexer  unter  plante;  ferner  Span i (je n  oft,  Barsilhnge r  Schleier- 
tüchlein  bei  Keller,  Altswert  s.  2 Ii»,  v.  9,  Jiabilonge  (Kramm, 
Ueber  Konrads  v.  Heimesfurt  spräche,  dissert.  von  Freiburg  i.Br. 
1882,  s.  12);  menig(e),  minig  'mennig'  aus  mini  um,  ApolUntius 
>  Plönniges,  Antonius  >  Dönniges  (Wackernagel,  Kl.  sehr. 
3, 208  f.).  i  nach  anderen  consonanten:  mhd.  metzjer  'metzger' 
aus  *macearius  (Kluge,  Et.  wb.  s.  w),  metzje  'metzig';  Venetia  — 
Veneilige.  Md.  einschlägige  reime  s.  bei  Weinhold.  Mhd.  gramm.'2 
s.225  oben  und  s.239  f.;  viele  beispiele,  besonders  auch  von  i>  g 
nach  vocalen  bei  Grimm,  Gramm.  I4.  368  ff.  Kauffmann  §  181 
und  18.  Leitzmann,  Beitr.  14,  510.  Dieses  g  folgt  der  landschaft- 
lichen ausspräche  des  ursprünglichen  g,  ist  also  entweder  ver- 
schlusslaut oder  reibelaut  —  Die  lateinischen  lehnwörter  im 
ahd.  sind  unter  andern  sprachlichen  prineipien  aufgenommen 
worden,  vor  allem  haben  sie,  im  gegensatz  zu  den  erst  im  mhd. 
überkommenen,  ihre  betonnng  der  deutschen  art  angepasst, 
auch  ist  das  1  noch  nicht  zu  */  geworden,  vgl.  pfelli,  oli,  mu- 
nistri,  -onus  >  ari,  ßra,  Icetor  lectorium  und  viele  andere 
(s.  z.  b.  Sievers,  Beitr.  IG,  264),  als  j  erscheint  es  in  kevia,  minie 
(MSI). 2\  190.  DWb.  6, 2020),  woraus  mhd.  kevje,  leefige  'käfig', 
minige,  minig  'mennig'  mit  dem  obigen  Übergang  von  /*  zu  g. 
—  l'nerklärt  sind  die  nebenformen  mit  eh:  ahd.  epflk  neben 
epfi  'eppich,  apium\  mhd.  lull  ich,  lulch(c)  neben  ahd.  lolli  (Stein- 
meyer -Sie vers,  Ahd.  gll.  1,  720,  27),  Schweiz.  Hille  (Schweiz,  id. 
3,1263)  iolch,  lolium\<) 

Iw,  rw  reimen  auf  Ib,  rb:  salbet  :  valwet  2355,  entverwe  : 
herbe  4935.  5231. 

Inlautendes  mb  reimt  auf  mm:  schimmert :  gezimhert  2405, 
nimmer  :  gezimber  3741,  timber  :  Schimmer  4793. 

Der  wahrscheinlich  satzphonetische  dental  in  iemant  (vgl. 
Kauffmann  §  140  d,  &  und  anm.  1.  Bich.  Schmidt,  IF.  1,57)  ist 
schon  angetreten:  es  reimt  auf  behaut  2265.  In  der  Würzburger 

l)  Bei  lolch,  «las  erst  im  nihil,  belebt  ist.  kann  allerdings  ch  —  g 
sein,  vorausgesetzt  dass  ilas  wort  in  einem  der  dialekte  aufgenommen 
wnrile,  der  tj  spirantisch  sprach,  vgl.  Kluge.  Et.  wh.  s.v.  Frauek,  Auz.  Ida. 
11,23.  Aher  für  das  ahd.  epph  (s.  Hinge  nnter  i^ivh)  kann  weder  der 
guttural  noch  die  länge  des  i  im  suffix  aus  apium  erklärt  werden.  Hier 
lieirt  also  doch  wol  eine  suffixale  Umbildung,  sei  es  im  lat.  oder  erst  im 
deutschen,  vor. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG 


297 


Iis.  des  Michael  de  Leone  sind  iemant,  nirmant  viel  seltener  als 
ieman,  nietnan,  im  Renner,  beim  König  vom  Odenwald  und 
Ruprecht  von  Würzburg  begegnen  sie  nicht. 

Consonantisch  ungenaue  reime  sind  bistiyvsihstHb&j  nivrgvn  : 
t irren  3085,  schönsten  :  gekrcentsten  1897.  2001. 

Zur  flexion. 

Die  3.  pl.  praes.  ind.  endigt  auf  -en,  z.  b.  sie  leben  :  uf  yclten 
(inf.)  1171.  uz  dem  einen  :  sie  schinen  3451  u.a.  Das  verbum 
substant,  lautet  in  dieser  person  «in:  hin  :  sin  25,  ai»  :  schin 
593.  1347. 

Im  infinitiv  fällt  -n  bez.  mit  apokope  des  c  die  ganze  en- 
dung  -en  häufig  weg:  si(n)  :  frl  039,  /mö(ii)  :  zuo  707.  2705.  4847, 
we  :  <je(ri)  2139,  wer :  eruer(n)  1921.  bruoder  :  derluoder(n)  1865, 
hctiute(n)  :  Hute  2043,  mw(n)  :  queme  1095,  verterkefn)  :  Sterke 
2085,  wein(en)  :  schinvbcin  2571.  /ac: j(i;t{en)  1,  u.a.  Diese  infini- 
tive  ohne  •*  sind  für  das  ostfränkische  und  thüringische1) 
charakteristisch  und  begegnen  ausserordentlich  häufig  auch  in 
den  zum  vergleiche  beigezogenen  gedienten  von  Hugo  v.  Trim- 
berg  u.  s.  w.  Ueber  ihr  vorkommen  im  ahd.  s.  Braune,  Ahd. 
gramm.  §  120,  anm.  2  und  die  daselbst  angegebene  literatur;  für 
die  gegen  wart:  Schmeller.  Ma.  Bayerns  §  580.  910.  Bavaria  3, 1, 
242  f.  ('.Franke.  Bayerns  ma.  1,275  ff.  Spiess,  Fränk.-henneberg. 
ma.  s.  26—28.  Hertel,  Salzunger  ma.  s.  1 10.  Regel,  Ruhlaer  ma. 
s.  100  ff.  Die  aufgäbe  des  n  beruht  auf  einem  andern  Vorgang 
als  die  sonstige  weit  verbreitete  reducierung  der  flexionssilbe 
-en  zu  .>  (mit  oder  ohne  nasalierung).  Jene  w-losen  infinitive 
treten  mit  einer  gewissen  häufigkeit  schon  zu  einer  zeit  auf,  in 
der  die  n  in  den  übrigen  endungen  noch  fest  sind.  Ferner  haben 
einige  thüringische  und  ost fränkische  mundarten  die  ganze 
infinitivendung  -en  in  bestimmten  fällen  abgeworfen,  also  z.  b. 
teisfi,  woll,  <r/c,  tuJiKj,  kouf,  während  das  -en  der  andern  flexions- 
silben  nur  reduciert  ist.  Endlich  erlauben  sich  die  genannten 
ostfränkischen  gediente  den  abwurf  eines  -n  mit  ganz  wenigen 
ausnahmen  eben  nur  im  infinitiv.  während  derselbe,  wenn  er 
in  md.  und  mhd.  gedienten  anderer  ma.  vorkommt,  nicht  auf 

»)  Steht  diene  dialektgemeinschaft  in  zusammenhaut?  mit  «1er  hesiede- 
Lung  Ostfrankens  durch  Thüringer?  Zu  dieser  vgl.  John  Meier,  Beitr.  16,  1131 
Wrede,  Zs.fda.  37,  291. 


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208 


EHKISMANN 


den  infinit iv  beschränkt  ist,  überhaupt  aber  nur  vereinzelt 
auftritt.  Der  Schwund  dieses  n  kann  also,  wegen  der  ab- 
weichenden behandlung  der  übrigen  auslautenden  -en,  nicht 
auf  rein  phonetischer  entwicklung  beruhen,  wie  etwa  der  alle 
endungen  betreffende  abfall  des  n  im  altnordischen.  Der 
Wechsel  zwischen  infinitiven  mit  und  ohne  n  beruht  wol  auf 
nachbildung  eines  schon  vorhandenen  und  geläufigen  typus, 
möglicherweise  auf  den  parallelformen  der  1.  pers.  praes.  ind. 
der  B-  und  ö-conj.  wie  habest —  habt,  salbön  —  sallö,  voraus- 
gesetzt dass  die  zweitgenannten  w-  losen  formen  schon  in  die 
zeit  der  frühest  belegten  infinitive  ohne  d.  h.  an  den  anfang 
des  9.  jh.'s  hinaufdatiert  werden  dürfen.  Es  hätte  sich  also 
nach  dem  muster  der  ersten  personen  auch  in  den  infinitiven 
neben  hab&n  ein  hab$,  neben  salbön  ein  salbö  im  Sprachgefühl 
eingebürgert,  und  darnach  wäre  Übertragung  auf  die  andem 
conjugationen  erfolgt,  worauf  schliesslich  die  secundären  n-losen 
formen  auch  im  infinitiv  in  einigen  gegenden  allein  üblich 
wurden  wie  allgemein  in  der  1.  person.  Bemerkenswert  ist, 
dass  gerade  in  dem  altostfränkischen  des  Williram  die  doppel- 
heit  der  1.  personen  wie  liabon  —  habo  reichlich  belegt  ist. 

Der  conj.  praet.  hat  in  der  1.  schwachen  conjugation  Um- 
laut: senten  :  dementen  1831,  Uukt(et) :  diuht(e)  4789,  auch  im 
Kenner  und  im  Henneberger  urkundenbuch,  vgl.  Bech,  Germ. 
15, 149. 154.  24, 140.  Rückert-Pietsch,  Entwurf  s.  29. 

gän,  stän  haben  im  ind.  praes.  und  inf.  «,  im  conj.  i;  von 
gdn  erscheint  das  praet.  gie  ( :  nie  4321)  und  gieng  ( :  Meng  : 
gemeng  5467.  1837),  mit  ie,  dem  ostfränkischen  gemäss. 

Das  praet.  ind.  und  conj.  von  hau  wird  mit  offenem  kurzen 
e  oder  langem  e  —  w  gebunden;  die  quantität  ist  nicht  zu  ent- 
scheiden, da  auch  kurzes  offenes  e  auf  i  =  w  reimt;  es  lautete 
also  entweder  nur  hete  mit  offenem  e  oder  auch  kite  =  hwte. 
Ein  unterschied  zwischen  ind.  und  conj.  ist  nicht  festzustellen. 
Im  einzelnen  zu  bemerken  ist  der  reim  hete  :  an  der  stete  103. 
Der  gen.  dat.  und  plur.  stete  reimen  im  mhd.  überhaupt  oft  auf 
offenes  e,  z.  b.  Parzival  stete :  bete  621,23.  746,5;  Wigalois  stete : 
bete  1594.  1807  :  tetv  6966.  6997,  bete  :  stete  ujetete  305.  2201,  vgl. 
Grimm,  (Tramm.  I4,  885;  Gotfrids  Tristan  stete  :  tüte  (Mhd.  wb.  3, 
134h);  Heinrichs  Tristan  Antret :  stet  4627;  Ulrich  v.  Lichten- 
stein, Frauendienst  stet :  tet  88,21,  bei :  stet  482, 1.  485,9,  stet : 


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DAS  MUH.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


290 


Latizilet  484,9;  Krone  stet :  bei  21802.  (et  :  stet  25691;  Meieranz 
stete  :  teYr  7433,  Servatius  (Zs.fda.  5)  töte  :  stete  2139;  Warnung 
(Zs.  fda.  1)  bete :  stete  3575;  H.  Ernst  I)  s.  15a  tet :  stet;  Mönch 
v.  Heilsbronn  tet :  stet  Merzdorf  s.  78,  297;  Zingerle,  Ueber  eine 
hs.  d.  Passionais  tet :  stet  s.  70,9.  71,41.  73,125.  74,175,  stet  : 
pet  77,291.  79,355,  gepetistet  78,319.  82,443.  84.93.  Zu  Ulrich 
v.  Eschenbach  s.  Toischer,  Ueber  die  spräche  Ulrichs  v.  Eschen- 
bach s.  19.  24,  zu  Landgraf  Ludwigs  Kreuzfahrt  s.  Kinzel,  Zs. 
fdph.  8, 390  f.  Es  liegt  in  dem  offenen  e  in  stete  wol  psycho- 
logische umlautung  vor:  in  anlelinung  an  den  nom.  stat  und 
an  die  zwillingsforaiel  von  an  der  stete  :  an  der  stat  ist  nur 
jüngerer  umlaut  eingetreten.1) 

Zur  substantivflexion  seien  angemerkt  die  analogisch  ge- 
bildeten plurale  sterner  (:  ferner  1085),  geister  (:  meister  3357), 
unumgelautet  bander  (  :  galander  2027),  bandern  (.andern  1893, 
vgl.  Heinzelein  von  Konstanz  s.  105,  125  und  Pfeiffers  anmer- 
kung2) );  zum  heutigen  dialekt  s.  Bayerns  ma.  2, 321.  Bloss  des 
reimbedürfnisses  wegen  steht  manger  hander  (:  Schionatulander) 
4539,  eine  art  syntaktischer  assimilation. 

Eine  sonst  im  ganzen  gediente  nicht  zu  belegende  pro- 
nominale dialektform,  dat.  sg.  dl  =  dir  (gegenüber  häufigem 
dir,  mir  im  reim  auf  wir,  ir,  gir)  ergeben  die  reime  2191  f.: 
sol  man  mich  von  art  einen  er  nennen  oder  ein  si  'f  der 
meister  sprach,  daz  sag  ich  d  i. 

Doppelformeii, 

je  nach  dem  bedurfnis  des  reiines  angewendet,  sind  haben 
hau,  Idzen  —  län,  (ge)legt  —  (ge)leit,  saget  —  seit,  gieng  —  gie, 


')  Aelter  als  hete  mit  offenem  e  ist  hete  mit  altem  i-umlant,  also  mit 
geschlossenem  e,  jedenfalls  alemannisch  nn<l  bairiseh.  entsprechend  dem  alt- 
alemann.  bez.  -bair.  hebita  (Kogel,  Beitr.  i».  520.  Weinhold,  Alem.  gramm. 
s.  365  f.  Bair.  gramm.  s.  319.  Mhd.  gramm.*  s.  424  f.  Braune,  Ahd.  gramm. 
§368).  hete  ist  nach  Edw.  Schröder,  Zs.  fda.  38,  <JS  (vgl.  auch  (irimm,  Onunm. 
M,  S8*>),  eine  nachbildnng  von  tele;  zur  Öffnung  des  e  in  hete  kann  auch 
der  offene  laut  in  Juete  beigetragen  haben.  Es  sind  also  zwei  formen  mit 
kurzem  e,  mit  geschlossenem  und  mit  offeuein,  in  die  mhd.  grammatik  auf- 
zunehmen. 

Nachdem  nun  das  vorkommen  eines  plurals  hander  zu  baut  sicher 
belegt  ist,  wird  man  bei  Pfeiffers  erkliirung  dieser  stelle  gegenüber  der 
Sprengers  Zs.  fdph.  27, 1 15  bleiben  dürfen. 


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300 


EHRISMANN 


mer(e)  me,  ferner  bede  ( :  rede  4013)  und  h  iden  ( :  scheiden  3577), 
niht  (.  (jeaehiht  5043,  :  geriht  4207,  :  enwiht  5121.  5285  u.a.) 
und  nit  (:  mit  1063.  2855,  ://cM  3361.  4345.  4479  u.a.),  U  (:  wo 
5283)  und  Aoc//  (:  nach  5287),  bazzcr  (:  wazzer  3501)  neben  fco*, 
adjektivischer  comparativ  auch  guoter  ( :  fruoter  1001)  neben 
bezzer,  Vernunft  (:  A'tm/?  611, :  ^tm/?  793)  und  vernunst  (:  £tm*f 
603.  641, :  Äruns/  5411);  statt  des  adjectivs  säeze  erscheint  auch 
das  adverbiale  suoz  (:  yruoz  1683),  vgl.  Kfinig  vom  Odenwald, 
Altd.  Wälder  2,  84  ff.  v.  27.  Suchenwirt  xl,  238. 

Für  die  spräche  des  gedichtes  sind  aus  der 

Syntax 

einige  Verbalumschreibungen  erwähnenswert,  die  erst  im  14.  jh. 
geläufiger  werden.  So  ist  das  praet.  wart  mit  inf.  recht  häufig, 
z.  b.  ich  wart  treten,  sie  wurden  werfen  u.  a.  Seltener  sind  das 
praes.  von  werden  mit  inf.  als  Umschreibung  des  futurums 
(daz  ich  . . .  werd  ezzen  leides  zidelbast  2313,  so  tvirt  min  Iwrze 
pfimpfen  2341),  der  conj.  praet.  würde  als  conditionalis  (tet  sie 
daz  so  ward  mir  dorren  min  herze  2333),  tuon  mit  inf.  {daz 
si  tuo  schtwfen  1678,  ir  minne  pfeffer  tuot  mir  mutzen  2363). 

Zur  Vervollständigung  dieser  skizze  des  ost fränkischen 
dialekts  sei  noch  verwiesen  auf  die  aus  der  hs.  P  beigebrachten, 
nicht  bloss  den  reimen,  sondern  mehr  noch  dem  innern  des 
textes  entnommenen  mundartlichen  formen  oben  s.  258  ff.1) 


')  Für  die  bekannte  mitteilung  Hugos  von  Trimberg  über  die  aus- 
spräche einiger  auslautender  consonanten  im  Renner  22252  ff. 

wan  T  und  N  und  R 
sint  von  den  Franken  verre 
an  manges  wort  es  ende: 
wer  wil  dar  umb  sie  pfende? 

gilt  die  erklärnng  von  Sievers.  Beitr.  Ii»,  549:  es  soll  damit  die  'nachlässige 
ausspräche"  dieser  laute  bezeichnet  werdeu.  Und  in  der  tat  ist  dies  eiue 
eigensehaft  des  heutigen  ostfränkisclnn.  Eine  reihe  von  fallen  für  ab- 
fallendes f  bez.  (1  führt  ('.Franke  in  Bayerns  mnndarten  2,  83  ff.  an;  für  »i 
elnla.  s.  S5  ff.  ('wol  am  meisten  von  allen  consonanten  ist  im  ostfränkischeu 
n  dem  Schwunde  ausgesetzt",  wozu  wol  auch  der  abfall  des  n  im  infinitiv. 
vgl.  Müllenhoff.  MSD.  2a,  392);  auch  das  auslautende  r  wird  strichweise  nur 
schwach  articnliert,  ebda.  s.  1>2.  Vgl.  auch  Socin,  Schriftsprache  n.  dialekte 
s.  119. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEHURO.  301 

b.  Arten  des  reims. 

Die  stumpfen  und  klingenden  reime  s.  oben  s.  283  ff. 

Rührende  reime  sind  selten:  gehorn  :  durchltorn  Gf>9, 
errarn  :  tcillerarn  3139,  Frnudenberc  :  Minnenbere  8163;  die 
comiK)sitionsglieder  -heil  und  -//VA,  z.  b.  wlsheit :  kiuocheit  3073, 
rerltor  (jenlich  :  sicherlich  3799,  rerdrozzenlicliste  :  unnützlichste 
033.  939.  Letztere  tragen  entweder  allein  den  reim,  wie  in 
den  eben  angeführten  beispielen.  oder  sie  bilden  mit  der  Stamm- 
silbe erweiterte  reime,  indem  dieselbe  mitgebunden  wird, 
z.  b.  udrheit :  trifft**  1311,  kiuocheit :  (jefuocheit  857,  fruothieh  : 
f/woWrA  1229,  Wtiorto* :  gcfuoclich  1225,  zcdcllichcr  :  edellicher 
1265.  Weniger  bemerkbare  fälle  von  erweitertem  reime, 
wie  solche,  wo  untrennbare  Partikeln  jgw-,  iw-,  rr-,  wr-,  rtorrA- 
mitreimen,  sind  häufig,  z.  b.  gesessen  ;  gemessen  399.  gespraek  : 
gesekach  1119,  rerdnrret :  rerstorret  2317  u.s.w.  ;  krefticlichim- 
nunfticlich  809. 

Vier  gleiche  reime  bilden  die  vei-se  2337—2340  sowie  die 
gleich  darauf  folgenden  2341  -2344. 

Von  besonderem  einfluss  auf  den  gesammteindruek  der 
metrischen  form  sind  die  spehm  oder  Iduogen  rimc  (s.  unten 
unter  IV).  Andere  reimkünsteleien,  klangspiele  u.  dgl.  werden 
gemieden. 

Hauptsächlich  durch  die  überaus  zahlreichen,  sonderbaren 
und  seltenen  reimwürter  herscht  eine  ziemliche  mannigfaltig- 
keit  in  dem  in  den  reimen  niedergelegten  Wortschatz.  Er- 
müdend sich  widerholende  Wildungen  begegnen  nicht.  Ein 
lieblingsreim  des  dichter»  ist  minne  :  sinne  bez.  minnen  :  sinnen, 
der  gegen  50  mal  vorkommt  (vgl.  Bock,  Wolframs  bilder  für 
frend  und  leid  s. 54),  nur  viermal,  trotz  der  unendlich  aus- 
gedehnten liebesklagan,  hcrze(n) :  smerze(n)\  häufige  reim  Wörter 
sind  ferner  u.  a.  muot  (27  mal)  und  guot  (34  mal).  Der  dichter 
handhabt,  ohne  eigentlich  gewant  zu  sein,  die  reimbildung  mit 
einiger  leichtigkeit. 

c.  Zeit  der  entstehung  und  engere  heimat  des 

gedichtes. 

Aber  es  ist  doch  ein  gewaltiger  abstand  zwischen  der 
künstlerischen  form  der  Minneburg  und  derjenigen  des  nur 
etwa  fünfzig  jähre  vorher  in  derselben  landschaft  verfassten 


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302 


EIIRTSMANN 


Renner,  besonders  in  der  einführung  mundartlicher  formen, 
wodurch  nur  allzu  oft  erst  genauigkeit  der  reime  erzielt  wird, 
in  der  anwendung  derselben  verfährt  der  dichter  der  Minne- 
burg sogar  noch  etwas  freier  als  der  König  vom  Odenwald, 
jedoch  hat  dieser  einige  andere  in  der  Minneburg  nicht  vor- 
kommende dialektische  reime,  wie  s :  e,  abfall  des  n  im  dat. 
plur.  ('normalplurar),  plurale  auf  -lerh,  gnrrst,  frvyvn.  Da- 
gegen ist  der  Städtekrieg  mit  anwendung  von  dialektismen 
noch  weiter  vorgeschritten,  z.  b.  in  reimen  wie  i :  ir  vor  andern 
conss.  als  h  und  r,  oder  wie  «  :  o,  n  :  eu. 

In  Innsicht  auf  die  mundartlichen  formen  wird  also  das 
gedieht  nicht  zu  weit  gegen  den  anfang  des  14.  jh.'s,  sondern 
mehr  gegen  die  mitte  desselben  zu  setzen  sein.  Viel  spätere 
entstehung  anzunehmen  verbietet  die  noch  im  14.  jh.  abgefasste 
hs.  ö.  Diese  datierung  stimmt  mit  der  Schönbachs  (erste  hälfte 
des  14.  jh.'s,  s.  Lexers  Handwb.  2,  iv)  ziemlich  überein.  Das 
gedieht  noch  in  das  13.  jh.  hinaufzurücken,  wie  Raab  tut 
('zweite  hälfte  des  13.  jh.'s',  s.  36  seiner  abhandlung  Ueber  vier 
allegorische  motive;  vgl.  auch  Georg  Richter,  Beiträge  zur 
Interpretation  des  mhd.  gedichtes  'Kloster  der  minne',  Berliner 
diss.  1895,  s.  9  anm.  1),  geht  nicht  an. 

Versucht  man  den  dialekt  der  Minneburg  innerhalb  des 
gesammten  ostfränkischen  gebietes  näher  zu  begrenzen,  so 
weist  der  Übergang  von  hs  zu  ss  auf  den  westlichsten  teil 
und  auf  das  hennebergische.  Für  letzteres  kann  noch  der 
einzige  dativ  di  —  dir  sprechen,  sonstige  speciell  hennebergische 
kennzeichen,  wie  sal  für  sol,  fehlen.  Ks  wäre  darum  doch 
möglich,  dass  der  dichter  dem  heutigen  Unterfranken,  dessen 
mittelpunkt  Würzburg  ist,  angehörte:  er  konnte  die  ihm  aus 
der  nachbarmundart  bekannte  form  di  eingeführt  haben,  um 
einen  passenden  reim  auf  si  zu  bekommen.  Man  wird  also 
bei  der  engeren  Umgrenzung  am  besten  bei  der  negativen  be- 
stimmung  stehen  bleiben,  dass  die  heimat  des  Verfassers  Ost- 
franken, aber  nicht  das  hochstift  Bamberg  ist. 

Anhang. 

Reim  in  Bi  und  Bin. 
Die  ungenauigkeiten  und  dialektismen  sind  hier  andere 
als  in  A.   Zwar  könnten  reime  wie  rerstozen  :  unyrtfizvn  51, 


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4 


DA8  M  III  >.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBÜBG.  303 

ir  :  schier  3243,  gnaden  :  misseräten  7,  groest :  hwst  3327,  wol 
auch  bcstuonden  :  wunden  3193  auch  da  vorkommen.  Aber  es 
fehlen  vor  allem  ganz  die  infinitive  ohne  -n,  dagegen  treten 
folgende  in  A  keine  beispiele  habende  freiheiten  auf:  offenes 
und  geschlossenes  e  reimen  in  weter  :  Meter  3459,  teert :  mh  t 
3305,  seU  :  fcele  3525;  ferner  rerschict :  gellt  55,  w«  :  .srAo«  53, 
torn  :  rorw  3197,  guote  (snbst.)  :  huote  3495,  versinkt :  missetingt 
129,  mus  :  fürbaz  155,  mra?  :  metresse  9,  mm**» :  gesinde  3285, 
ZkiW  :  <?W  3289. 

Es  ergibt  sich  daraus,  was  bislang  stillschweigend  voraus- 
gesetzt wurde,  dass  der  Verfasser  von  Bi  und  Bin  nicht  der 
von  A  ist,  dass  also  der  ursprüngliche  dichter  und  der  be- 
arbeiter  nicht  ein  und  dieselbe  person  sind.  Die  heimat  von 
ßl  Bm  ist  nicht  Ostfranken,  auch  alemannische  und  bairische 
sowie  mittel  fränkische  und  ostdeutsche  kennzeichen  fehlen:  so 
bleibt  als  dialektgebiet  nur  das  rheinfränkische,  wol  genauer 
das  südrheinfränkische.  Hierher  passen  auch  die  bindungen 
torn.zorn,  son  :  schön,  sele:  fcele,  verstozm  :  ungelozen,  minne: 
gesinde  =  ge sinne,  bald  —  ball :  all. 

Zur  genaueren  bestimmung  der  abfassungszeit  von  B  — 
ebenso  von  der  prosa  —  fehlen  anhaltspunkte.  Den  jüngsten 
termin  bezeichnet  die  datierung  der  hs.  d  v.  j.  1408,  für  die 
prosa  die  der  Wiener  prosahs.  v.  j.  14G3. 

III. 
Inhalt. 

Das  gedieht  zerfällt  in  fünf  capitel,  die  im  laufenden  text 
selbst  bezeichnet  sind;  ausserdem  ist  der  hs.  P  die  capitelein- 
teilung  mit  kurzer  inhaltsangabe  in  prosa  vorangesetzt.1) 

Cap.  I  (v.  1—353).  Der  dichter  kommt  an  einem  heissen 
sommertag  in  ein  rauhes  gebirge,  das  von  einem  wildbach 
durchströmt  ist.  Ein  floss,  das  er  besteigt,  bringt  ihn  auf 
einen  schönen,  blumenduftigen  anger.  Bald  erblickt  er  eine 
prachtvolle,  stark  befestigte  bürg,  deren  brücke  von  riesen, 
löwen  und  hunden  bewacht  ist.   Ein  starkes  Unwetter  schläfert 


')  Die  inhaltsAiignbe  bei  Raab  a.  a.  o.  s.  3<»  f.  bembt  auf  w  ,  gilt  alsu 
nur  fiir  die  kürzere  fassung.  AiiHser«leni  ist  sie  lückenhaft,  da  die  wichtigen 
verse  247    343  in  w  fehlen. 


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304 


EHKISMANN 


diese  hüter  ein  und  zwingt  den  dichter  zugleich,  in  der  bürg 
schütz  zu  suchen.  Innerhalb  der  bürg  befindet  sich  eine  runde, 
mit  erker,  gesims  und  fünf  spiegelfenstern  versehene,  aus  gold 
und  edeln  steinen  überaus  kunstreich  gearbeitete  säule.  Wäh- 
rend er  diese  bewundert,  erscheint  der  kämmerer,  empfängt 
ihn  höfisch,  nennt  ihm  auf  sein  befragen  den  namen  der  bürg. 
Minneburg,  und  schliesst  ihm  die  säule  auf.  Da  drinnen  steht, 
hinter  den  fenstern.  aus  glas  das  bildnis  eines  mannes,  ober- 
halb desselben  das  stählerne  bildnis  einer  hau.  Wenn  das 
frauenbild  sich  neigt,  so  blickt  es  in  das  gläserne  bild  des 
mannes  und  sieht  in  demselben,  was  sich  darin  von  aussen 
hinein  durch  die  fenster  der  säule  hindurch  abspiegelt.  Ein- 
mal erscheint  in  diesem  glasbildnis  das  bild  eines  mannes. 
Lange  blickt  das  frauenbildnis  dieses  abgespiegelte  bild  an; 
es  wird  darauf  schwanger  und  gebiert  sofort  ein  kind;  das 
ist  stark,  kennt  alle  sprachen,  es  hat  ein  schwaches  augen- 
liclit  und  erblindet  bei  zunehmendem  alter. 

In  cap.  II  (v.  354 — 009)  will  der  dichter  daz  bispel  reht 
iizleam.  Er  durchzieht  alle  Stätten  der  Wissenschaft,  um  einen 
weisen  meist  er  zu  finden,  der  ihm  die  natur  des  kindes  deute. 
Endlich  trifft  er  einen  solchen  in  dem  meister  Neptanaus  zu 
Alexandrien.  Dieser  fährt  mit  ihm  zur  Minneburg  zurück  und 
erklärt  :  das  kind  ist  die  minne.  die  bürg  ein  reines  weib,  der 
löwe  (hier  nur  einer,  in  cap.  I  ist  von  mehreren  die  rede)  ist 
ihre  eigene  hut  und  ehrgefühl,  die  sie  vor  schänden  bewahren, 
die  riesen  sind  ihre  angehörigen,  die  hunde  sind  kläffer  und 
Verleumder.  Wenn  diese  Wächter  schlafen,  dann  mag  der 
minner  ohne  schaden  in  die  bürg  gehen.  Weiter  deutet  er: 
die  säule  ist  ein  reines  weib.  die  fünf  fenster  sind  ihre  fünf 
sinne,  der  gläserne  mann  ist  ihre  Vernunft,  die  stählerne  frau 
ihr  freier  wille,  sie  sind  vater  und  mutter  der  minne. 

Cap.  1 1 1  (v.  070— 2285)  besteht  aus  fragen  des  kindes  und 
antworten  des  meisters  über  das  wesen  der  minne,  ist  also 
durchaus  didaktischen  inhalts.  Dazwischen  ist  ein  umhrbint 
gemacht,  v.  1421—2034.  enthaltend  persönliche  herzensergiex- 
sungen  des  dichters  an  seine  froutve  und  darauf  eine  rede 
über  das  thema  ich  bin  eigen  der  listen,  der  schönsten  und 
der  t  esten  (v.  1015—2034),  wobei  diese  eigenschaften  in  streng 
eingehaltener  disposition  der  reihe  nach  begrifflich  erörtert 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEHUKG. 


305 


und  begründet  werden.  —  Mit  v.  2285  schliesst  das  cap.  III, 
darauf  ist  wider  bis  v.  2673  ein  underbint  eingeschaltet ,  die 
anrufung  der  geliebten,  eine  minnerede. 

Cap.  IV  (v.  2077—3177).  Fortsetzung  der  allegorischen 
erzählung.  Das  kind  geht  mit  seiner  jungfrau  Cupido,  beyirde, 
spazieren.  Sie  gelangen  zu  einer  schönen  bürg,  die  wie  die 
Minneburg  von  einem  löwen,  riesen  und  hunden  bewacht  wird. 
Cupido  treibt  das  kind  an,  diese  zu  erobern.  Folgt  Schilde- 
rung der  bestürmung  der  bürg  durch  das  gesinde  des  kindes, 
der  unmasse,  unsittigkeit,  Unbesonnenheit  und  anderer,  und 
ihrer  Verteidigung  durch  masse,  stärke,  Weisheit.  Nach  wechsel- 
haftem, für  das  kind  anfangs  unglücklichem  kämpfe  kommt 
man  zu  friedlichen  Unterhandlungen  überein.  Der  rat  der 
Weisheit  wird  gebilligt,  nach  welchem  schliesslich  das  kind 
selbst  in  eigener  person  in  der  bürg  mit  der  burgherrin  ver- 
handelt. Die  beiden,  die  minne  und  die  frau,  verständigen 
sich,  aus  ihrer  Vereinigung  entsteht  ein  kind,  die  'widerminne'. 
Es  erhebt  sich  freude  ohne  zahl,  die  werte  bürg  wird  genannt 
das  edel  hüs  zu  Fröudenbere. 

v.  3178—3592  ist  eine  minne  rede,  underbint,  dazwischen 
eingeflochten  eine  minneklage  an  ken  n  Amor  und  Venus, 
die  der  dichter  in  einem  felsgebirge  antrifft,  in  das  er  vor 
minnekummer  gelaufen.   Darauf  folgt 

Cap.  V  (v.  3193  bis  schluss).  An  einem  sonntag  gehen  das 
kind  und  seine  amie,  gegen  die  Warnung  der  huotc,  vor  der 
bürg  spazieren.  Da  wird  dieselbe  von  einem  grossen  heer, 
den  kläffern  und  prüfern,  berannt,  Auf  rat  der  Weisheit  ver- 
birgt sich  das  kind  mit  seinem  gesinde,  den  belagerern  werden 
die  burgtore  geöffnet.  Da  sie  das  kind  nicht  finden,  entfernen 
sie  sich  wider.    Nun  bleibt  das  kind  herr  in  der  bürg:  sus  ist 

daz  leint  noch  sicherlich  gewalticlich  yeivaltic  des  huses  du 

zu  Fröudenbere.  —  Nach  so  hergestelltem  frieden  will  sich  das 
kind  seinem  gesinde,  der  treue,  Weisheit  und  gerechtigkeit, 
für  die  geleistete  hilfe  gefällig  erweisen.  Welche  der  frauen 
einen  treuen  (Liener  hat,  der  begründete  klagen  über  seine 
geliebte  vorbringen  kann,  dem  will  es  zu  seinem  rechte  ver- 
helfen. Darauf  beginnt  eine  gerichtsverhandlung.  Die  drei, 
Weisheit,  gerechtigkeit  und  treue,  führen  ihre  diener,  minnende 
edelknechte  und  ritter,  vor  den  richterstuhl  der  minne,  und 

Heiträge  cur  beschichte  der  deutschen  Spruche.  XXII.  20 


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306 


KHKISMANN 


diese  fällt  ihr  urteil  über  die  angetreuen  damen.  Mit  dem 
diener  den  frau  Treue  vorführt  (v.  4138  ff.),  ist  der  dichter 
selbst  gemeint,  und  der  ergreift  nun  das  wort  zu  endlosen 
minneklagen.  Am  anfang  einer  neuen  rede  bricht  die  hs.  P 
ab.  Wie  viel  noch  bis  zum  ursprünglichen  schluss  fehlt,  wie 
weit  diese  minneklagen  noch  fortgesetzt  wurden,  kann  aus  der 
Ökonomie  des  ganzen  nicht  gefolgert  werden,  da  schliesslich 
jedes  mass  in  der  compositum  des  Stoffes  aufgehört  hat.  Doch 
ist  das  V.  cap.  jedenfalls  das  letzte  gewesen,  da  es  vom  dichter 
selbst  als  solches  bezeichnet  wird  (v.  3188  und  3597). 

Das  ist  in  allgemeinen  zügen  der  inhalt  des  gedientes 
von  der  Minneburg.  Als  wichtigste  motive  treten  folgende 
hervor,  die  sich  zugleich  mit  der  capiteleinteilung  decken: 

1.  Natureingang.  Beschreibung  der  Minneburg  und  der 
säule      cap.  L 

2.  Auslegung  der  allegorie  des  I.  capitels  durch  einen 
weisen  meister  —  cap.  II. 

3.  Minnefragen  und  antworten  =  cap.  ITT. 

4.  Bestürmung  und  einnähme  der  Freudenburg  =  cap.  IV. 

5.  Sturm  der  kläff  er  auf  die  Freiidenburg.  Gericht  der 
minne  =  cap.  V. 

Alle  diese  motive  oder  wenigstens  verwante  züge  begegnen 
in  den  gleichzeitigen  minneallegorien  und  sind  beliebte  inventar- 
stücke derselben:  keines  beruht  auf  des  dichters  eigener  erfin- 
dung.  Kr  suchte  die  überkommenen  zu  vereinigen,  aber  es  ist 
ihm  nicht  gelungen,  sie  zu  einem  organischen  ganzen  zu  ver- 
arbeiten. Sie  eingehender  zu  würdigen  könnte  nur  geschehen 
auf  grund  zusammenfassender  Untersuchung  der  gesammten 
mittelalterlichen  literatur  der  minneallegorien,  zugleich  unter 
beobachtung  der  historischen  entwicklung  der  einzelnen  vor- 
stellungskreise.')  Kine  solche  fehlt  bis  jetzt,  auch  sind  viele 
dieser  gedichte  noch  gar  nicht  durch  den  druck  allgemein 
zugänglich  gemacht.  Das  umfassendste  einschlägige  werk, 
Trojels  Middelalderens  elskovshofer,  behandelt  nur  einen  teil 
des  Stoffes. 


')  Die  von  Erich  Hat  hniann  in  »einer  gehaltvollen  dissertation  über 
Everhard  von  Cersne  (1891)  allgekündigte  zusammenfassende  darstellung 
(daselbst  s.  55)  ist  bis  jetzt  nicht  erschienen. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURO.  307 

Es  sind  nun  aber,  worauf  zuerst  Raab  hingewiesen  hat, 
mit  der  zu  gründe  liegenden  rein  weltlichen  allegorie  züge 
aus  der  geistlichen  literatur  verquickt.  Die  darstellung  der 
gcburt  der  ininne  aus  Vernunft  und  freiem  willen  ist  eine  der 
mystik  entnommene  idee.  Vernunft  und  wille  sind  die  höheren 
kräfte  der  seele,  und  die  oberste  der  beiden  ist  die  Vernunft; 
die  minne  aber  ist  'eine  neigung  des  willens,  die  aus  der  er- 
kenntnis  der  Vernunft  entspringt'  (Preger,  I).  mystik  2,  151, 
vgl.  auch  s.  420.  422  u.  ö.).')  Auch  im  einzelnen  finden  sich 
mystische  gleichnisse  und  bilder:  v.  2230  ff.  wird  die  minne 
einem  edeln  bäum  gleichgesetzt,  was  an  die  mystische  palm- 
baumallegorie  (vgl.  Strauch,  Anz.  fda.  9, 121)  erinnert.  V.  2654 
wird  der  ausspruch  der  Martha,  Job.  11,  21  beigezogen:  die 
Martha  und  ihre  Schwester  Maria  behandelnden  bibelstellen 
(Luc.  10, 38.  Joh.  11,21)  sind  häufig  gegenständ  der  predigten 
und  mystischer  Symbolik.  Aber  alle  diese  der  mystik  und 
predigt  entlehnten  Vorstellungen  sind  hier  durchaus  in  welt- 
lichem sinne  aufgefasst,  sie  beziehen  sich  immer  nur  auf  die 
irdische  minne.  Gerade  die  Verwendung  jener  stelle  Joh.  11, 21: 
domine,  si  fuisses  hie,  f rat  er  mens  non  ftiisset  mortuus,  ist 
ein  deutliches  beispiel  der  verweltlichung  des  religiösen  Stoffes. 
Die  verse  der  Minneburg  lauten: 

2H54    wann  ich  mac  sprechen  als  Martha  sprach: 
'fron,  frou,  werst  du  hie  gewesen, 
min  früude  diu  w£r  wol  genesen 
und  wer  von  tod  erheset'. 

Ks  klingt  fast  wie  eine  profanierung  der  heiligen  worte. 

In  dem  grundmotiv  selbst,  von  dem  das  gedieht  den  namen 
hat,  in  dem  von  einer  bürg  der  minne  sind  ursprünglich  zwei 
ganz  getrennte  vorstellungskreise  vereinigt.  Den  ausgang  für 
die  weltliche  allegorie  bilden  einige  stellen  in  Ovids  Amores, 
vgl.  Raab  s.35,  wie  habet  sua  castrd  Cupido,  custra  Amoris. 
Hingegen  quelle  für  geistliche  auslegung  sind  alttestamentliche 
stellen,  Psalm  60,  4  und  Hohes  lied  4,  4  turris  David,  und  beson- 
ders die  oben  erwähnte  neutestamentliche  Luc.  10,  38  et  ipsc 
intravit  in  quoddam  castellum  (vgl.  hiezu  besondei-s  Salzer.  Die 

')  Hie  quellen  des  stoftes.  worüher  oben  nur  andeutungen  gegeben 
sind,  hoffe  ich  hei  anderer  gelegenheit  in  einem  grösseren  zusammenhange 
behandeln  zn  können. 

2U* 


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308 


EIIKISM  ANN 


Sinnbilder  und  beiworte  Mariens  s.  12.  284 — 292),  die  auf  die 
jungfrau  Maria  gedeutet  wurden.  Dem  entsprechend  ist  in 
der  weltlichen  allegorischen  dichtung  das  im  bild  der  bürg 
dargestellte  weibliche  wesen  die  irdische  geliebte,  die  atnie, 
in  der  geistlichen  die  heilige  jungfrau.  Es  lag  also  schon  im 
Stoffe  des  mhd.  gedichtes  eine  beiziehung  religiöser  elemente 
nahe.  —  Ebenfalls  ein  anknüpfungspunkt  an  die  geistliche 
literatur  liegt  in  der  episode  von  der  erstürmung  der  Freiiden- 
burg. Dieselbe  entspricht  dem  alten  geistlichen  thema  vom 
kämpf  der  tugenden  und  Köster,  welches  Raab  s.  25  ff.  schön 
entwickelt  hat.  Und  widerum  steht  dieses  motiv  der  psycho- 
machie  in  ideenverbindung  mit  dem  von  der  heiligen  jung- 
frau als  easteUum,  turris  dadurch  dass  diese  bürg  verwahrt 
ist  durch  Verteidigungswerke,  das  sind  die  tugenden  (Salzer 
s.  284  ff.). 

Das  zu  gründe  gelegte  schema  der  fünf  capitel,  in  welches 
sich  der  stoff  gliedert,  ist  klar  und  durchsichtig,  und  diese 
anordnung  ist  im  gedichte  auch  eingehalten.  Aber  die  ein- 
zelnen elemente  des  Stoffes  sind  nicht  durchweg  in  glatten 
innern  Zusammenhang  gebracht  und  sind  ganz  ungleichmässig 
behandelt.  Von  einer  richtigen  Verteilung,  einer  ebenmässigen 
gliederung  ist  keine  rede.  Es  mangelt  dem  dichter  überhaupt 
der  begriff  für  Verhältnisse  des  masses  und  die  fähigkeit  der 
abwägung  verschiedener  werte.  So  ist  wichtiges  und  unwich- 
tiges unterschiedslos  und  gleichwertig  behandelt.  Diese  form- 
losigkeit  nimmt  im  verlauf  des  gedichtes  immer  mehr  zu.  So 
ist  in  den  beiden  ersten  capiteln  die  erzählung  und  allegorische 
deutung  verhältnismässig  einheitlich  durchgeführt  und  nicht  zu 
weitläufig,  wie  sich  schon  an  dem  geringeren  umfang  dieser 
capitel  bemerken  lässt.  In  den  beiden  letzten  dagegen  steht 
die  ausführung  in  gar  keinem  Verhältnis  zu  dem  dürftigen 
inhalt.  Die  übermässige  anschwellung  bei  der  armut  des 
Stoffes  wird  besonders  veranlasst  durch  die  reden,  lyrische 
zwischenschiebsel,  welche  der  dichter  underbint  nennt,  zum 
unterschied  von  dem  eigentlichen  thema,  der  materge  (s.  oben 
s.285).  Diese  minnereden  unterscheiden  sich  in  metrik  (s.  s.285) 
und  stil  (s.  s.  313)  von  der  allegorischen  erzählung  und  den 
lehrhaften  stellen.  Sie  wirken  mit  ihren  geschraubten  phrasen 
besonders  ermüdend  und  die  eintönigkeit ,  die  das  lesen  des 


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DAS  MHP.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBÜRO. 


809 


gefliehtes  unerquicklich  macht,  wird  in  ihnen  am  meisten 
verspürt. 

Es  scheint,  nach  diesem  fortschreitenden  anwachsen  des 
umfangs,  dass  der  dichter  seine  arbeit  ursprünglich  kleiner 
beabsichtigt  hatte,  im  laufe  des  hervorbringens  aber,  vom 
Stoffe  beherscht  statt  über  ihm  stehend,  seiner  redseligkeit 
keine  schranken  mehr  zu  setzen  wusste. 

Mit  dieser  Planlosigkeit  hängen  auch  andere  mängel  in 
der  behandlung  des  Stoffes  zusammen.  Mehrfach  werden  mo- 
tive  widerholt,  so  die  geburt  der  minne  in  cap.  I,  der  wider- 
minne  in  cap.  V;  die  Schilderung  der  Minneburg  in  cap.  I  und 
der  bürg  zu  Freudenberg  in  cap.  V;  der  stürm  auf  die  Minne- 
burg, in -cap^nV  auf  Freudenberg  in  cap.  V;  Spaziergang  des 
kindes  in  cap.  IV  und  V.  Auch  in  diesen  widerholungen  zeigt 
sich  die  mangelhafte  erfind ungsgabe  des  Verfassers.  —  Anderes, 
das  stark  betont  war,  wird  in  der  folge  vergessen.  So  wird 
die  mit  dem  alter  zunehmende  erblindung,  die  in  cap.  I  und 
bei  der  auslegung  in  cap.  III  als  wesentliche  eigenschaft  des 
kindes  hervorgehoben  ist,  im  verlauf  der  erzählung  ganz  ausser 
acht  gelassen.  I überhaupt  lässt  sich  die  Vorstellung  von  der 
allegorischen  figur  der  minne,  wie  man  sie  aus  cap.  I — III  ge- 
winnt, mit  den  ausführungen  von  cap.  IV  und  V  nur  schwer 
vereinigen.  —  Auch  offenbare  Widersprüche  finden  sich.  So 
kurz  nach  einander  in  cap.  II  bei  der  deutung  der  Minneburg 
und  der  säule:  beide,  sowol  die  bürg,  worin  die  säule  steht, 
als  diese  säule  bezeichnen  ein  reines  weib. 

Der  dichter  hat  sich  von  vornherein  keinen  festen  plan 
gebildet,  hat  sich  selbst  die  verschiedenen  motive  nicht  deut- 
lich vorgestellt.  Darauf  und  auf  der  künstelei  des  stiles  be- 
ruht die  Unklarheit,  die  man  ihm  mit  recht  zum  Vorwurf 
gemacht  hat  (Raab  a.a.O.);  doch  liegt  die  unverständlichkeit. 
die  Raab  rügt,  zum  teil  in  der  beschaffenheit  der  von  ihm 
benutzten  Wiener  hs.  (w),  in  welcher  die  unentbehrlichen 
verse  247—34:3  ausgelassen  sind  (s.  oben  s.  303). 

Es  ist  indes  immerhin  möglich,  dass  der  dichter  ursprüng- 
lich zwei  ausgaben  veranstaltet  hatte,  eine  kürzere,  die,  wie  B, 
mit  der  endgiltigen  behauptung  der  Freudenburg  durch  die 
minne  abschloss,  und  eine  um  das  minnegericht  und  die  dort 
eingestreuten  reden  nachträglich  verlängerte,  wie  sie  in  A 


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310  EHRISMANN 

(=  P)  vorliegt.  Dafür  dass  in  der  ersten  anläge  in  der  tat 
das  minnegericht  nicht  einbegriffen  gewesen  wäre,  könnte  der 
umstand  sprechen,  dass  in  der  inhaltsangabe,  die  im  text  selbst 
das  V.  capitel  einleitet  (v.  3596 — 3604)  und  in  prosa  in  dem 
allgemeinen  register  dem  gedichte  vorgesetzt  ist  (s.  s.  257),  nur 
angeführt  wird,  dass  die  minne  die  bürg  gewann  und  wie  die 
burc  behalten  wart,  von  dem  gerichte  aber,  das  mit  den  ein- 
gestreuten reden  doch  über  1500  verse  beansprucht,  gar  nicht 
die  rede  ist.  Die  oben  getadelten  auswüchse  in  der  composition 
wären  dann  vom  dichter  zum  teil  erst  bei  der  erweiterung 
hineingebracht  worden.  Das  unerweiterte  gedieht  würde  dann 
bis  v.  3806  der  jetzigen  fassung  A  gereicht  haben,  womit  auch 
ein  passender  schluss  gegeben  wäre: 

v.  sus  ist  daz  kint  noch  sicherlich 

^ewalticlich  gewaltic 
mit  ereil  manicfaltic 
des  huses  da  zu  FrCmdenberc ; 
ez  hat  ouch  daz  zubrochen  were, 
daz  da  tfevallen  was  dernider. 
allez  schon  irebnwet  wider. 

Aber  mit  Sicherheit  ist  in  dieser  frage,  zumal  ohne  kenntnis 
des  Schlusses  von  A,  der  ja  in  P  fehlt,  kein  urteil  abzugeben. 

Inhalt  von  B. 

Der  grössere  teil  von  B,  v.  81—3118  (A)  hat  den  gleichen 

text  wie  A.  verschieden  sind  der  eingang  und  der  schluss 

(s.  s.  276):  statt  v.  1    «SO  in  A  hat  B  180  verse,  davon  steht  den 

verseil  1— 134  B  in  A  gar  nichts  entsprechendes  gegenüber. 

Auf  eine  anrufung  der  geliebten  (v.  1-17)  lässt  der  bearbeiter 

in  v.  17—28  eine  anspielung  auf  seine  änderung  des  textes 

folgen,   wenn  anders  die  hier  gegebene  erklärung  dieser 

schwierig  zu  verstehenden  verse  richtig  ist: 

v.  1 7  ff.  B  wes  sich  hie  min  sin  vervächt 

min  underwinde.  in  dem  anfang  und  dem  end, 

ob  ich  bin  des  der  blinde  so  bin  ich  doch  der  bekennt, 

der  sich  in  fremdmig  wirret.  ich  sprich:  'daz  mittel  prisen 

so  blibt  doch  un^eirret  gedichtes  kunst  die  wisen'. 

daz  bezzer  nie  vor  tremacht.  merket  nu  des  underscheid! 

nn  t'urlmz  hin.  verneint  uns  beid! 

'Mein  unterfangen  (underwinde,  ein  zu  sich  underwinden  aufs 
geratewol  gebildetes  Substantiv),  wenn  ich  auch  damit  ein  blinder 


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DAS  MHD.  GEPICHT  VON  DER  MINNE  BURG. 


311 


bin.  der  sich  ins  fremde  verirrt  (anakolnth)  —  so  bleibt  doch 
ungestört  (unangetastet)  das  niemals  vorher  besser  gemachte 
(nämlich  der  unübertroffene  mittelteil  des  gedientes).  Wessen 
ich  mich  auch  unterfange  am  an  fang  und  am  ende,  so  be- 
kenne ich  doch  und  spreche:  die  mitte  preisen  die  kunst- 
verständigen. Merkt  nun  den  unterschied  darin!  Nim  wohin, 
vernehmet  uns  beide  (d.h.  den  ursprünglichen  dichter  und  mich)!' 

V.  29—134  B  enthalten  einen  preis  der  dreieinigkeit  und 
göttlichen  minne.  v.  135 — 180  B  schildern  dann  ebenfalls  den 
sommerspaziergang  des  dichters,  aber  in  anderer  auffassungsart 
und  darstellung  als  A:  er  kommt  in  einen  schattigen,  quell- 
durchrauschten  tannwald,  dann,  am  ufer  eines  baches  entlang, 
auf  das  blumige  gefilde.  Der  Spaziergang  wird  in  eine  freund- 
lichere gegend  verlegt  als  in  A,  wo  die  Schrecknisse  des  gebirgs 
und  des  wildbachs  zu  überwinden  sind.  Darauf  folgt  das  in 
A  und  B  gleiche  mittel.  Mit  v.  3119  beginnt  B  wider  von  A 
abzuweichen.  V.  3119-  3177  in  A  sind  in  B  (v.  3219— 3272) 
nur  im  Wortlaut  verändert,  nicht  auch  im  inhalt.  Der  in  A 
folgende  nnderbint  v.  3178 — 3592  ist  in  B  weggelassen,  dieses 
setzt  wider  ein  mit  cap.  V  und  erzählt,  inhaltlich  wie  A  aber 
in  verschiedener  sprachlicher  widergabe,  den  Spaziergang  des 
kindes,  den  stürm  der  kläffer  auf  Freudenberg  und  die  wider- 
herstellung  der  ungestörten  herschaft  der  minne  (v.3273— 3426B 
—  3605 — 3825  A).  Der  ganze  weitere  inhalt  des  cap.  V  bei  A, 
das  gericht  der  minne  mit  den  eingeflochtenen  minnereden,  ist 
von  B  weggelassen  und  dafür  ein  ganz  selbständiger  schluss 
gebildet  (v.  3427—3(527  B).  Dieser  ist,  wie  der  eingang  v.  29— 
134  B  bezeichnend  für  den  bearbeiter:  es  wird  hier  wie  dort 
ein  religiöses  monient  in  den  interessenkreis  gezogen,  von  dem 
die  längere  fassung  frei  ist.  V.  3427—35(34  preist  er  die  minne, 
aber  nicht  lediglich  die  irdische,  sondern  er  fasst  unter  diesem 
begriff  die  himmlische  mit  ein  und  macht  in  ihrer  beider 
Wesenheit  keinen  unterschied.  nanz  der  religiösen  betrach- 
tung  ist  das  ende  geweiht  (v.  3565—3(328).  Ks  sind  wider 
fragen  des  kindes  und  antworten  des  meistens:  'es  ist  betrü- 
bend, dass  der  tod  die  liebe  scheidet':  —  'deshalb  sollst  du 
ganz  die  liebe  gottes  in  dich  aufnehmen':  dann  die  frage:  'wer 
ist  gott?'  und  zuletzt:  'wie  wirkt  gottes  gnade  im  menschen?' 

B  ist  um  etwa  1500  verse,  d.  h.  mehr  als  ein  viertel,  kleiner 


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EHRTSMANN 


als  A;  gerade  die  so  breit  ausgesponnene,  mit  dem  vorher- 
gehenden in  gar  keinem  notwendigen  Zusammenhang  stehende 
schlusspartie  von  dem  gericht  der  minne  fehlt,  und  dies  zum 
vorteil  für  die  abrund ung  und  einheitlichkeit. 

Die  gründe  für  seine  änderungen  hat  der  bearbeiter  in  den 
obigen  versen  (s.  310)  nicht  angegeben.  Es  sind  zwei  wesent- 
liche punkte,  in  denen  seine  fassung  von  A,  so  wie  es  in  P 
überliefert  ist,  abweicht,  einmal  eben  die  kürze  des  schluss- 
teils  —  doch  ist  nicht  zu  entscheiden,  ob  er  hier  wirklich 
selbständig  eine  dem  umfang  von  P  entsprechende  redaction 
des  gedichtes  gekürzt  hat,  oder  ob  ihm  nicht  überhaupt  jene 
oben  s.  300  f.  in  frage  gebrachte  erste  kürzere  ausgäbe  vorlag. 
Und  dann  sein  religiöse  tendenz.  Damit  ist.  wenigstens  stellen- 
weise, eine  Verschiebung  des  ethischen  hintergrundes  ein- 
getreten. W  ährend  in  A  auch  die  dem  religiösen  gedankenkreise 
entnommenen  teile  des  Stoffes  ganz  nur  der  Verherrlichung  der 
irdischen  minne  dienen,  strebt  seine  Sehnsucht  über  das  ver- 
gängliche hinaus  zum  ewigen,  zu  der  liebe  gottes  und  seiner 
barmherzigkeit.  Aber  seine  kräfte  sind  zu  schwach  um  der 
grosse  dieser  idee  ausdruck  verleihen  zu  können,  und  in 
äusserlicher  weise,  unvermittelt  mit  dem  das  ganze  beherschen- 
den  geiste,  sind  am  anfang  und  am  schluss  seine  frommen 
gedanken  in  ungelenken  versen  ausgesprochen. 

Die  prosa. 

Die  prosa  benutzte  die  bearbeitnng  K  als  gnmdlage.  nur 
in  nebendingen  des  Wortlautes  ist  auch  auf  A  eingegangen 
(s.  s.  270).  Umgeändert  ist  die  kurze  abhandlung  über  die 
dreieinigkeit,  die  B  im  eingang  enthält,  indem  andere  eigen- 
schaften  derselben  hervorgehoben  werden.  Grössere  abweich- 
ungen  finden  sich  sonst  nur  in  den  fragen  und  antworten  des 
cap.  III,  von  denen  einige  ganz  weggelassen,  andere  nicht  in 
der  ursprünglichen  reihenfolge  aufgenommen  rind.  Dreimal 
linden  sich  einschaltungen  lehrhafter  art:  1.  aufzählung  der 
kenntnisse  des  weisen  meisters,  2.  die  vier  stufen  im  Wachstum 
der  minne,  3.  Verhältnis  der  minne  zu  seele  und  leib  mit  be- 
rufung  auf  Aristotilcs  und  sein  Buoch  von  dcrnatur.  Am  meisten 
aber  ist  der  ursprüngliche  Charakter  geändert  durch  weg- 
lassung der  minnereden.    Das  lyrische  element  ist  demnach 


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DAS  MHD.  GEPICHT  VON  DER  MINNE  Hl"  RH. 


313 


zurückgedrängt,  das  allegorisch -didaktische  herscht  durchaus. 
Belehrung  ist  der  hauptzweck.  Darum  auch  die  form  der 
prosa.  Besonders  die  Zergliederung  des  wesens  der  minne  in 
dem  Schema  von  fragen  und  antworten  macht  den  ei nd ruck 
eines  mittelalterlichen  lehrbuchs  in  art  des  Lucidarius  oder 
eines  wissenschaftlichen  tractates  (vgl.  unten  gegen  schluss 
von  IV). 

An  umfang  ist  die  prosa  noch  kürzer  als  B,  besondere 
durch  die  abstossung  der  minnereden.  Dadurch  ist  aber  auch 
das  Verhältnis  von  inhalt  und  ausdehnung  ein  ebenmässigeres 
geworden  als  in  B  und  noch  mehr  als  in  A.  Auch  die  glie- 
derung  des  Stoffes  ist  in  annehmbaren  massen  gehalten.  Kr 
verteilt  sich  in  folgender  weise: 

3  Seiten  der  hs.  religiöse  einleitung, 
ca.  11     „      „    „  allegorische  erzähiung, 
ca.  22     ,.       „    r  lehren  in  fragen  und  antworten. 
11     „       „     ,.  wider  allegorische  erzähiung, 
6  „    „  schliLss,  bet  rächt ungen  über  die 

minne,  über  gott  ihren  Urheber. 


IV. 

Stil.   Die  geblümte  rede.   Meister  Egen. 

Der  dichter  hat,  wie  schon  bemerkt,  innerhalb  des  eigent- 
lichen themas,  der  mahnte,  grossere  abschnitte  lyrischen  und 
reflectierenden  inhalts  eingeschaltet  (underbhü  oder  tmihrbttnt), 
die  er  selbst  mit  rede  bezeichnet.  Kr  hält  die  Scheidung 
strenge  ein  und  unterlässt  nie  es  ausdrücklich  zu  bemerken, 
wenn  eine  rede  anfängt.  Wie  im  inhalt.  so  sind  auch  in  der 
metrischen  form  (s.  s.  285)  und  im  stil  nmterge  und  rede  von 
einander  unterschieden.  In  den  erzählenden  und  lehrhaften 
teilen,  in  der  nutterye,  entfernt  er  sich  nicht  von  der  normalen 
ausdrucksweise,  rharakteristiseh  aber  für  ihn  und  für  eine 
gewisse  richtung  des  14.  15.  jh.'s  ist  der  stil  der  reden.  Hier 
ist  die  darstellung  zur  geschmacklosesten  manier  ausgeartet, 
als  oberster  ästhetischer  grundsatz  gilt:  um  jeden  preis  originell 
sein.  Lächerlich  geradezu  wirkt  die  sucht,  etwas  noch  nicht 
dagewesenes  zu  bieten,  den  bombast  der  Vorgänger  noch  zu 
übertrumpfen.   Der  mangel  an  innerer  Wahrheit  soll  verdeckt 


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EHRISMANN 


werden  durch  unendlichen  phrasenschwall ,  und  in  diesem 
haschen  nach  effecten  zeigt  sich  am  grellsten  die  ganz  mittel- 
mässige  begabung  des  Verfassers.  Vom  ästhetischen  Standpunkt 
aus  ist  das  abfällige  urteil  von  Gervinus  (Gesch.  d.  d.  dichtung 
2*,  443)  gerechtfertigt,  von  diesem  aus  verdient  das  gedieht 
keine  weitere  beachtung.  Entwicklungsgeschichtlich  be- 
trachtet ist  jedoch  diese  manier  nicht  ohne  interesse,  denn 
sie  beruht  nicht  auf  den  verrückten  einfallen  eines  einzelnen, 
sondern  sie  ist  typisch  für  eine  absonderliche  geschmacksrich- 
tung  in  der  späteren  mhd.  dichtkunst  und  findet  sich  nirgends 
so  ausgeprägt,  so  deutlich  von  dem  gewöhnlichen  stile  ab- 
gehoben als  eben  in  der  Minneburg.  Es  ist  die  sogenannte 
geblüemte  rede.  Der  dichter  selbst  wendet  diesen  technischen 
ausdruck  an  v.468f.: 

er  künde  kriechisch,  er  künde  kaldeinrk 
mit  geblflemter  rede  gemacht  gnoter; 

ferner  mit  Worten  wol  gebh'iemet  v.  1651.  1811.  1939,  diu  kluoge 
rede  v.  2395.  2719,  ein  rede  fin  v.  5346,  es  sind  Wiehe  sprüche 
v.  689,  wild iu  wort  v.  696.  4641,  die  nicht  jedermann  versteht, 
deren  abfassung  sowol  als  auslegung  einen  gewissen  grad  ge- 
lehrter bildung  voraussetzt.  Durch  diese  bezeichnungen  ist 
die  manier  passend  gekennzeichnet.  Geblüemt  sind  die  minne- 
reden durch  eine  Überfüllung  mit  gesuchten  und  geschraubten 
bildern,  vergleichen  und  hyperbeln,  und  durch  4  wilde \  d.  h. 
seltsame  und  fremdartige  worte  und  Wortbildungen. 

Doch  nicht  nur  durch  die  stilistische,  sondern  auch  durch 
die  metrische  form  zeichnen  sich  die  reden  von  der  materge 
aus.  Als  besonderheit  des  versmasses  in  den  lyrischen  stücken 
ist  schon  oben  s.  285  die  beliebtheit  der  klingend  endigenden 
verse  angegeben.  Die  formale  künstelei  besteht  aber  vor  allen 
dingen  in  der  wähl  der  reim  Wörter,  der  effect  soll  erzielt 
werden  durch  auffallende,  bislang  unerhörte  bindungen.  Des- 
halb finden  sich  die  wilden  wort  in  grosser  anzahl  in  diesen 
reimen  der  minnereden.  Der  dichter  nennt  sie  spehe  rime 
v.  2303,  als  gegensatz  zu  den  slehten  rimen  v.  4285,  und  spielt 
auf  sie  wol  auch  an  mit  dem  ausdruck  mit  khtoger  suezer  ritne 
tritel  (tritt)  v.  351.  Indem  so  der  Schwerpunkt  in  den  reim 
verlegt  wird  und  der  ausgang  des  verses  überwiegend  das 
interesse  auf  sich  zieht,  ist  auch  das  'ethos'  der  verse  in  den 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBClUi. 


315 


reden  ein  merklich  verschiedenes  von  dem  der  in  ebener  Stim- 
mung verlaufenden  Zeilen  der  erzählung  und  lehre. 

Am  besten  wird  ein  beispiel  die  Verschrobenheit  und  den 
schwulst  der  geblümten  rede  zeigen: 

v.  2305  ff.: 


S  ach  got  wie  ist  verwelket, 
vermnret  und  verkelket 
in  mich  der  Minne  kunder! 
die  Minne  hat  niuwe  wnnder 
mir  in  daz  herz  gestiftet. 

10  ich  forht,  mir  si  vergiftet 
min  fröndenricher  wände], 
daz  ich  für  fröuden  mandel 
werd  ezzen  leides  zidelbast! 
ir  minneclicher  süezer  glast 

15  mich  in  dem  herzen  kützelt. 
daz  mir  min  fremde  verhutzelt 
ist  nnd  mich  gar  verdorret, 
also  bin  ich  verstorret ! 
si  hät  mir  ab  geblundert 

20  min  fröude.  daz  mich  halt  wundert 
wie  ich  si  so  veraffet. 
ich  hän  sie  angeglaffet 
lang  mit  miner  ougen  zwirbel. 
daz  mines  libes  sinues  wirbel 

25  ist  nf  sie  getorkelt. 

un  beert  wie  sie  mich  niorkelf. 
zudresch  und  uuch  zumürsehet. 


radnoc  und  oncfa  zupfnürschet ! 
ob  sie  vor  fröuden  kittrrt 

30  wenn  mir  min  herze  zittert, 
und  ob  sie  darum h  sniiuwet 
ob  ich  mich  durch  sie  frönwet? 
tet  sie  daz.  so  würd  mir  dorren 
min  herze  glich  dem  dürren  stor- 

35  also  würd  ich  gederret!  [ren, 
ist  daz  sie  mir  derkerret 
min  herz,  daz  ez  derkirret 
und  sam  ein  doner  zirret. 
so  bin  ich  fröud  verirret. 

40  swie  sie  sich  von  mir  virret, 
so  wirt  min  herze  pfimpfeu 
und  sam  ein  kole  dimpfen 
daz  ich  vor  ungelimpfen 
niht  fürhaz  mac  geschimpten. 

45  darzu  wird  ich  zuhadert, 
zuzerret  und  zufladert, 
zurizzen  und  zulumpert. 
daz  trtiren  umb  mich  slmupert 
ob  sie  sich  gein  mir  wildert 

50  und  nicht  geiu  mir  gemildert. 


Diese  probe  zeigt  schon,  wie  der  dichter  sich  abhetzt  mit 
ästhetischen  figuren.  metaphorischen  ausdrücken  und  hyperbeln, 
aus  deren  wirrsal  sicli  kaum  eine  deutliche  Vorstellung  los- 
ringen kann.  Kine  auslese  der  gesuchtesten  und  abgeschmack- 
testen bilder  und  vergleichungen  möge  noch  zur  Verdeutlichung 
der  geblümten  rede  angeführt  sein'): 

v.  45S    wie  der  künste  ein  blüendez  zwi 

durchsaffet  hab  im  {dem  meister  Xrjrtanaun)  siniu  lider. 


»)  Der  dieselbe  ebenfalls  charakterisierende  Wortschatz  soll  an  anderer 
stelle  behandelt  werden.  Viele  gar  nicht  oder  selten  belegte  Wörter  sind 
nach  der  Wiener  hs.  w  von  Schönbach  für  Levers  Handwörterbuch  bd.  2 
und  3  geliefert  worden. 


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316 


EHRISMANN 


v.670  ff.: 


ei  knnst,  tuo  mich  mit  wiz  durchborn, 
wenn  ich  ob  kttnsten  tischelin 
sitze  und  hin  niht  sinnes  win 
daruf  noch  k  misten  wilpret! 
ich  hau  von  wiz  ouch  kein  geret 
daz  mir  min  groliez  herze  erquick 
und  künsten  sterke  in  mich  schick. 


daz  ich  der  hohen  künsten  kluoe 
bis  her  nie  han  gehabt  genuoe 
zn  ezzen  noch  zu  smecken 
und  sie  niht  moht  bestecken 
under  mines  sinne*  riben, 
des  ist  min  sin  gar  klein  bekliben 
reht  alsam  ein  klein  getwerc. 

Oder  1562  ff.: 


nüns  armen  herzen  finrstein 
rüert  hart  an  alle  zerte 
diu  (fl.  i.  der  Minne)  staheltinrisen 

herte, 

da  zwischen  hat  gestözen  zunder 
ein  zartez  wip,  des  lohen  ein  wunder, 
bewart  von  meiles  «merzen, 
daran  mins  leides  swefelkcrzen 
für  war  sin  entzündet, 
die  hau  fürbaz  angekündet 


mins  herzen  hüs,  daz  ez  an  st  iure 
stet  in  hohen  lohen»  fiure 
und  brennet  stete  tac  und  naht, 
der  ronch  mir  tempfet  libes  maht. 
ei  knm,  vil  süeze  troasterinne, 
lesch    mich    mit    tröstes  wazzere 

minne ! ') 
hilf  mir  nz  noeten,  die  ich  dol, 
wann  ininer  frönden  swarzer  kol 
glimmet  ser  in  leides  hitze. 
n.  s.  w. 


v.1708  ff.: 

daz  sie  mit  violischen  Sprüchen 


den  Unten  in  ir  ören  rüchen! 


künd  ich  mit  lobes  gezierde 
die  sinne  hier  nmhzisiuen, 
dnrchbalsmen  und  durchbismen, 

v.  2550  f.: 

ez  sint  mins  herzen  hend  un«l  bein     znsamen  onch  gelidet  . . . 

V.  3730  ff.: 

von  inwerm  smac  kreften  rieh 
haz  und  nit  der  keinez 
noch  ihr  gesieht  unreinez  . . . 
mügen  gewonen  nimmer 


reht  als  der  dahs  daz  fliuhet 

da  der  fnhs  gehamet  hat, 

sin  art  in  niht  beliben  lät 

swä  im  der  selbe  smac  wirt  knnt: 


als«\  Minne,  swä  ir  ein  stunt 
sit  reht  gewesen  genzlich 


genzlich  in  dem  gezimmer. 


Etwa  ein  dritteil  der  Minneburg  ist  in  dieser  schwülstigen 
manier  abgefasst.  Sie  wird,  als  in  den  reden,  vornehmlich  da 
angewendet,  wo  gesteigerte  gefühle  zum  atisdruck  gebracht 
werden  sollen,  hier  natürlich  meist  solche  der  minne.  Da  wirkt 
der  hohle  bombast  oft  geradezu  lächerlich,  in  dem  phrasentum 
tritt  des  Verfassers  mangel  an  künstlerischer  begabung  nur 

')  Statt  'mit  dem  trostwasser  der  minne'. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


317 


allzu  deutlich  zu  tage.  Nicht  unwillkürlich  kleiden  sich  die 
gedanken  in  bilder,  sondern  mit  Spitzfindigkeit  sind  diese  aus- 
geklügelt. Abgesehen  von  der  Überfüllung  und  der  nicht 
seltenen  geschmacklosigkeit  decken  sich  die  tropen  oft  gar 
nicht  mit  den  zu  gründe  liegenden  gedanken  oder  sind  in  sich 
nicht  einheitlich  und  logisch  durchgeführt.  In  folge  der  mehr- 
fachen bezugnehmungen  auf  die  malerei  könnte  man  ein  ge- 
schärftes beobachtungsvermögen  bei  dem  dichter  voraussetzen. 
Aber  es  mangelt  ihm  die  ansehauungskraft,  die  gegenständ- 
liches in  scharfen  umrissen  zu  fassen  versteht,  und  ein  sicheres 
und  geordnetes  vorstellungsvermögen. 

Ein  in  der  geblümten  manier  übertrieben  angewendeter 
stilistischer  kunstgriff  besteht  darin,  statt  eines  einfachen 
Substantivs  eine  uneigentliche  substantivische  compositum,  sub- 
stanth\mit  vorangehendem  substantivischem  genitiv,  zu  setzen, 
wobei  der  ursprüngliche  begriff  in  den  genitiv  tritt.  Je  nach 
dem  logischen  Verhältnis  beider  begriffe  ist  die  so  entstehende 
Umschreibung  mehr  oder  weniger  passend,  jedenfalls  ist  sie  oft 
schwerfällig  und  gekünstelt,  in  den  meisten  fällen  überhaupt 
überflüssig,  indem  von  dem  durch  ein  Substantiv  (dem  im 
genitiv  stehenden)  ausgedrückten  grundgedanken  durch  die 
erweiterung  vermittelst  eines  zweiten  Substantivs  doch  nichts 
wesentlich  neues  ausgesagt  wird,  z.  b.  äne  zwifels  rete  ist  so 
viel  wie  äne  zwifel,  der  rede  kri  —  diu  rede,  zornes  pflihl  = 
zorn,  von  gcwaltes  sinnen  —  von  gewalte,  an  spotens  hon  = 
äne  spot,  der  steine  rotsehen  =  Belsen',  der  Vernunft  list  = 
'Vernunft'  u.  s.  w.,  vgl.  auch  Weinhold,  Lamprecht  von  Kegens- 
biu'g  s.  10.  In  weiter  ausgeführten  bildern  häutig  angewendet 
tragen  sie  hauptsächlich  zur  versehnörkelung  des  stiles  bei, 
z.  b.  v.  1750  ff.:  seine  dame  ist  dem  dichter  feindselig,  diese 
tatsache  ruft  in  ihm  die  Vorstellung  eines  bildes  von  einem 
kämpf  hervor:  die  frau  nimmt  ihrer  minne  tanzen  (vgl. 
Parz.  76, 14)  und  wirft  sie  auf  seines  sinnes  blatten  (blatten- 
hai  nisch);  sie  gibt  ihm  manchen  stoss  auf  seines  muotes  heim, 
dass  er  auf  der  sorgen  melm  vor  sie  'burzelt';  dann  zieht 
sie  ihn  mit  leides  seil  auf  der  sorgen  er  her,  lässt  ihn  in 
traue  ms  her  her  fallen  und  schlägt  ihn  in  unmuts  block 
u.s.w.  Häufig  sind  die  beiden  Substantive  fast  bedeutungs- 
gleich,  umgekehrt  besteht  oft  ein  innerer  Zusammenhang 


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:U8 


KIIKISMANN 


zwischen  ilineii  überhaupt  nicht,  sondern  willkürlicli  sind  in 
dem  rahmen  eines  einmal  begonnenen  bildes  einzelne  bestand- 
teile  dieses  bildes  auf  einzelne  begriffe  der  zu  gründe  liegenden 
idee  angewendet.  So  sind  an  eben  angeführter  stelle  aus  dem 
bilde  heraus  die  Vorstellungen  von  lanze,  blatte,  heim 
u.  s.  w.  ohne  weiteres  den  der  zu  gründe  liegenden  gedanken- 
reihe angehörenden  abstracten  begriffen  minne,  sinn,  muof 
u.  s.  w.  beigelegt.  Auf  diese  rein  äusserliche  weise  sind  viele 
der  bildlichen  ausführungen  des  gedientes  entstanden.  Die 
beiden  gedankenreihen,  die  der  nackten  tatsache  und  die  in 
tropen  gekleidete,  kreuzen  sich  dabei  fortwährend,  ein  los- 
gelöstes, in  sich  abgeschlossenes  und  durch  sich  selbst  inter- 
essierendes bild  entsteht  nicht.  Eines  der  stärksten  beispiele 
für  diese  manier  bilden  die  von  W.  (Trimm,  Heldensage1 8. 288 
angeführten  verse.  —  Einige  male  ist  das  logische  Verhältnis 
der  beiden  Substantive  im  sprachlichen  ausdruck  geradezu 
umgedreht,  so  z.b.  v.  565  f.  ez  si  denn  daz  enbrinne  der  starken 
weter  minne  statt  diu  storken  wehr  der  minne;  1575  f.  ei 
htm,  ril  st'ieze  trwsterinne,  lesch  mieh  mit  tröstes  wazzers 
minne  statt  'mit  dem  trostwasser  der  minne'  (s.  s.  310). 

Weniger  häufig  kommen  zweigliedrige  ausdrücke,  aus 
synonyma  bestehend,  vor,  mit  und  ohne  bindewort,  z.  b.  ermahnt 
und  erdöz  31,  mit  gir  und  otteh  mit  grözem  (fit  292,  zutrennet 
und  zutraut  300,  mit  här  mit  hiute  1720,  umb  stittr  umb  keif 
1675,  wenden  keren  22;  asyndetische  aneinanderreihungen  be- 
gegnen überhaupt  öfter,  so  noch:  daz  kint  die  kamerer  die  ndmen 
522,  waz  si  diu  burc  diu  siule  umgrabt  668,  teer  din  leben  in 
herz  in  Ith  785  u.  a.  Auch  dreigliedrige  synonymische  formein 
finden  sich,  wie  durchfinet,  durchglenzet  und  durehschinet  147. 

Bei  all  seiner  Virtuosität  beherscht  der  Verfasser  die 
spräche  doch  nicht  recht,  das  zeigt  sich  in  groben  Verletzungen 
gewöhnlicher  sprachregeln,  z.  b.  Vernachlässigung  der  flexion 
v.  240  f.:  daz  gap  dar  inne  ril  Hehlern  sehtn  dann  uzen  dran 
und  glenzer  (statt  glenzern)  im  reim  auf  genzer.  Fehler  in 
modus  und  tempus  des  verbs  v.  2326  ff.  (vgl.  s.  315)  nu  ha  rt 
wie  sie  mieh  morkelt  \md.  praes.),  zudresch  (conj.  praes.)  und 
oueh  zumiirschet  (ind.  praes.),  zusluoe  (ind.  praet.)  und  oueh 
zupfnürsehet  (ind.  praes.)  u.  a. 

Den  stil  ins  einzelne  zu  verfolgen  dürfte  sich  bei  der 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MTXNE1IUKG. 


319 


mässigen  literarischen  bedeutung  des  gedieht  es  nicht  lohnen, 
lind  allgemein  gütige  ergebnisse  können  nur  aus  der  betrach- 
tung  der  verwanten  dichtungen  insgesammt  erzielt  werden. 
In  erster  linie  kommen  hierbei  die  typischen  formeln.1)  die 
immer  widerkehrenden  metaphern.  auch  formelhafte  reime  in 
betracht.  Eine  Sammlung  derselben  mit  statistischer  beobaeh- 
tung  würde  am  besten  die  Unselbständigkeit  jener  epigonen 
zeigen  und  zugleich  ihre  abhängigkeit  von  den  meistern  der 
mlid.  dichtung.  Denn  der  einfluss  Wolframs  und  (Jotfrids  lässt 
sich  in  solchen  einzelheiten  durch  die  ganze  periode  hindurch 
verfolgen  (s.  unten).  So  geht  die  Umschreibung  eines  begriffes 
durch  Substantiv  und  genitiv  besonders  auf  eine  bekannte 
eigenheit  Wolframs  zurück,  der  in  der  Minneburg  speciell 
nicht  hervortretende  parallelismus  zweier  Substantive  auf 
Gotfrid.  Ein  kunstmittel  jedoch,  das  sonst  in  Zeiten  gesun- 
kenen geschmaeks,  wie  z.  b.  bei  der  zweiten  schlesischen 
schule,  zur  verschnörkelung  und  auszierung  wirksam  ver- 
wendet wird,  tritt  in  der  -geblümten  rede'  zurück,  das  ist  das 
malende  beiwort. 

Ebenso  gibt  es  einen  ständigen  Vorrat  einzelner  motive, 
gemeingut  der  literarisch  gebildeten,  aus  dem  die  dichter 
nach  belieben  schöpften.  Auch  in  der  Minneburg  finden  sich 
solche  vielfach  verwertet,  die  daneben  in  andern  dichtungen 
der  nachblütezeit  widerkehren,  so  die  weit  ausgesponnenen 
symbolischen  wappendeutungen.  das  prunken  mit  edeln  steinen 
und  fremdartigen  pfianzennamen,  farbensymbolik,  furnier,  jagd, 
der  banmzucht  entlehnt  der  beliebte  tropus  von  dem  auf  einen 
bäum  neu  gepfropften  reis,  beschreibung  des  epitaphs  der  minne 
(diese  stelle.  2638  ff.,  führt  K.  M.  Werner  im  Anz.  fda.  7, 146  an 
zum  vergleich  mit  MSF.  129, 36  ff.,  wozu  nachzutragen  Veldekes 
Eneide  83:«.  Parzival  107.30.  Willehalm  73,27.  Wigalois211,32. 
Mai  u.  Beaflor  174, 32.  Massmann,  Alexius  66, 85.  Ulrichs  Ale- 
xander 11105—11820,  lat.  in  Frommanns  Herbort  s.  309.  Zs.  fda. 
33, 252  u.  a.).  Individuelle  züge  sind  nur  wenige  zu  ver- 
zeichnen. Indessen  sind  doch  manche  dem  Verfasser  allein 
eigen,  so  die  geschmacklosigkeit  in  der  specialisierung  der 

')  Solche  sind  auch  die  aus  der  geistlichen  literatur,  der  Marieudich- 
tung,  vor  allem  Konrada  Goldener  schmiede  entnommenen  bilder  zum  preise 
der  geliebten,  wovon  Raab  a.  a.  o.  s.  30  anm.  beispiele  anführt. 


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320 


EHRISMANN 


reeepte  gegen  die  minnesehnsucht,  deren  hestandteile  genau  in 
pfundcn  und  quintinen  vorgeschrieben  werden  (v.  3828.  5442  ff.), 
die  beiziehung  der  maierei  (s.  unten),  eine  beschreibung  meh- 
rerer folterproceduren  (2562  tt,  Hätzlerin  2, 25, 160  ff .,  s.  181). 

Dem  entsprechend  steht  der  dichter  auch  in  seinen  son- 
stigen literarischen  und  gelehrten  anspielungen  auf  dem  niveau 
seiner  zeit.  Es  werden  beigezogen  die  heldensage  (das  von 
W.Grimm  abgedruckte  stück,  Heldensage1  s.  283),  der  Par- 
zival  bez.  der  jüngere  Titurel  (Gral,  Muntsalvas,  Artus,  An- 
fortas,  Gamuret,  der  baruch,  Schastelmarveil,  Sigune  und  Schio- 
natulander;  die  beschreibung  des  gralstempels  und  des  palastes 
des  priesters  Johannes  mit  der  säule  im  j.  Titurel  hat  offenbar 
bei  der  Schilderung  der  Minneburg  im  cap.  I  vorgeschwebt; 
daz  fiur  von  Ayrimontin  s.  unten.  Aus  Wolframs  Wille- 
halm entnommen  sind  die  hinweisung  auf  sunt  Wilhelmen 
klag  um  Vivianz  v.  4532  ff.  und  1921  ff.  daz  wilde  mer  moht 
stich  mit  nihte  des  crtvrr,  ob  sie  (die  geliebte)  einen  finyer  dar 
in  stiez,  ez  geteünn  an  sücze  den  yeniez  sam  ez  üs  honiyes 
hrunnen  flüzze  daz  sin  Hut  und  vihe  yenüzze  swaz  da  wer 
yesrzzen:  die  entsprechende  stelle  des  Willehalm  (62, 11  ff.)  ist, 
unter  nachweisung  anderer  nachahmungen ,  eingehend  von 
Stosch,  Zs.  fda.  33,  127  f.  und  38, 138  ff.  besprochen  worden. 
Bemerkenswert  ist,  dass  hier  in  der  tat  Wolframs  zehe  durch 
das,  wie  Stosch  richtig  bemerkt,  unserem  geschmack  mehr  zu- 
sagende finyer  ersetzt  ist.  Ferner  werden  genannt  Kamille, 
von  der  in  Eneas  man  saget  (4174  ff.),  und  als  beispiele  be- 
rühmter liebespaare  Helena  und  Paris,  Wigalois  und  Larie, 
Lanzelet  und  Iblis  (3169  ff.)  Verhältnismässig  häufig  treten 
namen  aus  der  bibel,  besonders  aus  dem  alten  testamente  auf; 
aus  der  legende  der  weithin  verehrte  8.  Martin  als  muster 
der  barmherzigkeit  (der  sinen  mantel  halb  zusneit  und  in  üf 
einen  blözen  leit  2529t)  und  S.  Lienhart,  bekannt  als  erlöser 
aus  banden  (din  trost  mich  also  süczlich  labt  in  diser  yefenknis 
hart,  reht  als  mich  Sunt  Lienhart  hob  dünnen  brüht  yenuhtic 
2624  ff.).  Als  männer  der  Weisheit  und  Wissenschaft  werden 
genannt  Salomo.  Aristotiles,  Alanus,  V poeras  (3356  ff.), 
als  berühmte  ärzte  Avicenna,  Pitagoras,  Galien  und 
widerum  Vpocrates  (5415  f.),  als  statten  der  gelehrsamkeit 
Lnnders,  Hrügge,  Paris,  Holet  186  f.,  Paris,  Salem, 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEHUKCJ. 


Padaw,  Montpelier,  Dolet  388  ff.,  und,  als  heimat  des 
Xeptanaus,  Alexandrie  308.  —  In  dem  weisen  meister  der 
um  auskunft  über  das  wesen  der  minne  angegangen  wird  und 
der  die  fragen  de«  kindes  beantwortet,  stellt  der  dichter  sein 
ideal  eines  meistens  der  Wissenschaft,  der  sieben  freien  künste 
dar.  Er  gibt  ihm  den  namen  des  Zauberers  der  nach  der 
sage  von  Alexander  im  grössten  teil  der  Überlieferung  dessen 
vater  war  und  für  ein  gefäss  der  Weisheit  galt.  A  (P)  hat 
Neptanuus  (464  Naptanaus),  die  verschiedenen  lesarten  von  B 
gehen  auf  eine  grundform  Nectanabm  oder  Nectanebus  zurück. 
Die  erstere  form  mit  pt  stimmt  zu  derjenigen  in  der  pseudo- 
Rudolfschen  Weltchronik  (Neptancdms,  vgl.  R.  M.  Werner.  Die 
Basler  bearbeitung  von  Lamprechts  Alexander  s.  7),  in  Ulrichs 
von  Eschenbach  Alexander  (ebenfalls  Neptanabus)  und  im 
'grossen'  Alexander  (Beitr.  10, 346.  348).  Ulrich  schildert  die 
minne  des  Zauberers  zur  königin  Olimpiadis  als  eine  tat  der 
frou  Amor  (v.  301),  der  frou  Minne  (v.  315)  und  es  ist 
nicht  unmöglich,  dass  diese  scene  mit  der  personiflcation  der 
minne  (v.  300—350)  die  veranlassung  dazu  abgab,  dass  der 
dichter  der  Minneburg  gerade  den  Neptatui\b]us  als  sachver- 
ständigen im  minnewesen  wählte.  •)  Die  formen  von  B  (Necta- 
nabus  u.  s.  w.)  und  der  prosa  (Xectunabris)  mit  et  scheinen  dann 
wider  dem  sonst  in  der  Alexandersage  gewöhnlichen  Nectanebus 
nachgebildet. 

Einen  tiefern  ethischen  gehalt  wird  man  in  dem  gedieht 
nicht  suchen.  Von  gemeinheiten  oder  lüsternen  anspielungen 
hält  sich  der  Verfasser  zwar  frei,  aber  seine  begriffe  von  liebe 
erheben  sich  nicht  über  den  äusserlichsten  minnedienst.  Die 
Übertreibungen  im  preis  seiner  dame,  die  endlosen  liebesklagen 
lassen  den  mangel  wahrer  empfindung  nur  um  so  stärker  her- 
vortreten. Das  dichten  ist  für  ihn  in  der  tat  eine  kunst  in 
der  mhd.  bedeutung  des  Wortes,  eine  technische  fertigkeit.2) 
Bei  allen  auf  gefühlserregung  berechneten  effecten  kein  gemüt, 

')  Vielleicht  hat  die  in  vielen  bearbeituugen  der  Alexandersage  vor- 
kommende Schilderung  des  tempels  des  Jupiter  und  der  Juno  in  Aegypten 
mit  den  Htatuen  dieser  beiden  gottheiten  das  Vorbild  geliefert  für  die  dar- 
stellung  der  saule  in  der  Minneburg  (oben  h.  304)  mit  den  bildnissen  eines 
mannes  und  einer  frau. 

-)  Vgl.  hierzu  besonders  Roethe,  Reinmar  s.  Ist!  ff. 

Heitiüge  asnr  geschieht«  der  deutschen  spräche.    XXII.  21 


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322  EHRISMANN 

in  den  gesuchten  ideenverbindungen  keine  klare  anschaulich- 
keit,  plattheit  neben  unwahrer  Sentimentalität.  So  ist  die 
Minneburg  ein  ausgeprägtes  beispiel  für  eine  kunstverirrung 
der  abblühenden  mhd.  dichtung,  welcher  das  wesen  der 
poesie  in  der  Übertreibung  und  masslosigkeit  stilistischer 
formen  liegt. 

Für  die  Stilistik  der  nachblütezeit  der  mhd.  literatur  ist 
die  beobachtung  der  mit  dem  terminus  technicus  4 geblümte 
rede'  bezeichneten  stilgattung  von  einschneidender  bedeutung. 
Ein  nicht  unbeträchtlicher  teil  der  denkmäler  ist  darin  ab- 
gefasst.  Es  ist  eine  mit  bestimmten  hier  aus  der  Minneburg 
erwiesenen  kunstmitteln  und  meist  unter  bestimmten  beding- 
ungen  von  den  dichtem  angewante  technik.  Wol  zu  bemerken 
ist:  die  schwülstige  darstellung  ist,  mit  wenigen  ausnahmen, 
nicht  die  durchgehende,  einem  autor  unter  allen  umständen 
eigene,  individuelle  ästhetische  ausdrucksform,  sie  ist  nicht 
'der  stil  des  dichters',  sondern  ist  ihm  nur  ein  stilistisches 
mittel,  um  gewisse  stellen  seines  Werkes  sinnfällig  auszu- 
schmücken, besondere  den  eingang,  seltener  auch  den  schluss, 
oder  um,  ganz  durchgeführt,  gedichten  meist  kleineren  umfangs, 
besonders  lobpreisungen,  einen  —  vermeintlich  —  höheren 
schwung  zu  verleihen.  Beide  stilarten,  die  ungeschminkte 
darstellung  und  das  phrasentum  der  geblümten  rede,  gehen 
oft  in  ein  und  demselben  gediente  nebeneinander  her,  wie  ge- 
rade in  der  Minneburg.  Darum  ist  Gervinus'  urteil  über  den 
stil  der  Minneburg  insofern  nicht  erschöpfend,  als  der  Vorwurf 
des  lK>mbastes  vorzüglich  nur  die  lyrischen  einschaltungen, 
nicht  das  ganze  gedieht  trifft.  Häutig  sprechen  es  die  dichter, 
wie  der  der  Minneburg,  selbst  aus,  dass  sie  in  'geblümten 
Worten'  reden  wollen  oder  bedauern  ihre  Unfähigkeit,  dieses 
nicht  genügend  tun  zu  können. 

So  besonders  Suchenwirt,  und  dessen  erläuterungen  sind 
für  den  gegensatz  der  beiden  stilarten  belehrend.  Z.  b.  gibt 
er  zum  ged.  IV  in  v.  557— 559  die  stilistische  bemerkung:  die 
red  han  ich  gedichtet,  mit  tvorten  siecht  berichtet,  als  sich  die 
rais  ergangen  hat,  und  in  der  tat  ist  das  gedieht  ohne  über- 
triebene redensarten  im  tone  eines  historischen  berichtes  ab- 
gefasst.  Ebenso  XL,  5  f.:  daz  ich  mit  sprächen  sie  cht  er  wort 
treltteicher  lauf}'  hetieht  ein  ort:  das  gedieht  ist  in  schlichter 


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DAS  MllD.  GEDICHT  VOK  DKR  MfNNKBtTRO.  JF23 

- 

form  gehalten.  Desgleichen  ist  das  gedieht  XIV  'ungeblümt ' 
gelassen  in  Übereinstimmung  mit  v.  5  f . 

pluemt  ich  nn  end  und  anevank, 
so  wttrd  di  red  ein  tail  ze  lank. 

Von  diesen  Sprüchen  unterscheiden  sich  die,  in  denen  der 
dichter  auf  seine  anwendung  der  geblümten  rede  bezug  nimmt, 
durch  mehr  oder  weniger  stark  aufgetragenen  schwulst.  Es 
sind  dies  no.  I,  III,  VIII,  XIII,  XVI,  XVII,  XVIII,  XXI,  XLI, 
XLVI.  Sein  gewöhnliches  verfahren  ist,  dass  er  am  eingang 
in  einigen  phrasen  seinen  mangel  an  fähigkeit  zur  ausübung 
der  'geblümten  kunst'  beklagt'  (einmal  am  schluss  XXV,  371). 
(Gerade  in  diesen  einleitenden  versen  sind  die  redeblumen  am 
verschwenderischesten  ausgestreut,  während  dann  der  hauptteil, 
die  Schilderung  der  ruhmestaten  des  gepriesenen  herrn,  fast 
immer  (nicht  durchweg)  in  einfacher  darstell ungsform  gehalten 
ist.  Der  schluss  ist  öfter  gehoben,  doch  weniger  pompös  als  der 
eingang.  Dieses  Schema  hat  er  nun  natürlich  nicht^berall  streng 
durchgeführt,  aber  es  besteht  doch  eine  überwiegende  neigung 
es  einzuhalten.  In  den  oben  angeführten  versen  XIV,  5  f.  spricht 
er  dies  letztere  selbst  aus.  Die  technischen  ausdrücke  für  die 
geblümte  rede  bei  Suchenwirt  sind  spmehe  fände,  warhafte  wort 
gephhnet  I,  5  und  19;  witz  und  wol  gewegne  wort,  wol  bedachte 
sinne  mit  Weisheit  auz  und  inne  geplümt  u.s.w.  III,  2  ff.;  ge- 
plüntte  chunst  VIII,  5;  dg  regnen  wort  XIII,  4;  gepluemten  wort 
XVI,  9;  gepluemte  red  XVII,  7;  di  spwhen  fiind,  reim  unde  wort 
XVIII,  16;  speher  fände  chram ,  di  spehen  sprich  durehflorirt 
XLI,  18  ff.;  clitge  sprach,  die  fremden  wort  XLVI,  1  ff. 

Derartige  bezeichnungen  des  manirierten  stils  finden  sich 
häufig  in  der  literatur  des  ausgehenden  13.,  des  14.  und  15.  jh.'s. 
So  bei  Suchenwirts  Verehrer  Hugo  von  Montfort:  er  (Suchen- 
wirt) vachVz  mit  geblüemten  Worten  an  II,  143  (Wackernell); 
geblüemte  wehe  wort,  mit  (/florierten  Worten,  qar  spehi  wort 
XXXI,  5. 13.  20;  eluoge  wort  XXVIII,  245.  XXXVI,  1.  XXXVIII, 
98;  säessi  wort  XXIV,  5.  98;  mit  bezug  auf  versmass  und  reim- 
kunst  :  /eluoge  sibnen  III,  0;  kluoge  rime  XVIII,  110.  XXIV,  100; 
Stirnen  rime  cluog  XXXI,  25;  suessi  wort  mit  rimen  schon  ge- 
messen XXIV,  5  f.  Dagegen  ist  wider  die  einfache  ausdrucks- 
weise geineint  III,  09  ff.:  du  la  dir  nieman  lichten,  schrib  us 
dins  hertzen  grund  siechte  wort  mit  träwcn  richten. 

21* 


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324 


EHRISMANN 


Weitere  beispiele:  Frauenlob  (Ettmüller)  Sprüche  no.370? 
s.  210  ff.:  ich  wil  des  sinnes  lic  florieren,  mit  röselohten  Worten 
schön  probieren,  mit  redebhtomen  sunder  vrist  hie  riolvar 
roizieren  ein  lop  IL  S.W.  swer  cz  sol  spie  he  b  Iii  einen.  Selbst 
bei  diesem  dichter  sind  verschiedene  grade  stilistischer  form- 
gebung  zu  bemerken :  der  höchste  bombast  in  Marienieich  und 
in  den  lobsprüchen,  dagegen  beschränkung  in  den  lehrhaften 
gedichten. 

Der  minne  falkner  (ed.  Schindler,  Hadamar  v.  Laber) 
s.207,  v.  183  ff.:  ist  mit  speehe  das  gedichte  noch  clng  an  allen 
orten,  so  sey  doch  sein  die  slichte  mit  groben  reimen  und 
unbesniten  worten.  Kluoge  fünde  und  speehe  spräche 
sind  mir  tetcre. 

Quilichinus- Alexandreis:  mit  versen  geflorieret  Beitr. 
10. 335. 

Lassbergs  LS.  1,  105,  v.  1  ff.:  könd  ich  mit  rosenlechten 
sprächen  wöl  ge flechten  vnd  mit  gebliimpten  trot  ten  u.s.w.; 
2,  608  v.127  spo3he  rede. 

Hätzlerin  2,73,  v.  137:  vnd  plümt  es  mit  hübschen 
worten. 

Keller,  Fastnachtspiele  s.  260, 5  f.:  und  hahs  mit 
W orten  nit  ver plümt  und  unversunnen  herausz  lan  farn; 
s.  262, 17:  wann  ich  Jean  meine  wart  wol  plümen. 

Hermann  von  Sachsenheim,  Goldener  tempel  (Martin) 
s.  232,  v.  1:  spehc  wort,  v.  100  f.:  mitt  klugen  worten  min 
stijftung  spech  subtyln,  v.  500  und  555:  florier n  (=  'mit 
worten  schmückend  preisen');  Grasmetze,  Hätzlerin  2,  72,  v.162: 
kluoge  sprüche  gespengelt. 

Besonders  lehrreich  für  die  theorie  der  geblümten  manier 
ist  Der  meide  kränz  von  Heinrich  von  Mügeln.  Der 
eingang  ist  hier  ganz  geschraubt ,  die  reden  der  einzelnen  vor 
dem  kaiser  auftretenden  künste  sind  es  weniger,  sehr  stark 
dagegen,  und  dies  ist  bezeichnend,  die  der  Rhetorica.  Sie 
gibt  zugleich  ein  musterbeispiel  für  geblümten  stil.  Die  ganze 
stelle  lautet  nach  ('od.  pal.  genn.  14,  mit  beiziehung  der  Göt- 
tinger  hs.  (g):  bL9a< 

dy  virile  kvnst  rehto'ica  dar  ein  gar  meisterlich  gesät 

ging  für  den  wvden  keysfer]  da.      vil  nianig  plwn  von  golde  rieh: 
pla  sam  lasfir  was  ir  wat.  ni  ich  gesach  des  (  leides  geleich. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


325 


hl.  9  h. 

nym  ezaichü  diser  krancken  schrift:  das  v'sneit  (—  vor  sneit?)  grimer  den 
'de«  zornes  flam  wekt  morde«  gift.  ein  fewr, 

wa  czornes  »wt  dez  keysers  reist,  daz  g-ihet  solt  der  geuaden  (g,  schult 
da  ist  der  veinde  giift  verweist.  geuaden  V)  steur.' 

in  leides  norden  auch  zehant  wer  tihten  kau,  der  merket  io, 

ir  freuden  sumer  wirt  gewant.  wy  daz  hi  lauft  transsumptio 

oh  schnld  erwecket  sinen  czorn,  der  farhen;  sechs  und  dreyszig  sein 

uz  sent  er  »inner  räche  dorn,  der  worter  uach  der  lere  mein, 

damit  er  bmches  stürm  verliert  der  sinne  vir  vnd  czwauczitf  hau. 

und  rechter  czorn  seiu  fride  wert.  manch  tichter  ir  nicht  czwelfe  kau, 

wa  aber  schuld  genaden  gert,  da  mit  er  felschet  meine  kunst 
czu  wachse  wirt  sins  czornes  »wert ;  n.  ».  w. 

Vgl.  auch  bl.  24 

dy  vinle  (die  r/teturik)  scchczig  varhen  seczt, 
da  mit  si  plümet  vnd  vereczt 
waz  rontes  in  dem  tichte  lag. 

Sehr  deutlich  zeigt  sich  der  unterschied  der  beiden  stilarten 
in  seinen  von  W.  Müller  herausgegebenen  fabeln  und  minne- 
liedern;  die  ersteren  sind  rein  erzähleud,  also  in  natürlicher 
spräche  abgefasst,  die  lyrischen  gedichte  dagegen  sehr  geblümt. 

Die  rhetorik  ist  diejenige  der  sieben  freien  künste,  die  die 
feine  und  zierliche,  besonders  aber  auch  die  blumige  spräche 
lehrt  (vgl.  Diefenbach,  Glossar  496h;  Rhetor  u.  a.  schöner 
redner,  lerer  der  schonen  und  hubischen  red,  zierer 
der  red  u.  a.  [auch  die  minnesinger  bez.  meistersinger  heisscn 
rhetores],  Rhetorica  ein  kunst  von  der  zierheit  der 
rede,  von  schon  reden,  s.  auch  Nov.  gloss.  s.  318).  Deswegen 
preisen  sie  die  dichter  des  14. 15.  jh.'s  häutig,  z.  b.  Regen- 
bogen MSH.  3,  4(581  D0.5:  wer  singen  wil  unt  vrte  Kunst  hie 
wegen,  der  neni  retorica  die  schcrn,  ir  bluomen  wol  behalt: 
si  bliiemt  vür  alle  bluomen  in  dem  hak,  si  blüemt  vär  alle 
rarwe  glunz,  ir  bluomen  gent  für  golt,  edelz  gestern,  die  silben 
Hm  mit  Worten  glänz  (oder  ganz  nach  J.  Meier,  Jolande  s.  75) 
mit  b tuender  red  gesliff'en  uf  ein  stein;  si  bliiemet  wol  gc- 
sanges  kränz  u.s.  w.;  ebenda  no.  6:  grammatica,  si  heldet  wdrheit 
unt  daz  reht  hilft  ir  blüemen  schön  retorica.  —  Muscat- 
blüt  (Groote)  s.  250,  iv:  ich  wil  die  dritte  spisen,  die  loben  ouch 
die  wisen,  si  heizt  rethorica,  der  wil  ich  mich  gerüemen,  alle 
wort  kan  si  wol  blüemen  und  heizt  der  künste  krön,  si  kan 


326 


EH  KI  SM  ANN 


wislichen  (lichten,  manch  schaues  tcort  üzrickten  ll.  s.  w.  — 
Kolmarer  liederhandsehrift  (Bartsch)  s.  03:  retkorica. 
au  ff'  specken  Spruch  wort  rund  rat  florieren;  s.  320, 25  ff.: 
retkor i cd  ich  loben  teil:  yesanyes  spil  du  rchblüemet  sie; 
8.  424,  27:  retkorica  mit  Worten  wis.  Vilitler  v.  10128  f.: 
so  chan  ich  nicht  retkorica,  die  hübsche  red  pricht  enzwai. 

—  Keller,  Fastnachtspiele  s.  740, 18  ff.:  Tullius  lert  reto- 
rica,  k  üb  schlich  reden  nein  und  ja  und  mit  geblümten 
warten  dietiren  und  sack  von  sack  speeificiren.  —  Ritter- 
spiegel von  J.Rothe  (Bartsch,  Md.  gediente)  v.  2645  ff.:  di 
forte  das  her  gesmuchte  rede  hobiseklichin  hm  uz  gerichte 
und  manchirlei  yerime  darmede  und  sekone  materien  yeticktc. 

—  Pf  äff  von  Kalenberg  (Bobertag,  Narrenblich)  s.  7.  v.  7  ff.: 
das  ick  nit  kab  au  ff'  disse  fort  suptile  und  ycplümptc  wart , 
cUsJS  die  retkorica  hat  in  ir. 

Die  lehre  vom  stil  gehörte  im  Unterricht swesen  des  mittel- 
alters  in  das  gebiet  der  rhetorik  und  war  somit  ein  gegenständ 
der  schulen  und  Universitäten.  Die  maniriertheit  des  stils  war 
für  das  ästhetische  gefühl  der  epigonen  der  ideale  ausdruck 
der  poesie.  Diese  konnte  gelernt  werden,  und  somit  die  kniist 
selbst.  So  trifft  die  diehtkunst  zusammen  mit  dem  kanzleistil, 
in  den  schon  seit  anfang  des  15.  jh.'s  die  florierte  rede  ein- 
geführt war,  vgl.  Zs.  fda.  37, 1 1 1;  Muscatblüt  s.  251,  iv  55  ron 
der  rketorica:  in  mancher  kantzeleyen  wont  si  den  fursten  by, 
und  mit  dem  briefstil.  Diese  hatten  ihre  lehrbücher  in  den 
zuerst  lateinischen,  dann  seit  ende  des  15.  jh.'s  auch  deutsch 
abgefassten  formelbüchern  und  rhetoriken,  die  als  technische 
ausdrücke  für  die  ausschmiiekung  ebenfalls  die  wolyezirt  ye- 
plömte  red,  gezierte  yeblümbte  synoninui,  auch  kostlicJi  Co- 
lons der  retkorica  gebrauchen,  vgl.  besonders  Edw.  Schröder, 
.Jacob  Sehöpper  von  Dortmund  s.  28.  Szamatölski,  QF.  07, 10  ff. 
.Joachimsohn,  Aus  der  Vorgeschichte  des  •Formulare  und  deutsch 
rhetorica'  Zs.  fda.  37,  24  ff.  Weinkauff  und  Crecelius,  Alemannia 
0. 08.  200.  Daran  schliessen  sich  die  complimentierbiieher,  deren 
Hottmann  v.  Fallersleben  ein  beispiel  im  Weimar,  jahrb.  1,322 
—327  herausgegeben  hat.  vom  jähr  1054,  wo  am  schluss  ein 

'Extract  der  verblühmten  Reden  und  Sprüeh -Wörter  

zusammengetragen'  ist,  vgl.  auch  Denecke,  Beiträge  zur  ent- 
wicklungsgeschichte    des   gesellschaftlichen  anstandsgefühls 


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DAS  MHP.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


327 


(progr.  v.  heil.  Kreuz  in  Dresden  1801)  s.  xxv  ff.  Die  redeblumeu 
waren  für  die  letzgenannten  zwecke  natürlich  wider  anderer 
art  als  in  der  dicht ung,  zumeist  Synonyma,  —  Weitere  bei- 
spiele  für  bliicmen,  rerblücmen  in  dem  speciellen  hier  behan- 
delten sinne,  besonders  aus  dem  16. 17.  jh.,  s.  DWb.  2, 160  und 
12, 146.  Heyne,  DWb.  1.  450  f.  und  041  (floskel).  Im  DWb.  12,146 
wird  der  ausdruck  redeblumen  direct  an  Cicero  und  (juinc- 
tilian  (flores  verborum  u.dgl.)  angeknüpft,  es  ist  aber  für  das 
mhd.  bliicmen  u.s.w.  Vermittlung  des  mlat.  und  roman.  wahr- 
scheinlicher, vgl.  Du  Oange  unter  florcre,  flos,  floscnlus  u.  a. 
Im  mhd.  kommt  Winnen  in  übertragener  bedeutung  besonders 
in  der  phrase  mit  lobe  bliicmen  oder  (ein)  top  blüemvn  ausser- 
ordentlich häutig  vor,  zuerst  in  Gotfrids  Tristan  v.23. 

Schliesslich  sei  noch  auf  die  berührung  mit  der  schwester- 
kunst  musik  hingewiesen.  Auch  diese  hat  unter  ihren  tech- 
nischen ausdrücken  die  flores,  auch  colorcj,  coloratur,  Wimen, 
coloricren,  bliimen,  vgl.  .Tacobsthal,  Zs.  fda.  20,  75  f.  Plate,  Die 
kunstausdrücke  der  meist  ersinger,  Strassburger  Studien  3,  108. 
Adam  Puschmann,  Gründlicher  bericht  hg.  von  Jonas  s.  11. 16.26. 
Wagenseil,  Von  der  Meister-Singer  Holdseligen  Kunst  s.  531  f. 
Gräters  Bragur  3, 82.  und  die  Vereinigung  von  dichtkunst  und 
tonkunst  ist  ausgesprochen  in  stellen  wie  der  Kolmarer  lieder- 

handschrift  320, 25  ff.:  rcthoricd  gesanges  spil  durchblüemct 

sie;  407,21  f.:  rcthorica  ..  .  diu  ziert  gesanc  mit  hohem  lobe; 
507, 39  f. :  rcthorica,  du  mite  er  blüemet  sin  gesanc. 

Um  die  historische  entwicklung  des  geblümten  stils  in 
der  deutschen  dichtkunst  bis  zur  quelle  zu  verfolgen,  sind 
noch  einige  frühere  belege  für  das  vorkommen  der  betr.  tech- 
nischen ausdrücke  anzuführen.  So  leitet  Heinrich  von  Frei- 
berg seinen  Tristan  ein:  wä  nu  riclwr  künstc  hört,  wä  schiene 
rede,  wä  bin  ende  wort  u.s.w.,  v.  34  f.  wol  gehl  Herne  t  und 
wol  geberlt  ist  siner  (Gotfrids)  blüenden  vündc  Irans, 
v.  1302  f.  yebliiemet  schöne  und  hübeschlich  was  alle  sine  rede 
gar.  —  Erlösung  v.  85  ff.  ich  kan  niht  vil  gesmieren  noch  die 
wort  genieren.    Ich  wil  die  rede  furrieren  an  alles  flörieren. 

Gcblümet  rede  seit  der  gräl,  u.s.w  des  rede  ich  ernest- 

liehe  dar  mit  blözen  Worten  unde  bar;  ähnlich  derselbe  dichter 
in  der  Heil.  Elisabeth  v.  43— 45  und  54  ff.  Ganz  geblümt 
ist  der  schluss  des  Lohengrin,  darin  u.  a.  die  kunstausdrücke 


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328 


EHRISMANN 


mit  (j vflorten  Worten  7567,  die  brief  mit  gramnuiticd  hei 
meisters  kunst  geblüemet  7577.')  vremde  spräche  7626, 
als  der  von  Eschenttach  sie  (diu  wort)  schön  floriert  mit  richer 
witze  gesmelzc  7635  f.  0.8. w.  Endlich  beispiele  aus  dem  jüngern 

Titurel:  ob  ich  da  sunderlichen  geprvfen  künde  mit  geblv- 
meten  Worten  862,1;  mit  s'rzzer  rede  geblrmct  sin  pris  da 
wart  bezcllet  5007, 1  (vgl.  Bech,  Germ.  10,  404).  Und  aus  Kon- 
rad von  Würz  bürg,  Trojanerkrieg:  v.  8  ff.  (la):  da  von  mich 
wunder  nemen  sol,  duz  beide  riclw  und  arme  sint  an  eren  worden 
also  blint,  daz  si  die  wisen  ringe  wegent,  die  wol  gebluomter 
rede  pflegent;  Goldene  schmiede  v.  60  ff.:  er  muoz  der  kiinste 
meijen  ris  tragen  in  der  brüste  sin,  swer  diner  wirde  schapclin 
sol  bläemen  unde  flehten,  daz  er  mit  rwsclehten  sprächen  ez 
floriere  und  allenthalben  ziere  mit  Violinen  Worten,  so 
daz  er  an  den  orten  vor  allem  falsche  ez  littter  und  wilder 
rime  kriuter  dar  under  und  dar  zwischen  eil  schöne  künne 
mischen  in  der  siiezen  rede  bluot  u.s.w.  Vnd  hiermit  sind  wir 
bei  den  unmittelbaren  quellen  angelangt.  Diese  sind  der  j. 
Titurel  und  Konrad  von  Würzburg,  besonders  dessen  Goldene 
schmiede.  Den  letzteren  preisen  als  ihren  unerreichten  meist  er 
Heinrich  von  Mügeln  (Zingerle,  Wiener  SB.  37,340.  Sehroer, 
ebda.  55,457):  von  Wirzburg  Könrad  baz  pofiret  hat  diu  löses 
glas,  der  blander  sprach  ein  bilder  was,  ein  former  und  ein 
houbetsmid:  wann  ich  getichtes  twerc  von  Mogelin  Heinrich 
solchez  werc  nicht  mac  floriem,  der  kunste  berc  ist  mir  zu 


')  An  der  stelle  der  die  beiden  letzten  citate  entnommen  sind,  rühmt 
der  dichter  des  Lohengrin  die  stilistische  ktUISt  des  von  papst  Benedict  (VW.) 
an  Heinrich  II.  gesanteu  einladungsbriefes  zur  kaiserkrüuuug.  Auf  die  stili- 
stische abfassung  solcher,  wie  überhaupt  der  verschiedensten  arten  briefe 
wurde  unter  umständen  eine  besondere  Sorgfalt  in  der  wähl  des  ansdnicks 
verwendet,  und  es  gab  dafür  bestimmte  muster,  die  in  den  briefsteilem  und 
formelbüchera  gesammelt  waren.  So  enthält  z.  b.  der  zu  ähnlicher  zeit 
wie  der  Lohengrin  abgefasste  Baumgartenberger  forraularius  einige  bei- 
spiele für  päpstliche,  auf  die  kaiserkronuug  bezug  nehmende  briefe,  vgl. 
Bockinger  in  den  Quellen  und  erörterungen  zur  bayr.  und  deutschen  ge- 
schichte  9,  Soii.  Dieser  gebrauch  mag  der  grund  sein,  weshalb  der  Verfasser 
des  Lohengrin  das  betr.  schreiben  des  papstes  in  solcher  redekunst  abgefa-sst 
sein  lässt.  Es  ist  darum  zweifelhaft,  ob  gerade  für  diese  stelle,  wie  J. 
Meier.  Beitr.  1 404  annimmt,  eine  besondere  uns  unbekannte  quelle  vor- 
liegt, wenn  auch  diese  möglichkeit  nicht  zu  bestreiten  ist. 


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DAS  MIID.  GEDICHT  VON  DE  Ii  MINNEBURO. 


320 


hoch,  ich  sture  bit;  S  wehen  wir  t  XLI,  8  ff.:  als  cor  mit  maistcr- 
scheffle  ton  Wirtzpärch  maister  Chunrat    dich  wirdikleich  ge- 

preiset  hat,    Maria  müter  unde  mait   er  sojs  in  speher 

fände  chram,  bestrewt  mit  plumen  unde  kh  . . .  und  tycht 
aus  seines  hertzen  grünt  (Ii  spehen  sprach,  durchflorirt; 
Hermann  von  Sachsenheim  im  Goldnen  tempel  (Martin) 
v.  554  f.:  ron  Wärtzburg  meister  Conraut  kund  es  florieren 
bas;  vgl.  auch  W.  Grimm,  Goldene  schmiede  s.  xix  ff. 

Die  geblümte  manier  ist  eine  seit  den  letzten  jahrzehnten 
des  13.  jh/s  allgemein  beliebte  stilgattung,  nicht  nur  die  nach- 
ahmer  Wolframs  wie  die  dichter  des  j.  Titurel  und  des  Lohen- 
grin  sind  ihr  verfallen  oder  rühmen  sie  wenigstens,  sondern 
auch  die  Verehrer  Gotfrieds  wie  Konrad  von  Würzburg.  Schon 
Rudolf  von  Ems  beklagt  um  die  mitte  des  jh/s  in  der  litera- 
rischen stelle  seines  Alexander  das  überhandnehmen  der  effect- 
haschcrei  bei  der  Wortwahl:  allin  unser  arbeit  ist  nu  an  wildiu 
wort  gedigen,  diu  cor  utis  wären  ie  verswigen  und  selten  ie 
me  rrrnomen,  an  diu  wollen  wir  nu  kamen.  Die  poetische 
begabung  schwindet  eben  in  dieser  zeit,  und  das  ideal  der  kunst 
wird  in  trivialen  äusserlichkeiten  der  form  gesucht.  Bei  weitem 
nicht  alle  dichter  haben  diese  mode  mitgemacht.  So  unter- 
scheiden sich,  um  nur  ein  beispiel  zu  nennen,  des  Teichners 
gedichte  von  denen  seines  landsmanns  Suchenwirt  formal 
nicht  nur  durch  den  metrischen  bau  der  verse,  sondern  wesent- 
lich auch  durch  den  klaren,  einfachen  stil.  In  der  volkstüm- 
lichen dichtung  ist  sie  überhaupt  nie  heimisch  geworden. 

Egen  von  Bamberg. 

Als  sein  unerreichtes  Vorbild  in  der  erfindung  der  kluogen 
rede,  der  wehen  spräche  nennt  der  dichter  der  Minneburg  an 
vier  stellen  den  meister  Egen  von  Bamberg: 

v.  451  ff.  Ich  könnte  nicht  halb  das  erzählen,  was  mir  der 
weise  meister  Xeptanaus  sagte: 


ez  müest  iueh  sagen  MeisterE^en 
von  Babenberc  der  wise  mau, 
von  flem  ich  vil  yehoeret  hau 
wie  er  «1er  kunst  ein  meister  si 
und  wie  der  künste  eiu  blüendez  zwi 
durchsaßet  hab  im  sinin  lider. 


v.  «8s. 

ez  (dasbüchktn)  ist  ouch  niht  gefriet 
mit  weher  sprüche  Biegen, 
ez  hete  sicher  Meister  Egen 
von  Babenberc  getihtet  baz. 


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330 


EHRISMANN 


v.  270«. 


wann  er  die  klnogen  rede  neme 


erfiier  ez  danne  Meister  Epen,        die  er  mit  Worten  kan  beschreme. 


Von  meister  Egen  sind  zwei  gediente  im  Cgm.  714  fol.  161  *> 
—170»  (vgl.  Keller,  Fastnachtspiele  1377  f.)  in  schlechter  Über- 
lieferung erhalten,  in  der  hs.  überschrieben  Dy  klag  der  mynn, 
in  108  reimpaaren,  und  das  herz,  in  00  reimpaaren,  beides 
minnereden;  in  beiden  nennt  sich  der  Verfasser,  am  schluss 
der  ersten  also  redet  meister  Egen  de  amore,  an  dem  der 
zweiten  die  red  hat  meister  Egen  gemacht.  Sie  sind  durchaus 
in  dem  schwülstigen  stil  der  geblümten  rede  abgefasst.  Die 
künstelei  in  den  metaphern  und  seltsamen  Wörtern  ist  hier  noch 
stärker  als  in  der  Minneburg,  und  der  dichter  derselben  hat 
recht,  wenn  er  dem  meister  Egen  in  dieser  beziehung  seine 
bewunderung  zollt.  Es  ist  ihm  in  der  tat  nicht  gelungen,  ihn 
zu  erreichen.  Es  ist  kaum  möglich,  aus  diesem  wust  von 
phrasen  einen  vernünftigen  sinn  herauszulesen. 

Der  stoff  des  ersten  der  beiden  gedieh te,  De  amore,  gleicht 
ganz  den  lobpreisungen  der  geliebten  in  den  reden  der  Minne- 
burg. Das  andere  gedieht,  Das  herz,  eine  Zwiesprache  des 
Verfassers  mit  seinem  herzen  über  dessen  liebespein,  ist  nach- 
geahmt in  v.  501 3  ff.  der  Minneburg.  —  Auch  in  einzelheiten 
ist  der  einfluss  des  meister  Egen  auf  die  Minneburg  zu  er- 
kennen in  entlehnungen  von  reimen  und  einigen  floskeln.  So 
sind  dem  erstgenannten  gedieht  Egens  entnommen  die  reime 
iiseln  :  beknüseln  Mbg.  2371,  kützelt :  verhutzelt  2315,  lcrisem  : 
hisem  1337  und  3589,  krabelt :  zahelt  2307;  nachgebildet  sind 
Mbg.  2387  honig  :  diptonig,  vgl.  Egen  I,  3  honig  :  personig, 
Mbg.  087  gezwiet :  gefriet,  vgl.  Egen  I,  5  gedriet :  gefriet;  ferner 
die  ausdrücke  Mbg.  1628  terrlich  atzein,  vgl.  Egen  1, 47  tarlicJi 
achzeln,  Mbg.  4005  der  zungen  hamer  -  Egen  1, 140,  Mbg.  3526 
darificieren  =  Egen  I,  13  u.  a.  Im  zweiten  gedieht  Egens 
stimmen  zu  der  Minneburg  der  reim  Mbg.  3201  prasteln  :  hra- 
steln  =  Egen  II,  17,  die  Umschreibungen  Mbg.  1405  triackers 
trost      Egen  II,  40,  Mbg.  122  der  steme  tron       Egen  II,  118, 


daz  ich  daz  büechlin  tihte. 
ich  weiz  in  in  der  pflihte 
und  in  den  triuwen  die  er  hat, 
daz  er  mir  gehe  dar  zuo  rät  . . 
mich  wundert  zwar  etwenne, 


ich  weiz  für  war,  daz  Meister  Epen 
ist  an  witzen  so  durchvirot  (=  alt 


daz  er  die  kunst  hat  gar  durchkirnt 
der  vor  Quoten  meister  hie. 


v.  542*1. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG.  381 


Mbg.  2431  fiur  von  Ayrimontin  Egen  II.  124  (aus  dem  j. 
Titurel  str.  6064);  die  ganze  stelle  Mbg.  2411— 2472  ist  eine 
erweiterte  nachahmung  von  Egen  II,  123-133.  Auch  stilistische 
kuustmittel  sind  in  derselben  weise  gebraucht  wie  von  Egen. 

lTeber  die  person  Egens  ist  nichts  bekannt.  Wilken,  Gesch. 
der  Heidelberger  bfichersammlungen  s.  459.  481  hielt  ihn,  in 
falscher  auffassung  der  oben  angegebenen  citatc,  für  den  Ver- 
fasser der  Minneburg,  welcher  fehler  auch  in  Goedekes  Grund - 
riss  übergegangen  ist  (V,  207,  zurückgewiesen  von  Strauch,  Anz. 
fda.  11,252)  und  auch  sonst  widerholt  wurde  (z.b.  von  Stejskal. 
Zs.  fda.  22,  282.  Richter,  Kloster  der  minne  [s.  oben  s.  302]  s.  8. 
.los.  Haupt  im  Gesammtkatalog  der  hss.  der  Wiener  hofbibl.  2, 168 
[s.  oben  s.275].  H.  Holland,  Gesch.  der  altd.  dichtkunst  in  Kayern 
8.304).  Im  übrigen  hat  die  behauptung  Wilkcns  keinen  anklang 
gefunden.  Ausser  letzterem  und  Goedeke  haben  über  Egen 
noch  besonders  gehandelt  Docen,  Altd.  mus.  1,153.  v.  d.  Hagen, 
Grundriss  s.  412.  442.  Gervinus  2\  443.  Wackernagel.  Lit.-gesch. 
\\  373.  406.  Bartsch,  ADB.  2.36  und  Heidelberger  hss.  no.  208. 

Zum  versmass  der  gedichte  Egens  s.  oben  s.  285.  In  den 
reimen  finden  sich  noch  mehr  mundartliche  und  andere  frei- 
heiten  als  in  der  Minneburg,  ausser  e  :  a>,  a> :  6  und  inf.  ohne  -n 
(gern[e\ :  lern\en\,  harnt  :  irbartn\en\\  auch  du :  ei  (fröude :  heide  : 
leide),  ü  :  w  (übel :  triubel),  6  aus  ä  :  tw  (hon  han  :  tön  — 
titon)  u.a.  Die  Willkür  in  den  reimen  erlaubt  kaum  einen  sichern 
schluss  auf  die  heimat  des  Verfassers,  doch  kann  er  wol  in  Ost- 
franken bez.  Bamberg  zu  hause  gewesen  sein,  vgl.  besonders 
die  Infinitive  ohne        Der  dialekt  der  hs.  ist  bairisch. 

Nur  von  den  gedichten  des  meisters  Egen  konnte  unmittel- 
bare einwirkung  auf  die  Minneburg  festgestellt  werden.  Da 
die  hauptmasse  der  formein  und  bilder  gemeingut  der  verwanten 
literatur  war,  so  ist  gegenseitige  entlehnung  im  einzelnen  schwer 
mit  bestimmtheit  zu  constatieren.  Eine  sichere  nachahmung 
wichtiger  bestandteile  der  Minneburg  ist  nachzuweisen.  Es 
sind  dies  die  verse  480 — 537  bei  dem  nachahmer  Hermanns 
von  Sachsenheim.  Die  entstehung  und  das  wesen  der  minne 
sind  hier  nach  der  Minneburg  geschildert.  Dass  diese  Vorbild 
war,  dafür  spricht  auch  der  name  des  Schlosses  Frödenburg, 
v.  880  und  1303  beim  nachahmer.  Die  Minneburg  konnte  ihm 
leicht  bekannt  sein,  da  sie  ja  gerade  in  Schwaben  Verbreitung 


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332 


EH  RI  SM  ANN 


gefunden  hatte  (schwäbische  gruppe  x).  In  seinem  stil  zeigt 
sich  keine  beeinflussung  durcli  unser  gedieht. 

Eine  gewisse,  freilich  nur  oberflächliche  ähnlichkeit  mit 
der  naturschilderung  im  eingang  der  Minneburg  zeigen  die 
verse  35 — 77  von  Otto  Haldemanns  Rede  von  dem  laufe 
des  römischen  reichs  (hg.  von  J.  M.  Peter,  Allegorisches 
gedieht  auf  den  verfall  des  hl.  römischen  reichs,  programm 
von  Münnerstadt  1841/42,  vgl.  auch  Zs.  fda.  3, 441  f.  Archiv  f. 
Unterfranken  11,  32.  MSH.  4, 882).  Der  Verfasser  war  aus  Karl- 
stadt am  Main  und  plebanus  zu  Ostheim  bei  A schaff enburg 
(s.  Archiv  f.  Unterfranken  a.  a.  o.),  also  ein  landsmann  des  Minne- 
burgdichters. Kr  vertritt  in  seinem  gedieh te,  einer  1341  ge- 
fertigten Übersetzung  des  Dictamen  de  modemis  cunHbus  von 
Leopold  von  Bebenburg,  dieselbe  kunstrichtung  wie  jener 
in  seinen  Reden,  denn  sein  stil  ist  in  hohem  grade  geblümt. 
Es  liegt  darum  nahe,  zwischen  beiden  gedichten  eine  gewisse 
beziehung  anzunehmen.  Die  einwirkung  müsste  wol  von  der 
Minneburg  als  dem  monumentaleren  werk  ausgegangen  sein 
und  nicht  von  dem  kürzeren  und  wenig  beachteten  Spruche 
des  pfarrers.  Wenn  diese  blosse,  auf  keine  sicheren  gründe 
gestützte  Vermutung  das  richtige  treffen  sollte,  dann  wäre  als 
späteste  grenze  für  die  abfassung  der  Minneburg  etwa  das 
jähr  1340  anzusetzen.  Jedenfalls  sind  die  verse  Baldemanns 
ein  weiteres  beispiel  für  die  beliebtheit  der  geblümten  rede 
in  Ostfranken. 

Zum  schluss  ist  noch  der  stil  der  bearbeitung  B  und 
der  prosa  zu  berühren.  Der  Verfasser  von  B  kommt  dem 
dichter  des  Originals  gleich  an  phrasenschwulst,  steht  aber  in 
der  beherschung  der  spräche  noch  hinter  ihm  zurück.  Er  ist 
entschieden  ungebildeter.  Er  hat  überhaupt  keinen  rechten 
begriff  von  satzbau,  weshalb  oft  schwer  zu  erraten  ist,  was 
er  eigentlich  sagen  will.  Die  bearbeitung  ist  also  wie  in  der 
reimkunst,  so  auch  in  der  behandlung  der  stilistischen  form 
roher  als  das  ursprüngliche  gedieht.  —  Die  prosa  schliefst 
sich  sprachlich  eng  an  ihre  vorlagen  an  und  nimmt  viele 
einzelheiten  unmittelbar  aus  ihnen  herüber,  doch  sind  die  reime 
kaum  mehr  bemerkbar.  Da  sie  die  lyrischen  stellen,  die 
'underbinde'  und  minuereden,  auch  die  bezugnehmungen  auf 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG. 


3*3 


meist  er  Egen,  weglässt,  überhaupt  die  gedrechselten  phrasen 
und  auffallenden  Wörter  möglichst  meidet,  so  ist  damit  die 
geblümte  rede  ganz  geschwunden.  Auch  der  satzbau  ist  ein- 
fach. Somit  ist  die  form,  wenn  auch  unbeholfen  und  zu  wenig 
frei  aus  dem  originale  herausgearbeitet,  doch  eine  ungeschminkte, 
einer  prosaabhandlung  angemessene.  Der  stil  erinnert  mehr- 
fach an  nicht  allzu  überschwängliche  mystische  tractate  oder 
an  die  schulprosa  des  Lucidarius,  vorübergehend  auch  an  die 
predigt  (vgl.  oben  s.  313). 

V. 

Der  dichter. 

Aus  der  beobachtung  der  reime  hat  sich  als  heimat  des 
dichtere  Ostfranken,  als  zeit  der  abfassung  seines  Werkes  die 
erste  hälfte,  genauer  vielleicht  das  zweite  viertel  des  14.  jh.'s 
ergeben.  Nach  Ostfranken  gehören  auch  die  beiden  einzigen 
ihm  gleichzeitigen  persönlichkeiten,  die  er  in  seinem  gedichte 
nennt,  nämlich  meister  Egen  von  Hamberg  und  der  mal  er 
Arnold  von  Würzburg.  Letzterem  sind  folgende  verse  ge- 
widmet: 

v.  44WS.  brisilgen  varb  koiifen  kein, 

ich  wolt  nzer  mäzen  gern  er  nein  mir  sin  pensei  rein 

daz  ineister  Arnolt  der  nialer  und  habt  in  an  ir  roten  mnnt: 

von  Wirzbnrc  in  ir  (<l.  i.  der  geliehten)     zehant  und  an  derselben  stnnt 
knntscbaft  wer!        so  vil  der  roete  dar  in  sohüzze 
an  guot  müest  ez  in  helfen  ser,  daz  ein  ganzez  jar  dann  flnzze 

wen  er  bedürft  niemer  mer  Paris  varb  gennoe  dar  uz. 

Diese  stelle  ist  interessant  für  die  geschiente  der  maierei 
als  eines  der  frühesten  Zeugnisse  für  die  Würzburger  maler- 
schule. Man  hat  angenommen  (s.  Janitschek,  Gesch.  d.  d.  maierei 
s.  218),  dieser  maier  Arnold  sei  der  gleiche  wie  der  'maier 
von  Würzburg'  in  Rosenplüts  gleichnamigem  sprach  (Keller, 
Fastnachtspiele  s.  1180  ff.).  Aber  dieser  schwank  beruht  auf 
einem  internationalen  thema,  in  einer  früheren  fassung  (Keller. 
Erzählungen  s.  173  ff.  Bartsch,  Germ.  18, 41  ff.)  ist  der  Schau- 
platz gar  nicht  Würzburg,  sondern  eine  Stadt  am  Rhein.  Ausser- 
dem gibt  es  noch  eine  im  Stoff  ganz  abweichende  erzählung, 
die  ebenfalls  'Der  maier  von  Würzburg'  betitelt  ist  (Keller. 
Erzählungen  s.  251  ff).    Ueber  Rosenplüts  schwank  und  die 


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334 


EHRISMANN 


hierher  gehörige  literatur  vgl.  Michels,  Studien  über  die  ältesten 
deutschen  fastnachtspiele  s.  163 — 169. 

Die  einzige  anspielung  auf  eine  bestimmte  örtlichkeit  ist 
enthalten  in  den  versen 

195»l   sie  (d.i.  die  geliebte)  kan  ouch  also  helle  loelizen 
als  eins  nahts  enbrunnen  wer 
der  gröze  walt  der  Sehe  renzer 
und  vor  linr  geh  höhen  lohen. 

Damit  ist  die  Scharnitz  in  den  oberbairischen  Alpen  gemeint, 
im  mittelalter  häufig  genannt,  z.  b.  als  südwestlicher  grenzpunkt 
des  bistums  Freising  bei  K.  Roth,  Beitr.  1,92  (in  silua  scarinza); 
von  Veit  Arnpeckh  hg.  von  Deutinger,  Beitr.  zur  gesch.  des 
erzbistums  München  und  Freising  3,  544  {pro  restitutione  cer- 
torum  terminorum  silve  Schernitz);  als  wilde  Waldgegend, 
in  deren  einsamkeit  sich  Weif,  der  Schwiegervater  Ludwigs 
des  frommen,  zurückzog,  beim  Annalista  Saxo,  MG.  SS.  6,  764 
a.  1126  (juxta  silvam  que  Scerenzerewald  dicitur),  s.  auch 
K.  Roth,  Kozroh's  Renner  s.  19.  29.  104  und  besonders  die  vielen 
beispiele  bei  Förstemann  2,  1233  und  Schmeller-Fr.  2,  469.  — 
Das  oben  angeführte  citat  gehört  zu  den  vielen  ausschmücken- 
den hyperbeln  des  gedientes;  das  Waldgebirge  konnte  dem  Ver- 
fasser durch  eigene  anschauung  oder  auch  vom  hörensagen 
bekannt  sein:  weitere  Schlüsse  lassen  sich  aus  seiner  erwähnung 
nicht  ziehen. 

Ueber  seine  lebensumstände  gibt  der  dichter  keine  aus- 
kauft An  einer  stelle  des  letzten  capitcls  scheint  er  aber 
auf  seine  person  anzuspielen.  Bei  dem  gericht  der  minne  stellt 
die  treue  als  letzte  der  klägerinnen  ihren  diener,  einen  edel- 
knecht,  vor  mit  der  bemerkung,  dass  ihn  und  den  der  diz  buoch 
getihiet  hat  ein  und  dieselbe  mutter  geboren  habe  (v.  4246  ff.). 
Führt  er  sich  in  der  tat  in  dieser  Verkleidung  selber  ein,  dann 
ist  er  wol  von  adligem  stände,  ein  junker,  gewesen. 

Was  sich  über  sein  geistiges  leben  aus  seinem  werke  ent- 
nehmen lässt,  bezieht  sich  auf  seine  künstlerischen  fähigkeiten 
und  auf  seine  bildung.  Davon  ist  gelegentlich  des  stuffes  und 
des  stils  die  rede  gewesen. 


DAS  MTW.  GEDICHT  VON  DER  MINNKBURO. 


^5 


Sohluss. 

Die  Minneburg  war  eine  der  beliebtesten  minneallegorien 
des  14. 15.  jh.'s:  das  beweist  die  anzahl  der  hss.,  welche  die  der 
meisten  verwanten  gediente  übertrifft:  es  sind,  einschliesslich 
der  prosa  und  des  auszugs  bei  der  Hätzlerin,  8  hss.  direct  über- 
liefert, andere  lassen  sich  als  Zwischenglieder  aus  dem  hand- 
schrif ten Verhältnis  sowie  aus  Lassbergs  mitt  eilung  erschließen; 
das  beweist  ferner  die  Umarbeitung  in  prosa  und  die  aufnähme 
der  minnerede  in  das  liederbuch  der  Hätzlerin.  Die  erhaltenen 
hss.  zeigen,  dass  das  gedieht  von  Ostfranken  aus  in  Böhmen 
und  in  der  Wetterau,  besonders  aber  in  Schwaben  (hier  auch 
die  nachwirkung  bei  Sachsenheims  nachahmer)  Verbreitung 
gefunden  hat.  —  In  Ostfranken  ist  die  gattung  der  minne- 
allegorien ausser  durch  die  gediente  des  meisters  Egen  und 
die  Minneburg  noch  durch  den  Spruch  von  der  minne  im 
garten,  Cod.  pal.  germ.  358,  bl.  74«— 82  •>  (vgl.  Karl  Meyer, 
Meister  Altswert  s.  6)  vertreten.  I  )ass  auch  dieses  gedieht  ost- 
fränkisch ist.  zeigen  die  reime  deutlich:  von  dialektischen 
formen  erscheinen  nur  die  inf.  ohne  -w,  diese  sehr  häutig. 
Auch  das  versmass  ist  glatt,  die  spräche  nicht  übertrieben. 
Diese  allegorie  steht  künstlerisch  in  jeder  beziehung  höher 
als  die  Minneburg. 

Anhang  I. 

Die  aufstellung  der  mundartlichen  erscheinungen  s.  258  ff. 
und  s.  288  ff.  hat  eine  reihe  charakteristischer  eigenschaften 
des  ostfränkischen  ergeben,  als  deren  hervortretendste  das 
fehlen  des  n  im  infinit iv  und  nur  in  diesem  zu  bezeichnen 
Ist.  Diese  hat  es  zwar  mit  dem  thüringischen  und  meissnischen 
(Heinrich  von  Krolewitz)  gemein,  es  unterscheidet  sich  jedoch 
von  ihnen  durch  den  mangel  anderer  diesen  eigenen  besonder- 
heiten.  Es  fehlen  dem  ostfränkischen  überhaupt  die  haupt- 
sächlichsten md.  kennzeichen,  denn  unter  den  von  Paul  in 
seiner  Mhd.  gramm.  §§  90 — 109  angeführten  md.  merkmalen 
sind  nur  w  für  j  und  die  graphische  Vertretung  von  ee  durch 
e  hier  heimisch.  Gerade  im  letzteren  punkt  unterscheidet 
sich  das  ostfränkische  vom  thüringischen  und  meissnischen. 
indem  dort  v  aus  w  und  altes  e  auch  lautlich  zusammenfallen 
(es  reimen  da  z.  b.  ttu're  :  serc  u.  s.  w.). 


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336 


EHRISMANN 


Auf  grund  der  oben  festgestellten  merkmale  des  ostfrän- 
kischen ist  die  heimat  verschiedener  mhd.  gedichte  anders 
oder  genauer  zu  bestimmen  als  bisher  geschehen.  Behaghel 
hat  jüngst  in  seiner  rectoratsrede  'Schriftsprache  und  mundart' 
auf  einen  merkwürdigen  zufall  in  der  Ortsbestimmung  mittel- 
hochdeutscher denkmäler  aufmerksam  gemacht,  wonach  so  viele 
derselben  in  'grenzgebieten'  entstanden  sein  sollen.  Gerade 
Ostfranken  wird  oft  als  'Übergangsgebiet'  in  anspruch  ge- 
nommen, wenn  bairische  und  mitteldeutsche,  oder  gar  bairische 
und  schwäbische  und  mitteldeutsche  bestandteile  in  einem  denk- 
mal  vereinigt  vorzukommen  scheinen.  Ks  läuft  dabei  der  irrtum 
unter,  dass  man  dem  ostfränkischen  einen  stärker  ausgeprägten 
nid.  Charakter  zuschreibt  als  wirklich  der  fall  ist. 

So  lag  nach  Rosenhagen  (Untersuchungen  über  Daniel  vom 
blühenden  tal  s.  47)  die  heimat  des  Strickers  'etwa  im  öst- 
lichen Franken'.  Mit  recht  bezweifelt  Seemüller,  dass  aus  den 
sprachlichen  eigentümlichkeiten  allein  diese  abgrenzung  sich 
ergebe  (Anz.  fda.  19,  250).  o  für  u  in  den  praett,  pl.  si  verlorn, 
si  erkorn,  si  flogen,  si  enlogen,  si  engolten  ist  nicht  ostfränkiseh ; 
umgekehrt  fehlen  die  infinitive  ohne  n,  die  bei  einem  der 
mundart  einigen  Spielraum  gewährenden  Verfasser  nicht  ge- 
mangelt hätten. 

Den  in  bruchstücken  überlieferten  roman  von  Blanschan- 
din  (hg.  von  J.Haupt,  Germ.  14,68 ff.)  sowie  dessen  hs.  verweist 
Rosenhagen  (a.  a.  o.  s.  44)  ebenfalls  nach  Ostfranken.  Aber  im 
gedichte  passen  dazu  nicht  die  bindungen  sere  :  teere  3,  27, 
auch  nicht  in  anbetracht  der  sonstigen  genauigkeit  der  reime 
riten  :  vermuten  3, 88.  Die  hs.  vollends  hat  eine  reihe  vom  ost- 
fränkischen abweichender  eigentümlichkeiten,  so  häufig  d  für  /. 
bit  für  mit,  rittersehaf,  gittern  3,98;  ginhalb  3.  64  für  jenem, 
jenhalb,  simeliehez  3, 107  für  semelichez. 

Als  entstehungsgebiet  von  Herzog  Ernst  D  nimmt  Bartsch 
(H.  Ernst  s.  i.vii)  die  grenze  zwischen  Baiern  und  Mitteldeutsch- 
land (etwa  das  heutige  Mittelfranken)  an,  ebenso  Ahlgrimm 
(l'ntei-suchungen  über  die  Gothaer  hs.  des  'H.  Ernst',  diss.  von 
Kiel  1890,  s.32)'),  Weinhold  Ostfranken  (Mhd.  granun.'  s.  106 

')  Die  ausgesprochen  rheinfränk.  hs.  zeigt  nach  Ahlgrimm  8.  23  'ein 
niischuiigxverhältnis  iimI.  nml  otxl.  Dialektes,  welches  etwa  auf  das  heutige 
Alitteltrankeii  hinweist,  wo  mil.  nml  olnl.  Sprachgebiet  znsainmenstosseii'! 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBURG.  337 


und  135).  Mitteldeutsche  bestand  teile  sind  allerdings  vorhanden, 
aber  gerade  deshalb  ist  die  heimat  des  dichten  nicht  in  den 
drei  bairischen  Franken  zu  suchen.  Freilich  noch  weniger  in 
Baiern,  denn  dafür  kann  der  einzige  in  betracht  kommende 
reim  ü  :  Ott  in  rum  :  zederboum,  goum  :  rmn,  goumen  :  rersumen 
nicht  massgebend  sein,  zumal  die  diphthongierung  von  ü  :  oh 
gerade  vor  m  am  frühesten  eingetreten  zu  sein  scheint  (s.  oben 
s.  272  f.). 

Auch  Otte's  Eraclius  gehört  nicht  nach  Ostfranken,  denn 
das  t  der  flexion  in  der  2.  sg.  praes.  fehlt  öfter  und  der 
schwund  des  k  ist  ganz  geläufig,  auch  neben  consonanten  (Gräf 
s.  24  f.  Herzfeld,  Zu  Otte's  Eraclius,  diss.  von  Heidelberg  1884, 
s.  19  ff.  E.  Schröder,  Gott,  gel.  anz.  1884,  565  anm.);  umgekehrt 
kommen  infinitive  ohne  n  nach  Gräf  nicht  vor  (oder  doch  nur 
ganz  vereinzelt?). 

Holz  verlegt  die  bearbeitung  A  des  Rosengartens  (s.  xci 
seiner  ausgäbe)  nach  Ostfranken,  Jänicke  den  Wolfdietrich 
C  nach  bair.  Mittelfranken  (Berliner  heldenbuch  4,  s.  xxvn  f.). 
Die  reime  geben  für  beide  annahmen  keine  anhaltspunkte. 

Der  Trierer  Aegidius  zeigt  nach  Roediger  4md.  Wil- 
dungen', die  von  ihm  Zs.  f da.  21, 390'  gesammelt  sind;  viele  da- 
von beweisen,  dass  das  gedieht  jedenfalls  nicht  ostfränkisch 
Ist,  wie  Roediger  ebda.  s.  397  vermutet,  Als  heimat  des 
Schreibers  des  Trierer  Silvester  nimmt  Kraus  in  seiner 
ausgäbe,  wo  das  mundartliche  ausführlich  behandelt  ist,  den 
nördlichsten  teil  Ostfrankens  an  (s.43),  wegen  der  form  dit 
für  diz,  die  im  benachbarten  Hessen  gebräuchlich  ist.  Es 
scheint  mir  eher  eine  nördlichere  gegend,  also  Thüringen,  an- 
zusetzen zu  sein. 

Der  Stricker  und  Otte,  der  Verfasser  des  Blanschandin 
sowie  der  Schreiber  der  hs.,  der  dichter  von  Ernst  D  und  der 
des  Trierer  Aegidius  haben  ihre  heimat  in  Rheinfranken. 
Für  Ott  e  werden  daher  die  bestimmungen  von  Gräf  und  Herz- 
feld geltung  behalten.  Er  mag  eher  noch  etwas  südlicher  als 
in  der  Wetterau  heimisch  gewesen  sein. 

Umgekehrt  sind  ins  ostfränkische  zu  verlegen: 

Die  erzählung  Der  vrouwen  turnei  (v.  d.  Hagen,  GA.  1, 
371—382)  wegen  der  vielen  »-losen  infinitive  (vgl.  Grimm, 
Gramm.  1  *,  849)  bei  abwesenheit  strenger  md.  kennzeichen 

Beitrüge  *ur  ge*chicht«<  der  deuUche»  •pruche.    XXII.  JJj 


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338 


KHKISMANN 


(der  reim  zwitraJit :  werhaft  v.  19  ist  nicht  dialektiscli,  sondern 
den  unreinen  reimen  unvuogc  :  suone  57,  armuot :  not  199  zu- 
zugesellen); und  aus  denselben  gründen  Des  h und  es  not  (vgL 
Reissenberger  s.  21;  dass  die  2.  sg.  praes.  ind.  im  dialekt 
des  dichters  auf  -s  ausgeht,  ist  nicht  zu  erweisen,  da  der  reim 
singe« :  swinges  11  bloss  von  dem  Schreiber  eingeführt  sein 
kann).  Die  mundart  in  der  Klage  Adams  und  Evas  (v.  d. 
Hagen,  GA.  1,5—16.  H.  Fischer,  (renn.  22,  316— 341,  die  reime 
s.  ebda.  s.  333)  ist  auf  das  ostfränkische  zu  bescliranken. 

Schliesslich  noch  eine  bemerkung  zum  Mönch  von  Heils- 
bronn. Die  ungenauigkeit  seiner  reime  erschwert  eine  sichere 
Ortsbestimmung.  Jedenfalls  aber  zeigen  sich  md.  formen,  vgl. 
Wagner,  QF.  15,  17  ff.  (nachzutragen  ist  2.  sg.  ind.  praet 
mehte  im  reim  auf  gehrehte  und  knehte  im  eingang  und  schluss 
des  Fronleichnam),  gemäss  welcher  er  unmöglich  in  bair.  Mittel- 
franken, wo  das  kloster  Heilsbronn  liegt,  noch  auch  in  Ost- 
franken zu  hause  gewesen  sein  kann.  Da  nun  sehr  häufig 
infinitive  ohne  n  begegnen  (ausserdem  wird  flexions-n  nur  nach 
nasalisch  endendem  stamm  unterdrückt  in  den  park  perl 
vernomen  :  kom,  drum  :  kumen,  und  in  der  1.  plur.  tvir 
lernen  :  stern,  was  als  reimfreiheit  aufzufassen  ist),  so  nmss 
die  heimat  des  mönchs  Thüringen  gewesen  sein.  Dahin  passt 
auch  die  3.  praes.  ind.  set  'er  sagt'  im  reim  auf  gebet 
(Wagner  s.  19.  21),  vgl.  H.  Fischer,  Zur  gesch.  des  mhd.  s.  29. 
Er  war  also  ein  Thüringer,  der  in  dem  kloster  Heilsbronn 
lebte.1)  Die  spräche  seiner  Umgebung  hatte  einfluss  auf  ihn. 
und  aus  der  damit  entstehenden  uneinheitlichkeit  mögen  sich 
viele  der  reimungenauigkeiten  ergeben  haben.  —  Auch  die 
von  Wagner  (s.  3)  zum  vergleich  mit  dem  dialekt  des  mönchs 
beigezogene  Tristan-hs.  aus  Scheinsfeld  (Kutschera,  Zs.  fda.  19. 
70  ff.)  ist  zu  sehr  md.  gefärbt,  als  dass  sie  dem  ostfränkischen 
entstammen  könnte,  und  hat  überdies  keine  apokopierten 
infinitive. 

Keine  spuren  ihrer  ostfränkischen  herkunft  zeigen  die 
werke  der  guten  zeit  der  mhd.  dichtkunst.  wie  der  Wigalois, 
Winsbeke,  oder  die  lieder  des  grafen  von  Hotenlouben.  Erst 

l)  l'eber  kdialektmi*ehuiig  durch  anfenthaltewechttl  verursacht'  *.  Be- 
brtghel.  .Schriftsprache  uud  mundart  8.  29. 


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DAS  MHD.  GEDICHT  VON  DER  MINNEBFRO. 


330 


die  bürgerlichen  dichter  wie  Ruprecht  von  Würzburg  und 
Hugo  von  Trimberg  nehmen  die  mundart  auf,  aber  zunächst 
mit  Zurückhaltung.  lTm  die  mitte  des  14.  jh.'s  ist  sogar  ein 
nachahmer  der  hofischen  dichtung  wie  der  Verfasser  der  Minne- 
burg, nicht  mehr  im  stände,  sich  dem  einfluss  der  mundart 
zu  entziehen. 

Anhang  Ii. 

In  der  hs.  P  schliessen  sich  unmittelbar  an  die  prosaische 
inhaltsangabe  (s.  oben  s.  258)  in  nicht  abgesetzten  Zeilen  drei 
lyrische  gedichte  an,  eingeleitet  durch  die  worte  md  ditz  tmeh 
hebet  sieh  an  mit  dryn  Uedem  md  spreehen  also  (bl.  84»— 8f>b): 

1. 

1    Die  sinne  wert      an  got  ich  wirdie  brise, 
wise,      die  er  ftf  minn  «reichet  hat. 
ez  hat  sin  rat 

durch  minne  gunne      uns  schön  nach  im  gebildet. 
5   got  uiildet      sich  gen  Moyse      durch  minn  hie  vor  mit  spise. 

Sin  minn  die  wert      hie  her  von  anegenge 
strenge,       wau  er  nam  au  sich  menschlich  wat. 
dar  in  er  trat 

durch  menschlich  kunue      daz  im  daz  was  verwildet. 
in    gezildet      hat  er  ane  we      uns  zu  der  engel  menge. 

Hie  got  wol  wert      daz  minne  ist  daz  beste 

wan  er  durch  uns  gar  veste 

an  des  kriuzes  este 

durch  minne  wart  genegelt, 
lj    da  mit  uns  wart  verhegelt 

der  helle  braune,      ob  siinden  uns  bevildet. 

ez  git  der  grise 

sich  uns  zu  spise 

daz  sin  minne  uf  uns  rise; 
SO   sin  überlittzzic  minnen  runs      gen  uns      ie  minne  gert. 

1 

1    Nie  bezzerz  wart       wan  daz  man  got  dnrebsinuet. 
ininnet.      daz  bringet  ewiclichez  heil, 
so  machet  geil 


5  cor  hie  hs.     10  gezildei  —  geeilt.     11  icert  -   'bewährt',  hs.  iriti. 
15  terhegeln  'umzäunen',  bei  Lexer  nicht  belegt,  vgl.  Schmeller-Fr.  1,  1007 
cerhügen,  rerhugen'.  Schweizer,  id.  2,  1073  f.    lti  bevildet  =  het  ilt.    20  der 
schwache  gen.  minnen  ist  hier  wie  3  v.  12  beibehalten,  denn  er  kann  wol 
dein  original  angehören,  ebenso  wurden  3  v.  18:  vgl.  oben  s.  259. 

22* 


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340 


KHKISMANN 


«ler  miliiie  ginnt       wo  sie  die  herz  enbrennet. 
5    sie  trennet     sorgen  baut  enzwei       wohin  sie  suoze  rinnet. 

Der  niinne  wart  die  machet  truric  herzen 
scherzen  und  bint  sie  an  der  frönden  seil, 
gar  sunder  meil 

sie  sanfte  tuot       wo  man  sie  reht  erkennet. 
10   sie  bennet    mort  und  jnmers  schrei    und  wendet  allen  smerzen. 

Die  minn  die  wart      ir  dnrer  vor  nuteten, 
in  wirden  orden  treten 
leret  »ie  ir  steten 
und  macht  sie  eren  giric, 
15    ir  fröude  stet  und  wiric. 

sie  gibt  dem  muot      der  sie  zu  fron  wen  nennet, 
die  minn«  bringet 
daz  den  gelinget, 

der  muot  nach  ireiu  willen  ringet 
20    ir  lere  snidet  »am  ein  grat,      sie  hat       ie  mezzers  art. 

:i. 

1    Sit  minne  leit      so  genzlich  kau  behftren. 
trnren,      für  war  daz  wil  ich  varen  lan, 
wan  ich  mir  hau 

mit  liebes  bant      ein  liep  in  mich  gestricket, 
5    daz  zwicket    mir  min  sendez  herz    daz  ich  bi  ir  innoz  trnren. 

Min  herz  ie  leit      groz  liei»  uf  sie  gehiurc 
tiure.     daz  ich  der  lieb  niht  abe  gan. 
gar  »linder  wan 

ich  nie  derkant      kein  wip  so  schön  geschicket. 
10    sie  blicket      sam  eiu  valkenterz      ftz  heizer  güete  tiure. 

Strit  ich  ie  leit      von  mins  gedanken  witzen. 

daz  ich  der  minuen  kritzeu 

ir  nie  torst  ergitzen, 

die  mich  gar  hat  bekreizt 
15    und  bi  mir  ist  erbeizt. 

daz  ich  empfant       min  herz  alsö  zerbicket. 

wer  kan  diu"chloben 

ir  wirden  kloben 

und  onch  ir  lop  daz  unbestoben. 
20    und  kan  durchwird  daz  süeze  wip     des  lip     wit  sunne  treit. 


4  starker  plnr.  herzie),  des  versmawses  wegen.  10  bennet]  hs.  wendet. 
11  die  minne  bewahrt  die  ihr  dauerhaft  anhängenden  vor  Untaten.' 
15  iririe  'dauerhaft',  bei  Lexer  nur  zweimal  belegt.  12  kriUen,  U  be- 
kreuzen, 10  terbicken,  17  durvhloben  sind  nur  selten  belegt.  13  ertjitzenf 
19  unbestoben,  20  durchtrirtten  bei  Lexer  gar  nicht. 


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DA8  MHD.  GEDTCHT  VON  DER  MINNEBÜRO.  341 

Dass  diese  lieder  in  der  tat  von  dem  dichter  der  Minne- 
burg  verfasst  sind,  das  beweist  schon  das  sonst  unbelegte 
ergitzen  in  3. 13,  das  auch  in  der  Minneburg  vorkommt  und 
zwar  dreimal,  v.  1174  und  4933  im  reim  auf  witzen,  v.  4103  auf 
geritten;  es  ist  —  er-gichezen  und  bedeutet  'stammeln,  stot- 
tern', vgl.  Schmeller-Fr.  1,  884  gigken,  gigkezen.  Ebenso  ist  den 
Hedem  und  der  Minneburg  gemeinsam  die  phrase  der  minnen 
kritzen  lied  3,12  =  Mbg.  3302  f.  die  dö  der  minnen  kritzen 
kerten  wo  sie  wolten  hin.  Auch  der  schwülstige  stil  in  den 
liedern  trägt  ganz  die  art  des  Minneburgdichters:  hier  eben- 
falls die  besonders  in  den  reimen  angebrachten,  gesuchten 
Wörter,  die  in  form  von  subst.  mit  Substantiv,  genitiv  aus- 
gedrückten metaphern,  deren  mehrere  in  der  Minneburg  wider- 
kehren. Die  reime  sind  in  den  liedern  verhältnismässig  rein, 
doch  begegnen  auch  hier  kürzen  auf  längen  gebunden:  1,  2. 
3.7,8  hat,  rat,  wät,  trat,  2,  11.  12.  13  unteten,  treten,  steten. 
Die  mundart  kommt  zur  geltung  in  den  apokopierten  infini- 
tiven  gunne  1,  4  und  im  versinnern  in  durchwird(c)  3,  20,  wo 
beide  male  schon  die  hs.  richtig  n  weglässt.  (iezilt,  beeilt 
werden  des  reimes  wegen  zu  gezildet,  bevildet  1,  10.  16  in  folge 
falscher  auf  ungenügender  sprachkenntnis  beruhender  etymo- 
logie  nach  dem  muster  von  bint  —  bindet  etc. 

In  den  lj'rischen  gedienten  ist  ein  strenger  rhythmus  be- 
sonders auch  hinsichtlich  der  einsilbigkeit  der  Senkung  regel. 
Nun  hersclit  in  diesen  Strophen  dieselbe  freie  behandlung  des 
schwachen  e  \\ie  in  der  Minneburg.  Die  apokopierten  formen 
im  reime  mildet(r)  1. 5,  herz(e)  3,  5  zeigen,  dass  es  weggelassen 
werden  kann,  takte  wie  dne  yenge  1,  6,  raren  |  Idn  3,  2,  dass 
es  selbst  nach  mhd.  kürze  +  nasal  bez.  liqu.  als  Senkung  ver- 
wendet werden  darf.  Darum  wird  z.  b.  die  3.  sg.  praes.  ind. 
sowol  mit  schwachem  e  gebraucht,  wie  machet  2,  3.6,  als  ohne 
dasselbe,  wie  macht  2,  14.  Die  aus  den  freier  gebauten  verseil 
der  Minneburg  erschlossene  regel  (s.  282)  wird  also  durch  diese 
lieder  bestätigt. 

HEIDELBERG.  GUSTAV  EHRISMANX. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


In  der  Asmundar  saga  kappabana  spricht  der  von  dem 
kämpfe  mit  Hildibrandr  zurückkehrende  Äsmundr  zu  der 
königstochter  vier  Strophen,  deren  erste  (Detters  ausgäbe  s.  99, 
str.  vi)  lautet: 

Litt  varpi  mik  la#a  poira. 
at  mik  mannz  «in-kis  ofyrr  kva*fti, 
pas  mik  til  kappa  kum  Hünmegir 
atta  sinnum  fyr  jofurs  riki. 

Es  fragt  sich,  wer  die  z.  8  erwähnten  Hünmcyir  sind. 

Die  Hanmeyir  haben  Asmnndr  til  kappa,  zum  kämpfet*,  ge- 
wählt. Eine  natürliche  interpretation  der  zeile  wird  deshalb 
die  Hünmcyir  als  Äsmunds  freunde  auffassen,  wie  denn  auch 
die  prosa  erzählt,  dass  die  Schwester  der  sächsischen  herzöge 
Äsmundr  aufforderte,  für  die  erhalt  ung  ihres  reiches  zu 
kämpfen.  Darauf  habe  Äsmundr  mit  den  berserkern  Hildi- 
brands,  welche  die  herzöge  herausforderten,  entweder  einen 
mann  ihnen  gegenüber  zu  stellen,  oder  ihren  besitz  preis  zu 
geben,  gekämpft.  Aehnlich  ist  die  Vorstellung  welche  Saxo 
von  den  dem  kämpfe  vorangehenden  begebenheiten  gibt. 

Die  Ht'tntneyir  wählen  Äsmundr  zu  kämpfen  fyr  jofurs 
riki,  d.  h.  für  das  reich  ihres,  des  von  Hildibrandr  bedrängten 
fürsten,  nicht  für  das  der  feinde. 

Wenn  man  unter  den  Hunmrgir  Asmunds  feinde  verstehen 
will,  muss  man  kappt  durch  'Widersacher'  übersetzen.  Doch 
interpretiert  man  in  diesem  fall  in  die  Strophe  einen  sinn 
hinein,  der  der  prosa  widerspricht;  denn  in  kjösa  liegt  doch 
der  begriff  des  wählens.  und  nicht  die  feinde  haben  Äsmundr 
gewählt:  sie  wussten  nicht  einmal,  dass  er  sich  in  der  nähe 
aufhielt. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


343 


Noch  grössere  Schwierigkeiten  bereitet  uns  in  diesem 
fall  der  ausdruck  fyr  jgfurs  riki  Kaum  jemand  wird  im 
ernst  diese  worte  als  eine  selbständige  bestimmung  zu  kuru 
auffassen  wollen  und  übersetzen:  'um  das  reich  ihres  fürsten 
auszubreiten,  wählten  sie  mich  achtmal  zum  Widersacher; 
Detter,  der  in  den  Hünmegir  Asmunds  feinde  sieht,  fasst  den 
jgfurr  als  Asmunds  fürsten  auf,  so  dass  zu  übersetzen  wäre: 
'sie  wählten  mich  (das  muss  dann  bedeuten:  sie  forderten  mich 
auf)  achtmal,  für  das  reich  meines  fürsten  zu  kämpfen'.  Ab- 
gesehen von  der  unnatürlichkeit,  in  dieser  weise  sich  auszu- 
drücken, ist  noch  zu  bemerken,  dass  die  fürsten  für  welche 
Äsmundr  ficht,  weder  in  der  saga  noch  bei  Saxo  Asmunds 
fürsten  sind.  Äsmundr  kommt  als  ein  fremder,  er  leiht  den 
herzögen  seinen  beistand  und  reist  wider  ab.  Dass  die  feinde 
gesagt  hätten:  'wehre  das  reich  deines  fürsten',  wäre  noch  zu 
verstehen;  dass  aber  Äsmundr  noch  nach  seiner  rückkehr  in 
Dänemark  die  fremden  herzöge  'mein  fürst1  genannt  habe,  ist 
nicht  anzunehmen.  Also  kämpft  Äsmundr  für  den  fürsten  der 
Hünmegir,  welche  ihn  dazu  erwählt  hatten. 

Von  der  Voraussetzung  ausgehend,  die  Hünmegir  seien 
Äsmunds  feinde,  emendiert  nun  Detter  z.  2  und  liest: 

at  menn  einvigt*   öfair  kveridi, 

d.h.  in  Zusammenhang  mit  z.  1:  'ich  erwartete  nicht  solche 
kampfregeln  (vgl.  die  rikinyalyfj),  dass  mehrere  leute  (sc.  einen) 
zum  Zweikampf  auffordern  würden'.  Ferner  schliesst  Detter 
aus  dem  umstände,  dass  Saxo  den  inhalt  der  z.  1.  2  mit  der 
handschriftlichen  Überlieferung  in  Übereinstimmung,  von  seiner 
emendation  aber  abweichend  übersetzt,  dass  die  verse  schon 
Saxo  in  einer  sehr  verderbten  gestalt,  derselben  in  der  sie 
die  saga  mitteilt,  vorlagen. 

Abgehen  davon  dass  es  ein  wagnis  ist,  aus  einer  ziemlich 
gewaltsamen  conjectur  so  weitreichende  Schlüsse  zu  ziehen, 
abgesehen  auch  von  dem  nicht  belegten  Substantiv  einvig  an- 
statt einvigi,  verliert  diese  Interpretation  der  z.  2  ihre  Voraus- 
setzung durch  die  auffassung  der  Htmmeyir  als  Asmunds 
freunde.  Für  die  richtigkcit  der  handschriftlichen  Überlieferung 
sprechen  ferner  noch  die  folgenden  gründe: 

1.  Äsmundr  ist  ausgezogen,  um  ruhmreiche  taten  zu  voll- 
bringen; bei  Saxo  erschlägt  Haldanus,  welcher  dem  Äsmundr 


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344 


BOER 


der  saga  entspricht,  schon  beim  beginn  der  reise  zwölf  puydes 
der  königstochter;  es  ist  daher  nicht  wahrscheinlich,  dass  ein 
kämpf  mit  mehreren  berserkern  ihm  so  gar  unerwartet  ge- 
kommen sei. 

2.  Dass  Saxo  die  stelle  richtig  verstanden  hat,  indem  er 
die  verse  auf  die  dem  Haldanus  durch  die  Verlobung  seiner 
braut  zugefügte  schmach  bezog,  beweist  die  antwort  der  (}yu- 
ritha  (der  vEsa  der  saga),  welche  zweifelsohne  wie  Asmunds 
worte  auf  alten  Strophen  beruht.  In  16  verszeilen,  welche  die 
Asmundar  saga  nicht  kennt,  entschuldigt  Gyuritha  ihre  Ver- 
lobung mit  der  mitteilung,  sie  sei  zu  dieser  heirat  genötigt 
worden;  in  dem  glauben.  Haldanus  sei  vor  Hildigerus  gefallen, 
habe  sie  dem  fremden  prinzen  ihre  hand  zugesagt  :  ihre  liebe 
zu  Haldanus  sei  aber  dieselbe  wie  zuvor. 

Diese  verse  setzen  voraus,  dass  Haldanus  auf  eine  gering- 
schätzung  angespielt  hat.  welche  er  von  Seiten  der  Gyuritha 
erfuhr  in  dem  augenblicke  wo  er  die  Strophe  sprach:  die  an- 
spielung  muss  in  z.  1.  2  der  Strophe  enthalten  sein.  Dem  wider- 
spricht nun  ofyrr  in  z.  2.  was  auf  eine  früher  erlittene  schmach 
zu  deuten  scheint,  nicht,  wenn  man  peira  richtig  übersetzt. 
Ich  fasse  fieira  in  prägnanter  bedeutung  auf  und  übersetze 
die  halbstrophe  auf  folgende  weise:  'wenig  erwartete  ich  das- 
selbe urteil  (jetzt)  zu  vernehmen,  wie  damals  wo  mau  mich 
nichts  wert  achtete'. 

Auf  die  frage,  wann  Äsmundr  nichts  wert  geachtet  wurde, 
gibt  die  saga  keine  antwort.  Aufschluss  erhalten  wir  durch 
Saxo.  Dort  heisst  es  s.  243,  Hildigerus  (der  Hildibrandr  der 
saga),  der  wusste  dass  Haldanus  sein  bruder  war,  habe,  als 
dieser  sich  zum  Zweikampf  darbot,  sich  geweigert  cum  hominc 
purum  spvdato  manum  consrrturum;  aus  dem  gründe  habe  er 
andere  athleten  in  den  kämpf  gesendet,  bis  Haldanus  deren 
so  viele  erschlagen  hatte,  dass  dem  Hildigerus  kein  vorwand, 
sich  dem  Zweikampf  zu  entziehen,  mehr  übrig  blieb.1) 

')  Die  Strophe  selbst  teilt  mit.  dass  Äsmnndr  -  Haldanns  die  «rering- 
sehätzung:,  auf  weh-he  z.  2  anspielt .  damals  erlitt  als  die  Hi'mmeirir  ihn 
zum  kämptVr  wählten.  Wenn  das  nieht  der  fall  wäre,  könnte  z.  2  noch 
auf  zwei  andere  berichte  Saxns  bezogen  werden.  S.  241.28  heisst  es:  huius 
(Drote)  Borearique  filius  HaMtmus  /m/7;  ciu'uh  iuuenie  iniein  stoliditalis 
opiniow  refertu  f'uere,  sequenn  uero  eins  fulgattissimin  opemm  imignibm 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


345 


Wir  kehren  nun  zu  der  tatsache  dass  die  Hünmegir 
Asmunds  freunde  sind,  zurück.  Wir  stossen  also  in  der 
strophe  auf  dieselbe  Vorstellung'  welche  Saxo  von  dem  Schau- 
platz des  kämpf  es  gibt,  wo  Haldanus  nach  Ruscia  zieht,  um 
den  bedrängten  Rutheni  hilfe  zu  leisten.  Die  localisation 
Hünalands  in  Russland  in  altnordischen  quellen  ist  eine  be- 
kannte tatsache,  auf  welche  ich  an  dieser  stelle  nicht  ein- 
gehe (Arkiv  8, 108).  Die  richtige  auffassung  der  strophe  wurde 
bisher  erschwert  durch  die  vierte  strophe,  welche  Äsmundr 
spricht,  str.  ix  der  ausgäbe,  wo  Hildibrandr,  Asmunds  gegner, 
Hünakappi  genannt  wird.  Wenn  Hildibrandr  der  Hünakappi 
war,  lag  es  nahe,  die  Hünmegir  als  Hildibrauds  freunde  auf- 
zufassen. Denn  dass  Hünmegir  und  Hünir  innerhalb  vier 
zusammengehöriger  Strophen  einmal  appellativum,  das  zweite 
mal  name  eines  Volkes  sein  sollte,  ist  nicht  anzunehmen. 
Daraus  ergibt  sich  aber,  dass  str.  ix  nicht  demselben  gedichte 
wie  str.  vi  angehören  kann  und  demnach  zu  streichen  ist. 
Wider  stützt  die  Überlieferung  Saxos.  der  die  Strophen  in 
versform  getreu  widergibt,  und  sogar,  wie  Gyurithas  antwort 
beweist,  das  gedieht  in  vollständigerer  gestalt  kannte  als  der 
Verfasser  der  saga,  das  auf  anderem  wege  gewonnene  resultat. 
Denn  Saxos  verse  enthalten  nichts  der  str.  ix  entsprechendes: 
er  hat  sie  augenscheinlich  nicht  gekannt. 

Damit  verschwindet  nun  der  name  und  die  gestalt  Hildi- 

illiistris  etutsit  tmuimtsquc  uitc  ornainentis  inclanit't.  Also  war  Haldanus, 
wie  ho  mancher  hehl,  in  seiner  juxend  untüchtig.  S.  242  f.  wirft  (»yu« 
ritha  dem  mn  sie  werbenden  Haldanus  zunächst  seine  unedle  ahkunft  vor: 
nee  ffenerix  obscuritatem  e.rprobrasse  contenta  eciam  am  deform itaiem 
hnproperat.  Von  dieser  Unterredung  weiss  die  saga.  welche  sie  durch  ein 
andere«  raotiv  ersetzt,  nichts:  doch  stimmt  sie  mit  den  übrigen  berichten 
von  der  geringschätzung  welche  Haldanus  in  seiner  Jugend  ertragen 
musste,  nur  zu  gut.  Man  wäre  sogar  geneigt,  auf  diese  erzähluug  z.  2  zu 
beziehen,  wenn  nicht  z.  3.  4  zu  beweisen  schienen,  dass  von  Hildigerus' 
Weigerung,  mit  Haldanus  zu  kämpfen,  die  rede  ist.  Wenn  pa  er  in  der 
bedentung  siJ)an  aufzufassen  erlaubt  wäre,  so  dürfte  die  strophe  eine  an- 
spielung  auf  Haldanus"  frühere  Unterredung  mit  (ivuritha  enthalten,  und 
es  wäre  zu  ühersetzen:  'seitdem  die  Hunnen  mich  achtmal  zum  kämpfer 
gewählt  haben,  um  für  das  reich  ihres  fürsten  zu  kämpfen,  hätte  ich  nicht 
erwartet  da.sselhe  urteil  noch  einmal  zu  vernehmeu  wie  damals,  wo  man 
(d.h.  du)  mich  ensh's  ntnntic  achtete.  Poch  wäre  in  dem  fall  z.  2  wol 
kretdir  zu  lesen. 


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346 


BOER 


brands  aus  dem  Gedichte  und  entstellt  die  Vermutung:,  dass 
wir  es  nicht  mit  einer  durch  einfluss  heimischer  sagen  um- 
geformten Hildebrandssage,  sondern  mit  einer  dänischen  sage 
zu  tun  haben,  welche  züge  aus  der  Hildebrandssage  in  sich 
aufgenommen  hat.  Wie  aber  kam  die  gestalt  Hildibrands 
in  die  sage  hinein?  Saxo  kennt  sie  noch  nicht:  bei  ihm  heisst 
der  gegner  des  Haldanus  Hildigcrus.  Doch  findet  sich  bei 
ihm  schon  ein  ansatz  zu  der  contamination  mit  der  sage  von 
Hildebrand.  Es  sind  die  Zeilen  s.  244,  34 — 38,  welche  str.  Iii, 
4 — 6,  s.  99  der  saga  entsprechen  und  in  demselben  Zusammen- 
hang wie  hier  mitgeteilt  werden.1) 

Dass  str.  in  ursprünglich  nicht  ausgesehen  haben  kann 
wie  sie  überliefert  ist,  bemerkt  schon  Detter  (einleitung  s.  Llll); 
er  glaubt  dass  nach  m,  3  etwa  zwei  zeilen  verloren  sind,  ans 
denen,  falls  sie  überliefert  wären,  hervorgehen  würde,  dass  in 
dem  alten  gedieht«  der  tod  von  Hildibrands  söhn  nicht  als 
auf  dem  schilde  gemalt  vorgestellt,  sondern  in  anderem  Zu- 
sammenhang mitgeteilt  wurde. 

Ich  verstehe  nicht,  wie  das  möglich  ist.  Wenn  die  Äs- 
mundar  saga  eine  Hildebrandssage  erzählt,  welche  unter  dem 
eiiiHusse  dänischer  sagen  dergestalt  umgebildet  wurde  dass 
ein  kindesmord  durch  einen  brudermord  ersetzt  wurde,  weil 
die  Vorstellung  von  einem  brudermorde  den  Dänen  vertrauter 
war.  und  dass  Hildebrand  aus  gründen  welche  die  erzählung 
forderte,  statt  des  moniers  zum  gemordeten  bruder  wurde,  so 
kann  ein  dichter,  für  den  diese  Umformung  ein  fait  arcompli 
war.  der  Hildibrandr  von  seinem  bruder  getötet  werden  liess, 
doch  nicht  zu  gleicher  zeit  erzählt  haben,  Hildibrandr  habe 
seinen  eigenen  söhn  getötet.  Der  Stellvertreter  des  sohnes 
wäre  eben  Äsmundr.  der  noch  lebt,  und  von  dem  Hildibrandr 
selbst  getötet  wird.  Hier  kann  doch  von  einer  im  laufe  der  zeit 
umgebildeten  sage,  welche  an  frühere  überlieferungsfonnen  ein- 

')  Die  atrophe  lautet : 

Stendr  [raerj  at  hoffte  Iii il"  en  hrotua. 
»  n»  |>ar  taloer  titfir  (/.  ti^ar)  ens  ätta 
manna  Jvira.  er  at  moroe  varftk. 
1'iWfr  |      |  fnn  svase  sonr  at  hoffte, 
«■ptreriingi  es  eiira  sratk. 
oviljande  aldrs  synjaöak. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


347 


zelne  reminiscenzen  bewahrt  hat.  nicht  die  rede  sein;  zwei 
ganz  verschiedene,  einander  widersprechende  formen  der  tra- 
ditio]! würden  an  dieser  stelle  schroff  und  unversöhnt  einander 
gegenüber  stehen:  eine  inconcinnität ,  welche  geschaffen  zu 
haben  man  einem  dichter  altnordischer  heldenpoesie  um  so 
weiüger  zutrauen  kann,  als  er  kein  moderner  philologe  war, 
der  in  dem  ihm  vorliegenden  stoffe  einen  alten  sagenkem 
völlig  abweichenden  inhalts  witterte.  Die  einzige  erklärung 
des  Widerspruchs  ist  die,  dass  str.  in,  4—6  interpoliert  sind. 
Der  bericht  der  prosa  s.  98, 18—20,  Hildibrandr  habe  in  einem 
anfall  von  berserkerwut  seinen  söhn  getötet,  zeugt  gewis  eher 
gegen  als  für  die  Zeilen;  die  ungeschickte  weise  in  der  der- 
selbe angebracht  ist,  beweist,  dass  der  sagaschreiber  davon 
auf  grund  lebendiger  tradition  nichts  zu  erzählen  wusste;  er 
schob  die  kurze  bemerkung  nur  aus  dem  gründe  ein.  damit 
der  leser  doch  nicht  vollständig  unvorbereitet  auf  die  überaus 
auffallende  str.  in,  4 — 0  stossen  möchte;  diese  verszeilen  sind 
die  einzige  quelle  der  stelle.  Ich  glaube,  es  ist  kein  zweifei 
darüber  möglich,  dass  die  drei  Zeilen  aus  einem  verlorenen 
Hildebrandsliede  in  unser  gedieht  geraten  sind.  lud  zwar 
schon  früh.  Denn  auch  Saxo  hat.  wie  gesagt,  die  verse  schon 
an  dieser  stelle  gekannt. 

Es  ist  in  den  meisten  fällen  nicht  leicht,  den  grnnd  für 
die  aufnähme  fremder  demente  in  ein  gedieht  mit  Sicherheit 
anzugeben,  indem  manchmal  kein  anderer  grund  als  das  be- 
streben, herrenlose  fragmente  unterzubringen,  vorhanden  war. 
Doch  hat  an  dieser  stelle  ohne  zweifei  eine  durchaus  zufällige 
lautliche  ähnlichkeit  mitgewirkt ;  dieselbe  ist  so  schlagend,  dass 
sie  sogar  zur  erklärung  des  phänomens  genügen  würde.  — 
in,  1  lautet:  stendr  [mir]  at  hgföe  hilf  vn  brotna;  III,  4  (die 
erste  zeile  der  interpolation):  liggr  []>ar\  tun  sram  sonr  at 
hpföe.  Es  lag  nahe,  die  drei  Zeilen,  deren  erste  eine  Variation 
von  in,  1  zu  sein  schien,  nachdem  sie  aus  ihrem  natürlichen 
Zusammenhang  geraten  waren,  als  diesem  gediente  und  zwar 
dieser  strophe  zugehörig  aufzufassen.  Auf  diese  weise  wurden 
die  verse  welche  der  alte  Hildibrandr  bei  der  leiche  seines 
Sohnes  sprach,  zu  einem  berichte  über  die  bemalung  eines 
Schildes.  Die  ursprüngliche  vierte  zeile  der  str.  in  ist  verloren. 

Durch  die  entfernung  der  str.  in,  4  t>  gewinnen  wir  für  die 


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BOEK 


Untersuchung  der  Äsmundarsaga  einen  anhaltspunkt.  Für  die 
Hildebrandssage  ergibt  sich,  dass  diese  im  skandinavischen 
norden  früh  bekannt  und  besungen  war,  und  zwar  nicht  in 
einer  nach  heimischen  Vorbildern  umgebildeten,  sondern  in 
einer  dem  alten  Hildebrandsliede  nahe  stehenden  gestalt.  Drei 
Zeilen  von  einem  gediente  welches  Hildebrands  klage  enthielt 
und  also  dem  verlorenen  teil  des  liedes  entsprach,  sind  durch 
einen  glücklichen  zufall  auf  uns  gekommen. 

Die  aufnähme  der  Zeilen  in,  4—  6  in  das  gedieht  hat  nun 
eine  weitere  beeinflussung  der  sage  durch  die  von  Hildebrand 
veranlasst.  Bei  Saxo  hat  dieselbe  noch  nicht  stattgefunden. 
In  der  saga  begegneten  wir  ihr  bis  jetzt  in  dem  namen  Hild- 
ibrandr, der  an  die  stelle  von  Saxos  Hildigerus  tritt.  Wir 
verfolgen  nun  diese  und  andere  damit  zusammenhängende  ein- 
flüsse  weiter,  und  richten  zunächst  unsere  aufmerksamkeit  auf 
die  Vorgeschichte.  Es  ist  für  die  Untersuchung  notwendig, 
dieselbe,  so  wie  sie  in  beiden  quellen  mitgeteilt  wird,  kurz  zu 
widerholen.   Die  saga  erzählt  sie  auf  die  folgende  weise: 

'König  Ilelgi,  Hildibrands  söhn  aus  Hünaland,  kommt  zum 
könige  BnÖli  in  Schweden  und  heiratet  mit  Buftlis  Zustimmung 
dessen  tochter  Hildr;  der  söhn  heisst  Hildibrandr;  dieser  wird 
zu  seinem  grossvater  in  Hunaland  geschickt;  Helgi  reist  i  hernad 
und  fällt  (84. 21).  König  Älfr  in  Danmark  hat  eine  tochter 
Mm  en  fagra;  sein  kämpe  heisst  Abi.  Älfr  zieht  nach  Schwe- 
den, um  des  alten  Budli  reich  zu  erobern;  Buöli  fällt.  Älfr 
nimmt  die  königstochter  gefangen  und  gibt  sie  dem  Aki.  Der 
söhn  heisst  Asmundr.  Ein  verwanter  Hildibrands  ist  könig 
Atli  ( var.  Lascinus).  Ihm  macht  Hildibrandr  zwei  jarlar  in 
Saarland  zinsbar.  Dann  reist  er  nach  Dänemark  und  tötet 
könig  Älfr.  Äsmundr  wirbt  um  die  königstochter,  besteht 
eine  freierprobe,  gelobt  den  tod  des  königs  Älfr  zu  rächen, 
zieht  nach  Saxland,  das  von  Hildibrandr  und  Atli  (Lascinus) 
bedrängt  wird,  kämpft  für  die  jarlar  und  besiegt  Hildibrands 
berserker  und  schliesslich  ihn  selbst.  Nach  Dänemark  zurück- 
gekehrt, heiratet  er  jJCsa  en  fagra,  und  tötet  einen  neben- 
buhler,  oh  er  sä  eitji  nef'ndr  (doch  wurde  bei  der  freierprobe 
ein  nebenbuhler  Eijvindr  shinnholl,  wol  mit  diesem  identisch, 
genannt).' 

Saxo  erzählt:   -in  Xorweyen  regiert  könig  Regnaldus. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


Gunnarus,  fortissimus  Suetonmn  besiegt  ihn;  er  kommt  um. 
Gunnarus  raubt  Regnaldus*  tochter  Drota  aus  ilirem  versteck 
und  zeugt  mit  ihr,  ohne  sie  zu  heiraten,  einen  söhn  Hildigems. 
Dieser  ist  von  roher  gemütsart;  er  geht  in  den  dienst  des 
Sehwedenkönigs  Alucrm.  Alf  der  söhn  des  Danenkönigs 
Üigarus,  hatte  einen  kriegsgefährten  Borcarus.  Mit  ihm 
kämpft  er  wider  seine  geliebte  Aluilda,  welche  er  besiegt 
und  heiratet.  Ihre  freund  in  Gro  wird  dem  Borcarus  gegeben. 
Die  tochter  Alfs  und  der  Aluilda  ist  Gyuritha;  der  söhn  des 
Borcarus  und  der  Gro  ist  Haraldus  Hyldetan  (dieser  bericht 
ist  ein  irrtum.  dem  auch  Saxo  selbst  s.  24t>  widerspricht,  wo 
Harald  Hildetand  ein  kleinsohn  des  Borcarus  ist). 

Zur  zeit  als  könig  Regnaldus  fiel,  war  Sigarus'  geschlecht 
schon  untergegangen  bis  auf  Alfs  tochter  Gyuritha;  Borcarus 
führt  das  regiment.  Er  tötet  nun  Gunnarus  und  heiratet 
Drota,  welche  in  ihm  den  rächer  ihres  vaters  liebt  (man 
muss  annehmen,  dass  Gro  inzwischen  gestorben  war.  was  Saxo 
nicht  erzählt).  Der  söhn  des  Borcarus  und  der  Drota  heisst 
Haldanus.  Nachdem  Borcarus  im  kämpfe  gefallen,  wirbt  nun 
Haldanus  um  Gyuritha.  Diese  wirft  ihm  seine  unedle  abkunft 
und  seinen  mangel  an  Schönheit  vor;  er  verspricht  nicht  eher 
zurückzukehren,  als  bis  beide  fehler  durch  den  rühm  seiner 
taten  aufgewogen  werden.  Nachdem  er  die  pugiles  der  Gyuritha 
getötet,  zieht  er  zu  den  Huthenen,  welche  von  könig  Ahlems 
bedrängt  werden.  Ahlems  hat  ausgezeichnete  berserker,  deren 
vorzüglichster  Hildigems  ist.  Es  folgt  die  beschreibung  des 
kampfes.  Haldanus  kehrt  darauf  nach  Dänemark  zurück;  er 
tötet  einen  nebenbuhler  namens  Siuarus  aus  Saxland  und  hei- 
ratet die  Gyuritha.' 

Wenn  man  diese  beiden  erzählungen  mit  einander  ver- 
gleicht, fällt  zunächst  der  mangel  an  Übereinstimmung  in  den 
Personennamen  auf.  Die  königstochter  welche  die  beiden 
brüder  gebiert,  heisst  in  der  saga  Hildr,  bei  Saxo  Drott;  ihr 
vater  in  der  saga  BuÖli,  bei  Saxo  Kegnaldus;  der  könig  in 
dessen  dienst  Hildibrandr- Hildigems  geht,  in  der  saga  Atli 
{Lascinus  fasst  Detter  mit  recht  als  eine  änderung  auf),  bei 
Saxo  Altterus.  Diese  namen  geben  viel  zu  denken.  Atli  und 
Buöli  können  von  Hildibranilr  schwerlich  getrennt  werden; 
wo  es  nun  feststeht,  dass  dieser  erst  später  in  die  saga  auf- 


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^50  BOER 

genommen  ist,  entstellt  der  gerechte  verdacht,  dass  anch  Atli 
und  Buöli,  welche  ja  stets  in  Verbindung  mit  Hildibrandr  ge- 
dacht wurden,  an  die  stelle  anderer  dieser  saga  ursprünglich 
zugehörigen  gestalten  getreten  sind.  Dieselbe  erklärung  drängt 
sich  auf  hinsichtlich  Hildr,  der  tochter  Buftiis;  man  denke  an 
die  beiden  töchter  Mldr  des  königs  BuAli  der  Volsunga  saga 
und  der  Egils  saga  ok  Asmundar,  welche  mädchen  als  Bryn- 
hildr  und  Bekkhildr  unterschieden  werden. 

Was  die  Hildr  betrifft,  so  liefert  die  saga  selbst  den  be- 
weis der  oben  aufgestellten  hypothese,  indem  die  mutter  der 
beiden  beiden  in  str.  i  Droit  genannt  wird  (i,  3  pik  Droit  of 
bar  af  [1.  i'VJ  Danmorko).  Das  beweist  aber  in  Zusammenhang 
mit  dem  erörterten,  dass  auch  Atli  und  Buöli  der  sage  ur- 
sprünglich fremd  waren.1) 

Daraus  folgt  ferner,  dass  str.  n,  wo  die  beiden  Schwerter, 
deren  geschiente  am  anfang  der  saga  erzählt  wird,  Buölanautar 
heissen,  nicht  von  demselben  dichter  herrühren  wie  str.  i,  wo 
die  köuigstochter  Drott  heisst  —  denn  Droit  und  Rcynaldus 
gehören  zusammen  wie  Hildr  und  Buöli  .  sondern  dass  sie 
derselben  Schicht  wie  str.  ix  angehört,  welche  Hildibrandr 
Hünakappi  nennt.  Entsprechende  verse  fehlen,  was  zu  erwarten 
war.  bei  Saxo.  Man  ersieht  daraus,  dass  die  verse  der  As- 
mundar saga  nicht  nur  mit  fremden  dementen  interpoliert, 
sondern  auch  in  späterer  zeit  mit  neugedichteten  Zusätzen  ver- 
sehen sind. 

Ein  analogieschluss  der  viel  Wahrscheinlichkeit  für  sich 
hat,  ist  dieser,  dass  auch  die  übrigen  personennamen  welche 
in  den  beiden  Überlieferungen  nicht  übereinstimmen,  bei  Saxo 
in  ursprünglicherer  form  als  in  der  saga  überliefert  sein 
werden.  Es  sind  zunächst  Astnundr  -  Haldanus  und  Hetyi- 
Gunnarus.  Für  die  grössere  ursprünglichkeit  Saxos  in  bezug 
auf  diese  beiden  namen  werde  ich  weiter  unten  noch  gründe 


')  Die  aupassun$r  dieser  namen  an  einen  fremden  -agenstofF  int  die 
Ursache,  dass  Atli,  welcher  iu  anderen  quellen  stets  als  Budlis  sonn  er- 
scheint, hier  in  einem  ganz  fremden  lande  regiert.  Die  sage  war  vor  der 
aufnähme  dieser  namen  im  skandinavischen  norden  lokalisiert:  so  wurde 
Buöli  zu  einem  künure  iu  Schweden.  Weil  aber  Hildibrandr  Hitnalappi 
heisst  und  auch  Atli  als  Hunnenkönitf  bekannt  war,  wurden  diese  beiden 
gestalten  von  Buöli  getrennt  uud  nach  einem  anderen  land  verlegt. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


351 


anführen.  Es  bleibt  dann  nur  noch  übrig  Akt- Horcarus,  der 
wol  nicht  allein  eine  ausnähme  machen  wird,  um  so  weniger 
als  auch  der  name  Aki  der  deutschen  heldensage  zu  entstammen 
scheint  (vgl.  den  Aki  orlungatrausti  der  Irioreks  saga). 

Dass  die  isländische  Überlieferung  könig  Helgi  an  die 
stelle  des  unbekannten  (Tiinnarus  (Gunnarus  ist  bei  Saxo  kein 
könig)  einsetzte,  erkläre  ich  daraus  dass  die  geschieht  e  des 
Gunnarus  mit  dem  des  Skjoldungen  Helgi  mehrere  berührungs- 
punkte  darbot.  Gunnarus  raubt  ein  mädchen,  welches  später 
die  gemahlin  eines  fremden  fürsten  wurde.  So  raubt  und  heiratet 
Helgi  die  Yrsa,  welche  später  die  gemahlin  Aöils'  von  Schweden 
wird.  Zwischen  den  beiden  kindern  der  Drött  entbrennt  eine 
feindschaft,  welche  damit  endet  dass  der  eine  den  tod  des 
anderen  bewirkt:  es  ist  Gunnarus  söhn,  der  durch  des  bruders 
band  umkommt,  Helgis  söhn  Hrölfr  kraki  wird  durch  seine 
Schwester  Skuld.  die  tochter  des  AiMls,  und  durch  ihren  gatten 
Hjorvarör  getötet.  Die  Ähnlichkeit  der  beiden  sagen  war 
gross  genug,  um  eine  weitere  beeinflussung  der  einen  durch 
die  andere  zu  ermöglichen.  Das  ist  denn  auch  in  hohem 
grade  geschehen:  die  aufnähme  der  gestalt  Helgis  in  die  sage 
war  nur  der  erste  schritt  auf  diesem  wege. 

Eine  ziemlich  bedeutende  Änderung,  welche  partielle  an- 
gleichung  an  die  Helgisage  verrät,  ist  die  dass  die  eroberung 
des  landes  und  die  tötung  des  königs  Regnaldus  durch  eine 
friedliche  Werbung  ersetzt  ist.  Dadurch  wurde  keine  voll- 
ständige Übereinstimmung  erreicht  —  in  gewisser  hinsieht  ist 
die  neuerung  sogar  als  eine  abweichung  von  der  Helgisage  zu 
betrachten,  denn  Yrsa  wurde  geraubt  — .  aber  doch  eine  grössere 
ähnlichkeit,  denn  auch  Helgi  nahm  nur  die  frau  mit  sich,  liess 
aber  das  land  in  frieden,  und  noch  mehrere  jähre  später  lebte 
die  mutter,  welche  in  jener  sage  die  stelle  des  vaters  vertritt. 
Dass  wirklich  angleichung  vorliegt,  zeigt  sich  aber  hauptsäch- 
lich darin  dass  durch  die  friedliche  Werbung  für  Borcarus-Aki 
jeder  grund,  Gunnarus-Helgi  zu  töten,  hin  wegfällt,  Die  saga 
lässt  den  Helgi,  während  der  söhn  im  kindesalter  ist.  i  hernaö 
ziehen  und  irgendwo  im  unbekannten  lande  umkommen.  Ganz 
analog  mit  Helgi  Hälfdans  söhn  (bei  Arngrimr,  Saxo,  Ynglinga 
saga).  Dadurch  fällt  nun  dem  Borcarus-Aki  die  rolle  des 
räubers  zu.    Er  tritt  als  solcher  auf  im  gefolge  des  königs 


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BOKH 


Älfr,  and  dem  jungen  Hildigerus- Hildibrandr  liegt  die  pflicht 
ob,  seinen  grossvater  vün  matters  seiten  zu  rächen.  Das  niotiv 
lag  ziemlich  nahe,  und  mit  gewisheit  Hesse  sich  kaum  behaupten, 
dass  es  nicht  aus  den  gegebenen  dementen  der  sage  sich  selb- 
ständig entwickelt  haben  könnte.  Doch  ist,  seitdem  einmal 
contamination  mit  der  Helgisage  eine  erwiesene  tatsache  Ist, 
die  Vermutung  gewis  nicht  grundlos,  dass  auch  dieser  zug  auf 
einfluss  der  Helgisage  (freilich  nicht  der  sage  von  Helgi  Hälf- 
dans söhn,  sondern  der  von  Helgi  Hjorvarös  söhn,  welche  mit 
dieser  schon  früh  in  Verbindung  gebracht  wurde)  zurückzuführen 
sein  wird.')  Wie  es  sich  aber  damit  verhalten  möge,  dass  es 
zu  der  sage  von  Hildigerus  und  Haldanus  ursprünglich  nicht 
gehörte,  zeigt  die  Überlieferung  noch  klar  genug.  Denn  sowol 
die  isländische  wie  die  lateinische  quelle  heben  hervor,  und  es 
ist  auch  die  pointe  der  erzähl ung,  dass  Äsmundr- Haldanus  nicht 
weiss,  wer  Hildibrandr- Hildigerus  ist:  er  weiss  den  namen, 
aber  das  zwischen  ihnen  bestehende  verwantschaftsverhältnis 
ist  ihm  unbekannt.  Wenn  aber  die  tochter  des  königs  Älfr 
den  Äsmundr  aufgefordert  hätte,  an  Hildibrandr  ihren  vater 
zu  rächen,  so  wäre  es  ja  unerhört,  dass  Äsmundr  nicht  wissen 
sollte,  was  jedermann  wusste,  aus  welchem  gründe  Hildibrandr 
den  Älfr  getötet  hätte,  und  die  verwantschaft  der  brüder  wäre 
ihm  kein  geheimnis  geblieben.  Es  kommt  hinzu,  dass  wenn 
Äsmundr-Haldanus  ausgezogen  wäre,  um  den  kämpf  mit  Hil- 
digerus-Hildibrandr  zu  suchen,  er  kaum  den  langen  um  weg. 
sei  es  zu  den  Ruthenen,  sei  es  nach  Saxland  gewählt  hätte, 
und  wenn  es  galt,  Hildibrandr  selbst  zu  treffen,  wäre  die  be- 
gegnung  mit  den  übrigen  berserkern  ein  bedeutungsloser  auf- 
schub  der  räche.  Das  tragische  der  Situation  besteht  darin, 
dass  die  brüder  dadurch  dass  sie  im  feindlichen  lager  einander 
gegenüber  stehen,  zum  kämpfe  genötigt  werden.    Dass  Hal- 

V)  Tin  nicht«  zu  übersehen,  bemerke  ich.  dass  auch  der  sage  von  Helgi 
Halfdans  »ohne  das  motiv  nicht  ganz  fremd  ist,  obgleich  es  weniger  in  den 
Vordergrund  tritt.  Denn  Helgi  war  nicht  nur  Yrsas  gemahl.  sondern  auch 
ihr  vater.  Hrölf  krakis  räche  an  Aftils  Uber  Helgis  tod  (der  nach  der  Über- 
lieferung, welche  in  der  Hrölfs  saga  kraka  vorliegt,  von  Attila  getötet  wurde), 
konnte  also  als  die  räche  Uber  seinen  grossvater  angesehen  werden.  Poch 
i*t  die  sagenfonu  welche  Helgi  durch  AÖils  umkommen  lässt.  schon  etwas 
jünger  (vgl.  unten):  auch  wird  AÖils  von  Hrolfr  nicht  getötet,  und  über- 
haupt scheint  mir  die  ähulichkeit  weniger  schlagend. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE 


353 


danus  den  Hildigerus  nicht  kennt,  erklärt  sich  gerade  daraus, 
dass  dieser  ein  zwar  durch  seine  taten  berühmter,  aber  doch 
in  gewisser  hinsieht,  namentlich  in  bezug  auf  seine  abkunft 
unbekannter  soldat  in  dem  beere  eines  fremden  königs  Ist; 
dass  solches  nicht  einschliesst,  dass  auch  Haldanus  dem  Hil- 
digerus unbekannt  sein  musste,  leuchtet  ein. 

Also  wurde  vor  der  Verbindung  mit  der  Helgisage  könig 
Älfr  von  Hildigerus- Hildibrandr  nicht  getötet;  Älfr  und  Bor- 
carus-Aki  waren  demnach  nicht  die  mörder  des  Regnaldus- 
Buöli,  sondern  Saxo  erzählt  richtig,  dass  Gunnarus  Regnaldus 
tötete  und  darauf  selbst  von  Borcarus  erschlagen  wurde. 

Nicht  ohne  Zusammenhang  mit  den  besprochenen  Umfor- 
mungen ist  ein  anderer  wichtiger  unterschied.  In  der  saga 
ziehen  Älfr  und  Aki  zusammen  aus,  um  wider  Budli  krieg  zu 
führen;  sie  rauben  zusammen  die  Hildr,  welche  der  könig  so- 
dann seinem  gefährten  schenkt  mit  der  ziemlich  rohen  bemer- 
kung:  vil  eh  gipta  per  Midi  BuÖladöttur,  pött  hon  eigi  dÖr 
bonda.  Aki  meint,  sie  sei  darum  nicht  schlechter.  Diese 
Unterredung  hat  die  deutliche  tendenz  zu  erklären,  dass  der 
könig  die  geraubte  königstochter  nicht  für  sich  selbst  be- 
hielt, und  lenkt  gerade  dadurch  die  aufmerksamkeit  auf  die 
unwahrscheinlichkeit.  Doch  ist  die  bemerkung,  ein  anderer 
habe  sie  zuvor  besessen,  eine  dürftige  erklärung.  Eine  bessere 
erhalten  wir  durch  Saxo.  Als  Borcarus  den  Gunnarus  tötet, 
ist  Alf  schon  früher  erschlagen;  er  nimmt  also  an  dem  kriegs- 
zug  keinen  teil;  früher  aber  ist  Borcarus  zusammen  mit  Alf 
auf  heerfahrten  gewesen  und  hat  auch  einmal  mit  ihm  und 
für  ihn  in  einer  Schlacht  ein  weib  erkämpft.  Das  war  die 
Aluilda,  welche  der  könig  nicht  seinem  kriegsfährten  schenkte, 
sondern  selbst  zum  weibe  nahm;  Borcarus  aber  erhielt  damals 
Aluildas  freundin  Gro.  Zwei  abenteuer  des  Borcarus  sind 
also  in  der  saga  zu  einem  geworden.  Dass  auch  hier  das 
Verhältnis  der  beiden  quellen  nicht  das  entgegengesetzte  ist, 
beweisen  m.  e.  vollständig  einerseits  die  oben  erwähnte  Unter- 
redung des  Älfr  mit  dem  Aki,  andererseits  die  erzählung  von 
Alt  und  Aluilda,  welche  eine  der  schönsten  geschienten  der 
Siklingensage  ist  und  sowol  wegen  ihres  umfanges  als  wegen 
ihres  poetischen  wertes  und  ihrer  ähnlichkeit  mit  anderen 
erzählungen  desselben  Sagenkreises  unmöglich  als  ein  durch 

Beiträge  sur  gmehichte  der  deuUchen  spräche.    XXII.  23 


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I 


354  BOER 

Spaltung  entstandener  zweig  der  in  der  Äsmundar  saga  mit- 
geteilten  erzählung  von  Alfr,  Aki  und  Hildr  aufgefasst  werden 
kann.  Also  verdient  auch  hier  Saxos  darstellung  vor  der  der 
saga  den  voi*zug. 

Wenn  aber  Älfr  bei  der  entführung  der  Drött  nicht  zu- 
gegen war,  so  ist  das  ein  weiterer  beweis,  dass  auch  Alfr  den 
Regnaldus-Buoli  nicht  erschlagen  hat,  und  dass  Hildigerus- 
Hildibrandr  keinen  grossvater  zu  rächen  hatte. 

Die  saga  berichtet  von  einer  freierprobe,  welche  Äsmundr 
zu  bestehen  hat.  Nachdem  er  den  nebenbuhler  besiegt  hat, 
stellt  /Esa,  ehe  sie  sein  weib  zu  werden  zustimmt,  noch  die 
bedingung,  dass  er  ihres  vaters  tod  räche.  Dieses  motiv  ist, 
wie  oben  nachgewiesen  wurde,  an  die  stelle  eines  anderen  ge- 
treten, wo  Haldanus  auszieht,  um  so  viel  rühm  zu  erwerben, 
dass  die  königstochter  dadurch  ihn  als  ihren  ebenbürtigen  freier 
anzuerkennen  genötigt  werde.  Mit  dieser  sagenform  verträgt 
sich  das  motiv  der  freierprobe,  wenigstens  so  wie  die  sage  es 
erzählt,  nicht.  Denn  wenn  Haldanus  die  probe  schon  bestan- 
den hätte,  brauchte  er  nicht  auszuziehen  um  rühm  zu  erwerben. 
Das  motiv  wurzelt  in  dem  berichte  am  Schlüsse  der  beiden 
erzählungen  von  einem  nebenbuhler,  den  der  vom  kämpfe  mit 
Hildigerus  heimkehrende  Haldanus  am  hofe  der  königstochter 
trifft.  Saxo  erzählt  davon  ausführlich;  die  saga  hat  nur  den 
unverständlichen  satz:  en  (Äsmundr)  drap  Jmnn  er  hennar 
haf&i  beöit,  ok  er  sd  eiyi  nefndr.  Derjenige  der  früher  um  die 
königstochter  geworben  hat,  kann  nur  der  freier  sein,  von  dem 
vor  Asmunds  reise  die  rede  war;  das  war  aber  kein  grund 
ihn  zu  töten;  die  saga  weist  somit  auf  eine  quelle,  in  der 
dieser  nebenbuhler,  wie  bei  Saxo,  Asmunds  abwesenheit  be- 
nutzt hatte,  um  einen  versuch  zu  wagen  sich  der  königstochter 
zu  bemächtigen.  Dass  dieser  freier  sie  schon  früher  gebeten 
hatte,  kann  ein  alter  zug  sein;  ich  vermute  dass  in  einer  form 
der  sage  welche  den  kämpf  mit  Hildibrandr  noch  nicht  als 
einen  racheact  vorstellte,  gerade  dieser  kämpf  die  probe  war, 
durch  welche  Äsmundr  sich  als  seinem  nebenbuhler  überlegen 
erwies.1)  Nachdem  das  rachemotiv  an  dieser  stelle  aufgenommen 

')  Die  einzige  abweichnng  dieser  von  mir  vorausgesetzten  der  isl. 
Uberlieferung  zu  gründe  liegenden  sagenform  von  der  erzählung  Saxos 
wäre,  dass  hier  der  nebenbuhler  sich  schon  vor  Asmunds  abreise  gemeldet 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


355 


war,  wurde  eine  neue  freierprobe  eingeschoben;  das  Verständnis 
der  Überlieferung  wurde  dadurch  bis  zu  dem  grade  getrübt, 
dass  der  Verfasser  der  Äsmundar  saga  sogar  von  zwei  neben - 
buhlern  Äsmunds  spricht  und  es  beklagt,  dass  der  zweite  in 
der  quelle  nicht  genannt  ist. 

Der  anfang  der  Asmundar  saga  enthält  eine  erzählung 
von  zwei  fremden  schmieden,  welche  dem  könig  Buöli  das 
verhängnisvolle  schwert  schmieden,  mit  dem  Hildibrandr  nach- 
her erschlagen  wird.  Bei  Saxo  finden  sich  nur  unklare  renii- 
niscenzen  an  die  geschichte.  Die  Vorstellung  der  saga  ist  ziem- 
lich verworren  und  einer  näheren  Untersuchung  bedürftig. 

Zwei  fremde  namens  Olms  und  Alius  kommen  zu  dem 
könige  und  bitten  um  aufnähme.  Auf  des  königs  frage,  welche 
kunst  sie  verstehen,  antworten  sie,  sie  seien  in  der  schmiede- 
kunst  erfahren;  darauf  werden  sie  gastlich  aufgenommen. 
Abends  wird  ein  von  den  schmieden  des  königs  angefertigtes 
messer  vorgezeigt.  Alle  loben  es,  ausgenommen  Olius  und 
Alius;  sie  brechen  von  dem  messer  die  spitze  ab  und  ver- 
sprechen, dass  sie  ein  besseres  schmieden  werden.  Darauf 
schmieden  sie  ein  messer  welches  jede  probe  besteht.  Auf 
befehl  des  königs  schmieden  sie  nun  einen  goldenen  ring  (viel- 
leicht eine  später  hinzugefügte  reminiscenz  an  den  Andvara- 
nautr).  Der  könig  sagt  nun,  sie  sollen  ihm  zwei  Schwerter 
schmieden,  welche  so  viel  besser  als  andere  Schwerter  sind 
wie  pessi  snrid  ykkur  die  arbeit  anderer  schmiede  übertreffen. 
Olius  droht,  wenn  sie  zur  arbeit  gezwungen  werden,  so  könne 
das  schlimme  folgen  haben;  der  könig  lauscht  der  Warnung 
nicht  und  befiehlt  ihnen  die  Schwerter  zu  schmieden.  Bald 
darauf  bringen  sie  dem  könige  zwei  Schwerter.  Zuerst  wird 
das  schwert  welches  Olius  geschmiedet  hat,  erprobt;  es  besteht 
die  probe  schlecht  (lagöiz  sverdit  litt).  Dann  nimmt  der  könig 
Alius'  schwert  in  die  hand;  es  besteht  jede  probe.  Sodann 
lobt  der  könig  beide  Schwerter  (!)  und  fragt,  welches  die  natur 
des  zweiten  Schwertes  ist.  Alius  sagt  dass  mit  seinem 
Schwerte  das  andere  besiegt  werden  kann.  Der  könig  zer- 
bricht Olius'  schwert  und  befiehlt  ihm,  ein  neues  zu  schmieden. 


hätte.  Nach  beiden  qnellen  wäre  er  ausgezogen,  um  die  köuigstoehter 
durch  ruhmreiche  taten  zu  verdienen. 

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35G 


BOEK 


Das  neue  schwert  besteht  die  probe  wie  das  des  Alius;  Ölius 
aber  spricht  eine  Verwünschung  aus:  er  sagt,  das  schwert 
werde  des  königs  beiden  tochtersöhnen  den  tod  bringen.  Der 
könig  will  Olius  und  Alius  töten;  während  er  nach  Olius 
schlägt,  verschwinden  beide  (hier  vernehmen  wir,  dass  sie 
brüder  sind).  Der  könig  lässt  das  schwert  bei  Agnafit  in  das 
meer  versenken. 

Diese  erzählung  ist  so  ungereimt  wie  sich  nur  denken 
lässt.   Ich  hebe  das  folgende  hervor: 

1.  Olius  droht  dem  könig,  es  werde  schlimme  folgen  haben, 
wenn  er  wider  seinen  willen  zu  schmieden  genötigt  werde. 
Der  könig  nötigt  ihn,  und  nun  schmiedet  Olius  ein  untüchtiges 
schwert.  Erst  als  er  zum  zweiten  male  genötigt  wird,  bringt 
er  dem  könige  ein  verwünschtes  schwert. 

2.  Die  brüder  Olius  und  Alius  schmieden  zusammen;  das 
gute  messer  ist  ihre  gemeinschaftliche  arbeit;  ebenso  der  ring 
(falls  dieser  ursprünglich  ist);  jeder  von  ihnen  aber  schmiedet 
ein  schwert,  und  ein  gewisser  antagonismus  tritt  zu  tag-e, 
wenn  Alius  sagt,  sein  schwell  werde  das  seines  bruders  be- 
siegen. Dem  widerspricht  wider,  dass  der  könig  beide  die 
Verantwortlichkeit  für  den  fluch  tragen  lässt,  dass  er  beide 
töten  will  und  dass  beide  verschwinden. 

3.  Die  Schwerter  sollen  so  viel  besser  sein  als  andere 
Schwerter,  wie  die  kostbarkeiten  welche  die  brüder  früher  ge- 
schmiedet haben,  besser  sind  als  andere  kleinode.  Man  würde 
nun  erwarten,  dass  ein  anderes  schwert,  welches  nicht  die  arbeit 
der  brüder  war,  zur  vergleichung  herbeigeholt  werden  sollte, 
wie  auch  ihr  messer  dieselbe  probe  besteht,  welche  einem  von 
des  königs  schmieden  angefertigten  messer  zu  schwer  war. 

4.  Nachdem  sich  Olius'  schwert  als  untauglich  erwiesen 
hat,  sagt  der  könig  dennoch:  ok  er  hvdrttveggja  gott;  und  un- 
mittelbar darauf  zerbricht  er  das  schwert  und  befiehlt  Olius 
ein  anderes  zu  schmieden. 

So  widerspruchsvoll  die  Vorstellung  sein  mag,  so  glaube 
ich  doch  dass  das  richtige  wol  herauszufinden  ist,  weil  die 
Widersprüche  auf  einen  fehler  der  schriftlichen  Überlieferung 
zu  beruhen  scheinen.  Ursprünglich  haben  zweifelsohne  die 
brüder  Alius  und  Olius  zusammen  nur  ein  schwert  geschmiedet, 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


357 


während  das  andere  schwer!  die  arbeit  eines  Schmiedes  des 
königs  war.  Das  ist  noch  klar  aus  einer  Olius  in  den  mund 
gelegten  bemerkung,  nachdem  das  schwert  die  probe  nicht 
bestanden  hat,  zu  ersehen:  smiÖrinn  kvad  ßat  ofraun  sverdinu, 
ok  let  ]mt  til  hoggs  büit  en  eigi  til  reistingar.  Die  person  welche 
das  schwert  geschmiedet  hat,  heisst  hier  smiÖrinn  (vgl.  1, 14), 
während  Olius  und  Alius  stets  bei  ihrem  namen  genannt 
werden.  Die  worte  ziemen  auch  besser  einem  einfachen 
schmiede  der  sein  bestes  geleistet,  aber  weiss  dass  er  nicht 
alles  vermag,  als  einem  übermütigen  menschen  der  absichtlich 
ein  schlechtes  schwert  geschmiedet  hat.  Die  phrase  aber  be- 
weist zu  gleicher  zeit,  dass  noch  eine  schriftliche  quelle  des 
überlieferten  textes  den  schmied  des  königs  als  concurrenten 
der  brüder  kannte,  woraus  folgt,  dass  wir  es  hier  nicht  mit 
einer  Umformung  der  sage  während  der  zeit  der  mündlichen 
tradition,  sondern  einfach  mit  einem  handschriftlichen  fehler 
zu  tun  haben.') 

Die  brüder  schmieden  also  zusammen  ein  schwert  welches  sich 
als  vorzüglicher  als  das  von  des  königs  schmiede  angefertigte 
erweist.  Alius  sagt  mit  gerechtem  stolze,  wenn  dieses  schwert 
dem  anderen  Schwerte  welches  zu  gleicher  zeit  dem  könig  ge- 
zeigt wird,  im  kämpfe  begegne,  so  werde  der  träger  seines 
Schwertes  den  sieg  dtrvontragen.   Olius  aber  fügt  eine  ver- 

')  Die  ursprüngliche  form  des  textes  kann  mau  noch  mit  ziemlicher 
Genauigkeit  widerherstelleu.  Z.  14  stand  ursprünglich  konungs  smidr  oder 
smiftrinn  wie  z.  19.  Nachdem  hier  irrtümlich  Olius  geschrieben  war,  wurden 
die  folgenden  änderungen  notwendig.  Z.  5 :  tvau  sverft  fxtu  statt  werft  fiat. 
Z.  11  —  12:  serhrdrr  statt  serhcärir.  Z.  22.  25:  Alius  statt  fieir  brceftr.  Diese 
letzte  Änderung  braucht  nicht  einmal  angenommen  zu  werden :  es  ist  mög- 
lich, dass  der  urtext  schon  Alius  hatte,  weil  sehr  gut  einer  der  brüder 
anstatt  beider  genannt  werden  konnte:  auch  ist  es  Alius  der  dem  könige 
das  schwert  überreicht  und  zuerst  über  dessen  natur  anfschluss  gibt.  — 
Da  nun  Olius  einen  fluch  ausspricht,  der  nur  an  einem  vorzüglichen  Schwerte 
haften  konnte,  wurden  z.  28— Zi.sidan— vandkviedis,  wo  der  könig  das  schwert 
zerbricht  und  Olius  ein  neues  schmiedet,  hinzugefügt.  Z.  34  ist  statt  Hann 
zu  lesen  (Mius.  —  Die  worte  des  königs  z.  25:  ok  er  hraritreggja  gott  werden 
durch  diese  besserung  verständlich ;  der  könig  lobt  seinen  schmied,  der  ge- 
leistet was  er  vermochte,  obgleich  das  schwert  der  brüder  besser  ist.  Alius' 
worte  z.  28:  ok  mä  fio  kaUa  kosti  eina  okjafna  können  ursprünglich  sein ; 
sie  sind  dann  als  eine  höflichkeit  dem  fremden  schmiede  gegenüber  auf- 
zufassen. 


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BOEB 


wünschung  hinzu:  'dieses  schwert  wird  deinen  beiden  tochter- 
söhnen  den  tod  bringen'.  Zusammen  sind  die  brüder  für  die 
eigensehaften  des  Schwertes  verantwortlich,  und  der  könig  will 
aus  diesem  gründe  beide  töten;  beide  aber  verschwinden. 
Durch  diese  interpretation  wird  ferner  ein  Widerspruch,  der 
Detter  aufgefallen,  gelöst,  nämlich  der  dass  Alius  sagt,  sein 
schwert  werde  das  seines  bruders  besiegen,  während  nachher 
nicht  Alius',  sondern  Olius'  schwert  sich  als  das  siegreiche  er- 
weist. In  der  tat  besiegt  das  schwert  der  brüder  das  von  dem 
schmiede  des  königs  geschenkte  schwert. 

Aus  dem  angeführten  geht  hervor  dass  die  oben  s.350  schon 
als  jüngere  zutat  erkannte  str.ii,  in  welcher  die  beiden  Schwerter 
BiuManautar  genannt  werden,  aus  der  zeit  der  schriftlichen 
Überlieferung  stammt,  denn  sie  erzählt  dass  die  beiden  Schwerter 
von  zwergen  geschmiedet  sind.  Als  machwerk  erweist  sie  sich 
ferner  dadurch  dass  sie,  um  ein  reim  wort  zu  finden,  von  Aver  gar 
daudir  spricht,  obgleich  zu  der  annähme,  Olius  und  Alius  seien 
gestorben,  gar  kein  grund  vorhanden  ist,  und  man  aus  ihrem 
verschwinden  vor  des  königs  äugen  eher  schliessen  würde,  dass 
sie  heutzutage  noch  leben.  Dass  andererseits  beide  Schwerter, 
obgleich  nur  eines  die  arbeit  der  mystischen  brüder  war,  zu 
dem  älteren  bestand  der  sage  gehören,  beweist  die  stelle  bei 
Saxo,  wo  beide  —  exquisita  fabrorum  opcra  —  genannt  werden. 
Dass  übrigens  bei  Saxo  die  bedeutung  der  Schwerter  vergessen 
ist,  bemerkt  schon  Detter. 

Dass  zwei  zwerge  zusammen  auf  befehl  eines  königs  ein 
schwert  schmieden  und  dass  einer  von  ihnen  einen  fluch  hin- 
zufügt, erzählt  u.  a.  auch  die  Hervarar  saga.  Die  geschieht  e 
hat  mit  der  von  Olius  und  Alius  so  viel  ähnlichkeit,  dass  es 
gewis  kein  wagnis  ist,  beide  für  Variationen  einer  und  der- 
selben erzählung  anzusehen.  Auch  dort  werden  nidingsverk 
und  ausrottung  des  ganzen  geschlechtes  prophezeit  und  bruder- 
mord  damit  begangen.  Ohne  mich  hier  auf  eine  in  die  tiefe 
gehende  vergleichung  beider  sagen  einzulassen,  constatiere  ich 
die  ähnlichkeit  der  gestalten  von  Olius  und  Alius  einer-,  Dul- 
ins  und  Dvalins  anderseits,  und  glaube  daher  eher  mit  Detter 
(einl.  s.  xlvii),  dass  Olius  und  Alius  als  zwerge  aufzufassen 
sind,  als  ich  geneigt  wäre,  in  ihnen  nach  Svend  Grund tvigs 
Vermutung  (Udsigt  over  den  nord.  oldt.  her.  d.  s.  58)  einen 


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ZUR  DÄNI8CHEN  HELDENSAGE. 


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nachklang  des  Bolwisus  und  Bilwisus')  der  sage  von  Hagbarör 
zu  suchen.  Docli  kann  ich  mich  der  ansieht  Detters,  dass  in 
Alius  das  lateinische  zahlwort  zu  suchen  und  Olius  dem  Alius 
angeglichen  sei,  nicht  anschliessen.  Eher  dürften  wol  Olius 
und  Alius  latinisierte  formen  von  zwergennamen  sein;  etwa 
Öinn  (Öi?)  und  Ai  (Sn.  E.  1,  68.  66).  Doch  ist  das  für  die  oben 
besprochenen  fragen  nebensächlich,  und  es  bleibt  ihre  zwergen- 
natur  von  ihrem  namen,  wenn  dieser  auf  Schreiberpedanterie 
beruhen  sollte,  unberührt. 

Olius  spricht,  als  das  schwert  dem  könige  überreicht  wird, 
den  fluch  aus,  es  werde  des  königs  beiden  tochtersöhnen  veröa 
at  bana.  Der  fluch  geht  nicht  in  erftillung;  nur  Hildigerus- 
Hildibrandr  wird  getötet.  Wenn  die  zwergengeschichte  ein 
ursprüngliches  dement  der  sage  ist,  so  muss  der  ausgang  des 
Zweikampfes  in  einer  älteren  sagenform  ein  anderer  gewesen 
sein,  und  eine  Überlieferung,  nach  der  beide  brüder  im  kämpfe 
fallen,  einmal  existiert  haben.  Dass  das  tatsächlich  der  fall 
war,  scheinen  die  verse  welche  bei  Saxo  der  sterbende  Hildi- 
gerus  spricht,  zu  denen  ich  noch  einmal  zurückkelire,  zu  be- 
weisen. Die  verse  beruhen  wie  schon  gesagt  auf  Strophen, 
deren  einige  in  der  Äsmundar  saga  bewahrt  sind.  Saxo  scheint 
hier  wie  bei  den  versen  welche  von  Asmunds  heimkehr  han- 
deln, noch  Strophen  benutzt  zu  haben  welche  dem  Schreiber 
der  saga  unbekannt  geblieben  sind.  8. 244, 38  —  245,  7  können 
eine  rhetorische  ausmalung  von  str.  v  sein;  ebenso  liegt  s.  244, 
13 — 20  wol  kaum  mehr  als  str.  i,  1—  2  zu  gründe.  Einen  fremden 
gedanken  enthalten  nur  s.  244, 24 — 28.    Die  Zeilen  lauten: 

En  pia  progenie*  trueibus  coneurrere  telis 
au.sa  perit;  sudo  pronati  sanguine  fratres 
illata  sibi  cede  munt,  dum  culmen  aventes 
tempore  deficiuiit,  seeptrique  cupidine  nacti 
exiciale  malnm  socio  Styga  funere  viuent. 

Diese  worte  sagen  unzweideutig  aus,  dass  die  brüder  beide 
umkommen;  denn  die  deutung,  Hildigerus  habe  sagen  wollen 
dass  solches  oft  begegnet,  während  in  dem  vorliegenden  fall 
gerade  das  entgegengesetzte  stattfindet,  indem  nur  ein  bruder 
tödlich  verwundet  wird,  der  andere  aber  am  leben  bleibt, 


')  Von  Bolwisns  und  Bilwisus  wird  unten  noch  die  rede  sein. 


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360 


BOER 


würde  dem  Hildigerus  eine  durchaus  leere  phrase  zumuten 
und  ist  aus  diesem  grund  unzulässig.  Die  verse  sind  zu  in- 
haltsschwer, um  als  eine  Weitläufigkeit  Saxos  aufgefasst  zu 
werden.  Also  weisen  sie  auf  die  einstmalige  existenz  einer 
oder  mehrerer  Strophen  und  somit  einer  sagenform,  in  der  Hil- 
digerus  und  Haldanus  im  Zweikampf  fallen.  Jene  Strophen 
können  nicht  demselben  gedichte  wie  die  übrigen  angehört 
haben,  obgleich  Saxo  sie  in  diesem  Zusammenhang  kannte. 
Sie  gehören  demselben  Sagenkreise  wie  die  übrigen  Strophen 
an,  repräsentieren  aber  die  entwicklungsstufe  der  sage,  wo  die 
Weissagung  der  zwerge  in  erfüllung  gieng.  Die  aufnähme  des 
liebesmotivs  des  Haldanus  und  der  frvuritha  durch  die  ver- 
bindung  mit  dem  Siklingengeschlechte  hat  die  Umformung 
bewirkt.  Der  name  Haldanus  deutet  darauf,  das»  die  sage 
schon  frühzeitig  an  die  Skjoldunge,  unter  denen  brudermord 
eine  charakteristische  missetat  war,  geknüpft  worden  ist.1) 
Zwei  seitenstücke  zu  dem  gegenseitigen  brudermord  bietet  die 
Ynglinga  saga  (l  Tnger  c.  28.  24).  Es  verdient  beachtung,  dass 
die  beiden  bruderpaare  Alrekr  und  Eirikr  und  Alreks  söhne 
Älfr  und  Yngvi  zu  den  Skjojdungen  in  naher  beziehung 
standen,  indem  Yngvis  tochter  dem  Dänenkönig  Froöi  friösami 
vermählt  und  die  matter  des  älteren  Hälfdan  Frööason  wurde, 
der  im  lauf  dieser  Untersuchung  noch  genannt  werden  wird. 

Die  entstehung  der  sage  von  Haldanus  und  Hildigems 
aus  der  deutschen  Hildebrandssage  wurde  oben  entschieden 
abgelehnt.  Doch  scheint  eines  ihrer  motive  seine  entstehung 
dem  einflusse  eines  der  deutschen  heldensage  zugehörigen,  aber 
weitverbreiteten  sagenstoffes  zu  verdanken.  Es  ist  die  episode 
vom  berserkerkampfe.  Eine  grosse  Ähnlichkeit  mit  der  ge- 
Bchichte  Walthers  von  Aquitanien  kann  hier  nicht  geleugnet 
werden.  HaManus- Asmundr  entspricht  dem  Walther,  Hildi- 
(fcrus-Hildibranär  dem  1 fügen,  Aluerns-Atli  dem  Gunther.  Zwar 
entführt  Haldanus  keine  braut,  doch  hängt  für  ihn  wie  für 
Walther  der  besitz  der  braut  von  dem  ausgange  des  kampfes 
ab.  Gunther  fordert  alle  seine  kämpfer  auf,  mit  Walther  sich 
zu  messen,  und  nacheinander  fallen  alle;  schliesslich  bittet  er 
Hagen,  der  auf  grund  der  alten  freundschaft  —  nach  mehreren 

')  Näheres  über  Haidamis  unten  s.  362  ff. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


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quellen  sind  Hagen  und  Walther  blutsbrüder  —  wider  Walther 
zu  kämpfen  sich  sträubt,  bis  ihn  die  furcht  vor  der  schände 
zu  dem  Zweikampf  bewegt;  vgl.  Saxo  s.  245,9—11:  (Hildigerus) 
iccirco  se  silencio  usion  esse  dicel/at,  ne  aut  ptujnam  detrectando 
ignauus,  aut  oommittendo  scelestus  existimari  jwsset.  —  Aller- 
dings existieren  auch  unterschiede.  Walther  kämpft  anfangs 
jedesmal  mit  einem  einzelnen  kämpen,  Äsmundr-Haldanus  mit 
einer  zunehmenden  anzahl;  doch  finden  sich  im  Walthariliede 
schon  ausätze  zu  der  auffassung  der  nordischen  sage:  auch 
Walther  wird  schliesslich  von  vier  feinden  zu  gleicher  zeit 
angegriffen.  —  In  der  Walthersage  kämpft  schliesslich  auch 
Gunther  mit;  doch  ist  dieser  unterschied  unwesentlich,  weil 
Gunther,  und  in  weit  höherem  grade  der  könig  in  der  nordi- 
schen sage,  nur  nebenperson  ist;  dieser  verschwindet  sogar 
gegen  das  ende  der  erzählung  spurlos.  Sodann  wird  Hagen 
nicht  getötet;  er  kommt,  nachdem  er  ein  auge  und  sechs 
backenzähne  eingebüsst,  mit  dem  leben  davon.  Daneben  stehen 
aber  andere  fassungen  derselben  sage,  in  denen  alle  Verfolger 
mitsammt  ihrem  anführer  im  kämpfe  umkommen;  ich  verweise 
auf  die  abgesehen  von  einer  anspielung  im  Riterolf  nur  in  der 
nordischen  piöreks  saga  überlieferte  sage  von  Herburt  und 
Hilde.  —  Schlagenden  Übereinstimmungen  stehen  also  unbedeu- 
tende unterschiede  gegenüber.  Ich  stelle  mir  das  Verhältnis 
der  beiden  sagen  so  vor,  dass  die  Ähnlichkeit  des  Stoffes  — 
kämpf  zwischen  brüdern  (bez.  blutsbrüdern)  —  vor  der  Spal- 
tung der  sage  von  Haldanus  in  eine  isländische  und  eine 
dänische  Überlieferung,  eine  ausmalung  der  kampfscene  dieser 
sage  nach  dem  vorbilde  der  über  Nordeuropa  verbreiteten 
deutschen  sage  zur  folge  hatte.  Dieser  beeinflussung  durch 
die  Walthersage  verdanken  wir  die  str.  m  vm  und  die  ihnen 
entsprechenden  verse  bei  Saxo.  Darauf  ist  wol  auch  die  Vor- 
stellung der  saga,  dass  der  kämpf  am  Rheine  stattfand,  zurück- 
zuführen. Zwischen  dem  Hunnenlande  und  Saxland  ist  der 
Rhein  auf  keinen  fall  zu  suchen,  wo  man  sich  Hünaland  auch 
localisiert  vorstellt;  denn  in  allen  quellen  wo  Hünaland  nicht 
Saxland  ist,  liegt  es  im  osten.  Der  Schauplatz  des  kampfes 
aber,  wo  Walther  mit  den  ihn  verfolgenden  burgundischen 
königen  kämpft,  ist  gerade  die  Rheingegend.  Saxo,  der  die 
geschiente  kurz  erzählt,  nennt  den  Rhein  nicht;  er  hält  sich 


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BOER 


an  die  gegend  wo  der  bruderkampf  unabhängig  von  der 
Walthersage  localisiert  war. 

Ans  obiger  Untersuchung  ergeben  sich  die  folgenden  Stadien 
für  die  ent  Wicklungsgeschichte  der  sage  von  Haldanus'  kämpf 
mit  Hildigerus: 

1.  Aelteste  gestalt.  Kin  könig  nötigt  zwei  zweige  für 
ihn  ein  seh  wert  zu  schmieden.  Als  sie  ihm  das  seh  wert  über- 
reichen, prophezeien  sie  ihm  den  tod  seiner  beiden  tochter- 
söhne. Diese  Prophezeiung  geht  später  in  erfüllung.  Die 
sage  erscheint  in  ihrer  ältesten  gestalt  an  das  geschlecht  der 
Skjoldunge  geknüpft.  Eine  geringe  Variation  knüpft  sich  an 
das  geschlecht  Heiöreks  (Hervarar  saga). 

2.  Anknüpfung  an  die  Siklingensage.  Borearus,  Haldanus 
vater,  wird  ein  genösse  des  königs  Alfr;  Haldanus  heiratet 
Alfs  tochter  Gyuritha.  Dadurch  wird  der  ausgang  des  kam- 
pfes  umgestaltet.  —  Motiv  der  nebenbuhlerschaft  am  schliiSvSe 
der  erzählung. 

;i  Beeinflussung  durch  die  sage  von  Walther  von  Aqui- 
tanien.   Ausbildung  des  motivs  vom  berserkerkampfe. 

4.  Interpolation  dreier  Zeilen  aus  einem  verlorenen  Hilde- 
brand sliede.    Diese  Zeilen  veranlassten 

5.  eine  völlige  Umgestaltung  der  sage  und  änderung  der 
nainen  in  der  isländischen  Überlieferung  (Äsmundar  saga). 

(>.  Wahrscheinlich  gleichzeitig  mit  5  auknüpfung  an  und 
Umgestaltung  der  Vorgeschichte  durch  die  Helgisage.  Verdop- 
pelung des  motivs  der  iiebenbuhlei-schaft  und  der  freierprobe 
(gleichfalls  nur  in  der  isländischen  Überlieferung). 

7.  Unrichtige  auffassung  der  zwergensage  zufolge  eines 
fehlere  der  schriftlichen  tradition.  Interpolation  der  neu  hin- 
zugedichteten str.  n.  ix. 


Haldanus,  der  töter  des  Hildigerus,  ist  nach  Saxos  Vor- 
stellung der  Stammvater  eines  neuen  geschlechtes;  sein  weib 
Gyuritha  ist  die  letzte  der  Siklinge.  Das  bedeutet  bei  Saxos 
weise  die  königsgeschlechter  chronologisch  aneinander  zu  reihen, 
dass  die  durch  die  Siklinge  unterbrochene  reihe  der  könige 
aus  dem  Skjoldungengeschlechte  bei  Haldanus  wider  anliebt. 
Dass  dieser  ein  SkjoMung  ist,  deutet,  wie  oben  s.3(50  gesagt, 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


363 


schon  der  name  an.  Es  fällt  auf  dass  auch  der  letzte  Skjoldung, 
der  vor  den  Siklingen  auf  dem  dänwchfm  throne  sitzt,  Haldanus 
heisst,  Mehrere  gründe  sprechen  dafür,  dass  diese  beiden 
Haldani  durch  Spaltung  aus  einer  gestalt  entstanden  sind;1) 
die  einreihung  des  Siklingengeschlechtes  bewirkte  die  Spaltung. 
Doch  folgt  daraus  nicht,  dass  jene  gestalt  eines  einzigen  Hal- 
danus nicht  auf  mehr  als  eine  persönlichkeit  zurückgehen  kann. 
Dass  das  tatsächlich  der  fall  ist,  hoffe  ich  nachzuweisen,  nach- 
dem ich  zuerst  die  angedeutete  Spaltung  besprochen  haben  werde. 

Wenn  man  das  ISiklingengeschlecht  ausscheidet,  regieren 
unmittelbar  nacheinander  zwei  könige  Haldanus,  was  an  sich 
schon  auffällt.  Die  übrigen  quellen  kennen  nirgends  zwei 
Halfdane  nacheinander.  Von  beiden  wird  hervorgehoben,  dass 
sie  eine  Zeitlang  kinderlos  sind,  später  aber  einen  söhn  er- 
zeugen, der  erstere  Haldanus  in  ziemlich  hohem  alter  (s.  224),') 
der  zweite  nachdem  das  orakel  befragt  und  dessen  befehl  be- 
folgt worden  ist.  Beide  erschlagen  einmal  eine  schar  berserker 
mit  einem  knüppel  (s.  222. 243)/*)  Es  kommt  die  folgende  er- 
wägung  hinzu. 

Dass  Jfahkimts  Borcari  filius  niemand  anders  ist  als  der 
könig  von  Skäne  Ildlfduu  snjalli,  wird  wol  niemand  bezweifeln. 
Sein  söhn  ist  HaraUlus  hyhh  tan  (s.  230  wird  Haraldr  hilditann 
irrtümlich  ein  söhn  des  Borcarus  genannt).  Also  ist  aus  Saxos 
königsreihe  harr  viÖfadmi  ausgefallen;  seine  taten  sind  zum 
teil  auf  Haraldr  übertragen.  Auf  die  zeit  des  Halfdan  snjalli 
und  Jvarr  viöfaömi  passt  die  beschreibung  von  dem  zustande 
des  reiches  bei  Haldanus  und  Haraldus'  regierungsantritt. 
Halfdan  regierte  nur  über  Skane.  obgleich  das  geschlecht 
welches  von  den  Skjoldung  Hroarr  abzustammen  vorgab,  wol 
auf  die  herschaft  über  das  ganze  Dänenreich  anspruch  erhob. 
Obgleich  das  alles  Saxo  unbekannt  ist,  geht  doch  auch  bei 
ihm  die  widereroberung  des  reiches  von  Skane  aus;  über  dieses 


')  Ander»  Olrik.  Sakses  oldhistorie  2.  81  ff.,  der  den  vor  den  Sildingen 
regierenden  Haldanu*  als  eine  norwegische  sageugestalt  aufi'asst.  Vgl.  da- 
gegen jetzt  auch  Steenstrup,  Arkiv  13,  152. 

')  Doch  stirbt  er  einige  Zeilen  weiter  kindTrlos. 

*)  Wenn  das  ein  beweis  nordischer  herkunft  sein  soll,  wogegen  auch 
Steenstrup  a.  a.  o.  einspmch  erhebt,  so  ist  anch  Haldanns  Borcari  filius  ein 
norwegischer  sagenheld. 


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BOER 


land  gewinnt  Haraldns  die  herschaft  dadurch  dass  er  den 
viking  Wesetus  tötet  (doch  wird  nicht  gesagt,  dass  Wesetus 
könig  in  Skäne  war).  Später  eroberte  er  Jutta  und  Lethra 
(also  Seeland),  und  wol  auch  Fünen.  Dass  Halfdan  snjalli 
gemeint  ist,  steht  also  fest.  Doch  hiess  Hälfdans  vater  nach 
anderen  quellen  (Amgrimr  .Tönssons  Oompendium,  s.  Axel  Olrik, 
Aarbeger  1894,  s.  121)  nicht  Borcartis,  sondern  Haraklr  (Har- 
aldus  antiquus  bei  Arngrimr).  Diesen  namen  trägt  bei  Saxo 
der  vater  des  älteren  Haldanus,  der  vor  den  Siklingen  regiert, 
was  in  Zusammenhang  mit  dem  schon  früher  gesagten  beweist, 
dass  in  einer  gestalt  der  Überlieferung  welche  älter  war  als 
Saxos  geschiente,  diese  beiden  Haldani  eine  person  waren, 
deren  vater  Haraldus  hiess.  Doch  zeigt  das  was  wir  ferner 
über  Haldanus  Haraldi  fllius  vernehmen,  dass  der  gestalt  welche 
bei  Saxo  in  Haldanus  Haraldi  filius  und  Haldanus  Borcari  fllius 
gespalten  ist,  ausser  dem  Hälfdan  snjalli  wenigstens  noch  eine 
ältere  persönlichkeit  zu  gründe  liegt.  Haldanus  wird  im  Zu- 
sammenhang mit  Ingellus  (Ingjaldr)  und  Frotho  (FröÖi)  ge- 
nannt. Zwischen  Ingjaldr  und  Froöi  ist.  abweichend  von 
anderen  quellen,  welche  Froöi  als  Ingjalds  söhn  kennen,  noch 
ein  könig  Oleums  eingeschoben,  auf  den  ich  an  dieser  stelle 
nicht  eingehe.  In  den  alten  quellen  ist  Hälfdan  entweder  ein 
bruder  Ingjalds  (so  bei  Arngrim).  oder  ein  bruder  Froöis 
(Hrolfs  s.);  einstimmig  berichten  sie,  dass  er  durch  bruderhand 
umkommt.  Saxos  bericht  steht  der  Vorstellung  der  zweiten 
gruppe  nahe.  Indem  aber  die  Überlieferung  auf  welcher  Saxos 
darstellung  beruht,  diesen  Hälfdan  mit  Hälfdan  snjalli  zu  einer 
person  macht,  schiebt  sie,  wie  schon  bemerkt  wurde,  an  dieser 
stelle  Harald,  den  vater  des  Hälfdan  snjalli  ein,  und  erzählt 
nun,  dass  Haraldr  durch  seinen  bruder  Froöi  getötet  wird. 
Haldanus  vertritt  nun  die  stelle  des  sohnes;  so  kommt  es  dass 
bei  Saxo  von  ihm  und  einem  bruder  Haraldus',  den  diese 
Überlieferung  ihm  beilegt,  erzählt  wird  was  andere  quellen, 
namentlich  die  Hrolfs  saga  kraka,  von  den  söhnen  Hälfdans, 
Hröarr  und  Helgi  berichten.  Die  erzählung,  wie  Haldanus 
und  Haraldus  von  Regno  versteckt  und  mit  hundenamen  be- 
legt werden,  und  wie  sie  schliesslich  Frotho  töten,  stimmt 
im  einzelnen  bis  auf  geringe  abweichungen  mit  der  geschichte 
von  der  räche  Hroars  und  Helgis  für  ihren  vater  Hälfdan 


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ZÜB  DÄNISCHEN  HELDENSAGE 


365 


genau  überein.  Hier  ist  also  unter  Haldanus  Halfdan  der 
bruder  Ingjalds  bez.  Frööis  zu  verstehen. 

Noch  ein  dritter  held  scheint  für  die  gestalt  des  Haldanus 
Haraldi  filius  züge  abgegeben  zu  haben.  Es  ist  Hälfdan  der 
söhn  des  Froöi  friösami  und  der  Inga.  Auf  ihn  können  die 
kriege  des  Haldanus  mit  dem  Schwedenkönige  Ericus  —  Ei- 
rikr  ist  zwar  nach  Arngrimr  und  Snorri,  welche  freilich 
auch  unter  einander  hierin  abweichen,  kein  Zeitgenosse  Hälf- 
dans,  sondern  etwas  älter  —  zurückgehen,  denn  auch  die 
Ynglingasaga  kennt  ihn  als  eroberer  Schwedens.  Doch  wird 
es  sich  nachher  zeigen,  dass  auch  hier  wie  bei  der  erzählung 
von  der  räche  an  Froöi  Übertragung  aus  der  sage  von  Helgi 
wenigstens  mit  im  spiele  ist.  Doch  hat  der  bericht,  dass  Hal- 
danus bruderlos  stirbt,  ohne  zweifei  in  diesem  Hälfdan  seinen 
grund  (Yngl.  s.  c.  22).  Weil  Haldanus  aber  bei  Saxo  nicht  nur 
eroberer  Schwedens,  sondern  auch  könig  in  Dänemark  ist  — 
was  der  alte  Hälfdan  nicht  war  —  kommt  bei  seinem  tod  der 
thron  Dänemarks  offen  zu  stehen.  Somit  war  hier  die  geeig- 
nete stelle,  das  Siklingengesclilecht,  welches  die  sage  schon 
früher  zu  den  Hälfdanen  in  ein  freundschaftliches  Verhältnis 
gesetzt  hatte,  in  die  königsreihe  einzuverleiben.  Sie  füllen 
den  Zeitraum  aus,  den  in  anderen  quellen  Hrölfr  kraki  und 
seine  nachfolger,  von  denen  Saxo  an  anderer  stelle  berichtet, 
einnehmen. 

Ich  widerhole  kurz  die  züge  der  drei  Hälfdane  welche  in 
Saxos  darstellung  widerkehren: 

1.  Hälfdan  Froöason  friösama  erobert  Schweden  und  stirbt 
kinderlos. 

2.  Hälfdan  Ingjaldsson  (oder  Froöason  fraegja)  wird  von 
seinem  bruder  Froöi  IV  (bez.  lngjaldr)  getötet.  Seine  söhne 
rächen  ilin. 

3.  Hälfdan  Haraldsson,  der  könig  von  Skane,  ist  der  vater 
des  eroberers  von  Dänemark  (Ivarr  viöfaömi). 

Aus  diesen  drei  gestalten  entsteht  ein  könig  Haldanus, 
dessen  vater  Harald us  heisst  (3),  der  zusammen  mit  seinem 
bruder  den  vater  rächt  (2),  Schweden  erobert  (1  oder  2,  vgl. 
unten),  der  lange  kinderlos  bleibt  (1),  der  später  dennoch  vater 
wird  (2.  3),  dessen  söhn  (Haraldr  hilditann,  indem  Ivarr  viö- 
faömi übersprungen  wird)  von  Skane  aus  Dänemark  erobert 


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ROER 


Bei  Saxo  ist  die  gestalt  wider  gespalten.  Haldanus  I  be- 
hält den  vater  Haraldus,  die  räche  über  den  vater,  die  erobe- 
rung  Schwedens.  Haldanus  II  bekommt  die  vatei*schaft  über 
den  eroberer  Dänemarks.  Der  zug  der  kinderlosigkeit  und 
der  späteren  Vaterschaft1)  geht  auf  beide  über;  doch  tritt  bei 
Haldanus  I  die  kinderlosigkeit,  bei  Haldanus  II  die  Vaterschaft 
in  den  Vordergrund.  Daher  denn  nach  Haldanus  I  die  Siklinge 
regieren. 

Im  grossen  und  ganzen  vertritt  also  Saxos  Haldanus 
Haraldi  filius  die  beiden  älteren,  Haldanus  Borcari  filius  den 
skänischen  Halfdan,  aber  die  züge  sind  verwischt  und  nur 
durch  gewissenhafte  heranziehung  der  übrigen  quellen  ver- 
mögen wir  sie  einigermassen  zu  unterscheiden.  Saxo  knüpft 
die  sage  von  dem  kämpfe  mit  Hildigerus  an  den  jüngeren, 
also  an  Halfdan  snjalli.  Ob  das  auf  alter  tradition  oder  auf 
gelehrter  combination  beruht,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Denn 
es  ist  sehr  leicht  möglich,  dass  Saxo  nur  aus  dem  grund  Half- 
dan snjalli  zu  einem  söhne  des  Borcarus  gemacht  hat,  weil 
seine  quelle  schon  Hälfdans  vater  Haraldr  auf  den  älteren 
Hälfdan  übertragen  hatte,  wodurch  er  sich  genötigt  sah,  dem 
Hälfdan  snjalli  einen  neuen  vater  herbeizuschaffen.  Da  ihm 
nun  eine  sage  von  einem  Hälfdan,  dessen  vater  Borcarus  hiess, 
bekannt  war,  könnte  die  identificierung  mit  Hälfdan  snjalli 
sein-  wol  seine  arbeit  sein.  Es  fragt  sich  aber,  ob  nicht  die 
übrigen  quellen  auf  eine  der  beiden  anderen  Hälfdane  als  ur- 
sprünglichen held  der  sage  weisen.  Von  Hälfdan  snjalli  wie 
von  Hälfdan  Frööason  fra*gja  (Ingjaldsson)  wird  erzählt,  dass  sie 
durch  ihren  bruder  ermordet  wurden;  bei  beiden  existiert  die 
Schwierigkeit,  zu  erklären,  wie  Saxo  dazu  kam  Haldanus  siegen 
zu  lassen.  Diese  Verwechslung  wird  wol  ihren  grund  haben 
in  der  einmal  verbreiteten  sagenfonn,  von  der  ich  oben  spuren 
nachwies,  die  beide  brüder  im  kämpfe  umkommen  Hess.  Dass 
man  dies  von  einem  der  beiden  in  betracht  kommenden  Hälf- 
dane erzählt  habe,  geht  aus  den  übrigen  quellen  nicht  hervor. 
Man  kann  nur  Vermutungen  aufstellen. 

Wenn  Hälfdan  snjalli  der  ursprüngliche  held  der  erzählung 
ist,  so  könnte  man  sich  vorstellen,  dass  die  Vorstellung  eines 

')  Damit  widerspreche  ich  nicht  Olriks  anziehender  Vermutung:,  dass 
Asnmndus  der  söhn  des  Haldauus  I  der  bekannte  Uuoöar-Äsmundr  ist. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDEN8AGE. 


367 


gegenseitigen  brudermordes  seinen  grund  hätte  in  dem  schnellen 
tode.  den  der  könig  Gudreör  in  Skäne  bald  nach  der  ermordung 
seines  bruders  durch  die  hand  seiner  gattin,  derselben  welche 
ihn  zum  brudermord  gereizt  hatte,  erlitt.  Doch  Hesse  sich  eine 
solche  hypothese  schwerlich  über  den  wert  einer  nicht  un- 
ansprechenden Vermutung  erheben.  Weit  wahrscheinlicher 
kommt  es  mir  vor,  dass  die  sage  auf  den  älteren  Hälfdan  zu- 
rückgeht, und  zwar  aus  den  folgenden  gründen: 

1.  Die  zwergengeschichte  weist  auf  ein  höheres  alter  der 
sage,  welche  in  ihren  grundzügen  kaum  jünger  als  die  Über- 
lieferung von  den  kämpfen  der  älteren  SkjoMungen  sein  kann. 
2.  Der  tod  des  Halfdan  Frööa-  (Ingjalds-)son  hat  auch  ab- 
gesehen von  dieser  erzählung  für  die  geschiente  der  dänischen 
sage  eine  weit  grössere  bedeiitung  als  der  des  weit  weniger 
bekannten  Hälfdan  in  Skäne.  3.  Es  existiert  zwischen  der  er- 
zählung von  Haldanus  und  Hildigerus  und  der  von  Hälfdan 
und  seinem  bruder  Jngjaldr  (Froöi)  noch  eine  schlagende  Über- 
einstimmung darin,  dass  Hälfdan,  wie  der  Haldanus-Asmundr 
der  sage,  nur  ein  halbbruder  seines  feindes  ist;  er  stammt 
von  einer  aus  Schweden  geraubten  matter,  welche  von  dem 
rater  als  coneubine  behandelt  wurde,  während  sein  bruder 
Ingjaldr  nach  Arngrimr  ein  filius  legitimus  war  (Haldanus 
und  Hildigerus  haben  eine  gemeinschaftliche  mutter,  doch  ist 
auch  sie  von  schwedischer  abkunft  und  wird  einmal  geraubt). 
4.  Hälfdan  Froöason  tritt  bei  Saxo  auch  im  zweiten  buch  auf. 
Er  ist  der  vater  des  Helgo  und  Koe  (Helgi  und  Hroarr). 
Saxo  erkennt  ihn  natürlich  nicht  als  mit  seinem  Haldanus 
Haraldi  filius  identisch  wider.  Hier  hat  dieselbe  Verwandlung 
der  sage  stattgefunden  welche  uns  oben  auffiel;  hier  ist  Hal- 
danus im  gegensatz  zu  allen  übrigen  quellen,  welche  Hälfdan 
durch  seinen  bruder  getötet  werden  lassen,  selbst  der  mörder 
seiner  brüder  Scato  und  Roe.  Also  hat  eine  sagenform  exi- 
stiert, und  Saxo  kannte  sie,  nach  welcher  Hälfdan  Froöa- 
(Ingjalds-)son  nicht  von  seinem  bruder  getötet  wird,  sondern 
ihn  tötet.  Dieser  tatsache  lege  ich  vollständige  beweiskraft 
bei  und  schliesse  also,  dass  der  Haldanus  der  Hildigerus  be- 
siegt,  den  die  saga  Asmundr  nennt,  niemand  anders  ist  als 
Hälfdan  Froöason  fraegja  (bez.  Ingjaldsson),  der  bruder  Ingjalds 
(bez.  FroAi  des  vierten).    Die  Übertragung  auf  Hälfdan  snjalli 


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368 


HOEK 


ist  die  arbeit  Saxos,  der  die  aus  drei  beiden  zusammengeworfene 
gestalt  des  Haldanus  Haraldi  filius  der  einreihung  der  Siklinge 
in  die  reihe  der  könige  zu  liebe  wider  gespalten  hat. 

Wie  die  zwergengeschichte  so  gehört  wol  die  zufällige 
begegnung  der  brüder  einem  sagenkern  an  der  über  die 
SkjQldunge  hinausweist.  In  der  Skj^ldungensage  ist  stets  von 
absichtlichem  mord  die  rede. 


Schon  mehr  als  einmal  berührten  wir  im  vorhergehenden 
die  sage  von  Helgi  Hälfdans  söhn,  dem  Skjojdung,  und  es  ist 
nicht  überflüssig,  die  vielbesprochene  gestalt  in  diesem  Zu- 
sammenhang noch  einmal  revue  passieren  zu  lassen. 

Dass  zwischen  diesem  Helgi  und  dem  Hundingtöter  ein 
gewisser  Zusammenhang  besteht,  ist  allgemein  anerkannt;  so 
viel  ich  weiss  hat  zuerst  Sijmons  (Beitr.  4, 177  ff.)  die  Ver- 
mutung' ausgesprochen,  auch  Helgi  Hundingsbani  gehöre  zu 
den  SkjoJdungen;  die  herschende  ansieht  dürfte  wol  die  sein, 
dass  zwei  sagengestalten  gleichen  namens,  vielleicht  sogar 
demselben  geschlechte  angehörig,  in  den  quellen  contaminiert 
sind,  so  dass  taten  des  einen  auf  den  andern  übertragen  sind, 
wie  z.  b.  Saxo  Hundingr  und  Ho^broddr  von  Helgi,  dem  söhne 
Hälfdans,  getötet  werden  lässt,  während  eine  dem  Helgi  Hund- 
ingsbani im  übrigen  entsprechende  figur  ihm  unbekannt  ist.') 
Ich  glaube  dass  Helgi  Hälfdans  söhn  und  Helgi  Hundingsbani 
von  haus  aus  identisch  sind  und  erst  durch  die  von  Sijmons 
nachgewiesene,  in  ihren  anfangen  schon  in  der  Skjojdungen- 
sage  vorliegenden  anknüpfung  an  die  Siklingen-  und  die 
Vojsungensage  zu  zwei  verschiedenen  gestalten  sich  entwickelt 
haben.  Diese  identität  wird  m.  e.  durch  einen  den  ganzen 
lebenslauf  beider  beiden  begleitenden  parallelismus  bewiesen. 
Um  denselben  klar  zu  sehen  ist  es  notwendig,  sich  zuvor  über 
den  wert  der  verschiedenen  Überlieferungen  rechensebaft  zu 
geben.  Wo  eine  prosaische  und  eine  poetische  Überlieferung 
neben  einander  existieren,  kommt  es  oft  vor  dass  jene  diese 
benutzt  hat.   In  einem  solchen  fall  sind  inconcinnitäten  oft 

')  So  z.  b.  ülrik,  Skjoldiingasaga  »•  1  «1  s  (kong  Heltes  tilnavn  »Hun- 
dings  ojf  Hodbrod«  baue«  er  laut  fra  en  helt  andeii  sagnbelt:  og  nar  kong 
Ros  banemand  mevnes  Hodbrod.  ma  riet  efter  al  rimelighed  have  fortrsengl 
et  i  Skoldungsagiiet  bjeimiiehurende  navu.' 


ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


360 


einem  mangel  des  sagasehreibers  an  Verständnis  für  die  alte 
pocsie  zuzuschreiben.  Da  in  einem  solchen  fall  die  verse  der 
prosa  weit  vorzuziehen  sind,  ja  die  letztere  sogar  oft,  wie  z.  b. 
in  vielen  excursen  zwischen  den  Strophen  der  Eddalieder,  zu 
dem  wert  eines  dürftigen  interpretationsvei'suehes  hinabsinkt, 
ist  allmählich  eine  gewisse  geringschätzung  der  prosaischen 
tradition  zur  jnode  geworden,  und  scheint  eine  hypothetisch 
begründete  Interpretation  eines  alten  gedichtes  in  vielen  fällen 
das  einzig  mögliche  mittel,  die  älteste  form  einer  sage  zu 
reconstruieren.  Wo  aber  eine  prosaische  erzählung  nicht  aus 
bewahrten  Hedem  geschöpft  ist,  zumal  wenn  der  Schreiber 
nicht  einmal  wusste  dass  sein  held  mit  dem  helden  eines  Edda- 
liedes von  haus  aus  identisch  war,  ist  das  Verhältnis  der  quellen 
auf  eine  ganz  andere  weise  zu  beurteilen.  In  einem  solchen 
fall  hat  die  prosaerzählung,  sei  es  dass  sie  auf  verlorenen 
Hedem  oder  auf  lebendiger  tradition  beruht,  immer  den  wert 
einer  selbständigen  redaction  der  sage,  und  sie  wird  um  so  ver- 
trauenswürdiger sein,  je  weniger  ihr  inhalt  mit  anderen  sagen 
verknüpft  ist.  Da  nun  die  sage  von  Helgi  dem  Hundingstöter 
mit  zwei  anderen  sagencomplexen  aufs  innigste  verwachsen  ist, 
während  das  von  Helgi  Hälfdans  söhn  nicht  nachgewiesen  ist, 
tun  wir  gut,  wenn  wir  bei  der  bevorstehenden  Untersuchung 
von  Helgi  Hälfdans  söhn  ausgehen. 

Die  namen  in  beiden  sagen  sind  bis  auf  den  helden  ver- 
schieden. Dass  mehrere  namen  in  der  sage  von  Helgi  Hund- 
ingsbani  unursprünglich  sind,  z.  b.  Sigmund);  Sinßytli,  welche 
aus  der  Volsungen-,  Siyarr,  S  'ujrnn,  welche  aus  der  Siklingensage 
stammen,  ist  eine  anerkannte  tatsache,  welche  ich  nur  wider- 
hole, um  darauf  hinzuweisen,  dass  man  aus  dem  mangel  an  Über- 
einstimmung in  den  namen  nicht  auf  verschiedenen  Ursprung 
der  sagen  schliessen  kann.  Ein  beispiel  dass  in  zwei  fassungen 
derselben  sage  nur  der  name  einer  einzigen  nebenperson  (könig 
Älfr)  derselbe  ist,  haben  wir  noch  am  anfang  dieses  aufsatzes 
in  der  sage  von  Haldanus  und  Hildigerus  gefunden.  Wir  gehen 
jetzt  zur  Untersuchung  der  Überlieferung  über. 

In  der  geschiente  von  Helgi  dem  söhne  Hälfdans,  welche 
wir  aus  der  Hrölfs  saga  kraka,  der  erzählung  'Fra  Hrölfi  kraka' 
in  der  Snorra  Edda,  der  Ynglinga  saga  und  Arngrimr  Jönssons 
compendium  kennen,  unterscheiden  wir  die  folgenden  episoden : 

Ueltrige  xnr  geachichto  der  deutschen  tpruchn.   XXII.  24 


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370 


BOKR 


I.  Jugend  und  vaterrache  (Hrolfs  s.,  Arngrimr,  Saxo,  hier 
übertragen  auf  Haldanus). 

II.  Rache  für  den  hruder  (Hrolfs  s.,  8axo  zweimal,  Arn- 
grimr unvollständig). 

III.  Liebesgeschichte  (Hrolfs  s.,  Arngrimr,  Saxo  kurz. 
Yngl.  s.). 

In  der  sage  von  Helgi  Hundingsbani: 
L  Eine  Strophe  welche  zur  jugendgeschichte  zu  gehören 
scheint;  hier  wird  Hundingr  genannt.   Die  tötung  Hundings. 

II.  Tötung  der  (Tranmarssöhne. 

III.  Liebesgeschichte. 

I.  Die  Hrolfs  saga  kraka  berichtet  ausführlich,  was  Arn- 
grimr nur  andeutet,  wie  Hröarr  und  Helgi,  nachdem  ihr  vater 
Halfdan  durch  ihren  oheim  Erödi  ermordet  war,  heimlich  bei 
einem  bauer  namens  Vifill  aufwachsen,  wo  sie  mit  hundenamen 
Hoppr  und  H6  genannt  werden,  bis  der  könig  vernimmt,  wo 
sie  sich  aufhalten.  Vergebens  versucht  er  ihrer  habhaft  zu 
werden;  mit  hilfe  ihres  pflegevaters  Keginn  entkommen  sie  zu 
ihrem  Schwager  Sievill  jarl,  wo  sie  unter  ziegen  verkehren. 
Einmal  kommen  sie  zur  halle  des  königs  und  werden  entdeckt; 
doch  entkommen  sie.  Bald  darauf  zünden  sie  das  haus,  in  dem 
sich  der  könig  befindet,  an.  Die  geschieht«  ist,  wie  schon  ge- 
sagt, bei  Saxo  auf  Haldanus  Haraldi  filius  und  seinen  bruder 
Haraldus  übertragen;  die  Varianten  sind  für  unsern  zweck 
ohne  bedeutung. 

Das  zweite  Helgilied  hebt  mit  einer  Strophe  an  welche 
bisher  schlecht  verstanden  worden  ist.    Sie  lautet: 

St'K  Ityuinge    at  Helge  man, 

livern  i  brynjo    bragiiar  feldo, 

er  nlf  graan    inne  hot>oJ», 

}>ars  Hamal  hug)>e    Hundingr  konongr. 

Wer  Hemingr  ist  ist  nicht  leicht  zu  sagen.  Die  vorhergehende 
prosa,  welche  mit  ihm  keinen  rat  weiss,  macht  ihn  zu  einem 
söhne  Hundings.  Man  würde  in  z.  4  denselben  namen  wie  in 
z.  1  erwarten.  Aus  diesem  gründe  liest  auch  Sijmons,  Zs.  fdph. 
18.118  z.  4  Harmingr  anstatt  Hundingr.  Er  glaubt  dass  diese 
Strophe,  sowie  die  folgenden  str.2  18  nicht  auf  Helgi  Hundings- 
bani bezogen  werden  müssen,  sondern  dass  sie  den  verlorenen 
Kdru/jöö  angehören  und  also  von  Helgi  Haddingjaskati  handeln. 


ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


871 


Aus  dem  gründe  liest  er  str.  13, 9  Hdlfdanar  (anstatt  Hayna) 
mar,  weil  Kara  Hdlfdanardöttir  genannt  wird.  Ueber  str.  2—4 
und  5—13  wird  im  folgenden  besonders  gehandelt  werden; 
doch  bemerke  ich  schon  jetzt,  dass  es  mir  aus  gründen  welche 
ich  unten  entwickeln  werde,  in  hohem  grade  unwahrscheinlich 
ist,  dass  str.  2 — 4  den  Käruljoö  angehört  haben  können.  Nach 
meiner  ansieht  beziehen  sie  sich  nicht  einmal  auf  einen  beiden 
der  Helgi  hiess.  Darum  glaube  ich  auch  nicht  dass  str.  1 — 13 
als  ein  gesonderter  strophencomplex  aufzufassen  ist;  ich  trenne 
vielmehr  str.  2 — 4  von  str.  1,  welche  Helgi  nennt,  beziehe  diese 
Strophe  auf  Helgi  Hundingsbani  und  emendiere  anstatt  z.  4 
z.  1,  wo  ich  lese  Srg  HundingiS) 

Helgi  erinnert  sich  hvern  i  brynjo  Itrayiiar  fcldo.  Diese 
worte  deuten  nach  meiner  ansieht  auf  den  tod  von  Helgis 
vater,  also  dem  Hälfdan  der  SkjQldungensage,  den  Helgi  zu 
rächen  sich  vorgenommen  hat.  Dann  sagt  Helgi  mit  einer 
anspielung  auf  den  geschlechtsnamen  Ylfinyar:  ihr  (die  feinde 
Hundings)  hattet  in  eurem  hause  einen  grauen  wolf  —  man 
vergleiche  dazu  Hroars  und  Helgis  besuch  bei  Frööi,  wo  sie 
anfangs  nicht  erkannt  wurden  — ;  Hundingr  aber  meinte  es 
sei  Ilamall.  Der  gegensatz  ulf  grdan  erfordert  an  dieser  stelle 
nicht  den  namen  eines  fremden  menschen,  sondern  den  eines 
unschädlichen  tieres.  Freilich  ist  ein  subst.  hamall  in  dieser 
bedeutung  im  altn.  nicht  bekannt;  doch  beweist  das  nicht  dass 
das  wort  nicht  existiert  haben  kann;  vielmehr  setzt  das  nomen 
proprium,  welches  der  sammler  der  Eddalieder  und  die  meisten 
interpretatoren  bis  auf  den  heutigen  tag  in  dem  Substantiv 
suchen,  ein  appellativum  lhamaW  voraus.  Als  solches  fasse 
ich  das  wort  an  dieser  stelle  auf.  Ob  die  bedeutung  voll- 
ständig mit  der  des  deutschen  Wortes  übereinstimmte,  ist  für 
unsern  zweck  gleichgilt  ig;  jedenfalls  hat  das  wort  ein  castriertes 
tier  angedeutet  (vgl.  hamla  'verstümmeln');  ich  übersetze  es 
ohne  rücksicht  auf  eine  eventuelle  geringe  Variation  der  be- 
deutung durch  hammeil)   Die  Zeilen  bedeuten  demnach:  ihr 

l)  Vielleicht  ist  Htemingi  auf  einen  gchreibfehler  in  der  quelle  der 
Sammlung  zurückzuführen. 

*)  Ich  bemerke  hier,  dass  auch  Detter  (Zs.  fda.  36,  15  ff.)  in  eiuera 
anderen  Zusammenhang  die  auffassnng  des  wertes  humall  in  der  bedeutung 
Hammel  verlieht,  und  dafür  noch  andere  gründe  anführt,  welche  zu  widerholen 

24* 


372 


BOEK 


hattet  einen  grauen  wolf  (einen  gefährlichen  feind,  einen  Ylfing) 
unter  eurem  dache;  Hundingr  aber  glaubte  es  wäre  ein  hammel 
(ein  unschädlicher  mensch).  Die  verse  bestätigen  also,  was  von 
Hröarr  und  Helgi  berichtet  wird,  dass  sie  sich  unter  ziegen 
aufhielten;  auch  dass  sie  Hoppr  und  Hö  genannt  wurden,  ge- 
hört zu  demselben  vorstellungskreise.  Diese  auffassung  der 
str.  1  setzt  voraus  dass  Helgi  an  Hundingr  den  vater  rächt. 
Das  wird  in  dem  sehr  fragmentarischen  liede  nicht  erzählt. 
Die  Volsungasaga  berichtet  abweichend,  Helgi  habe  Hundingr 
getötet,  als  Sigmundr  noch  lebte,  Hundings  söhn  Lyngi  aber 
sei  der  töter  Sigmunds.  Auf  den  doppelten  widersprach,  dass 
lange  nachdem  Helgi  das  ganze  geschlecht  Hundings  aus- 
gerottet hat,  noch  ein  söhn  Hundings  am  leben  ist  und  sogar 
als  nebenbuhler  Sigmunds  auftritt,  hat  schon  Sijmons  (Beitr. 
4, 188)  hingewiesen.  Dass  der  Verfasser  der  Volsungasaga  hier 
vergebens  einen  verständlichen  Zusammenhang  herzustellen  ver- 
sucht hat,  ist  anerkannt.  Das  vorhergehende  aber  zeigt  m.  e. 
klar  den  grund  des  Widerspruchs,  den  der  sagaschreiber  nicht 
zu  lösen  verstand:  er  hat  nämlich  hier  wie  an  so  mancher 
stelle,  namentlich  in  Sigurds  geschieh  te,  abweichende  sagen  - 
formen  chronologisch  aneinander  gereiht.  Ich  bin  da- 
von überzeugt  dass  neben  der  sage  welche  Sigurör  die  räche 
über  Sigmundr  vollziehen  lässt,  einmal  eine  Überlieferung  exi- 
stiert hat  welche  dasselbe  von  Helgi  berichtete.  Die  mörder 
waren  Hundingr  und  seine  söhne.  Ob  Sigmunds  nebenbuhler 
Hundingr  oder  Ljngi  war  kann  dahingestellt  bleiben;  in 

überflüssig  ist.  Mit  recht  vergleicht  er  auch  den  namen  Hamr,  den  Helgi 
in  der  Hrolfs  saga  bei  Swvilljarl  trügt,  und  führt  ein  im  älteren  dänischen 
belegtes  ham  in  derselben  bedeutung  an.  Seine  auffassung  des  namens 
Jlemingr  als  ableitung  von  demselben  stamme  und  die  Übersetzung  durch 
Hümmling  ist  zwar  an  sich  ansprechend,  doch  stimme  ich  ihm  darin  nicht 
bei.  Wenn  Detter  recht  hat,  ist  Jlemingr  Helgis  broder,  der  bei  Sievill 
Hrani  genannt  wird,  und  die  strophe  enthielte  in  diesem  fall  eine  hotschaft 
an  Hrourr.  Dagegen  spricht  1.  dass  Helgi  sich  selbst  an  dieser  stelle  mit 
seinem  rechten  namen  nennt  und  behauptet,  JJamall  sei  ein  beiname,  2.  die 
dritte  zeile  er  ulf  gräan  inne  hoffiop,  welche  beweist,  da*s  die  strophe  an 
einen  freund  FroÖis  resp.  Hundings  gerichtet  ist;  sie  kann  daher  nur  eine 
botschaft  an  den  bösen  könitr  enthalten.  Somit  bleibt  die  notwendigkeit 
bestehen  in  z.  1  und  z.4  denselben  namen.  entweder  Jlemingr  (  H<vmingr)  oder 
Hundingr  zu  lesen  und  den  namen  auf  den  monier  von  Helgis  vater  zu 
beziehen. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


373 


letzterem  fall  warb  Hundingr  für  seinen  söhn.  Mir  kommt 
das  erstere  wahrscheinlicher  vor.  Hundingr  tötete  Sigmundr 
und  wurde  darauf  sammt  seinen  söhnen  von  Helgi  getötet. 
Weil  aber  nach  einer  anderen  wol  zur  zeit  der  abfassung  der 
VQlsungasaga  mehr  verbreiteten  ansieht  Sigurdr  der  rächer 
seines  vaters  war,  wurde  nun  der  grund.  weshalb  Helgi 
Hundingr  tötete,  vergessen,  und  ein  aus  seinem  grabe  erstan- 
dener söhn  Hundings  wurde  Sigmunds  nebenbuhler.  Dass 
Hundings  tötung  Helgis  erste  grosstat  war,  spricht  ferner  für 
die  richtigkeit  der  hier  begründeten  Vermutung. 

Die  erzählungen  von  Helgis  und  Sigurds  vaterrache  haben 
einander  im  laufe  der  zeit  in  hohem  grade  beeinflusst.  Man 
könnte  sie  sogar  für  Variationen  einer  und  derselben  geschiente 
ansehen.  Zumal  fällt  die  gestalt  Regins  auf.  Wenn  diese 
ursprünglich  zu  der  Volsungensage  gehörte,  was  freilich  nicht 
feststeht,  so  würde  sie  beweisen,  dass  die  Helgisage  schon  in  der 
gestalt,  in  der  wir  ihr  in  der  Hrolfs  saga  kraka  begegnen,  an 
die  Volsungensage  geknüpft  war.  Dass  Reginn  nicht  erst  in 
dem  relativ  späteren  Zeitalter  der  schriftlichen  tradition,  etwa 
durch  einen  phantasierenden  schreiber,  dem  die  ähnlichkeit  der 
Situation  auffiel,  in  die  Helgisage  gelangt  ist,  beweist  Saxos  lieyno 
in  der  erzählung  von  Haldanus  und  Haraldus.  Obgleich  die  er- 
zählung  hier  an  andere  personell  geknüpft  ist,  entspricht  doch 
Bcfftw  vollständig  dem  Reginn  der  Hrolfs  saga.  Der  name 
scheint  also  aus  der  Helgisage  in  die  Volsungensage  gedrungen 
zu  sein  und  hat  den  Mime  der  deutschen  Überlieferung  ver- 
drängt. Für  frühe  Verbindung  mit  der  sage  von  den  Volsungen 
spricht  auch  die  ähnlichkeit  der  mutter  Hröars  und  Helgis  Sigrior 
mit  der  Signy  der  Volsungensage.  Wie  diese  verbrennt  Sigriör 
mit  ihrem  gatten,  den  sie  nicht  liebt,  obgleich  sie  sich  über 
die  an  ihm  vollzogene  räche  freut.  Auf  grund  obiger  aus- 
führungen  würde  ich  geneigt  sein  anzunehmen,  dass  der  name 
Hundingr  aus  der  Volsungensage  in  die  Helgisage  übertragen 
und  an  die  stelle  Frööis  (bez.  Ingjalds)  getreten  ist,  wenn  nicht 
dagegen  spräche,  dass  die  deutschen  quellen  von  einer  vater- 
rache Sigurds  nichts  wissen.  Aus  dem  gründe  kommt  es  mir 
wahrscheinlicher  vor,  dass  Hundingr  aus  einem  unbekannten 
Sagenkreise  in  die  Helgisage  gedrungen  und  zusammen  mit 
dieser  später  mit  den  Volsungen  verbunden  ist.   Man  kann 


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374 


BOER 


in  anschluss  an  das  vorhergehende  die  frage  stellen,  ob  nicht 
ein  beträchtlicher  teil  der  jugendgeschichte  Sigurös,  von  dem 
die  deutsche  Überlieferung  so  wenig  weiss,  auf  Helgis  jugend 
zurückzuführen  ist.  Doch  gehe  ich  auf  diese  frage  nicht  ein 
und  weise  nur  auf  ihre  bereehtigung  hin. 

H.  Hu.  II,  6  antwortet  Helgi  auf  Sigrüns  frage,  wer  er  sei  : 
Humall  totr  fljöta  fley  viÖ  bakka.  Die  zeile  hat  wahrscheinlich 
nicht  weniger  als  die  unbekanntheit  mit  der  sage,  auf  welche 
str.  1  anspielt,  die  auffassung  Hamals  in  str.  1  als  n.  pr.  be- 
wirkt. Dass  Helgi  statt  sich  selber  einen  genossen  als  führer 
des  heeres  nennen  würde,  ist  aber  überaus  auffällig;  auch  weist 
nichts  darauf,  dass  er  von  einem  genossen  begleitet  ist.  Ich 
verstehe  die  zeile  so,  dass  Helgi  der  seinen  namen  nicht  nennt, 
ironisch  sich  den  namen  beilegt  den  er  in  str.  1  als  appella- 
tivum  benutzt;  der  gedanke  ist  dann:  der  führer  ist  jener 
Hamall,  von  dem  Hundingr  zu  erzählen  weiss,  wie  ungefährlich 
er  ist  (Helgi  hat  nämlich  kurz  vorher  Hundingr  getötet).  Darauf 
sind  Sigrüns  worte  in  str.  13  cn  Hogna  mcer  Helga  kcnnir  — 
eine  sehr  zutreffende  antwort.  Str.  6,  1  beweist  auf  jeden  fall, 
dass  str.  6 — 13  zu  demselben  gedichte  wie  str.  1  gehören.  In 
bezug  auf  str.  2  —4  lässt  sich  aus  dem  angeführten  nichts  fol- 
gern; über  diese  s.  unten  s.  381  ff. 

II.  Die  Hrölfs  saga  kraka  erzählt  s.  24  ff.,  wie  Hrökr,  der 
söhn  Saevils  und  der  Signy,  also  Helgis  schwestersohn,  Hröarr 
tötet  und  dann  von  Helgi  verstümmelt  wird.  Bei  Arngrimr 
töten  Ingjalds  söhne  Hrörekr  und  Frööi  den  Hröarr.  Da 
Arngrims  Ingjaldr  dem  Frööi  der  Hrölfs  saga  entspricht,  ent- 
sprechen Ingjalds  söhne  einem  oder  mehreren  söhnen  Frööis, 
welche  die  saga  nicht  kennt,  und  an  deren  stelle  Hrökr  auf- 
tritt. Weil  die  ermordung  Hröars  bei  Arngrimr  nach  Helgis 
tode  erfolgt,  wurde  die  räche  wol  von  Hrölfr  kraki  vollzogen, 
was  Arngrimr  nicht  mitteilt,  und  zwar  an  Frööi,  denn  noch 
nach  Hrölfs  tode  lebt  Hrörekr  (Olrik,  Skjoldungasaga  s.  160). 
Bei  Saxo  liegt  die  erzählung  in  zwei  fassungen  vor.  Saxo,  der 
taten  Helgis,  u.  a.  die  jugendgeschichte  auf  Haldanus  Haraldi 
filius  überträgt,  erzählt  auch,  wie  Haldanus  seinen  bruder 
Haraldus  au  dem  Schwedenkönige  Kricus  rächt.  Die  andere 
erzählung  knüpft  sich  bei  ihm  an  Helgi  selbst;  der  Schweden- 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


375 


könig  Hothbrodus  besiegt  den  könig  Roe  dreimal  —  wie  Ericus 
den  Haraldus  —  und  tötet  ihn  schliesslich;  dann  wird  er  von 
Helgi  besiegt  und  getötet. 

Diese  Überlieferungen  stimmen  alle  darin  mit  einander 
überein,  dass  Helgi  den  tod  seines  bruders  rächt  (nur  Arn- 
grinir  erzählt  die  räche  nicht);  sie  gehen  darin  aus  einander, 
dass  der  mörder  bei  Arngrimr  und  in  der  Hrolfs  saga  ein 
verwanter  der  brüder,  in  den  beiden  erzählungen  Saxos  ein 
fremder  fürst,  ein  Schwedenkönig,  ist.  Dass  Saxo  den  Hoth- 
brodus der  sage  von  Helgi  Hundingsbani  entlehnt,  wird  all- 
gemein angenommen  und  steht  auch  in  gewissem  sinne  fest. 
Saxo  hat  nun  einmal  die  beiden  lange  vor  seiner  zeit  getrenn- 
ten Helgigestalten  wider  zusammengeworfen,  und  wenn  er  in 
demselben  Zusammenhang  von  Hundingr  spricht,  so  beweist 
da«  nur  um  so  klarer,  dass  er  taten  des  Hundingtöters  auf 
Helgi  Hälfdans  söhn  überträgt.  Der  grund  dieser  Übertragung 
muss  aber  in  der  ähnlichkeit  beider  gestalten  gesucht  werden, 
welche  ihrerseits  wider  auf  deren  ursprünglicher  identität  be- 
ruht. Nun  fällt  es  in  hohem  grade  auf,  dass  die  tötung  des 
Hothbrodus  als  ein  racheact  für  Helgis  bruder  vorgestellt  wird. 
Man  kann  das  freilich  wider  für  eine  willkürliche  combination 
erklären,  und  behaupten,  Saxo  habe  der  Skjoldungensage  das 
motiv  der  räche  für  den  bruder,  der  sage  von  Helgi  Hundings- 
bani aber  den  namen  Hothbrodus  entnommen  und  aus  diesen 
dementen  eine  eigene  sagenform  geschaffen;  wahrscheinlich 
aber  ist  das  schon  auf  grund  der  abweichung  von  der  Über- 
lieferung der  Skjoldungensage  (wo  der  mörder  ein  verwanter 
ist)  nicht.  Eher  haben  wir  es  hier  mit  einer  gestalt  der  sage 
von  Helgi  Hundingsbani  zu  tun,  welche  das  motiv  der  bruder- 
rache  noch  kannte,  bevor  derselbe  durch  das  der  nebenbuhler- 
schaft  ersetzt  wurde.  Wenn  diese  auffassung  richtig  ist,  so 
ist  Helgis  kämpf  mit  Hoöbroddr  nur  eine  Variation  derselben 
erzählung  welche  in  der  Hrolfs  saga  als  Hrökrs  Verstümme- 
lung, bei  Saxo  als  Haldaniis'  kämpf  mit  Ericus  erscheint. 

Die  Helgilieder  tragen  zur  beurteilung  der  frage  wenig 
bei.  Zufolge  der  anlehnung  an  die  Siklingensage  hat  hier 
das  motiv  der  nebenbuhlei*schaft  ein  anderes  ersetzt,  und  wel- 
ches das  andere  war,  kann  aus  der  Überlieferung  nicht  mit 
Sicherheit  geschlossen  werden.   Detter  (Arkiv  4, 07  ff.)  hat  in 


376 


BOEK 


den  beiden  scheltgedichten  (i,  32 — 46.  n.  19 — 24)  eine  noch 
nicht  von  der  Siklingensage  beeinflusste  sagenform  zu  finden 
geglaubt,  und  mir  scheint  es  dass  er  recht  hat.  Sinfjotli  wirft 
dem  Guömundr  vor,  Helgi  habe  das  land  der  Granmarssöhne 
erobert;  der  krieg  scheint  also  nicht  um  den  besitz  eines 
weibes,  sondern  um  ein  land  geführt  zu  werden.  Wenn  aber 
um  ein  land  ein  krieg  geführt  wird,  so  beweist  das  nicht,  dass 
dazu  kein  anderer  grund  als  blosse  eroberungssucht  vorhanden 
war;  in  den  meisten  fällen  wird  das  entgegengesetzte  der  fall 
sein.  Nimmt  man  an  dass  Hoöbroddr  einen  bruder  Helgis 
erschlagen  hatte,  wol  auch  in  der  absieht  sich  seines  landes 
zu  bemächtigen,  so  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  Helgi, 
der  den  bruder  rächt,  zu  gleicher  zeit  H<>öbrodds  land  erobert. 
Man  kann  also  aus  dem  Vorwurf  Sinfjotlis  ebensowenig 
schliessen,  dass  Helgi  an  Hoöbroddr  einen  bruder  zu  rächen 
hatte  als  das  entgegengesetzte.  Doch  beweist  str.  24, 1  (Bugge) 
iHjkkiat  mir  gööir  Granmars  synir,  sowie  die  anspielungen  auf 
frühere  schlachten  (str.  20.  21.  24),  dass  von  einem  während 
länge rer  zeit  fortgesetzten  psychologisch  motivierten  kriege 
die  rede  ist;  und  weil  Hoöbroddr  und  Helgi  einander  nicht  zu 
kennen  scheinen,1)  ist  anzunehmen  dass  in  früheren  kämpfen 
ein  verwanter  Helgis  dem  Hoöbroddr  gegenüber  stand.  Die 
weise  in  der  Helgi  die  schlacht  bei  Moinsheimar  erwähnt, 
scheint  anzudeuten  dass  Hoöbroddr  aus  dieser  siegreich  her- 
vorgieng.  Detter  (a.  a.  o.  s.  75)  vermutet  dass  es  diese  schlacht 
war  in  der  Hoöbroddr  den  Isungr  erschlug,  dessen  tod  i.  20 
erwähnt  wird.  Da  nun  der  Zusammenhang  nötigt  Isungr  als 
einen  verwanten  Helgis  aufzufassen,  glaube  ich  dass  dieser 
name  ziemlich  früh  zufolge  einer  unbekannten  combination  an 
die  stelle  eines  andern  getreten  ist,  und  dass  Isungr  einen 
bruder  Helgis  vertritt. 

Der  Verfasser  der  scheltgedichte  und  der  strophe  welche 
Isungr  nennt,  hat  nicht  mehr  gewusst  wer  Isungr  war.  Die 
gediente  bewahren  an  die  schlacht  bei  Moinsheimar  nur  ver- 
blasste  erinnerungen.  Und  das  ist  ganz  natürlich.  Durch  die 
Verbindung  mit  der  Volsungensage  welche  in  diesen  Uedem 


')  lütter  a.a.o.  s.  71 ;  doch  scheint  mir  diene  «leutung  der  strophe  nicht 
unanfechtbar. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELD 


77 


vorliegt,  wurde  Helgis  bruder  Hröarr  durch  Sinfjotli  ersetzt, 
von  dem  man  wol  wusste  dass  er  nicht  durch  Hoobroddr  um- 
kam; er  lebt  noch  während  des  kämpf  es  mit  den  Granmars- 
söhnen, und  das  motiv  der  räche  fttr  den  bruder  verblasste, 
bevor  noch  das  neue  motiv  der  nebenbuhlerschaft  zur  vollen 
entfaltung  gekommen  war.  Doch  beweist  grade  die  gestalt 
des  Sinfjotli,  dass  man  sich  Helgi  von  einem  bruder  begleitet 
vorstellte,  wie  Helgi  Hälfdans  söhn  jähre  lang  von  seinem 
bruder  Hroarr  begleitet  war. 

Den  namen  Hofibroddr  erkläre  ich  als  eine  reminiscenz 
an  eine  uralte  form  der  sage.  Wie  die  geschiente  von  der 
vaterrache  in  der  sage  von  Helgi  Hundingsbani  durch  die  an- 
knüpfung  an  die  Volsungensage  bis  zur  Unkenntlichkeit  um- 
geformt wurde,  so  wurde  in  der  Skjoldungensage  die  Über- 
lieferung getrübt  durch  die  widerholung  des  motivs  vom  ver- 
wantenmord.  In  der  Hrölfs  saga  und  bei  Arngrimr,  welche  beide 
diese  entwicklungsphase  der  sage  repräsentieren,  ist,  wie  schon 
hervorgehoben  wurde,  der  mörder  Hröars  ein  naher  verwanter 
der  brüder.  Olrik  hat  gezeigt  dass  diese  auffassung  des  Ver- 
hältnisses der  kämpfenden  parteien  in  der  dänischen  königs- 
sage  verhältnismässig  jung  ist  ;  sie  ist  zwar  in  der  isländischen 
Überlieferung  die  gewöhnliche,  aber  mit  ihr  stehen  ältere, 
angelsächsische  quellen  im  Widerspruch.  So  wenige  spuren  jener 
älteren  sagengestalt  in  der  altnordischen  literatur  erhalten 
sein  mögen,  so  glaube  ich  doch  in  dem  namen  Hoöbroddr  die 
Heartobeardnas  des  Beowulf,  welche  unter  den  königen  Fröda 
und  Inseid  wider  die  Dänen  kämpfen,  widerzufinden.  Das 
ei-ste  Zusammensetzungsglied  der  beiden  namen  ist  vollständig 
identisch;  nur  mit  rücksicht  auf  das  zweite  glied  sind  ab- 
weichende auffassungen  möglich.  Man  könnte  den  gleichklang 
an  dieser  stelle  für  zufällig  halten;  in  diesem  fall  würde  nur 
das  erste  glied  die  Zusammengehörigkeit  beider  namen  an- 
deuten, und  ihr  Verhältnis  wäre  zu  beurteilen  wie  etwa  Signy, 
Sigarr,  SigriöT  und  der  geschleehtsname  Siklingar,  welcher  als 
Sig-lingar  erklärt  wird.  Man  kann  aber  die  frage  aufwerten, 
und  ich  glaube  dass  die  antwort  bejahend  lauten  wird,  ob 
nicht  llgöbroddr  eine  ganz  natürliche  Umbildung  des  volks- 
namens  ist;  die  Umbildung  hätte  stattgefunden,  nachdem  das  nicht 
verstandene  wort  einmal  als  personenname  aufgefasst  worden 


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378 


BOER 


war.  Der  name  wäre  in  dem  fall  ursprünglich  eine  bezcichnung 
Ingjalds  oder  Frööis  als  des  königs  der  Haöubarden.1)  Wie 
der  volksname  im  altn.  gelautet  hat,  ist  unsicher.  Im  zweiten 
glied  steckt  wol  nicht  bard  'bart',  sondera  ein  in  der  bedeu- 
tung mit  der  ableitung  baröa  *beil '  übereinstimmendes  sub- 
stantivum.  Neben  dem  schwachen  subst.  scheint  das  germa- 
nische in  dieser  bedeutung  bildungen  auf  -u  gekannt  zu  haben 
(Kluge,  Ktym.  wb.  s.v.  harte);  aus  germ.  *barÖuz  ergäbe  sich 
altn.  *bordr;  der  lautgesetzliche  name  HgÖb^rÖr  wäre  aber 
für  ein  späteres  geschlecht,  welches  kein  *bgrd'r  'beil'  kannte, 
durchaus  unverständlich  und  musste  wol  notwendig  zu  HgÖ- 
broddr  umgedeutet  werden.  Mit  bard  '  hart'  vertrug  sich 
weder  die  bedeutung  des  ersten  noch  das  g  des  zweiten 
gliedes;  broddr  gab  einen  verständlichen,  der  ursprünglichen 
bedeutung  des  Wortes  nahestehenden  sinn;  und  die  lautliche 
Übereinstimmung  war  bis  auf  geringe  abweichungen  voll- 
kommen. Vielleicht  deutet  noch  Kaxos  Schreibung  Hothhrodus 
mit  einfachem  d  eine  ausspräche  an,  welche  der  ursprünglichen 
namensform  näher  stand. 

Wenn  Saxo  den  Hoöbroddr  zu  einem  Schwedenkönige 
macht,  so  beruht  das  auf  einer  combination,  von  der  noch  die 
rede  sein  wird.  Dass  er  ihn  aber  als  einen  fremden  f  Arsten 
und  zu  gleicher  zeit  als  Hr6ars  morder  darstellt,  halte  ich 
nach  dem  gesagten  für  ursprünglich.  Ks  ist  die  sage  von 
Helgi  Hundingsbani.  welche  hier  züge  bewahrt  hat  welche 
die  Überlieferung  von  dem  söhne  Halfdans  vergessen  hat. 

III.  Die  liebesgeschiehtc  der  beiden  beiden  hat  auf  den 
ersten  blick  wenig  ähnlichkeit.  Helgi  Hälfdans  söhn  zieht 
i  riking;  in  Saxland  bemächtigt  er  sich  mit  gewalt  und  list 
der  königin  Olof;  er  hält  sie  drei  tage  und  drei  nächte  als 
geliebte  bei  sich;  sie  gebiert  eine  tochter,  welche  nach  ihrem 
hunde  Vrsa  genannt  und  wie  die  tochter  einer  dienstmagd 
erzogen  wird.  Nach  dreizehn  jähren  kommt  Helgi  wider  nach 
Saxland;  er  raubt  das  mädchen  und  heiratet  sie.  Ihr  söhn 
ist  Hrolfr  kraki.    Helgi  und  Vrsa  lieben  einander  sehr.  Als 


V)  Aohnlich  wird  z.  b.  in  den  sognr  ein  bewnbner  Islands  oft  mit  dem 
namen  Islcmlnujr  angeredet. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


379 


Hrölfr  drei  jähre  alt  ist,  kommt  Olof  nach  Dänemark  und  ent- 
hüllt das  geheimnis;  Yrsa  reist  mit  ihr  nach  Saxland  zurück; 
später  wird  sie  dem  Schwedenkönige  Aöils  vermählt,  Auf 
diesen  ereignissen  beruhen  zum  teil  die  späteren  feindsei ig- 
keiten  zwischen  Hrolfr  kraki  und  Aöils. 

Nach  den  meisten  quellen  (Arngrimr,  Saxo,  Yngl.  s.),  zu 
denen  auch  die  oben  besprochene  Vorgeschichte  der  Äsmundar 
saga  zu  zählen  ist,  zieht  Helgi,  nachdem  Yrsa  ihn  verlassen, 
wider  t  viking  und  fällt  in  unbekannten  gegenden. 

Die  geschiente  des  Helgi  Hundingsbani  und  der  Sigrün 
trägt  ein  ganz  anderes  gepräge.  Sigrün  ist  valkyre;  Helgi 
heiratet  sie  wider  den  willen  ihres  vaters  und  tötet  den  vater 
und  den  bräutigam;  Sigrüns  bruder  vollzieht  an  Helgi  die 
räche.  Das  hauptmoment  ist,  wie  von  andern  widerholt  be- 
tont wurde,  die  leidenschaftliche  liebe  des  jungen  paares, 
die  klage  Sigrüns,  die  rückkehr  Helgis.  Dass  hier  anlehnung 
an  die  Siklingensage  vorliegt,  ist  eine  bekannte  tatsache,  auch 
dass  ursprünglich  die  erzählung  von  Sigrün  mit  der  tötung 
Hoflbrodds  nichts  gemeinsam  hatte.  AVenn  man  diesen  zug 
ausscheidet,  bleiben  übrig:  die  entführung  einer  valkyre  wider 
den  willen  des  vaters,  die  tötung  des  vaters,  die  räche  durch 
einen  verwanten  (sei  es,  wenn  der  kämpf  mit  dem  vater  ur- 
sprünglich ist,  für  des  vaters  tod,  sei  es  für  die  entführung, 
wie  in  der  sage  von  Hagbarör).  die  widerkehr  des  verstorbenen 
beiden,  welcher  zug  in  der  Vorstellung  einer  glühenden  leiden- 
schaft  seinen  grund  hat. 

Die  liebesgeschichte  des  Helgi  Halfdans  söhn  hat  mit  dieser 
einige  züge  gemein,  und  in  ihren  verschiedenen  fassungen 
zeigt  sich  allmählich  eine  ent  Wicklung  in  der  rieht ung  nach 
der  in  den  liedern  vorliegenden  sagenform.  Man  musa  an- 
nehmen dass  ein  jüngeres  Zeitalter,  welches  an  dem  blut- 
schänderischen Verhältnis  des  helden  zu  seiner  eigenen  tochter 
anstoss  nahm,  dieses  Verhältnis  dadurch  beseitigen  konnte, 
dass  es  die  beiden  geliebten  Helgis  als  eine  person  auffasste.') 
Aus  den  beiden  entführungsgeschichten  wurde  also  gleichfalls 

')  Auf  «ähnliche  weise  wurden,  wie  ich  Arkiv  s,  11»;  f.  nachgewiesen  habe, 
die  beiden  geliebten  des  älteren  .Starkaor  Qgu  und  Älfhildr  in  Ingibjqrg 
zu  einer  person. 


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380 


BOER 


eine  einzige,  und  ein  vater  trat,  vielleicht  unter  dem  einfluss 
einer  fremden  sage,  an  die  stelle  der  mutter,  für  welche  nun 
kein  platz  mehr  übrig  war.  —  Von  Olof  heisst  es  ferner  (Hrolfs 
saga  s.  17),  dass  sie  for  med  skjpld  ok  brynju  ok  gyrÖ  sverÖi 
ok  hjälm  d  hoföi;  sie  war  also  valkyre  wie  Sigrün.  Ihre  heimat 
ist  im  Süden  (Saxland),  wie  die  der  Sigrün,  welche  Helgi 
suÖran  nennt.  Von  Helgi  und  Yrsa  wird  gesagt,  dass  sie 
einander  sehr  lieb  hatten,  wie  Helgi  und  Sigrün.  In  der 
Hrolfs  saga  kraka  findet  sich  zuerst  die  auffassung,  dass 
Helgis  tod  eine  folge  seines  Verhältnisses  zu  Yrsa  war;  hier 
tritt,  abweichend  von  der  älteren  Überlieferung,  die  Helgi 
auf  einer  heerfahrt  umkommen  lässt,  Aöils  als  Helgis  mörder 
auf.»)  Aöils  als  Yrsas  gatte  ist  darauf  angewiesen  den  raub 
zu  rächen;  in  der  sage  von  Sigrün,  welche  neben  Helgi 
keinen  zweiten  gatten  kennt,  ist  er  durch  einen  bruder  ersetzt. 
Und  die  vorwürfe  welche  Yrsa  nach  Helgis  tod  dem  AÖils 
macht  (s.  34),  sind  der  prototypus  zu  der  Verwünschung  Dags 
durch  Sigrün.  Ferner  findet  sich  schon  in  der  sage  von  Helgi 
Halfdans  söhn  ein  anfang  zu  der  in  der  sage  von  dem  Hundings- 
töter  hergehenden  Vorstellung,  welche  Helgis  tod  als  eine  folge 
der  tütung  Hoöbrodds  auffasst,  indem  eine  jüngere  quelle,  Saxo. 
den  Athislus  zu  einem  söhne  des  Hothbrodus  macht,  daher  denn 
auch  Hothbrodus  in  Schweden  regiert. 

Noch  muss  bemerkt  werden,  dass  auch  die  weitere  aus- 
führung  des  liebesmotivs,  welche  auf  einfluss  der  Siklingensage 
zu  beruhen  scheint,  gerade  dadurch  auf  Helgi  Halfdans  söhn 
weist,  denn  gerade  an  derselben  stelle,  wo  in  der  Skjoldungen- 
genealogie  Helgi  eintritt,  nach  dem  Hälfdan  den  Saxo  irrtümlich 
Haraldi  filium  nennt,  der  aber  wie  oben  gezeigt  wurde  niemand 
anders  als  Helgis  vater  ist,  gerade  an  jener  stelle  ist  auch  die 
sage  von  den  Skjoldungen  mit  der  Siklingensage  verbunden. 
Die  Verbindung  trägt  hier  einen  friedlichen  charakter,  doch 
konnte  sie  der  ausgangspunkt  für  weitere  berührungen  werden. 
Freilich  gehört  die  poetische  ausschmückuiig  der  erzähhmg 
und  die  tiefere  auffassung  des  liebesverhältnisses  der  dicht  ung 
von  dem  Hundingstöter  allein  an.    Ich  habe  nur  zeigen  wollen, 

')  Kin  ähnlicher  bedanke  liegt  Saxos  berieht  s.  53.  nach  einiger  mei- 
nnng  habe  Helffi  vor  schäm  über  das  Verhältnis  zn  Yrsa  sich  selbst  das 
leben  genommen,  zu  gründe. 


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ZUK  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


381 


dass  die  meisten  charakteristischen  eigentümlichkeiten  der  er- 
zählung  von  Helgis  und  Sigrüns  liebe  teilweise  in  der  ältesten 
gestalt  der  sage  von  Helgi  und  Ol  of -Yrsa,  teilweise  in  ihren 
späteren  entwicklungsphasen  sich  schon  angedeutet  finden. 
Für  die  Helgi-Sigrunsage  ergeben  sich  aus  dem  erörterten  die 
folgenden  entwicklungsstufen: 

1.  Aelteste  gestalt:  Helgi  raubt  die  valkyre  Ötyf,  später 
ihre  tochter  Yrsa.  Helgi  und  Yrsa  lieben  sich  sehr.  Yrsa 
verlässt  Helgi  und  heiratet  Aöils.  Helgi  kommt  im  fremden 
lande  um. 

2.  Helgis  tod  wird  als  eine  folge  des  raubes  aufgefasst. 
Aöils  tötet  Helgi  (Hrölfs  s.  kr.). 

3.  Helgis  tod  wird  zur  tötung  Hoöbrodds  in  beziehung 
gesetzt  (Saxo,  wo  Hoöbroddr  Aöils  vater  ist). 

4.  Aus  2  und  3  folgt  unmittelbar  eine  beziehung  zwischen 
der  tötung  Hoöbrodds  und  dem  raube  der  Yrsa.  Hoöbroddr 
wird  Helgis  nebenbuhler.   So  in  den  Hedem. 

5.  Olof  und  Yi*sa  werden  zu  einer  person.  Nur  in  den 
Hedem.  Dadurch  wird  Yrsas  zweiter  gatte  eliminiert;  ein 
bruder  vertritt  die  stelle. 

6.  Ausmalung  des  liebesmotivs  unter  dem  einfluss  der  mit 
der  Skj^ldungensage  schon  verbundenen  Siklingensage. 

Nur  das  motiv  der  tötung  des  vaters  ist  in  der  älteren 
sage  nicht  angedeutet.  Doch  lag  die  möglichkeit  seines  ent- 
stehens  in  dem  raub  des  mädchens.  Ich  verzichte  darauf  zu 
entscheiden,  wie  wTeit  es  unter  dem  einfluss  anderer  sagen 
ausgebildet  ist;  nur  bemerke  ich  dass  durch  obenstehende 
Untersuchung  die  möglichkeit  fremder  einfliisse  nicht  geleugnet 
wird;  oben  wurde  nur  der  same  nachgewiesen  aus  dem  m.  e. 
ein  beträchtlicher  teil  der  herrlichen  Helgidichtung  empor- 
geblüht ist;  doch  folgt  daraus  nicht,  dass  alles  was  die  dieh- 
tung  von  Helgi  dem  Hundingstöter  erzählt,  notwendig  in  dem 
söhne  Hälfdans  seinen  grund  hat.  Solche  einflüsse  gehören 
einer  entwicklungsstufe  der  sage  an  welche  zu  verfolgen  in 
diesem  Zusammenhang  meine  absieht  nicht  ist.  Nichts  hindert 
z.  b.  daran,  die  tötung  des  vaters  mit  Sijmons  (Zs.  fdph.  18, 117) 
auf  die  Hildesage  oder  einzelne  züge  Sigrüns  auf  die  sage  von 
Helgi  dem  söhne  Hjorvarfis  zurückzuführen. 


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382 


BOEK 


Das  zweite  gedieht  von  dem  Hundingstöter  enthält  drei 
Strophen,  deren  inhalt,  wie  es  scheint  vollständiger,  in  der 
Hromundar  saga  Greipssonar  mitgeteilt  wird.  Es  sind  die 
schon  gestreiften  str.  2—4,  wo  Helgi  in  franenkleidern  bei 
Hagall  versteckt  ist.  Sijmons  hat  zuerst  (Beitr.  4, 194)  die 
Vermutung  ausgesprochen,  dass  diese  Strophen  zu  den  ver- 
lorenen KäruljöA  gehören,  und  diese  ansieht  in  seiner  bespre- 
chung  des  Corpus  poetieum  boreale  (Zs.  fdph.  18,  118  f.)  weiter 
entwickelt  (vgl.  oben  s.  370).  Diese  Vermutung  beruht  auf 
den  folgenden  tatsachen:  1.  die  schlussprosa  der  H.  Hu.  u 
erwähnt  die  KäruljöA,  welche  von  Helgi  Haddingjaskati  ge- 
handelt haben  sollen;  2.  die  Hromundar  saga  erzählt  von 
Helgi  Haddingjaskati;  3.  die  Hromundar  saga  hat  unsere 
Strophen  benutzt.  Die  folgerung,  dass  str.  2-  4,  welche  die 
Hromundar  saga  in  besserem  Zusammenhang  als  das  Helgilied 
kennt,  Strophen  der  KäruljoA  sind,  hat  viel  anziehendes.  Doch 
kann  ich  mich  dieser  auffassung  nicht  anschliessen. 

Was  den  Ursprung  des  sagenmotivs  betrifft,  so  vermutet 
Sijmons  mit  recht  auf  grund  des  Baviss  der  saga,  welcher 
name  eine  Verderbnis  von  Bolviss  ist,  dass  es  aus  der  Siklingen- 
sage,  und  zwar  aus  der  sage  von  Hagbarör  und  Signy  stammt. 
Daraus  würde  noch  nicht  folgen,  dass  die  Strophen  nicht  ge- 
dichtet sein  könnten,  nachdem  die  Verbindung  des  motivs  mit 
der  Helgisage  vollzogen  war,  in  welchem  fall  sie  Strophen 
eines  Helgiliedes  sein  würden.  Wenn  sie  auf  Helgi  Hundings- 
bani  zu  beziehen  wären,  müsste  man  annehmen  dass  sie  zu 
der  jugendgeschichte  Helgis  gehören,  wie  auch  der  summier 
des  gedichtes  sie  an  den  anfang  stellt,  und  dass  sie  also  eine 
Variante  der  erzählung  der  Hrolfs  saga  kraka  wären,  wo 
Frö<M  Helgi  und  Hröarr  vergebens  bei  Vifill,  bei  dem  sie  sich 
unter  hundenamen  aufhalten,  sucht.  Die  gestalt  des  Blindr 
enn  bolvisi  wäre  dann  aus  der  Siklingensage  in  die  Helgisage 
aufgenommen  und  entspräche  den  begleiten!  des  königs;  die 
versuche  Vihls,  die  knaben  durch  list  zu  erretten,  wären  durch 
das  motiv  der  Verkleidung  ersetzt.  Das  wäre  denkbar;  doch 
würden  auch  in  diesem  fall  str.  2—4  nicht  demselben  gediente 
wie  str.  1  angehören  können,  wo  Helgi  durch  den  namen 
Hamall  auf  die  fassung  der  sage  welche  in  der  Hrolfs  saga 
vorliegt,  anspielt;  aus  demselben  gründe  wären  str.  2 — 4  von 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


383 


str.  6  zu  trennen.  Da  nun  der  inhalt  der  Strophen  anderswo 
in  besserem  Zusammenhang  mitgeteilt  wird,  so  ist  es  von 
vornherein  wahrscheinlich,  dass  sie  ursprünglich  zu  einem 
anderen  liede  gehört  haben,  und  verhältnismässig  spät  zufolge 
der  ähnlichkeit  der  Situation  in  die  Helgidiehtung  aufgenommen 
sind.  Es  ist  in  diesen  Strophen  von  einem  beiden  der  sich 
vor  einem  feinde  versteckt,  die  rede;  auch  Helgi  wurde  in 
seiner  jugend  vor  einem  feinde  versteckt;  dass  str.  1  davon 
handelte,  verstand  der  sammler  noch,  obgleich  ihm  die  bedeu- 
tung  der  strophe  nicht  klar  war,  und  str.  2—4  wurden  nach 
str.  1  eingeschoben.  Dazu  mag  die  lautliche  ähnlichkeit  der 
namen  llamall  und  Hagall  mitgewirkt  haben;  der  Verfasser 
der  prosa  von  2  scheut  sich  nicht,  auf  grund  dieser  ähnlichkeit 
Haniall  zu  einem  söhne  Hagais  zu  machen. 

Ich  glaube  dass  diese  Strophen  das  einzige  bewahrte  frag- 
ment  eines  liedes  von  Hagbarör  sind.  Die  zu  gründe  liegende 
Überlieferung  wäre  von  der  erzählung.  welche  Saxo  von  Hag- 
barör mitteilt,  nicht  sehr  verschieden;  bei  Saxo  und  in  den 
dänischen  liedern  dringt  Hagbarör  in  frauenkleidern  in  den 
palast  des  königs  und  wird  dort  ergriffen;  hier  scheint  eine 
form  der  sage  vorzuliegen,  nach  welcher  Hagbarör  die  Signy 
zu  einem  seiner  freunde  entführt,  wo  er,  als  die  diener  des 
königs  ihn  suchen,  sieh  in  frauenkleidern  aufhält.') 

Untersuchen  wir  nun  den  Zusammenhang  in  dem  die  den 
Strophen  entsprechende  prosa  in  der  Hrömundar  saga  Greips- 
sonar  mitgeteilt  wird,  so  ergibt  sich  dass  sie  schwerlich  als 
paraphrase  eines  fragments  der  Käruljoö  aufgefasst  werden 
kanu.  Die  Käruljoö  handelten  von  Helgi  Haddingjaskati  und 
seiner  geliebten  Kära.  Die  Hrömundar  saga  erzählt,  wie  Helgi 
dadurch  dass  er  ohne  absieht  die  ihn  schützende  valkyre 
tötet,  seinen  eigenen  Untergang  bewirkt.    Wenn  diese  episode 

')  Str.  4, 5—7  wurden  hinzugedichtet ,  nachdem  die  verse  auf  Helgi 
bezogen  waren.  Auch  wenn  str.  2  4  einein  Helgigedichte  angehörten,  so 
könnte  an  dieser  stelle  noch  von  .S'/V/«rr  und  Ilotjni,  deren  bekanntschalt 
Helgi  erst  später  macht,  nicht  die  rede  sein.  l»ie  nrsprünglichkeit  der 
z.  ti  Hesse  sich  verfechten  auf  grund  der  tatsache.  dass  Sigarr  auch  eine 
gestalt  der  Hagharössage  ist:  doch  wäre  es  unverständlich,  wie  Hag- 
barör, der  vor  Sigarr  sich  verbirgt,  sich  für  eine  sch wester  Sigars  ausgeben 
könnte. 


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384 


BOER 


auf  versen  beruht,  so  sind  das  zweifelsohne  Strophen  der 
Käruljoö  gewesen. 

Aber  die  erzählung  welche  auf  H.  Hu.  Ii,  2 — 4  und  mehreren 
verlorenen  Strophen  ähnlichen  inhaltes  beruht,  ist  in  der  saga 
nicht  an  Helgi,  sondern  an  Hromundr  geknüpft.  Man  kann 
nun  annehmen  dass  der  Verfasser  der  Hromundar  saga  die 
Karuljoo  zwar  gekannt,  aber  sehr  ungeschickt  benutzt  hat. 
und  dass  er  willkürlich  einige  strophen  auf  Helgi.  andere  auf 
Hromundr  bezog.  Für  des  Verfassers  Verständnis  für  die  alte 
poesie  nehme  ich  es  nicht  an;  doch  spricht  das  was  die  saga 
mehr  von  Hromundr  erzählt,  gegen  diese  annähme.  Der  inhalt 
der  saga  beweist  m.  e.  sonnenklar,  dass  der  sagaschreiber  mit 
recht  diese  Strophen  auf  Hromundr  bezogen  hat. 

Die  Hromundar  saga  enthält  nämlich  nicht  nur  verblasste 
reminiscenzen,  sondern  auch  eine  zwar  verderbte  und  ein  wenig 
modernisierte,  aber  beinahe  vollständige  Überlieferung  der 
Hagbarftssage,  welche  an  die  person  des  Hromundr  geknüpft 
ist;  dass  der  Verfasser  mehrere  liederfragmente  gekannt  hat, 
steht  fest. 

Bisher  wurden  mit  grösserer  oder  geringerer  Sicherheit  als 
motive  der  HagbanVsage  anerkannt  :  1.  die  gestalt  des  Baviss. 
2.  das  verkleidmotiv.  Ich  glaube  beweisen  zu  können,  dass 
auch  das  wichtigste  motiv  der  Hagbarössage,  die  liebes- 
geschichte,  in  der  Hromundar  saga  einen  reflex  gefunden  hat. 
Und  die  gestalt  des  Bolviss  finde  ich  nicht  nur  in  dem  Baviss 
der  saga  wider,  sondern  noch  in  einer  andern  Persönlichkeit, 
deren  auftreten  dem  des  Bolwisus  bei  Saxo  weit  ähnlicher  Ist 
als  das  des  Baviss.  Eine  nicht  geringe  Verwirrung  ist  ent- 
standen durch  die  Verbindung  zweier  von  haus  aus  verschie- 
dener  sagen,  Hromunds  liebesgeschichte  und  sein  kämpf  mit 
Helgi  Haddingjaskati.  Es  kommt  hinzu,  dass  dem  sagaschreiber 
das  richtige  Verständnis  für  seinen  stoff  abgieng  und  dass  er 
sehr  gedankenlos  arbeitete.  Ein  beispiel  genüge.  S.  371  gibt 
Hromundr  einen  ring  einum  mannt,  peim  er  JIrokr  hei.  Dieser 
JIrokr  kann  kaum  jemand  anders  sein  als  Hromunds  s.  365 
genannter  bruder;  das  hatte  der  Schreiber  sechs  seiten  weiter 
vergessen.  Hrokr  wird  von  Voli  getötet;  doch  fallen  später 
auf  den  Vienisiss  Hromunds  sämmtliche  acht  brüder,  also  auch 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


385 


Hrökr.1)  Man  muss  also  die  berichte  der  saga  mit  vorsieht 
aufnehmen.  Gleichwol  sind  die  zu  gründe  liegenden  sagen  noch 
ziemlich  klar  zu  unterscheiden. 

Hrömundr  Greipsson  kommt  zu  einem  könige  Alfr;  dieser 
red  fyrir  Gyrdum  i  Banm^rk.  Bei  dem  könige  stehen  zwei 
böse  männer,  Bildr  und  VbU,  in  hohem  ansehen.  Helgi  be- 
siegt für  den  könig  in  einer  Schlacht  die  brüder  Hrongviör 
und  Helgi;  jener  kommt  um,  diesem  wird  das  leben  geschenkt. 
Nachdem  Hrömundr  einem  gespenste  namens  präinn  ein  schwert 
abgewonnen  hat,  wird  er  sehr  berühmt.  Voli  tötet  nun  Hrökr 
(vgl.  oben);  der  könig  sagt  dass  er  das  später  bestrafen  werde, 
was  nicht  geschieht  (der  bericht  soll  nur  zeigen  wie  böse 
Voli  ist).  Der  könig  hat  zwei  Schwestern,  eine  von  ihnen, 
Svanhvit,  wird  eine  freundin  Hrömunds.  Dieser  spricht  wider- 
holt mit  ihr  und  fürchtet  weder  Voli  noch  Bildr;  doch  ver- 
leumden diese  ihn  bis  zu  dem  grade,  dass  er  den  hof  verlassen 
muss.  Svanhvit  verwünscht  vergebens  Voli  und  Bildr.  —  Die 
Haddingjar  (Haldingjar  hat  die  ausg.  und  einige  hss.  fehler- 
haft), zwei  Schwedenkönige,  in  deren  gefolge  sich  Helgi, 
Hrongviös  bruder,  aufhält,  fordern  könig  Öläfr  zum  kämpfe  auf 
dem  eise  des  Wenersees  auf.  Nun  will  Hrömundr  nicht  mit 
in  den  krieg  fahren,  tut  es  aber,  von  Svanhvit  dazu  aufgefor- 
dert, dennoch.  Kr  kommt  an,  nachdem  der  kämpf  schon  be- 
gonnen und  seine  acht  brüder  nebst  Bildr  getötet  worden  sind. 
Er  besiegt  die  könige,  tötet  Helgi  (episode  von  Kara),  wird 
aber  verwundet;  dann  begegnet  er  Voli,  der  an  dem  kämpf 
nicht  teilgenommen  hat,  und  tötet  ihn.  Nun  kommt  Hrömundr 
zu  Hagall,  wo  Svanhvit  ihn  heilt.  Aber  ein  mann  namens 
Blindr  enn  Uli  (später  BUndr  er  Bdriss  het  genannt)  sagt  dem 
könig  Haddingr,  dass  Hrömundr  noch  lebt;  der  könig  sucht 
Hrömundr  zweimal  vergebens  bei  Hagall;  das  zweite  mal  war 
Hrömundr  in  der  Verkleidung  eines  mädchens  (also  der  inhalt 
der  H.  Hu.  II,  2—4).  Im  winter  hat  Blindr  böse  träume,  welche 
er  dem  könige  mitteilt;  bald  darauf  überfallen  Öläfr  und 
Hrömundr  könig  Haddingr  und  Blindr  er  het  Bäviss;  Hadd- 

')  Zu  den  reminiscenzen  an  fremde  sagen  gehört  auch  die  erzählung, 
wie  Hrömundr  sein  schwert,  welches  in  den  Wenersee  gefallen  ist,  zurück 
bekommt.  Man  vergleiche  die  gewinnung  des  bei  Agnafit  versenkten 
Schwertes  in  der  Asinundar  saga  kappabaua. 

Beiträge  lur  geschieht«  der  deuteohon  spräche.    XXII.  25 


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386 


BOER 


ingr  wird  totgeschlagen,  Baviss  gehängt,  Hromundr  heiratet 
Svanhvit. 

Diese  wenig  zusammenhängende  geschichte  muss  inter- 
pretiert werden  wie  ein  fragmentarisches  und  zu  gleicher  zeit 
mit  zutaten  versehenes  gedieht.  Offenbar  hat  der  schreiber 
von  seinen  quellen,  welche  schon  nicht  einheitlich  waren,  nichts 
verstanden;  nicht  einmal  einen  namen  der  in  einigermassen 
abweichender  gestalt  an  mehreren  stellen  widerkehrte,  hat  er 
widerzuerkennen  vermocht.  Die  folgenden  Widersprüche  sind 
besonders  zu  betonen. 

Der  könig  Haddingr  wird  auf  dem  eise  des  Wenersees 
geschlagen;  dennoch  behauptet  er,  wie  es  scheint,  das  Schlacht- 
feld und  die  macht  über  die  gegend,  denn  er  lässt  Hromundr 
suchen  um  ihn  gefangen  zu  nehmen.  Dass  sich  dieser  aber 
auf  dem  gebiete  des  königs  Oläfr,  und  zwar  ziemlich  nahe  bei 
der  königsstadt  aufhält,  geht  daraus  hervor  dass  die  königs- 
tochter  ihn  heilt.')  Ferner  entsprechen  Voli  und  Bildr  genau 
dem  Bolwisus  und  Bilwisus  der  Hagbarössage;  die  namen  sind 
augenscheinlich  entstellungen  dieser  namen;  wenn  also  Bol- 
wisus später  wider  als  Blindr  er  Baviss  het  auftritt,  so  be- 
deutet das  nur,  dass  dem  schreiber  der  saga  quellen  zu  geböte 
standen,  in  denen  der  name  auf  verschiedene  weise  verderbt 
war,  so  dass  er  Baviss  für  eine  von  Voli  verschiedene  gestalt 
ansah.  Weil  er  nun  in  seiner  quelle  Voli  und  Bildr  später 
nicht  widerfand,  lässt  er  sie  beide  in  und  nach  der  Schlacht 
auf  dem  Vaenisiss  umkommen.  Es  sind  also  Voli  und  Bildr, 
oder  einer  von  ihnen,2)  welche  Hromundr  bei  Hagall  suchen; 
Voli  und  Bildr  aber  sind  Olafs,  nicht  Haddings  männer.  Das 
stimmt  zu  der  Vorstellung,  dass  Hromundr  sich  in  Ölafs  land 
aufhält  und  von  der  königstochter  geheilt  wird.   Das  stimmt 


')  Wie  Hromundr  auf  einmal  von  dem  Wenersee  nach  Dänemark 
kommt,  bleibt  unerklärt;  die  geographische  Vorstellung'  ist  ganz  verwirrt: 
wenn  Hromundr  bei  Hagall  sein  schwert.  welches  er  auf  dem  see  verloren, 
zurückbekommt,  so  scheint  er  doch  von  dem  Schauplatz  des  kämpfe«  nicht 
so  fern  zu  sein.  Die  erwähnung  des  Wenersees  ist  aber  wol  eine  reiuini- 
scenz  an  die  erzfihlnng  von  Adils*  kämpfe  mit  Ali  (Sn.  E.  lt  394). 

*)  Bildr  ist  entweder  eine  entstellung  von  Blindr  oder  von  Bilciss. 
Voti  ist  Boitins.  Wenn  Bildr  —  Blindr  ist.  so  entsprächen  Voli  und  Bildr 
beide  dem  Bilciss. 


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ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE.  387 

auch  zu  dem  anfang  der  saga,  wo  gesagt  wird,  dass  Voli  und 
Bildr  den  Hrömundr  gerade  wegen  seines  intimen  Verhältnisses 
zu  der  königstochter  verleumden. 

Wir  gewinnen  durch  diese  auffassung  des  Blindr  er  Baviss 
hei  als  mit  Voli  und  Bildr  identisch  eine  sagenform,  welche 
genau  mit  der  oben  für  die  Hagbarösage  vermuteten  form 
übereinstimmt: 

Hromundr  kommt  zu  dem  könige  Öläfr  und  kämpft  zwei- 
mal für  ihn.  Er  knüpft  mit  der  königstochter  ein  intimes 
Verhältnis  an;  die  bösen  ratgeber  verleumden  ihn;  der  könig 
jagt  ihn  fort.  Die  königstochter  besucht  Hrömundr,  der  sich 
bei  Hagall  versteckt  hat;  der  könig  und  die  bösen  ratgeber 
suchen  ihn  dort;  er  hat  frauenkleider  angezogen  und  wird 
nicht  gefunden. 

Auch  von  Hagbarör  wird  erzählt  dass  er  anfangs  ein 
freund  der  Siklinge  war,  bis  Bolwisus  Unfrieden  stiftete.') 

Von  hier  an  gehen  die  erzählungen  auseinander,  und  es  zeigt 
sich  die  Überlieferung  der  Hrömundarsaga  als  die  jüngere  durch 
den  friedlichen  ausgang.  Hromundr  heiratet  die  königstochter, 
während  Hagbarör  gehängt  wird.  Die  jüngere  sagenform  for- 
dert dass  Bolvtas  gestraft  wird.  Der  träum  des  Baviss  scheint 
eine  poetische  quelle  zu  haben;  wenn  das  der  fall  ist,  so  kann 
das  gedieht  kaum  entstanden  sein,  bevor  diese  jüngere  sagen- 
form ausgebildet  war;2)  bei  Saxo  wird  zwar  die  magd  welche 
geplaudert  hat,  aber  nicht  Bolwisus  gestraft. 

>)  Dass  Boliritm  und  Bilwiswi  Ödinn  sind,  halte  ich  für  ausgemacht. 
Dafür  spricht  n.  a.  das  folgende:  1.  Ödinn  heisst  Bolrerkr,  2.  er  tritt  auf 
als  Blhulr  oder  enn  blindi:  3.  er  tritt  mehrfach  unter  zwei  correlativen 
namen  auf,  von  denen  z.  b.  Bnleygr  und  Bileygr  den  Bolrhs  und  Bilriss 
lautlich  sehr  nahe  stehen.  Man  könnte  sogar  an  vollständige  identitftt 
dieser  namen  denken,  wenn  man  das  zweite  glied  des  Boltcisus  als  latei- 
nische Übersetzung  von  -eygr  aufzufassen  wagte,  wogegen  aber  die  nordi- 
schen formen  Barium  und  enn  bylcisi  angeführt  werden  können;  4.  Ödinn 
stiftet  stets  Unfrieden  unter  den  männern,  wie  Bolriss.  Auch  bei  Saxo 
tritt  ÖÖinn  oft  als  friedensBtürer  auf,  z.  b.  s.  255,  25.  S.  248,  22  erscheint  er 
orbus  oculo  (wie  oft  in  an.  quellen;  man  denke  an  die  Verpfandung  von 
ÖÖins  ange),  was  dem  Bolici*us  luminibm  captus  genau  entspricht.  Auf 
grund  des  angeführten  trenne  ich  Bilwisus  und  Bolwisus  vollständig  von 
den  zwergengestalten  Alins  und  Olius  (s.  oben  s.  359). 

')  Doch  könnte  man  sich  vorstellen,  dass  dem  gedichte  von  Bolviss' 
träumen  die  erzählnng  von  det  räche  für  HagbarÖs  tod,  welche  Saxo  s.  238  f. 

25* 


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BOER 


Ich  glaube  bewiesen  zu  haben,  dass  die  erzählung  der 
Hrömundar  saga  eine  am  Schlüsse  modernisierte  Variation  der 
Hagbarösage  ist.  welche  auf  Hromundr  übertragen  ist.  Der 
Verfasser  benutzte  fragmente  eines  liedes  von  Hagbarör.  Drei 
Strophen  jenes  gedientes  sind  im  zweiten  Helgiliede  bewahrt. 
Ich  muss  hier  bemerken,  dass  durch  meine  erklärung  der 
Strophen  der  poetischen  Überlieferung  nicht  mehr  gewalt  an- 
getan wird  als  durch  die  annähme,  dass  str.  1 — 13  zu  den 
Käruljöo  gehören.  Zwar  trenne  ich  str.  2—4  von  str.  1  und 
5—13;  aber  ich  vereinige  wenigstens  stofflich  str.  1.  5—13  mit 
den  folgenden  Strophen,  so  dass  nach  meiner  auffassung  nur 
3  Strophen  der  Helgidichtung  von  haus  aus  vollständig  fremd 
sind,  während  die  andere  auffassung  13  Strophen  verurteilt. 
Der  prosaischen  Überlieferung  der  Hrömundar  saga  aber  wird 
nur  meine  auffassung  gerecht. 

Da  der  sagaschreiber  der  erste  war  der  den  Bäviss  zu 
einem  manne  Haddings  gemacht  hat,  ist  er  es  wol  auch  der 
hinzuphantasiert,  dass  Haddingr  zusammen  mit  Baviss  getötet 
wird.  Ursprünglich  kam  wol  Haddingr  mit  Helgi  auf  dem 
Yamisiss  oder  wo  der  kämpf  sonst  localisiert  war,  um.  Doch 
hebe  ich  ausdrücklich  hervor,  dass  jene  sage  welche  Helgi  in 
Zusammenhang  mit  könig  Haddingr  nennt,  von  der  oben  be- 
sprochenen grundverschieden  ist.  Zwei  sagen  sind  in  der 
Hrömundar  saga  mit  einander  verflochten. 

Hrömunds  kämpf  mit  Helgi  ist  ein  letzter  ausläufer  der 
sage  von  den  Skjoldungen  und  den  Haöbarden.  Selbst  das 
motiv  der  räche  für  den  tod  des  bruders  fehlt  hier  nicht;  es 
ist  aber  auf  die  andere  partei,  welche  diesmal  den  sieg  davon- 
trägt, übertragen.  Hromundr  rächt  an  Helgi  seine  brüder. 
Einer  dieser  brüder  heisst  Hrokr,  wie  der  töter  Hroars  in  der 
Hrölfs  saga  kraka.  Nach  den  settartolur  (Fiat.  1, 24)  gehören 
Hromundr  und  Hrokr  zu  demselben  geschlechte  wie  Hoftbroddr. 
den  wir  aber  als  Haöbarden  erkannten.  Wie  die  Siklinge  in 
nahem  freundschaftlichen  Verhältnis  zu  den  Skjoldungen,  so 

berichtet,  zw  gründe  liegt.  Die  schlecht  bei  Walbnmna  raus»  einst  sehr 
berühmt  gewesen  sein. 

')  Auch  Helgi  hat  an  Hromundr  einen  bmder  Hrengviör  zu  rächen: 
doch  ist  die  Vorstellung  hier  sehr  verwirrt.  Gehört  das  abenteuer  ursprüng- 
lich zu  dieser  sage? 


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ZUR  DANISCHEN  HELDEN8AGE. 


889 


erscheinen  die  feinde  der  Siklinge,  das  geschlecht  zu  dem 
Hagbarör  gehört,  als  mit  den  HaÖbarden  befreundet  und  ver- 
want  schon  dadurch,  dass  die  Überlieferung  eine  erzählung 
von  Hagbardr  auf  Hrömundr  überträgt.  Dazu  stimmt  dass 
der  vater  des  Hrökr  svarti,  von  dem  Hrömundr  stammt,  Ha- 
rn und  r  hiesw  wie  Hagbarös  vater  und  bruder.  Dass  jener 
Hamundr  Horöajarl  genannt  wird,  beweist  nur  die  Überführung 
des  geschlechtes  nach  Norwegen. 

Ich  kann  demnach  Olrik,  dessen  aufsatz  über  die  Skjold- 
unga  saga  ich  übrigens  viel  anregung  verdanke,  darin  nicht 
beistimmen,  dass  der  gegensatz  zwischen  Skjoldungen  und 
Haöbarden  in  der  norrönen  Überlieferung  bis  auf  geringe 
spuren  verwischt  ist.  Zwar  gehören  in  der  nordischen  tradi- 
tion  Ingjaldr  und  Frööi  zu  den  Skjoldungen,  wie  auch  in 
einigen  quellen  Hrökr  zu  einem  Skjojdung  geworden  ist.  Doch 
stossen  wir  in  zahlreichen  quellen  auf  den  alten  gegensatz. 
Auf  der  einen  seite  stehen  die  SkjoMunge,  als  deren  haupt- 
vertreter  in  der  hier  besprochenen  Überlieferung  Halfdan  und 
Helgi  erscheinen,1)  und  die  Siklinge:  Sigarr  und  seine  söhne; 
auf  der  anderen  seite  die  Haöbarden  Hoöbroddr,  Hrökr,  Hro- 
mundr und  das  ihnen  nahe  verwante  geschlecht  der  söhne 
Hamunds:  Hagbarör  und  seine  brüder. 

Die  geliebte  des  Helgi  Haddingjaskati  gibt  sich  durch  den 
namen  des  vaters  (Halfdan)  als  ein  glied  des  Skjohiungen- 
geschlechtes  zu  erkennen. 

|  Nachschrift.  Dieser  aufsatz  war  geschrieben,  als  Bugges 
bedeutende  schrift  'Helge-digtene  i  den  aeldre  Edda'  erschien, 
welche  einige  der  hier  besprochenen  fragen  mit  Bugges  be- 
kannter gelehrsamkeit  und  weit  ausführlicher,  als  oben  ge- 
schehen, behandelt.  Manches  wird  dort  ähnlich  wie  oben  be- 
urteilt; namentlich  verficht  auch  ßugge  die  identität  des  Helgi 
Hundingsbani  mit  dem  söhne  Hälfdans.  Doch  habe  ich  diesen 
aufsatz  nicht  zurückzuhalten  für  meine  pflicht  gehalten,  einer- 
seits weil  er  zum  grossen  teil  über  fragen  handelt,  auf  welche 
Bugge  nicht  eingeht,  andererseits  weil  ich  in  manchen  punkten 
zu  anderen  resultaten  gelangt  bin.    Wo,  wie  z.  b.  in  der  auf- 

»)  Auch  die  Haddingjar  gehören  nach  den  jettartqlnr  zu  demselben  ge- 
schlechte. 


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390 


BOER,  ZUR  DÄNISCHEN  HELDENSAGE. 


fassung  Hoftbrodds  als  HaAbarden,  ein  übereinstimmendes  re- 
sultat  erreicht  wurde,  möge  das  für  die  richtigkeit  jenes 
resultates  zeugen.  Die  reiche  belehrung,  welche  jeder  der  sie 
liest  aus  Bugges  schritt  schöpfen  wird,  habe  ich  hier  nicht  ver- 
wertet, damit  nicht  die  ursprünglichkeit  dieser  arbeit  verloren 
gehe:  ich  hätte  dadurch  das  recht  verloren,  sie  als  eine  selb- 
ständige Untersuchung  herauszugeben.  Doch  bin  ich  davon 
überzeugt,  dass  wenn  Bugges  buch  ein  halbes  jähr  früher  er- 
schienen wäre,  nicht  nur  einige  Seiten  dieser  abhandlung  als 
überflüssig  zurückgehalten  wären,  sondern  auch  andere  dabei 
gewonnen  hätten.] 

LEEUWARDEN,  october  1896.  R.  C.  BOER. 


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SATZVERBINDENDE  PARTIKELN  BEI  OTFRID 

UND  T  ATI  AN. 


Vorliegende  arbeit  sucht  festzustellen,  welche  wörtchen 
im  Otfrid  und  Tatian  zur  Verbindung  gleichwertiger  und  un- 
gleich wert  iger  sätze  gebraucht  werden;  m.  a.  w.  welche  coordi- 
nierenden  und  subordinierenden  conjunctionen  sie  kennen,  und 
welche  bedeutung  diese  haben.  Dabei  ist  nicht  nur  rücksieht 
genommen  auf  die  reinen  conjunctionen,  sondern  auch  die 
wörtchen  sind  in  den  kreis  der  betrachtung  gezogen,  die  an 
den  einen  stellen  noch  als  adverbia  nur  einem  satz  angehören, 
an  andern  stellen  aber  auch  zur  Verbindung  mehrerer  sätze 
dienen.  Die  bedeutung  dieser  wörtchen  ist  aber  noch  nicht 
überall  fest  ausgeprägt;  die  meisten  weisen  mehrere  bedeutungen 
auf,  die  häufig  in  einander  übergehen. 

Otfrid  und  Tatian  stammen  beide  aus  dem  9.  jh.  Tatian 
ist  höchst  wahrscheinlich  in  der  klosterschule  zu  Fulda  ent- 
standen, deren  schüler  Otfrid  gewesen  ist;  beide  werke  sind 
in  fränkischer  mundart  geschrieben.  So  ergibt  sich  in  dieser 
Untersuchung  naturgemäss  in  vielen  punkten  Übereinstimmung. 
Aber  Otfrid  hat  ein  in  versen  geschriebenes,  originaldeutsches 
werk  geliefert,  der  Tatian  bietet  in  prosa  die  oft  sklavische 
widergabe  einer  lateinischen  vorläge.  Es  haben  sich  darum 
auch  manche  unterschiede  aufweisen  lassen.  Zur  vergleichung 
wurden  ausser  andern  ahd.  denkmälern  besonders  der  Isidor 
herangezogen,  weil  auch  er  die  Übersetzung  einer  lateinischen 
vorläge  ist.1) 

')  Von  früheren  arbeiteu  ähnlicher  art  lagen  mir  vor:  Erdmann, 
(trundziige  der  deutschen  »yntax.  —  (trimm,  Deutsche  grammatik  3 1  (<»r.). 
—    Koch,  Die  bildung  der  nebensätze,  in  Herrigs  Archiv  14,  267  ff.  — 
Tobler,  Conjunctionen  mit  mehrfacher  bedeutung,  Beitr.  5,  358  3S8. 
Erdmann,  Syntax  Otfrids  (E.  S.),  bd.  1.        Ohly,  Die  Wortstellung  bei 


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392 


SCHÖLTEN 


§  L  avur, 

bei  0.  häufig  als  adv.  und  conj.,  im  T.  als  conj.  sehr  selten, 
wird  in  beiden  denkmälern  gebraucht  zur  scharfen  gegenüber- 
stellung  von  personen  und  sachen,  gleich  unserem  'anderer- 
seits, dagegen',  z.  b.  0.  2,  19,  3  ther  wizzod  gibot  ... ,  ih  avur 
sagen  tu;  T.  174,4  thisu  weralt  gifihit,  ir  birut  abur  gitruobte 
(vos  autem).  0.  verwendet  avur  ferner  zu  einfacher  fortfiihrung 
der  erzähl ung  =  'aber',  z.  b.  4,8,12  rietun  thes  ginuagi,  tvio 
man  inan  irsluagi:  sie  forahtun  avur  innan  thes  menigi  thes 
Hutes.  Zuweilen  hat  avur  auch  die  erläuternde  nebenbedeutung 
eines  'nämlich',  z.b.  5, 12, 100  thia  filu  sconun  wunna,  Üuus  heizit 
avur  minna!  Verstärktes  adversatives  avur:  0.  1,  9,  27  avur 
thara  ingegini. 

§2.  er 

hat  im  0.  bei  positivem  hauptsatz  die  bedeutung  'bevor,  ehe', 
z.  b.  2,  7,  66  irkanta  ih  thino  guati . . . ,  er  er  thih  thes  bati,  thaz 
. . nach  negativem  hauptsatz  '(nicht)  eher  als  bis',  z.b.  4, 20, 25 
er  es  er  io  nirwant,  er  er  allaz  thia  lant  gidruabta  ...  Im 
T.  wird  in  derselben  bedeutung  gebraucht  er  thanne,  und  zwar 
L  bei  positivem  hauptsatz  —  1.  antequam,  priusquam,  z.  b. 
131, 25  er  thanne  Abraham  uuari,  er  bim  ih  (er  ist  hier  als 
Übersetzung  von  ante,  prius  eigentlich  noch  temporales  adv.); 
2.  bei  negativem  hauptsatz  =  1.  donec,  z.b.  158,2  ni  izzu  ih 
iz  mit  iti,  er  thanne  iz  gifullit  uuirdit.  Nur  je  einmal  hat  O. 
er  thanne  3, 18, 62  (wo  die  alte  bedeutung  prius  . . .  quam  noch 
besonders  lebendig  ist)  und  T.  er  =  antequam  5,  7. 

Im  übrigen  ahd.  lautet  die  conj.  er.  Is.  hat  17, 4  aer,  47, 2 
und  4  aer  dtianne. 


Otfrid.  —  Starker,  Die  Wortstellung  der  uachsätze  in  den  ahd.  Über- 
setzungen des  Matthänsevangeliums,  des  Isidor  und  Tatian.  —  Pitt  mar, 
Ueher  die  altdeutsche  negation  ne  in  abhängigen  sätzen,  Zs.  fdph.,  erg.-bd. 
1874,  183 ff.  —  Gering,  Die  cansalsätze  und  ihre  partikeln  bei  den  ahd. 
Ubersetzern  des  8.  und  9.  jh/s.  —  Mensing,  Untersuchungen  über  die  syntax 
der  concessivsätze  im  alt-  und  mhd.  —  Tobler,  Ueber  'und',  Germ.  13,  91  ff. 

Frey,  Die  temporalconjunctionen  der  deutschen  spräche  in  der  Uber- 
gangszeit vom  mhd.  zum  nhd.  —  Löhn  er,  Die  Wortstellung  der  relativ- 
und  abhängigen  conjunctionalsätze  in  Notkers  Boethius.  —  Hanno w,  Der 
satzbau  des  ahd.  Isidor  im  Verhältnis  zu  seiner  lateinischen  vorläge  (dazu 
Tobler,  Anz.  fda.  16,  379).  —  Wunderlich,  Beiträge  zur  syntax  des 
Notkerschen  Boethius. 


SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  Ü.  TATIAN. 


393 


Der  bei  0.  nicht  seltene  hinweis  auf  den  nebensatz  durch 
ein  adverbiales  er  im  vorangehenden  hauptsatz,  z.  b.  4,  4,  3. 
3,  2, 20,  findet  sich  auch  im  T.  131, 25.  Im  folgenden  hauptsatz 
hat  0.  ausserdem  ein  so  2,  1, 3. 13. 17.1) 

§  3.  giuuesso, 

das  'eine  auffallende  menge  verschiedener  conjunctionaler  an- 
Wendungen'  in  sich  vereinigt,5)  wird  von  0.  nie  conjunctional 
verwant.  Im  T.  dagegen  wird  durch  giuuesso  (zweimal  beim 
Schreiber  6  und  6'  in  der  form  giuuisso,  Sievers  s.  xlix)  wider- 
gegeben 1.  etiam  =  'auch';  z.  b.  83,  2,  ebenso  Is.  5, 2;  —  2.  autem, 
vero  =  'aber,  dagegen',  z.  b.  84,3.  226,3.  Is.  5,8.  11,12;  — 
3.  quidem  =  'zwar',  in  der  Verbindung  quidem —  autem  (vero), 
z.  b.  141, 23.  181, 6.  172,  5;  inti  giuuesso  =  et  quidem,  z.b.  116,6, 
hinter  einem  hervorzuhebenden  wort,  z.b.  91,4;  —  4.  itaque 
'daher,  deswegen',  z.  b.  100,  3.  129,  7;  —  5.  siquidem,  quippe 
=  'denn',  z.  b.  94, 1.  74, 8.*) 

§  4.  ja 

wird  bei  0.  dadurch  dass  es  den  gesammtinhalt  eines  satzes 
hervorhebt,  im  Zusammenhang  1.  causal,  ja  =  'denn  —  ja, 
da  —  ja',  z.b.  1,25,5  wio  mag  sin,  ja  bin  ih  smaher  scalg 
thin,  thaz  thih  henti  mine  zi  doufenne  birine?;  1,6, 18;  —  2.  ad- 
versativ ja  —  'aber',  4,22,9  ja  ist  iu  in  thesa  ziti  zi  giwona- 
heiti  ..  est  autem  consuetudo  robis.    Neben  arur  2,  8,51. 4) 

Im  T.  kommt  ja  nicht  in  aussagesätzen,  sondern  (ausser 
77, 5)  stets  in  rhetorischen  fragen  an  stelle  lateinischer  frage- 
wörtchen vor. 

§  5.  inti. 

0.  und  T.  gemeinsam  ist  der  häufige  gebrauch  von  inti 
zur  Verbindung  coordinierter  satzteile  und  sätze:  inti  = 
'und',  z.b.  T.2,6  gifeho  inti  blidida  =  l  et.  0.  1,27,55  after 
mir  so  quimit  er,  inti  allo  ziti  was  er  er,  0. 1, 1, 100.  T.  3,  8. 

')  Per  bau  dieser  nütze  mit  er  und  er  thanne  ist  derselbe,  vgl.  Erd- 
mann, tirundzüge  8  191,  z.b.  0.4,  13,35.  T.  101,4.  0.3,20,77.  T.  14«,  3. 
»)  Tobler  8.  3H7,  vgl.  (iraff  1,1110. 

■)  Das  eansale  so  auh  chiuuisso  bei  Is.  (Rannow  s.  123.  Gering  s.  43) 
kommt  im  T.  nicht  vor. 

*)  Das«  ja  an  diesen  stellen  aber  noch  adv.,  nicht  conj.  ist,  wie  auch 
noch  mhd.,  beweist  die  Wortfolge,  die  ja  fordert:  ja  r  s  x  (v  —  verbum, 
s  ss  subject,  x  —  jeder  andere  satzteil). 


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394 


SCHÖLTEN 


Bei  0.  ist  diese  Verbindung  nicht  immer  rein  copulativ, 
sondern  hat  einen  adversativen  nebensinn:  inti  —  'und  dennoch, 
dagegen',  z.  b.  2,  8,  8  thaz  si  ist  ckord  eina,  muater  inti  thiarna; 
2,  14T 18  (ebenso  im  Ludwigslied  v.  18);  oder  inti  ist  gleichzeitig 
causal.  etwa  gleich  'und'  mit  folgendem  'doch',  z.  b.  4,  11,22 
ist  . .  gilumplich,  thaz  thu  nu  wasges  mih;  inti  ih  bin  eigan 
scalk  thin?  Ganz  vereinzelt  dient  inti  zur  einleitung  einer 
lebhaften  frage:  5,  9,  23  inti  thu  ni  hortos?  =  et  non  cognovisti? 

Im  T.  wird  inti  —  1.  et  ausserdem  gebraucht  zur  hervor- 
hebung  eines  einzelnen  begriffs  in  der  bedeutung  'auch',  z.b.  156,2 
ob  ih  wuosc  inutwre  fuozzi inti  ir  sulut  ...  unasgan;  10G,  5. 

Die  Verbindung  inti  ouh  ist  bei  0.  sehr  häufig  in  der  be 
deutung  des  lateinischen  et,  z.  b.  1, 17, 18  tcuntar  filu  hcbigaz 
. . .  inti  ouh  zcichan  sin  sconaz;  1,  10,  22  (auch  im  Is.,  z.  b. 
15,19.  21,29).  Im  T.  ist  sie  sehr  selten,  und  dann  im  sinne 
von  etiam  (vgl.  ouh).  Andererseits  hat  der  T.  die  Verbindung 
inti  —  inti  =  L  et  —  et  104,  8.  139, 0.«) 

§  6-  joh, 

bei  0.  häufig,  sehr  selten  im  T.,  wird  von  0.  im  allgemeinen 
gebraucht  wie  inti  zur  Verbindung  grammatisch  coordinierter 
satzteile  und  sätze.  Wo  ein  negatives  und  positives  glied  durch 
joh  verbunden  werden,  können  wir  'dagegen,  sondern'  brauchen, 
z.b.  2,13,21  ther  uvur  ni  ferit  thanana  joh  quam  fon  himile 
obana;  4,37,22.  Logisch  coordiniert  brauchen  die  glieder  nicht 
zu  sein:  joh  -=  •und  zwar',  z.b.  1,17,42  mit  in  gistuant  er 
thingon  joh  filu  halingon;  1,22,35. 

Im  T.  steht  joh  der  bedeutung  'auch'  näher  (=L  etiam) 
und  dient  zur  hervorhebung  einzelner  Wörter,  z.  b.  07, 3  joh 
(liuuala  sint  uns  untarthiutite       1  etiam  demonia\  145,17. 

Die  Verbindung  joh  ouh  ist  0.  ganz  geläufig,  T.  hat  sie 
nicht,  joh — joh  ~  1.  et  —  et  braucht  nur  T.  170,0,  nicht  0. 
(vgl.  Is.  21, 6  —  1.  sive —  sive,  N.  =  tarn  —  quam,  Gr.  3, 271.') 

')  Die  Wortfolge  nach  inti  ist  meist  n  r  j;  vgl.  E.  S.  1,  8  72;  doch  scheint 
den  Übersetzern  des  T.  die  inversion  auch  ganz  geläufig  gewesen  zu  sein; 
z.b.  2,5.  13,2.  IS,  1;  beule  Stellungen  neben  einander  19,2  et  ait  —  inti 
qmid  her;  et  fadOM  —  inti  ih  tuon.  Die  sonstigen  von  Tobler,  (ienu.  13, 
ill  —  1 04  angeführten  bedeutungeu  haben  O.  und  T.  noch  nicht. 

*)  Die  Verbindung  emlijoh  Is.  7.  25  (Gr.  3,  273  f.  (iraff  1,  3H2)  begegnet 
weder  bei  0.  noch  im  T. 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  U.  TAT1AN.  395 

§  7.   min  * 

ist  bei  0.  nur  adverbialer  comparativ  =  'weniger'.  Die  Ver- 
bindung wi  (thes)  thiu  min  (z.  b.  3,8,47.  5,23, 152)  nähert  .sich 
an  einigen  stellen  schon  der  adversativen  bedeutung  unseres 
'nichtsdestoweniger,  trotzdem',  z.  b.  5,7,12  **  iz  al  irsuachit 
habeta;  ni  suahta  siu  thar  thes  thiu  min  ;  1,22,57. 

Im  T.  kommt  min  öfter  vor  als  finale,  negative  conj.  = 
].  ne  'damit  nicht'1)?  z.b.  74,6  iro  ougun  bisluzun,  min  sie  mit 
ougon  sihuuanne  gisehen  —  ne  . . .  videant;  107.  3.  147,  7.  Meist 
ist  min  mit  odouuan  verbunden  zur  Übersetzung  des  L  forte, 
z.b.  27,2.  39,7;  =  1.  ne  122,2;  mm  odo  =  L  ne  forte  110,4; 
mm  odouuan  =  'dass,  ob'  13,19  ist  durch  1.  ne  forte  hervor- 
gerufen; 33,1? 

§  8.  nt. 

Graff  2,  973  belegt  nt  in  den  bedeutungen  'wenn  nicht, 
dass  nicht,  der  nicht  '  und  erklärt,  die  conjunctionale  bedeutung 
liege  nicht  in  ni,  sondern  im  conjunctiv  des  verbs.  Diese  be- 
merkung  ist  richtig  für  die  conditionalen  nebensät ze;  in  den 
andern  fällen  steht  ni  einer  conj.  sehr  nahe,  denn  1.  ist  die 
form  dieser  Sätze  durchaus  die  des  ncbensatzes;*)  2.  steht  ni 
nicht,  wie  sonst  stets,  beim  verb,  sondern  an  der  spitze  des 
satzes,  wie  jede  subordinierende  conj. 

Dieser  gebrauch  von  ni,  der  sich  aber  beschränkt  auf  die 
consccutive  ausführung  von  einfachen  oder  doppelten  negationen, 
ist  im  0.  beliebt,  im  T.  ganz  unbekannt. 

Nach  einfach  negierten  hauptsätzen  braucht  0.  dies  ni  = 
'dass  nicht'  a)  zur  einleitung  von  inhaltssätzen,  z.b.  4,  14,3 
ni  tctrd  iz  . . .  ,ni  wir  fuarin  mit  ginuhtin;  1,  8, 21;  auch  4, 14, 18 
(gegen  Erdmann,  ausgäbe  s.  448);  —  b)  der  satz  mit  ni  gibt 
den  inhalt  eines  vorangehenden  adjectivs  mit  so  an;  1,22,40 
ni  was  er  io  so  mari,  ni  thiz  bifora  tvari;  1, 11, 10  (vgl.  suntar 
1,24,6);  —  c)  der  hauptsatz  mit  dem  verb  nist,  ni  ward  dient 
nur  zur  Verallgemeinerung  der  aussage  des  nebensatzes;  vor 
ni  —  'dass  nicht'  ergänzen  wir  ein  'so  gross,  so  weit'  u.  dgl. 
und  können,  da  das  subject  des  hauptsatzes  im  nebensatz  als 
pronominales  subject  oder  object  widerkehrt  oder  zu  ergänzen 

')  Ausser  im  T.  noch  in  einigen  interlinearversionen :  Graff 2, 799. 
*)  D.  h.  modus:  conjunctiv,  subject  am  anfanjjf.  verb  möglichst  dem  ende 
nahe.   23  mal  von  44  stellen  ganz  am  ende. 


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396 


SCHÖLTEN 


ist,  den  nebensatz  auch  durch  einen  negativen  relativsatz  mit 
'der  nicht,  das  nicht'  widergeben,  z.  b.  4, 26, 21  nist  guates  tciht 
in  worolti,  ni  er  untar  uns  hiar  icorahti;  1,23,31.  1,5,48.49. 

Nach  einer  doppelten  negation  im  hauptsatz  steht  ni  'pleo- 
nastisch',1)  für  unser  gefühl  heisst  hier  ni  'dass'.  Die  zweite 
negation  des  hauptsatzes  ist  meist  ein  negatives  verb,  z.  b. 

H.  153  ni  lazet,  ni  ir  gihugget  joh  mir  ginada  thigget  ;  2,24,32; 
selten  anders,  z.  b.  5,  10,4.  1,  1, 116.  —  3,7,59  muss  man  für 
ruachent  negative  bedeutung  annehmen. 

Dies  conjunctionale  ni  ist  auch  in  andern  ahd.  quellen  be- 
kannt (ebenso  im  mhd.).  Nur  stellt  es  dort  nicht  an  der  spitze 
des  satzes.   Gerade  so  wie  0.  gebraucht  es  Is.  9, 17.*) 

§  9.    ni  si. 

ni  si  ist  ein  formelhafter  negativer  bedingungssatz  ohne 
conj.:  'wenn  es  nicht  der  fall  ist,  es  sei  denn',  der  zu  seiner 
ergänzung  eines  inhaltsatzes  mit  thaz  bedarf.1*)  Ein  solches 
conditionales  ni  si  thaz  steht  im  T.    -  1.  nisi  25,7.  82,11;  = 

I.  nisi  forte  80,  4  (ebenso  Hei.  121),  z.  b.  80,  11  ni  si  thaz  ir 
ezzet  fleisc  mannes  suncs  =  nisi  manducareritis  ...  0.  hat 
nisi  thaz  2,13,23.  2,17,9.  3,  lü,24.<)  Ks  ist  aber  hier  nicht 
conditional,  sondern  leitet  in  der  bedeutung  'ausser  dass'  einen 
aussagesatz  ein,  wie  auch  T.  155,6  =  1.  nisi  ut  und  ni  si  ohne 
thaz  0.  4, 8,  10;  z.  b.  2, 17,  9  zi  tvihtu  iz  (ihaz  salz)  sid  ni  hitfit, 
ni  si  thaz  man  iz  firwirßt.  Will  dagegen  0.  mit  ni  si  einen 
wirklichen  bedingungssatz  einleiten,  so  setzt  er  nicht  thaz, 
sondern  die  bedingende  conj.  oba  hinzu:  ni  si  oba:  3,  25, 10 
alle  these  liuti  giloubent . . .,  ni  si  oba  wir  biginnen  ...  5, 23,  94.5) 

§  10.  noh 

dient  im  0.  und  T.  zur  negativen  Verbindung  von  Satzteilen 
und  sätzen  (im  letzteren  falle  meist  mit  ni  beim  verb,  im  T. 

1  Pitt  mar  a.  a.  o.  s.  297. 

»)  Ich  nehme  demnach  hier  nicht .  wie  Rannow  a.  a.  o.  s.  89,  conjunc- 
tionslose  Verbindung  des  uebensatzes  an,  sondern  sehe  in  ni  die  conj. 
8)  Vgl.  Pittmar  s.  197. 

«)  1.2,52  halte  ich  thaz  für  das  pron.  rel.  In  der  erklärung  obiger 
stellen  weiche  ich  ah  von  E.  S.  5<  2H4  nnd  Dittmar  s.  215. 

»)  ni  si  =  'ausser'  vor  einzelnen  worten,  die  einem  teil  des  voran- 
gegangeneu satzes  parallel  sind,  findet  sich  oft  bei  0.,  z.  b.  2,4.10.98. 
4,  9,  22;  im  T.  nur  162,  3.  178,  4.  198,  4  =  L  nisi  (also  nur  beim  Schreiber  £), 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  ü.  TATIAN.  307 

ohne  lat.  Vorbild).  Es  hebt  nach  vorangegangener  negation 
die  gleichartigkeit  hervor:  'und  auch  nicht,  noch',  z.  b.  0.1,5,49 
Inning  nist  in  teorolti  . . .  noh  keisor  untar  manne  . . . ;  3, 18, 10. 
T  =  1.  neque,  z.  b.  13, 22  uuaz  toufist  /Am,  oba  thu  Christ  ni  bist 
noh  Helias  noh  uuizago?;  141,11;  —  2,6  für  et  in  negativem 
satz.  36,1  =  et  (übt)  non;  197, 3  =  sed  neque  (vgl.  Is.  31,20. 
24  u.ö.;  im  übrigen  ahd.  nicht  häufig).  T.  hat  oft  beim  ersten 
glied  ein  noh  :  noh  —  noh  'weder  —  noch*  =  1.  neque  —  neque, 
z.  b.  132,2  noh  theser  suntota  noh  sine  eldiron;  36,1;  bei  0. 
nur  2,14,63.  3,7,40?') 

Hinter  einem  positiven  satz  führt  noh  die  erzählung  weiter 
in  der  bedeutung  'und  nicht,  aber  nicht',  z.  b.  0.1,19,17  sin 
fuart  er,  noh  ni  dualta,  in  lant,  thaz  ih  nu  zalta;  1,24,10. 
T.  =  1.  nee,  z.  b.  60, 3,  sed  non  119, 4.  Auch  zur  negativen  her- 
vorhebung  einzelner  Wörter  dient  noh:  'auch  —  nicht';  im  0.  nur 
3,17,57  noh  ih  firmonen  thih;  im  T.  öfter,  z.b.  120,7.  152,8 
—  1.  neque;  noch  stärker  hervorhebend:  'nicht  einmal'  nur  T. 
118,3  ther  fimtatigo . . .  ni  uuolta  noh  ougun  ei  himile  heuan  ; 
240,2.  0. 1,20,30? 

Im  T.  allein,  nicht  bei  0.,  wird  noh  endlich  gebraucht  zur 
widergabe  von  neque  enim  'denn  nicht':  104, 1  noh  sine  bruoder 
giloubton  in  inan  ==  neque  enim  fratres  eins  credebant  in  eunt  ; 
88,  7.  127,  3  (hier  unmittelbar  an  noh  —  noh  =  'weder  —  noch' 
angereiht);  =  1.  non  168, 4  (ebenso  Is.  33, 9). 

Die  Verbindung  noh  ouh  0.  3, 14, 1.  96.  92  u.  ö.  ist  im  T. 
unbekannt. 

§  11.  nu, 

als  conj.  bei  0.  häufig,  im  T.  selten,  hat  auch  als  conj.  die 
beziehung  auf  die  zeit  meist  bewahrt.  0.  betont  mit  nu  zu- 
gleich den  inneren  gegensatz  einer  vorliegenden  tatsache  zu 
einer  andern:  'aber  jetzt',  z.b.  2,11,23  iz  scoltu  wesan  betahus 
. . .  wm  duent  iz  man  gtnuagc  zi  seahero  luage;  2, 7, 24;  auch 
ohne  hinweis  auf  zeit  und  umstände:  'aber',  z.b.  4,4,69.  Oder 
das  zweite  ereignis  stellt  sich  dar  als  folge  aus  dem  ersten: 
'darum  jetzt',  z.b.  3,10,44;  so  besonders  nach  einem  causal- 


')  Das  0.  4,  30.  13.  14  stehende  (ni)  tvedar  —  noh  ist  nicht  unser  'weder 
—  noch',  sondern  das  tcedur  ist  hier  noch  pronominal  —  'kein«  von  beiden 
und  fasst  die  beiden  folgenden  glieder  zusammen. 


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998 


SCHÖLTEN 


satz.  z.b.  2,6.47;  und  vor  aufforderungen,  z.  b.  3,4,45;  auch 
2,0,26  tvant  er  nan  hon  joh  firslant,  nu  buen  ander az  lant. 
Ferner  führt  der  satz  mit  nu  ein  ereignis  an  als  erklärung- 
oder  grund  für  das  eintreten  eines  anderen;  nu  vor  haupt- 
sätzen  —  'denn  jetzt'  z.  b.  2,7,45,  'denn'  z.b.  5,7,3;  nu  vor 
nebensätzen  =  'weil,  da  (jetzt)',  z.b.  1,27,45  ziu  feristu  inti 
doufist,  nu  ihn  thcr  heilant  ni  bist?  —  1.  enim;  3, 13,31.  2, 14, 121. 
Das  causalc  nu  fasst  gleichzeitig  recapitulierend  das  vorher- 
gehende zusammen:  'da  also',  3,23,58.  5,24,15;  öfter  mit  con- 
seeutivem  nu  im  folgenden  satz,  z.b.  3,23,50.60  nu  er  then 
tod  suachit  ...  nu  simes  garatce  alle  mit  imo  zi  themo  fatte. 
Vor  einem  hauptsatz  in  der  form  einer  rhetorischen  frage  gibt 
der  mit  nu  beginnende  nebensatz  die  veranlassung  oder  berech- 
tigung  zu  dieser  frage  an.  nu  leitet  auch  einen  schluss  a  minore 
ad  maius  ein;  an  den  meisten  stellen  lag  0.  ein  bedingungs- 
satz  mit  ni  vor.  nu  =  1.  si  —  'wenn  schon',  z.b.  4, 11,47  nu 
ih  sulih  thultu  tvio  harto  mer  zimit  im  ... ,  =  si  ergo;  2,  22,  37. 
Schliesslich  glaube  ich  nu  coneessiv  =  'obwol  also'  fassen  zu 
müssen  3,22,51  (T.  hat  hier  134,8  oba;  vgl.  Is.  3,  10  nu  so  = 
'während  doch').') 

Im  T.  findet  sich  nu  —  'jetzt  aber'  nur  nach  conditionalen 
Perioden  für  nunc  autem,  nunc  rero  5  mal,  z.  b.  131, 16.  195,  4 
nu  giuuesso  =  nunc  autem.  Oonsecutiv  ist  mm,  ohne  ent- 
sprechende lateinische  partikel,  vielleicht  111,3  arstant  nu 
inti  fair  —  surye,  rade;  120,7  (im  Is.  ist  consecutives  nu  da- 
gegen häufiger).  Für  causales  nu  bietet  T.  auch  keinen  sicheren 
beleg;  denn  18, 5  und  182,  7  kann  man  besser  temporal  fassen, 
obwol  das  Verhältnis  der  sätze  causal  ist,  wie  es  18, 5  das  lat. 
enim  und  182,  7  im  griechischen  text  ein  yi'xv  bezeugt.*)  Für 
concessives  nu  ist  vielleicht  122, 2  anzuführen,  wo  nu  ein  con- 
cessives oba   -  1.  etsi  verstärkt. 

§  12.   nub  (0.),  nibi  (T.). 
Diese  conj.  (bei  T.  auch  in  der  form  niba,  nibu,  noba  ohne 
deutlichen  grund  für  den  Wechsel)  ist  in  beiden  denkmälern 

•)  Rannow  §22.  Tonianetz,  Anz.  fda.  10,  3S:* :  Tgl.  (iraff  2,  978,  der  für 
concessives  nu  keinen  beleg  bietet.  Die  von  Mensing  $  109  ans  Fragni. 
theot.  7,  9  angezogene  stelle  braucht  nicht  concessiv  gefasst  zn  werden. 

•)  Erdmann.  (irnndziiere  §  158  b  kennt  im  T.  kein  cansales  nu.  Die 
von  (ieriutf  sonst  noch  angeführten  stellen  durften  wol  nicht  hierhergehören. 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  ü.  TATIAN.  399 

oft  belegt,  aber  in  durchaus  verschiedenen  functionen.  Das 
got.  niba(i)  (<  m  iba[i\)  entspricht  griechischem  ti  ftt),  iav  fit}. 
In  gleicher  weise  wird  nibi  bei  T.  =  1.  nisi  gebraucht,  nicht 
bei  0.  Doch  nur  189,3  leitet  es  —  mit  folgendem  ind.  bei 
positivem  hauptsatz  —  eine  gewöhnliche  negative  Bedingung 
ein  in  der  Bedeutung  'wenn  nicht':  nibi  thaz  com  ...tot  uuirdit, 
thaz  selba  eino  uuonet  (ebenso  Is.  9, 28.  31,14);  ähnlich  vor 
irrealem  Bedingungssatz  197.9.')  Sonst  führt  nibi  —  mit  fol- 
gendem conj.  bei  negativem  hauptsatz  —  die  einzige  Bedingung 
an,  deren  erfüllung  aber  auch  unbedingt  notwendig  ist,  wenn 
die  allgemeine  negative  aussage  des  hauptsatzes,  wie  erwünscht 
ist,  in  eine  positive  verwandelt  werden  kann:  nibi  =  '(nicht) 
ausser  wenn,  (nicht)  es  sei  denn,  dass,  (nicht)  ohne  dass',  z.  b. 
82,9  nioman  mag  qneman  zi  mir,  nibi  thie  fater . . .  ziohe  inan; 
82, 11».  62, 6.  119. 2.  3.*)  (Is.  5, 12).  Die  negation  im  hauptsatz 
wird  hervorgehoben  durch  ein  andcruuis  55,3. 

nibi  steht  im  T.  ferner  nach  negativem  hauptsatz  —  1.  nisi 
in  der  Bedeutung  'ausser,  sondern  nur'  vor  Satzteilen  und  sätzen, 
z.  b.  78,  8  nioman  iro  gireinit  uuard  nibi  Neman  ther  Syr; 
57,2.  —  78,6.  24,3.  108,7  (ebenso  Is.  11,23.  19,9.  29,  G).») 
Aus  dieser  Bedeutung  entwickelt  sich  im  T.  die  fähigkeit, 
durch  nibi  einen  gegensatz  zu  bezeichnen,  nibi  =  1.  sed  = 
'aber'  80.4.  82,  7.  nach  negationen  'sondern';  z.  b.  21,9  ther  hei- 
Jantni  toufti,  nitri  sine  iungiron\  82,2.6.  118,3  (auch  Is.  35, 24. 
Der  Boeth.  hat  für  sed  16  mal  nube,  Will.  3  mal  nobe.)*) 

§  13. 

Ganz  abweichend  vom  vorhergehenden  heisst  nibi  'dass 
nicht '  T.  239.  4  ni  quad  imo  ther  heilant  nibi  her  starbt,  oh  : 
unilla  thaz  her  unone  unz  ih  quimu  —  non  dixit  Jhcsus:  tum 
moritur,  sed  ...    Dieselbe  Bedeutung*)  gewinnt  nibi  nach  den 

')  Soll  habetos  die  gewisheit  der  behaiiptnng  ausdrücken,  oder  ist 
der  ind.  nur  ein  Schreibfehler  für  habet  is'?   Vgl.  0.4,23,41. 
«)  Vgl.  Dittmar  s.  220. 
3)  Rannow  s.  <J9. 

*)  Rannow  s.  94.  Ferner  führt  Gruna,  Gr.  3,  273  f.  je  ein  nieht  ein  — 
mtbejoh  nnd  nieht  ein  nube  ouh  für  non  solum  —  sed  etiam  an.  Aehnluh 
Graff  1,77. 

■)  Vgl,  Hei.  122.  II.  14(5. 13  nebu  =  quin.  Im  Boeth.  für  taz  nieht  in 
folgesätzen  nube,  Wnnderlich  a.  a.  o. 


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400  SCHÖLTEN 

hauptsätzen  nist  44, 17;  uuelih  {ist)  67, 12.  67, 14;  uuer  ist  69, 6. 
Da  aber  das  subject  des  hauptsatzes  stets  als  pronominales 
subject  im  nebensatz  widerkehrt,  so  können  wir  die  sätze  mit 
nibi  auch  als  negative  relativsatze  widergeben:  'das  nicht,  der 
nicht'.  Dem  entspricht  sogar  im  lateinischen  44, 17  quod  non: 
niouuiht  nist  bithactes,  noba  iz  inthekit  Wierde  —  quod  non 
revelabitur  (67,  12  steht  in  der  vorläge  eine  vom  deutschen 
ganz  abweichende  satzform;  67,14  und  69,6  eine  frage  mit 
nonne).  Der  hauptsatz  nist,  uuelih,  uuer  ist  dient  zur  Verall- 
gemeinerung der  aussage  des  nebensatzes  (wie  bei  ni). 

Diesen  letzten  gebrauch  finden  wir  auch  für  nub  bei  0. 
Doch  lautet  hier  der  hauptsatz  stets  nist,  z.  b.  5,2,11  nist 
fiant  kiar  in  riebe,  nub  er  hiar  fora  intwiche;  2, 14, 106.  5, 19,  8. 
5, 20, 24.  5,  23, 137. 138.  5, 16, 42;  auch  1, 1, 186  (hinter  gidrahte 
ist  zu  ergänzen:  'mit  ihnen  zu  fechten';  vgl.  dagegen  Erdmann, 
ausgäbe  O.'s  s.341);  auch  2,12,18?  (vgl.  E.S.  1,  §  266.  Piper, 
Wörterbuch  zu  0.).») 

Nur  0.,  nicht  T.,  kennt  sodann  noch  den  gebrauch  von 
nub  nach  negierten  negationen,  nach  denen  die  in  nub  steckende 
negation  'pleonastisch'  (wie  bei  ni)  steht  und  nub  also  dem 
nhd.  'dass'  entspricht;  es  findet  sich  so  meist  nach  negierten 
negativen  verben;  z.  b.  3,8,36  wiht  ni  dualta  er  es  .vor,  nub 
er  zi  gönne  in  thrati  sih  fon  thenio  skife  dati,  S.  34.  5,  25, 13. 
37  u.  ö.  Nach  alleswio  ni  5,9,36.  Auch  5,19,17  (ingangan, 
nub  er  =  'entgehen  dem,  dass  er').  2,  12.37  (ni  teuntoro  = 
ni  ßrhugne).  4,  13,  25.  26  (zu  ergänzen  ih  ni  gisniehn,  vgl.  E.  S. 
§266,  ausgäbe  s.447.  Tat.  161,3).  2,14,38? 


')  Aehnliclie  stellen  für  thaz,  die  durch  positiven  relativsatz  übersetzt 
werden  kiinnen,  b.  2, 17,  13.  1, 24  u.  ü.  An  den  stellen  T.  62,6.  S2,9. 
21,  5.  b2, 1 1  a.  119, 1.  129,  10  können  wir  auch  den  satz  mit  nibi  durch  einen 
negativen  relativsatz  widergebe*».  Doch  ist  1.  nibi  hier  conditional  =  'wenn 
nicht*.  NIM*;  2.  lautet  der  hauptsatz  ni  mag,  nicht  nist;  II.  enthält  nicht  der 
nebeuaatz,  sondern  »1er  hauptsatz  die  hauptaussage,  die  noch  dazu  durch 
den  nebensatz  eingeschränkt  wild.  Die  Übereinstimmung  zwischen  0.  und 
T.  im  gebrauch  dieser  eonj.  beschränkt  sich  also  auf  die  anwendung,  wie 
sie  sich  44,17  findet;  und  auch  hier  ist  noch  der  unterschied  zu  beachteu, 
dass  das  uomen  neben  nist  bei  O.  stets  ein  subst.  (oder  ein  zu  ergänzendes 
subst.)  ist.  T.  44.  17  dagegen  ein  adj. ;  vgl.  unter  ni  und  E.  S.  §  265  ff. 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTERID  U.  TATIAN. 


401 


§  14.  oba 

ist  wie  in  der  ganzen  alid.  spräche  auch  bei  0.  und  T.  die 

gewöhnliche  conditionale  conj.:  'wenn,  im  fall  dass',  z.  b.  O.S.27. 

2, 12,  59.  T.  24, 2.  84,  7  Hinter  oba  blintemo  leitidon  forgibit, 

bridae  in  gruobe  uallent.    Bei  widerholten  handlungen  (stets 

im  ind.  praet.)  'so  oft  als'  nur  bei  0.  L.  21.  51.  5,20,77;  vor  * 

einer  selbstverständlichen  Voraussetzung  für  die  realisierung 

des  hauptsatzes,  auch  nur  bei  0.  'wenn  nur,  wofern  nur',  z.  b. 

S.  33.  2, 22, 40.  2, 10, 2.«) 

Anm.  Negative  bedingungen  drückt  0.  meist  durch  conjunctionslosen, 
invertierten  »atz  aus,  z.  b.  2,12,31  nint  iher  in  himilrichi  qutme,  ther  geht 
joh  iriuar  nan  nirbere,  T.  145, 16?  T.  hat  statt  dessen  meist  oba  ni  = 
1.  *i  »ou,  z.b.  34,7.  108,5.  170,4.5;  bei  0.  nur  1,11,60.  4,6,56.  4,  23,42. 
(T.  197.9).  3,26,15.  0.  gebraucht  femer  2  mal  m  M  oba,  T.  2  mal  tu  si 
ftar,  vgl.  im  «;  ausserdem  T.  allein  nibi  =  1.  nisi  (s.d.);  Is.  kennt  auch 
ni  Im,  N.  Bo.  hat  einige  male  ane  und  ane  tlaz  =  nisi. 

Oft  weist  auf  den  satz  mit  oba  eine  demonstrative  partikel 
des  hauptsatzes  hin:  thanne  15  mal  bei  0.,  im  T.  in  der  mehr- 
zahl  der  fälle;  so  0.  L.  21  (noch  4  mal).  T.  121,3;  nur  bei  0. 
so  — thanne  5,10,31  (3  mal);  um  2,4,29.  4,30,17;  aar  3,18,5. 

§  15. 

Der  inhalt  des  hauptsatzes  einer  conditionalen  periode  wird 
verwirklicht  beim  eintreten  der  bedingung.  Dieses  ist  also 
logisch  der  grund  für  jenes.  Zuweilen  ist  dieser  causale  Zu- 
sammenhang sehr  deutlich,  wo  der  nebensatz  eine  schon  ver- 
wirklichte tatsache  enthält;  oba  bei  folgendem  nebensatz  = 
'da  ja'  nur  0.  3, 18, 13  was  missiquedan  wir,  oba  ther  diufal 


»)  Der  conj.  praes.  steht  nur  bei  imperativischem  oder  optativischem 
hauptsatz;  z.b.  glr.  (glr.  -  'gegen  lateinisches  Vorbild' ;  olr.  —  'ohne  lat. 
Vorbild',  =  h.  =  'gleich  lat.  Vorbild')  2,  4,  55.  73.  2,  21,  1.  Im  T.  stets  glr., 
z.b.  28,2.  15,3.4.  205,3.  Doch  steht  bei  imperativischem  hauptsatz  auch 
der  ind.,  z.  b.  0.  1,  2, 19.  3,  2,  19.  2,  4,  29.  T.  =  h.  27,  1.  145, 18.  91,  2:  vgl. 
E.  S.  §  181.  Urundzüge  187.  Der  ind.  praet.  im  T.  (114,  2.  170,  2.  187,  5) 
bezeichnet  nicht  die  widerholung  in  der  Vergangenheit,  oba  also  nicht  = 
'so  oft  als'.  Der  conj.  praet.  steht  nach  oba  in  irrealen  bedingungssfttzen, 
■wo  auch  der  hauptsatz  conj.  praet.  hat  (z.  b.  0.  1,  19,  27.  T.  138,  7),  oder  in 
abhängiger  rede,  z.b.  0.2,6,7.8.  T.  132, 13.  Der  ind.  im  hauptsatz  dient 
zur  hervorhebung  der  aussage  0.  4, 17,  15.  Bei  optativischem  oder  impera- 
tivischem hauptsatz  ist  conj.  praet.  H.  1  wol  dem  reim  zu  liebe  gesetzt. 
T.  221,4  nami  für  namirt 


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402 


SCHÖLTEN 


ist  in  thir?,  bei  vorangehendem  nebensatz  'wenn  also,  da  also' 
nur  im  T,  =  1.  si,  z.  b.  100,5;  si  ergo,  z.  b.  38,3.  184,5  ob  ir 
mih  suphet,  luzet  thesc  hina  gangan  si  ergo  me  qtuTitis;  'da 
aber'  —  si  autem  88, 132.  Aehnlich  bei  einem  schluss  a  minore 
ad  maius,  oba  —  ' wenn  schon'  0.5,21,5  oba  (her  scal  sin  in 
»  beche  thcr  armen  brot  ni  brecJie:  waz  ther  man  ubar  thaz  ni 
Ii as  haben  sinazY;  5, 21, 9  (oba  ouh).  11.  T.  =  si  38,  5.  40,  7  u.  ö, 
meist  vor  rhetorischen  fragen;  vgl.  dazu  mm. 

Die  positive  Wirklichkeit  des  nebensatzes  ist  ebenso  klar, 
wo  oba  —  *  während*  zwei  unbestrittene  tatsachen  vergleicht: 
0.  2,7, 13  oba  thaz  thie  liuti  nerita  joh  hungeres  biwerita,  irretit 
thiz  mit  worton  thia  worolt  fon  then  sunton;  T.  104,6.  Der  in- 
halt  des  hauptsatzes  kann  sogar  im  gegensatz  zu  dem  des  neben- 
satzes stehen,  oba  concessiv  =-  'wenn  auch,  obgleich,  selbst 
wenn';  im  hauptsatz  steht  ein  thoh:  0.3,22,62  ob  ih  ni  bin 
iu  thrati,  giloubet  thoh  thera  dati;  ni  thoh  bithiu  3,22, 15;  neben 
oba  ein  ouh  5, 20, 107.  3, 18, 31».  Keine  partikel  im  Satz:  5,  7, 38. 
3,  16,  47.')  Die  concessive  function  von  oba  scheint  jedoch  nicht 
sehr  kräftig  gewesen  zu  sein,  da  die  Übersetzer  des  T.,  ver- 
anlasst durch  die  ebenfalls  zusammengesetzte  lat,  conj.,  meist 
eine  verdeutlichende  partikel  hinzusetzen:  oba  nu  etsi  122,2; 
inii  oba  =  etsi  161,  3.  40,  3;  cisperi  ob  und  zisperi  oba  =  etiamsi 
135, 15.  161,5;  doch  auch  oba  =  etsi  134,  9:  ob  ir  mir  ni  uuellet 
gilouben,  giloubet  then  uuercon  —  etsi  mihi  non  vultis  credere; 
oba  =  si  134,8. 

Vereinzelt  steht,  nicht  bei  0.,  aber  im  T.  oba  =  1.  si  tem- 
poral —  'dann,  wann'  139,  8  ob  ih  erhalmn  uuirdu  fon  erdu, 
alliu  thinsu  zi  mir  sclbemo  —  si  exaltatus  fuero  a  terra,  omnia 
traham  ad  me  ipsum,  162, 1. 

§  17. 

In  ganz  anderer  Verwendung  steht  oba  bei  0.  und  T.  zur 
Einleitung  von  indirecten  fragen  =  nhd.  'ob',  im  T.  =  si,  je 
einmal  1.  si  quidem,  an;  z.  b.  0.  1,27,29.  3,4,20.  T.67, 14. 
69,  2.4  ih  fragen  iuuih,  oba  iz  arloubit  si  =  si  licet,  und  oba 
zu  beginn  eines  Wunschsatzes  —  'o  wenn  doch',  bei  0.  durch 
thoh  verstärkt  2,0,43.  5,7,39  olxi  iaman  thoh  giquati,  wara  man 

')  (legen  Erdniann,  Urundz.  §  1&4,2.  Nach  Mensing  §  104  ist  bei  N, 
concessives  übe  'recht  häufig'. 


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8ATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTKRID  ü.  TATIAN.  403 

nan  dati . .. ,  thaz  ih...  waz  thionestes  gidati  themo  lieben  manne; 
T.  166, 6  oba  =  si. 

§  18.  odo 

verbindet  im  0.  und  T.  in  der  bedeutung  'oder'  coordinierte 
Satzteile  und  sätze;  z.  b.  0. 1, 1, 20  ist  iz  prosun  sfihti  . . . ,  odo 
metres  kleini;  3,10,4.  T.  25,4  thaz  ih  quami  euua  zi  losenne 
odo  uuizagon;  44,0.  Stellt  odo  zwischen  zwei  nebensätzen, 
so  lässt  0.  das  einleitende  wort  in  dem  zweiten  satz  aus,  z.  b. 
5,9,12.  L.  88,  während  es  im  T.  143,6  nach  der  lateinischen 
vorläge  widerholt  wird.1) 

Sehr  häufig  steht  im  T.  odo  =  1.  an  in  doppelfragen;  z.  b. 
147,9  quid  is  zi  uns  thesa  paraltola  oda  zi  allen?;  64,1.  195,2. 
Im  0.  nur,  1.  an,  5, 21,  8.  4,  22, 12.  3, 16, 18.  uuedar  —  odo 
=  utrum  —  an  T.  104, 51)  (Is.  23, 11)  ist  im  0.  unbekannt,  vgl. 
3, 16, 18.  Im  T.  steht  schliesslich  odo  vor  einfachen  fragen, 
die  einen  neuen  gedanken  lebhaft  vorbringen,  =  1.  aut,  z.  b. 
96,  5  odo  uuelih  uuib  habet  sehen  dragmas  . . . ;  40,  6  (Is.  9,  8)  = 
1.  an  109, 3  (neben  aut).  185, 5. 

0.  liebt  die  Verbindung  odo  ouh,  odouh.  odo  —  odo  — 
aut  —  aut  'entweder  —  oder'  T.  37, 1.  62, 9,  =  et  —  et  'sowol 
—  als  auch'  161,3  kennt  er  nicht. 

§  19.  ouh 

verbindet  bei  0.  gleichartiges:  'gleichfalls,  ferner,  ebenso  auch'. 
Es  dient  sehr  häufig  zur  anfügung  ganzer  sätze,  z.  b.  1,2,4 
fingar  thinan  dtta  anan  nmnd  minan,  theni  ouh  hant  thina  in 
thia  zungun  mina  (vgl.  3, 18, 30),  oder  zur  hervorhebung  ein- 
zelner worte,  z.  b.  3, 22, 49,  zuweilen  =  'sogar',  z.  b.  4, 26, 18 
ja  wurtun  tote  man  ouh  les  queke  sines  Wortes;  an  anderen 
stellen  ist  ouh  dagegen  zu  'und'  abgeschwächt,  z.  b.  1, 19, 15  er 

')  Der  modus  beider  nebensätze  ist  meist  der  conjnnctiv ;  nnr  L.  88 
und  2,  4,  22  der  indicativ.  Der  erste  nebensatz  steht  im  ind.,  der  zweite 
im  conj.  1,23,46.  An  einen  negativen  hauptsatz  knüpft  0.  mit  odo  einen 
satz  an,  der  den  inhalt  der  negation  steigert  2,4,106.  4,2,28.  5,12,87. 
5,  20,  35.  Diese  angeknüpften  nütze  scheinen  aber  nicht  als  hanpt-,  sondern 
als  nebensiitze  empfunden  worden  zu  sein;  denn  alle  stehen  im  conj.,  und 
die  drei  ersten  stellen  haben  das  verb  ganz  am  ende.  Umgekehrt  wird 
aus  dem  conj.  im  zweiten  satz  der  iud.  5, 1,37. 

»)  uuedar  in  seiner  eigentlichen  bedeutuug  'wer,  was  von  beiden' 
T.  141, 14.  15. 

26* 


404 


SCHÖLTEN 


fuar  . .  naJites,  thaz  iz  ni  tvurti  mari  . . . ,  ob  ouh  haz  ingiangi . . . 
I,  18,  32. 

Die  beiden  glieder  sind  nicht  immer  logisch  gleichwertig: 
das  zweite  ist  die  folge  des  ersten,  ouh  =---  'darum  auch,  infolge- 
dessen' 1,8,27  er  giheilit  thiz  lunt,  heiz  inan  ouh  hcilant  (vgl. 
3,7,7);  oder  das  zweite  dient  zur  erläuterung,  begründung  des 
ersten  gliedes,  ouh  'nämlich,  denn'  1,14,3  tho  seoltun  siu 
...  then  wizod  »füllen,  ihm  situ  ouh  ...  1,21,9;  'und  zwar' 
4,  35,  36. 

Im  T.  steht  satz verbindendes  ouh  in  der  bedeutung  'ferner' 
nur  15,4  =  1.  rursum:  ouh  ist  giscrihan . . . ,  sonst  findet  sich 
ouh  nur  —  L  et  (im  sinne  von  et  tarn)  bei  hervorzuhebenden 
Worten,  z.  b.  178,9  giheiUigon  mih  seVton,  thaz  sie  seihon  sin 
ouh  giheilagot  et  ipsi;  78, 4.  Zuweilen  steht  für  et  in  dem- 
selben sinn  inti  —  ouh  131,  23.  141, 25.  171, 2.  179,  4  (einmal 
beim  Schreiber  f,  dreimal  bei  £;  vgl.  Is.  endi  auh  et  15,19. 
17,  24;  item  9, 13;  quoque  17, 17.  —  35,  32);  tho  ouh  125, 5;  sama 
ouh  —  similiter  et  56,  5  (vgl.  Is.  5, 10.  27,  19.  15, 30).  In  den 
andern  für  0.  nachgewiesenen  bedeutungen  findet  sich  ouh  im 
T.  nicht  (während  im  Is.  erläuterndes  ouh  nicht  unbekannt  ist: 

—  1.  enim  7,13;  endi  auh  =  1.  nam  et  15,5;  olv.  15,7;  vgl. 
s.  393  anm.  3). 

Die  im  0.  so  beliebten  Verbindungen  von  copulativem 
ouh  mit  joh,  odo,  noh  kennt  der  T.  nicht. 

§  20. 

Während  im  T.  ouh  in  der  bedeutung  'ferner'  nur  einmal 
zur  Satzverbindung  dient,  führt  ouh  häufig  in  der  adversativen 
bedeutung  'aber'  die  erzählung  weiter.  Da  dies  ouh  häufig  in 
der  Schreibung  oh  auftritt,  muss  man  vielleicht  eine  andere 
grundfonn  annehmen;1)  z. b.  T.  meist  =  1.  sed  51,4  ih  folgen 
thir,  ouh  er  luz  mih  fursagen  then  (hie  in  huse  sint;  104,7. 
174,  4;  oh  =  sed  et  107, 1.  226, 1  (Is.  =  1.  sed,  z.  b.  13.  5.  25,23. 

—  1.  autem  27,  1).  Den  gegensatz  stärker  betonend:  'trotz- 
dem' Ised  60,2.  176,5  (vgl.  Is.  oh  tarnen  9,27).  Nach 
negationen  heisst  ouh  oft  'sondern',  z.  b.  90,2  fleisc  inti  hluot 

')  oh  öfter  beim  Schreiber  A  und  stets  (bis  auf  135.  7)  bei  C,  vgl.  Sievers* 
s.  i  t.  L  eber  die  entsprechenden  gotischen  partikeln  auk,  ak,  akei  vgl.  Gr. 
3,277.  Graff  1,119. 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  ü.  TATIAN.  405 

ni  gioffonata  thir  thaz,  oh  min  fater,  der  in  himile  ist;  84,6 
(Is.  z.b.  7,24.  13,11). 

Im  0.  kann  man  an  einigen  stellen  fortführendes  ouh  mit 
'aber'  übersetzen,  z.  b.  3,6,13  (=  1.  autem).  1,11,2;  doch  be- 
zeichnet es  nur  selten  einen  wirklichen  gegensatz:  3,17,31 

quuti  er,  man  sia  liazi  quat  er  ouh  bi  noti,  thaz  . . .;  1, 10,24. 

ouh  =  'sondern'  3, 14, 86? 

Ein  eccorodo  ni  —  ouh  =  non  solum  —  sed  etiam  T.  88, 6, 
wo  ouh  beide  bedeutungen,  sed  und  etiam,  in  sich  vereinigt, 
kommt,  wie  überhaupt  im  ahd.,  auch  bei  0.  nicht  vor.  Grimm 
belegt  Gr.  3, 273  dafür  zweimal  nicht  ein  —  suntar  joh,  je  ein- 
mal mibe  joh  -  mibe  ouh. 

§  21.  sid, 

auch  als  temporales  adv.  'seitdem,  später'  im  T.  ganz  unbekannt, 
wird  von  0.  noch  gebraucht  als  temporale  conj.:  'seitdem,  nach- 
dem'; z.  b.  5,  17,  15  fuar  . .  zi  sin  selbes  riche,  sid  er  in  tode 
sigu  nam,  im  hauptsatz  mit  zi  erist  2, 8,  54,  sidor  5, 12, 64.  Die 
beiden  zeitlich  auf  einander  folgenden  ereignisse  stehen  logisch 
in  causalem  Zusammenhang:  sid  —  'seitdem,  weil';  das  begrün- 
dete ereignis  folgt  stets  im  hauptsatz,  der  stets  ein  auf  den 
Zusammenhang  hinweisendes  adv.  enthält:  sid  1, 26,  2. 3;  so 
1,  16,  5;  nu  3,  26,  53:  sid  man  nun  ...  gidotta  . . . ,  nu  birun  fro 
in  muate.  sid  ist  ohne  beziehung  auf  die  zeit  rein  causal 
4, 29, 46. 47.  Oder  die  beiden  ereignisse  stehen  in  concessivem 
Verhältnis:  sid  =  'obwol,  obgleich';  im  folgenden  hauptsatz  ein 
sid  5, 12, 11,  im  vorhergehenden  ein  thoh  3, 24, 30:  so  wer  so  in 
mih  giloubit,  zi  Hb  er  thoh  biwirbit,  sid  er  hiar  irstirbit. 

Ein  concessives  sid  belegt  Mensing  §  100  auch  für  N.  Bo. 
4, 1  (227, 16).  Im  Is.  kommt  dieser  gebrauch  von  sid  so  wenig 
vor  wie  im  T. 

§  22.  so 

steht  in  hauptsätzen  'so,  dann'  bei  0.  sehr  oft  nach  con- 
ditionalen  Vordersätzen  jeder  art,  z.  b.  2,21,42.  2,0,16.  1.3,30. 
1,18,46.  5,16,34  und  nach  temporalen  Vordersätzen  jeder  art, 
z.  b.  2, 1,5.  1,  23,  3.  1,  16,  6.  3,  20,  50.  1,  22, 8.  2,  8.  20.  1, 2, 40. 
3,  26,  41;  z.  b.  2, 1,5  er  se  joh  himil  u  nrti,  . . .  so  ivas  io  ivort 
zuweilen  in  den  Verbindungen  so  —  thanne,  z.  b.  2,4,74;  so  — 
tho  2, 14, 13;  so  —  sar  4, 4, 33.  Im  T.  findet  sich  dieser  gebrauch 
verhältnismässig  selten,  doch  stets  in  einer  art,  die  beweist, 


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406 


SCHÖLTEN 


dass  er  der  spräche  der  Übersetzer  ganz  bekannt  gewesen  sein 
muss,  nämlich  nach  conditionalem  imperativ  olv.:  121,3  uuirph 
thih  in  then  seo,  so  uuirdit  iz  —  iacta  te  in  mare,  fiet;  den 
ersten  imp.  glv.  dem  zweiten  subordinierend,  so  —  1.  et:  60,2 
sezzi  thina  hant  ubar  sia,  so  lebet  siu  —  inpone  manum  super 
eam  et  vivit;  121,4.  inti so  =  et  60,11;  nach  verallgemeinern- 
dem relativsatz  olv.  30,5.  79,5;  nach  temporalem  so  lango  so 
olv.  132,  3. 

0.,  nicht  T.,  gebraucht  so  =  ' da.  dann"  sogar  nach  haupt- 
sätzen  zur  einleitung  eines  folgenden  hauptsatzes,  z.  b.  I,  7,  24 
was  siu  after  thxu  mit  im  sar  thri  manodo  thar;  so  fuar  si 
zi  iro  selidon  mit  allen  salidon:  2,11,4;  mit  sar  2,8,2;  tho 
2,  4, 4;  ouh  3,  25, 15,  parallel  thanne  4,  7, 39,  und  im  innern  von 
sätzen  zur  widerholung  vorangegangener  Satzglieder,  z.b.  3, 14,82 
allaz  guat  zi  wäre  so  floz  fon  imo  thare;  2,8,1.2. 

Dem  hauptsatz  gehört  so  ferner  noch  -an  bei  0.  vor  con- 
secutiven  nebensät  zen,  meist  mit  thaz  —  'so  ... ,  dass',  z.  b. 
2, 18,  22.  1, 22,  53  waz  ist  so  Iiebigaz,  thaz  ir  mih  s  nah  tut  bi  Ouiz? 
Im  T.  steht  so  thaz  ~  ita  ut  geschlossen  an  der  spitze  des 
nebensatzes,  z.  b.  19,  7  gifultun  beidu  thiu  skef  so  thaz  siu  suffun 
=  ita  ut  mergerentur;  nur  119,9  ist  so  von  thaz  getrennt  = 

I.  sie  . . . ,  ut 

Ein  doppeltes  so  —  so  =  'so  —  wie,  wie  —  so'  ist  0.  und 
T.  bekannt;  z.b.  4,7,61  duet  ir  ouh  so,  so  (her  duit;  1,3,21. 
T.  44, 16.  0.5,20.47.  T.47,8  so  thu  gilouhtus,  so  si  Our  = 
sicut  vrvdidisti,  fiat  tibi.  Das  demonstrative  .so  kann  auch  fehlen, 
z.  b.  0.  3, 1,  7. 8.  T.  168, 1,  und  der  relativsatz  verkürzt  werden, 
z.b.  0.4,12,61.  T.  91,1.  Das  demonstrative  so  wird  oft  ver- 
treten durch  SU8,  das  relative  verstärkt  bei  0.  durch  «/,  io, 
so,  selb,  im  T.  durch  so,  sama,  so  selb  (Is.  so  selb  so  39,  1. 

II,  27.30;  so  sama  so  33,25  u.  ö.). 

Ebenfalls  vergleichend  vor  comparativen  gebrauchen  beide 
so  —  so  —  'je  —  desto'  0.  3,  7,  81.  4,  36,  21.  T.  86, 2  so  her  iz 
mer  uorbot,  so  sie  iz  mer  predigotun  —  quanto  —  tanto. 

§  23. 

Der  gebrauch  von  so  in  andern  nebensätzen  weist  bei  O. 
und  T.  viele  unterschiede  auf.  0.  kennt  so  in  der  bedeutung 
'als,  nachdem'  zum  ausdruck  der  Vorzeitigkeit,  'als,  indem' 


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SATZ  VERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  ü.  TATIAN.  407 

zum  ausdruck  der  gleichzeitigkeit ;  z.  b.  4,20,9  sprah  ther  heri- 
zoho  zi  in,  so  er  uzgigiang  ingegin  in  . . . ;  2,  9,  51  so  er  (Abra- 
ham) thaz  suert  thenita,  ther  engil  imo  hareta;  oft  verbunden 
mit  tho;  ferner  in  der  bedeutung  'sobald  als',  z.  b.  5,8,33  si 
tum  sar  irkanta,  so  er  then  namon  nanta,  meist  in  den  Ver- 
bindungen so  er  ist  und  so  sliumo,  z.  b.  1,  22,  49.  5, 10,  37,  und 
'wenn,  wann',  z.  b.  3,  13,37  druhtin  giltit,  so  er  sin  urdeili  duit, 
allen,  so  sie  . .  hiar  giucrkotun.  Neben  so  ein  thanne  2,  8, 49. 
Die  temporale  bedeutung  geht  über  in  die  conditionale:  3,7,73 
so  ihn  thaz  thanne  giduas,  so  uehsit  thir  thaz  Krisles  tnuas; 
1,18,45,  besonders  in  den  Verbindungen  selb  so,  sama  so  == 
•wie  wenn'  vor  irrealen  bedingungssätzen,  die  einen  vergleich 
anführen,  'in  denen  das  zur  vergleichung  herbeigezogene  er- 
eignis  als  bloss  vorgestellt  angezogen  wird';1)  z.  b.  5,10,3  tho 
det  er  selb  so  er  wollt  joh  rumor  faran  scolti;  5,8,31.  Ferner 
ist  so  concessiv  =  'obwol,  obgleich':  3,20,24  thaz  kleibt  er 
imo,  so  er  es  ni  bat,  in  thero  ougono  stat.  Schliesslich  hat  so 
vielleicht  causale  bedeutung  'da':  3, 17,7  si  tliara  tho  in  farun, 
so  sie  ubilwillig  warun. 

Von  diesem  ausgedehnten  gebrauch  des  so  bei  0.  findet 
sich  im  T.  öfter  nur  der  zuerst  angeführte,  so  =  1.  ut  c.  ind., 
nur  von  79,4—  82,3  =  1.  cum  c.  conj.  (Sievers2  lxxiii):  'als, 
nachdem'  stets  mit  tho,  z.  b.  olv.  81,  4  so  sie  tho  gistigun  in  skef, 
bilan  ther  ttuint;  82,1;  'indem',  z.b.  18,2  so  er  then  buoh  in- 
teta,  fant  thie  stat  ...  184.3;  mit  tho  olv.  79,13.  190,3;  auch 
soso,  z.b.  80,8;  für  'sobald  als'  steht  nur  einmal  so  sliumo  so 
4,4:  so  sliumo  so  thiu  stemna  uuard  thincs  heilizinnes  in  mitten 
orun,  gifaJi  in  gifehen  kind  ...  -  ut  facta  est;  'wie  wenn' 
sama  so  —  quasi  108, 1  (vgl.  Is.  47,  4).  Die  übrigen  bedeu- 
t  ungen  des  so  bei  0.  sind  im  T.  nicht  belegt,  dagegen  die  bei 
0.  nicht  nachgewiesene,  von  Tobler  s.  373  angeführte  consecu- 
tive  bedeutung  'so  dass':  92,  0  uuard  samaso  toter,  soso  mancge 
quadun  :  toot  ist  her  —  factus  est  sicut  mortuus,  ita  ut  multi 
dicerent. 

Correspondierend  mit  dem  temporalen  so  des  nebensatzes 
enthält  der  hauptsatz  oft  ein  demonstratives  tho,  so,  sar,  sliumo 
sar;  im  TM  seltener  als  bei  0.,  nur  tho,  aber  zuweilen  olv. 
19,6.  21, 10. 

l)  £.  Ö.  §  193. 


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408 


SCHÖLTEN 


§  24.  sar, 

das  in  hauptsätzen  zu  temporalem  so  oft  erscheint,  wird  von 
0.  auch  selber  als  temporale  conjunction  gebraucht  zum  aus- 
druck  der  unmittelbaren  aufeinanderfolge  mehrerer  ereignisse ; 
zunächst  noch  in  Verbindung  mit  so  :  sar  so  =  *  sobald  als, 
wenn',  z.  b.  1, 15.  37  er  quimit  mit  giwelti,  sar  so  ist  woroltenti ; 
2, 8, 19.  Aber  auch  sar  allein  in  derselben  bedeutung,  z.  b. 
5, 6, 33  iagilih  sih  kumit,  sar  sih  thaz  lierza  rumit;  5, 15, 41;  von 
der  Vergangenheit  nur  1, 17, 55.  Der  hauptsatz  enthält  zu- 
weilen ein  so. 

Im  T.  ist  sar  stets  adv.  ==  statim;.  ebenso  im  Is.»);  sar 
so  und  sar  kommen  als  conj.  nur  noch  einige  male  in  der 
Benedictineregel  und  im  Muspilli  v.2  vor. 

§  25.  suntar, 

bei  T.  nur  108,  3  als  adv.  gebraucht,  hat  im  0.  oft  conjunc- 
tionale  bedeutung.  Es  steht  coordinierend  nach  negationen  = 
'sondern',  vor  Satzteilen  und  Sätzen;  z.  b.  1,2,46  thaz  nist  bi 
werkon  minen,  suntar  ...  bi  thinero  ginadu;  1,2,17.  2,12,79. 
3,20,11.  Subordinierend  findet  es  sich  wie  ni,  nub  nach  ne- 
gierten negativen  verben  mit  folgendem  conjunctiv*)  in  der 
bedeutung  'dass':  3,20,132  bimidan  thu  in  wolles,  suntar  thu 
imo  folges;  1,11,38.  2,9,49.  2,12,39;  und  nach  trist,  wo  der 
satz  mit  suntar  wider  als  negativer  relativsatz  übersetzt  werden 
kann:  1,5,63  nist  wiht,  suntar  werde,  in  thiu  iz  got  wolle; 
1,23,54.  1,24,6.3) 

§  26.  thanne. 

Der  gebrauch  von  thanne  ist  bei  0.  und  T.  ungefähr  der- 
selbe.  Es  dient  in  der  bedeutung  'sodann,  ferner,  und  dann, 

')  Auch  wol  31,27  gegen  Rannows  annähme  s.  76. 

*)  Trotz  de»  folgenden  conjunctivs  ist  suntar  =  'sondern'  1,  20,  29.  An 
den  stellen  3,  1,35.  5,7,32  ist  m.  e.  der  conj.  statt  des  Ind.  gesetzt  unter 
dem  einfluss  des  reims.  5,25,64  gehört  suntar  nicht  zu  grubilu,  sondern 
zu  ftnthit. 

s)  An  den  meisten  stellen  wo  suntar  mit  folgendem  conj.  =  'das«' 
ist,  ist  die  Übersetzung  mit '  sondern '  nicht  unmöglich.  Darum  ist  vielleicht 
dieser  gebrauch  von  suntar  zu  erklären  aus  der  zusammenziehung  zweier 
nebensätze,  von  denen  der  erste  negativ:  ni  C  COflj.,  der  zweite  positiv: 
suntar  c.  ind.  gewesen  wäre:  (ni  meid  sih)  ni  si  outjti  +  suntar  si  outjta 
=  suntar  si  ougti. 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTKRID  U.  TATIAN. 


409 


und'  zur  Verbindung  gleichwertiger  Satzteile  und  sätze,  z.  b.  0. 
1, 24,  18  so  teer  manno  so  sih  buazit  . . . ,  thaz  thannc  warlicho 
duat;  1, 21, 16.  3, 13, 30  (parallel  joh  5, 21, 16).  T.  =  L  et  tunc: 
39,6  aruuirph  zi  heristen  baleon  fon  thinemo  ougen,  thannc 
gisihis  thu  . . .;  42, 3  u.  ö.;  —  1.  et  40,  2;  ■-  1.  partieip  40,  3;  im  0. 
zuweilen  neben  joh,  ouh,  noh;  im  T.  neben  inti  =  1.  c<  tunc 
und  ef.  noA  thanne  heisst  aber  im  T.  'zu  der  zeit  noch'. 
Nicht  selten  hat  thanne  adversativen  sinn:  'aber,  dagegen':  0. 
3,3,27.  4,4,68;  T.  =  1.  autem  29,2  thanne  ih  quidu  iu  =  ego 
autem  dico  vobis;  77, 2  u.  ö.;  'und  —  dennoch,  und  —  nichtsdesto- 
weniger' 0. 3, 23, 32  si  farent  thines  ferehes . . . :  nu  suachist  sie 
afur  thanne?-,  3, 18, 31.  3, 20, 164.»)  thanne  steht  auch  causaler 
bedeutung  nahe,  was  Grimm,  Gr.  3, 167  nur  vermutet;  so  T. 
44, 13  iu  ist  thanne  yigeban  in  thero  ziti  =  dabitur  enim  vobis 
in  illa  hora.  88,2  =  1.  enim  (145,  14  thanne  =  1.  enim  tunc?); 
im  0.  vielleicht  H.  4.  Im  Is.  ist  dhanne  einige  male  causal, 
im  Bo.  oft*) 

In  hauptsätzen  zu  conditionalen  Vordersätzen  wird  thanne 
als  demonstratives  adv.  in  der  bedeutung  'dann,  in  dem  falle' 
von  0.  gegen  20  mal  gebraucht,  z.  b.  2,4,73  oba  thu  sis  gotes 
sun,  far  thanne  heimortsun.  Auch  so  —  thanne  2,  4, 74.  3,  7, 80. 
Im  T.  findet  es  sich  weit  häufiger  (z.  b.  olv.  36, 3  oba  (hin  ouga 
aruuertit  uuirdit,  thanne  ist  al  thin  lihhamo  finstar;  172.3),  und 
zwar  um  so  Öfter,  je  selbständiger  der  Übersetzer  die  lateinische 
vorläge  widergibt;  so  auch  statt  des  coordinierenden  et  39, 2. 3. 
47, 4  (vgl.  so).  Im  T.,  nicht  bei  0.,  steht  ferner  dies  thanne 
nach  temporalen  Vordersätzen,  zuweilen  —  1.  tunc,  z.  b.  45,  7. 
131,11;  aber  auch  olv.,  z.b.  8,4.  152,5;  =  1.  et  113,1. 

§  27. 

Als  temporale  conj.  dient  thanne  an  der  spitze  des  neben- 
satzes  im  T.  zur  angäbe  eines  einmaligen  ereignisses  der  Ver- 
gangenheit in  der  bedeutung  'damals  als'  -  1.  quando;  z.  b. 
233, 1  Thomas  ni  nuas  mit  in,  thannc  ther  heilant  quam;  116,3, 
im  0.  bei  widerholung  in  der  Vergangenheit  'dann,  wann;  wenn; 

')  4,  22,  13  heisst  thanne  avur  'aber  damals'.  Dagegen  hat  Ih.  dhanne 
neben  andern  adversativen  conj.  zu  deren  Verstärkung:  oh  dhanne  =  autem 
27,  1 ;  olv.  23, 

8)  Rannow  s.  53.  57.  Löhner  s.  210. 


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410 


SCHÖLTEN 


so  oft  als',  z.  b.  4,  10,7  thanne  ih  lerta,  iz  thisu  worolt  horta; 
1,11,45.  T.  hat  in  dieser  letzteren  bedeutung  mitthiu  thanne: 
88,  2  mittiu  danne  ih  quimu,  ander  eer  mir  nidarstigit;  96,  5. 

Bei  noch  nicht  vollendeten  ereignissen  ist  thanne  noch  rein 
temporal  'dann,  wann'  0.3,24,24.  T.  =  1.  cum  128,9  u.  ö„ 
besonders  wenn  es  sich  im  T.  auf  ein  vorangehendes  tempo- 
rales Substantiv  zurückbezieht,  z.  b.  132, 3  quimit  naht,  thanne 
nioman  matj  uuirkan;  87,  5.  145, 1.  2.  Es  steht  aber  conditio- 
naler  bedeutung  nahe;  z.  b.  2, 16, 35  thanne  se  zellent . .  al  nbil 
anan  iuih,  thaz  liegent  sie  al  thuruh  mih;  1,4,61.  3,2,11.  Im 
T.  =  1.  cum,  z.  b.  108,  2  ih  utteiz  uuaz  tuon,  thanne  ih  aruuorfan 
uuirdu  fon  themo  ambahte;  57,  6. 

Der  hauptsatz  zu  einem  nebensatz  mit  thanne  enthält  oft 
ein  demonstratives  tho,  thanne,  im  T.  =  1.  tunc  oder  olv.  Im 
0.  so  3, 26, 39. 

Gemeinsam  ist  0.  und  T.  endlich  der  gebrauch  von  thanne 
nach  comparativen  =  'denn,  als',  z.  b.  2,  18, 6  ni  cigut  ir  mcrun 
guati,  thanne  thiz  heroti;  2,  22, 8.  20.  Nach  ander  4,37,4.  T.  z.  b. 
13,17  niouuiht  mcr,  thanne  iu  gisezzit  si,  tuot  ir  ;  21.9.  Im  T. 
auch  nach  guot  ist  95,4,5;  bitherbi  ist  28,2,3.  Ueber  thanne 
hinter  er  s.  er. 

Concessives  thanne,  das  (nach  Mensing  §  109)  im  Is.  und 
N.  vorkommt,  kennen  0.  und  T.  nicht.1) 

§  28.  thar 

wird  von  0.  gebraucht  als  temporale  conj.  'als,  während,  in- 
dem' (z.  b.  3,  24,  48  mit  zaharin  si  thie  higoz,  thar  si  then  bruader 
liobon  roz;  5, 12, 61)  und  'wenn,  wann,  so  oft  als',  z.  b.  5, 16, 39 
dote  man  irquiket,  thar  ir  zi  mir  es  thigget;  1,23,16.  Kine 
consecutive  bedeutung  'so  dass'  oder  finale  'damit'  braucht  man 
für  die  stellen  2.24,10.  3,6,37.  3,  16,61.  5,17,13  nicht  anzu- 
nehmen, wie  Piper  will,  da  an  allen  diesen  stellen  der  satz 
mit  thar  nur  temporal  oder  modal  die  handlung  des  neben- 
satzes  begleitende  umstände  angibt  ;  z.  b.  3,6,37  thaz  Inrot 
ivuah-s  in  alagahun  thar  sie  alle  zuasahun.    Ebenso  4,  1,  8. 

')  thanne  wird  ferner  noch  gebraucht  =  'doch'  zur  verstÄrknng  eine» 
imp.  0.3,13,21.  4,7,7,  was  im  T.  aber  nicht  vorkommt,  und  =  'denn 
zur  belebung  einer  frage,  z.  b.  0.4,19,74.  T.  13, 21.   Diese  Verwendung 
kenneu  auch  Is.  und  N,  Tobler  8.  3H4.  (iraff  5,  4«. 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  U.  TATIAN. 


411 


5, 12, 61 ,  wo  es  parallel  temporalem  tho  steht.  2, 3, 52  hat  P 
thar,  V  und  F  tho.  Adverbiales  tho  neben  thar  4, 1,8.  3, 6,  40. 

Im  T.  kommt  conjunctionales  thar  nicht  vor,  was  um  so 
auffälliger  ist,  als  Is.  es  wol  kennt  und  im  Will,  temporales 
cum  einmal  mit  dar  übersetzt  ist.1) 

§  29.  thuz 

wird,  wie  im  ahd.  überhaupt,  auch  bei  0.  und  T.  gebraucht  in 
der  bedeutung  'dass,  damit,  so  dass'  —  1.  quin,  quod,  quoniam, 
ut  vor  Substantiv-  und  adverbialsätzen;  z.b.  0. 2, 14, 99  in  quam 
tho  in  githahti  thaz  man  imo  iz  brahti.  T.  78,  5  uuar  quidu  ih 
tu,  thaz  nihein  uuizago  antphengi  ist  . . . ;  besonders  vor  final- 
und  consecutivsätzen.  Der  hauptsatz  enthält  oft  eine  mit  thaz 
correspondierende  partikel:  so  vor  consecutivsätzen  (s.  so);  6t- 
thiu,  nur  bei  0.,  vor  finalsätzen,  z.  b.  4, 10,  3  thes  muascs  gerota 
ih  bithiu,  thaz  ih  iz  azi  mit  iu;  2.12,93.  4,7,59  (das  bithiu 
thaz  T.  104, 6  ist  auch  wol  trotz  des  lat.  quia  final  zu  fassen, 
wie  auch  Is.  29,  16  bidhiu  dhaz  final  ist),  zi  thiu  vor  final- 
sätzen bei  0.  und  T.,  meist  unmittelbar  vor  thaz,  z.b.  1,4,45 
thie  unyiloubige  gikerit  er  zi  libe,  zi  thiu  thaz  er  gigarawc  thie 
liuti  uirdige.  T.  zi  thiu  thaz  =  1.  ut,  z.b.  143,3  ni  quam  ih 
zi  thiu  thaz  ih  duomti  mittilgart.  zi  thiu  thaz  ni  -  1.  ne,  z.  b. 
35,2.  =  1.  ut  non  93,3.  olv.  44,23;  nur  195,6  zi  thiu  =  1.  ad 
hoc.  zi  thiu  vor  consecutiv-  und  andern  adverbialsätzen  nur 
bei  0.,  hier  nie  unmittelbar  vor  thaz,  z.  b.  L.  10  zi  thiu  due 
stunta  mino,  theih  scribe  dati  sino;  3,6,30.  mitthiu  vor  einem 
adverbialsatz  0.3,24,60.  reber  mitthiu  thaz,  ni  si  thaz,  nibi 
thaz  in  nebensätzen  s.  das  erste  wort. 

An  einigen  stellen,  meist  nach  verben  des  affects,  gibt 
thaz  den  inhalt  des  verbs  an;  es  heisst  dann  'dadurch,  darüber 
dass',  oder,  da  in  der  angäbe  des  inhalts  zugleich  der  grund 
liegt  für  die  im  hauptsatz  enthaltene  tatsache:  'weil',  z.  b.  0. 
3, 24, 92  thir  thankon  . . . ,  thaz  thu  . . .  irfullis  minan  tvilton. 
T.  =  1.  quod,  z.  b.  2, 10  vvuntorotun  thaz  her  lazzeta  in  templo; 
63,3;  =  1.  quia  119,7;  rein  causal  'weil'  0.3,20,9. 

Dass  thaz  auch  conditionalen  sinn  haben  kann,  wie  Tobler 
und  Erdmann  annehmen,2)  glaube  ich  nicht,  da  an  den  von 

•)  Kannow  ».  70  ff. 

»)  Beitr.  5,  3Ü5.  Uenu.  VI,  25b.  E.  S.  1,  §  1 1 1. 


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412 


SCHÖLTEN 


ihnen  angeführten  stellen  der  Zusammenhang  die  gewöhnliche 
auffassung  nicht  ausschliefst. 

Thht,  der  casus  instr.  des  pron.  dem.  thaz,  dient  in  Verbin- 
dung mit  gewissen  Präpositionen  im  0.  und  T.  häufig  zur  Ver- 
bindung mehrerer  sätze. 

§  30.  öfter  thiu 
ist  im  T.,  nicht  bei  0.,  bekannt  als  Übersetzung  von  postquam, 
postcaquam  'nachdem',  z.  b.  7,2  after  thiu  gifulta  uuarun  taga 
sinero  subarnessi  —  postquam  impleti  sunt  . . . ;  67,  13.  Auch 
Is.  hat  conjunctionales  after  dhiu  olv.  5,  10;  after  thiu  so  = 
postquam  35, 16. 

§  31.    bi  thiu 

steht  in  der  bedeutung  'darum,  deswegen'  im  T.  =  1.  idco, 
propterca  zu  anfang,  im  0.  auch  inmitten  des  hauptsatzes, 
insbesondere  in  hauptsätzen  zu  nebensätzen  mit  tcanta,  z.  b.  0. 
2,  4, 28.  3,  5, 11.  T.  74.  5.  131.  20.  Im  0.  auch  bei  finalen  neben- 
sätzen mit  thaz  (s.  d.)  und  ohne  thaz  4, 12, 10. 

Im  nebensatz  kommt  hithiu  bei  0.  nur  selten  vor;  als 
causale  conj.  =  'weil,  denn'  nur  2,12,85.  3,16,68;  am  ende 
des  vorhergehenden  hauptsatzes  thuruh  thaz  3,8,4. 

Im  T.  wird  dagegen  hithiu  gerade  so  und  ebenso  häufig 
gebraucht  wie  tcanta  und  hithiu  tcanta  (s.  d.),  also  =  'weil, 
denn'  für  1.  quia,  quoniam,  eo  quod,  nam;  z.  b.  71,3  hithiu 
sie  ni  habetun  vvurzalun,  furthorretun;  84,2.  145,9.  19,8  = 
1.  rel.  qui.  Ferner  —  'dass'  für  lat.  quia  statt  des  acc,  c.  inf.. 
z.  b.  107,3  gihugi,  hithiu  thu  intfiengi  guotiu  in  thinenw  libe; 
68,  4;  und  =  1.  quia  —  ort  zur  einleitung  directer  rede,  z.  b. 
100,  5  ih  quidu,  hidiu  so  uuelih  uorhizzit  sina  quenun  . . .  huo- 
rot;  49,  5. 

§  32.    fon  thiu 

ist  0.  wie  den  meisten  ahd.  quellen  unV>ekannt.  T.  hat  es 
einige  male  als  demonstratives  adv..  darunter  175,  3  --  1.  de  hoc 
•deswegen'  vor  folgendem  tcanta.  Im  nebensatz  steht  es  als 
temporale  conj.  \.  ex  quo  'seitdem'  92,4  rvuo  michil  stnnta 
ist  fon  thiu  inw  thaz  giburita?;  102,2.  In  derselben  bedeutung 
steht  T,  138,  12  fon  thes       ex  quo. 

§  33.    in  thiu 

ist  dl  e.  bei  0,  im  wesentlichen  nur  conditional,  während  Erd- 


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t 


8ATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  ü.  TATIAN.  413 

mann  S.  §  251  conditionale,  finale,  causale  und  temporale  be- 
deutung  annimmt.  Es  führt  in  der  bedeutung  'wenn  nur, 
wofern  nur'  eine  selbst  verständliche  Voraussetzung  für  das 
eintreten  des  hauptsatzes  an  (wie  an  einigen  stellen  auch  oba); 
Z.  b.  1,  5,  63  nist  tviht,  suntar  werde,  in  thiu  iß  got  wolle;  2,  4,  86. 
Ebenso  (nach  Erdmann  final)  1,7,12.  4,2,23.')  Vielleicht  ist 
final  4, 20, 24.  Zu  temporaler  bedeutung  neigt  in  thiu  1, 20,  32. 
0.  2,  7,  38  Ist  in  thiu  =  'darin'  (nach  Erdmann  causal).  Auch 
die  Verbindung  in  thiu  thaz  ist  conditional,  1,  2,  42;  auch  3,  7,  78 
(V  F  in  thiu,  P  in  thiu  thaz). 

An  der  einzigen  stelle  wo  im  T.  in  thiu  conjunctional 
gebraucht  wird,  74,7,  ist  es  causal,  denn  es  übersetzt  quin 
und  steht  causalem  bithiu  parallel. 

§  34.   mit  thiu 

kennt  0.  nur  als  adv.;2)  im  T.  steht  es  nur  conjunctional.  und 
zwar  sehr  oft.  Es  bezieht  sich  auf  die  Vergangenheit:  'als, 
indem,  während'  =  1.  cm«/,  z.  b.  2,  3.  5,  7;  -  dum  136, 1.  151,  4; 
oder  'als,  nachdem'  =  cum,  z.  b.  48, 1  mit  thiu  thie  heilant  quam 
in  Petruses  hus;  100,1;  auf  die  gegen  wart  oder  zukunft  be- 
züglich heisst  es  'wenn,  wann,  zu  der  zeit  wo,  so  oft'  —  1.  cum, 
z.  b.  44, 15  mit  thiu  sie  iuuer  ahtent  in  therro  burgi,  ftiohet  in 
andern;  133,7;  =  dum  27,2.  139,10.  Es  kommt  dabei  einer 
bedingenden  conj.  sehr  nahe,  z.  b.  22,16.  23,4;  mit  thiu  thaz 
—  cum  44, 28.  Im  nebensatz  steht  neben  mit  thiu  oft  ein  ad- 
verbiales tho,  z.b.  97,6.  124.6;  auch  thanne  88,2.  96,5.  Sel- 
tener enthält  der  hauptsatz  ein  demonstratives  tho  116, 1  und 
72,3  =  tunc;  olv.  84,8.  180,3;  thanne  olv.  124,4  =  tunc 
131,11  u.  ö. 

Wie  lat.  cum  bezeichnet  mit  thiu  neben  der  zeitlichen 
auch  die  causale  folge:  4da,  weil  (denn)',  z.  b.  120,  5  mit  thiu 
sie  thuruhuuonetun  inan  fragente,  . . .  quad  in  =  cum  perseve- 
rarent  ...;  —  1.  nam  92.2;  lat.  particip  54,3.  Wie  cum 
wird  mit  thiu  endlich  auch  conccssiv  gebraucht:  'während',  z.  b. 
40,  7  it«7  thiu  ir  ubile  bind,  uuizut  yuot  zi  yebanne  iuuueren 
kindon\  104,4. 

')  In  seiner  ausgäbe  fasst  £.  1,  7, 12  ebenfalls  conditional,  nicht  tin.il. 
')  E.  S.  1,  253  faast  einige  stellen  final. 


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414 


BCHOLTEH 


§  35.   zi  thiu 

steht  bei  0.  und  T.  als  adv.  gern  unmittelbar  vor  finalem  tttaz. 
0.  setzt  es  auch  vor  conjunctionslosen  finalsatz,  von  diesem 
noch  getrennt  durch  die  cäsur  2,21,11;  im  selben  halbvers 
2, 6, 12  'gott  Hess  dem  Adam  freie  Verfügung  über  das  ganze 
paradies',  zi  thiu  er  thiz  (das  eine  verbot)  gihialti.  Hier  scheint 
zi  thiu  selber  final  zu  sein:  'damit'. 

§  36.  tho 

weist  als  adv.  ganz  allgemein  auf  den  zeitlichen  Zusammen- 
hang mehrerer  ereignisse  hin.  So  steht  es  oft  in  hauptsätzen 
zu  temporalen  Vordersätzen,  z.  b.  1, 14, 2  so  ther  antdag  sih 
tlio  ougta,  ...  tho  scoltun  siu  ...  then  wizod  ir füllen;  2,11.55. 
T.  olv.  7, 11.  84,8.  Dieser  Zusammenhang  ist  oft  zugleich  con- 
secutiv,  so  dass  tho  etwa  unserem  'darum,  infolgedessen'  ent- 
spricht, z.  b.  0.  2, 6, 27.  T.  52,  7.  Die  temporale  bedeutung  kann 
aber  auch  ganz  schwinden  und  tho  führt  einfach  die  erzählung 
weiter:  'da':  T.  13, 20  tho  fragetun  sie  inan  =  1.  interroya- 
rerunt  eum;  0.  1, 12,  5;  'und':  O.  2, 14. 11  thie  jungoron  iro  zi- 
lotun,  in  koufe  in  muas  tho  holetun;  T.  4, 1. 2;  =  L  et  'aber', 
z.  b.  0.  4, 13, 17  iz  was  hurto  egislih;  tho  betota  ih  selho  bi  thih. 
T.  53, 7  —  1.  at.  Oft  steht  es  neben  andern  fortführenden  con- 
junctionen.  0.  bezeichnet  ferner  mit  tho  einen  stärkeren  gegen- 
satz:  'dagegen',  z.  b.  1,  9,  5;  'dennoch,  trotzdem':  2,  8,  56  er 
ougta  sina  kraft  joh  sina  guallichi;  tho  gilouhtun  ekordi  eine 
thie  junyoron  sine.  Im  T.  übersetzt  es  öfter  eniw  'denn,  näm- 
lich': 43,4  vvuntarotun  ...  ubar  sina  lera;  uuas  her  tho  sie 
lerenti  soso  giuualt  habenter. 

Auch  wo  tho  subordinierende  conjunction  ist,  ist  die  tem- 
porale grundbedeutung  meist  erhalten,  tho  =  'als,  nachdem', 
im  T.  —  eum,  dum,  ut,  quando,  z.  b.  0.  2. 11,  53  tho  er  then  (od 
ubarwan,  thes  thritten  tages  thanan  quam\  T.  7, 11;  'zu  der  zeit 
wo,  während',  z.  b.  T.  5. 13  tho  sie  thar  uuarun,  r rurdun  teuja 
gifulte;  148,6.  0.  1, 11,55.  3, 14,  5i>b.  Doch  wird  auch  hier  tho 
causal  'da,  weil',  im  T.  =  cum,  quin,  z.  b.  T.  149,7  ubü  serric 
inti  lazzo,  tho  du  uuestos  ...  serve  male  et  piger,  seiebas 
0.  5, 23,  240. 

§  37.  thoh, 

bei  0.  häufig,  im  T.  verhältnismässig  selten,  führt  bei  0.  in 
hauptsätzen  die  erzählung  adversativ  weiter:  'jedoch,  aber. 


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SATZ  VERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  ü.  TATIAN.  415 


allein ',  z.  b.  4,11,28  =  L  autem:  thaz  ih  nu  meinu  mit  thiu, 
unkund  hatte  ist  iz  tti;  iz  teirdit  etheswanne  thoh  in  zi  tri- 
zanne;  2, 14, 67  —  1.  sed.  ni  thoh  =  'jedoch  nicht',  allein- 
stehend, dient  im  0.  zur  abweisung  einer  an  sich  möglichen 
Vorstellung,  z.  b.  1.4,57  sprah  ther  gotes  boto  tlio,  ni  thoh 
irholgono  . . .  Bei  gegenüberstellung  von  personen  und  Sachen 
hebt  es  den  gegensatz  stärker  hervor:  'dagegen,  andererseits', 
z.  b.  3,  20, 148  ih  sunnun  er  ni  gisah,  thoh  scoutvot  ir  HU  alle  . . . ; 
L.  71 ;  'dennoch,  trotzdem',  z.  b.  1, 1, 36  nist  si  so  gisungan,  mit 
regulu  bithuungan,  si  habet  thoh  thia  rihti . . .;  3, 26, 9  =  ].  tarnen; 
tu  dieser  bedeutung  steht  es  besonders  nach  concessiven  Vorder- 
sätzen, 1.  18, 6.  3. 22,  15  u.  ö. 

Im  T.  steht  thoh  in  der  bedeutung  'aber'  1.  autem  79,8; 
=  1.  tarnen  87,  7.  Gewöhnlich  ist  es  jedoch  mit  uuidaro  ver- 
bunden, thoh  uuidaro  1.  verumtamen  'aber',  z.  b.  32,8  thoh 
uuidaro  minnot  iuuara  fianta;  92,  1;  'dennoch'  1.  tarnen,  z.  b. 
220, 3  gisah  thiu  lininun  lachan  gilegitiu,  ni  gieng  thoh  uuidaro 
in;  104,3;  nach  einem  concessiven  Vordersatz  nur  122,2  — 
1.  tarnen.  Das  streben  nach  wörtlicher  Übersetzung  ist  es  wol, 
das  die  widergabe  von  verumtamen  durch  uuar  —  thoh  65,3,  thoh 
uuar  65,  5,  uuar  thoh  uuidaro  160,  3  veranlasst.  Auch  Is.  gibt 
tarnen  meist  durch  dhoh  dhiu  huuedheru  wider,  z.  b.  19,  10; 
ebenso  hat  der  Weissenburger  katechismus  thoh  thiuuidero 
(Braune,  Ahd.  lesebuch  z.  93).1) 

Nicht  adversativ,  sondern  erklärend  =  'denn'  steht  thoh 
O.  2,  4, 46;  wie  nhd.  'doch'  hinter  dem  den  satz  eröffnenden  verb 
3.10,  37.40  gismekent  thoh  (die  hündlein)  thia  meina  thera  seltmn 
aleiba  . . .  =  L  nenn;  zu  anfang  des  satzes  1,  5,  57.  2, 6, 53  ?2) 

§  38. 

Auch  in  nebensätzen  hat  0.  thoh  sehr  häufig  in  der  be- 
deutung 'obwol,  obgleich',  z.  b.  2,3,  25  &ie  kundtun  thar  then 
liutin,  thoh  si  es  tho  ni  ruahtin;  3,19,27;  'selbst  wenn',  z.  b. 

')  Vgl.  Meiling  §  56.  Gr.  8»,  187. 

r)  0.  gebraucht  thoh  ferner  noch  in  hauptsiitzen  in  der  bedeutunir 
'wenigsten«'  znr  hervorhebnng  einzelner  begriffe,  z.  b.  4,19,25.  2,17,10 
<auch  T.  b2, 1  —  1.  rel),  bei  imperativen,  z.  b.  1.  27,  29,  und  in  Wunschsätzen, 
z.  b.  2,  ti,  43;  =  'doch'  und  'doch  bekanntlich'  4,33,10.  4,  35,  o  ?  An  ein- 
zelnen stellen  scheint  eine  Ubersetzung  vou  thoh  uumüglich  zu  sein ,  z.  b. 
5,  25,  99  k 


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416 


SCHÖLTEN 


nist  man,  thoh  er  wolle,  thaz  yumisyi  al  yizelle;  4,9,33.  Ein- 
zelne solcher  stellen  sind  fast  irreale  bedingungssätze,  2, 3, 43. 
5,23,267.  Ein  ouh  neben  thoh  verdeutlicht  dessen  concessive 
bedeutung  2.6,53.  5,23,267  (vgl.  'wenn  —  auch').  An  der 
stelle  3, 7, 69  dient  dieses  ouh  zur  hervorhebung  des  zweiten 
concessivsatzes  gegenüber  dem  eisten.  Mit  dem  concessiven 
thoh  des  nebensatzes  correspondiert  oft  im  hauptsatz  ein  de- 
monstratives thoh,  s.  o. 

Im  T.  steht  nur  21,  9  ein  concessives  tltoh  uuidaro  — 
1.  quamquam  :  thoh  uuidaro  ther  hcilant  ni  toufti,  nihi  sine 
iunyiron,  und  vor  verkürztem  satz  ein  thoh  tltoh  —  1.  licet  79,5.') 

Anderen  ahd.  quellen  ist  concessives  thoh  wol  bekannt,  auch 
Is.,  z.  b.  9, 26.  27, 16. 

§  39.  unz. 

Hiermit  führt  0.  einen  zustand  an,  während  dessen  ein 
anderes  ereignis  eintritt:  'während',  z.  b.  3, 2. 25  unz  er  fuar .... 
yayantun  imo  bilde  thie  holdun  scalka  sine,  2,  14,  100;  oder  einen 
zustand,  der  eine  tatsache  von  gleicher  dauer  bedingt  oder 
veranlasst:  'so  lange  als',  z.  b.  3,20,21  unz  ih  hin  thiar  in 
worolti,  so  hin  ih  Höht  heranti;  5, 10, 29;  oder  ein  ereignis,  durch 
das  ein  zustand  beendet  wird:  'so  lange  bis,  bis  dass\  z.b.  1,19,5 
in  Aeyypto  wis  thu  sar,  unz  ih  thir  zriyo  aour  thar  . . .;  4, 17, 12. 

Im  T.  ist  unz  meist  in  der  letzten  bedeutung  gebräuchlich: 
z.b.  donec:  44,7  thar  uuonet,  unz  ir  uzfaret;  147,1;  usquedum 
8,15;  quoadusque  244, 1 ;  dum  151,2.  In  der  ersten  bedeutung 
kommt  es  gar  nicht  vor,  als  'so  lange  als'  132, 3  mih  yilimphit 
uuirkan  unz  iz  tuy  ist       1.  donec;  139, 10  =  1.  dum. 

0.  setzt  neben  unz  öfter  ein  tho,  z.  b.  1, 11, 29.*)  Der  haupt- 
satz enthält  zuweilen  ein  tho,  thar  tho,  so  —  tho,  so.  Im  T.  ist 
an  unz  öfter  ein  suffix  angehängt:  unza  108,  7;  unzan  5, 10; 
unz  az  80,7;  unzin  96,5. 

§  40.    uz,  uzar,  uzouh 
werden  im  T.  (aber  nur  vor  44,13  und  nach  119,8:  Sievers 1 
s.  51)  als  adversative  conjunctionen  gebraucht,  —  1.  sed  'aber': 
173, 1  noh  nu  hohen  ih  iu  manayu  zi  quedanne,  uz  ir  ni  muyut 
iz  fortrayan;  uzouh  24,1.  131,24;  nach  negationen  'sondern': 

')  Mensing  §  57. 

*)  unz  thaz  1,4,70  ist  nicht  conj.,  sondern  heisst  'bis  dahin'. 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  0TFR1P  V.  TATIAN.  417 


uz  133.14.  168,4,  uzar  4, 11;  uzouh  oft,  z.  b.  25,4  ni  quam  ih 
zi  losenne,  uzouh  zi  fullenne;  31,8  (vgl.  ouh) 

Im  0.  sind  diese  partikeln  alle  unbekannt;  auch  im  übrigen 
ahd.  sind  sie  selten:  uz  kommt  noch  zweimal  vor,  uzar  einmal, 
uzouh  Uberhaupt  nicht.1) 

§  41.  tcanta 

ist  in  der  ganzen  ahd.  spräche  die  causale  conj.  xar  £$oxt}v; 
so  auch  bei  0.  und  T.  Es  heisst  'denn,  weil,  da',  z.b.  1,4,76 
theru  spraha  er  bilemit  was,  want  er  yiloubig  ni  was;  T.  57,  4; 
und  ist  oft  mehr  erklärend  als  begründend,  besonders  wenn  es 
sich  auf  ein  wort  des  vorhergehenden  bezieht,  wie  0.  1, 14, 7 
(hiazun  MMN  heilant),  wanta  er  then  Hut  heilit;  T.  13,8;  oder 
es  erklärt,  warum  die  aussage,  frage  u.s.w.  des  hauptsatzes 
berechtigt  ist,  z.  b.  T.  87,  5  uuir  betontes,  daz  uuir  uuizzumes, 
uuanta  heilt  fon  Judeis  ist;  0.  4, 18, 24.') 

W  enn  der  nebensatz  mit  wanta  zwischen  zwei  zugehörigen 
hauptsätzen  steht,  wird  diese  Zugehörigkeit  von  0.  in  dem  fol- 
genden satz  verdeutlicht  durch  nu  II.  46.  1,  7,7;  tho  4,  3,  5;  bithiu 
1, 3, 14  u.  ö.  Dies  geschieht  auch,  wenn  nur  ein  hauptsatz  zu 
wanta  gehört  und  dieser  folgt;  er  enthält  dann  an  der  spitze 
ein  nu,  z.  b.  2, 6, 26,  bithiu  2,  4, 27  u.  ö.  Auch  wenn  der  haupt- 
satz vorangeht,  wird  ihm,  aber  verhältnismässig  sehr  selten, 
eine  solche  partikel  zugesetzt:  thuruh  thaz  stets  am  ende,  z.b. 
2,4,102;  bithiu,  meist  an  der  spitze,  unmittelbar  vor  wanta 
nur  3,  23,  52. 

Auch  T.  hat  dies  bithiu,  aber  stets  an  der  spitze  des  haupt- 
satzes;  =  1.  ideo,  propterea,  z.b.  84,5.  131,20;  fon  thiu  1.  de 
hoc  174,3  (vgl.  Is.  25,23.  37, 14).  Am  ende  des  vorangehenden 
Hauptsatzes  steht  bithiu  im  T.  zwar  nicht  (wie  0.3,23,52); 
dass  das  jedoch  der  spräche  nicht  fremd  war,  ist  aus  dem  zu 
einem  wort  gewordenen  bithiu  uuanta  herzuleiten,  das  gerade 
so  gebraucht  wird  wie  uuanta  allein;3)  also  'weil,  denn', 
z.  b.  23,  2  uue  iu  thie  t/tar  gisatote  birut,  bithiu  uuanta  ir  hun- 

*)  Uraffl,434.  [MSP.  23,  33t».  E.  S.] 

*)  Beachtenswert  ist  die  Wortstellung  nach  wanta,  nämlich  teils  die 
des  hauptsatzes,  teils  die  des  nebensatzes;  im  T.  oft  glv.  wanta  svx.  0. 
1,  2,  21.  T.  140, 1 ;  wanta  xvsx.  0.  2,  16,  3.  T.  107,  4;  —  wanta  sxv.  0.  1,  3,  42. 
T.  164,3;  wanta  xsv.  0.3,16,40.  T.  21,2;  vgl.  Rannow  s.  13. 

3)  Vgl.  Siever»  Tat  Uro1  s.  50. 

Beitrag*  znr  genchicht«  d«r  deuUcban  apraobe.    XXII.  27 


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418 


SC&OLTEtt 


geret;  mit  demonstrativem  bithiu  im  folgenden  hauptsatz  169,3. 
T.  22, 17  und  79, 11  lautet  die  conj.  uuanta  bithiu  in  derselben 
bedeutung. 

Im  übrigen  ahd.  ist  causales  bithiu  uuanta  auch  bekannt, 
besonders  gebraucht  es  Is.,  z.  b.  5,5.  5,11. 

Auf  diesen  causalen  gebrauch  ist  tcanta  bei  0.  beschränkt») 
Im  T.  steht  uuanta  und  ebenso  bithiu  uuanta  (wie  thais)  noch 
zur  Übersetzung  des  lat.  quia,  quoniam  nach  verb.  dicendi  statt 
des  richtigeren  acc.  c.  inf.,  wir  übersetzen  also  'dass',  z.  b.  177, 5 
nu  forstuontun  uuanta  allu  thiu  du  mir  gabt  fon  thir  sint 
117, 3.  Ferner  dienen  uuanta  und  bithiu  uuanta  zur  Übersetzung 
von  quia  und  quoniam  vor  directer  rede,  wo  wir  sie  ganz  un- 
tibersetzt  lassen  müssen,  z.  b.  133,9  uuar,  uuar  quidih  t«,  bi- 
thiu uuanta  ih  bim  duri  scafo;  188,3;  vgl.  bithiu. 

§  42.  uuarlihJw, 
im  0.  (und  Will.)  nur  in  der  bedeutung  vere  belegt,  wird  im 
T.  auch  conjunctional  verwendet  in  der  bedeutung  'aber'  für 
lat.  vero  69,3.  172,5;  au  fem,  z.  b.  6,6  Maria  uuarlihho  gihklt 
allu  thisu  wort  ahtonti  in  ira  herzen;  4,  9;  mit  stärkerer  be- 
tonung  des  gegensatzes:  'dagegen',  z.  b.  133, 11  ih  bin  guot 
hirti.  (her  asni  uuarliho  fliuhit;  90, 1.  Femer  dient  uuarlihho 
zur  widergabe  von  ergo  =  'darum,  also',  z.  b.  130,2  oba  Dauid 
uuarlihho  in  geiste  ncmnit  man  truhtin,  vvuo  ist  her  sin  sun? 
=  si  ergo;  13,14;  inti  uuarlihho  =  et  igitur  174,6.  Schliess- 
lich übersetzt  e$  =  'denn'  lat,  enim,  z.  b.  236, 6  uuas  uuarlicho 
nackot  =  erat  enim  nudus;  2,6;  itaque  184,1  'weil'? 

Uebersicht 

A.  Partikeln  der  hauptsätze. 

Otfrid:  Tatian: 
1.  Copulative. 

inti  'und' 

(oft  inti  ouh) 

—  'auch'  (zur  hervorhebmig) 

(oft  inti  ouh) 

—  inti  —  inti  —  'et  —  et ' 
joh  'und'  (häufig)  joh  —  (sehr  selten) 

„    'und  zwar'  — 

')  Conceasiven  sinn  1,  4,  67  mit  Mensing  §  109  anzunehmen  ist  man 
nicht  genötigt. 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  ü.  TAT1AN.  419 
Otfrid:  Tatian: 

joh 

—  'auch'  (zur  hervorhebung) 
(oft  joh  omä) 

—  joh —joh  -=-  'et— et' 
noh                     'und  auch  nicht,  noch' 

r  'und  nicht,  aber  nicht' 

„  'auch  — nicht'  (zur  hervorhebung) 

—  'nicht  einmal'  (2m.) 
noh  —  noh               =  'weder  —  noch' 

(2  m.)  (oft) 

ouh  'gleichfalls,  ferner'  'ferner'  (Im.) 

„  'auch,  sogar'  (zur  hervorhebung) 

„    'und'  - 
inti,  joh,  odo,  noh  ouh  inti  oxüi 

thanne         'sodann,  femer,  (und)  dann,  und' 
joh,  ouh,  noh  thanne  inti  thanne 

tho  'da,  und' 

—  giuuesso  =  'etiam,  auch'  (Im.) 

—  odo  —  odo  =  'et  —  et,  sowol 

—  als  auch' 

so  'da,  dann'  — 

2.  Adversative. 

arur  'andrerseits,  dagegen' 

(häufig)  (selten) 
.  'aber' 

nu  'aber  jetzt'  (T.  5m.) 

pi    'aber'  — 
ouh  'aber'  (selten)  ouh,  oh  'aber'  (sehr  häufig) 

—  '  trotzdem ' 

—  (Im.?)  'sondern' 

—  eccarodo  ni  —  ouh  =  'non  soluui 

—  sed  etiam ' 

thanne  'aber  dagegen' 

„      'und  dennoch'  — 
thoh  'jedoch,  aber,  allein' 

(häufig)  (selten,  meist  thoh  uuidaro) 

„  'dennoch,  trotzdem' 

„     'dagegen,  andrerseits'  — 
tho  'aber' 
n    'dagegen'  - 
„    'dennoch'  — 
inti  'und  dennoch,  dagegen'  — 
joh  ' dagegen,  sondern '  — 
ja  'aber'  — 
ni  the»  thiu  min  'nichts*  — 
desto  welliger ' 

27* 


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SCHÖLTEN 


Otfrid: 
suntar  '  sondem ' 


wauta 
bithiu 
dm.) 

avur  'nämlich'  (erläuternd) 
.;'  a  '  denn  —  ja ' 
im  ff  'und  --  doch" 
wm  'denn  jetzt,  denn' 
ouh  'nämlich,  denn' 
thoh  'denn,  —  doch' 


Tatian: 

giuuesto  =  'antein,  vero; 

aber,  dagegen' 
nibi  =  'sed;  aber,  sondern ' 
uz,  uzar,  uz  ouh  =  'sed;  aber. 

sondern' 
uuarlihho  =  'vero,  antem; 

aber,  dagegen' 

3.  Causale. 

'denn' 
'denn' 
(oft) 


-  (?) 


CO 


bithiu 
tho 

uu  'darum  jetzt' 
ouh  'darum  auch' 


odo 

(oft  odo  ouh) 


g i u uenso  =  i siquidem,  quippe : 
denn ' 

noh  —  'neque  enini;  denn 
nicht ' 

thanne  —  'enim:  denn' 
tho  =■  'enim;  denn,  nämlich' 
uuarlihho  =  'enim;  denn' 

4.  Consecutive. 
'darum,  deswegen' 

'  darum,  infolgedesseu ' 
(1  in.?) 

fon  thiu  'de  hoc;  deswegen' 
giuuesso  =  'itaque;  daher, 

deswegen ' 
uuarlihho  =  'ergo:  darum 

also' 

5.  Disjunctive. 

'oder' 

odo  -  odo  =  'aut  —  aut ;  ent- 
weder -  oder' 


6.  Im  hauptsatz  stehende,  auf  einen  nebensatz 
hinweisende  partikeln: 
a)  bei  temporalem  nebensatz: 
ho  (oft)  so  (selten) 

tho  tho 


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SATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  ü.  TATIAN. 

Otfrid:  Tatian: 
er  (oft)  er  (1  m.) 

sid 

mr  — 

—  thanne 

b)  bei  causalem  nebensatz: 

bithiu  bithiu 


sid 

80  — 

thuruh  thaz  — 

—  fon  thiu 

c)  bei  finalem  nebensatz: 
8%  thiu  zi  thiu 

bithiu  — 

<1)  bei  consecuti vem  nebensatz: 

so  so 
zi  thiu  — 

e)  bei  conditionalem  nebensatz: 

thanne  thanne 
so  (seltener)  so 
nu}  sar  (vereinzelt)  — 

f)  bei  concessivem  nebensatz: 
thoh  thoh  (1  m.) 

g)  bei  coraparativem  relativsatz: 

so,  sus  80 

B.  Partikeln  der  nebensätze. 

1.  Temporale. 
er  'bevor,  ehe'  er  thanne  =  •  antequam,  prius- 

quam' 

tho  'als,  nachdem' 

»zu  der  zeit  wo,  während' 
so  'als,  indem' 

„  'als,  nachdem'  so  tho  'als,  nachdem* 

„  'sobald  als'  (meist  so  sliu-     so  sliumo  so  'sobald  als*  (1  m.) 

wo,  so  erist) 
„  'wenn,  wann'  — 
thanne  —  thanne  =  ' quando ;  damals  als ' 

„      'dann,  wann,  wenn,       mitthiu  thanne  wann,  wenn, 
so  oft  als'  so  oft' 

unz  'wäihrend'  — 

'so  lange  als'  (T.  2m.) 


422 


SCHÖLTEN 


um 


Otfrid:  Tatian: 
'so  lange  bis,  bis  dam' 


(öfter  unz  tho) 
sid  'seitdem,  nachdem ' 
sar  (so)  'sobald  als,  wenn' 
thar  'als,  während;  indem; 
wenn,  wann;  so  oft  als* 


(unza, 


etc.) 


uanta 
bithiu 
(selten) 

tho 

(Im.) 

thaz 


nu  'weil,  da  (jetzt),  da 
oba  'da  ja'  (1  m.) 
sid  'seitdem,  weil' 
so  «da*  (Im.) 


oba  =  'si;  dann,  wann' 
after  thiu  =  'postqnam; 
fon  thiu  (fon  thes)  =  'ex  quo; 

seitdem ' 
mitthiu  =  'cum,  dum ;  als,  indem' 
„  'während' 
„      'als,  nachdem' 
n      'wenn,  wann' 
„      'so  oft  als'  (sehr  oft) 
mitthiu  thaz  (1  m.) 

2.  Causale. 
'da,  weil' 
'weil' 
(oft) 

in  thni  wanta  'weil'  (oft) 
da,  weil' 
(öfter) 
'dadurch  das«,  weil' 


thaz 

zi  thiu  'damit' 
in  ttuu  (1  m.) 


also'     —  (?) 


oba  'wenn,  da  also' 

in  thiu  =  'quia;  weil'  (Im.) 

mitthiu  =  'cum;  da,  weil' 

3.  Finale, 
'damit' 

min  =  'ne;  damit  nicht' 


oba 


bithiu  thaz  (1  m.?) 

4.  Comparative. 

'wenn  schon' 
'während' 
'wie  — so,  so  —  wie' 
'je -desto' 

ai,  io,  so,  selb  so  so,  so  selb,  sama  so 

tfumne  'denn,  als'  (nach  comp.) 

nu  'wenn  schon'  — 


so  —  so 


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8ATZVERB.  PARTIKELN  BEI  OTFRID  ü.  TATIAN.  423 


Otfrid:  Tatian. 

5.  Conaecutive. 

thaz  «da»' 

—  80  thaz  =  'ita  ut1 

—  soso  =  'ita  ut;  ao  daas' 

6.  Conditionale. 

oba  'wenn,  falls' 

„    'bo  oft  als'  — 


„   'wenn,  wofern  nur'  — 
thanne  '(wann),  wenn' 

**lh  80    )  'wie  wenn'  mmaso  =  'quasi'  (Im.) 

satna  so  J 

so  'wenn'  (selten) 

in  fAiu  '  wenn  nur,  wofern  nur'  — 

in  thiu  thaz 

—  nibi  'wenn  nicht,  ausser 

es  sei  denn  dasa' 

ni  •»  oba  'wenn  nicht' 

—  ni  si  thaz  'wenn  nicht' 

7.  Concessive. 

oba  'wenn  auch,  obgleich,  selbst  wenn1 

oba  ouh  cisperi  oba,  inti  oba  =  '  etsi, 

etiamai ' 

thoh  'obgleich'  (sehr  oft)  thoh  uuidaro  =  'quamquam' 

thoh  ouh  (1  m.) 

nu  'obwol  alao'  (Im.)  oba  nu  =  'etai'  (Im.) 

sid  'obwol,  obgleich'  — 
so  'obwol'  (Im.)  — 

8.  Partikeln  zur  einleitung  von  Substantiv-, 
adverbial-  oder  inhaltsätzen. 

thaz  'daaa' 

oba  'ob' 

nub  'daas  nicht,  (daas)'  nibi  'daaa'  (Im.) 

ni  'dass  nicht,  (dasa)'  — 

suntar  'daas'  — 

—  min  =  'ne  forte;  daaa'  (Im.) 

—  uuanta  'daaa' 

—  bithiu  'dass' 

—  bithiu  uuanta  'daaa' 

—  uucdar  —  odo  'ob  -  oder*. 

BARMEN.  W.  E.  SCHÖLTEN. 


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BEM ERKLINGEN  ZUM  HILDEHHANDSLIED. 


I.  v.  1  ff.  Ik  gihörta  oat  seggen  oat  sih  urhettun  kmioii  muotin1) 
Hiltibrant  enti  Haouhrant    uiitar  heriun  tuem 
sunufatarungo. 

Die  erste  verszeile  des  gedichts  ist  hauptsächlich  auf  zwei 
verschiedene  weisen  erklärt  worden,  deren  hauptuuterschied 
darin  liegt  ,  dass  nach  der  einen  urhettun  verbuni  und  muotin 
nomen,  nach  der  anderen  und  jetzt  wol  allgemein  angenom- 
menen aber  urhettun  nomen  und  muotin  verbum  sein  soll. 
Nach  meiner  ansieht  hat  noch  keine  erklärung  vollständig  das 
richtige  getroffen.  Die  erstere  erklärungsweise  kommt  aber 
der  Wahrheit  bedeutend  näher  als  die  letztere. 

Die  erstere  auffassung  ist  die  ältere.  Lachmann  übersetzt 
18:W  (Kl. Schriften  1,417):  'ich  hörte  das  sagen  ...  dass  sich 
herausforderten  im  Zweikampf  Hiltibrant  und  Hadhubrant 
zwischen  zwei  beeren.'  Müllenhoff  hält  an  dieser  auffassung 
noch  in  der  zweiten  ausgäbe  (1878)  seiner  Denkmäler  fest, 
wo  s.  200  gesagt  wird:  'es  bleibt  daher  dabei  dass  urhettun 
verbum  ist,  und  das  schwach  formige  enön  kann  in  Verbindung 
mit  muoti  begegnung  allerdings  nur  die  gesteigerte  bedeutung 
von  alleinig,  singularis,  solitarius  haben/  Auch  Möller  steht 
auf  dieser  seite,  d.  h.  ihm  ist  urhettun  verbum  und  muotin 
nomen;  s.  z.  b.  a.a.O.  s.  81,  wo  der  anfang  des  liedes  in  der 
älteren  (von  Möller  erschlossenen)  Schreibung  der  vorläge  ge- 
gegeben wird:  Ik  (gifhßorta  Öat  sih  ttrhe'ttun  aenöm  mootim 
Hiltibrant  enti  Hadubrant. 

l)  Betreffs  der  lange  der  ersten  verszeile  vgl.  Müller,  Zur  ahd.  allit- 
terationspoesie  lsss  s.  *>t;  (=  Möller)  und  Kanfftuann,  Da*  Hildebrandslied, 
in  den  Philologischen  Studien,  frstgabe  für  E.  Sievers  1&%  s.  143  (=  Kaufl- 
niann). 


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BEMERKUNGEN  ZUM  HILDEBKANDSUED. 


425 


Dem  gegenüber  hatte  Grein  schon  1858  in  den  erläute- 
rungen  seiner  ausgäbe  des  Hildebrandsliedes  s.  22  f.  sieh  gegen 
die  Lachmannsche  deutnng  von  wnon  muotin  als  'certamen 
singulare'  ausgesprochen,  und  arnon  als  nom.plur.  (soli),  urhcttun 
als  nomen  ('als  herausforderer')  erklärt.  Zweifelnd  verhält  sicli 
Braune;  in  der  2.  aufl.  (1875)  seines  Ahd.  lesebuches  hatte  er 
urhcttun  als  verbum,  muotin  als  dat.  plur.  von  niederd.  muot, 
möt  f.  (0  begegnung,  concursus  (zu  got.  motjan)  erklärt.  In 
der  3.  aufl.  (1888)  sagt  er  s.  213:  '[mitogen]  ahd.  unbelegt;  as. 
mötian  sw.  v.  I.  begegnen  . . .  Hierher  vielleicht  muotin  Hilde- 
br.  2,  das  aber  doch  wol  (Beitr.  7,  121)  in  muotun  zu  ändern 
sein  dürfte.  Vgl.  auch  tnuoen,  für  welches  das  einfache  t 
spricht/  Dagegen  vertritt  Kögel  mit- Bestimmtheit  die  firein- 
sche  auffassung  sowol  1890  in  Pauls  Ornndr.  2a.  17«  als  1804 
in  seiner  (beschichte  der  deutschen  lit.  1.  Er  übersetzt  daselbst 
s. 212:  'ich  hörte  das  erzählen,  dass  sich  als  kämpfer  (d.h.  in 
der  schlacht)  allein  begegnet  seien  Hildebrand  und  Hadubrand 
zwischen  zwei  beeren.'  Auch  Stcinrneyer  in  der  von  ihm  be- 
sorgten 3.  aufl.  der  Denkmäler  ist  gänzlich  mit  dieser  deutnng 
einverstanden.  'Unter  die  wenigen  zweifellosen  fortschritte, 
welche  kritik  und  erklärung  des  Hildebrandsliedes  seit  dem 
erscheinen  der  zweiten  aufläge  der  Denkmäler  gemacht,  rechne 
ich'  —  sagt  er  2, 18  —  'die  deutung  des  zweiten  verses,  wie 
sie  nach  anderer  Vorgang  Paul,  Beitr.  7,  121  anm.  festgestellt 
hat:  urhvttun  ist  Substantiv,  muotin  cj.  praet.  des  schwachen 
verbs  muotvn\  dass  sich  als  herausforderer,  kämpfer  allein  be- 
gegneten; Der  letzte  der  meines  wissens  die  stelle  behandelt 
hat,  ist  Kauffmann  in  seiner  sehr  lehneichen  arbeit  über  das 
Hildebrandslied  (s.  oben  s.  424  anin.).  Obwol  Kauffmanns  an- 
sichten  über  das  lied  im  übrigen  fast  durchgehends  in  scharfem 
gegensatz  zu  den  bisher  allgemein  geltenden  stehen,1)  bleibt 

')  Es  soll  nicht  geleugnet  werden,  dass  die  Müllenhoffsche  theorie  hin- 
sichtlich der  texteonstitntion  —  bei  welcher  ich  bin  auf  weiteres  bleibe  — 
an  bedeutenden  Schwierigkeiten  leidet.  Aber  auch  diejenige  lüsung  welche 
neuerdings  von  Kauffmann  in  seiner  scharfsinnigen  schrift  geboten,  ent- 
behrt solcher  Schwierigkeiten  keineswegs.  So  will  mir  z.  b.  die  hypothese 
welche  Kauffmann  s.  135  zur  erklärung  des  t  in  urhettun,  luttila,  »Uten, 
tuem,  ti  u.  a.  m.  vorbringt ,  gar  nicht  einleuchten.  Eine  solche  bewusste 
fälschung  von  seiteu  eines  mittelalterlichen  Schreibers  ist  mir  im  höchsten 
grade  unwahrscheinlich,    t'ebrigens  hat  Kauffmann  Müllenhoffs  ansieht 


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426 


ERDMANN 


er  in  diesem  punkte  beim  alten:  er  fasst  urhettun  als  nomen, 
muotin  als  verbum  (s.  144. 134).  Es  darf  wol  also  diese  erklä- 
rungsweise als  die  zur  zeit  herschende  betrachtet  werden.  Ich 
glaube  aber,  sie  lässt  sich  kaum  aufrecht  erhalten. 

Meine  gründe  sind  die  folgenden.  Bat  sih  . .  muotin  kann 
nicht  Mass  sich  . . .  begegneten'  bedeuten.  Es  kann  dies  nicht, 
weil  ahd.  sih  nur  accusativ  ist  und  muotin,  wenn  es  verbum 
wäre,  das  object  im  dativ  erheischen  würde.  Es  ist  ja  evident, 
dass  man  nicht  berechtigt  ist,  aus  der  vorliegenden  stelle,  deren 
erklärung  eben  streitig  ist,  einen  schluss  betreffs  der  rection 
des  ahd.  verbums  zu  ziehen,  der  allen  gesicherten  tatsachen 
zuwider  läuft.  Als  solche  tatsachen,  von  denen  man  bei  der 
beurteilung  der  frage  auszugehen  hat,  betrachte  ich  erstens 
die  rection  des  verbums  mötean  muotian  im  alteächsischen 
und  in  anderen  altgermanischen  sprachen,  zweitens  die  rection 
des  ahd.  verbums  gaganen  nebst  Zusammensetzungen,  welches 
im  ahd.  das  anscheinend  schon  verloren  gegangene  *muozzen 
vertritt.  Das  as.  verbum  regiert  den  dativ  sowol  im  eigent- 
lichen (that  hie  im  thar  an  uuege  muotta  Hei.  5950  ed.  Sievers) 
als  im  übertragenen  sinne  (huuand  it  simbla  motean  scal  erlo 
gehuuilicomu  sulic  so  he  it  odrumu  gedod  Hei.  1700).  Ebenso  im 
mnd.,  s.  moten  schw.  v.  in  Schiller-Lübbens  Mnd.  wb.  3, 126.  An. 
mopta  schw.  v.  hat  immer  den  dativ  m.  einum.  Im  afries.  steht 
metu  'begegnen1  mit  dat.  und  (zweifellos  jünger)  acc.  (s.  Richt- 
hofen, Afries.  wb.  s.  926).  Die  einzige  ausnähme  hinsichtlich  der 
rection  dieses  verbums  macht  unter  den  altgermanischen  spra- 
chen das  altenglische,  wo  (ze)metan  den  accusativ  regiert.  Ueber 
den  grund  dieser  jüngeren  rectionsveränderung  s.  unten.1)  Da 

teilweise  mißverstanden.  Er  redet  widerholentlich  vom  abschreiben  einer 
niederdeutschen  vorläge,  z.  b.  8.134  oben:  'wie  hätten  denn  die  Schreiber, 
wenn  sie  eine  nd.  vorläge  mechanisch  copiert  haben,  auf  chind,  chuning 
u.  8.  w.  verfallen  können?'  vgl.  auch  s.  129  unten.  MUllenhoff  sagt  Denk- 
mäler* 8.  vni:  'das  Hildebrandslied,  in  Fulda  aus  dem  gedächtnis  auf- 
gezeichnet, . . '  und  s.  ix:  'er  (der  aufzeichner)  wollte  oder  sollte  ein  wesent- 
lich niederdeutsches  gedieht  zur  aufzeichnung  bringen,  aber  nur  an  hoch- 
deutsche schrift  und  rede  gewöhnt,  kam  er  in  der  widergabe  der  abweichen- 
den laute  und  formen  nicht  über  eine  gewisse  grenze  hinaus.'  Vgl.  auch 
Kauflfmann  s.  131  mitte. 

»)  Der  grund  ist  die  erweiterung  der  Wortbedeutung.  Ae.  (geymetan 
bedeutet  nicht  nur  'begegnen,  entgegen  gehen',  sondern  auch  'finden, 


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BEMERKUNGEN  ZUM  HILDEBRANDSLIED. 


427 


also  einerseits  das  gemeingermanische  verbum  *motian  in  allen 
altgermanischen  sprachen,  wo  es  wirklich  vorkommt  —  mit 
ausnähme  des  altenglischen  (und  teilweise  des  späten  altfries.) 
—  den  dativ  regiert,  und  andrerseits  sein  äquivalent  im  ahd. 
(mhd.  nhd.),  gaganen,  begagmen  u.  a.,  bekanntlich  keinen  andern 
casus  des  objects  zulässt  als  den  dativ,  so  muss  man,  scheint  es 
mir,  den  schluss  ziehen,  dass  auch  das  unbelegte  ahd.  *muozzen, 
wenn  es  wirklich  auf  hochdeutscher  stufe  fortlebte,  den  dativ 
verlangt  habe.  Der  niederdeutschen  construction  muotian  c.dat. 
eine  sonst  ganz  unbekannte,  nur  aus  der  vorliegenden  stelle 
erschlossene,  hochdeutsche  construction  *muo2zen*)  (oder  muoten 
nach  Kauffmann  s.130)  cacc.  entgegenzustellen,  ist  daher  metho- . 
disch  unberechtigt.  Folglich  darf  schon  aus  diesem  gründe  öat 
sih  muotin  nicht  mit  'dass  sich  ...  begegneten'  übersetzt  werden. 

Aber  muotin  gibt  ausserdem  bei  dieser  auffassung  anlass 
zu  zwei  anderen  bedenken,  wie  auch  schon  von  anderen  hervor- 
gehoben worden.  Erstens  man  erwartet  doppelte  tenuis,  *muot- 
tin,  und  zwar  ebensowol  wenn  man  bei  der  älteren  ansieht 
über  die  texteonstitution  der  Iis.  bleibt,  als  wenn  man  sich  der 
von  Kauffmann  a.  a.  o.  dargelegten  anschliesst:  jedenfalls  sollte 
das  praeteritum  von  rechtswegen  zwei  t  haben.  Die  Schreibung 
mit  einfachem  t  statt  des  doppelten  steht  im  Hildebrandsliede 
isoliert  da.  Die  Vermutung,  sie  sei  daraus  zu  erklären,  dass 
das  wort  in  der  hs.  auf  zwei  Zeilen  verteilt  ist,  scheint  mir 
nichtig;  man  würde  sich  auf  diesen  umstand  ebenso  gut  oder 

treffen,  antreffen',  und  es  ist  deshalb  die  ältere  construction  des  verbums 
nach  der  analogie  von  findan  umgebildet  worden.  Eine  schlagende  parallele 
zu  diesem  Vorgang,  welche  noch  im  werden  ist,  bieten  die  ae.  verben  de« 
folgen».  Auch  bei  diesen,  futtgän,  fullgangan,  folgian,  fytigan,  ist  der 
ältere  casus  des  objects  der  dativ;  nachdem  sich  aber  neben  der  älteren 
bedentung 'folgen'  die  jüngere  'vollführen,  ausführen'  entwickelt  hat,  wird 
auch  der  accusativ  gebraucht,  wie  bei  fulhryrcan,  geicyrcan  u.  dgl.  (s.  Wül- 
fing, Syntax  Alfreds  des  grossen  s.  88). 

')  Wahrscheinlich  war  das  wort  im  ahd.  ausgestorben.  Es  ist  erst 
mhd.  belegt,  muoten  (md.  muten)  1)  'begegnen',  mit  dat.,  nur  im  md.,  im 
Marienlob  des  bruders  Hans  vom  Niederrhein,  14.  jh.  (s.  Pauls  Grundr.  2  a, 
375);  2)  in  der  rittersprache :  'feindlich  entgegen,  zum  angriff  sprengen', 
mit  dat.  oder  praep.  an  (zweifellos  als  lehnwort  aus  dem  niederdeutschen, 
wahrscheinlich  flandrischen);  entmuoten  sw.  v.  'feindlich  entgegensprengen 
muote  st.  f.  'die  begegnung,  bes.  das  begegnen  im  kämpfe,  der  angriff'  (8. 
Lexer  1,2243.  577.  2242). 


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428 


ERDMANN 


besser  berufen  können,  wenn  es  im  gegenteil  gälte,  eintritt  von 
doppelschreibung  statt  eines  etymologisch  richtigen  einfachen 
consonanten  zu  erklären.1)  Zweitens,  der  conjunctiv  muotin 
statt  des  indicativs  *muotun  (richtiger  *muottun)  ist  auffallend 
nach  ik  gihörta  dat  scggen.  Zwar  hat  man  versucht  den  conj. 
zu  rechtfertigen,  indem  man  auf  die  ausführungen  Behaghels, 
Die  modi  im  Heliand,  1876,  §  23,  hingewiesen,  aber  meines 
ermessens  nicht  uberzeugend.  Es  handelt  sich  in  diesem 
Art- Satze  um  eine  tatsache  die  dem  erzähler  und  seinen  Zu- 
hörern wolbekaunt  und  sicher  ist.  Auch  der  fall  von  Müspilli 
V.  37  f.:  daz  hör  tili  rahhön  diu  uueroltrehtuuison  daz  seuli  der 
antiehristo  mit  Eliase  pägan,  ist  in  dieser  hinsieht  sehr  ver- 
schieden. Wenn  Braune  sagt  (s.  oben  s.  425),  dass  nmotin  'in 
muotun  zu  ändern  sein  dürfte',  so  wäre  er  daher  ganz  im 
rechte,  vorausgesetzt  dass  muntin  hier  praet.  eines  verbums 
wäre.  Diese  Voraussetzung  ist  aber  unrichtig,  muotin  ist  Sub- 
stantiv, das  verbum  des  satzes  ist  urhettun. 

Urhettun  ist  praet.  des  denominativen  verbums  as.  urhetian, 
welches  vom  as.  *urltcf,  ahd.  urheiz  m.  'herausforderung,  auf- 
stand, empörung,  kühnheit',  ae.  öret  pugna,  labor  gebildet  ist 
(s.  Lachmann  a.a.O.;  vgl.  Grein  a.a.O.  Kieger.Germ.  0,308.  Paul, 
Beitr.  7, 121  anm.  Kauffmann  a.a.O.  s.  144).  In  betreff  der  be- 
dputung  schliesst  sich  as.  urhetian  nahe  an  eine  gewisse  kate- 
gorie  von  altgermanischen  verben  an,  nämlich  die  verba  der 
bedeutung  'bitten,  fordern,  fragen',  z.  b.  as.  biddean,  bedian 
(zwingen),  eskön,  fergön,  frdgön,  thiggian;  ahd.  bitten,  gabeiten, 
eiseön,  fergön^  f'rugen\  ae.  biddian,  jebßdan,  ciscian,  friegean. 
Alle  diese  verben  stimmen  darin  überein  dass  sie  den  acc. 
pers.  und  den  gen.  rei  regieren,  z.  b.  so  huues  so  thu  mi  bidis 
Hei.  2756;  tltöh  thu  mi  thesaro  heridömo  halbaro  fergös  ib.  2757; 
ef  he  ina  bedid  baluuuerko  ib.  140(3;  ni  uuilliu  ik  is  sie.  thiggien 
nu  ib.  3535;  saget  mir  iz  al  thes  iuih  eiseön  hiar  nu  scal  Otfrid 
3,12,6;  got  ist  alles  thir  gilos,  so  uues  so  thu  nan  fergös  ib. 
3,24,18;  fraget  inan  es  ib.  3. 20, 93  (s.  auch  Grimm,  (Tramm.  4, 
631  f.  Winkler,  German,  casussyntax  1,  523.  Wülfing,  Syntax 
Alfreds  1,  14  f.). 

')  Pas  wort  nach  einer  Vermutung  Braunes  (s.  oben  s. 425)  von  muoen 
herzuleiten,  'für  welches  das  einfache  t  spricht',  ist  schon  wegen  der  be- 
deutuug  wenig  ansprechend. 


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BKMKKKUNflKX  ZUM  HILDKRRANDSMED. 


420 


Im  anschluss  an  die  construction  dieser  verben  fasse  ich 
den  vorliegenden  passus  des  Hildebrandsliedes  so  auf,  dass  ich 
sih  als  acc.  pers.  und  muotin  als  gen.  rei  vom  praet  urhettun 
abhängig  mache,  und  also  die  worte  sih  urhettun  wnon  muotin 
übersetze:  'sie  forderten  sich  allein  zum  kämpf  heraus,  sie 
forderten  einander  zum  einzelkampf  heraus.'  Dass  diese  Über- 
setzung sowol  betreffs  des  sinnes  als  der  grammatik  befriedigt, 
ist  wol  unbestreitbar.  Und  ausserdem  bietet  sie  nach  drei 
Seiten  hin  bestimmte  vorteile  im  vergleich  mit  den  beiden 
bisher  vorgebrachten  erklärungeil.  Erstens,  die  veranlassung 
zu  irgend  einer  textesänderung  fällt  weg:  muotin  braucht 
weder  in  *mmttin  noch  in  *muotun  oder  *muottun  geändert 
zu  werden.  Die  überlieferte  form  muotin  ist  ganz  in  der 
Ordnung,  da  das  wort  gen.  sing,  des  uomen  actionis  germ.  *mö- 
tini-,  as.  muoti  vom  schw.  v.  germ.  *mötian,  as.  muotiun  ist  und 
deshalb  von  rechtswegen  einfaches  /  hat.  Zweitens,  man  wird 
von  der  syntaktischen  Schwierigkeit  befreit,  welche  noch  bei 
Lachmanns  erklärung  vorlag,  muotin  (oder  gar  ivnon  muotin) 
als  dativ  (sing,  oder  plur.)  zu  deuten;  denn  die  Übersetzung 
dieses  dativs  im  kämpfe'  war  doch  immer  nur  ein  notbehelf, 
ein  solcher  gebrauch  des  dativs  ist  sonstwo  kaum  zu  belegen. 
Drittens,  das  lied  setzt  mit  einem  viel  kräftigeren  tone  ein. 
muotin  bedeutet  hier  nicht  'begegnung  im  allgemeinen',  die 
erst  durch  urhettun  -als  herausf orderer,  kämpf  er*,  d.i.  in  der 
Schlacht,  präcisiert  wird,  sondern  es  bedeutet  an  sich  'feind- 
liche begegnung,  kämpf ',  wie  ae.  gemeten*  Heow.  2002,  turne  na 
Semot  /Kdelstan  50;  mhd.  muot,  s.  oben  s.  427  anm.  Der  dichter 
fängt  also  damit  an,  dass  er  sagt,  er  habe  erzählen  hören, 
'dass  vater  und  söhn  sich  zum  einzelkampfe  herausforderten', 
nicht  'dass  vater  und  söhn  als  kämpfer  sich  (zufällig)  begeg- 
neten'. Denn  nur  eine  zufällige  begegnung  kann  muotin  als 
verbum  hier  bezeichnen,  sonst  läge  ein  hysteron  proteron  vor, 
was  sich  die  altgerm.  poesie  bekanntlich  nicht  gern  erlaubt: 
den  Vorbereitungen  zum  kämpfe  würde  die  erwähnung  des 
kampfes  selbst  vorausgehen.  Dagegen  folgen  bei  meiner  deu- 
tung  auf  die  herausforderung  zum  einzelkampfe  die  letzten 
Vorbereitungen  dazu  ganz  natürlich. 

Die  worte  untar  heriun  tuem  sind  von  alters  her  so  ver- 
standen worden  dass  man  sich  den  einzelkampf  Hildebrands 


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430  ERDMANN 

und  Hadubrands  als  eine  episode  des  allgemeinen  kampfes 
vorgestellt  hat,  welcher  gleichzeitig  zwischen  den  beiden 
heeren  Otachers  und  Theoderichs  anfieng  oder  schon  im  gange 
war.  Kauffmann  hat  in  seinem  interessanten  mehrmals  er- 
wähnten aufsatze  eine  andere  und  sehr  ansprechende  auffassung 
dargelegt:  'er  (Hildebrand)  marschiert  mit  Dietrich  zusammen 

und  bringt  ein  hunnisches  heer  mit  ;  der  gotische  heerbann 

war  aufgeboten  und  der  hunnischen  macht  entgegen  geschickt 
worden.  Aus  beiden  lagern  giengen  kundschafter  ab:  Hilde- 
brand von  den  Hunnen,  Hadubrand  von  den  Goten;  sie  reiten 
üf  die  tcart  (nach  mhd.  Sprachgebrauch),  und  wenn  man  ver- 
gleichen will,  wird  man  nicht  an  Glaukos  und  Diomedes,  son- 
dern an  Alphart  und  Witege  erinnern,  für  die  genau  wie  in 
unserem  fall  das  heer  Dietrichs  und  das  heer  des  kaisers  von 
Rom  den  hintergrund  bilden.  Das  sind  die  Voraussetzungen, 
unter  denen  das  Hildebrandslied  beginnt.  Alphart  bindet  sich 
den  heim  fest,  als  er  Witege  anreiten  sieht,  als  der  ältere 
fragt  Witege  den  partner  nach  seinem  namen,  die  Unterredung 
spitzt  sich  immer  feindseliger  zu  bis  diu  vräge  nam  ein  ende, 
der  rride  wart  üfgegeben  —  es  ist  von  nutzen,  an  diesen  ver- 
lauf der  dinge  im  Alphartlied  zu  erinnern,  um  der  typischen 
anläge  solcher  scenen  inne  zu  werden.'  Diese  inscenierung 
passt  vielleicht  besser  zu  der  gewöhnlichen  von  K.  aufgenom- 
menen Übersetzung  der  beiden  ersten  Zeilen  des  liedes  als  zu 
der  oben  von  mir  verteidigten.  Das  zufällige  aufeinander- 
stoßen von  zwei  kundschaftern  würde  passend  durch  das  sih 
muotin  'sie  begegneten  einander'  bezeichnet  sein.  Dass  auch 
eine  herausforderung  zum  einzelkampfe  öfters  die  natürliche 
folge  eines  solchen  Zusammentreffens  gewesen,  mag  zugegeben 
werden.  Aber  man  würde  doch  dabei  ungern  eine  vorausgehende 
erwähnung  der  ersten  begegnung  vermissen.  Bei  der  Situation 
aber,  welche  bisher  allgemein  als  die  dem  geiste  des  Sängers 
und  der  hörer  des  liedes  vorschwebende  gedacht  wurde,  der 
nämlich,  wonach  der  allgemeine  kämpf  der  beiden  heere  ent- 
weder im  begriff  stand  zu  beginnen  oder  schon  einige  zeit 
gedauert  hatte,  brauchte  es  solcher  vorbereitenden  worte  nicht  ; 
die  allgemeine  Situation  ist  der  kämpf  der  heere,  und  dass 
die  beiden  helden  daran  teilnehmen  sollen  und  wollen  ist  selbst- 
verständlich. Hier  allein  hervorzuheben  ist  die  herausforderung 


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BEMERKl'NGEN  ZUM  HILDEBRANDSLIED.  431 


zum  ein zel kämpfe.  Und  die  gibt  der  text.  Dass  in  den 
.schlachten  der  alten  Germanen  —  nicht  nur  in  denen  der 
Griechen  —  solche  herausforderungen  vorkamen,  wird  man 
a  priori  annehmen  können,  mit  hinsieht  auf  die  damalige 
kämpf esart,  welche  in  der  regel  ein  handgemenge  war.  Es 
liegt  deshalb  meines  ermessens  kein  grund  vor,  die  bisherige 
auffassung  in  bezug  auf  die  eröffnungssituation  des  liedes  auf- 
zugeben. 

Ich  will  hier  schliesslich  nur  an  eine  kampfesschilderung 
erinnern,  die  bei  aller  Verschiedenheit  mehrere  anklänge  an 
die  Vorgänge  des  Hildebrandsliedes  darbietet.  Die  nordische 
Saga  PiÖreks  konungs  af  Bern,  die  im  13.  jh.  nach  mündlichem 
bericht  deutscher  kaufleute  aus  Soest  von  einem  Norweger  auf- 
gezeichnet ist,  erzählt  cap.  333  den  einzelkampf  pethers  und 
Viögas.  pethers  und  piöreks  bruder  Erp  ist  eben  in  der 
schlacht  von  Viöga  erschlagen  worden,  und  pether,  der  ihn  zu 
rächen  trachtet,  greift  Viöga  aufs  schärfste  an.  Diesei  wünscht 
ihm  auszuweichen,  um  nicht  in  die  notlage  zu  kommen,  auch 
den  zweiten  bruder  des  königs  zu  töten;  aber  pether  dringt 
nur  um  so  heftiger  auf  ihn  ein:  Nu  mcelti  ViÖga.  ßat  varit 
guÖ  med  mer  at  ]>at  geri  ek  nau&igr,  ef  ek  drepr  pik,  firir  sakir 
Pins  brodor  Pi&reks  kommt)  af  Bern.  Bei  einem  erneuten 
angriff  pethers  stürzt  Yiögas  pferd  tot  zu  boden  durch  einen 
hieb  pethers:  Nu  nuelti  ViÖga,  J>ar  sem  han  stendr  a  iordunni. 
ßat  vant  hinn  heelgi  guÖ,  at  nu  geri  ek  pat  verk  at  vist  hugÖa 
ek  at  asigi  skylda  ek  gera.  oc  sna  mikil  nauÖ  harndir  mik  nu, 
at  nu  verÖ  ek  lata  mitt  lif  eÖa  enn  aörum  kosti  verÖ  ek  nu  at 
drepa  pik.    pether  fällt. 

II.  V.  26.   degano  dechisto  mit  Deotriche. 

Dechisto  ist  zuerst  von  Lachmann  erläutert  worden,  wel- 
cher sagt  (Kl.  Schriften  1, 427):  4 . . .  dem  hochdeutschen  adjec- 
tivum  decchi  entspricht  das  nordische  peckr  »lieb,  angenehme'. 
Dann  hat  Scherer  (Zs.  fda.  26, 378  f.)  vorgeschlagen,  dechisto  in 
denchisto  zu  emendieren.  Die  vorläge  unserer  hs.  hat  nach 
Scherer  dechisto  gehabt  oder  jedenfalls  gemeint,  und  'die  nächste 
anknüpfung  bietet  das  mhd.  adjectivum  in-denke  «eingedenk«, 
weiterhin  mhd.  an-denke  »denkend  an  etwas«  dar'.  Dass 
dechisto  sehr  leicht  statt  dechisto  verschrieben  sein  könnte,  ist 


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432 


KR DM ANN 


gewis  zuzugeben.  Die  etymologische  deutung  aber,  nacli  wel- 
clier  alid.  dechisto  und  an.  pekkr  an  die  eben  angeführten  mhd. 
adjectiva  und  an  die  spätahd.  glosse  indenchi  rel  liupi  (Stein- 
meyer-Sievers  2, 283. 15)  angeknüpft  werden,  muss  aber  nach 
meiner  ansieht  bestimmt  abgelehnt  werden  (s.  über  ahd.  indenchi 
schon  Graft'  5, 170  und  5. 107  in  thanke  (/rata,  in  danchv  gratus, 
auch  von  Scherer  a.  a.  o.  s.  378  angeführt).  An  Scherers  auf- 
fassung  haben  sich  Möller  (Zur  ahd.  allitt.-poesie  s.  7(3)  und 
Heinzel  (donatio  denchisto,  s.  Wiener  SB.  188V»,  bd.  119,  s.  40) 
angeschlossen.  Zu  derselben  neigt  sich  auch  Braune,  Ahd. 
leseb.s  s.  182:  'dechisto?  Hild.  20;  nach  Zs.  fda.  20,  378  wol  statt 
denchisto  zu  denehi  adj.  (denkend),  liebend,  ergeben  (vgl.  an. 
pekkr  lieb,  ergeben  )'.  Kögel  dagegen  vermutet,  dechisto  sei 
in  dehtisto  zu  bessern  nach  ahd.  kidcht  devotus  H.,  gotedeht 
N.  Bo.  35»  "gottergeben'.  Kauffinann  ist  vollständig  davon 
überzeugt  dass  diese  Vermutung  richtig  ist:  kes  ist  kein  zweifei, 
dass  Kögels  scharfsinnige  Vermutung  dehtisto  (ein  speeifisch 
hd.  wort!)  das  richtige  getroffen  hat.  Diese  schlagende  eon- 
jeetur  schien  nur  die  hs.  gegen  sieh  zu  haben.  Meines  erachten« 
deckt  sie  sich  aber  vollkommen  mit  ihr,  wenn  wir  nur  an- 
nehmen, dass  dechisto  für  dethisto  verlesen  ist'. 

Ich  glaube  es  ist  an  der  überlieferten  lesart  nichts  zu  ändern. 
Dechisto  ist  der  Superlativ  eines  sonst  im  deutsehen  verlorenen 
adjeetivs  ahd.  deckt,  decchi  (über  ch,  eck  s.  Braune,  Ahd.  gr. 
§  144  anm.  3;  Hild.  v.  47  reecheo),  das  in  form  und  bedeutung 
völlig  mit  dem  an.  adjectiv  pekkr  übereinstimmt.  Man  hat 
aber  bisher,  so  viel  mir  bekannt,  die  etymologie  dieses  an. 
Wortes  unrichtig  beurteilt.  Ks  gehört  nicht  zum  germ.  verbal- 
stamme Jmnk-,  got.  pagkjan,  ahd.  denchen,  denken,  as.  thenkian, 
ae.  peneean,  an.  pekkja,  sondern  zum  germ.  verbalstamme  peg- 
(J>eh-),  ahd.  diggen,  as.  thiggian,  ae.  piejean,  an.  fiiggja,  dessen 
grundbedeutung  •empfangen,  erhalten,  annehmen'  ist.  Von 
diesem  stamme  ist  «las  adjectiv  mittelst  des  suf  fixes  ni  ab- 
geleitet, vorgerm.  *tok-nt  >  germ.  *pakki-,  an.  Jtekkr  adj.;  vgl. 
ahd.  fluechi  (ndd.)  'flügge'  zu  ahd.  fliogan,  altuorthumbr.  lycee 
(Bosworth -Toller,  Ags.  diet.  s.  050)  'lügnerisch'  zu  ae.  leo^an 
(s.  Kluge,  Stammbild.  $  220  f.). 

Die  funetion  des  suftixes  ni  war  die,  verbaladjective  der 
mögliehkeit  oder  not  wendigkeit  zu  bilden;  au.  pekkr,  nM.dechi 


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Ii  EM  K  K  K 1"  NO  EN  ZUM  HILDEURANDSLIED. 


433 


(&s*thekki  etc.?)  also  'annehmbar,  annehmlich,  angenehm,  lieb'.') 
Von  demselben  verbalstamme  bildet  das  altnordische  mittelst 
des  gleichwertigen  suffixes  i  das  gleichbedeutende  adj.  jxegr  < 
*]nhji-  (z.  b.  at  fehler  ok  pcegiligr  mim  verÖa;  gndi  pwgr  —  pekkr)\ 
vgl.  auch  an.  fahr  'annehmbar'  zu  taka. 

Im  westgermanischen  ist  das  adjectiv  mit  ausnähme  des 
vorliegenden  falles  nicht  zu  belegen.  Der  umstand  aber  dass 
das  wort  nur  im  Hildebrandsliede  vorkommt,  darf  uns  m.  e. 
nicht  hindern  die  ahd.  existenz  desselben  anzunehmen;  denn 
wir  finden  ja  in  diesem  alten  gediente  mehrere  sonst  ahd. 
unbelegte  Wörter,  z.  b.  snnufatarungo  v.3.  staimhort  v.  (34:  Uebri- 
gens  würde  derselbe  einwand  die  nachgebesserte  form  denchisto 
noch  stärker  treffen.  Von  einem  ahd.  adjectiv  denchi  mit  der 
bedeutung  'liebend,  ergeben'  gäbe  es  sonstwo  kein  beispiel, 
weder  im  ahd.  noch  mutatis  mutandis  in  den  anderen  altgerm. 
sprachen;  denn  das  spätahd.  indenchi,  mhd.  indenke,  später  ro- 
gedenke  ist  nach  meiner  ansieht  als  eine  junge  adjectivbildung 
zu  betrachten,  die  vielleicht  auf  ahd.  in  (gi)danke  fusst;  vgl. 
Wilmanns.  Deutsche  gr.  2.  s.540.  Dagegen  wird  ahd.  deehi  vom 
m.pekkr  gestützt.  Das  zu  dechi  gehörige  verbum  lebt  im  west- 
germanischen in  ahd.  diggen  u.  s.  w.  fort,  ebensogut  wie  das 
zu  *  denchi  gehörige  ahd.  denchen  u.s.w.  Der  grund  weshalb 
ahd.  dechi  (as.  *thekki  u.  s.  w.)  verloren  gieng,  war  wol  die  all- 
mähliche Verdrängung  desselben  durch  die  gleichbedeutenden 
bildungen  vom  germ.  neman,  adj.  *nemi-,  aM.ginämi  'angenehm' 
u.  s.w.  Das  an.  hat  beides  bewahrt:  pekkr,  Pcegr"1)  und  ncernr. 
Auch  das  verbum,  ahd.  diggen  u.  s.  w.,  ist  später  aus  den  west- 
germ.  sprachen  verschwunden,3)  während  es  in  den  nordischen 
fortlebt,  z.  b.  schwed.  tiggn. 

Die  Schreibung  dethisto  statt  dehtisto  hätte  gewis  nichts 
auffallendes  (s.  Braune,  Ahd.  gr.  $  154  anm.  5).  Aber  es  ist  doch 

')  Das  wort  lebt  nocli  heute  in  den  nord.  sprachen  fort,  z.  b.  schwed. 
täck  ' hübsch,  niedlich". 

*)  Formeller  zusammenfall  von  zwei  verben  im  an.  pekkja  1.  =  got. 
fiagkjan,  2.  an.  denominativ  vom  adj.  fx>kkr\  das  praet.  des  letzteren  hat  das 
alte  praet.  des  ersteren  fast  gänzlich  verdrängt.  Im  ostnord.  sind  die  verben 
noch  getrennt,  z.  b.  schwed.  tänka  :  tückas.  Auch  im  an.  jxrgija  liegt  zu- 
sammenfall von  zwei  verschiedenen  verben  vor. 

3)  MengL  thigge  v.  to  ask  as  alms,  to  beg,  schott.  thigger  s.  ist  wol 
als  skandinavisches  lehnwort  zu  betrachten  (s.  Century  dictionary  8.  H289). 

Beiträge  snr  geschieht«  der  deutschen  ipraohe.  XXII.  28 


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434       ERDMANN.  BEMERKUNGEN  ZUM  HILDEBRANDSLIED. 


unbedingt  vorzuziehen,  die  überlieferte  lesung  unverändert  bei- 
zubehalten, und  dies  sollte  immer  geschehen,  wenn  dieselbe 
ohne  zwang  einen  vollkommen  befriedigenden  sinn  gibt.  Man 
könnte  auch  fragen:  wenn  die  vorläge  dethisto  geboten  hätte, 
warum  sollte  der  ags.  Schreiber,  der  nach  Kauffmanns  meinung 
(a.a.O.  s.  135)  sonst  in  so  vielen  Wörtern  den  buchstaben  e  in  t 
geändert  hat,  um  'die  ihm  geläufige  Orthographie  der  betr. 
Wörter  durchzuführen',  hier  umgekehrt  dethisto  in  dechisto  ge- 
ändert haben,  da  immerhin  th  einem  Angelsachsen  —  wenn 
er  nicht  gerade  ein  Xorthumbrier  war  —  geläufiger  sein  musste 
als  ch. 

Die  bedeutung  des  an.  adj./>fMr  ist  nur  passiv  'angenehm, 
lieb'  (nicht  auch  activ  'liebend,  ergeben'1)),  und  es  liegt  kein 
grund  vor,  das  ahd.  adj.  deckt  anders  als  in  demselben  sinne 
aufzufassen.  Die  26.  verszeile  ist  folglieh  zu  übersetzen:  'der 
liebste  von  den  mannen,  die  mit  Theoderich  waren',  d.h.  der- 
jenige von  Theoderichs  mannen  welcher  ihm  der  liebste  war. 

S.  F  ritzner,  Onlhog2,  1014.    Scherer  an  der  oben  s.  431  angeführten 
stelle  hat  Ckaaby-VigfÜHsons  4plial>le.  tractable.  obedicnt'  misverstanden. 

ÜPSALA.  AXEL  ERDMANN. 


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* 


ETYMOLOGIE  VON  HELM  'STEUERRUDER'. 

Ags.  hclma,  an  m.  (ne.  heim),  das  schon  im  OorpusgU  4  als 
äquivalent  von  lat,  clants  belebt  ist,  hat.  wie  so  manche  andere 
nautische  ausdrücke,  in  älterer  zeit  nur  auf  nd.  und  nord.  ge- 
biet verwante:  mnd.  heim,  heimholt  Milder-,  steuerholz*,  nl.  heim- 
stock  1  griff  des  Steuerruders',  an.  hjalm  f.  'Steuerruder*.  Das 
nhd.  heim  ist  erst  in  junger  zeit  aus  dem  nd.  eingedrungen. 

'Wo  im  sächs.  nord.  Sprachgebiete',  sagt  Kluge  (Et.  wb.5 104), 
kder  term.  techn.  seine  ursprüngliche  heimat  hat,  lässt  sich  wie 
bei  den  meisten  andern  nautischen  ausdrücken  nicht  feststellen.' 
In  diesem  falle  glaube  ich  es  wahrscheinlich  machen  zu  können, 
dass  wir  es  mit  einem  erbst ück  aus  der  indog.  urzeit  zu 
tun  haben.  Die  germ.  gruppe  stellt  sich  nämlich  vortrefflich 
zu  der  sippe  von  gr.  xiXXat,  xtlofiai,  xiXtvco;  lat.  irllo,  excrlh, 
celcr  u. s.w.  Das  gr.xtXXm  wird  vorzugsweise  von  der  fort- 
bewegung  des  Schiffes  gebraucht,  teils  transitiv  xtXXtir 
vovp  ' na vem  appellere',  teils  intransitiv  ^  'appelli'  oder  auch 
allgemein  =  'schiffen,  fahren'.  Z.  b.  rfja  ttiv  ...  IxtXoafUp; 
xiXöac  ix  axraq  vavxoQOvc;  Evq'ixov  dia  ytv^taxon'  xt'Xöaoa; 
oiav  txtXoctQ  oöov  u. s.w.  (Steph.  Thesaur.  4, 1426).  Bei  Homer 
kommt  das  wort  sogar  nur  in  der  Verbindung  v?ja  xiXoai  vor 
(Pape,  Handwb.  der  gr.  spr.  s.  v.  xtXXot). 

Dieselbe  beziehung  auf  die  Schiffahrt  tritt  auch  in  einigen 
verwanten  Wörtern  noch  deutlich  hervor:  xtXtj^,  -t]tox,  6  'jacht, 
schnellsegelndes  schiff';  xsXtvortjq  'der  mann  der  den  ruderern 
den  takt  angibt';  xiZtvopa  'der  takt  nach  dem  gerudert  wird'. 
Im  lat.  haben  wir  nur  noch  in  dem  worte  ertox,  -öcis,  f.  'jacht' 
eine  spur  dieser  alten  bedeutung,  während  -cello  sonst  durchweg 
einen  übertragenen  sinn  angenommen  hat. 


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436    hoops.  HELM  'Steuerruder'.  —  ehrismann,  zur  kröne. 

Aus  der  Übereinstimmung  des  germ.,  gr.  und  lat.  scheint 
sieh  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  zu  ergeben,  dass  die  indog. 
wz.  M-  'vorwärts  treiben'  ursprünglich  der  seemannsspraehe 
angehörte,  von  wo  aus  sie  früh  auf  andere  beziehungen  über- 
tragen wurde.  In  ähnlicher  weise  werden  sämmtliche  wurzeln 
von  einer  ganz  eng  begrenzten  grundbedeutung  aus  ihre  Sphäre 
allmählich  erweitert  haben. 

HEIDELBERG,  8.  märz  1897.        JOHANNES  HOOPS. 


ZUR  KRONE. 

Die  von  F.  Sarau,  Beitr.  22,  IM  gegebene  Vermutung  über 
die  verse  29:>8— 2988  der  Krone  sowie  die  angefügten  text- 
besserungen  sind  schon  von  Diemer,  Wiener  SB.  11. 249  und 
Möllenhoff  bei  Niedner.  Das  deutsche  turnier  s.  10 — 18  auf- 
gestellt worden,  welche  citate  ich  in  einem  von  Sarau  nicht 
beachteten  artikel  Beitr.  21,68  angeführt  habe.  Auch  für  drei 
v.  2985  ist  schon  eine,  der  Sarans  vorzuziehende,  conjectur  ge- 
macht worden,  nämlich  eroi,  von  Lichtenstein,  Anz.  fda.  8. 15. 

HEIDELBERG.  G.  EHRISMANN. 


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Verlag  von  Max  Niemeyer  in  Halle  a,  S 


Deutsches  Wörterbuch 

von 

Hermann  Paul. 

rrofauor  tler  iti>ut«rtti<ti  l»hlloloW'i.<  ,m  .Irr  rniwe:  .1  M 

1897.   Lex.  8.   VT.  578  S.   Mk.  8.    .    In  Hnlblederbancl  Mk. 

Dieses  Werk  wendet  sieh  au  alle  (lebildeten,  «Ii*.-  ein  Bedürft: 
pfiuden.  Uber  ihre  Muttersprache  nachzudenken.  Insbesi »ödere  n  U 
Hilfsbueh  fttr  den  Lehrer  der  deutschen  Sprache  sein,  aus  dem  l 
Raifl  erholen  und  für  den  l.'uterrieht  geeignetes  Material  entnehmen 

In  der  Hinrichtung  weicht  es  von  allen  bisher  vorhandenen  W 
bUchern  &b.  Ks  verzichtet  auf  eine  vollständige  Aufzählung  -  Ld 
Worter  und  Wortbedeutungen,  sowie  auf  überflüssige  Erklärungen 
mein  Verständlichen.  Hierdurch  wird  Kaum  gewonnen  lilr  das,  wt 
Aufklärung  zu  erhalten  ein  wirkliches  Bedürfnis  besteht.  Dahin  0 
/unäehsl  ili<'  landschaftlichen  Verschiedenheiten  im  Wortgcbraueh . 
die  nicht  unerheblichen  Abweichungen  von  der  heutigen  Sprache  b 
klassischen  Schriftstellern  des  vorigen  Jahrhunderts,  sowie  die  no< 
beträchtlicheren  der  Bibelsprache.  Ferner  war  bei  allen  Wörtern,  du 
haupt  eine  Mannigfaltigkeit  in  der  Verwendung  zeigen,  das  Y<  r 
der  verschiedenen  Gebrauchsweisen  zu  einander  darzulegen  und  d< 
dunkelte  Sinn  traditioneller  Verbindungen  aufzudecken.  Die  ein 
Wörter  uiussten  in  ihren  ctyinologisehen  /usaiuuienhang  eingereiht  w 
Laut  form,  Flexion,  syntaktische  Konstruktion  hatten,  soweit  es  i 
Rahmen  eines  Wörterbuches  möglich  war.  Berücksichtigung  zu  fun 

Die  ältere  Sprache  ist  nur  soweit  behandelt,  als  es  tiir  d;i^  Versl 
der  Verhältnisse  in  der  gegenwärtigen  Schriftsprache,  sowie  der  ra 
zeichneten  Abweichungen  erforderlieh  ist  Fremde  Sprachen  sin 
ausnahmsweise  zur  Vergleiehung  herangezogen.  Das  Werk  will  IM 
« tyinologiselien  Wörterbuch  von  Kluge  kein»-  Konkurrenz  machen,  s« 
verfolgt  in  der  Hauptsache  ganz  andere /wecke.  Khcnsowenig  will 
Dienste  eines  Fremdwörterbuches  leisten.  Der  Verfasser  ist  bemj 
w  esen,  soweit  es  die  Form  des  Wörterbuches  ermöglicht,  den  Zu<ai 
hang  hervortreten  zu  lassen,  der  zwischen  den  Lcdeiitungsentw ickel 
der  sinselnen  Wörter  besteht,  den  Grundsätzen  gemäss,  die  er  in 
Abhandlung  über  die  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikod 
(Sitzungsberichte  der  philosophisch  -  philologischen  ('lasse  der  bairi 
Akad.  d.  Wisseusch,  ivl,  S  53)  ausgesproehen  hat 


i  Ebi  u  ii  .it  Kai  ie.  Hall«  .t  S 


u 


BEITRÄGE 


ZU  Ii 


I. 


SCHH  UTK  DER  UKI  TS(  1LKN  SPRACHE 
IM)  LITERATUR. 


I  N  I  I.  K    MI  I  W  IKKl  X<;  VON 

Ii ERSI  INN  PA1  I   l  NU  WILHELM  RRAFX1 

II  EK  \  I  8G  KCl  KB  EN 

KIM  A  l(  l>  S1KV  Kits. 


xxii.  uvm).  :t.  m  i  r. 


HALLE  a.  s. 

MAX  NIEMEYER 

>  OK.  RTRIN8TKAS8K 
UfiM 


en  Mitarbeiter  werden  gebeten,  zu  ihren  inanuseripten 
5  (juartblätter  zu  verwenden,  nur  eine  seite  zu  bc- 
1  und  einen  breiten  rund  freizulassen. 


Zur  spräche  <ifs  I.ciilriu'r  Williratn.  Von  YV.  van  Helten    .    .  4 

\Vortges<&ichttiche  beitrage.   Von  K.  v.  Bahder   520 

Stymolognidiea.   Von  CC.  Uhlenbecls   .   .  636 

Zur  latitgeKclrichte.    Von  demselben   "»I- 

(J.  I >i tt  Vertretung  <ter  labiovelaren  media  aapirata  imanlaut: 

s. .">-M.  —  -  Nochmali  hana  -.hon  -  s. 

Kiasseiisuftixi'.  Von  R. M.Meyer   54S 

An.  gabba,  ags.  i<tbbian.    Von  It.  Klu  Uinanu   564 

Zum  todeqjahr  Wulfilas,    Von  W.  Streitberg;   567 

Antwort  mit*  »Im  anfsatz  KauffntaniH  1 1  >it  arriiini^iiiu-  des  Wulfila  '. 

V«in  1*.  Josten   .'iT I 

Nim  Ii  einmal  gotisch  alftr,   V<»n  K.  Znpitza   "» 7 1 

Zur  lierkuuft  de«  deutschen  reimverses,   Von  K.  huick  .  r>7«1 


Es  wird  gebeten.  alle  auf  die  rcduetion  der  •  Heiträge '  bezü 
liehen  Zuschriften  und  Sendungen  an  Professor  Dr.  K.  sj,-\^ 


Zur  nachrichi ! 

Ms  wird  gebeten,  alle  auf  die  redactioii  der  'Beiti 
liehen  Zuschriften  und  Sendungen  an  Professor  Dr« 
in  Leipzig-Gohlis  (Turnerstrasse  2t>)  zu  richten. 


ZUR  SRRAC1IE  DES  LEI  DEN  KR  WILLIRAM 


§  1.  Dass  die  spräche  des  sogenannten  Leidener  Williram 
der  mittelfränkischcn  dialektgruppe  angehört,  ergibt  sich  mit 
Sicherheit  ans  den  neben  z  (für  /)  benennenden  r  (inlaut)  :  /* 
(auslaut)  dieses  denkmals.  Busch  lässt  den  Verfasser  desselben 
(s.  Zs.fdph.  10.173)  ans  dem  nördlichsten  Mittelfranken  oder  dem 
südlichsten  teile  des  (nördlichen)  grenzdistrictes  gebürtig  sein; 
Kögel  denkt  (s.  Anz.  fda.  1'.*,  220)  an  entstehung  tles  textes  nahe 
an  der  niederländischen  grenze.  Ob  mit  recht  oder  unrecht, 
wird  sich  hoffentlich  im  laufe  dieser  Untersuchung  herausstellen, 
worin  die  grammatischen  formen  unsrer  quelle,  insbesondere 
(wenn  auch  nicht  ausschliesslich)  insofern  dieselben  mit  der 
mundart  und  der  jüngeren  entwickelung  der  spräche  des  über- 
lieferten textes  in  Zusammenhang  stehen,  zusammengestellt  und, 
wenn  nötig,  mehr  oder  weniger  ausführlich  erörtert  werden 
sollen. 

Bekanntlich  entfernt  sich  der  Leidener  Williram  (LW)  nicht 
nur  dialektisch  von  der  grossen  gruppe  der  Williramhss.  (B — Ii 
nach  Seemüllers  bezeichnung);  er  steht  auch  in  anderen  stücken 
dieser  gruppe  gegenüber  (s.  24,  14  und  (Y.\  ff.,  sowie  Zs.  fdph. 
10, 214  f.).  Demnach  sind  die  lesarten  der  vorläge  vom  LW 
in  lexikalischer  hinsieht  nur  mit  Wahrscheinlichkeit  aus  B.  C 
etc.  zu  ersch Hessen.  Für  die  morphologie  dieser  vorläge  aber 
ist  die  spräche  gedachter  hss.  im  grossen  und  ganzen  als  mass- 
gebend zu  betrachten;  denn  dass  der  Umschreibung  ein  ostfrk. 
und  nicht  etwa  ein  aus  dem  ostfrk.  in  irgendwelche  nicht-ostfrk. 
mundart  umgeschriebener  text  zu  gründe  gelegen  hat,  ergibt 
sich  aus  den  aus  der  vorläge  stehen  gebliebenen  formen  f'ahcnt 
2.  pl.  imp.  20, 10,  vtende  (s.  unten  §  39),  diTitc  (s.  §  12),  von  denen 
die  erste  nicht  gerade  für  bairische,  die  zweite  gegen  rhein- 

Itttrftf*  rar  geschieht«  d.r  deuUch.n  »rech«.    XXII.  29 


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438 


VAN  HELTEN 


frk.,1)  die  dritte  gegen  alem.  und  bair.  vermittelung  spricht. 
Nur  gilt  dieses  massgebende  selbstredend  nicht  für  einzelheiten. 
weil  ja  die  Möglichkeit  dialektisch  abweichender,  der  spräche 
der  vorläge  eigentümlicher  erscheinungen  nicht  ausgeschlos- 
sen ist. 

Für  die  ausscheidung  etwaiger  aus  der  vorläge  in  die 
Umschreibung  hineingeratener  nicht -mt'rk.  demente  fehlt  uns 
also  eine  völlig  sichere  handhabe;  wir  müssen  uns  hier  eben 
mit  dem  überlieferten  oder  besser  gesagt  mit  dem  in  Hoff- 
manns und  Seemüllers  ausgaben  vorhandenen,  leider  nicht 
vollständigen  handschriftlichen  material  und  mit  den  in  Graffs 
wb.  aus  einigen  hss.  citierten  lesarten  behelfen.  Indessen  steht 
diesem  übelstand  glücklicherweise  als  günstiger  umstand  die 
tatsache  gegenüber,  dass  der  im  LAY  vorliegende  text,  sofern 
sich  uns  die  gelegenheit  zur  controle  bietet,  ganz  entschieden 
als  eine  Umschrift  zu  erkennen  ist,  deren  consequenz  nur 
äusserst  selten  durch  ein  aus  der  vorläge  stehen  gebliebenes 
nicht-mfrk.  residuum  durchbrochen  wird,  d.h.  als  eine  Umschrift 
die  im  allgemeinen  sich  durch  Unabhängigkeit  von  der  vorläge 
kennzeichnet  und  mithin  als  eine  zuverlässige  quelle  für  die 
erforsehung  der  mundart  der  Umschreibung  zu  gelten  hat.  Man 
beachte  die  nahezu  ausnahmslose  Verwendung  von  d  (=  germ.  d. 
s.  unten  §  12),  von  an-,  in-  und  auslautendem  th  (insofern  es 
nicht  durch  anlehnung  mit  s,  t  oder  z  zusammenstösst  oder 
ihm  /  oder  n  unmittelbar  vorangeht,  s.  §  13),  von  dem  nom. 
acc.  sg.  ntr.  des  starken  adjectivs  ohne  -az  {-ez)  (s.  §  41).  von 
is  als  3.  sg.  praes.  ind.  des  verb.  subst.  (s.  §  61),  von  unt-  in 
untfingast,  -fahon  33, 16.  35, 23,  untduo,  -dade  41, 27.  43. 10. 24, 
unttoichan  51, 10  (woneben  die  als  residua  zu  fassenden  m-,  in- 
in  enquethen  20,24,  in  sl dpi  um  70.  27  J);  und  die  ausnahmslose 
Verwendung  von  inlautendem  v  :  auslautendem  /'  (s.  §  6),  von 
dem  nom.  sg.  masc.  und  fem.  des  starken  adjectivs  ohne  -er  (oder 
-er),  -u  (-o)  (s.  §  41),  von  den  pronominalformen  himo,  hine.  -o, 
hiro  etc.  (s.  g  47). 


')  f  xeml,  fiettt  (fujeud,  -int)  findet  sich  nach  (irafl'H,  381  ff.  nur  in  alem. 
und  bair.  denkmäleru  (H,  N.  Nm  und  Ps.  138)  sowie  in  den  Williranihss. 

*)  Sonst  ersetzt  die  Umschreibung  das  verbale  compositum  durch  in 
stüpho  15,  19,  an  släphon  70,  12  (statt  despart.)  und  slaaphe  (simples)  23.  27. 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  439 


I.  Die  consonanten. 
1.  Die  balbvooale. 

§  2.  Formen  mit  germ.  tcr  im  anlaut  begegnen  in  unserer 
quelle  nicht.  Mit  /  aus  ul  steht  anluzza  19,20.28.  Erhalten 
ist  w*  in  quellten,  (jequelet,  quekken,  crquihto  etc. 

Inlautendes  tc  erscheint  in  geyarewet,  garetca  adv..  trütca, 
nitcen,  -az,  in  wem  etc.  und  bo(u)west,  -et,  -ende  (s.  §  18  zu  il), 
routcon  'reue'  (s.  §  19  zu  im);  ausserdem  als  hiatusfüllender  laut 
(vgl.  §  10  zu  h  im  inlaut)  in  scüuest,  -an  04.  8.  23,  13.  (W1)  seti- 
hest,  -an),  bethüuan  'unterdrücken '  25.20  (W  Imlühan;  LW  13,  17 
steht  behudan  als  Schreibfehler  für  das  residuum  aus  der  vor- 
läge bedtihan). 

Schwund  von  tc  begegnet  in  iu(r)h  (s.  §  40;  man  beachte 
gegenüber  iuteera,  -cm  etc.  die  in  iui(e)lt  vorliegende  Schreibung, 
die  zu  der  Vermutung  führt,  dass  hier  dieselbe  form  gemeint  ist, 
welche  durch  iit(c)h  dargestellt  wird,  und  das  /'  in  -i(e)h  also 
nur  noch  einen  rest  der  alten  Orthographie  repräsentiert),  i  eigen 
•irgendwo',  tef 'etwas'  10,20,  iehi  'etwas,  in  etwa'  53,3.  55.27. 
05.3,  nkt  nihil,  non  7, 11.  8,7.  10.  21.  12,18.  15,27.  17,19. 
20.2.  21,  20.  27,19.  30,2  etc.,  nicht  28,25.  30,20.  33,3.  58,0. 
64.21.  60.7.  70.7.  73,8.28  (woneben  ieweht,  nie{u)tcehtes,  s. 
unten  und  vgl.  noch  §  9); 

nach  i  und  /  in  u  ntre,  -en  piscinae.  -is  und  zrie  'zweimal1 
77,  03)  (vgl.  as.  thritco  'dreimal'  und  s.  wegen  ic  aus  io  §  19); 
der  ausfall  ist  mit  rticksicht  auf  das  in  einigen  ahd.  quellen 
erhaltene  tc  wol  als  eine  dialektisch  auftretende  erscheinung 
zu  fassen;  vgl.  z.  b.  ttuiuuäri  Tat.  88, 1.2,  gihtuuenne  Tat.  100,5, 
hiuuisges  Tat.  109,1.2.  113,1,  himtiskes,  -e  Tat.  44,10.  72,4. 
124,1.5.12.  gi/tiuuent  Tat.  127.  3.  also  bei  schreib.  /  rf  $  a  u, 
doch  higisgi,  -es  Tat.  147,8. 10,  higi  Tat.  147. 1,  bei  schreib.  C; 

sowie  in  folge  des  durch  den  nom.  sg.  auf  -o  veranlassten 
Übertritts  des  tea -Stammes  in  die  schwache  masc.  flexion  in 


')  Für  die  ohne  beigefügte  zahlen  eitierten  formen  verweise  ieh  auf 
Hoft'manns  glossar,  vermittelst  dessen  »ich  die  betreffenden  belegstellcn 
bequem  finden  lassen. 

*)  Mit  W  bezeichne  ich  die  ostfrk.  lesarten  in  Hoflmanns  nnd  See- 
müllers ausgaben. 

a)  Vgl.  das  bei  Lexer  aus  Pasa.  citierte  zu  ics,  zwts.  In  W  steht  zuiren. 

29* 


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440 


VAN  HELTEN 


nachtscadan  nom.  pl.  und  scada  dat.  sg.  zu  (naght)seada  nom. 
sg.  (wegen  der  endungen  und  wegen  des  acc.  sg.  scado  21, 14 
s.  §  30  und  §  3  zu  n). 

Neben  -o  und  -o-  (aus  -w,  -w-)  in  salo  sordidus  7, 20.  8.  8 
und  yaroda  praet.  43, 15  stehen  -a  und  -e  in  den  prädicativ  ver- 
wanten  gara  n.  sg.  f.  57,  21,  goldfare  n.  sg.  m.  37,  19:  durch  die 
Vorliebe  für  -a  als  endung  des  n.  sg.  f.  bei  Verwendung  der 
flectierten  form  des  prädicativ  stehenden  adjectivs  mit  ja-stamm 
(s.  §  41)  wurde  der  gebrauch  von  prädicativem  gara  im  n.  sg.  f. 
für  unflectiertes  *garo  veranlasst;  nach  dem  muster  von  prädi- 
cativem scöna  etc.  n.  sg.  f.,  seöne  etc.  n.  sg.  m.  entstand  neben 
*-fara  (wie  gara)  n.  sg.  f.  ein  n.  sg.  m.  -fare. 

Auf  entwickelung  von  u  vor  einfachem  tv  nach  e  und  e 
von  ie  (vgl.  Braune,  Ahd.  gr.  §114  anm.  3)  ist  zu  schliessen  aus 
vreuwen,  freuwe,  gefreuweda,  -et  7,9.  28,15.  12,6,  freuwe  'freude* 
27,28.  28,15,  leuwon  Möwen'  33,12,  nieuwehtes  52,10  (33,26 
steht  die  Schreibung  lewon,  20, 17. 18  ieweht,  44, 13.  45, 18  nie- 
wehtes). 

Vor  hellem  voc.  stehen  g  und  i  (  altem/) :  getan  'jäten' 
59,25,  gesende  'gährender'  70,0,  gitthewanne  'irgendwann'  21, 10, 
gitthesurileharo  (1.  -welwharo  mit  rücksicht  auf  das  constante  we- 
ll ch,  -es,  -e,  -a  unseres  denkmals)  'irgendwelcher'  21,  17  (mit 
gitthe(s)-  als  compromissbiUIung  aus  *etthe(s)-  und  neben  iefthes- 
ZU  vermutendem  *gifthes-\  vgl.  ahd.  etthes-,edde(s)-  etc.,  Braunes 
Ahd.  gi\  §  107  anm.  10  und  §  295 <1,  und  wegen  des  /  in  den  Alt- 
niederrhein, psalmen  stehendes  ifteswanne  aliquando  3«,  12). 
ieflheswär  'irgendwo'  38.  24.  20,  iehent  9,17.  Das  /  des  zweit- 
letzten citates  neben  g  von  gitthe(s)-  berechtigt,  im  verein  mit 
dem  §  8  zu  erörternden  laut  wert  von  palatalspirans  bezeich- 
nendem /,  die  i  und  g  obiger  belege  als  gleichwertige  zeichen 
für  palatalspirans  zu  fassen. 

AYegen  des  intervocalischen  j  beachte  hluoyent-,  -ye,  -ie  (13.2U 
blnoes  als  Schreibfehler  oder  als  alte  form  ohne  /?),  -/luoiende 
71,6,  gruoient  35, 28,  wütet,  -ie.  reion  capreae,  -is,  winian,  Jilia. 

2.  Die  liquidae  und  nasale. 

§  3.  Altem  entsprechende  laut  Verbindungen  (rij  oder  rr) 
begegnen  nicht;  hesueron  Lsg.  praes.  ind..  huren  3.pl.  praes.  opt. 
20, 14  haben  analogisches  r. 


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ZUR  SPRACHE  OES  LEIDENER  WILLIRAM.  441 


Für  ?  'ehe,  bevor'  W  steht  im  LW  immer  er  (eer\  für  wä 
•wo*,  da  'da',  da  relativpartikel  in  \V  hat  LW  war,  thär,  thar 
(für  da  und  das  einmalige  de  x xvi  23  bei  Hoffm.,  52,21  bei 
Seem.  als  relativpartikel  auch  mitunter  das  sonst  in  dieser  func- 
tion  übliche  und  Williranischem  der  entsprechende  (her  53, 19. 
54. 10,  24.  55,  7  oder  (hie  26.  23.  27.  5.  32.  9.  vgl.  §  49),  mit  aus- 
nähme der  residua  wä  16,23,  (ha,  (ha  9,1.  17,3.  52,5;  sä  'so- 
gleich' W  ist  entweder  ausgelassen,  nämlich  27. 10,  oder  durch 
so  (sö?)  ersetzt,  20,  14.  23,  1.  66.  28;  die  entsprechung  von  hie(r) 
•hier'  fehlt  17,26.  23,21.  27,28.  56,19  und  64,8  findet  sich 
statt  dessen  ie. 

Metathesis  begegnet  nicht  in  forghtent,  naghtrorghta,  thurft; 
demnach  ist  gewrocht  30,  28  entweder  Schreibfehler  oder  aus 
der  feder  des  anfrk.  copisten  (vgl.  §  1 1  zu  luzzeron  etc.)  ge- 
flossene form. 

m  wird  nicht  zu  n  vor  ft:  eumfllgh,  samfto,  -ero,  unsemfte. 

Für  endungs-w  steht  ausnahmslos  -n.  Vgl.  auch  hin  dat. 
pl.  und  bin  neben  him,  bim  (s.  §  47.  61). 

Neben  uns,  unser,  kunste,  hundegan,  runde,  -ent  etc.,  mundes, 
ander,  samfto  etc.  begegnet  rusttgan  47, 23  als  Schreibfehler  und 
süthene  in  süthenewind  39, 10. 16  als  importierte  form  (vgl.  das 
bei  Lexer  verzeichnete  stiden). 

Wegen  cunig  7,6  neben  normalem  kuning  und  cu-,  kuning- 
innan,  euningllchero,  phenningo  vgl.  Braune,  Ahd.  gr.  §  128 
anm.  2. 

Wegen  heyzewir  6, 14,  wesewir  66, 15,  helphcwir  74,8,  dö-, 
Stfr,  ghiewir  66, 14.  16,  duowir  74, 1.  ophcnewir  74. 13  etc.  neben 
Umphemcer  7,  2,  uougen-  (1.  uitogen-)  wir  74. 4,  manonwir  74,23, 
wizzonwir  45, 24  etc.  vgl.  Zs.  fdph.  20,  249. 

Abfall  von  n  im  auslaut  bieten  die  3.  pl.  prt.  opt.  muga 
27,12.  36,3.  52,25.  59,26.  70,6,  wdra  73,16  (wegen  -a  für  -e 
aus  -i  vgl.  §  57),  kunne  22,  28  sowie  die  dat.  acc.  sg.  m.  wi- 
themo  28. 12,  boumgardo  36,  24  und  llchamo  31,  5,  mennisco  67,  5, 
seado  (s.  §  2  zu  w).  deren  relative  häufigkeit  die  annähme  von 
schreib  versehen  verbietet.  Vergleichung  der  erscheinung  mit 
der  MSI).  2\  392.  Zs.  fda.  8,  301.  Zs.  fdph.  7,  419  hervorgeho- 
benen (wesentlich  auf  das  ostfrk.  beschränkten  und)  meist  nur 
beim  inf.  zu  beobachtenden  apokope  des  nasals  ist  ausgeschlossen. 
Hingegen  ist,  was  die  verbalformen  im  LW  betrifft,  zu  erinnern 


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442 


VAN  HELTEN 


an  die  bei  Otfrid  im  reim  begegnenden  bildungen  für  die  3.  pl. 
prt.  opt.  mohti,  wäri,  giere  fi,  (n)irbarmeti  (s.  QF.  37. 0):  es  liegen 
ja  liier  wie  im  LW  alte,  mit  Kluges  regel  vom  verklingen  des 
•h  nach  -i  (s.  Beitr.  12,380  ff.)  in  Zusammenhang  stehende  laut- 
gesetzliche formen  vor,  für  welche  nach  der  Wirkung  des  er- 
wähnten lautgesetzes  die  sonst  üblichen,  mit  nach  dem  muster 
der  3.  pl.  pl.  praes.  opt.  hergestelltem  -n  gesprochenen  bihlungen 
eingetreten  sind  (vgl.  auch  im  LW  die  3.  pl.  prt.  opt.  dürren, 
cunnen,  -an,  mugan,  sulen,  Würau,  geirrcdan,  moghtan,  §  60. 
50.  57).")  Für  die  erwähnten  schwachen  dat.  acc.  sg.  aber 
sind  die  parallelen  altostniederfränk.  bildungen  leimo,  hfrro, 
müno  dat.  sg.  Ps.  68,  3.  55,  11.  71,  5,  bogo,  herro,  namo  etc.  acc. 
sg.  (s.Cosijn,  Oudnederl.ps.  11)  zu  vergleichen:  hier  wie  im  LW 
-o  für  -on  im  acc.  durch  einwirkung  des  nom.,  im  dat.  nach 
dem  muster  der  im  acc.  neben  einander  stehenden  -o  und  -<m. 

8.  Die  labialen  geräuschlaute. 

§  4.  Altem  p  entspricht  im  anlaut  ph  oder  p,  im  in-  und 
auslaut  nach  vocalen  ph  (/;  ff),  nach  liquida  ph  (/'),  nach  nasal 
ph;  für  altes  pp  steht  ph  (pf): 

phenningo,  phlanzene  77,  21,  gephlanzet  39,  5,  gephlanzot 
8,28  (bei  Hoffm.  falsch  mit  p;  ms.  ph),  üzphlanza  36, 11  — 
palmon,  palmboum,  purdon,  pimenton,  plmentäre,  pigmentären, 
gepimentadon,  parte,  -an,  -on,  puzza; 

doiiphe,  louphen,  riphon,  driuphet,  drephed,  orerdrephent, 
seephet  haurit,  geseaphc  66, 18.  -o,  -ot,  -at,  -eda,  gesehkiphe, 
seaphe,  släpho,  apheldera,  aphalderbouma,  ophan,  -eno,  -enent, 
begriphan,  nmbegnphet,  gesJophan  42,  14,  draph  'traf,  rieph, 
dronjth,  begreiph,  seaaph,  Itoitjth  'häufen'  50.20,  etc.  etc.;  selten 
mit  ff',  uf  19, 6. 11.  21,  8.  27,  uff'a  26, 14.  -en  62, 3. 8. 12  (wo- 
neben upho  11.12.  29,5,  upha  25,28.  49,27,  -e  74,3,  uphon 
36.  27,  -en  64,  18.  22,  uph  und  uph-  passim),  drofezent  (aus  der 
Vorlage,  vgl.  §  58  am  schluss),  huft'ehm,  -an  'wangen'; 


')  Beachte  auch  bei  Otfrid  im  reim  die  durch  umgekehrte  analojrie- 
bildnng  entstandenen  3.  pl.  praes.  opt  {hi)nm\  pxti»  etc.  und  die  nach  diesen 
3.  pl.  gebildeten  1.  pl.  fiivuigc,  flehe  (QF.  37,  8).  Einmal  steht  auch  im  LW, 
♦W).  15»,  für  die  3.  pl.  praes.  opt.  bluoie;  ob  als  aus  der  feder  des  umschreiben* 
geflossene  form  oder  als  Schreibfehler,  ist  natürlich  nicht  zu  entscheiden. 


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ZUR  SPRACHE  DBS  LEIDENER  WILLIRAM 


443 


tverphan,  -ent,  worphe,  helphetvir,  helph  imperat.,  helpha,  -o 
lfe',  skarphe  'schärfe',  scarph  44,28,  clphondbeinc  49,15,  el- 
mdbeinin  49, 11,  elphandln,  -inimo  61,  L.  3.  8,  thorphon  66, 15; 
mal  mit  f  gctvorfan  30,  2; 

bcthemphet  37,24; 

naph  'napf,  drophcdcn  stillabant  43, 10  (oder  mit  ph  aus  p? 
I.  alid.  tropf o,  troffo,  as.  dropo),  epheles,  -a,  -o,  -ow,  epholon  pomi 
.  (oder  mit  aus  p?  vgl.  ahd.  ap/iit,  a/^'O?  und  uupfela 
ipfel'  (L  uuipfela);  —  wegen  o/fer  32,27  (W  o;>/cr)  vgl.  as. 
ro»,  nicht  ahd.  opfarön;  wegen  geknuffe  junctura  58,20  die 
ich  Graff  4. 583)  im  Trier,  ms.  W.'s  belegte  form  gtcnuffe,  nicht 
\h)nupfe  der  anderen  Williramhss. 

Mit  ph  nach  vocal  ist  selbstverständlich  ff  bez.  f  gemeint. 
>  zu  dieser  kategorie  gehörend  sei  noch  besonders  erwähnt 
ra  labia  35,6.  48, 11  mit  lephan  dat.  pl.  65,23  und  lepphan 
n.  pl.  30, 6,  dessen  pph,  wie  in  opphenent  31,  7  und  wie  das 

in  macche  72, 17,  nur  Schreibfehler  sein  kann;  wegen  der 
m  mit  ff  oder  ph  aus  altem  p  vgl.  das  bei  Seemüller  aus  G 
;1  y  verzeichnete  leffa,  -on. 

Spirantische  ausspräche  hat  auch  zu  gelten  für  ph  nach 
uida  und  zwar  auf  grund  des  belegs  yeworfan. 

Im  anlaut  und  nach  m  stehendes  ph  sowie  ph  (für  pp) 
an  nicht  pf  bezeichnen:  affric^ta  würde  nicht  stimmen  zu 
n  aus  /;  —  /*  (—  hd.  b,  s.  §  6)  zu  erschliesseuden  mfrk.  cha- 
vter  unsrer  mundart.  und  der  annähme  von  aus  der  vorläge 
nommenem  ph  (d.  h.  pf)  widerspräche  das  oben  §  1  hervor- 
liobene  consequeute  verfahren  bei  der  Umschreibung.  Ks  ist 
linach  das  ph  als  eine  (sehr  wahrscheinlich  auf  veranlassung 
*  in  der  vorläge  stehenden)  zur  darstellung  von  aspiriertem  p 
rwante  Schreibung1)  zu  fassen.  Nun  lässt  sich  zwar  solches 
für  das  südmfrk.  aus  dem  urkundenmaterial  nur  in  anlau- 
uler  antevocalischer  Stellung  folgern  (phant,  phainhuj  Isen- 
rg,  phaneerin,  phünt,  phantlose  Bassenheim,  phennyck,  1.  -ynck, 
yn,  s.  Höfer  2,  96.  157. 158);  doch  ist  zu  beachten:  primo  dass 
h  in  einer  aus  Leiningen,  also  einem  dem  südmfrk.  benach- 
rten  nordrheinfrk.  Sprachgebiet  stammenden  Urkunde  auch 

l)  We^en  ähnlicher  entlehnuug  eines  sehriftzeichens  aus  der  vorläge 
.  §  19  zu  ou. 


444 


VAN  HELTEN 


phleger  findet  (s.  Höfer  2. 163»)):  secundo  dass,  wie  uns  die  bei 
Heinzel,  Niederfränk.  geschäftssprache  8.317.350.371.308  und 
Beitr.  1,  5  aus  südmfrk.  und  nordrheinfrk.  Urkunden  citierten 
belege  lehren,  die  aspirierte  ausspräche  von  im  anlaut  aspirier- 
tem p  in  der  regel  in  diesen  quellen  nicht  bezeichnet  wurde, 
mithin  die  möglichkeit  des  gleichen  Verfahrens  bei  der  Schrei- 
bung eines  nordrheinfrk.  vor  conson.,  nach  m  stehenden  bez. 
gedehnten  aspirierten  p  ins  auge  zu  fassen  ist;  tertio  dass  es 
ganz  gut  begreiflich  sein  dürfte,  wenn  in  einem  dialekte,  der, 
wie  wir  unten  §  11  sehen  werden,  in  die  südliche  grenzzone 
des  mfi'k.  Sprachgebietes  zu  verlegen  ist,  also  in  einer  sich  mit 
dem  nordrheinfrk.  berührenden  mundart  dem  nicht  zu  pf  ver- 
schobenen p  auch  noch  sonst  als  in  anlautender  antevocalischer 
Stellung  aspirierte  ausspräche  von  p  eigen  war  (uuipfda  ist 
natürlich  aus  der  vorläge  stehen  geblieben). 

Ob  nun  aus  diesem  lautwert  für  das  p  von  palmboum,  porta 
etc.  nicht  aspirierte  ausspräche  zu  folgern  ist?  Bei  entlehnung 
der  fremd  Wörter  vor  entstehung  der  aspirierten  ausspräche 
hätte  sich  auch  in  diesen  ph  entwickeln  müssen,  Lud  bei 
späterer  entlehnung  wäre  ebenfalls  nur  phahnboum  etc.  mög- 
lich gewesen,  denn  es  Hesse  sich  kaum  denken,  dass  behufs 
dieser  fremd  Wörter  eine  nicht  einheimische  ausspräche  des  p 
eingeführt  wäre.  Die  abweichende  Schreibung  aber  erklärt 
sich  unschwer  aus  dem  umstand,  dass  der  umschreiber  in  seiner 
vorläge  phmningo  etc.,  jedoch  palmboum  etc.  vorfand. 

§  5.  Mit  bb  findet  sich  cribbon  16, 9. 10,  stubbe  24,8.  42. 22. 
Ob  der  conson.  indessen  als  reine  media  und  nicht  vielmehr  als 
media  fortis  zu  fassen  sei,  möchte  ich  bezweifeln  (vgl.  Tijdschrift 
voor  nederl.  lett.  15, 153). 

§  6.  Im  inlaut  steht  r,  im  auslaut  f  —  hd.  b:  havon,  -an, 
grava  fossae,  ravon  'rabe',  hindkalvo,  navalo,  hurda,  ~e  'hüger 
16,3.  32,24,  bitherre,  levon,  over,  ara  43.23.  ovaz,  gescriven, 
ltres,salva,  sclro,  rcron  'reben\  irtm  etc.  etc.;  salfwvrz  (1.  -mnz), 
lief]  u  iif,  aff  of  ob,  wcnn\  sturf,  verdreif,  seif  (s.  Anz.  fda.  19,  222 
anm.),  hf 1  wenn'  9,25.  10,1.  22,22,  hafda  14,5.  Mit  rücksieht 
auf  die  noch  jetzt  im  südfrk.  herschende  bilabiale  ausspräche 


')  Hoinzel  citiort  ((Jescliäft.Hspr.  398)  noch  phltgen  aus  Höfer  2,  179;  ich 
finde  den  beleg  aber  daselbst  nicht. 


ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  445 


eses  f  ist  dieselbe  auch  für  die  ältere  periode  anzusetzen, 
i  kann  mithin  die  offenbar  zur  bezeichnung  verschiedener 
itqualität  vom  umschreiber  verwante  verschiedene  Schreibung 
3  letzteren  f  und  des  auf  p  zurückgehenden  Spiranten  nicht 
!  Unterscheidung'  von  labiodentaler  und  bilabialer  consonanz 
weckt  haben,  und  es  bleibt  demnach  nur  die  möglichkeit, 
»  besagte  zweierlei  Schreibung  mit  ungleicher  engenbildung 
m  sprechen  der  fricativgeräusche  in  Zusammenhang  stand, 
t.  w.  dass  die  aus  der  Verschiebung  des  p  hervorgegangene 
ans  ihrer  entstehung  gemäss  mit  stärkerer  hemmung  des 
Stromes  und  infolgedessen  mit  grösserer  geräuschstärke,  der 
ere  reibelaut  mit  schwächerer  hemmung  und  geringerer 
iuschstärke  hervorgebracht  wurde.  Die  vereinzelten  f  statt 
lind  also  als  ungenaue  Schreibungen  zu  fassen  (das  zeichen  ph  , 
elbstverständlich  nachbildung  des  Zeichens  eh  für  den  aus  k 
ehobenen  laut,  vgl.  §  7). 

Das  b  von  arbeyd  23, 10  etc.  bildet  keine  ausnähme  zur 
en  regel:  der  erste  teil  der  Zusammensetzung  (aslov.  robu 
ergleichender  «-stamm,  vgl.  Kluges  Et,  wb.  i.  v.)  sowie  von 
itnfrk.  arbeit,  -de  etc.  (s.  Tijdschr.  voor  nederl.  lett.  15, 160 
).  mnl.  arbeid,  as.  (Mon.  Cott.)  arbed,  arbid,  -i,  mnd.  arbeit 
zum  compositionselement  von  aonfrk.  arrithi,  -on,  arvit 
s.  Tijdschr.  a.a.O.),  as.  (Cott.)  arbed,  -/',  arabit,  ags.  earfod, 
wie  ahd.  rabo,  ehnabo  etc.  zu  rappo,  ehnappo  etc.  (vgl. 
.9,  166  f.  12,  520  ff.). 

[in  anlaut  ist  v  germ.  /*  die  regel  ausser  vor  /,  r  und  u: 
i,  verid,  rard,  rahs,  reld,  raste  75,  5.  ran(e),  -a,  -o, 
( s.  £j  15),  rrnstron,  eesfo  19.  5,  gerestenent,  rers,  anaringed 
!,  rindan,  -et,  rund,  naghtvorghta,  riand,  ver-,  rol,  vol(le)-, 
»räp.  oderadv.  17, 16.  10,21.  26,9.  31,13.  47,  21.  61,13.22! 
.  t  ore- 18.24,  vure  adv.  17,14.  19,13.  39,4.  42,7,  rare- 11,9. 
24,  2.  35,4.  10,  t  ito,  rortheron  'eifern',  rortheret,  -ent,  -oda, 
och  auch  faran  73,1,  gefaran  51,9,  ferit,  overfähent  38,7, 
"  42,  27,  fand  45,  2,  femoman  18, 10,  forghtenf,  fierer,  für, 
tre  50,  14,  goldfare  und  fragan,  freuwe  'freude'  27,28. 
f/ef 'renn  et  12,  6.  frühe,  iuncfromva,  friunt,  -din{n)a,  friund- 
e,  gefremet,  frumigheide,  fruo  (aiusnahmsweise  rreuwen  7,  9), 
78,  5,  ftiezent,  -ende,  fiUan,  flu,  -eeh,  -lieher,  erfloigat  57 '.5, 
•  72,8,  tvereldfureston,  rerfuulet  26,13,  verfallene  50,23, 


446 


VAN  HELTEN 


geßhtet,  fundan  22,1.  68,22,  fuoze,  -en,  fure  adv.  17,25.  18,2. 
68.24.  74,24,  fure-  18,17.  43.2.  55.14.  65.25.28.  71,23  (wo- 
nebcn  jedoch  auch  rure(-\  s.  oben,  uogat  'fügt'  31,4,  uornjcmcir, 
1.  uuogenuir  74,  4,  vuchtu,  -an  8,  16. 18).  Dem  /  vor  u  mag"  wol 
nur  das  bestreben,  einer  Verwechslung  mit  uu,  dem  zeichen  für 
uu,  vorzubeugen,  zu  gründe  liegen.  Das  nahezu  constante  f 
vor  l  und  r  weist  jedoch  auf  eine  härtere  ausspräche  der  Spi- 
rans vor  liquida  hin.  üb  der  durch  v  und  f  dargestellte  laut 
labiodental  oder  bilabial  war.  mag  ich  nicht  entscheiden. 

Sicher  als  bilabial  anzusetzen  sind  aber:  das  v  (=germ.  f) 
in  diuvel  (mit  rücksicht  auf  die  Behl*.  1,25  hervorgehobenen 
bildungen  grebe,  nebe,  briebe,  höbe  mit  b,  d.  h.  w,  für  aus  /' 
erweichtes  bilabiales  r),  tavelon,  getavela  und  avor  'aber,  wi- 
derum'')  (  ahd.  afttr,  avur?  doch  könnte  die  form  auch  ahd. 
abur  entsprechen;  herige  73. 12  ist  keine  einheimische  form,  wie 
aus  der  sonstigen  Verwendung  von  hang  16, 14,  houch  50. 13, 
haogh  55,20,  hough  71,8       hcbig,  herig  W  zu  schliessen); 

das  in  zuiflan,  -eda  43.  8.  1  gesprochene  /',  das  sich  zu  den 
eben  erwähnten  r  verhält  wie  die  /*  von  tviif,  salf-  etc.  zu  v  in 
utro,  salra  etc.; 

sowie  (auf  grund  der  Schreibung)  (ge)seripht(e\  -a  10.  27. 
32,19.  38,28.  23,1)  das  /*  in  geserifte,  -an  61,7.  45.3,  -hafHig) 
in  slothaft,  eerhaft,  ernesthafto,  sjnnihaft,  liutnhaftig(h).  heftent, 
after,  traft,  -o,  erefte,  thurft,  slaftheyde  41,8.  slafto  'erschlaffe' 

39.27,  samfto,  -ero,  unsemfte,  iefteswür  (s.  §  2  zu  j). 

Aus  /'/  entwickeltes  ht  begegnet  in  unsrem  denkmal  nicht. 
Ein  mst  für  mft  gewähren  ternumst,  euomst  (s.  §  17),  woneben 
jedoch  rumftigh. 

4.  Die  gutturalen  geräuschlaute. 

§  7.  Altem  entspricht  im  anlaut  k  (c)  oder  eh  (kh\ 
im  in-  und  auslaut  nach  vocalen  eh  (h,  gh),  nach  liquida  und 
nasal  k  (e)  oder  eh;  für  altes  kk  steht  kk  (ec,  ek),  k  (im  auslaut) 
oder  ech  (keh,  eh): 

wmkelnere  14,0,   kevese,  bekennan,  -o,  -es,  -ettt  22.  14.  17. 

62.28.  7,3.  0,26.  20,13,  (be)keran,  -et,  -cd,  -e,  heisere,  hindkalres, 
-e,  kind,  rerkiusest,  euman,  -e  etc.,  cornelino,  eoronan,  (ge)köse, 

')  \V  hat  statt  dessen  uho,  -c,  -er. 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIKAM.  447 


kündet,  -e,  -ent  etc.,  kuning,  kunnen,  kan  etc.,  kunste,  citsse, 
clagon,  -ost,  cleyna,  bccnuodclet,  craft,  -o,  crefte,  er  istinen,  krild 
etc.  und  beehennent,  -ed  47,  4.  46,  6,  cJiela  50,  18.  05,  8,  khizze 
60,15  (woneben  kizze  31, 28,  rehkizzon  32.5.  60,18); 

machon,  -ost  etc.,  miehol,  sprechet,  gesprochan,  ceyehenes, 
wehehes,  -e,  ruochest,  biieh,  ouch.  sprach,  gelieh,  sangleieh,  -lieh, 
ich,  mich,  thich,  sich,  ansieh,  iueh  etc.  etc.;  mit  relativ  höchst 
seltener  Schreibung  h,gh  nhduom,  -es  30.1.  73.25,  mih  14,27. 
42.18,  riA  37,12,  iuh  41,12.  45,10.  13.  51,3.4,  /mV*  70,  24,  utisih 

49. 10.  57,  25.  66.  20,  thigh  39, 9,  spragh  22,  3.  wcreldUgh  28, 3, 
ough  23,20  und  sogar  fluoghe  72,8; 

«towit,  -e  7, 3.  18,28.  34,23.35,8  etc.  und  stauche* (38,4. 18, 
stinehende,  -ene,  -et,  -ent  6,6.  11,14.  12,7.  13,6.  39,11.  67,15, 
drank  40,  7,  verdrank  10, 16,  drinkan,  -et  47,  15.  41,  2,  drunkan 
41,3  und  dranehe  61,19,  drinchenes,  -e  59,6.18.  65,22,  drtw- 
f/iai»  68,  7,  gedrenchet  59,  24,  drenchent  64,  15.  65,  3,  skenkan 
69, 18  und  schenchene  59,  8,  gethanko.  -ka,  -kon,  -eon,  unthankes, 
theneon  14,6,  -Äe  71.24,  thancan,  uerkan,  -on  12,15.17  und 
werch,  wercho,  -on  20,  5.  8.  28,  22.  35.  21.  37,  9.  43,  14.  20.  49,  5. 
10.  50,22.  52.21.  54,8.  56,2.  58,14.  69,26.  72,26,  werchman 
49,1,  wirche,  -et  -ont  49,1.  74,19,21.  53.26,  starc  72, 5. 19. 27. 

74.11,  gestarcode  19,1  und  ges tarchen t  20,  15.  gesterehent  67,2, 
merchene  23,  21; 

sniekkest  63,25.  smecket  65.8,  jmaÄ:  65,15  und  smecehent 
50,21.  lukkon  'lücken'  52,23  und  /mcc/«w  56,5.  roÄ-cÄe  42.14, 
(gr)locchet,-cda3SA.  65.12.  67.18.  48.3.  wecvhttn  23.  28.  70,23, 
weched  15,  12.  anazucchont  9,  15,  umbestecehet  59.  23,  //f/w>  6,  2. 
40,  4.  9,  tt/cfrttf  19,  15.  qnckken,  -on,  -estan  38.  22.  43,  12.  48, 12, 
quekkeut  35,27,  erquekkeda  49,23,  akker,  lokka, -o  42,1.  30,14; 
beachte  noch  besonders  doych(e)ne  mysterium  oder  -a  10,27.  31,7. 
61, 51)  mit  kk  (vgl.  doickene,  toiekene  nach  (»raff  5,376  im  Stuttg. 
ms.  von  Will.;  in  den  andern  hss.  steht  toigene,  tougene),  wie  in 
den  Beitr.9, 178  verzeichneten  bildungen,  und  naehan,  getiaachat 
ebeufalls  mit  kk  (?  s.  §  9). 

Selbstverständlich  bezeichnet  eh  in  machon  etc.  (wegen 
der  Schreibungen  h,  gh  s.  §9)  und  buch  etc.  die  spirans;  sonst 


>)  doyvhene  steht  auch  2t,  18,  hier  «her  dnreh  ein  versehen  des  um- 
schreiben!, der  boycheue  der  vorläge  für  Joychene  ansah. 


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448 


VAH  HELTEN 


aber,  sowie  auch  kch,  die  aspirierte  tenuis1)  (man  vergleiche 
wegen  solches  ch  in  südmfrk.  Urkunden  Erchanfrida  neben  Er- 
kanfrida  Trier  a.  853.  s.  Beyer,  Urkb.  1, 83,  Chuonrfulo  und  Folch- 
Unde  Coblenz  a.  1092,  Beyer  1,387.  hoJzmarchcn  Laach  oder  Treis 
a.  1 103  und  Trier  im  anfang  des  13.  jh.,  Beyer  1.  G40. 2.  s.  438. 
tnanewerch  terram  dominicalem,  Trier  a.  1100.  Lac.  1.400.  meys- 
uerhc,  spurcehcerhc,  buchyeshildei)  Prüm  a.  1222.  Beyer  1. 153. 
184,  chunt,  chind(er),  chomen,  urchunde  Isenburg  a.  1325,  march 
Bassenheim  a.  1332.  s.  Höfer  2,  00  und  157;  beachte  noch  Beitr.  0. 
383  ff.).  Nach  stanches,  uercho,  smecchcnt  etc.  und  bechcnnent 
etc..  khizze  ist  somit  auch  das  k  (c)  von  stank,  werka,  yethanko, 
snwechest,  thieco  etc.  und  bekennan,  kevese,  kind  etc.  als  zeichen 
für  aspirata  zu  fassen.  Das  fehlen  von  ch  vor  liquida  und  nasal 
weist  auf  nicht  aspiriertes  k  vor  diesen  consonanten  hin  (vgl. 
auch  Beitr.  9, 385  anm.).  Und  die  nämliche  folgerung  ist  für 
unsern  dialekt  geboten  betreffs  des  im  anlaut  vor  dunklem 
betonten  vocal  stehenden  k  (c)  trotz  Chuonrädo,  chunt,  chomen, 
urchunde  der  oben  citierten  Urkunden. 

Ausnahmsweise  findet  sich  c  oder  k  für  postvocalisches  ch 
in  (ye)wehe  10.7.  45.20,  yeliic  10,4.  ic  23.2,  scandlikes  10,20. 
haveko  19,21.  beken  47,  8,  deren  beurteilung  schwierig  ist, 
Liegen  hier  vereinzelte  reste  von  un verschobenem  k  vor  (vgl. 
Tijdschrift  voor  nederl.  lett.  15, 154  ff.)  oder  hat  hier  der  nieder- 
frk.  copist  (s.  unten  §  11  zu  luzzeron)  die  hand  im  spiele  ge- 
habt oder  stehen  am  ende  die  c  ganz  oder  teilweise  durch 
schreibversehen  für  ch? 

Sch  und  sc,  sk  stehen  abwechselnd  vor  hellem  vocal  oder 
daraus  hervorgegangenem  laut:  geeischedon,  schildc,  -en,  dische, 
•es  und  diskes,  yetnisket,  friundsehephe,  yeselskiphe,  yescheythan 
und  underskeithet,  skeythe,  schenchene,  yeschihe,  yeschehan,  schein, 
sch  in  et  und  skinet,  scheyne  und  skeynet,  beschirman  und  beskir- 
man,  Schinna  31, 23  und  skinn,  sehephet,  enzuischan  (vgl. 
§  23),  wasche  etc.  Hingegen  erscheint  kein  sch  vor  dunklem 
vocal  oder  consonanten:  scone,  -a,  -on,  seorenon,  -en,  scouteest, 
senndieh,  scundont,  seuohe,  sctlivest,  -an,  scule,  -en,  -et,  zeltscara, 
scames,  -ent,  scandlichcs,  scadu,  -o,  nacht-,  nayhtscada(n),  yesiTtren, 

l)  Also  da.s  zeichen  ch  in  zweifacher  funetion,  wie  ph  (vgl.  §  4). 
*)  Die  stelle  lantet:  duas  pelles  de  curduano,  qui  burhricshüde  appel- 
luntur. 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


449 


geseriphte  etc.  Hieraus  folgt,  dass  die  afficierung  von  sk  zu 
s  +  spiraus  nur  der  Stellung  vor  hellem  vocal  zukam;  dass 
also  das  seh  in  mennischon  35, 1  (woneben  mennisco,  -sko,  scon) 
aus  der  fleetierten  form  auf  -en  (vgl.  §  36)  stammen  muss;  in 
icascha  auf  anlehnung  an  wasche  (vgl.  §  32),  in  gesehaphot,  -at 
(woneben  yescaphe,  -o,  -eda,  s.  §  57,  mit  sc  =  sch  oder  sk?)  auf 
anlehnung  an  *schephan,  schephet  etc.  beruhen  muss.  Für  disk 
ist  wol  nach  dischcs,  -e  afficierte  ausspräche  anzusetzen.  In 
erleschan,  -scan,  l(i)cskct  (vgl.  §  53  zum  sg.  praes.  ind.)  war  dem 
ersten  beleg  zufolge  die  xc//- ausspräche  auch  vor  dunklen 
endungsvocal  eingedrungen.  Teber  den  lautwert  von  sc  in 
erthisean,  -eseo(n)  lässt  sich  nichts  entscheiden. 

§  8.  Anlautendem,  vor  hellem  vocal  stehendem  g  ist  der 
einige  male  für  die  Schreibung  //  eintretenden  bezeichnung  mit 
i,  gi  oder  ghi  zufolge  (iegen  'gegen'  21,  13,  i  cgi  ran  25, 12,  te 
gievene  47, 12,  ghicwir  'gehen  wir'  00, 14)  palatale  qualität  bei- 
zumessen. 

Inlautend  vor  hellem  vocal  stehendes  spirantisches  g  wird 
z.  t.  durch  g,  z.  t.  durch  gh  dargestellt:  geargerent,  mugen  75. 12, 
gelinge,  -et,  steigerent,  sage  9,  4,  wenige  75,  25.  morghmld,  eyne- 
gemo  17.  18,  einege  70,25,  tvdlegero  20,25,  besigelad,  -at  35.26, 
36,7,  dugetha  35,27  etc.  und  höghe  subst.  10,21,  höghen  adj. 
10.22,  säghet  'sähet*  22,4,  lighe't  20,14  (bei  Hoffmann  falsch 
lighit),  hghent  'flammen'  73,  7,  eineghe  74,  9.  18.  cundeghe  78,  10, 
insighela  72, 18,  dughethen,  -e  15, 10.  70. 10.  Aus  der  Schreibung 
gh  ist  unbedingt  auf  nicht -palatale  ausspräche  zu  schliessen 
(die  übrigens  auch  ohnehin  aus  der  §§  21.  22.  24.  20.  27  er- 
wähnten afficierung  von  -e(-)  durch  vorangehenden  tönenden 
guttural  hervorgeht). 

Zur  bezeichnung  des  in  den  auslaut  tretenden  spirantischen 
(inlautendem  //  gemäss  ebenfalls  als  nicht -palatal  zu  fassen- 
den) g  wird  g  oder  gh  oder  auch,  aber  viel  seltener,  eh  verwant  : 
hough  'hoch'  71,8,  hoogh  55,20  (hierher?),  houg  10,14.  hauch 
10,28.  50,13'),  magh  passim,  mag  19,21,  mach  20,2.  lagh  20, 1, 
hurgh  44,22.  01,26,   bürg  21,28.  31,21,  burgteachtero,  bergh 

x)  hou<j(h),  hnueh  =  agutn  hauyr  (varl.  Noreen.  Abriss  151):  die  oben 
eitierten  höyhe.  -en  mit  aus  jener  form  entnommener  consonanz:  hoogh  ent- 
weder zu  höghe,  -en  tfehüriir  oder  mit  regelrechter  eonsonanz.  wie  höhe 
subst.  32,8.  38,8-  «0,21,  höhen  adj.  33,11.  78,  20. 


450 


VAN  HEIZTEN 


62,21,  druog  'trug',  dagh  32,1.20.  dach  9,6.  20,21,  honlgh 
35,  7.  15,  wlghüs,  uightväphane,  liumhaftig(h)  37, 9.  39, 18,  ge- 
mamghfaldet  45,  5,  armstrangigh ,  getvaldlgh,  unbärigh,  thur- 
gnaJittgh,  ädeligh  76,  23,  eoUlghheho,  städeghheid,  tveinigh  73,  27. 
einigh,  -egh  26.20.  37,21.  54,21.22,  äntgh  59, 18,  ewcc/*  22.22. 
49, 1.  56,  28,  änieh  59,  7,  werthuh  8,  2,  sälich,  ztdceh,  ftizech, 
ungenäthelieh,  gehörsamegheyd  22,  25,  eynraldiyheyd,  frumty- 
beide,  bithcrccgheyd,  mamgslaehtagan  13,7,  ses-,  a#/*/-,  zehan- 
zogh  etc.  Das  war  von  haus  aus  natürlich  etymologische 
Schreibung,  wie  g,  doch  hatte  es  in  der  periode,  woraus 
unsere  hs.  stammt,  diesen  charakter  eingebüsst:  gegenüber 
relativ  seltenem  gh  im  inlaut  (vgl.  oben)  steht  häufiges  gh  im 
auslaut,  und  zwar  infolge  des  umstandes,  dass  gh  auch  als 
zeichen  für  eine  mit  verhältnismässig  schwacher  geräuschstärke 
gesprochene  stimmlose  gutturalspirans  aufgekommen  war  (s. 
unten  §  9).    Wegen  der  Schreibung  eh  s.  a.a.O. 

Ent Wickelung  von  i  aus  g  vor  d  begegnet  in  gebreyde  p. 
prt.  11,5  (vgl.  as.  breydun  'flechten'),  das  die  stelle  von  W.'s 
yebroihta  * gebogen'  vertritt1)  (s.  noch  §  54). 

Die  Verbindung  ny  wird  im  auslaut  meist  etymologisch 
geschrieben:  kuniny,  cuninghch,  gang,  sangleieh,  iungfromcan, 
-oft  etc.,  doch  auch  iunefrouwan,  -on  6,6.  27,23.  50,28.  70,21. 
Wegen  des  wahrscheinlich  als  media  fortis  zu  fassenden  gg  in 
heggehohran,  -on  19. 8. 20  vgl.  Tijdschr.  voor  nederl.  lett.  15. 153. 

§  9.  Altem  h  entsprechende  Spirans  bezeichnen  im  auslaut 
sowie  vor  /  die  Schreibungen  h,  eh  und  gh  (die  letztere  als  die 
üblichste):  gescagh  'geschah'  28, 14.  nogh  passim,  noh(-)  33,  7. 
21.  02,23,  noeh  15,12.  22,1.  thogh  passim.  (hoch  16,15.26.27. 
21,13.16.  22,13.  34.  15.  51,21.23.  54.24.26,  douch  37,18;  die 
imperative  sg.  fliugh  'fliehe',  zieh  'ziehe'; 

hght,  -es  lux,  -eis,  Uhtfaz  (oder  tight,  lihtfaz?  s.  §  19),  liugh- 
tent,  llghto  leviter,  Itht  levis  (vgl.  §  18),  naghtrorghta,  forghtent, 
naght,  -es,  naghtseada,  -drophon,  naehtscadan,  thurg{h)nahtigh. 
veghtan,  -ande,  vuchta{n),  waghtara,  bargwaehtero,  doghter,  doch- 
teran,  dohter,  drohten,  -es,  geslightat,  Ineghta,  knehto,  -flught  53.2, 

')  Beachte  zu  dem  ahd.  verb.  noch  (jebrohta,  brouhia,  -broihta  'beugte1 
W  (XI,  15  bei  Hoffm.,  19.  3  bei  Seeiu.;  ein  paar  ins»,  habeu  hier  die  auch  iui 
LW  erscheinende  lesart  gtbrachta)  und  vgl.  mnl.  brocken  'beugen*  (Mnl. 
wb.  lf  1454). 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  451 


suoghta  22,2.  23.1.  44,15,  moghta,  -e  etc.  und  mochte,  wollte 
(s.  §  00),  machtu  2.sg.  10,4  (zweimal  mit  etymologischer  Schrei- 
bung mögt  10,  22.  25),  waghtiga,  an,  slaghta,  -o,  -e  24,  8.  19. 
31, 25.  46, 22.  76,  5.  slahta,  -e,  -o  35, 27. 28.  36, 13. 23.  24. 20, 28. 
08,11,  slachta,  -en.  -o  11,18.  19,3.  31,2.  43,8.  49,24,  wanig- 
slachtagan  13,  7,  äalaslaghta  56, 11,  bräghta  23.  15,  -bräht  18.  17, 
gebrächta  11.15,  crquihto  71.19,  gethruhian  'gedrückt'  09,20, 
rahta  ' reckte'  42.  20,  recht,  -e,  geri{c)htan,  rihtich  43. 14,  züchte, 
gefühtet,  ambeehtent,  geübte  etc. 

Das  normale  ch  als  zeichen  für  die  aus  k  verschobene 
Spirans  (s.  §  7)  und  die  behufs  darstellung  von  altem  h  im  ver- 
gleich zu  ch  weit  häufiger  verwanten  sehriftzeichen  gh  und  h 
erinnern  an  ph  und  /'  als  zeichen  bez.  für  die  aus  p  verscho- 
bene spirans  und  altes  f.  Auch  bei  den  gutturalen  stimm- 
losen Spiranten  muss  die  verschiedene  Schreibung  mit  verschie- 
dener artieulierung  der  laute  in  Zusammenhang  stehen:  ch 
normales  zeichen  für  den  mit  stärkerer  hemmung  des  luft- 
stroms  und  grösserer  geräuschstärke  gesprochenen  reibelaut; 
für  einen  mit  schwächerer  hemmung  und  geringerer  geräusch- 
stärke hervorgebrachten  fricativlaut  hingegen  in  der  regel  h, 
das  alte  hergebrachte  schriftzeichen,  oder  gh,  das  zunächst 
durch  Schreibertradition  die  tönende  vor  hellem  vocal  stehende 
spirans  darstellte  (vgl.  Kögel,  Anz.fda.  19.223  f.  und  s.  oben  §  8), 
dann  aber,  indem  es  graphisch  mit  ch  in  Verbindung  gebracht 
wurde,  auch  für  die  bezeichnung  einer  in  der  energie  der  hem- 
mung und  in  der  geräuschstärke  dem  durch  ch  dargestellten 
laut  nachstehenden  tonlosen  Spirans  Verwendung  fand.  Die 
seltenen  //  und  gh  statt  normaler  ch  (s.  §  7)  und  die  seltenen 
ch  statt  normaler  gh  und  //  sind  demnach  als  ungenaue  Schrei- 
bungen zu  fassen  (dasselbe  gilt  auch  für  die  seltenen  zur 
bezeichnung  von  in  den  auslaut  tretendem  g  verwanten  ch, 
s.  §  8). 

Anmerkung.  Auffällig  ist  neben  normalem  thuryhi-)  stehendes  thury(-) 
11,15.23.  12,5.27.  14,20.  15,19.  16,  7.  8.  21,9.  22,5.  23.1.  83,  18  f  nie  hin- 
gegen thurh(-)  oder  lhunh(-)\,  dessen  Schreibung  tj  naeh  dem  muster  des 
im  auslaut  mit  yh  wechselnden,  ebenfalls  den  mit  geringerer  geräuseh- 
stärke  gesprochenen  tonlosen  Spiranten  bezeichnenden  g  (s.  §  8)  in 
schwang  kam. 

Verklingen  der  spirans  vor  t  in  tonloser  oder  schwach 
betonter  silbe  ist  zu  ersehliessen  aus  iet,  niet  nihil,  non  (s.  §  2 


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452 


VAN  HELTKK 


zu  tv),  woneben  ieht,  nicht,  ietceht,  nie(u)tvchtes,  deren  ht  nur 
auf  erinnerung  an  die  alte.  darstellende  Schreibung  beruhen 
kann  (bei  nocli  herschender  ausspräche  //  mUssten  neben  nieht 
etc.  auch  nieght  und  weckt  erscheinen). 

Vor  s  steht  nur  //:  vahs,  tvahs  cera.  Der  buchstabe  rührt 
aber  nur  aus  der  alten  Orthographie  her,  denn  aus  thre~x-,  thräx- 
lere  49. 1.  59, 12  (s.  §  18)  ergibt  sich  für  die  alte  Verbindung 
hs  eine  ausspräche  ks.  —  Neben  eesewa  dextra.  getrasduom 
03. 20,  seszogh  finden  sich  mit  ebenfalls  vor  zweifacher  conso- 
nanz  (im  flectierten  p.  prt.  *gitvassn-  für  *gitcah.sn-)  assimilier- 
tem h  (vgl.  Beitr.  7, 193  ff.)  wasset,  -m{t)  creseit,  -unt,  gruassrn 
p.  prt.  (auf  die  Verallgemeinerung  der  formen  ohne  h  wirkte 
wol  auch  das  abstraetum  (jje)wasduom  ein). 

(Gedehntes  h  steht  in  den  neben  nehein  nullus  25. 2.  29, 9. 
37,18.  39,5.  43,20.  44,5.  40,13  etc.  und  nein  70.18  begeg- 
nenden neghein  23.  12.  27.10.  28,3.  33,2  mit  gh  zur  bezeich- 
nung  von  altem  hh  (vgl.  Braune,  Ahd.gr.  §  154  anm.O),  neckein 
33,7.  30.5,  woneben  mit  schwand  von  tu-  (vgl.  Beitr.  0,  559 
anm.)  auch  ehein  27,  7.  33,  0.  04,  8.  71, 1 ')  (dessen  ch  als  zeichen 
für  spirantisches  h  auf  eine  ungewöhnlich  häufige  Verwendung 
der  ungenauen  Schreibung  neckein  schliessen  lässt.  die  wol 
dadurch  veranlasst  wurde,  dass  die  meist  vorkommende  ge- 
dehnte Spirans,  d.h.  die  aus  k  hervorgegangene,  der  durch  eh 
zu  bezeichnende  laut  war).  Zweideutig  sind  näe/tan  32,25, 
genaachat  44.  2:  entweder  mit  eh  als  ungenauer  Schreibung 
für  gedehntes  h  (vgl.  nahhitun  M,  Braunes  Ahd.gr.  §  154  anm.O) 
oder  mit  eh  als  zeichen  für  aspiriertes  k  (vgl.  md.  neken  mit  kk, 
Beitr.  9, 179.  und  beachte  oben  §7). 


')  Für  das  k  des  in  mfrk.  Urkunden  des  U.jh.'s  auftretenden  kein 
(».u.a.  Zs.  fdph.  10,  310)  ist  selbstredend  weder  oberdeutsche  beeintlussung 
uoeli  die  Beitr.  0.  559  für  oberdeutsches  kein  vorgeschlagene  deutung  geltend 
zu  machen.  Die  abnornialitüt  eine»  im  anlaut  stehenden  tonlosen  guttural* 
Spiranten  führte  die  ersetznng  des  lautes  dnreh  verwantea  aspiriertes  k 
(vgl.  §  7)  herbei. 

Fassung  von  neghein  als  —  negein  (vgl.  (hegein,  neieinn  im  Trier,  eapit. 
und  in  sudmfrk.  Urkunden  begegnend«« geint  Zs.fdph.  10,316)  wäre  unratsam: 
erstens  wegen  der  eonstanten  Schreibung  gh  (es  wechselte  gh  als  zeichen 
für  tönende  Spirans  mit  g.  s.  $  bi:  zweitens  weil  es  nicht  wahrscheinlich 
ist,  dass  derselbe  dialekt  dreierlei  bildungen,  mit  hh,  mit  g  und  mit  Aspi- 
rata h,  gekannt  hätte. 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLI  RAM. 


453 


§  10.  Anlautendes  h  vor  liquida.  nasal  und  tv  ist  aus- 
nahmslos geschwunden:  gelathod,  liumunt,  raron  *rabc\  reinen, 
naph  'napf.  neggtt,  teanda,  uelich,  wehes  etc. 

Der  antevocalische  Hauchlaut  fehlt  anlautend  nur  in  uoräre 
moechus  25, 17. 

Im  inlaut  stehen  neben  zweimaligem  seent  (d.  h.  se-ent) 
vident  8.  10. 11  und  reion  capreae.  -is  siho,  -es,  -et,  gesihest,  rcr- 
sehent,  (i/e)sühon,  iehent,  ihihent,  gesehihe.  rohon  vulpes,  höhe, 
-en  (s.  §  8  fussn.),  orerfahent  etc.;  doch  ist  das  h  nur  rest  alter 
Orthographie,  denn  aus  sciltean,  -est,  bethüwan  (s.  §  2)  geht  das 
gänzliche  verklingen  der  aspirata  hervor.  Beachte  noch  berele, 
•volan. 

Auslautende,  für  die  Spirans  eingetretene  (in  der  über- 
lieferten periode  noch  zum  teil  schriftlich  erhaltene)  aspirata 
haben  täroches,  -e,  tenoehhuvele  32, 24  (durch  anlehnung  an 
*ielhan\  eine  deutung  aus  m-hroeh  vertrüge  sich  nicht  mit  der 
den  composita  zukommenden  Silbentrennung)  und  ioh  'auch, 
sogar,  und'  lo\  14.  18,20.21.  29,11.  33,4.19.  55,10.  62.17.  67, 
2. 8  etc.,  nah  'nach'  7,2.  9,27.  17,1.5.  21.4.  23, 1.  28,  10.  30,2. 
36,17.19.  39,28.  56,2.  63,11.  66,18  etc.,  woneben  ausnahms- 
weise mit  spirans  ioffh  22,24.  23.13.  53,17,  ioeh  32,  4.  71,14, 
nüyh  22.23,  muh  18,25.  22,5  (auf  die  hier  vorgetragene  fassung 
führt  berücksichtigung  des  umstandes.  dass,  wo  es  sich  um  die 
darstellung  der  spirans  handelt,  das  zeichen  h  numerisch  be- 
deutend hinter  gh  zurücksteht;  der  hauchlaut  entstand  in  der 
proklitischeu  Verbindung  von  ioh  und  nah  mit  formen,  die  mit 
vocal.  liquida,  nasal  oder  te  anlauteten;  man  beachte  die  auf 
gleichem  wege  entstandenen  ahd.  thur,  dure,  dar,  mhd.  ro,  nä, 
as.  thur(n),  mnd.  dar,  na.  mnl.  dore,  na  und  na,  no  nec).  Auch 
der  imp.  sih  ist  als  (durch  sihen,  -est  etc.  entstandenes)  si  zu 
fassen;  vgl.  durch  anlehnung  an  diesen  imp.  für  sfi-  verwantes 
«-  in  sino  ecce  (gut.  sai  nu,  ahd.  sc  nu)  und  beachte  auch  die 
Schreibung  eh,  gh  in  flrugh,  ztch  (s.  $  9).  Mit  reh-  in  rekkizxon 
32,5.60,18  könnte  re%  gemeint  sein,  wahrscheinlicher  aber 
ist  wegen  des  beide  male  verwanten  schriftzeichens  h  anleh- 
nung an  ein  aus  relies,  -e  entstandenes  simplex  reh. 

Beiträge  aur  geschieht«  der  deutschen  iprache.    XXII.  ;:u 


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454 


VAN  HELTEN 


5.  Die  dentalen  geräuschlaute. 

§  11.  Altem  t  entspricht  mit  ausnähme  der  bekannten 
Verbindungen  (truwa,  bitteremo,  lüttere,  traft  etc.)  z,  zz  (z  wird 
in  der  regel  nach  eonson.,  langem  voc.  oder  diphthong,  zz  nach 
kurzem  betonten  voc.  gesell  rieben;  selten  üzzen  69, 19,  gehiezzer 
0,1,  heizza  8,9.  -faze  73, 9;  einige  male  steht  zh  mit  h  nach 
dem  muster  von  th:  aghtzhogh  53,  8,  unzhin  32,  20,  gezhelt  7.22); 
auch  in  den  passim  begegnenden  pronominalformen  hiz,  tlutz, 
thiz,  was,  alliz,  deren  z  (vgl.  Beitr.  1. 10  f.  Zs.  fdph.  10,  318).  in- 
dem es  keinesfalls  als  residuum  aus  einer  vorläge  zu  fassen 
ist  (s.  oben  §  1),  für  die  mundart  unsrer  Umschreibung  auf  die 
hart  an  das  rheinfränkische  grenzende  zone  des  (in  §  4  aus 
rph,  Iph  <  rp,  Ip  und  der  aspirierten  ausspräche  von  p  und  A* 
erschlossenen)  südmfrk.  Sprachgebietes  hinweist,  d.  h.  auf  den 
von  Lothringen  bis  zum  Westerwald  sich  erstreckenden,  die 
landst riebe,  in  denen  heutiges  tages  die  drei  auslautsverschie- 
bungen  von  was,  korb,  bleib  divergieren,  enthaltenden  grenz- 
district  (vgl.  Anz.  fda.  21,  282.  207.  19,97),  in  den  wir  demnach 
gelegentlich  sich  vorfindende  übcrgangsdialckte  mit  einerseits 
nicht  zu  w  entwickeltem  v:  f  (vgl.  §  6),  andrerseits  zu  z  ver- 
schobenem suffix  des  nom.  acc.  sg.  ntr.  zu  verlegen  berechtigt 
sind.  Dreimal  findet  sich  that  6,16.  23.21.  27,10,  sei  es  als 
dem  ursprünglichen  text  der  Umschreibung  angehörender,  aus 
der  zwischen  that  und  thaz  schwankenden  periode  herrührender 
nachzügler.  sei  es  als  durch  den  gleich  unten  zu  erwähnenden 
niederfrk.  copisten  in  die  überlieferte  hs.  hineingebrachte  nfrk. 
form.  Fürs  übrige  beachte  man  saztan,  gesezzet,  gegrnozet, 
enzuisehan  (nicht  satton  etc.  vgl.  Beitr.  1.  6  und  Tijdschrift 
voor  nederl.  lett.  15, 12)! 

Turtul-  in  turtuldiivan,  puuenton  etc.  mit  plmentdre  etc., 
*arziit  in  arzätwurze,  gearzätant  68,9,  und  tarelon,  getareta 
sind  natürlich  spät  aufgenommene  lehnwörter.  üb  das  t  von 
parte,  -an,  on  sich  aber  aus  jüngerer  ent lehnung  des  Wortes 
herschreibt,  dürfte  fraglich  sein  mit  rücksicht  auf  ostfrk.  phorta 
Tat.  und  puzza  Will.,  pueza  Rb3172,  aus  welch  letzterem  her- 
vorgeht, dass  in  den  anlautendes  p  verschiebenden  dialekten 
die  entwickelung  von  z  aus  t  jüngeren  datums  ist  als  die  ent- 
stehung  von  pf  aus  p  (man  vgl.  auch  wegen  der  relativ  jungen 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


455 


Verschiebung  von  t  MSI)*  s.xm).  Die  sache  verhält  sieh  viel- 
mehr so.  dass  r  folgendes  tautosyllabisches  t  ebenso  vor  Ver- 
schiebung schützte  wie  in  der  anlautenden  Verbindung  tr:  also 
Ursprünglich  *port  bez.  *pfort  nom.  sg..  tlect.  *porza,  *pforza 
etc.,  sowie  Hurt,  flect.  *kurze.s  etc.  (vgl.  curt,  churt  etc.  neben 
ehurz,  kurz,  Braunes  Ahd.  gr.  §  159  anm.  I).1) 

Neben  lüttere  32.  18,  gehdtered  14, 11  erscheinen  auch  luz- 
zeron  47,20,  lutzer  26,  16,  die,  wie  nietzemer  26,  12  (neben 
niet(t)nner,  s.  §  13),  für  die  tiberlieferte  (der  bibliothek  des  Kg- 
monder  klosters  einverleibte!)  hs.  auf  einen  niederfrk.  ab- 
schreiber  schliessen  lassen,  der  in  folge  der  von  ihm  beobach- 
teten durchgängigen  eorrespondenz  zwischen  den  z  (zz)  seiner 
mfrk.  vorläge  und  den  /  der  eigenen  mundart  einige  male  ein 
t  seiner  vorläge  in  z  änderte.  Mit  rücksicht  hierauf  wäre  es 
sogar  denkbar,  dass  der  ui^sprüngliche  text  der  Umschreibung, 
wenn  demselben  in  der  tat  die  soeben  erwähnten  that  an- 
gehören, noch  mehr  thtit-f ormen  enthalten  hätte.  Dass  übrigens 
solchem  abschreiber  andrerseits  mitunter  eine  nfrk.  form  aus 
der  feder  schlüpfen  konnte,  liegt  auf  der  band;  und  wir 
werden  ausser  dem  oben  erwähnten  that  und  gewrocht,  (ge)- 
n  elic  etc.  (?)  (s.  §  3  und  7)  im  laufe  dieser  Untersuchung  noch 
mehreren  formen  begegnen,  für  die  eine  solche  möglichkeit  ins 
auge  zu  fassen  ist. 

Wegen  tt  in  lüttere  s.  oben.  Die  in  Braunes  Ahd.  gr.  §  16 
anm.  3.  4.  5.  6  besprochenen  ei^scheinungen  begegnen  in  unserer 
quelle  nicht:  kein  hl  etc.  für  ht  etc..  kein  dr  für  tr,  keine 
Schreibung  htt,  (tt,  kein  abfall  von  /  in  ht  etc. 

Synkope  von  /  bietet  lussam  (auch  in  W;  wegen  anderer 
belege  für  diese  form  s.  (1 raff  2, 286). 

§  12.  Altem  d  entspricht  d:  dagh,  deil,  dohfvr,  overdrcphet, 
dugetha,  drinlan,  drohtm,  duon,  gebreydet,  behaldon,  lando, 
handc  'bände',  uunda,  u  tde,  Hude,  muoder,  node,  rido,  gebndan, 
getredan,  -da  und  -d-  der  präteritalbildungen  (s.  §  54.  57  ff.), 
-ende  im  p.  praes.,  ulngardon,  tvordo,  -an,  antwarde  etc.  (nicht 
mit  rt,  vgl.  Sievers,  Oxforder  benedictinerregel  s.  xvi  ff.  und 
Braunes  Ahd.  gr.  §  163  anm.  1)  und  bedde,  biddvn,  midden,  midde- 
löthe  (wegen  deren  dd  man  Tijdschrift  voor  nederl.  lett.  15, 153 


')  So  begreift  sich  aueh  das  USD.  1\  240  erwähnte  purce. 

*30 


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456 


VAN  HELTEN 


vergleiche);  besonders  zu  beachten  ist  durch  enklise  des  pron. 
tr  in  den  silbenanlaut  tretendes  d  von  machodir  39, 19,  mugadir 
39,17,  sculedir  41,7.9,  bechennedir  40,6.  Der  conson.  ist  mit 
rücksicht  auf  den  §  4  und  11  erschlossenen  südmittelfrk.  Cha- 
rakter unserer  mundart  und  die  in  anderen  südmfrk.  quellen 
neben  (/  begegnenden  /  (s.  Tijdsehrift  voor  nederl.  lett.  15, 152 
und  vgl.  auch  Jlovestete  neben  Jlovestcde  bei  Lacombl.  1,  252. 
278)  als  media  fortis  zu  fassen. 

Als  ausnahmen  finden  sich  jedoch  corter,  -äre  grex  29,  5. 
7.  12,  getan  4 jäten'  59,25  und  drnte  amico  45,21.22.  52,3.  65,22 
zu  drüt  45, 20. 22.  50,26.  51, 18.  52,6.  71,7  (vgl.  auch  drüt  amica 
10,4,  wo  W  trütin  hat).  Corter,  -äre  weist  sich  durch  hcrd- 
nisse,  -en  9,8.22.27.  10,7  (wo  W  cortäron,  -äre,  -er  hat)  als 
der  mundart  des  umschreiben*  fremdes  wort  aus,  dem  kein 
mfrk.  reflex  mit  d  entsprach.  Für  das  einmalige  getan  wäre 
durch  nachlässigkeit  des  umschreibers  aus  der  vorläge  stehen 
gebliebenes  /  möglich  zu  erachten.  Für  drilte,  drüt  hingegen, 
statt  deren  man  nach  dräden  amica  im  Arnst.  Marl.  226  und 
drilde  im  mfrk.  Legendär  38  (s.  Zs.  fdph.  10, 135)  drnde,  dnuJ 
(drüt)  erwarten  dürfte,  ist  natürlich  eine  solche  fassung  aus- 
geschlossen; ebenso  aber  wäre  hier  mit  rücksicht  auf  das  im 
Isid.,  dem  Ludw.  und  anderen  rheinfrk.  quellen  belegte  material 
(vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  163  anm.  1  und  Pietsch,  Zs.  fdph.  7.  408) 
entlehnung  einer  form  mit  tonlosem  inlautendem  dental  aus  dem 
benachbarten  rheinfrk.  undenkbar;  es  bleibt  demnach  m.  e.  nur 
einer  annähme  räum,  nach  welcher  das  nomen  als  ein  in  der 
mundart  der  Umschreibung  nicht  übliches  wort  aus  der  vor- 
läge ungeändert  in  den  umgeschriebenen  text  eingetragen 
wäre  (wegen  der  hier  postulierten  ostfrk.  formen  vgl.  dritte, 
drüt  in  der  Trierer  hs.  des  \\  llliram,  s.  Graft  5, 472). 

Für  in  den  auslaut  tretendes  (/  wird  meist  die  etymolo- 
gische, selten  die  phonetische  Schreibung  (t)  verwant:  krüd, 
morginröd,  ziid,  stad,  read,  -heyd  (s.  §  19),  word,  hoyted  Caput, 
stand  imp.,  gcwald,  wcreldllehe,  hindkalvo,  herdnisse,  seand- 
tikes,  stüdlicho,  aädstank  etc.;  doch  got  11,  14  (auch  gott  27,20, 
Wie  quiitt  26, 22,  iss  1  ist'  24.9.21,  wiss  'sei'  21,6).  linmunt, 
t/ulsent,  stuont  43,9,  uoledät  51,  27,  gezhelt  7,22,  hintkalro  u.a.: 
bei  den  personalendungen  bilden  aber  -et,  -ot  3.  sg.  und  2.  pl.  und 
beim  suffix  des  p.  prt.  -et,  -ot  die  regel,  -ed,  -od  die  ausnähme 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  457 


(verthrüzed  15.1,  ligml  11,25,  Wertked  14,28.  griphed  14,  27, 
rirephed  15,14,  berid  13,  12,  ifctf  24,  11,  getvared  20, 27.  rouferf 
15,  18,  anavinged  14T  22  u.  ä.,  geelred  11, 1,  ungeerid  13,  11, 
lathod  10,11,  eruarmed  44,12  u.  ä.,  vgl.  noch  §  54.  57.  58); 
ebenso  meist  m/7,  seltener  mit/  (s.  §  13);  in  der  3.  pl  immer 
sint,  -et»/,  -an/,  -oh/;  ebenso  stets  im/-  (s.  §  1). 

Synkope  von  d  begegnet  in  anluzza  19, 26. 28,  woneben 
nndivarde  praesentia,  *andwurde  responsa  (s.  §  30)  und  geant- 
f'ristet  'erklärt'  31, 10  (wahrscheinlich  dem  umschreiber  fremdes 
wort;  an  der  andern  stelle,  wo  W  das  verbum  hat,  12,4,  bietet 
LW  eine  lücke). 

§  13.  Altes  th  bleibt  (bez.  als  tonloser  und  tönender  con- 
son.)  erhalten  im  an-,  in-  und  auslaut,  ausser  nach  /,  n,  wo  es  zu 
d  bez.  im  auslaut  /  wird  (hier  jedoch  immer  etymologisch  durch 
d  dargestellt),  und  bei  enklitischer  Verbindung  nach  s,  t  und  z, 
wo  es  als  /  erscheint:  ther,  thanne,  thancan,  bethemphet,  thenke, 
thih'nt,  thin,  thich,  thorphon,  thurfl,  gethrät,  thicco,  uinthriivo, 
thuinget,  cthele,  bilethe,  leythes,  genätha,  beithe,  iveythe,  tcither, 
icerthin,  erthesco,  -on,  -iscan,  skeythe,  bitlicrve,  lithan,  gesithele, 
other,  vorther  on,  niith,  dooth,  leith  'leid'  und  'litt',  sneith 
'schnitt',  etc.; 

hold,  -cm,  hulde,  veld,  veldbluome,  tvaldholz,  gold,  -e,  tvildes- 
httd  7,  25,  wundes,  fand,  kündet,  -i  nt,  cundeghe,  -an  78,  10.  14, 
ander,  künde  opt.  prt.,  begunda,  begonda,  -an,  nendet,  mendet, 
-ent  (in  rund,  rindan  ist  das  d  zweideutig); 

lemostu  09. 10,  leystestu,  {gejsihestu  etc.  (vgl.  auch  -st  2.sg.), 
thcste  11,15.  12,27.  27,20.  39,11.  41,22  etc.  (mit  etymologi- 
scher Schreibung  auch  sihes  thu  17,3,  thes  the  11.23.  45,27), 
bist(t)u,  macktu  (mit  etymol.  Schreibung  magt  thu  19.  22,  scalt 
thu),  (n)ict{t)cmer  13, 18.  55,26.  56,20.  59, 14.  60,3.  73,8  (wegen 
nietzemer  26, 12  vgl.  oben  §  11),  thojs  tu  68,25  (nach  spirans  h 
bleibt  th,  no(g)hthanne  22,  11.  62,23).  . 

Zweimal  ist  d  aus  der  vorläge  stehen  geblieben,  nämlich 
in  behüdan  (Schreibfehler  für  bedühan,  s.  §  2)  und  drahent 
'duften'  48,  7  (mhd.  drahen),  in  letzterem  vielleicht  (wie  das  / 
in  cor  täte,  -er  und  dratv,  drut,  vgl.  §  12)  in  folge  des  umstandes, 
dass  dieses  wort  dem  dialekt  des  nmschreibers  fremd  war. 

Von  den  formen  mit  th  beanspruchen  besondere  erwäh- 
nung: 


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458 


VAN  HELTEN 


lampreijthe  muraenae  (s.  §  27  anm.)  und  Davithes,  30.  27. 
31,9.10.  über  deren  auf  rom.-lat.  ff  zurückgehendem  th  mau 
Zs.  frph.  20, 322  vergleiche. 

iväthelich  formosa  7.  21  mit  wäthltcho  subst.  8,  2,  iväthe- 
llckeyt  10,  2  und  umvatheluhv  deformes  7.  25  mit  ursprünglicher 
consonanz  (?)  gegenüber  den  an  ivat  angelehnten  (?)  ahd.  bil- 
dungen  (un)uattich  (s.  Graff  1,  743  und  beachte  iväthlich  im  W 
mss.  H  y  nach  Seemüller  9,  2  var.  sowie  unwahtlth  Gh.  3,  un- 
wadlth  gl.  K,  Ka);  die  neben  mid  11, 1.  6.  8.  14,  IG.  17. 25.  15,  4. 
17, 18,  mit  6, 10. 17.  13,  7.  26,  7.  28, 15.  31, 16.  32, 3. 15.  34?  20. 
39,15.16  etc.,  mide  11,18.  20,6.  27,26.  30,10.  39,17.  54.4 
begegnenden  müh  7,26.27.  8,13.  9,9.20.  11,16.  12,6.  13.6. 
16, 18.  19,  23.  24, 16. 19  etc.  (auch  in  mit  themo,  mit  then,  th^ro, 
mit  Mm«w  6, 1.6. 11.  7,4.  35,18.  38,19.  45,2.  74,7  mit  t  th  = 
th  th?),  mithe  38, 15,  mithewiste,  -wäre,  -ivura  52, 10.  14.  19  (vgl. 
wegen  solcher  doppelformen  aofries.  mithi,  -e,  mith  neben  selte- 
neren  mit,  mi  t,  Aofries.  gr.  s.  97). 

Gedehntes,  der  Schreibung  tth  gemäss  als  tonlos  zu  fassen- 
des th  steht  in  mitthon  78, 16  (vgl.  Braunes  Ahd. gl*.  §  167  anm.  10) 
und  gitthetvanne,  gitthesivilcharo  (s.  §  2  zu  j). 

Synkope  von  ///  findet  sich  in  qtut,  quiit  6, 8.  7, 13.  10. 3. 
16,5.18.  18,15.  19,5  etc.  (daneben  quithes  7,14.  12,21  und 
wirihet,  werthet.  -ed,  s.  §  53). 

§  14.  In  betreff  des  g  sind  nur  r  für  *  in  den  pronominal- 
formen thirro  (vgl.  Hraunes  Ahd.  gr.  §  288  anm.  1  und  s.  unten 
§  50)  und  die  Schreibung  z  statt  s  in  vorv  thcz  17,  16  und  vor- 
kuze  (s.  §  28)  zu  erwähnen. 

II.  Die  vocale  und  diphthonge  der  Stammsilben. 

1.  Dio  kurzen  vocale. 

§  15.  Altes  nicht  zu  «  gewordenes  o  (  indog.  o,  vgl.  IF. 
3,277.  5,  182)  bieten  ioh,  togh,  ioch  (s.  §  10,  got.jah)  und  vom 
24,  7.  8.  29,  8.  27.  30,  23.  32,  8.  35,  28.  37, 19.  38,23.  39,5.  41, 19. 
43, 27.  45, 16. 17.  20, 23.  46,  2.  6.  53, 1  und  noch  passim  bis  zum 
ende  des  denkmals,  von  27, 14,23.  48,6.  54,10.11.  55,25.59,24. 
26.  73,18.  75.3.  78,15  (woneben  rane  7,4.20.  10.5.  14,11. 
17,12.  22,6.9,  vana  14,6,  vano  6,  14.  15.  8,26,  van  passim  von 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  459 


s.  6— 25,  von  da  an  mir  noch  44, 11.  51, 12).  [Auffällig  ist  die 
Verteilung  dieser  van  etc.  und  von  etc.  über  unsere  quelle. 
Vgl.  auch  das  Verhältnis  von  suester,  -a  34,  3. 6. 16.  35, 25. 
40,5.  41,27.  42,2.  40,26  zu  suster  73,27.  74,5,  von  sielan 
6, 16.  14, 20.  15, 14.  27, 15. 28.  45,  13  zu  sela,  -an  44, 9.  50, 28. 
53,14.  70,24,  von  vano,  a,  van,  vone  thiu  6,15.  14,6.  16,20. 
30,4.  32,8.  35,28.  37,19  und  rane  then  7,4  zu  von(e)  thannon 
27,  14.  60,  21,  von(e)  thannon  46,  20.  53,  24.  57, 9.  58,  16.  61,  7. 
63,16.  64,9.  76,15.  78,14,  vone  (Hannen  75,13  (in  W  überall, 
mit  ausnähme  von  vone  diu  6, 15,  von(c)  dannan,  -en).  M.  e. 
dürfte  man  hieraus  auf  die  arbeit  zweier  umschreiber  schliessen, 
von  denen  der  eine,  der  die  erste  hälfte  der  transscription  bis 
nach  45, 13  (sielan)  in  Hoffmanns  ausgäbe  (etwa  bis  §  85  incl.) 
verfasste,  seinem  Sprachgebrauch  gemäss  suester,  sielan,  van 
etc.  neben  von(e)  schrieb  und  von(e)  dannan,  -en  seiner  vor- 
läge durch  vano  etc.  thiu  ersetzte  [sela  44,  9,  von  thannon  27, 14 
wären  dann  als  residua  aus  der  vorläge  zu  fassen),  der  andere 
als  Verfasser  des  übrigen  teils  ebenfalls  seinem  Sprachgebrauch 
gemäss  die  formen  suster,  selan,  von{e)f  von(e)  thannon,  -on,  -en 
verwante  (suester  46,  26  residuum,  van  51, 12  Schreibfehler  oder 
aus  der  feder  des  nfrk.  copisten,  vgl.  §  11  zu  luzzeron  etc.)].1) 

Der  umlaut  von  a  fehlt: 
in  gegarewet  p.  prt.  (vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  27  anm.  2a; 
natürlich  auch  im  synkopierten  prt,  garoda);  in  skarphe 
•strenge',  andwarde  praesentia  (*-bildung),  harde  unflect.  form 
des  adj.  73,3,  verwardet  corrupta  71,20  (vgl.  W  verwartit  und 
verwertit,  Graff  1, 958).  thurghnahtiga,  maghtlga,  -an  niit  asso- 
ciativer  entwickelung  (harde  durch  compromiss  aus  *hard  und 
*herde  —  ahd.  hart,  herti;  verwardet  durch  beeinflussung  von 
seilen  der  synkopierten  form  *-ward,  vgl.  unferwarte  etc.  bei 
Graff  a.a.o.)  und  martero  mit  auf  späte,  nach  der  umlauts- 
wirkung  erfolgte  entlehnung  hinweisendem  a;  wegen  un- 
gestörten umlauts  vor  r- Verbindung  und  eht  beachte  riuchgerda 
24,  7,  gesterchent  trans.,  geverda  50,  7,  ambeehtent,  -ant\ 


')  Denkbar  wäre  es  indessen  auch,  das«  sieh  die  arbeit  des  ernten 
umschreiben  noch  weiter,  bis  irgendwo  vor  50,  28  (wo  »Hau  steht),  erstreckt 
hätte,  in  welchem  fall  vone  thannan  4tf,  20,  nicht  aber  suester  4»>,  20  aus 
der  vorläge  stammen  müsste. 


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•100 


VAN  IIELTKN 


in  eynvaldlghcyrf,  gewaldlgh,  linmhaftig(h),  armstrangigh 
manu  fortis  31.11  (vgl.  sträng  72, 21),  getavela  und  gegaihema 
(s.  §  30)  durch  anlehnung;  auch  in  taste  (?  vgl.  §  41  zum  nom. 
sg.  fem.); 

in  maniga,  -er  etc.  und  gcmamghfatdet,  mantgslaehtagan  mit 
-!#(-)  für  -c//(-)  (s.  §  27;  daneben  das  abstractum  meniga,  -e 
mit  -f<y-  für  -ig-); 

in  samftero  (s.  §  44  am  schluss); 

im  durchstehenden  anr/c  'und'  (W  mw<c,  unde),  wo  die  ton- 
lose ausspräche  den  umlaut  verhinderte. 

Wegen  ganga,  wände,  hande  etc.  lieben  crefte;  dragat,  teasset 
neben  verid  etc.  s.  §  33.  34.  53. 

Remerkenswert  ist  noch  der  adverbialcompar.  bez  52.  11 
mit  associativ  gebildetem  umlaut,  wie  bet  des  Monac.  und  mnl. 
mud.  bet.    Wegen  enw  in  nennen  etc.  s.  §  2  zu  w. 

§  1(3.  In  der  en-  bez.  proklise  entstandenes  e  aus  t  be- 
gegnet in  den  pronominalbildungen  her  (neben  hiz),  -es,  herip) 
gen.  pl.  (neben  hiro),  wer  (neben  mir,  thir)  (*.  §  40.  47  und  vgl. 
§  18  zu  t).  den  Präpositionen  ze  (nie  zi\  he  in  bethiu  8,2.  10.21 
(woneben  bi  then,  thero)  und  der  negativen  partikel  ne  (wo- 
neben selteneres  ni  10.4.  26, 13.  20, 17.  27,  17.  18.  28,  10.  36,5. 
47,0.  59,0.  12.  14.  01.22.  72,0  etc.).  Ebenfalls  durch  schwachen 
ton  entwickeltes  e  haben  ieweht,  nie(u)wehtes,  woneben  mit  Syn- 
kope ieht,  nieht,  iet,  niet  (s.  §  2). 

Neben  stimma  18,  10.  77,  20.  20. 28  findet  sich  stemmu  10,25. 
15,20.  19,26.  31,9.  41.  20.  01,4. 

Durch  anlehnong  entwickeltes  c  erscheint  in  erquekkeda 
(s.  §  54)  und  ungewedere  18,2  (woneben  gewidere  18,5).  herdon 
(1.  herdo,  8.  §  30)  pastorum  (nach  *herda  Bierde',  vgl.  herdnissc, 
-en,  §  32),  ertheseo,  -on,  -iscan,  werthwh  8.2  (neben  tvirthegaro); 
vgl.  wejren  phonetischer  erhalt ung  von  /  vor  r  irre  adj..  (ge)- 
irren,  -e,  -cd,  -edan,  wirehe,  -et,  -ont,  wirthet  (s.  §  53),  skirm, 
sehirmo,  beskirman,  -ent.  Neben  letzteren  formen  stellt  beskier- 
mes  0, 12  mit  ie  als  vereinzelter  bezeichnung  des  vor  rm  zu  ic 
gebrochenen  lautes. 

Durch  anlehnung  entstandenes  /'  haben  rieht  64,3  und  ana- 
sihen,  ergirun  IL  s.w.  (s.  $  53). 

Durch  anlehnung  an  warn  'wohin'  51.0.10.14  und  thare 
'dahin1  21,21  entstand  harn  'hierher'  11,4.  50,1  für  *hera 


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ZUR  SPRACHE  DER  LEIDENER  WILLIRAM.  461 


(vgl.  das  bei  Graff  4,694  aus  Notker,  Tat.  und  Rc.  citierte 
hara,  -e). 

Wegen  suster  (mit  m  durch  *icn  aus  *«•/;  beachte  auch 
suster  in  den  jüngeren  mfrk.  quellen.  Weinhold,  Mhd.  gr.  §  50) 
und  suester  ist  §  15  zu  vergleichen. 

Wegen  lc(u)won  s.  §  2  zu  u\ 

§  17.  Zu  u  und  o  weise  ich  im  vorübergehen  auf  thor- 
nlna,  -an,  forghUnt,  tcunot  11,22,  begonda,  -an  und  begunda, 
kimile  opt.  prt.,  worphe  (s.  §  53)  und  drohtin,  -es  (vgl.  IF.  5, 187 ; 
oder  liegt  hier  sowie  in  ahd.  trohtin,  as.  drohtin  nach  Kluges 
Vermutung  eine  form  mit  o  aus  au  vor?)  Sonst  ist  noch  zu 
achten  auf  neben  gold,  -e  37,  20.  46, 17.  21,  goldfazc  37, 19,  hold, 
■vn  vorkommendes  guold  26, 10,  dessen  uo  auf  gebrochene,  aus- 
nahmsweise in  der  schritt  dargestellte  ausspräche  von  o  vor  Id 
hinweist;  auf  neben  cumftigh,  ecrnumst  erscheinendes  cuomst 
6, 2,  mit  wo  als  residuum  aus  der  vorläge  (vgl.  c(h)iwnß  nach 
Graff  4.  675  in  der  Bresl.,  Ebersb.,  Kremsmünst.  und  Stuttg.  hs.) 
oder  als  bezeichnung  von  einheimischer  brechung  vor  mst  (und 
mft?)]  auf  neben  normalem  thogh,  (hoch  (s.  §  8)  begegnendes 
thach  7, 27.  8, 2,  das  auf  rechnung  des  nfrk.  abschreibei-s  (vgl. 
§  11  zu  luzzeron  etc.)  zu  stellen  ist  (beachte  das  vereinzelt  in 
mnl.  denkmälern  begegnende  dach,  Mnl.  wb.  2, 12). 

Für  W's  sineucHlc)  'rund"  hat  LW  48,27.  40,8  sinowoldc 
(flect.)  als  verbaladj.  nach  art  von  zoraht,  tcunt  etc.  (s.  Kluge, 
Nomin.  stammbild.  §  222  f.  und  vgl.  bei  Lexer  aus  Diefenbachs 
Gloss.  citiertes  nd.  sin-,  scnewolt).  Ob  das  o  des  inf.  bcwollan 
•beflecken'  42,  16  Schreibfehler  ist  oder  wirkliches  o  aus  t; 
repräsentiert,  mag  ich  nicht  entscheiden. 

Zur  bezeichnung  von  m  begegnet  /  in  gcknisvdon  collisa 
38.20  (auch  in  der  Ebersb.  hs.  geknisiton  nach  Hoffmanns  glossar 
und  Graff  4,  574),  p.  prt.  zu  *knussan,  und  thinkct  'dünkt'  55,21 
(sonst  m  in  thunket  55,  23.  56, 1.  3.  scandont,  scundich,  tviroch- 
hutrle  32,  24,  verfullvnv,  gelinget,  hulde  etc.). 

2.  Die  langem  vocale. 

§  18.  Die  länge  des  vocals  wird  durch  doppelschreibung 
bezeichnet:  seaaph  9.5,  gemaazot  10,11.  daaden  17.22,  raadu 
30,2,  meer  11, 14.  12,27,  verlieh 12.  21.  geet  20.  5,  geent  29, 18, 
sii  15,10,  ßigboum  18,17,  wida  12,26,  geliivhon  15,18,  nood 


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462 


VAN  HELTEN 


8,9,  scoomi  17,10.12,  verloosda  10,14,  suule  25,28,  verfuulel 
26, 18  etc. 

Kürzung  der  langen  Quantität  zur  halblangen  (die  ich 
durch  w  bezeichne)  in  UM  levis,  IfgMo  adv.,  bräghia  etc.,  ge- 
ßhtct  ist  zu  folgern  aus  threjclere  (s.  unten  zu  «). 

Aus  durch  die  Schreibung  oy  erwiesenem  umlaut  von  ou 
(s.  §  19)  ergibt  sich,  dass  auch  bei  langem  vocal  sich  der- 
selbe process  vollzogen  hatte.  Bezeichnet  wird  solche  afficie- 
rung  von  a  jedoch  nicht:  maara  'rede(n)'  dat.  sg.  und  acc.  pL, 
maara  fama,  sälieh  9,11.  tgon,  -igosta(n),  änieh,  -igh  59,7.18, 
unbangh,  stüdeghhcid  (vgl.  §  27).  mürthc  (s.  §  81),  gesprüche, 
gebare,  gethrätenaph  (s.  §  41  zum  nom.  sg.  dl),  thradc,  -a,  -on 
'schnell',  mitheware,  -a  'sanft'. 

Doch  findet  sich  auch  threxlere  49, 1  (s.  §  9  zu  hs\  die  en- 
dung  des  nomens  geht  zurück  auf  das  doppelsuffix  -il~ari\  vgl. 
n\id.  drähsel,  trähsil  Drechsler ');  aber  eben  aus  der  Schreibung 
mit  e  folgt  ,  dass  hier  der  vor  j?  (hs)  stehende  vocal  seine  alte 
quantität  eingebüsst  hatte  und  zu  einem  sich  dem  e  aus  a 
nähernden  halblangen  laute  geworden  war,  der  übrigens  wegen 
solcher  Quantität  ebensogut  noch  durch  die  alte  Schreibung  a 
in  thraxlvre  59,  12  dargestellt  werden  konnte  (also  thrfix-,  thräx- 
lere).  Nicht  zu  bestimmen  ist  der  lautwert  von  a  in  trade 
(s.  §  34  zum  gen.  pl.),  wig{g)ewaphene  (regelrechtes  ä  oder  ä 
durch  anlehnung  an  *wüphan?).  geweidet  (s.  g  58  am  schluss), 
waie,  -et  (etwa  mit  ä  aus  den  /-losen  formen?),  wäre,  -a,  -an 
und  dade,  -a  opt.  (s.  §  5b".  Ol),  teanda  prt.  (regelrechte«  ä  oder  ä 
durch  aulehnung  an  *wänen?).  W  egen  -däda,  -e  s.  §  34.  Nächan 
inf.  und  genaaehat  (s.  §  9  am  schluss)  sind  mit  a  anzusetzen, 
das,  wenn  eh  k  ist,  aus  den  synkopierten  flexionsbildungen 
stammt,  wenn  eh  gedehnte  Spirans  bezeichnet,  auf  die  rech- 
nung  von*  umlauthindernder  einwirkung  dieser  consonanz  zu 
stellen  ist. 

Altes  r2  erscheint  als  ie:  f  lerer,  gehiez,  gieng,  ziere  adj. 
52,15.  03,19.21,  gezieret  33,  10.  04,11  (woneben  gejfired,  -et 
11,1.  27,20.  59,2,  ziret,-ent  35,20.  13,8,  htdsziretha, -c  mit  / 
=  dem  vocal  von  as.  ags.  tir  honor). 

Neben  wir  (aus  *wir)  und  ir  (aus  *ir  für  *jiz  statt  *juz 
—  got.jus)  stehen  durch  Schwächung  entstandene  wer,  er  (s.  §  46 
und  vgl.  mer,  ij  10). 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  463 

Aussprache  von  ?  als  /  -h  nachschlagendem  überkurzem  e 
vor  heterosyllabischem  ch  ist  zu  folgern  aus  der  sporadischen 
Schreibung  ie  in  wiechet,  -e,  cn  cedit,  -at,  -aut  32,21  und  2. 
20,  22,  woneben  wichan  51, 10  und  richon  divitibus,  himclrichc, 
liichcnt,  misliiche,  hcho,  geliichon  15, 18.  70,  26,  bcsuichct  25, 25 
mit  i,  ii  zur  bezeichnung  des  nämlichen  lautes. 

Statt  des  normalen  uo  (in  zuo,  stuol,  bluoyes,  -e,  blttoth 
'blute',  muozan,  ruom,  muode  animo,  bluodes,  -e  sanguinis,  -e, 
yruoicnt  35.  28,  bruothera,  wunder,  stuont,  buochon  libris,  suona, 
suonerc  etc.)  stehen  oo,  o  in  röwcs  '  ruhest  *  9.  5  (neben  ruotvan 
20,1,  yeruowet  12,26,  ruowon,  -an  'ruhe'),  yebloonud  'geblümt' 
12,25  (neben  bluome  etc.,  s.  §37  am  schluss),  döt  imp.  27,24, 
döwir  (neben  duowir,  dünn,  duost  etc.,  s.  §  62),  behoodan  'be- 
hüten' 8, 24,  hoodere  'hüter'  8,  22,  mürhödelii  'mauerhüter'  44,23 
(neben  (be)huoden,  -et,  -ent  44,  27.  76, 16. 27.  77,  8  und  hbdan 
10,  6  mit  b  als  zeichen  für  tio,  wie  in  moder  23,  14  und  rbd, 
s.  §10zuö),  goodan  14,21,  gödero  31,26.  37,9  (neben  yuod, 
y uode$,  -e,  -en,  -ero  passim,  yuod,  -es  subst.),  und  zwar  als  ge- 
legentliche Schreibungen  zur  darstellung  von  unter  bestimmter 
bedingung  (in  offener  silbe?)  aus  uo  entwickeltem  geschlos- 
senen ö  (vielleicht  mit  nachschlagendem  überkurzen  o«  oder 
ähnlichem  laute;  wegen  der  ent  Wickelung  von  uo  zu  der- 
artigem laute  im  mfrk.  vgl.  Wcinhokl.  Mhd.  gr.  §  141  ff.).  In- 
wiefern die  überlieferten  uo  (den  geschlossener  silbe  eigentlich 
zukommenden)  diphthong  bezeichnen  sollen  oder  nur  noch  reste 
der  alten  Orthographie  sind,  lässt  sich  natürlich  nicht  er- 
mitteln. Mit  suör  schwur'  17,  16  kann  selbstredend  sieuor 
gemeint  sein. 

In  der  proklise  gekürztes  o  hat  ausser  tho  •als'  auch  zo 
•zu'  24,16.  26,18. 

Der  nach  hoyved  etc.  (s.  §  19)  anzunehmende  umlaut  von 
uo  wird  in  der  schrift  nicht  bezeichnet:  suoze,  -en  etc.,  suoze 
subst.,  yemuozcyan,  -at  (vgl.  §  27),  muothe  'müde',  muotheda 
•wurde  müde',  yruonent,  beenuodelet  •ertönt',  woste  'wüste1  (mit 
wo  als  Schreibung  für  wuo),  yefuore.  Nicht  ermittelbar  ist 
demnach  der  lautwert  von  uo  in  n(u)oyat,  -en  'fügt,  fügen' 
(mit  u[u]o  für  ruo,  vgl.  §  6),  geyruozet,  suochun,  •en,  -ent  etc., 
machest  (mit  regelrechtem  oder  mit  aus  dem  prt.  und  [flectier- 
temj  p.  prt.  entlehnten  laute?)  für  huoden  etc.,  s.  oben,  ist  wegen 


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404 


VAN  HELTEN 


behoodan  etc.  letzteres  als  feststehend  zu.  betrachten),  bluoyent 
etc..  -flnoiende,  gruoient  (s.  §  2  und  vgl.  oben  zu  träte,  -et). 

Aussprache  von  ti  als  ti  nachschlagendem  überkurzem  o 
vor  m  ergibt  sich  aus  der  Schreibung  uo  in  ruom  4 räum'  28. 3. 
Vor  ic  wird  «  zu  (vgl.  auch  rouwon  4 reue',  §  19  zu  in)  in 
bo(u)west,  -et  habitas.  -at  27, 24.  77, 18,  botrunde  (1.  bo wende, 
s.  g  55  zum  p.  praes.):  annähme  von  diphthongierung  vor  vocal 
wird  verboten  durch  das  t  in  viande,  -an,  und  es  ist  demnach 
das  w  dieser  formen  nicht  als  hiatusfüllender,  sondern  als  im 
verbum  purum  zwischen  wurzel-  und  endungsvocal  entstan- 
dener laut  zu  fassen.  Sonst  findet  sich  ü  oder  uu:  back,  ge- 
bruchan,  uighüs,  -e,  milra,  leinthrüro,  brad,  verfuulet  (wegen 
drtit,  -e  s.  g  12). 

Umlaut  von  ü  liegt  sicher  vor  in  crüee,  -es,  gecrilciget, 
dragon  siccis  49,24  (vgl.  ags.  drfae);  möglicherweise  auch  in 
hüscro  domuum,  suule,  -cm,  uildcshuda  7,  25,  verthriteed,  -et 
(s.  §  58),  bethauan  (s.  g  2  zu  w),  gefühtet  36, 4  (wegen  ti  vgl. 
am  anfang  dieses  g),  thusent,  -endon  (ii  durch  *-int,  vgl.  §  22 
zu       oder  u  aus  der  nebenform  *thüsunt?). 

Gekürzten  vocal  haben  lüttere,  geluttered  etc.  (s.  g  11). 

3.  Die  diphthonge. 

§  19.    Für  ei  steht  c  in  ädeltgh  *  verlustig'  76,23  (W  tf/e/- 
-te),  heyderhed  18,3;   vgl.  auch  noch  smvtheliehon  blan- 
dientibus  39,  15  (W  smehltehen  und  smcichltchcn),  das  wahr- 
scheinlich aus  smeeheltehon  verderbt  ist.    »Sonst  findet  sich  ei: 
tfetf,  -A^yrfe  10,  2.  28.  1 1,  23.  12,  5.  27.  14,  22.  20, 25.  25,  9. 

71, 14.  73, 19,  steigerent  (W  stegerent),  eygene,  breyd,  leynrt, 
neyget,  nrigande  71,7,  meihi,  geregnet,  reychenes  etc.  Speciell 
zu  beachten  ist  weintgh,  weynega,  -a,  -az,  -on  (nie  mit  c). 

Wegen  seh,  -an  und  sielan  s.  g  15  und  vgl.  Beitr.  20,  508. 
Neben  er,  era,  eerlteh,  eeront,  leret,  lerda,  lera,  heran,  -et,  ge-, 
bekeret  etc.,  seredan,  geseeret  begegnendes  bekierent  34, 1  weist 
auf  eine  (in  der  regel  nicht  schriftlich  dargestellte)  afficierung 
von  e  vor  r  hin  (vgl.  gelierot  in  den  amfrk.  Ps.  2,  10  und  be- 
achte die  in  Weinholds  Mhd.  gr.  g  99  aufgeführten  belege  für 
i  vor  r  aus  c). 

Statt  ö  (aus  au)  begegnet  uo  in  gruoz  'gross'  64,  4  und 
ruod,  -en,  -ero,  -e,  -on  'rot'  26,28.  30,17.  36,12.  37,28.  66,19. 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


465 


69,20,  rbd  40,2  (wegen  6  vgl.  §  18  zu  uo),  ntode  'röte'  36,  18, 
woneben  röda,  -on  adj.  30,  7.  50,  13,  m/c  subst.  30.  9.  24,  mor- 
ginröd  55, 15  und  döden,  -on  adj.  38,  14.  49,23,  nöde  neeessitati 
22.  23  ((Hier  mit  ü'?);  hieraus  Iftsst  sich  auf  ent Wickelung  von 
wo  bez.  erhaltung  von  ö  vor  d  (/)  und  z  schliefen  (ob  uo  vor 
tauto-,  o  vor  heterosyllabiseher  consonanz  oder  umgekehrt,  ist 
nicht  zu  ermitteln).  Sonst  ö  in  dooth,  -es,  a,  sldphlöson,  öron, 
lönes,  nood. 

rmgelauteter  vocal  ist  anzunehmen  für  bröthe  fragilitatis. 
genödo  (s.  §  32),  sröne  adj.,  seöne  subst.;  möglich  ist  derselbe 
zu  erachten  für  boosliches  (man  beachte  aber  aofries.  häs,  mnl. 
boos,  die  auf  einen  «  stamm  hinweisen,  s.  Aofries.  gr.  $  295b), 
(ge)kose  (doch  könnte  hier  auch  anlehnung  an  *köson  ahd. 
kösön  vorliegen),  hoghe  und  hohe  subst.  (vgl.  §  32),  loosm,  er-, 
rerloosda,  -et,  nöde  (s.  oben);  für  das  /-abstractum  rüde  ist 
wegen  ruode  (s.  oben)  nichtumgelauteter  vocal  für  wahrschein- 
lich zu  halten. 

Im  gegensatz  zu  den  ostfrk.  Williramhss.,  die  oi  nicht 
nur  in  hoibet,  toigene  secreta,  erfloiget  'erschreckt',  oige,  ent 
'zeige,  -en'.  oigte  'zeigte',  zoige  'zeige',  geloibon,  -an  recedo, 
-ere  (s.  W  und  Graff  i.  voce),  sondern  auch  in  gcloihen  ridis,  -i, 
troif  'stillavit,  toiwes ?  roris,  oigen, -on  *  äugen',  uiroiehes,  toi  Jon 
curremus  (s.  W  und  ( i raff)  bieten,  findet  sich  im  L\V  diese 
Schreibung  nur  in  den  formen  mit  altem  /  oder  j  in  der  en- 
dung;  hogved,  -e,  doyeh{e)ne  (s.  §  7),  erfhigat.  zogga  19.20.  Die 
hieraus  hervorgehende  folgerung  liegt  auf  der  band:  das  nach 
den  W.-hss.  auch  für  die  vorläge  der  Umschreibung  anzuneh- 
mende zeichen  oi  fand  in  letzterer  Verwendung1),  jedoch  nur 
behufs  darstellung  von  umgelautet  ein  ou:  sonst  wurde  on  ge- 
schrieben in  (gt)touran,  -on  subst.  (s.  §  30),  drouph  stillavit 
48.24,  douwes,  louphemrer.  houph  'häufen'  59.22.  sowie  auch 
in  den  verben  geloruon  (1.  gelouron)  recedo  8.  12,  helouran  re- 
cedere  42,24,  ougant  01,5,  erougmle  'zeigte'  44,18,  rerlouican 
'erlaubt'  (verschrieben  für  verlouved)  39, 23,  denen  also  aus 
dem  prt.  und  fleetierten  p.  p.  entnommener  nicht  umgelauteter 
diphthoDg  beizumessen  ist,  und  douphe,  -a  (s.  §  32)  durch  an- 

')  Wegen  ähnlicher  entlehuung  eines  schriftzeicheiiH  aus  iler  vorläge 
vgl.  §  4. 


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400 


VAN  HKLTEN 


lehnung  an  das  verb.  *douphan  mit  om,  wie  in  gelouvon,  be- 
louran. 

Wegen  des  ou  in  houg(h),  hauch  s.  §  8  fussnote.  Buomgardo 
30, 12  ist  Schreibfehler;  vgl.  boumyardo  30,  24,  boumehn  und 
häufiges  (-)bouni,  -a.  In  ulroehes,  -e  und  ut  rochhur  cle  35,1».  19. 
32,  24  liegt  eine  form  mit  altem  n  vor;  vgl.  tnro(h)ches  -e  in 
Wüliramhss.  und  u  iro(c)h  in  anderen  ahd.  quellen  (Graff  2. 437). 

Erhaltung  von  für  /o  (aus  e«,  a/tr,  ?-o,  c-o)  ist  die  norm: 
dier,  lief  'lieb',  fliezent,  -ende,  siechon  adj.  38,20,  sieeheduotn 
45, 15  (  in  49,  24  Schreibfehler  sieheduom),  nie,  ie,  nie  mit  ietnan, 
ieyelieh,  nienian  etc.  (wegen  nie\u\tvehtes  s.  $  2  zu  w),  zrie 
(a.a.O.).  rieph  etc.  Contraction  zu  i  begegnet  aber  vor  tauto- 
syllabiseher  tonloser  gutturaler  Spirans  und  vor  -e(-)  der  endung: 
laßt,  -es  lux,  -eis  73, 9.  55,  27,  Uhtfaz  73,  0  (oder  mit  f.  wenn 
die  §  18  zu  a  erörterte  kürzung  jüngeren  datums  ist  als  die 
contraction).  zieh  'ziehe' 7,  2,  zihen, -ent  'ziehen'  17.22.  00,10. 
05,  2  (wegen  h  als  zeichen  für  Silbentrennung  s.  g  10;  daneben 
ziehent  32,3  mit  ie  durch  anlehnung  an  *zieho(n)  1.  sg.  praes. 
ind.  und  einen  inf.  *zichan),  thihe  femori  25, 3.  9  (woneben  regel- 
rechtes thieho  femorum  58,20). 

Durch  anlehnung  entstandenes  ie  hat  yelievan  eommendare 
52,  8  (W  yehüban). 

Wegen  in  als  regel  (nur  einmal  ui  in  luide  10.  26  durch 
schreibversehen  oder  einfluss  der  vorläge,  für  die  nach  W  tu 
als  norm  zu  vermuten  ist)  vgl.  yebiudest,  verkittest,  driuphet, 
fliuyh  (s.  §  53),  Uuyhtent  73,  11,  diuren,  -er,  -esto,  diuvel,  liu- 
munt,  liumhaftigß),  ansiune,  unyestiuro  (s.  §  30),  Und,  -es,  -e,  -en 
(s.  S  33),  stiured  14,21,  friund,  fiur  73,  17  etc.;  beachte  speeiell 
niudest  superl.  20.  28  mit  regelrechtem  tu  vor  altem  -ist  (W  nie- 
testa).  niud  subst.  57,  25  (vgl.  as.  /-stamm  niud  gegenüber  ahd. 
«-stamm  niot,  niet)  und  hieran  angelehntes  niudsamere  45,  27 
(doch  nied,  nietsam  34,17.  48.5.  50.19.23  sowie  niedet  freut1 
14.4;  in  riuchyerda  virgula  fumi  24.0  kann  tu  schwerlich 
etwas  anderes  sein  als  Schreibfehler  für  ou;  eine  form  mit 
ablaut  in  ist  meines  wissens  nirgendwo  bezeugt).  Hingegen 
steht  tl  vor  alter  aspiration  (wofür  in  überlieferter  periode 
hiatusfüllendes  w,  s.  §  2)  und  organischem  tc:  scüuest,  -an 
(vgl.  a.  a.  o.  und  beachte  wegen  der  nämlichen  ei-scheinung  im 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


407 


alem.  (/>-),  pizuhit  gl.  K  und  Ra,  s.  Kögel  s.  22 '),  trüwa  'treue' 
33,21.  52,3.9;  jedoch  mit  den  ausnahmen  iuuera,  -es  etc.  poss., 
iu{i)(c)h  (s.  S  2  zu  w)  und  niwen,  -a(z)  'neuen,  -es'  05, 16.  68. 11, 
von  denen  sich  die  erste  erklärt  als  die  folge  von  anlehnung 
an  iu,  die  letzte  auf  neutralisierung  der  einwirkung  von  ir 
durch  i  und  j  der  endung  hinweist.  Das  a  von  scüwest,  -an 
kann  umgelauteten  oder  aus  dem  praet.  und  flectierten  p.  p. 
entnommenen  nicht  umgelauteten  vocal  repräsentieren:  denn 
contraction  von  altem  iu  in  den  vorliegenden  formen  zu  //, 
nicht  zu  ü,  ist  zu  folgern  aus  rouwon  *reue'  42.  23  (in  der  hs. 
verschrieben  ruowon),  dessen  ou,  wie  in  bowemle  etc.  (s.  §  18 
zu  ii),  auf  n  zurückgehen  und  also  die  fortsetzung  eines  vor  tc 
aus  in  entstandenen  R  sein  muss  (in  trüwa  erhielt  sich  der 
vocal  durch  anlehnung  an  das  verb.  *tnton  oder  *truon).  Dass 
die  Verwendung  des  schriftzeichens  iu  in  den  obigen  belegen 
mit  diphthongischer  ausspräche  in  Zusammenhang  steht,  ist  zu 
erschliessen  aus  der  nichtVerwendung  dieses  Zeichens  für  um- 
gelautetes  n  (vgl.  §  18  zu  n  und  beachte  in  W  geluiteret,  yt- 
fuihtet,  huisero  neben  gvbuitest,  verhusest,  truiffet,  fluich,  luih- 
tvnt  etc.);  in  wiefern  hier  aber  iu  oder  iü  (vgl.  Hehaghel, 
Uenn.  34. 247. 370)  vorliegt,  ist  kaum  zu  entscheiden. 

III.  Die  vocale  der  end-  und  mittelsilben  und  präfixe. 

§  20.  Der  erörterung  der  Schicksale  der  end-  und  mittel- 
silben ist  die  bemerkung  vorauszuschicken,  dass  unser  dialekt 
in  ähnlicher  weise,  wie  die  aus  später  zeit  überlieferten  ahd. 
mundarten,  vielfach  eine  durch  anlehnung,  analogie- 
bildung  oder  Übertragung  entstandene  Verwilderung 
des  alten  declinations-  und  conjugationssystems 
aufweist  und  dass  demnach  die  phonetische  ent Wickelung  der 
end  im gs vocale  sich  manchmal  nur  aus  den  formen  ersehen 
lässt,  die  in  folge  ihrer  isolierung  einer  solchen  alterierung 
nicht  ausgesetzt  waren. 

*)  Auch  W  hat  scühcst,  -an;  doch  berechtigt  dieses  ü  nicht  unbedingt 
7A\  einer  folgerung,  weil  ü  iu  den  Williranihss.  mitunter  statt  in  als 
zeichen  für  den  aus  iu  entwickelten  laut  verwant  wird;  vgl.  anaaüne,  tü- 
resto,  türer,  stuirt. 


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468 


VAN  HELTEN 


L  Die  vocale  der  ungedeckten  endsilben. 

§  21.  Altes  -a  (—  ahd.  -a;  ich  gehe  liier  und  im  folgenden 
von  dem  alten  ahd.  lautstande  aus)  wird  zu  -<■  nach  kurzer 
(unbetonter)  paenultima  der  endung  und  nach  kurzer  (schwach- 
toniger)  paenultima  pro-  oder  enklitischer  formen:  ere  aus 
*-era  in  der  starken  adjeetivflexion  (s.  §  41.  48  zum  gen.  dat. 
sg.  fem.  und  gen.pl.),  -r/v  nom.  sg.  ntr.  des  comparativs  (wo- 
neben -era  nom.  sg.  ntr.  fem.  durch  systemzwang,  s.  §  4:'»).  ihvre 
gen.  pl.  aus  *thera  (§  49).  -edv  57;  wegen  analogisch  gebil- 
deter -de,  -te,  -odv  s.  §  57.  59.  CO.  (Vi),  orvnv  'oberhalb'  17.3.  30,28 
(wegen  *-vna  vgl.  ahd.  innvna  Pa,  üzzvna  Pa.  Graff  1,296.  586; 
doch  innvna  14.28.  39,  26.  57,0  durch  anlehnung  an  orana,  tri- 
t h (Inn,  s.  unten),  ane  praep.  5(5. 15,  vanet  ronv  (s.  §  15;  doch  vana, 
ana  praep.  7,9.  15,16,  sowie  ara  43,23  mit  -a,  das  ursprüng- 
lich nicht-proklitisch  stehender  form  zukam),  hinv  'hin' 73,21, 
tharv  'dahin'  21,21  («loch  trara  'wohin'  51.9.  10, 14.  hara  'hier- 
her', s.  §  16.  mit  -a  des  betonten  adverbs).  rote,  forv  praep. 
und  adv.  (s.  §  6;  dem  adv.  kam  eigentlich  eine  form  mit  -a  zu), 
teolv  12,25.  25,2.  48.5.  52.16.22.  55,17.24.  70.4.6  (doch  auch 
uoh  14,11.  20,25.26.  35.24.  39.26.  41,5.  57.8.24.  66,8; 
ersten»  form  entstand  in  der  adverbialen  proklise),  hinv  euin 
(woneben  auch  ursprünglich  in  die  betonte  Stellung  hinein- 
gehörendes Itina,  s.  §  47).  W  egen  der  ausnahmen  hu  reut  etc. 
und  aphvldera  etc.  s.  §  29  und  37.  Dass  dieses  -v  als  zu 
fassen  ist,  geht  hervor  aus  anv,  ranv,  thare:  ent Wickelung  von 
alten  ana,  vana,  thata  zu  ana-,  ramv,  tharw  in  oder  nach  der 
Periode  in  der  -v  (  -iv)  nach  a  der  Vorsilbe  zu  -a  wurde 
(s.  unten),  wäre  undenkbar;  vor  besagter  pcriode  entstandene 
ame,  ramv,  tharas  hätten  bei  eintritt  gedachter  afticierung  ana, 
vana,  (hara  ergeben. 

Nach  hochtoniger  silbe  und  nach  langer  (nebentoniger) 
paenultima  der  endung  bez.  pro-  oder  enklitischer  Partikeln 
behauptet  der  vocal  seine  qualität :  -a  nom.  acc.  sg.  der  o-sub- 
stantiva  (s.  §31),  acc.  sg.  fem.  des  starken  adjeetivs  und  des 
possessivs  (s.  §  41.  48;  über  durch  anlehnung  gebildetes  -v  für  -a 
s.  daselbst),  nom.  acc.  pl.  masc.  der  n-substantiva  (s.  §  29).  nom. 
sg.  f.  und  nom.  acc.  sg.  ntr.  der  schwachen  declination  (s.  §  37. 
38.  42).  -da,  -ta,  vda  (aus  *-vdu),  -oda  (s.  §  57.  59.  60.  63;  wegen 


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ZUK  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  409 


analogisch  gebildeter  -eda  der  1.  klasse  s.  §  57),  mna,  ana  etc. 
(s.  oben),  ana  adv.  oder  postpositum  8,11.  12,1.  14,22.  30,22. 
31, 18.  44,17  und  in  dem  häufigen  allizana  'immer',  oväna  'ober- 
halb' 60,6.  64,4  und  nithäna  17,4.  60,6.  64,3,  aana  'ohne' 
28.21.26.  29,1.15.  30.17,  uff'a,  upha  (s.  §4),  wanda  'denn' 
passim.  Neben  letzteren  formen  ausnahmsweise  uplw  74, 3, 
wände  49,2.  01,22.  63,7,  entweder  mit  aus  der  vorläge  ent- 
nommenem -e  (W  hat  öfters  uff'c,  wante)  oder  mit  -e  für  -a 
nach  dem  muster  der  vielen  Partikeln  mit  -c  und  -a.  Sonst 
noch  atme  'an'  29,23.  66, 14.  68,16.  17.27.  71,4  und  hinne  in 
hinne  fure  'hinfort'  68,23  (woneben  regelrechtes  hiuna  vure 
39,4)  mit  -e  nach  analogie  von  ane,  hine. 

Altes  -e  (=  ahd.  -c)  bleibt  -e:  -e  dat.  sg.  der  a-declination 
(s.  §  29),  nom.  acc.  pL  der  starken  adjectiva  und  possessiva 
(s.  §  41.  48),  1.  3.  sg.  praes.  opt.  (s.  §  55),  imp.  sg.  nach  3.  schw. 
conjugation  (s.  §  59),  m-t  newanne,  sotvanne,  yittheteannc  (s.  §  2 
zu  j).  thanne  (das  einmalige  thanna  26, 12  kann  nur  Schreib- 
fehler sein),  uze  42,13,  inne  10,16.  19,22.  53,10.  69,9. 

Altes  (=  ahd.  -/)  wird  zu  ~e:  die  -e  der  ^'a-declination 
(s.  §  30  und  41  zum  nom.  sg.  m.  f.  und  am  schluss;  beachte  auch 
unflect.  suoze  30,  7. 14,  muothe  26, 23,  scöne  12, 20),  der  ?-stämme 
(s.  §  33.  34),  im  imp.  sg.  1.  schwacher  klasse  (s.  §  55),  der  1.  3. 
sg.  prt.  opt.  (s.  §  56.  60),  sowie  unze  'bis'  20,20.  32,  1.  34,20 
(vgl.  ahd.  unzi  B,  M,  gl.  K,  Ra),  andc  'und'  (s.  §  15),  mhle,  mithe 
(s.  g  13),  teithere  21,  5.  42, 15.  57, 16, 17  (ahd.  witJiri),  vure,  fure 
adv.  (s.  §  6). 

Altes  -o  (—  ahd.  -o)  begegnet  als  -o:  die  -o  und  -ero  des 
gen.  pl.  (s.  §  29.  33.  34.  41.  48),  des  schw.  nom.  sg.  m.  (s.  §  36. 
42),  der  1.  3.  sg.  praes.  opt.  (nur  belegt  in  minno,  s.  §  59),  der 
adverbia  (s.  §[44),  in  upho  praep.  (s.  g  4)  und  withero  'zurück' 
22, 10.  23, 16.  42, 25,  deren  endung  sich  dem  -o  von  got,  aftarö, 
undarö,  ttfarö  vergleiclit. 

Altes  -w  (-  -  ahd.  -m)  ei*scheint  als  -o:  die  -o  des  alten  in- 
strumentals  (s.  §  29),  des  gen.  und  dat.  sg.  der  ö-substantiva 
(s.  §  31),  der  «-declination  (s.  §  35),  der  pronominalen  suffixe 
•emo,  -ero  (gen.  dat.  sg.)  (s.  §  41. 48),  des  nom.  acc.  pl.  der  starken 
adject.  und  possess.  (s.  §  41.  48),  der  1.  sg.  praes.  ind.  der  starken 
und  1.  schwachen  flexion  (s.  §  55);  hierzu  gehört  auch  sino  ecce 
(vgl.  §  10  am  schluss). 

Beiträge  Mi  gwchicbU  der  deutschen  tprsche.    XXII  31 


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470 


VAN  HELTEN 


Altem  -i  (=  ahd.  -i)  entspricht ,  wie  die  endungeu  der 
/-feminina  lehren  (s.  §  32),  -e.  Ob  -de  im  opt.  prt,  (s.  g  57. 
59.  60)  auf  -di  (=  Notkers  -ti)  oder  auf  -di  zurückgeht,  ist  also 
nicht  zu  entscheiden.  Weil  aber  die  kürzung  von  langem 
ungedecktem  vocal  feststeht,  ist  für  den  nom.  acc.  pL  der  ö-sub- 
stantiva  (s.  g  31),  auch  wenn  die  endung  hier  dem  Notkerschen 
-a  entsprechen  sollte,  -a  (nicht  -ä)  anzusetzen. 

Aus  -i  entstandenem  -c  wurde  in  der  überlieferten  periode 
als  en  oder  -a«  gesprochen;  vgl.  duyatha'tf,  1,  seönwQS,  10  (bei 
Hoffmann  falsch  scone).  Hieraus  ist  die  nämliche  qnalität  für 
auf  -i  zurückgehendes  -e  zu  folgern.  Dass  aber  auch  -e  = 
altem  -e  denselben  lautwert  hatte,  geht  hervor  aus  dein  um- 
stand, dass  diese  drei  -e  nach  tönendem  guttural  und 
nach  a  oder  d  +  einfacher  oder  gedehnter  consonanz 
in  -a  übergehen  (s.  wegen  der  belege  für  diese  erscheinungen 
und  der  gelegentlich  durch  systemzwang  hervorgerufenen  aus- 
nahmen §  29  zum  dat.  sg.,  30.  32.  33  zum  nom.  acc.  pl.,  34.  40.  41 
zum  acc.  sg.  f.  und  nom.  acc.  pl.,  55  zum  opt,-  und  imp.  sg.,  59 
zum  opt.  praes.  und  imp.  sg.,  60  zum  opt,  praes.).  Wegen  des 
chronologischen  Verhältnisses  zwischen  den  beiden  afficierungen 
s.  das  g  24  zu  duyatiia  bemerkte.  Nach  paenultima  der  endung 
wird  -e  zu  -o:  milocho  (s.  g  34)  und  vielleicht  auch  himolo  (s.  g  30). 

t'eber  -er  (-ar)  statt  -vre  (-are)  und  über  elision  von  -o 
der  l.  sg.  praes.  ind.  und  des  endungsvocals  von  -da,  -ta  (oder  -de, 
-te)  vgl.  g  41.  48.  49.  55.  57.  60. 

2.  Die  kurzen  vocale  gedeckter  endsilben. 

g  22.  Gedecktes  -a  (  -  ahd.  organischem  oder  anorgani- 
schem -a)  wird  -e  (d.  h.  -j,  vgl.  g  21)  vor  r  und  /:  under,  hinder, 
other  'oder',  akker,  uiweher,  urinier,  öfter,  wazzer  39, 1  (wazzar 
38,  27  nach  den  flectierten  formen,  s.  g  24),  sundtr,  tvither  8, 16. 
18.  33,  24.  36,  2.  39, 13.  44,  27.  61, 10,  silrer,  aus  maheldaga  zu 
folgerndes  mahel  (das  nicht  an  mahcl  angelehnte  compositum 
hätte  mahaldaya  gelautet,  vgl.  g  26).  Vor  anderen  consonanten 
bleibt  a  erhalten:  -an  acc.  sg.  masc,  pronominaler  flexion  (s.  g  41. 
48),  -an  inf.  starker  und  1.  schwacher  flexion  (s.  g  55;  daneben 
-en  aus  *-jan),  -an  p.  prt.  (woneben  -en  aus  den  flectierten  casus, 
s.  g  56),  lachan,  ophan,  regan,  voran  23, 20  (as.  foran),  inyegan 
(s.  unten),  ovae  36,24.  56,^  10.  64,20.  68, 11,  magath  (s.  g  40). 


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ZÜK  SPUACHK  DES  LKIDKNKK  WILUKAM. 


471 


(»edecktes  -e  alid.  -**)  bleibt  in  der  regel  -e:  ander,  after 
(vgl  Heitr.  0,247),  over  18,  4.  71, 7.  72, 18,  sucster,  steter  (s.  ij  15), 
muoder,  die  endung  -es  gen.  sg.,  -en  in  der  schwachen  declina- 
tion  (s.  §  42),  -et,  -ent  2.  3.  pl.  praes.  ind.  und  imp.  pl.  starker 
und  1.  schwacher  flexion  (s.  §  55),  -ey  (s.  §  27),  noven  'sondern' 
22,  24.  28,  10.  55, 28  (aus  nove  =  ahd.  nube  und  angelehnter 
negation;  vgl.  anfrk.  noran  aiLs  nova  ahd.  nobu).  Zwei- 
deutig ist  -er  in  ni-,  neuether  (s.  §  52  und  beachte  Beitr.  0,  247). 

(Gedecktes  -i  (=  ahd.  -i)  wird  in  der  regel  zu  -<•:  thnsent 
(vgl.  Beitr.  0,  287),  iergen  'irgendwo',  iegen  21, 13,  angegen  73,22, 
(in)gegen  02, 13.  72,20.21.27.  73,1.  75,20,  KM**]  15,13.22. 
07,14.  00,0.  70,23  (ahd.  unzin  B,  Tat.  00,  5.  98,4.  102,2;  um- 
hin, vgl.  §  11,  mit  erhaltenem  vocal  durch  anlehnung  an  in),  -en 
dat.  pl.  der ja-  und  /-Stämme  (s.  §  30.  33.  34),  grindel,  koler  nom. 
pl.  ntr.  (s.  S  30),  sitozer  etc.  und  fhzlieher  etc.  (s.  $  43.  44),  luzzel, 
die  endungen  -eMj),  -et,  -eil  2.  3.  praes.  ind.  starker  unjd  1.  schw. 
flexion  (s.  §  55),  -et,  -ed  p.  prt.  1.  schwacher  flexion  (s.  £  57),  -est 
(woneben  -ist,  s.  §20  zu  -/'-),  hoyred,  -et  (vgl.  §  10  zu  au).1) 
Wegen  der  ausnahmen  -list,  -rid,  -r/7  nach  umlaut  e  s.  §  55 
zur  2.  3.  sg.  praes.  ind.  und  §  57  zum  p.  prt.  W  egen  cuning, 
-ig  und  drohtin  s.  §  26. 

Mit  ungedecktem  -e  (  -e  und  aus  und  -/)  übereinstim- 
mend (&§21  am  Bchluss)  wird  gedecktes  (=  -e  und  aus  -/) 
nach  tönendem  guttural  und  nach  //  oder  a  +  einfacher 
oder  gedehnter  consonanz  zu  -a  (vgl.  wegen  der  belege 
und  der  durch  systemzwang  hervorgerufenen  ausnahmen  §  20 
und  30  zum  gen.  sg.,  33  zum  dat.  pl.,  34.  41  zum  gen.  sg.  f.  acc. 
sg.  m.  und  gen.  dat.  pl.,  42.  55  zum  sg.  und  zur  3.  pl.  praes.  ind., 
zum  opt.  und  imp.  pl.,  5(5  zu  -ast  und  -et,  57  zum  p.  prt.,  60  zum 
opt,  prae*.).  Auf  eine  phonetische  ausnähme  der  regel,  auf  er- 
haltung  der  /e-qualität  nach  umlaut  e  +  g  ist  zu  schliessen 
aus  iegen,  an-,  (in)gegen  (s.  oben;  das  einmalige  ingegan  02,4 
ist  compromissbildung  aus  ingegen  und  *ingagan,  wie  amfrk. 
gaien-,  s.  Tijdschrift  voor  nederl.  lett.  15,  100,  aus  *gegin-  und 
*gagan).  [Belege  für  hiernach  zu  erwartende  formen  mit  sol- 
chem eg  -f  auslautendem  e  fehlen;  doch  beachte  man  als 

')  In  oley  6,13  itammt  -<•-  wol  aus  den  flektierten  formen,  denn  in 
*olij  (vgl.  anfrk.  oliy)  musste  tautosyllabisehes  j  das  -i-  vor  Übergang  in 
-e-  schützen. 

31* 


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472 


VAN  HEIZTEN 


übereinstimmende  ausnähme  der  §  24  erwähnten  afficierun°r 
von  mittelsilbigem  -ge-  aus  egeslich  zu  folgerndes  egeso  und 
vgl.  auch  das  §25  zu  Hegge-  bemerkte.] 

Gedecktes  -u  (=  ahd.  -u)  wird  -o:  avor  'aber,  widerum* 
(ausnahmslos  für  W's  abo,  -a,  -er),  legor  'lager'  33, 12,  tniloch, 
ernost  7S,  17,  michol  8,9.  11,25.  63,22,  r«ro»  'rabe'  46,  19 
(vgl.  Beitr.  6, 241.245),  seszogh,  aghtzhogh,  zehenzogh,  die  -on 
im  dat.  pL  der  «-substantiva  (s.  g  29),  im  acc,  (dat.  gen.)  sg. 
masc.  ntr.  und  nom.  acc.  pl.  masc.  der  schwachen  flexion  (s.  §  36. 
42),  die  -on,  -ot  des  pL  prt  ind.  (s.  §  56.  57.  59).  Wegen  liumuni 
s.  §  26. 

Wegen  der  synkope  von  -t-  von  altem  iuteich  s.  g  2  zu  tr. 

3.  Die  langen  vooale  gedeckter  endsilben. 

§  23.  Gedecktes  -ä  (=  ahd.  -ä)  begegnet  als  -a  (die  kürze 
ist  aus  der  behandlung  der  anderen  gedeckten  langen  endungs- 
vocale  zu  erschliessen):  hinan  17,  24.  20,22.  30,1.  32,2.22. 
33,  27.  43, 24.  45,  7.  53, 2  etc..  teanan  8, 14,  wannan  71, 25, 
thanan  43, 25,  von(e)  thannan  (s.  g  15).  Demnach  ist  für  die 
endung  von  innen  70, 10,  fiz(z)en  48, 15.  69, 19,  uphen,  uffen 
(s.  g  4)  anlehnung  an  innena,  ovene  (s.  g  21  zu  -a)  u.  ft.  anzu- 
nehmen. Die  -on  und  -en  in  r«we  thannon,  -en  60,21.  75,13 
begreifen  sich  im  hinblick  auf  -on  und  -en  neben  -an  im  dat. 
pL  (s.  §  41):  vorangehendes  ron(e)  konnte  ja  die  fassung  von 
-an  als  casussuffix  veranlassen.  In  uphon  36, 27  liegt  Schreib- 
fehler vor  oder  die  form  steht  als  compromissbildung  aus  upho 
(s.  g  21  zu  -o)  und  uphen. 

Die  behandlung  von  altem  -e  (=  ahd.  -e)  vor  nasal 
ergibt  sich  aus  dem  isolierten  enzuischan  11,  21.24. 
Mit  rücksicht  hierauf  sind  die  -an  des  dat.  pL  pronominaler 
flexion,  des  praes.  opt.,  des  inf.  der  tT-klasse  und  die  -ant  letz- 
terer conjugation  sowie  die  daneben  erscheinenden  -et*,  -ent 
und  -en  der  1.  pl.  praes.  ind.  starker  und  1.  schwacher  conju- 
gation (s.  g  41.  48.  55.  59)  zu  beurteilen. 

Vor  anderen  consonanten  steht  -e  für  altes  -e:  unser  (s.  g  48), 
-es  im  opt,  praes.  (s.  g  55.  59),  -es(0»  "et  m  der  2. 3.  sg.  praes. 
ind.  und  -cd,  -et  im  p.  prt.  der  «'-flexion  (s.  g  58.  59).  Durch  die 
mit  der  behandlung  von  ungedecktem  und  gedecktem  -e  (=  altem 
-e,  -i,  -i,  s.  g  21  am  schluss  und  g  22)  übereinstimmende  afficie- 


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ZUK  SPRACHE  DE8  LEIDENER  WILLIRAM.  473 


rung  dieses  endungsvocals  nach  tönendem  guttural 
und  a  oder  ä  +  einfachem  oder  gedehntem  conson. 
(s.  die  belege  sowie  die  durch  systemzwang  veranlassten  aus- 
nahmen §  59)  wird  die  kürze  des  nicht  afficierten  endungs- 
vocals erwiesen. 

Gedecktes  -i  (=  ahd.  -i)  erscheint  als  -e  in  -ed,  -et,  -en 
des  prt.  opt.  (s.  §  56.  60)  und  -en  im  gen.  dat.  pL  der  i-decli- 
nation  (s.  §  32).  Wegen  der  ableitungsendungen  -in  und  -eg,  -ig 
vgl.  §  27. 

Gedecktes  -ö  (=  ahd.  -ö)  wird  -o  (die  kürze  ist  aus  ge- 
deckten -a,  -e,  -o  für  -e~,  -i,  -tt  zu  erschliessen):  -on  im  gen.  dat. 
pl.  der  o-stämme  und  der  schwachen  declination  (s.  §  31.  36.  37. 
38.  42),  -or,  -ost  der  adverbialen  comparative  und  Superlative 
(s.  §  44),  -on,  -os(t),  -ot,  -od,  -ont  der  2.  schwachen  conjugation 
(s.  §  59).  Demnach  kann  der  endungsvocal  von  okkeret  'nur' 
nicht  auf  -ö-  zurückgehen. 

Gedecktes  -a  (=  ahd.  -a)  wird  -o:  -on  im  gen.  dat.  sg.  fem., 
nom.  acc.  pl.  fem.  ntr.  der  schwachen  declination  (s.  §  37. 38. 42). 

4.  Die  kurzen  vocale  offener  mittelsilben. 

§  24.  Altes  -a-  (=  ahd.  -a-)  bleibt  erhalten  nach  a  der 
Wurzelsilbe:  tuivalo,  reydewaganon,  wazzaro,  -e,  -on  38, 22.  73. 13. 
47, 10  {tcazzcron  47, 20  durch  anlehnung  an  mtzzer,  s.  §  22  zu  -a), 
wighwäpJiane  31,2  (die  ausnahmen  gemaheki,  s.  §36,  tarelon 
haben  -c-,  d.  h.  -j-  bez.  -m-,  durch  anlehnung  an  *mahel  'ehe- 
vertrag',  vgl.  §  22,  und  getavela,  s.  unten  zu  -/-).  Ueber  die 
behandlung  von  -a-  nach  anderen  lauten  lässt  sich  nichts  be- 
stimmtes sagen:  stirere,  bittera,  -cremo,  veychenes,  zcseiva  (mit 
-w-  =  altem  -e-  oder  mit  -o-,  vgl.  §  21,  aus  -a-,  wie  in  der  com- 
positionsfuge?  vgl.  §  25);  ovaze  65, 16  kann  an  ovaz  (s.  g  22) 
angelehnt  sein,  wie  magathe  (s.  g  40)  an  magath. 

Altes  ■€-  (  ahd.  -e-)  bleibt  in  der  regel  erhalten:  andere, 
-en,  iuweres,  -en,  unseren,  ophetw  adv.,  o(p)phenent,  eygenm, 
die  endungen  -mm,  -enon,  -me  des  p.  prt.  (s.  g  56),  innena 
ovene  (s.  §  21  zu  -«),  ze  samene,  -a  (s.  §  29),  eynega,  -c,  -ar,  -an 
-amo  15,18.22.  27,17.  43,3.  70,25.  74,9.18.  75,18,  tceinega, 
-on  36, 13.  16, 20,  ovezo,  -es,  die  endungen  -enw,  -ere,  -ero  der 
pronominalen  flexion  (s.  §  41.  48).   Nach  mittelsilbe  -in-  wird 


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474 


VAN  HELTEN 


-e-  zu  wie  -en  (dat.  pl.  des  starken  adjectivs  für  -an,  s.  §  41) 
zu  -in:  elphandlnimo  61,8,  ccdrJnin  74,5. 

Altes  -i-  (—  ahd.  -?-)  wird  -c-:  rf/iefe,  bilethe,  gewidere,  un- 
gewedere,  gezimbere,  getavela  (vgl.  §  30),  Atirefa  16,  3,  luzzelon, 
mürhödela,  uvelo,  -en,  wetjthenent,  bezeychenent,  wlg{g)ctcäphene, 
die  endungen  -ero,  -eron,  -eran  gen.  dat.  pl.  ntr.  (s.  §  29),  -era 
etc.  des  comparativs  (s.  §  43),  -etile  (aus  *-ithi,  s.  §  31),  -cd-  der 
L  schw  achen  conjugation  (s.  §  54),  etc.  In  friundina  (s.  §  31) 
erhielt  sich  -i-  durch  anlehnung  an  die  bildungen  auf  -inna. 

Beide  -e-  werden  zu  -a-  nach  tönendem  guttural, 
wenn  die  folgende  silbe  kein  -c(-)  hat:  wirthegaro,  stadi- 
gare 39, 18  (mit  -9  für  -a,  s.  §  21  zu  -a),  eyne-,  cynagamo  (s.  §  41), 
doch  gcaryerent,  steigerent,  dughethe  gen.  sg.  oder  pl.,  -en  dat.  pl. 
(s.  §  34),  iugethet i verjüngt'  0, 10.  In  vynegemo,  willvgero  dat. 
sg.  (s.  §  41)  steht  das  zweite  -e-  durch  systemzwang;  in  gehu- 
gega  7, 10  durch  anlehnung  an  das  -eg-  von  eynega,  ueynvga 
etc.  In  ringera  nom.  pl.  und  erougade  opt.  (s.  §  57)  stammen 
die  mittelvocale  aus  den  flexionsformen  mit  regelrechtem  -c- 
(*vingcres,  -e)  bez.  -a-  (*erougad<>,  -on).  Tn  dugatha?  nom.  pl., 
-a>n  gen.  pl.,  -en  dat.  pl.  (s.  §  34)  beruht  -a-  auf  anlehnung  an 
*dugath  für  *dugeth  aus  *dugith  (vgl.  §  22).  Zweideutig  ist 
der  mittelvocal  in  dugetha  nom.  pl.,  -athan  dat.  pl.  und  insighvla 
dat.  sg.  (s.  §  30),  weil  die  analogisch  entwickelten  endungen 
älteren  oder  jüngeren  da t ums  als  die  entstehung  von  -a-  aus 
-e-  sein  können;  duyatha  nom.  pl.  Hesse  sogar  (vgl.  $  34)  noch 
eine  dritte  deutung  zu.  [Instructiv  für  das  ehronologisehe 
Verhältnis  zwischen  den  beiden  §  21  am  sehluss  und  §  22  er- 
wähnten -a(-)  aus  -t'(-)  ist  der  gen.  sg.  dugatha  mit  -a-  durch 
anlehnung  an  *dugath  und  durch  dieses  -a-  hervorgerufenem 
(i  für  -v.  Dazu  stimmt  auch  mamgara  nom.pl.  (s.  §  43)  mit 
-am  aus  *-are  und  -a-  aus  den  flexionsbildungen  mit  regel- 
rechtem -ga-.  Im  p.  prt.  zu  *bcsigelen  konnte  nach  dem  oben 
beobachteten  kein  -ga-  aus  -gc-  entstehen;  wenn  sich  dennoch 
die  nach  §  22  durch  ihr  -ad,  -at  auf  *bcsigalad  hinweisenden 
formen  bvsigelad,  -at  35,  20.  30.7  (mit  -e-  durch  anlehnung  an 
*bcsiyehn,  -cs(t),  -et,  -ait  etc.)  und  hesigaladen  30,4  (vgl.  §27 
anm.  1)  finden,  dann  ist  hier  das  nach  g  stehende  -a-  als  die 
folge  von  anlehnung  an  ein  prt.  *besigalda  (—  ahd.  pisigalta, 
s.  (iraff  0,  145)  zu  fassen.]    Eine  phonetische  ausnähme  der 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


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erwähnten  afficierung  bietet  ans  egeslich  zu  folgerndes  cgeso 
(s.  26  am  schluss)  mit  -ge-  nach  umlaiit  e  (vgl.  die  §  22  hervor- 
gehobene ausnähme  iegen  etc.). 

Altes  -o  (=  ahd.  -o)  erscheint  als  -o  in  marmorine. 

Altes  -u  (--  ahd.  -u)  wird  zu  -o:  himole,  -o  (s.  §  29),  epholon 
14, 6,  .?«  santone  (woneben  ze  samenef  -a,  s.  §  29  und  vgl.  Beitr. 
6, 241). 

Gelegentliche  assimilierung  begegnet  in  manigslachtagan 
13,  7,  eynagatno  15,  28  und  steynlochoran  (neben  -locheron,  -ho- 
leron,  -an,  s.  §  29). 

Bezüglich  der  synkope  bez.  erhaltung  von  mittelvocal  sei 
im  vorbeigehen  auf  die  §  30  und  54  verzeichneten  derivata  auf 
-(e)the  und  präteritalbildungen  mit  -(c)d-  sowie  auf  hirzon  cervis 
und  winstra  hingewiesen; 

hervorgehoben  seien  aber  unsermo,  m'inro,  thlnro  (s.  §  48), 
thirro  gen.  dat.  sg.  f.,  andero  gen.  pl.  (s.  §50  und  41;  auch  unser 
für  unsere  aus  unserem?  s.  §48),  in  denen  zwischen  zwei  r 
stehendes  -c-  ausfiel  (vgl.  Beitr.  12,  552.  Zs.  fdph.  7,  443.  MSD. 
23, 324),  heilsamo  dat.  sg.  61, 19  (auch  in  W)  mit  Schwund  des 
zwischen  zwei  m  stehenden  -e-  (Vereinfachung  von  rr,  mm  nach 
schwachbetonter  silbe,  vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  93  anm.  1). 

Hinsichtlich  der  vocalentfaltung  erwähne  ich  gegareuet, 
garewa,  zesewa,  sinowolde  (s.  §  17)  und  thurg(h),  forghtent,  naght- 
vorghta,  thurft,  starc,  arbeid  etc. 

5.  Die  vooale  in  der  compositionsfuge. 

§  25.  Der  behandlung  der  im  vorigen  §  zur  spräche  ge- 
brachten vocale  entspricht  die  behandlung  der  in  der  compo- 
sitionsfuge stehenden  laute: 

anaginna  20,  15.  37,  2,  analigad,  anattemct,  anasihen,  ana- 
ringed,  anazucchont  (doch  anegcduon  42,  15,  auneseJuin  69,  18 
durch  anlehnung  an  anc,  anne,  s.  §  21  zu  -«),  dalaslughta  56,  11; 
hingegen  lituberga,  -an,  dischesitfieUs,  siecheduom  45, 12.  49, 24, 
smUhescirethe  10,  23. 28,  mirrcbergo,  vollekuman,  cume,  -cuman, 
-bringan  34,  20,  -volgon,  -wardon,  -wunderan,  woledäda,  -e,  -an 
(doch  woladäda  mit  anlehnung  an  wola,  s.  §  21  zu  ■<*),  wole-, 
uelelusten  (s.  §  34),  vorecundent  18,24,  silthenewind  39,  10.  16; 
in  scameltclie,  ungenäthelich  erklärt  sich  das  -e-  als  analogie- 
bildung  nach  den  composita  mit  regelrechtem  -c-; 


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VAN  HELTEN 


reydctcaganon  (vgl.  anfrk.  reidiwagon),  hereberga,  -on,  erve- 
guodtt,  26,  listellchc  73,15  und  heggeholcron,  -an,  minnelicho 
26,  4,  wunnedisehe  (mit  -e-,  d.  h.  ce,  aus  -i-  des  i-stammes  oder 
mit  -c-,  d.  Ii.  -3-,  aus  für  -i-  eingetretenem  -a-,  vgl.  ahd.  /«?Ma- 
gruoba,  -wlzi,  -grünt  neben  helligraopa,  -wxzi,  -rilna,  Grimms 
Gr.  2,  458 ;  das  -e-  von  eventuellem  /<eo<r/e-  aus  heggi-  wäre  nach 
dem  §  22  zu  iegen  etc.  als  phonetischer  ausnähme  bemerkten 
zu  beurteilen),  vure-,  fure-  (s.  §  6),  mithcwäre,  -a  52, 14.  19,  w#**- 
thcwiste  52, 10,  umbegent,  -grlphed,  -leged,  -stecchet,  gethrädcnapk 
(s.  §  41  zum  nom.  sg.  m.). 

6.  Die  kurzen  voeale  in  geschlossener  mittelsilbe. 

§  26.  Altes  -a-  (=  ahd.  -a  )  bleibt  erhalten:  vlandc,  -an 
(s.  noch  unten;  wegen  vlende  vgl.  §  39),  elphandm,  inimo  61, 1. 3 
(wo  -inin  als  Schreibfehler  steht  für  -In).  8  (s.  noch  unten), 
aphalderbouma  71, 18  (in  apheldera  13, 23. 24  muss  demnach 
-el-  auf  anlehnung  an  ein  adject.  *apheld(i)rin  mit  umlant  von 
-a-  beruhen). 

In  bezug  auf  -e-  sei  bemerkt,  dass  umlaut  von  -a-  in  ge- 
schlossener mittelsilbe  regel  ist:  -ende  im  p.  praes.  und  -enc 
im  gerund,  starker  und  1.  schwacher  flexion  (s.  §  55;  dass  hier 
neben  -e-  aus  -ja-  auch  -e-  aus  -a-  vorliegt,  geht  hervor  aus 
durchstellenden  -ende,  -ene  neben  -an,  -cn  des  inf.),  tverelde 
(und  hieran  angelehntes  wereld).  [Nach  tönendem  guttural 
wird  dieses  -e-  zu  -a-,  wie  in  der  endsilbe;  vgl.  §  22  und 
beachte  ncigande,  woneben  stigcno  durch  systemzwang,  s.  §  55.] 
Die  ausnähme  elphandm  etc.  begreift  sich  als  die  folge  von 
anlehnung  an  *elphand;  für  viande  (s.  §  39)  sind  zwei  factoren 
in  anschlag  zu  bringen,  entweder  die  /-flexion  des  nomens 
entstand  nach  der  umlautswirkuug  oder  der  plur.  Ist  an  den 
sg.  angelehnt. 

Die  derivata  auf  altes  4sh  erscheinen  mit  -i-  und  -e-  in 
der  mittelsilbe,  die  superlativa  auf  altes  -ist  mit  -i-  und  -e-  in 
der  mittel-  und  der  endsilbe:  erthiscan  73,23,  -esw(n)  42,22. 
54.  9,  mennisc{h)o,  -on,  criste  23, 21,  fnreston  62, 15,  heresta, 
-en,  diuresto,  lieveston,  bezzesta,  -en,  quekhestan,  -on  etc.,  trist, 
minnist,  crest,  thickest,  niudest  etc.  Im  hinblick  auf  die  be- 
handlung  von  gedecktem  -i  in  der  endsilbe  (s.  §  22)  ist  -t-  als 
eigentlich  der  mittel-,  -e-  als  eigentlich  der  endsilbe  zukommender 


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ZUR  8PRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


477 


laut  zu  fassen.  Vgl.  auch  -nisse,  -es  (s.  §  30.  32),  friundinna, 
Jeu-,  cuninginnan,  meystrinnan  (s.  §31),  warningan  31, 23,  phcn- 
ningo,  cuninges,  -a  (hiernach  ä*m-,  cuning  mit  -ing  für  -eng, 
vgl.  §  22,  es  sei  denn  dass  in  folge  von  conservativer  ein  Wir- 
kung von  ng  das  -i-  auch  der  endsilbe  eigentlich  zukam; 
cunig  7. 6  mit  durch  anlehnung  an  cuning;  auch  für  droh- 
tines,  drohtin,  wegen  dessen  endungsvocals  man  IF.  5, 187  be- 
achte und  Notkers  truhten  vergleiche,  ist  erhaltung  des  alten 
durch  einwirkung  von  cuning(-)  zu  vermuten),  mdiclw,  -o 
(woneben  mileche  durch  anlehnung  an  *milech,  s.  §  34).  Thu- 
sendon  nach  thusent  (s.  §  22  zu  -*). 

Diesen  :  -e-  gemäss  hat  -h-  als  der  eigentlich  geschlos- 
sener mittel-,  -o-  als  der  eigentlich  geschlossener  endsilbe  zu- 
kommende laut  zu  gelten;  vgl.  manungo.  Es  muss  also  das 
-o-  von  milocho,  -e  (s.  §  34)  aus  der  unflectierten,  das  -u-  von 
liumunt  aus  den  flectierten  formen  stammen. 

Die  nämliche  behandlung  (von  -a-  etc.)  ist  zu  erwarten 
für  den  in  geschlossener  silbe  stehenden  vocal  der  endsilbe 
eines  ersten  compositionscomponenten.  Und  es  begegnen  in 
der  tat  dementsprechend  cristanheyd,  bilithlich  65,27  (gegen- 
über bilethe),  morginröd  (gegenüber  nach  §  22  zu  -/  anzusetzen- 
dem morgen),  turtuldttvan  sowie  zehenzogh,  emesthafto  (ernest- 
mit  -e-  im  ablaut  zu  -u-  in  *emust,  woraus  ernost,  s.  §  22  zu  -m), 
cuninghchero.  Doch  findet  hier  auch  oft  die  an  das  simplex 
angelehnte  form  Verwendung:  inaheldaga  (s.  §  21  zu  -a),  sunder- 
liche,  -o,  witherdrivan  31,  20,  nithergegnngnn,  undcrleged,  -skei- 
thet,  -tcindan,  egeslich  52, 15.  22.  50,  4  (nach  dem  §  24  zu  -a- 
aus  -e-  erwähnten  egcso,  dessen  einwirkung  auch  die  nicht- 
afficierung  von  -e-  nach  g  erklärt),  himolriche,  vlphondbeintn, 
-beinc  49, 11. 14  (das  hieraus  zu  erschliessende  elphond  ist  wol 
neben  aus  elphandin,  s.  oben,  zu  folgerndem  elpJutnd  entstanden 
nach  dem  muster  von  *wisand  neben  *tvisond  —  ahd.  wi- 
sant,  -unt). 

7.  Die  langen  vocalo  der  mittelsilben. 

§  27.  Aus  der  Verwendung  von  a  zur  darstellung  von 
umgelautetem  a  der  paenultima  in  den  personennamen  auf 
altes  -äri  (s.  §  30  und  vgl.  wegen  der  umlautung  das  unten 
zu  middelöthe  bemerkte)  ist  zu  schliessen,  dass  hier  in  der 
mittelsilbe  alte  länge  nicht  zum  kurzen  vocal  geworden  war 


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478 


VAN  HELTEN 


(vgl.  §  18  zu  ff).  Aus  mit  der  behandlung  von  kurzem  -e-  nach 
tonlosem  guttural  (s.  §  24)  übereinstimmender  afficierung  des 
mittelsilbenvocals  in  frügadot,  gethrangada,  -an  (s.  §  50) ')  er- 
gibt sich  kurzes  -e-  und  -o-  für  altes  in  der  mittelsilbe  stehen- 
des -e-,  -ö-  in  der  2.  und  3.  schwachen  conjugation.  Indem 
nun  für  diese  kürzung  die  annähme  von  analogiebildung  auf 
der  band  liegt  (s.  a.  a.  o.),  ist  aus  -ärc  zu  folgern:  alte  länge 
der  mittelsilbe  hat  sich  in  der  überlieferten  periode  unserer 
mundart  nicht  auf  phonetischem  wege  zum  kurzen  voeal  ent- 
wickelt. [Mit  der  nicht-lautgesetzlichen  entstehung  von  mittel- 
silbigem  -c-  in  der  3.  conjugation  steht  die  erhaltung  der 
e-qualität  vor  nasal  im  p.  praes.  und  gerund,  dieser  verbalklasse 
(s.  §  59)  in  Zusammenhang;  antenasalisches  -a  aus  -e,  s.  §  23, 
entstand  nur  bei  regelrechter  kürzung.] 

Mit  rücksicht  auf  das  oben  erörterte  begreift  sich  die 
erhaltung  der  alten  qualität  von  in  der  mittelsilbe  stehendem 
vocal  der  diminutivendung  und  des  adjectivsuffixes  -in  in  cor- 
nelino,  cristinen  8.18,  cedrinin  74,5,  elphandinimo  61,8,  gul- 
d'tnen,  silrerlne,  -en,  -cro,  marmorine,  thorninan,  -a  28, 5.  7 
(aus  den  flectiertcn  formen  wurde  die  endsilbe  -in  entnommen, 
statt  deren  nach  §  23  bei  regelrechter  entwickelung  -en  zu 
erwarten  wäre:  boumclin,  gebundetin,  cedrin  13,2,  clphandln 
61, 1,  dphondbeinln  49, 11,  guldin  26,2. 19.  48, 27  (wo  Hoffmann 
falsch  gülden  las).  49,8,  silrcrin,  cypressin);  beachte  auch  gc- 
ordinedon  48,  2  (aus  einem  protot ypus  mit  wäre  gcordenedon 
hervorgegangen).  Tnd  ebenso  erklärt  sich  das  t-  in  cu(n)- 
stigan,  tcilligo,  eiviga,  -an,  viniga  sola,  maghliga,  -an,  hvyliga, 
•an,  -an,  sahgon,  -osta(n),  maniga,  -er,  -ar,  -ara  (und  hieran 
angelehntem  abstractum  mvntga.  -e,  s.  §  15),  in  denen  jedoch 
nur  zum  teil  auf  altes  -ig  zurückgehendes  suffix  vorliegt 
(vgl.  ahd.  keilac,  -eg-,  manae-,  maneg-,  Beitr.  6,  230  ff.):  offen- 
bar waren  ja  die  adjectiva  auf  altes  (in  der  überlieferten 
periode  sowol  im  aus-  als  im  inlaut  verwantes)  -cg(-) 2)  mit 

')  l*eber  maneda  und  »las  p.  gescaphcda  ist  nichts  sicherem  zu  sajjeu 
(-c-  regelrecht  oder  regelwidrig,  wie  in  bnraret  etc.?  vgl.  §  59):  fiir  mittel- 
silbiges  -n-  aus  -e-  nach  n  der  Vorsilbe  gibt  es  keinen  zuverlässigen  beleg, 
denn  bcsignladai  (s.  4j  24)  kann  auf  anlebnung  an  *hesig<dad  beruhen. 

*)  Von  allem  -ag  und  -ag-  findet  sich  in  unserer  quelle  keine  spur, 
denn  in  den  $  24  am  schluss  verzeichneten  formen  mit  -ag-  ist  der  vocal 
nicht  als  altes  -a-  zu  fassen. 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


479 


denen  auf  altes  -ig-  in  berührung  gekommen,  indem  regelrecht 
aus  altem  -ig  geflossenes  -eg  mit  -eg  der  anderen  bildungen 
zusammenfiel  (daher  auch  aus  den  flectierten  bildungen  ent- 
nommenes -igh,  -ich  nicht  nur  in  den  derivata  mit  altem  -ig 
ucrthich  8,  2,  gcu  aldigh,  sälich  9, 11,  cumftigh,  cinigh  sola  54,  21. 
22,  etc.,  sondern  auch  in  gemanighfaldet,  manigsluchtagan,  einigh 
ullum  37, 21  (neben  eynega,  -ar  etc.,  s.  §  24  zu  -e-),  weinigh 
73, 27  (neben  weinega,  -on,  s.  a.  a.  o.),  deren  suffix  nach  ahd. 
mancg-,  eincg-,  wcneg-,  s.  Beitr.  6, 230  ff.,  auf  -eg  zurückgeht, 
und  umgekehrt  ilego,  giregan,  willegero,  wirthegaro,  etvegan  76,22, 
gemuozegan,  -at,  amdeghe,  -gan  78, 10. 14  mit  ursprünglichem 
-eg-  statt  -ig-1);  in  den  -7<7-bildungen  flizech,  zidech  ist  -e-  laut- 
gesetzlich, wie  in  einegh,  -eck  Ullas,  -um  22,22.  20,20.  49,1. 
50,28;  für  bitherccghcyd,  stddeghhcid,  gchörsamcghcyd  20,25  ist 
anlehnung  an  ein  simplex  mit  -eg(h)  anzunehmen;  nach  dem 
muster  dieser  unter  sich  wechselnden  -ig{-)  und  -eg(-)  entstand 
honlg,  -a  für  honeg,  -a). 

Wie  -ig-  (und  -ig)  ist  auch  das  häufige  -liehe,  -es,  -o  etc. 
(und  -lieh)  zu  beurteilen.  Schwächung  zu  -e-  weist  nur  sulechc 
11,6.  41,20  auf  (mit  -e-  aus  unflectiertem  *sulech)J  woneben 
suliehemo  14,25  und  weliches,  -e,  -a  33,21  {icelich,  gewelich), 
irgelichan  (iegelich  s.  §  52). 

Wegen  -ä-  vgl.  noch  uvana,  nithäna  (s.  §  21  zu  -«).  Langer 
und  (nach  dem  §  26  über  den  Umlaut  von  vocal  in  langer 
mittelsilbe  bemerkten)  umgelauteter  vocal  ist  anzusetzen  in 
middelothe.  In  sähgostu(n)  55,6  liegt  vielleicht  durch  anleh- 
nung an  -ost  (vgl.  §  23)  gekürzter  vocal  vor. 

Zu  den  mittelvocalen,  für  die  entwickelung  zum  kurzen 
laut  zu  leugnen  ist,  sei  bemerkt,  dass  hier  die  Möglichkeit  von 
entwickelung  der  alten  Quantität  zur  halblangen  nicht  zu  über- 
sehen ist.  Ausdrücklich  betone  ich  deshalb,  dass  die  in  dieser 
Untersuchung  angewante  längebezeichnung  der  mittelvocale  mit 
rücksicht  auf  diesen  vorbehält  aufzufassen  ist. 

Anmerkung.  Das  eg  von  lamprtythe  (s.  §  13)  hat  nicht  als  mittel- 
vocal  zu  gelten,  denn  die  entlehnnng  des  Wortes  ans  dem  afranz.  (man 
beaehte  nach  Meyer -Liibke,  Rom.  gr.  S,  170.172  und  Zs.  frnh.  20,  322  ff.  als 
Zwischenstufe  zwischen  lamprfda,  nfranz.  hmproie  anzusetzendes  Ittmpreide) 
lässt  auf  betonnng  vorletzter  silbe  schliessen. 

')  Für  gekugega  7, 10  kann  ich  den  prototynns  des  suftixes  nicht  ermitteln. 


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480 


VAN  HELTEN 


8.  Die  vooale  der  präflxe. 

§  28.  Es  stehen  ausnahmslos  be-  (W-  natürlich  in  bitherve, 
-ere  etc.),  er-,  ge-  (ic-,  s.  §  8)  und  ver-  (der  Schreibfehler  vorkuze 
contemnat  t58, 24  kann  nicht  als  beleg  für  vor-  dienen;  es  ist 
verkieze  zu  lesen  mit  z  für  s,  s.  §  14)  neben  zc-  in  zebrcident, 
zcgeet  auch  *•  in  zueyvct  dispergite  20,  15  (W  hat  gewerfet); 
wegen  unt-  und  en-,  in-  s.  §  1. 

IV.  Declination  der  substantiva. 

L  Die  '/-declination. 

§  20.  Als  suffix  für  den  gen.  sg.  m.  ntr.  steht  neben  nor- 
malem -es  zweimal  -as  durch  phonetische  entwickelung  aus  -es 
(s.  §  22)  in  thingas  44,  26,  bcrgas  50, 11;  daneben  cuningcs  durch 
systemzwang.  In  Davithis  31,9  liegt  wol  durch  vorangehendes  i 
veranlasster  Schreibfehler  vor. 

Für  den  dat.  sg.  m.  ntr.  steht  in  der  regel  -e,  seltener  -a 
oder  -o: 

dranche  61, 19,  stänke  7, 3.  13, 6,  (tische  27, 9. 12. 19,  wtroche 
24,  7,  sciwhe  58, 10,  hoyvede  42, 12.  47, 1.  70, 9,  -hohe  50,  16, 
lande  17,26.  18,11,  ovaze  65,16,  himole  11,14.  16,8.  21,12. 
26,9,  cusse  6,1,  stuole  11,13,  tityftftte  31,10.16.  62,8,  bluode 
27,1.  56,12.  Miotfic  (Memo)  'blute'  20,13.  56,12.  66.18,  bede 
'gebete'  29,17,  halse  42,27,  /cu^re  42,28,  ovcrthruze  45,17, 
glasfazc  73,9,  etc.; 

tcer/a  7,5.  22,2,  <?ar/a  27,27.  28,11.14,  honlga  40, 7,  Mm/ja 

37.6,  </r«m  16, 11.  12,  raada  30,2,  Aoym/a  14,26,  -holza  13,24, 
•bouma  71,18,  f/oo//ia  26,7.  28,16.17.  75,27;  beachte  auch  ze 
samcna  74,4  neben  rc*  samcnc  31,4.  51,21.  62,23.  63,10  und 
zc  samone  30, 13; 

himolo  16,  12,  ürczo  36, 13,  hind-,  hintkalvo  16,  13.  21,  7. 

78.7,  /vcrr/o  21,15.  29,6.  32,24.  62,27,  släpho  15,19.  17,13. 
19,  12  (in  70, 12  auch  an  släphon,  dessen  n  wol  durch  den 
schlussconsonanten  des  part.  der  vorläge  veranlasster  Schreib- 
fehler ist,  vgl.  oben  s.  438  fussnote  2),  schirmo  31, 23,  angripho 
42,28,  haveko  19,21. 

Wegen  -a  nach  g,  ng  und  in  grava,  raada  vgl.  §  21  am 
schluss')  (daneben  durch  systemzwang  ovaze,  gUisfazv). 

x)  Da«  -a  nach  g,  ng  erinnert  an  die  im  Monacensi»  beobachtete  vor 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


um 


481 


In  hoyveda  etc.  beruht  die  endung  auf  analogiebildung  nach 
den  formen  mit  phonetisch  entwickeltem  -«.  Das  -o  ist  die 
auch  in  ahd.  quellen  begegnende  alte  instrumentalendung  (vgl. 
MSD.  2S,  94. 449);  es  steht  meist,  aber  nicht  ausschliesslich  bei 
präpositionaler  Verbindung  des  nomens  (vgl.  wegen  reiner  dativ- 
verwendung  die  belegstellen  für  hind-,  hintkaho  und  beachte 
übrigens  gkoto  liebosta  Vom  heiligen  Georg  4,  wo  die  MSI). 
2 -\  94  vorgeschlagene  Änderung  von  -o  in  -e  nicht  geboten  ist). 
In  himolo  könnte  -o  auch  auf  -e  zurückgehen  (vgl.  §  21  am 
schluss;  himok  11, 14.  10, 8.  21, 12.  20, 10,  samone  mit  -e  durch 
systemzwang). 

Wegen  in{ne)  hüs  09, 10. 15  vgl.  Beitr.  12, 553.  Für  den 
dat.  diuvel  30, 2.  Gl,  10  ist  anschluss  an  den  dat.  *viand  nicht 
zu  verkennen. 

Im  nom.  acc.  pl.  -a  (thorna,  kneghta,  bouma,  lokka,  cunhtga 
etc.  und  hurelu  16, 3,  diuvela,  miirhödela,  ringera  mit  -a  durch 
systemzwang  für  lautgesetzliches  -e,  vgl.  §21  zu  -a;  in  der 
mischconstruction  Ihme  thüsent  phenningo  77,  5  steht  das  subst, 
im  gen.). 

Einmal  -c  in  keysere  33, 22,  entweder  residuum  aus  der  vor- 
läge (vgl.  keiserc  in  der  Trierer  und  Bresl.  hs.,  s.  Graff  4,  527) 
oder,  wie  die  ostfrk.  form,  analogiebildung  nach  dem  n.  a.  pl. 
auf  -äre  (d.  h.  -äre)  und  *-ere  (s.  §  30;  man  beachte  auch  bruo- 
tlwre  nom.  pl.  §  39). 

Im  nom.  acc.  pl.  ntr.  holer  und  bein,  waldhole,  kind,  krild, 
scaaph  9,  5.  21,  thing,  uerch,  word  20,  7.  48, 13.  50,  21.  tciif,  ge- 
zhelt,  legor  33, 12,  Wttfae  73, 0;  sowie  gebode  69, 11,  dicre  10, 21, 
tvighwäphane  31,  2,  wazzare  73, 13  und  wercho  35, 21  mit  aus 
der  starken  adjectivflexion  entnommenem  (vgl.  §  41)  der  endungs- 
losen form  angehängten  suftix  (toc7,24  Schreibfehler  für  hüser? 
vgl.  hilsero  gen.  pl.). 

Im  gen.pl.  -o  als  norm  (knehto,  lokko,  gezeldo,  icerclw,wordof 
bergo  etc.  und  hüsero);  ausserdem  auch  uira  51, 9  (neben  wlvo 
9,26.  45,21.  55,5),  dala  13,11  mit  -a  für  -o  nach  dem  muster 

liebe  für  -a  statt  -e  nach  guttural  (vgl.  Schlüters  Untersuch.  213  ff',  und 
Beitr.  21,  488);  nur  war  die  einwirknng  im  mfrk.  dialekt,  wie  aus  ilranehe, 
dische  etc.  hervorgeht,  auf  stimmhafte  consonanz  beschränkt  (es  wäre  dem- 
nach für  den  dat.  sg.  -a  des  Mon.  neben  altem  -a  auch  -a  ans  -e  anzu- 
nehmen). 


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•182 


VAN  HELTEN 


des  dat.  pl,  -an  neben  -on  (s.  unten);  und  spare  22, 22,  golde 
40,17  (bei  Hoffniann  falscli  golda),  scäphe  10,  t>  (neben  seäpho 
29,  8),  entweder  residua  aus  der  vorläge  (vgl.  worte  gen.  pl.  in 
der  Trierer  hs.,  s.  (iraff  1, 1021)  oder,  wie  diese  ostfrk.  form, 
analogiebildungen  nach  dem  gen.  pl.  der  /-Stämme  mit  -e  und  -o 
(vgl.  §  33). 

Im  dat.  pl.  neben  bergan  IG,  2.  50, 14.  00, 24.  Werdum  43, 
14. 20.  50, 22.  09, 26.  72,  20,  wardon  48, 15. 19,  venstron,  hirzon. 
dagan,  dieran,  wazzaran  etc.,  steynlocheron  19, 20,  heggeho- 
leron  19,21  auch  bergan  32,11,  tverkan  12,15,  wordan  28,24. 
45,3,  thoman  13, 15,  seaphan  29,  37,  buochan  23,2,  steinlochoran 
(s.  §  24  am  schluss),  heggeholeran  19, 9  nach  dem  muster  der 
feminina  mit  -«n  neben  -on  (s.  §  81;  bei  den  masculinen  auch 
durch  anlehnung  an  -a  des  nom.  acc.  pl.);  sonst  noch  werelien 
28,  22,  zeyehnen  24,  18,  entweder  residua  aus  der  vorläge  (vgl. 
werken,  bergen  in  der  Trierer  hs.  nach  Graft  1,904.  3, 184)  oder, 
wie  diese  ostfrk.  formen,  analogiebildungen  nach  dem  dat.  pl. 
der  ja-  und  /-stamme  mit  -en  und  -on  (vgl.  §  80.  33). 

2.  Die  ja-  und  wa-  Stämme. 

§  30.  Auf  altes  schwanken  zwischen  -ari  und  -üri  (s.  Zs. 
fdph.  7,  340)  weisen  hin  die  nom.  acc.  sg.  threr-,  thrdrlere  (vgl. 
§18),  suanere  75,  23,  wlnkelnere  14,9,  uorare  moechus  25,7. 
der  dat.  sg.  hoodere  8, 22,  die  nom.  acc.  pl.  burgiraeJttero,  u-agh- 
tära  etc.  (s.  unten)  und  die  dat.  pl.  pigmentaren  47, 24,  innren 
piscinis  61, 16  (wegen  des  lautwei  tes  von  ä  in  -fire  s.  §  27). 

Gemäss  der  einwirkung  von  tönendem  guttural  auf  -e 
(s.  §  21  am  schluss)  findet  sich  im  nom.  acc.  sg.  ntr.  der  ja- 
stämme  neben  normalem  -c  (Ledde,  [ge]köse,  geknuffe,  gereidc, 
gernate,  gesithele,  gesnuthe,  hilethe,  middelöthe,  stubbe,  hinwl- 
rirhe,  ungeuedere)  gethinga  19,23.  27,  10.  59,  10.  woneben  durch 
systemzwang  gethinge  28.  1;  ausserdem  mit  analogiebildung 
nach  dem  nom.  acc.  pl.  auf  a  und  -c  (s.  unten)  geverda  50,  7, 
anag'mna  37, 2  (anluzza  nom.  sg.  19,  20. 28  ist  fem.,  vgl.  (hin 
anluzza  (is)  seöna). 

Im  gen.  sg.  gethinges  mit  -es  durch  systemzwang  (vgl.  §  22). 
gelichnisses  12, 19,  der  einzige  beleg  für  ein  ntr.  auf  -nisse. 

Im  dat.  sg.,  wie  bei  den  a-  stammen  (s.  §  29),  neben  hoo- 
dere, hilethe,  geteidere,  stubbe,  gesprüehe,  bedde  14,  25.  51,  19 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


483 


auch  anaginna  20, 15.  insighela  72, 18,  maara  'rede'  (mit  suo- 
zemo)  48,  4  (  a  ist  liier  wegen  des  ä  der  Wurzelsilbe  nicht  als 
die  folge  von  phonetischer  ent Wickelung-  zu  fassen,  vgl  §  18 
zu  ä  und  §21  am  schluss)  und  beddo  21,24,  ungestiuro  'un- 
gestüm' 17, 18  (abstractbildung  nach  art  der  in  Kluges  Nomin. 
stammbild.  §111  erörterten  ja-derivata). 

Der  nom.  acc.  pL  m.  der  ja-stamme  endet  auf  -a,  -e  oder  -o: 
wauhtära  44, 21  und  pimeutäre  48,  7,  u  ntre  piscinae  61, 12. 22 
(wegen  der  erhaltung  von  -e  vgl.  das  oben  zu  maara  bemerkte), 
spttne  (zaene)  'brüste'  0,5.  31,27.  34,  10.22.  60, 14  und  spanne 
03,27.  07,5.  68,21.  75,3.8  (wegen  n  neben  »ff  vgl.  Beitr.  16, 
278  und  21,475')),  burgwaehtvro  22,3.  Das  -e  steht  für  -a 
(wie  im  ostfrk.,  vgl.  wahtdre,  pimmtare,  wiare,  spanne  in  W) 
neben  en  dat.  pl.  nach  dem  muster  von  -e  nom.  acc.  pL  neben 
-en  in  der  i-declination  (oder  vielleicht  schon  *-t  für  -a  neben 
*-w  nach  *-t  neben  *-w).  Das  -o  entwickelte  sich,  wie  im 
nom.  pl.  des  /-Stammes  ephelo  (s.  §  33),  neben  -c  nach  dem 
muster  des  gen.  pl.  mit  neugebildetem  -c  (s.  unten)  und  altem  *-ö. 

Im  nom.  acc.  pl.  ntr.  findet  sich  neben  normalem  -e  (ge- 
smithe  46,22,  das  auch  sg.  sein  kann,  gesperre,  gezimbere,  ge- 
fuore  54,9,  wigewäphene,  1.  wigge-,  31,25,  wurebedde,  andwarde, 
1.  amiwurde f  responsa  44, 28,  zaey  k\h)izze  'zwei  Zicklein'  31, 28. 
60, 15 2))  auch  -a  durch  analogiebildung  nach  dem  nom.  acc. 
pl.  masc.  auf  -c  und  -a:  getarela  13.2,  gegathema  'gemacher' 
7,  7.  22, 11,  maara  (Um)  acc.  4(5,5  (vgl.  das  oben  zum  dat.  sg. 
maara  bemerkte). 

Der  gen.  pl.  sjmne  (thinero)  7, 10,  spunnc  (ther)  73, 28  ent- 
stand, wie  in  der  i-declination  (s.  §  33;  auch  W  hat  dmero, 
der  spanne).  Herdon  pastorum  10,  1  kann  nur  Schreibfehler 
sein  für  herdo. 

Im  dat.  pl.  begegnen  neben  pigmentüren,  u  ntren  (s.  oben 
und  vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  11*8  anm.  6)  gebergon  21,7,  rehkizzon 
32,  5.  60, 18. 

')  Die  formen  mit  mi  begegnen  zu  oft  um  als  residna  ans  der  vor- 
lade gelten  zu  können  (\Y  hat  immer  Hputtiie,  h.  auch  (iraffli,  344). 

")  Indem  die  diminutiva  der  fränkischen  regel  gemäss  auch  in  unserer 
limndart  -ffl  haben  (buumehn,  gebttndelin,  cornclmo)  ist  dieses  nomen  nieht 
alt»  oi-,  solidem  als  j«-stamm  zu  fassen  (vgl.  bei  ütfrid  endi  'stirn'  neben 
Honstigem  endi,  andine,  -um,  Braunes  Ahd.  gr.  §  196  anm.  3).  Auch  W  hat 
kizze  (s.  Hoffmanns  gloss.  i.  v.  zikkiu). 


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484 


VAN  HELTEN 


Der  einzige  beleg  für  wa-stamm  ist  douwes  42, 1.  Wegen 
des  wYi-stamnies  seado  s.  §  2  zu  w  und  §  36. 

3.  Die  ö-deolination. 

§  31.  Im  nom.  acc.  sg.  ist  -a  die  norm  (stemma,  stimma, 
salra,  rinda,  Jure-,  lineberga,  eera,  naghteorghta  etc.,  -genta, 
sunda,  minna  etc.).  Dreimal  jedoch  im  nom.  -o  nach  dem 
muster  der  im  gen.  dat.  sg.  mit  -a  wechselnden  -o:  genätho 
7, 11 k (neben  genütha  6,10.  27,9.  57,21.  64,20),  wambo  42,28 
(neben  wamba  59, 22),  weitho  paseuum  60, 23.  Bemerkenswert 
ist  die  häufig  begegnende  nominativform  friundma  12,13.  13, 16. 
17,9.10.  19,6.9.  28,19.  33,1.  41,27.  42,3.  52,14.17  etc.  mit 
altem  -in  +  a  (also  nicht  die  aus  dem  acc.  entlehnte  form); 
daneben  einmal  friundinna  10,11  (residuum  aus  der  vorläge? 
W  hat  die  form  auf  -in,  s.  auch  Uraff  3,  786). 

Im  gen.  sg.  -a  und  -o:  slachta,  sla{g)hta  11,18.  24,19.  35. 
27.28.  36,23.24.26.  46,22.  49,24.  68,11,  stimma  77,28  und 
sla(g)hto,  slachto  24,8.  31,2.  36,13,  minno  14,17,  tivo  7,  lö, 
martere  30, 21,  Uro  31, 26. 

Im  dat.  ebenfalls:  hizza  21,15,  minna  14,20,  Um  33,27. 
45,24  und  hclpho  23,15,  güvo  59,4,  manungo  44,12. 

Der  nom.  sg.  mürthe  '  berühmt heit'  65, 9  ist  f-stamm  (wegen 
ahd.  -idi-  s.  Kluge,  Nomin.  stammbild.  §  125);  vgl.  auch  smithe- 
särethe  nom.  sg.  oder  pl.  10,23.28,  halszirethc  acc.  sg.  oder  pL 
11,3.  Nach  dem  muster  dieses  -the  entstanden  weithe  nom.  acc, 
sg.  29,23.  32,11  (neben  weitho  nom.,  s.  oben)  und  lampreythe 
'lamprete'  gen.  sg.  11,4.  Die  jö-stiimme  helle  nom.  sg.  72,21, 
wnnne  nom.  sg.  26, 10,  gen.  sg.  27, 19  (neben  wunna  nom.  sg. 
26, 15)  stehen  in  einer  linie  mit  ahd.  brunnt,  redt,  ewi,  minm, 
wunni  (vgl.  Beitr.  7, 108  f.  21,  474  und  Braunes  Ahd.  gr.  §  210 
anm.  2).  Von  den  suffixlosen  nomina  der  ö-klasse  finden  sich 
wlse  dat.  sg.  11,  4  und  mme  stunde  78, 17  (neben  sume  stund 
17, 20.21.  39,24.  74,22,  alle  Wik  66, 15  (neben  mme  wila  12,  26, 
eine,  thie  wiila  41, 20.  20,  27),  ersteres  mit  aus  der  flexion  der 
fem.  ?-stämme  entlehntem  dativsuffix,  die  anderen  bildungen 
als  pluralia  mit  aus  gedachter  declination  entlehnter  endung 
des  acc.  pl.  (demnach  könnte  auch  in  sume  stund,  vgl.  thrie 
stund  33, 17,  und  sume  wila  ein  plur.  stecken).  Wegen  des  gen. 
sg.  sla(g)hte,  slaehten  s.  §  34.   Residua  aus  der  vorläge  sind 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  485 


möglicherweise  der  neben  wara  8, 8.  20, 13.  27, 24.  56,  11.  06, 17 
begegnende  acc.  sg.  wäre  56, 26  und  der  dat.  sg.  porte  61, 13 
(W  hat  an  derselben  stelle  wäre  aus  *warl?  sonst  wara;  in 
der  Trierer  hs.  steht  nach  Graff  3, 350  ebenfalls  der  dat.  sg. 
porte  vermutlich  mit  aus  der  /-declination  entnommener  endung 
zu  *port,  das  als  alter  suffixloser  nom.  sg.  der  tf- flexion  dem 
mnl.  poert,  s.  meine  Mnl.  gr.  s.  370,  entsprechen  würde).  Für 
rinde  acc.  sg.  37, 28  ist  (durch  voranstehendes  ruode  veran- 
lasstes) schreibversehen  zu  vermuten. 

Uebertritt  in  die  schwache  flexion  (vgl.  §  37)  ist  zu  beob- 
achten in  den  gen.  sg.  minnon  72, 27,  ewon  34, 26,  genäthan 
57, 19,  den  dat.  sg.  cribbon  16, 10,  uambon  16,9,  minnon  45, 16. 
73,22,  palmon  63,26.  64,3,  meystrinnan  8,25,  erthan  11,15, 
warningan  31,23,  portan  61,22  und  dem  acc.  sg.  cribbon  16,9; 
rouwon 'rem1  (s.  §  19  zu  tu),  minnon  14,24.  15,1.28.  45,12. 
73,6.18,  eron  55,9,  genäthan  20,24,  -on  11,26  können  gen. 
sg.  oder  pL,  ruowan  26,26,  minnon  27,11,  genäthan  27,18. 

41.19.  55,26,  -on  75,19  dat.  sg.  oder  pl,  rttowon  41,20  acc. 
sg.  oder  pl.  sein. 

Der  nom.  acc.  pl.  hat  -a  oder  mit  übertritt  in  die  schwache 
flexion  -on,  -an:  eera  27, 3  (vgl.  §  41  am  schluss).  zeltseara  52, 23, 
Hzphlanza  36,  11,  leffa  35,6.  48, 11  und  lepphan  30,6,  hereberga 
52,25,  -cm  7, 25,  aha  'wässer'73, 14,  genätha  7, 7.  20,22.  21,10. 
33,21.  52,4.10  (oder  sg.?),  salvon  38,17,  cuninginnan  55,6, 
huffehm  10, 19.  30, 16,  -«»  47,22,  plmenton  39,  12,  Stefan  6, 16. 

14.20.  15,14.  27,15.28.  45,13,  selan  50, 28.  53,14.  70,24, 
icundan  34, 9.  Sonst  noch  //ine  fffattd  und  vielleicht  auch  sume 
stund  (s.  oben  und  vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  281). 

Der  gen.  pl.  hat  -on  oder  auch,  wie  in  der  schwachen  flexion 
(s.  §  37),  -an  :  salvon  7,  3.  34,  23,  ptmenton  24, 9,  wundon  19, 16, 
kuninghinan  53,  8,  sorgan  42,  17. 

Der  dat.  pl.  ebenfalls:  salvon  6,6.  38,10.19,  stunden 75, 4, 
7>orfon67, 16,  Unebergon  16,26.17,3,  pfmenton  40,6,  /ki/cow 
36, 1,  genäthan  7,  5,  herebergan  9,  28,  sfrfcwin  21,  28,  sor^iw 

44.21.  fep&afl  65,23. 

4.  Die  femlnina  abstracto  auf 

§  32.  Diesen  nomina  kommt  als  norm  für  die  casus  des 
Singulars  -e  zu  (vgl.  §  21):  nom.  acc.  bitherve,  sitoze,  slcarphe, 

Beitrage  zur  g»Mhioht«  dar  deutseben  »pruabe.    XXII.  32 


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486 


VAN  HELTEN 


gebare  (wegen  der  erhaltung  von  -e  in  dieser  form  vgl.  das 
§  30  zum  dat.  sg.  maara  bemerkte),  woste,  were,  röde  und  ruode 
(vgl.  §  18),  andwarde  (vgl.  $  15),  tiumsternisse  20,  27,  herdnisse 
9,22.  10,7  und  marthe  (s.  §  31);  gen.  f renn  e,  ansiune,  bröthe 
' Zerbrechlichkeit'  und  wunne  (s.  §  31);  dat.  höhe  32.8.  38,  8. 
60,21,  wereldthimstre  32, 17,  ansiune,  grimme,  were,  tcoste,  röde. 
Für  eine  form  mit  vor  der  endung  stehendem  tönendem  guttural 
ist  nach  §  21  am  schluss  -a  zu  erwarten:  memga  nora.  acc.  sg. 

29. 11.  30,  \4,  gen.  sg.  öl,  14;  daneben  durch  systemzwang  auch 
menige  acc.  sg.  75.25  und  liöghe  dat.  sg.  16,21  (auch  durch 
ein  Wirkung  von  höhe,  s.  oben;  wegen  gh  vgl.  s.  449  anm.)- 
Sröna  nom.  sg.  29, 1  (neben  scöne  acc.  dat.  sg.  13, 27.  38,  8), 
thiu  maara  34,  28  (vgl.  das  §  30  zum  dat.  sg.  maara  bemerkte) 
und  doupha  dat.  sg.  6,17.  16,11  (neben  douphe  dat.  sg.  12,10. 

16. 12.  33, 16)  können  auf  analogiebildung  nach  memga  beruhen 
oder  in  einer  linie  stehen  mit  den  ahd.  bildungen  toufa,  resta 
etc.  neben  touft,  restt  etc.  (vgl.  Braunes  Ahd.  gl*.  §  213  anm.  2; 
der  übertritt  dieser  nomina  erfolgte  durch  analogie  nach  wunna, 
minna  etc.  nebei  icunnl,  minm  etc.).  Sicher  sind  als  die 
folgen  solcher  Übersiedelung  zu  fassen  vesto  19, 15  als  nom., 
wäthlieho  (s.  §  13)  als  acc.  sg.  (vgl.  wegen  -o  §  31  im  anfang), 
reyno  15,15  und  genödo  33,3  als  dat.  sg.  (vgl.  W  gnöte  und 
note  in  der  Stuttg.  hs.  nach  Graff  2, 1045;  beachte  noch  Notkers 
gnöti  summa,  gnött  individuitate,  Graff  a.  a.  o.).  Schwierig  Ist 
die  beurteilung  von  wasche  lavacro  29,28  und  waseha  eben- 
falls dat.  sg.  29,8:  in  W  steht  waske,  doch  hat  Otfrid  3. 20. 26 
einen  dat.  wasgu;  also  im  L\V  wasche  residuum  aus  der  vor- 
läge und  waseha  die  der  mundart  des  umsehreibers  zukom- 
mende fonii  nach  der  ö-declination?  oder  wasche  als  mfrk. 
/-stamm  und  waseha  mit  -a,  wie  in  donj>ha? 

Ein  nom.  acc.  pl.  kann  vorliegen  in  smlthesclrethe,  Itals- 
zirethe  (s.  §  31)  sowie  in  were  74,3,  doych(e)ne  10,27.  31,7. 
61,  6  (die  aber  auch  als  sg.  zu  fassen  wären);  ander  the  herd- 
nisse  9,  8  (mit  ander  c.  acc.)  entspricht  unter  den  corteron  in 
W,  könnte  aber  doch  sg.  sein  (wegen  the  acc.  sg.  f.  s.  §  49). 
Scöna  acc.  pl.  8, 10  (als  pl.  zu  fassen  wegen  des  begleitenden 
mino,  vgl.  §  48)  gehört  zur  kategorie  vesto;  dasselbe  gilt  für 
den  nom.  pl.  halsziretha  58, 21,  es  sei  denn  dass  hier  wirklicher 
ö-stamm  vorläge.    Der  gen.  pl.  herdnissen  9, 27  hat  -en  (aus 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILURAM.  487 


*-m  für  *-tno,  wie  -on  aus  *ön  für  *öno,  vgl.  §  23  und  31). 
Die  endung  des  dat.  pl.,  die  -en  (aus  *-w,  vgl.  §  23)  lauten 
musste,  ist  indirect  belegt  durch  bluomen  (s.  §  37  am  schluss). 

5.  Die  masculinen  und  neutralen  t-  Stämme. 

§  33.  Von  langsilbigen  masculinen  der  i-declination  ist 
der  gen.  sg.  belegt  durch  epheles,  der  dat.  durch  sinne.  Liudes, 
-e  können  zum  masc.  gehören  (vgl.  die  unten  belegten  linde 
acc.  pL,  -en  dat.  pl.)  oder  zum  ntr.  (vgl.  vore  ander  Uud  31. 13 
und  sin  Uud  acc.  sg.  57. 13). 

Von  den  kurzsilbigen  masculinen  findet  sich  nur  wine  und 
zwar  in  den  folgenden  formen  des  sg.:  nom.  wine  9, 4.  11, 20. 26. 
12,20.  13.22.  16,1.  39,20.  66,14.  68,12.  78,6  und  wino  16,12. 
17,7.  20,19.  21,6.  42,26.  44,8.  46,2.  51,9.10.  52, 4,  gen.  wine», 
dat.  wine  43, 23.  66,  5  und  wino  43, 10,  winon  14, 25,  acc.  wine 
22, 4.  23. 2  und  wino  21, 25.  22,  8.  45, 11.  Das  -o  des  nom.  acc. 
beruht  auf  Übertragung  aus  der  ti-flexion  der  kurzsilbigen,  für 
deren  nom.  acc.  sg.  nach  den  belegten  acc.  fritfie  75,  4  und  sido 
21, 13  die  beiden  endungen  -o  und  -e  anzusetzen  sind  {frühe, 
*side  neben  *fritho,  sido  durch  einwirkung  von  *frithest  -e, 
*sides,  -e  und  nach  dem  muster  von  wine  mit  wines,  -e).  Im 
dat.  winon  liegt  durch  den  nom.  wino  veranlasster  übertritt 
in  die  schwache  flexion  vor;  der  dat.  wino  steht  entweder 
neben  diesem  winon  wie  wühemo,  boumgardo  neben  den  nor- 
malen ow-bildungen  (vgl.  §  3  zu  w),  oder  er  hat  aus  der  a-decli- 
nation  (vgl.  §  29)  entlehntes  -o. 

Das  genus  von  mere  acc.  sg.  49. 24  (vgl.  Braunes  Ahd.  gr. 
§  202  anm.  1)  ist  nicht  zu  ermitteln. 

Im  nom.acc.pl.  steht  neben  -e  auch  -a:  linde  76,6,  sinne 
32,18  (vgL  W  sinne),  Schilde  31,1.22,  zene  29,6,  fuozc  42, 15, 
stank-,  arzätwurze  34, 24.  67,15.  78,22  und  gangabS,  9,  sprunga 
16,  7  mit  phonetisch  entstandenem  -a  (s.  §  21  am  schluss).  sowie 
ephela  13. 26.  56, 13  durch  analogiebildung  nach  ganga  etc. 
oder  mit  übertritt  in  die  a- flexion  (vgl.  ahd.  winta,  kruoga 
etc.  neben  winti,  kruagi  etc..  Braunes  Ahd.gr.  §216  anm.  3). 
Sonst  noch  epMo  nom.  66, 19  mit  -o,  wie  in  burgwaehtero 
(s.  §  30  zum  nom.  acc.  pl.). 

Für  den  gen.  pl.  begegnen  -o  und  -e,  letzteres  durch  ein- 
wirkung des  dat.  pl.  auf  -en  und  nach  dem  muster  von  -o  gen. 

32* 


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488 


VAN  HELTEN 


pl.  lieben  -on  dat.pl.  der  «-declinatioii:  epfe&>36,12. 05,8.11,  stanc- 
würze  78, 8,  iachande  48. 28.  49, 9,  wurme  11,  5  (vgl.  für  gleich- 
gebildete  genitive  warnte  W  und  nach  Graff  1,  1044  auch  in 
der  Palat.  und  in  der  Stuttg.  hs.,  iechante,  epfele  nach  Graff 
1,  594. 173  in  der  Trierer  hs.  des  W,  sowie  die  im  Wiener  Notker 
begegnenden  formen  liuti,  zaiuiri,  tturmi,  s.  Heinzeis  citate  in 
den  Wiener  sitzungsber.  81, 216.  386). 

Für  den  dat.  pl.  gelten  -en  und  aus  der  a-flexion  entlehntes 
-on:  Huden  13,22,  Schilden  31,24,  fuozen  49,25.28,  beken  47,8, 
sprungen  16. 2  (mit  -en  durch  systemzwang)  und  ephoton,  -elon 
14,60.  69,20. 

6.  Die  femininen  /-Stämme. 

§  34.  Die  langsilbigen  enden  im  gen.  dat.  sg.  normal  auf 
-e:  werelde  14,23.  28, 15. 19.  45,  17.  62, 16.  64,28.  70,26,  mühe- 
wiste  52, 10,  frumhjheide  71, 13,  dure  43, 23  (daneben  als  ö-stamm 
dura  nom.  acc.  sg.  74, 3.4),  sla(g)hte  31,25.  36,28.  76,5  (oder  pl.? 
s.  unten  zum  gen.  pl.;  daneben  sla(jg)hta,  -o,  slaclita,  -o  generis, 
s.  §  30;  wegen  eines  «-Stammes  slaght  genus  vgl.  den  in  Willi- 
ramhss.  passim  begegnenden  gen.  sg.  slahte,  Graff  6, 780)  und 
werelde  33,22.  44,18.  53,3.6.  64,28,  nöde,  liste,  kttnste,  züchte, 
wiisheyde  22,17,  slaßheyde  41,8,  arbeide  38,27  (oder  zunr  ntr. 
arbeid  gehörend?  vgl.  neghein,  michol  arbeyd  acc.  sg.  23, 12. 
63, 22),  wände  16,  24.  Daneben  dugatlia  gen.  39, 18.  woledäda 
dat.  31, 15,  mit  phonetischem  -a  für  -e  (s.  §  21  am  schluss;  wok- 
däde  24,20  mit  -e  durch  systemzwang)  und  daJaslaghta  con- 
valli  56, 10  mit  analogischer  endung;  sowie  milocho  dat.  47, 9 
mit  assimiliertem  -o  für  -e  (neben  miliche,  -eche  74, 8.  34, 19) 
und  milicho  40,9  durch  compromiss  aus  -ocho  und  -iche  (auch 
miloche  35, 18  durch  systemzwang).  Wegen  der  suffixlosen 
formen  gen.  wereld  25, 6.  26, 25,  eristunheyd  10, 28,  dat.  gewtdd 
28, 17,  gehörsamegheyd  20, 25  vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  218  anm.2 
und  Beitr.  15,  487. 

Die  belege  für  kurzsilbige  Stämme  sind  stad  nom.  sg.,  ge- 
seUkiphe  gen.  sg.,  stede,  friundsehephe,  geselskiphe  dat.  sg. 

Der  nom.  acc.  pl.  endet  auf  -e  (-ce)  oder  auf  aus  der  ö-decli- 
nation  entlehntes  -a:  säte  25, 28.  49,27,  kerese,  gelüste,  dugatfue 
37. 1  (mit  -rt?  durch  systemzwrang) ;  dugetha  35, 27,  gescriphta 
33,1,  wildeshuda  7.25;  in  dugatha  19,3.  36,23  und  woladäda 
27, 17  kann  das  -a  auch  phonetisch  entstanden  sein. 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


489 


Im  gen.  pL  steht  neben  -o  aus  der  masc.  i'-declination  ent- 
lehntes -e:  crafto  21.28,  geize  20,5.12,  kerese  53,9  und  viel- 
leicht (die  übrigens  auch  als  gen.  sg.  zu  fassenden)  sla(g)hte 
(s.  oben  und  vgl.  das  unten  zu  erwähnende  slachten),  gescriftr, 
(ge)scriphte  10,  27.  32,  19.  61,  7,  dugliethe  76,  16,  crefte  38,  4, 
arbeide  26,25  (vgl.  arbeito  in  «  nach  Seemüller  52.23),  wüde 
35,9  (mit  -e  durch  systemzwang,  es  sei  denn  dass  hier  um- 
gelautetes  ä  vorliegt,  vgl.  das  §  30  zum  dat.  sg.  niaara  be- 
merkte); [wegen  gleichgebildeter  genitive  vgl.  geize,  kebese  in 
W  und  die  aus  dem  Wiener  Notker  von  Heinzel,  Wiener  sitzungs- 
ber.  81,  216.  274.  336  citierten  formen  arbeite,  geuurhti,  dieti,  -c, 
giscrifte,  giluste,  ketäti;  sodann  in  den  Altnfrk.  psalmen  crefte 
virtutum  67, 13.  68. 7,  fluodi  fluctuum  64, 8.]  Als  die  folgen 
neuer  analogiebildung  finden  sich  ferner  in  diesem  casus  duga- 
tham  (bei  Hoffmann  falsch  -en)  37, 2.  manlger  slachten  19, 3 
(und  diesem  plur.  nachgebildetes  einegar  slachten  43,8')):  -en 
für  -e  neben  -en  dat.  pl.  nach  dem  muster  von  -on  gen.  pl.  zu 
-on  dat.  pl.  der  ö- Stämme  (einwirkung  des  neben  -en  dat.  pl. 
stehenden  -en  gen.  pl.  der  i-stämme,  s.  §  32,  ist  wegen  der  sel- 
tenen Verwendung  solcher  pluralia  nicht  wahrscheinlich). 

Der  dat.  pl.  hat  -en  oder  als  aus  der  ö-flexion  entlehnte 
suffixe  -on,  -an  (vgl.  §  31):  sillen,  wole-,  tvelelusten  71,6.  63,20, 
dugathcn  33, 19,  dughethen  15, 16  und  dugathan  19,  4.  24, 16, 
brüsten  11,22,  -an  11,25,  daaden  17,22  und  u  oledadan  29,  17, 
crafton  9,  9,  gescriftan  45, 3. 

Wegen  des  /-Stammes  bluom  vgl.  §  37  am  schluss. 

7.  Die  tt-declination. 

§  35.  l'eber  sido,  frühe  s.  §  33.  Vilo  begegnet  als  'mul- 
tunV  im  nom.  acc.   Sun  findet  sich  nur  im  nom.  sg. 

Wegen  luind  dat.  sg.  58, 22,  liandc  nom.  pl.,  hande  gen.  pl. 
59.  4  (oder  gen.  sg.?),  handon  dat.  pl.  beachte  das  §  34  über  die 
/-feminina  erörterte. 

8.  Die  schwache  declination. 

§  36.  Die  masculine  flexion  hat  -o  und  -on  (auch  im  gen. 
dat.  sg.): 

')  Vjjl.  mnl.  ene-,  eemcen-en  (».  498  fasoi.  meiner  Mnl.  gramm.)  nach 
ttce-,  driewerven. 


490 


VAN  HELTEN 


nom.  sg.  navalo,  mäno,  tclnthravo,  mennisco,  namo,  heyl- 
brttnno; 

gen.  sg.  lichamon,  gethancon  42,  23,  wtngardon; 

dat.  sg.  gardon  35, 28.  38, 9.  51, 19,  heerron; 

acc.  sg.  (nuz)gardon  39, 11. 21.  40, 5.  56,9,  wtngardon  8, 23. 
75, 24.  76,  25,  lichamon  35, 20; 

nom.  acc,  pL  gesellon,  wtngardon,  lewon,  lichamon,  menni- 
schon,  wereldfureston,  thrüvo  (1.  thmvon)  12, 2; 

gen.  pl.  gesellon,  lettwon,  pardon,  menniskon  35, 20  (67, 5 
mennisco,  1.  -on),  naghtdrophon; 

dat.  pl.  (tcln)gardon,  menniskon,  wtnthmvon,  revon  (oder 
fem.?),  vortheron,  gethankon  (oder  zu  dem  im  acc.  pl.  gethanka 
62,25  belegtem  a- stamm;  wegen  des  schwachen  Stammes  be- 
achte obiges  gethancon  gen.  sg.  und  die  unten  zu  erwähnenden 
nom.  sg.  gethanko,  -a). 

Wegen  der  dative  und  accusative  sg.  auf  -o  s.  §  3  zu  n.  Die 
vereinzelten  dat.  sg.  brtinnen  36, 5,  garden  36, 25  sind  entweder 
reste  der  alten  flexion  (wegen  -cn  in  der  schwachen  adject. 
declination  vgl.  §  42)  oder  residua  ans  der  vorläge. 

Statt  -o  und  -on  begegnen  nicht  grade  selten  aus  der  femi- 
ninen flexion  (s.  §  37)  entlehnte  -a  und  (fast  nur  im  sg.)  -an: 
nom.  sg.  wmgarda  56,12  (neben  wmgardo  20,12.  66,17),  ge- 
thanka 57,4  (neben  gethanko  53,6),  naghtseada  'nachtschatten* 
32,  2.  22  (s.  g  2  zu  w);  gen.  sg.  gelouan  (1.  gelouran)  18,  4  (neben 
gelouron  73, 19);  dat.  sg.  (ge)louran  22, 19.  23, 15. 16.  29, 16, 
willan  28,11.  56,2,  scada  -schatten'  14,3  (Schreibfehler  für 
scadan  oder  M-lose  form,  wie  withetno,  boumgardo,  s.  g  3  zu  »); 
lu-v.sg.gcthingan  23.13,  willan  12,7.  16,7.  23.10.  26,  24.  28,8. 
34,8.  43,8.13.28.  50.22.  60.9.  70.27.  72,  28  (neben  willon 
11,15.  15,19.  21,9.  39,13);  nom.pl.  nachtscadan  20.21  (s.  g  2 
zu  w).  Wie  aus  diesen  belegen  hervorgeht,  zeigen  einige  no- 
mina  Vorliebe  für  die  endungen  -a,  -an. 

g  37.  Die  feminina  haben  -a  im  nom.  sg.,  in  den  anderen 
casus  -on  (vgl.  g  23)  und  mitunter  an  das  -a  des  nom.  an- 
gelehntes an: 

nom.  sg.  sunna,  dura,  chela,  binda,  meila  macula  (oder 
stark?)  und  apheldera,  lilia,  (ge)malwla  19.6.  25.16.  33,8.13. 
34, 3.  7.  35, 6  mit  a  durch  systemzwang  für  lautgesetzliches  -e 
(d.  h.  -9,  vgl.  §  21  zu  -«); 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  401 


gen.  sg.  rdon  capreae  21,13.  31,28.  60,15,  mirron  11,21 
43,11.12  und  (turtul)dRvan  12.14.  18,10.  28,20.27.  47,7,  co- 
ronan  27. 25.  28, 6,  herzan  (miner)  43, 3  (das  nomen  steht  meist 
als  ntr.,  s.  §  38); 

dat.  sg.  reion  16.  3.  21,6.  78,7,  spizzon,  mirron  24,7,  zungon 
(wegen  durch  zufall  nicht  belegter  endung  -am  vgl.  meystrinnan 
etc.,  §  31); 

acc.  sg.  mirron  48, 12  und  mirran  40, 6,  lüian  13, 17,  corotmn, 
uinian; 

nom.  acc.  pl.  bluomon  17,25,  ftgon,  vohon,  iunc-,  iungfrouwon 
15,10.  27,23.  50,28,  -an  6,16.  26,5.  45,10.  70,21,  lilion  48, 
12.13,  -Oft  51, 21,  lukkon  'lücken'  52, 23  und  lueehan  56,5, 
(turtufylüvan  10,19.  47,19,  zigan  9,28,  thiernan  55,4; 

gen.pl.  thiernan  53,9; 

dat.  pl.  reion  15, 11,  tavelon  74, 5,  W/cm  20, 20.  32,1.  59,23, 
-cm  32, 18.  52, 5,  gazzan  21,  28. 

Auch  hier  ist  Vorliebe  einiger  nomina  für  -an  zu  beobachten. 

Auffällig  sind  die  neben  bluomon  nom.  pl.  begegnenden 
bluom  nom.  sg.  f.  18, 27,  veldbluome  nom.  sg.,  bluomen  dat.  und 
acc.  pl.  14, 16.  13, 12:  aus  bluom,  -en  dat.  pl.  ist  auf  die  existenz 
eines  i- Stammes  zu  schliessen;  dieser  dat.  bluomen  und  der 
zugehörige  nom.  acc.  pl.  *bluome,  deren  endungen  mit  denen 
der  i-stämme  (s.  §  32)  zusammenfielen,  konnten  die  fassung  des 
nomens  als  /  -stamm  herbeiführen,  woher  die  neubildung  -bluome 
nom.  sg.;  bluomen  acc.  pl.  ist  Schreibfehler  oder  gelegentliche 
compromissbildung  aus  *bluome  und  bluomon. 

§  38.  Im  nom.  acc.  sg.  ntr.  steht  neben  -a  auch  -o  nach 
dem  muster  der  masculina  auf  -ci  und  -o  (s.  §  36):  herza  21,21. 
37,6.  72,18  (der  nom.  nun  herzu  41,18  kann  auch  fem.  sein, 
vgl.  §  48),  herzo  34, 3.  4. 

Für  die  anderen  casus  gilt  neben  -an  auch,  wie  in  der 
fem.  declination,  an  das  -a  des  nom.  acc.  sg.  angelehntes  -an: 
gen.  sg.  herzan  41,23;  dat.  sg.  Iierzon  43,27,  -cm  11,24;  nom. 
acc.pl.  ougon  41,  23.  53,1.  61,12,  -an  12,14.  15,28.  20,21.27. 
47,7;  gen.pl.  ougan  34,5;  dat.pl.  öron  19,27,  ougan  28,23, 
herzan  9, 12.  59,26.  73, 11  (das  an  den  beiden  letzteren  stellen 
auch  dat.  sg.  sein  kann). 

Wegen  herzen  dat.  sg.  44,12  vgl.  die  §  36  erwähnten 
brunnen,  garden. 


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492 


VAN  HELTEN 


9.  Die  conaonantische  declination. 

§  39.  Zu  den  raasculinen  ist  zu  bemerken: 
im  nom.  acc.  pl.  stehen  bruothera  46, 25  und  bruoflwre  14.  2, 
letzteres  mit  -e  für  -a  nach  dem  muster  der  personennamen  mit 
-äre  und  -ära  (d.  h.  -dre,  ■«>«),  *-ere  und  *-era  im  nom.  acc.  pl. 
(s.  §  30  und  vgl.  auch  heisere  nom.  pl.,  §  20);  neben  friund  77, 10 
auch  friunde  41,  2.  4.  77,  27  und  viande  9, 16,  vlende  52, 26 
(-end-  ist  angesichts  viande  und  vlandan  39, 24  wol  als  aus  der 
vorläge  stammend  zu  fassen),  deren  -e  auf  *-i  zurückgehen 
muss,  das  durch  analogiebildung  nach  den  fem.  consonant- 
stämmen  entstanden  war:  wenn  einerseits  die  endung  des  nom. 
acc.pl.  der  a-  stamme  auf  den  suffixlosen  nom.acc.pl.  über- 
tragen wurde  (vgl.  ahd.  frlunta,  fianta  neben  friunt,  f'tant, 
north,  friondas,  fiondas),  konnten  andrerseits  ebensogut  die 
einer  bestimmten  älteren  periode  angehörenden  nom.  acc.  pl. 
*idisi  und  *idis,  *burgi  und  *burg  etc.  die  entstehung  von 
*friundi,  *fkmdi  neben  friund,  *fland  veranlassen  (vgl.  auch 
das  in  einigen  Williramhss.  vorkommende  viende,  Seemüller 
13,  11  var.,  und  in  der  Trierer  Iis.  begegnendes  friunte,  Graff 
3,784);  sonst  noch  man  nom.pl.; 

im  dat.  pl.  vlandan  (s.  oben)  mit  -an  für  -on  nach  der 
a-flexion  (s.  §  29). 

§  40.  Von  den  femininen  consonantstämmen  sind  zu  ver- 
zeichnen: 

muoder  gen.  sg.,  nuujath  dat.  sg.  13,  13  und  magathe  gen. 
sg.  16, 9  (mit  -e  durch  systemzwang,  vgl.  g  34  zum  gen.  dat.  sg.), 
bürg  dat.  sg.  21,28.  31,21  und  wercldburga  dat.  sg.  (wegen  -a 
vgl.  §  21  am  schluss);  wegen  miloeho  etc.  s.  ebda.); 

sucstera  acc.  pL  46,26,  dochteran  dat.pl.  13,17  mit  -an  für 
-on  nach  der  ö-flexion  (s.  §  31);  wegen  brüsten,  an  s.  g  34. 

V.  Declination  der  adjectiva  (partieipia  und  indefinita). 
1.  Die  starke  declination. 

§  41.  Paradigma: 

manc. 
«Olli.  Sg.  — 

gen.         —  es 
dat.  —  emo 

acc.  —  en 


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fem.  ntr.  cooim.  gen. 

pl.  —e 

—  (to        —  cs  —  ero 

-emo  -£} 

—  e  -  e 


ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


403 


Belege  und  ausnahmen: 

nom.  sg.  m.  guod  liumunt  19, 5,  negheyn  wereldligh  strepitus 
28, 3,  ein  ravon  46, 19,  slozhaß  gardo  35,  25.  ander  einech  tverch- 
man  49, 1,  all  her,  her  all  50, 18.  23  (wegen  al  min  iämer  45,  4, 
al  (hin  gethanko  s.  unten  zum  nom.  sg.  fem.)  und  scönc  teinbluoth 
19,5,  ethele  winthrävo  11,27;  in  gethräde  naph  crater  tornatilis 
59,6  (W  gedräter  naph),  das  wegen  ther  gethräde  naph  59,17 
nicht  für  Schreibfehler  zu  halten  ist,  liegt  nicht  adjectiv  + 
Substantiv  vor,  sondern  appositionelle  composition  mit  gethräde 
=  ahd.  gidräti  tornatura  (opus  torno  factum;  vgl.  auch  ge- 
dräte  naph  in  der  Einsiedler  Williramhs.  nach  Seemüllers  aus- 
gäbe 113,  1  var.); 

nom.  sg.  fem.  michol  nood  8, 9,  nehein  zala  53,  9,  nehein 
virtus  37,18,  neghein  meila  ' kein  flecken'  33,2,  ein  stad  12.2, 
eyn  riuehgerda  24, 6  (al  furo  icoledät  51, 27,  al  mlna  scönheyd 
12,22,  al  sin  operatio  49,3  ist  nicht  beweisend,  vgl.  Grimms 
Gr.  1,476);  daneben  auch  eine  binda  30,7,  alle  thiu  genätha 
64, 20,  vaste  müra  75,  5  (zu  einem  mit  as.  fast,  ags.  fmst  zu 
vergleichenden  *vast,  es  sei  denn  dass  wir  es  hier  mit  vaste, 
compromissbildung  aus  *rast  und  *vesti  =  ahd.  festi  zu  tun 
hätten)  und  gethrangada  zdtscara  52, 16  (W  wolegedrangetiu 
zdtscara)  mit  aus  dem  acc.  sg.  entlehnter  endung  (in  eyn  cleyna 
riuehgerda  24, 6,  eine  röda  binda  30,  7  kann  -a  endung  des 
schwachen  adjectivs  sein,  vgl.  §  42);  recht  häutig  findet  sich 
letzteres  suffix  bei  prädicativer  Verwendung  eines  ja-stammes, 
vgl.  seöna  12, 13. 14. 15.  21.  19,  28.  28, 1*9.  20.  22. 24.  33, 1. 3.  52, 
14. 17.  55, 16. 24  (neben  seöiuv,  -e  63, 19. 20),  suoza  19, 28  (neben 
suoze  50,18.  65,11.26),  mithewära  52,15  (neben  -wäre  52,  19, 
unsemße  38,28,  ziere  52,15.  63,19.21,  bitherve  12,27,  harde 
73,3  und  die  partieipia  veghtande  63,22,  -fhtoiende,  neigande 
71,6.7  (vgl.  auch  über  gara,  goldfare  oben  §  2); 

nom.  acc.  sg.  ntr.  azgegozzen  oley  6, 13,  ander  ivaldholz,  lind 
13,25.  31,34,  negheyn  arbeyd,  gethinga  23,12.  27,16,  eynegh, 
nehein  ander  gesmithe  26,  20.  37,  21,  zldech,  ald  (ovaz)  64, 19. 
68,12,  nein  deil  76,18,  elphandln  tvlghüs  61,1;  ueynegaz  bou- 
meUn  38, 1  hat  demnach  als  residuum  aus  der  vorläge  zu  gelten 
(auch  in  niwa  [ovaz]  steht  das  adj.  vielleicht  als  Schreibfehler 
für  solches  nhvaz)\  dem  dialekt  der  Umschreibung  gehören  je- 
doch an  allaz,  -iz  in  tliaz  allaz  30,  24,  thiz  alliz  64, 12,  thaz 


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VAN  HELTEN 


atf->28, 10,  alte  thaz  geverda  50,7,  alteana  'immerfort'  neben 
al  in  ouer  al(T)  57, 14.  78, 14  (wegen  des  durch  anlehnung  an  thiz 
entstandenen  alte  vgl.  die  nämliche  in  W  passim  erscheinende 
form;  wegen  albus,  -iz  gegenüber  üzgegozzen,  ander  etc.  beachte 
mnd.  mnl.  allet;  wegen  al  in  al  thaz  geruste  31,26,  al  thln 
dcsidcrinm  52, 21,  aü  sin  guod  73, 21,  al  thaz  60, 8  vgl.  Grimms 
Gr.  1,476;  als  adverb.  steht  natürlich  al); 

gen.  sg.  fem.  gödero  Uro  31,26,  michelero  dignitatis  38, 11, 
manlicliero  dughethe  76, 16  (oder  pl.?  vgl.  §  34  zum  gen.  pl.), 
wirthegaro  routcon  (oder  pl.?  vgl.  §  31)  mit  regelrechtem  -a- 
(s.  §  24);  neben  dieser  unursprünglichen  endung  auch  aus  *-cra 
geflossene  -ere,  -are  (vgl.  §  21  zu  -a)  in  michelere  crefte  38.  3 
(oder  pl.?),  stadi  gare  du  gut  ha  39. 18;  sodann  mit  synkope  von 
-e  (vgl.  die  anm.  zu  §  48)  in  den  Verbindungen,  worin  das 
ad  jectiv  gewissermassen  als  compositionsteil  steht,  aller  sla(g)hta, 
slachto  46,22.  68,11.  31,2.  35,27.28.  36,23.24,  sla(g)hte  (oder 
pl.?  vgl.  g  84)  31,25.  36,28.  76.5  (woneben  allero  sla(ß)hta,  -o 
24,8.  36,13.26),  und  manigar  slaghta  24,19,  einegar  slachten 
(vgl.  §  34  zum  gen.  pl.),  allar  slaehta  49,  24  mit  phonetisch  bez. 
analogisch  entwickeltem       (vgl.  §  22); 

im  dat.  sg.  masc.  ntr.  steht  neben  häufigem  -emo  einmal 
-hno  in  elphandlnimo  (s.  §  24  zu  -c  );  zweimal  -amo  in  eyne- 
gamo,  -agamo  15, 22. 28  mit  regelrechtem  -a-  für  -e-  (s.  §24: 
daneben  cgnegenio  17, 18  durch  systemzwang);  wegen  heilsamo 
vgl.  §  24  am  schluss;  anderen  in  therro  ther  ein  ze  anderen  . . . 
eo/uurent  36,21  ist  wol  als  ein  durch  die  vorläge  veranlasster 
dat.  pl.  zu  fassen  (die  W.-hss.  haben  nach  Seemüller  68, 9  die 
der  ze  einanderen  oder  zeinen  anderen  . . .  eohaerent;  vgl.  wegen 
dieser  offenbar  dem  umschreibe!*  nicht  geläufigen  construction 
Grimms  Gr.  3, 83);  ob  allen  in  in  allen  themo  binde  17,26  der 
mundart  der  Umschreibung  zukam  oder  residuum  aus  der  vor- 
läge ist  (die  Einsiedler  und  die  Kaisersheimer  hss.  haben  nach 
Seemüller  39.  2  var.  ebenfalls  allen),  lässt  sich  schwerlich  ent- 
scheiden, rätselhaft  ist  die  form  aber  im  einen  wie  im  andern 
fall  (vgl.  noch  zi  allen  dinemo  dionosti  Otl.  18.  woneben  in  alle 
dinemo  dionosti  Gtl.  8,  wie  in  alle  demo  lante  an  der  parallel- 
stelle vom  LW  17,26  in  der  Hresl.  und  Ebersb.  Iis.); 

im  dat.  sg.  fem.  zuinelero  züchte  29, 9.  allero  avulitate  54, 13, 
allero  thero  icereble  64,  28,  eynero  nöde  22,23,  sowie  willegero 


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ZUR  SPRACHE  DE8  LEIDENER  WILLIRAM.  495 


gehörsameglieyd  20, 25  mit  regelwidrigem  -e-  (vgl.  §  24);  sonst 
noch  mit  analogischem  -aro  (nach  *-garo)  gitthestvilcharo  doy- 
chene  21, 18  (s.  §  2  zu  j  und  s.  447  anm.)  und  einer  genödo  33,  3 
(vgl.  oben  zum  gen.  sg.  f.); 

im  acc.  sg.  masc.  midden  dach  9,6,  suozen  stanc  18,28.  48,6, 
allen  (wercldllchen)  rl(c)Muom  30, 1.  76, 21,  iuiccre(n)  uvelcn 
willon  39, 13,  necheinen  fructum  36, 5,  neheinen  favorem  43, 20, 
anderen  then  populum  75, 15,  einen  34, 10. 12  mit  -en  für  -an 
durch  anlehnung  an  -es,  -emo  und  then;  daneben  mit  alter 
endung  eynan  disk,  ruom  25,27.  26,9.  28,3,  einen  iegclichan 
34, 10. 12  (oder  schwach?  vgl.  §  42)  und  (speciell)  die  prädicativ 
verwanten  gethruhtan  69. 20,  giregan  73, 25  (oder  mit  -gan  aus 
■gen?  vgl.  §  22);  sodann  auch  wereldliehon  ruom  54.  8,  gcptmen- 
tadon  win  69, 19,  einon  75, 23,  allen  wercldUclwn  richduom  76,21 
(oder  schwach?  vgl.  §  42)  durch  entlehnung  der  endung  aus 
dem  schwachen  acc.  sg.  masc,  der  nach  den  für  die  schwachen 
gen.  und  dat.  sg.  masc.  ntr.  belegten  -en,  -an,  -on  (s.  §  42)  mit 
eben  denselben  suffixen  anzusetzen  ist  (vgl.  auch  mtnon  acc. 
sg.  masc.  §  48); 

im  acc.  sg.  fem.  sunderltcJie  scöne  13,  27,  suleche  arbeyd 
41, 20,  necheyne  rugam  33,  7,  neheine  renumerationem,  fortitu- 
dinem  59, 15.  60, 2,  eine  ecclesiam  75, 28.  alle  contradictionem 
43,  25,  ruode  rinde  37,  28,  unbetcollene  (prädic.)  52, 19  (sume 
stund,  sume  u  ila,  tvellchc  halszirethe,  silverine  tvere  können  sg. 
oder  pl.  sein,  vgl.  §  31  und  32)  mit  -e  für  -a  durch  anlehnung 
an  -en  acc.  sg.  masc.  für  -an;  daneben  auch  mit  alter  endung 
thräda  vart  39, 1  (weltcha  genätha  33,  21  kann  sg.  oder  pl.  sein, 
vgl.  §  31),  scöna  (prädic.)  33, 14  und  mit  alter  endung  oder  -a 
statt  -e  (vgl.  g  21  am  schluss)  eynega  gcliiclion  15, 18  (doch 
einege  gelichon  70,25  durch  systemzwang);  wegen  al  thie  we- 
reld  18,4.  57, 12.  58, 12,  al  thie  iciila  20,  27  vgl.  (Trimms  Gr.  1, 476; 

im  nom.  acc.  pl.  masc.  fem.  ntr.  steht  neben  häufigem  -e 
der  alten  masculinen  endung  mitunter  -a,  das  nach  anderer 
consonanz  als  tönender  guttural  die  ursprünglich  dem  fem.  zu- 
kommende endung  repräsent iert,  nach  tönendem  guttural  zwei- 
deutig ist  (vgl.  §  21  am  schluss),  und  von  haus  aus  dem  ntr. 
zukommendes  -o;  masc,  bitherva  kneghta  24, 27,  andern  7, 5,  alla 
fideles  62, 28,  thie  alla  29, 9,  gescapheda  (prädic.)  56, 13.  maniga 
gardon  36, 14,  gehugcga  (prädic.)  7, 10,  gcnuoga  61, 28  (doch 


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VAN  HELTEN 


eineghe  74,  9. 18  durch  systemzwang)  und  andern  tvereldfureston 
33,23;  fem.  sina  bittera  flgnn  18.  18,  sie  alla  54,8.  tvcltcha  ge- 
nätha  (?  s.  zum  acc.  sg.  fem.),  gcthrangada  zcltscara  52, 22,  hey- 
liga  sielan  (srtari)  14,  20.  50,  28,  eynega  wnledäda  27, 17,  maniga 
vi rt utes  57,25  und  ethelo  revon  12, 1  (oder  masc.?);  ntr.  andern 
dnna  15,  4,  70, 14,  allu  tverch  49.  5.  10.  58,  14,  alla  thiu  of'ficia 
68,26,  maniga  incrementa  36,  16,  junga  (subst.  verwant)  19.22, 
maghtiga  (prädic.)  49,  5  (doch  hevige  wazzare  73, 12  durch  system- 
zwang) und  allo  word,  werch  20,  7. 8,  starkn  Ihing  43,  6,  crthcsco 
gefunre  54,9; 

im  gen.  pl.  neben  häufigem  -ern  (wegen  andern  8, 25.  22, 15 
s.  §  24  am  schluss)  auch  auf  *-era  zurückgehendes  -ere  (s.  §  21 
zu  -«)  in  bithervere  knehtn  31,  25  (s.  noch  oben  zum  gen.  sg.  f.); 
sonst  noch,  wie  im  gen.  sg.  f.,  manlger  slachten  (s.  §  34  zum  gen. 
pl.)  mit  regelwidrigem  -e-  (vgl.  §  22),  aller  sla(g)hte  (oder  sg.?), 
allerthiekest,  gernnst,  frest,  niudest  und  (mit  aus  diesen  Verbin- 
dungen entlehntem  aller)  aller  tvirn  seönesta,  sälignsta(n)  45, 
21.  55, 6;  endlich  mit  elision  aller  egelich  (1.  iegellcJi)  22,  6  (neben 
allern  iegeheh  24,  28); 

im  dat.  pl.  neben  regelwidrigem,  durch  anlehnung  an  then 
hergestelltem  -en  und  aus  dem  schwachen  dat.  pl.,  der  auf  -en 
und  -nn  endete  (s.  §  42),  entlehntem  nn  auch  mitunter  noch 
regelrechtes  -au  (für  *-en  aus  *-c»,  s.  §  23);  vgl.  guldinen  fuozen 
49,28,  anderen  hedtgnn,  bergnn  50,  13.  14,  then  allen,  allen  then 
38,4.  77,24.  78.10,  allen  then  hnrtis,  salmn  39,5.  38,10,  an- 
deren dnehteran,  woledädan,  mennisenn,  Huden  13,  16.  29,  17. 
50,  15.  13,22,  silrennen  süh  n  26, 14.  allen  halrnn  36,  1,  gunrlen 
werehnn,  trerkan  50,22.  12,15  und  drugnn  funzen  49,25,  thrädon 
terrnribns  39, 14,  allan  then  enntinentibus  33,  5,  ruodon  ephelon 

69.20,  andernn  heyltgnn  23,6,  mamgon  thüsendan  46,3.  armon 
vnrthernn  16, 17,  allan  crafton  9,9,  allnn,  guodnn  iverehnn  43,20. 
69, 26,  smethel'tchon  (1.  smeeh-  oder  smeieh-,  s.  §  19  zu  ei)  blandi- 
mentis  39,  15,  sowie  enzuischan  (s.  §  23),  iuwan  gnndun  bilethen 

14.21,  reynan  gethankon  12,16,  allan,  gundan  werkon  12,17. 
43,14  und  maghtigan  (adv.)  25,3,  mamgshahtagan  virtutibus 
13,  8,  einegan  uteri tis  75, 18,  deren  -an  übrigens  zweideutig  ist 
(vgl.  §  22;  beachte  noch  manigen  zeyehnen  24, 13  mit  -en  durch 
systemzwang);  wegen  eedrinin  tavelon  vgl.  §  24  zu  -e-. 

Starke  declination  nach  pronomen  oder  bestimmtem  artikel 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


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begegnet  nicht  selten:  tlwr  fließende  brttnno  38, 25,  ther  uphgende 
morginröd  55, 15,  ther  gesende  most  70,  7,  ther  suoze  stank  65,  IG 
(in  diesem  casus,  wie  sich  aus  den  belegen  ergibt,  nur  bei  ja- 
stammen);  thiu  muoderliche  suoze  34,  25,  thise  wereldlichc  thim- 
sternisse  20,27;  thaz  eriste  vers  23,21,  thaz  brinnende  fiever 
37,23;  thes  guodes  stanches  38,18;  thirro  wer  eidlichere  thim- 
stemisse  21,5,  thero  cuninglichero  purpurae  03,7;  thie  thormna 
coronan  28,  7;  thie  lüttere,  scöna  sinne  32, 18;  thie  guode,  ethele 
siehn  27. 15.  53, 13,  thie  bittera  figon  18,  24,  thie  meysto  eera 
27,3  (acc.  pl.). 

Anmerkung.  Dem  mitdalh,  bei  allo  omnino  in  W  entspricht  im 
LW  mit  ulla  33,  1.  Die  endung  erinnert  an  -«  in  fan  weije  rechte  der 
Amfrk.  psalraen  2.  12  und  an  arvithi  mina  der  Anfrk.  psalmen  65,  14:  sie 
dürfte  die  auf  ablativisches  *-et  zurückgehende  instrumentalendung  seiu, 
die  sich  anderswo  als  dat.  widerfindet  (vgl.  Beitr.  21,  47$).') 

2.  Die  schwache  flexion. 

§  42.  Zu  beachten  ist  die  gelegentliche  Verwendung  von 
schwacher  declination  nach  indefinita  und  possessiva. 

Im  nom.  sg.  masc.  stimmt  das  schwache  adj.  mit  dem 
schwachen  subst.  (vgl.  §  36):  ther  uvelo  (Hoffmann  las  falsch 
uvele)  uorare  25, 17,  ther  diuresto,  ivurzedo  win  65,9.26.  69,27 
und  ther  thln  weint ga  gardo  36, 13. 

Ebenso  im  nom.  sg.  fem.  und  im  nom.  acc.  sg.  ntr.  (vgl. 
§  37.38):  scoona  17,10.12.  41,28.  42,5,  scCmcsta  9,26.  45,21. 
50, 10,  erweleda  55, 1,  ein'tga  54, 28,  thurghnahtiga  54, 22,  winstra, 
zesewa,  ich  eina  71, 15,  thiu  heizza  summ  8,9,  eyn  cleyna  gerda 
und  eine  röda  binda  (?  vgl.  §  41  zum  nom.  sg.  fem.),  thiu  gethran- 
yoda,  thiu  wole  gescapheda  zeltscara  55,17.  56,4;  aller  golde 
(s.  §  29  zum  gen.  pl.)  bezzesta  46,  17,  thaz  branda  silver  26, 16, 
thaz  ewhja  erveguod  53, 26,  hiro  lerenda  corpus  38, 12,  thaz 
heresta  gesithele  27, 3.    Wegen  thaz  eino  23, 20  vgl.  §  38. 

In  den  anderen  casus  unterscheidet  sich  die  adjectivische 
declination  von  der  substantivischen  nach  zweierlei  richtung 
hin:  erstens  hat  sie  die  alte  endung  -en  nicht  nur  nicht  zurück- 

')  Das  rein  instrumentale  -a  im  LW  verbietet  die  in  der  Tijdschrift  voor 
nederl.  lett.  15,  170  vorgeschlagene  annähme  eines  amfrk.  aus  der  substan- 
tivischen declination  entlehnten  dativsnffixes ;  ob  das  oben  citierte  imna 
residuum  aus  der  amfrk.  vorläge  ist,  wird  mithin  fraglich. 


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VAN  HELTKN 


oder  etwa  gänzlich  verdrängt  (vgl.  §  36.  38),  sondern  sogar 
nach  dem  muster  der  im  gen.  dat.  sg.  masc.  ntr.  neben  einander 
geltenden  -en,  -on  (und  -an)  in  andere  casus  neben  -on  (und  -an) 
eingeführt  (nur  für  den  dat.  sg.  fem.  und  gen.  sg.  fem.,  acc.  sg. 
masc.  ist  die  existenz  von  -en  nicht  bez.  nicht  sicher  bezeugt); 
zweitens  findet  sich  im  plur.  des  adjectivs  neben  -on,  -en  nur 
äusserst  selten  und  zwar  grade  beim  masc.  durch  anlehnung  ent- 
wickeltes -an  (im  gegensatz  zu  -on  und  einmaligem  -an  im 
masc,  -on  und  -an  im  fem.  ntr.  pl.  des  Substantivs,  s.  §  37.  38), 
d.h.  es  ist  hier  -an,  das  den  gedachten  ausnahmen  mit  -an 
zufolge  ehemals  dem  fem.  und  ntr.  pl.  zukam  (vgl.  das  a.a.O. 
über  die  entstehnng  von  -an  im  masc.  erörterte)  und  auch  im 
masc.  pl.  mehr  oder  weniger  üblich  gewesen  sein  muss,  durch 
-on  und  -en  zurückgedrängt.  Belege: 

gen.  sg.  masc.  ntr.  thes  ruoden  ephcles  30,  17,  thes  reinen 
gebcdes  32,28,  sines  eigenen  ovezes  39,22;  thes  heiligan  gelou- 
\v)an  18,  4,  thes  ewtgan  lires  26, 10.  29,  24.  30, 15.  59, 16,  thes 
ewtgan  rihduomes  73, 25,  aInes  heiligan  bluodes  28,  13  mit 
doppeldeutigem  -an  (vgl.  §  22);  alles  erthisean  guodes  73,24; 
thes  ertheseon  gethancon  42,  22 ; 

gen.  sg.  fem.  thero  mieholen  genäthon  11,  26  (oder  pl.?  vgl. 
§  31);  thero  heiligan  sciiphtc  32, 19  (oder  pl.?  vgl.  §  34)  mit 
doppeldeutiger  endung;  therm  quekkestan  mirron  43,  12;  therro 
aUlon  eteon  34,26; 

dat.  sg.  masc.  ntr.  themo  suozen  slapho  19, 12,  themo  besi- 
galaden  brunnen  36, 4,  themo  nitven  oraze  65, 16,  themo  alden 
tnwc65, 17;  themo  eteigan  dootha  28, 17  mit  zweideutigem  suffix; 
themo  seönan  genidere  18,5;  eynegamo  (-agamo),  eheinemo  ive- 
reldlkhon  strepitu  15.22.  16,1.  71,1; 

dat.  sg.  fem.  (oder  ntr.?)  ze  aller  irlvo  saligosta  (1.  -an)  55,6; 

acc.  sg.  masc.  nunon  eygeneti  tvlngardon  8.  23  (oder  stark?); 
einen  ieqeliehan  und  allen  teereldliehon  riehduom  (oder  stark? 

vgl.  8  41); 

acc.  sg.  fem.  thie  höghen  maiestatem  16,23  mit  -en  durch 
systemzwang;  thitt  erestan  eeelesiam  8.  28;  geliiehon  15,  18. 
70.26,  the  quekkeston  mirron  48,12; 

nom.  acc.  pl.  thie  scöuen,  suozen  ephela  13,26,  thie  döden 
Uchamon  38, 14,  thie  ruoden  ephelo  (1.  -ela)  66, 19,  thie  diuren 
stancwurze  78, 22,   thie  rechte  (1.  -en)  7, 16,   thie  suozen  figon 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  400 


mm 


18,25,  thie  diuren  salvon  38, 17,  thie  meyston  thrüio  (1.  -on) 
12,2,  /Ate  rödon  ephäa  56,13,  (Ate  yeknisedon  (vgl.  §  17),  s/e- 
c/kw  Uchamon  38,20,  /Ate  yeordinedon  wurzbedde  48,5,  /Ate 
hzzelon  rolwn  20, 10,  /Ate  r^>Aott  /h/om  18, 24,  Ate  yethran- 
gadon  hereberya  52,25,  heyltyon  16,3,  mrne  liereston  41,3.4, 
Ate  släphloson  67,28,  (Zöcfon  40,23,  Ate  ettfOfl  48,8; 

gen.  pl.  therro  quekken  wazzaro  38,  22,  thero  höhen  bvryo 
33, 1 1,  {her  suozen  ephelo  65, 8  (s.  auch  oben  zum  gen.  sg.  fem.), 
hohlen  40,11.  51,25;  thero  scorenon  scäpho  20,8,  arwow  27,  5; 
und  wereldwiisan  22.  16,  /Acro  bithervestan  (kneyhto)  24, 18; 

dat.  pl.  /Aen  hohen  beryon  78,  20,  /Am  zuintltn  rehkizzon 
32,5,  /Äe«  rinnenden  beken  47, 8,  /Am  bezzesten,  heresten,  guoden 
salvon  6, 6.  38,  10. 10,  /Am  scorenen  SCäphan  20,  27,  criattnen 
8,18,  Ao/r/en  26,0.  47,12.  73,17;  /Am  ms/i>m  (Leuns/-)  pt> 
mentarm  47,23  mit  -Oft  aus  -en  (s.  §  22);  /Am  weyneyon,  mi- 
chelon  dieron  16,20.21,  /Am  luzzeron  wazzeron  47,20,  /Am 
richon  wazzeron  47,  10,  /Am  zuinclon  rehkizzon  60,  18,  /Am 
einon  72,  6,  /Am  süligon  50,  20,  /Am  arwow  60,  8,  heyltyon 
20. 28.  23, 6.  50, 13.  78, 10;  beachte  auch  das  neben  normalem 
samo  (s.  §  44)  adverbial  verwante  samon  similiter  13,  23.  26. 
14,  15. 

8.  Die  comparativo  und  Superlative. 

§  43.  Die  comparative  haben  z.  t.  schwache,  z.  t.  starke 
flexion:  bezzera  nom.  sg.  fem.  (prädic.)  6,  7,  niudsamerc  nom.  sg. 
ntr.  (prädic.)  45,  27  und  natürlich  thiu  üzera  rinda  68,  6  (wegen 
-ere  und  -era  s.  §  21  zu  -«); 

manlyara  mennischon  . . .  exercitia  35, 1.  3  mit  -ya-  für  -«/e- 
(s.  §  24;  das  beide  male  verwante  -a  ist  angesichts  der  son- 
stigen Seltenheit  von  -a,  vgl.  §  41,  als  die  phonetisch  aus  -c 
entwickelte  endung  zu  fassen,  vgl.  §  21  am  schluss),  scöner, 
suozer,  holder,  bezzer  nom.  sg.  fem.  (prädic.)  7, 12.  11,23.  34,24. 
63, 1,  diurer  nom.  sg.  ntr.  (prädic.)  26, 10.  37, 20,  bezzere  nom. 
nom.  pl.  m.  (prädic.)  6,4.  34, 22,  nurre  nom.  pl.  f.  (prädic.)  20, 12; 

in  ze  meeron  ruotvan  26,26  ist  das  adj.  zweideutig,  weil 
das  subst.  pl.  oder  sg.  sein  kann. 

Der  Superlativ  erscheint  in  unserem  denkmal  meist  mit 
voranstehendem  pron.  (bestimmtem  artikel)  oder  in  substanti- 
vischer Verwendung  (s.  die  belege  §  42).  Wegen  starker  flexion 
beachte  man  jedoch  thaz  himo  aller  niudest  is  20,28  und 


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500 


VAN  HELTEN 


thaz  minnist  73,  23  (vgl.  §  41  am  schluss;  auch  W  hat  hier 
dez  minnist). 

Neben  -est(-\  -ist{-)  (s.  $  26)  einmal  -ost-  in  säliqosta(n)  55. 6 
(s.  §  27). 

4.  Die  adjoctiv-adverbia. 

§  44.  Regel  ist  -o:  ilego,  hardo,  opheno,  thrädo,  grrno, 
veno,  Itghto,  geieisso,  wärltelio,  samfto  etc.;  beachte  auch  samo 
similiter,  tarn  quam,  wie  die  gleiche  bei  Will,  und  in  Notkers 
Schriften  erscheinende  form,  mit  -o  nach  dem  muster  der  ad- 
verbia  für  *sama  =  der  in  den  anderen  ahd.  quellen  verwanten 
schwachen  accusativbildung.  Selten  erscheint  -e  oder  -a:  Wide 
6, 13.  13, 5,  suozc  12,  7,  inllehe  28,  21  >)  und  gare.ua  70,  6,  un- 
bequäma  58,2;  die  endungen  beruhen  auf  anlehnung  an  die 
neben  fiUtlichor  11, 16,  verror  27,20  (vgl.  §  23)  stehenden  com- 
parativformen  flizhcher  41,  22,  thrädcr  39,  11,  verrar  35,  1 
\-e  und  -a  zu  -er,  -ar,  wie  -o  zu  -or).  Wegen  bez  s.  §  15.  Neben 
normalem  vilo  begegnendes  vile  14,11  stammt  aus  der  vorläge 
(W  hat  hier  vile  sowie  lx,  16  --^  128,  1  bei  Seem.)  oder  es  ist  ein- 
heimische, dem  rätselhaften  Williramschen  und  Notkerschen  vile 
(s.  Graff  3,  473)  entsprechende  bildung. 

1  )ie  comparative  auf  -er  (s.  ausser  den  obigen  belegen  noch 
leyiher  0,17,  stth er  19, 2)  und  -ar  entstanden  durch  anlehnung 
an  die  ad jecti vischen  comparative  mit  -er-  und  ar-  (-ar  also 
zunächst  in  bildungen  mit  vor  der  endung  stehendem  tönenden 
guttural,  vgl.  §43.  dann  auch  in  verrar  u.  ä.).  Eine  merk- 
würdige bildung  begegnet  im  adv.  samftero  49, 1,  d.  h.  samfter 
(für  *samffor)  mit  angehängtem  adverbialem  -o. 

Von  den  superlativadverbien  steht  neben  erist,  -est  {ze, 
zaller  erist),  thiekest  auch  gernost  (vgl.  §  26  und  23). 

VI.  Die  Zahlwörter. 

§  45.  Zu  den  numeralia  ist  nur  zu  bemerken,  dass  die 
in  der  starken  adjectivdeclination  übliche  Verwendung  der 
masculinen  form  im  nom.  acc.  pl.  fem.  ntr.  (s.  §  41)  auch  hier 
zu  beobachten  Ist:  tkrie  stunt  (s.  §  31  zum  nom.  acc.  pl.),  beithe 

')  W  hat  hier  inhichenes  (vgl.  mhd.  iviachtns,  Lexer  i.  v.),  sowie  auch 
xxix,  2.  xxx,  IS,  wo  »1er  umschreiber  aus  der  ostfrk.  und  der  mfrk.  form  eine 
ini»ehbildiuig  ihluhenes  fabrieierte. 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


501 


nom.  pl.  fem.  48, 28,  nom.  pl.  ntr.  50,  2  und  in  adverbialer  Ver- 
wendung passim  (nur  einmal  mit  alter  endung  beitho  01,9). 
Für  'zwei'  jedoch  zu€ne  masc,  zucy  ntr.  Wegen  hin  beithon 
CO,  12  vgl.  §  41  zum  dat.  pl.  Thrin  33, 10  mit  -n  wie  sonst 
im  dat.  pl.   Sonst  noch  thasrndon  dat.  pl. 

VII.  Pronomina. 
1.  Ungeschlechtige  pronomina. 

§  46.  Neben  mm  7,8.  19,15.  21,18.19.  44,16,  Min  17, 14 
steht  im  gen.  thmes  9,25  in  der  Verbindung  mit  sclves  (vgl. 
noch  §  51).   Der  gen.  plur.  ist  belegt  durch  unser  27, 5. 

Neben  normalen  mir,  wir,  ir  begegnen  in  tonloser  Stellung 
entwickelte  »wer  7,6.  8.16.  11,27.  12,22.  14,6.  17,7.  19,26. 
20,  7. 19.  21,  5. 10, 11.  22, 6.  8.  28.  23,  8.  wer  7. 2.  8,  er  27, 23.  28 
(2  m.).  28,1.2.4  (kein  ther  neben  thir  wol  durch  zufall). 

Charakteristisch  ist  die  Verwendung  von  accusativtbrmen 
im  dat.  und  umgekehrt:  neben  normalem  dat.  mir  (mer)y  thir 
im  gleichen  casus  auch  mich  15,2.  70,  12,  thich  7,9.  11,6.  12,22. 
69,9.16.19;  neben  normalem  acc.  mi(c)h  im  selben  casus  auch 
mir  7,27.  69,16  (2  m.),  wer  7,6.  14,6  (kein  thir  im  acc);  sich 
auch  in  dat.  35,2.  52,1.  65,12;  uns  dat.  7,9.  16,15.  17,1. 
20,10.  27,9.  45,26.  48,17  etc.  und  acc.  7,9.  27,6;  iu  dat. 
39, 13.  46. 5.  52,  6.  7. 9,  nicht  im  acc;  unsi(c)h  acc.  16, 17. 
45,22.27.  49,10.  57,25  und  dat.  66,20;  iui(c)h  und  iu(c)h 
(vgl.  §  2  zu  tv)  acc.  28,  3.  9.  70, 21  und  15, 10. 14.  41, 12.  45, 10. 
13.  52,8.  70,21.24,  doch  dat.  28,2  und  15,16.  51,3.4.  Mit 
rücksicht  auf  die  vereinzelt  auch  in  ahd.  quellen  zu  beobach- 
tende Verwechslung  von  uns,  in  und  ttnsih,  iuwih  (s.  Braunes 
Ahd.  gr.  §  282  anm.  5)  ist  für  unsere  mfrk.  mundart  als  ent- 
wickelungsgang  anzusetzen:  zunächst  Verwirrung  im  plur., 
dann  im  sg.  Der  acc.  thi  10, 17  ist  entweder  Schreibfehler 
oder  er  rührt  von  der  band  des  nfrk.  abschreiben?  des  tiber- 
lieferten codex  her  (vgl.  s.  455  zu  luzzeron  etc.). 

2.  Geschlechtiges  pronomen  der  3.  person. 

§  47.  Es  findet  sich  neben  «-stamm  kein  sondern  aus- 
nahmslos //»-stamm  (demnach  sind  gehiezzer  6,  1  und  Wistes  57, 4 
auf  ychiez  her  und  wista  [-e]  hes  zurückzuführen). 

Beitrüge  cur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXII.  33 


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502 


VAN  HELTEN 


Im  nom.  sg.  her  (nie  hir),  gm  (das  einmalige  sie  65,  14 
residmim  aus  der  vorläge?  W  hat  sie,  wie  übrigens  noch  an 
einer  anderen  stelle,  s.  Hoffm.  lxv  11  und  Seem.  123,3;  doch 
vgl.  man  im  L\V  thie  nom.  sg.  f.  §  49);  im  nom.  acc.  hiz 
(nie  hes); 

im  gen.  sg.  in  possessiver  function  hiro  fem.  (für  das  masc. 
ntr.  wird  das  possessiv  verwant),  in  anderer  function  sin  masc. 
21.2(1  22.1.44,15.  76,27,  *hes  ntr.  in  Wistes  (s.  oben); 

im  dat.  sg.  himo  passim  (reflex.  verwant  25, 20. 27.  28, 12. 
55,  27),  hiro  39, 13. 17  (reflex.  55,  25.  65, 15); 

im  acc.  sg.  Am  27,26.  44,15.  45,23.  51,11.  61,18.20  (him 
14.12  ist  wol  Schreibfehler),  him  14,10,  hine  21,26.27.  22,2. 
23, 5.  8. 9.  42, 14.  46, 6.  52,  7  und  22,21  (wo  Hoffmann  unrichtig 
hino  las)  (wegen  -a  und  -e  s.  §  21  zu  -a),  hino  22, 8.  9  (2  m.). 
18.26  mit  -o  nach  himo;  sie  23,24,  se  (mit  vorangehendem  sie) 
23. 28  (vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  283  anm.  2c); 

im  nom.  acc.  pl.  masc.  sie  passim,  se  (mit  vorangehendem 
sie)  8,18.  65,4.  75,11  (vgl.  Braune  a.  a.  o.),  hm.  sie  (nom.)  20, 
12.15,  ntr.  siu  49,5  und  sie  35,22.23.  50,22  (siu  masc.  25,1 
ist  natürlich  Schreibfehler); 

im  gen.  pl.  in  possessiver  function  hiro  passim,  hero  54,  8, 
zweimal  him  (s.  §  48)  und  hires  27, 1  in  der  Verbindung  mit 
selves  (vgl.  Ihmes  sei  res  §  51);  in  partitiver  function  hiro  9,21. 

30.5.  39, 27.  40, 13,  hiro  allero  10,  6.  hero  25,  2,  hero  allero  40,26 
und  mit  elision  her  allero  24,  28  (wegen  des  e  von  her[o]  s.  §  16); 

im  dat.  pl.  him  8,1.  10.8.  23,14.  32,20.  36,18  (reflex. 
13,  18.  27,17.21),  hin  17,5.  26,16.  60,12.  61,15  (reflex.  48,6. 

70. 6.  74, 23)  und  aus  dem  sg.  entlehntes  himo  30,  23  (reflex. 
27.  15.  47,5). 

3.  Possessivpronomina. 

§  48.  Die  declination  der  possessiva  stimmt  im  allgemeinen 
zur  starken  flexion  (s.  §41).  Also  im  nom.  sg.  f.  min  etc.  als 
norm,  mina  12,22;  im  gen.  sg.  fem.  mtnero  etc.  als  norm,  mt- 
nere,  t Innere  6,  7.  8,  12;  im  dat.  sg.  sg.  masc.  ntr.  mtnemo  etc. 
(14, 25  steht  minon,  42. 14  minen  als  Schreibfehler  oder  aus 
dem  plur.  entlehnte  form;  vgl.  then  dat.  sg.  ntr.  §  49  und  be- 
achte himo  dat.  pl.  §  47).  einmal  mit  synkope  unsrrmo;  im  dat. 
sg.  fem.  mtnero  etc.  als  norm;  im  acc.  sg.  masc.  minen,  -an  etc. 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM.  503 


passim,  »»»oh  8,23.  11,15.  14,25.  15.10.  76,25;  im  acc.  sg. 
fem.  mine  etc.  als  norm,  sina  42,26,  iuwera  15,18.  70,26  (mit 
■a  durch  systemzwang,  vgl.  §  21  -a)  und  vielleicht  mma  min  na, 
emi  20,  7.  28,26  (wo  auch  ein  plur.  vorliegen  könnte;  thm  in 
thin  anluzza  [wegen  des  subst.  vgl.  §  30]  ist  durch  din  ant- 
luzze  oder  anttutte  der  vorläge  veranlasster  lapsus  des  um- 
schreibers); 

im  nom.  acc.  pl.  comm.  gen.  mine  etc.  als  norm,  sina  masc. 
16,7,  fem.  18.17,  ntr.  15,4.  44,2,  Mino  fem.  8, 10,  mino,  thmo 
ntr.  20,  7. 8.  60, 18  (das  einmalige  thin  in  thin  ougan  12, 14  ist 
wahrscheinlich  residuum  aus  der  vorläge);  im  gen.  pl.  rninero 
etc.  als  norm,  zweimal  mit  synkope  thinro,  sinro  21, 18.  22,22, 
sonst  noch  thinere  7,  3. 10.  9,8;  im  dat.  pl.  minen  etc.  als  norm, 
minon  19,27,  minan  etc.  7,4.  11,  21.25.  12,17.  17,22.  20,28. 
28, 23. 24.  29, 10.  39, 23.  24.  43,  4. 

Speciell  zu  beachten  sind  die  nicht  grade  selten  begeg- 
nenden, aus  der  proklitisehen  Verbindung  des  possessivums  mit 
folgendem  Substantiv  zu  erklärenden  synkopierten  formen  miner 
etc.  im  gen.  sg.  fem.  8,15.  43,3.22.  72,27  {siner  minnon  15, 
1.28  kann  sg.  oder  pl.  sein),  dat.  sg.  fem.  35,8.  44,12.  73,22 
(wegen  unser  s.  unten),  gen.  pl.  siner  15,  1. 28  (?)  und  unser 
(s.  unten);  vgl.  §  41  zum  gen.  dat.  sg.  fem.  und  gen.  pl.1). 

Die  pluralpossessiva  begegnen  in  verkürzter  und  nicht 
verkürzter  form:  unser  nom.  sg.  masc.  17,5.  20,12,  nom.  sg.  f. 
51,16  (vgl.  §  41),  iuweres  28,5,  unsermo  18,11,  iuweren  acc. 
sg.  m.  28,  8  (auch  innere,  1.  -en,  39, 12),  iuwera  acc.  sg.  f.  (s.  oben), 
unseren  dat.pl.  67,16;  und  unse  nom.  sg.  f.  73,27.  74,5,  nom. 
sg.  ntr.  12,  25  mit  -e  für  -a  durch  anlehnung  an  -es,  -tro,  -emo 
etc.,  Unsen  dat.  pl.  13,4,  iuwan  dat.  pl.  14,21;  der  dat.  sg.  f. 
und  gen.  pl.  unser  16, 24.  13, 2  ist  zweideutig  (entweder  die 
verkürzte  form  mit  -er  oder  auf  ^unserer  zurückgehend,  vgl. 
§  24  am  schluss). 

Bemerkenswert  sind  die  für  hiro,  hero  eintretenden  hiron, 
-an,  heran  vor  im  dat.  pl.  stehendem  subst.:  hiron  ivordan, 
yescriftan  45, 3,  hiron  dopmatibus,  auditoribus,  successoribus 
20,16.  30,22.  35,10.  61,8.  67,17,  hiran  herzan  9, 11,  hiran 

')  Ich  führe  die  .synkopierte  endung  auf  -ere  (aus  *-era)  zurück,  weil 
man  bei  annähme  der  entxtehung  von  -er  aus  -ero  auch  für  m'memo  etc. 
vereinzelt  auftretendes  mumn  etc.  erwarten  müsste. 

33* 


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504 


VAN  HELTEN 


huoehan  23,  2,  heran  lande  (L  -on)  8,  19;  hiron  =  äi>o  f  durch 
einwirkung  des  folgenden  Substantivs  angehängtem  n;  hiran 
{heran)  für  hiron  (*heron)  nach  dem  muster  von  /«im««  etc. 
neben  minon.  Durch  anlehnung  an  solches  hiran  entstand 
der  gen.  pl.  hira  für  hiro:  müh  hira  doctrina  13,5,  in  hira 
conventicula  9, 18. 

4.  Demonstrativpronomina. 

§  49.  Die  normale  flexion  des  demonstrative  (das  auch 
als  relativ  fungiert,  und  zwar  ohne  oder  mit  angelehnter  Par- 
tikel ther,  tha  oder  thie  •),  vgl.  §  3)  ist : 

mntc.        fem.  ntr. 

nom.  8g.  ther  thiu  ihaz  pl.  thie  ra.  f.  thiu  ntr. 

gen.  thes  thero  thes  thero 

dat.  themo  thero  themo  then 

acc.  then  thie  thaz         wie  im  nom. 

Im  nom.  sg.  masc.  mitunter  auch  the  25,28.  26,7.  53,19. 
54, 10.  06, 17  (vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  287  anm.  la); 

im  nom.  sg.  fem.  auch  aus  dem  acc.  entlehntes  thie  8, 28. 
18,27.  19,19.  21,10.11.  63,1.2  (vgl.  auch  relatives  the  7.7. 
vermutlich  verschrieben  für  thie); 

im  nom.  acc.  sg.  ntr.  auch  that  (s.  §  11); 

im  gen.  sg.  fem.  auch  ther  in  ther  minnon  73, 6  (oder  pl.?) 
und  therro  34,26.  43,12.  55,19  mit  aus  thirro  (§50)  ent- 
lehntem rr; 

im  dat.  sg.  ntr.  einmal  then  16, 11  (Schreibfehler  oder  aus 
dem  pl.  entlehnte  form?  vgl.  minon,  -en  als  dat.  sg.  §48); 

im  dat.  sg.  fem.  einige  male  therro  22,21.  53,6.  55,22. 
57, 13,  wie  im  gen.  sg.  f.; 

im  acc.  sg.  masc.  einmal  thene  25, 10  (Schreibfehler  oder 
aus  der  nfrk.  feder,  vgl.  §  11  zu  luzzeron  etc.,  geflossene  form?); 

im  acc.  sg.  fem.  neben  thie  nicht  selten  the  7,  7.  9, 1.  10,27 
(oder  pl.?  vgl.  doychne  §  32).  12,5.  16,9.  21,10.  25.9.  44.26. 
48,12  (vgl.  Beitr.  21,  459  f.)  und  ein  paar  male  aus  dem  nom. 
eingedrungenes  thiu  8,27.  11,23; 

im  nom.  acc.  pl.  masc.  fem.  mitunter  the  7,24.  9, 10.  11. 
10,  6.  9.  10.  13, 17.  20, 11  und  6,  15.  16.  9,  8.  10,  27  (oder  an 
den  beiden  letzteren  stellen  acc.  sg.,  vgl.  §  32  am  schluss ; 

»)  thie  =  as.  aonfrk.  thia  (s.  Beitr.  21,  458  anm.  2). 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


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schluss;  thiu  nom.  pl.  f.  47, 19  ist  wol  Schreibfehler?);  im  ntr. 
neben  thiu  auch  thie  16,21.  18,25.  19,18.  31,22.23.  47,22. 
50, 2.  52, 26.  57, 7.  75, 16  und  the  48,  7  (the,  nicht  ihe,  wegen 
then  im  dat.  pl.!);  tliei  n.  pl.  ntr.  44,28  entspricht  ahd.  dei 
(wenn  es  nicht  am  ende  nur  schreib  verseilen  ist  für  thie); 

im  gen.  pL  pl.  auch  therc  9,27  (aus  proklitischem  *thera, 
dem  eigentlichen  gen.  sg.  f.,  vgl.  §  21  zu  -a),  ther  65,  8.  73, 6 
(?  s.  oben  zum  gen.  sg.  f.).  15  (für  therc,  wie  miner  für  mlnere, 
s.  §48)  und  therro  13,11.  19,1.  25.18.  36,21.  37,1.  38,22. 
42,1.8.  60,7.8  74,25  mit  rr,  wie  in  therro  gen.  dat.  sg.; 

für  den  dat.  pl.  ist  then  (nicht  then)  anzusetzen  mit  rück- 
sicht  auf  die  einwirkung  dieser  pronominalform  auf  die  endung 
des  dat.  pl.  starker  adjectivischer  flexion  (vgl.  §  41);  die  kürze 
entstand,  wie  in  the  nom.  acc.  pl.,  durch  anschluss  an  die  nu- 
merisch überwiegenden  flexionsformen  mit  the-. 

Wegen  thiu  instr.  s.  die  belege  in  §  15  und  16  sowie  9, 13. 
27, 12.  45,  8;  wegen  the  und  te  vor  comparativ  vgl.  §  13  und 
Beitr.  16, 294  f. 

§  50.  Von  dem  pron.  'dieser  sind  zu  belegen:  nom.sg.f.  thisa 
55, 14  (mit  aus  altem  *-sö  des  acc.  herrührendem  -so?),  thisc20,27 
(mit  -<',  wie  in  unse  nom.  sg.  f.,  s.  §48),  thiusa  24,5.  71,5 
(vgl.  wegen  mfrk.  bildungen  mit  im  die  in  Wcinholds  Mhd.  gr. 
§  485—487  gesammelten  mfrk.  belege  dtise,  eme,  -en  etc.  sowie 
düsir,  -e  Höfer  2,  36,  düsem,  -en  Günther  3,  346);  nom.  acc.  sg. 
ntr.  thiz  15,26.  64.12;  thirro  gen.  sg.  f.  25,6.  45,17.  62,15 
und  dat.  sg.  f.  21,4.  32,17.  33,2.  44,17.  53,3  (thiro  26,25 
Schreibfehler  oder  mit  /•  nach  dem  muster  von  thero?  vgl.  therro 
§  49;  wegen  thirro  vgl.  §  24  am  schluss). 

§  51.  ipse'  hat  schwache  und  starke  flexion;  erstere 

im  nom.  sg.  her,  ther  sponsus,  ich  (m.)  seho  6, 3.  16, 17. 24.  17, 
18.22.  50,11.  65,27.  76,19.  77,1,  siu,  ich  (f.)  sclra  15,13.22. 
23, 28.  75, 2,  im  acc.  sg.  fem.  mich  schon  14, 15,  im  acc.  pl. 
sich  schon  53,17;  letztere  im  nom.  sg.  siu  seif  70,23.  71,2 
(vgl.  §  41),  im  gen.  fem.  thines  sches  (s.  §  46),  im  dat.  sg.  hhno, 
mir  selvemo  25, 20.  27.  28, 12.  55,  27.  56, 16,  hiro  schero  55,  25. 
65, 15,  im  gen.  pl.  hircs  sehes  (s.  §  47);  nicht  zu  unterscheiden 
sind  die  beiden  flexionen  im  acc,  sg.  him  (1.  hin),  mich,  sicfi 
selron  masc.  14, 12.  21, 3.  73, 2,  im  dat.  pl.  him,  hin,  uns,  iuich, 
iueh  sch  on  27, 17.  21.  74,  23.  7,  9.  28, 2.  15, 16  und  himo  schon 


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27, 15.  47,5  (vgl.  §  47).  Als  adv.  =  'sogar,  selbst'  stehen  seif 
66,  24.  67, 9.  72, 28  und  selro  55, 10. 

Mit  artikel  und  in  der  bedeutung  'idem'  finden  sich:  ther 
selvo  numerus,  naph  53, 24.  59, 17,  thiu  selva  genälha,  wuntui 
6, 10.  26, 14.  57,21,  (hat  selva  vcrs  23,  19,  then  selvan  wisduom 
11,8,  thie  selvon  auditores  64,14,  the  selvo  (1.  sei von)  doctores 
10, 28,  then  selvon  wordon  48,  15  und  thero  sclvero  zungon, 
siede  35, 15.  71, 28. 

5.  Interrogativa  und  indefinita. 

§  52.    Belegt  sind: 
von  den  interrogativa  wer,  waz;  welich  nom.  sg.  m.  f.,  welle 
(s.  §  7),  weliches,  -e  und  wellcha  acc.  sg.  oder  pl.  fem.  33,21 
(s.  §  41); 

von  den  indefinita  so  wer  (so)  26, 24.  73, 10,  .so  wen  so 
73, 23,  so  wether  so  35,  21  [keine  form  mit  s  für  so,  vgl.  auch 
so  wie  so,  so  war  (so),  so  wanne  (so)\;  gittheswihharo  (1.  wc- 
hrh-  und  s.  §  2  zu/);  newether  acc.  sg.  ntr.  39,27,  newetheretno 
39, 17  (niwether  conj.  13, 19.  16,4);  nehein,  nein,neghein,  nechein, 
chein  (s.  §  9);  getvelwh  9,21  (gewelic,  s.  §  7);  iegelich,  -an  22,6. 
24, 28.  25,  15. 18.  34, 10. 12  (wegen  der  flexion  vorstehender  Pro- 
nomina s.  §  41);  iet,  nict,  ieht,  nieht,  nie(u)wehtcs  (s.  oben  s.  439): 
(n)ieman  mit  nienmnne  dat. 

VIII.  Conjugation. 

1.  Floxionsformon  der  starken  verba  und  der  schwachen 

1.  klasse. 

§  53.  Betreffs  der  präteritalbildung  und  der  Stammsilben 
starker  verba  ist  folgendes  zu  verzeichnen: 

die  praeterita  wurthan  24, 17.  36, 16.  43, 11,  qväthan  72, 8? 
(ge)sahon  48,  3.  55,  5,  besähe  56, 10  (woneben  säghet  22, 4  als 
dem  dialekt  der  Umschreibung  zukommende  oder  aus  der  feder 
des  nfrk.  copisten,  vgl.  §  11  zu  luzzeron  etc.,  geflossene  form?), 
die  partieipia  worthan  11,27.  12,10.  33,15.  56,11.  70,10.  ge- 
schehan  57,19.  71,25; 

he (j unda,  begonda,  -an  (kein  began,  begunnon); 

vuehtan  (s.  §  56)  und  worphe  opt.  45,7  mit  unursprünglichem 
o  für  ü\ 


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neben  gescagh  28, 14,  geschthan  begegnendes  geskiedc  28, 11, 
das  mit  rücksicht  auf  das  fehlen  von  südmfrk.  belegen  für 
letztere  form  (s.  Zs.  fdph.  4, 258  ff.  10,322)  auf  die  rechnung 
des  nfrk.  abschreibers  zu  stellen  ist; 

stuont  43,  9; 

gieng  49, 25.  56,  9  neben  untfingast  33, 16,  anaringed  14,  22; 

die  participia  ohne  präfix  fundan,  runden,  worthan,  drun- 
chan  68.  7,  cuman  (nie  mit  ge-),  scorenon,  -en  29.  7.  27  (sonst 
ge-  in  gescriven,  geboran,  gebundan,  geschehan  etc.); 

die  singularia  praes.  ind.  gebiudest  78, 9,  verzinsest  77, 9, 
driuphet  48,15  [rerthrüzed, -et  piget  14,23.  15,1.  25,14  gehört 
nicht  zu  einem  verbum  mit  ie,  denn  es  wäre  für  den  fall  nacli 
dem  §  19  über  im  erörterten  rerthriuzed,  -et  zu  erwarten  (be- 
achte auch  in  W,  das  den  aus  in  contrahierten  laut  meist 
durch  wt,  selten  durch  u  darstellt,  bedruz(z)et,  -it  an  allen  drei 
parallelstellen);  es  ist  hier  demnach  an  eine  dialektische  form 
mit  a  nach  art  von  sufan  etc.  zu  denken];  (jje)siho,  -es(t),  -et, 
geligon,  liget,  -ad,  gtvo(n),  -et,  liset,  qnitJw,  -es,  qmt(t)  (s.  §  13), 
zimet,  bired  13. 26  (13,  12  steht  berid  als  verschreibung  für 
bircd),  doch  spreehet  17,  7,  -nemet  24,  20;  gebristet,  ivirtho,  -est, 
-et  64,26.  78,12.  27,4.  31,10.  37,13.  54,17.  63,11.  64,10.21. 
27.  67. 8.  69, 22  neben  u  erthe  1.  sg.  praes.  ind.  (vgl.  §  55),  -cs(t) 
33,  9.  69, 12,  -ed,  -et  14, 28.  25, 12.  27, 18.  39,  26,  lesket  37,  23 
(woneben  liesket  37, 22  als  durch  die  existenz  von  doppelformen 
mit  i  und  e  veranlasste  verschreibung);  ferit  24, 5.  57, 12.  71, 5, 
verid  16,2.  17,27,  doch  dragat  (vgl.  §  55),  wasset  29,21; 

mit  durch  ausgleichung  entwickeltem  i  anasihen  inf.  57, 18 
(neben  häufigen  sehan,  -ene,  -e,  -ent),  ergivon  inf.  69, 14,  givon 
3.  pl.  praes.  opt.  60, 8,  iegivan  und  geghon  p.  p.  25, 12.  37, 13 
(neben  gievene  47, 12),  geschihe  53, 11  (neben  geschehen),  wirthe 
63, 13,  -ent  38,  20.  64, 28.  65, 3  (neben  häufigen  werthan,  -e,  -es, 
-en  etc.),  gebristent  38, 1 ; 

die  imperative  sg.  fliugh  78,6  und  zicti  (s.  §  19  zu  ib);  sih 
33,21  (s.  §  10),  m<w(s)  21,6.  78,6,  vernim  11,2  und  helph  7,4; 
der  nach  renn  tu  gebildete  imper.  pl.  ecrnimet  8, 14  neben  rer- 
nemet  46,5,  ezzet,  uerthet. 

§  54.  Hinsichtlich  der  präteritalbildung  der  schwachen 
verba  ist  zu  achten: 

auf  die  einfache  consonanz  in  under-,  umbeleged  imper.  14, 


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VAN  HELTEN 


15. 1*5,  gehuget  2.  pl.  praes.  opt.  28, 4  und  dem  inf.  gehugan 
11, 25,  erhugon  00, 1  (vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  358  anm.  1)  und 
die  gedehnte  consonanz  in  umbcstecchet  'umsteckt'  59,23  (vgl 
die  nämliche  form  in  W  und  kestecchit  fixa  bei  Xotk.); 

auf  die  bindevocallosen  praeterita  und  partieipia  saldon, 
zaldon,  sazta,  -on  (woneben  gesezzet).  rahta  'reckte',  erquihto 
71,  19  (neben  erquekkeda  49,  23  mit  e  durch  anlehnung  an 
quek,  quekken  etc.),  gethruhtan  'gedrückt'  69,20  und  gctcrovht 
(s.  §  3),  bräghta,  gebrächta,  furebräht  (vgl.  §  18).  suoghta;  wegen 
verwardet  s.  g  15; 

auf  die  praeterita  Üeda,  -e,  skeyncdc,  erquekkeda,  zuifhda, 
hungredo,  heileda,  scredan,  gcirredan  17,  17,  geherdcdet  14.  23. 
erougade  (vgl.  §  19  zu  ou  und  24)  neben  u  tsda  10, 10.  14,  9.  er-, 
verlösda  57,  13.  71,  2(5.  10.  14.  30, 10,  wünda,  hrda,  thursta,  <ja- 
roda,  riht ich,  muhelda  und  dereda  72,(5,  gefrvuueda,  geburede  8. 15; 

auf  die  partieipia  geleredes,  wurzedo  09, 27,  besigaladen  (vgl. 
§  24)  und  gethrät  48, 28  neben  branda  ustum  2(5. 10,  gebreydet, 
geheded  38,  20,  bezcych{e)net ,  gcßlttet  (vgl.  §  18),  giiniskct,  ver- 
looset  28, 1(5,  etc.,  gcslightat  etc.  (s.  §  57)  und  geleget,  genezzet, 
gequelct,  gef renn  et,  crwelet,  ungecrid  (s.  g  57).  erweleda,  gekni- 
sedon  (vgl.  §  17;  W  hat  ausser  geknisiton  auch  gekniaton  zu 
husten  collidere  und  gechnusten,  s.  Seem.  70, 10);  vgl.  noch  ge- 
breyde  'geflochten'  mit  übertritt  des  durch  die  entwiekelung 
von  eg  zu  ei  (s.  §  8)  aus  dem  rahmen  der  ablautenden  verba 
herausgetretenen  und  formell  mit  breydun  'breit  machen'  zu- 
sammengefallenen verbums  (vgl.  as.  brugdun,  ags.  breydan, 
brwgd,  brogden); 

auf  die  präfixlosen  partieipia  wurzedo,  branda  (s.  oben). 

§  55.  Wegen  der  endungen  der  präsensformen  nach  starker 
flexion  und  schwacher  l.klasse  ist  zu  bemerken: 

in  der  1.  sg.  ind.  stehen  mit  -on  und  seltnerem  -o  Uthon, 
bvsueron,  biddon  45,13,  bchaldon,  geuinnon,  untfähun  35,23, 
gegriphon,  släphon,  geligon,  givon  29, 4.  07, 4  und  giro  1 1. 6, 
quitho,  siho,  wirtho,  laazo,  (fure)bringon  22, 10.  (55,  25,  henyon, 
skeinon,  gelouvon,  theneon  14,0  und  bekenno  7,3,  meino  21.20. 
04,23.  75,24.  70,3,  leisto  52,3,  scundich  7,5  mit  synkope;  sonst 
noch  ausnahmsweise  bidden  9,  0. 13,  rüden  52,  7,  loosen  10. 17 
(vielleicht  auch  für  iverthe  32,21  zu  lesendes  iverthen,  doch 


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könnte  hier  natürlich  auch  Schreibfehler  für  teertho  vorliegen) 
mit  durch  das  -e-  der  anderen  indicativfonnen  beeinflusster 
endung  und  yestiiyan  04,22,  rolbrinyan  10,18  mit  nach  tönen- 
dem guttural  für  -e-  eingetretenem  -a-  (vgl.  §  22)  oder  mit  -a- 
für  -o-  durch  einwirkung  von  regelrechtem  -a-  für  -e-  der 
anderen  indicativbildungen ').  sowie  sfankan  00.18  mit  ana- 
logischer endung; 

in  der  2.  sg.  ind.  begegnen  mit  -est  und  seltnerem  -es  ye- 
bindest,  verkiusest,  teirthest,  teerthest  (s.  §  53),  ruoehest,  bau  est 
etc.  und  sihes  17. 3.  /«Uro  (mit  regelwidrigem  -e-,  vgl.  §  22), 
quithes  (s.  §  IM),  (itph)ri(e)lites,  teerthes  00, 12.  bekrnnes,  bluors 
13,20  (mit  enklise  {ge)Mhestu  etc.);  sodann  noch  meitwst  \S?\  21 
(neben  nuynest  28.  25),  behaldost  52.  10.  yeuinnostu  58.  21 
(s.  unten  zur  3.  sg.;  belege  für  -«4*]  nach  tönendem  guttural, 
vgl.  §  22.  fehlen);  in  70,27  stellt  der  endungsvocal  in 

einer  linie  mit  dem      von  ferit  (s.  zur  3.  sg.); 

in  der  3.  sg.  ind.  erscheint  -cd,  H  als  norm;  ad,  -at  nach 
tönendem  guttural  und  ä  -f  nicht -mehrfacher  eonsonanz  (vgl. 
§22)  bieten  draytd  10,24.  31.8.0.  01.3.4,  liyad,  «t  11.25. 
45,10.  uoyat  'fügt'  31,  4.  Insat  25. 3.  50.5  (daneben  //>/(// W 
20, 142).  70.8.  thuinget  $0,13,  sprinyet  10,3,  «r////r/  17,  1.  5 
durch  systemzwang);  -<7  behauptet  sich  (wie  -/a7,  s.  oben)  nach 
liquida  mit  vorangehendem  umlaut  in  ferit,  verid  21.5.  57,  12. 
71.5.  10,2.  17.27  (man  beachte  daneben  bind,  &  §  54,  ttrei 
35,20,  leeret  28.28,  bttret  20,21;  frm7  08.20.25.28  hat  -et 
durch  systemzwang;  vgl.  noch  £  57  zum  p.  prt.):  in  yewinnot 
72, 14  sowie  in  den  oben  erwähnten  bildungen  auf  -»st.  in  ye- 
Winnont  3.  pl.  53, 15.  54,  5.  77, 14,  behaldont  53.  22,  brinnont 


')  Per  umstand,  dass  mit  ausnahm«'  von  irrrthtin'i)  im  LW  -f»  an 
eben  denselben  stellen  steht,  wo  auch  W  -en  für  oder  -«  hat.  berech- 
tiut  nicht  zur  annahmt;  von  im  LW  aus  der  vorlade  stehen  gebliebenem 
-en,  denn  die  endung  -an  (die  in  W  nicht  begegnet)  weist,  mag  sie  auf 
die  eine  oder  die  andere  der  erwähnten  weisen  entstanden  sein,  auf  in  dem 
dialekt  der  Umschreibung  vorhandene  beeinfiussung  des  suftixes  der  t.  sg. 
durch  die  eudnngen  der  anderen  iiriisensformen  hin.  I>ie  hervorgehobene 
Übereinstimmung  kann  also  nur  auf  eine  in  den  gedachten  lesarten  mit 
W  übereinstimmende  vorläge  sehlicssen  hissen,  deren  -en  in  der  Umschrei- 
bung nicht  geändert  wurde,  weil  eben  auch  die  mundart  des  transscriptors 
solche  endung  kannte. 

■)  Wo  Hoffmaun  falsch  lüjhit  las. 


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VAN  HEIZTEN 


73,11,  scundont  49,10,  wirchont  53,26,  anuzuccJiont  9,15,  in 
den  Optativen  bringos  69,16,  givon  60,8,  behaldon  47,14  und 
in  den  inf.  er  givon  69, 14,  erhugon  60, 1  (woneben  gehugan  11,25) 
liegt  gelegentlicher,  durch  das  nebeneinander  der  -o(-)  und 
suffixe  bei  den  schwachen  verba  2.  und  3.  klasse  (vgl.  §  58) 
veranlasster  übertritt  in  die  o-flexion  vor  (mit  dem  -e-  der 
starken  und  1,  schwachen  conjugation  war  ja  das  -e-  aus  ~e~ 
der  3.  schwachen  klasse,  vgl.  §  59,  zusammengefallen;  vgl. 
wegen  einer  gleichen  ostfrk.  entwiekelung  die  in  W  erschei- 
nenden formen  behaltont,  guinnont  Hoffm.  xxxvm  12. 13.  lxxvh 
14,  Seem.  70,  4. 5.  146,  8,  werdon  opt.  H.  XLVU  17,^  bringon  inf. 
H.  xi  9,  seroton,  geserot  H.  xuv  23.  xlv  4,  Seem." 84, 2. 11,  ge- 
zierot  H.  xi  1,  Seem.  17, 6); 

in  der  1.  pl.  ind.  stehen  mit  aus  dem  opt.  entlehntem  suffix 
(vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  307  anm.  5  und  beachte  unten  zum  opt.) 
louphm,  vreuwen,  suochen,  heizewir  (vgl.  §  3  zu  n); 

in  der  2.  pl.  ind.  mit  -cd,  -et  vinded,  -et,  drephet;  wegen 
bechennedir  s.  §  12; 

in  der  3.  pl.  ind.  mit  -ent  und  ziemlich  seltenem,  nach  dem 
muster  der  anderen  für  die  3.  pl.  geltenden  endungen  entstan- 
denem -en  werthent,  drephent,  sizzent,  cument,  wassent  12, 3, 
suochen  t,  heftent,  bluoyent,  forghtent  etc.  und  werthen  8,4.  10,8. 
37, 9,  wassen  12, 1,  schtnen  36, 28;  sonst  noch  mit  nach  tönendem 
guttural  entwickeltem  -a-  (vgl.  §  22)  ougant  ostendunt  61, 15 
(doch  sftgent  21,.  15,  bringent  32, 18  mit  -e-  durch  systemzwang), 
mit  nach  dem  muster  von  -an(t)  und  -en{t)  der  3.  schwachen 
flexion  (s.  §  59)  verwantem  -an(t)  ambechtant  61, 5  (neben  am- 
bechtent  10,  26.  31, 6),  hbdan  10,  6  und  mit  -ont  (s.  oben  zur  3.sg.) 
behaldont,  brinnont,  scundont,  wirchont  (woneben  behaldent  38, 
12. 13,  brinnet,  -ent  30, 11.  73,  7,  -ende  37, 23,  tvircJiet  49, 1  und 
die  unten  zu  verzeichnenden  optativformen  mit  -c  etc.); 

im  opt.  erscheinen  mit  eigentlich  dem  sg.  und  der  2.  pl. 
zukommendem  -t(-)  beginne,  lese,  geschihe,  slaaphe  23,27  (mit 
regelwidrigem  -e,  vgl.  §  21  am  schluss),  sizze,  irre,  bluoye  13, 18. 
56,  27.  66, 17,  cusse  etc.,  bluoes  13,  20,  werthes,  heizes,  beskiermes, 
ivesewir,  helphewir  (s.  §  3  zu  n),  tviecfien  20, 22,  sezzen  74, 24, 
besuochen  39,  24,  buren  20, 14,  läsen  9, 10,  huoden  76, 27,  'den 
67, 19,  werthen  47, 17,  vuogen  (-e-  regelwidrig,  vgl.  §  22)  und 
behaldent  74, 28,  werthent  67, 3,  gesterchent  (-nt  durch  wechsel- 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLTRAM.  511 


Wirkung  aus  der  3.  pl.  ind.),  irred,  -et  15,21.  71, 1.  vindet  45, 11, 
kündet  45,12.15,  we(c)hed,  -et  15,12.  70,23,  genüget  28,4  (-e- 
rcgelwidrig)  und  mit  eigentlich  der  1.  und  3.  pl.  zukommendem 
-a(-)  (vgl.  §  23)  nemo,  64,20,  curna  26,21  (neben  cume,  kume 
6, 3.  9, 14.  20,  21.  26, 26.  39, 20),  wertha  9, 20  (neben  trerthe,  -es 
passim  und  uirthe  63, 13),  skella  19,  27.  meynas  20, 6,  volleenman 
67, 14,  teecchan  23, 28,  bekeran  66, 25;  beachte  auch  bringet  14,7. 
23,16.  66,  l,  -an  34,21,  mit  zweideutigem  endungsvocal;  sonst 
noch  mit  -o-  (s.  oben  zur  3.  sg.)  bringos,  givon,  hehaldon  (wo- 
neben bringa,  -an,  behaldes  33, 15,  -ent,  8.  oben,  sowie  wirche 
76, 19,  wirehewir  74,  2);  wegen  bluoie  (?)  3.  pL  vgl.  oben  s.  442 
fussnote; 

für  den  schwachen  imperat.  sg.  steht  neben  normalem  -e 
(wende,  künde,  lle  etc.)  phonetisches  bez.  analogisches  -a  in 
soyga  ostende  19,26,  yehuga  19,18.  72,24  (doch  genüge  19,14.16) 
und  skeyna  21, 19  (neben  skeyne  21, 17); 

für  den  imperat.  pl.  -et,  -ed,  wie  für  die  2.  pl.  ind.,  in  ver- 
nimet,  ezzet,  stiured,  umbe-,  underleged  (letzteres  mit  nach  dem 
§  22  zu  xegen  etc.  als  phonetischer  ausnähme  bemerkten  zu 
beurteilendem  -e-)  etc.;  ftlhent  capite  20, 10  ist  residuum  aus 
der  vorläge; 

im  Inf.  begegnen  mit  normalem  -an  ettman,  teerthan,  sehan, 
vergezzan,  bekennan,  snoehan,  zuiflan,  setitvan  etc.,  mit  seltnerem, 
aus  der  schwachen  flexion  stammendem  en  teerthen  16,  16. 
46,13,  sprechen  17,  4,  enquethen  20,  24,  rinden  52,7,  zihen  19,22 
(vgl.  §  19  zu  io),  anasihen  57, 18,  suochen  21,  27,  geirren  13,  19; 
sonst  noch  ergivon,  erhugon  (s.  oben  zur  3.  sg.;  jedoch  bringan 
11,9.  36,6);  im  gerund,  drinchenes,  rernemene,  drinchene,  mer- 
chene,  verfallene,  sehenehene  etc.  (vgl.  wegen  -e-  §  26  und  be- 
achte das  ausnahmslose,  nach  nebentoniger  silbe  vereinfachte  n, 
wozu  Braunes  Ahd.  gr.  §  93  anm.  1  zu  vergleichen  ist);  in  stt- 
geno  64, 19  steht  -o  als  Schreibfehler  oder  es  bezeichnet  eine 
nach  dem  muster  der  dative  auf  -o  und  -e  (s.  §  29)  für  -e  ein- 
getretene endung  (wegen  -ge-  vgl.  §  26); 

im  part.  stinchende,  fliezende,  oeerfluoiende  etc.  (vgl.  §  26), 
woneben  neigande  71,  7  mit  -a-  aus  -e-  (s.  a.a.O.)  und  reghtande 
63,22  mit  analogischem  -«-;  in  bowunde  'wohnend'  77,24  ist  u 
(durch  folgendes  künde  veranlasster)  Schreibfehler. 


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512 


VAN  HELTEN 


§  50.  Betreffs  der  endungen  der  starken  präterital- 
bildungen  ist  zu  achten: 

auf  antfingast  33,  10  mit  -(ist  aus  *-c.v/  (§22),  d.h.  -e 
(    ahd.  -/)  mit  angehängtem  st; 

auf  die  in  der  3.  pl.  ind.  neben  (ye)sähon  48.  3.  55,  5,  tväron 
18, 10.  40.  16.  44, 28.  40,  5.  0.  05,  5  (vgl.  §  22  zu  -w)  begegnen- 
den wOran  26, 1,  quäthan  72, 8,  gehiezan  57,  22,  skinan  19.  3, 
ruchtan  8, 16  (s.  auch  8, 18,  wo  ruchta  als  Schreibfehler  steht), 
fundan  22,  2.  44,21,  tcurthan  24, 17.  36,16.43.11,  r/rtra»  44, 27, 
naman  44,23,  sluogan  44, 22  und  netten  45, 6,  drircn  8,10  mit 
aus  dem  schwachen  praet.  (vgl.  §  57.  50)  entlehnten  suffixen ; 
für  die  1.  und  2.  pl.  gibt  es  keine  belege; 

auf  die  optativformen  ivorphe  45,  7,  besähe  56,  10.  wäre 
2,  7. 17.  51, 2.  58,  6,  anaringed  14,22,  sw/äc<  (s.  §  53;  wegen  de* 
an  dieser  belegstelle  verwanten  dubitativen  Optativs  vgl.  an 
der  parallelstelle  in  \V  stehendes  sähet)  mit  -e,  -et  aus  -i,  ~U 
(s.  §  23;  -vinged,  säghet  mit  -et  durch  systemzwang,  vgl.  §  22) 
und  wära  3.  sg.  20,  7.  52,  6.  50, 11,  wäran  56, 13.  73, 15.  74, 10, 
tvära  3.  pl.  (s.  §  3  zu  n)  mit  in  folge  des  Zusammenfalls  der 
-e,  -es,  -et  im  praet.  und  praes.  opt.  aus  letzterem  tenipus  (vgl. 
§  55)  entlehntem  -a(-)  [der  annähme  von  -«(-)  für  -c(-)  nach  a 
(vgl.  §  18.  21.  23)  widersetzt  sich  der  opt.  geirredan,  §  57]; 

auf  die  neben  normalen  cuman,  benoman,  besuichan,  ge- 
th itagan,  gefaran  etc.,  flect,  seorenen,  -an,  unhewollene  (  vgl.  Beitr. 
6, 230  ff.),  vorkommenden  partieipia  gelassen  18,5.  36,25.27, 
nzgegozzen  0,  13,  runden  30,  23  (doch  fundan  22,  1.  40, 23),  ge- 
scriven  27,10,  gebunden  02,23.  03,11,  gehalden  77,0  mit  aus 
den  flectierten  formen  entnommenem  suffix  und  gegiron  37,  13 
(doch  iegiean  25,12),  gehaldon  00,13.  08,12.  77,7.11  (doch 
gehalden,  s.  ob.),  gewunnon  75,  20  mit  -an  für  -en  in  anschluss 
an  die  Vorliebe  dieser  verba  (s.  §  55  zur  3.  sg.  ind.)  für  -ost, 
•ot,  -ont  statt  -est,  -et,  ent  (auch  \V  hat  neben  sonstigen  -an 
gehalton  120,2  bei  Seem.,  wie  in  behaltont,  s.  §55  a.a.O.). 

§  57.  In  beziig  auf  die  endungen  der  schwachen  präte- 
ritalbildungen  ist  folgendes  zu  bemerken: 

nach  dem  §  21  über  -e  (-.')  aus  -a  erörterten  wären  für 
die  1.  und  3.  sg.  praet.  ind.  bei  ungestörter  eiitwickelung  thursta 
etc.  und  Üede  etc.  zu  erwarten;  doch  finden  sich  als  die  nor- 
malen formen  nicht  nur  thursta,  uisda,  sazta  etc.  (s.  §  54), 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLIRAM. 


513 


sondern  auch  im  anschluss  an  die  letzteren  bildungen  und  an 
•oda,  -eda  der  2.  und  3.  klasse  erquekkeda,  zutfleda  etc.  (s.  a.a.O.); 
nur  ausnahmsweise  begegnen  ilede  24, 12  (neben  iteda  71,11), 
sleynede  17,22;  ebenfalls  selten  sind  die  durch  anlehnung  an 
den  plur.  entstandenen  erquihto  71,10,  hungredo  49,21;  mit 
synkope  steht  rihtich  43, 14; 

für  die  3.  pl.  ind.  stehen  sazton,  saldon,  zaldon  und  mit 
anlehnung  an  -da  auch  begondan  und  seredan  (vgl.  noch  §  59); 
für  die  1.  und  2.  pl.  fehlen  die  belege; 

wegen  der  Optative  erougade  44, 18,  geburedc  8, 15,  geher- 
dedet  14,23,  geirredan  17, 17  vgl.  §  56  zum  opt.  prt.; 

die  participia  enden  in  der  regel  auf  -et,  -ed,  -cd-  (s.  die 
belege  §  54);  das  -t-  von  ungcerid  13, 11  vergleicht  sich  dem 
-t-  der  2.  3.  sg.  praes.  ind.  ferit,  verid  (s.  §  55;  beachte  daneben 
die  partt.  gezired,  -et  11,1.  27,26.  59,2,  gezieret  33,10.  64,11 
und  geseret  34,2.4.  45,4;  in  erweht  liegt  systemzwang  vor 
und  anlehnung  an  flectiertes  erurleda);  in  erfloigat  'erschreckt' 
57, 5,  besigelad,  -at  und  bcsigaladen  steht  lautgesetzliches  -a- 
für  -e-  (s.  §  24  und  22);  ebenfalls  in  genaachat  (vgl.  §  9.  18 
und  22);  geslightat  27, 11  hat  analogisches  -«-;  wegen  gelegei 
ist  der  imper.  -leged  (s.  §  55)  zu  vergleichen. 

2.  Die  schwachen  verba  2.  und  3.  klasse. 

§  58.  Charakteristisch  für  den  LW  sowie  für  W  ist  die 
Vermischung  der  beiden  klassen  nicht  nur  bei  den  verben.  die 
sich  in  ahd.  denkmälern  mit  zweifacher  flexion  finden  (vgl. 
Braunes  Ahd.gr.  §  369  anm.  1,  Kelle  in  den  Wiener  sitzungs- 
ber.  109,  260  f.  Zs.  f da.  30, 298. 319),  sondern  auch  bei  denen, 
die  sonst  (mit  ausnähme  von  W)  mit  constantem  -ö-  (-o)  oder 
-e-  (-<)  begegnen  (die  Übereinstimmung  zwischen  LW  und  W 
ist  selbstredend  mit  rücksieht  auf  die  normale  Unabhängigkeit 
der  Umschreibung  nicht  auf  entlehnung  aus  der  vorläge  zurück- 
zuführen')). Ich  gebe  hier  ein  Verzeichnis  der  im  LW  er- 
scheinenden verben  und  zwar  nach  den  folgenden  kategorien 
geordnet:  1.  derjenigen  die  beiderlei  flexion  haben,  indem  sie 
auch  anderswo  mit  -ö-  (-o)  und  -e-  (-e)  vorkommen  (wegen  der 

l)  Die  Beitr.  13,  46!s  ff.  fiir  mhd.  (alem.)  machen  etc.  :  muchon  vor- 
geschlagene deutung  wäre  hier  unbedingt  abzuweisen,  weil  die  -e{-)  des 
LW  keine        sind  (vgl.  §  21  -  27). 


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514 


VAN  HELTEN 


ahd.  belege  s.  ausser  der  oben  erwähnten  literatur  Graff  i.  voce; 
wegen  der  belege  in  W  s.  Hoffmanns  und  Seemüllers  glossare), 
2.  derer  welche  der  alten  e-  oder  der  alten  ö-conjugation  mehr 
oder  weniger  untreu  geworden  sind  und  auch  in  W  die  näm- 
liche anomalie  aufweisen  (wegen  der  belege  für  W  s.  die 
glossare),  3.  derer  die  im  LW,  nicht  aber  in  W  Vermischung 
zeigen,  4.  derer  für  die  aus  LW  keine  Übersiedlung  in  die 
andere  klasse  zu  belegen  ist,  5.  derjenigen  deren  ursprüng- 
liche flexion  nicht  zu  ermitteln  ist,  indem  sie  nur  aus  LW 
und  W  oder  nur  aus  LW  zu  belegen  sind. 

1.  (ge)bilethen  inf.  41,8,  an  70,4,  -ene  63,8.  74,24,  -et  55.2, 
-ent  32, 12,  -eden  36, 19  und  ot  56,  2,  -ont  60, 25  frägan  inf. 
22, 27,  fnlgudot  52,  5  und  -odot,  -odet  (oder  -edot?  s.  §  59  zum 
praet.)  46,4.  51,1,  radfrägoda  44,25  —  geran  inf.  53,2  und 
gero  1.  sg.  ind.  39,  2,  -ost  40,  9,  -oda  14,  3  —  leydoda  14,  8, 
geleidos  praes.  opt.  69, 17  und  leydede  7,  0 —  manonivir  74, 23 
und  maneda  23,  24  -  gescapho  33,  22,  geschaphot  31, 23  und 
gescaphe  opt.  66, 19,  geschaphat  19,  19.  77,  2,  gescaphedu  p.  p. 
56,4  —  wison  ich  40,10  und  -est  67,6,  -et  51,25,  -eda  43,3, 
getetset  40,10  —  roUewurdon  Lsg.  69,14  und  wurdet  16.25, 
-eda  46,  16. 

2.  Von  alten  ^-Verben  hures  45, 23,  -est  21, 19.  66,20.  77,20, 
Itueestu  34,2.4,  Itaret,  -cd  3.  sg.  8,9.  9,22.  10,7.  12,6.  13,26. 
14, 12.  65, 16  et€.,  -et  2.  pl.  ind.  15, 16.  28,  1.  41,5,  -ent  3.  pl. 
11,7.  27,2.  33,6.  50,22.  53,1.  60,9.  28.  69,21,  -ant  30, 14,  an 
7, 24.  11, 16.  32, 16,  -e  1.  3.  sg.  opt.  76, 20. 26.  77, 1. 2,  -es  2.  sg. 
opt.  68,27,  gehaee  imper.  10,5,  haru  imper.  21,13,  huren  inf. 
60,4.61,20.  (be)hurun  10,2.  23,14.  46,26.  64,7  und  haron 
1.  sg.  19, 19.  22, 1.  23,  5.  33,  17.  35,  28.  40, 16. 17.  19.  41,  19. 
43,26.  52,6  etc.,  haro  Lsg.  8,1.  10,10.  13,3.  20,26.  31,23. 
42,  17.22,  -ost  21,  10,  wir  huron  praes.  51,  12,  hehuroti  inf.  9,1 

—  lerendu  38, 12  und  ich  leron  ti,  11  —  Hielten t  20,  7,  tttisliichc 
opt.  28,24  und  mslteho  opt.  10,21  —  suge  imper.  9, 4,  u  im- 
per. 45,26.  51,10.14,  gesagan  inf.  22,7.28,  rersagut  p.p.  27, 
10.  19  und  sagon  1.  sg.  praes.  46,  6.  51,  4,  sagode  51, 3,  -on  48,  8, 
gesugot  52,6  —  gestarchent  'stark  werden'  20,15  und  gestar- 
code  19,1  —  H'ucJtot  3.  sg.  praes.  41, 18; 

von  alten  ö-verben  geurgerent  'zu  schänden  machen' 20, 11 

—  heydet  7, 8  —  gebloomed  'geblümt'  12,25  —  gerestenont 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDKNER  WILLIRAM 


515 


37.6  und  -ent  13,5  —  vor-,  fortheroda  21,25.  44,17  und  vor- 
theret  59,18,  -ent  59. 14  —  guodlichant  30, 21  —  gvcrüriget 
49,22  —  (ge)Iocchet  35,1.  65,12.  67,18  und  hrcheda  48,3  — 
machon  ich  8,5,  -ost  6,11,  -o/  18,27.  67,28.  68,7.  73,24.25, 
machonwir  11,  5,  machodir  39,  19  (vgl.  §  12),  machont  63,  3. 
68, 2. 10,  -05/  opt.  9, 12,  -on  opt.  66, 27,  -oda  25, 26,  gemachot 
31,17.  75,27.  78,1  und  ma(c)che  iiuper.  66,23.  72,17  —  ge- 
nieret 3.  sg.  61,27  -  mtimott  Lsg.  69,24,  -o  9,9,  -ot  7,  16, 
-on  3.  pl.  ind.  6, 15.  7, 16,  -ont  27,  20,  -o  opt,  7, 18  und  -e  opt. 
14,12.14,  an  inf.  14,10  —  niedet  'freut'  14,4  ophencuir 
opt.  74,13,  o(/>)^ewenM0,  27.  31,7.  61,6,  geophenet  64, 28  — 
gephlanzot  8,28  und  -cf  39,5,  phlanzene  77,21  —  geordmedon 
p.  p.  48,5  —  gethrangoda  p.  p.  4 gedrängte'  55, 17  und  gethran- 
gada,  -on  52,16.23.25  —  salrado  praet.  11,19  (oder  Schreib- 
fehler für  salroda?)  —  skeythe  im  per.  10,  4.  78, 14,  underskeithet 
49,12  (vgl.  ahd.  sceidön ;  das  starke  verbum  erscheint  im  p.p. 
geschcythan  23, 6)  —  scouwest  56,  15  —  besuürmt  gravant 
42,12  —  heuaret  25,16,  -ent  25,6.  62,15,  -et  p.p.  36,1,  -an 
inf.  47, 21  —  tveithenot  60,  20  und  -et  20, 20.  32, 7.  52, 5,  -e»f 
9,21.  32,1,  -en  ind.  32,17,  -cä,  -e  opt.  9,5.  51,20,  -p  imper. 
9,  28  —  geuertheda  dignatus  est  46,  25  —  tvunderon  1.  sg. 
57,9,  -ost  56, 14.  57, 19.  71, 21,  -ot  55,9  und  wunderan  inf. 
55,20  (geantfristet  ist  vermutlich  residuum  aus  der  vorläge, 
vgl.  §  12). 

3.  (ge)lemes  10,  8,  -ent  18, 12,  -««  opt.  47, 15. 19  und  ler- 
nostu  69, 10,  lernon  64, 12,  -ont  61, 20  (in  18, 12  und  an  den 
drei  letzteren  belegstellen  steht  das  verbum  in  der  bedeutung 
'docere')  —  (jemamghfaidrt  45, 5  —  gesamenet  54,25  —  wunot 
4  wohnt'  11,22. 

4.  Von  den  verben  mit  -ö(-)  und  -e(-)  im  ahd.  arnodan 
meriti  sunt  27,2  —  eeront  55,11  —  geeinoda  43,13,  geeinot 
64,18  —  geeiachedon  48,4  —  clagon  Lsg.  7,27,  -ost  58,2  — 
yekithot  24,  14.  33,  17  (W  geladot  und  -et)  —  lot  enden  (1.  -eden) 
'lobten1  55,7  —  siechon  Lsg.  14,18.  45,12  —  scames  10,20, 
-ent  30,20  —  gesmithot  58,21  —  Maw«m  inf.  11,16  —  ich 
vollevolgon  69,  9; 

von  alten  e7-verben  erhereda  42,  28  —  verfaulet  26, 13  — 
gruonent  47,  3  —  hangcnt  31,  1,  -r»  3.  pl.  ind.  31,  21  —  muo- 
ihest  63,23,  -eda  49,21  —  quekkent  'lebendig  werden'  35,27 


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516 


VAN  IIEI/TEN 


—  sneret,-entM,  12.  61.13.22.  62.24  —  thobt  70,  7.  -cn/39.4, 
-eda  41, 22,  -c<7o  34, 8.  -c</c/j  39,  3,  -an  inf.  15.27  —  erwarmed 
44,  12; 

von  alten  ö-verben  yebathot  47,  0  (W  gebadet)  —  yemaazot 

10.11  —  gethingon  Lsg.  68,16.  69,15. 

5.  hörechent  77,19.27  —  geblachmälad  'mit  eingegrabener 
arbeit  verziert'  11,5  (W  -öf)  —  gennwzegan  vacare  inf.  78,  11. 
-at  p.  p,  42, 17  (\V  -et,  doeb  nach  Graff  2,909  in  der  Stnttg.  hs. 
-ot)  —  gepimentadon  p.  p.  69,  19  —  röwes  2.  sg.  opt.  9,5.  ruowan 
inf.  20,  1,  geruowet  p.  p.  12,  26; 

gearzÜtant  68,  9  -  dropkeden  stillabant  43, 10  —  geyrädet 
'gestuft'  26,4  —  iugethet  -  verjüngt'  6,  16  —  cundeghe  Lsg.  opt. 
78,10,  gan  inf.  78, 14  —  loghent1  brennen'  73,7  (W  bat  /<>/*<■- 
*ent,  wie  43.  10  troff ezoton  -  dropkeden  LW;  dies  verleiht 
grund  zur  Vermutung,  dass  der  mundart  der  Umschreibung 
verba  auf  -ezen  aus  -atjan  nicht  geläufig  waren;  in  drofezent 

48. 12  wäre  demnach  -ezent  als  residuum  aus  der  vorläge  zu 
fassen)  —  nistclcs,  -ot  19,7.20  —  slafto  'erschlaffe'  Lsg.  ind. 
39.27  —  gewared  'währt'  20,27. 

Zum  schluss  sei  noch  bemerkt,  dass  zur  kategorie  2  auch 
gehören  können  gereinont  61,  18  und  -ent  21,21,  gcreynet  12, 10. 
gewäilet  'gekleidet'  6, 17;  doch  ist  im  hinblick  auf  ahd.  gereinen 
und  -ff»,  wäitan  und  wütön  die  möglichkeit  mittelfränkischer 
wechselformen  nach  1.  und  2.  klasse  nicht  zu  übersehen. 

§  59.  Bezüglich  der  endungen  der  sehwachen  2.  und 
3.  klasse  sei  noch  folgendes  bemerkt: 

antenasalisches  a-  aus  -e-  für  -e-  (s.  §  23)  findet  sich  als 
regel  im  inf.  (gebiletkan,  frägan,  genin,  (be)karan,  gesagan. 
nrinnan,  bewaran,  wunderan,  tkanean,  tholan.  genmozegan, 
ruowan,  eundegan).  woneben  als  ausnähme  durch  anlehnung 
entstandenes  -en  (bilethen,  haven);  in  der  3.  pL  praes.  ind.  sind 
hingegen  durch  einwirkung  von  -e-  der  anderen  formen  dieses 
tempus  regelwidriges  -ent  bez.  -en  die  norm  geworden  und 
steht  nur  ausnahmsweise  -ant  oder  -an  (luiran(t),  guodlhkant, 
gearzdtant);  im  p.  praes.  und  gerund,  stehen  nach  g  27  -ende, 
-ene  (ferenda,  bib  tkene,  phlanzene;  wegen  -n-  vgl.  55  zum 
ger.);  wegen  der  formen  für  den  opt.  praes.  beachte  minne, 
weitkene,  -es,  röwes  (s.  §  18  zu  uo),  opkrnewtr,  doch  lernan  3.  pl. 
und  vgl.  §  55  zum  opt.  praes.; 


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ZUR  SPRACHE  DES  LEIDENER  WILLI  RAM.  517 


-a(-)  nach  tönendem  guttural  und  nach  a  oder  ä  der  Vor- 
silbe (s.  §  27.  21  am  schluss  und  23)  steht  im  prt  fragadot, 
in  den  p.  prt.  gesc{h)aphat,  versagat,  gemuozegat,  gebhichmälud, 
ytthrangadu,  -on  und  den  impp.  hava,  saga;  analogisch  ent- 
wickeltes -a-  bieten  salvado  (?  s.  §  58  zu*  2.)  und  gepimcntadon 
(sonst  im  p.  prt  -cd,  -et,  -ed-);  in  folge  von  sj-stemzwang  be- 
gegnen aber  die  p.  bewaret,  gecruciget,  die  impp.  gehave,  sage, 
cundeghe,  der  int',  hären,  die  formen  des  praes.  ind.  hares(t), 
scames,  huret,  -ed,  bewaret,  gewured,  harent,  bcuarent,  besuärent, 
Moment,  )t<mgen(t),  loghent,  sowie  des  opt.  gescaphe,  hare,  -es; 
wegen  gescapheda,  maneda  vgl.  g  27; 

aus  -a-  für  -e-  in  geschlossener  ultima  und  in  der  paen- 
ultima  geht  kürze  des  stammvocals  -e-  an  denselben  stellen 
hervor,  was  auch  zur  ansetzung  von  -on  (-o),  -os{f),  -ot,  -ont, 
-od,  -ot,  -oda  berechtigt  (die  Kürzung  entstand  in  vorletzter 
silbe  durch  analogie.  vgl.  §  27); 

für  die  1.  sg.  praes.  ind.  tritt  neben  -on  kein  -an  (aus  *-en) 
oder  durch  anlehnung  entstandenes  -en  auf;  mitunter  statt  -on 
erscheinendes  -o  (gero,  gescapho,  haro,  shifto)  entstand  nach 
dem  muster  des  -o  neben  -on  in  der  starken  und  1.  schwachen 
conjugation  (s.  §  55); 

die  2.  sg.  praes.  ind.  hat  neben  -est,  -ost  auch  -es  in  hur  es, 
gelernes,  scames,  nisteles;  im  opt.  steht  neben  geleidos,  hares 
etc.  auch  machost; 

wegen  -n  für  -nt  der  3.  pl.  ind.  hangen,  weythenen,  haran, 
minnon  vgl.  §  55; 

neben  normalen  rüdfrügodu,  geroda,  leydoda,  erbereda  (Hoff- 
mann hat  falsches  -de)  etc.  stehen  mit  analogisch  gebildetem 
-de  sagode,  gestarcode  (vgl.  §  57  und  s.  noch  §  00);  wegen  tho- 
ledo  und  salvado  (?)  vgl.  erquihto,  hungredo  (g  57);  wegen  neben 
sayodon,  gceischedon,  frägodot,  -adot  vorkommender  arnodun, 
biletheden,  lore(n)den,  tholeden,  dropheden,  frugodet  (oder  ver- 
schrieben für  frügedot?)  vgl.  begondun,  seredan,  moghtan,  woldun 
(g  57.  00  und  03)  und  scoldcn  (g  60;  die  häufigkeit  von  eden 
weist  auf  bevorzugung  von  -en,  d.h.  -m,  nach  -e-  hin); 

Optative  prt.  sind  nicht  belegt  mit  ausnähme  von  hadde 
44,  2  mit  assimilierung  des  v  (neben  hafda  ind.  14,  5  mit  er- 

Bei träge  cur  getchiobU  der  deutschen  spräche.    XXII.  34 


518 


VAN  HELTEN 


haltung  der  durch  f  dargestellten  tönenden  Spirans  durch  be- 
einflussung  der  präsensbildungen). 

Das  präfix  des  p.  prt.  fehlt  in  iugethct  G.  IG  (vgl.  §  57). 

3.  UnrogolmiiBsigo  verba. 

§  60.  Von  den  flexionsformen  der  practeritopraesentia  sind 
hervorzuheben ; 

die  im  i)lur.  praes.  ind.  neben  irizzon,  hunnon,  seulon  25.  23 
begegnenden,  durch  analogiebildung  nach  den  praeterita  auf 
•an  und  -rn  (§  50)  entstandenen  sculan  24, 1.  25,  7. 8. 11,  sculen 
02,28.  04,12,  mugenlh,  12  [mugan 13, 17. 19.  10,4.3*3,6.  50.19. 
00,4.  73, 18  kann  opt.  sein,  vgl.  die  an  den  betreffenden  stellen 
in  Hoffnianns  und  Seemüllers  text,  bez.  in  den  varr.  zu  35,0. 
07,9  (  xvi  4.  xxxvi  9  bei  Hoffni.)  stehenden  optativfonneii; 
auch  mugan  47,  0  und  sulen  18.  8,  denen  in  W  mugon,  sculott 
entsprechen.  Hessen  sich  als  opt.  fassen]; 

die  nach  §  56  (zum  opt.),  §  4  (zur  apokope  von  n)  und 
§  21.  22  (zur  behandlung  von  -e  und  -e-  nach  tönendem  guttural) 
zu  beurteilenden  Optative  Lsg.  sule  14,10,  sculc  43,7,  htnne 
15,5,  cunna  70,10,  muoze  08,  23,  muga  22.  22.  44, 10,  muye 
78, 10.  2.  sg.  uizzest  33. 18,  mugas  53,  4,  -est  77,  25.  3.  sg.  muoze 
70,14,  muga  25,18.  27,8.  31,20.  1.  pl.  muozen  57,18,  2.  pl. 
sculed,  -et  41,8.  52,8,  sculedir  41.  7.  9  (vgl.  g  12),  wizzet  50,27 
(in  imperativer  Verwendung),  mugat  52,  7,  mugadir  39, 17,  3.  pL 
dürren  70.  4,  eunnen  74.  10.  -an  25, 10,  kunne,  mugan  21,  21. 
50,  G.  03, 15.  74, 17  (s.  auch  oben),  muga,  sulen  18.25  und  18,8 
(?  s.  oben); 

die  praeterita  ind.  moghta  22,20.  44,18.  46,13,  mit  sj*n- 
kope  moghtich  22, 17,  Wistes  (s.  §  47).  und  moe(h)te  8. 23.  9. 1. 
18,  23,  triste  57.  8,  seolde  71. 15  mit  analogisch  gebildetem  -e  (vgl. 
§  57).  moghtun  73, 13.  10  (vgl.  g  57),  scolden  72,3  (vgl.  §  59); 

die  praeterita  opt.  seolde  43.  2.  48,  9,  muoste  44, 19,  moghte 
44, 3,  künde  22,  7  und  moghta  45, 9,  -an  20, 0  (vgl.  §  50.  57.  59). 

g  Gl.  Für  das  verb.  substantivum  gelten  im  praes.  ind. 
neben  häufigem  Mm  einige  male  bin  7,21.  11.22.  19,15.  59,4, 
bist  (nie  Ms),  is  (nur  zweimal  und  wol  aus  der  vorläge  stam- 
mend ist  10,23.  53,22),  aus  dem  opt.  entlehnte  siin  1.  pl.  27,5, 
siit  2.  pl.  27,  28  (sint  14,  20  kann  nur  Schreibfehler  sein),  und 
tfr*3.pi.  7,24.  10,19.  18,5.  58,9.  75,3  woneben  normales  sint; 


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ZUR  SPRACHE  HKS  LEIDKNKR  WILLIRAM. 


519 


im  praes.  opt.  si,  sis(t\  si,  sin  3.  pl.  (sii  l.  pl.  27,9  Schreib- 
fehler); im  inf.  sin  (neben  teesan);  ein  p.  praes.  ist  nicht  belegt; 
für  den  imper.  stellt  wis(s). 

§  62.   Von  duon,  gän,  stän  sind  belegt: 

duon  Lsg.,  duost,  duot,  duont;  duo  Lsg.  opt.,  duotcir  1.  pl. 
opt.  74, 1,  döwir  00. 16  (oder  opt?  wegen  ö  vgl.  §  18);  duo  und 
duot  imper.  (auch  e/öf,  s.  §  18);  duon  inf.;  däde  1.  3.  opt. 

35,  5.  43,  10.  24  und  -a  56,  11  (s.  §  56  zum  opt.);  gcdaan, 
thurgdftn: 

v erstem  Lsg.,  geet,  steed  3.  sg.,  geent;  ge  3.  sg.  opt.,  gewir, 
ghiewir  (s.  $  8),  stewir;  geet  imper.;  gende;  gen  9,7.  20,3.  24,2, 
goan  26,  28,  sten  inf.:  r erstem  p,  p.  20,  26  (doch  gegangan). 

§  63.  Das  verbum  'wollen'  begegnet  in  willo  Lsg.  21,27. 
22,21.  23,9.  32,25  (=  ahd.  willu),  woneben  teillon  1 1, 16.  12,20. 
20,24.  21,20.  22,20.  23,8.  50,21.22  (vgl.  §  55  zur  1.  sg.  ind.), 
witte  11, 25.  43, 21,  -a  32, 23  (vgl.  Braunes  Ahd.  gr.  §  385  anm.  1) 
und  welle  9, 19  mit  aus  dem  alten  plur.  *well-  entnommenem 
stammsilbenvocal,  thu  teilt \  her  teile  00,9  (—  ahd.  teilt),  -a  17,4. 
00,8  mit  nach  dem  muster  der  im  opt.  praet.  neben  einander 
geltenden  -a  -e  (s.  §  50)  für  -e  verwanter  endung,  her  teela 
15,27  mit  e  wie  in  der  Lsg.  teelle,  wir  teillon  7,11  mit  i  für 
e  oder  o  durch  ein  Wirkung  des  präsens  und  -on  nach  dem 
muster  von  wizzon  etc.,  wollent  00, 1.  74,  11  (vgl.  Braunes  Ahd. 
gr.  S  385  anm.  4);  in  den  optativformen  willes  10,2.  -an  11,3, 
-ant  00, 9  mit  i  wie  in  wir  teillon  (wegen  -a  und  -nt  vgl.  §  55), 
wolle  15,13.  20,22.  70,24.27.  71,2,  -a  23,28; 

in  wolda,  wählest  ind.  20, 1  mit  -e-  (d.  Ii.  -J-)  durch  anleh- 
nung  an  -e  der  1.  3.  sg.  *wolde  (vgl.  mochte  etc.  §  00),  woldan 
ind.  18,20.  19,2.  22,17  (vgl.  §  57). 

[&  441,  8  v.  u.  1.  §  56.  -  455,  8  v.  u.  und  461, 10  v.  o.  1. 
(Irohtin.  —  462, 14  v.  u.  1.  §  50.  62.J 

Ii  KONINGEN.  W.  VAN  HELTEN. 


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WORTGKSCHICHTLTCHK  BEITRÄGE. 


1.  aar. 

Kluge  hatte  in  seinem  aufsatze  'Aar  und  adler'  Zs.  fdph. 
24.  all  f.  als  resultat  seiner  nachforschungen  über  den  gebrauch 
dieser  beiden  Wörter  es  ausgesprochen,  dass  von  einem  poeti- 
schen aar  im  16. 17.  jh.  nichts  zu  verspüren  sei.  Dagegen  hat 
sich  Jeitteles  in  derselben  zs.  29,  177  f.  gewallt  und  durch 
einige  belege  den  nach  weis  zu  erbringen  versucht,  dass  das 
ganze  10.  jh.  hindurch  bis  über  die  grenze  desselben  ar,  am 
'im  Sprachgebrauch  fortlebte,  und  zwar  keineswegs  bloss  in 
der  ungebundenen  rede,  sondern,  was  Kluge  bezweifelt,  auch 
in  der  dichtung  anwendung  fand'.  Diese  tatsache  hatte  indes 
auch  Kluge  nicht  rundweg  bestritten,  er  betonte  nur,  und 
unzweifelhaft  mit  recht,  dass  damals  aar  nicht  wie  in  der 
neueren  spräche  seit  mitte  des  vorigen  jh.'s  ein  specitisch 
poetisches  wort  gewesen  sei.  Allerdings  wird  aar  im  16.  jh. 
nicht  ganz  so  selten  gebraucht  wie  Kluge  annahm;  immerhin 
ist  sein  zurücktreten  hinter  adler  nicht  zu  bestreiten  und  nur 
die  composita  wie  fischaar,  hühneraar  u.s.  w.  zeigen  es  noch 
bei  vollem  leben.  Dabei  kommt  aber  noch  ein  umstand  in 
bet rächt,  der  weder  von  Kluge  noch  von  Jeitteles  berücksich- 
tigt worden  ist.  Ar,  am  wird  allerdings  wie  adler  gebraucht, 
so  in  den  von  Jeitteles  angeführten  stellen  aus  Burkard  Waldis. 
ferner  z.  b.  auch  bei  Mathesius.  Sarepta  (Nürnberg  1571)  88 1>: 
oh  nun  schon  das  Keiserthumh  bifsweilen  eben  schwach  oder 
federlofs  aestanden  {denn  es  habens  die  Hämischen  fischer  zu 
iren  federangeln  eben  hart  berupfl'ct  vnd  wer  es  vermocht  hat 
davon  (je  zw  acht),  dennoch  ist  noch  der  Adler  bliben  bifs  au  ff 
dise  stunde.  Es  hat  wol  mancher  yemeinet,  er  wolt  dem  Ahr 
zun  haupten  wachsen.  Aber  wen  Oott  erhöhet,  den  kan  niemand 


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WORTGESCHICHTLICHE  BEITRÄGE. 


521 


durch  eigen  krafft  nidrigen,  wie  alle  Historien  bezeugen.  Feber- 
wiegend  aber  bedeutet  damals  ar  nicht  'aquila',  wofür  sich 
adler  festsetzte,  sondern  bezeichnet  einen  kleineren  raubvogel. 
Nach  Diefenbachs  Gloss.  latinogerm.  gibt  zwar  ar,  arn  öfter 
aquila  (44»),  mehrfach  aber  auch  milvus  (361  »>)  wider;  vgl. 
auch  im  Voc,  theut.  (Nürnberg  1482)  nn6*>  weg  oder  ar  milvus, 
in  einem  anderen  von  Diefenbach  unter  milrus  angeführten 
glossar  aer  oder  geyer.    In  der  von  .Teitteles  angeführten  stelle 
aus  Seb.  Francks  Sprichwörtern  heisst  es:  arn  oder  wyhen  vier 
die  kennen  ziehen.    Daran  schliesst  sich  die  eine  der  meines 
Wissens  beiden  einzigen  stellen,  an  der  ar  bei  Hans  Sachs  vor- 
kommt, Fastnachtsspiele  (ed.  Götze)  27,247:  sinds  drauff  wie 
ein  aer  auff  einr  Hennen  (dagegen  ein  großer  ar  —  adler  in 
Gödekes  ausg.  1, 91).    Auch  Aventin,  der  ar  öfter  gebraucht, 
scheint  es  von  adler  zu  unterscheiden,  vgl.  Bair.  chron.  (ed. 
Lexer)  1,294,28:  wen  ainer  nur  etwan  ainen  adler,  ainen  am 
oder  dergleichen  vogel  fiedrauchen  sach.    Dass  bei  ar  die  mhd. 
bedeutung  'adler'  jetzt  mehr  zurücktritt,  erklärt  sich  aus  dem 
einfluss  der  composita  hünerar,  meusar,  bussar  u.  s.  w.,  bei  denen 
ar  einen  kleineren  raubvogel  bezeichnet.   Der  etymologische 
Zusammenhang  zwischen  ar  und  adler  (adelar)  wurde  freilich 
nie  ganz  vergessen,  und  so  hat  es  nichts  auffallendes,  dass  im 
17.  jh.  mehrfach  ar  =  adler  angegeben  wird  (Kluge  s.  314), 
woraus  indes  keineswegs  hervorgeht,  dass  man,  wie  Kluge 
s.  312  will,  diese  Wörter  damals  allgemein  für  gleichbedeutend 
angesehen  habe.    Die  Wörterbücher  setzen  überwiegend  ar  in 
anderer  bedeutung  als  adler  an;  so  heisst  es  bei  Schottel  (1004) 
Aar  vultur,  aeeipiter,  bei  Stieler  (1691)  Ahr,  arn  aesalo,  species 
aeeipitris  vel  vulturis,  bei  Dentzler  (1709)  Ahm  aesalon,  bei 
Rädlein  (1711)  Aar  epervier,  bei  Steinbach  (1734)  Aar  vultur. 
Dass  in  allen  diesen  fällen  ar  nur  aus  den  compositis  abstra- 
hiert worden  sei,  ist  man  schwerlich  berechtigt  anzunehmen; 
das  fast  völlige  fehlen  des  Wortes  in  der  literatur  (doch  vgl. 
man  den  von  Kluge  s.  313  erwähnten,  angeblichen  Opitzischen 
vers)  ist  freilich  auffallend,  wird  aber  erklärlich,  wenn  wir 
annehmen,  dass  das  wort       wenigstens  hochdeutsch  —  nur 
zur  bezeichnung  einer  art  weihe  wirklieh  üblich  war.  Das 
ändert  sich  dann  um  die  mitte  des  18.  jh.'s.    Schon  Frisch 
(1741)  hat  Aar  ; jeder  grosse  raubvogel,  besonders  adler'  und 


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522 


VON  BAHDER 


wenig  später  beginnt  die  Verwendung  des  Wortes  =  'adler' 
in  der  literatur.  Dass  diese  widerbelebung  von  aar  in  der 
alten  bedeutung  von  den  nd.  mundarten  ausgegangen  ist,  wie 
Kluge  vermutet,  erscheint  mir  sehr  wahrscheinlich,  obgleich 
ich  meinerseits  nichts  zur  begründung  dieser  ansieht  vorzu- 
bringen weiss. 

2.  abschach. 

Bekanntlich  kommt  dies  wort  in  Leasings  Nathan  (2.  aufzug 

1.  auftritt)  vor. 

Sittah.     So  bleibt  es?  Nun  dann :  schach  und  doppelt  schach ! 
Saladin.    Nun  freylieh ;  dieses  abschach  hab  ich  nicht 

gesehn,  das  nieine  königin  zugleich 

mit  niederwirft. 

Von  den  erklärungen  des  Wortes  kann  die  im  DWb.  1,  94 
gegebene  'ab  dem  schach  sein'  ausser  bet rächt  bleiben,  da  sie 
offenbar  nur  der  etymologie  ihr  dasein  verdankt  und  durchaus 
unpassend  ist,  denn  nach  dem  folgenden  kann  abschach  nur 
ein  zug  sein,  durch  den  Sittah  ihren  mitspieler  bedroht  hat. 
Auch  Düntzer  trifft  nicht  das  richtige,  wenn  er  in  seinen 
erläuterungen  zu  Lessings  Nathan  s.  97  abschach  erklärt  als 
'der  zug.  welchen  man  unmittelbar  nach  einem  dem  gegner 
gebotenen  schach  tut,  gleichsam  der  rückzug  aus  dem  angrei- 
fenden schach,  der  aber  ein  neues  schach  sein  kann'.  Was 
man  sich  unter  dem  rückzug  aus  dem  angreifenden  schach 
unmittelbar  nach  dem  schachbieten  vorstellen  soll,  ist  mir  nicht 
recht  klar,  jedenfalls  bleibt  bei  dieser  erklärung  der  Zusammen- 
hang, in  dem  an  unserer  stelle  das  abschach  doch  offenbar  mit 
dem  doppelten  schach  steht,  ganz  im  dunkeln.  Wenn  v.  Itöht- 
lingk  vor  kurzem  in  den  IF.  7, 270  abschach  als  ;  schach  der 
künigin'  erklärt  hat,  so  wird  er  ebenfalls  dem  klaren  Wortlaut 
unserer  stelle  nicht  gerecht.  Meistens  wird  abschach  als  gleich- 
bedeutend mit  doppelschach  genommen  und  als  'schach  dem 
könig  und  zugleich  der  königin'  erklärt  (so  auch  bei  Sanders 

2,  870).  Nun  ist  aber,  wie  merkwürdigerweise  allen  erklärern 
der  stelle  unbekannt  geblieben  zu  sein  scheint,  auch  schon  im 
mhd.  abschach  belegt.  In  Heinrichs  von  Freiberg  Tristan  wird 
eine  Schachpartie  zwischen  Marke  und  Isolde  geschildert,  es 
heisst  v.  4155  f.: 


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WORTGESCHICHTLICHE  BEITRÄGE. 


523 


inredes  der  kUnic  sprach 
zu  der  küniginne:  'schach!' 
mIä  schach !'  sprach  die  küuigin. 
'hie  buoz  mit  dem  ritter  min, 
abschach ! '  sprach  der  küuic  sän. 
sie  gedahte:  'ahschach  wirt  in  getan: 
mich  dunket,  er  si  aber  kumen. 
von  dem  mir  sorge  wirt  benuraen.' 

Die  letzten  worte  beziehen  sich  darauf,  dass  Tinas  als 
böte  Tristans  anwesend  ist  und  Isolde  darum  ihren  freund  in 
der  nähe  vermutet.  Der  herausgeber  Bechstein  hat  (wie  schon 
vor  ihm  Wackernagel  in  der  abhandlung  Das  deutsche  Schach- 
spiel im  mittelalter,  Kl.  sehr.  1, 112)  die  stelle  insofern  nicht 
ganz  richtig  aufgefasst,  als  er  v.  4158  der  königin  zuweist. 
Inioz  möchte  er  als  imp.  =  büeze  oder  biiezet  nehmen.  Die 
königin  würde  also  den  könig,  dem  sie  schach  gesagt  hat, 
auffordern,  dieses  schach  mit  ihrem  eigenen  ritter  abzuwehren: 
eine  völlige  Sinnlosigkeit,  Das  überlieferte  buoz ')  ist  offenbar 
als  ausruf  (mit  zu  ergänzendem  ich  tuon)  zu  nehmen.  Man 
könnte  den  vers  nun  wol  auch  der  königin  als  antwort  auf 
des  königs  schachsagen  (zugleich  mit  anspielung  auf  Tristan?) 
in  den  mund  legen,  doch  würde  er  seltsam  nachhinken,  nach- 
dem sie  vorher  schon  selbst  schach  gesagt  hat.  Viel  näher 
liegt  es  die  worte  Marke  zuzuweisen:  ihm  ist  schach  gesagt, 
er  schiebt  den  ritter  zur  deckung  des  königs  vor  und  durch 
wegrücken  dieses  steines  wird  er  nun  selbst  in  die  läge  ver- 
setzt schach  sagen  zu  können.  Abschach  ist  nämlich  nichts 
anderes  als  abzugsschach.  Selenus,  Das  schach-  oder  könig- 
spiel (Leipzig  1616)  sagt  s.  111,  nachdem  er  vorher  vom  schach- 
geben gehandelt  hat:  Geschieht.?  aber  nicht  öffentlich,  besondern 
nuhr  durch  Entdeckung  eines  Steines,  nun  nemlich  derselbe 
Stein,  welcher  zwischen  einem  König  und  einem  Stein,  der 
sonsten,  wan  die  Ii  nie  zu  dem  Könige  frey  und  offen  wehre, 
Schach  geben  könte,  eingestanden,  fortgerucket  wird  und  also 
den  andern  auf  den  König,  daß  Er  ihm  Schach  gibt,  entdecket, 
so  heisset  mans  einen  Ab- Schach.    Wan  aber  der  weggerückte 

')  des  svhäches  buoz  tuon  oder  büezen  muss  technischer  ansdruek  des 
mittelalterlichen  Schachspiels  gewesen  sein,  vgl.  Walther  31,  32  mm  biiezet 
mir  des  gustes,  duz  iu  got  des  sch/iches  büeze  und  schnelles  buoz  bei  Scherz 
2,  1308.  ' 


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VON  BAHPER 


Stein  zween  Steine  auf  den  König  dergestalt  entblöset  —  so 
hasset  mans  einen  doppelten  Ab- Schach.  Wan  aber  mit  dem 
Steine,  welcher  gcruckct  worden  und  den  Ab-Schach  vom  andern 
Steine  zu  ivege  gebracht,  zugleich  auch  Schach  gegeben  wird, 
so  nennet  mans  einen  doppelten  Schach  oder  SchacJi  und  Ab- 
Schach.  Durch  diese  deutliche  beschreibung  wird  auch  die 
Situation  im  Nathan  vollkommen  klar.  Sittah  zieht  eine  ihrer 
figuren  weg  und  kann  dann  schach  (d.  i.  abschach)  sagen, 
ausserdem  sagt  sie  aber  auch  mit  dem  weggerückten  steine 
selbst  schach  (also  doppelschach)  und  bedroht  dadurch  zugleich 
auch  die  königin.  Es  fragt  sich  ob  Lessing  den  ausdrtick 
abschach  aus  der  damaligen  spräche  des  Schachspiels  oder  aus 
einer  älteren  quelle  entnommen  hat.  Wackernagel  sagt  zwar 
a.  a.  o.,  der  ausdruck  sei  jetzt  noch  geläufig,  stützt  sich  aber 
dabei  vielleicht  nur  auf  die  stelle  im  Nathan.  Von  sach- 
kundiger seite  wird  mir  versichert,  dass  der  ausdruck  jetzt 
nicht  mehr  üblich  sei.  Er  kommt  auch,  soweit  mir  bekannt, 
in  keinem  Wörterbuch  des  18.  jh.'s  vor;  ebensowenig  habe  ich 
ihn  in  schachbüchern  aus  dieser  zeit  gefunden. 

Was  die  entstehung  des  wortes  abschach  betrifft,  so  geht 
schon  aus  dem  vorhergehenden  hervor,  dass  Bechstein  nicht 
das  richtige  trifft,  wenn  er  es  aus  aberschach  (wie  die  hs.  O 
auch  hat)  'abermals  schach,  doppelschach,  die  überbietung  des 
einfachen  schach'  erklärt.  Von  doppelschach  ist  an  der  Tristan- 
stelle nicht  die  rede.  Es  ist  auch  nicht  stichhaltig,  wenn  B. 
weiter  bemerkt:  'die  kürzung  von  aber  in  ab  ist  bekannt  und 
sie  zeigt  sich  auch  sonst  in  Zusammensetzungen'.  Allerdings 
steht  hier  häufig  abe-,  ab-  neben  aber-,  niemals  aber  sind  die 
kürzeren  formen  aus  der  längeren  entstanden,  sondern  abe- 
und  aber-  sind  in  ihrer  entwicklung  zusammengefallen  und 
können  das  gleiche  ausdrücken.  Die  Lesart  von  0  für  das 
ursprüngliche  anzusehen,  liegt  kein  grund  vor,  dies  aberschach 
wird  vielmehr  nachher  als  jüngere  bildung  seine  erklärung 
finden.  Auf  der  anderen  seite  kann  ab-  hier  auch  kaum  in 
seiner  ursprünglichen  bedeutung  genommen  werden;  an  *rück- 
zug  aus  dem  schach'  ist  ja  nicht  zu  denken  und  abschach 
einfach  als  'abzugsschach,  wegrücken  eines  steines  zum  zwecke 
des  schaches'  zu  deuten  trage  ich  bedenken,  da  ich  nicht  eine 
einzige  entsprechende  bildung  anzuführen  wüsste.  Vielmehr 


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WORTGESCHICHTLICHE  BEITRAGE. 


525 


scheint  es  mir  sicher,  dass  v.  Böhtlingk,  obgleich  er  das  wesen 
des  abschach  nicht  richtig  bestimmt  hat,  doch  auf  dem  rechten 
wege  war,  wenn  er  das  abschach  als  ein  geringeres,  minder- 
wertiges schach  gedeutet  hat.  Als  solches  galt  es,  da  es  nicht 
durch  vorrücken  eines  angreifenden  Steines,  sondern  nur  durch 
wegrücken  eines  steines  erreicht  wurde,  ab-  findet  sich  zur 
bezeichnung  des  verkehrten,  minderwertigen,  negativen  (Wil- 
manns,  Deutsche  gr.  2  §  422. 1)  schon  ahd.  in  abgot,  vereinzelt 
auch  in  abkezzal  oblivione  (Gl.  1, 221)  für  gewöhnliches  ägezzali, 
und  mhd.  breitet  sich  dieses  ab-  weiter  aus,  indem  es  vielfach 
an  stelle  eines  älteren  ä-  tritt  So  steht  mhd.  abegunst  mis- 
gimst  neben  ägunst,  äbunst,  abekust  Schlechtigkeit  neben  dkust, 
abköscn  (Gramm.  2,  707)  delirare  neben  äkösen,  spät  mhd.  abucg 
avia  neben  äuicke,  vgl.  auch  mnd.  afname  beiname  neben  mhd. 
äname;  aftcise  torheit  (bei  Hans  Sachs  abweis)  neben  weise. 
Sonst  zeigt  ab-  in  dieser  bedeutung  noch  mhd.  abebü  Vernach- 
lässigung des  baues,  abeburt  abortus,  abeschiht  mangel,  abetcort 
misgünstiges  wort  (nicht  'gegenwort'),  abort,  mnd.  afort  ent- 
legener ort,  mnd.  afhoste,  aflegede  kleinzehente,  von  adjectiven 
spätmhd.  abholt,  abheilig,  ablütig  absonus,  abschätzig  u.  a.  Im 
nhd.  tritt  dann  noch  abglaube,  abkraft,  abgeschmack,  abart  auf. 
Diesen  bildungen  könnte  sich  abschach  als  'geringeres  schach' 
recht  wol  anreihen. 

Wie  durch  ab-  das  ältere  ä-  eingeschränkt  und  später 
ganz  verdrängt  wird,  so  tritt  an  stelle  dieses  ab-  später  aber-. 
Damit  gewinnen  wir  eine  erklärung  des  in  hs.  0  überlieferten 
aberschach.  Auch  in  der  neueren  spräche  scheint  aberschach 
vorzukommen,  da  es  von  Sanders  neben  abschach  angesetzt 
wird.  Dies  aber-  ist  nicht  aus  ab-,  abe-  entwickelt  (etwa  unter 
einfluss  von  ober-),  sondern  nur  in  seiner  entwicklung  mit  dem 
negierenden  ab-  zusammengetroffen  und  wird  dann  als  die 
deutlichere  form  vielfach  bevorzugt.  Die  bedeutungsent Wick- 
lung dieses  präfixes  aber-  ist  von  Wilmanns  a.  a.  o.  2  im  wesent- 
lichen richtig  dargestellt.  Nur  möchte  ich  die  bemerkung, 
dass  aber-  im  ahd.  in  der  doppelten  bedeutung  von  'widerum' 
und  'gegen'  erscheine  nicht  so  aufgefasst  wissen,  als  wenn  eine 
völlige  trennung  dieser  beiden  bedeutungen  eingetreten  wäre. 
Bei  den  Wörtern,  die  für 'gegen'  angeführt  werden,  ist  auch  ganz 
gut  von  'widerum'  auszugehen:  eigentlich  kommt  nur  avarhdeco 


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VON  BAHDER 


in  betracht,  das  zunächst  'widerholter  haken1  sein  wird  (das 
von  W.  noch  angeführte  avur  minna  bei  Otfrid  5, 12, 100  ist  kein 
compositum).  Die  bedeutung  '  widerholt'  hat  sich  bis  ins  nhd. 
erhalten.  Aus  dieser  bedeutung  sind  folgende  andere  hervor- 
gegangen: 1.  eine  steigernde  (wie  bei  an.  afar-)  in  mhd.  aberähte 
(dies  wort  aus  dem  mnd.  overahtc  abzuleiten  liegt  kein  genügen- 
der grund  vor),  dem  sich  das  erst  im  16.  jh.  belegte  aberban 
anschliesst,  wol  auch  in  aberlist  (Liedersaal  3,  519  möchte  ich 
nicht  mit  Lexer  die  bedeutung  'unklugheit'  annehmen);  2.  die 
des  entsprechenden  in  aberziel,  wofür  im  Schweiz,  id.  1.  41  die 
bedeutung  korrespondierendes  grenzzeichen'  gegeben  wird,  aus 
den  belegen  im  DWb.  1,35  ergibt  sich  etwa  die  bedeutung 
4 ziel  nach  dem  man  sich  zu  richten  hat',1)  in  abermal  bei 
Keisersberg,  aber  zeichen  bei  Murner,  Xarrenbeschw.  84,58  (;  war- 
zeichen des  zieles'  nach  Spanier);  3.  die  von  'nach  hinten,  zu- 
rück' in  abervater  grossvater  (bei  Luther),  abereni  (bei  Goldast), 
abereitem  (Schweiz,  id.  1,41),  ferner  in  mhd.  aberwette  hinter- 
legtes  pfand,  wol  auch  in  nhd.  aberktoue  ungula  posterior: 
andererseits  in  aberwandel  'rückgang',  aberwank  (16.  jh.);  4.  die 
des  minderwertigen,  verkehrten.  Diese  bedeutung  mit  Wilmanns 
von  der  in  der  alten  spräche  nicht  einmal  sicher  bezeugten 
'gegen'  ableiten  zu  wollen,  ist  gewis  nicht  richtig,  da  man 
dann  dies  aber'  von  den  gleichbedeutenden  abe-,  öfter*  seiner 
entstehung  nach  trennen  müsste;  sie  ist  vielmehr  aus  der  3. 
hervorgegangen,  also  ursprünglich  'zurückstehend'  (ähnlich  wie 
abe-  ursprünglich  -ferner  liegend'),  woraus  sich  allerdings  die 
bezeich nung  eines  gegensatzes  entwickeln  konnte.  Diese  be- 
deutung dürfte  vor  der  mitte  des  15.  jh.'s  nicht  nachzuweisen 
sein ;  mehrfach  —  bei  den  nachher  mit  *  versehenen  Worten  — 
steht  aber-  neben  älterem  ab-.  Zu  den  ältesten  belegen  gehört 
abvrschanze  ungünstige  chance,'J)  zweimal  bei  H.v.  Sachsenheim, 
*abvr witzc  in  Diefenbachs  voc.  v.  1470,  *ahergUiuhci)  im  Voc 

')  abirzil  kommt  auch  .schon  bei  Herrn,  v.  Sachsenheim,  Mörin  -1450. 
Jesus  der  arzt  103  vor.  Martin  nimmt  hier  —  kaum  mit  recht  —  die  be- 
dentllllg  'falsches  ziel'  au. 

3)  Durch  ein  komisches  misverständnis  gibt  (trimm  für  dies  wort  «He 
bedeutung  'der  hintere*  an. 

3)  Lexer  citiert  auch  Hpt.  II.  lied  zu  95.  13.  Das  wort  ist  hier  von 
später  hand  am  rande  der  hs.  bemerkt. 


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WORTGESCHICHTLICHE  BEITRÄGE. 


527 


praed.  (Strasburg  1486  d  7*),  bei  Brand.  Narr.  38, 37  u.  ö.,  auch 
Layenspiegel  J  lb,  dann  bei  Luther  (neben  abglaube),  weiter  im 
16.  jh.  nach  DWb.  1,  32  f.  Frisch  4  c.  5«  aber  geistlicher,  *abergott, 
*abergnnst,  *aberhold,  aberkeiser,  aberknoblauch,  aberkönig,  *abcr- 
kosen,  *abername,  aberpabst,  aberreden,  abersinn,  *abcrweg  u.  a., 
wozu  dann  noch  die  umgedeuteten  abercsche,  aberraute  kommen. 
Für  dies  aber-  kommt  nun,  wie  in  der  3.,  so  auch  in  der  4. 
bedeutung  auch  after-  vor,  so  dass  auch  dies  präfix  in  den 
kreis  der  negierenden  gezogen  wird;  vgl.  neben  mhd.  afterhake, 
afterwette,  afterkosen  die  auch  schon  spätmhd.  aftergluube  (auch 
bei  Luther),  afterwan  verkehrte  meinung  (Schindler- Fr.  1,  46), 
nhd.  afterklaue,  afterkönig  u.s.w.  Dies  after-  ist  jetzt  allein 
noch  in  der  besprochenen  bedeutung  produetiv1)  und  hat  die 
anderen  formen  bis  auf  einzelne  reste  verdrängt.  Man  vgl. 
die  Stufenleiter  äu-itze,  abewitze,  abertvitze,  afterwitz. 

3.  fant. 

Kluge,  Et.  wb.5  99  bemerkt  über  den  Ursprung  des  wort  es: 
'nd.  form  (vgl.  ndl.  vent  kerl)  für  mhd.  ranz  m.  schalk,  noch  in 
alfanz  eigentlich  hergelaufener2)  schalk\  Heyne  in  seinem  DWb. 
1,865  knüpft  ebenfalls  an  mhd.  vanz  an,  meint  aber,  dass  die 
umprägung  des  Wortes  nach  form  und  bedeutung  wol  unter 
einfluss  des  it.  fante  'knabe,  knecht,  fusssoldat'  erfolgt  sei. 
Auf  dies  it.  fante  war  schon  J.  Grimm,  DWb.  3. 1318  zurück- 
gegangen, und  auch  Paul,  DWb.  134  spricht  sich  für  diesen 
Ursprung  des  wortes  aus,  indem  er  beziehung  zu  fanz  leugnet. 
Andere  wider  haben  an  mhd.  vende  'bauer  im  Schachspiel'  (im 
12.  jh.  auch  noch  in  der  ursprünglichen  bedeutung  'krieger  zu 
fuss')  angeknüpft,  eine  ableitung  die  ich  auf  sich  beruhen  lassen 
kann,  da  sie  weder  von  seiten  der  lautform  noch  der  bedeutung 
etwas  für  sich  hat.  Dagegen  möchte  ich  das  Verhältnis  zu 
mhd.  vanz  und  it.  fante  etwas  näher  untersuchen,  und  es  wird 
sich  dabei  zugleich  ergeben,  dass  als  die  eigentliche  grundlage 
unseres  wortes,  in  dem  allerdings  verschiedene  bildungen  zu- 

')  Vereinzelte  neubildnngen  mit  aber-  sind  auch  in  neuerer  zeit  vor- 
gekommen, vgl.  im  DWb.  aherkhuj  (Götter),  abencei*c  (Goethe),  abeririUe 
(Hirzel). 

a)  Etwas  abweichend  unter  ulfunzerei,  wo  ah  mit  dem  in  albei  n  ent- 
haltenen wort  verglichen  wird. 


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528 


VON  BAHDER 


sammengefallen  sind,  ein  drittes  wort  von  ganz  verschiedenem 
Ursprung  anzusehen  ist. 

Was  das  Verhältnis  unseres  Wortes  zu  fanz  betrifft,  so  ist 
zunächst  hervorzuheben,  dass  dies  wort  fast  nie  schlechtweg  die 
bedeutung  'junger  bursch'  hat,  die  fant  zeigt,  allerdings  meist 
mit  dem  nebenbegriff  des  unreifen,  leichtsinnigen,  eitlen,  der 
indes  keineswegs  notwendig  ist  (vgl.  Sanders  1,  411).  Dagegen 
ist  fanz  zunächst  'possenreisser';  dass  das  wort  germanisch  ist 
zeigt  an.  fantr  'gaukler,  vagabund',  dän.  fante  Hör,  narr',  norw. 
auch  'bettler,  zigeuner',  norw.  fenta  *  landstreicherin ?.  Im  älteren 
deutsch  ist  das  wort  nicht  häufig  belegt.  Es  begegnet  ahd. 
ganavenzön  cavillari,  mhd.  das  dim.  vänzehn,  'bastard',  eig. 
wol  'närrchen'  (vgl.  gouch  'narr'  und  'bastard').  An  das  daraus 
zu  erschliessende  ranz  'schalk,  narr'  bloss  angelehnt  sind  ale- 
vanz  und  forlefanz,  die  sicher  auf  romanische  worte  zurück- 
gehen. Zugegeben  ist  das  bei  flrlefanz  (auch  firlefci),  zunächst 
'eine  art  tanz',  das  auf  afrz.  virelai  zurückgeht,  und  zugleich 
an  firl  'kreisel'  (vgl.  Hertel,  Thüringer  Sprachschatz  95  forte 
'kreisel',  farlig  'zwirbelnd',  ferlefiks  'flinker  mensch')  angelehnt 
worden  ist.  Aber  auch  alafanz,  alefanz,  alfanz  kann  nicht 
deutschen  Ursprungs  sein;  gegen  die  deutung  'aus  der  fremde 
gekommener  schalk'  spricht  ausser  der  lautform  schon,  dass 
das  wort  ganz  überwiegend  und  in  den  ältesten  belegen  als 
abstraft  um  in  der  bedeutung  'betrug,  betrügerischer  gewinn, 
schalkheit'  erscheint,  die  persönliche  Verwendung  'be trüger, 
schalk'  erfolgte  (wie  auch  später  bei  frlefanz)  unter  einfluss 
von  fanz  (das  umgekehrt  in  neueren  mundarten  auch  abstract 
gebraucht  wird,  vielleicht  unter  einfluss  von  alfanz).  Sehmeiler 
(Fr.  1,55)  sah  richtig,  dass  it.  all'  avanzo  'zum  vorteil,  zum 
gewinn'  zu  gründe  liegt,  den  alefanz  slahen  (it.  wettere  alV 
aeanzo?)  wird  zunächst  irgend  eine  betrügerische  manipulation 
beim  handel  bezeichnet  haben.  Krst  in  der  neueren  spräche 
fällt  alfanz  in  der  bedeutung  mit  firfefanz  zusammen.  —  Da« 
einfache  fanz  kommt  im  10.  jh.  vor  (die  schönen  fangen  = 
'narren'  in  Wurstisens  Basler  clironik),  fenzhj  'geputzt,  niedlich1 
bei  Hans  Sachs  u.  a.  Die  sippe  ist  jetzt  im  ober-  und  mittele!, 
zu  finden,  vgl.  Schweiz,  id.  1,877  fanz  'mutwilliger  toller  ein- 
fall.  possenmacher,  mutwilliger  mensch',  fänzcle»  'spotten',  fdnziy 
'zierlich,  niedlich,  wunderlich  geputzt,  nichtig,  lustig,  neckisch', 


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WOBTGESCH ICHTL1CHE  BEITRÄGE. 


520 


Schmid  15G  fänz  machen  'prahlen,  wind  machen',  Birlinger  153 
fanz  'kerl.  bursche',  Sehmeller-Fr.  1.  785  fanz  'nebulo,  nequam', 
fänziy  'galant,  artig,  munter',  736  fenzeln  'zum  besten  haben', 
yefenz,  Schöpf  119  fanziy,  y  fanziy  'galant,  sauber'.  131  fernen, 
feanzen  'foppen,  auslachen',  Höf  er  197  fanzen  'kindisch  tun', 
Vilmar  99  fanzen  'possen  treiben,  irre  reden'.  Hertel  92  fanzen 
'possen  treiben,  spielen,  bes.  mit  feuer'.  (je fanz,  fanzenei,  fanzen 
(pl.)  'possen.  torheiten'. 

In  den  nd.  idiotiken  sucht  man  entsprechende  formen  ver- 
gebens,1) das  macht  die  annähme,  dass  unser  fant  nichts  an- 
deres als  ein  nd.  fanz  sei,  von  vornherein  unwahrscheinlich, 
auch  wenn  fant  nicht  als  obd.  dialektwort  nachgewiesen  wäre 
(s.  u.).  Dagegen  findet  man  das  lautlich  und  in  der  bedeutung 
anklingende  fent  in  der  vorwiegenden  bedeutung  'junger  bursche', 
vgl.  Woeste  286  fänte  'bursch.  knabe,  junger  windiger  leicht- 
sinniger bursch',  Brem.  wb.  1,  370  mit  'ein  jüngling,  ein  unver- 
heirateter junger  mann,  oft  auch  junger  leichtsinniger  mensch', 
Doornkaat-Koolmann  1.438  fent  'bursche.  bes.  junger  mensch  von 
unmännlichem  aussehen  und  wesen.  laffe'.  Danneil  50  fent, 
fentken  'fant',  Dähnert  116»  fent  'junger  bursche.  mehrenteils 
als  Schimpfname'.  Im  mnd.  ist  rcnt.  reute  'knabe.  junge'  (ohne 
üblen  nebensinn),  auch  oft  im  dim.  veniken.  Diesen  nd.  formen 
entspricht  nun  nl.  mit  'bursche'  (dim.  retitje),  das  mit  rennoot 
'genösse,  gesellschafter'  eig.  identisch  ist:  zngnmde  liegt  mnl. 
reinoot,  entstanden  aus  reemnoot,  reimnoot,  reimyenoot  (nl.  rem 
ist  'genossenschaft',  während  bei  mnd.  veme  sich  nur  die  ein- 
geschränkte bedeutung  'heimliches  gerieht'  nachweisen  lässt), 
die  bedeutungsent Wicklung  ist  wie  bei  barsch,  yeseUe  (  'junger 
mensch'),  vgl.  Franck,  Et.  wb.  1065.  Hei  Kilian  1599  findet  sich 
s.  579  reyn  oder  reynt  (als  fris.)  'rusticus.  operai  ius,  agricola; 
adolescens,  juvenis  caelebs:  socius,  sodalis'.  reynoot,  reynnoot, 
rennoot,  eeynynoot  (als  hol.  zeland.  fland.)  'socius;  collega.  so- 
cius in  magist ra tu  aut  publico  munere',  s.  581  vent  oder  reyn 
'juvenis,  adolescens.  puer'.  Die  neuere  spräche  hat  mit  und 
rennoot  in  der  bedeutung  ganz  geschieden. 

Dies  nl.  nd.  mit  ist  nun  nicht,  wie  Franck  a.  a.  o.  will. 


')  Doch  vgl.  Brem.  wb.  1,  376  fenteln  '  täudelu,  nichtswürdige  dinge 
tun  oder  sagen  \ 


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VON  BAH  DBB 


von  unserem  fänt  zu  trennen,  sondern  bildet  vielmehr  die 
hauptgrundlage  dieses  Wortes.  Das  nd.  wort  ist  auch  ins  md. 
eingedrungen  und  erscheint  im  14. 15.  jh.  im  thüringischen,  vgl. 
(bei  Lexer  unter  rende):  ein  jung  rent  im  Apollonius.  einen 
jungen  renden  im  Mühlhauser  ratsbuch.')  Aus  einem  hessischen 
drama  von  1507  führt  Vilmar.  Id.  101  reute  'junger  mensch, 
knabe.  söhn'  an  und  bemerkt  zugleich,  dass  fent  jetzt  im  hes- 
sischen sehr  üblich  sei  (I »fister  s.  310  gibt  an.  dass  das  von  ihm 
rende  geschriebene  wort  in  Oberhessen  einen  jungen  zwischen 
14  und  18  jähren  bezeichne).  Die  fcnten  begegnet  auch  bei 
dem  Thüringer  Filidor  (s.  Vilmar  und  DWb.).  Aus  seinem  Thü- 
ringer dialekt  gibt  nun  auch  Stieler  459  das  wort  fante  und 
fente  -juvenis  adolescens;  ein  junger  fent  ievis  inconsideratus 
juvenis*.  Fante  hatte  schon  Henisch  angeführt,  aber  nicht  als 
deutsches  wort,  wie  Heyne  in  seinem  Wb.  annimmt,  sondern 
als  grundwort  des  it.  fanteria.  Auch  Stieler  wird  durch  das 
italienische  zu  der  form  fante  geführt  worden  sein  (2297  wird 
fent  mit  trabant  und  infanteri  zusammengebracht.1)  In  der  lite- 
ratur  erscheint  fant  geraume  zeit  hindurch  noch  nicht,  sondern 
nur  fent  (oft  fänt  geschrieben),  namentlich  im  dim.  fentehen, 
fäntehen,  das  im  DWb.  aus  Weise,  Hölty,  Kl.  Schmidt  belegt 
wird.  Die  Wörterbücher  haben  das  wort  meist  nicht,  erst  Frisch 
führt  ein  junger  fänt  'junger  landmann,  bauernknecht'  als  nsächs. 
an,  ebenso  bezeichnet  Kindleben  (Idiotikon  1781)  fäntehen  als 
nsächs.  und  Adelung  bemerkt,  dass  dies  dim.  nur  in  einigen 
gegenden  bekannt  sei  und  einen  jungen  menschen  zwischen 
dem  knaben-  und  jünglingsalter  bezeichne.  Fent  wird  noch 
von  Voss  verwendet  (Sanders  1.  411).  Der  erste  der  fant  ge- 
brauchte, war  Wieland;  er  erklärte  es  im  glossar  zum  Oberuu 
als  jüngling  oder  knappe:  4 in  Xiedersachsen,  wo  es  so  viel  als 
knecht  ist.  wird  es  fent  ausgesprochen;  im  isländischen  lautet 
es  fant.  Das  italiän.  fante  ist  damit  vielleicht  einerley  Ur- 
sprungs. Auch  die  bauern  (pions)  im  Schauspiele  werden  in 
einigen  gegenden  fant  oder  fänt  genannt.'  Aus  der  letzten 
bemcrkung  ergibt  sich  jedenfalls,  dass  fant  nicht  etwa  nur 
falsch  von  Wieland  aus  fäntehen  erschlossen  ist.  sondern  dass 


•)  raufen  in  Alpharts  tod  150.1  gehört  nicht  hierher  und  ist  wahr- 
scheinlich entstellt. 


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WORTGESCHICHTMCHE  HEITRAGE. 


531 


ihm  diese  form,  die  er  mit  dem  nd.  fent  zusammenwarf,  aus 
mundarten  bekannt  war.  Sie  ist  auch  im  obd.  verbreitet,  vgl. 
.Schweiz,  id.  1,874  fant  'possenreisser,  geck',  fante"  (pl.)  'possen, 
mutwillige  grillen,  spässe',  fante»  'possen  treiben,  schnurren 
vorbringen',  Sehmid  176  fantc  'geck',  fandet  'bursehe'.  Schmeller- 
Fr.  1,734  fant,  fantel  'junger  mensch,  junge'  fantlicht  'nach  art 
eines  jungen  menschen  unbedachtsam',  735  fantcn  *  grillen, 
possen',  Castelli  124  fantl  'leichtsinniger  junger  mensch'.  Dass 
überall  it.  fantc  'knabe,  bursche,  bube  im  kartenspiel,  gerie- 
bener mensch'  zu  gründe  liegt,  wird  durch  bair.  spadifantl 
(auch  entstellt  zu  spar i fantl,  sparifankl  u.s.w.)  eig.  il  fantc  di 
spada  'piquebube'.  dann  'der  teuf el T  sicher  gestellt.  Durch 
die  ent Wicklung  der  bedeutung  'possenreisser'  und  den  au- 
stragen gebrauch  des  Wortes  'possen'1)  nähert  sich  das  wort 
in  der  bedeutung  dem  mhd.  ranz  allerdings  sehr  an.  Durch 
Wieland  ist  das  wort  schriftsprachlich  geworden  und  erscheint 
seit  Campe  in  den  Wörterbüchern. 

Als  resultat  dieser  etwas  verwickelten  Untersuchung  wäre 
anzusehen,  dass  in  unserm  fant  ein  nl.  nd.  vcnt  eig.  'sucius', 
dann  'adolescens',  vielfach  auch  'nebulo'  zusammengekommen 
ist  mit  einem  obd.  auf  it.  fantc  beruhenden  fant,  bei  dem 
sich  auch  die  bedeutung  'nebulo'  entwickeln  konnte.  Dagegen 
ist  das  hd.  fang  nebst  alfanz  und  fnicfanz  fern  zu  halten. 

4.  yötze. 

Die  geschickte  dieses  Wortes  bietet  noch  manche  punkte, 
die  der  aufhellung  bedürftig  sind.  Auch  die  etymologie  ist 
keineswegs  gesichert.  Heyne  hat  sich  in  seinem  IMYb.  die 
ältere  ansieht  angeeignet,  nach  der  von  yi  essen  auszugehen 
ist;  er  sagt,  ißtze  urspr.  gussbild  gehöre  etwa  so  zu  (jicssen, 
wie  schütze  zu  schiessen.  Dies  'etwa'  zeigt  schon  die  schwache 
seite  der  ableitung  an:  eine  zu  (jicssen  gehörige  ja- bildung 
könnte  nur  giitze  lauten.  Kluge  und  Paul  äussern  darum 
zweifei  an  dieser  etymologie,  und  ersterer  meint,  yötze  könnte 
vielleicht  kurzform  zu  ybtterbild  sein.  Diese  Vermutung  trifft 
zwar  nicht  ganz  das  richtige,  da  yöttcrbUd  ein  junges  wort 

')  Mau  vgl.  dass  auch  tlas  im  obd.  verbreitete  fantast,  das  wol  auf 
fant  eingewirkt  haben  könnte,  im  alem.  abstract  gebraucht  wird  als  'toller 
einfall.  mutwille.  Vorstellung*.  Schweiz,  id.  1,875. 


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532 


VON   BAU  PKK 


ist.  schlägt  aber  insofern  den  rechten  weg  ein,  als  sie  an  dem 
Zusammenhang  von  götze  und  yott,  den  schon  J.  Grimm  ver- 
trat, festhält.  Nur  macht  es  Schwierigkeiten  die  verschiedenen 
bedeutungen,  die  das  wort  namentlich  in  der  älteren  spräche 
zeigt,  von  gott  aus  zu  gewinnen.  Es  mag  erst  über  diese  das 
nötige  bemerkt  werden. 

Erst  seit  Luther  lässt  sich  götze  in  der  bestimmten  be- 
deutung  *bild  eines  abgotts'  und  "abgotf  selbst  nachweisen. 
Vorher  bezeichnet  es  entweder  ein  bildwerk  oder  einen  dummen 
unbeholfenen  menschen.  Der  erste  beleg  begegnet  in  dem  nach 
Michels,  Studien  über  die  ältesten  deutschen  fastnachtsspiele 
s.  1G3  f.  Kosenblüt  angehörigen  schwank  'Der  maier  von  Wirz- 
burg\  Keller,  Fastnachtsp.  3, 1181,  und  diese  stelle  hat  Lexer 
veranlasst,  als  bedeutung  ' gottesdienstliche  bildsäule'  anzu- 
setzen. Er  hat  aber,  wie  mir  scheint,  mehr  hinter  dem  worte 
gesucht  als  erlaubt  ist.  Götze  wechselt  in  dem  gedieht  mit 
lüde;  allerdings  ist  an  aus  holz  geschnitzte  crueifixe  oder 
heiligenbilder  zu  denken,  also  'gottesdienstliche  bild werke', 
aber  götze  bezeichnet  das  an  sich  nicht,  ist  vielmehr  bilde 
gegenüber  der  weniger  edle  ausdruck.  So  sagt  die  frau  zum 
probst  :  so  stet  ir  zu  den  andern  goezen  da.  und  der  maier  ruft, 
als  das  angebliche  bilde  ihm  entlaufen  ist:  die  göczen  laufen 
mir  alsampt  wegk.x)  Götze  ist  also  nichts  anderes  als  'aus 
holz  geschnitztes  bildwerk'  (dass  die  heiligenbilder  hier  schon 
im  Lutherischen  sinne  als  'götzen'  bezeichnet  sind,  wird  niemand 
annehmen).  Auch  später  fehlt  diese  bedeutung,  auch  ohne  jede 
beziehung  auf  abgotter,  nicht.  Wenn  Dasypodius  (1537)  345 
angibt:  götz  oder  bild.  Idolum,  tat  ine  simulachrum  inuigo,  so 
scheint  das  schon  auf  eine  weitere  bedeutung  des  wortes  hin- 
zudeuten. Mehrfach  muss  sie  bei  Frisius  angenommen  werden, 
vgl.  252 1>  eolossica  onera,  gross  vnd  schwer  lest  rnd  bürdinen 


')  In  dem  zu  gründe  liegenden  älteren  gedieht  Genn.  18,  43  heisst  es: 
habt  «/'.  mir  lauft  min  bilde  hin,  du;  ist  mir  unrersunnen  ron  dem  kruce 
entrannen.  Michels  sagt  s.  1ÖS:  an  die  stelle  des  Christusbildes  ist  in 
der  bearbeituiij:  ein  Götzenbild  getreten'  und  will  das  aus  dem  einfluss  der 
antike  und  der  kirchlichen  gesinnung  Rosetiblüts  erklären.  An  ein  Götzen- 
bild kann  aber  nach  dem  Zusammenhang  unmöglich  gedacht  werden,  vgl. 
so  kleben  die  fraicen  yr  wachsliecht  daran;  ein  pild  —  ich  tcolts  morgen 
verkauften  u. s.w. 


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WORTGESCHICHTLICHE  BEITRÄGE. 


533 


wie  ein  blochyötz,  343  b  crejmndia,  alhrley  diny  damit  die  kind 
hirtz weißend  als  toeken  schallen  krüyle  bilder  vnd  yötzle  rnd 
deryleychen,  935  b  oscilla  klein  bildle  oder  yötzle  so  die  alten 
dem  Saturno  für  jr  vnd  der  jren  sünd  aufopffertend.  Auch 
Maler  bestimmt  sehr  allgemein:  götz,  ein  bild  oder  yleichnuss 
eines  dinys.  Idolum  und  yötz  oder  bild  etncr  zimlichen  y rosse. 
Amplitudinc  modica  simulachrum.  AVenn  später  ybtze  auf  ab- 
göttische bilder  beschränkt  wird,  so  ist  das  auf  den  einfluss 
Luthers  zurückzuführen,  der  seit  1520  ybtze  in  dieser  bedeutung, 
namentlich  auch  in  beziehung  auf  heiligenbilder,  gebraucht, 
nach  ihm  Zwingli  und  viele  andere. 

Ebenfalls  zurückgetreten,  wenn  auch  nicht  völlig  ver- 
schwunden, ist  die  andere  bedeutung,  die  yötze  in  der  älteren 
spräche  hat,  die  von  'dummer  mensch'.  Im  Narrenschiff  40, 14 
heisst  es:  der  ist  ein  nar  rnd  doreht  yötz.  Im  Prompt uarium 
des  Trochus  G3b  findet  sich  stultus  etc.  ein  leffcl  yansz  yotze 
äffe  hundemeleker.  Aus  der  bedeutung  'dummkopf  konnte  sich 
leicht  die  von  'Schwächling'  entwickeln.  Diefenbach,  Glösa, 
latino-germ.  195«  führt  aus  einem  glossar  des  15.  jh.  an:  effe- 
minare  yoezezen,  effeminatus  weych  von  fleisslichcr  kranckeit  l 
(josse,*)  52(5«  aus  demselben  semirir  yocze.  Hans  Sachs,  der 
yötze  in  dem  Lutherischen  sinn  gebraucht  (z.  b.  Keller  15, 284), 
kennt  doch  auch  noch  die  bedeutung  'dummkopf,  z.  b.  Fabeln 
(ed.  Götze)  185,112  von  einem  dummen  Dauern:  jdieb  darnach 
der  yöcz  wie  vorhin,  Keller  13, 121  als  scheltende  anrede:  alles 
y  ätzen!  und  Fastnachtsspiele  (ed.  Götze)  8, 17  du  alter  yötz! 
Luther  selbst  ist  diese  bedeutung  nicht  unbekannt,  vgl.  Jenaer 
ausgäbe  8,  319  a  weil  jr  yötzen  da  jm  ampt  sitzet  vnd  könnet 
nichts  von  yottes  wort. 

Man  könnte  daran  denken,  yötze  in  dieser  bedeutung  ganz 
von  yötze  'bild werk'  zu  trennen  und  es  von  dem  namen  Gotfrit 
herzuleiten;  dagegen  spricht  aber,  dass  ölyötze  auch  beide  be- 
deutungen  vereinigt  und  dass  hier  jedenfalls  von  der  letzteren 
auszugehen  ist.  Ueber  das  vielbesprochene  wort  hat  R.  Hilde- 
brand in  der  Zs.  f.  d.  d.  Unterricht  5, 202  f.  in  anregender  weise 

')  Für  (joze'i  Poch  vgl.  Diutiska  2,  S9  (von  einem  banem)  der  arm 
yos  (:yestos),  wofür  es  aber  Liedersaal  3.413  der  arm  gros:  heisst.  Jeden- 
falls darf  nicht,  w  ie  es  im  Mhd.  wb.  geschieht,  an  mhd.  göz  'gtissbild'  an- 
geknüpft werden. 

Beitrüge  iur  xeachichte  der  deutschen  spräche.  XX  11.  35 


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534 


VON  BAHDER 


gehandelt  und  es  m.  e.  sicher  gestellt,  dass  Ölgötze  ursprünglich 
eine  menschenähnliche  flgur  bezeichnet  hat.  die  das  licht  (die 
lampe)  trägt,  götze  selbst  erklärt  H.  als  'hausgeist,  kobold*. 
dann  'abbild  eines  kobolds'  und  meint,  der  ausdruck  rühre 
wol  von  den  christlichen  bekehrern  her.  die  die  Verehrung:  der 
hausgötter  nicht  auszurotten  vermochten.  Diese  auffassung 
von  götzc  scheint  mir  zutreffend,  nur  über  den  Ursprung  des 
Wortes  urteilt  H.  nicht  richtig,  da  er  sich  von  der  ansieht 
leiten  lässt.  dass  von  der  bedeutung  'abgott'  ausgegangen 
werden  müsse,  götze  ist  aber  nichts  anderes  als  diminutiv 
von  gott1)  und  ist  als  vertrauliche  benennung  anzusehen.  Diese 
ansieht  ist  freilich  durchaus  nicht  neu  (schon  Adelung  deutet 
sie  an),  .T.  Grimm,  Gramm.  8, 694  glaubte  aber  wie  Kluge  in 
götzc  eine  verkürzte  form  sehen  zu  müssen,  und  da  fand  sich 
kein  compositum,  das  als  grundlage  angesehen  werden  konnte 
(Grimm  wollte  an  goteshüs  denken),  götze  kann  aber  ganz 
gut  von  gott  gebildet  sein,  wie  spatz  von  mhd.  spar,  wie  petz 
von  bar.  götze  ist  also  gleichwertig  mit  götelin,  gütel,  das 
auch  in  entsprechender  weise  gebraucht  wird,  vgl.  Wolfdietrich 
B  578,  2  din  got  ist  ein  gütel  Ueber  gütel,  gü tiein  als  name 
von  kobolden  s.  Grimm,  Myth.  34,  139  (dazu  güttgen  'cobalus' 
Schmeller-Fr.  1,  963)  und  vgl.  Hans  Sachs  (Keller)  4,  357  ei- 
nlach t  wol  ein  schein,  sprach  sie,  als  ob  er  heiss  der  gütle  und 
12,218  kombt  er  zum  beutet  umb  das  wunschhütel  so  wird  ich 
heissm  nicht  der  gütel.2)  Die  ursprüngliche  bedeutung  von 
götze  zeigt  sich  wol  noch  in  dem  von  Heyne  angeführten  Volks- 
lied (Uliland  754),  in  dem  der  hauskobold  götze  genannt  wird, 
noch  ganz  naiv  als  der  traute  hausgott. 

Die  weitere  bedeutungsentwicklung  macht  keine  Schwierig- 
keit, Da  die  bilder  der  hausgötter  gewis  meist  sehr  roh  ge- 
schnitzt waren,  konnte  sich  leicht  die  bedeutung  'geringes  bild- 
werk*  einstellen.  Das  starre  und  fratzenhafte  dieser  bilder  konnte 
weiter  zur  bedeutung  'dummer,  nnbeholfener  mensch'  führen, 
die  ja  noch  jetzt  bei  ölgötz  lebendig  ist.    Oder  sollte  diese 

')  Da  kobolde  sehr  häufig  mit  menschlichen  namen  bezeichnet  werden 
(Myth.«  1,417.  3,  145),  könnte  götze  =  'kobold'  vielleicht  auch  auf  Gotfrit 
zurückgeführt  werden. 

2)  Zn  diesen  nicht  völlig  klareu  redensarteu  vgl.  noch  Henisch  1717 
hat  ein  jedes  kind  sein  rechten  namen,  so  heist  du  nicht  Peter  götz. 


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WORTGESCHICHTLICHE  BEITRÄGE. 


535 


bedeutung  sich  direct  aus  der  von  'kobold'  entwickelt  haben? 
An  analogien  dazu  würde  es  nicht  fehlen.  Ich  erinnere  nur 
an  mhd.  trolle,  ferner  an  das  schon  in  den  älteren  Nürnberger 
fastnachtsspielen  häufige  diltapp  'dummkopf,  das  kaum  etwas 
anderes  sein  kann  als  der  auf  der  diele  tappende  d.  i.  polter- 
geist  (vgl.  Myth.  I4  418).  Ebenso  erklärt  sich  wol  das  gleich- 
bedeutende dilman,  tilman:  Hildebrand  a.a.O.  verglich  diesen 
ausdruck  allerdings  mit  Ölgötze  =  'Hchtträger'  (nach  Franck, 
Sprichw.  du  st  (ist  als  ein  klotz,  ölgötz,  Tilman,  lüchter),  aber  da 
nur  formen  mit  t  oder  ie  vorkommen,  nie  solche  mit  ü,  ist  es 
nicht  erlaubt  an  tülle  'lampenröhre'  anzuknüpfen.  —  Zu  rech- 
tem leben  hat  erst  Luther  dem  Worte  gbtze  verholfen,  indem 
er  es  für  'abgott'  gebrauchte,  eine  bedeutung,  die  zwar  schon 
nach  dem  Ursprung  des  Wortes  nicht  fern  lag,  die  aber  doch 
erst  von  Luther  in  entscheidender  weise  ausgeprägt  worden  ist. 

LEIPZIG.  K.  VON  BAHDER. 


35* 


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ETYMOLOGISCHES.') 


1.  elo. 

Das  germ.  und  baltoslav.  haben  eine  ganze  menge  von 
adjectiven  mit  einander  gemeinsam,  und  mehrere  darunter  sind 
bisher  ausschliesslich  in  diesen  beiden  Sprachgruppen  gefunden, 
so  z.  b.  ags.  Mut,  ahd.  bleiz,  aksl.  bledü  'bleich';  ahd.  slaf,  nl. 
slaj),  aksl.  slabu  'schwach,  schlaff';  got.  halts,  an.  haltr,  ags. 
heult,  ahd.  halz,  russ.  hold-  'hinkend'  (s.  Et.  wb.  der  got.  spräche 
s.  68);  ags.  rot,  aksl.  radti  'froh';  ahd.  muntar,  lit.  mandrUs 
'munter',  aksl.  tnadru  'weise';  ags.  ferse,  ahd.  frisc,  lit. preskas, 
aksl.  prestnü  'frisch,  ungesäuert';  ags.  pystre,  peostre,  and.  thius- 
tri,  russ.  tusklyj  'finster*  (ein  anderes  wort  für  'finster,  dunkel; 
nämlich  ags.  deorc,  engl,  dark,  vgl.  lit.  daryiis  'regnicht'  und 
ddrgana  'rcgnichtes  wetter',  findet  sich  auch  im  keltischen,  s. 
Stokes,  Urkelt.  Sprachschatz  149).  Auch  ist  daran  zu  erinnern, 
dass  die  farbennamen  mit  suffix  -uo-  nicht  nur  im  germ.  und 
it.,  sondern  auch  im  baltoslav.  keineswegs  selten  sind.  Mir 
sind  folgende  Übereinstimmungen  zwischen  dem  baltoslav.  und 
dem  germ.  bekannt  :  an.  fylr,  ags.  fealu,  ahd.  falo,  lit.  pälras 
'falb',  aksl.  phivü  'weiss'  (weitere  verwante  bei  Kluge5  96); 
an.  solr,  ags.  saht,  ahd.  sah,  aksl.  slaro-  'glaucus'  (s.  Beitr.  20, 564); 
ags.  geolo,  ahd.  geh,  lit.  zelvas  'grünlich'  (Zubaty,  Arch.  f.  slav. 
phil.  16, 420;  auch  lat.  hehus).  Diesen  drei  fällen  möchte  ich 
noch  einen  vierten  anreihen. 

Ahd.  elo  'gelb'  braucht  nicht  aus  lat,  helvus  (elms)  ent- 
lehnt zu  sein,  denn  es  lässt  sich  ungezwungen  mit  einem 
litauischen  worte  verbinden.  Kurschat  kennt  nämlich  ein  plur. 
tantum  elvfjtos,  das  'die  birkenen  seitenstangen  einer  Schaukel' 
bedeutet,  also  urspr.  wol  ein  wort  für  'birkenzweige'  gewesen 
ist.    Deshalb  vermute  ich,  dass  es  dereinst  einen  birkennamen 

')  Als  ich  diesen  aufnatz  einsante,  war  mir  E.  Zupitza,  Die  geruian. 
gutturale  uoch  nicht  in  die  bände  gekommen.  Ueber  hocken  vgl.  Zupitza 
s.  121,  über  höcker  ebda.  11.  [Correcturnote]. 


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ETYMOLOGISCHES. 


537 


*elvas  oder  *clr{/s  gegeben  hat  (vgl.  zclvifs  'ein  grünender 
stamm 1 :  zelvas).  Nun  gehört  bekanntlich  hd.  birke,  lit.  bcrzas, 
aksl.  brcza,  osset.  bärz,  aind.  bhürja-  zur  indog.  wz.  *bherg- 
'glänzen,  weiss  sein',  was  auch  für  lit.  *clrjjs  eine  ähnliche 
grundbedeutung  vermuten  lässt.  Aber  dann  liegt  es  nahe  an 
ahd.  elo  anzuknüpfen  und  anzunehmen,  dass  elvtjtos,  *clr$s  auf 
einem  adj.  *clvas  beruhen,  das  'hell,  weiss'  oder  dgl.  bedeutete. 
Feiner  dürfte  auch  aksl.  olovo  'blei',  russ.  ölovo  'zinn',  apr. 
altcis  'blei',  lit.  ahas  'zinn'  als  4 das  weisse  metall'  hierher 
gehören  (die  urslav.  form  war  olovo  und  die  balt.  Wörter  sind 
wahrscheinlich  aus  dem  slav.  entlehnt,  s.  Brückner,  Die  slav. 
fremdwörter  im  litauischen  67.  167.  191)  und  wir  hätten  dem- 
nach einen  ablaut  *olo-  :  *el-  anzunehmen.  Ueber  das  zinn 
und  das  blei  vgl.  man  Schräder.  Sprach vergl.  und  Urgeschichte2 
310  ff. 

Auf  grund  des  gesagten  sind  fälle  wie  ahd.  gelo,  lat.  helvus 
nicht  mehr  als  eine  besondere  Übereinstimmung  zwischen  dem 
gemi.  und  it..  sondern  als  altes  erbgut  zu  betrachten,  denn 
der  umstand,  dass  in  wenigstens  drei  Sprachgruppen  eine  ka- 
tegorie  von  farbennamen  mit  suffix  -uo-  vorhanden  ist,  lässt 
sich  kaum  anders  erklären.  Auch  dem  keltischen  sind  solche 
bildungen  nicht  fremd  (kelt.  *bläro-  —  lat.  flavus,  Stokes.  l'r- 
kelt.  Sprachschatz  187,  und  eymr.  sähe  —  ahd.  sah,  Stokes 
a.a.O.  291)  und  jedenfalls  eine  findet  sich  selbst  im  äussersten 
osten  unseres  Sprachgebietes  (aind.  etjaeä-  'dunkelbraun',  vgl. 
aksl.  sh%  apr.  sywan  'grau').  Ich  brauche  wol  kaum  hervor- 
zuheben, dass  Hirts  anregender  aufsatz  über  partielle  Überein- 
stimmungen zwischen  dem  germ.  und  dem  it.  (Zs.fdph.2D.  280  ff.) 
mich  zu  dieser  erörterung  veranlasst  hat.  Wahrscheinlich  wird 
die  zahl  der  sonderentsprechungen  bei  sorgfältigerer  durch- 
forschung  der  indog.  sprachen  immer  mehr  hinschwinden.  So 
ist  lat.  combretum,  lit.  szrendrai  'schilf  nicht  ausschliesslich 
lat.  und  lit.,  sondern  auch  germ.  (an.  hronn,  s.  Noreen,  Urgerm. 
lautl.  173)  und  lat.  vacillo,  aind.  vdneati  ist  kein  ital.-indisches 
wort,  sondern  mit  got.  -trnhs  verwant  (s.  mein  Et.  wb.  der  got. 
spraclie  s.v.  unwähs,  teagyarvis).  Demnach  sind  diese  beiden 
fälle  aus  Kretschmers  listen  (Kinl.  in  die  gesch.  der  griechischen 
spräche  148.  134)  zu  streichen.  Auch  unter  den  win  tern,  welche 
als  ausschliesslich  germ.-baltoslav.  betrachtet  werden,  gibt  es 


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538 


UHLENBECK 


einige,  welche  auch  sonst  nicht  unbekannt  sind,  und  mehrere 
dieser  art  sind  schon  von  Hirt  erledigt  worden.  Ich  füge 
noch  hinzu,  dass  ahd.  chiuwu,  aksl.  zivq  (Kluge,  Pauls  Grundr. 
1,320)  sich  in  pers.  dzavidan  widerfindet  (Hübschmann,  Pers. 
Studien  49)  und  verweise  für  got.  guip,  aksl.  zlato,  lett.  zelte 
und  got.  galga,  lit.  zalgä  (Kretschmer  a.  a.  o.  108)  auf  mein  Et. 
wb.  der  got.  spräche. 

2.  fuhs. 

Ahd.  fuhs,  mhd.  vuhs,  nhd.  fuchs,  ags.  engl,  fox,  nl.  vos 
und  got.  faühö,  an.  föa,  ahd.  foha,  mhd.  vohe  werden  meistens 
als  'geschweiftes  tier'  aufgefasst  und  mit  &m<\.j)uccha- 1  schwänz, 
schweif  verbunden,  wobei  man  annehmen  muss,  dass  püccha- 
auf  indog.  *puksk(h)o-  zurückgeht.  Ich  halte  dieses  für  richtig 
(mit  der  Hesychischen  glosse  yovai  *  aXmxe xsq,  worauf  Schräder, 
BB.  15, 135  f.  hinweist,  ist  nichts  anzufangen),  umsomehr  weil 
es  noch  im  slavischen  eine  ganze  Wortfamilie  gibt,  welche  sich 
sowol  mit  fuhs  wie  mit  püccha-  verbinden  lässt.  Dort  finden 
wir  nämlich  eine  wurzel  puch-,  pych-,  puch-  (Miklosich  268), 
welche  'blasen,  aufblasen,  anschwellen,  aufgedunsen  sein,  dicht 
und  wollig  sein'  u.  dgl.  bedeutet  und  deren  ch  auf  indog.  ks 
(=  ahd.  Iis  in  fuhs)  zurückgehen  kann:  neben  *puks-  steht  eine 
kürzere  wurzelform  in  got.  faühö.  Auf  grund  der  folgenden 
russischen  Wörter  und  ausdrücke  glaube  ich  diese  combination 
für  zwingend  halten  zu  müssen:  puch  '  flaumfcdern,  daunen, 
milchhaar,  feines  wolliges  haar  an  tieren',  pusistyj  'wollig, 
dicht,  buschig',  pusistyj  chvost  (oder  in  der  Jägersprache  pu- 
sistaja  trubd)  'wolliger,  buschiger  schwänz'  (insbesondere  vom 
fuchs  gesagt,  s.  Tolstoj,  Sämmtliche  werke  6,  355),  raspusitt 
vitrost  (trubu)  'den  schwänz  ausbreiten'  (ebenfalls  vom  fuchs, 
s.  Tolstoj,  a.a.O.),  pusnoj  tovär  'pelzwerk'  u.a.m. 

Ks  sei  noch  daran  erinnert,  dass  Franck  (Notgedrungene 
beitrage  22  ff.)  den  germ.  fuchsnamen  gern  als  'faucher,  fauch- 
tier'  erklären  möchte.  Auf  grund  von  russ.  puch,  pusistyj  u.s.  w. 
ziehe  ich  es  vor  'geschweiftes  tier'  als  grundbedeutung  anzu- 
setzen; falls  man  aber  den  Grimmschen  gedanken  bevorzugt 
und  mit  Franck  von  dem  begriffe  des  fauchens  und  schnaubens 
ausgehen  will,  dann  darf  man  an  eben  dieselbe  slavische  Wort- 
sippe anknüpfen,  denn  russ.  pychäti,  pysut),  pychnutt  bedeuten 


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ETYMOLOGISCHES. 


539 


'stark  blasen,  atmen'  (pychte'tt  'keuchen',  ;>ytfti#y 'aufgedunsen, 
üppig,  prächtig'  u.s.w.). 

3.  hocken. 

Hd.  hocken  gehört  mit  mhd.  buchen,  mnd.  hflken,  nl.  hniken, 
m.hüka  (part.  hokinn)  zusammen  (Kluge5  170,  Franck  389). 
Ausserhalb  des  germ.  sind  zu  vergleichen  poln.  kuezec  'hocken', 
serb.  eucati,  slow  öueeti  'hocken,  kauern'  (s.  Miklosich  37), 
welche  auf  eine  wurzel  *keuk-  hinweisen  und  deshalb  zu  an. 
hüka  —  hokinn  nicht  recht  stimmen.  Man  bedenke  aber,  dass 
das  k  in  hüka  nach  langem  vocale  aus  kk  vereinfacht  sein  kann 
und  dass  hokinn  sein  k  statt  des  zu  erwartenden  g  von  hüka 
beziehen  konnte.  Germ.  *hukk-,  *hiik(k)-,  *kug-  würde,  wenn 
die  slav.  Wörter  wirklich  verwant  sind,  auf  vorgerm.  *ktikn-, 
*kakn-,  *ktik-  zurückgehen.  Andere  verbalstämmc,  welche  bis 
jetzt  nur  im  germ.  und  baltoslav.  nachgewiesen  sind,  findet 
man  in  meinem  Et.  wb.  der  got,  spräche  s.  v.  bairgan,  blandan, 
glitnmnjan,  greipan,  hüpan,  lisan,  swers;  bei  Kluge5  s.v.  dre- 
schen, klafter,  kneipen,  kneten,  krähen,  lahm,  qual,  schwül, 
zergen\  bei  Franck  s.  v.  delven  (nur  zu  aksl.  dliiba  und  seinen 
baltoslav.  verwanten),  schrapen,  »makken.  Vgl.  ferner  z.  b. 
Beitr.  16,  563  (drabbe),  21, 105  (sluikcn).  22, 193  (tvöpjan),  22. 199 
(smuylen)  und  unten  (ztvecchön).  Neuerdings  hat  Bugge  (Beitr. 
21,425)  noch  norw.  tira  mit  lit.  dyre'ti  verbunden. 

4.  höcker. 

Hd.  höcker,  mhd.  hocker,  hogger,  hoffer  (mit  urgerm.  kk  : 
lässt  sich  nicht,  wie  Kluge5  170  will,  mit  aind.  kubjd-  ver- 
einigen, wol  aber  mit  bulg.  serb.  kuka  'haken',  serb.  kuka 
'windung  eines  flusses',  aksl.  hiko-nosü  'krumnmasig',  welche 
ich  früher  (Aich.  f.  slav.  phil.  15,  488)  unrichtig  beurteilt  habe. 
Vielleicht  dürfen  wir  auch  an  die  sippe  von  got.  hauhs  an- 
knüpfen. 

Es  sei  mir  bei  dieser  gelegenheit  gestattet  auf  andere 
substantiva  aufmerksam  zu  machen,  welche  nur  im  germ.  und 
baltoslav.  gefunden  sind.  An  erster  stelle  nenne  ich  ein  synonym 
von  höcker,  nämlich  ahd.  hocar,  lit.  kuprd.  Dann  ahd.  harti 
'Schulterblatt',  russ.  dial.  kortyski  'schultern';  ahd.  fast,  aksl. 
pestf',  ahd.  rippi,  aksl.  rebro;  nl.  speen,  lit.  sphij/s;  got.  hairjrra, 
aksl.  cresla;  ahd.  snabul,  lit.  snajias;  nl.  stront  'faeces',  aksl. 


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540 


UHLKXRECK 


tradu  'art  krankheit',  vodo-irqdovitü  lvdtQtmv\  slov.  tröd  'n£ka 
bolecina  v  örevih',  poln.  trad  'aussatz';  ahd.  ilgi,  aksl.  alüct, 
alca,  lit.  \sz-alkis  'hunger'.   An  tiernamen  habe  ich  nur  fol- 
gende aufzufinden  vermocht:  ahd.  harmo,  lit.  szarm{kx)\  ags.  #>/- 
/Ww,  ahd.  elbiz,  aksl.  te&e<fr;  ags.  lecuc,  ahd.  fafo,  russ.  poln. 
lososh  lit.  fttem,  lasziszd;  got.  wa/tf,  an.  wofr,  aksl.  motiT;  agps. 
irifel,  ahd.  urifttl,  lit.  väbaJas.    Unsicher  sind  ahd.  hrind,  apr. 
klentc,  clynth;   alid.  im/ki  'raupe',  aksl.  ri/ba  ' fisch ?  (Pogodin. 
s.  IF.  Anz.  7, 161);  ahd.  habuh,  poln.  Jcobiec  'lerchenfalke',  russ. 
ÄeJfoc  'falco  apivorus'  (Pogodin  a.a.O.;  ich  halte  *koblct  für 
ein  lehn wort,  vgl.  Miklosich  122  s.  v.  kobuzü).   Vgl.  noch  Et. 
wb.  der  got.  spräche  s.  v.  swein  und  Beitr.  22. 199  (carken).  Lit. 
eäszkas  und  aksl.  voskü  stimmen  trefflich  zu  ahd.  wahs,  s.  aber 
Kluge5  392.  Der  pflanzennamen  gibt  es  nur  sehr  wenige,  welche 
ausschliesslich  germ.  und  baltoslav.  sind:  ahd.  aspa,  ags.  msp, 
an.  gsp,  poln.  osa,  russ.  osina,  apr.  abse,  lit.  apuszis;  ags.  bearu 
'Wäldchen',  aksl.  borü  'pinus',  bulg.  bor  'tanne',  serb.  bor  ;föhre\ 
czech.  bor  'kieferwald',  poln.  bor  1  flehten  wahr,  russ.  bor  'nadel- 
wahT;  ahd.  hemera  'nieswurz',  aksl.  fernen  'gift',  eemerica  'helle- 
borus'.    Slov.  dren,  serb.  drjen,  russ.  rfcren  'cornus  mascula* 
sind  wol  nicht  urverwant  mit  ahd.  Hm-  und  ahd.  rocko,  lit. 
r*9ffSf  a^sl.  ritzt  ist  auch  thrakisch.   Ganz  unsicher  ist  die 
Zugehörigkeit  von  mnl.  sporkcl  'februar'  zu  lit.  spurgas  'pflanzen- 
auge\  das  übrigens  auch  in  andern  sprachen  verwante  hat. 
Sonstiges  aus  der  natur  findet  man  bei  Kluge5  s.  v.  tceüe. 
wetter,  Kt.  wb.  der  got.  Sprache  s.  v.  asans  (die  Zugehörigkeit 
von  lat. annöna  ist  sehr  zweifelhaft),  fön,  mabmt,  stafs,  st  «ins, 
peihtvö,  waggs:  einiges  darunter  ist  aber  ziemlich  unsicher 
(vgl.  noch  an.  tujglnir,  night,  aksl.  mlunija).    Dann  mehrere 
Wörter  welche  sich  auf  die  menschen,  ihre  gesellschaft  und 
Wirtschaft  beziehen:  s.  Et.  wb.  der  got. spräche  s.v.  liudan  (ahd. 
Hut,  liitti,  lett.  Ijaudis,  aksl.  ljudu,  Ijudi),  ferner  s.  v.  barn,  driu- 
gan,  Pius,  dann  s.v.  gards,  hahns,  Franck  s.v.  grendel,  teegge; 
Kluge5  s.  v.  wasche.  Ahd.  zarga  "Umzäunung'  ist  mit  lit.  därz'as 
•garten'  verwant  und  in  demselben  Verhältnis  durfte  ahd.  scalm 
zu  aksl.  clünu  (d.  i.  *clinu)  'kahn'  stehen  (weniger  sicher  ist 
ahd.  /arm,  slav.  *pormü,  s.  Miklosich  259).    Die  waffennamen 
lasse  ich  vorsätzlich  zur  seite,  weil  hier  der  verdacht  der 

l)  Vgl.  jedoch  Meyer-Lübke,  IF.  anz.  7,  7G. 


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ETYMOLOGISCH  KS. 


541 


entlehnung  sehr  nahe  liegt  (wol  aber  weise  icli  hin  auf  ahd. 
gerta,  aksl.  zrudT,  Beitr.  10.  510  f.).  Ausschliesslich  germ.-balto- 
slav.  Viehzucht  ausdrücke  findet  man  im  Et.  wb.  der  got.  spräche 
s.  v.  hairda,  hairdcis  und  bei  Kluge5  s.  v.  stufe.  Namen  von 
speisen  und  getränken  sind  kaum  aufzutreiben,  denn  aksl.  olu 
'sicera',  apr.  alu  'mct\  lit.  alits  'hausbier'  (vgl.  ags.  ealu  iL  s.w.) 
sind  der  entlehnung  verdächtig.  An  abstracten  begriffen  sind 
hervorzuheben:  an.  hrös  iob,  rühm',  aksl.  krasa  'Schönheit'; 
hd.  nutzen,  lit.  naudä;  hd.  harm,  aksl.  sramü  *  schände';  ags. 
gleo,  glcam,  an.  gly,  glaumr,  lit.  glaudas  'kurzweil';  s.  noch  Et. 
wb.  der  got.  spräche  s.  v.  dails,  gaidic,  naups,  lists.  Endlich  sei 
noch  auf  einige  vereinzelte  Wörter  hingewiesen:  ahd.  hing, 
aksl.  krqgu;  nl.  romp  (s.  Franck  s.  v.),  aksl.  rqbu,  rqbiti  (s.  Mi- 
klosich  281);  an.  ags.  söt  'russ',  aksl.  sazda,  lit.  sudis. 

5.  hugi. 

Ahd.  as.  hugi,  ags.  hyzc,  an.  hugr,  got.  hugs  'sinn'  darf 
natürlich  nicht  zu  lat.  cupio  gestellt  werden,  das  vielmehr  mit 
aind.  küpyati  'wallt,  zürnt'  und  aksl.  kypeti  'wallen'  auf  einer 
wz.  *keup-  beruht,  und  ebensowenig  ansprechend  ist  eine  an- 
dere etj'mologie,  welche  zwar  die  lautgesetze  nicht  vernach- 
lässigt, aber  semasiologisch  nicht  die  mindeste  Wahrscheinlich- 
keit für  sich  hat,  welche  nämlich  an  aind.  vöeati  'leuchtet, 
glüht,  brennt,  trauert'  anknüpft.  Der  grundbegriff  von  hugi 
ist  nicht  'glut,  quäl,  schmerz,  kummer'  (bedeutungen  von  aind. 
cöka-),  sondern  'wallung,  geistige  erregung,  begehren,  freude, 
hoffnung',  wie  man  aus  Franck  307  ersehen  kann,  der  das 
wort  mit  den  meisten  etymologen  zu  rocati  stellt.  Es  ist  be- 
kannt, dass  hd.  berühren,  nl.  beroeren,  ontroeren  und  aind. 
mathndti  (hrdayäny  ämamantha,  sampramathya  indriyagramam, 
HR.,  vgl.  auch  man-matha-  'liebe')  oft  vom  geiste  gebraucht 
werden,  dass  gr.  ffvuoc  ursprünglich  ein  wort  für  ' Wallung, 
heftige  bewegung'  gewesen  ist  und  die  bedeutungen  'erregung, 
jgemüt.  zorn'  angenommen  hat,  dass  russ.  retivoje,  eig.  das 
'unruhige'  (vgl.  gr.  (toftoj:).  in  dichterischer  Volkssprache  ein- 
fach 'herz,  gemüt'  bedeutet,  und  somit  dürfte  es  kaum  Wider- 
spruch erregen,  wenn  wir  hugi  auf  eine  wurzel  mit  der  sinn- 
lichen bedeutung  'rühren'  oder  dgl.  zurückführen  wollten. 
Darum  gebe  ich  zur  er  wägung  hugi  mit  gr.  xvxam  'rühre  ein', 


542 


UHLENBECK 


xvxtaiv  '  mischt  rank',  xvxtj&Qov  'rührkelle'  zu  verbinden,  wozu 
»auch  aksl.  kyciti  'stolz  machen'  gehören  kann. 

6.  sübar. 

Ahd.  sübar,  sübiri,  as.  sübri,  SLgs.syfre  'sauber,  rein,  schön' 
wird  von  Pedersen  (IF.  5, 64)  zweifelnd  mit  aksl.  chubavü  'pul- 
cher',  chubostl  'pulchritudo'  auf  eine  wurzel  mit  anlautendem 
ks  zurückgeführt.  Dieses  ist  aber  wenig  empfehlenswert,  denn 
das  südslav.  *chubü  scheint  vielmehr  ein  lehnwort  aus  dem 
iranischen  zu  sein,  vgl.  pers.  chüb  'gut,  schön',  worüber  Horn 
(Grundr.  der  neupers.  etym.  111)  und  Hübschmann  (Pers.  Stu- 
dien 57)  nachzuschlagen  sind.  Andere  iranische  lehnwörter  im 
aslav.  sind  süto  'hundert'  (aus  iran.  sata-),  Cosa  'becher'  (aus 
iran.  *casa-,  worüber  Hübschmann  a.  a.  o.  51),  vielleicht  bogü 
'gott'  (aus  iran.  baga-). 

An  Zusammenhang  von  sübar  mit  aind.  cöbhate  'glänzt' 
dürfen  wir  aus  phonetischen  rücksichten  kaum  mehr  denken, 
und  deshalb  mag  es  wol  gerechtfertigt  sein,  dass  ich  mich 
nach  einer  anderen  erklärung  umsehe.  Am  nächsten  liegt  es 
sabar,  sabiri  für  eine  ableitung  von  lat,  super,  gr.  vjttQ  zu 
halten,  dessen  comparativ  superior  'trefflicher'  bedeutet:  so 
könnte  auch  sabar  erst  'obenanstehend',  dann  'hoch,  edel,  treff- 
lich' und  zuletzt  erst  'sauber,  rein,  schön'  bedeutet  haben. 
Kür  mehr  als  eine  Vermutung  gebe  ich  diesen  erklärungs- 
versuch  natürlich  nicht  aus. 

7.  zwecchön. 

Kluge  (Beitr.  9.  171)  sagt:  'das  aus  ahd.  stecchal  steil« 
erschlossene  stikkö-  steigen*  darf  an  ksl.  stignati  seilen«  und 
skr.  stighmti  er  schreitet-  angeschlossen  werden.'  In  dem- 
selben aufsatz  erwähnt  er  'ae.  twiccian,  ahd.  zwecchön  carpere, 
vollere  neben  ahd.  zwigon1  ohne  an  eine  aussergerm.  Wortsippe 
anzuknüpfen  (a.  a.  o.  103,  vgl.  sein  Et.  wb.5  s.v.  zweck,  zwick, 
zwicken).  Ich  vermute,  dass  zwecchön  —  twiccian  trotz  hd. 
zwacken,  dessen  ablautsform  ja  leicht  unursprünglich  sein  kann, 
auf  einer  /-wurzel  beruht,  und  vgl.  aksl.  dvignati,  dvigati, 
drizati  "heben,  in  bewegung  bringen'.  Das  kk  von  germ.  *twikk- 
entspricht  dem  gn  von  dvignati. 

AMSTERDAM,  januar  1897. 


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ZUR  LAUTGESCHICHTE. 


543 


ZUR  LAUTGESCHICHTE. 

1.  Die  Vertretung  der  labiovelaren  media  aspirata 

im  anlaut. 

In  seinem  wertvollen  buche  über  Die  germ.  gutturale  (Berlin 
1896)  nimmt  Ernst  Zupitza  an,  dass  die  anlautende  labiovelare 
media  aspirata,  gerade  wie  Osthoff  (IF.  4,  268  ff.)  es  für  das 
keltische  wahrscheinlich  gemacht  hat,  im  germanischen  durch- 
aus seine  labialisation  aufgegeben  habe  und  ausschliesslich 
durch  g  vertreten  sei.  Ich  glaube,  mit  unrecht.  Fassen  wir 
seine  belege  (97  f.)  näher  ins  auge. 

Norw.  gand  'pflock',  an.  gondoll  'virga  virilis' :  aind.  hänti, 
gr.  ötlvco,  (povoq  u.  s.  w.  Gegen  diese  gleichung  ist  aber  fol- 
gendes zu  bemerken:  1.  gand  lässt  sich  kaum  als  eine  ableitung 
von  einer  auf  n  auslautenden  wurzel  begreifen,  denn  ein  indog. 
dh-  (oder  t-)  suffix  mit  instrumentalbedeutung  ist  nicht  nach- 
gewiesen; 2.  Wadstein  (IF.  5, 30  f.)  hat  gand  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit aus  *£a-wand-  gedeutet  und  zu  tvindan  gestellt 
(ob  got.  wandus  hierher  gehört,  ist  zweifelhaft  :  s.  Beitr.  22, 192). 
In  an.  gunnr,  ags.  guö,  ahd.  gundea  'kämpf,  welche  natürlich 
nicht  von  aind.  hatyä  und  hänti  zu  trennen  sind,  hat  das  an- 
lautende gw,  ehe  es  durch  Sievers1  gesetz  zu  w  werden  konnte, 
vor  u  seine  labialisation  eingebüsst:  vgl.  das  folgende. 

Got.  -gildan,  an.  gjalda,  ags.  gicldan,  ahd.  geltem  :  gr. 
tiX&o*;  'abgäbe'  u.  s.  w.  Diese  gleichung  wird  richtig  sein, 
kann  aber  nichts  für  Zupitza  beweisen.  Osthoff  (I  F.  4,  269) 
sagt  schon  das  folgende:  'und  kann  in  got.  fra-gildan,  aisl. 
gjalda  u.s.w.  das  anlautende  an  sich  ein  früheres  gw-  = 
indog.  jh-  vertreten?  Wo  nicht,  so  wäre  hier  ...  der  einfluss 
der  schwachstufigen  formen  got.  guldum,  -guldans  heranzu- 
ziehen, um  $i:ld-,  zdd-,  so  auch  in  den  nominell  got.  gild 
gilsir  ...  zu  erklären.'  Diese  andeutung  Osthoffs  trifft  gewis 
das  richtige  und  demnach  sind  -guldum,  -guldans  wie  an. 
gunnr,  ags.  jud,  ahd.  gundea  zu  beurteilen. 

Nnd.  goske,  nhd.  gusehe  'niund'  :  aind.  ghoshati  ;  verkündet, 
ruft  aus',  gr.  jrufavoxo)  'lasse  leuchten,  gebe  kund,  zeige  an, 
gebe  zu  verstehen'.   Mir  scheint  es  geraten,  das  griechische 


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544 


UHLENBKCK 


wort  aus  dem  spiele  zu  lassen,  doch  selbst  wenn  es  hierher 
gehört  und  das  g  in  gusehe  als  indog.  gh  erweist,  so  haben 
wir  nur  einen  weiteren  beleg  für  den  frühzeitigen  Verlust  der 
labialisation  vor  u. 

Mlid.  gumpcn,  gampen  'springen1  u.s.w.  :  gr.  afapßowfa* 
dxoXaarau  ovöa.  Falls  diese  combination  richtig  wäre,  könnte 
man  das  g  in  gumpcn  als  lautgesetzlich  betrachten:  von  dort 
aus  wäre  es  auf  gampen  übertragen.  Aber  dfrefißovoa  ist 
kaum  von  dxefißo)  zu  trennen,  das  sicher  einen  ursprünglichen 
dental  hat  (s.  J.  Schmidt.  Kritik  der  sonantentheorie  65,  vgl. 
Bartholomae,  TF.  7. 93).  l'ebrigens  zieht  Zupitza  noch  gr.  q-afp 
1  wilde  taube'  heran,  das  aber  wol  besser  erklärt  werden  könnte 
(in  den  meisten  sprachen  heisst  die  taube  nach  ihrer  färbe: 
got.  -dabo,  aksl.  golabt,  aind.  hapota-,  gr.  jthXtia  u.s.w.). 

An.  grunr  'verdacht',  gruna  'bezweifeln' :  gr.  VQt'jv,  tppordw, 
(pQovxiq  u.  s.  w.  Für  ganz  sicher  darf  dieses  nicht  gelten,  denn 
grunr,  gruna  lassen  noch  eine  andere  erklärung  zu  (aus  Ma- 
rtin-, Wadstein,  TF.  5, 28).  Bestenfalls  kann  grunr  nur  dasjenige 
beweisen,  was  von  vornherein  wahrscheinlich  ist,  nämlich  dass 
die  labialisation  des  anlautenden  gw  auch  vor  consonanz  ver- 
loren gieng,  und  folglich  ist  es  für  Zupitza's  hypothese  nicht 
zu  verwerten. 

An.  gcÖ  Leidenschaft,  gemüt'  :  gr.  jtofhoc.  Diese  com- 
bination ist  schon  darum  unsicher,  weil  *o#oc  sich  mit  dem- 
selben rechte  zu  aind.  bddhatc,  got.  btdjan  stellen  Hesse.  Kann 
geö  nicht  mit  der  sippe  von  got.  göds,  gadiliggs,  aksl.  godü, 
goditi  verwant  sein?  Für  das  slavische  geht  Miklosich  Gl 
von  der  grundbedeutung  des  erwarten»  und  wünschens  aus, 
wovon  •leidenschaft'  nicht  zu  weit  abliegen  dürfte. 

l'elier  an.  gciga  'schwanken'  :  lit.  zeaigineju  brauche  ich 
nicht  zu  sprechen,  denn  lit.  zv  weist  auf  indog.  g(h)u. 

Im  gegensatz  mit  Zupitza  nehme  ich  auf  grund  der  fol- 
genden drei  gleichungen  an,  dass  indog.  $h  im  anlaut  durch 
germ.  w  vertreten  wird,  ausgenommen  vor  u  und  consonanz 
(s.  oben). 

Ahd.  warm,  an.  varmr  u.s.w.  :  aind.  gharmd-,  lat.  formus, 
air.  gönn,  apr.  gönne  (dazu  mit  e  gl*.  0-fQfios,  armen,  dzertn). 
Es  scheint  mir  nicht  empfehlenswert,  warm  von  gharmd-  und 
sippe  zu  trennen  und  es  mit  aksl.  vre'ti,  lit.  tftrH  'kochen',  aksl. 


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ZUR  LAUTGESCHICHTE. 


545 


ntrü  'glut',  variti  'kochen',  armen,  rarem  'zünde  an*  zu  ver- 
binden (mit  apr.  tcarmun,  uorniyan,  urminan  'rot'  und  klein- 
russ.  vermjanyj  ist  nicht  viel  anzufangen,  vgl.  aber  Zubaty, 
IF.  0, 156). 

Got.  wamba,  an.  vgmb  u.s.w.  :  aind.  gabhd-  4vulva'  (Pe- 
dersen,  BB.  20,  238).  gdmbhan-,  gambhära-,  ga(m)bhird-,  slav. 
*gtba  (s.  Beitr.  22. 192). 

Got.  wöpeis,  ags.  tvide  u. s.w.  :  gl*,  (proitov  jtQooqiltQ, 
t)öv  (Hoffmann,  BB.  18.  288).  Zupitza  34  identificiert  r/conov 
mit  ir.  bdid  'süss',  indem  er  anzunehmen  seheint,  dass  <pa'mov 
für  *(fajöiop  verschrieben  sei.  Ist  es  aber  nicht  besser  qvhiov 
zu  lassen,  wie  es  uns  überliefert  ist?  Dann  stimmt  es  zwar 
nicht  zu  ir.  bdid,  wol  aber  zu  got.  tcöpeis. 

Ich  glaube,  dass  durch  diese  erörterung  der  annähme  einer 
germ.  entlabialisierung  des  anlautenden  *h  der  boden  ent- 
zogen ist. 

2.  Nochmals  hana  :  hön. 

Ein  beispiel  von  secundärer  vrddhi,  das  sich  in  allen  hill- 
sichten mit  as.  hon  :  got,  hana  vergleichen  lässt  (s.  Beitr.  22, 
189  f.).  ist  baltoslav.  *uörnä  'krähe',  lit.  vdrna,  russ.  vorona, 
serb.  rruna  zu  baltoslav.  *%orno-  *rabe\  lit.  rfirnas,  russ.  voran, 
serb.  nun  (s.  über  die  vocal-  und  accentverhältnisse  Hirt,  Der 
indog.  akzent  133).  l'rsprünglich  wird  *uörna  'die  zum  rabeii 
gehörige,  die  rabenhafte  oder  rabenähnliche'  bedeutet  haben. 
Aehnlich  ist  das  Verhältnis  von  lit,  Jcdrwe,  russ.  koröra,  serb. 
hrava  'kllb'  zu  lat.  ccrrus  (vgl.  Hirt  a.a.O.  136). 

Auch  aksl.  klada  'block,  balken',  russ.  koloda,  serb.  kltida 
aus  *köldä  (s.  Hirt  a.  a.  o.  137)  dürfte  trotz  seiner  bedeiitung 
eine  vrddhi-ableitung  von  ahd.  höh  sein  ('block'  als  'hölzernes'), 
was  mich  auf  den  gedanken  bringt,  auch  aind.  daru  auf  diese 
weise  zu  erklären. 

In  seiner  jetzigen  fassung  kann  Brugmanns  gesctz  über 
die  Vertretung  des  mit  e  ablautenden  o  in  offener  silbe  durch 
indoiran.  a  nicht  richtig  sein.  Das  beweisen  sichere  etymo- 
logien  wie  aind.  ddma-,  gr.  öofiog,  lat.  domus,  aksl.  domü  zu 
gT.  dtum;  aind.  ghand-,  gr.  <p6voq  zu  aind.  hdnmi,  gr.  Mva 
u.  s.  w.  :  s.  neuestens  Meillet  (Mein,  de  la  soc.  de  ling.  9, 142  ff.), 
der  alles  was  gegen  Brugmanns  gesetz  spricht  oder  zu  sprechen 


546 


UHLENBECK 


scheint,  kritisch  durchgemustert  hat.  Audi  die  einschränkung 
des  gesetzes,  welche  Osthoff  (MF.  4, 303  anni.)  vorschläft,  näm- 
lich dass  die  regel  nur  für  hochbetontes  o  gelte,  befriedigt 
nicht,  weil  ddma-,  hhdra-,  tdra-  u.s.w.  damit  in  unlösbarem 
widersprach  stehen.  Dennoch  inuss  die  proportion  jiaTtQa  : 
to(ta  =  pitdram  :  svdsäram  (Streitberg,  IF.  3, 304)  uns  die 
Überzeugung  aufdringen,  dass  das  Brugmannsche  gesetz,  wenn 
nicht  ganz,  doch  wenigstens  zum  teile  wahr  sein  muss. 

Ich  formuliere  das  gesetz  folgendermassen:  das  mit  e  ab- 
lautende o  wurde  im  arischen  zu  ä  in  offener,  unmittelbar 
nachtoniger  silbe,  oder  in  anderen  Worten  in  offener 

Silbe  mit  abhängigem  svarita.   So  erklären  sich  sofort 

<  »  ,  »  « 

die  accusative  svdsäram,  ndptäram,  kdrtäram,  dätäram,  rdja- 

nam,  dvmünam,  sdkhüyam  und  ebenso  die  pluralischen  noini- 

native  wie  srdsüras  und  die  dualformen  wie  svdsürüu,  weiter 

die  verbalformen  bhdrümas,  kupyümas,  vartdyümas  und  bhdrävas, 

kupyävas,  vartdyüvas.  Die  accusative  mit  /I  im  stamm  wie 
dütüram,  ütmünam,  püdam,  väcum,  ushäsam  (neben  ushdsam  = 
rjoa)  —  so  auch  datäras,  dätürau  u.  s.  w.  —  müssen  es  auf  ana- 
logischem wege  erhalten  haben,  und  dasselbe  gilt  von  dem  ä 
in  limpämas,  limpdvas,  das  sich  leicht  durch  den  einfluss  der 
anderen  themavocalischen  präsensklassen  erklären  lässt.  Auch 
aind.  jajäna  neben  jajdna  fügt  sich  unserer  fonnulierung  am 
besten,  wenn  wir  nur  annehmen  wollen,  dass  jajdna  ursprüng- 
lich die  orthotonierte  form,  jajüna  dagegen  enklitisch  war. 
Natürlich  wurde  in  einer  zwei-,  drei-  oder  mehrsilbigen  verbal- 
form, auch  wenn  man  sie  enklitisch  gebrauchte,  eine  silbe  am 
meisten  accentuiert  und  gr.  ytyovt  wie  auch  die  analogie  der 
aind.  vocativbetonung  (s.  Hirt  a.a.o.  181)  macht  es  wahrschein- 
lich, dass  es  die  anfangssilbe  war.  Aber  aus  *ye'yöne  ergibt 
sich  lautgesetzlich  jajünal 

Sind  die  obigen  ausführungen  richtig  —  und  ich  glaube, 
dass  ihnen  keine  tatsachen  entgegen  stehen,  welche  sich  nicht 
anders  deuten  Hessen  — ,  so  hat  man  nicht  das  recht  aind. 
däru  unmittelbar  mit  gr.  dö>>  gleichzusetzen.  Aber  warum 
kann  däru,  das  doch  vor  allem  den  collectiven  begriff  'holz' 
repräsentiert,  keine  vrddhi-ableitung  von  einem  indog.  *dönt 
oder  *deru  'bäum'  sein?   Eine  ähnliche  erklärung  ist  auch  für 


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ZUR  LAUTGESCHICHTE. 


547 


jdnu  möglich,  wenn  man  nämlich  annimmt,  dass  in  der  Ur- 
sprache neben  *yenu  'knie'  ein  collectivum  *gonu  'die  beiden 
knie'  vorhanden  war. 

Ich  zweifle  nicht,  dass  manches  was  bis  jetzt  nicht  mit 
Streitbergs  dehnungsgesetz  in  einklang  zu  bringen  war,  seine 
erklärung  durch  die  unumgängliche  annähme  dynamischer 
Steigerung  in  ausgedehntem  masse  finden  wird  (das  gilt  z.  b. 
wol  von  der  dehnstufe  der  causativa  wie  aind.  rrdvuyati,  plä- 
vdyali,  grähdyati,  rardyati,  svüpüyati,  aksl.  slariti,  plariti,  yra- 
tritt,  valitt,  lat.  söpire).  Denn  dass  das  dehnungsgesetz  den 
kern  der  Bache  getroffen  hat,  ist  durch  Hirts  aufsatz  über  die 
dehnung  im  serbischen  (1  F.  7.  135  ff.)  um  vieles  wahrschein- 
licher geworden. 

AMSTERDAM,  febr.  1897.  C.  C.  UHLENBECK. 


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KLASSENSUFFIXE. 

H.  Pauls  wichtiger  Vortrag  M'eber  die  aufgaben  der  wort- 
bildungslehre' (Sitzungsberichte  der  philosophisch-philolog.  und 
histor.  klasse  d.  k.  b.  akademie  d.  wissensch.,  1896,  lieft  4,  092  f.) 
gibt  mir  anlass,  eine  von  mir  grossenteils  im  colleg  seit  jähren 
vorgetragene  theorie  der  beurteilung  der  fachgenossen  zu  unter- 
breiten. 

Paul  wendet  sich  a.a.O.  (s.  693  f.)  gegen  die  übliche  Gleich- 
stellung von  wortbildungs-  und  flexionslehre.  Sie  entsprechen 
sich,  lehrt  er,  nur  insoweit,  als  die  wortbildungslehre  bloss 
morphologie  ist.  So  weit  aber  ihre  nähere  bearbeitung  eine 
mehr  individualisierende  behandlung  auf  grund  der  bedeutung 
erfordert,  stehe  die  wortbildungslehre  auf  einer  ganz  andern 
Ünie  als  die  flexionslehre. 

Ich  meine  nun,  dass  der  von  Paul  klar  und  scharf  hervor- 
gehobene unterschied  dennoch  nur  ein  gradueller  ist  und  dass 
von  der  einen  kategorie  zu  der  andern  sich  ein  allmählicher 
Übergang  nachweisen  lässt. 

In  den  von  der  flexionslehre  behandelten  fällen  dienen  die 
suffixe  dazu,  regelmässig  aus  wurzeln  oder  Stämmen  einzelne 
worte  zu  bilden,  die  (bei  primären  Suffixen)  zu  der  betreffenden 
wurzel  oder  (bei  secundären  suffixen)  zu  dem  betreffenden 
stamm  in  einer  bestimmten  beziehung  stehen.  In  den  von 
der  wortbildungslehre  behandelten  fällen  dienen  die  suffixe 
dazu,  facultativ  aus  (selten  wurzeln,  zumeist  aber)  Stämmen 
neue  stämme  zu  bilden,  die  zu  dem  betreffenden  mutterstamm 
(oder  der  wurzel)  in  einer  schwankenden  beziehung  stehen. 
Daraus  folgt:  in  der  ersten  kategorie  sind  mindestens  der 
theorie  nach  alle  flexionsformen  möglich;  obwol  tatsächlich 
gewisse  casus  eines  einzelnen  nomens  (seltener  auch  gewisse 
personal  formen  und  tempore  eines  einzelnen  verbs)  nie  gebildet 


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549 


werden.  Vor  allem  fehlen  häufig  ganze  numeri  und  nur  die 
erfahrung  kann  uns  über  solche  singularia  oder  pluralia  tantum 
belehren  oder  uns  berichten,  welche  stamme  gewisse  ihnen  der 
regel  nach  zukommende  endungen  tatsächlich  nicht  gebrauchen. 
Immerhin  bleibt  für  die  ungeheure  überzahl  der  fälle  die  regel 
bestehen,  dass  jede  theoretisch  mögliche  flexionsform  auch  wirk- 
lich vorkommt.  —  Dagegen  gibt  es  überhaupt  keinen  einzigen 
fall,  in  dem  ein  stamm  alle  an  sich  möglichen  bildungen  der 
zweiten  kategorie  tatsächlich  annimmt;  und  ebensowenig  gilt 
auch  nur  für  die  allerhäufigsten  stammbildungssuffixe  —  wie 
indog.  -a,  mhd.  -cere,  nhd.  -ung  —  dass  sie  von  allen  stammen, 
die  sie  der  theorie  nach  annehmen  könnten,  wirklich  auch 
angenommen  werden.  Vielmehr  muss  es  in  jedem  einzelnen 
fall  aus  der  praxis  festgestellt  werden,  welche  ableitungen  zu 
den  verschiedenen  nominal-  und  verbalstämmen  vorkommen. 
Vollständige  nachweise  hierüber  wären  sehr  erwünscht;  denn 
die  Wörterbücher  geben  fast  niemals  eine  erschöpfende  auf- 
zählung.  Und  ganz  ebenso  muss  immer  erst  aus  dem  gebrauch 
ermittelt  werden,  an  welche  Stämme  die  einzelnen  wortbildungs- 
suffixe  antreten;  worüber  wir  in  der  stammbildungslehre  Kluges, 
Wilmanns  Deutscher  grammatik,  2.  abt.  und  ähnlichen  arbeiten 
mindestens  für  die  selteneren  suffixe  annähernd  vollständige 
Verzeichnisse  besitzen. 

Beispiele  zu  diesen  allgemein  bekannten  tatsachen  anzu- 
führen ist  überflüssig. 

Zweitens  aber  folgt  aus  der  oben  von  uns  vorgenommenen 
gegenüberstellung  der  flexivischen  und  wortbildenden  suffixe 
der  nicht  minder  wichtige  umstand,  dass  das  Verhältnis  der 
mit  einer  beliebigen  'endung'  gebildeten  form  zu  der  Stamm- 
form oder  den  anderen  abgleiteten  formen  ohne  weiteres  dem 
sinn  und  inhalt  nach  völlig  klar  ist.  Fügen  wir  an  einen 
nominalstamm  das  suffix  des  genetiv  singularis,  an  einen  verbal- 
stamm das  suffix  der  3.  person  pluralis,  so  hat  die  neu  ent- 
standene form  genau  dieselbe  bedeutung  wie  jeder  andere  gen. 
Sfifi  Je(le  andere  3.  pl.  Angenommen,  es  wäre  zufällig  der 
genetiv  irgend  eines  bestimmten  nomens  seit  dem  Ursprung 
der  spräche  noch  niemals  gebildet  wrorden,  so  würde  allen, 
die  ihn  heute  zum  ersten  mal  hören  würden,  sofort  klar  sein 
was  er  bedeutet.   Ganz  im  gegensatz  dazu  ist  das  inhaltliche 

Beitrage  «ur  getchichte  der  deutschen  ipr»ctae.   XXII.  3(J 


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550 


MEYER 


Verhältnis  einer  neuen  wortableitung  zu  ihrem  stamm  und  zu 
ihresgleichen  —  wie  eben  grade  Paul  a.  a.  o.  näher  nachweist 
—  keineswegs  von  vornherein  genau  bestimmt.  Die  gleiche 
ableitung  kann  beim  antritt  an  zwei  verschiedene  Stämme  zwei 
worte  von  ganz  verschiedener  bedeutung  ergeben.  Ein  fehler 
(a.  a.  o.  8. 697)  ist  ganz  etwas  anderes  als  ein  führet;  obwol 
das  eine  wort  genau  so  von  fehlen,  wie  das  andere  von  führen 
abgeleitet  ist.  Auch  sind  solche  abweichungen  keineswegs 
immer  erst  historisch  entstanden  —  was  zwar  principiell  gar 
keinen  unterschied  macht  — ,  sondern  die  Verbindung  des 
gleichen  wortbildungssuffixes  mit  zwei  verschiedenen  stammen 
kann  von  der  ältesten  zeit  her  zwei  abweichende  bedeutungen 
ergeben  haben. 

Wir  sehen  also:  beide  kategorien  unterscheiden  sich  durch 
die  viel  stärkere  freiheit  der  zweiten.  Man  kann  jede  flexions- 
form  bilden,  und  jede  hat  sofort  einen  vorher  genau  bestimmten 
sinn.  Dagegen  kann  man  nie  vorher  wissen,  welche  ableitung 
von  irgend  einem  stamm  zu  einer  bestimmten  epoche,  in  einer 
bestimmten  spräche  oder  einem  dialekt  vorkommt,  und  eben- 
sowenig, welche  der  verschiedenen  an  sich  möglichen  bedeu- 
tungen die  einzelne  ableitung  tatsächlich  besitzt. 

So  schroff  nun  aber  die  Verschiedenheit  scheint  —  nach 
Schillers  terminologie  würde  man  sagen:  im  reich  der  flexion 
herscht  der  zwang  der  natur,  im  gebiet  der  Wortbildung  die 
freiheit  — ,  es  liegen  doch  deutlich  vermittelnd  Übergänge 
zwischen  beiden  suffixkategorien. 

Zwischen  den  flexi  vischen  'endungen'  und  den  wortbilden- 
den 'ableitungen'  stehen  suffixe  mitten  inne.  die  ich  klassen- 
bildende suffixe  oder  klassensuffixe  nenne.  Sie  teilen 
mit  den  flexivischen  die  eigenschaft,  dass  die  neu  entstandene 
ableitung  in  ihrem  sinn  fest  und  unzweideutig  bestimmt  ist. 
Sie  teilen  mit  den  wortbildenden  die  eigenschaft,  dass  die  ab- 
leitung keineswegs  von  jedem  stamm,  bei  dein  sie  an  sich 
möglich  wäre,  tatsächlich  vorkommt.  Ob  an  einen  stamm  ein 
bestimmtes  klassensuffix  tritt,  kann  nur  die  erfahrung  lehren; 
tritt  es  aber  an,  so  ist  die  Verbindung  inhaltlich  so  unzwei- 
deutig bestimmt  wie  ein  casus  oder  eine  verbalform. 

Dabei  ist  es  noch  besonders  wichtig  und  lehrreich,  dass 
diese  klassensuffixe  auch  unter  sich  selbst  eine  abstuf ung  von 


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KLASSENSUFFIXE. 


551 


der  strengen  regelung  der  flexion  zu  der  beweglichen  freiheit 
der  Wortbildung  zeigen.  — 

Am  nächsten  stehen  den  flexivischen  suffixen  die  der 
comparation,  die  man  denn  auch  vielfältig  direct  diesen 
zuzählt.   Aber  wir  finden  von  der  ältesten  zeit  her  ein  neben- 
einander von  zwei  comparativ-  und  zwei  Superlativsuffixen. 
Die  comparativsuffixe  scheinen  zwar  principiell  geschieden, 
indem  -j[esf  -ijles  primär,  -ero,  -tero  secundär  ist;  aber  nun  tritt 
bei  beiden  widerum  eine  doppelform  auf,  die  nicht  ohne  wei- 
teres eine  reinliche  Scheidung  ermöglicht.   Noch  weniger  ge- 
lingt diese  bei  den  beiden  Superlativsuffixen.   Wol  gibt  Brug- 
mann  an  (Grund r.  1, 156)  dass  -mo  in  Wörtern  die  zahl,  rang, 
räumliche  und  zeitliche  anordnung  u.dgl.  bezeichnen,  und  -is,  -to 
bei  dem  primären  comparativsuffix  4§  (ebda.  s.  228)  auftritt; 
man  sieht  aber,  wie  schwankend  diese  Scheidung  ist.  Dazu 
wird  sie  gekreuzt  durch  allerlei  coinbinationen:  Superlativ  von 
der  wurzel  oder  vom  comparativ,  wechselnder  bindevocal,  sogar 
doppelte  Steigerung.    Das  ergebnis  ist,  dass  man  tatsächlich 
keineswegs  mit  der  gleichen  Sicherheit  die  comparativsuffixe 
eines  bestimmten  Stammes  vorher  bestimmen  kann  wie  die 
endungen.    Die  abweichungen  tragen  auch  nicht  etwa  wie 
der  vereinzelte  Übergang  eines  nomens  oder  verbs  in  eine 
neue  flexion  den  Charakter  späterer  Zerrüttung,  sondern  von 
ältester  zeit  her  stehen  verschiedene  bildungen  in  mehreren 
sprachen  oder  sogar  in  ein  und  derselben  spräche  neben- 
einander.  Noch  in  mhd.  zeit  finden  wir  mehrere  Spielarten 
in  gleichzeitigem  gebrauch:  vorderist  und  vorileröst  u.dgl. 

Femer  aber  wird  diese  relative  unbestimmbarkeit  noch 
gesteigert  durch  die  von  der  urzeit  her  vorhandenen  fälle,  in 
denen  die  comparation  durch  suffix  überhaupt  ausgeschlossen 
ist  und  in  denen  zwei  oder  drei  etymologisch  völlig  unverwante 
Stämme  zusammentreten,  um  eine  steigerungsreihe  zu  bilden. 
Dass  bestimmte  positive  (wie  z.  b.  die  farbenbezeichnungen) 
überhaupt  keine  comparation  zulassen,  lässt  sich  wol  allen- 
falls a  priori  begreifen;  ob  wol  gerade  hier  ausnahmen  wie 
das  volkstümliche  weisser  als  der  sehnee,  schwärzer  als  die  kohle 
u.  dgl.  die  Unzulänglichkeit  solcher  Voraussetzungen  dartun. 
Dass  aber  gut  und  böse,  klein  und  gross  ihre  Steigerungsformen 
von  fremden  Stämmen  entlehnen,  ist  schlechterdings  nur  aus 

36* 

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552 


MEYER 


der  erfahrung  zu  entnehmen.  Und  doch  ist  nicht  zu  bezwei- 
feln, dass  ihre  Verbindung  mit  comparativsuffixen  —  die  im 
verlauf  der  sprachlichen  normalisierung  sich  ja  vielfach  durch- 
gesetzt hat  —  in  der  urzeit  absolut  ausgeschlossen  war. 

Sobald  aber  nun  durch  ein  oder  das  andere  suffix,  durch 
anleihen  bei  Worten  von  ursprünglich  eomparativischer  oder 
superlativischer  bedeutung  oder  wie  sonst  die  reihe  hergestellt 
ist,  läuft  sie  jeder  andern  aufs  genaueste  parallel  und  hesser 
steht  zu  gut  genau  so  wie  schöner  zu  schön.  — 

Der  flexion  sehr  nahe  steht  zweitens  die  adverbial- 
bildung.  Für  spätere  epochen  nimmt  sie  fast  völlig  den 
Charakter  der  flexion  an:  schon  mhd.  kann  z.  b.  fast  von  jedem 
adjectiv  auf  regelmässige  weise  ein  adverb  gebildet  werden; 
wobei  immerhin  die  ausnahmslosigkeit  der  eigentlichen  flexion 
nicht  erreicht  wird.  Für  die  älteren  zeiten  ist  die  unbestimm- 
barkeit  ungleich  grösser.  Es  ist  nicht  die  rede  davon,  dass  zn 
jedem  adjectiv  (oder  jeder  wurzel  einer  bestimmten  bedeutungs- 
gruppe)  ein  adverb  gebildet  werden  könnte;  vielmehr  treten 
ganz  überwiegend  hilfsformen  ein:  erstarrte  casus,  alte  avya- 
j'ibhäva-compositionen  wie  postridie,  avfrfj/jtQoi',  hhwht,  uUv&s. 
In  der  ältesten  geschichte  überwiegt  die  bewahrung  alter,  sonst 
abgestorbener  casussuffixe,  in  der  jüngeren  die  hypostasierung 
noch  lebendiger  obliquer  casus.  Daneben  tritt  eine  reihe 
eigentlicher  adverbialsuffixe  auf,  die  zwar  selbst  nur  nach- 
bildung  alter  casussuffixe  Bind,  nun  aber  auch  (wie  es  scheint) 
neu  an  adjectivstämme  treten  können,  ohne  continuität  der 
alten  flexion  des  adjectivs.  Sie  bringen  es  zu  immer  grösserem 
ansehn  und  schliesslich  kommt  es  wenigstens  so  weit,  dass 
principiell  mindestens  jedes  adjectiv  (mit  verschwindenden  aus- 
nahmen) sein  adverb  bildet.  Aber  bis  in  die  gegenwart  reicht, 
wie  bei  der  comparation,  daneben  die  Verwendung  alter  adverbia 
von  eigenem  stamm:  wie  gut  sein  besser  und  best  neben  sich 
hat,  so  leiht  es  sich  auch  ein  erst  jetzt  absterbendes  icol  zum 
adverbialgebrauch. 

Besonders  merkwürdig  ist  nun  aber,  dass  inmitten  dieser 
der  ungebundenheit  in  der  Wortbildung  nahe  kommenden  klasse 
die  älteste  zeit  für  eine  kleine  gruppe  eine  adverbialbildung 
von  fast  flexivischer  festigkeit  besass.  Die  ort s adverbia  bilden 
zu  jedem  pronominalstamm  eine  vollständige  reihe  von  4corre- 


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KLASSENSUFFIXE. 


553 


lativis':  a  Weitungen  mit  der  bedeutung  der  ruhe,  der  nähern- 
den und  der  entfernenden  bewegung  lassen  sieh  ursprünglich 
von  jedem  dieser  stamme  bilden.  Die  zeitadverbia  nähern  sich 
dem  einigermassen;  die  präpositionaladverbia  haben  mindestens 
die  eigenschaft,  dass  zu  fast  jeder  alten  präposition  ihrer  eine 
existiert,  auch  mit  ähnliehen  bildungen  (vocalische  Verlänge- 
rungen), aber  doch  nicht  mit  einem  einheitlichen  suffix. 

Nun  ist  freilich  die  ganze  bildung  von  adverbien  zu  ad- 
jectiven,  wie  schon  erwähnt,  eine  verhältnismässig  junge  er- 
scheinung,  die  in  der  indog.  epoche  erst  vorbereitet  war  — 
vorbereitet  eben  durch  die  bildung  von  adverbien  aus  prono- 
ininalstämmen.  Sie  hat  sieh  aber  doch  allmählich  in  allen 
indog.  sprachen  zu  einer  regelmässigen  ableitungsform  aus- 
gewachsen und  gerade  die  langsamkeit  dieser  entwickelang 
lässt  den  gang  deutlich  übersehen.  Sind  wir  docli  gerade  jetzt 
wider  im  begriff,  ein  neues  adverbialsuffix,  das  vorerst  noch 
facultative  -weise,  zum  allgemein  verwendbaren  ableitungs- 
mittel  zu  machen,  sei  es  noch  in  syntaktischer  form  (in  fried- 
licher weise),  sei  es  als  composition  (unbegreiflicher  weise,  nur 
durch  die  Schreibung  von  bildungen  wie  frz.  agreablemcnt 
verschieden).  — 

Die  dritte  und  bei  weitem  die  wunderbarste  gruppe  der 
klassensuffixe  bilden  die  der  Zählung.  Und  zwar  handelt  es 
sich  hier  um  zwei  verschiedene  erscheinungen:  einmal  um  das 
System  der  cardinalzahlen,  das  skelett  des  ganzen  zählwesens, 
und  zweitens  um  die  ableitung  der  übrigen  zahlworte  aus 
(wurzel  oder)  stamm  der  cardinalia.  Uebrigens  umfasst  die 
formenbildung  dieser  gruppe  in  sich  selbst  eine  so  grosse 
mannigfaltigkeit,  dass  sie  allein  schon  die  scheinbar  kaum  zu 
überbrückende  kluft  zwischen  flexion  und  Wortbildung  aus- 
füllen könnte. 

Die  reihe  der  cardinalzahlen  bildet  eine  der  merkwürdig- 
sten erscheinungen  im  ganzen  gebiet  der  spräche.  Welche 
ungeheuere  leistung  der  menschlichen  abstractionskraft  das 
zählen  überhaupt  ist,  hat  man  oft  mit  nachdruck  hervor- 
gehoben. Wie  compliciert  aber  das  hierzu  dienende  Werkzeug, 
eben  das  system  der  cardinalia,  ist,  und  zugleich  doch  wie 
genial  concipiert  (wenn  man  sich  so  ausdrücken  darf),  das  hat 
meines  vvissens  noch  niemand  mit  genügender  schärfe  hervor- 


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554 


MEYKK 


gehoben.  Man  rechne  es  mir  nicht  als  anmassung,  wenn  ich 
eine  (meines  wissens,  mnss  ich  immer  hinzusetzen)  neue  auf- 
fassung  dieser  einrieb tung  vortrage;  mir  scheinen  aber  gewisse 
merkwürdige  eigenheiten  der  zahlworte  ohne  sie  schlechter- 
dings unbegreiflich.  Was  für  gewöhnlich  einfach  als  com  Po- 
sition aufgefasst  wird,  glaube  ich  hier  als  eine  art  flexion 
bezeichnen  zu  müssen. 

Man  pflegt  die  cardinalia  als  eine  reihe  lose  nebeneinander 
stehender  einzelworte  anzusehen,  etwa  wie  die  benennungen 
der  körperteile,  der  eigenschaften  oder  (um  ein  moderneres, 
aber  dafür  genauer  zutreffendes  analogon  zu  wählen,  wie  die 
titel  einer  geistlichen,  militärischen  oder  sonstigen  hierarcliie: 
worte,  die  vom  verstand  zu  einer  bestimmten  Vollständigkeit 
geordnet  sind,  von  vornherein  aber  keinerlei  beziehungen  zu 
einander  haben.  Wir  sagen  seconddieutenant,  premierlieutenant, 
Hauptmann;  als  man  aber  in  Bayern  noch  sagte  unlerlieutenant, 
obcrlieutvnant,  Hauptmann  war  es  ganz  dasselbe,  und  würde 
morgen  die  benennung  capitän  für  Hauptmann  wider  ein- 
geführt, so  würde  das  genau  so  gut  die  betreffende  stelle  des 
Systems  ausfüllen.  Gegen  diese  gleichstellung  der  Zahlenreihe  mit 
irgend  einer  andern  wortreihe  der  spräche  protestiert  aber  vor 
allem  eine  eigenheit  der  cardinalia.  Dass  sie  sich  gegenseitig 
stark  beeinflussen,  ist  zwar  zu  beachten,  kommt  aber  auch 
bei  andern  begriffsgruppen  (z.  b.  den  tages-  und  jahreszeiten) 
vor.    Auch  die  überall  rasch  eintretende  bildung  besonderer 
zeichen  für  die  zahlworte  hat  eine  zwar  nicht  geringe,  aber 
doch  keine  ausschlaggebende  bedeutung.    Völlig  einzig  ist  da- 
gegen die  erscheinung,  dass  es  in  der  reihe  der  cardinalia 
keine  synonyma  gibt.    Flexivische  unterschiede,  auf  die 
man  ja  sogar  indog.  urdialekte  oder  urälteste  völkerscheidnngen 
gründet,  kommen  natürlich  nicht  in  bet rächt.   Beide  aber  ist 
nicht  etwa  synonymum  zu  zwei,  sondern  bedeutet  ganz  etwas 
anderes:  es  heisst  (wie  z.  b.  gr.  und  mhd.  noch  schön  deutlich 
zu  erkennen)  'nicht  nur  —  sondern  auch'  und  ist  ein  verein- 
zelter dual,  der  in  die  reihe  der  echten  cardinalia  so  wenig 
gehört  wie  sclbander,  sclbdritf,  selbviert  oder  anderthalb,  dritt- 
halb u.s.w. 

Diese  merkwürdige  und  uralte  erscheinung  ist  nun  aber 
m.  e.  nur  zu  erklären,  wenn  die  ganze  Zahlenreihe  von  voru- 


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KLASSENSUFFIXE. 


555 


herein  als  eine  einheit  gefasst  wurde.  'Von  vornherein'  heisst 
natürlich  nicht  im  anfang  aller  dinge ;  es  gab  eine  zeit  wo  es 
nur  ein  paar  zahlen  gab  und  keine  weitreichende  reihe.  Da- 
mals gab  es  sicher  auch  synonyma,  damals  gab  es  auch  gewis 
noch  kein  bewusstsein  von  der  Zusammengehörigkeit  dieser 
begriffe.  Aber  in  der  ältesten  nns  erreichbaren  schient,  in  der 
frühesten  indog.  urzeit,  die  für  uns  erfassbar  ist,  war  die 
Zahlenreihe  bereits  eine  geschlossene  einheit.  Nicht  nur  in 
begrifflicher  hinsieht  —  worüber  Pott.s  '  Zählmet  hoden'  zu  ver- 
gleichen sondern  vor  allem  auch  in  grammatikalischer  hin- 
sieht, tTm  aber  ihr  wesen  zu  begreifen,  muss  man  sich  von 
zwei  uns  fast  unvermeidlichen  anschauungen  auf  einen  augen- 
blick  freimachen.  Wir  müssen  von  derjenigen  Ordnung  der 
Zahlenreihe,  die  uns  selbstverständlich  ist,  absehen  und  ebenso 
von  der  Vorstellung,  als  gebe  es  überhaupt  nur  drei  numeri: 
sg.,  du.,  pl.;  haben  doch  tatsächlich  manche  sprachen  für  weiter- 
gehende Zählung  noch  eigene  flexion. 

Nachdem  sich  also  das  bewusstsein  von  der  Zusammen- 
gehörigkeit einer  lückenlosen  reihe'  von  zahl  Worten  heraus- 
gebildet hatte,  finden  wir  folgendes  system.  Wir  besitzen  die 
zehn  (bez.  zwölf)  grundworte,  die  zu  einer  geschlossenen  folge 
verbunden  sind  wie  etwa  später  die  namen  der  Wochentage 
oder  monate.  Sie  sind  überwiegend  der  flexion  im  gewöhn- 
lichen sinn  unteilhaftig,  und  waren  ursprünglich  vielleicht 
sogar  sämmtlich  iudeclinabel;  die  ersteh  zahlworte  hätten 
dann  später  bruchstücke  der  declination  von  andern  pronomi- 
nibus  —  etwa  durch  Vermittlung  von  halbzahl  Wörtern  wie 
beide  —  entlehnt.  Dagegen  aber  flectieren  unsere  zehn  grund- 
worte in  ihrer  eigenen  art,  d.h.  indem  sie  so  viel  numeri 
bilden,  wie  zehner  in  dem  decimalsystem  vorhanden  sind. 
Zwei  fleetiert  also,  indem  es  einen  numerus  2  -f  10,  einen 
2  -f  20,  einen  2  +  30  bildet.  Diese  numeri  der  grundzahlen 
sind  denen  des  nomens  völlig  gleichartig,  nur  eben  in  der 
Zählung  genauer.  Väter  heisst  vermutlich  ursprünglich  nichts 
anderes  als  etwa  'vater  und  mehrere',  zweiundzwanzuj  heisst 
'zwei  und  zwei  zehner'.  Die  grundform  bleibt  stamm  der  neu- 
bildung  hier  wie  dort.  Die  neubildung  selbst  aber  geschieht 
ganz  einfach  auf  dem  gleichen  wege,  auf  dem  nach  der  her- 
schenden  ansieht  alle  flexion  geschieht:  durch  Verschmelzung 


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556 


MEYER 


ursprünglich  selbständiger  Wörter.  Vierzehn  ist  im  princip 
nicht  anders  gebildet  als  got.  nasi-da-  (falls  das  s\v.  praet. 
wirklich  mit  dem  hilfsverbuin  tun  gebildet  ist).  Noch  stärker 
tritt  aber  die  analogie  zu  der  üblichen  flexion  da  hervor,  wo 
statt  der  addierenden  die  multiplicative  zahlbildung  angewant 
wird.  Von  der  grenzzahl  wird  ein  abstractum  gebildet:  die 
zehmahl;  ursprünglich  gewis  ganz  concret  gefasst  wie  unser 
eine  handroll;  lässt  doch  noch  Herodot  den  Xerxes  sein  beer 
durch  hürden  zählen,  in  die  immer  eine  bestimmte  menschen- 
zahl  hineingetrieben  wird.  Nun  wird  neben  den  dvandva- 
compositis  12,  22,  32  eine  reihe  von  tatpurushas  gebildet  20, 
30,  40;  oder  vielmehr  jene  setzen  diese  ja  schon  voraus,  wenn 
auch  nicht  notwendig  als  feste  composita.  Hier  erhält  nun  der 
stehende  zweite  teil  zehnteil  völlig  den  Charakter  des  suffixes 
und  aus  vierzig  hört  zwar  jeder  die  vier,  aber  nur  der  sprach- 
lich geschulte  die  zehn  heraus. 

Wir  haben  also  ein  von  1 — 99  reichendes  system,  durch 
copulative  und  suffigierende  ableitung  entstanden.  Im  sinn  der 
urzeit  müssten  wir  nicht  1 — 2 — 3—4  ordnen,  sondern  1 — 11 — 
21 — 31  u.s.w.;  2—22—32  u.s.w.;  wie  noch  unser  eiumaleins 
von  den  grundzahlen  (und  grundworten)  ausgeht.  Das  gleiche 
system  wird  dann  weiter  auf  grösseren  rahmen  gespannt,  zehn 
zchnheiten,  das  grosshundert  kommen  dazu;  aber  in  der  art 
der  numeralen  flexion  macht  dies  keinen  unterschied. 

Betrachten  wir  nun  diese  einrichtung  vom  gesichtspunkt 
der  morphologie.  Die  numerischen  ableitungen  von  den  grund- 
zahlen stehen  den  flexi  vischen  insofern  ganz  nahe,  als  sie  un- 
bedingt jedesmal  gebildet  werden  können.  Dagegen  sind  sie 
den  wortbildenden  darin  verwant,  dass  nirgends  ein  bestimmtes 
ableitungsmittel  zur  alleinigen  herschaft  gelangt  ist.  Wol  gilt 
überall  dasselbe  princip:  das  der  copulation  zweier  zahlbegriffe, 
wie  es  durch  den  numerischen  wert  der  gesuchten  neuen  zahl 
gegeben  ist.  Aber  bei  der  addition  finden  wir  Schwankungen 
in  der  Wortstellung:  neben  dem  gewis  ältesten  system,  das  die 
grundzahl  voranstellt,  ein  jüngeres,  das  ihr  den  zweiten  platz 
anweist;  finden  wir  Schwankungen  in  der  form  der  Verbindung: 
neben  der  gewis  älteren  einfachen  juxtaposition  die  Verschmel- 
zung durch  eine  conjunction.  Noch  heut  nach  allen  normali- 
sierungen  haben  wir  nebeneinander  vierzehn  und  vierundzuanzifj. 


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KLASSENSUFFIXE. 


557 


Dazu  kommt  eine  reihe  einzelner  sonderbildungen  bei  den 
anfangs-  und  Schlusszahlen  jeder  zehnschaft:  statt  der  addieren- 
den compositum  subtrahierende  (untkriijinti);  ja  sogar  völlige 
aufgäbe  dos  princips,  die  neue  zahl  aus  zwei  alten  aufzubauen: 
ainlif,  ttealif.  —  Bei  der  mnltiplicativen  neubildung  hat  sich 
zwar  für  30—60  indog.  ein  festes  prineip  durchgesetzt;  aber 
bei  20  weicht  sogar  innerhalb  des  germanischen  die  westgerm. 
büdung  mit  hypostasiertem  dativ  von  der  ostgerm.  ab,  und 
für  70 — 100  finden  wir  indog.  schwanken,  germ.  neuschöpfungen. 

Die  freiheit  der  eigentlichen  Wortbildung  wird  also  in 
bezug  auf  die  wähl  der  ableitnngsmittel  zwar  nicht  erreicht,  die 
strenge  der  eigentlichen  flexion  aber  noch  viel  weniger.  Denken 
wir  uns  einen  nominalstamm,  der  über  sg.  du.  pl.  heraus  noch 
sechs  weitere  numeri  hätte,  so  würde  uns  (ohne  Verdeutlichung 
von  aussen  her)  die  bedentungen  der  verschiedenen  endungen 
nur  dann  klar  sein,  wenn  eine  ganze  reihe  anderer  stamme 
mit  genau  denselben  endungen  für  ersten,  zweiten,  dritten 
plural  neben  ihm  ständen.  Die  zahlworte  können  sich  da- 
gegen den  luxus  auf  engem  räum  mannigfach  wechselnder 
bildungen  gestatten,  weil  sie  in  folge  ihrer  besonderen  natur 
jedenfalls  unzweideutige  nenbildungen  schaffen.  Die  addieren- 
den, subtrahierenden,  multiplicierenden  zahlworte  sind  nämlich 
deshalb  unbedingt  verständlich,  weil  sie  streng  symbolisch  sind. 
Das  compositum  ahmt  genau  die  wirkliche  Handlung  des  zählens 
nach,  indem  es  3  zu  20  legt,  viermal  zehn  nimmt,  eins  von 
zwanzig  abzieht.  Dadurch  allein  ward  es  möglich,  dass  eine 
begriffsgruppe,  die  von  vornherein  eine  strengere  einheit  des 
ausdrucks  zu  fordern  scheint  als  irgend  eine  andere,  tatsächlich 
sich  eine  Willkür  der  ableitung  gewahrt  hat,  wie  sie  sich  sonst 
nirgends  der  uniformierung  späterer  perioden  gegenüber  be- 
haupten konnte. 

Dies  also  ist  die  erste  form,  unter  der  das  klassenbildende 
suffix  bei  der  Zählung  erscheint:  die  verschiedenen  zahlabstracta 
der  grundzahlen  selbst  treten  als  ableitnngsmittel  der  cardinalia 
auf,  lassen  aber  verschiedene  möglichkeiten  der  anordnung  und 
der  Verbindung  neben  einander  bestehen.  Dasselbe  wort,  das 
in  zweiundzwamiif  eine  art  suffix  ist,  tritt  in  riyinti  duo  als 
eine  art  präfix  auf;  wie  ja  auch  beim  verb  neben  der  suffigie- 
rung  die  präfigierung  (in  augmenttemporibusj  ableitend  wirkt. 


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558 


MEYER 


Tnd  hier  ist  denn  noch  einmal  darauf  aufmerksam  zu  machen, 
dass  diese  technik  der  spräche,  die  wir  hier  als  'numerische 
flexion*  bezeichneten,  so  befremdend  sie  auf  den  ersten  blick 
wirkt,  keineswegs  principiell  von  andern  methoden  der  ableitung 
verschieden  ist.  Die  bildung  der  abgeleiteten  zahl  wort  e  ist 
eben  nichts  anderes  als  eine  reduplication  (vgl.  über  redupli- 
cation  bei  zahlworten  allgemein  Pott,  Doppelung  s.  150.  Zähl- 
Dietbode  s.  20).  Wie  man  mit  ich  halte  ein  tempus  bildete  ich 
halte  halle,  so  bildete  man  von  drei  eine  zahl  drei  —  drei 
zehnheiten;  wie  dort  das  eine  glied  bis  aus  blosser  andeutung 
verkürzt  ward,  so  hier:  in  vierz'aj  ist  gerade  wie  in  haihald 
nur  noch  der  eine  factor  der  combination  kenntlich. 

Zweitens  aber  finden  die  klassensuffixe  innerhalb  der  Zäh- 
lung noch  anwendung  bei  der  ableitung  anderer  zahlwort- 
kategorien  von  den  cardinalien.  Vor  allem  bei  den  cardinal- 
zahlen.  deren  bildung  so  stark  an  die  Steigerung  erinnert  und 
mit  ihr  die  willkür  der  suffixe  teilt:  dixaxaq  neben  decinms. 
In  der  tat  ist  das  verfahren  der  benennung  hier  ganz  dasselbe 
wie  bei  der  Steigerung:  ein  einzelnes  glied  wird  aus  einer 
kette  gleichartiger  glieder  herausgehoben.  Er  ist  der  mäch- 
tiijste  könig  ist  braehylogie  für  die  drei  sätze:  'es  gibt  viele 
könige;  alle  sind  mächtig;  dieser  ist  aber  sehr  mächtig*. 
Und  gerade  so  ist  es  eine  Verkürzung,  wenn  wir  sagen  dies 
ist  der  dritte  türm;  das  bedeutet:  iiier  stehen  mehrere  türme; 
an  zweien  sind  wir  schon  vorbeigegangen;  nun  sind  wir  bei 
diesem  hier'.  Aber  selbst  abgesehen  von  dem  Wechsel  der 
suffixe  finden  wir  ein  schwanken  in  der  bildung  der  ordinalia. 
Die  Ordinalzahl  der  einzahl  ist  überall  eine  jüngere  ergänzung: 
der  erste  ist  eben  von  vornherein  der  zählende  selbst,  der  kein 
Zahlwort  braucht.  Aber  auch  weiter  finden  wir  nebeneinander 
in  uraltem  tausch  ableitung  von  der  wurzel  und  von  der  car- 
dinalzahl,  und  bei  den  zusammengesetzten  Ordinalzahlen  haben 
wir  neben  der  wol  ursprünglichen  juxtaposition  der  ordinalien 
(tertius  deeimus)  die  tendenz  auf  die  bildung  einheitlicher 
worte.  die  dann  schliesslich  zur  ableitung  vom  zusammen- 
gesetzten ordinale  führt:  der  dreizehnte.  Immerhin  ist  die 
ableitung  der  Ordinalzahlen  im  ganzen  die  strengste,  die  wir 
bisher  auf  unserm  boden  trafen,  und  bei  den  zusammengesetzten 
zahlworten  insbesondere  ist  einesteils  in  der  urzeit,  anderer- 


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KLASSENSITFFIXE 


559 


seits  in  späten  historischen  cpoehen  wol  überall  ein  princip 
der  ableitung  zu  ausschliesslicher  geltung  gelangt.  Die  bilduug 
von  Ordinalzahlen  ist  so  streng  obligatorisch  wie  die  von  no- 
minal- oder  verbalendungen;  die  einzige  ausnähme,  die  einzahl, 
innsste  sich  der  uniformierenden  regel  in  allen  indog.  sprachen 
fügen. 

Eine  ganze  reihe  weiterer  zahlworte  haben  im  schroffen 
gegensatz  hierzu  grosse  freiheit.    Wie  viele  zahlen  multipli- 
eativer  adverbien  mit  indog.  -s  oder  welche  ersatzmittel  dafür 
angewant  werden  (z.  b.  ahd.  -staut,  mhd.  -werbe,  nhd.  -mal),  das 
lässt  sieh  lediglieh  aus  der  praxis  erlernen;  erst  nhd.  ist  das 
suffiz  -mal  zu  der  regelmässigkeit  eines  flexivischen  ableitungs- 
mittels  gelangt,    Dasselbe  gilt  für  die  multiplicativen  adjectiva 
und  für  die  distributiva.    Bis  zur  vierzahl  scheint  indog.  die 
ableitungsform  einheitlich  und  die  ableitung  obligatorisch  ge- 
wesen zu  sein;  darüber  hinaus  beginnt  überall  ein  willkürliches 
schaffen  mit  den  mittein  der  Wortbildung.   Ja  sogar  für  die 
uralten  zahlabstracta  hat  das  mächtige  beispiel  der  zehnheit 
nicht  die  durchführung  eines  gleichen  suffixes  für  alle  zahlen 
durchsetzen  können;  obwol  immerhin  die  bildung  hier,  wie 
bei  den  ordinalicn,  der  regelmässigkeit  flexivischer  ablei  hingen 
sehr  nahe  kommt  —  freilich  immer  nur  für  die  einfachen 
zahlen.    Nie  hat  man  in  älteren  perioden  nach  dem  muster  der 
achtheit  etwa  eine  zauilfzahl  gebildet;  hier  erlahmte  das  von 
der  freiheit  der  Wortbildung  zu  der  strenge  der  flexion  fort- 
strebende suffix.  — 

Blicken  wir  zurück,  so  sehen  wir  in  der  Zählung  schon 
auf  germ.  boden  allein  fast  alle  möglichkeiten  vertreten,  die 
zwischen  den  beiden  extremen  liegen.    Immer  widerholten  sich 
aber  doch,  nur  in  verschiedenen  Schattierungen,  die  beiden 
kennzeichcn  unserer  suffixkategoric:  facultative  ableitungs- 
fähigkeit,  genau  bestimmte  bedeutung.    Beides  treffen  wir 
endlich  noch  in  einer  vierten  gruppe,  die  völlig  zur  Wort- 
bildung Überführt:  bei  der  modification.   Der  eigentümliche 
Charakter  dieser  gruppe  ist  nie  beachtet  worden,  so  dass  man 
die  hierher  gehörigen  büdungen  lediglich  unter  der  Wortbildung 
behandelt,  wie  die  comparatiou  unter  der  flexion.   Aber  unser 
kriterium,  die  genaue  bestimmbarkeit  der  bedeutung,  scheidet 
Jie  modification  von  anderen  Zusammensetzungen  mit  präfixen 


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560 


MEYER 


ab.  Wie  wir  nämlich  schon  bei  der  Zählung  präfix  neben 
suffix  trafen,  so  begegnet  uns  hier  das  präfix  ausschliesslich. 
Modifiz  ierende  präfixe  sind  nun  freilich  in  allen  indog.  sprachen 
massenhaft  vorhanden:  es  sind  die  an  das  verb  anwachsenden 
Partikeln,  vor  allem  die  prä Positionen.  Diesen  aber  mangelt 
die  genaue  bestimmbarkeit.  Verbinden  wir  dasselbe  präfix 
ver-  mit  sprechen  oder  mit  hauen,  so  gibt  es  dem  simplex  in 
versprechen  eine  ganz  andere  richtung  als  in  verlmum.  Nur 
allein  die  klassensuffixe  der  modification  verändern  den  sinn 
des  simplex  in  unzweideutiger  und  unwandelbarer  weise. 

Diese  präfixe  treten  vor  adjectiva  und  sind  durch  ihre 
gebundenheit  an  diese  bestimmte  Wortklasse  den  steigernden 
und  adverbbildenden  suf fixen  vergleichbar;  sie  sind  aber  erheh- 
lich  seltener  und  zum  teil  auch  absolut  selten.  Sie  stellen 
eine  uralte,  schon  indog.  composition  her  (Kluge  in  Pauls  Grundr. 
1,399),  die  aber  wenigstens  bei  der  wichtigsten  modification 
in  den  einzelsprachen  noch  sehr  stark  weiter  wuchert. 
Hierher  gehören 

a)  die  negation  mit  dem  indog.  suffix  n.  Sie  ist  sehr 
weit  verbreitet,  immerhin  doch  nicht  so,  dass  man  ohne  empi- 
rische feststellung  wissen  könnte,  welches  adjectiv  in  be- 
stimmten sprachen  und  perioden  das  negierende  präfix  an- 
nimmt. Selbst  heut,  wo  wir  es  sogar  auf  substantiva  in  masse 
anwenden  (unkunst),  gibt  es  fälle,  in  denen  es  sprachwidrig 
bleibt:  wir  können  unkräftig  (von  unkraft)  sagen,  nicht  unstark. 
nicht  unuuehtig  u.s.  w.  Nicht  einmal  das  kriterium  genügt, 
die  negation  trete  an  das  adjectiv  nur  da,  wo  kein  wider- 
sprechendes adjectiv  sie  erspart:  wir  bilden  neben  leicht 
unschwer,  neben  verstimmt  oder  traurig  —  unfroh,  aber  nicht 
neben  arm  ein  unreich,  neben  dünn  ein  undick,  obwol  es  un- 
dicht gibt,  u.s.w. 

b)  Die  minderung  mit  dem  indog.  präfix  das-.  Ich  wähle 
die  benennung  'minderung',  weil  dies  für  den  späteren  gebrauch 
die  häufigste  bedeutung  ist;  ursprünglich  aber  liegt  in  dem 
präfix  lediglich  eine  färbung  des  simplex,  der  zusatz  'in  nialam 
partem'.  So  got.  tuz-verjan  -schwergläubig  sein',  eig.  'sich 
im  Übeln  sinn  mit  dem  gewissen,  mit  dem  sicheren  zu  tun 
machen';  oder  gr.  öv^xkt/^  'der  einen  namen  hat,  aber  einen 
schlechten'.    Später  nimmt  allerdings  diese  bedeutung  ver- 


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KLASSENSUFFIXE. 


501 


schiedene  nuancen  —  meist  eben  die  der  minderling  —  an; 
aber  in  indog.  zeit,  für  die  allerdings  ein  so  breiter  gebrauch 
wie  gr.  ind.  nicht  vorausgesetzt  werden  darf,  scheint  die  be- 
deutung  völlig  fest  und  unzweideutig. 

c)  Die  Verstärkung  mit  dem  indog.  präfiz  su-,  germ. 
(ausser  in  Su-gamlm)  geschwunden,  einsetzt  durch  das  verwante 
sri-  in  got.  sic/kunps  u.a.;  aber  auch  durch  andere  präfixe 
wie  in  ahd.  bora-lang,  filu-tcis;  wie  das  vorige  gr.  und  ind. 
besonders  beliebt.  Ursprünglich  waren  beides  vielleicht  halb- 
religiöse, liturgische  begleitworte:  'es  sei  mit  gutem  omen  ge- 
sagt', 'es  sei  zu  seiner  schände  gesagt',  und  die  starke  Ver- 
wendung mag  mit  besonderen  abergläubischen  gewohnheiten 
jener  beiden  Völker  zusammenhängen. 

d)  Die  klage  mit  dem  urgerm.  präfix  in-  wie  in  alt  resall, 
der  'minderung'  nahe  verwant,  nur  mit  klagender  färbung  statt 
der  tadelnden. 

In  all  diesen  fällen  der  modification,  denen  möglicherweise 
noch  einige  andere  beizugesellen  sind,  verleiht  das  präfix  dem 
simplex  eine  ganz  bestimmte  unzweideutige  färbung.  1  )ass  das 
gleiche  in  der  urzeit  mit  den  untrennbaren  Partikeln  der  fall 
war,  ist  unwahrscheinlich:  diese  präfixe,  überhaupt  lediglich 
zur  näheren  bestimmung  des  verbs  verwant,  mussten  wol  von 
anfang  an  vielerlei  begriff snuancen  darbieten.  Unsere  modi- 
fizierenden klassensuffixe  dagegen  verdanken  ihre  ursprüngliche 
unzweideutigkeit  ihrer  alten  syntaktischen  Selbständigkeit: 
Partikeln  der  Verneinung,  des  euphemismus  und  schlimmen 
auguriums,  der  klage  sind  nur  einer  deutung  fähig,  ob  sie  nun 
lose  im  satz  oder  proklitisch  beim  adjectiv  stehen. 

Es  fällt  auch  ohne  weiteres  ins  auge,  wie  nahe  diese 
modificationssuffixe  andern  klassen  derselben  kategorie  benach- 
bart sind.  Die  Verstärkung  steht  den  steigerungsgraden  sehr 
nahe,  vor  allem  dem  elativisch  gebrauchten  Superlativ  (homo 
optimus  'ein  sehr  guter  mann');  die  minderung  und  die  nega- 
tion  aber  bilden  gleichsam  als  absteigende  stufen  zu  den  auf- 
steigenden stufen  der  comparation  ein  selteneres  gegenstück. 
Wird  ja  doch  auch  der  wirkliche  comparativ  mindernd  ge- 
braucht: eine  ältere  frau  ist  nicht  so  alt  wie  eine  alte  frau 
(der  comparativ  bedeutet  dann  eben  nur  entfernung  vom  po- 
sitiv und  älter  kann  so  gut  'nicht  so  gut'  als  'in  höherem 


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562 


MEYER 


grade  alt'  bedeuten,  gerade  wie  dasselbe  wort  lat.  altus  'hoch' 
und  'tief  oder  dieselbe  composition  'gestern'  und  'morgen' 
heissen  kann). 

Wir  glauben  somit  nachgewiesen  zu  haben,  dass  von  der 
flexion  zur  Wortbildung  zahlreiche  Übergangsformen  überleiten 
und  dass  unter  diesen  insbesondere  eine  grosse  kategorie  deut- 
lich charakteristisch  ist:  die  der  klassensuffixe.  Ihre  gemein- 
schaftliche eigenheit  ist,  wie  wir  widerholt  hervorhoben,  dass 
sie  die  facultative  bildung  mit  den  wortbildenden,  die  unzwei- 
deutige bestimmung  mit  den  flexivischen  suffixen  teilen.  Auf 
der  letzteren  eigenschaft  beruht  es,  dass  sie  'klassenbildend' 
wirken:  jedes  suffix  der  comparation,  der  adverbialbildung. 
der  Zählung,  der  moditication  stellt  die  neue  bildung  in  klarer 
weise  mit  allen  anderen  steigerungsgraden,  adverbien,  zahl- 
worten,  negierten  u.s.w.  adjectiven  auf  dieselbe  stufe.  Dies 
ist  mit  anderen  suffixen  nicht  der  fall,  welche  sich  von  der 
freien  Wortbildung  her  unserer  kategorie  nähern.  Allerdings 
zeigen  wol  alle  sprachen  die  neigung.  bestimmte  suffixe  (be- 
sonders für  appellativa)  einem  speciellen  gebrauch  zuzueignen ; 
so  hat  Kluge  in  seiner  Stammbildungslehre  in  dankenswerter 
weise  ableitungsmittel  für  baumnamen,  färben,  körperteile, 
krankheiten,  münznamen,  vogel-  und  völkernamen,  sogar  für 
korbbenennungen  zusammengestellt.  Diese  fälle  sind  sehr 
bedeutsam,  weil  sie  einen  wichtigen  beleg  mehr  für  die  be- 
ständige Strömung  von  der  Willkür  der  Wortbildung  zu  der 
strenge  der  flexion  geben;  aber  die  bedeutungsfestigkeit 
unserer  klassensuffixe  wird  überall  nur  eben  angestrebt,  nicht 
erreicht.  Nicht  einmal  die  patronymica  und  die  diminutiva 
zwei  eng  verwante  gruppen  —  haben  es  zu  dieser  ge- 
nauigkeit  in  der  modification  der  simplicia  gebracht  ;  die  grund- 
bedeutung  ist  zwar  überall  die  eines  kleineren  von  einem 
grösseren  abgelösten  gliedes  —  das  kind  wird  als  teil  des 
vaters  aufgefasst  — ,  aber  diese  grundbedeutung  schimmert 
doch  in  so  viel  nuancen,  dass  die  nötige  unzweideutigkeit 
nicht  erreicht  wird.  Man  beachte  aber,  wie  auch  hier  dieselben 
modiflcationen  widerkehren:  das  diminutiv  steht  zu  seinem  Sim- 
plex wie  das  geminderte  adjectiv  zu  dem  seinen,  und  viele 
sprachen  besitzen  ja  auch  für  substantiva  entsprechende  ver- 
grösser ungssuf fixe:  it.  brigantonc  ist  der  comparativ  zu  briyante. 


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Sogar  in  unserer  uniformierenden  epocbe  liaben  die  pro- 
ductiven  suffixe  keine  völlige  bedeutungsfest  igkeit  erlangt. 
Unser  -erei  wird  fast  nur  in  tadelndem  sinne  gebraucht  und 
modificiert  den  sinn  der  abgeleiteten  worte  also  ähnlich  wie 
indog.  dus-;  aber  das  junge  büeherei  steht  zu  biicher  in  ganz 
anderem  Verhältnis  als  etwa  hinderet  zu  kimler.  Dabei  hat  es 
aber  auch  nicht  den  sinn  der  älteren  suffixcombination  -er,  -ei: 
bücJwrei  ist  nicht  wie  bächerei  der  ort  wo  gebucht  wird,  sondern 
der  wo  viele  bücher  stehen  (nach  dem  älteren  gebrauch  würde 
allerdings  büeherei  zu  got.  böhareis  gehören  und  besser  zur 
Verdeutschung  von  'bureaif  und  'comptoir',  als  zum  ersatz  für 
'bibliothek'  dienen).  Freilich  liegt  bei  diesem  nicht  eben  glück- 
lichen neologismus  eine  'gelehrte'  neubildung  vor;  deren  blosse 
möglichkeit  beweist  aber,  wie  entfernt  unsere  wortbildenden 
suffixe  auch  heute  noch  von  der  unzweideutigkeit  der  endungen 
und  der  klassensuffixe  bleiben. 

Ich  gebe  gleiehwol  nochmals  die  möglichkeit  zu,  dass  den 
vier  hier  aufgestellten  gruppen  von  klassensuffixen  sich  weitere 
zur  seile  stellen  lassen.  Sie  würden  ja  unsere  behauptung  von 
dem  fliessenden  Übergang  zwischen  flexion  und  Wortbildung 
auch  nur  noch  weiter  erhärten.  Dass  aber  etwa  alle  wort- 
bildenden suffixe  an  diesen  eigenheiten  teil  hätten  oder  auch 
nur  eine  verhältnismässig  grosse  anzahl,  wird  nach  Pauls  aus- 
einandersetzungen  weniger  noch  als  sonst  behauptet  werden 
können. 

Praktisch  wird  man  deshalb  doch  am  besten  fortfahren, 
die  suffixe  wie  bisher  anzuordnen,  insbesondere  also  die  Stei- 
gerung bei  der  adjectivflexion,  die  modification  bei  der  Wort- 
bildung zu  behandeln.  Theoretisch  aber  ist  es  für  die  be- 
urteilung  der  Wechselbeziehungen  zwischen  form  und  sinn, 
inorphologie  und  bedeutungslehre  von  grosser  Wichtigkeit, 
diese  Übergangsformen  auf  der  lüde  von  flexion  zu  Wort- 
bildung in  ihrer  eigenart  zu  würdigen. 

BERLIN,  9.  juni  1897.  RICHARD  M.  MEYER. 


AN.  GABBA,  AGS.  GABBJAN. 


Zu  den  an.  und  ags.  belegen  dieser  Wortsippe,  die  Uhlen- 
beck,  Beitr.  22,  108  besprochen  hat,  kommen,  wie  ich  Beitr. 
20,47  wahrscheinlich  gemacht  zu  haben  glaube,  auch  ober- 
deutsche, nämlich  gaffel  '  plaudert  asche',  gaff  ein  'schwätzen*. 
gefele  'klappermaul,  vorlauter  mund';  ferner  noch  engl,  iogdbble 
'schwatzen',  nl.  gabbercn  'spotten'  (Franck,  Et.  wb.  s.  v.),  afries. 
gabbia  'verklagen,  peinlich  verfolgen'  (v.  Richthofen,  Afries.  wb. 
s.  v.).  und  die  romanischen  entlehnungen  it.  gabbo  'scherz,  scherz- 
rede', verb.  gabbare,  afrz.  gab,  gaber  u.s.  w.  In  der  bedeutung 
kommen  hauptsächlich  zwei  nuancen  zurgeltung:  1. 'schwätzen' 
(in  ags.  gaf,  gegafsprcee,  engl,  to  gabble,  obd.  gaffel,  gaff  ein.  ge- 
fele\  2.  'verspotten,  höhnen'  (in  an.  gabb,  gabixt,  ags.  gabbian. 
gabbung,  gaffettan.  gaffctung,  nl.  gabberen).  Anknüpfungspunkte 
dieser  Wortsippe  an  andere  indog.  bez.  germ.  Wörter  sind  noch 
nicht  gefunden.  Ich  glaube,  dass  hier  ursprünglich  eine  schall- 
nachahmende wurzel  vorliegt.  Es  gibt  im  germ.  zwillings- 
wurzeln  onomatopoetischen  Ursprungs,  die  einerseits  mit  labialen, 
andererseits  mit  gutturalen  consonanten  schliessen  (Variationen 
mit  anderen  schlussconsonanten  kommen  für  den  vorliegenden 
deutungsversuch  nicht  in  betracht).  Beispiele:  knacken,  knacksen; 
der  knack,  der  knacks;  schallwort  knack,  knacks,  engl,  knack. 
isl.  knakkr  u.  a.  (DWb.  5, 1327  ff.  Kluge,  Et,  wb.  unter  knacken) 
gegenüber  knappen,  knapsen,  schallwort  knapp,  knaps,  engl. 
to  hnap,  schwed.  knäppa,  dän.  kneppe  u.a.  (DWb.  5, 1338  ff.); 
— -  klaeken.  klotzen,  klatschen  (—  kluckczen);  der  klack,  der 
klacks;  schallwort  klack,  klacks  (DWb.  5,  880  ff.)  gegenüber 
klaffen,  klapfcn,  klappen,  klappern;  der  klapf,  der  klapp,  schall- 
wort klapp  (DWb.  5,  802  ff.  Franck,  Et,  wb  unter  Map);  -  -  ahd. 
kloekön  gegenüber  klopfon  'klopfen'  (Kluge  unter  klopfen);  — 
blecken  'blöken'  gegenüber  blaffen  'bellen',  blappcrn  'plappern' 


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an.  GABBA  u.s.w. 


505 


(DWh  2, 60. 88  und  7, 1890  f.  Wackernagel,  Voces  variae  animan- 
tium  s.  02. 66.  93  f.  Kluge  unter  plappern);  mhd.  ruckezm  'gurren, 
girren'  gegenüber  roffczen  'rülpsen'  (Waekernagel  s.  59.  70. 81  f. 
DWb.  8, 1375. 1109).  Auch  im  indog.  wurzelschatz  sind  solche 
Variationen  reichlich  zu  belegen,  wofür  viele  beispiele  beiPersson, 
Studien  zur  lehre  von  der  Wurzelerweiterung  an  verschiedenen 
orten. 

In  derselben  weise  steht  neben  der  onomatopoetischen  sippe 
von  obd.  gacken,  gaken,  gackern  (DWb.  4, 1, 1127  ff.  Kluge  unter 
gackern)  mit  schliessendem  guttural  die  gruppe  gabba  u.s.w. 
mit  schliessendem  labial.  Hinsichtlich  ihrer  lautlichen  form 
können  also  gacken  und  gabba  in  etymologischen  Zusammenhang 
gebracht  werden.  Auch  begrifflich  finden  sich  bei  beiden 
gruppen  Übereinstimmungen : 

Im  an.  bedeutet  nach  Oleasby-Vigfusson  gagg  'geheul  des 
fuchses',  gagga  'heulen  wie  ein  fuchs'  und  'über  einen  spotten', 
gagarr  'hund';  nach  Fritzner  l2,  536  gaga  'spotten,  sich  lustig 
machen',  und  daselbst  ist  auf  den  nämlichen  bedeutungswandel 
von  der  naturlautbezeichnung  des  hundes  zu  dem  übertragenen 
sinne  'verspotten,  verhöhnen'  in  gegja  'bellen'  und  'verspotten', 
goögd  'gotteslästerung'  hingewiesen.  Vgl.  auch  deutsch  klaffen 
'bellen,  vom  hund',  dann  'schwätzen',  und  kläffein  'von  hohn- 
reden und  fopperei'  (DWb.  5, 894. 898). 

Ks  ist  also  in  bezug  auf  den  wortinhalt  bei  den  beiden 
gruppen  gabba  und  gaden  die  nämliche  bedeutungsvcrschiebung 
anzutreffen  ('schwatzen'  —  'verspotten'),  es  ist  ferner  bezüg- 
lich der  lautlichen  form  oben  durch  die  paare  knacken  —  knuffen 
u.  s.  w.  nachgewiesen  worden,  dass  onomatopoetische  wurzeln 
mit  schliessendem  guttural  und  labial  parallel  gehen:  so  wird 
man  auch  für  gabba,  wie  für  gacken,  schallnachahmenden  Ur- 
sprung annehmen  und  beide  gruppen  als  etymologisch  zusammen- 
gehörig betrachten  dürfen.  Jedoch  ist  zu  bemerken,  dass  die 
gruppe  gacken  vielfache  berührung  mit  einer  anderen,  lautlich 
zum  teil  gleichen,  etymologisch  aber  gesonderten  gruppe  hat, 
nämlich  mit  gagein  'sich  närrisch  benehmen',  DWb.  4, 1, 1124  ff., 
(fackelicht  'närrisch',  schwäb.  gagg  'einfaltspinsel',  steir.  gaek 
'tölpel',  ebda.  sp.  1128,  ferner  mit  geck,  mhd.  giege  u.  a.  (Kluge 
unter  'geck',  'gaukler'.  DWb.  4, 1, 1914  ff.).  Von  diesen  Wörtern 
aus  können  unbewusste  einwirkungen  durch  ideenassociation 

Beitrage  zur  geaobichte  der  denticheu  spräche.   XX1L  37 


56(3  EHRISMANN,  AN.  OABBA  U.8.W. 

auf  die  ausbildung  des  begriff  es  von  '  spotten'  -  -  'zum  narren 
haben'  bei  dem  ersten  (jachen  u.s.w.  und  dann  bei  gäbba  u.s.  w. 
ausgeübt  worden  sein. 

Die  etymologie  von  gabba  bei  Fiek,  Vergl.  wb.  3»  101  und 
demnach  Zusammenhang  mit  mhd.  gampel  ist  lautlich  unmög- 
lich. Auch  entlehnung  der  germanischen  Wörter  aus  dem  kel- 
tischen (vgl.  Diefenbach,  Vergl.  wb.  1.  169  f.;  ir.  gop  'mund. 
Schnabel,  schnauze',  Stokes,  ürkelt.  Sprachschatz  s.  114)  ist 
ausgeschlossen,  doch  kann  in  gewissen  gegenden  gegenseitige 
beeinflussung  beider  sprachen  stattgefunden  haben.  Umgekehrt 
sind  die  lit.  gabldti  'necken',  gahlifs  'neckcr',  poln.  gabac  'reizen, 
necken'  (Zupitza,  Die  germ.  gutturale  s.  170)  wol  aus  dem  genn. 
entlehnt. 

Im  afries.  ist  gabbia  zu  einem  ausdruck  der  rechtssprache 
geworden  —  'verklagen,  peinlich  verfolgen'.  Dieselbe  juris- 
tische Verwendung  findet  der  begriff  'höhnen'  in  afries.  hdna 
'kläger.  verklagter',  hanethc  'anklage;  mnd.  hon  'höhn,  rechts- 
kränkung'  (vgl.  van  Helten.  Altostfries,  gramm.  §  23a). 

HEIDELBEKG.  G.  EHRLSMANN. 


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ZUM  TODESJAHR  WULFILAS. 


In  den  randbemerkungen  zu  den  acten  des  concils  von 
Aquileia  (3.  September  381),  die  uns  in  der  hs.  Lat.  5809  der 
nationalbibliothek  zu  Paris  überliefert  sind,  heisst  es  bekannt- 
lich gegen  schluss:  unde  et  cum  sancto  Hulfila  eeterisque  con- 
sortibus  ad  alium  eomitatum  Constantinopolim  venissent  ibique 
etiam  et  imperatores  adissent  adque  ein  })romissum  fnisset  con- 
cilium,  ut  sanctus  Auxentius  exposuit,  agnita  promissione  prefati 
prepositi  heretici  otnnibus  viribus  institerunt,  ut  lex  datetur 
quae  concilium  prohiberet  sed  nec  privatim  in  domo  nec  in 
publica  vel  in  quolibet  loco  disputatio  de  fide  haberetur.  statt 
fextus  indicat  legis.   Hieran  schliesst  sich  der  Wortlaut  zweier 
gesetze,  deren  erstes  aus  dem  jähre  388  stammt  (vgl.  Codex 
Theodosianus  16, 4, 2),  während  das  zweite  dem  jähre  386  an- 
gehört (Cod.  Theod.  16,  4, 1). 

Dass  diese  angaben  auf  einem  irrtum  des  Schreibers  be- 
ruhen, hat  Bessell,  Ueber  das  leben  des  Ulfilas  s.  17  ff.  zur 
evidenz  nachgewiesen.    Er  selber  sucht  mit  nicht  geringem 
Scharfsinn  darzutun,  dass  es  sich  um  den  erlass  vom  10.  januar 
381  handle  (vgl.  Cod.  Theod.  16,5,6).    Seine  annähme  hat 
allgemeine  Zustimmung  gefunden.    Der  glaube  daran  ist  selbst 
dann  nicht  erschüttert  worden,  als  Sievers  in  Pauls  Grundr. 
2, 1,  68  und  in  diesen  Beitr.  20, 302  ff.  den  zwingenden  beweis 
führte,  dass  Wulfila  im  jähre  383,  nicht,  wie  man  bisher  an- 
zunehmen pflegte,  schon  im  jähre  381  gestorben  sei.  Freilich 
war  durch  diese  Verschiebung  des  todesjahres  der  Zusammen- 
hang zwischen  jenem  erlass  und  dem  concil,  auf  dem  Wulfila 
gestorben  ist.  unmöglich  geworden.    Aber  Sievers  wusste  eine 
neue  beziehung  herzustellen,  indem  er  von  der  berufung  Wul- 
filas  zum  concil  des  jahres  383  eine  bittreise  trennte,  die  er 
im  winter  38o  81  gemeinsam  mit  den  illyrischen  bischöfen 

37* 


508 


STREIT  BERG 


Palladius  und  Secundianus  nach  Constantinopel  unternommen 
habe,  um  vom  kaiser  ein  concil  zu  erlangen.  Dem  gesuch 
der  bittsteiler  sei  anfänglich  zwar  entsprochen  worden,  aber 
den  Umtrieben  der  orthodoxen  partei  sei  es  gelungen,  das 
verheissene  concil  zu  vereiteln  und  obendrein  noch  das  edict 
vom  10.  januar  381  durchzusetzen. 

In  ein  neues  Stadium  trat  die  frage  durch  den  aufsatz 
von  Jost  es,  Beitr.  22,  158  ff.  Dieser  erbrachte  den,  wie  mir 
mir  scheint,  überzeugenden  nachweis,  dass  die  bittreise  mit 
der  berufungsreise  identisch  sein  müsse.  Denn  es  handle  sich 
in  den  Worten  unde  et  cum  sancto  Htdfila  etc.,  wie  schon  die 
grammatische  construction  zeige,  gar  nicht  um  eine  action 
Wulfilas,  sondern  um  einen  recurs  der  vom  concil  zu  Aquileia 
verurteilten  bischöfe  Palladius  und  Secundianus  bei  Theodosius. 
Nur  bei  dieser  auffassung  seien  die  worte  ad  alt  um  comitatum 
verständlich;  denn  Palladius  habe  vor  dem  concil  schon  eine 
audienz  bei  Gratian  gehabt. 

Da  nun  aber  das  concil  von  Aquileia  erst  am  3.  September 
381  stattgefunden  hat,  ist  es  unmöglich,  dass  die  durch  seine 
entscheidung  veranlasste  bittreise  des  Palladius  und  Secundianus 
schon  in  den  winter  380/81  falle;  damit  ist  aber  zugleich  auch 
die  Unmöglichkeit  dargetan,  dass  ein  kaiserlicher  erlass,  den 
jene  randbemerkungen  unmittelbar  an  die  bittreise  der  beiden 
illyrischen  bischöfe  anknüpfen,  mit  dem  edict  vom  10.  januar 
381  identisch  sein  könne. 

Für  jeden,  der  die  bewcisführung  von  Jostes  anerkennt 
(und  ich  wüsste  nichts,  was  man  gegen  sie  einwenden  könnte), 
erliebt  sieh  nun  von  neuem  die  frage,  die  man  seit  Bessell 
endgiltig  erledigt  wähnte:  auf  welches  kaiserliche  edict  können 
sich  die  andeutungen  der  randbemerkungen  beziehen?  Ich 
glaube,  dass  sich  hierauf  eine  völlig  befriedigende  antwort 
geben  lässt. 

Ks  existieren  nämlich  aus  dem  jähre  383  zwei  kaiserliche 
erlasse,  die  aufs  genaueste  der  kurzen  inhaltsangabe  entsprechen, 
wie  sie  uns  in  den  randbemerkungen  überliefert  ist.  Dabei 
muss  natürlich  beachtet  werden,  dass  wir  nicht  erwarten 
dürfen  den  satz  ut  lex  darvtur  quac  concilium  prohiberet 
durch  ein  edict  irgendwie  bestätigt  zu  finden:  warum  dies 
nicht  der  fall  sein  kann,  hat  Sievers,  Beitr.  20,  307  f.  aufs 


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ZUM  TODESJAHR  WULFILA& 


560 


treffendste  ausgeführt.  Es  wird  sich  daher  lediglich  um  die 
fortsetzung:  nec  privatim  in  domo  nec  in  jmblico  vcl  in  quolibet 
loco  disputatio  de  fide  haberetur  handeln  müssen. 

Die  beiden  edicte  sind  an  den  praef.  praet.  Postumianus 
gerichtet;  das  erste  ist  vom  25.  juli,  das  zweite  vom  3.  Sep- 
tember 383  datiert. 

Ihr  Wortlaut  ist  folgender: 

1)  Omnes  omnino,  quoscttnquc  diversarum  haeresum  error 
exagitat,  id  est  Ennomiani,  Ariani,  Macedoniani,  Pncumato- 
machi,  Manichaei,  Encratitae,  Apotactitae,  Saccophori,  Hydro- 
parastatae,  nullis  circulis  coeant,  nttllam  colligant  multitudinem, 
nulluni  ad  se  populum  trahant,  nec  ad  imaginem  ecclesiartim 
parietes  privatos  ostendant,  nihil  vel  jwblice  rel  privatim,  quod 
catholicae  sanctitati  officere  possit,  exerceant.    Ac  si  qui  exsti- 
terit  qui  tarn  evidenter  vetita  transscendat,  permissa  omnibus 
factdtate,  quos  rectae  observantiae  cultus  et  pulchritudo  delectat, 
communi  omnium  bonorum  conspiratione  pellatur.    Dat.  VIII. 
Kai.  Aug.  Constantinopoli,  Merobaude  II.  et  Saturnino  Coss. 
(Cod.  Theod.  16,  5,11). 

2)  Vitiorum  institutio  deo  atque  hominibus  exosa,  Euno- 
miana  scilicet,  Ariana,  Macedoniana,  Apollinariana  ceterarumque 
scctarum,  quas  verae  religio» is  venerabili  ctdtu  catholicae  ob- 
servantiae fides  sincera  condemnat,  neque  publicis,  neque  privatis 
aditionibtts  intra  urbium,  atque  agrorum  ac  villarum  loca  aut 
colligcndarum  congregationum  aut  constituendarum  ecclesiarum 
copiam  pracsumat,  nec  celebritatcm  perfidiac  suac  vcl  solcnni- 
tatcm  dirae  communionis  cxerccat,  neque  ullas  crcaudorum 
sttccrdotum  usurpct  atque  habeat  ordinationcs.  Eacdcm  quoquc 
domus,  scu  in  urbibus  seu  in  quibuscunquc  locis  passim  turbac 
professorum  ac  ministrorum  talium  colligcntur,  fisci  nostri 
domitlio  iuriquc  subdantur,  ita  ut  lit,  qui  vcl  doctrinam  vcl 
mysteria  convcntionum  talium  cxerccre  consucvcrunt,  perquisiti 
ib  omnibus  urbibus  ac  locis  propositac  legis  vigorc  constricti 
xpellantur  a  coctifms,  et  ad  proprio*,  undc  oriundi  sunt, 
\erra8  redire  iuheantur,  nc  quis  corum  aut  commeandi  ad 
fuaelibet  dUa  loca  aut  evagandi  ad  urbes  habeat  potestatem. 
\hiod  si  negligentius  ea,  quac  serenitas  nostra  constituit,  im- 
»lenntnr.  et  officia  provincialium  iudicum  et  principales  urbium, 
n   quibus  coitio   vetitae  congregationis  reperta  monstrabitur, 


570  STREITBKR«.  ZUM  TODKSJAHR  WULFTLAS. 


sententiae  damnationique  subdantur.  Dat.  III.  Noh.  Sepi. 
Constantinopoli,  Merobaude  II.  et  Saturnino  Coss.  (Cod.  Theod. 
10,  5, 12). 

Dieses  zweite  edict  bezeichnet  zweifellos  das  ende  des 
Constantinopeler  eoneils,  dessen  unmittelbare  folge  es  nach 
Sozonienos  7,  12  gewesen  ist.  Der  umstand,  da.ss  die  Apollina- 
risten zum  erstenmal  in  diesem  gesetz  unter  den  irrlehrern 
genannt  werden,  sowie  die  bestimmung,  dass  die  lehrer  und 
priester  der  Häretiker  ausserhalb  ihrer  heimat  weder  umher- 
schweifen noch  ihr  amt  ausüben  dürfen,  deutet  darauf  hin. 
dass  der  erlass  der  anregung  Gregors  von  Xazianz  seine  ent- 
stehung  verdankt;  denn  dieser  hat  in  seinem  125.  briefe  an 
den  Statthalter  Olympios  von  Kappadokien  diese  beiden  punkte 
berührt. 

Welches  der  beiden  gesetze  die  lex  sei,  die  der  Schreiber 
der  randnotiz  im  auge  gehabt  hat,  lässt  sich  natürlich  nicht 
bestimmen;  aus  dem  umstand,  dass  trotz  des  Singulars  Ux 
nachher  zwei  erlasse  (wrenn  auch  durch  versehen  nicht  die 
richtigen)  angeführt  werden,  darf  man  vielleicht  schliessea 
dass  dem  Schreiber  die  beiden  edicte  vom  jähre  383  vor- 
schwebten. 

Es  braucht  wol  nicht  besonders  hervorgehoben  zu  werden, 
dass  durch  den  nachweis  dieser  beiden  erlasse  die  Sievers'sche 
datierung  von  Wulfilas  todesjahr  aufs  neue  glänzend  bestä- 
tigt wird. 

FREIBVRCj  (Schweiz).      WILHELM  STREITBERG. 


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ANTWORT  AUF  DEN  AUFSATZ  KAUFFMAXNS 
'DER  ARRIANISMUS  DES  WULFILA \ 


Im  neuesten  hefte  der  Zs.  fdph.  (MO.  93  ff.)  wendet  sicli  Kauff- 
mann  scharf  gegen  meine  oben  158  ff.  mitgeteilten  ansiebten 
über  die  Stellung  des  Ulfilas  zu  den  kirchlichen  parteien  seiner 
zeit.  Wenn  er  glaubt,  meine  arbeit  leide  an  'Unklarheit  und 
Unbestimmtheit',  so  mag  er  recht  haben:  unrecht  ist  es  aber, 
diesen  Vorwurf  gegen  die  meinige  allein  zu  erheben:  er  trifft 
alle  anderen  über  denselben  gegenständ  ebenso  und  vielleicht 
noch  mehr  —  seine  eigene  nicht  ausgenommen.  Es  liegt  das 
nicht  so  sehr  an  den  Verfassern  als  an  den  verworrenen  Ver- 
hältnissen des  4.  jh.'s.  dessen  männer  sich  mit  ihren  ansichten 
und  empfindungen  nicht  so  leichter  band  in  bestimmte  rubriken 
glatt  unterbringen  lassen:  wer  das  zu  können  vermeint,  ist 
sicher  von  der  Wahrheit  am  weitesten  entfernt  Wenn  aber 
K.  den  titel  meiner  arbeit  etwas  mehr  beachtet  hätte,  dann 
wäre  es  nicht  so  schwer  gewesen,  einen  richtigeren  Standpunkt 
für  die  beurteilung  derselben  zu  gewinnen,  von  dem  aus  ihm 
lie  dinge  vielleicht  auch  weniger  unklar  und  verschwommen 
^schienen  wären.  Denn  der  titel  drückt  es  deutlich  genug 
uis,  dass  es  sich  für  mich  zunächst  und  vor  allem  um  die 
>estimmung  der  zeit  handelte,  zu  welcher  die  Goten  den 
irianismus  angenommen  haben,  und  erst  in  zweiter  linie  um 
lie  kirchliche  Stellung  des  Ulfilas.  reber  diese  lässt  sich 
ii.  e.  niemals  einige  Sicherheit  gewinnen,  ohne  dass  der  über- 
ritt der  Goten  zum  arianismus  zeitlich  festgelegt  ist.  AVenn 
leiner  arbeit  überhaupt  irgendwelche  bedeutung  zukommt, 
ann  ist  sie  darin  zu  erblicken,  dass  sie  die  zeitgenössischen 
achrichten  über  das  kirchentum  der  Goten  mehr  in  ihrer 
edeutung  würdigte  als  das  bisher  geschehen  war.  Und  hier 
rade  wird  jede  weitere  fördernde  arbeit  über  den  gegenständ 


572 


JOSTBS 


einzusetzen  haben:  ich  werde  solche  freudig  begrüssen,  mag 
ich  nun  recht  behalten  oder  nicht.  Kauffmann  aber  setzt 
sich  grade  über  diesen  punkt  leichten  fusses  hinweg,  vertieft 
sich  dafür  um  so  mehr  in  die  schwierigsten  theologischen 
Probleme,  von  denen  er  —  trotz  der  weisen  belehrungen,  die 
er  mir  zu  teil  werden  lässt  —  doch  nicht  viel  mehr  versteht 
als  ich  —  und  das  ist  bei  weitem  nicht  genug.  Wenn  ich  dem 
'testamentunr  des  Ulfilas  das  symbolum  des  Basilius  gegen- 
über stellte,  so  hatte  das  lediglich  einen  negativen  zweck, 
nämlich  zu  zeigen,  dass  man  aus  dem  stücke  viel  zu  viel 
wesens  gemacht  habe. 

Kauffmann  gibt  sich  hinsichtlich  der  brauchbarkeit  seines 
dogmatischen  materials  ganz  gewaltigen  illusionen  hin:  das 
wird  nächstens  auch  den  auf  diesem  gebiete  nicht  bewanderten 
klar  genug  werden,  wenn  er  nämlich  den  versprochenen  beweis 
für  den  wultilanischen  bez.  gotischen  Ursprung  des  Opus  im- 
perfectum  antritt.  Er  setzt  ihn  indes  jetzt  schon  als  aus- 
gemacht voraus  und  zieht  ihn  sogar  hier  in  die  beweisfuhrung 
hinein,  indem  er  schreibt:  'ich  darf  wol  behaupten,  dass  durch 
meine  entdeckung  eines  gotischen,  vermutlich  von  Wulfila 
stammenden  Matthäiiscommentars  (vgl.  beilage  zur  Allg.  zeit. 
1897  no.  44)  die  ganze  Streitfrage  —  namentlich  auch  mit 
bezug  auf  die  ausführungen  von  .Tostes  auf  s.  182.  188  seiner 
arbeit  —  erledigt  ist'.  (!)  Diese  petitio  principii  muss  erst  zu 
etwas  anderm  werden,  d.  h.  K.  muss  seine  beweise  für  die  — 
übrigens  schon  bejahrte  und  keineswegs  von  K.  entdeckte  — 
hypothese  vorgebracht  haben,  bevor  ihm  zu  antworten  ist. 
Grade  an  dieser  seiner  entdeckung  wird  sich  zeigen  lassen, 
wie  es  mit  der  Solidität  seiner  ganzen  beweisfuhrung  steht. 

K.  hält  sich  keineswegs  immer  zur  sache,  und  bisweilen 
scheint  es  sogar,  als  setze  er  bei  mir  motive  voraus,  die  ausser- 
halb der  grenzen  wissenschaftlicher  forschung  liegen:  das  wäre 
weder  schön  noch  recht!  Ich  führe  hier  nur  ein  beispiel  an: 
'ich  möchte  gern  wissen',  schreibt  K.  s.  102,  'weshalb  Jostes 
diesen  satz  [in  dem  symbolum  des  Basilius  ( :  öt?  Iv  aQxh  »/»' 
jiqo^  ror  &tov)\  ausgelassen  hat,  Mit  dem  Wortlaut  des  wul- 
filanischen  formulars  (deum  solum  unujenitum)  ist  er  jeden- 
falls (!)  nicht  in  einklang  zu  bringen'.  Was  ich  damals  in 
jedem  speciellen  falle  gedacht  habe,  weiss  ich  nicht  mehr:  im 


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ANTWORT 


573 


allgemeinen  habe  ich  mit  den  Streichungen  nur  bezweckt,  die 
entsprechenden  Sätze  der  beiden  symbola  sicli  örtlich  möglichst 
gegenüber  zu  stellen,  und  nichts  anderes.  Nicht  für  mich  ist 
die  auslassung  charakteristisch,  wol  aber  für  Kauffmann  der 
anstoss  den  er  an  ihr  nimmt,  und  zwar  sehr  charakteristisch: 
denn  er  beweist,  dass  er  sich  ohne  hinreichende  kenntnis. 
selbst  in  den  elementarsten  dingen,  an  die  lösung  der  schwie- 
rigsten aufgaben  macht:  die  ausgelassenen  worte  sind  nämlich 
aus  dem  evangelium  des  Johannes  1, 2  genommen.  Sapienti  sat  ! 

Weiteres  werde  ich  vielleicht  antworten,  sobald  Kauffmann 
das  Opus  imperfectum  dem  Germanentum  wissenschaftlich  zu- 
zuweisen versuchen  wird.  Da  einmal  etwas  angetönt  ist,  will 
ich  übrigens  ausdrücklich  noch  bemerken,  dass  ich  aus  guten 
^runden  meine  Untersuchung  wenigstens  vorläufig  nicht  ver- 
öffentlicht haben  würde:  nicht  ich  trage  daran  die  schuld, 
dass  es  geschehen  ist,  sondern  —  Sievers,  und  der  wird  von 
all  dem  verdachte  frei  sein,  der  gegen  mich  schon  auf- 
gestiegen ist. 

FREI  BURG  (Schweiz).  FRANZ  JOSTES. 


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- 


NOCH  EINMAL  GOTISCH  ALEW. 

Much  hat  Beitr.  17,  34  einen  nenen  weg  zur  erklärung 
des  sonderbaren  gotischen  aletr  eingeschlagen.  Nach  ihm  wäre 
es  das  auf  dem  um  weg*  über  das  keltische  entlehnte  altlateinische 
*oleivom.  Ebenso  urteilen  mit  geringfügiger  abweichung  Solm- 
sen.  IF.5,  344  f..  Uhlenbeek,  Etym.  wb.  d.  got.  spr.  9  und  Kretseh- 
mer,  Einleitung  in  die  gesch.  d.  griech.  spr.  112.  Die  frage  ist 
wichtig  genug,  um  hier  noch  einmal  auf  sie  zurückzukommen. 
In  der  debatte  war  zwar  viel  vom  keltischen  die  rede,  aber 
immer  in  einer  weise,  als  handle  es  sich  um  eine  spurlos  unter- 
gegangene spräche.  Sehen  wir  daher  einmal  nach,  was  tat- 
sächlich vorliegt.  'Ol'  heisst  air.  ola  (der  älteste  beleg  ist  ind- 
olachruinn  olivae  Würzb.  cod.  5b.2C>),  neynir.  oleir,  nbret.  oleo(u). 
Schon  in  der  Grammatica  celtica  (s.  57)  wird  gerade  got.  aleir 
neben  die  keltischen  worte  gestellt.  Indess  muss  die  frage, 
ob  sie  eine  grundform  *olero-  vertragen,  verneint  werden.  Wie 
diese  sich  entwickelt  haben  würde,  lässt  das  wort  für  gott. 
urkelt.  *(h'vo$  erkennen:  dieses  lautet  (vom  irischen  sehe  ich 
ab)  neymr.  Dwv  (aber  meudwy  'eremit'  —  ir.  mug  De),  nbret. 
Do(u)e.  Ungezwungen  können  olew  oh  o{u)  nur  auf  ein  *olero- 
zurückgeführt  werden,  auch  ir.  ola  stimmt  dazu.  Ein  *oievotn 
ist  im  altlateinischen  ebenso  wie  im  spät(vulgär-)lateinischen 
einfach  unerhört.  Das  klassische  oleum  hat  zur  nächsten  Vor- 
stufe *oleium  gehabt,  die  romanischen  sprachen  bezeugen  eine 
vulgäre  ausspräche  *oljum.  Das  r  von  ola  olew  ist  daher 
etymologisch  wertlos,  es  ist  ein  im  keltischen  munde  entstan- 
dener gleitlaut.  ola  olew  verhalten  sich  zu  lat.  oleum  gerade 
wie  cuithe  —  cymr.  pydew  'grübe'  zu  lat.  puteus  (siehe  dazu 
Loth.  Revue  celtique  17,425).  Im  gallischen  wird  das  öl  aller 
Wahrscheinlichkeit  *olcron  geheissen  haben.  Kann  das  die 
quelle  von  alew  sein?   Ich  denke  nicht.   Weniger  weil  dann 


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ZUPITZA,  NOCH  EINMAL  GOT.  ALEW. 


575 


gotisch  e  einem  gallischen  e  entspräche.  Dasselbe  ist  ja  wo] 
in  krlikn  ^xvqjog,  dvajyaiov'  der  fall,  denn  gallisch  celicnon 
(vgl.  zum  suffix  patronymica  wie  Dritt icnos,  Toutissicnos, 
Oppianiaws,  Taranucnos ,  irische  diminutiva  wie  duinm 
'menschlein')  gehört  so  gut  wie  sicher  zu  lat.  cclsus,  columna 
iL  s.w.  Aber  das  a  von  aletc  wäre  bei  so  später  entlehnung 
sehr  auffällig.  Allen  diesen  betrachtungen  lässt  sich  freilich 
sehr  leicht  der  boden  entziehen.  Man  behauptet  einfach,  das 
gallische  habe  das  lateinische  wort  für  öl  eben  schon  früher 
übernommen  als  die  übrigen  keltischen  dialekte.  Das  lässt 
sich  natürlich  ebensowenig  widerlegen  wie  beweisen.  Ihm 
widerspricht  aber  alles,  was  wir  über  gallisch -irische  und 
gallisch -britannische  handelsbeziehungen  wissen  oder  doch 
vermuten  dürfen.  Die  Gallier  waren  die  naturgemässen  ver- 
mittler zwischen  Italien  und  ihren  entfernter  wohnenden 
stammesgenossen.  Ein  directer  handelsverkehr  zwischen 
Pallien  und  Irland  ergibt  sich,  wenn  man  die  angaben  des 
Tacitus  Agricola  24  mit  der  tatsache  combiniert,  dass  der  Ire 
mit  Gall  den  fremdling  überhaupt  bezeichnet  (vgl.  Zimmer, 
Zs.  fda.  32. 236  anm.l,  Ueber  d.  frühesten  berührungen  d.  Iren 
mit  d.  Xordgermanen  s.  2  anm.  1).  Hätten  die  Gallier  ein  *olevon 
besessen,  so  hätten  sie  nicht  verfehlt,  es  ihren  stammesgenossen 
in  Britannien  und  Irland  zu  übermitteln.  Dann  lag  aber  für 
diese  kein  triftiger  grund  vor,  später  eine  directe  anleihe  beim 
lateinischen  zu  machen.  Unmöglich,  widerhole  ich,  ist  Muchs 
hypothese  nicht,  und  ich  kann  keine  bessere  an  ihre  stelle 
setzen.  Es  trägt  jedoch  zur  klärung  der  anschauungen  bei, 
wenn  man  sich  der  Schwierigkeiten  vollauf  bewusst  wird. 

BERLIN.  K.  ZUPITZA. 


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ZlTK  HERKUNFT  DES  DEUTSCHEN 
REIMVERSES.1) 

In  den  vor  kurzem  erschienenen  Philologischen  Studien 
(Festgrabe  für  Eduard  Sievers  zum  1.  october  18%.  Halle  18PC>) 
hat  Saran  in  seinem  aufsatze  'Zur  metrik  Otfi  ids  von  Weissen- 
burg'  auch  über  die  herkunft  des  Otfridischen  verses  gehandelt 
und  ist  dabei  zur  annähme  gelangt,  er  sei  eine  Weiterbildung 
des  verses  des  altgermanischen  lieds,  also  derselben  form,  von 
der  sich  in  vorhistorischer  zeit  der  alliterationsvers  abgelöst 
hat,  die  aber  nie  ganz  ausgestorben  sein  kann  (s.  201  ff.).  Möge 
es  mir  gestattet  sein,  darauf  hinzuweisen,  dass  ich  wesentlich 
dieselbe  annähme  bereits  vor  vier  jähren  ausgesprochen  habe, 
in  Pauls  Grundr.  2a.  9971  Der  weg  auf  dem  ich  zu  ihr  ge- 
langte, war  allerdings  ein  ganz  anderer.  Die  auffallenden 
Übereinstimmungen  zwischen  dem  englischen  nationalen,  d.h. 
von  romanischen  ein  Wirkungen  freien  reimvers  mit  dem  deut- 
schen Hessen  mich,  da  eine  unmittelbare  ent lehnung  aus- 
geschlossen ist,  auf  eine  gemeinsame  urform  schliessen.  und 
als  solche  ergab  sich  ungezwungen  der  vorhistorische  alt- 
germanische gesangsvers.  den  Sievers  als  Vorstufe  des  über- 
lieferten alliterationsverses  reconstruiert  hat.  Saran  hat 
offenbar  meine  ausführungen  nicht  gekannt;  um  so  erfreu- 
licher ist  das  zusammentreffen  im  ergebnis.  Vielleicht  darf 
ich  aber  bei  dieser  gelegenheit  die  aufmerksamkeit  der  ger- 
manisten  auf  die  mittelenglische  metrik  überhaupt  lenken, 
deren  mannigfaltigkeit  in  folge  des  Zusammentreffens  sehr 
verschiedenartiger  Strömungen  und  einflüsse  mir  auch  für  den 
nichtanglisten  sehr  lehrreich  scheint. 

GRAZ,  17.  februar  1897.  KARL  LUIC& 

[')  In  folgp  Pinns  vprst  liPiis  der  rp<l;\ction  vpr*i>iitpt  zum  abdruck  ge- 
langt.   E.  S.l 


Halle  m.  S.    Druck  von  Khrhardt  Karra«. 


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Verlag  von  Max  Niemeyer  in  Halle  a.  S. 


Beneze,  K.,  Sagen  und  Litttrarhist«»risrlu-  llntersnchungen. 
Heft  1  2.   1897.  8.  Ji  5,20 

I.  Dag  Traummotiv  in  der  mittelhochdeutschen  Dichtung 
l>U  L250  und  in  alten  deutschen  Volksliedern.  Jt  2,40 
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Teufet  Eine  Studie  /ur  deutschen  und  französischen 
Sagengeschiohte.  •  2»80 

Blnnckenhui ^ ,  ('..  Studien  Uber  die  Sprache  Abrahame  a 
S.  Clara.   Bin  Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen  Druck- 
spräche  im  17.  und  IS.  Jahrhundert.    1897.    &  .''2.4<> 
Braune,  W..  Althochdeutsches  Lesebuch  zusammengestellt  und 
mit  Glossar  versehen.   4.  Auflage,    l*'.^.   irr.  8.      Jt  4.."><i 
Kister,  K..  Priuzipien  der  Littcraturwissenschuft.  Bd.  1.  1807. 

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Jahrhundert.    Hin  Beitrag  zur  vergleichenden  Literatur- 
geschichte.   is«»t.  8.  Jf 
(iothein,  M..  John  Keats.    Lehen  and  Werke.   2  Bde.  LÖ97. 

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IV.  Die  deutsche  Grammatik  des  Albert  Oelinger,  heraus- 
gegeben von  Willy  Scheel.   1**.*7.   kl.  8,       Jt  ."»."" 
Jaeob,  A..  Die  Glossen  des  Cod.  S.  Pauli.  D/82.  Dissertation. 

18*»7.   8.  ^  1.2" 

Kluge,  F..  Angelsächsisches  Lesebueb  zusammengestellt  und 
mit  Glossar  versehen.    Zweite  verbesserte  und  vermehrte 
Auflage.   18D7.  p;r.  8.  5,00 
Holz,  G..  Laurin  uud  der  kh  in<'  Kosengarten.  18'.»7.  H.  .ü  7,00 
Altnordische  Sairahililiotliek,   herausgegeben  von  Gustaf 
Gedersehiöld,  Hugo  Gering  und  Bugen  Mogk. 
VI.  Eyrbyggja  Saga,  herausgegeben  \<m  Hugo  Gering. 
1897,   8.  A  8,00 

Braune,  W..  Sammlung   kurzer  Grammatiken  germanischer 
Dialekte. 

\  III.  Altnordische  I  Grammatik  II.  AltschwediHchc  Grammatik 
mit  ßinschlnss  des  Altgntuischeu  von  Adolf  Xoreen 
Brate  Lieferung.    1897.   8.  .4  3,60 


BEITRÄGE 


GESCHICHTE  DER  DEUTSCHEN  SPRACHE 

UND  LITERATUR. 


UNTER    MITWIRKUNG  VON 
HERMANN  PAUL  UND  WILHELM  BRAUNE 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

EDUARD  BIETERS. 


XXIII.  BAND. 


HALLE  a.  S. 

MAX  NIEMEYER 

77/78  GR. 

1898 


INHALT. 


Seite 


Ueber  Hart  mann  von  Aue.   Von  F.  Saran   1 

Anglosaxonica.  IV.  Von  P.  J.  Cosijn   109 

Die  dehnung  der  mhd.  kurzen  stammsilbenvocale  in  den  volks- 
mundarten  des  hochdeutschen  Sprachgebiets  auf  grund  der 

vorhandenen  dialektliteratur.   Von  A.  Ritzert   131 

Kleine  beitrage  zur  deutschen  Wortforschung.   Von  B.  Liebich  223 

Zur  altwestfriesischen  lexikologie.   Von  W.  van  Helten  .   .   .  232 

Zu  Beitr.  22,  543  ff.   Von  E.  Zupitza   237 

Ootes.  Eine  bemerkung  zur  altdeutschen  Wortstellung.  Von 

I.  Harczyk   240 

Zum  Narrenschiff.   Von  A.  Goetze   245 

Brunhildenbett.   Von  W.  Braune   246 

Aprikose.   Von  W.  Horn   254 

Zu  den  labialisierten  gutturalen.   Von  Th.  Siebs   255 


Ueber  die  ausgäbe  der  Bevers  saga.   Von  O.  Cederschiöld.   .  257 

Grammatisches  und  etymologisches.   Von  H.  Hirt  288 

(I.  Zum  ablaut  der  se^- wurzeln:  s.  288.  —  II.  Zur  Vertretung 
der  labiovelare:  s.  312.  —  m.  Zu  den  t-praesentien:  s.  315. 

—  IV.  Zur  Chronologie  germanischer  lautgesetze:  s.  317.  — 
V.  Zum  Spirantenwechsel  im  gotischen:  s.  323.  —  VI.  Zu  den 
germ.  lehn  Wörtern  im  sla  vischen  und  baltischen:  s.  330.  — 
VTI.  Etymologien:  s.  351) 

Studien  zu  Reinfried  von  Braunschweig.  Von  P.  Gereke  .  .  358 
Der  a-umlaut  und  der  Wechsel  der  endvocale  a  :  t(e)  in  den  alt- 

nord.  sprachen.   Von  A.  Kock  484 

(I.  Der  Wechsel  der  endvocale  a  :  i(e):  s.  484  [Excursl: 

Der  Wechsel  u  :  o  im  part.  pass.  der  ostnord.  sprachen :  s.  503. 

—  Excurs  2:  Zur  frage  nach  dem  palatalumlaut :  s.  506].  — 
II.  Zur  frage  nach  dem  a-umlaut  von  «  in  den  altnord. 


INHALT. 


sprachen:  s.  5M'[Excurs>-Die behandlung  des  genn.  diphthongs 

tu  und  der  Wechsel  ?ö  :  tö  in  den  altnord.  sprachen:  s.  532]. 

m.  Zur  frage  nach  dem  a-umlänt  von  i  in  den  altnord. 

sprachen: 's.  544) 
Die  Chronologie  des  Übergangs  von  germ.  €  zu  t  vor  v  -f-  k,  g,  %. 

Von  K.  Heini*  .     •  .»'/.  556 

Meerrettich.  Von  J.  Hoope  559 

Werwolf.   Von  A.  S.  Napier  571 

Zum  Opus  imperfectum.  Von  W.  Streit berg  574 


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Ausgegeben  den  9.  Februar  1898 


BEITRÄGE 


ZUK 


GESCHICHTE  DER  PEITSCHEN  SPRACHE 

UND  LITERATUR7. 


UNTER    MITWIRKUNG  VON 


HERMANN  I'AIL  INI»  WIEHELM  BKAl NK 


H  ER  A  LS  Ii  Ei;  EBEN 


VON 


EDUARD  SIEVERS. 


XXIII.  BAND.    I.  HEFT. 


HALLE  a.  S. 

MAX  NIEMEYER 

TT  Trt  GR.  STEINSTRASSK 

1898 


Die  Herren  mitarbeiten  werden  gebeten,  zu  ihren  nianuscripten 
nur  lose  quartblätter  zu  verwenden,  nur  eine  seite  zu  be- 
treiben und  einen  breiten  rand  freizulassen. 


INHALT. 


Seite 

Ueber  Hartmann  von  Aue.   Von  F.  Saran   1 

Anglosaxonica.  IV.    Von  P.  J.  Cosijn   10« 

Die  dehnimg  der  mhd.  kurzen  staiumsilbenvocale  in  den  volks- 
uiundarten  des  hochdeutschen  Sprachgebiets  auf  grund  der 

vorhandenen  dialektliteratur.   Von  A.  Ritzert   131 

Kleine  beitrage  zur  deutschen  Wortforschung.    Von  B.  Liebich  223 

Zur  altwestfriesischen  lexikologie.    Von  W.  van  Helten  .   .   .  232 

Zu  Beitr.  22, 543  ff.   Von  E.  Zupitza   .   .   237 

Gates.   Eine  bemerkung  zur  altdeutschen  Worteteilung.  Von 

I.  Harczyk   240 

Zum  Narrenschi  ff.   Von  A.  Goetze   245 

Brunhildenbett.   Von  W.  Braune   246 

Aprikose.    Von  W.  Horn   254 

Zu  den  labialisierten  gutturalen.   Von  Th.  Siebs   255 


Zur  nachricht! 

Ks  wird  gebeten,  alle  auf  die  redaction  der  'Beiträge'  bezüg- 
lichen Zuschriften  und  Sendungen  an  Professor  Dr.  E.  Sievers 
in  Leipzig-Gohlis  (Turnerstrasse  26)  zu  richten. 


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Die  ergebnisse  meiner  dissertation  'Hartmann  von  Aue  als 
lyriker'  (Halle  1889)  sind  in  den  letzten  jähren  von  verschie- 
denen seiten  her  angefochten  worden.  F.  Vogt  hat  in  einer 
eingehenden  besprechung  (Zs.fdph.24,237)  mancherlei  bedenken 
erhoben.  Andere  machte  dann  E.  Henrici  im  Jahresber.  f. 
germ.  phil.  13,263  geltend,  und  neuerdings  hat  noch  A.  Schim- 
bach in  seinen  Untersuchungen  über  Hartmann  von  Aue  (bes. 
s.  343  ff.)  meine  arbeit  einer  scharfen  kritik  unterzogen. 

Obwol  ich  trotzdem  nach  wie  vor  überzeugt  bin,  dass  die 
resultate  meines  buches  in  allem  wesentlichen  unerschüttert 
stehen,  so  wiegt  doch  nicht  weniges  von  dem  was  jene  gelehrten 
beibringen,  schwer.  Es  sind  von  ihnen,  besonders  von  Vogt, 
in  der  tat  mängel  meiner  beweisführung  bloss  gelegt  worden, 
so  dass  eine  ergänzung  am  platze  ist,  wenn  anders  die  ergeb- 
nisse der  arbeit  bestehen  bleiben  sollen. 

Aus  anderen  gründen  empfiehlt  es  sich,  die  Untersuchung 
überhaupt  noch  einmal  aufzunehmen,  wenigstens  zum  teil. 
Diese  gründe  sind  vorzugsweise  rhythmischer  natur.  Ich 
stand  1889  in  dieser  beziehung  auf  einem  Standpunkt,  den  ich 
jetzt  nach  mehrjährigem  Studium  der  musikalischen  und 
poetischen  rhythmik  als  ungenügend  erkannt  und  darum  ver- 
lassen habe.  Aendert  sich  auch  —  wie  ich  vorweg  bemerken 
will  —  bei  der  neuen,  richtigeren  betrachtung  an  dem  schluss- 
resultat  nichts  von  belang,  so  ist  es  doch  notwendig,  bei 
besserer  einsieht  das  frühere  nachzuprüfen. 

Ich  habe  in  meiner  schrift  von  1889  nachzuweisen  ver- 
sucht, erstens  eine  Chronologie  der  lieder  Hartmanns  und  des 
ersten  büchleins  (H.'s  klage),  zweitens  die  unechtheit  des  so- 
genannten zweiten  büchleins,  des  künstlichen  Schlusses  des 
ersten  und  weniger  lieder,  die  schon  andere  vor  mir  beanstandet 

Beitrüge  zur  geschieht«  der  deuUchen  spräche.    XXIII.  1 


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SARAN 


haben.  Diese  ergebnisse  zu  sichern  werde  ich  im  folgenden 
meine  frühere  Untersuchung  ergänzen,  wo  es  nötig  ist,  und 
verteidigen,  wo  ich  gegenüber  Vogt,  Henrici  und  Schönbach 
im  recht  zu  sein  glaube. 

Die  lieder. 
I.  Zur  kritik  und  erklärung. 

Vogt  tadelt  a.a.O.  s.  241  die  weitgehende  Zerlegung,  die 
ich  mit  den  Hedem  Hartmanns  vorgenommen  habe.  In  der 
tat  ist  das  was  ich  H.  v.  A.  s.  5  ff.  darüber  vortrage,  einzu- 
schränken und  zu  berichtigen. 

Schou  Lachmann  hat  zu  Walther  53,33  und  74,20  da- 
rauf hingewiesen,  wie  schwer  es  ist,  aus  den  strophenreihen 
die  die  handschriften  überliefern,  lieder  mit  einleuchtendem 
gedankenfortschritt  herzustellen.  Dann  hat  besonders  Wil- 
ma uns,  Zs.  fda.  13, 229  ff.  auf  diesen  punkt  geachtet:  er  zerlegt 
einige  der  lieder  Walthers,  die  Lachmaun  angenommen,  wider 
in  einzelne  von  einander  unabhängige  Strophen.  In  seiner 
ausgäbe  des  dichters  (2.  aufl.)  s.  Ol  sagt  er  darüber:  'freilich 
stehen  zuweilen  einzelne  Strophen  mit  anderen  desselben 
tones  nicht  in  unmittelbarem,  engeren  Zusammenhang,  aber 
sie  können  doch  zugleich  mit  diesen  entstanden  und  vor- 
getragen sein.  Der  fall,  dass  zwei  selbständige  in  sich  ab- 
geschlossene lieder  nach  derselben  weise  gehen,  begegnet  nur 
einmal:  63,8  und  112, 17'.  Nur  zuweilen  also  fehlt  nach  Wil- 
manns  der  Zusammenhang.  Dies  und  der  umstand,  dass  es 
Lachmann  öfters  für  nötig  hält  die  überlieferten  Strophen 
gegen  alle  handschriftliche  autorität,  rein  nach  eigenem  er- 
messen anzuordnen,  und  dass  dann  Wilmanns  mehrfach  solche 
lieder  Lachmanns  wider  zerschlagen  muss,  beweist,  dass  beide, 
Lachmann  sowol  als  Wilmanns,  au  die  reihe  der  überlieferten 
Strophen  eines  tones  zunächst  den  massstab  dessen  anlegen 
was  man  heutzutage  unter  einem  liede  versteht.  Andernfalls 
hätten  versuche  sie  zu  ordnen  keinen  zweck.  Offenbar  fordert 
Lachmann  für  die  Strophen  eines  tones  inneren  Zusammenhang 
und  gedankenfortschritt.  Wo  sich  ein  solcher  aus  der  über- 
lieferten folge  nicht  ergibt,  sucht  er  durch  Umstellung  nach- 
zuhelfen. Erst  wenn  auch  dies  mittel  versagt,  entechliesst  er 
sich,  solche  Strophen  von  den  andern  zu  trennen.  Diese  fälle 


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UEHER  HARTMANN  VON  AUE. 


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werden  im  druck  durch  breiten  Zwischenraum  kenntlich  ge- 
macht. 

Er  und  Haupt  verfahren  in  MF.  ganz  ebenso.  Ich  glaube 
nicht  dass  man  beider  absiebten  verkennt,  wenn  man  annimmt : 
die  Strophen  eines  tones  welche  im  druck  eng  an  einander 
geschlossen  sind,  soll  der  leser  als  einheitliches  lied  mit  be- 
stimmtem gedankenf ortschritt  ansehen,  wenn  dieser  auch  oft 
schwer  zu  erkennen  sein  mag.  Nur  diejenigen  Strophen  stehen 
ausserhalb  des  Zusammenhanges,  welche  auch  im  text  isoliert 
bleiben.   Vgl.  Hartm.  206, 10.  208, 32.  210, 35—211, 8. 

So  fassen  auch  diejenigen  die  Sachlage  auf,  die  im  anschluss 
an  MF.  Untersuchungen  angestellt  haben.  Denn  die  zahlreichen 
Vorschläge,  hier  die  Strophenordnung  zu  verändern,  dort  eine 
oder  mehrere  Strophen  selbständig  zu  machen,  haben  doch  nur 
dann  einen  sinn,  wenn  ihre  Urheber  von  eben  den  Voraus- 
setzungen ausgehen,  die  ich  oben  betreffs  der  ausgäbe  an- 
genommen habe. 

Gerade  diese  tatsache  nun,  dass  so  häufig  anlass  ist>  über 
umfang  und  gedankengang  von  minneliedern  zu  schwanken, 
lehrt,  dass  Lachmanns  und  Haupts  ansätze  nicht  überall  über- 
zeugen, dass  nicht  immer  ein  gedankenfortschritt  in  den 
Strophen  aufgefunden  werden  kann,  die  der  text  von  MF.  in 
der  weise  eines  liedes  zusammenstellt.  Diese  erkenntnis  hat 
Paul  zu  der  ansieht  geführt,  die  er  Beitr.  2,  510  ff.  ausspricht, 
Er  macht  hier  den  mangel  an  innerem  gedankenfortschritt 
geradezu  zum  prineip  der  mhd.  lyrik.  'Die  lieder  Reinmars 
wie  die  der  meisten  minnesinger  haben  in  der  regel  keine 
durchgeführte  gedankenentwickelung.  Ein  logischer  Zusammen- 
hang zwischen  den  einzelnen  Strophen  ist  sehr  oft  kaum  oder 
gar  nicht  zu  bemerken,  jede  Strophe  könnte  für  sich  ein  ganzes 
bilden,  woher  es  auch  kommt,  dass  die  hss.  in  der  strophen- 
ordnung  so  oft  von  einander  abweichen.«  Wenn  wir  überall 
da,  wo  der  Zusammenhang  fehlt,  teilen  wollten,  so  würden  wir 
noch  eine  menge  einstrophiger  lieder  bekommen.  Aber  schwer- 
lich würde  dies  verfahren  richtig  sein.  Wir  müssen  vielmehr 
annehmen,  dass  auch  solche  eines  inneren  Zusammen- 
hanges entbehrende  Strophen  doch  äusserlich  zu 
einem  liede  aneinandergereiht  waren,  d.h.  zusammen 
vorgetragen  wurden.   Ueber  den  umfang  und  die  grenzen 


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SARAN 


eines  solchen  liedes  in  jedem  einzelnen  falle  zu  entscheiden, 
haben  wir  kein  mittel  mehr.' 

Das  was  die  Strophen  zu  Hedem  zusammenhält,  ist  also 
nach  Pauls  ansieht  mehr  der  äussere  umstand  dass  sie  zu- 
sammen vorgetragen  wurden,  als  das  band  des  gedankens. 
Die  gleichheit  in  strophenbau  und  melodie  hat  seiner  meinung 
nach  mindestens  eben  so  grosse  bedeutung  für  das  verketten 
einzelner  Strophen  zu  einem  ganzen  wie  der  inhalt.  Vgl.  auch 
Paul,  Waltherausgabe2,  einl.  s.  24.  iSehönbaeb,  Untersuchungen 
s.  357  stimmt  ihm  darin  bei.  Folgerechter  weise  hätten  unter 
diesen  umständen  anordnungsversuche  nur  sehr  bedingten  wert. 

Wie  weit  Pauls  ansieht  richtig  ist,  kann  nur  die  durch- 
arbeitung  eines  grossen  materiales  ergeben.  Jeder  minnesinger 
muss  einzeln  darauf  hin  geprüft  werden.  Für  Hartmann  bin 
ich  jedenfalls  in  der  annähme  von  völlig  selbständigen  einzel- 
strophen  zu  weit  gegangen.  Ich  glaube  jetzt,  dass  Zusammen- 
hang von  Strophen  eines  tones  beabsichtigt  sein  kann,  auch 
wenn  ein  eigentlich  logisch  greifbarer  fort  schritt  der  ge- 
danken  nicht  zu  finden  ist.  Ich  halte  es  darum  nicht  für  richtig, 
dass  Bech  in  der  dritten  aufläge  seines  zweiten  bandes  meinem 
Vorgang  öfters  genau  folgt  und  die  Verbindung  in  mehreren 
tönen  auch  äusserlich  gänzlich  löst.  Er  versieht  Strophen  die 
ich  abgesondert  habe,  mit  besonderen  nummern  und  einleitungen 
(z.  b.  211, 2  ff.  206, 19  ff.  205, 1  ff.  209, 25  ff.)  und  verleiht  ihnen 
dadurch  grössere  Selbständigkeit  als  der  dichter  wirklich 
gewollt. 

Dass  die  weitgehende  Zerlegung  der  töne  von  MF.  zu 
anwahrscheinlichen  consequenzen  füliren  würde,  habe  ich 
übrigens  selbst  schon  während  des  druckes  meiner  arbeit  er- 
kannt und  darum  die  im  text  vorgetragene  ansieht  nach- 
träglich in  einer  anmerkung  etwas  verändert  (H.  v.  A.  s.  13 
unten).  Ich  schlage  .dort  für  strophenreihen,  deren  glieder 
sich  im  inhalt  folgerichtig  aneinander  anschliessen,  gegen 
einander  also  unselbständig  sind,  den  namen  strophenkette 
vor.  Solehe  deren  glieder,  wenigstens  gegen  einander,  selb- 
ständig sind  und  nur  durch  die  beziehung  auf  ein  gemeinsames 
theina  zusammen  hängen,  nenne  ich  strophenkreis.  Die 
Zusammengehörigkeit  muss  in  allen  fällen  kenntlich  gemacht 
werden;  zum  besseren  Verständnis  würde  es  aber  dienen,  wenn 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


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sich  ein  nicht  zu  auffallendes  mittel  finden  Hesse,  fügungen 
der  zweiten  art  auch  im  druck  anzudeuten.  Der  leser  bleibt 
dann  über  den  mangel  streng  logischer  folge  keinen  augen- 
blick  im  zweifei  und  verliert  seine  zeit  nicht  mit  unnützen 
constructionen. 

Es  ist  zweckmässig,  einmal  rein  theoretisch  die  Verhält- 
nisse aufzustellen,  welche  im  inhalt  zwischen  den  Strophen 
eines  tones  obwralten  können.  Wie  viele  von  diesen  logischen 
möglichkeiten  wirklich  praktische  bedeutung  haben,  kann  nur 
die  einzelforschung  ermitteln.   Es  sind  folgende. 

L  Die  Strophen  eines  tones  enthalten  einen  durch- 
laufenden gedankengang  (strophenketten). 

a)  Die  gedanken  schreiten  streng  an  einander  geschlossen 
vorwärts,  eiue  Strophe  nimmt  den  gedanken  da  auf,  wo  ihn 
die  vorausgehende  hat  fallen  lassen.  So  MF.  218. 5  oder  Waith. 
39, 11.  Jede  einzelne  Strophe  ist  also  in  hohem  grade  unselb- 
ständig. 

b)  Die  Strophen  geben  gleichsam  nur  die  hauptmomente 
Arier  handlung,  eines  gedankenganges  oder  stimmungs  verlauf  es. 

Das  dazwischen  liegende  ist  als  minder  wesentlich  fort- 
gelassen, kann  aber  bei  aufmerksamer  lectüre  ergänzt  werden. 
\uch  hier  ist  ein  regelmässiger  f ortschritt  vorhanden,  nur  dass 
»r  nicht  continuierlich,  sondern  sprungweise  erfolgt, 

Die  Strophen  solcher  reihen  sind  gegen  einander  minder 
inselbständig,  sie  können  sogar,  isoliert  betrachtet,  oft  ab- 
schlössen scheinen. 

Zu  dieser  kategorie  gehören  z.  b.  Wechsel  wie  MF.  4, 17. 
,1  —  9, 29.   Beispiele  bei  Hartmann  werde  ich  unten  erörtern. 

c)  Formen  die  sich  aus  a)  und  b)  mischen.  Hier  sind 
ombinationen  verschiedener  art  denkbar. 

I.  Die  Strophen  eines  liedes  enthalten  keinen  durch- 
laufenden gedankengang  (strophenkreise). 

a)  Die  Strophen  sind  ihrem  inhalt  nach  völlig  unabhängig 
on  einander.  Jede  hat  ein  besonderes  thema.  Dass  fälle 
leser  art  vorkommen,  ist  mir  etwas  zweifelhaft.  Schwerlich 
5Lt  je  ein  minnesinger  Strophen  von  ganz  heterogenem  inhalt 
i  ein  lied  zusammengepfercht. 


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SARAN 


b)  Die  Strophen  sind  völlig  selbständig  und  abgeschlossen, 
entspringen  aber  insgesammt  demselben  ereignis  oder  derselben 
Stimmung.  Im  übrigen  ist  der  inhalt  verschieden,  ein  gemein- 
sames thema  nicht  nachweisbar.  Strophenreihen  des  Schemas 
a)  und  b)  könnte  man  'aggregate'  nennen. 

c)  Die  Strophen  sind  formell  völlig  selbständig  und  ab- 
gerundet, behandeln  aber  alle  denselben  grundgedanken.  Sie 
sind  gleichsam  variationeu  über  ein  bestimmtes  thema.  Diese 
art  ist  mit  Ib  nicht  zu  verwechseln:  dort  bilden  die  inhalte 
der  Strophen  eine  fortlaufende  reihe,  nur  dass  die  vermittelnden 
gedanken  nicht  ausgedrückt  werden;  hier  in  IIc  bilden  sie 
keine  reihe  und  gibt  es  keine  gedankenvermittlung  zwischen 
ihnen.  Theoretisch  wäre  ihre  anordnung  gleichgiltig,  nur  dass 
sich  in  solchen  tönen  gewisse  Strophen  besser  zur  einleitung, 
andere  besser  zum  abschluss  eignen.  Trotz  innerer  Unabhängig- 
keit braucht  also  doch  die  Stellung  der  einzelnen  Strophe  nicht 
willkürlich  zu  sein.  Beispiele  für  diesen  fall  sind  häufig. 
Einige  auch  bei  Hartmann. 

d)  Mischformen;  z.  b.  von  drei  Strophen  hängen  1  und  2 
nach  c  zusammen,  no.  3  ist  selbständiger,  2  :  3  dabei  nach 
a  oder  b. 

III.  Kreuzungen  von  I  und  II. 

Ich  zähle  nur  einige  fälle  auf: 

a)  Von  3  (5)  Strophen  können  1 — 2  (1—4)  nach  Ia  oder 
Ib  logisch  zusammenhängen,  no.  3  (5)  ist  loser  damit  nach  IIa, 
b  oder  c  verknüpft. 

b)  Von  G  Strophen  können  1 — 3,  4 — 6  oder  1 — i,  5 — (j 
nach  I  oder  II  in  sich  als  zwei  gruppen  zusammenhängen,  in 
dem  ton  aber  als  kleine  ganze  doch  nach  IIa,  b  oder  c  aus- 
einanderfalten u.  s.  w. 

Ueber  die  art  des  Zusammenhangs  kann  zunächst  nur  die 
schärfste  textin terpretation  auskunft  geben.  Die  reihen - 
folge  in  den  hss.  ist  immer  mit  vorsieht  aufzunehmen.  Es 
gibt  aber  doch  noch  eine  reihe  von  kennzeichen,  die  das  ge- 
schäft  der  Strophenordnung  sehr  erleichtern  können.  Hierher 
gehört  die  erscheinung  der  responsion,  auf  die  Er.  Schmidt, 
Reinm.  v.  Hag.  s.  6  ff.  und  dann  mit  nachdruck  Burdach,  Reinm. 
u.  Waith,  s.  84  ff.  hinweist.  Vgl.  H.  v.  A.  s.  6  ff.  Ferner  die 
Strophenverkettung,  über  die  Giske,  Zs.  fdph.  20,  189  ff. 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


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handelt.  Es  kommen  rein  formale  kriterien  dazu.  Körner 
weist  Giske  Zs.  fdph.  18,  57  ff.  nach.  Refrain  findet  sich  ge- 
legentlich. Auf  analyse  des  inhalts  und  der  gedankenent- 
wicklung  darf  aber  nie  verzichtet  werden,  wie  das  z.  b.  Giske 
allzu  sehr  tut. 

Auch  die  anzahl  der  in  einem  ton  vereinigten  Strophen 
scheint  keineswegs  gleichgiltig  zu  sein.  Es  ist  schon  oft  ge- 
sagt worden,  dass  in  der  späteren  zeit  des  deutschen  minne- 
sangs  mit  Vorliebe  lieder  von  3,  5  oder  7  Strophen  gedichtet 
seien,  eine  regel  die  nach  Wackernagel  aus  der  frz.  kunstlyrik 
übernommen  sein  soll  (Wackernagel,  Lit.-gesch.  I2,  298.  Afrz. 
lieder  und  leiche  124.  224).  v.  d.  Hagen  bemerkt  darüber  MS.  1, 
einl.  s.  33,  meister  Konrad  habe  fast  lauter  gedritte  lieder, 
Nifen  und  Wintersteten  fast  ebenso  viel  gefünfte,  Lichtenstein 
meist  gefünfte  und  gesiebente.  'Manchmal  vervollständigen  sich 
die  zahlen  durch  vergleichung  der  hss.,  und  die  manessische 
lässt  häufig  gerade  so  viel  räum  für  das  fehlende'.  Auch  die 
meistersänger  bevorzugen  lieder  von  drei  und  fünf  Strophen. 
Vgl.  J.  Grimm,  Meistergesang  s.  46.  47. 

Die  gewohnheit  der  manessischen  hs.,  platz  zu  lassen,  wo 
ein  ton  weniger  als  fünf  oder  drei  Strophen  umfasst,  hat  man 
bereits  benutzt,  um  an  der  Überlieferung  kritik  zu  üben.  Vgl. 
Haupt,  vorrede  zu  Nifen.  W.  Uhl,  Unechtes  bei  Neifen,  Gott, 
diss.  1888.  Vgl.  darüber  rec,  Vogt,  Zs.  fdph.  24, 247  ff.  Mir  ist 
nur  so  viel  wahrscheinlich,  dass  die  Schreiber  der  hs.  C  der 
meinung  waren,  drei  oder  fünf  Strophen  sei  der  reguläre  um- 
fang eines  liedes.  Da  sie  aus  erfahrung  wussten,  wie  weit 
einzelne  Strophen  solcher  lieder  im  laufe  der  zeit  versprengt 
werden  konnten,  so  Hessen  sie  hinter  tönen  von  geringerem 
umfang  platz  für  künftige  nachtrage,  gewis  oft  mit  unrecht, 
oft  mit  recht.  Jene  regel  werden  sie  aus  der  poetischen 
tradition  geschöpft  haben,  und  ihre  bedeutung  scheint  in  der 
tat  grösser  gewesen  zu  sein  als  man  jetzt  meint,  nicht  nur 
für  die  späteren  minnesinger,  sondern  auch  für  die  früheren. 
In  Walthers  minneliedern  (vgl.  Pauls  ausg.  abt.  1)  z.  b.  über- 
wiegen die  lieder  von  drei,  fünf  und  sechs  (:i  -f-  3,  4  +  2?) 
Strophen  entschieden.  Wie  es  scheint  auch  bei  Keinmar.  Man 
wird  auch  an  Scherers  fünfergruppen  beim  anonymus  Spervogel 
denken.  Ich  bin  überzeugt,  dass  man  bei  benutzung  aller  dieser 


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SARAN 


mittel  noch  zu  bestimmten  Grundsätzen  hinsichtlich  der  Strophen- 
folge kommen  wird.  Es  scheint  —  die  folgende  Untersuchung 
wird  das  bestätigen  —  gewisse  typen  für  die  weise  des  strophen- 
zusammenhanges  im  lied  zu  geben,  die  es  im  einzelnen  nach- 
zuweisen gilt.  Natürlich  muss  die  Untersuchung  für  jeden 
sänger  besonders  geführt  werden.  Für  Hartmann  möge  sie 
hier  folgen. 

M.  e.  enthalten  folgende  lieder  Hartmanns  sicher  einen 
wirklich  folgerechten  gedankengang:  MF.  209, 5  (2  stroplien). 
212,37  (3).  214,12  (2).  216,1  (4).  216,29  (3).  217,14  (3).  218.5  (3). 
Diese  sieben  töne  wären  also  Strophenketten.  Man  beachte, 
dass  davon  die  mehrzahl,  nämlich  vier,  dreistrophig  ist.  Von 
allen  anderen  strophenreihen  habe  ich  in  meinem  buch  be- 
hauptet, dass  sie  keinen  erkennbaren  gedankenfortschritt  auf- 
wiesen. Vogt  widerspricht  dem  und  bespricht  zunächst  aus- 
führlich       ton  III  (207, 11  ff.):  H.  v.  A.  s.  11  ff. 

Die  Strophen  dieses  tones  werden  in  folgender  Ordnung 
von  den  hss.  überliefert: 


c 

B 

A 

MF. 

5 

3 

208,8 

6 

4 

7 

207,  71 

7 

5 

207,  35 

6 

10 

208,  32 

9 

r» 

8 

207,  23 

10 

9 

9 

208,  20 

Vogt  erkennt  an,  dass  die  reiheufolge  in  MF.  nicht  befriedigt 
und  stellt  eine  neue  her,  in  der  er  logischen  gedankenfort- 
schritt findet.  Er  ordnet  MF.  207,11.  207,35.  208,8.  207,23. 
208,20.  208,32.  Aber  schon  207,11  und  207,35  lassen  sich 
auf  keinen  fall  verbinden. 

In  jener  Strophe  nimmt  der  dichter  ein  früher  gegebenes 
versprechen  zurück,  seiner  dame  immer  leben  zu  wollen.  Er 
hat,  wie  er  versichert,  sein  herz  von  ihr  genommen;  jenes  ver- 
sprechen bezeichnet  er  nun  als  tumhcn  antheie,  den  er  noch 
rechtzeitig  aufgegeben,  ehe  ihm  das  vergebliche  werben  siner 
jcirc,  d.  i.  wol  seiner  jugendjahre  (Schönbach  s.  284)  gänzlich 
beraubt  habe.  Von  nun  an  will  er  einer  andern  seinen  dienst 
zuwenden. 

Stimmung  und  gedanken  dieser  worte  kann  man  unmög- 
lich anders  verstehen,  als  dass  sich  Hartmann  soeben  {für  tiisc 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


9 


sU\  207, 21)  von  seiner  dame  losgesagt  hat.  Ob  er  es  wirklich 
und  namentlich  offenkundig  getan,  ob  er  nur  in  augenblicklicher 
erregung  für  sich  den  entschluss  gefasst,  ob  er  alles  nur  fin- 
giert, ist  eine  andere  frage. 

Die  Verbindung  der  Strophe  mit  207, 35  stellt  nun  Vogt 
folgendermassen  her:  'man  darf  mich  deshalb  nicht  treulos 
schelten'.   Den  inhalt  der  letzteren  umschreibt  er  mit  den 
Worten:  'untreue  war  mir  stets  verhasst;  lediglich  meine  treue 
hat  mich  nicht  schon  eher,  so  viel  ich  auch  zu  leiden  hatte, 
aus  ihrem  dienste  scheiden  lassen.   Jetzt  schmerzt  mich,  dass 
sie  mich  ohne  lohn  lassen  will'.   Vogt  legt  Hartmann  damit 
den  etwas  spitzfindigen  gedanken  in  den  mund:  'ich  bin  des- 
wegen nicht  untreu:  im  gegenteil,  ich  bin  sehr  treu,  denn 
sonst  hätte  ich  ihr  schon  längst  den  dienst  gekündigt'.  Ich 
bezweifle  aber,  dass  dies  der  sinn  der  Strophe  ist,  Zunächst 
ist  e  v.  38  nicht  überliefert,  sondern  zusatz  von  MF.  Der 
sinn  fordert  die  partikel  keineswegs,  und  darum  hat  man  es 
wider  zu  streichen.   Ich  tibersetze:  'ich  bin  der  untreue  immer 
feind  gewesen  (sc.  und  bin  es  noch).   Und  doch  würde  mir 
untreue,  wollte  ich  untreu  sein,  weit  mehr  vorteil  bringen  als 
der  umstand,  dass  mich  meine  treue,  die  mir  befohlen  in  ihrem 
dienst  zu  verharren,  nicht  hat  von  ihr  scheiden  lassen'.  D.h. 
untreue  würde  mir  nützlicher  sein  als  meine  beständigkeit  in 
ihrem  dienst.   Es  folgt  der  grund.   'Es  bringt  mir  nämlich 
nun  schmerz,  dass  sie  mir  nicht  lohnen  will'.  'Aber  trotzdem', 
fährt  er  fort,  'werde  ich  bloss  gutes  von  ihr  sagen'. 

So  kann  doch  nur  einer  sprechen,  der  seiner  dame  seit 
langem  —  wenn  auch  ohne  lohn  —  treu  und  ergeben  dient 
und  der  das  einseitige  minneverhältnis  trotz  trüber  erfalirungen 
weiter  fortsetzen  will.  Was  bedeutet  v.  38  ff.  anders  als  die 
behauptung  unwandelbar  treu  geblieben  zu  sein?  Nun  hat 
sich  aber  der  dichter  von  207,  11  soeben  von  der  dame  los- 
gesagt, wenigstens  in  diesem  poetischen  erguss.  Also  ist  es 
unmöglich,  mit  Vogt  in  207,35  die  unmittelbare  und  genaue 
fortsetzung  von  207, 11  zu  sehen.  Beide  Strophen  sind  zudem 
n  der  Stimmung  ganz  verschieden.  Die  erste  ärgerlich  und 
Fast  grob,  diese  resignierend  und  sentimental. 

Auch  die  erklärung  die  Vogt  von  208, 20  ff.  gibt,  kann 
ch  mir  nicht  aneignen.   Er  schreibt  208,23  gegen  die  über- 


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10 


SARAN 


lieferung  (A  tröstet,  BC  troestet)  tröste.  Aber  die  Änderung  ist 
nur  für  den  nötig,  der  alle  Strophen  dieses  tones  zu  einer 
strophenkette  von  enger  bindung  vereinigt  und  sie  mit  einer 
aufktindigung  beginnen  lässt.  Für  den  sinn  der  Strophe  an 
sich  ist  sie  überflüssig.  Diese  schildert,  wie  207, 35,  eine 
gegenwärtige  Stimmung.  Ich  übersetze  also:  'mir  sind  die 
jähre  die  ich  ihr  gewidmet  habe,  durchaus  nicht  verloren. 
Denn  ist  mir  auch  minnelohn  von  ihr  bis  jetzt  nicht  zu  teil 
geworden,  so  gibt  mir  doch  angenehme  hoffnung  darauf  trost. 
(Daran  kann  ich  mir  genügen  lassen.)  Ja  auch  meine  wünsche 
würden  sich  sogar  nicht  höher  versteigen  als  dazu  dass  ich 
sie  nach  wie  vor  als  meine  dame  bezeichnen,  d.  i.  als  dass  ich 
mich  nach  wie  vor  als  ihren  diener  betrachten  dürfte.  Ks 
stirbt  ja  mancher  mann,  ohne  dass  ihm  je  erhörung  zu  teil 
wird,  nur  immer  hoffend,  es  werde  doch  noch  geschehen  — 
und  diese  hoffnung  genügt  ihn  froh  zu  machen'.  Die  zeilen 
24—26  enthalten  einen  gedanken,  der  den  von  23  noch  über- 
bieten soll.  Zu  als  v  (  so  wie  früher)  ist  nicht  mit  Heinzel 
s.  127  anm.,  Vogt  und  H.  v.  A.  s.  12  anm.  1  'wider'  sondern 
'jetzt'  zu  ergänzen.  Bei  jener  auffassung  wäre  das  Verhältnis 
gelöst  und  alsdann  hätte  v.  23  keinen  sinn:  lieber  wän  wäre 
dann  eben  ausgeschlossen.  Auch  würde  diese  lesart  voraus- 
setzen, dass  dem  dichter  das  Verhältnis  aufgesagt  ist.  Davon 
steht  aber  in  dem  ganzen  ton  kein  wort:  im  gegenteil,  überall 
wird  vorausgesetzt,  dass  aufhören  oder  fortsetzen  des  dienstes 
im  belieben  des  dichter«  liegt  (207, 11  ff.  208, 32  ff.)  und  dass 
die  dame  den  dienst  hinnimmt  (208, 12  ff.),  ohne  freilich  gnade 
zu  üben. 

Bei  meiner  erklär ung  der  beiden  Strophen  ist  der  dichter 
von  seinem  in  207, 11  kund  gegebenen  entschluss  längst  zurück- 
gekommen. Man  kann  nicht  bescheidener  wünschen  als  es 
der  dichter  in  208, 24  ff.  tut.  Damit  ist  nun  aber  wider  die 
strophe  208, 32  ff.,  in  welcher  jene  erste  ausdrücklich  wider- 
rufen wird,  für  einen  genauen  gedankenzusammenhaug  nicht 
passend.  208, 20  würde  offenbar  besser  dahinter  als  davor  stehen. 

Somit  scheint  mir  diese  neue  auordnung  und  erklärung 
Vogts  ebenso  wenig  haltbar  als  die  zahlreichen  andern,  die 
vorgebracht  sind.  Gleichwol  enthält  der  sehr  ansprechende 
gedanke  den  Vogt  seiner  darlegung  zu  gründe  legt,  einen 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE.  11 

berechtigten  kern.  Vogt  meint  nämlich,  Hartmann  schildere  in 
diesem  ton,  wie  er  —  freilich  nur  in  gedanken  —  von  der 
aufkündigung  aus  durch  eine  Stufenleiter  versöhnlicher  betrach- 
tungen  hindurch  zur  förmlichen  zurücknähme  jener  aufsage 
geführt  sei. 

Die  sechs  Strophen  darf  man  nämlich  nicht,  wie  ich  früher 
getan,  schlechthin  isolieren,  sondern  sie  ordnen  sich,  wie  ich 
jetzt  glaube,  dem  inhalt  nach  in  zwei  gruppen  von  je  drei. 
Die  erste  gruppe  umfasst  MF.  207,11.  208,32.  208.20,  die 
andere  208, 8.  207, 35.  207, 23. 

Die  Strophenordnung  in  der  ersteren  dürfte  so  wie  ich 

sie  gegeben,  sicher  sein.   207,11  fällt  sicher  vor  208, 32,  weil 

sich  diese  auf  jene  bezieht  (207,22  :  209,4).    Auch  sonst 

nimmt  die  zweite  strophe  auf  die  erste  bezug.   Dort  wird  als 

grund  dafür  dass  der  dichter  sich  von  der  dame  abgewendet 

hat,  angegeben:  ein  so  vergebliches  werben  raube  dem  mann 

seine  besten  jähre: 

der  läze  in  (sc  den  tnmben  antheiz)  e  der  tage 
§  in  der  strit 

beronbe  slner  järe  gar. 

Hier  wird  dies  ausdrücklich  zurückgenommen  und  dabei  das 

gegenteil  behauptet: 

208,  37  ff.  swer  von  der  siner  strebet, 
der  habe  im  daz: 

in  betraget  silier  järe  vil  (*o  die  has.), 

d.h.  wer  von  seiner  dame  loszukommen  trachtet,  der  mag  es 
tun;  seine  Jugendjahre  werden  ihm  sehr  freudlos  dahinfliessen. 
Wahren  genuss  seines  lebens  hat  man  eben  nur  im  minne- 
dienst. Vgl.  2.  Büchl.  65  ff.  Uebrigens  erklärt  Naumann  s.  47 
den  vers  208, 30  nicht  richtig.  Vgl.  dazu  205,  26.  Die  dame 
lebt  so,  dass  sie  nur  auf  ihren  guten  ruf  bedacht  ist.  Sie  will 
sich  nur  nicht  compromittieren  und  darum  allein  versagt  sie 
dem  dichter  ihre  gunst. 

Die  gedanken  dieser  strophe  208, 32  kehren  nun  in  208, 20 
wider.  So 

208.20  mir  sint  diu  jär  vil  unverlorn 
din  ich  an  si  gewendet  hän, 

d.  h.  meine  jähre,  die  ich  im  minnedienst  wenn  auch  vergeblich 
verbracht  habe,  sind  nicht  unnütz  angewendet.   Auch  ich  habe 


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12 


8ARAN 


die  freude,  die  sich  ein  mann  wünscht,  wenn  auch  nur  als  trän 
und  gedinge.  208, 24  ff.  weist  auf  208,  32  f.  zurück,  wo  in  v.  33 
die  zu  betonen  ist:  'ihr  und  keiner  anderen  zu  ehren'. 

Diese  drei  Strophen  lassen  sich  nun  in  der  tat  als  ein  lied 
(strophenkette  Ib)  auffassen,  durch  welches  sich  der  gedanke 
hinzieht,  den  Vogt  als  thema  des  ganzen  tones  angibt.  Drei 
hauptmomente  eines  Stimmungsverlaufs  werden  herausgehoben 
und  dargestellt,  die  verbindenden  mittelglieder  fehlen.  207, 11  ff.: 
irgend  etwas  erregt  den  dichter,  er  widerruft  im  zorn  sein 
versprechen  4 ihr'  immer  zu  dienen,  er  nimmt  sein  herz  zurück, 
das  er  ihr  geschenkt  hat.  Der  dienst  scheint  ihm  eine  torheit 
die  dem  jüngling  seine  schönsten  jähre  kostet.  Von  nun  an 
will  er  einer  anderen  dienen.  Diese  Stimmung  hält  nicht 
lange  an.  Er  sieht  ein,  dass  die  dame  nicht  anders  handeln 
kann,  wenn  sie  ihren  ruf  nicht  aufs  spiel  setzen  will,  dass  sie 
ihn  nicht  hasst,  sondern  sich  bloss  nicht  compromittieren  will. 
Nun  widerruft  er.  208,32:  nicht  einer  anderen  (amlerstcar) 
will  er  dienen,  sondern  eben  der  der  er  bisher  gedient  hat. 
Er  ist  nun  überzeugt,  dass  sie  nicht  launisch  handelt,  sondern 
nicht  anders  kann.  Nun  ist  der  dienst  nicht  mehr  eine  tor- 
heit  die  die  jugend  raubt,  sondern  es  wird  im  einklang  mit 
den  andern  minnesingern  behauptet,  nur  im  minnedienst 
könne  der  mann  seiner  jugend  froh  werden.  Es  ist  nicht 
mehr  klugheit,  solchen  gelübdes  sich  zu  entledigen  (207, 15  ff.), 
sondern  falschheit  (209, 1  ff.):  so  kommt  er  zu  der  erklärung 

209,  4  von  ir  ich  niemer  komm  wil  (vgl.  207, 11). 
Man  sieht,  beide  Strophen  sind  in  ihren  gedanken  einander  fast 
genau  entgegengesetzt. 

Die  letzte  208,  20  begründet  nun  den  neuen  entschluss 
und  geht  schwärmerisch  ebenso  weit  über  das  rechte  hinaus, 
als  die  erste  ärgerlich  dahinter  zurückgeblieben  war.  Die 
Jugendjahre,  deren  Verlust  207,18  beklagt  wurde,  sind  nicht 
verloren.  Hat  der  dichter  auch  keinen  lohn  von  der  geliebten 
empfangen,  so  hat  er  doch  als  tröstliche  freude  noch  immer 
die  angenehme  aussieht  auf  erhörung,  in  der  ihn  der  dienst 
erhält,  Damit  erklärt  er  alle  seine  wünsche  für  erfüllt,  ja 
er  würde,  wenn  man  ihm  einen  wünsch  freistellte,  nichts 
weiter  begehren  als  eben  die  fortdauer  dieses  schon  lange 
bestehenden  Verhältnisses.   Gehe  es  doch  auch  vielen  anderen 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE 


13 


nicht  besser,  als  dass  sie  nur  wahnfreude  genössen  —  und 
doch  wären  sie  befriedigt. 

Dieser  gruppe  stellt  die  der  übrigen  drei  Strophen  ganz 
selbständig  gegenüber.  Die  hss.  lassen  sie  in  der  Ordnung 
208,8.  207,35.  207,23  folgen  und  es  ist  nicht  nötig  dieselbe 
zn  ändern.  Denn  die  drei  Strophen  gleichen  sich  im  inhalt 
so  sehr,  dass  ich  wenigstens  darin  keinen  logischen  gedanken- 
fortschritt  erkenne.  Sie  bilden  m.  e.  einen  Strophenkreis  (11c, 
)bens.6).  Das  thema,  da«  dreimal  variiert  wird,  lautet:  ob- 
,vol  sie  mir  lohn  versagt  und  mir  dadurch  leid  antut  ,  will 
ch  ihr  nicht  böses  mit  bösem  vergelten.  Die  beiden  ersten 
trophen  bringen  es  negativ,  die  letzte  wendet  es  positiv. 

Besonders  ähnlich  sind  208,8  und  207,35.  Sie  enthalten 
ie  gedanken 

208,8—11  vgl.  208,4:  ich  werde  nichts  böses  von  ihr 
ausbringen. 

208, 12—15  vgl.  207,38—208,3:  ich  diene  ihr  treu,  aber 

sie  lohnt  mir  nicht. 
208, 16—19  vgl.  208,5—7:  die  schuld  ist  mein, 
»ie  dritte  Strophe  enthält  den  letzten  gedanken  nicht.  Ihre 
eiden  ersten  Zeilen  (207,23.24)  fassen  den  zweiten  kurz  zu- 
immen,  aller  nachdruck  liegt  auf  der  positiven  Versicherung : 
Ii  werde  böses  mit  gutem  vergelten.  So  schliesst  die  Strophe 
it  einem  heileswunsch  für  die  geliebte  und  ist  darum  zum 
)schluss  der  gruppe  sehr  geeignet. 

Es  enthält  also  meiner  ansieht  nach  ton  III  eine  strophen- 
ttte  und  einen  strophenkreis.  Jede  dieser  gruppen  besteht 
:s  drei  gliedern,  von  denen  wider  die  beiden  ersten  durch 
rallelismus  oder  contrastierung  der  gedanken  enger  zu- 
rnmenhängen,  also  nach  dem  Schema  (1  -f  2)  +  3  oder  1, 2. 3. 

Was  ich  über  abweichende  Voraussetzungen  in  den  ein- 
Inen  Strophen  des  tones  II  (206,  19  ff.)  H.  v.  A.  s.  9  f.  vor- 
inge,  hält  Vogt  für  unzutreffend,  ohne  freilich  sein  urteil 
begründen.  Ich  habe  in  der  tat  die  Situation  der  Strophe 
L>,  29  unrichtig  aufgefasst,  wenn  ich  sage:  'in  ihr  wird  bei 
r  dame,  von  der  der  dichter  wol  durch  merkure  fern  gehalten 
j-de,  ein  gewisses  wol  wollen  vorausgesetzt'.  Dies  liegt  nicht 
den  worten.  Die  Strophe  schildert  nur  die  besondere  art, 
i  der  dichter  der  dame  seine  gedanken  offenbaren  niuss. 


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14 


SA  RAN 


Er  muss  sieb,  wenn  er  ihr  sein  leid  klagen  will,  des  liedes 
bedienen,  da  ibm  persönliche  ausspräche  nicht  möglich  ist. 
Was  diese  verhindert,  wird  nicht  gesagt,  aber  v.  32  'nun  ist 
mir  das  glück  nicht  so  hold,  dass  ich  ihr  meine  gesinnung 
selbst  darlegen  könnte'  kann  sich  verbunden  mit  v.  35  ff.  wol 
nur  auf  räumliche  trennung  beziehen,  die  vielleicht  rein 
äussere  gründe  hat.  Von  merkern  wird  nichts  berichtet.  Man 
übersetze  also:  'könnte  ich  der  schönen,  was  ich  empfinde,  so 
wie  ich  wünsche  d.i.  persönlich  sagen,  so  Hesse  ich  meinen 
sang.  Nun  aber  ist  mein  glück  nicht  so  gut:  darum  bin  ich 
genötigt  ihr  im  ge sänge  meine  leiden  zu  klagen.  (Das  tue 
ich  auch,  denn)  wenn  ich  ihr  auch  noch  so  fern  bin,  so  schicke 
ich  ihr  doch  diesen  boten,  mein  lied,  zu,  den  sie  gar  wol  hören 
wird  und  doch  nicht  sieht.  Der  wird  mich  dort  (wo  meine 
dame  weilt)  nicht  verraten'. 

Den  inhalt  dieser  Strophe  setzt  207,  1  ff.  passend  fort. 
Gleich  zeile  1  nimmt  bezug  auf  206, 33. 34.  Die  leiden  werden 
übrigens  für  die  geliebte  'erneuert',  weil  sie  der  dichter 
gleichsam  von  neuem  durchmacht,  indem  er  sie  dem  liede 
anvertraut.  Vgl.  MF.  187, 32.  Bechs  Übersetzung  scheint  mir 
den  sinn  nicht  genau  zu  treffen.  Es  liegt  nicht  in  den  Worten, 
dass  der  dichter  schon  öfter  lieder  gesant  hat.  Also:  'das 
lied  nun,  in  dem  ich  der  edeln  meinen  schmerz  kund  tue, 
ist  eine  klage  und  nicht  ein  gesang'.  V.  207, 4—6  führt  genau 
aus,  was  206, 34  nur  andeutet  :  ich  bitte  sie  um  erhörung  und 
sie  versagt;  diese  schwere  zeit  dauert  schon  allzu  lange  (als 
dass  ich  noch  fröhlichen  sang  ertönen  lassen  könnte)'.  Aus 
dieser  trüben  Stimmung  ergibt  sich  von  selbst  der  leise  wünsch, 
der  in  den  versen  7—10  beschlossen  liegt:  'wem  es  möglich 
wäre,  solchen  kämpf  (solche  bemühungen),  der  kummer  und 
nie  freude  gibt,  aufzugeben  —  mir  ist  es  aber  nicht  möglich 
(Mhd.  wb.  1, 806  b)  —  der  wäre  ein  glücklicher  mensch'. 

Die  beiden  Strophen  hängen  also  sehr  gut  zusammen. 
Die  noch  übrige  ist  freilich  mit  ihnen  nur  lose  verknüpft. 
MF.  stellt  sie  mit  AC  an  den  anfang.  Dahin  passt  sie  aber 
keinesfalls,  wenn  man  den  ton  mit  MF.  als  eine  Strophenkette 
betrachtet.  Denn  die  Zeilen  206,  27  und  28  bilden  einen  ent- 
schiedenen schluss.  Nun  steht  der  inhalt  dieser  schlusszeileu 
doch  wol  mit  207,7—10  in  beziehung:  der  leise  wünsch,  den 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


15 


diese  verse  enthalten,  wenn  er  auch  mit  einem  des  ich  niene 
kan  sofort  unterdrückt  wird,  dieser  leise  wünsch  wird  206, 
27. 28  ausdrücklich  ins  gegenteil  gewendet  und  der  inhalt  von 
207,4—6  (auch  der  ausdriuk  gnaden  biten)  kehrt  wider  in 
206, 24—26.  Wir  werden  also  in  206, 19  den  abschluss  des 
Strophenpaares  206, 29  und  207, 1  erblicken  dürfen;  sie  bringt 
eine  art  palinodie  für  den  schluss  der  zweiten  von  ihnen. 
Freilich  muss  man  festhalten,  dass  diese  Strophe  den  gedanken 
nicht  scharf  aufnimmt  und  folgerichtig  weiter  führt:  sie  kommt 
nach  einer  besonderen  allgemeinen  erwägung  (206, 19— 2Ü),  in 
der  v.  20  ein  neues  motiv  anschlägt,  zu  ihrem  endresultat. 
Doch  wird  auch  hier  das  unglückliche  liebesverhältnis  voraus- 
gesetzt, von  dem  str.  1  und  2  eine  besondere  Situation  ausmalten. 

Dafür  dass  die  Strophe  206, 19  den  schluss  des  kreises 
bildet,  spricht  auch  der  umstand,  dass  die  erste  zeile  von 
ton  III  207, 11  direct  an  sie  anknüpft:  die  pointe  des  ganzen 
tones  II  wird  darin  zunächst  negiert.  Man  sieht  ferner  leicht, 
dass  sich  dieser  ton  II  im  inhalt  mit  der  strophenkette  aus  III 
<ehr  nahe  berührt.  Abgesehen  von  der  eben  erwähnten,  un- 
mittelbaren hindeutung  von  III  auf  II  ist  das  in  rede  stehende 
ied  nichts  anderes  als  eine  widerholung  des  wesentlichen  in- 
nilts  von  II,  nur  in  stärkerer  potenz:  der  wünsch  von  207,  7  ff. 
.vird  in  207,11  wenigstens  vorübergehend  zum  entschluss.  In 
>eiden  die  neigung  den  dienst  aufzugeben,  in  beiden  der  wider- 
uf.    Beide  lieder  sind  darum  wol  zeitlich  benachbart. 

In  dem  fünfstrophigen  ton  205,  1  ff.  haben  die  heraus- 
eber  von  MF.  die  letzte  Strophe  abgesondert:  mit  recht.  Sie 
3t  mit  dem  was  vorausgeht  zwar  verwant,  weil  auch  sie 
oraussetzt,  dass  der  dichter  mit  seinem  werben  bei  der  dame 
ein  glück  hat,  sie  löst  sich  aber  ab,  weil  sie  als  neues  motiv 
en  tod  des  dienstherren  mit  aufnimmt.  Die  hss.  überliefern 
)lgende  reihe:  (,        ß  MF 

1  1  205,  l 

2  2  205, 10 

3  —         20G,  10 

4  —         206, 8 
*11  —  205,19. 

ie  letzte  Strophe  ist  durch  ein  verweisungszeichen  hinter  C  2 
ig-ebracht.   Sie  wird  in  einem  der  von  C  benutzten  lieder- 


16 


SA  RAN 


bücher  vermutlich  hinter  205,  10  gestanden  haben.  Oder  hat 
der  Schreiber  über  den  gedankengang  nachgedacht?  In  der 
tat  lässt  sich,  was  ich  früher  nicht  erkannt  habe,  ein  solcher 
nachweisen,  wenn  man  205,  19  nicht  mit  C  hinter  205.  10, 
sondern  an  die  zweite  stelle,  also  hinter  205,  1  rückt.  Die 
vier  Strophen  bilden  dann,  ganz  ähnlich  wie  es  in  ton  III  der 
fall  ist,  die  hauptmomente  eines  Stimmungsverlaufs,  der  mit 
fast  zorniger  erregung  gegen  die  dame  einsetzt  und  damit 
endet,  dass  der  dichter  ihre  handlungsweise  als  die  einzig 
mögliche  anerkennt  und  schliesslich  nicht  die  dame,  sondern 
sich  selbst  tadelnd  zurecht  weist.    Es  ist  ein  winterlied. 

205,1.  Meine  treue  bringt  mir  keine  freude,  denn  ich 
habe  meiner  dame  leben  und  dienst  vergeblich  gewidmet  und 
lange  vergeblich  gehofft.  Ich  müsste  ihr  darum  eigentlich 
fluchen,  doch  will  ich  meinem  zorn  keinen  andern  ausdruck 
verleihen  als  den:  'sie  hat  nicht  schön  an  mir  gehandelt'. 
Würde  der  dichter  seiner  erregung  nachgeben,  so  würde  er 
ihr  einen  fluch  wegen  ihrer  untreue  zuschleudern. 

205, 19.  Bald  kommt  ihm  das  törichte  solches  zornes  zum 
bewusstsein.  Er  macht  sich  den  einwurf:  'damals  als  ich  ihr 
diente,  ohne  dass  es  auf  sie  eindruck  machte  (d.  h.  den  sonimer 
durch),  schien  es  mir  aber  doch  ganz  angemessen,  dass  sie  die 
edle  sich  mir  versagte,  und  dieser  ihr  entschluss  ist  in  der 
tat  ganz  berechtigt  gewesen.  Zürne  ich  nun,  so  wird  sie 
darüber  spotten  und  mich  macht  es  (vorzeitig)  alt.  (Nein,  ihre 
Zurückhaltung  verdient  meinen  zorn  nicht.)  Sie  hat  sich  vor 
den  vielen  mängeln,  die  mir  anhaften,  gescheut  und  sich  von 
mir  zurückgezogen,  mehr  um  dem  gerede  zu  entgehen  als  weil 
sie  mir  übel  wollte.  Sie  meint  offenbar,  sie  werde  sich  so  ihren 
ruf  besser  wahren'.  V.  205, 23  nimmt  205, 8. 9  zurück.  Vgl. 
auch  v.  19  und  7, 19—22  und  6—7. 

205, 10.  Die  person  die  meinen  zorn  verdient,  ist  also 
nicht  meine  dame,  vielmehr:  'wollte  ich  den  hassen  der  mir 
leid  zufügt,  so  hätte  ich  guten  grund  mein  eigener  feind  zu 
sein.  Viel  ist  an  meinem  äusseren  und  meinem  geist  (bildung?) 
zu  tadeln:  das  hat  eben  mein  Unglück  offenbart,  Dass  also 
meine  dame  nichts  von  mir  wissen  will,  davon  ist  die  schuld 
mein.  Denn  da  nur  lebensklugheit  den  mann  glücklich  macht, 
torheit  aber  nie  ein  dauerhaftes  glück  erlangt,  so  bin  ich  daran, 


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UKBKIi  HARTMANS1  VON  AUE. 


17 


falls  ich  wirklich  nicht  mit  verstand  zu  dienen  weiss,  eben 
ganz  allein  schuld'.  V.  18  da  — an  geht  auf  v.  14.  Die  Strophe 
gibt  zugleich  genauer  an,  was  unter  wandet  zu  verstehen  ist. 
Es  fehlt  dem  dichter  offenbar  an  äusserer  gewantheit  und 
Sicherheit  im  auftreten,  wie  an  innerer  reife.  Er  ist  wol  etwas 
ungeschickt  und  harmlos,  jedenfalls  noch  recht  jung.  Die 
dame  die  seinen  dienst  annähme  und  ihm  dadurch  ohne  wei- 
teres ihren  werden  Up  als  belohnung  in  aussieht  stellte,  würde 
sieb  dem  aussetzen,  dass  sie  der  jugendliche  liebhaber  gelegent- 
lich einmal  durch  irgend  eine  Ungeschicklichkeit  in  das  gerede 
brächte  (205, 26. 27).  Nur  weil  er  im  minnedienst  noch  zu 
inerfahren  ist,  findet  er  mit  seiner  Werbung  kein  gehör. 

206,1.  Also  darf  ich  nicht  zürnen  oder  mich  auch  nur 
iber  mein  misgeschick  verwundern:  ich  muss  sogar  ganz  zu- 
rieden  sein.  'Sie  hatte  mich  nur  oberflächlich  gekannt,  als 
ie  sich  zuerst  meinen  dienst  gefallen  Hess:  dadurch  dass  sie 
päter  an  mir  so  viel  zu  tadeln  fand,  haben  mich  dann  meine 
ehler  und  ihre  einsieht  wider  fortgestossen.  Sie  hat  wirklich 
rfüllt,  was  sie  mir  in  aussieht  gestellt  hat.  alles  was  sie  mir 
•huldig  gewesen  ist,  habe  ich  auch  bekommen  — :  ein  tor, 
er  etwas  anderes  (sc.  als  das  ihm  zukommende)  verlangt! 
ie  hat  mir  gelohnt  dem  wert  entsprechend,  den  sie  mir  bei- 
•gte:  mich  trifft  nichts  anderes  als  mein  eigen  seh  wert'. 
tsheit  ist  wol  kenntnis  höfischen  lebens  und  wesens,  lebensart. 
hiez  (206,  5)  setzt  kein  bestimmtes  versprechen  voraus.  Die 
ime  die  sich  einen  dienst  gefallen  lässt  oder  gar  ausdrück- 
•h  annimmt,  stellt  damit  ohne  weiteres  lohn  in  aussieht.  Zur 
tdeutung  vgl.  Trist.  1405.  Hinter  206, 5  ziehe  ich  einen  punkt 
r.  Vgl.  die  Stellung  des  fünften  verses  in  den  andern  Strophen. 

Von  den  vier  Strophen  hängen  1  und  2  enger  zusammen: 
ide  beschäftigen  sich  mit  dem  zorn  des  dichters  (v.  205,8 
(i  205,  23).  Ebenso  3  und  4,  in  denen  über  wert  und  unwert 
ner  person  gehandelt  wird  (205, 12.  206, 3). 

Der  Gedankengang  ist  also  kurz  der.  In  der  ersten  Strophe 
rd  die  erregung  des  dichters  geschildert  und  ihr  grund:  er 
t  am  ende  des  sommei-s  den  gehofften  lohn,  den  werden  Up 
•  dame  nicht  genossen.  In  der  zweiten  erkennt  er  das 
iehte  und  grundlose  seines  zornes:  die  handlungsweise  der 
ne  wird  milder  beurteilt.   In  der  dritten  sieht  er  ein,  dass 

iloi trüge  zur  guichfchte  der  deutschen  spräche.    XXIII.  2 


18 


SAR  AN 


die  Ursache  ihrer  abneigung  in  ihm  selbst  liegt,  er  also  selber 
die  schuld  an  seinem  Unglück  trägt.  Die  vierte  kommt  sogar 
zu  dem  ergebnis,  dass  er  alles  von  der  dame  erlangt  habe, 
was  er  habe  vernünftigerweise  fordern  können:  206,5  nimmt 
205,9  zurück. 

Wir  haben  also  in  diesem  ton  eine  Strophenkette  und  eine 
mehr  selbständige  sehlussstrophe,  nach  dem  schema  (1  +  2)  + 
(3  +  4).  5. 

Ich  habe  nun  H.  v.  A.  s.  30  nach  dem  Vorgang  Becks  und 
anderer  angenommen,  die  Strophen  dieses  tones  I  setzten  die 
förmliche  aufgäbe  des  minnedienstes  voraus,  von  dem  sie 
handeln.  Ich  habe  die  Wendung  206, 10  genäde  widersei t  so 
verstanden,  als  verbitte  sich  damit  die  dame  förmlich  den  dienst 
des  dichtere,  den  sie  sich  bis  dahin  gefallen  lassen.  Diese 
auffassung  ist  aber  nicht  richtig.  Schon  Heinzel  hat  Zs.  fda. 
15, 130  darauf  hingewiesen,  dass  jene  worte  nichts  von  einem 
plötzlichen  brach  oder  gar  von  einer  'aufkündigung'  melden. 
Genride  widersagen  bedeutet  'jemandem  eine  gunst,  um  die  er 
bittet,  nicht  gewähren'.  Vgl.  Iw.  5654.  Es  bedeutet  nicht, 
'ihm  ein  wolwollen,  dessen  er  sich  bis  dahin  erfreut  hat.  ent- 
ziehen \  Die  stelle  besagt  also  nur,  dass  Hartmann  seiner  ver- 
ehrten einmal  eine  bitte  vorgetragen  hat  und  abschlägig  be- 
schieden ist,  Die  worte  meinen  etwa  dasselbe  wie  v.  205.  14 
min  rromee  gert  min  niht  (—  will  nichts  von  mir  wissen). 

Es  ist  darum  ganz  wol  möglich,  dass  Hart  mann 
auch  nach  diesem  liede,  trotz  jenes  abschlägigen  be- 
scheides,  üf  genäde  weiter  dient,  wie  er  es  vorher 
getan.  Die  Situation  von  ton  I  ist  darum  nickt  wesentlich 
verschieden  von  der  welche  ton  III  schildert,  nur  dass  jenes 
lied  auf  einen  speziellen  Vorfall  hindeutet,  da  die  versagimg 
und  der  tod  der  herren  als  zwei  historiseke  facta  neben 
einander  erwähnt  werden.  Wann  der  Vorfall  sich  ereignete, 
ist  eine  zweite  frage.   Er  kann  längere  zeit  zurückliegen. 

Man  wird  kaum  fehl  gehen,  wenn  man  den  Inhalt  des 
ersten  büchleins  hierher  bezieht.  Jenes  ereignis  von  ton  I 
dürfte  dasselbe  gewesen  sein,  was  zur  Klage  anlass  ward. 
Hartmann  liebt  eine  dame  und 

H.  Klage  99  ff. 

unz  ich  si  ralnen  mnot  versweic         gein  ir  gruoze  ich  dicke  neic 


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UJBBBR  I1A11TMANN  VON  AUK. 


19 


und  het  mich  du  als  einen  man 
dem  ein  wip  ir  Luide  gan. 
dd  wände  ich  bessern  min  heil : 
do  greviel  mir  duz  wirser  teil. 
Ich  wände  mich  ir  na«hte 


«wenn  ich  si  innen  bnehte 

daz  ich  uz  al  der  werk  ein  wip 


ze  frowen  über  miuen  lip 
tür  8i  ha«te  niht  erkora: 
da  mite  han  ich  si  verlom. 


Dazu  vgl.  ebda.: 


14  du  si  im  des  niht  gunde 
daz  er  ir  waere  nndertan 
(si  sprach  er  solte  si  erlan), 
doch  versuoehte  erz  zaller  zit. 


Y.  99— 102  gibt  die  realen  grundlagen  zu  MF.  205,5— 7.  V.  103  ff. 
erläutert  recht  gut  205. 14  min  rrouire  gert  min  niht  (vgl.  auch 
BttchL  v.  10).  Die  gedanken  205, 15—18  und  205,  24  ff.  bilden 
n  breiter  ausführung  den  inhalt  von  003  ff.  1281  ff.  Trotz  der 
mfänglichen  misstimmung  wird  der  dienst  nachher  wider  auf- 
genommen. 

Jedenfalls  steht  wol  so  viel  fest,  dass  das  minneverhältnis, 
vorin  wir  Hartmann  in  ton  I  finden,  einseitig  war,  und  dass 
Iso  von  einer  'aufkündigung'  seitens  der  dame  keine  rede 
ein  kann.  Durch  den  tod  des  herrn  und  den  kreuzzug  schloss 
iese  episode  im  leben  Hartmanns  von  selbst  ab. 

Die  sechs  Strophen  des  tones  V  (209,25)  sind  in  der 
)lge  überliefert,  in  welcher  sie  MF.  bringt.  Sie  sind  da  auf 
vvei  Lieder  verteilt:  1-4,  5  -f  6.  Dass  die  Strophen  ihrem 
ihalt  nach  in  dieser  weise  nicht  zusammen  passen,  habe  ich 
hon  H.  v.  A  s.  19  erkannt  und  halte  an  dieser  ansieht  fest, 
leicliwol  sind  sie  nicht,  wie  ich  dort  getan,  zu  isolieren,  son- 
»rn  es  gehören,  wie  ich  jetzt  glaube,  immer  je  drei  zusammen, 
dass  der  ton  aus  zwei  Strophenkreisen  besteht. 

Der  erste  kreis  umfasst  209,25.  210,11.  210,35.  Zu- 
eilst einiges  zur  texterklärung.  209, 25  ist  kriuze  natürlich 
s  kreuzeszeichen,  das  symbol  dafür  dass  sich  sein  träger 
tt  geweiht  hat,  das  symbol  der  heiligung.  Schönbach  (s.  157) 
ft  dem  wort  hier  die  bedeutung  'kreuzfahrt'  bei,  aber  dies 
irde  der  Strophe  gerade  die  anschaulichkeit  rauben,  die  sie 
szeiehnet.  Der  eigentliche  sinn  ist  durchaus  gewahrt.  Vgl. 
33— 80.  —  Die  lesart  von  210, 15  ist  bekanntlich  strittig, 
e  hss.  haben  C  der  imechen,  B  her  hucchen  und  stellen 
vserdem  210, 15—18  vor  210, 11—14.   Die  überlieferte  lesart 


20 


SA  HAN 


zu  halten  habe  ich  mich  H.  v.  A.  s.  18  einer  Vermutung  Höfers 
angeschlossen,  der  wie  MSH.  4, 263  in  hacchcn  den  namen  eines 
dämonischen  wesens  vermutet.  Dagegen  polemisiert  Schönbach 
s.  159.  und  seine  bemerktffigen  treffen  durchaus  zu.  Ich  lasse 
also  die  annähme  fallen.  Schönbach  selbst  kehrt  zu  der  Haupt- 
schen  deutung  (MF.  anm.  z.  st.)  'hacken  d.  i.  angelhaken  der 
weit'  zurück,  eine  deutung  die  auch  Bech  nur  etwas  anders 
gewendet  (hacken  dat.  plur.  ioekungen')  festhält.  Was  aber 
Schönbach  sie  zu  stützen  vorbringt,  ist  keineswegs  beweisend. 
Ob  man  unter  dem  haken  einen  angelhaken  oder  einen  fang- 
haken für  raubtiere  versteht,  ist  wirklich  ganz  gleich:  das 
manegen  tac  nach  loufen  passt  zu  keiner  von  beiden  bedeu- 
tungen.  Denn  in  der  Vorstellung  des  nachlaufens  liegt  hier 
doch  inbegriffen,  dass  sich  der  gegenständ  dem  der  dichter 
nachläuft,  vor  ihm  her  bewegt:  das  trifft  aber  bei  keinem 
haken  zu.  Wenn  ferner  auch  der  teufel  kurzweg  hatnus  heisst. 
so  bezweifle  ich  sehr,  dass  die  sinnliche  bedeutung  des  Wortes 
schon  ganz  verschwunden  ist.  Mir  scheint,  dass  sich  der  stelle 
durch  ein  einfaches  mittel  aufhelfen  lässt.  Man  behalte  die 
Umstellung  der  Stollen  mit  MF.  bei  und  lese  statt  der  hacchen 
der  lachen,  d.i.  deren  (der  weit)  lächeln  bin  ich  nachgelaufen. 
V.  15  würde  alsdann  passend  auf  den  gedanken  von  v.  11  zu- 
rückweisen. —  V.  17  dfi  —  mae  ist  nur  eine  Umschreibung  für 
'weit';  statte  nimmt  das  triegent  v.  11  wider  auf  und  bedeutet 
also  einfach  die  Unbeständigkeit  der  weit,  die  anders  lohnt  als 
sie  verspricht.  Schönbach  versteht  darunter  (s.  160)  die  reli- 
giöse tilgend  der  perseverantia:  aber  diese  tilgend  kann  man 
doch  unmöglich  an  der  weit  vermissen.  Zu  v.  19  ff.  vgl.  Schön- 
bach  s.  160. 161. 

210,  35  ist  froide  die  fröhliche  teilnähme  an  dem  was  die 
weit,  besonders  das  ritterlich-höfische  treiben  in  der  schönen 
jahreszeit  angenehmes  bietet,  und  die  daraus  entspringende 
Stimmung.  Während  Hartmann  sich  der  weltfreude  hingibt, 
ist  er  innerlich  nicht  wirklich  ruhig  und  froh:  die  sorge  um 
das  Seelenheil  (v.  35)  mischt  sich  stets  ein  und  stört  den  vollen 
genuss.  Reine  freude  und  ungetrübte  heiterkeit  des  gemütes 
geniesst  er  erst  jetzt,  wo  er  sich  zur  annähme  des  kreuzes- 
zeichens  bez.  der  kreuzeszeichen  (Schönb.  s.  163)  entschlossen 
hat  und  sie  nun  auf  seinem  gewande  erblickt. 


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UEBEK  HARTMANN  VON  AUE. 


21 


Die  sorgen  des  verses  35  sind  also  gewis  nicht  weltliche, 
wie  Schönbach  s.  164  ans  v.  211, 14  vermutet.  Das  würde  nicht 
passen.  Der  hinweis  auf  eine  Sommerzeit,  die  in  jeder  be- 
ziehung  (yar)  eine  weide  der  äugen  sein  wird  und  der  aus- 
dmck  Kristes  bluomen  (37),  die  solchen  sommer  voraus- 
verkünden, zeigen  m.  e.  deutlich,  dass  diesen  versen  die 
sinnliche  anschauung  einer  frühjahrssituation  zum  hintergrunde 
dient.  Der  dichter  denkt  bei  den  oben  hervorgehobenen  Worten 
an  die  bescheidenen  blumen  des  frühlings,  die  den  reicheren, 
schöneren  blütenschmuck  des  sommers  vorausdeutend  anzeigen. 
Tax  diesen  blumen  des  frühlings  stellt  der  dichter  die  blumen 
'hristi,  d.i.  die  kreuzeszeichen,  in  gegensatz:  zwischen  beiden 
bat  er  seine  wähl  treffen  müssen  (kos  v.  37).  Kristes  (v.  210,37) 
st  zu  betonen.  Die  beiden  arten  von  blumen  sind  natürlich 
im*  symbole.  Mit  blumen  schmückten  sich  herren  und  damen 
)ei  den  geselligen  Unterhaltungen  und  schmückte  man  die 
lallen  bei  festen.  Das  aufspriessen  der  blumen  im  frühjahr 
»edeutete  somit  für  jene  zeit  die  widerkunft  des  fröhlichen 
reibens,  dem  man  sich  nur  im  sommer  wirklich  hingeben 
onnte  und  an  dem  der  dichter  auch  schon  oft  teilgenommen. 
Hese  blumen  verkünden  also  eine  fröhliche  und  schöne  sommer- 
eit.  Aber  dieser  sommer  kann  dem  dichter  doch  nicht  wahre, 
olle  freude  geben,  sondern  nur  eine  gemischte,  eine  freude, 
ie  von  sorge  um  das  Seelenheil  getrübt  wird  (210,35).  Jene 
die  freude  vermag  nur  der  paradiesessommer  zu  spenden,  der 
'so  yar  in  süezvr  ouyenwchle  lit.  Die  Vorboten  dieses  sommers 
nd  die  blumen  Christi,  die  zu  der  zeit  im  lande  aufspriessen, 
s  die  kreuzpredigt  ertönt.  Wer  nun  die  blumen  der  natur 
iihlt,  der  folgt  dem  heiteren  ruf  der  weit:  blumen  sind  ja 
nibole  ihrer  geselligen  freuden.  Wer  Christi  blumen  wählt 
Igt  dem  ruf  gottes  und  entsagt  der  weit:  das  kreuz  ist  das 
mbol  der  entsagung. 

Da  nun  also  der  dichter  seine  lossagung  von  der  weit  und 
ne  Hinwendung  zu  gott  unter  dem  bild  einer  überlegten 
ihl  (kos  210, 37)  zwischen  den  blumen  des  frühlings  und  denen 
risti  darstellt,  so  ist  doch  klar,  dass  sich  ihm  die  blüten 
•  natur  und  das  kreuz  zu  gleicher  zeit  zur  wähl  dargeboten 
>en,  dass  also  die  kreuznahme  (und  damit  wol  auch  die 
assung  der  Strophe)  in  einen  frühling  fällt,  wo  Hartmann 


22 


HAKAN 


wirklich  zwischen  blnmenkranz  und  kreuz,  zwischen  weit  und 
gott  wählen  konnte.  Die  angehende  sommerlust  hätte  ihm 
dann  das  schöne  motiv  an  die  hand  gegeben.  Andernfalls 
wäre  das  ganze  nur  ein  witziges  gedankenspiel.  Wenn  also 
Schönbach  tadelnd  anmerkt  (s.  163),  ich  zöge  meinen  schluss 
auf  die  datierung  'nicht  aus  den  genau  verstandenen  Worten 
des  dichters,  sondern  aus  meiner  eignen  Umschreibung  der- 
selben', so  kann  ich  das  nicht  gelten  lassen.  Ausserdem  habe 
ich  TT.  v.  A.  s.  21  diesen  schluss  keineswegs  als  sicher  hin- 
gestellt. —  Das  u hs  v.  211,3  will  Schönbach  s.  163  auf  die 
guten  menschen  überhaupt,  die  in  v.  7  erwähnt  werden,  be- 
ziehen. Das  scheint  mir  wenig  passend,  überhaupt  ist  mir 
der  sinn  seiner  einwendung  nicht  recht  deutlich.  Ich  ziehe 
meine  frühere  erklärung  (H.  v.  A.  s.  10)  noch  immer  vor. 
211,  7  dient  mit  5.  6  nur  zur  näheren  beschreibung  des  zehnten 
chores:  es  steht  statt  eines  relativsatzes  (Paul,  Mhd.  gr.4  §  346). 
Wafcist  gleich  'mir  und  euch,  die  ihr  mein  lied  hört;  Da  nun 
HartnufiH^unter  dem  frischen  eindruck  der  krenznahme  dichtet 
und  auf  daiSfcreuz  an  seinem  gewande  hinweist,  so  denkt  man 
bei  den  zuhörern^ch  zunächst  an  eine  Versammlung  von 
kreuzrittern.  Sicher  ist  dasjiatürlich  nicht,  Hartmann  kann 
auch  an  seinem  hofe  gesungen  haben. 

Die  eben  besprochenen  Strophen  20^  25.  210,  11  und  210,  35 
haben  das  gemein,  dass  in  jeder  von  ihnfcuauf  das  kreuz  an 
des  dichters  gewand  hingewiesen  wird.  Ygl/i?00.35.  210,22.38. 
Sodann  wird  darin  ganz  -deutlich  die  Stimmung  unmittelbar 
nach  der  krenznahme  geselnfrtwrt  Denn  es  Rändelt  sich  in 
allen  dreien  um  die  sittlichen  Wirkungen  die  von  dem 
zeichen  des  kreuzes  ausgehen  bez.  um  die  sittlichen 
pflichten  die  seinem  träger  erwachsen.  ,  Dies  thema 
wird  in  bezug  auf  den  dichter  durchgeführt /und  zwar  so, 
dass  sich  ein  fortschritt  der  gedanken  nicht  verkennen  lässt. 

Hartmann  beginnt  mit  einem  allgemeinen  getyankeu.  'Das 
kreuzeszeichen  verlangt  lauteren  sinn  und  entsa&vmg:  mir  so 
kann  man  dadurch  die  Seligkeit  und  alles  gute  w<t.s  es  ver- 
heisst  (Schönbach  s.  157)  erwerben.'  .letzt  kommt  eiue  spe- 
cielle  an  Wendung,  um  die  beziehung  auf  den  jungen  dichter 
vorzubereiten.  'Dadurch  ist  es  auch  ein  nicht  geringer  halt 
für  den  jüngling,  der  sich  nicht  selbst  zu  zügeln  weiss,  l/ 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


23 


will  nicht,  dass  der  mit  ihm  bezeichnete  nach  seinem  belieben 
handle.  Er  soll  entsagung  üben,  denn  was  nützt  es  auf  dem 
kleid,  wenn  nicht  gleichsam  auch  das  herz  damit  bezeichnet  ist  ?' 

210. 11  zieht  nun  der  dichter  daraus  die  folgerungen,  die 
sich  für  ihn  ergeben.  Er  hat  das  kreuz  genommen  und  will 
nun  auch  diesem  zeichen  gemäss  leben,  er  will  nun  auch  seine 
weltlust  zügeln.  Aber  das  ist  schwer,  und  darum  erbittet  er 
Christi  hilfe,  seinen  entschluss  auszuführen.  'Die  weit  lächelt 
mich  truglich  an  und  winkt  mir.  Nun  bin  ich  ihr  zwar  bis 
jetzt,  wie  das  ein  junger  mensch  eben  tut  (vgl.  209, 30),  ge- 
folgt. Ihrem  lächeln  bin  ich  manchen  tag  nachgelaufen,  ihr, 
der  wankelmütigen,  unbeständigen  nachgeeilt.  (Jetzt  aber  in 
diesem  entscheidenden  inoment.  wo  sich  die  weltfreude  wider 
ankündigt,  will  ich  ihr  nicht  wider  folgen),  nun  hilf  mir,  herr 
Christus,  dass  ich  mich  durch  das  kreuzeszeichen  hier  auf 
meinem  gewande  vom  teufel  losmache'. 

Str.  210, 11  zeigt  also  den  mit  dem  kreuz  bezeichneten 
dichter  noch  schwankend  zwischen  der  weit,  die  ihm  wider 
einmal  lockend  erscheint,  und  Christo,  der  von  seinem  christ- 
lichen beiden  hilfe  verlangt.  Die  absage  an  die  weit  wird 
ihm,  dem  lebenslustigen  jüngling,  schwer.  Darum  ruft  er 
Christum  selbst  in  seiner  bedrängnis  an.  Sehen  wir  Hartmann 
hier  noch  zwischen  der  nachfolge  der  frau  Welt  und  der  nach- 
folge Christi  schwanken,  so  verkündet  die  letzte  Strophe,  dass 
der  dichter  den  sieg  über  seine  weltlust  errungen  hat:  der 
jüngling  hat  sich  für  Christum  entschieden.  Das  bild  von  der 
wähl  zwischen  weit  und  Christus  wird  beibehalten:  nur  treten 
statt  der  personell  der  zweiten  strophe  (teilt  v.  11;  Kristin)  ihre 
symbole  ein:  blumen  und  kreuzeszeichen.  Cebrigens  hängt  die 
strophe  loser  an  der  zweiten,  als  diese  an  der  ersten.  Das 
schema  ist  (1  +  2).  3. 

Auf  das  kreuz  wird  mit  denselben  Worten  wie  in  v.  22 
hingewiesen  (v.  38).  Seine  Wirkungen  machen  sich  bereits 
geltend.  Das  kurze  gebet  in  211, 3  ff.,  worin  die  anwesenden 
mit  eingeschlossen  werden,  gibt  einen  vortrefflichen  abschluss 
des  ganzen. 

Das  eben  zusammengestellte  lied  zeigt  den  dichter  trotz 
der  kreuzesnahme  noch  im  streit  mit  seiner  weltlust:  er  macht 
sich  vor  unsern  äugen  von  der  weit  los,  er  entscheidet  sich 


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24 


SAH  AN 


eben  erst  für  das  kreuz  und  entsagt  den  blumen.  In  den  noch 
übrigen  drei  ist  der  kämpf  von  vorn  herein  entschieden.  War 
dort  das  thema  'kreuzeszeichen  und  weltleben  \  so  lautet  es 
hier  'rittertaten  und  kreuzfahrt',  'weltdienst  —  gottesdienst'. 
Am  besten  rundet  sich  der  Strophenkreis,  wenn  man  ordnet: 
200,  37.  210,28.  211.8. 

In  allen  dreien  wird  auf  die  kreuzfahrt  selbst  hingewiesen: 
210,  8  daz  er  da  ivol  gevert 
210, 32  min  vart  die  ich  hän  genomen 
211, 18. 19  steenn  ich  in  Kristes  schar 

mit  fröidcn  wünnecliclum  var. 
Ferner  wird  überall  das  thema  hervorgehoben: 

weit  und  gott:  210,3  und  5.  211,8  und  12, 
weltfremde  und  Seelenheil:  210,10.  210,  25  und  20, 
Hartmanns  völlige  abkehr  von  der  weit:  210,25.  211,8. 

Dass  210, 23  ff.  sich  gut  an  210, 11  ff.  anschlösse,  wie  Schön- 
bach s.  101  meint,  finde  ich  nicht.  Hier  genügt  der  tod  des 
herrn,  Hartmann  die  weit  zu  verleiden,  dort  entsagt  er  ihr 
unter  schweren  kämpfen,  weil  es  das  kreuzeszeichen  verlangt. 
Dass  ferner  die  sorge,  von  der  Hartmann  211, 14  spricht,  nicht 
mit  Schönbach  mit  der  sorge  in  210. 35  zusammenzustellen  ist, 
habe  ich  schon  oben  angedeutet.  Die  beziehung  auf  Friedrichs 
Verordnung,  die  ich  H.  v.  A.  s.  23  annehme,  gebe  ich  nach  Schön- 
bachs einwendungen  s.  1(55  auf.  Aber  warum  übersetzt  dieser 
211,18.10  'wann  immer  (also  nicht  gerade  jetzt)  ich  in  der 
heerschar  Christi  mit  wonne  und  in  freuden  ausfahre'?  Die 
verse  deuten  doch  ohne  zweifei  auf  die  künftige  abreise,  und 
swenne  kann  bei  ereignissen,  die  in  der  Zukunft  liegen,  ganz 
wol  auch  bei  einmaligen  handlungen  verwendet  werden:  Paul, 
Mhd.gr.' §  348.2.  Also  'wenn  ich  dahin  reisen  werde'.  Sorge 
steht  ganz  allgemein,  man  denke  einfach  an  wirtschaftliche 
nöte,  die  manchen  in  der  heimat  zurückhielten.  leber  die 
schwache  flexion  vgl.  Lm.  z.  Iw.  1534. 

Auch  in  dieser  Strophengruppe  hängen  die  ersten  zwei 
glieder  eng  zusammen.  Hart  mann  beginnt  mit  der  allgemeinen 
aufforderung  an  die  ritter,  indem  er  die  kreuzfahrt  empfiehlt. 
Sie  brauchten  bei  der  kreuzfahrt  auf  der  Werlte  top  nicht  zu 
verzichten,  und  der  si-h  heil  sei  ihnen  sicher.    210,  23  stellt 


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LEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


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er  an  Werlte  (v.  10)  anknüpfend  diesem  gedanken  seine  persön- 
liche Stellung  gegenüber:  'wie  es  auch  mit  der  weit  (ist  zu 
betonen)  nach  dem  tode  meines  herren  stellen  mag,  ist  mir 
freilich  gleichgilt  ig.  Dieser  hat  den  besten  teil  meiner  freude 
mit  dahingenommen\  Der  iverlte  lop  kann  und  will  er  nicht 
mehr  erwerben,  aber  der  sele  heil,  darum  will  er  sich  nun 
kümmern.  Der  inhalt  der  Strophe  wendet  deutlich  die  ge- 
danken von  210, 10  auf  den  besonderen  fall  des  dichten  an. 
Dagegen  nimmt  die  dritte  Strophe  die  begriffe  icerlt  und  got 
aus  210, 3  und  5  wider  auf.  Sie  hängt  loser  an  der  zweiten. 
Das  schema  wäre  (1  -h  2).  3. 

Ton  VII  (211,  27)  enthält  drei  Strophen,  von  denen  zwei, 
nämlich  211,35  und  212,5,  gut  zusammenhängen.  211,27  ist 
selbständiger,  wenn  sie  auch  in  Stimmung  und  gedanken  den 
andern  nicht  fremd  ist.  Es  sind  beziehungen  zu  212,5  er- 
kennbar: vgl.  211,28  und  32  mit  212,8.  Vielleicht  stellt  man 
darum  am  besten  die  in  MF.  vorausgesetzte  Strophe  an  dritte 
stelle.  Man  gewönne  damit  wider  das  schema  (1  +  2).  3,  das 
schon  öfter  ermittelt  worden  ist. 

Ton  VII  (212,13)  sind  wider  drei  Strophen.  1  und  2 
haben  dieselbe  Situation  (trennung  von  der  geliebten)  zur 
Voraussetzung  und  hängen  dadurch  etwas  enger  zusammen. 
Die  dritte  steht  allein:  schema  1.  2.  3. 

Ton  IX  (212.37)  halte  ich  jetzt  für  unzweifelhaft  echt. 
Dies  resultat  ergab  sich  mir  schon  H.  v.  A.  s.  70  als  wahr- 
scheinlich. 

Ton  X  (213,  29)  sind  zwei  unzusammenhängende  Strophen. 
Sollte  eine  in  der  mitte  fehlen  und  das  ganze  alsdann  zu  be- 
urteilen sein  wie  die  strophenkette  von  ton  III? 

Den  sinn  der  verse  MF.  34  ff.  verstehe  ich  nicht.  Ich 
setze  hinter  v.  34  ein  komma,  hinter  35  einen  punkt  und 
hinter  38  ein  komma.  Statt  ze  v.  35  1.  es,  d.  h.  meine  an- 
wesenheit  bei  ihr.  Die  stelle  v.  30 — 39  ist  nach  Paul,  Mhd. 
gr.4  §  338  und  360  anm.  1  zu  beurteilen.  214, 10  1.  mit  Bech 
nach  in  verderben. 

Ton  XI  (214,  12)  schlägt  Becker,  Altheim,  minnesang 
s.  139  für  z. 25.  20  vor:  von  friunde  ...  In  der.  Das  fehlen  des 
artikels  wäre  zu  begreifen:  Paul.  Mhd.gr.4  §223,1.7.  Die 
besserung  scheint  mir  in  der  tat  nötig  wegen  v.  33. 


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SARAN 


Ton  XII  (215,  14).  Es  gehören  215, 14  und  215,30  eng 
zusammen.  Str.  215,22  steht  für  sich  und  hat  auch  in  den 
hss.  die  letzte  stelle.  Vgl.  H.  v.  A.  s.17.  Sie  ist  aber  in  Stim- 
mung und  inhalt  den  vorausgehenden  verwant,  Also  wider 
das  schema  (1  +  2).  3. 

Ton  XVI  (218,  5).  Die  zweite  der  bedeutungen,  die  ich 
H.v.A.  s.  26  für  minne  in  anspruch  nehme,  verwirft  Schön- 
bach s.  166.  Seine  bedenken  sind  berechtigt  :  ich  nehme  jene 
auffassung  zurück.  In  218, 27  und  28  stehen  sich  nicht  sowol 
die  gegenstände  der  liebe  gegenüber,  als  vielmehr  die  arten 
des  liebeswerbens:  ihr  liebt  unglücklich,  ich  glücklich.  Die 
von  mir  unter  no.  3  angesetzte  bedeutnng  minne  —  Caritas 
(liebe  gottes  zum  menschen)  bezeichnet  Schönbach  als  nicht 
katholisch.  Es  sei  vielmehr  die  liebe  des  menschen  zu  gott. 
Darin  wird  er  ohne  zweifei  recht  haben.  Dadurch  wird  der 
gedankengang  auch  klarer,  da  nun  überall  minne  als  liebe 
des  dichten  zu  jemandem  gefasst  werden  kann.  Somit  spielt 
Hartmann  hier  mit  folgenden  bedeutungen  des  Wortes :  1)  minne 
zur  geliebten,  2)  minne  zu  dem  verstorbenen  herrn,  3)  minne 
zu  gott.  In  str.  1  denkt  der  hörer  zunächst  an  die  erste  be- 
deutung,  der  dichter  hat  natürlich  auch  2)  und  3)  dabei  im 
sinn.  In  str.  2  tritt  die  zweite  heraus.  Hartmann  hat  ja  nach 
210,31  ff.  nicht  nur  für  sein  Seelenheil,  sondern  auch  für  das 
seines  herrn  den  kreuzzug  gelobt.  Darauf  spielt  er  hier  v.  17  ff. 
an.  'Seht  wie  die  minne  (zu  meinem  herrn)  mich  über  das 
meer  fühlt.  Und  doch:  lebte  mein  herr  noch,  so  würde  mich 
keine  macht  der  erde  aus  dem  abendlande  fortbringen.'  Hier 
steht  für  den  dichter  von  den  drei  bedeutungen  die  zweite  im 
Vordergrunde.  Den  hörer,  der  immer  noch  an  die  minne  in 
erster  bedeutung  denkt,  muss  die  erklärung  der  Zeilen  19  und 
20  überraschen,  und  das  ist  auch  der  zweck  des  geistreichen 
Spieles.  Die  letzte  Strophe  spitzt  sich  auf  die  dritte  bedeu- 
tung zu. 

An  der  Schreibung  lebte  min  herre,  Salatin  . . .  muss  ich 
trotz  Schönbachs  Widerspruch  s.  361  festhalten.  Min  her  Sa- 
latin =  monsieur  S.  ist  für  Hart  mann  unmöglich,  weil  bei 
ihm  das  min  nie  seine  eigentliche  bedeutung  verliert,  wie  ich 
H.  v.  A.  s.  25  gezeigt  habe,  l'nd  selbst  wenn  man  es  als  mög- 
lich erweisen  könnte,  so  wäre  es  hier  nicht  stilgemäss.  Das 


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UEBKR  HAUTMANN  VON  AUE. 


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einfache  Salatin  ist  unter  allen  umstünden  das  einzig  stil- 
gerechte. So  lange  man  diese  beiden  gründe,  den  grammatischen 
und  stilistischen  nicht  widerlegt,  nützen  alle  Umschreibungen 
und  deutungen  der  stelle  im  anschluss  an  MF.  gar  nichts. 
Auch  Vogt  hätte  s.  238  darauf  eingehen  sollen,  denn  wesent- 
lich diese  beiden  gründe  und  nicht  die  vergleichende  heran- 
ziehung  der  historischen  literatur  ist  für  mich  bei  der  datie- 
rung  des  liedes  ausschlaggebend  gewesen.  Vranken  erkläre 
ich  jetzt  mit  Martin  als  bezeichnung  des  abendlandes. 

Was  den  umfang  der  lieder  Hartmanns  anbetrifft,  so  haben 
meine  betrachtungen  zu  folgendem  ergebnis  geführt: 

eiustrophig:  ton    VI   211,20  (nicht  vollständig) 

zweistrophig:     .,     IV    209, 5  +  15  (strophenkette) 

X   213,29.  214,  1 
„     XI    214, 12  +  23  (strophenkette) 

dreistrophig:    „  II  206,29  +  207, 1.  206, 19  (strophenkreis) 

„  m1  207.  11  +  208,  32  4-  208,  20  (strophenkette) 

„  IIP  208,8.  207,35.  207,23  (strophenkreis) 

„  V  209.  25  4-  210.  11  +  210,  35  (strophenkette) 

„  X*  209,37  +  210,23.  211,8  (strophenkreis) 

„  VII  211,  35  4-  212,  5.  211,  27  (desgl.) 

r  VIII  212.13;  212,21.  212,29  (desgl.) 

„  IX  212.  37  +  213,  9  +  213, 19  (strophenkette) 

u  XII  215, 14  -f  215,  30.  215,  22  (strophenkreis) 

„  XIV  216.  29  +  216,  37  +  217,  6  (strophenkette) 

„  XV  217.  14  +  217,  24  +  217,  34  (desgl.) 

„  XVI  218.  5  +  218, 13  -f-  218,  21  (desgl.) 

vierstrophig:    „  XI II  216,  1  4-  216,  8  4-  210.  15  +  216,22  (str.-kette) 

fünfstrophig:     „        J    205.  1  4-  205,  19  +  205,  10  4-  306,  1.  206, 10 

(strophenkreis), 

d.  h.  von  18  Uedem,  die  sich  aus  der  betrachtung  des  metrums 

und  inhaltes  ergeben,  sind 

dreist  rophig  12 
fünfstrophig  1 
vierstrophig  1 
zweistrophig  3 
[einstrophig    1 1. 

Da  nun  das  einstrophige  Med  sicher  unvollständig  ist,  so 
stehen  13  drei-  und  fünfstrophige  lieder  gegen  vier  zwei-  bez. 
vierstrophige.  Es  sind  also  die  gruppen  mit  ungerader  strophen- 
anzahl  weitaus  in  der  majorität. 


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28 


SARAN 


Was  nun  die  composition  der  lieder  anbetrifft,  so  sind 
von  den  zwei-  und  vierstrophigen  drei  ketten  und  nur  eins 
(ton  X)  ein  kreis,  wenn  man  bei  zwei  Strophen  so  sagen  darf. 
Sehr  möglich  dass  dies  unvollständig  auf  uns  gekommen  ist 
(vgl.  oben  s.  25).  Von  den  13  drei-  und  fünfstrophigen  sind 
6  ketten,  2  (nämlich  III2  und  VIII)  reine  Strophenkreise  nach 
der  oben  gegebenen  definition.  Die  übrigen  5  sind  4  misch- 
formen \  d.  h.  sie  sind  nach  dem  Schema  (1  +  2).  3  oder  (1  4-  2) 
-f  (3  +  4).  5  gebaut.  Von  den  beiden  reinen  Strophenkreisen 
gilt  aber  auch,  dass  ihre  beiden  anfangsstrophen  einander 
näher  stehen  als  der  dritten.  Wenn  man  also  die  liedertypen 
Hartmanns  angeben  will,  so  wird  man  sich,  glaube  ich,  auf 
zwei  beschränken  dürfen: 

1)  reine  Strophenketten  von  2,  3  und  4, 

2)  Strophenkreise  von  3  und  5  gliedern,  wobei  ich  auch 
die  Schemata  (1  +  2).  3  und  (1+2)  +  (3  +  4).  5  einstweilen 
schlechthin  mit  diesem  namen  belegen  will. 

Es  ist  sehr  möglich,  dass  dieser  'mischtypus'  der  eigentlich 
berechtigte  ist,  während  die  'reinen'  strophenkreise  secundär 
entwickelt  sind.  Darüber  kann  nur  eine  umfangreiche  Unter- 
suchung lieht  verbreiten. 

Mit  dem  was  hier  rein  durch  analyse  des  liedinhalts  er- 
mittelt ist,  stimmen  nun  sehr  auffällig  gewisse  beobachtungen 
Giskes.  Aus  dessen  arbeit  über  die  körner  ergibt  sich,  dass 
in  drei-  und  fünfstrophigen  Uedem  entweder  alle  Strophen 
durch  körner  gebunden  sind  (s.59— ü'l),  oder  aber  die  Grup- 
pierung (1  -f  2).  3  bez.  (1  +  2  +  3  -f  4).  5  vorliegt.  Letztere  ist 
besonders  beliebt  (s.  Gl  ff.).  Ganz  ähnliches  beobachtet  Giske 
bei  der  strophenverkettung.  Auch  hier  (Zs.  fdph.  20, 191  ff.)  die 
Schemata  1  -f  2  +  3  bez.  (1  +  2).  3.  Entsprechend  s.  197  ff. 
(2  -f  2).  1  oder  4.  1.  Allerdings  kommen  noch  andere  typen 
vor,  aber  jene  scheinen  ganz  besonders  beliebt  zu  sein.  Wie 
weit  übrigens  jene  anderen  formen  berechtigt  sind,  wäre  zu 
untersuchen.  Auf  den  inhalt  geht  Giske  leider  nicht  ein. 
Aus  dieser  Übereinstimmung  meiner  resultate  mit  denen  Giskes 
ergibt  sich  mindestens  so  viel  mit  Sicherheit,  dass  die  von  mir 
am  inhalt  nachgewiesene  typische  Strophenordnung  nicht  zu- 
fällig ist. 

Wenn  nun  der  typus  von  drei  oder  fünf  Strophen  mit 


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UEBKK  IIARTMANN  VON  AUK. 


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lose  angehängter  letzten  nicht  zufällig,  sondern  beabsichtigt 
ist  —  und  daran  kann  man  nicht  wo!  zweifeln  — .  so  ergibt 
sich  ein  interessanter  ausblick  auf  das  problem.  mit  dem  sich 
Uhl  bei  Nifen  beschäftigt,  l'hl  nimmt  als  richtschnnr  für 
seine  liederkritik  die  regel  (s.  17):  'dann  aber  müssen  wir,  wie 
überall,  so  besonders  gegen  das  ende  der  fünfstrophigen  lieder 
den  fortgang  der  gedanken  aufs  schärfste  verfolgen  und  da, 
wo  sich  ans  eine  logische  schwäche,  ein  abirren  vom  thema 
zu  zeigen  scheint,  ohne  rücksicht  das  kritische  messer  an- 
setzen'. Auf  grund  dieser  regel  werden  dann  die  fünften 
Strophen  vieler  lieder  Xifens  für  unecht  erklärt.  Aber  etwas 
mehr  rücksicht  auf  die  Überlieferung  wäre  doch  angebracht. 
Warum  sollte  Nifen  nicht  wie  Hartmann  in  ton  I  den  typus 
4.  1  bez.  (2  f-  2).  1  gebraucht  haben?  Dann  wäre  die  Sonder- 
stellung der  schlosastrophe  nicht  auffallend  und  metrische 
freiheiten  in  ihr  nicht  ohne  weiteres  als  kriterien  für  die  un- 
echtheit  zu  verwerten.  Der  grund  der  Sonderstellung  der 
fünften  bez.  dritten  strophe  kann  melodisch -rhythmisch  sein. 
Vgl.  strophe  —  antistrophe,  epode  in  der  antiken  chorpoesie. 

n.  Chronologie.    Kritik  ihrer  prinoipien. 

Literntnr. 

W.  Wilmanns,  Zu  Hartmaniis  von  Aue  liedern  und  bilehlein,  Zs.  fda. 
14, 144.  —  F.  Bech,  Iwein1  1  SliS  (*1873.  s1888)  einl.  s.  vi  ff.  R.  Heinzel, 
Leber  die  lieder  Hartmanns  von  Aue,  Zs.  fda.  15.  125  ff.  —  Schreyer,  Unter- 
suchungen überleben  und  dichten  Hart  mann»  von  Aue,  Progr.,  Pforta  1874. 

—  L.  Schm  id.  Des  minnesängers  II.  v.  A.  stand,  heimat  und  geschlecht  1874 
(s.  53  ff.).  -  Lüngen.  War  II.  v.  A.  ein  franke  oder  schwabe?  Piss.,  Jena 
1S76.  —  H.Paul.  Beitr.  1,535.  2.  47«  ff.  -  Naumann.  Ueber  die  roihen- 
folge  der  werke  H.'sv.  A..  Zs.  fda.  22.  25  ff.  —  Jacob,  Pas  U  büchlein  ein 
Hartniannisches.  Piss.,  Leipzig  1S71».  CJreve,  Leben  u.  werke  H.'sv.  A., 
Progr.,  Fellin  187(.».  —  K  au  ff  mann,  Leber  H.'s  Lyrik,  Piss.,  Leipzig  1!>n4. 

—  Ree.  von  Burdach,  Anz.  fda.  12.  18U  ff.  F.  Sarau,  H.  v.  A.  als  lyriker. 
Halle  188«.  —  Ree.  von  Vogt,  Zs.  fdph.  24,  237.  A.  Schönbach,  Leber 
H.  v.  A.,  (Vraz  1894,  8.  355.  —  P.  Piper,  Höfische  epik  II.  II.  v.  A.  und  seine 
nachahmer,  1S94  (».  1«  ff.). 

Hartmanns  lieder  ihrer  Zeitfolge  nach  zu  ordnen  hat  man 
die  verschiedensten  inethoden  teils  angewendet,  teils  vor- 
geschlagen. Der  welcher  die  arbeit  zuerst  in  angriff  nahm, 
war  Wilma  uns.  Er  gieng  rein  vom  inhalt  der  lieder  aus. 
Er  versuchte  aus  den  andeiitungen  des  dichten  die  tatsäch- 


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30 


SA  RAN 


liehen  Grundlagen  seines  licbeslebens  zu  erschliessen,  das  er- 
mittelte mit  einander  in  beziehung  zu  setzen  und  so  den 
historischen  verlauf  festzustellen.  Auf  diesem  wege  gelangte 
er  dazu,  zwei  minne Verhältnisse  anzunehmen,  eines,  welches 
noch  vor  der  kreuzesnahme  gelöst,  ein  anderes,  welches  bald 
nach  ihr  begonnen  wurde.  Eine  gewähr  für  diese  teilung 
schien  ihm  auch  die  Überlieferung  zu  bieten.  Denn  von  den 
liederbüchern,  die  er  aus  ihr  herausschälte,  umfasst  no.  1  lieder 
die  sich  auf  das  erste,  no.  3  solche  die  sich  auf  das  zweite 
beziehen.  No.  2  enthält  wesentlich  werke  der  übergangsi>eriode. 
no.  4  Strophen  aus  verschiedenen  Zeiten.  Das  I.  büchlein  fällt 
zum  ei-sten,  das  1 1.  zum  anderen  Verhältnis.  Wilmanns'  ergeb- 
nisse  wären  in  übersichtlicher  Zusammenstellung: 

Erstes  Verhältnis: 
ton  205,1.  206,19.  207,11.  200.5.  213,29.  I.  büchlein. 

Uebergangszeit: 
ton  216,29.  209,25.  211,20  (kreuznahme  1195). 

Zweites  Verhältnis: 

214,34.  215,14.  212,13.  216,1.  217,14.  218,5.  214,12. 
II.  büchlein. 

211,27  ist  ein  gedankenspiel  und  ohne  realen  hintergrund. 

Ogen  die  annähme  mehrerer  minneverhält nisse  und  gegen 
das  prineip,  die  handschriftliche  Überlieferung  für  chronologische 
zwecke  zu  benutzen,  sprach  sieh  alsbald  Hech  aus  (a.a.o.  s.  x  f.). 
Er  für  seine  person  meint,  Hartmann  habe  seine  lieder  nur 
einer  dame  gewidmet.  Die  Ordnung  der  Strophen  in  den  hss. 
ist  nach  seiner  ansieht  für  das  problem  der  chrunologie  schwer- 
lich von  bedeutung. 

Anders  als  Wilmanns  geht  Heinzel  vor.  Er  legt  wert 
darauf,  dass  in  A  zwei  auch  innerlich  zusammenhängende 
lieder  in  der  richtigen  reihenfolge  stehen,  während  BC  ab- 
weichen. Diese  zwei  lieder  (206, 19.  207, 11)  sind  seiner  Über- 
zeugung nach  der  kern  eines  liederbuches,  woran  sich  später 
noch  andere  töne  angeschlossen  hätten.  Die  gediente  des 
liederbuches  beziehen  sich  auf  ein  langjähriges  erstes  minne- 
verhältnis,  was  dann  vor  der  kreuznahme  gelöst  wird  (s.  130). 
Dieser  zeit  rechnet  Heinzel  zu  die  töne  205, 1.  206, 19.  207, 11. 
209,5.  209,25.  211,20.  213,29.  214,12.  215,14.216,1.  ILbüchl. 


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DEBEB  HAKTMANN  VON  AUK. 


31 


217,14.  I.  büchl.  Darauf  entspann  sich  ein  zweites  Verhältnis, 
und  dieser  periode  gehören  an:  210.:;:).  214,34.  212,13.  212,37. 
211,27.  218,5.  Dies  Verhältnis  fällt  nach  dem  kreuzzag  von 
1197.  212,9  deutet  möglicherweise  auf  ein  drittes  Verhältnis. 
216, 29  wird  eben  dahin  gestellt  (s.  136).  Heinzel  geht  also, 
umgekehrt  wie  Wilmanns,  von  der  Überlieferung  aus.  Er  zer- 
legt sie  in  liederbücher  und  findet  dann,  dass  diese  lieder  ent- 
halten die  auch  inhaltlich  zusammengehören. 

Dagegen  polemisiert  Schreyer  von  einem  Standpunkt  aus, 
welcher  dem  Bechs  nahe  liegt.  Hart  mann  lebte  nur  einer 
dame.  Die  lieder  die  er  in  ihrem  dienst  dichtete,  fallen  vor 
und  nach  dem  kreuzzug  von  1197.  Das  princip  wonach  Schl  eyer 
verfährt,  ist  lediglich  Betrachtung  des  inhaltes.  Auf  die  Ord- 
nung in  den  hss.  legt  er  keinen  wert. 

Schmid  glaubt,  Hartmann  habe  zwei  kreuzzüge  mit- 
gemacht, den  von  1189  (auf  ihn  gehe  209, 25  und  211, 20)  und 
den  von  1197  (auf  ihn  218,5).  Er  trennt  also  die  kreuzlieder 
von  einander.  Dies  billigt  Lungen,  der  wider  zwei  minne- 
verhältnisse  annimmt.  Die  liederbüchertheorie  misbilligt  er 
mit  Schreyer  und  Bech. 

Seit  Pauls  einschneidender  kritik  ist  diese  nicht  mehr 
für  die  feststellung  der  Chronologie  benutzt  worden.  Die  Über- 
zeugung, dass  allein  innere  gründe  für  die  anordnung  mass- 
gebend sein  können,  ist  seitdem  wol  allgemein  durchgedrungen. 

Von  denen  die  sich  weiterhin  mit  dem  problem  beschäf- 
tigt haben,  bringen  weder  Naumann  (s.  7:5).  noch  Jacob  (s.  25), 
noch  Kauffmann  (s.  42  f.)  etwas  neues.  Sie  combinieren  die 
angaben  die  Hartmann  über  seine  liebe  macht,  und  entscheiden 
sich  bald  für  ein,  bald  für  zwei  Verhältnisse. 

Unter  hin  weis  auf  sein  buch  'Reinmar  der  alte  und  Wal- 
ther von  der  Vogelweide'  sprach  nun  Burdach  in  seiner  reecn- 
sion  von  Kauffmanns  schritt  nachdrücklich  die  ansieht  aus, 
dass  die  prineipien,  auf  denen  die  bisher  besprochenen  arbeiten 
beruhen,  unrichtig  seien.  Die  biographische  ausdeutung  der 
minnelieder  sei  mit  wenigen  ausnahmen  unfruchtbar,  ebenso 
nütze  es  fast  nie  etwas,  die  handschriftliche  Überlieferung  zu 
berücksichtigen.  Es  sei  zunächst  allein  von  der  künstlerischen 
gestaltung  des  inhaltes  auszugehen.  Aus  dieser  müsse  man 
eine  Chronologie  gewinnen,  indem  man  genau  und  kritisch 


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32 


HAKAN 


analysiere,  was  der  dichter  darstelle  und  wie  er  das  tue.  Man 
habe  sich  also  an  die  wähl  der  motive  und  an  die  technik 
zu  halten. 

Wie  subjectiv  die  aufstellungen  der  gelehrten  sind  die 
wesentlich  vom  inhalt  der  Strophen  ausgehen,  ist  auch  mir 
nicht  verborgen  geblieben.  Ich  habe  darum  a.  a.  o.  versucht, 
eine  Chronologie  auf  ganz  objectiven  kriterien  aufzubauen. 
Abgesehen  von  den  historischen  anspielungen  welche  die  ge- 
dichte  biete»,  und  den  sicheren  beziehungen  worin  einige  von 
ihnen  zu  einander  stehen,  verwende  ich  statistisch  dargelegte 
beobachtungen  über  die  entwicklung  der  rhythmik  Hartmanns. 
Die  richtigkeit  dieser  methode  wird  nicht  im  prineip,  wol 
aber  im  einzelnen  von  Vogt  bestritten. 

Die  neuste  einschlägige  arbeit  ist  die  von  Schönbach. 
Kr  erkennt  durchaus  die  richtigkeit  der  bemerkungen  an,  die 
ßurdach  gemacht  hat.  Trotzdem  zieht  er  es  vor  —  meinen 
versuch  berücksichtigt  er  überhaupt  nicht  —  zu  dem  älteren 
verfahren  zurückzukehren,  nicht  ohne  dass  er  besorgt,  man 
werde  es  vielleicht  'brutal'  nennen  (s.  365).  Er  gruppiert  die 
gediente,  von  denen  die  kreuzlieder  zunächst  ausgeschlossen 
bleiben,  nach  der  beschaffenheit  der  minneverhältnisse,  auf  die 
sie  sich  beziehen  und  die  nach  seiner  meinung  einige  deutliche 
kennzeichen  besitzen  (s.  357).  Worin  diese  bestehen  wird  nicht 
angegeben;  die  lieder  werden,  wie  dies  zuerst  Wilmanns  getan, 
schlechthin  nach  den  andeutungen  geordnet  die  Hartmann  über 
sein  minneleben  gibt.  Das  resultat  ist  folgendes.  Hartmann 
sind  zwei  minneverhältnisse  nachzuweisen.  Zum  ersten  ge- 
hören die  folgenden  töne,  etwa  in  der  Ordnung  wie  sie  auf- 
gezählt werden:  200,19.  I.  buchlein.  213,20.  215,14.  207,11. 
205,1,  auch  209,5.  Hartmann  ist  noch  nicht  ritter.  Vor  der 
kreuznahme  (für  den  zug  von  1189)  wird  das  Verhältnis  gelöst. 
Ks  folgen  zwei  kreuztöne:  209,25.  211,20.  Dem  zweiten  Ver- 
hältnis entspringen  die  lieder:  214,  12.  212,3.  212,37.  II.  büeh- 
lein.  216,1.  [216,29?].  Hartmann  ist  ritter.  Nicht  sicher  ein- 
zuordnen sind:  214,34  (.Schönbach  hält  es  für  echt).  211,27. 
210, 29  (dies  vielleicht  zum  zweiten  Verhältnis  gehörend).  217, 14. 
218,5  (geht  auf  den  kreuzzug  von  1197). 

Mir  scheint,  dass  Schönbach  bei  seiner  Verteilung  der 
lieder  auf  zwei  minneverhältnisse  etwas  von  dem  gedanken 


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U  KHK  Ii  HAUTMANN  VON  AUK. 


3:? 


beeinflusst  worden  ist  ,  jedem  der  büchlein  entspreche  ein  be- 
sonderes Verhältnis  und  diese  müssten  sich  auch  in  den  Uedem 
widerspiegeln.  Wenigstens  hat  er  manche  gedanken  erst  aus 
dem  zweiten  büchlein  in  die  lieder  hineingelegt,  gedanken  die 
nicht  darin  zu  finden  sind,  wenn  man  den  text  rein  für  sich 
betrachtet.  Denn  dass  Hartmann  ritter  sei  kann  aus  keinem 
einzigen  seiner  lieder  bewiesen  werden.  214,34  ist  von  Paul 
und  mir  als  unecht  nachgewiesen,  wird  übrigens  auch  von 
Schönbach  nicht  zur  construction  verwendet.  Darüber  dass  er 
durch  huote  von  der  geliebten  fern  gehalten  werde,  klagt  der 
dichter  nie  in  den  Hedem.  Nur  das  II.  büchlein  kennt  diese 
Situation.  Hartmann  braucht  das  wort  huote  in  seiner  Lyrik 
bloss  einmal:  215,25,  in  einem  liede  das  Schönbach  jedoch  zum 
ersten  Verhältnis  rechnet;  klagen  über  die  hüte  bringt  er 
nirgends.  Es  wäre  doch  sonderbar,  wenn  sich  der  dichter 
dies  beliebte  und  fruchtbare  motiv  hätte  entgehen  lassen,  falls 
es  ihm  die  Wirklichkeit  an  die  hand  gab. 

Auch  die  gründe  halten  nicht  stich  mit  denen  Schönbach 
die  oben  aufgezählten  töne  dem  andern  Verhältnis  zuweist. 
Unzweifelhaft,  sagt  er  s.  359,  müsse  214, 12  einem  zweiten 
minnedienst  zugehören,  denn  es  werde  im  zweiten  büchlein, 
der  reifen,  poetischen  frucht  dieses  zweiten  Verhältnisses  citiert. 
Warum  soll  denn  aber  der  dichter  dieses  büchleins,  wenn  es 
Hartmann  war,  nicht  ein  lied  aus  seiner  früheren  zeit  citiert 
haben?  Und  mit  welchem  recht  bezeichnet  Schönbach  das 
II.  büchlein  als  eine  frucht  des  zweiten  Verhältnisses?  Ausser- 
dem enthalten  die  Voraussetzungen  jenes  liedes  214, 12  nichts 
von  huote:  eine  t  rennung  irgend  welcher  art  ist  sein  anlass, 
mehr  wird  nicht  angedeutet.  Warum  soll  ferner  Hartmann, 
so  lange  er  im  gedankengang  des  I.  büchleins  lebte,  unfähig 
gewesen  sein,  216,29  zu  dichten  (s.  360)?  Das  büchlein  be- 
ginnt ja  gerade  damit,  dass  der  leib  seine  unlust  am  minne- 
dienst ausdrückt.  Und  wer,  wie  Schönbach  annimmt,  zu  jener 
zeit  207,11  dichten  kann,  der  kann  gleichzeitig,  meine  ich, 
auch  216,29  singen.  Auch  die  Verteilung  der  kreuzlieder  auf 
zwei  kreuzzüge,  nämlich  209,25.  210,35  auf  1189  und  218,5 
auf  einen  späteren  (1197?),  ist  doch  wenig  glaublich  (s.  361). 

Ich  vermag  mich  mit  Schönbachs  anordnung  ebenso  wenig 
zu  befreunden  wie  mit  den  anderen  die  nach  demselben  prineip 

Beiträge  zur  geschieht«  der  deutschen  spräche.    XXIII.  3 


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34 


SA  RAN 


hergestellt  sind,  und  glaube  nicht,  dass  durch  sie  die  lösung 
des  problems  wirklich  gefördert  ist.  Wenn  Schönbach  betont 
(s.  361  unten),  er  sei  im  ganzen  zu  gleichen  resultaten  gelangt, 
wie  Wilmanns  und  Heinzel,  so  trifft  das  weder  zu.  noch  wäre 
es.  wenn  es  zuträfe,  ein  beweis  für  die  richtigkeit  seiner  Chro- 
nologie. Heinzel  rechnet  die  töne  216, 1.  214. 12  nebst  dem 
II.  büehlein  zum  ersten  Verhältnis,  weist  also  beide  btichlein 
einer  epoche  zu  (s.  135.  130,  besonders  s.  139  oben).  Schön- 
bach verteilt  sie  auf  beide:  dies  ist  ein  wichtiger  unterschied. 
Andererseits  ist  zu  bedenken,  dass  Wilmanns  und  Heinzel 
im  wesentlichen  dasselbe  princip  der  anordnung  wie  Schönbach 
angewendet  haben,  dass  also  von  vornherein  Übereinstimmung 
der  resultate  erwartet  werden  muss.  Wenn  nun  trotzdem 
die  anwendung  dieses  princips  bei  Schönbach  wider  zu  einer 
neuen,  z.  t,  sehr  abweichenden  Ordnung  führt,  so  scheint 
mir  das  eher  ein  beweis  gegen  als  für  seine  brauchbarkeit 
zu  sein. 

Ich  sehe  also  keinen  grund,  warum  ich  den  Standpunkt 
verlassen  sollte,  den  Burdach  a.  a.  o.  einnimmt  und  auf  den 
ich  mich  seiner  zeit  auch  gestellt  habe.  Ich  halte  es  im 
gegenteil  für  notwendig,  alle  die  consequenzen  solcher  be- 
traehtungsweise  zu  ziehen.  Es  ist  mir  natürlich  nicht  zweifel- 
haft, dass  die  lyriker  jener  zeit  —  wie  die  aller  Zeiten  —  die 
Stimmungen  welche  sie  überzeugend  darzustellen  vermögen, 
auch  alle  durchlebt  und  durchempfunden  haben.  Aber  der 
inhalt  der  Situationen  die  sie  zur  künstlerischen  darstel- 
lung  solcher  Stimmungen  benutzen,  braucht  im  einzelnen  falle 
nicht  die  mindeste  realität  gehabt  zu  haben.  Diese  Situationen 
gehören,  wie  die  metra,  die  formein,  auf  anderem  gebiet  die 
dramatischen  fabeln  u.  ä.  zu  den  mittein  des  poetischen  aus- 
drucks,  die  nicht  zum  kleinsten  teil  traditionell  waren,  und 
die  sich  dem  dichter  zunächst  darboten,  wenn  er  für  seine 
eigenen  inneren  erlebnisse  nach  ausdruck  rang.  'Diese  kunst 
des  dichters  können  wir  auch  bei  Hart  mann  objectiv  erkennen . . .. 
seine  person.  sein  leben,  seine  Intentionen  —  all  dies  liegt  im 
nebel,  und  wenn  im  glücklichen  fall  einzelne  umrisse  hindurch- 
scheinen, so  werden  sie  immer  schwankend  und  schwer  fixierbar 
bleibeir  (Burdach  a.a.O.  s.  191).  Ein  versuch,  die  lieder 
Hartmanns  zu  ordnen,  muss  darum  von  ihrer  kunst- 


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rKBER  If ARTMANN  VON  Al'E. 


35 


form  ausgehen:  eine  Chronologie  die  sich  wesentlich  oder 
ausschliesslich  auf  die  biographische  Verwendung  des  inhaltes 
beschränkt,  ist  nach  meiner  Überzeugung  von  vornherein 
verfehlt 

Aus  dem  ganzen  minneleben  Hartmanns  ist  durch  die  lieder 
wol  nur  dies  eine  bezeugt,  dass  ihm  eine  dame,  die  er  umworben, 
wirklich  ihre  huld  versagt.  Dies  wird  in  20G,  16  mir  hat  ein 
wip  genäde  widerseit,  der  ich  gedicnct  hau  mit  stcetekeit  . . . 
ausdrücklich  gesagt,  und  da  der  dichter  kurz  vorher  auch  den 
tod  seines  herm  beklagt,  so  wird  wie  dies  Unglück  so  auch 
jenes  eine  tatsache  sein.  Denn  man  kann  doch  kaum  an- 
nehmen, dass  hier  ein  historisch  wirkliches  mit  rein  fingiertem 
verbunden  sei. 

Will  man  darüber  hinaus  über  die  art  dieses  Verhältnisses 
etwas  erfahren,  so  empfiehlt  es  sich  Welleicht,  mehr  nach  dem 
zu  forschen  was  der  dichter  nicht  sagt,  als  die  positiven  an- 
gaben die  er  scheinbar  macht,  zu  pressen. 

Aus  dem  was  oben  über  das  Verhältnis  von  H.  kl.  (I.büchl.) 
zu  ton  I  gesagt  ist,  würde  folgen,  dass  die  dame  zunächst  von 
Hartmanns  'dienst'  nichts  wusste.  Ebensowenig  natürlich 
andere  leute.  Als  er  sie  schliesslich  bittet,  sich  seinen  dienst 
gefallen  zu  lassen,  weist  sie  ihn  ab.  Ich  glaube  die  Wirklich- 
keit wird  dem  entsprochen  haben.  Denn  hätte  sie  um  seine 
neigung  gewusst,  hätte  sie  ihn  hingehalten  und  dann  schliess- 
lich doch  abgewiesen,  so  würde  sich  der  dichter  dies  stärkere 
poetische  inotiv  gewis  nicht  haben  entgehen  lassen. 

Ebensowenig  hat  Hartmann  gewagt,  sich  seiner  dame  in 
irgend  einer  weise  zu  nähern  die  nicht  der  Bitte  entsprach. 
Denn  wenn  er  nie  über  huote  klagt  (215, 25  ist  keine  klage), 
so  hat  er  wol  auch  nie  von  der  huote  wirklich  zu  leiden  ge- 
habt. Das  wäre  aber  nicht  ausgeblieben,  wenn  er  mit  oder 
gegen  den  willen  seiner  dame  versucht  hätte,  zu  ihr  zu  dringen. 
Dies  passt  ganz  zu  der  läge,  in  der  die  einleitung  des  1.  büch- 
leins  den  dichter  zeigt:  hier  ist  für  den  neid  der  merker  kein 
räum,  und  darum  ertont  dies  motiv  auch  nicht  in  den  liedern. 

Alles  andere  liegt  im  dunkeln.  Es  ist  sehr  möglich,  dass 
Hartmanns  ganze  minnelyrik  oder  wenigstens  fast  die  ganze 
aus  diesem  einzigen,  wirklich  beglaubigten  noch  dazu  ganz 
einseitigen  liebesverhältnis  geflossen  ist.    Ich  halte  es  sogar 

3* 


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36 


SA  KAI? 


für  wahrscheinlich,  weil  ich  grund  habe  anzunelimen,  dass  die 
lieder  dieses  dichter«  sich  in  ganz  wenige  jähre  zusammen- 
drängen (vgl.  unten).  Warum  soll  auch  Hartmann  nicht 
Strophen  wie  211,  27  ff.  213, 29  ff.  216, 29  ff.  gedichtet  haben, 
wenn  ihm  die  dame  minder  freundlich  schien  als  sonst,  oder 
warum  soll  er  nicht  trüben  Stimmungen  bei  reiferer  kunst  in 
Hedem  wie  212, 37  ff.  ausdruck  verliehen  haben?  Ich  halte 
es  geradezu  für  unzulässig,  aus  einer  strophe  wie  212, 5  ff. 
auf  eine  untreue  Hartmanns  zu  schliessen.  Das  gedieht  ist 
ein  Stimmungsbild  mit  humoristischem  anflug,  dessen  reale 
Ursache  nicht  erkennbar  ist  —  wenn  es  überhaupt  eine  solche 
hat.  Selbst  verstand  lieh  darf  man  andeutungen  eines  miune- 
sängers  über  liebeserlebnisse  nicht  vernachlässigen,  aber  sie 
kommen,  wie  Hurdach  mit  recht  betont,  erst  in  zweiter  linie. 
Ks  sind  momente  von  secundärer  beweiskraft,  deren  wert  ei*st 
gesichert  werden  muss. 

Unter  den  kriterien  nach  denen  man  beurteilen  kann,  wie 
weit  ein  dichter  bereits  in  seiner  entwickelung  zu  höherem 
können  fortgeschritten  ist,  steht  in  vorderster  reihe  die  metrik. 
Namentlich  in  einer  zeit  des  aufblühens  ist  es  von  hohem  wert 
und  nicht  schwer,  zu  beobachten,  wie  die  kunst  zu  immer 
vollkommneren  formen  fortschreitet.  Hier  heben  sich  die 
verschiedenen  stufen  deutlicher  von  einander  ab,  als  wenn  die 
entwickelung  bis  zur  Vollendung  gediehen  ist.  Ich  habe  darum 
den  nachdruck  auf  die  betrachtung  der  metrischen  technik 
Hartmanns  gelegt  und  die  Chronologie  seiner  lieder  auf  eine 
Statistik  ihrer  auftaktverhältnisse  gegründet.  Die  berechtigung 
so  zu  verfahren  wurde  vorher  nachgewiesen,  indem  zunächst 
rein  aus  dem  inhalt  mehrerer  töne  und  aus  deutlichen  be- 
ziehungen  zwischen  ihnen  eine  kleine  reihe  ermittelt  wurde, 
die  als  chronologisch  ziemlich  sicher  angesehen  werden  darf 
(H.  v.  A.  s.  29  ff.).  Das  resultat  ist  von  Bech  in  vollem  umfang 
angenommen  und  in  seiner  ausgäbe  (3.aufl.)  verwendet.  Paul 
erkennt  Grundr.  2',  1, 937  wenigstens  das  prineip  als  richtig 
an.    Ebenso  Vogt  (s.  240). 

Ich  habe  schon  in  meiner  Schrift  betont  und  widerhole  es 
hier,  dass  ich  die  reihenfolge  die  ich  gewonnen,  keineswegs 
für  sicher  und  bis  ins  einzelne  genau  ausgeben  will  (H.  v.  A. 
s.31  anm.  s.39  oben).   Ich  habe  das  prineip  nur  darum  streng 


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URBER  HARTMANN  VON  AUE. 


37 


durchgeführt,  um  zu  sehen,  ob  sich  dabei  Widersprüche  er- 
gäben. Dies  ist  nicht  der  fall  gewesen,  im  gegenteil.  Eben 
in  diesem  erfolg  sehe  ich  eine  bürgschaft  für  die  richtigkeit 
der  methode. 

H.  v.  A.  s.  35  gebe  ich  folgende  anordnung  der  töne: 


Das  ergebnis  bestätigt,  dass  die  drei  kreuztöne  einander 
zeitlich  nahe  stehen  und  gewis  nicht  auf  zwei  kreuzzüge  ver- 
teilt werden  dürfen.  Dass  dies  zugleich  das  wahrscheinlichste 
ist,  wird  niemand  bezweifeln.  Aus  der  tabelle  folgt  weiterhin, 
dass  die  töne  I,  II,  III  zusammenzustellen  sind.  Auch  dies 
bestreitet  niemand:  sie  werden  stets  ein  und  demselben  minne- 
verhältnis  zugewiesen.  Ihre  Ordnung  bestimmt  Schönbach 
überdies  genau  so  wie  ich  getan,  nur  dass  er  zwischen  II  und 
III.  I  noch  einige  andere  gediente  einschiebt.  Dass  sie  vor 
bez.  kurz  vor  die  kreuznahme  fallen,  wird  auch  allgemein 
angenommen.  Drittens  ergibt  mein  prineip  einen  neuen  grund 
für  die  unechtheit  von  MF.  318,  an  der  wol  niemand  ernstlich 
zweifelt,  und  für  die  von  214,34,  welche  wenigstens  von  Paul 
nachdrücklich  verfochten  wird.  AVenn  also  meine  Chronologie 
dem  nicht  widerspricht  was  man  aus  gründen  des  inhalts  und 
des  stiles,  jedenfalls  aus  rein  objectiven  gründen  annimmt, 
sondern  dies  im  gegenteil  bestätigt,  wenn  sie  hingegen  nur 
mit  dem  streitet  was  man  unter  biographischer  ausdeutung  der 
lieder  combiniert  hat,  so  sehe  ich  darin  keinen  grund,  sie  für 
unrichtig  zu  halten  und  ihr  prineip  zu  verwerfen.  Ich  finde 
darin  nur  einen  beweis  für  die  richtigkeit  des  Standpunktes 
den  ich  nach  Vorgang  Burdachs  eingenommen  habe. 

Mag  man  auch  über  die  einzelheiten  abweichender  ansieht 
sein  —  vollkommene  genauigkeit  steht  natürlich  nicht  zu  er- 
warten — ,  so  viel  glaube  ich  doch  nachgewiesen  zu  haben, 
dass  in  den  Hedem  Hartmanns  eine  starke  tendenz  zur 
auftaktregulierung  waltet,  mithin  die  lieder  welche  darin 


X  213,29 

xni  2ir»,  l 

VIII  212,  13 

VII  211,27 

XIV  216,29 

IV  209,5 

XV  217,14 

IX  212.37 


XI  214,  12 

II  20«,  19 

HI  207,11 

I  205,  1 

V  209,25 


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38 


KAR  AN 


am  regelmässig^ en  sind,  auch  als  die  letzten  lyrischen  erzeug- 
nisse  des  dichters  zu  gelten  haben. 

Freilich  gebe  ich  ohne  weiteres  zu,  dass  meine  alte  be- 
weisführung  in  H.  v.  A.  manche  niängel  hat.  Zum  teil  weist 
schon  Vogt  auf  sie  hin,  zum  andern  teil  sind  sie  mir  selbst 
bei  meinen  Untersuchungen  über  musikalische  und  poetische 
rhythmik  sichtbar  geworden. 

Das  schwerste  bedenken  welches  Vogt  erhoben  hat,  näm- 
lich das  gegen  die  ansetzung  so  vieler  Strophen  als  einzel- 
strophen,  ist  von  mir,  wie  ich  hoffe,  im  ersten  abschnitt 
dieser  Untersuchung  beseitigt  worden,  im  sinne  meiner  H.  v.  A. 
s.  12  eingefügten  anmerkung  und  im  sinne  Pauls  und  Vogts. 
Es  hat  sich  herausgestellt,  dass  in  den  tönen  der  Zusammen- 
hang der  Strophen  verhältnismässig  eng  ist,  enger  als  ich 
früher  zugestanden. 

Die  einbeziehung  von  ton  211,20  in  die  Statistik  ist 
nicht  zu  billigen,  weniger  aus  dem  gründe  den  Vogt  s.  238 
vorbringt  als  deshalb,  weil  das  lied  offenbar  nicht  vollständig 
auf  uns  gekommen  ist.  Sein  inhalt  macht  aber  die  einordnung 
nicht  zweifelhaft. 

Wie  weit  mehrsilbige  Senkungen  anerkannt  werden 
müssen,  lasse  ich  dahingestellt.  Lachmann  und  Haupt  haben 
ihre  anzahl  zu  beschränken  gesucht:  im  gegensatz  zu  ihnen 
hat  Paul  für  Walther  viele  der  beseitigten  wider  auf- 
genommen. Die  entscheidung  dieser  für  die  herausgäbe  mlid. 
texte  sehr  wichtigen  frage  kann  nur  eine  genaue  metrisch- 
statistische  Untersuchung  eines  grossen  materiales  geben,  die 
ebenso  sehr  die  gesetze  der  systematischen  wie  historischen 
rhvthmik  zu  berücksichtigen  hat.  Mir  scheint,  dass  die 
herausgeber  von  MF.  die  grenzen  zu  eng  gezogen  haben. 
Aber  auf  die  autorität  der  hss.  in  diesem  punkte  zu  bauen, 
halte  ich  entschieden  für  unzulässig.  Auch  über  die  möglich- 
keit  von  'kürzungen'  denke  ich  anders  als  Paul  (Beitr.8. 181  ff.), 
da  ich  von  der  existenz  einer  mhd.  dicht ersprache  überzeugt  bin. 

Man  hat  vor  allem  streng  zu  scheiden  zwischen  gesungenen 
Uedem  (vocaltexten)  und  gesagten  gedieht en.  Der  rhythmus 
folgt,  wie  ich  anderswo  schon  oft  hervorgehoben  habe,  in 
beiden  gattungeu  ganz  verschiedenartigen  gesetzen:  dort  denen 
der  musik,  hier  denen  der  poesie.    Diese  arbeitet  mit  den 


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UEBKR  HART  MANN  VON  ATE. 


39 


mittein  welche  ihr  der  sprachton  an  die  hand  gibt,  jene  mit 
zeit  Verhältnissen  die  dem  lebendigen  wort  fremd  sind  und  es 
bis  zu  einem  gewissen  grade  sogar  vergewaltigen.  Wo  also 
zur  erreichung  einer  bestimmten  Wirkung  in  der  poesie  eine, 
zwei  oder  mehr  Senkungen  vielleicht  nötig  sind,  können  sie  im 
gesang  überflüssig  sein,  ja  stören  —  und  umgekehrt.  Gesang 
und  poesie  sind  auf  jeden  fall  gesondert  zu  behandeln. 

Im  gesang  ist  nun  eine  zweisilbige  Senkung  (arsis)  an 
sich  weder  schön  noch  hässlich.  Der  eindruck  den  man  beim 
lesen  von  minnesängertexten  empfängt,  ist  natürlich  für  die 
ästhetische  beurteilung  ihres  rhythmus  in  keiner  weise  mass- 
gebend: diese  werke  sind  eben  nicht  zum  lesen  bestimmt, 
Metrisch  sind  zweisilbige  Senkungen  an  sich  ebenfalls  gänzlich 
unauffällig:  statt  L  _  steht  einfach  L  ww  Im  reihenauftakt 
sind  sogar  drei  silben  möglich  Ob  freilich  und  wie 

weit  die  sänger  von  diesen  möglichkeiten  gebrauch  gemacht 
haben,  ist  eine  andere  frage.  Sie  ist  nicht  mit  theoretischen 
erörterungen,  sondern  allein  auf  dem  wege  der  Statistik  zu 
lösen.  Eine  solche  aber  wird  zweckmässig  nur  mit  grösserem 
material  unternommen  und  so  dass  man  dabei  die  sprach-  und 
Schreibgewohnheiten  der  hss.  berücksichtigt.  Ich  muss  hier 
darauf  verzichten.  Dass  sich  für  die  Chronologie  der  Hart- 
mannischen lieder  daraus  ein  kriterium  ergeben  werde,  glaube 
ich  nicht.  Darin  ist  die  regelung  doch  schon  zu  weit  durch- 
geführt. 

Innere  zusammenziehung  (thesis  -f-  arsis  =  JL;  nach 
Westphal  \synkope  der  Senkung')  nehmen  die  herausgeber  von 
MF.  in  Hartmanns  Uedem  nirgends  an,  meiner  Überzeugung 
nach  mit  recht.  Wo  sie  überliefert  ist,  lässt  sie  sich  durch 
ganz  leichte  und  unbedenkliche  änderungen  beseitigen.  So 

205.3  sanesüle  (so  die  hss.),  MF.  ohne  zweifei  richtig:  emüle. 

205.4  duz  selbe  tuot  auch,  MF.  duz  selbe  duz  ttiot  oueh,  wo 
vielleicht  Bechs  emendation  duz  selbe  tuot  auch  drr  min  s.  m. 
vorzuziehen  ist.  210,11  lese  ich  mit  Haupt.  Nimmt  man  an 
der  Umstellung  anstoss,  so  könnte  man  auch  an  werelt  denken, 
eine  zweisilbige  form,  die  in  älteren  liedertexten  aufzunehmen 
sich  zuweilen  empfiehlt.  Für  den  leser  ist  Haupts  besserung 
entschieden  gefälliger,  die  musikalische  rhythmik  würde  da- 
gegen keinen  anlass  haben,  zweisilbige  arsis  hinter  der  zweiten 


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40 


SAU  AN 


thesis  des  Vordersatzes  (_J  ww— -  .-L  )  zu  tadeln,  da 

sie  gerade  an  dieser  stelle  öfters  vorkommt  und  rhythmisch 
begründet  ist.  Vgl.  abschnitt  III.  Entscheiden  kann  wider 
nur  die  Statistik.  Von  bedeutung  für  die  Chronologie  Hartmanns 
ist  also  auch  die  erscheinung  der  zusammenziehung  nicht. 

Den  ausschlag  gibt  die  beobachtung  der  auftakt- 
verhältnisse.  Die  bedenken  welche  Vogt  dagegen  erhebt, 
dass  ich  die  auftaktfrequenz  in  procentzahlen  umgerechnet  für 
die  Chronologie  verwerte,  kann  ich  nicht  teilen.  Denn  wenn 
in  den  45  versen  des  tones  205, 1  der  auftakt  einmal  fehlt,  in 
den  24  von  215, 14  aber  auch  nur  einmal,  so  ist  das  doch  ein 
grosser  unterschied.  Da  jenes  lied  fast  doppelt  so  viel  verse 
hat  als  dieses,  so  fehlt  der  auftakt  dort  natürlich  um  die 
hälft  e  seltener  als  hier.  Umrechnung  in  procente  ist  darum 
keineswegs  ein  'aufbauschen'  (Vogt  s.  239):  im  gegenteil  wäre 
es  falsch  die  Ziffern  direct  mit  einander  zu  vergleichen.  Man 
würde  in  diesem  fall  ihre  bedeutung  verschleiern  und  von  den 
wirklichen  Verhältnissen  ein  ganz  schiefes  bild  erhalten.  Dass 
ich  den  abstand  von  205, 1  und  214. 12  H.  v.  A.  s.  36  für  be- 
deutsamer gehalten  als  er  wirklich  ist,  leugne  ich  nicht,  um 
so  mehr  als  ich  jetzt  das  'daktylische'  lied  dort  einstelle. 
Der  oder  die  verlornen  leiche  Hartmanns  sind  wol  kreuzleiche 
gewesen.  Sie  würden,  wenn  dieses  richtig  ist,  unter  die  kreuz- 
lieder  einzureihen  sein. 

S.  230  bemerkt  Vogt:  'der  Verfasser  hat  bei  der  aufstellung 
seiner  tabelle  entweder  ganz  vergessen,  dass  dieselbe  die  fort- 
schreitende regelung  des  auftaktes  veranschaulichen  soll  oder 
er  sieht  diese  regelung  ausschliesslich  in  dem  gleichmässigen 
setzen,  nicht  auch  in  dem  gleichmässigen  fehlen  des  auftaktes 
und  ebensowenig  in  dem  bestimmten  Wechsel  von  versen  mit 
und  ohne  auftakt;  denn  nach  seiner  Übersicht  steigen  unter- 
schiedslos mit  der  zahl  der  auftaktlosen  verse  eines  tones  auch 
jene  procentzahlen,  deren  allmähliches  anwachsen  nur  immer 
weiter  zurück  auf  die  stufen  geringerer  kunstfertigkeit  des 
dicht  eis  führen  soll;  die  denkbar  niedrigste  stufe  derselben 
würden  wir  demnach  mit  der  denkbar  höchsten  procentzahl 
erreichen,  d.h.  in  einem  eonsequent  ganz  ohne  auftakt  gebauten 
gedieht!  Ein  solches  findet  sich  nun  allerdings  bei  Hartmann 
nicht,  wol  aber  gebraucht  er  Strophenschemata  welche  das 


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UKHF.R  HARTH  ANN  VON  AUE. 


41 


fehlen  des  auftaktes  an  bestimmter  stelle  erheischen'.  Die 
gerügte  vergesslichkeit  wird  mir  Vogt  hoffentlich  nicht  im 
ernst  zutrauen.  Von  den  beiden  Möglichkeiten  die  er  offen 
lässt,  ist  die  zweite  richtig.  Ich  habe  mit  bewusstsein  nur 
ein  princip  in  der  auftaktregulierung  anerkannt  und  halte 
auch  jetzt  daran  fest,  dass  das  von  mir  ermittelte  durchaus 
die  entwickelung  beherscht.  Neben  ihm  kommt  kein  anderes 
wirklich  zur  geltung.  Gleichwol  hat  Vogt  richtig  gesehen, 
dass  meine  ausführungen  an  dieser  stelle  der  ergänzung  be- 
dürfen. In  einigen  Hedem  fehlt  allerdings  der  auftakt  ent- 
schieden nicht  ohne  absieht.  Doch  widerspricht  dies,  wie  sich 
zeigen  wird,  meinem  princip  keineswegs,  fügt  sich  ihm  vielmehr 
auf  das  beste.    Vgl.  abschnitt  VI. 

Auf  einen  mangel  meiner  Statistik  muss  ich  selbst  auf- 
merksam machen,  da  ihn  niemand  bemerkt  hat.  Er  liegt  auf 
rein  rhythmischem  gebiet  und  zwar  in  der  kolotomie.  Die 
mhd.  liedertexte  werden  so  gedruckt,  dass  im  allgemeinen  eine 
reimzeile  auch  eine  druckzeile  ausfüllt.  Dass  damit  der  bau 
der  Strophen  nur  unvollkommen  widergegeben  werde,  haben 
sich  die  herausgeber  von  MF.  nie  verhehlt.  In  den  meisten 
fällen  ist  nun  die  reimzeile  gleich  einer  rhythmischen  reihe, 
oft  aber  beträgt  sie  weniger  (bei  binnenreim  u.  s.  w  ),  oft  mehr 
(bei  waise  und  reihenverschleifung).  Der  rhythmische  wert 
einer  druckzeile  in  MF.  kann  somit  im  einzelnen  falle  drei- 
fach sein:  1)  reihe.  2)  reihenabschnitt,  3)  zwei  oder  mehr  reihen 
bez.  eine  ganze  periode.  Als  erstrebenswert  muss  ein  druck- 
schema  bezeichnet  werden,  worin  jede  zeile  den  wert  einer 
rhythmischen  reihe  hat,  und  worin  die  anfange  der  perioden 
durch  grosse  buchstaben  deutlich  gekennzeichnet  sind.  Alles 
andere  ergibt  sich  daraus  dem  kundigen  leser  von  selbst. 

Entwirft  man  nun  nach  dem  princip.  das  ich  verwendet, 
eine  statistische  tabelle  der  auftakte,  so  muss  man  vor  allem 
die  funetionen  genau  scheiden.  Man  darf  also  nur  die  auftakte 
am  reihenanfang  mit  einander  vergleichen,  man  muss  sich  da- 
gegen hüten  •binnenauftakte'  mit  in  die  rechnung  einzubeziehen. 
Ferner  hat  man,  um  wirklich  genaue  zahlen  zu  bekommen, 
die  anzahl  der  kola  einer  Strophe  rhythmisch  zu  bestimmen 
und  darf  sich  nicht  nach  den  unrichtigen  schematen  der  drucke 
richten.   So  habe  ich  z.  b.  MF.  211,27  im  anschluss  an  den 


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42  SA RAN 

» 

text  als  eine  Strophe  von  8  reihen  angesehen  und  die  proeente 
auf  diese  zahl  berechnet.  Dies  ist  falsch,  denn  die  Zeilen  211. 28 
und  30  sind  notwendiger  weise  in  je  zwei  kola  zu  zerlegen, 
während  211,32.  33  ebenso  notwendig  in  eines  zusammengezogen 
werden  müssen.  Die  Strophe  bestellt  also  nicht  aus  8,  sondern 
aus  0  reihen  und  damit  ändert  sich  auch  der  statistische  wert 
der  auftaktziffer  etwas.  Ferner  fällt  damit  der  auftakt  von 
211,33  ausser  betracht,  denn  er  ist  nicht  die  erste  arsis  einer 
reihe,  sondern  nur  erste  arsis  eines  abschnitt  es  (reihenteiles), 
also  vom  Standpunkt  deskolons  aus  gesehen  ein  'binnenauftakt*. 

Ks  bedarf  also  meine  frühere  arbeit  vorzugsweise  im  punkte 
der  rhythmik  einer  revision.  Denn  die  grundlage  einer  Unter- 
suchung, wie  die  ist  welche  ich  geführt  habe,  muss  vor  allem 
eine  genaue  kolotomie  sein.  Ich  will  diese  kolotomie  und 
überhaupt  die  rhythmisierung  der  lieder,  so  weit  sie  für  meinen 
unmittelbaren  zweck  von  nöten  ist,  hier  nachholen. 

III.  Zur  rhythmik  von  MF. 

Was  einem  wirklichen  Verständnis  der  lyrik  der  minne- 
singer  bisher  im  wege  gestanden  hat  und  noch  immer  im  wege 
steht,  ist  der  umstand,  dass  man  die  überlieferten  denkmäler 
dieses  kunstzweiges  nicht  als  das  behandelt  was  sie  sind  und 
allein  sein  sollen:  vocal texte.  Man  nimmt  sie  für  poetische 
welke,  für  gedichte  und  beurteilt  sie  im  wesentlichen  ebenso, 
wie  man  es  mit  gedichten  moderner  lyriker  tut.  Man  vergisst, 
dass  sie  nur  mit  der  melodie  zusammen  wahrhaft  lebten,  daxs 
also  beim  lesen  ein  grosser  teil  ihrer  ästhetischen  Wirkungen 
sehwinden  muss.  Eine  erotische  deutsche  buchlyrik  gab  es 
damals  nicht.    Es  gab  keine  gedichte,  sondern  nur  lieder. 

Macht  sich  dieser  fehler  der  betracht ung  schon  bei  der 
literarischen  beurteilung  oft  recht  störend  geltend,  so  noch 
mehr  bei  der  rhythmischen.  Man  stellt  hier  die  Strophen 
dieser  sänger  auf  eine  stufe  mit  den  reimdichtungen  der  er- 
zähler,  man  überträgt  beobachtuugen  die  man  an  sprechversen 
gemacht,  auf  gcsangsverse,  kurzum  man  lässt  den  grossen 
unterschied  ausser  acht,  der  tatsächlich  zwischen  musikalischen 
und  poetischen  rhythmen  besteht.  Dadurch  wird  eine  befrie- 
digende auffassung  der  minnelieder  unmöglich. 

Es  ist  für  die  metrik  der  minnesinger  unbedingt  festzu- 


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UBBI'R  II  AUTMANN  VON  AUE. 


43 


halten:  das  für  den  ästhetischen  eindruck  massgebende,  das 
formende  dement  ist  der  musikalische  rhythmus.  Dessen 
formen  hat  sich  der  text  sowol  im  accent  wie  in  der  gliederung 
anzubequemen.  Diese  musikalisch -rhythmischen  formen  sind 
aber  ihrem  wesen  und  ihrer  entstehung  nach  von  der  spräche 
und  ihren  accent  Verhältnissen  als  solchen  gänzlich  unabhängig, 
sie  können  z.  b.  in  der  instrumentalmusik  eine  existenz  ohne 
sprachtext  führen.  Weil  sich  nun  aber  der  text  dem  musika- 
lischen rhythmus  fügen  muss,  weil  er  von  diesem  geformt  wird, 
soweit  es  die  natur  der  spräche  nicht  hindert,  so  wird  er  da 
wo  die  melodie  nicht  erhalten  ist,  die  möglichkeit  bieten,  den 
rhythmus  zu  erkennen  den  er  begleitet.  Aus  den  eindrücken 
die  der  rhythmus  im  text  hinterlassen,  kann  man  also  um- 
gekehrt seine  form  reconstruieren.  Aber  dies  ist  nur  dann 
möglich,  wenn  man  sich  über  wesen  und  gesetze  des  musika- 
lischen rhythmus  unterrichtet  hat:  ohne  kenntnis  dessen  was 
in  musikalischen  rhythmen  möglich  ist.  kann  die  rhythmi- 
sierung der  texte  nicht  gelingen.  Denn  der  text  spiegelt 
eben  nicht  alle  Wirkungen  des  rhythmus  ab,  sondern  nur  einige. 
Ja  selbst  dann,  wenn  uns  die  melodien  der  alten  minnelieder 
erhalten  wären,  würde  aus  text  und  melodie  allein  die  rhyth- 
mische form  nicht  construiert  werden  können.  Denn  die  notie- 
rung  alter  melodien  jener  epoche  bedarf,  wie  mich  ein  kenner 
der  mittelalterlichen  notenschrift,  H.  Kiemann,  versichert,  selbst 
erst  der  rhythmischen  deutung  auf  grund  des  text  es. 

Die  einzige  möglichkeit  in  das  wesen  der  alten  kirnst 
einzudringen  ist  also  die.  dass  man  an  modernen  musikstücken 
verwanter  art,  d.h.  an  einfachen  Hedem,  die  formen  und  ge- 
setze des  musikalischen  rhythmus  studiert,  danach  die  erhal- 
tenen texte  rhythmisiert  und  dann  die  resultate  durch  statis- 
tische vergleichung  corrigiert.  Man  wird  so,  wie  ich  überzeugt 
bin,  wenn  nicht  völlig,  so  doch  hinreichend  genauen  aufschluss 
erlangen,  zumal  die  Sache  verhältnismässig  recht  einfach  liegt. 
Ich  werde  im  folgenden  nach  dieser  methode  verfahren.  Die 
grundsätze  die  ich  im  einzelnen  befolge,  werde  ich  vorher  an- 
geben. Ich  muss  dies  in  dogmatischer  form  tun.  erhebe  aber 
hier  nicht  den  anspruch  darauf,  etwas  endgiltiges  zu  geben. 
Doch  möchte  ich  bemerken,  dass  meine  art  der  behandlung 
und  die  folgende  kurze  rhythmische  Übersicht  sich  auf  die 


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44 


BARAK 


dureharbeitung  eines  reichen  materiales  stützt.  Ich  habe  tau- 
sende von  musikalischen  compositionen  aller  gattungen  und 
grossen  analysiert  und  die  gewonnenen  regeln  an  sämmtlichen 
Hedem  aus  MF.,  den  meisten  Walthers  und  zahlreichen  späterer 
sänger  erprobt  und  als  stichhaltig  erfunden.  Ich  glaube  ihnen 
darum  einigen  wert  beilegen  zu  dürfen.  Im  einzelnen  hoffe 
ich  meine  grundsätze  bald  in  einer  systematischen  darstellung 
der  allgemeinen  musikalischen  rhythmik  rechtfertigen  zu  können. 
Einstweilen  verweise  ich  auf  R.  Westphals  'Allgemeine  theorie 
der  musikalischen  rhythmik  seit  Bach'  und  ebendessen  'Aristo- 
xenos'  bd.  1  (von  mir  bearbeitet  und  herausgegeben),  wo  sich  in 
den  prolegomena  ein  abriss  der  musikalischen  rhythmik  findet. 
Heide  Schriften  zusammen  genügen  im  ganzen  zur  rhythmisie- 
rung der  minnelieder,  so  viel  verfehltes  auch  darin  enthalten 
ist.  Will  man  sich  die  Schemata  der  minnelieder  beleben,  so 
nehme  man  dazu  choralmelodien.  Deren  rhythmik  steht  — 
von  dem  feierlichen  tempo  natürlich  abgesehen  —  ungefähr 
auf  dem  Standpunkt  der  lieder  in  MF.  Von  der  heranziehung 
der  kinderlieder  sieht  man  am  besten  ab,  da  diese  eine  Sonder- 
stellung einnehmen. 

Die  rhythmik  der  minnelieder  in  MF. 

1.  Per  rhythmns  und  seine  faotoren. 

§  1.  Lässt  man  ein  monodisches  oder  unisones  (ev.  be- 
gleitetes) lied  auf  sich  wirken,  z.  b.  das  bekannte  'Frisch  auf, 
kameraden,  aufs  pferd,  aufs  pferd'  und  zwar  gesungen  so  wie 
es  an  seiner  stelle  sinn-  und  stilgemäss  gesungen  werden  muss, 
so  findet  man  dabei  im  bewusstsein  —  wenn  man  einmal  von 
andern  Wirkungen  absieht  —  die  Vorstellung  einer  gewissen 
zeitlichen  gliederung,  die  zugleich  als  angenehm  gefühlt  wird. 
Dies  ist  der  rhythmus  des  liedes,  die  ästhetisch  wolgefällige 
zeitform  des  akustischen  Vorgangs. 

§  2.  Analysiert  man  nun  diesen  inhalt  des  bewusstseins, 
so  enthüllt  er  sieh  als  die  Wahrnehmung  eines  Systems  von 
Zeitbeziehungen,  das  die  tonreihe  in  uns  entstehen  lässt.  und 
zwar  eines  Systems,  das  sich  in  mehreren  Ordnungen  aufbaut, 
die  so  zu  sagen  über  einander  stehen.  Sie  folgen  diesem 
schema: 


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UKBKK  IIAUTMANN  VON  AUE. 


45 


4.  |t 
:i.   r    :  r 

und  dann  auf  jeder  seite  weiter: 
3.  r  : 

2.  ii  a 

1.     f     :     f  f     :  f 

0.  s  :  s    s:.s    8  :  s    s:s  8  :  h    »:s    b  :  s  8:8 

D.  h.  diese  tonreihe  ist  so  beschaffen,  dass  ihre  teile,  nachdem 
sie  ins  bewusstsein  getreten  sind,  nicht  vereinzelt  bleiben,  son- 
dern nach  dem  mitgeteilten  Schema  auf  einander  bezogen,  also 
vom  geist  zu  gruppen  vereinigt  werden,  von  denen  eine  immer 
die  nächst  niederen  einschliesst. 

$  3.  Jede  einzelne  rhythmopöie  ist  also  in  rhythmische 
gruppen  verschiedener  Ordnungen  zerlegbar.  Diese  sind  von 
unten  nach  oben  gerechnet: 

1)  der  fuss  (f)  bestehend  aus  zwei  schlagen  (s),  die  arsis 
und  thesis  (aufschlag  und  niederschlage)  heissen, 

2)  der  abschnitt  (a). 

3)  die  reihe  (r). 

4)  die  periode  (p); 
eventuell  kommen  hinzu 

0)  der  absatz, 
6)  die  Strophe. 

Jede  gruppe  höherer  Ordnung  zerlegt  sich  zuerst  in  die  der 
nächst  niederen  und  dann  so  fort.  Die  folge  der  schlage,  diese 
ohne  beziehung  zu  einander  gedacht,  heisse  das  rhythmische 
niveau  (im  Schema  mit  0  angedeutet). 

§  4.  Dies  wolgefällige  Zeitensystem  ist  psychologisch  be- 
trachtet eine  leistung  des  bewusstseins.  Die  mittel  die  die  seele 
anregen,  es  zu  erzeugen,  d.  h.  die  factoren  des  rhythmus  sind 

1)  das  metrum,  d.h.  alle  die  festen  Verhältnisse  worin 
die  dauerwei  te  der  einander  beigeordneten  töne  und  tongruppen 
in  den  verschiedenen  Ordnungen  stehen.  Metrum  ist  also  der 
Inbegriff  der  mathematisch  festgestellten  dauerverhält nisse  in 
der  tonbewegung.  Mit  4 rhythmus '  darf  der  begriff  nicht  ver- 
wechselt werden. 

2)  die  dynamik,  d.h.  der  inbegriff  der  stärkeabstufungeu, 
die  in  einer  tonreihe  bemerkt  werden, 


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40 


HAKAN 


3)  das  tempo, 

4)  die  agogik,  d.h.  kleine  dehnungen  oder  kürzungen 
die  die  normaldauer  eines  wertes  erleidet,  ohne  dass  die  grund- 
proportion  für  das  bewusstsein  gestört  wird. 

5)  die  tonarticulation  (lcgato,  staccato  u.s.w.), 

6)  die  tote  pause,  d.h.  irrationale  leere  Zeiten,  die  als 
grenzen  gebraucht  werden, 

7)  die  melodie  mit  ihren  bedeutungsvollen  intervall- 
schritten und  Schlüssen, 

8)  der  text,  der  durch  syntaktische  gliederung  und  den 
Wechsel  accentuierter  und  nicht  accentuierter  silben  die  rhyth- 
mische  gruppenbildung  wesentlich  fördert, 

9)  das  euphonische  des  text  es,  z.  b.  reim,  alliteration 
u.dgl.,  was  ebenfalls  den  rhythmus  stützt. 

$  5.  Nur  das  zusammenwirken  aller  oder  doch  der  meisten 
dieser  factoren  erzeugt  den  rhythmus.  Es  brauchen  aber  nicht 
alle  in  gleicher  rieht  ung  zu  wirken.  Einige  können  wider- 
streben, die  dann  durch  stärkere  Wirkung  anderer  in  ihrer 
tätigkeit  compensiert  werden.  In  solchen  fällen  —  und  es  sind 
wol  alle  —  ist  das  ideale  rhythmische  System  mehr  oder  weniger 
verschl eiert.  (Gerade  in  der  feinen  Verwendung  der  gegensätze 
in  den  factoren  besteht  die  kunst  der  rhythmischen  arbeit. 

2.  Die  Grundformen  der  rhythmischen  ^nippen. 

Es  folge  nun  eine  kurze  Charakteristik  der  einzelnen  rhyth- 
mischen gruppen,  soweit  sie  für  meinen  zweck  nötig  ist. 

§  6.  Der  fuss.  Für  den  minnesang,  soweit  dessen  texte 
in  MF.  vorliegen,  kommen  nur  vier  in  betracht: 

_  '  anapäst«)  (J  |  J)   |        daktylus')(|  JJ) 
v^JL  jambus     (J*|  0)    |    iw  trochäus    (|  JJ'). 

Die  füsse  kennen  also  entweder  das  gerade  (1:1)  oder  das 
ungerade  (1:2,  2: 1)  Verhältnis.  Analysiert  man  eine  rhythmo- 
pöie  nach  takten,  d.h.  von  thesis  (hebung)  zu  thesis  ohne  rück- 
sicht  auf  das  fusssystem,  so  erhält  man  für  MF.  natürlich  nur 
zwei  einfache  takt formen:  den  geraden  |  _L__  |  =  |  JJ  |  und 
den  ungeraden  -  =  |  JJ*|.  Bei  anapästen  und  jamben  heisst 
dann  die  erste  arsis  der  reihe  •  auf  takt'. 

')  It  h  brauche  diesen  uamen  in  etwas  anderem  sinn  als  die  antike. 


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URB  RR  HARTMANN  VON  AUR. 


47 


8  7.  Die  reihe.  Ks  gibt  in  der  musikalischen  rhythmik 
überhaupt  nur  fünf  reihen  formen:  den  zwei-,  drei-,  vier-,  fünf- 
und  sechsfiisser  (bez.  -takter,  wenn  man  nach  takten  zählt). 
Es  empfiehlt  sich  die  neutralen  namen  'zweier,  dreier,  vierer, 
funfcr  und  sechser  zu  benutzen,  die  schon  das  18.  jh.  brauchte. 
Meist  sagt  man:  dipodie,  tripodie.  tetrapodie.  pentapodie.  hexa- 
podie.    Von  diesen  reihen  kennt  MF.  nur  drei: 

1.  den  vierer  (tetrapodie),  weitaus  die  beliebteste  und 
häufigste;  z.  b. 


2.  den  sechser  (hexapodie),  nächst  dem  vierer  die  belieb- 
teste reihe  und  auch  sehr  häufig:  z.  b. 


3.  den  zweier  (dipodie),  selten  und  vielleicht  nirgends 
anzuerkennen.  Durch  Verbindung  mit  nachbarzeilen  kann  er 
wol  immer  vermieden  werden.  Dieser  reihentypus  ist  überhaupt 
in  der  musikalischen  rhythmik  einer  der  seltensten. 

Dreier  und  fünfer  sind  in  MF.  nicht  anzunehmen,  weil 
man  ohne  sie  glatt  auskommt  und  diese  reihen  jederzeit  sehr 
selten  gewesen  sind.  Man  darf  sie  nur  da  ansetzen,  wo  sie 
positiv  nachgewiesen  werden  können. 

Am  schluss  jeder  reihe  steht  eine  cäsur,  die  durch  die 
Verwendung  der  rhythmischen  factoren  in  sehr  verschiedener 
weise  zum  bewusstsein  gebracht  werden  kann.  In  der  vocal- 
musik  pflegt  des  atmens  wegen  tote  pause  mit  ihr  verbunden 
zu  sein. 

$  8.  Oer  abschnitt.  Jede  reihe,  der  zweier  ausgenommen, 
zerfällt  in  zwei  rhythmische  abschnitte,  die  sich  mehr  oder 
weniger  von  einander  abheben.  Bei  deutlicher  Scheidung  steht 
binnencäsur,  die  ich  im  schema  durch  ein  Semikolon  bezeichne. 

Der  vierer  zerlegt  sich  so:  der  sechser 

entweder  - -"-    ---    oder  . 

d.h.  nach  dem  reihenverhältnis  1:2  oder  2:1,  nie  nach  dem 
Verhältnis  1:1,  also  nie    L-    _1;  .   Solche  bü- 

dungen  sind  nicht  reihen,  sondern  zweigliedrige  perioden! 

Da  der  sechser  rhythmisch  eine  enge  Verbindung  des 
zweiers  und  Vierers  ist,  so  enthält  sein  langer  teil  (der  vier- 


vierer. 


•  (anap.  sechser), 


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48 


SA  RAN 


füssige  abschnitt)  zwei  Unterabschnitte,  die  zuweilen  aucli 
durch  untercäsur  deutlich  getrennt  werden. 

 '  . .      "  _  .  i 


Man  hat  also  haupt-  und  Unterabschnitte  zu  scheiden. 

Von  den  zwei  typen  des  sechsers  ist  der  nach  v  =  2 : 1 
(also  mit  dem  langen  teil  voran)  stets  der  seltenere,  darum 
nur  dann  anzusetzen,  wenn  dazu  positive  veranlassung  ist. 

Die  normalen  binnencäsuren  der  reihen  sind  die  zwischen 
den  abschnitten;  doch  sind  sie  meist  verdeckt,  besonders  im 
vierer,  so  dass  sie  nicht  ins  bewusstsein  fallen. 

Anm.  1.  Ich  bemerke  hier,  dass  vierer  und  sechser  mit  anapästischeu 
füssen  ( — '-)  der  germanischen  rhythmik  von  alters  her  eignen.  Auf  den 
ersten  gehen,  wie  ich  gezeigt  habe  (vgl.  Sievers,  Altgerm,  metrik  cap.  VII). 
die  'normalverse'  der  altgermanischen  alliterationspoesie  zurück.  Auf  den 
sechser  (die  hexapodie)  anapUstiseher  form  dagegen  weisen,  wie  ich  hier  nur 
mitteilen  will,  die  '  schwell verse'  hin.  Deren  einzelne  formen  lassen  sich 
aus  dem  sechser  in  ganz  analoger  weise  ableiten  wie  die  normalverse  aus 
dem  vierer,  l'nd  zwar  geht  der  westgerm.  schwellvers  auf  die  fonn  zweier 
-4-  vierer  (v—  1:2)  zurück,  also  auf  den  sechser  mit  schliessendem  langen 
teil.  Der  nordische  schwellvers  im  dröttkvjett  aber  ist  aus  der  form  vierer 
+  zweier  (v— 2:1)  entwickelt.  Auch  die  langzeile  des  ljooahattr  gehört 
hierher.  Luieks  complicierte  theorie  ist  unmöglich.  Die  formanalyse  des 
textes  die  Sievers  zuerst  gegeben,  entspricht  durchaus  dem  genetischen 
Sachverhalt.  Wie  der  ursprünglich  vierhebige  musikalische  vierer  in  folge 
seiner  deutlich  dipodischen  struetur  zum  wesentlich  zw  ei  liebigen  poetischen 
normalvers  umgewertet  wird,  so  der  musikalisch  sechshebige  rhythmus  zum 
dreihebigen  schwellvers.  Die  von  Sievers  festgestellte  gliederung  in  ein 
X  —  +  normalvers  oder  normalvers  4-  —X  uichts  weiter  als  der  letzte 
Widerschein  der  musikalischen  gruppiernng  nach  1  :  2  oder  2:1.  Die  regeln 
über  die  'Senkungen'  und  eventuelle  ' nebentöne '  im  schwellvers  können 
denen  des  uormalverses  aualog  entwickelt  werden. 

$  9.  Die  periode.  Ks  ist  eine  für  das  Verständnis  von 
rhythmopöien  höchst  wichtige  tatsache,  dass  in  der  musik  der 
cultur Völker,  jedenfalls  in  der  des  abendlandes  von  der  wir 
etwas  wissen,  reihen  für  sich  allein  nicht  vorkommen,  ver- 
schwindend geringe  ausnahmen  abgerechnet.  Es  müssen  immer 
mindestens  zwei  zu  einer  gruppe  höherer  Ordnung,  der  periode 
zusammentreten.  Isoliert  kommen  reihen  nach  meinen  beob- 
achtungen  nur  als  signale  u.  ä.  vor.  Die  kunst  kennt  sie  nur 
da  wo  sie  solche  signale  nachahmt.  Die  reihe  als  bestandstück 
der  periode  heisst  glied  (kolon). 


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l'KHKK  1IAKTMANN  VON  AVK. 


49 


jj  10.  Die  ursprungliche  fomi  der  periode  Ist  die  zwei- 
gliedrige. Sie  besteht  aus  Vordersatz  (a)  und  nachsatz  (b). 
Sind  mehr  glieder  vorhanden,  so  haben  sie  entweder  (in  MF. 
immer!)  die  function  von  Vordersätzen  (a',  a"  u.s.w.)  oder  aber 
die  von  nachsätzen  (V,  b"  u.s.w.).  Letztere  tragen  den  Cha- 
rakter von  schlusswiderholungen  und  Schlussbekräftigungen. 
Es  ergeben  sich  also  folgende  Schemata: 

dreigliedrige  periode:  a  —  a'  —  b  oder  a  —  b  —  b', 
viergliedrige  periode:  a  —  a'  —  a"  —  b,   a  —  a'  —  b  —  b' 
a  —  b  —  b'  —  b"  u. s.  w. 
Die  periodenglieder  werden  durch  die  cäsuren  getrennt.  Hier 
ist  im  text  der  hiatus  stets  erlaubt. 

§11.  Für  die  gliederfolge  gilt  die  specialregel:  zwei 
dipodien  können  nie  in  der  function  von  reihen  aufeinander 
folgen.  Wo  dies  scheinbar  der  fall  ist,  hat  man  es  mit  einem 
vierer  zu  tun,  dessen  binnencäsur  scharf  ausgeprägt  ist.  Die 
zweier  sind  in  solchen  fällen  also  abschnitte,  nicht  glieder. 

§  12.  Hinter  der  periode  ist  ein  starker  rhythmischer 
einschnitt,  den  ich  diäresis  nennen  will.  Zeichen:  ||  (doppel- 
strich). 

§  13.  Wie  die  reihen  zur  periode  zusammentreten  müssen, 
so  können  sich  wenigstens  die  perioden  zu  absätzen  ver- 
einigen. 

§  14.  Die  absätze,  wo  solche  vorhanden  sind,  andernfalls 
die  perioden  unmittelbar,  treten  zu  Strophen  zusammen.  Auch 
eine  periode  kann  schon  strophische  function  tibernehmen  (z.  b. 
im  lied  'Es  zogen  drei  burschen'.  Periode  =  a  — b  — b'  = 
strophe).  Als  Strophenteile  heissen  die  absätze  im  minnesang 
aufgesang  und  abgesang,  die  strophe  ist  also  ev.  zweiteilig 
zu  analysieren,  nicht  dreiteilig. 

3.  Die  rhythmischen  sprossformen. 

Die  unter  no.  2  aufgestellten  grundformen  können  nun 
modificiert  werden  durch  rhythmische  Veränderungen.  Ich  führe 
nur  die  wichtigsten  davon  an. 

$  15.  Auflösung.  Jede  normale  thesis  (L)  kann  in  zwei 
Mlften  gespalten  werden:  L  =  Z~  (  J  =  J*J*)«  Eine  halbe, 
reine  thesis  heisst  schlechtweg  kürze' (more).   Ebenso  kann 

Beitrüg«  zur  geschickte  der  deutschen  »pmche.    XXIII.  4 


50 


SAKAN 


eine  arsis  gespalten  werden,  wenn  sie  von  der  dauer  einer 
thesis  (L)  ist:  _  =  ^  (  J  =  jsJ).  Die  zeit  der  reinen  thesis, 
dann  auch  die  einer  gleich  langen  arsis,  nennt  man  gewöhn- 
lich schlechtweg  eine  länge.  Daher  die  bekannte  regel:  eine 
länge  ist  gleich  zwei  kürzen. 

§  16.  Eine  arsis  von  dem  wert  «  (J*),  also  die  arsis  der 
jamben  und  troehäen,  darf  im  minnesang  nicht  gespalten  werden. 
Die  kürze  ist  also  wie  im  griech.  und  lat.  die  kleinste  mög- 
liche rhythmische  zeit  (xq6vo<;  jtQcötog,  mora,  masszeit). 

Es  gilt  also  auch  für  MF.  die  regel  von  der  Unteil- 
barkeit der  kürze  (der  masszeit,  mz.). 

§17.  Die  füsse  können  in  MF.  darum  nur  in  folgenden 
artformen  auftreten: 

anapäst:  _  - 
daktylus:  JL- 
jambus:  ^1 
trochäus:  lw 

Es  gibt  also  in  MF.  höchstens  viersilbige  takte.   Füllen  vier 

silben  den  takt,  so  müssen  die  beiden  ersten  (die  thetischen 

silben)  4  verschleif  bar'  sein,  d.h.  sprachlich  die  form  ^x  haben. 

Anm.  2.  Für  die  moderne  musik  gilt  diese  regel  nicht  mehr.  Nur 
der  gemeindechoral  befolgt  sie  noch. 

Anm.  3.  Die  stellen  wo  auflösung  stattfindet,  sind  nicht  schlechthin 
willkürlich.  Die  rhythmische  grappierung  kann  durch  sie  bedeutend  ge- 
fördert werden.    Darum  ist  auflösung  beliebt  im  uuftakt',  z.  b.  ^,-1—  - 

—  * ,  um  den  reiheneingang  zu  markieren.   Im  inneren  der  reihe  steht 

sie  gern  auf  der  dritten  arsis  (anfang  des  zweiten  abschnitte«),  z.  b.  _  —  —  -- 

ww  - —  • ,  bes.  passend  für  die  hexapodie   ^>  —  ^-  —  — '  •  . 

Ferner  steht  sie  gern  auf  '  nebenhebungen da  durch  auflösung  die  kraft 
des  ictus  gebrochen  wird :  _    -  ^  _  L  _  i^. 

§  18.  Zusammenziehung.  Die  zeit  einer  thesis  kann  mit 
der  der  arsis  die  unmittelbar  folgt,  vereinigt  werden.  Dann 
entstehen  überlängen,  vier-  bez.  dreizeitige  takte. 


Die  rhythmischen  Symbole  sind:  L  (J)  =  4  w  =  1  -f  _  (J  J) 

Durch  diese  zusammenziehung  fallen  arsen  (ohne  Zeitverlust) 
aus.   Westphal  nannte  den  Vorgang  unzweckmässig  'synkope 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE.  51 

der  Senkung'.  Reihen  mit  zusammenziehung  lieissen  'asynar- 
tetiscV,  solche  oline  zusammenziehung  <synartetisch\ 

An  in.  4.  Die  znsammenziehung  dient  wie  die  auflösung  anch  zur 
fürderung  der  rhythmischen  gruppierung.  Sie  dient  dazu,  den  schluss  der 
reihen  IQ  markieren,  findet  sich  darum  besonders  um  die  letzte  areis 
(katalexis): 


analog  ^  —  w  "  ^> -  :  und  —  w  : w  '-w:. 

Sie  ist  femer  ein  gutes  mittel  haupticten  zu  verstarken.  Belieht  sind  darum 
in  MF.  formen  wie  _  L  •  _  L  :  ;  bei  typus  C  (Sievers)  —  _ —  L  L  —  L  oder 
—  —  —  2i  1. — .  Entsprechend  im  kurzen  und  langen  teil  der  hexapodie  i 
_JL  :  ;  -  L  •  u.s.w. 

§  19.  Verschiebung  der  einschnitte.  Am  ende  jedes  gliedes 
oder  jeder  periode  ist  normalerweise  cäsur  Q)  bez.  diäresis  (||): 

_1_  •  |  b  -L  L_  ■  || 

2.«  _1_-„__L_  •  |  b  -L-^-L--  ||. 

Die  cäsur  und  diärese  kann  aber  verschoben  werden  um  eine 
stelle  nach  vorwärts  (so  oft  in  MF.)  oder  um  eine  zurück.  Ein 
komma  zeigt  die  neue  cäsurstelle,  punktierte  striche  die  alte 
an.   Im  Schema: 

1.  »  _ JL_  •         1  \      b  .1  _  •_  _  _L  _  _, 

2.  »    ------    |  1  -L-^-L--  || 

bez. 


,,     ,  , 


2.  •  j        '  _  •  _!__  •  |  _!__ 

Der  zweite  fall  ist  überhaupt  seltener,  weil  dadurch  die  zahl 
der  thesen  und  damit  der  grundcharakter  der  glieder  verändert 
wird.  Der  erste  fall  ist  beliebt.  Dadurch  bekommen  die 
glieder  am  schluss  'überschlagende  arsen',  d.  h.  sie  werden 
hyperkatalek tisch,  entsprechend  werden  andere  dadurch 
auf  taktlos. 

Anm.  5.   Tritt  auflösung  dazu,  »o  complicieren  sich  die  Verhältnisse, 

z.  b.  aus        -l-i-i-vA.  |  v^--  '-  --, — .  | 
»  '  i        '  * 


wird  gern  z.  b. 


|  llZ^-lZl  ||. 
Bei  zurücktreten  der  cäsur  und  diäresis  entsteht  z.  b. 


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52  SA RAN 

i  ■       *  '  h         '  ' 

1.       —  —  w  ,    w   »_/ ; 

O  »  w  _L  _     _  _L  _      |b      -1  _  ■  _  '  

also  dreiwertige  auftakte!  Pie  sebliessenden  kürzen  von  1.»  mid  b  .sind  dann 
der  agogischen  delmung  zugänglich,  treten  im  text  darum  als  kaneeps' 
M  auf. 

§  20.  Aehnlich  steht  es  mit  der  binnencäsur.  Deren 
normale  Stellung,  soweit  überhaupt  binnencäsur  beabsichtigt 
ist,  befindet  sich  zwischen  den  abschnitten.  Also  im  vierer 
nach  der  zweiten  thesis  (bei  absteigenden  füssen:  arsis)  z.  b. 


oder  L 


im  sechser  ebenso: 


Sie  rückt  nun  entweder  eine  stelle  nach  vorwärts:  z.  b. 

'  '       bez     '        •  "        '  - 

oder  zurück:  z.  b. 

  ,        —  UCtl.  j     —  — —  —        —    • 

Das  letztere  ist  minder  häutig. 

Anm.  &    Combinationen  mit  arsenaunosung  kommen  oft  vor,  z.  b. 

^  _  -  ^.  ^ » 

Im  secbser  z.  b. 

--L-j-w;  ^  _  1  _     ang  _•  ;   :  j 

§  21.  Verdeckung  der  einschnitte.  (Glieder-,  periodenver- 
BChleifung).  Der  normale  zustand  ist.  dass  cäsur  und  diärese 
deutlich  ins  bewusstsein  tritt.  Besondere  Wirkungen  werden 
dadurch  erzielt,  dass  über  die  einschnitte  hinweggegangen  wird. 
In  solchen  fällen  pflegt  einschnitt  (wortschluss)  im  text  zu 
fehlen;  z.b.   , 


$  22.  Perioden-  und  absatzbrechung.  Das  normale  ist,  dass 
die  diäresis  stärker  ist  als  die  cäsur  und  der  endfall  des  ab- 
satzes  stärker  ist  als  der  nach  der  Vorderperiode.  Besondere 
Wirkungen  werden  erzielt,  wenn  das  Verhältnis  umgekehrt 
wird.  Dann  bekommt  die  periode  und  der  absatz  eine  neigung 
auseinander  zu  fallen.  Die  bewegung  wird  freier,  prosa- 
ähnlicher. Sparsame  Verwendung  dieses  kunstinittels  ist  für 
das  lied  wesentlich,  da  andernfalls  das  rhythmische  system 
zerrüttet  würde.   Im  Sologesang,  der  ohnehin  freiere  bewegung 


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ÜEBZB  HARTMANN  VON  AUE. 


53 


verträgt-,  ist  die  erscheinung  leichter  zu  ertragen  als  im 
chorlied. 

Anm.  7.  Die  poesie,  die  auf  die  gesetze  de»  musikalischen  rhythmu§ 
nicht  zu  achten  braucht,  liebt  es  in  gewissen  stilarten  (bes.  erzählender 
dichung),  die  strophenbrechnng  durchzuführen.  Sie  schreitet  oft  bis  zur 
periodenbrechung  fort.  Vgl.  Saran,  Z.  metr.  Otfr.  v.  Weissenburg  s.  103  ff.). 

§  23.  Rhythmische  pause.  Das  normale  ist,  dass  eine 
rhythmopöie  ihre  rhythmen  alle  mit  tönendem  stoff  erfüllt. 
Es  können  aber  auch  rhythmische  werte  ihrem  inhalt  nach  aus- 
fallen und  durch  eine  leere  zeit  von  gleicher  dauer  ersetzt 
werden.  Diese  'leeren  zeiten'  sind  die  pausen,  die  'rhythmisch' 
heissen,  weil  ihre  Zeitdauer  wesentlicher  bestandteil  des  rhyth- 
mischen Systems  ist,  weil  sie  tönenden  werten  gleich  stehen 
und  als  solche  teile  rhythmischer  gruppen,  glieder  metrischer 
Verhältnisse  sind.  Sie  sind  nicht  zu  verwechseln  mit  den 
'toten  pausen',  die  nur  die  bedeutung  von  grenzen,  nicht  von 
inhalten  haben  (§  4).  Das  symbol  der  rhythmischen  pause 
ist  A  (wert  =  ~),  der  toten  p.  Je  nach  dem  wert,  den  sie  ver- 
treten, sind  die  pausen  ferner  zweizeitig  (a),  dreizeitig  (/\), 
vierzeitig  Q\).   Andere  kommen  in  MF.  nicht  vor. 

Anm.  8.  Auch  die  pausen  künnen  zur  Verdeutlichung  des  rhyth- 
mischen Systems  dienen.  Sie  werden  besonders  am  reihenschluss  ge- 
braucht, mit  ähnlicher  Wirkung  wie  die  zusammenziehung.   Z.  b. 

---- 

(scheinbar  ansfall  eines  ganzen  fusses  =  brachykatalexis);  ferner 

.1—1-  I-^A 
fpausenkatalexis).   Dann  im  Innern: 

'      •  X«  '      •  ä 
(mittelpause  zur  markierung  der  binneucäsur)  und  am  anfang: 

Ä  ----  ---  - 

(pause  statt  des  auftaktes  zum  verstärken  des  reiheneinsatzes). 

4.  Regeln  für  die  rhythmisierung  von  minneliedern. 

Hat  man  die  aufgäbe,  ein  lied  modernen  Ursprungs,  etwa 
aus  dem  18.  oder  19.  jh.,  rhythmisch  zu  analysieren,  so  ist  das 
nicht  schwer.  Aus  der  notierung  im  verein  mit  der  betrach- 
tung  des  textes  kann  ein  musikalischer  mensch  im  wesent- 
lichen die  absiebten  des  componisten  erkennen,  kann  er  sich 
das  bild  das  diesem  vorschwebte,  sinn-  und  stilgemiiss  recon- 
struieren  und  rhythmisch  betrachten.   Das  problem  ist  sodann, 


54 


SAH  AN 


die  rhythmische  form  des  Werkes  zu  bestimmen,  und  aufzu- 
zeigen, wie  die  rhythmusfactoren  jeder  für  sich  zur  gesammt- 
wirkung  beitragen. 

In  dem  fall  der  uns  vorliegt,  steht  es  weit  ungünstiger. 
Von  dem  ganzen  kunstwerk  des  minneliedes  haben  wir  nichts 
weiter  als  den  text  zur  reconstruction  der  form,  es  fehlt  die 
melodie  und  das  was  man  heute  vortragsan Weisung,  taktein- 
teilung  und  taktvorzeichnung  nennt.  Von  den  neun  factoren 
des  rhythmischen  eindruckes  entziehen  sich  also  mindestens 
sechs  (metrum,  tempo,  agogik,  tonarticulation,  tote  pause,  me- 
lodie) der  beobachtung.  Es  bleiben  textgliederung  (durch 
accent  und  syntaktischen  Zusammenhang)  und  das  euphonische. 
Bis  zu  einem  gewissen  grade  auch  die  dynamik,  da  diese  im 
deutschen  sich  einigermassen  an  den  sprachaccent  anschliessen 
muss.   Im  französischen  fällt  auch  sie  aus.   Vgl.  abschn.  V. 

Es  ist  mithin  unsere  aufgäbe,  aus  der  beobachtung  der 
textgliederung,  des  euphonischen  (reim)  und  der  gegebenen 
dynamischen  punkte  (wortaccente)  die  rhythmische  form  zu 
ersehliessen,  die  das  kunstwerk  beherscht. 

Wie  weit  hat  nun  der  rhythmus  im  text  des  minneliedes 
seine  spuren  hinterlassen? 

Wollte  man  rein  aus  dem  texte  von  motetten  z.b.  des 
Palestrina,  Orlando  di  Lasso  oder  aus  den  texten  von  Otts 
Liederbuch  den  rhythmus  des  ganzen  herstellen,  so  würde  man 
weit  hinter  der  Wirklichkeit  zurückbleiben.  Auch  in  der  voeal- 
musik  unserer  zeit  würde  der  wirkliche  rhythmus  nicht  rein 
aus  dem  text  ermittelt  werden  können.  Denn  in  der  moderneu 
musik  höheren  stils  ist  die  melodie  und  die  rhythmische  form 
ihre  eigenen  wege  gewandelt  und  schaltet  mit  der  sprachlichen 
form  des  textes  sehr  frei.  Melodie  und  rhythmus  herschen 
über  den  text:  jene  sind  die  hauptsache,  dieser  nur  das  substrat. 
Auch  bei  R.  Wagner  ist  das  nicht  anders,  nur  dass  dieser  aus 
hier  nicht  zu  erörternden  gründen,  wie  überhaupt  die  neuesten 
componisten,  das  wort  mehr  schont  als  die  früheren.  Man 
kann  also  sagen:  da  wo  die  melodie  die  hauptsache  ist,  der 
text  i.  w.  nur  als  ihr  träger  und  dolmetscher  wert  hat,  ist 
eine  reconstruction  des  musikalischen  rhythmus  im  einzelnen 
aussichtslos.  Hier  kann  nur  die  kenntnis  der  genau  notierten 
melodie  helfen. 


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ÜEBER  HART MANN  VON  AUE. 


55 


Anders  liegt  aber  die  sache  da  wo  der  Schwerpunkt  im 
textinhalt  liegt  und  die  melodie  nicht  zweck,  sondern  —  wie 
Aristoteles  sagt  —  mehr  ein  rjdvöfta  des  Wortes  ist.   So  war 
es  in  der  antiken  musik  etwa  bis  zur  hellenistischen  zeit,  so 
war  es  offenbar  auch  in  den  ältesten  Zeiten  des  minnesangs, 
also  mindestens  bis  in  den  anfang  des  13.  jh.'s.   Wir  können 
das  daraus  mit  Sicherheit  schliessen,  dass  die  texte  der  ältesten 
minnesänger.  die  uns  besonders  MF.  bietet,  an  sich  wertvoll 
und  lesbar  sind.   Fehlt  auch  den  liedern  des  Kürenbergers, 
Hausens,  Reinmars  eine  gewisse  sprödigkeit,  teilweise  trocken- 
heit  der  form  nicht,  die  jedem  echten  und  guten  voealtext 
eigen  ist,  so  sind  es  doch  immerhin  an  sich  geistreiche  und 
gehaltvolle  dichtungen.    Das  ist  nur  so  zu  verstehen,  dass  die 
alten  dichtercomponisten  den  nachdruck  auf  das  wort  legten 
und  ihm  die  weise  unterordneten,  wie  es  die  antiken  dichter 
auch  getan.   Sie  konnten  es,  weil  gleich  Wertigkeit  von  wort 
und  weise,  dichter  und  comi>onist  als  eine  person  vorausgesetzt, 
überflüssig,  ja  unmöglich  ist;  sie  mussten  es,  weil  die  musik 
damals  noch  auf  primitiver  stufe  stand  und  die  ausdrucks- 
fähigkeit  des  Wortes  bei  weitem  nicht  erreicht  hatte. 

Das  Verhältnis  von  wort  und  weise  wird  sich  aber  bald 
geändert  haben.  Das  zeigt  eine  betrachtung  der  liedertexte 
des  13.jh/s.  Diese  sind  formell  z.  t.  so  künstlich,  inhaltlich 
so  dürftig  und  leer  (Nifen,  Konrad  von  Würzburg) ,  dass  man 
annehmen  muss,  dass  hier  bereits  die  musik  anfängt  zur  haupt- 
sache  zu  werden  und  der  text  zurücktritt.  Denn  die  behaup- 
tung  vom  fortgesetzten 'verfall'  des  minnesangs  ist  angesichts 
der  glänzenden  technik  dieser  lieder  wenig  glaublich.  Offenbar 
verschiebt  sich  nur  der  Schwerpunkt  in  das  musikalische. 

AVenn  also,  wie  nicht  zweifelhaft  ist,  im  alten  minnesang 
das  wort  über  die  weise  herschte,  so  muss  sich  auch  der 
rhythmus  der  spräche  möglichst  angepasst  haben:  Verrenkungen 
und  Zerrungen  der  wortform  werden  nur  so  weit  erlaubt  sein, 
als  sie  das  ohr  nicht  beleidigen.  Rhythmische  und  sprach- 
liche form  müssen  sich  so  weit  nur  möglich  durch- 
drungen haben:  diese  muss  jene,  so  weit  es  überhaupt 
angeht,  spiegeln.  Dass  dies  der  fall  ist,  liegt  auf  der  band: 
die  technik  des  minnesangs  ist  nach  der  sprachlichen  seite 
bin  schon  um  1190  fast  tadellos.  Ueberall  die  feinste  abwägung 


56 


8ARAN 


der  silben.  überall  die  peinlichste  rttcksicht  anf  die  spräche. 
Eben  darum  sind  die  üblichen  scansionen  der  sogenannten 
'daktylen'  unmöglich:  sie  Verstössen  gegen  dies  vornehmste 
gesetz  der  mhd.  liedkunst. 

Wir  dürfen  also  an  die  texte  von  MF.  mit  der  Voraus- 
setzung herantreten,  dass  sie,  so  weit  dies  möglich  ist, 
den  rhythmus  des  ganzen  widerspiegeln. 

Prüft  man  von  diesem  Standpunkt  aus  die  überlieferten 
texte,  so  wird  man  bald  merken,  dass  sich  aus  den  reim- 
beziehungen.  syntaktischen  gliederungen  und  dem  accent, 
namentlich  wenn  man  alle  Strophen  eines  tones  vergleicht, 
ziemlich  leicht  ein  grappensystem  ermitteln  lässt,  das  man 
allen  grund  hat  als  reflex  des  rhythmischen  anzusehen. 

Gleichwol  beantwortet  die  textanalyse  nicht  alle  fragen. 
Ja  blosse  textbetrachtung  ergibt  ein  völlig  schiefes  bild  von 
der  rhythmischen  structur  der  lieder,  weil  sie  zu  formen  führt, 
die  rhythmisch  unmöglich  sind.  Derart  sind  z.  b.  die  sieben-, 
acht-  und  mehrhebigen  'verse',  die  man  ansetzt.  Solche  gibt 
es  nicht,  wenn  man  'reihen'  damit  meint.  Also  die  reihen- 
abteilung  (kolotomie)  kann  auf  grund  des  textes  allein  nicht 
überall  mit  Sicherheit  vorgenommen  werden.  Ebensowenig 
kann  man  bloss  aus  dem  text  heraus  den  rh3rthmischen  wert 
der  einzelnen  reimzeilen  bestimmen.  MF.  209, 21  ja  möhte  tc/i 
ckstcar  ist  sprachlich  x  -  x  -  x  '  >  ab«r  rhythmisch  ist  es  kein 
dreif üsser  _  L  _  L   l  | ,  sondern  ein  brachykatalektischer  vierer 


Zur  textanalyse  und  reimbetrachtuiig  muss  also  kenntnis 
der  allgemeinen  musikalischen  rhythmik  hinzukommen,  wenn 
die  rhythmisierung  gelingen  soll.  Was  etwa  davon  für  den 
vorliegenden  fall  von  nöten  ist,  gibt  der  obige  kurze  abriss. 

Um  nun  die  rhythmisierung  von  minneliedertexten  zu  er- 
leichtern, stelle  ich  hier  in  form  von  praktischen  regeln  die 
grundsätze  zusammen,  die  dabei  zu  beobachten  sind.  Sie  folgen 
aus  der  anwendung  der  gesetze  der  allgemeinen  rhythmik  auf 
die  überlieferten  texte  von  MF. 

1.  Taktart.  Sind  in  einem  ton  die  binnensenkungen  des 
textes  streng  einsilbig,  die  reihenauftakte  höchstens  zweisilbig, 
so  ist  nicht  zu  entscheiden,  ob  der  takt  gerade  oder 
ungerade  ( L  ^)  ist.  Zweisilbige  Senkung  und  dreisilbiger  auftakt 


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UEBF.R  HARTMANN  VON  AUE. 


57 


beweisen  dagegen  für  geraden  takt.  Dies  folgt  aus  Rhythm. 
§  17.  Vgl.  auch  Sarau,  Otfr.  v.  Weissenb.  s.  181  ff. 

2.  Reihe.  Der  regel  nach  ist  jede  reimzeile  eine  reihe, 
der  reim  markiert  also  eine  cäsur.  Aber: 

a)  Reimzeilen  die  mehr  als  sechs  hebungen  haben,  müssen 
geteilt  werden,  da  sechs  füsse  oder  takte  der  grösste  umfang 
ist,  den  eine  reihe  haben  kann.  Im  allgemeinen  ist  5  ^  die 
längste  textreihe  die  MF.  kennt:  6  ist  seltener. 

b)  2  zweier  hinter  einander  müssen  zum  vierer  vereinigt 
werden;  Oberhaupt  ist  die  alleinstehende  dipodie  möglichst  zu 
vermeiden.    Rh.  §  7.  11. 

c)  Vierer  und  sechser  sind  die  reihen  die  —  von  un- 
sicheren fällen  der  zweier  abgesehen  —  allein  in  MF.  vor- 
kommen. Sie  sind  also  durch  annähme  von  dehnungen  (§  18), 
rhythmischen  pausen  2^)  und  durch  geeignete  teilung  von 
überlangen  reimzeilen  überall  herzustellen.  Dreifüsser  und 
fünfer  gibt  es  in  MF.  nicht.   Rh.  §  7. 

d)  Sechser  mit  binnencäsur  nach  der  dritten  thesis  gibt 
es  nicht.   Rh.  §  8. 20. 

e)  Die  reihe  hat  meist  keine  binnencäsur,  aber  sie  wird 
stets  von  einer  cäsur  abgegrenzt.  Auf  dieser  ist  hiatus  er- 
laubt; hiatus  ist  also  gelegentlich  ein  mittel,  die  reihenteilung 
zu  sichern. 

f)  Verdeckung  der  cäsur  und  diäresis  ist  selten.  Im  text 
fehlt  dann  der  einschnitt.  Man  muss  aber  erwägen,  dass  durch 
eintreten  der  anderen  rhythmusfactoren  trotzdem  der  reihen- 
schluss  deutlich  gemacht  werden  kann. 

g)  Eine  reihe  darf  nie  isoliert  stehen:  mindestens  zwei 
müssen  zur  periode  zusammentreten  (Rh.  $  9).  Widcrholung 
der  nachsätze  (V,  b")  kommt  in  MF.  nicht  vor  (Rh.  §  10). 

3.  Die  periode  ist  nach  reim  und  bes.  starkem  syntak- 
tischen einschnitt  meist  leicht  abzugrenzen.  Die  diäresis  ist 
immer  stärker  als  die  cäsur,  mindestens  ebenso  stark.  Aus- 
nahmen (Rh.  §  22)  sind  selten. 

4.  Die  Strophe  umfasst  durchschnittlich  drei  bis  vier 
Perioden.  In  MF.  kommen  Strophen  =  einer  periode  (Rh.  §  14), 
so  viel  ich  sehe,  nicht  vor.  Strophen  zu  zwei  und  fünf,  auch 
mehr  sind  dagegen  nachzuweisen. 


58 


SA  RAN 


5.  Die  rhythmische  entsprechung  der  Strophen 
erstreckt  sich  nicht  bis  ins  einzelne,  wie  in  der  griechischen 
chorlj-rik.  Grundform,  auflösung,  zusammenziehung,  wechseln 
im  takt.  doch  ist  bei  jüngeren  dichtem  das  bestreben  sichtbar, 
genaue  responsion  durchzuführen.  Auch  die  syntaktische  glie- 
derung  der  Strophen,  darum  auch  die  interpunction,  pflegt  im 
ganzen  und  grossen  zu  entsprechen.  Abweichungen  scheinen 
wenigstens  z.  t.  mit  den  in  abschnitt  I  (s.  29)  besprochenen 
Strophenzusammenhängen  in  Verbindung  zu  stehen.  Ebenso 
rhy t  hmische  f reiheit en. 

Hiernach  werde  ich  nun  die  lieder  Hartmanns  rhythmi- 
sieren.  Ich  wähle  durchweg  die  gerade  taktart,  da  sich  der 
beweis  für  die  ungerade  in  MF.  nicht  führen  lässt.  Für  meinen 
besonderen  zweck  kommt  auch  auf  die  entscheidung  dieses 
Problems  nichts  an. 

IV.  Die  rhythmik  der  lieder  Hartmanns. 

Für  das  Verständnis  der  folgenden  Schemata  bemerke  ich: 
schematisiert  wird  jedesmal  nur  die  erste  Strophe  jedes  tones 
in  MF.  Vorkommendenfalls  sind  für  die  andern  die  nötigen 
änderungen  vorzunehmen.  Die  perioden  der  Strophe  werden 
mit  arabischen  ziffeni  numeriert  und  so  weit  als  möglich  auf 
eine  zeile  gesetzt.  Die  absätze  bleiben  unbezeichnet ;  sie  ergeben 
sich  von  selbst,  —  Die  accente  sollen  nicht  die  wirkliche 
ietenabstufung  bezeichnen,  sondern  dienen  nur  zur  bequemeren 
Orientierung  über  den  wert  der  reihe.  Die  wirkliche  icten- 
abstufung (z.b.  nach  Sievers'schen  typen  beim  Kürenberger  u.a.) 
lasse  ich  hier  ganz  aus  dem  spiel,  da  für  meinen  zweck  nichts 
darauf  ankommt.  Ich  werde  später  im  Zusammenhang  darauf 
zurückgreifen. 

Der  text  der  den  strophenschematen  zu  gründe  liegt,  ist 
genau  der  von  MF.:  abweichungen  davon  werden  jedesmal 
angemerkt.  Die  kritischen  bemerkungen  zu  Strophen  die  nicht 
anfänge  von  tönen  bilden,  sollen  nur  die  aufmerksamkeit  auf 
das  Verhältnis  von  rhythmus  und  text  lenken,  sie  machen 
keineswegs  den  anspruch  darauf,  endgiltige  entscheidungen  zu 
sein.  Einige  Sicherheit  in  der  behandlung  der  zweisilbigen 
arsen  u.  ä.  kann  nur  durcharbeit ung  eines  grossen  materials 
und  statistische  bearbeitung  desselben  geben.  Ueberhaupt 


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LEBER  IIA  HTM  ANN  VON  AUE. 


59 


bitte  ich  die  constructionen  dieses  abschnittes  nur  als  einen 
versuch  anzusehen,  der  mehr  fragen  auf  werfen  als  definitiv 
beantworten  soll. 

Für  den  druck  von  minneliedern  nmss  als  regel  gelten: 
jede  druckzeile  darf  nur  eine  reihe  enthalten.  Der  reihen- 
anfang  wird  durch  kleinen,  der  periodenanfang  durch  grossen 
buchstaben  bezeichnet.  Auf-  und  abgesang,  wo  so  zu  scheiden 
ist,  ergibt  sich  daraus  von  selbst.  Für  ton  VII  und  XVI  wird 
je  eine  Strophe  als  bcispiel  abgedruckt  werden. 

Ton  I  (MF.  205. 1  ff.). 

i  i- ------ fAi-7— -~- -;x 

'  2.  —  — .  — -  — —     f\  |  —   —  A 

I  s.  _i_         i  xi-- — -" — -x 

-- — ^ —  ^-x 

I  4.  _i  • —  ix  I     —  -— ~-X 

Reim.schema:    a  —  b 
a  -  1»  . 
b  —  c  —  c 
c  —  c 

Die  reihe  3  a  ist  stets  durch  starke  interpunction  begrenzt. 
So  setzt  der  abgesang  immer  deutlich  und  kräftig  ein.  3a  ist 
gleichsam  der  höhepunkt  jeder  Strophe.  Str.  5  steht  wie  oben 
gezeigt  dem  inhalt  nach  allein.  Mit  dieser  Sonderstellung 
hängt  vielleicht  die  freilich  im  auftakt  von  206.11  zusammen. 

205,7  schreibt  MF.  dienst  (so  auch  die  hss.),  205,19  und 
209,5  ist  dienest  überliefert  und  notwendig.  An  der  ersten 
stelle  wäre  die  Schreibung  dienest  immerhin  in  bet rächt  zu 
ziehen,  weil  die  dadurch  entstehende  zweisilbige  Senkung  auf 
die  dritte  arsis  fallen  würde.  Vgl.  Rh.  §  17  anm.3.  V.  205, 13 
würde  durch  Streichung  des  entbehrlichen  norden  weit  besser 
werden:  daz  ist  an  minem  (so  BC)  ungelücke  sehin. 

Dass  in  diesem  liede  nicht  fünfer,  sondern  sechser  mit 
pause  angesetzt  werden  dürfen,  folgt  schon  aus  dem  gehal- 
tenen, wenn  auch  erregten  ton  des  ganzen.  Die  atemlose 
hast  der  pentapodie  würde  hier  gar  nicht  möglich  sein. 
Feberdics  weisen  die  starken  sinneseinschnitte  hin  auf  ent- 
sprechende pausen  (die  z.  t.  auch  durch  Überdehnung  aus- 
gefüllt werden  können;  das  ist  natürlich  nicht  auszumachen). 


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60 


SARAN 


Ton  II  (206, 19 ff.). 

1.  |  .i — j.x  I  -- — -X 

2.  _J.  JL__  |  .1  IX  I  -X 

8—- — ;-- —  — — I-- — - — ^-Xl--  ^~X 

Reimschema:    a  — b  -  c 
a  -  h  —  c  . 
<J  4-  d  —  e  —  e 

Die  syntaktische  gliederung  von  str.206.29  und  207,1  entspricht 
dem  rhythmischen  System  ganz  genau.  Die  erste,  hier  analy- 
sierte strophe  weicht  ab.  Denn  v.  24  :  25  +  26  findet  sich 
periodenbrechnng  (Kh.  §  22).  Man  beachte  dazu,  dass  206, 19 
die  schlussstrophe  des  liedes  bilden  muss  (s.  14)  und  nur  lose 
an  den  vorausgehenden  hängt. 

Ton  III  (207, 11  ff.). 
1      '         '         I     '  ' 

1.  <^w  |  

2 1            I            II  , 
•  S_/>w>      |  — .    \_/-^ 

3.   ww  a  |  -_  -~  A  I  i   -  - 

Reimschema :    a  —  b 
a  —  b  . 

c  —  c  —  6  +  e 
f-f-d+e 

Die  anfangsstrophen  der  lieder  III«  und  III2  (207, 11  und  208, 8) 
zeigen  das  System  rein.  Periodenbrechung:  208,  33  :  34.  35  :  36. 
207,  26 :  27.  207,  38  :  30.  208,  27  :  28.  Sogar  reihenbreehung:  208, 
26.  38.  Ks  fragt  sich  aber,  ob  man  die  sechser  von  3  und  4  nicht 
doch  in  einen  zweier  und  einen  vierer  zerlegen  soll.  Möglich 
ist  es  in  fällen  wie  dieser.  208,39  ist  zu  lesen  in  betraget 
sinn-  jure  ril.    Die  zweisilbige  arsis  also  bei  hexapodie  nach 

der  binnencäsur  (_  L  _  jl  ;  ^  "          -  -),  bei  tetrapodie  im 

auftakt.    208,27  ABC  manic,  also  dieselbe  erscheinung. 

Ton  IV  (209, 5  ff.). 

1.  -i  L  |  -L  i- 

2.  ä!  L  |  _1  L- 

3.  _  _L_ , — ,;  -  -'--w  |  -  ^   A  I  -   A 

Reimschema:    a  b 
a  —  b . 

S  4-  c-d  — d 
e  —  w  —  e 


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l'RHKK  HARTMANN  VON  AUE. 


Öl 


n  t        .  t 

 ,  


209,9  +  10  vgl.  Rh.  §  7.  209.  7  str.  trän.  209,14  icochc  mit 
elision  des  -e.  209, 15  mit  HC  tele  si?  Die  zweisilbige  Senkung 
stände  dann  auf  der  binnencäsur.  Periodenbrechung  2o9. 12  :  13. 
Ist  diese  Strophe  schlussstrophe  des  liedes  und  fehlt  die  erste? 

Ton  V  (209,25  ff.). 

1.  ,  | 

2.  _i  i.  ;  |  -.1'. 

8.  _i___iX  I ----- -X 

4.  .:— ix  I  -— 

Reimschema :    a  -f  b  —  a  -f 1» 

e  —  e 
f-f 

209, 25  und  37,  die  anfangsstrophen  der  beiden  lieder  von  V. 
prägen  das  Schema  am  klarsten  aus.  Die  beiden  schlussstrophen 
weichen  ab:  reihenbrechung  211,  2  :  3;  9:10;  15  :  1«>.  Perioden- 
brechung  211. 5 :  6.  V.  210, 22  mit  BC  zeichen  das  ich  . . . ,  d.  h. 
zweisilbige  arsis  nach  der  zweiten  thesis?  Rh.  §  17  anm.3. 

Ton  VI  (211, 20  ff.). 

1.  |  _1  1„ 

2.  _1  L  |  _1  !„ 

3.  _A  |  _1  I__  |  _I  1  

Reimschema :  a  b 
a  —  b . 
c      w  r 

211,20  1.  mit  HC  sendet  ir.  Die  zweisilbige  arsis  nach  der 
zweiten  thesis!  Periodenbrechung  211,23:24.  Der  ton  ist 
sicher  unvollständig:  wol  mindestens  eine  Strophe  muss  wegen 
v.21  voraus  gehen.  Also  ist  diese  Strophe  gewis  nicht  die 
anfangsstrophe. 

Ton  VII  (211, 27  ff.). 

1.  -L  L  |  _Z  L-  |  Ä  '-  1__ 

2.  _1  L  |  _i  i_  |  A  1  L  

8.  Ts  -  «!^  /\  |  T.  —  -     ;  _  L  _  v  ,  | 

 —  A 


Reimsihema:    a     w  —  b 
a  —  w  —  b  . 
c  — <J  +  d  —  c 


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62 


SARAH 


211.28  und  30  müssen  in  2  vierer  zerlegt  werden.  Man  kann 
die  glieder  durch  pause  trennen,  wie  icli  getan  (dadurch  hebt 
sich  die  strophe  von  den  andern  beiden  ab),  oder  verschleifen 
also:  1  a'  +  b  _  '  _  ^l~LL-  •  •  .  Dies  muss  in  den 
andern  beiden  Strophen  geschehen.  Der  reihenschluss  kann 
durch  niodulation  sehr  wol  benierklich  gemacht  werden.  In 
noten  würden  sich  die  vcrschleiften  glieder  so  darstellen: 

JIJJI  JJIJIJI  JJI  JJ  I  JJIJ- 

Periodenbrechung  211,38:212,1,  hier  in  der  anfangsstrophe 

des  liedes.    Denn  211,27  bildet  doch  wol  den  schluss  (vgl. 

§  25).   Im  druck  würde  z.  b.  Strophe  211,35  so  zu  ordnen  sein: 

Swer  anders  gibt,  der  misseseit. 

wan  daz  man  st;etiu  wip  mit 

stetekeit  erwerben  muoz. 

Des  bat  mir  min  mistaetekeit 

ein  stietez  wip  verlorn,  diu 

bot  mir  alse  schienen  grwoz 

l>az  si  mir  erougte  lieben  wan. 

dö  si  erkös      micb  stietelös, 

du  miiüse  oueh  diu  genade  ein  ende  ban. 


Ton  VIII  (212, 13  ff.). 


1.  Ä  L 

2.  Ä  - 


it 


i 


3.  ä  -  -  1  |  -L  ü  L 

4.  —        IL-  L 


ii 


Keimsehema :    a  —  b 
a  —  b . 

c  —  c 
d-d. 

Ton  IX  (2 12, 37  ff.). 

1.  _1___L  |  _  L  

2.  Ä  1—  | 

3.  _  i  L  |  _ 

4.  „1  1  |  -L  

5.  -  L  JL__  |  Al  i_ 

Keimsebema:    a  — b 
a  —  b . 
c  — d 
c-d 
c-d 

Hinter  212,38  setze  ich  punkt,  hinter  213,1  komma. 


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URBER  HARTMANN  VON  AUE. 


63 


Ton  X  (213, 29  ff.). 

1.  Äl  1__  |  AI  1- 

2.  Ä—  1  —  |  7\  1  1 . 

3.  A -  1— ;  |  Al_  — 1-_ 

4.  Äl  1  |  _  '  i.-  |  AI  lw- 


N_/  V_/W 


Reimsoheiiia:   a  —  b 
a     b . 

g  +  c  —  c 

d  —  e  —  e  —  d 

213, 34  hinter  ein  komma.  V.  35  1.  ///•/  «r  n«,  dahinter  punkt. 
Hinter  verjashe  (v.  38)  komma.  V.  37  1.  r/a  j  /r/i  si  (Iis.  das  « 
mit  ausfall  von  tcA  durch  einfluss  der  folgenden  zeile).  214, 10 
1.  mit  Bech  nach  in  verderben.  —  Reihe  4«"  Ist  hyperkatalek- 
tisch.   Vgl.  Rh.  §  19  anm.  5. 

Ton  XI  (214, 12  ff.). 

1.  Äl  |  _1 

2.  1  1  |  _  1  1_  •  w 

3    ^  '  r  j     ^  _  ^  

4.  Ii  L  |  _T  1  

5.  _  1  1  |  _1  1__  |  _1  1__ 

Reimschema :  a  —  b 
a  —  b . 

c  —  c 
d  — e 
d  —  e  —  e 

lb,  2b  sind  hyperkatalektisch.  In  214,24  ist  swcere  wegen  des 
auftaktes  von  v.  25  als  1^  zu  messen. 

Ton  XIa  (214, 34  ff.). 

1. 

2. 

3.  _1  1  1  |  1  

4.  _1  I„  |  _1  1__ 

Reimschema:  a  — b 
a  —  b . 

c  —  c 

w  -  d  -  d 

Die  Strophen  sind  nicht  von  Hartmann. 


t  t  i       f  r 


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64 


SAKAN 


L 
2. 

3. 


Ton  XII  (215. 14  ff.)  vgl.  abschnitt  V.  ende. 

Ton  XIII  (210.1  ff.). 

.  | 

_  |    —  —  I  A  - 

Reimschenia:   a  — b 
a — b . 

c  —  c  —  c  . 

210, 1  zweisilbige  Senkung  nach  der  zweiten  thesis. 

Ton  XIV  (210,29  ff.). 

1.  7\    v^w  |  -  _ 

2.  A  —  JL_     |  Ä  1  L- 

3.  _  i  1  |  _  I  1- 

4.  _  I  1__  |  _  1  I_ 

Periodenbrechung  in  der  Bchlussstrophe  217,11:12 

Ton  XV  (217, 14  ff.). 


Reimscbema: 
a-b 
a  —  b . 

c  —  c 
c  —  c 


1.  _ 

2.  _ 

3.  7\  —  .2  l/\  |  -L  1__ 

4.  _ 

5.  _ 


Reimschema:  a  —  b 
a  —  b. 
c-d 
c  — d 

e  —  e 


Periodenbrechung  217, 17  : 18.  27  :  28.  39  :  218, 1. 

Ton  XVI  (218.  5  ff.). 


2.  ' 


5. 


1  II 

1 

1  II 

1 

1  1 

1  1 

1  II 

1 

4.  ' 


'  A 


"  -X 


II 


Reimscbema:    a  —  b 
a  —  b . 
w  —  c 

W  —  ll 

d  — c 


3.  4  perioden  mit  verdeckter  cäsur  (reihenverschleifung,  Kh.§21). 


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LIEBER  HARTMANN  VON  ALTE. 


Die  letzte  Strophe  dieses  liedes  wäre  so  zu  drucken: 

21  Ir  niinnesingser,  iu  muoz  ofte  miaselingen: 
daz  iu  den  schaden  tuot  daz  ist  der  wän. 
Icli  wil  mich  rüenien,  ich  mac  wol  von  rainne  Hingen, 
sit  mich  diu  minne  hat  und  ich  si  hau. 

25  Daz  ich  da  wil.  seht  daz  wil  al- 
ae  gerne  haben  mich: 
So  müezt  ab  ir  Verliesen  an- 
der wilen  w&ne«  vil. 

Ir  ringent  nmbe  liep  daz  iuwer  niht  enwil: 
30  wan  mtiget  ir  armen  minnen  solhe  minne  als  ich? 

• 

V.  Die  daktylen  im  deutschen  minnesang,  nebst,  einem 
versuch  über  die  grundlagen  der  romanischen  rhythmik. 

Die  analyse  des  tones  XII  (215, 14  ff.)  bietet  ganz  beson- 
dere Schwierigkeiten.  Seine  rhythmen  gehören  zu  einer  gruppe 
für  die  die  mhd.  Verslehre  noch  keine  befriedigende  erklärung 
gefunden  hat.  Auch  ich  bin  noch  nicht  im  stände,  das  problem 
endgiltig  zu  lösen.  Was  ich  hier  bringe,  soll  darum  mehr  auf 
gewisse  tatsachen  hinweisen,  die  man  bisher  teils  übersehen, 
teils  nicht  richtig  gewürdigt  hat,  als  eine  volle  lösung  geben. 
Notwendig  ist  es,  um  meinen  Standpunkt  zu  rechtfertigen,  auf 
Jie  theorie  der  provenzalisch -französischen  verse  einzugehen, 
lie  freilich  m.  e.  noch  ganz  im  argen  liegt.  Was  man  roma- 
lisclie  rhythmik  nennt,  ist  tatsächlich  keine,  namentlich  fehlt 
*s  noch  ganz  an  der  erkenntnis  der  fundamentalen  wahr- 
ieiten,  die  eine  musikalische  und  poetische  rhythmik  des 
omanischen  erst  möglich  machen.  Gerade  darauf  werde  ich 
lso  besonders  hinweisen. 

Es  ist  natürlich  nicht  meine  absieht,  der  romanischen 
hythmik  hiermit  eine  völlig  zureichende  grundlage  zu  geben, 
ras  ich  biete,  soll  nur  meine  behandlung  der  mhd.  sog.  'dak- 
rleiT  rechtfertigen.  Immerhin  ist  es  vielleicht  geeignet,  dem 
)manisten  eine  andere  art  der  rhythmischen  arbeit  nahe  zu 
gen.  Ich  bemerke,  dass  sich  die  ansieht  über  die  romanischen 
M-se,  die  ich  hier  entwickle,  auf  die  analyse  zahlreicher  franzö- 
scher  vocalcompositionen  älterer  und  neuerer  zeit  —  darunter 
ler  melodien  zu  Berangers  liedern  —  gründet.  Dazu  habe  ich 
i  Gelegenheit  eines  längeren  aufenthaltes  in  Paris  gelegen- 
it  gehabt,  die  moderne  Vortragsweise  des  alexandriners  zu 

Beitrüge  sur  geschieht«  der  denUohen  spräche.    XXIII.  5 


SARAN 


beobachten  und  mir  durch  Unterricht  bei  einem  recitator  ein- 
zuprägen.   Also  auch  da  kann  ich  aus  erfahrung  sprechen. 

Die  gruppe  von  mhd.  rhythmen  die  hier  untersucht  werden 
soll,  pflegt  man  'daktylen'  zu  nennen.  Der  name  soll  das 
rhythmische  formprincip  andeuten,  das  zu  gründe  liegt-  Denn 
während  sich  die  takte  der  übrigen  reihen  im  regelmässigen 
Wechsel  von  hebung  und  Senkung  —  die  fälle  der  zusammen- 
ziehung ausgenommen  —  bewegen,  ist  hier  dies  princip  durch- 
brochen. Die  form  _  ^  soll  die  norm  des  taktes  sein.  Ks 
wären  also  verse,  in  denen  zweisilbige  Senkung  beabsichtigt 
ist,  während  sie  sonst  nur  geduldet  erscheint.  Spondeus  für 
daktylus  wird  zugestanden. 

Woher  stammen  nun  diese  rhythmen? 

Man  dachte  zunächst  an  Ursprung  aus  der  lateinischen 
poesie.  Diese  kennt  daktylische  tetrapodien.  Dann  aber  wurde 
durch  K.  Bartsch  eine  andere  ansieht  verbreitet.  Er  meinte, 
die  betr.  verse  seien  nachahmungen  das  romanischen  zehn- 
silblers  (mit  männlichem  oder  weiblichem  schluss),  und  wie  in 
den  romanischen  metren,  so  sei  auch  in  diesen  versen  das 
princip  der  silbenzählung  herschend.  Der  eigentliche  dakty- 
lische rhythmus  erkläre  sich  aus  der  natur  des  romanischen 
Vorbildes:  dieses  habe  öfter  einen  daktylisch  geflügelten 
rhythmus  gehabt,  während  es  gewöhnlich  'jambisch'  gegangen 
sei.  Eben  jenen  daktylischen  rhythmus  hätten  die  Deutschen 
in  ihren  daktylen  nachgeahmt  (Zs.  fda.  11, 101).  Pfaff  führte 
die  ansieht  von  Hartseh  weiter.  Er  sagt,  die  minnesinger 
hätten  beabsichtigt,  mit  dem  romanischen  vers  auch  dessen 
silbenzählung  (ohne  berüeksichtigung  des  wort t uns)  zu  über- 
nehmen. Da  aber  dies  bald  unstatthaft  erschienen,  so  seien 
sie  zu  dem  grundsatz  zurückgekehrt,  dass  die  versbetonung 
sich  nach  dem  wort  ton  richten  müsse.  Das  aber  habe  sie 
gezwungen,  den  romanischen  zelinsilbler  teils  als  vierhebig-dak- 
tylisch  oder  fünfliebig-iambisch  nachzubilden  (Zs.  fda.  18, 52  f.). 
Auf  dem  gleichen  Standpunkt  steht  Weissenfeis  (Der  dak- 
tylische rhythmus  s.2  f.).  Er  meint,  ursprünglich  seien  die  Vor- 
bilder ohne  bestimmten  rhythmus  nachgeahmt  (nach  dem 
princip  der  silbenzählung),  die  rhythmuslosigkeit  habe  sich 
dann  zum  daktylischen  rhythmus  entwickelt,  bis  dieser  eud- 


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t'EBEK  HARTMANN  VON  ^JE.  67 

lieh  ganz  rein  ausgeprägt  worden  sei.  Aciinlich  Wilmanns, 
Beitr.  z.  gesell,  d.  ält.  deutschen  lit.  4.  s.  28  ff. 

Aber  alle  diese  construetionen  schweben  in  der  luft,  weil 
sie  es  unterlassen,  die  nötige  grundlage  zu  schaffen,  nämlich 
festzustellen,  was  denn  eigentlich  der  romanische  zehnsilbler 
in  der  prov.-frz.  troubadourpoesie  für  einen  rhythmus  hat. 

Im  anschluss  an  die  französische  schultradition  ist  die 
anschauung  verbreitet,  als  sei  die  silbenzahl  für  den  roma- 
nischen vers  was  etwa  die  zahl  der  hebungen  für  den  deut- 
schen, nämlich  bildungsprincip.    Der  rhythmus  sei  frei  bez. 
indifferent  und  hänge  von  der  silbenzahl  ab.   1  >iese  anschauung 
ist  ganz  unrichtig.   Silbenzählung  ist  nie  rhythmisches  princip, 
sie  ist  immer  nur  festhalten  einer  begleiterscheinung.  Silben- 
zählung ergibt  sich  überall  da  als  ein  äusserliehes,  bequemes 
mittel,  verse  zu  benennen  und  zu  unterscheiden,  wo  es  eine 
kunst  zu  festen  reihentypen  gebracht  hat,  die  als  solche 
rhythmisch  starr  und  unveränderlich  sind.    So  hatte  sich  die 
technik  der  lesbischen  lyrik  entwickelt  :  der  sapphisehe  elf- 
silbler  '  ^  '  w  '  ^  '  w  '  ^,  der  alcäische  elfsilbler  wlul^ 
'ww.'w'i  der  alcäische  zehnsilbler  '      '  w-v  '  ^,  der  ado- 
nius   '  ^  '  w  sind  solche  unveränderliche,  feste  typen,  die  man 
nun  äusserlich,  ohne  über  ihren  rhythmischen  wert  auch  nur 
das  geringste  auszusagen,  nach  der  silbenzahl  benannte.  Die 
reihen  der  tragischen  chorlyrik  der  Griechen  hat  niemand 
lach  der  silbenzahl  benannt,  weil  die  üblichen  formen  durch 
mflösung,  zusammenziehung,  cäsurverschiebung  u.  ä.  immer  in 
ler  anzahl  ihrer  silben  wechselten.    Man  kann  mit  Sicherheit 
agen:  wo  eine  kunsttradition  die  verse  nach  der  silbenzahl 
»eneniit,  muss  zu  der  zeit  wo  dieser  gebrauch  in  aufnahmt' 
ekommen  ist,  der  formenschatz  aus  wenigen,  fest  bestimmten 
eihentypen  bestanden  haben.   Aus  der  silbenzahl  folgt  jedoch 
ir  den  rhythmischen  wert  der  verse  nicht  das  geringste,  denn 
ine  reihe  von  z.  b.  acht  silben  kann  in  vielen  rhythmischen 
»rmen  auftreten.   Z.  b.: 

!  _  '  __    daktylischer  vierer 
_1___L__L._1    anapästischer  vierer 

-  ~  -  -    ders.  asynartetisch 

_  .1 /.  _  1      ^  ders.  hyperkatalektisch  u.s.w. 
>  gilt  darum  vor  allem  den  rhythmischen  wert  solcher  leeren 


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i 

<' 

68  8ARAN 

I 

namen  wie  acht-,  V,ehnsilbler  festzustellen.  Das  ist  die  vor- 
nehmste aufgäbe  <u^r  romanischen  rhythmik. 

Welche  weg£  und  mittel  hat  sie,  diese  aufgäbe  zu  lösen? 
Zunächst  dieselben  wie  die  deutsche:  textbetrachtung  und 
die  gesetze  der  allgemeinen  musikalischen  rhythmik.  Dazu 
kommen  noch  die  reste  der  technischen  Überlieferung  aus  der 
alten  zeit  (z.  b.  die  Leys  d'amors),  die  betrachtung  von  mlid. 
Uedem,  die  im  inhalt  und  der  form  nachweislich  romanische 
dichtungen  nachahmen,  und  die  analyse  moderner  romanischer 
chansons.  Ob  die  betrachtung  der  überlieferten  noten  der  trou- 
badours  weiter  hilft,  vermag  ich  nicht  zu  beurteilen.  Vermut- 
lich ebensowenig  wie  in  der  deutschen  niinnepoesie. 

Die  Hauptfrage  ist:  welche  silben  des  textes  tragen 
thesen  (hebungen),  welche  arsen  (Senkungen)?  Für  die 
beantwortung  dieser  frage  ist  zuerst  zu  beachten:  die  alte 
prov.-frz.  troubadourlyrik  ist  liederpoesie,  also  gesang.  Die 
überlieferten  verse  sind  gesangsverse,  keine  Sprechverse. 

Es  ist  darum  ein  verhängnisvoller  irrt  um,  die  rhythmen 
die  Becq  de  Fouquieres  und  Lubarsch  für  die  frz.  verse  auf- 
stellen, als  die  rhythmen  der  romanischen  verse  schlechthin 
zu  betrachten.  Abgesehen  davon  dass  die  ansieht  dieser  ge- 
lehrten nicht  zu  billigen  ist  (vgl.  Wulff.  Scand.archiv  bd.  1,  s..')39), 
so  würden  ihre  typen,  auch  wenn  sie  richtig  wären,  nur  fin- 
den gesprochenen  vers  gelten.  Für  den  gesungenen  gelten 
sie  nachweislich  nicht,  wie  man  aus  der  vergleichung  z.  b.  der 
melodierhvthmen  bei  Beranger  mit  den  rhythmen  die  nach 
Becq  und  Lubarsch  zu  erwarten  wären,  ohne  weiteres  sieht. 
Die  Becq- Lubarsclf sehen  alexandrinerrhythiueii,  die  man  in 
französischen  theatern  allerdings  hört,  nur  beiweitem  nicht  in 
der  menge  und  grundsätzlich,  wie  jene  beiden  metriker  an- 
nehmen: diese  formen  sind  produete,  deren  factoren  ein  alter 
in  der  modernen  recitation  noch  durchaus  vorwaltender  sechs- 
hebiger  rhythmus  und  gewisse  forderungen  des  sprachaccentes 
sind  (Vermeidung  von  betonungen  wie  p'ae,  aiment,  merreille 
u.s.w.,  ausfall  des  stummen  -c  im  anschluss  an  die  moderne 
spräche).     Ks  sind  Umwertungen  >)  des  alten  sechshebigen 

')  S.  verf.,  Zur  metrik  Otfrid»  von  WeistJenburg,  in  den  Philol.  «tudieu, 
festg.  f.  E.  Sievers,  Halle  ISOfi,  g.  195  f. 


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IKBER  II  AUTMANN  VON  AUE. 


69 


rhythnius  unter  dem  zwang  des  accents,  auf  die  hier  nicht  ein- 
gegangen zu  werden  braucht. 

Wenn  sielt  also  Weissenfeis  §  47  auf  Lubarschs  scansionen 
beruft,  um  den  rhythnius  des  zehnsilblers  zu  bestimmen,  wenn 
er  im  anschluss  an  den  typus  (bei  Lubarsch) 

trrrc  fremis  tTaUeyretse  et  de  erainte 

- XX - XX- XX - X 
auch  den  zehnsilblern  der  troubadours  solchen  'springenden 

Charakter'  zuweisen  will,  so  geht  er  fehl.  Diese  und  die 
andern  formen  bei  Lubarsch  sind  moderne  Sprech  formen,  die 
weder  für  die  moderne  noch  gar  für  die  alte  musik  irgend 
welche  bedeutung  haben.  Also  die  ansieht  von  der  rhyth- 
mischen indifferenz  des  zehnsilblers,  die  es  erlaube  aus  ihm 
vierhebig-daktylische  oder  fünfhebig-iambische  reihen  zu  ent- 
wickeln, ist  ganz  und  gar  unrichtig.  Die  romanischen  gesangs- 
verse  sind  genau  so  rhythmisch  wie  die  deutschen,  nur  dass 
das  Verhältnis  von  rhythnius  und  sprachtext  darin  minder 
durchsichtig  ist  als  hier,  also  die  bestimmung  des  hinter  dem 
text  stehenden  rhythmus  mehr  Schwierigkeiten  macht.  Auf 
Becq- Lubarschs  construetionen  ist  für  die  musikalische  roma- 
nische rhythmik  durchaus  zu  verzichten. 

Wo  liegen  nun  aber  die  thesen  der  musikalischen  roma- 
nischen reihen?  Man  findet  sie,  wenn  man  von  der  oder  den 
festen  'tonsilben'  der  verse  an  rückwärts  Senkung  und  hebung 
wechseln  lässt.  Die  alten  romanischen  rhythmen  beruhen 
nämlich  nicht  auf  dem  wortaeeent,  sondern  auf  dem  regel- 
mässigen Wechsel  von  thesis  und  arsis,  der  nur  in  besonderen 
fällen  durchbrochen  werden  darf.  Sie  kennen  ursprünglich 
auflösung  gar  nicht  und  zusammenziehung  nur  an  ge- 
wissen typischen  stellen.  Die  moderne  französische  vocal- 
musik  hat  dies  prineip  freilich  aufgegegeben,  aber  die  formen 
der  gesprochenen  poesie  beruhen  noch  völlig  darauf.  Vor 
allem  die  der  lyrik,  aber  auch  der  dramatische  alexandriner, 
trotz  des  oben  berührten  zerrüttenden  einflusses  des  accentes. 
Die  .prov.-frz.  liederdicht ung  steht  also  in  ihren  rhythmischen 
formprineipien  fast  genau  auf  dem  Standpunkt  den  die  mhd. 
minnelyrik  im  13.  jh.  erreicht  hat.  Eben  durch  den  einfluss 
jener  hat  sich  ja  die  ältere  technik  eines  Kürenbergers  und 
anonymus  Spervogel  zur  modernen  eines  Walther  umgebildet 


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70 


SAKAN 


und  sehen  wir  an  Hausen,  Reinmar,  Hart  mann  die  ent  Wicke- 
lung vorschreiten. 

Dass  die  prov.-frz.  kunst  dies  wichtigste  gesetz  von  dem 
Wechsel  der  arsis  und  thesis  ausgebildet  hat  und  dabei  den 
wortaccent  vernachlässigte,  liegt  mit  an  der  natur  der  spräche. 
Diese  hat  den  hauptton  auf  der  letzten  oder  vorletzten  silbe 
des  wortes:  würden  nun  im  rhythmus  die  accentsilben  zugleich 
träger  der  thesen,  so  würde  die  reihe  fast  stets  in  aufsteigende 
gruppen  mit  thetischem  schluss  auseinander  fallen :  z.  b.  out,  je 
riens  |  dans  son  tömple  \  adorer  \  Veternel  |  und  der  vers  da- 
durch ein  auf  die  dauer  unerträglich  lärmendes  und  heftiges 
wesen  bekommen.  Das  prov.-frz.  vermeidet  diesen  übelstand 
dadurch,  dass  es  den  wortaccent  stark  vernachlässigt:  nur  so 
wird  eine  feinere  rhythmische  arbeit  möglich.  Denn  die  rhyth- 
mik  verlangt,  dass  normalerweise  thesis  -h  arsis  gebunden  werde, 
nicht  arsis  -f  thesis,  einschnittstellen  natürlich  ausgenommen. 
Wesentliches  mittel  der  rhythmischen  bindung  ist  nun  der  text : 
daher  die  norm,  durch  syntaktische  phrasierung  oder  Unter- 
bringung in  einem  wort  die  arsische  silbe  möglichst  mit  der 
vorausgehenden  thetischen  zu  verketten. 

In  der  harmonie  waltet  ein  ganz  ähnliches  gesetz,  das 
H.  Riemann  im  Katechismus  der  compositionslehre  1,  s.  41  ff. 
bespricht.  Es  lautet  nach  seiner  formulierung:  die  zeit- 
momente,  auf  welche  vorzugsweise  neue  harmonien  eintreten, 
sind  die  Schwerpunkte  der  motive,  gruppen  und  halbsätze 
(d.  h.  die  thesen),  oder  m.  a.  w.:  die  arsis  setzt  in  der  harmonie 
der  vorausgehenden  thesis  ein.  Riemann  bemerkt  sehr  richtig, 
dass  einbeziehung  des  auftaktes  in  die  neue  harmonie  (schema 
'arsis  thesis'  statt  'thesis  +  arsis')  sehr  aufregend  wirke. 
Besonders  seit  Schumann  sei  diese  art  der  harmonischen  bin- 
dung üblich  geworden. 

Genau  so  aufregend  und  lärmend  wie  diese  harmonischen 
gruppen  bei  Schumann  (nach  dem  schema  'arsis  -f  thesis') 
wirken  die  entsprechenden  rhythmischen.  Sie  sind  darum  als 
mittel,  gelegentlich  solche  Wirkungen  hervorzubringen,  sehr 
brauchbar:  als  typische  elemente  des  rhythmus  wären  sie 
höchst  unerfreulich. 

Uebrigens  ist  der  Wechsel  von  thesis  und  arsis  bez.  Ver- 
meidung der  auflösung  und  inneren  zusammenziehung  für 


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IEBER  n ARTMANN  VON  AUE. 


71 


jede  rhythmik  der  älteste  zustand,  der  erst  später  verlassen 
wird.  Man  darf  darum  nicht  eigentlich,  wie  ich  oben  getan, 
sagen,  das  prov.-frz.  habe  diesen  zustand  'ausgebildet';  man 
muss  vielmehr  sagen:  es  hat  ihn  durch  besondere  gründe  ge- 
zwungen festgehalten,  während  z.  b.  das  deutsche  zu  mannig- 
facheren bildungen  fortgeschritten  ist.  Eine  armut  der  kirnst 
wird  durch  dies  gesetz  natürlich  nicht  bedingt,  da  der  mangel 
auf  anderen  gebieten  des  ästhetischen  eindrucks  völlig  aus- 
geglichen werden  kann. 

Dass  das  gesetz  in  der  tat  für  die  prov.-frz.  troubadour- 
poesie  galt,  zeigen  nachahmungen  romanischer  lieder  durch 
mhd.  dichter  nach  inhalt,  reimgebäude  und  taktzahl.  Nur 
bilden  diese  deutschen  Sänger  die  reihen  principiell  auftaktig, 
da  die  deutsche  rhythmik  von  haus  aus  nur  anapästische 

reihen  (_i.__  1)  kennt.  Die  folge  davon  ist,  dass  z.  b. 

daktylische')  romanische  reihen  im  mhd.  anapästisch1)  auf- 
treten. Z.  b.  Fenis  MF.  84, 10  Peire  Vidal  (Bartsch,  Prov. 
ehrest.«  108,33): 

i        *         >  *  * 

X.     —   w  j   

2.  ^±_____  | 

3.  _  1_  |  _-L--___- 

A            '       .       '                      '                 '            I         '       .       '  ' 
**.    —  —  _      |  —  v>*m»  —  —        |   —  — 

L  84, 12 gewalte,  ISgröstn  yctcalt  (schwebender Vortrag),  18  gewalt 
Peire  Vidal: 

1.  ±_^_1_JL  _    |  __J__1_J.  7\ 

2.  ä  |  --  ■         ■  - 

3.  _L__._l._v  ä  |  _____•  Ä 

4.  l_j._i._j  A  |  \_  •  ___.-.  A  |  __-_-'__^A 

Peire  Vidals  rhythmen  sind  daktylische  vierer  ('  u.s.w.) 
ikatalektiseh  oder  katalektiseh  (Rh.  §  23  a.8).  Fenis  macht 
lie  reihen  durch  auftakle  im  schematisehen  sinn  anapästisch 
' ).  Dadurch  werden  natürlich  die  akatalektischen  dakty- 
ischen  reihen  Peires  anapästisch-hyperkatalektisch,  die  kata- 
ektisch-daktylisehen  akatalektisch-anapästisch. 

Gemeinsam  ist  beiden  alles  übrige. 
')  Vgl.  Khythm.  §  (i,  oben  s.  40. 


72 


SAKAN 


.1  ,  


Das  reimgebäude  ist    a  -  b 

b  —  a. 
c-rl 

d  —  e  —  d  . 

Ein  französisches  beispiel:  Horheiin  112, 1  ff.  =  Chrestien 
v.  Troyes  (Bartsch,  Afrz.  ehrest.  158, 12): 

Horheim: 

1.  _  L  _  ■         •  |  • 

2.  _  L  _  •  |  _1_  • 

4.  _1  -  ■  | 
Chrestien: 

L  _I_  •  |  ■ 

2.  1  _  •  _  _L  _  •  |  _  JL  _  •  _  1  _  • 

3.  |  _!_  •  _1_  •  |  _1_  •  _±_  • 

4.  _1_   _1_  •  |  • 

Pas  reimgebände  ist:   a  — b 

a  —  b. 
b  —  a  —  a 
b  —  a . 

Besonders  interessant  wegen  der  rhythmischen  mannigfaltigkeit 
ist  Hansen  45, 37  ff.  =  Folquet  v.  Marseille  (Bartsch,  Prov.  ehrest. 
121,26).  Hier  sind  die  reihen  gleich,  nur  dass  Hausen  nach 
deutscher  gepflogenheit  im  auftakt  auch  pause  und  überhaupt 
auflösung  zulässt. 

Hausen: 

1.  ä  L-jl-L-jl  |  • 

2.  _±_  •  _^_^._^X  I  I  ----  •  ---- 

4:  ziz  .ii'iiiix  i  :ri~_»:~:ix~~~ 

Folquet: 

1.  -L  •  _ _!_ _  •  |  1  _ ^ 

2.  •  „IX  I  ---  -  I  -------- 

3.  __L_  •  •  I  ---  •  I 

4.  |  •  -ix 

Die  reimstelluiig  ist :   a  —  a 

b-b-c 
c-d-d 
e  — e . 


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UEBEK  HARTMANN  VON  AUE. 


73 


Die  Strophen  unterscheiden  sich  nur  in  der  behandlung  des 
auftaktes  und  der  auflösung.  Die  dipodie  habe  ich  der  Selb- 
ständigkeit des  inhalts  wegen  als  reihe  genommen.  Zieht  man 
2a' und  2\  ebenso  3»'  und  3*>  zusammen,  so  werden  die  perioden 
2—4  rhythmisch  gleich,  jede  gleich  zwei  sechsern.  Die  ent- 
scheidung  kann  nur  durcharbeitung  eines  grösseren  materials 
geben. 

Diese  beispiele  zeigen,  dass  die  prov.  und  frz.  lieder  nicht 
anders  behandelt  werden  dürfen  als  die  deutschen.  Die  regel 
vom  Wechsel  der  hebung  und  Senkung,  sowie  die  oben  mit- 
geteilten gesetze  der  allgemeinen  musikalischen  rhythmik 
reichen  offenbar  hin,  um  die  texte  im  ganzen  richtig  zu 
rhythmisieren.   Z.  b.  Bartsch,  Rom.  u.  past.  106, 1  ff.: 


1.  1--L- 

-- A  Ä  I--- 

-L  L  A 

2.  i_  •  . 

-'Aä  1 

-JL  L  A 

3.  1  _  • . 

--AÄ  1  I-i 

—     -  A 

4.        •  _ 

--AÄ  1 

-S.  •  A 

5.  '  • 

t 

6.  '  • 

-'  •  r  - 

7.  '  • 

»             !  » 

8.  '  • 

i  * 

Sind  vielleicht  1—4  lauter  tripodien: 

Dies  ist  nur  durch  vergleichung  auszumachen.  Der  text  duldet 
beide  messungen.  Oder  wurde  die  pause  durch  einen  mf  aus- 
gefüllt?   Vgl.  das  folgende  beispiel  ebda,  235, 1  ff.: 

L  •  _  |  1_  ■  -L  ■  A 

2.  _L_  •  __L_   _  |  J.  !  A 

3.  1_  •  _;  1_  •  _  |:_  _-Ä 

4.  1_  •  _;  _L_  ■  _  |  I_  •  _^  •  A 

5.  A_    ;  _    JL _  •  _ JL _  i  A 

6.  _L_  •  ;  _1_    ,  _    I_  -  _1_  :  A 

7.  [NB.] 

8.  _|1_,_1aA 

9.  ä  |  1_  -_1Xä 

In  5—7  Verschiebung  der  cäsur  nach  rückwärts. 


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74 


SA  RAN 


Reimsrliema:    a  —  1» 
a  —  b . 

S  +  c  — b 
<f +rl  -  b. 
f  +  e  —  e 
*+f-f 
Y  + 1  —  e 

W  -  h  . 

Durch  solche  rhythmisierung  ganzer  Strophen  wird  man  un- 
schwer die  wahren  werte  für  die  nichtssagenden  namen  6.  7. 
8.  9. 10  u.s.w.  -silbler  ermitteln  können.  Man  wird  dann  auch 
die  wirkliche  rhythmische  verwantschaft  der  verse  entdecken, 
die  durch  die  äusserüche  nomenclatur  verhüllt  wird.  So  ge- 
hören zusammen 


I 


_1_^_.L  6 

_1_ •    _  8 

(hyperkatalektiscb) 

1_  7 

1_-._.L_^A  7 

JL_j  _L  •  A  5  | 


•silbler  =  anap.  vierer 


-silbler  =  dakt.  vierer 


11.  s.  w. 

Die  taktart  (1  _  oder  I  w)  kann  aus  dem  text  romanischer 
lieder  natürlich  noch  weniger  erschlossen  werden  als  aus 
dem  mhd. 

Aus  dem  gesagten  ist  wol  klar,  dass  auch  die  prov.- 
frz.  reihen  einen  klaren  und  scharfen  rhythmus  hatten. 

Nach  den  mitgeteilten  regeln  ist  es  nicht  schwer  den 
rhythmus  des  zehnsilblers  festzustellen. 

Einen  fünfer  „  L  _  -  _  "  _  _  _  1  darf  man  nicht  darin 
suchen,  da  diese  reihenform  überaus  selten  ist  (Rh.  §  7).  Also 
kann  es  nur  ein  sechser  sein,  dessen  letzter  fuss  durch  pause 
oder  durch  zusammenziehung  gefüllt  wird,  der  also  brachy- 
katalektisch  oder  katalektisch  ist.  Der  zehnsilbler  hätte  also 
den  rhythmus  _1_  •  ;  _  -~/\  (männlich) 
oder  _  L  _     •  (weiblich). 

Dass  diese  form  wirklich  vorkommt,  beweist  die  vergleichung 
der  strophe  Hausens  mit  der  Folquets.  Der  sechser  ist  darin 
für  das  provenzalische  an  vier  stellen  gesichert. 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


75 


Danach  wäre  z.  b.  Folquet  bei  Bartsch,  Pro v.  ehrest.  123.7 
so  zu  analysieren: 

1.  _1'_^_-LX  I  ----  — 

2.  -L±  |  _  -2-  •  -1ä 
3                "    •    J  •   j  .ü  _  •  _  ^ 

A  IIT    ;_^_:._1X  I  -1- -Li- 
Keimschema:    a  — b 
b-a. 
c  — c 
W-c 

\V  — ■  waise,  die  im  verlauf  des  tones  aber  als  korn  auftritt. 
Ebenso  die  chanson  pieuse,  Bartsch,  Afrz.  ehrest.  147, 19  ff.: 

1.  -JL_  •  ;  |  _1_  | 

2.  — l'-.-l-  |  ä  ----IX 

Reimaebema :   a  —  a  —  a . 

^+  w  —  b. 

Nun  wird  aber  das  gesetz  von  der  regelmässigen  folge  der 
hebungen  und  Senkungen  gerade  im  zehnsilbler,  wie  es  scheint, 
durchbrochen. 

Die  romanze  bei  Bartsch  (Rom.  u.  past.  3, 1  ff.)  enthält  verse 
wie  qtw  Franc  de  France  repairent  de  rot  cort  (vgl.  auch  3, 3. 
9.  11.  17  u.ö.).  Hier  würde  hinter  der  vierten  silbe  (2.  thesis) 
zweisilbige  arsis  angesetzt  werden  müssen: 

'  "    .     '  v 

 V  ,  /\, 

damit  also  auflösung  für  den  zehnsilbler  erwiesen  sein.  Aber 
diese  annähme  ist  nicht  nötig.  Wie  sie  zu  vermeiden  ist,  lehrt 
eine  neuerdings  erschienene  arbeit  von  Eickhoff,  Der  Ursprung 
des  roman.-germanischen  elf-  und  zehnsilblers  (des  fünfftissigen 
jambus),  1895. 

Eickhoff  zeigt  durch  Untersuchung  zahlreicher  alter  und 
neuer  melodien,  dass  es  im  französischen  seit  jahrhunderten 
einen  scharf  ausgeprägten  rhythmus  gibt,  der  im  text  als  zehn- 
silbler erscheint  und  folgende  form  zeigt: 

I  JJJIJ.JI  JJJJU  ['/,?•]  i 

»       »       »  » 
Rhythmisch  geschrieben  wäre  er  L  w  1 ;  ^  ^  ^  L.  Ich  selbst 

bin  vor  jähren  zu  demselben  ergebnis  gelangt:  die  lieder  Be- 

rangers,  deren  melodien  ich,  wie  bemerkt,  sämmtlich  rhythmisch 


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76 


SA  RAN 


durchgearbeitet  habe,  zeigen,  soweit  sie  aus  zehnsilblern  be- 
stehen, alle  diesen  charakteristischen  rhythmus,  der  freilich 
durch  die  entwickelung  manche  z.  t.  beträchtliche  modificationen 
erlitten  hat.  Ich  will  diese  typische  von  Kickhoff  beobachtete 
rhythmische  fonn  schlechtweg  •dekasyllabon'  nennen. 

Dies  dekasyllabon  tritt  nun  in  vier  formen  auf.  Es  ist 
seiner  natur  nach  eine  daktylische  tetrapodie  mit  scharfer 
binnencäsur,  und  kommt  vor:  katalektisch  (mit  pause)  oder 
akatalek tisch,  ferner  mit  dem  wert  L  —  J.  vor  der  binnen- 
cäsur oder  statt  dessen  J  J  —  JL^.   Sein  Schema  ist  also: 

I  «'JJ  I J.  1 1  J I JJ jJ  I  J  Up-j  I  =  -~ ±  ;  1 1  ~: — -  ä 
I  JJJIJJII  JIJJJJN  J  l    ----  (U~~ i- 

Dieses  schema  des  dekasyllabons  macht  nun  alle  die  formen 
der  text-zehnsilbler  ohne  weiteres  verständlich,  in  denen  hinter 
der  binnencäsur  (die  romanisten  nennen  sie  nicht  correct  'cäsur') 
eine  '  überschlagende  weibliche  gilbe1  stehen  oder  fehlen  kann. 
Die  romanze  bei  Bartsch  1,1  wäre  dann  so  zu  analysieren: 

1'                    t    •               '                         '      T       I        '                                                '                         *      -TT  I 
•    >^\_y  > —  1    V  V_/\->  ^J\~J    /  \      |     W  )     V  W    f\  \ 

Reimsehema :    a  -  a  —  b  . 

a  —  b  —  W  . 

Der  refrain  ist  entweder  =  1  j.  _JL  7\  X  0(^er  aher,  was  ich 
wegen  des  Zusammenhangs  mit  dem  dekasyllabon  vermute, 
_ L v  T\ .   Doch  ist  letzteres  nicht  wahrscheinlich. 

Wie  ist  nun  dieses  dekasyllabon  entstanden?  Eickhoff 
glaubt,  im  anschluss  an  eine  beliebte  ansieht  der  französischen 
tradition,  es  habe  sich  aus  dem  Horazischen  versus  sapphicus 
entwickelt.  Für  die  musikalische  rhythmik  ist  diese  ansieht 
Eickhoffs  überhaupt  nicht  discutabel.  Der  sapphicus  ist  nach 
dem  zeugnis  der  grammatiker  eine  logaödische  pentapodie,  das 
dekasyllabon  ist  aber  eine  tetrapodie,  genetischer  Zusammen- 
hang damit  ausgeschlossen.  Etwas  anderes  ist  die  anuahme, 
dass  man  im  mittelalter  sapphische  öden  auf  dekasyllaben  ge- 
sungen habe:  dagegen  ist  nichts  einzuwenden.  Das  zusammen- 
passen ist  durch  den  text  vermittelt  und  zufällig. 

Der  Ursprung  des  dekasyllabon  wird  in  Frankreich 
liegen.    Dann  ist  auffällig,  dass  dieser  rhythmus  auflüsung 


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ÜEWER  HARTMANN  VON  AUE. 


77 


der  arsis  und  tliesis  typisch  durchführt,  während  die  roma- 
nische metrik  sie  wenigstens  im  silbenschema  nie  ausprägt, 
also   mindestens   meidet    (ligaturen   sind   möglich).  Denn 

iwiw;  w  ^  ,  fL  7\  scheint  zunächst  durch  auflösungen  und 

Verschiebung  der  binnencäsur  aus  der  grundform  1  _  _;  L  _  •  ä 
hervorgesprosst  zu  sein.  Nun  fällt  aber  an  der  reihe  dreierlei 
auf:  erstens  die  fülle  und  schwere  der  melodie,  die  sich  von 
der  der  aufgelösten  vierer  ganz  charakteristisch  unterscheidet. 
Zweitens  die  eigentümliche  binnencäsur.  Denn  l ;  ist  die  regel, 
-Lw;  die  man  nach  Rh.  §  20  anm.6  als  norm  erwartet,  die  aus- 
nähme, und  1 ,  ,  L  _ ;  oder  1,  ,  L ;  _  ^ ,  die  weitaus  zunächst 

lägen,  kommen  nur  höchst  selten,  sichtlich  ganz  secundär  vor. 
Endlich  ist  auffallend,  dass  überhaupt  eine  so  überaus  starke 
binnencäsur  vorhanden  ist.  Denn  die  reihe  besteht  normaler- 
weise ohne  oder  doch  nur  mit  leicht  angedeuteter  binnencäsur, 
im  dekasyllabon  aber  ist  sie  so  stark  wie  sonst  die  cäsur  (z.  b. 
im  alexandriner  .  L—L—L | 

Alle  diese  Eigenschaften  des  dekasyllabons  werden  sofort 

erklärlich,  wenn  man  es  zu  einer  klasse  von  rhythmen  rechnet, 

die  ich  'pressrhythmen'  nennen  will  und  über  die  ich  später 

im  Zusammenhang  einer  allgemeinen  musikalischen  rhythmik 

handeln  werde.   Pressrhythmen  sind  rhythmen  die  einer  art 

zusammenpressung  ihr  dasein  verdanken.    Eine  periode  von 

acht  füssen  bez.  takten 

t    t     t    »  |     t     i     >  i 

kann  durch  Veränderung  der  stärkegrade,  lebhafteres  tempo 
und  andere  führung  der  melodie  so  vorgetragen  werden,  dass 
sie  nur  die  function  einer  reihe  hat:  aus  den  acht  einfachen 
takten  werden  vier  einfache,  indem  eine  thesis  um  die  andere 
ausfällt,  d.h.  zur  arsis  degradiert  wird,  also 

tt  n  ti  "I 

 ,  |  . 

Dann  wird  natürlich  die  alte  cäsur  zur  binnencäsur  und  die 
alte  diärese  zur  cäsur.  Solche  pressreihen  aber  machen  be- 
greiflicherweise immer  einen  volleren,  schwereren  eindruck 
als  nicht  gepresste  und  verraten  sich  dadurch  meist. 

Da  nun  die  rhythmische  Schreibung  von  der  thesenbestim- 
niung  abhängt,  so  darf  man  solche  pressreihen  nicht  wie  oben, 
sondern  so  übertragen:  ^w^;  ^  ||,  wobei  der 


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78 


SA  RAN 


schein  von  lauter  auflösungen  erweckt  wird,  obwol  tatsächlich 
keine  vorliegen. 

Diese  gepressten  reihen  sind  in  der  modernen  musik,  so- 
weit sie  instrumental  ist  oder  instrumentalen  Charakter  trägt, 
die  normalen:  für  eine  kunststufe,  auf  der  die  vocalmusik 
herscht.  sind  sie  nur  vereinzelt  vorauszusetzen. 

Es  können  nun  zu  solchen  reihen  perioden  jeder  art  ver- 
arbeitet werden.  Z.  b. 

oder 

*  ä  -----  •  |  _1_ •  | 
oder 

>:^a;  w^^iä  | . 

Die  letzten  sind  die  formen  des  normalen  dekasyllabons.  Dies 
ist  also  entstanden  aus  einer  alten,  achttaktigen  periode,  die 
auf  der  ersten  thesis  zusammenziehung  hatte  und  deren  glieder 
katalektisch  bez.  brachykatalektisch  waren. 

Es  folgt  daraus,  dass  das  dekasyllabon  ein  seitenverwanter 
des  alexandriners  ist,  der  sich  allerdings  in  neuer  richtung 
weiter  entwickelt  hat.  Die  wurzel  beider  rhyt  Innen  liegt  im 
anapästischen  tetrameter 

A  |  _  1  _  •  _  _1  _  ■  . 

Dessen  beide  reihen  sind  im  alexandriner  im  innern  synarte- 
tisch  und  am  schluss  katalektisch  bez.  brachykatalektisch: 

Die  periodische  urform  des  normalen  dekasyllabons  ist: 

Sicher  ist  nur  der  nachsatz  synartetisch,  der  Vordersatz  asyn- 
artetisch. 

Diese  formen  des  dekas}ilabons  sind  die  normalen.  Es 
kann  noch  vorkommen: 


I  -r- 

—  A 


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UEHER  HARTMANN  VON  AUE. 


79 


z.  b.  et  a  Lengres  servie  malbaillis  (Tobler,  Versb.1  85).  In 
modernen  nielodien  habe  ich  auch  gefunden: 

 I   —    —    A     |  /\    >»    v>  ,    w  —  /\  « 

Es  würden  also  alle  möglichkeiten  mit  zwei  und  mehr  über- 
längen im  erster  glied  der  alten  periode  zu  belegen  sein,  nur 
dass  die  form  <  *  A"  -  -  -  -1  ~  |  . . .  weitaus  die  häufigste  ist. 

Die  tatsache,  dass  das  dekasyllabon  im  gegensatz  zum  son- 
stigen Charakter  der  romanischen  metra  auf  einen  asynarte- 
tischen  ersten  teil  zurückweist,  beweist  sein  hohes  alter.  Ist 
die  form  vielleicht  in  Nordfrankreich  entwickelt,  da  sie  ja  der 
rhythmus  der  chansons  de  geste  ist?    Weist  die  binnen- 
zusammenziehung  der  urform  auf  germanischen  (fränkischen) 
Ursprung  oder  wenigstens  germanischen  einfluss  hin?  Denn 
zusammenziehung  war  ein  kunstmittel,  das  der  Charakter  der 
germanischen  spräche  empfahl,  die  romanischen  sprachen  da- 
gegen nicht  nahe  legten  (vgl.  Sarau,  Zur  metrik  Otfrids  von 
Weissenburg  s.  108). 

Aus  diesen  bet  rächt  ungen  ergibt  sich,  wie  ich  glaube,  mit 
Sicherheit,  dass  sieh  unter  dem  'zehnsilbler'  der  roma- 
nischen metrik  zwei  grundverschiedene  rhythmen 
verbergen  und  vermutlich  von  alters  her  verborgen 
laben: 

1)  der  anapästische  sechser  _  _L  _   ;  _       •  -       (Dez-  --)? 

2)  der  daktylische  vierer  (pressreihe)   ,L\  w   .  -  Ä 

(bez.  L  )  [norm  ]. 

Welcher  ist  nun  im  einzelnen  falle  gemeint?  Hier  kann 
UT  eine  umfassende  Untersuchung  licht  schaffen.  Einiges 
lerke  ich  an,  um  die  arbeit  zu  erleichtern.  Sicher  hat  man 
s  mit  dem  dekasyllabon  zu  tun,  wo  hinter  der  dritten  oder 
ierten  (betonten)  silbe.  vor  der  binnencäsur  eine  'weibliche, 
bersclilagende1  silbe  erscheint  Also  stets  im  frz.  epos,  in 
kr  frz.  lyrik  öfters  (Tobler,  Versbau2  s.  85).  Im  übrigen 
irfte  höchstens  die  beobachtung  der  biimencäsur  weiterhelfen. 

Die  binnencäsur  des  sechsers  ist  nämlich  als  echte  binnen- 
sur  nach  der  zweiten  thesis  (vierten  silbe)  ihrer  natur  nach 
hwächer  als  die  des  dekasyllabons,  die  ehedem  eine  cäsur  war. 
e  ist  mehr  ein  wortschluss  als  wirklicher  einschnitt,  Darum 
lieint  sie  auch  Verschiebung  zu  leiden,  wenigstens  sind  fälle, 


80 


SARAX 


wie  sie  Tobler  s.  80  bringt,  leicht  so  zu  deuten:  queneor  ne  die 
je  ma  desirance  =  _  L  _   _;  L  _  j  -  l 

Aus  dem  dekasyllabon  kann  man  dergleichen  nur  mit 
Schwierigkeit  ableiten.  Cäsurlose  sechser,  wie  man  sie  nach 
Tobler  s.  86  f.  ansetzen  kann,  haben  kein  bedenken,  dekasyllaben 
ohne  binnencäsur  sind  im  gesang  kaum  zu  verteidigen,  im 
Sprech vers  nur  als  ausnähme  zuzulassen.  Man  beachte,  dass 
auch  Hausen  in  seiner  nachahmung  die  sechser  ohne  binnen- 
cäsur, nur  gelegentlich  mit  syntaktischem  einschnitt  an  den 
betr.  stellen  bildet. 

Mit  dem  zehnsilbler,  der  immer  eine  reihe  ist,  darf  nicht 
die  aus  zwei  fünf  silbern  zusammengesetzte  periode  verwechselt 
werden  (vgl.  bei  Tobler  s.  89).  Rom.  und  past.  1,  no.  33  ist  zu 
analysieren: 

1.  1_  •  _J_X  K  I  ------  7\ 

2.  JL_  '  -- A  Ä  I       •       *  ä 

3.  L-i  _:xä  |:_'_i-ä 

5.  :_-.:xä  i  L-  -Li  ä 

6.  i.  •  _^a^  I  --  •     •  Ä- 

Oder  sind  es  tripodien:  A  |  __L_? 

Man  darf  nicht  vergessen,  dass  ein  sechser  nur  nach  v.  =  1 : 2 
oder  =  2:1,  nie  aber  v.  =  1  :  1  geteilt  werden  kann.  Ist  der 
Vordersatz  weiblich  (Tobler  s.  89),  so  ist  die  form  katalektisch 
(!__^Ä). 

Wenn  nun  Pio  Rajna  (Gröbers  Grundr.  2, 26)  und  Eickhoff 
behaupten,  dass  der  französische  zehnsilbler  das  Vorbild  für 
den  aller  anderen  Romanen  abgegeben  habe,  so  ist  das  so  aus- 
gedrückt schwerlich  richtig.  ^Wahrscheinlich  ist  es  aber  für 
die  eine  der  formen,  die  sich  unter  dem  text- zehnsilbler  ver- 
bergen, für  das  dekasyllabon.  Denn  dies  weist  —  wie  mir 
wenigstens  aus  dem  s.  79  mitgeteilten  gründe  wahrscheinlich 
ist  —  auf  Nord f rankreich  als  wsprungsland,  auf  einen  boden, 
wo  sich  Germanen  und  Romanen  mischten.  Der  sechser  ist 
gewis  den  Provenzalen  ebensogut  eigen  gewesen  wie  er  es 
den  Franzosen  und  Germanen  war.  Diese  form  bietet  nichts 
besonders  charakteristisches  dar.  Der  italienische  endecasillabo 
kann  wegen  der  schwachen  binnencäsur  nur  der  sechser  sein. 


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UEBEK  HA KT MANN  VON  AUE. 


81 


Ebenso  die  entsprechenden  verse  in  Spanien  und  Portugal. 
Wir  haben  also  in  allen  romanischen  ländern  den  sechser. 
Dazu  kommt  von  Frankreich  her  das  dekasyllabon,  dessen 
Verbreitung  aber  erst  noch  im  einzelnen  nachzuweisen  wäre: 
dass  es  überall  in  gebrauch  gewesen,  darf  man  nicht  ohne 
weiteres  annehmen.  — 

Wenn  man  nun  behauptet,  die  deutschen  minnesinger 
hätten  den  zehnsilbler  nachgebildet,  so  ist  damit  zunächst  gar 
lichts  gesagt.  Man  hat  zu  bestimmen,  ob  sie  den  sechser  oder 
len  vierer  nachahmen,  die  einfache  reihe  oder  die  gepresste. 

Nun  ist  klar,  dass  die  nachahmung  des  sechsers  nicht  die 
nindeste  Schwierigkeit  machen  konnte.  Er  war  schon  von 
Hers  der  germanischen  vocalmusik  eigen  (vgl.  die  streckverse 
er  alliterationspoesie,  die  Schlussglieder  der  strophe  des  ano- 
3'mus  Spervogel).  Wir  sehen  auch,  dass  Hausen  bei  der  nach- 
Innung  Folquets  die  sechser  wol  gelingen.  Also  kann  es  sich 
n  mhd.  höchstens  um  die  nachahmung  des  dekasyllabons  han- 
ein, dessen  charakteristischer  rhythmus  Schwierigkeiten  be- 
bten mochte.  Denn  pressreihen  kannten  die  mhd.  sänger  in 
sr  alt  einheimischen  kunst  nicht. 

Setzen  wir  nun  den  fall,  die  mhd.  minnesinger  hätten 

irklich  beabsichtigt,  das  dekasyllabon  nachzuahmen,  setzen 

ir  zugleich  voraus,  dass  es  auch  im  provenzalischen  wie  im 

i.  bekannt  gewesen,  dann  müsste  man  doch  erwarten,  das 

streben  zu  sehen,  den  typus 
j_  *_  . 

ft        v_/        —  ~7\  (bez.  — ) 
—  w  —  vi 

chzubilden. 

Es  müsste  also  der  erste  takt  als  daktylus  mit  aufgelöster 
us  (L  v  ,)  erscheinen,  die  binnencäsur  nach  einer  thesis  ein- 
ten (selten  nach  der  arsis)  und  im  zweiten  teil  des  verses, 
texte  wenigstens,  hebung  und  Senkung  wechseln.  Man 
•d  dabei  voraussetzen  dürfen,  dass  die  deutschen  minnesinger 
reihe  mit  auftakt  versahen  und  diesen  nach  heimischer  weise 
andelten. 

Untersucht  man  nun  —  ohne  Voraussetzungen  —  den 
rlieferten  text  der  betr.  lieder,  so  kommt  man  zu  sehr 
iiitümlichen  ergebnissen.  Ich  schliesse  mich  dabei  an 
mamis'  gründliche  und  vorsichtige  arbeit  an  (Beiträge  zur 

ei  trägt»  *ur  geschieht«  der  deutschen  sprach«.    XXIII.  Q 


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82 


SARAN 


gesch.  d.  ält.  deutsch,  litt,  lieft  4:  Unteres,  z.  mhd.  metrik  no.  1). 
Nach  Wilmanns  8  1  ff .  haben  die  voll  ent  wickelten  daktylischen 
reihen  (NB.  der  zehnsilbler  ist  nicht  wie  Wilmanns  §  2  be- 
hauptet ein  langvers,  d.  h.  eine  periode,  sondern  eine  reihe.  Er 
hat  keine  cäsur,  sondern  nur  feste  binnencäsur)  folgende 
eigenschaften:  1)  meist  weibliche  binnencäsur  (das  dekasylla- 
bon  fast  nur  männliche),  2)  diese  'plussilbe'  kann  oft  zum 
zweiten  teil  der  reihe  geschlagen  werden  (so  nie  im  text  des 
dekasyllabons),  3)  im  zweiten  teil  der  reihe  steht  auch  ein 
daktylus  (nie  im  dekasyllabon),  4)  der  'daktylus'  im  zweiten 
reihenabschnitt  ist  durch  die  structur  des  textes  weit  besser 
gesichert  als  der  im  ersten  (ebda.  §  9).  Ferner  bemerkt  Weissen- 
fels  §  46,  dass  der  rhythmus  bis  zur  binnencäsur  meist  ganz 
wol  '  trochäisch 1  aufgefasst  werden  könne,  erst  auf  der  binnen- 
cäsur und  im  vorletzten  takt  trete  der  daktylische  rhythmus 
deutlich  heraus. 

Construiert  man  aus  diesen  angaben  den  mhd.  normal- 
typus,  so  würde  er  sein: 

Dagegen  halte  man  die  normalform  des  roman.  dekasyllabons: 

"Ä  '         '  •       '  '  TT 

Welche  beziehungen  haben  diese  reihen?  Ausser  der  vier- 
hebigkeit  keine.  Eine  ist  beinahe  das  genaue  gegenteil  der 
andern.  An  eine  nachahmung  des  dekasyllabons  ist  also  nicht 
zu  denken. 

Daraus  folgt,  dass  die  behauptung,  die  minnesinger  hätten 
den  zehnsilbler  der  Romanen  nachgebildet,  nicht  zu  beweisen 
ist.  Weder  der  romanische  sechser  noch  der  gepresste  vierer 
kann  in  den  'daktylen'  stecken.  Will  jemand  behaupten,  es 
könnten  ja  die  minnesinger  eine  dritte,  von  mir  nicht  gefundene 
form  des  zehnsilblers  nachgeahmt  haben,  so  fällt  ihm  der 
beweis  zu,  dass  es  eine  solche  gegeben.  So  lange  dieser  nicht 
geführt  wird,  so  lange  schweben  solche  annahmen  in  der  luft. 

Was  ist  nun  eigentlich  der  grund  gewesen,  der  zur  an- 
nähme romanischen  Ursprungs  der  daktylen  geführt  hat?  Vor 
allem  die  tatsache,  dass  die  'daktylen'  erst  bei  denjenigen 
minnesingern  auftreten,  die  nachweislich  oder  wahrscheinlich 
unmittelbar  oder  mittelbar  vom  romanischen  minnesang  beein- 


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UEBEK  HARTMANN  VON  AUE. 


83 


flusst  worden  sind.  Vor  allem  Fenis  und  Hausen.  Es  kommt 
hinzu,  dass  für  den  inhalt  verschiedener  'daktylischer  lieder' 
die  romanischen  originale  nachgewiesen  sind,  ja  directe  be- 
ziehungen  der  form  vorliegen,  z.  b.  für  Fenis  80,9  =  Folquet, 
Bartsch,  Pro v.  ehrest.  123, 9. 

Nun  folgt  aus  alledem  noch  keineswegs,  dass  die  minne- 
singer  wirklich  romanische  rhythmen  haben  nachahmen  wollen. 
Die  citierte  Strophe  Folquets  enthält  höchst  wahrscheinlich 
hexapodien  (vgl.  oben  s.  74).  Solche  kannte  auch  das  deutsche 
seit  alters.  Wenn  also  Fenis  dies  lied  nach  inhalt,  strophen- 
form  und  ev.  melodie  hätte  ganz  nachahmen  wollen,  so  konnte 
ihm  das  keine  Schwierigkeiten  machen.  Nun  weicht  die  be- 
schaffenheit  der  reihen  völlig  ab.  Daraus  folgt,  dass  er  eben 
das  original  nicht  bis  ins  einzelne  nachahmte,  sondern  nur 
verändernd  benutzte.  Wer  sagt  uns,  dass  er  es  völlig  habe 
nachbilden  wollen?  Um  so  mehr  als  dasselbe  lied  noch  den 
inhalt  eines  formell  abweichenden  liedes  von  Folquet  verwertet, 
also  contaminiert.  Das  einzige  was  man  auf  grund  jener  be- 
ziehung  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  sagen  darf,  ist,  dass  man 
in  den  reihen  des  mhd.  liedes  zunächst  sechser  suchen  muss. 
Ueber  deren  form  lässt  sich  nur  auf  gruud  des  deutschen 
textes  urteilen. 

Will  man  die  'daktylenfrage'  mit  aussieht  auf  erfolg  be- 
handeln, so  hat  man  folgendes  zu  erwägen: 

1)  Es  treten  im  minnesang  neben  den  bekannten  und  ge- 
wohnten rhythmen  andere  auf,  die  der  analyse  Schwierigkeiten 
machen.  Ueber  ihre  form  wissen  wir  nichts.  Wenn  man 
sie  mit  lateinischen  'daktylen'  oder  romanischen  versen  zu- 
sammenbringt, so  ist  das  eine  annähme,  deren  richtigkeit  erst 
zu  beweisen  ist.  Die  beweise  die  man  versucht  hat,  sind  mis- 
lungen.  Wir  stehen  der  Überlieferung  also  völlig  ratlos  gegen- 
über. Es  erhebt  sich  die  frage:  welches  sind  die  rhythmischen 
formen  die  in  den  texten  stecken? 

2)  Es  ist  eine  verfrühte  annähme,  wenn  man  glaubt,  die 
verse  die  wir  nicht  rhythmisieren  können,  müssten  eine 
gattung  bilden.  Es  können  sich  sehr  verschiedene  rhythmen 
in  ihnen  verbergen.  Darum  ist  zunächst  jedes  lied  für  sich 
zu  bearbeiten. 

3)  Die  herausgeber  von  MF.  und  andere,  die  sich  ihnen 

6* 


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84 


SAKAN 


anschlössen,  haben  die  Überlieferung  stark  angegriffen,  um 
die  Strophen  zu  ordnen.  Da  sie  aber  die  richtigkeit  ihrer 
rhythmischen  theorie  nicht  erwiesen  haben,  so  ist  ihre  text- 
herstellung  nicht  verbindlich. 

4)  Da  wir  über  die  rhythnük  der  fraglichen  Strophen 
nichts  wissen,  so  ist  zunächst  nur  ein  text  herzustellen,  der 
den  anforderungen  des  sinnes  und  der  grainmatik  entspricht: 
jede  änderung  metri  causa  ist  so  lange  verwerflich,  als  nicht 
das  metrum  mit  einiger  Sicherheit  erkannt  ist. 

5)  Der  augenschein  lehrt,  dass  die  minnesinger  bei  ihren 
liedern  den  sprachaecent  nach  möglichkeit  schonten.  Rhythmus 
und  spräche  durchdringen  sich  bei  ihnen  in  fast  vollendeter 
weise.  Darum  ist  von  vornherein  jede  rhythniisierung  der 
nach  no.  4  hergestellten  texte  unwahrscheinlich,  die  den  sprach- 
aecent stärker  antastet,  als  es  der  rhvthmus  in  den  anderen 
Hedem  tut.  Schonung  des  accentes  ist  die  erste  f orderung. 
die  man  an  eine  rhythmische  construetion  dieser  töne  zu 
machen  hat. 

6)  Für  die  rhythniisierung  sind  allein  textanalyse  und  die 
gesetze  der  allgemeinen  rhythmik  von  bedeutung.  Es  ist  also 
z.  b.  nicht  im  mindesten  nötig,  dass  die  zu  ermitteln- 
den rhythmen  lesbar  seien:  sie  müssen  nur,  dies  aber 
auf  jeden  fall,  singbar  sein. 

Tritt  man  mit  diesen  anschauungen  an  die  'daktylen' 
heran,  die  Weissenfeis  in  seinem  buche  zusammengestellt  hat, 
so  ist  nicht  schwer  zu  sehen,  dass  unter  den  besprochenen 
liedern  gruppen  zu  sondern  sind. 

A.  Eists  tagelied  (MF.  39, 18)  ist  durch  den  reichlichen 
gebrauch  aufgelöster  arsen  (_  =  ^)  merkwürdig.  Sie 
stehen  vor  allem  im  ersten  takt,  einmal  im  zweiten  der  hexa- 
podie,  wo  sie  rhythmisch  leicht  erklärbar  sind  (v.  25  sweus  du 
(jebiutest,  daz  leist  ich  firiundtn  min). 


Sl&fest  du,  friedel  ziere? 

wan  wecket  uns  leider  sehiere 

Ein  vogellin  so  wol  getan: 

daz  ist  der  linden  au  daz  zwi  gegan. 


-A 


Reimscbeina:    a  — a 
b-b. 


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l'EBER  HARTMANN  VON  AUE. 


85 


Der  text  von  C  ist  im  ganzen  beizubehalten,  nur  v.  27  hinne 
zu  streichen.  V.  29  ist  wol  zu  lesen  tce,  du  füerest  mine  fröide 
sdment  dir.    V.  25  vgl.  oben. 

Ausserdem  gibt  es  noch  andere  lieder,  wo  der  'daktylische' 
eindruck  des  gelesenen  textes  durch  arsenauflösung  bewirkt  wird. 

So  Lichtenstein,  Lm.  s.  134  (x.  weise): 
i      »        .     *  t  , 

X.  w  .  \s — va>  —       «^»j  w  v>sy  > 

4.  v-/  i  w   


—         w  .    W  I 

 ,  |   A  —  —         w  I  w  —  >^v_/  — 

Reimschema:  a  +  a  —  b 

Ebd.  394,  no.  xii :  6  +  d  - f  +  e  ~  f  +  e  • 

|      T    '                          "  )    .    I   T    '                   •        91           •  t 

O       T    '               .         .      '               .  '                               .      '  ' 

«•      /\    —  W  ,    —  ,    \S  1  ~    —  J    V-A^>  —  V-/  J     «w>    U) 


Reimschema:  a  +  b  —  a  +  b 

ß  +  c  —  Z  +  ß  +  il  —  S  +  b. 

Die  Zeilenschreibung  Lachmanns  ist  zu  ändern. 

B.  In  einer  anderen  gruppe  von  Uedem  wird  der  'dakty- 
lische rhythmus'  durch  grundsätzliche  anwendung  der 
zusammenzieh ung  erzeugt.  Hierher  gehören  töne  der  thü- 
ringischen dichter  Morungen  und  Hezbolt. 

Morungen  MF.  129, 14  ff.: 

1.  AI  |  I  a  L  - X 

2.  ä  L  &_  |  ä:-:_  I  A  IX 

3.  — '.  L   Ä  vLv-/  w_ 

4.  ä  — — l~  i i  Ai — ix 

Reimschema:   a  — a  — b 
c  —  c  —  b . 
W  — d 
d-d-b. 

In  den  zusammenziehungen  stimmen  alle  drei  Strophen  überein: 
nur  129,33  diu  liebejmd  diu  lüde  fällt  aus  der  responsion  heraus. 
130, 7  1. sian.  Die  accente  von  MF.  sind  entsprechend  zu  ändern. 

Hezbolt  ahmt  MSH.  2,  no.  74.  vi  Morungens  rhythmus  nach. 
No.  vn  ist  zu  rhythmisieren: 

1.  L  L  ■  A  |  ■  Ä  |  1  -  -  ^  X 

2.  la  j  L--L  •  A  |i__i.X 

3.  ■  A  |  L  JLX 

- — -  ■  a  1 1 — IX 


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86 


SA  RAN 


Die  übrigen  Strophen  entsprechen  nicht  immer  genan;  eben 
das  bürgt  für  die  richtigkeit  der  obigen  rhythmisierung.  Den 
rhythmus  des  liedes  kann  man  sich  leicht  zu  gehör  bringen, 
wenn  man  es  —  mit  den  nötigen  änderungen  —  auf  die  me- 
lodie  'Ach  wie  ist's  möglich  dann'  zu  singen  versucht, 

C.  Eine  dritte  klasse  der  'daktylischen'  rhythmen  ergibt 
sich,  wenn  zweisilbige  arsis  und  zusammenziehung 
typisch  verwendet  wird.  Hierher  ist  ein  lied  Morungens  zu 
stellen,  das  in  MF.  sowol  im  text  wie  im  metrum  nicht  richtig 
behandelt  ist.  Ich  gebe  eine  herstellung,  die  die  lesarten 
von  A  mehr  heranzieht,  ohne  damit  etwas  endgiltiges  bieten 
zu  wollen.   Es  kommt  hier  nur  auf  den  rhythmus  an. 

MF.  127, 1  ff.: 

1.  Wist  ich  obe  ez  möhte  wol  verewigen  sin 
ich  lieze  inch  se'u")  rafne  lieben  fronwen. 
Der  enzw£i  breche  mir  das  herze  min, 
der  möhte  sie  schöne  drinne  schonwen. 

Sie  kam  her  dur  din  ganzen  ongen  min  (frorw) 
snnder  tür  gegangen: 
Ouw£,  solt  ich  von  ir  reinen  minnen  sin 
also  werdecllche  enpfangen. 

1.  Ä  -  "  |  -L—l  !- 

2.  ä:_:  |   jl_ 

3.  -1  1  IX  I  Äl  1- 

4.   XI  Ä--  — ---iX 

2.  Der  alsö  vil  geriefe  in  einen  touben  walt, 
ez  antworte  ime  dar  uz  £teswenne. 

Nu  ist  der  schäl  dicke  vor  ir  raanicvalt 

von  miner  not,  wil  »i  die  bekennen? 

Doch  klagete  ich  ir  manigen  knmber  min  (körn) 

vil  dicke  mit  gesange: 

Owfe  j&  hat  si  geslafen  allez  her 

oder  geswigen  alze  lange. 


»)  Diese  thür.  form  darf  man  wol  ohne  weiteres  einführen.  Vgl.  MF. 
122,8.  126,8.9.33  u.  ö.  —  Ich  weise  hier  noch  einmal  auf  das  hin  was  ich 
im  anfang  von  abschnitt  IV  (s.  58)  gesagt  habe.  Die  accente  in  den 
schematen  dienen  nur  zur  schnellen  Orientierung  über  den 
rhythmischen  wert  der  reihen.  .Sie  sagen  über  die  wirkliche 
gegenseitige  abstufung  der  icten  gar  nichts  ans.  Dasselbe  gilt 
für  die  accente  in  abschnitt  III. 


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UEBER  II  ARTMANN  VON  AUE. 


87 


l    _  n  f_  | 

2.  _JL_"  L  |  _1___L'  ~  L  _ 

3.  _1   IX  I  --  ^- 

4.  _  —  —   /\  [   7\  vlw  ^  —     -  /\ 

Zusammenziehung  und  zweisilbige  arsis  (diese  vor  dem  langen 
teil  des  Sechsers  in  4  a,  vgl.  Rh.  §  17  anm.  3)  entsprechen  genau, 
mit  ausnähme  von  lb,  wo  in  str.  1  die  zusammenziehung  auf 
der  zweiten,  in  str.  2  auf  der  dritten  thesis  steht. 

3.  \V>r  ein  sitich  oder  ein  star,  die  mchten  sit 
gelernet  h£n  daz  si  sprachen  'minne'.  (vgl  132,0). 
Ich  h&n  ir  gedienet  her  yü  lange  zit: 
raac  si  sich  doch  miner  rede  versinnen? 
Nein,  sin  entüot,  got  enwelle  ein  wunder  sin  (korn) 
vil  verre  an  ir  erzeigen. 
J&  möhte  ich  baz  einen  b6nm  mit  miner  bete 
sunder  wafen  nider  geneigen. 

1.  1  |  -1  1  

2.  AI  1-  L  |  _.L„l'_^_..i_ 

3.  _:_.w»„_.:x  I  -L—-.L- 

•    — ■    —  v  V_y           —      /\    I       /\    —  V^W      /\ 

Die  nachsätze  stimmen  zu  str.  1.  In  2a  fehlt  zusammenziehung; 
in  3  a  steht  zweisilbige  Senkung  zur  einführung  des  langen 
teiles  im  sechser.  Die  tendenz  im  ton  scheint,  die  Vordersätze 
synartetisch  zu  bilden.  Im  lied  Morungen  129, 14  bildeten  die 
asynarteten  die  mittelglieder.  Das  eigentümlich  abfallende 
Schlussglied  der  Strophen  ist  rhythmisch  äusserst  charakte- 
ristisch für  rhythmische  endfälle:  vgl.  die  entsprechenden 
Schlüsse  der  vierer  beim  Kürenberger,  z.  b.  7, 20.  22  n.  ö.  Das 
zu  gründe  liegende  reimschema  ist: 

a-b 

a-h. 
K-c 
W  —  c . 

In  4a  setzt  Morungen  also  regelmässig,  unverkennbar  zur 
Charakteristik  der  schlussperiode,  zweisilbige  Senkung.  Nur 
einmal  taucht  diese  in  3  a  (strophe  3)  auf. 

Wenn  nun  zweisilbige  Senkung  vor  dem  langen  teil  des 
Sechsers  mit  zusammenziehung  auf  der  dritten  thesis  combiniert 
wird,  so  entstehen  formen  wie 


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88 


SAR  AN 


».   —  —  <  —  A 


oder  mit  zusammenziehung  auf  der  vierten  thesis: 


b     j  .  v  ,  ^ 


-  A 

Nun  können  nach  den  regeln  über  die  Verschiebung  der  binnen- 
cäsur  Rh.  §  20  die  zwei  silben  hinter  der  zweiten  these  ver- 
schieden verteilt  werden,  entweder  nach  dem  Schema 

'      .  .  "        nrtpr      '      •     •  " 

 -    \  —  ...    VUW   w  7    W    •  •  • 

d.h.  die  binnencäsur,  wenn  solche  überhaupt  beabsichtigt  ist 
kann  vor  beide  kürzen  oder  zwischen  sie  fallen.  Das  letztere 
ist  rhythmisch  gefälliger,  weil  dadurch  die  reihe  weniger  aus- 
einander gerissen  wird. 

Es  ist  ohne  weiteres  klar,  dass  die  form  a  im  text,  d.h. 
für  den  lesenden  in  folgender  gestalt  erscheinen  muss: 

x-x'xx  -XX-00  0-8. w. 
Mit  andern  Worten:  gelesen  werden  solche  verse  vierhebig 
scheinen  und  zwar  mit  bevorzugung  'zweisilbiger  Senkung' 
hinter  der  zweiten  und  gesetzmässigem  gebrauch  nach  der 
dritten  liebung.  Da  sich  ferner  in  dem  ersten  'daktylus'  eine 
aufgelöste  arsis  (^),  in  dem  zweiten  dagegen  eine  zusammen- 
ziehung nebst  folgendem  vollen  takt  (l  also  zwei  thesen 
verbergen,  so  werden  die  textsilben  des  ersten  dreisilbigen 
taktes  die  form  -xx  haben,  die  des  andern  aber  nach  dem 
accentschema  ^xX  streben,  d.h.  auf  der  ersten  'senkungs- 
silbe'  nebenton  suchen.  Man  vergleiche  nun  damit  die  all- 
gemeine beschreibung  des  vierhebigen  'daktylischen'  verses, 
die  Wilmanns  §  2  ff .  gibt.  1)  §  7:  Wörter  der  accentform 
-XX  (fdncstiete)  stehen  weitaus  in  den  meisten  fällen  im 
dritten,  selten  im  ersten,  nicht  im  zweiten  takt;  2)  der  dak- 
tylische rhythmus  ist  im  stück  bis  zur  binnencäsur  durch 
den  wortaccent  sehr  schlecht  bezeugt,  weit  besser  im  zweiten 
abschnitt  (§  15);  3)  die  binnencäsur  ist  normaler  weise 
weiblich  und  übt  auf  die  länge  des  längeren  abschnitts  ver- 
kürzenden einfluss  aus  (§  3);  4)  die  'daktylischen'  verse 
bilden  in  den  Strophen  den  'fünfhebig  iambischen'  gegenüber 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


80 


die  minderzahl ,  wenn  man  rohe  betonungen  meidet  (§  16). 
Man  sieht,  die  beschreibung  passt  ganz  vortrefflich  zur  text- 
gestalt  des  auf  s.  87  unter  a  mitgeteilten  rhythmus.  Darum 
liegt  der  schluss  sehr  nahe:  unter  vielen  sog.  daktylen  verbirgt 

sich  die  form   ,n-_L- 

in  den  verschiedenen  arten,  die  durch  zweisilbige  arsis,  auf- 
lösung  der  zweizeitigen  thesen,  pause  im  auftakt  und  akata- 
lektischen  bez.  brachykatalektischen  schluss  möglich  sind.  Dass 
neben  der  form  a  noch  andere  von  gleicher  eigenschaft  stehen, 
ist  sehr  wahrscheinlich.  Der  schein  daktylischer  vierer  wird 
also  durch  combination  von  arsischer  auflösung  und  von  zu- 
sammenziehung  erweckt,  eine  ganze  zahl  der  sog.  daktylen 
enthüllt  sich  so  als  rhythmen  in  denen  zweisilbige  arsis 
und  zusammenziehnng  gesucht  wird,  freilich  unter  be- 
vorzugung  gewisser,  rhythmisch  besonders  wolgefälliger  typen 
(bes.  a,  vgl.  oben).  Diese  reihen  wären  dann  sechser,  keine 
vierer.  Zu  beachten  ist,  dass  der  sechser  mit  zusammenziehung 
auf  der  dritten  thesis  schon  vom  anonymus  Spervogel  alsschluss- 
£lied  typisch  verwendet  wird;  z.  b.  MF.  25. 20  und  niki  vor  den 
t'rt  n  verspurte  K  L  .  •  _  »  •  _i  i .  Vgl.  25,  33.  20,  26.  33. 
27, 5. 19  u.  ö. 

Aus  den  beispielen  bei  Höningen  und  Hezbolt  hat  sich 
ergeben,  dass  eine  tendenz  zu  genauer  rhythmischer  respon- 
sion  in  den  Strophen  bemerkbar,  aber  noch  nicht  völlig  zum 
ziel  gelangt  ist.  Wir  werden  darum,  je  älter  die  dichtungen 
sind,  um  so  weniger  Strophenentsprechung  erwarten  dürfen: 
eine  gewisse  regellosigkeit  ist  vorauszusetzen. 

In  der  tat  hat  mich  nun  die  durcharbeit ung  der  texte 
von  MF.  überzeugt,  dass  mit  den  verschiedenen  formen  des 
sechsers  bei  den  meisten  'daktylen'  wirklich  durchzukommen 
ist.  Man  kann  auf  diese  weise  nicht  nur  harte  betonungen 
vermeiden,  sondern  vor  allem  die  Überlieferung  sehr  conser- 
vativ  behandeln.  Von  der  gestalt  die  MF.  den  Uedem  gegeben, 
ist  dabei  abzusehen,  da  die  herausgeber  den  überlieferten  text 
stark  haben  verändern  müssen,  um  ihr  vorausgesetztes  dak- 
tylisches versmass  durchführen  zu  können. 

Ich  gebe  einige  beispiele  dieser  rhythmengattung,  ohne 
auch  hier  irgendwie  darauf  anspruch  zu  machen,  einen 
endgiltigen  text  zu  liefern. 


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90 


SAU  AN 


Die  abweichungen  von  MF.  bedeuten  meist  rückkehr  zur 
Überlieferung.   MF.  43, 28  (Hausen). 

1.  An  der  genaden  al  min  fröide  stat, 
da  enmäc  mir  gewerren  hüote"  noch  nit. 
Mich  enhilfet  dienst  noch  miner  friunde  rat, 
und  dnz  si  mir  ist  liep  alsam  min  selbes  lip. 
Mir  erwendet  ir  hulde  nieman  wan  si  selbe, 
si  tuot  mir  aleine  den  kumber  den  ich  trage: 
Wes  sohle  ich  dan  von  den  merk&ren  klagen, 
nu  ich  ir  hnote  also  lützel  engelde? 

i.  A  I  « — '  —  —  A 

9  '  "  'VI'  "  '  V 

 a  I  k^  —   A 

3 t                 n             ,      I        t                   ii  '  V 

.  —   .-. —  |  wv  —   w^»  A 


II 


*.  v_/w  —  A 

Reimschema:   a  — b 
a  —  b . 
c-d 
d  — c . 

2.  Mangen  herzen  ist  von  der  huote  w£, 
und  jeheut  ez  si  in  ein  angesliehiu  not: 
So  engerte  daz  mine  aller  nchheit  niht  m£ 
wan  miles  ez  si  Hden  unz  an  minen  tot, 
Wer  mühte  hän  gröze  fröide  ane  kumber? 
nach  solher  swa?re  sö  rang  ich  alle  zit. 
Done  maht  ich  leider  niht  komeu  in  deu  nit : 

f 

des  hat  gelücke  getan  an  mir  wunder. 

1    Ä  '  "  '  /\  I  "  '  A 

2'                 ».'VI7"            "            '  V 
.    v^-x.,  —  v_^_/  w  A     I     —  —  wv>  /\ 

•i       '  ,  .     i      I      '  "  '  V 

'  '•  —  —  t— I  —    |  —  ww  /\ 

4  '  "  '  *7C*  t      '  »  ' 

3.  Einer  grözen  swsere  ich  leider  »nie  bin, 
die  doch  erfurhtet  vil  mänic  saelic  man. 
Unbetwüngen  von  huote  so  ist  daz  herze  min; 
mir  ist  l£it  von  ir,  daz  ich  d6n  fride  ie  gewan. 
Wand  ich  die  not  wold  iemer  guetlich  liden, 
het  ich  von  schulden  verdienet  den  haz. 

Nit  ümb  ir  minne  daz  t«et£  mir  baz 
danne  ich  si  beide  süs  muoz  lan  beliben. 

1.  v — ,L  ~A  I  — - —   -A 

9  '  "  'VI  '  "  '  V 

«•  y~^>  —  >-»w  -  A    I  A 

3.  _1  »  1_  I  -1  •  _^-A 

4.  -  _1aI  --------- 


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ÜEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


91 


Mit  sechsern  kommt  man  bei  Gutenburg  77,  36  ff.  aus. 

Er  liebt  die  form  _  '    _  ^  "  .  L-,  auflösung  öfters  auch 

vor  der  fünften  thesis,  d.  h.  auf  der  stelle  nach  der  untercäsur 
des  langen  abschnitts,  wenn  sie  ausgeprägt  wäre. 

Dass  diese  rhythmisierung  berechtigt  ist  ,  kann  m.  e.  aus 
dem  ersten  lied  des  Neuenburgers  (80, 1  ff.)  gefolgert  werden. 
Es  ahmt  in  reimstellung,  z.  t.  auch  im  inhalt  ein  lied  Folquets 
nach,  das  oben  s.  74  analysiert  worden  ist.  Folquets  rhythmen 
sind  sechser  (brachykat.  und  katal.),  und  eben  denselben  rhyth- 
nms  ergibt  die  unbefangene  betrachtung  der  Überlieferung,  von 
der  sich  freilich  der  text  von  MF.  sehr  entfernt.  Ich  gebe 
meinen  text  zur  vergleichung  —  auch  hier  unter  vorbehält. 

1.  Gewan  ich  ze  Minnen  ie  guoten  wän, 

nu  hän  ich  von  ir  weder  troat  noch  gedingen, 

Wan  ich  enweiz  wie  mir  BÜle  gelingen, 

sit  ich  »i  mac  weder  laz6n  noch  hän. 

Mir  ist  alse  d£m  der  üf  den  bonm  da  stiget 

und  niht  höher  mac  und  da  mitten  belibet 

Und  ouch  mit  nihte  widerkomen  kan 

und  älsü  die  zit  mit  sorgen  hine  vertribet. 

i  tt  t 

 V_XY_y    < 


i. 

3     j_  v  t  L 


'  tt  t 


4 t  n  'VI  "  t 

2.  Mir  ist  alse  deine  der  da  hat  gewant 

Hiueu  muot  an  ein  spil  und  er  da  mite  verliuset 
Unde  erz  verswert:  ze  späte  erz  doch  verkiuset. 
also  hän  ich  mich  ze  späte  erkant 
Der  grözen  liste  die  Minne  wider  mich  häte. 
mit  schoeneu  gebärden  si  mich  zuo  ir  blähte 
Und  leitet  mich  älse  der  boese  geltsere  tuot 
der  wöl  geheizet  und  geltes  nie  gedähte. 

»   «   ,__L. 


1t                 tt  ry 
•  -  -  —  A 

2.  _1  1  L-  |  Ä  1_  •  -1-  •  -_A 

AI  II  'Vi'  " 
*•  —  ww»  —  /\    |  - 


"  I  _ 

t 


3.  Min  vrouwe  solde  län  nu  den  gewin 
daz  ich  ir  diene:  ich  mac  es  niht  miden. 
tedoch  bite  ich  sie  däz  siz  gerüoche  liden: 
so  wirret  mir  niht  diu  not  die  ich  lidende  bin. 


92 


SARAN 


WÜ  aber  si  mich  von  ir  vertriben, 

ir  «wacher  grnoz  der  scheidet  mich  von  ir  libe. 

Noch  dannoch  fürhte  ich  m(?re  . . . 

daz  »I  mich  von  minen  freuden  vertribe. 

1.  -L  1  IX  I  --  "  

3.  __L  |  _'_  >L- 

A         '               ,                   I           '              ,,  , 
»  —  ^  —  |   —  ^-  — 

Dies  lied  des  Fenis  ist  also  eine  nachahmung  auch  der  reihen 
Folquets,  nur  dass  hier  nicht  die  gewöhnliche  rhythmengattung 
mit  regelmässigem  Wechsel  von  arsis  und  thesis,  sondern  eine 
andere  mit  mannigfacher  Senkungsbehandlung  gebraucht  ist. 

Der  prüfstein  jeder  'daktylentheorie'  dürften  die  lieder 
kaiser  Heinrichs  sein.  Ihre  metrik  spottete  bisher  aller 
versuche.  Es  sind  nach  ausweis  des  metrums  wol  zwei  ver- 
schiedene töne;  im  reimgebäude  ist  nur  der  unterschied,  dass 
der  erste  ton  vor  dem  schliessenden  reim  eine  waise  hat. 

Erster  ton:  5, 16—29. 

1.  Ich  griieze  mit  gesange  die  sttezen 
die  ich  vermidcn  niht  wfl  noch  eninac. 
Daz  ich  sie  von  munde  rehte  mohte  gruezen, 
ach  leides,  des  ist  manic  tac. 
Swer  disiu  liet  nn1)  singe  vor  ir, 
der  ich  so  gar  unsenftecliche  enbir, 
ez  8i  wip  oder  man, 
der  habe  sie  gegrtiezet  von  mir. 

1.  -L  »--L-  |  -1  1  

2.   1  L-  |  Ä    —  —  IX 

3.  _1  ^__1X  I  -A  I 

A^_^_'__  |  -L  ^--X 

2.  Mir  eint  diu  ri'che  und  diu  lant  ündertan 
swenne  ich  bi  der  minneclichen  bin, 
Unde  swenne  ich  gesch6id6  von  dan, 
so  ist  mir  al  min  gewalt  und  min  richtüom  da  hin. 
Wau  genden  kuraber  den  zel  ich  mir  danne  ze  habe 
sus  kau  ich  an  vröuden  stigen  ui  und*)  abe 
und  bringe  den  wehsei 
als  ich  warne  durch  ir  Ueb6  ze  grabe. 

»)  C  swer  nu  d.  I. 

»)  C  und  ouch.   Das  ouch  ist  dem  sinn  zuwider. 


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DBBER  HARTMANN  VON  AUE. 


93 


2.     A  —  >  >  —  1  /\    |    wv  —  ^/  —  >  t  '—  [\ 

3,                    n                      'VI'                    "  '      V  I 

•  ^/v^v^y  VA/w/\    I  v^w  v_/\_/  /\  I 

_a__a_Tw1~: 

Zweiter  ton:  5,30—6,4. 

1.  Daz  ich  si  so  herzeelichen  minne 
unde  si  ane  weuken  trage 
Beide  in  herzen  und  in  sinn»- 
imderwilent  mit  vil  maniger  klage: 
Waz  git  mir  darum  Im?  diu  liebe  ze  löne? 
da  blutet  n  mirz  so  rehte  schöne, 
e  ich  mich  ir  verzige,  ich  verzige  mich  e  der  kröne. 

1     —  '  "  t      I  TT  '         "  'V 

1 .  A  —  -    |     A  ,  /\ 

2.  7\  ~  w  -'-   -    |     Ä  —   -  _  ^  /( 

3    _      y  /_<  n  £  _    |        ^  _^  ^  _  | 


2.  Er  sündet  sich  swer  des  niht  gelonbet, 
ich  mühte  geleben  manigen  lieben  tac, 
Ob  joh  niemer  kröne  ka.*ine  üf  min  houbet, 
des  ich  mich  äne  si  niht  vermezzen  eumac. 
Verlüre  ich  si,  wäz  bete  ich  danne? 
da  töhte  ich  ze  vröuden  noch  wibe  noch  manne 
und  wäre  min  bester  trost1)  ze  ahte  ünde  ze  banne. 


 A 

3.  _  1  _  _  "  |  _!_  ,  »  ^  _  j 


2. 


Man  sieht,  wie  ohne  erhebliche  abweichung  von  der  Über- 
lieferung durch  anwendung  der  hexapodie  die  vermisste  rhyth- 
mische regelmässigkeit  hergestellt  wird.  Zugleich  ist  zu 
bemerken,  dass  hier  akatalektische,  katalektische  und  brachy- 
katalektische  reihen  correspondieren,  wie  z.  b.  beim  Kürenberg. 
Man  wird  daraus  schliessen  dürfen,  dass  diese  reihen  mit  ab- 
sichtlich gesetzter  zweisilbiger  arsis  und  mit  zusammenziehung 
(deutlich  an  typischen  stellen),  also  die  sogenannten  'daktylen', 


>)  BC  beidiu  ze  ahte.  An  sich  ist  auch  diese  lesart  möglich.  Aber 
der  vere  wird  durch  Streichung  von  beidiu  weit  besser,  so  dass  sie  wol 
zweckmässig  ist.  Den  zusatz  des  geläufigen  Wortes  anzunehmen  ist  un- 
bedenklich. 


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SARAN 


nicht  der  romanischen  kunst,  sondern  aus  der  weiterentwicke- 
lung  heimischer  formen  entsprossen  sind. 

Ob  noch  andere  rhythmengattungen  in  den  'daktylen' 
verborgen  liegen,  lasse  ich  daliingestellt.  Es  ist  mir  wahr- 
scheinlich. So  möchte  ich  im  leich  des  von  Kolmas  'press- 
rhythmen'  sehen;  vgl.  s.  77  ff..  Auch  ist  an  sich  nicht  unmög- 
lich, dass  das  frz.  dekasyllabon  gelegentlich  nachgeahmt  ist, 
wenn  ich  auch  kein  beispiel  dafür  zur  band  habe. 

Man  sieht  leicht  aus  dem  hier  erörterten,  dass  die  ganze 
daktylenfrage  lediglich  aus  der  annähme  Üiesst,  die  mhd.  minne- 
singer  hätten  einsilbigkeit  der  Senkung  als  norm  aufgestellt, 
zweisilbigkeit  und  zusammenziehung  principiell  vermieden.  Die 
texte  geben  zu  dieser  annähme  keinen  anlass,  vielmehr  ist 
zweisilbigkeit  der  Senkung  und  zusammenziehung  oft  gesucht 
worden.  Die  mhd.  Verslehre  hat  also  nicht  die  aufgäbe,  diese 
art  der  arsenbehandlung  möglichst  zu  beschränken  oder  zu 
verschleiern,  sondern  festzustellen,  unter  welchen  bedingungen 
sie  stattfindet.  Eine  betrachtung  der  verschiedenen  stilarten 
der  rhythmik  der  minnesinger  ist  m.  e.  das  ziel  dem  zu- 
gestrebt werden  muss.  Die  grundsätze  die  Lachmann  und 
Haupt  aufgestellt  haben,  sind  dabei  principiell  aufzugeben: 
die  textherstellung  der  minnelieder  hat  auf  einer  neuen  rhyth- 
mischen basis  zu  erfolgen,  zu  der  ich  im  vorausgehenden 
wenigstens  das  programin  aufgestellt  haben  möchte.  Ich 
widerhole  hier  aber  nochmals,  dass  ich  nicht  etwas  endgültiges 
damit  geben,  sondern  einstweilen  nur  meine  behandlung  der 
Hartmannischen  lieder  rechtfertigen  will. 

Nach  dem  gesagten  glaube  ich  mich  berechtigt,  den  ro- 
manischen Ursprung  der  'daktylen'  schlechtweg  zu  leugnen. 
Ihr  wesen  widerspricht  dem  der  romanischen  rhythmen  durch- 
aus. Also  müssen  sie  specifisch  deutsche  formen  sein.  Warum 
tauchen  sie  nun  aber  erst  im  minnesang  auf,  als  der  romanische 
einfluss  merkbar  ist?  Warum  kommt  man  nicht  in  die  Ver- 
suchung, die  lieder  des  Kürenbergers  daktylisch  zu  nehmen? 

Ich  glaube,  dass  die  ganze  technik  dieser  'daktylen'  eben 
erst  durch  den  gegensatz  der  alten  und  der  neuen  richtung 
des  minnesangs  möglich  wurde.  Die  alte,  ritterliche  lyrik, 
diejenige  die  vom  'minnedienst'  noch  nichts  weiss,  braucht 
zusammenziehung  und  zweisilbige  Senkung  durchaus  (letztere 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


95 


meist  bei  'verschleif baren'  silben.  aber  auch  bei  andern,  wenn- 
gleich selten):  gewisse  typen  der  reihen  (_  L  _  L  - ,  _  L  _  j_  .'_ 
_1_  •  -  iL  : --L-  u.a.)  sind  dabei  nicht  zu  verkennen. 
Die  neue,  aus  Frankreich  eingeführte,  verlangt  grundsätzlich 
den  regelmässigen  Wechsel  von  arsis  und  thesis,  d.h.  die  ein- 
silbigkeit  aller  rhythmischen  werte.  Damit  sind  ohne  weiteres 
zwei  stilarten  der  rhythmik  gegeben,  die  nun  teils  neben  einan- 
der hergehen,  teils  sich  durchdringen.  Der  minnesänger  versucht 
zunächst,  die  neuen  formen  nachzubilden.  Dabei  geht  er  von 
der  heimischen  technik  aus  und  das  resultat  sind  verse  wie 
wir  sie  z.  b.  bei  Hartmaun  finden,  verse  die  dem  neuen  form- 
ideal  zustreben,  aber  noch  manches  (z.  b.  freiheit  der  silbenzahl) 
ron  der  alten  technik  haben.  Der  sänger  versucht  aber  auch, 
ich  die  kunstmittel  der  alten  technik  (zusammenziehung  und 
uiflösung)  zu  erhalten  und  den  neuen  formenschatz  durch  ihre 
rrundsätzliche  Verwendung  noch  zu  bereichern.  So  entstehen 
»roduete,  die  in  geist  und  Stimmung  modern  sind,  in  der 
echnik  aber  auch  die  älteren  kunstmittel  nicht  verschmähen. 
1s  ist  die  gruppe  der  'daktylen'.  Das  moderne  prägt  sich  be- 
anders  darin  aus,  dass  die  zweisilbigkeit  der  Senkung  un- 
eschränkt  ist,  dass  also  die  engeren  regeln  der  alten  zeit 
ufgegeben  werden.  Je  nach  der  dichterpersönlichkeit  neigt 
BT  eine  mehr  zum  neuen  (romanische  technik):  z.  b.  Hart- 
ann, Eeinmar,  Walther,  andere  zum  älteren:  Morungen  und 
e  Thüringer. 

Somit  sind  also  unter  den  rhythmen  in  MF.  mindestens 
ei  stilarten  strengstens  zu  scheiden:  1)  der  strenge  alt- 
tterliche  st il :  Kürenberg,  anonymus  Spervogel  u.  a.;  2)  der 
renge  neuhöfische  stil  (minnelied)  und  die  formen  die  ihm 
chstreben,  wenn  auch  noch  nicht  gleich  erreichen  (z.  b. 
irtmanns  meisten  gediente);  3)  der  gemischte  neuhöfische 
L  Darin  etwa  drei  Unterarten:  a)  reihen  mit  absichtlich 
rwendeter  zweisilbigkeit  der  arsis;  b)  reihen  mit  absicht- 
h  verwendeter  zusammenziehung;  c)  reihen,  wo  auflösung 
r  arsis  und  zusammenziehung  combiniert  sind.  Vielleicht 
mmt  hinzu:  4)  die  pressreihen:  Kolmas,  Walthers  elegie  (?). 

Wie  weit  dieselben  dichter  sich  mehrerer  stilarten  neben 
ander  bedient  haben,  wäre  in  jedem  falle  zu  untersuchen, 
mentlich  in  der  zeit  wo  die  romanische  kunst  eingang 


06 


8ARAN 


fand,  wird  man  einem  und  demselben  dichter  Übergang  vom 
altritterlichen  zum  neuböfischen  stil  zutrauen  dürfen.  Auch 
Goethe  hat  nicht  gleich  die  schönen  gediente  der  letzten  Frank- 
furter und  der  Weimarer  zeit  geschrieben:  er  hat  auch  das 
Leipziger  liederbuch  gedichtet. 

Solchen  Übergang  finden  wir  z.  b.  beim  kaiser  Heinrich 
4, 17  ff. :  5, 16  ff.  Er  braucht  stil  1  und  3,  wobei  die  neuhöfi- 
schen gediente  gerade  dieses  hohen  herrn  in  der  behandlung 
der  reihenschlüsse  noch  ihren  Ursprung  aus  der  alten  kunst 
verraten  (oben  s.  03).  Wie  weit  auch  bei  andern  dichtem  von 
MF.  zwei  Stile  nebeneinander  liegen,  bedarf  stets  besonderer 
prüfung.  No.  2  und  3  nebeneinander  ist  ganz  geläufig:  Hausen 
und  auch  Hartmann.  Die  echtheitsfragen  werden  dadurch 
schwieriger,  als  man  bisher  annahm. 

Dass  für  die  Scheidung  der  stilarten  die  weise  zu  beachten 
ist,  wie  die  dichter  den  vers  mit  wortinhalt  füllen,  möge  noch 
betont  werden.  Sievers  hat  ausdrücklich  auf  diesen  umstand 
hingewiesen.  Man  hat  stets  zu  erwägen,  wie  weit  sich  die 
icten  nach  den  Sievers'schen  typen  abstufen  ('dipodisch'  ver- 
teilt sind)  oder  diese  alte  aeeent Verteilung  fallen  lassen  (;mo- 
nopodisclf  folgen).  Es  muss  dabei  bedacht  werden,  dass  der 
gegensatz  von  'monopodisch'  und  'dipodisch'  auch  rein  als 
mittel  des  ausdrucks,  also  stilistisch  (Sievers  weist  Festgabe 
für  R.  Hildebrand,  Leipzig  1804,  s.  14  f.  auf  die  einleitung  des 
Tristan  hin)  verwendet  werden  kann  und  darum  den  drei  arten 
des  mischstiles  no.3  vielleicht  noch  eine  neue:  *d)  reihen  mit  ab- 
sichtlich »dipodischer«  ictenabstufung'  hinzugefügt  werden  muss. 

Das  lied  Hartmanns,  um  dessentwillen  dieser  excurs  nötig 
war,  ist  nun  einfach  hexapodisch. 

215,  14: 


2.  _± 

3.  _1 

4.  äJ 


n 


V.  15  1.  ereste. 


215,  22: 


1. 

2. 


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DBBER  HARTMANN  VON  AUE. 


97 


3.  _1__^__1XI--  -A 

» •    UV/  —  V^w»      I    —  — '  |  —  —  — .  — ■  I— ■   

V.  28  1.  duz  enpfie  (0).  str.  so  (mit  C).  29  mit  C  und  muoz  inner. 

215,  30: 

1.  _  '  »- |  _ 

2.  I  _I  

3  '  "       'VI'  "  'V 

U.  VA/   /\|  -  ■  w  /\ 

4  ^  "  ^  _   «_  £ 

V.  33  L  al.  37  1.  der  Up  und  ere  ir  behücte.  So  ist  der  vers 
weit  besser  als  in  der  —  an  sich  ebenfalls  möglichen  —  Über- 
lieferung: got  si  der  ir  Up  und  ere  behüete.  — 

Für  Hartmanns  rhythmische  technik  ergibt  sich  also  nach 
den  Untersuchungen  des  abschnitts  IV  und  V  folgendes: 

1)  Hartmann  braucht  nur  vierer  und  sechser.  Zweier  sind 
nicht  anzuerkennen,  da  sie  sich  ohne  Schwierigkeit  durch  Ver- 
einigung mit  nachbarzeilen  vermeiden  lassen. 

2)  Die  reihen  Hartmanns  schliessen  mit  der  thesis  und 
zwar  akatalektisch,  katalektisch  oder  brachykatalektisch.  Es 
finden  sich  bei  ihm  im  ganzen  nur  12  reihen  die  mit  einer 
tirsis  (senkung)  enden;  diese  sind  aber  keineswegs  daktylisch 

[L  L  _),  sondern  erweisen  sich  aus  dem  strophenzusammen- 

lang  als  hyperkatalektische  anapästische  glieder  (_  1  L  _). 

Bs  sind  214, 13. 15  _1  L  \„  (ebenso  24.  26),  also  am 

»eriodenschluss.  Dann  218, 5. 7  _  1  "  — lv>  (ebenso 

3.  15.  21.  23)  und  213,  38  X  L  1  !  w  (ebenso  214, 10). 

3)  Es  fangen  weitaus  die  meisten  reihen  mit  auftakt  an, 
er  auch  zweisilbig  (nie  dreisilbig)  auftritt.  Wo  in  einer  Strophe 
er  auftakt  fehlt,  wird  er  meist  in  den  andern  desselben  tones 
esetzt,  so  dass  über  die  auffassung  der  reihen  kein  zweifei 
b walten  kaun. 

Demnach  kennt  Hartmann  nur  anapästische  reihen 
-1  ...  _1)  in  ihren  verschiedenen  modificationen:  reihen  die 
rnndsätzlich  thetisch  beginnen,  hat  er  nicht.  Hartmann  steht 
dieser  beziehung  also  noch  auf  dem  boden  der  hergebrachten 
itionalen  kunstübung,  die  keine  andern  als  anapästische,  d.h. 
etisch  schliessende  formen  braucht.  Es  ist  für  die  Würdigung 
s  folgenden  abschnittes  wichtig,  das  festzuhalten.  Denn  wenn 
irtmann,  wie  gezeigt  werden  wird,  allmählich  alle  unregel- 

Beiträge  zur  geschieht«  der  deatwhen  tpracbe.    XXIII.  7 


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08 


SARAN 


mässigkeiten  im  auftakt  vermeiden  lernt  und  ihn  schliesslich 
regelmässig  und  einsilbig  setzt,  so  bedeutet  das  nichts  anderes, 
als  dass  er  sich  bestrebt,  die  von  ihm  gebrauchten  anapäs- 
tischen reihen  auch  wirklich  ganz  zu  füllen,  dass  er  es  meidet, 
durch  pause  werte  ausfallen  zu  lassen.  Das  gesetz  von  der 
auftaktregelung  bedeutet  also  (ebenso  wie  das  von  der  Ver- 
meidung der  zusammenziehung)  ein  streben  nach  grösserem 
tonreichtum.  Zugleich  nähert  sich  die  rhythmik  Hartmanns 
damit  der  der  Romanen  immer  mehr,  die  ja  auf  dem  regel- 
mässigen Wechsel  von  arsis  und  thesis  beruht.  Darum  wird  diese 
tendenz  zur  regulierung  Wirkung  der  romanischen  technik  sein. 

VI.   Die  Chronologie  der  lieder. 

Beziehen  sich  die  lieder  eines  sängers  eins  auf  das  andere 
oder  enthalten  sie  historische  anspielungen,  die  gedeutet  werden 
können,  so  ist  dies  von  grösstem  wert  für  die  aufstellung  einer 
Chronologie.  Fehlen  solche  beziehungen.  so  muss  man  seine 
aufmcrksamkeit  der  kunstform  zuwenden  und  seine  Schlüsse 
aus  ihr  ziehen.  Die  reihenfolge,  die  die  hss.  den  Hedem  geben, 
und  die  biographische  ausdeutung  ist  für  dies  problem  ohne 
wert.  Das  war  das  ergebnis  der  erörterungen  im  abschnitt  II: 
darnach  muss  auf  das  strengste  verfahren  werden. 

Es  ist  von  vornherein  am  wahrscheinlichsten,  dass  die 
drei  kreuztöne  Hartmanns  zeitlich  zusammen  gehören,  mag 
man  sie  auf  einen  kreuzzng  beziehen,  den  man  will.  Der  letzte 
derselben  ist  gewis  ton  XVI  (218, 5),  vorher  liegen  V  (209, 25) 
und  VI  (211,20).  Es  ist  ganz  unwahrscheinlich,  sie  auf  zwei 
kreuzzüge  zu  verteilen,  obendrein,  weil  die  töne  V  und  XVI 
durch  die  erwähnung  des  todes  von  Hartmann«  dienstherrn 
zusammen  gehalten  werden  (210,24.  218,19). 

Allgemein  ist  anerkannt,  dass  die  töne  I.  II.  III  einander 
nahe  stehen.  II  muss  vor  III  fallen,  weil  20(3.28  in  207,  11 
widerrufen  wird.  Von  den  zwei  in  III  vereinigten  liedern 
dürfte  III»  (207,11.  208,32.  208.20)  dem  andern  III2  voraus- 
gehen, eben  wegen  jener  beziehung.  III  ist  gewis  älter  als  I: 
das  folgt  aus  dem  inhalt  (H.  v.  A.  s.  30 — 32).  So  ergibt  sich 
die  reihe  II.  III.  I.  Diese  hält  neuerdings  auch  Schönbach 
für  richtig. 

Hierher  stellt  Schönbach  auch  XII  (215, 14).  Wegen  der 


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UKBBR  HARTMANN  VON  AUE. 


beziehung  von  215, 20  zu  206, 18  scheint  mir  das  richtig.  Nach 
inhalt  und  Stimmung  wäre  es  vor  II  zu  verlegen. 

Dass  nun  diese  zweite  gruppe  vor  die  erste,  die  kreuz- 
lieder  fällt,  bestreitet  auch  niemand.  Das  folgt  aus  der  ver- 
gleichung  von  210,23  und  218,19  mit  206,14  (H.  v.  A.  8.30). 
Dass  auch  XII  vor  dem  tod  des  herrn  anzusetzen  ist,  lehrt 
ein  vergleich  von  210. 11  ff.  35  ff.  211,8  ff.  und  215. 19  ff.  Die 
reihe  XU  IL  HL  I.  V.  VI.  XVI 

dürfte  mithin  so  gut  wie  sicher  sein. 

Ich  habe  nun  in  meinem  buch  gezeigt,  dass  dieser  Zu- 
sammengehörigkeit nach  dem  inhalt  auch  eine  in  der  form 
aufs  beste  entspricht:  jene  töne  sind  eben  die,  in  deren  gliedern 
mit  wenigen  ausnahmen  durchweg  der  auftakt  steht.  In  XVI 
fehlt  er  nie,  in  V«  auch  nicht,  in  V*  einmal  (210,29),  in  I 
einmal  (206,11),  in  III'  nie,  III2  einmal  (207,38),  in  II  nie, 
in  XII      wie  ich  jetzt  hinzufügen  kann  —  einmal  (215,  20). 

Da  nun  die  andern  lieder  den  auftakt  weit  freier  behan- 
deln, so  habe  ich  daraus  auf  ein  bestreben  des  dichtere  ge- 
schlossen, den  anfangs  ganz  freien,  bald  vorhandenen,  bald 
fehlenden,  oft  zweisilbigen  auftakt  zu  regulieren,  bis  endlich 
mit  gelegentlichen  Schwankungen  das  ziel:  einsilbigkeit  und 
regelmässigkeit  erreicht  wird  (H.  v.  A.  s.  33).  Darum  habe  ich 
ton  XVI  als  das  letzte  uns  von  Hartmann  bekannte  lied  be- 
zeichnet und  seine  auftakttechnik  als  das  erstrebte  ziel  an- 
gesehen. 

Vogt  bezweifelt,  dass  das  richtig  sei.  Er  meint,  die  Ver- 
vollkommnung der  technik  könne  nicht  bloss  in  dem  gleich- 
mässigen  setzen,  sondern  ebensogut  in  dem  gleichmässigen 
fehlen  des  auftaktes  und  in  dem  regelmässigen  Wechsel  von 
versen  mit  und  ohne  auftakt  bestehen.  Dies  wäre  au  sich 
wol  möglich.  Für  Hartmann  könnten  sich  also  im  lauf  der  ent- 
wickelung  drei  idealformen  des  tones  herausbilden:  1)  Strophen, 
wo  jede  reihe,  2)  Strophen,  wo  keine  reihe  auftakt  hat,  3)  Stro- 
phen, wo  die  auftakte  nach  bestimmter  regel  stehen  und  fehlen. 
Will  man  die  lieder  ordnen,  so  muss  jedes  an  dem  idealschenm 
gemessen  werden,  dem  es  zustrebt. 

Prüft  man  die  auftakt  Verhältnisse  der  Strophen,  so  ist 
zunächst  zweifellos,  dass  unter  ihnen  die  folgenden  dem  ersten 
ideal  —  regelmässig  auftakt  —  zustreben:  I  (~  206, 11).  IT.  III 

7* 


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100 


SAR  AN 


(A  207, 38).  V(a  210,29).  IX  (^  213, 1. 8. 15).  XI  (214, 12. 14). 
Xn  (7\  215, 20).  XIV  (ä  216, 31. 32.  217, 2).  XVI.  Von  16  tönen 
waltet  also  in  9  die  tendenz  von  no.  1. 

Betrachten  wir  vorerst  diese  gruppe  allein.  Procentualiter 
ergibt  sich  folgende  reihe: 

n/o 

n.  III«.  (VI)-  V  XVI     0,0  XII  (215,  14  ff.)  .    .    .  4,10 

I  (205,1)   2,2  XI  (214, 12  ff.)    ...  0 

HI»  (208, 8  ff.)    ...     3.3  IX  (212,  37  ff.)    ...  10 

V«  (209, 37  ff.)    .    .    .     4,16  XIV  (210, 29  ff.)  .    .    .  10,00. 

Nimmt  man  die  lieder  von  III  und  V  zusammen,  so  ergibt  sich 
die  reihe:  XVI.  (VI).  II  (0,0  o/„).  m  (1,66).  V  (2,1).  I  (2,2). 
XII  (4,16).  Diese  weicht  von  jener  etwas  ab,  doch  verschlägt 
das  nichts,  da  eine  solche  Statistik  nie  bis  ins  einzelne  genau  sein 
wird,  sondern  nur  anzeigt,  welche  lieder  einander  näher  stehen. 

Prüfen  wir  nun  die  sieben  töne,  die  noch  übrig  sind.  In 
der  tat  hat  Vogt,  wie  ich  gern  zugebe,  richtig  gesehen,  dass 
Hartmann  den  auftakt  zuweilen  mit  absieht  an  bestimmten 
stellen  fehlen  lässt.  Man  sieht  das  klar,  wenn  man  die  auf- 
taktstellen in  bezug  auf  das  rhythmische  system  der  Strophen, 
wie  es  abschnitt  IV  und  V  aufgestellt,  betrachtet. 

In  ton  IV  fehlt  der  auftakt  in  beiden  Strophen  im  anfang 
der  letzten  periode.  209,  23  erhält  dadurch  das  du  eine  be- 
tonung,  die  seiner  bedeutung  ganz  angemessen  ist  (Rh.  §  23 
anm.  8).  Ebenso  in  209, 13,  wenn  auch  weniger  evident.  Da- 
gegen ist  das  fehlen  des  auftaktes  in  209,  7  entschieden  un- 
beabsichtigt. Die  entsprechende  reihe  der  andern  Strophe 
setzt  ihn. 

In  ton  VH  fehlt  der  auftakt  in  allen  drei  Strophen  wider 
wie  in  IV  am  anfang  der  schlussperiode  211, 81.  212,1.9,  doch 
wol  mit  absieht.  Dagegen  ist  nach  ausweis  von  str.  2  und  8 
(212,2.10)  im  zweiten  Vordersatz  von  periode  3  (d.h.  in  3a') 
auftakt  nötig:  211,32  ist  also  unregelmässig. 

In  VIII  fehlt  der  auftakt  regelmässig  in  la  (212, 13.21.29), 
in  2  a  (212, 15.  23.  31),  also  allemal  im  periodenanfang.  offenbar 
um  den  einsatz  kräftiger  zu  machen.  In  3a  fehlt  er  nur  zwei- 
mal (212,17.25),  212,33  steht  er.  Dass  das  fehlen  im  auf- 
gesang  beabsichtigt  ist,  kann  man  annehmen:  aber  auch  im 
abgesang?   Nehmen  wir  an,  es  sei  beabsichtigt,  so  haben  wir 


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ÜEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


101 


jedenfalls  in  212,  33  einen  Verstoss  gegen  das  idealschema, 
einen  zweiten  in  34  (gegenüber  18  und  20),  also  nicht  bloss 
eine  Unregelmässigkeit,  wie  Vogt  s.  240  meint,  sondern  zwei. 
Das  fehlen  des  auftaktes  ist  meist  durch  gründe  der  declama- 
tion  bedingt. 

Di  ton  X  (213, 29)  fehlt  der  auftakt  in  den  meisten  reihen. 
—  Das  idealschema  wäre:  periode  1 — 3  durchweg  auf  taktlos, 
4  a  ohne,  4  a',  a",  b  mit  auftakt,  Gegen  dies  schema  finden  sich 
drei  Verstösse:  213,38.  214,5.9.  Legt  man  ein  anderes  zu 
gründe,  so  bleibt  diese  zahl  doch  als  minimum  bestehen.  In 
procenten  15. 

In  XIII  ist  fehlen  möglicherweise  in  3  b  (216,7.14.28) 
beabsichtigt.  Im  übrigen  erkennt  man  kein  princip.  Setzung 
ist  offenbar  das  ideale.  Gegen  das  idealschema  hätten  wir  also 
neun  Verstösse. 

In  XV  soll  der  auftakt  offenbar  fehlen  in  3  a  (217, 18.28. 
38),  d.  h.  im  periodenanfang.  Das  fehlen  hat  hier  für  den  sinn 
bedeutung,  denn  alle  die  hinter  der  pause  stehenden  pronomina 
bedürfen  der  hervorhebung,  die  ihnen  auch  durch  das  fehlen 
des  auftaktes  zu  teil  wird.   217,30  ist  aber  Verstoss. 

Berechnet  man  die  procente  der  Verstösse  gegen  das  jedes- 
malige idealschema,  so  ergibt  sich  folgende  zweite  reihe: 


/© 

XV  (217,14)  ....  3,3 

VII  (211,27)  ....  3,3 
IV  (209, 5)     ....  5,0 

VIII  (212,  13)  ...  8,3 
X  (213,29)  ....  15,0 
XHI  (216, 1)  .    .    .    .  32,1 

Vergleicht  man  diese  reihe  mit  meiner  früheren  (H.  v.  A. 
s.  35),  so  ergibt  sich,  dass  diese  töne  in  ihr  fast  in  gleicher 
relativer  Ordnung  folgen.  Dort  war  die  folge:  XV.  IV.  VII. 
VIII.  XIII.  X  (rückwärts). 

Die  töne  beider  gruppen  würden,  gesondert  und  genau  nach 
ihren  auftaktverhältnissen  geordnet,  folgende  reihen  bilden: 


1)  II.  III1.  V».  (VI).  XVI  0,0 
I  (205, 1)  .  .  .  ,  .  2.2 
in»  (208, 8)    .    .    .    .  3,3 


o 

2) 


XV  (217,  14)  \ 

VII  (211,27)  J  *    '    '  ' 


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102 


SARAN 


V  (209,  37)    |  ' 

VIT  /«M*   ll\   I    '     '     "       4»lh  i 


XII  (215,  14)  \ 


XI  (214,  12)  ....  9,1 
IX  (212,37)  ....  10,0 


IV  (209,5)   5,0 

VIII  (212.  13)    .    .    .  8,3 


XIV  (210,29).    .    .    .  10,00 


X  (213,29)  ....  15,0 
Xm  (210,1).    ...    32, 1 

Folgte  man  nun  den  Grundsätzen  die  Vogt  für  die  Chro- 
nologie Hartmanns  aufstellt,  so  müsste  man  die  beiden  reihen 
auf  grund  der  procentzahlen  zusammenschieben  und  hätte 
dann  eine  reihe,  in  der  die  lieder  tatsächlich  darnach  auf- 
träten, inwieweit  eine  auftaktregulierung  erfolgt  ist.  213, 29 
(X)  und  214, 12  (XI)  würden  sich  dann  zwar  nicht,  wie  Vogt 
will,  gleich  verhalten  (s.  239),  aber  docli  einander  weit  näher 
rücken  müssen  als  in  meiner  ersten  tabelle  (H.  v.  A.  s.  35). 

Diese  combinierte  tabelle  würde  aber  den  wahren  Sach- 
verhalt nicht  darstellen,  sondern  geradezu  verkehren.  Man 
vergleiche,  um  sich  das  klar  zu  machen,  die  auftaktbehand- 
handlung  unter  berücksichtiguug  der  rhythmischen  orter,  wo 
auftakt  fehlt.  Man  unterscheide  Vordersatz  (a),  zweiter  (bez. 
dritter)  Vordersatz  (a',  a")  und  nachsatz  (b).  Dann  ergibt  sich 
für  reihe  1)  folgende  tabelle,  in  der  s  die  summe  aller  reihen 
der  Strophe,  a'  (a")  +  b  die  summe  aller  der  glieder  bedeutet 
die  nicht  im  periodenanfang  stehen.  Das  Verhältnis  der  anzahl 
vorhandener  stellen  zu  den  auftaktpausen  ist  danach: 


Absolute  zahlen  der  reihe  1: 


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UEBER  HA HTM ANN  VON  AUE.  103 


In  procente  umgerechnet  gibt  die  tabelle  an  wie  oft  der 
auftakt  fehlt  im  Verhältnis  zur  gesammtzahl  der  auftaktstellen 
jeder  der  (durch  a;  a',  a";  b;  s;  a',  a"  +  b  unterschiedenen)  arten. 

Procentzahlen  der  reihe  1: 


XIV 

IX 

XI 

xn 

V" 

m» 

I 

n 

III» 

V 

XVI 

(III) 

(V? 

(VI) 

a 

25 

13,33 

20 

8,33 

0.0 

0,0 

0,0 

0.0 

0,0 

0,0 

0,0 

0,0 

0.0 

0,0 

a',  a" 

0,0 

0.0 

0,0 

0,0 

0,0 

0,0 

0,0 

0,0 

0.0 

b 

8,33 

6,66 

0,0 

0,0 

8,33 

8,33 

5 

0,0 

0,0 

0,0 

0,0 

4,16 

4,16 

0.0 

1 

10 

9,1 

4.16 

4.16 

3.33 

2,22 

0,0 

0,0 

0,0 

0,0 

1 ,66 

2,1 

0,0 

a\  a"  +  b 

8,33 

6,66 

0.0 

ii.O 

8.33 

5,55 

4,0 

0,0 

0,0 

0,0 

0,0 

2,77 

4,16 

0,0 

Ton  VI  unvollständig. 

Aus  diesen  tabellen  sieht  man,  dass  in  den  Hedem  der 
gruppe  1  auftaktpause  zunächst  und  gleich  von  vornherein  sehr 
energisch  im  innern  der  periode,  d.h.  an  den  stellen  a',  a"  und  b 
vermieden  wird:  kein  ton  hat  hier  mehr  als  einmal  auftakt- 
pause. In  sechs  von  den  elf  lietlern  findet  sich  überhaupt 
keine.  Am  periodenanfang  (a)  fehlt  auftakt  häufiger,  doch  ist 
die  tendenz  ihn  zu  setzen  dafür  auch  um  so  lebhafter  und 
führt  schon  in  V-  zum  ideal. 

Man  betrachte  nun  auch  die  zweite  gruppe  von  demselben 
Standpunkt  aus,  d.  h.  man  berechne  wie  oft  überhaupt  im  Ver- 
hältnis zu  den  verschiedenen  stellen  auftakt  fehlt. 

Tabelle  der  absoluten  zahlen 
für  reihe  2: 


XIII 

X 

VIII 

IV 

VII 

XV 

a 

a',  a" 

12:5 
4:1 
12:7 

8:7 
4:2 
8:6 

j 

12:8 
12  :  1 

t 

8:3 
4  :  U 
8:0 

9:3 
U  :  1 

9:o 

15:4 
15:0 

s 

a',  a"  +  b 

28:13 
16:8 

20:15 

12:8 

1  i 

24  •  ö 
12:  1 

2»:  3 
12:0 

» 

i 

27:4 
18: 1 

i 

30:4 
15:0 

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104  8AKAN 


Procentzahlen  der  reihe  2: 


xin 

X 

vin 

IV 

VII 

XV 

a 

a',  a" 
b 

41t66 
25,00 
58,33 

87,5 

50,00 

75,00 

g%g%  £*£* 

!>O,0O 

8,33 

37,5 
0,0 
0,0 

33,33 
11.11 

0,0 

26,66 
0,0 

8 

a',  a"  +  b 

46,42 
50,00 

75,00 
75,00 

37,5 
8,33 

15 

0,0 

14,81 
5,55 

13,33 
0,0 

Auf  den  ersten  blick  ist  klar,  auch  diese  lieder  durchzieht 
das  streben,  zunächst  die  auf  takt  pause  im  innern  der  perioden 
zu  beseitigen.  Mit  VIII  steht  die  gruppe  in  dieser  beziehung 
sclion  auf  der  höhe,  die  in  der  ersten  no.  XIV  einnimmt.  Das 
folgt  aus  betrachtung  der  rubriken  a',  a",  b  und  a',  a"  +  b. 

Aber  selir  energisch  ist  auch  in  dieser  reihe  das  streben, 
die  auftaktpause  von  a  zu  beseitigen  (rubrik  a).  Sieht  man  von 
XIII  ab,  so  ist  die  Ordnung,  die  rein  aus  betrachtung  der 
auftaktregulierung  in  a  folgt,  dieselbe  wie  die  die  ich  oben 
durch  beurteilung  nach  dem  jedesmaligen  idealschema  gewonnen 
habe.  Beide  weisen  der  betrachtung  ergeben  also  dasselbe 
resultat. 

Man  mag  also  Hartmanns  lieder  behandeln  wie  mau  will, 
immer  ergibt  sich,  dass  eine  starke  tendenz  zur  Vermeidung 
der  auftaktpause  da  ist,  die  sich  zunächst  im  periodeninnern, 
dann  am  periodenanfang  lebhaft  betätigt.  Je  jünger  in  beiden 
reihen  das  lied,  um  so  seltener  die  auftaktpause. 

Da  also  offenbar  beide  gruppen  die  ich  unterschieden, 
von  demselben  streben  beherscht  werden,  da  ferner  zwar  die 
gruppe  1  zu  Hedem  gelangt,  die  das  zugehörige  idealschema 
wirklich  erreichen,  nicht  aber  gruppe  2,  und  da  drittens  die 
lieder  von  gruppe  2  zu  den  früheren  erzeugnissen  Hartmanns 
gehören,  mag  man  sie  mit  Vogt  nach  der  tabelle  oben  s.  101  f. 
oder  nach  den  eben  aufgestellten  beurteilen,  so  muss  geschlossen 
werden:  das  princip,  überall  die  auftaktpause  zu  vermeiden, 
ist  durchaus  das  herschende.  Die  regelung  des  auftaktes  im 
sinne  der  gruppe  2  ist  nicht,  wie  Vogt  will,  ein  zweites  princip, 
das  dem  ersten  gleich  mächtig  gegenüber  träte,  sondern  es  ist 


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UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


105 


nur  eine  art,  das  erste  princip  durchzuführen,  sie  ist 
nur  ein  specialfall  des  ersten  princips.  Wir  werden  an- 
nehmen dürfen,  dass  der  dichter  die  ganze  regelung  unbewusst 
aus  dem  rhythmischen  gefühl  heraus  unternahm,  nicht  auf  grund 
einer  theorie*  Daher  auch  gelegentlich  die  schwanklingen. 

Das  gesetz  von  der  auftaktregulierung  bei  Hartmann 
deute  ich  also  folgendermassen.  Dem  rhythmischen  gefühl 
Hartmanns,  das  schon  wesentlich  durch  die  alternierenden 
rhythmen  der  neuhöfischen  minnepoesie,  vielleicht  geradezu 
durch  französische  lyrik  bestimmt  war,  sagte  die  freiheit 
nicht  zu,  mit  der  die  einheimische  technik  die  anapästischen 
reihen  (_!..._!)  behandelte.  Er  beginnt  —  zunächst  wol 
unbewusst  —  nach  regelmässigkeit  zu  streben.  Die  auftakt- 
pause wird  darum  allmählich  auf  stellen  beschränkt,  wo  sie 
die  declamation  unterstützt,  wo  sie  also  dazu  dient,  einen 
kräftigen  reiheneinsatz  zu  bewirken.  Feiner  wird  nach  re- 
sponsion  im  ganzen  ton  getrachtet.  Die  reihe  2  bringt  diese 
versuche  statistisch  zum  ausdruck.  Vor  allem  wird  auftakt- 
pause  im  periodeninnern  gemieden.  Das  ist  rhythmisch  sehr 
begreiflich.  Denn  durch  solche  inneren  pausen  wird  die  periode 
immer  auseinander  gerissen:  innerer  continuierlicher  Zusammen- 
hang ist  aber  für  sie  wünschenswert.  Durch  pause  am  perioden- 
anfang  heben  sich  dagegen  die  perioden  von  einander  ab,  die 
ohnehin  einander  relativ  selbständig  gegenüberstehen. 

Ton  XIII  erweist  sich,  von  diesem  Standpunkt  aus  be- 
trachtet, als  eins  der  frühsten  lieder  Hartmanns.  Hier  wird 
periodenanfang  und  -inneres  gleich  behandelt,  und  ob  im  zu- 
lassen der  auftaktpause  wirklich  princip  ist  und  nicht  der  zufall 
waltet,  ist  unklar.  Das  fehlen  des  auftakts  am  beginn  des 
schlussgliedes  der  Strophe  ist  sachlich  nicht  zu  begründen. 

Auf  grund  dieser  erwägungen  glaube  ich  nicht,  dass  Vogt 
recht  hat,  wenn  er  annimmt,  ton  IV  (5  °/u)  gehöre  eng  mit  XII 
(4,16  •/„),  VIII  (8,3  %)  und  XI  (9,1  %)  zusammen.  Für  die 
technik  dieser  töne  ist,  wie  das  eben  erörterte  lehrt,  weniger 
von  bedeutung,  dass  das  entsprechende  idealschema  mit  5,  4,16 
8,3  und  9  °/0  Unregelmässigkeiten  erreicht  ist.  als  vielmehr  die 
tatsache,  dass  in  IV  der  auftakt  fehlt  für  s  —  15,  in  XII  für 
s  =  4,16,  in  VIII  für  s  =  37,5  und  XI  für  s  =  9,1  fällen  auf 
hundert. 


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106 


HAKAN 


Wenn  man  also  eine  Chronologie  der  lieder  Hartmanns 
sucht,  so  hat  man  sich  an  das  leitende,  von  mir  schon  früher 
richtig  erkannte  princip  zn  halten:  eine  anordnung  im  sinne 
Vogts  ist  nicht  möglich,  ohne  den  tatsachen  unrecht  zu  tun. 
Man  kann  sich  im  einzelnen  mehr  an  die  procentzahlen  für  s 
(so  ich  früher)  oder  an  die  von  a  halten:  das  ergebnis  ist  in 
beiden  fällen  wesentlich  gleich. 

Man  gewinnt  auf  grund  der  s- zahlen  folgende  endgiltige 
Chronologie,  in  der  die  inhaltsbeziehungen  der  lieder  mit  ver- 
wendet sind: 


XVI  (218,5)  . 

% 
.  0,0 

XI  (214,  12)  .  . 

% 
9,1 

VI  (211,20)  . 

IX  (212,  37).  . 

10.0 

V«  (209,  25)  . 

.  0,0 

XV  (217, 14)  . 

13,33 

V*  (209,37)  . 

4,18 

VII  (211,27)  . 

14,81 

I  (205,  1)   .  . 

.  2,22 

IV  (209,5)    .  . 

15,00 

III*  (208,  8)  . 

.  3,33 

XIV  (216,29)  . 

16,06 

in»  (207,  11)  . 

.  0.00 

VITT  (212,  13)  . 

37,50 

II  (200,  19)  . 

.  0.00 

XIII  (210,  11  . 

46,42 

XII  (215,  14) 

.  4.10 

X  (213,29)  .  . 

75,00 

Diese  Ordnung  weicht  etwas  von  der  ab  die  ich  H.  v.  A. 
s.  35  gegeben  habe.  Das  erklärt  sich  aus  der  neuen  kolotomie, 
die  ich  erst  in  dieser  arbeit  geben  konnte.  Daraus  erklären 
sich  auch  die  zahlen  die  gelegentlich  von  den  früheren  in 
H.  v.  A.  abweichen. 

Ich  bemerke,  dass  diese  reihenfolge  nicht  die  zeit- 
beziehungen  der  lieder  bis  einzelne  darstellen  soll.  Schon  die 
abweichungen  der  inhaltsehronologie  von  der  rhythmischen  in 
den  jüngsten  werken  lassen  eine  solche  annähme  nicht  zu. 
Die  reihe  soll  nur  im  grossen  und  ganzen  gelten.  Man  wird 
der  Wahrheit  am  nächsten  kommen,  wenn  man  gruppen  von 
Hedem  aufstellt,  die  einander  zeitlich  besonders  nahe  stehen. 
Ich  würde  folgende  vorschlagen: 

1)  V  V«  VI  XVI  kreuzlieder. 

2)  XIV.  IV.  VII;  XV  IX  XI;  XII  II  III'  IIP  I  liebes- 
glück  und  liebesnot  (im  anschluss  an  das  nachweisbare 
Verhältnis,  das  auch  die  'Klage'  behandelt). 

Das  —  übrigens  einseitige  —  minneverhältnis  wird  nicht  förm- 
lich gelöst,  sondern  hört  durch  Hartmanns  kreuzzug  wol  von 
selbst  auf.   Man  kann  in  dieser  gruppe  wider  Untergruppen 


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UEBKK  HARTMANN  VON  AUE. 


107 


erkennen:  XIV  IV  VII  sehr  flott,  mit  einer  gewissen  Opposition 
gegen  den  minnedienst,  der  ja  der  älteren  ritterlichen  zeit 
unbekannt  war.  Solche  oppositionslustigen  gedanken  begegnen 
später  seltener:  EU1  wo  der  widerruf  schnell  folgt,  XV  IX  XI 
sind  schon  H.  v.  A.  s.  102  als  eng  zusammengehörig  erkannt 
worden.  Formell  haben  sie  gemein,  dass  es  neben  XVI  die 
einzigen  Strophen  bei  Hartmann  sind,  die  fünf  perioden  um- 
fassen. Der  dichter  verbindet  meist  nur  8  und  4.  XII  II  hoff- 
nungsvollere Stimmung,  III  I  resignation. 

3)  X  XIII  VIII.  Ks  sind  die  frühesten  lieder,  vor  und 
während  der  reise  Hartmanns  nach  Xordfrankreich.  VIII  geht 
doch  wol  auf  diese.   XIII  ist  reine  nachahmung  Hausens. 

Die  Klage  (das  I.büchl.)  dürfte  mein"  ans  ende  von  gruppe  2 
fallen.  Doch  wäre  auch  möglich,  dass  es  in  die  mitte  fiele. 
Das  ist  nicht  auszumachen. 

Wie  weit  es  nun  nötig  ist.  die  lieder  unter  no.  2  auf  das- 
selbe Verhältnis  zu  beziehen,  kann  nicht  entschieden  werden. 
Ich  habe  H.  v.  A.  mehr  erlebtes  in  den  Uedem  gesucht  als  ich 
jetzt  tue.  Es  ist  wol  möglich,  dass  manche  töne  reine  phan- 
tasiestücke sind,  ohne  specielle  beziehung. 

Mag  man  nun  meine  Chronologie  billigen  oder  nicht,  eines 
geht  aus  ihr,  glaube  ich,  mit  Sicherheit  hervor:  die  lieder  der 
gruppe  1  sind  die  letzten,  die  uns  von  Hartmann  überliefert 
sind.  Die  der  gruppen  2  und  3  liegen  vor  ihnen.  Hartmanns 
lyrik  schliesst  mit  der  kreuzzugspoesie,  also  1189  ab. 

Daraus  folgt:  wer  etwa  Hartmann  zwei  oder  mehr  minne- 
verhältnisse  zuschreibt,  darf  keines  davon  nach  der  gruppe  1 
(nach  1189)  ansetzen  und  muss  die  töne  III  und  I  als  solche 
des  letzten  Verhältnisses  ansehen.  Andernfalls  hat  er  die 
pflicht,  meine  beobachtungen  über  die  auftaktent Wickelung  als 
falsch  nachzuweisen.  Deswegen  ist  auch  Schönbachs  versuch 
abzulehnen,  weil  er  meine  ergebnisse  weder  widerlegt  noch 
überhaupt  beachtet. 

Ks  folgt  weiter:  wer  wie  Wilmanns  und  Heinzel  da« 
I.büchl.  mit  dem  Verhältnis  zusammenbringt,  das  den  tönen 
III  und  I  zu  gründe  liegt,  darf  das  II.  büchl.  nun  nicht  mehr 
mit  irgend  welchen  Hedem  Hartmanns  in  Verbindung  bringen 
—  er  müsste  es  denn  vor  das  ei-ste  setzen.  Das  hat  aber 
noch  niemand  versucht.   Somit  fällt  auch  das  was  Schönbach 


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108 


SA  RAN,  ÜEBER  HARTMANN  VON  AUE. 


(s.  350.  368  ff.)  über  das  zweite  btichlein  und  seine  beziehungen 
zu  Hartmanns  Hedem  sagt. 

Endlich:  ist  die  gesammte  liebeslyrik  dem  I.  büchlein  un- 
gefähr gleichzeitig,  so  fällt  sie  in  ihrer  gesammtheit  in  des 
dichters  jugend,  wol  seine  knappenzeit.  Denn  dass  jenes 
büchlein  sehr  früh  anzusetzen  ist,  habe  ich  schon  H.  v.  A.  s.  52 
nachgewiesen,  dass  es  von  Hartmann  vielleicht  im  alter  von 
18 — 21  jähren  verfasst  ist,  hat  Schönbach  wahrscheinlich  ge- 
macht. So  drängt  sich  die  ganze  lyrik  Hartmanns  in  wenige 
jähre  zusammen,  denn  im  allgemeinen  stehen  sich  die  lieder 
formell  ziemlich  nahe.  Wenn  man  1187  und  1188  annimmt, 
dürfte  man  das  rechte  so  ziemlich  treffen. 

Nach  alle  dem  rnuss  ich  meine  ansieht,  die  ich  in  H.  v.  A. 
über  des  dichters  lyrik  ausgesprochen  habe,  gegen  die  polemik 
Schönbachs  und  z.  t.  auch  Vogts,  wenigstens  in  ihren  haupt- 
ergebnissen  aufrecht  erhalten. 

HALLE  a.  S.  FRANZ  SARAN. 


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ANGLOS AXONICA  IV. 
Crist. 

14a.  Die  nämliche  construction  unten  v.  .'55a. 

26.  Hier  sclieint  mir  ein  vers  ausgefallen,  wie  Udad  in 
hendum  +  halbvers:  vgl.  v.  147. 

40.  1.  mit  Grein  gemcmmg,  vgl.  v.  75  und  Blickl.  hom. 
143,24:  p(et  he  bodi&e  bis  godeundncsse  d'°  hire  gevacnunge. 
(Gerade  diese  geracnung  war  das  dtgol  dryhtnes  geryne  von  v.  41. 

42.  geondspreot  (eo      va)  v.  -sprutaii,  nl.  spruitcn. 

69.  genedde  ist  unsinn:  1.  mit  Grein  gencdde. 

73.  sundhumd  ein  poetisches  fabrikat  wie  ftcodbücnd  616. 
1173  und  1372.  um  einmal  eorÖbuend,  foldbuend,  grundbüend, 
landbuend  zu  variieren  und  ganz  bequem  mit  s  zu  alliterieren. 
Es  bedeutet  nicht  maris  uccolae  und  hat  mit  nl.  de  zee  boutven 
nichts  zu  tun. 

97.  forpynded.  Vgl.  Sievers,  Beitr.  11, 351  und  Blickl.  hom. 
7, 14:  Peer  uces  Euan  tvöp  üte  betyned  purh  peere  d  clmian 
fdemnan  (blisse?). 

153.  Sie  vers'  unzweifelhaft  richtige  besserung  for  ofer- 
fiearfum  findet  man.  wie  seine  übrigen  besserungen  und  be- 
merkungen  grammatischer  oder  metrischer  art?  bloss  in  der 
fussnote.  wenn  ihrer  überhaupt  erwähnt  wird.  Man  vgl.  weiter 
El.  521  und  Beow.  2226;  nur  setze  man  is  se'o  bot  gclong  eal 
(et  J>e  dnum  in  parenthese.  denn  for  ofvrpearfum  gehört  zu 
wope  foreymenum,  bitrum  brynetearum.  Anders,  aber  m.  e. 
weniger  überzeugend,  I  F.  4,384. 

167.  Die  einteilung  des  dialogs  ist  nicht  in  Ordnung.  Erst 
mit  vala,  ftkmne  geong  v.  175  fängt  Josephs  rede  (bis  v.  195) 
an  und  darum  ist  v.  169  for  p(>  in  for  py  und  v.  175  feasceaftne 
in  ftasceafte  zu  bessern.    Auch  lese  man  v.  169  mit  Thorpe 


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110  C08IJN 

worda.  Ein  schluss  eala  fcemne  xeonx,  mcegö  Maria  ist  un- 
möglich, und  gerade  dies  (alu  weist  uns  hier  den  weg. 

188.  L  pe  Iddijan  'dich  reinigen'  läpan  sprdece  'dessen 
was  man  dir  vorwirft';  vgl.  C.  past.  308,  7. 

189.  purh  ndthtvylccs  sc.  scyld  oder  ein  ähnliches  wort. 
241.  Aehnlich  Kä.  2, 1. 

257.  Wie  Beow.  160  der  Grendel,  so  wird  hier  lupus  qui 
rapit  et  disperyit  oves  (.Toh.  10,  12)  deorc  deaÖsctia  'tenebrae  et 
umbra  mortis'  genannt. 

264.  sc  wites  (i.  e.  helle)  bona  passt  hier  wol  nicht  so  gut 
wie  se  wittes  bona  -    gdstbona;  vgl.  Grein,  Gloss.  2,  722. 

270.  L  fortrah  tf'  fortyhte;  hl  ist  aus  ht  verlesen. 

304.  1.  mit  Thorpe  pder,  welche  partikel  bei  verba  movendi 
öfters  vorkommt ;  s.  Grein,  Gloss.  2.  564.  Ein  beispiel  anderer 
an  v.307. 

364.  1.  het(o)lan  hclsceapa(n).  Hetol  ist  ein  gebräuchliches 
epitheton  des  teufels:  Beda- Wheloc  s.  309.  Saint»  3, 406,  und  s. 
weiter  Toller  s.  v. 

377.  zepeon.    Das  praet.  pvodon  El.  403  (hs.  peoden). 

421.  Dies  md  statt  Sievers'  nidra  charakterisiert  diese 
ausgäbe. 

469.  wttgcna  uord  ist  object  zu  Juvfde  gefylled,  also  nach 
sungon  komma!  $eond  woruld  innan  bilden  drei  worte,  wie 
Panther  v.  4,  wo  richtig  abgeteilt  ist. 

471.  1.  h'oftvendnc,  vgl.  v.  400  lofiad  Uoflicnc.  Die  Ver- 
wechslung von  lofian  und  lufian  kommt  auch  sonst  vor,  z.  b. 
Beda-Miller  212,  7  var.;  v.  504  steht  richtig  heredun,  lofedun. 

490.  gehwäre]  die  richtige  lcsart  natürlich  in  der  fuss- 
note.  An  anderen  stellen  ist  der  nämliche  fehler  mit  diesem 
pronomen  gemacht:  das  weiter  zu  bemerken  halte  ich  für 
überflüssig;  vgl.  Sievers,  Beitr.  10, 485. 

494.  1.  Cyning  up  geivdt.  Was  aber  purh  pws  tcmples 
hröf  bedeuten  muss,  weiss  ich  nicht:  ofer  hröfas  v.  528  ist  ver- 
ständlich.   Vgl.  aber  v.  535. 

511.  on  htveurfte  1.  on  hwearfe       on  preate. 

519.  jcdryt  nach  dem  richtigen  gedryht  v.  515!  Fussnute: 
gedryht. 

564  wiperbrogan.  Was  sind  'widerschrecken'?  Ich  lese 
wiperbreoctm ,  welche  auch  aus  GuJ>lac  265  bekannt  sind  (s. 


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{ 


ANGLOSAXONICA.  111 

weiter  Grein,  Gloss.  i.  v.)  und  noch  in  den  Blickl.  hom.  175,  7 
vorkommen.  Brecan  (denn  wiöerbrcca  ist  synonym  mit  and- 
saca)  bedeutet  hier  'streiten',  got.  brikan,  brakja  dftXtiv,  jtähj. 

587.  hals,  nein  hülr,  hdlorl  Zu  eft,  das  man  mir  nicht 
vorwerfe,  vgl.  v.  G14. 

621.  Lies  docli  mit  Rieger  of  statt  ofer,  wie  die  antithese 
to  pcere  ilcun  scealt  eft  geweordan  v.  624  deutlich  beweist. 

625.  tcyrmum  äweaüen.  VgL  jElfric,  Horn.  1,86:  J)wt  his 
gcsceapu  maöan  wvollon  und  472:  sua  Jxet  htm  wcollon  maöan 
geond  ealne  Öonc  Itchuman.    Vgl.  auch  an.  rclla. 

644.  Hier  hätte  der  herausgeber  Früchts  mislicu  (vgl. 
Jul.263)  in  den  text  aufnehmen  sollen  (Fr.  s.  78):  wonig  mislic 
ist  metrischer  fehler. 

679.  stcblgnc,  L  staglnc;  wenigstens  dünkt  mich  die  meta- 
these  verdächtig,  denn  die  volle  form  ist  stcegil.  Man  erwartet 
stcapne  =  lu'anne. 

704.  afyUendra  fasse  ich  auf  als  gen.  subj.,  also  fyllun  — 
fellun,  vgl.  El.  1040  gedwolan  fyldc,  unrihte  w;  vgl.  auch  unten 
v.  709.  wo  bU'tdgyte  worhtan  (708)  einzuklammern  ist. 

769.  bordgeldc,  lindgeldc,  lindptcga  bedeuten  einfach  'streit', 
eigentlich  geldc  (plega)  bord-,  lindhwbbendru.  Ich  verwerfe 
Greins  deutung  'clypeorum  impugnatio'. 

784.  Ich  lese  sua  we  us  tvidefeorh  wcorcum  hlodun,  weil 
das  object  zu  hladan  mir  unentbehrlich  scheint. 

804.  Ich  constatiere  hier  bloss,  dass  über  Sievers'  aufsatz 
Anglia  13,1  kein  wort  gesagt  wird;  s.  246  teilt  uns  Assmann 
bloss  mit,  dass  S.  a.a.O.  'über  die  rätsel'  gehandelt  hat.  Aber 
Gollancz'  autorität  scheint  so  schwer  zu  wiegen,  dass  sogar 
seine  schiefe  Übersetzung  (v.  806  ür  'long  since'!)  citiert  wird; 
was  dieser  aber  über  ur  s.  181  mitteilt,  wird  verschwiegen. 
Die  feststellung  der  bedeutung  der  rune  uynn  in  Sievers' 
' notable  article'  war  doch  bei  Gollancz  s.  180  zu  finden;  und 
dass  die  Anglia  gewissen  deutschen  anglisten  eine  terra  in- 
cognita  ist,  darf  man  doch  nicht  annehmen? 

828.  Zur  abwechslung  wird  im  text  ein  nicht  allite- 
rierender vers  mit  falscher  interpunction  geboten,  während 
Greins  besserung  in  der  fussnote  zu  finden  ist  (hatte  das 
original  bchofiad,  wie  gehöht  für  geolu  Erf.  1064  u.s.w.?).  So 
bilden  die  uoten  einen  katalog  von  richtigen,  evidenten  und 


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112 


CQSIJN 


falschen,  antiquierten  lesarten,  was  sich  allerdings  zum  teil 
entschuldigen  oder  verteidigen  Hesse,  wenn  wir  es  mit  einem 
diplomatisch  genauen  textabdrucke  zu  tun  hätten.  Dies  ist 
aber  nicht  der  fall,  denn  öfters  wird  gebessert  (oder  ver- 
schlimmert), wo  man  es  nicht  erwartet.  Eine  emendation  die 
von  dem  herrn  herausgeber  selbst  herrührte,  habe  ich  noch 
nicht  angetroffen. 

830.  ctvdriiendra  cirm  soll  ein  vers  sein.  Aber  langsilbig'e 
schwache  verba  der  2.  und  3.  klasse  bilden  regelmässig  partt. 
praes.  ohne  i:  mit  i  sind  sie  metrisch  unbrauchbar.  [In  den 
nachtragen  ist  Früchts  besserung,  wie  ich  jetzt  sehe,  auf- 
genommen.] 

843.  ])cer  biö  . . .  leofra  (nsn.),  wie  GuJ>lac  1294  Jtcer  tctes 
(knlicra  <(-  uynsumra  etc.  Ebenso  sojtra  Gupl.  1096  und  bei- 
spiele  für  die  weibliche  endung  -a  sind  swcerra  C.'rist  1490, 
heardra  1489,  leohtra  1652,  sylfa  GuJ>l.  964,  bdncopa  998  (?). 
Darf  man  dies  alles  ändern?  Was  die  bedeutung  unsrer  stelle 
betrifft,  vgl.  Sal.  30:  ftontic  htm  bid  Uofre  ]>onne  eall  Ptos  Wohle 
gesceaft  . . .  gif  he  cefre  fiws  organcs  oiviht  cuöe\  Beow.  2651 
steht  })iet,  was  aber  mit  gif  synonym  ist  ,  wie  mit  pcer,  wes- 
halb Ettmüllers  änderung  v.  844  unnötig  ist. 

853.  Komma  hinter  sundhengestum,  denn  fergan  ist  trans- 
itiv. Aber  tilge  das  Semikolon  nach  holmas  v.  856;  aber  nach 
geldd  stark  interpungieren. 

867.  Lies  mit  Ettmüller  ]>d  he  to  heofonum  ästdg,  wie 
v.  737  (vgl.  auch  El.  188)  vorkommt, 

870.  1.  bihlwmmeö,  denn  das  mm  ist  organisch,  s.  Walfisch 
61  und  76  und  vgl.  weiter  hlimman,  hlemm,  got,  Mamma  u.s.w. 

884.  und  tungla  gong  (hlydaö),  wie  sprecan  wiö  —  con- 
struiert:  =  wiö  songende  fangt,  i.  e.  tviÖ  heofones  tceard. 

889.  1.  egeslice. 

901.  Süpan  castan,  vgl.  Gen.  668  und  Beitr.  19, 447.  Darf 
man  letztere  stelle  sachlich  mit  dieser  vergleichen? 

934.  trume  4h  torhte  beziehe  ich  auf  heofonas;  vgl.  v.  969. 
Also  nach  torhte  komma. 

961.  Gyn  gehört  zum  folgenden  verse,  wie  auch  die  hs. 
andeutet.    Welcher  metrik  folgt  Assmann? 

976.  u  oruld  mid  ealle  'die  ganze  weit'.  Vgl.  Saints  6, 285: 
Ins  ueUras  tcäron  äivlcette  mid  ealle. 


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ANGLOSAXONICA. 


113 


980.  sceMun  ist  ein  unding,  scehtun  (kenticismus  für 
scyhtun)  sinnlos.  Also  ist  die  'Vermutung'  sceldun  =  scildun 
nicht  abzuweisen,  weil  hier  ein  verbum  mit  der  bedeutung 
'schützen'  stehen  muss. 

999.  gc  hreow?   Man  vgl.  1148. 

1046.  1.  on  e\a)cne  (=  eacenne)  eard,  denn  das  e  beruht 
auf  palatalumlaut:  vgl.  Beow.  1621  cacne  eardas.  Opene  weorpad 
u.s.w.  illustrieren  pd  opene  Hd  v.  1571. 

1048.  hord  'das  verborgene',  denn  schätze  verbirgt  man: 
warum  aber  immer  diese  'schätze'  in  den  Übersetzungen  an- 
gebracht? 

1074  a.  Vgl.  Blickl.  hom.  95, 19. 

1084.  1.  eallptodum,  wie  1337,  =  yrmenpiodum;  besser 
noch  vergleicht  sich  ealwihte. 

1144.  egsan  tnyrred?  aber  der  ausdruck  ist  unbelegt. 

1155.  Man  folge  Grein. 

1185.  cüpen  'haberent';  vgl.  Gen.  357. 

1266.  Aedenra  gehört  zu  synne,  ist  aber  von  tu  fela  atol- 
earfoöa  attrahiert. 

1273.  1.  earfede. 

1301.  1.  on  pd. 

1302.  1.  beahddsda,  denn  der  plural  wird  hier  gefordert 
und  gescomian  regiert  einen  genetiv. 

1308.  he  i.  e.  se  scriß;  bi&ckd  'nachgeht'  kommt  sonst  nur 
vor  in  Jone  cecer  bejdn  (Toller),  plantan,  impan  begdn  C.  past. 
381,  17. 

1313.  Eula  u.s.w.  Interpungiert  man  wie  Assmann,  dann 
bedeutet  pder  hier  'utinam',  wie  El.  979.  Jul  570  und  Seel.  141 
(vgl.  got.  ip  wissedeis  d  tyvcoq  Luc.  19, 42).  Aber  dann  muss 
utile  v.  1318  in  scyle  geändert  werden:  sonst  wäre  pdsr  hypo- 
thetisch zu  fassen,  nach  ingcponcas  komma  zu  setzen  und  würde 
v.  1317  in  prosa  lauten:  pcet  bid  unäsecgendlic.  Aber  Assmanns 
text  bietet  (mit  ausnähme  von  wüte)  wol  hier  das  richtige, 
wie  auch  t'ald  wahrscheinlich  macht. 

1320.  forö  adolian.  Lächerlich:  weder  ein  äpolian  'to 
endure'  noch  ein  ahd.  'adaljan'  hilft  uns  hier  aus  der  not; 
ford  ist  ferÖ  (vgl.  v.  1361  und  Rä.  74,5)  und  adolian,  das  man- 
chem den  köpf  irre  machte,  hat  selbst  den  köpf  verloren  und 

Beiträge  zur  geschieht«  der  deutschen  spräche.    XXIII.  g 


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114 


COSIJN 


ist  verstümmelt  aus  staöolian:  ferö  st.  ist  bekannt  genug.  Aber 
vor  ferö  komma! 

1321.  Pwcan  zweisilbig,  Jtrean  einsilbig  ist  merkwürdig. 

1323.  Pe  her  lifes  sy.  Vgl.  Beda-Miller  462,  7  (v,  20)  patl 
he  lifes  wces.  Später  he  lifon  be'on  Thorpe  An. 2 112;  mehr  bei- 
s])iele  bei  Toller. 

1348.  hivonnc  gehört  zu  gearo. 

1361.  forö  ist  ferö,  vgl.  oben  v.  1320. 

1429.  Der  punkt  hinter  wonn,  also  Ncbs  ('es  war  nicht') 
neuer  satz,  macht  den  vers  fast  unverständlich.  Aendere  den 
punkt  in  komma  und  lies  ,  nas  mi  for  mode  'und  nicht  meinet- 
wegen aus  Übermut';  vgl.  v.  1442  ic  part  sdr  for  de  Jturh  vaö- 
mvdu  call  gepolade. 

1436.  Ein  anwldta  citiert  Toller  1,46  aus  Leechd.  1,  356; 
es  kann  dem  Zusammenhang  nach  nur  n -loser  acc.  plur.  sein. 
Einen  nom.  sg.  and(u)lata  'antlitz'  nach  dem  Liber  scint.  hier 
anzunehmen  hilft  nichts. 

1444.  heardcwide  ändere  man  in  hearmcwide. 

1483.  fidc  synne  muss  acc.  plur  sein,  regiert  von  purh; 
also  lese  man  firenlusta. 

1506.  cexhwms  v.  1505  steht  nicht  attributiv;  also  hinter 
hyxe  komma. 

1563.  L  fyrena  äfylled  =  firenfuU. 

1584.  Wie  sonst  tioht  —  ivortdd,  Ist  hier  icoruld  =  Ivoht; 
darum  steht  sctnan. 

1593.  L  weorpad. 

1601.  hwwt  gehört  zum  folgenden  vers  und  leitet  den  von 
giman  abhängigen  indirecten  fragesatz  ein;  auf  man  muss  ein 
verbum  wie  fremmaö  (doaö?)  folgen. 

1607  b.  L  synna  tö  wrace,  vgl.  1602  und  1623. 

1632.  äbidan  ist  'bleiben',  folglich  hinter  sinnehte  komma. 
Das  verbum  ist  nie  transitiv. 

1653.  1.  entweder  ende  oder  mit  Sievers  (dem  wol  Mu- 
spilli  14  Up  dno  töd  vorschwebte)  deade.  IAf  bütan  endedtpge, 
das  einem  sofort  einfällt,  ist  metrisch  verwerflich  und  wird 
nicht  gestützt  durch  die  zweite  vershälfte  in  1654.  1655.  1656. 
1657.  1658.  1659. 

1665.  Hier  endet  der  domdoeges  abschnitt,  der  v.  779  ein- 
geleitet mit  v.  868  anhebt.   Was  folgt  ist  ein  selbständiges 


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ANGLOSAXONICA. 


115 


stück  über  das  Schicksal  der  frommen  seele,  welche  die  irdische 
herrlichkeit,  pds  eorpan  wynne,  verlässt:  dass  dieser  ausdruck 
nach  dem  weltbrande  sinnlos  ist,  leuchtet  ein:  die  begnadigten 
am  letzten  tage  werden  en  masse  selig  (v.  1635):  hier  wird 
nur  eine  fromme  seele  von  ihrem  Schutzengel  himmelwärts 
geführt.  In  der  Schilderung  der  himmlischen  wonne  stimmen 
beide  stücke  überein:  vgl.  v.  1640  Jmt  is  se  tpel  und  v.  1683 
Öcet  sind  pd  getimbru.  Lächerlich  scheint  es  mir,  ein  umfang- 
reiches gedieht  OjTiewulfs  v.  1694  mit  einem  fragezeichen  en- 
digen zu  lassen;  ganz  verwerflich  ist  Gollancz'  meinung,  dass 
der  Guj?lae  v.  1666  anfängt,  statt  mit  dem  feierlichen  Manige 
sindon,  wie  der  Heleand  mit  tnanega  wären  und  der  Panther 
mit  demselben  verse. 

1674.  Udfara.  Vielleicht  Uöa  fara(n),  oder,  weil  U{g)da 
c.  gen.  construiert  wird:  Ufa  farc;  aber  to  pdm  hdlgan  kam 
passt  besser  bei  einem  infinitiv. 

1682  und  1685.  Cyninga  cyning  ohne  ealra  als  erster  halb- 
vers  und  hitsel,  während  die  besserungen  in  den  fussnoten 
paradieren,  charakterisieren  diese  ausgäbe.  Ich  hebe  hervor, 
dass  die  lesart  hu  sei  von  mir  schon  längst  vor  Gollancz  vor- 
geschlagen ist.  Dietrichs  'abendmalsjugend'  widerspricht  nicht 
nur  dem  metrum! 

Guf>lac. 

1.  Derselbe  vers  Panther  1. 

2.  Die  einleitung  bietet  viele  Schwierigkeiten.  Hddas 
übersetzt  Grein  mit  'stände',  interpretiert  es  aber  im  glossar 
mit  'personae':  es  wird  hier  aber  wol  'geistliche  orden'  be- 
deuten (vgl.  v.  31);  dann  aber  ist  pd  pe  o%  und  nicht  pd  pe 
in  h  ol$;  auch  braucht  man  dann  nicht  ürisaö  in  ärised  zu 
ändern.  Ich  glaube  dass  der  satz  bloss  diesen  sinn  hat:  'es 
gibt  auf  erden  viele  orden  welche  ein  heiliges  leben  führen', 
und  verweise  auf  v.  462.  Vielleicht  verstehe  ich  den  dichter 
hier  nicht;  jedenfalls  bleibt  mir  der  sinn  von  v.  5  dunkel. 
Auch  die  gödra  Uda  v.  7  contrastieren  merkwürdig  mit  v.  20 
ofer  pd  nipas  Pe  ive  nü  dreogaÖ. 

19.  he  =  heo. 

22.  he,  i.  e.  der  dryhten,  welcher  erst  v.  25  genannt  wird! 
75.  sceolde,  'it  is  said'  Gollancz.   Besser  'sollte',  nämlich 

8* 


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1 16  C08IJN 

durch  weltliche  gelüste  (wotulde  icynnum)  dazu  gebracht.  Die 
ags.  prosa  lautet  s.  12  pd  gemunde  he  pd  strangan  d&da  ]>dra 
unmanna  (lies  iumanna  'priscorum  heroum')  etc. 

81.  frecnessa  fcla  1  viele  gefährliche  abenteuer';  vgl.  v.  99 
fturh  nepinge. 

132.  pröwer -e  ist.  wie  martyre,  nicht  im  strengsten  sinne 
'blutzeuge',  sondern  im  sinne  von  v.  443  und  485  'confessor'. 

140.  Pegan  i.  e.  peogan  'servire';  nebenform  peowan:  Peo- 
wad  v.  62,  peou  de  v.  712.  Aber  v.  432  widerum  pigad,  was 
freilich  auch  als  pihad  gedeutet  werden  kann.  Sonst  erscheint 
nur  öeowian,  ganz  regelmässig  nach  der  d-klasse:  alles  reste 
der  dritten  klasse  von  Sievers  (got.  -piwan  nur  transitiv). 

149  b.  Vielleicht  bloss  ausgefallen  waldendes  tdcn;  Grein 
vermutet  pd  he  waldendes  beacen.  Es  ist  natürlich  Cristes 
rode  tarn  hier  gemeint, 

154b.  1.  eac  dryhtne  cennaÖ  'nächst  gott\ 

158.  1.  cefwstne. 

206.  Man  lese  doch  deaöyeddl  nach  v.  936  1 Scheidung 
durch  den  tod'  oder  ein  tautologisches  compositum;  deaöa  als 
gen.  sg.,  rest  eines  u- Stammes,  begegnet  uns  nirgends  und  der 
gen.  plur  ist  unsinnig:  auch  würde  dies  gerade  das  gegenteil 
ausdrücken. 

239.  in  selimpe.  Vgl.  C.  past,  39,  14  for  his  gelimpe  <for 
Iiis  success,  prosperity'  und  Saints  16,251  cegÖer  ge  on  gelimpe 
je  on  ungelimpe.   Das  glück  macht  übermütig. 

271.  widor.  Vgl.  Beitr.  10, 453  und  Beow.  1340  (feor). 

279.  earda  \  lies  doch  earfoda  mit  Grein  oder  earmtia  nach  41 8. 

288.  sealdun,  vgl.  C.  past.  342, 15  seklun.  Es  bedeutet  hier 
wie  an.  sjaldan  VoL  30, 3  'niemals'. 

294.  sua  mödgade  erinnert  an  siva  bealdode  Beow.  2178. 

322.  weredon  i.  e.  wearedon,  waredon. 

342.  tviÖ  pds  Icenan  gesceafl,  zu  der  auch  mein  körper  ge" 
hört;  vgl.  v.  344  swa  Pe'os  eoröe  und  352.  Was  Gollancz  sagen 
will,  verstehe  ich  nicht:  'in  face  of  all  this  frail  creation'l 
Gvdälan  wid  ist  'trennen  von'. 

345.  fyrcs  tvylme;  vgl.  Öd  söna  wfter  pon  he  geseah  eall 
his  hüs  mid  fyre  äfylled,  aber  erst  in  dem  sechsten  capitel  der 
ags.  prosa  (s.  42),  während  die  cap.  5  geschilderten  quälen  in 
unserm  gediente  erst  v.383  folgen. 


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ANGLOSAXONICA. 


117 


348.  sdrum  forsecan  auch  El.  933.  Für  m  statt  e  vgl. 
biscece  v.  188. 

353.  par  he  fcegran.  Aber  solche  vershälften  mit  allite- 
ration  in  der  vierten  hebung  (s.  Sievers'  Metrik2  §  19,2)  sind 
selten  und  —  verdächtig:  vgl.  Rä.  4,  30  und  56,14.  Greins 
fcegerran  (vgl.  v.  720  b  hwylc  wces  fcegerra)  bringt  alles  ins 
reine:  der  himmel  wird  ßisses  beorges  setle  entgegengestellt. 

362.  woö  öperne  taugt  nicht,  weil  woö  weiblich  ist;  also 
muss  ne  zum  folgenden  vers  gezogen  werden:  ne  lythtvön,  vgl. 
coröre  ne  lytle  Crist  578.  Gollancz  ergänzt  pder  nach  öper, 
wol  richtig.  Leodode  ist  also  ächt  und  die  erste  vershälfte 
ein  D-typus  mit  eingangssenkung  (vgl.  v.  197  a).  S.  weiter 
Sievers,  Beitr.  10, 304. 

382.  <£  pwt  friS  ist  in  ac  pcet  ferÖ  zu  ändern  und  lyfde 
bis  mosten  einzuklammern.  Vgl.  407  und  412. 

430.  Ich  verstehe  hier  weder  Grein  noch  Gollancz  und 
wage  es  dies  myrcels  (=  tuen  'zeichen'  Blickl.  hom.  87, 16)  auf 
die  tonsur  zu  beziehen,  die  das  zeichen  des  edlen  freien  mannes, 
da«  wallende  haupthaar,  entfernt  hat,  Also  deute  ich  pc 
v.  429  als  Py  (vgl.  v.  472)  und  fasse  den  folgenden  vers  (431)  so 
auf:  'mit  diesem  äussern  leben  manche  welche  jedoch  sündigen'. 

446.  eaUlfconda,  füge  hinzu  feto. 

449.  fbrscddene.  Die  bedeutungen  der  C.  past.  134, 16  und 
469, 11  passen  hier  nicht.  'Abgeschieden'  von  der  himmlischen 
Seligkeit? 

471.  wtwist  ist  hier  ' wesen*. 

481.  gestalum  nicht  'in  theft',  denn  die  teufel  haben  nichts 
zu  stehlen,  sondern  mit  Grein  'in  hinterhalten',  vgl.  v.  1113 
und  505. 

483.  Paläographisch  möglich  wäre  me(c)ponne  scildcp,  scüfit 
avinn  on  tveg,  aber  unglaublich. 

577.  Pcawum  dt  hepaticum  findet  man  Gen.  2413.  Thorpes 
jepeahtum  empfiehlt  sich  weniger  als  gepohtum,  denn  'consiliis' 
ist  hier  weniger  passend  als  'cogitationibus'. 

585.  leoht,  sonst  'weit',  bezeichnet  hier  den  himmel,  wie 
Crist  v.  1464  und  in  Ufes  leoht fruma  v.  581,  wenn  dies  nicht 
eine  tautologie  ist,  da  leoht  auch  mit  lif  synonym  ist. 

586.  Vielleicht  on  deaöe  oder  deaÖ  i.  e.  sdwle  deaÖ,  wie 
v.  607. 


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118 


rosuN 


580.  L  hebban:  herenisse  hebban  ist  lof  hebban. 
592.  L  lofian,  parallel  mit  weorpian  im  vorigen  verse. 
596.  kise  bisencte  (vgl.  flöde  b.  Crist  1169)  sc.  in  Jxzt  siisl, 
vgl.  v.  639. 

622.  mtne,  wol  mirce  'schwarze',  vgl.  sivearte  v.  597  und  623. 
Vgl.  v.  881,  wo  statt  minne  ebenfalls  mirce  zu  lesen  ist.  Auch 
die  Aethiopier  heissen  ealmyrce.  Endlich  vergleiche  man  Andr. 
1315  und  Ps.  120,6  (minne  L  mirce?). 

643.  Die  einfachste  besserung  ist  weergnysse. 

656.  duguÖ  d'  drohtaÖ  i.  e.  drohtaÖ  on  wuldre.  Weder 
Grein  noch  Gollancz  stimme  ich  bei. 

664.  ofermwcga  muss  bis  auf  weiteres  stehen  bleiben, 
aber  die  Vermutung  drängt  sich  auf,  dass  ofermmgne  das  ur- 
sprüngliche ist.  Wenigstens  vermisst  man  hier  ungern  eine 
adverbiale  bestimmung  bei  spra»c,  als  gegenstück  von  dwghluttre 
bei  scdn. 

683.  1.  fore  (efestum  metri  causa. 

706.  Ich  lese  monigra  mcegtvlita  mraglum  reordum  trco- 
fu$la  tuddor,  dahinter  komma.  Es  muss  ein  fehler  vorliegen ; 
die  erklärung  'tiere  von  mancherlei  aussehen'  ist  gewis  falsch: 
es  sind  hier  nur  vögel  (vgl.  auch  v.  888)  gemeint  und  der  copist 
hat  den  nom.  eingesetzt  um  ein  subject  zu  bletsadon  zu  schaffen. 

708.  cetc.  Man  muss  Bugge  recht  geben,  wenn  er  aus  an.  dt 
(Beitr.  12,  108)  auf  das  sächliche  geschlecht  des  ags.  Wortes 
schliesst.  Für  das  männliche  kenne  ich  keinen  beleg,  und  das 
fem.  nimmt  man  nur  liier  und  Dan.  506  an.  Vgl.  aber  Ps.  103, 25 
hete  syddan  htm  bismere  brdde  heaklan,  wo  die  nämliche  con- 
struction  von  healdan  vorliegt,  so  dass  nichts  uns  nötigt  an 
unsrer  stelle  einen  andern  casus  als  den  instrumental  sg.  an- 
zunehmen. 

713.  tö  wildrum  (so  zu  lesen),  also  mit  inbegriff  der  vögel, 
welche  Dan.  513  den  andern  tieren  entgegengesetzt  sind. 
716.  war,  das  neue  jähr,  also  den  frühling. 
781a,  Vgl.  Beow.1758. 

791.  Hier  fängt  Gul>lac  II  an.  Warum  keine  neue  ab- 
teilung?  Man  vgl.  besonders  v.  706  und  888  ff.  Die  beiden 
stücke  behandeln  die  leiden,  wunder  und  taten  des  heiligen  G., 
hier  wird  aber  der  tod  ausführlich  geschildert. 

807.  (elda  ist  hier  =  eldo,  gen.  sg.  von  ehl  'scnectus*; 


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ANGL08AX0NICA. 


119 


ylde  Hd  'senectus'  liest  man  Ps.  70,  8.  Was  sich  Grein  und 
Gollancz  in  ihren  Übersetzungen  bei  dieser  stelle  gedacht  haben, 
ist  mir  nicht  recht  deutlich. 

808.  fcerestan  ist  jedenfalls  als  spätere  ws.  form  der  be- 
achtung  wert.  Durch  das  aufgeben  der  cursiven  buchstaben, 
welche  bei  Wülker  die  abweichungen  von  der  handschriftlichen 
lesung  getreu  angeben,  erschwert  Assmann  die  lectüre  dem 
kritischen  leser. 

824.  udgenge.  Das  nämliche  wort,  aber  verstümmelt, 
Blickl.  hom.  185, 14. 

832.  synwrcece  fasse  ich  auf  als  sinwrcece  'ewige  strafe'. 
Ich  construiere:  godscyldge  mcegd  c(-  mcecgas  sceoldon  sipßan 
purh  gdestgeddl  ongyldan  (leiden)  gym  pcere  synwrcece  morpres 
(den  schmerz  der  fortwährenden  strafe  für  ihre  sünde);  deopra 
firena  —  morpres. 

845.  pcer  hi,  ot?  vgl.  Pcer  Rä.  5,9:  se — pcer,  is  qui;  auch 
Gen.  2837?  aber  das  bezweifle  ich  doch,  weil  Öcer  sonst 
nur  nach  se  pe  (se  pe  pcer,  o;;  vgl.  Cura  past,  75, 13.  425,22), 
nach  pcer  {pcer  Pcer,  Pcer  par  'ubi'  0.  past.  220,24.  Boeth.-Fox 
56,11.  /Elfr.  Hom.  1,  86, 21  u.s.w.,  wie  pdpd  'quum')  und  swä 
(swä  der  Ps.  36, 19)  steht.    Also  lese  ich  v.  845  Pe  hi. 

859.  of  sidwegum  (nicht  mit  öl)  auch  El.  282. 

895.  Note.  Grein  hat  in  seinem  glossar  die  'Vermutung' 
für  dum  zurückgenommen. 

923.  pä  se  celmihtga  let  his  Iwnd  cuman  u.s.w.  Vgl.  die 
ags.  prosaXX:  he  söna  ongeat  pcer  him  ivces  godes  hand  tö 
sended  (s.  78). 

944.  Wenn  nur  fylUtn  die  bedeutung  des  afries.  fella  hätte! 
Nach  sceolde  kein  komma,  wol  nach  cyme  v.  945. 

998.  Weder  Ettmüllers  'ossium  morbus'  noch  'erysipelas' 
sind  hier  am  platz. 

1007.  pces  ist  hier  Zeitbestimmung  und  swiee  sdwlgeddles 
bedeutet  hier  das  ausbleiben  des  todes;  also  nach  swice  kein 
komma.  Vgl.  dces  yrnb  lytel  fcec,  dces  on  mergen,  ful  raöe 
dces  etc. 

1011.  on  pisse  . . .  dwg  scripende  ist  instrumental,  s.  Sievers' 
Gr.*  §  237  anm.  2.  §  305  und  §  338  anm.  3. 

1015.  gingra;  vgl.  Phoenix  624.  Crä,  2  und  für  die  bedeu- 
tung ahd.  iucundlih  'jucundis,  dulcis'  Graft  1, 608.    Der  acc. 


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120 


COSIJN 


bei  folgian  ist  selten;  ist  lomhcr  der  lautgesetzliche  dativ  (statt 
lember)? 

1030.  1.  wce(ri)gdropan  nach  hleordropan  v.1315?  aber  1314 
steht  teagor  yöum  weol. 

1045.  sccohn  'die  teufel',  durch  {acnes  frumbearn  v.  1044 
vertreten,  wie  sonstwo. 

1061.  Auch  fast  wörtlich  in  Andr.  294  efne  tö  pdm  lande 
pcer  pe  lust  myned  to  gesecanne.  Ein  drittes  beispiel  von  mynian, 
got.  munan,  -aida  (also  Sievers  jo-,  o/-klasse)  in  den  Engl.  stud. 
18, 332,  7  menige  in  kentischer  form.  Das  von  Grein  angesetzte 
gemynian  existiert  nicht,  weil  die  drei  im  Gloss.  1, 433  an- 
geführten beispiele  conjunctive  von  gemunan  sind. 

1070.  nihtrim,  d.  h.  höchstens  feower  niht  (v.  1107)  der 
vorher  v.  1008  und  später  1114  genannten  seofon  niht.  Also 
bedeutet  swdmode  nicht  'grew  dark',  sondern  'wälzte  sich': 
vgl.  mhd.  sweimen  'sich  schwingen',  and.  stvennen  'schweben', 
an.  sveima  'to  soar'.  Das  compositum  äsirdmian  'weichen, 
schwinden'  nur  in  der  as.  Genesis;  äswdeman  a>t—,  fram  — 
'weichen  von,  fortgehen'  (abgewiesen  werden)  Blickl.hom.41,34. 
Wulfstan  185,8  und  258,2;  und  Saintsl7,203  se  sceocca  sceall 
äswceman  cet  üs.  Endlich  äswceman  =  ponan  hueorfan  unten 
v.  1326.  Man  hat  das  wort  mis verstanden. 

1075.  onwald,  weder  'potens'  (Grein)  noch  'omnipotent' 
(Gollancz),  sondern  'princeps'  wie  Or.  254, 22  (C  anweakki)  und 
284,  20. 

1121.  unwvnne  von  unwvne  (nicht  unwen)  'hoffnungslos, 
dem  tode  rettungslos  nahe'.  Vgl.  Saints  6, 103  vft  he  gchaldc 
on  oÖrc  stowe  dnre  wydewan  sunu  Pe  unwvne  da  l<rg.  Die 
volle  form  unwvne  Iiis  Ufes  M\h\  Horn.  2, 514.  Also  unwvne 
=  (feorcs)  orwena. 

1125.  Vgl.  Beitr.  21, 13  zu  v.  848. 

1127.  Vgl.  Wulfstan  214, 13  mid  dvofles  strMum  awcccen, 
wie  225,  5.   Weiter  unten  v.  1260. 

1153.  on  longne  weg,  vgl.  up  mine  lanyhe  vaert  Reinaert 
1, 2205  und  on  longne  siö  Phoenix  555. 

1168.  in  pvosUrcofan.  Ebenso  El.  833:  also  nicht  =  on 
pd  prüh  der  prosa,  sondern  =  in  sondhofe  'im  grabe'.  Aehn- 
lich  heolstorcofa  Phoenix  49. 

1214.  On  pone  eefteran  verbinde  man  nicht,  wie  Grein, 


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ANGLOSAXONICA. 


121 


mit  anseid,  weil  seid  neutrum  ist.  Auch  Gollancz  tibersetzt 
* tliis  second  hermitage',  aber  davon  ist  nichts  bekannt.  Die 
prosa  s.  86  beweist  dass  das  alles  falsch  ist:  Öan  ceßeran  gearc 
Pe  ic  Jri&  westen  eardode;  also  gehören  on  fione  cefteran  und 
geargemearces  zusammen:  man  erinnere  sich  dass  gear  auch 
männlich  ist 

1305.  ofer  burgsalo,  bei  der  Seereise!  und  das  gehlcestcd 
v.  1307!  curios! 

1313.  htm,  dativ  bei  gemonian  wie  C.  past.  370, 11.  Aber 
an  beiden  stellen  sind  wol  Schreibfehler  anzunehmen. 

1320b.  Vgl.  rtist  623.  Beow.  1424.  Auch  v.  1323  a  und 
1333  erinnern  an  den  Beowulf. 

Phoenix. 

4.  nis  mongum  'ist  nicht  manchem'  (Grein).  Unrichtig: 
litotes  für  'ist  keinem'.  Die  herrliche  gegend  denkt  sich  der 
dichter  mit  anschluss  an  Lactantius  v.  15—20  bewohnt,  vgl. 
v.  1 1  eadgum  und  v.  50—60. 

25.  Vgl.  Beitr.  10, 502.  Aber  6  (oo)  gibt  keinen  genügenden 
sinn;  öwer  ist  hier  das  passende  wort;  vielleicht  bedeutet  hlco- 
tuid  hier  'senkt  sich'. 

47.  bideö,  wie  seomaÖ  v.  19.  Vgl.  Altsächs.  Gen.  323. 

62.  lyfte  gebysgad  i.  e.  winde  gefysed.  Lyß  'wind'  auch 
Crist  991  und  Rä.  11,9. 

72.  wo  —  6,  1.  ne  —  ö. 

77.  ofett  1.  ofete  (vorläge:  ofeti).  Falsch  Grein,  Gloss.  1,  112. 
Das  komma  nach  gehladcnc  ist  zu  streichen. 

103.  ofer  sidne  sce,  nach  der  altgermanischen  Vorstellung 
(vgl.  auch  v.  115),  aber  hier  der  läge  des  berglandes  nicht  ent- 
sprechend. Vgl.  besonders  Sievers,  Anglia  1, 578  und  El.  972. 

121.  se  haswa  fugel,  v.  153  liaswigfedra;  das  ist  der 
Phoenix  aber  nur,  wenn  er  widergeboren  ist,  in  seiner  erneuten 
jugend.  Erwachsen  ist  er  bunt  genug  (v.  291—313)  und  wird 
mit  einem  pfau  verglichen;  bei  Lactantius  v.  74  heisst  er  pur- 
pur  eus. 

136.  Tilge  das  komma  hinter  dem  genitiv  organan.  Uebri- 
gens  ist  Assmanns  abteilung  besser  als  die  von  mir  Beitr.  21, 25 
übernommene. 

148.  bigenga  isl  »-loser  dativ. 


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122  COBIJN 

151.  püsende,  l  püscnd  nach  dem  mitte  annos  von  Lac- 
tantius  v.  59.  Vgl.  weiter  unten  v.  364. 

170.  Die  Pelden'  sind  hier  die  vögel,  denen  der  Phoenix 
entfloh. 

179.  bitres  wiht,  aber  bei  Lactantius  ganz  verständlich 
noccns  animal.  Scyldum  v.  180  kann  nur  auf  ein  wiht  afs 
lebendiges  'wesen'  sich  beziehen.'  Es  muss  ein  Verderbnis 
vorliegen:  ndn  bitter  wiht  klingt  aber  zu  fremdartig. 

191.  purh  gewittcs  wylm  'durch  witzes  wallen'  (Grein), 
also  durch  feurigen  instinct?  Bright  bringt  auch  nichts  be- 
friedigendes. Das  steht  aber  fest,  dass  wylm  hier  im  eigent- 
lichen sinne  'brand'  bedeuten  muss,  denn  nur  durch  Verbren- 
nung erneut  sich  der  Phoenix  (bildlich  se  wiclm  Öws  mödes 
C.  past.  163, 24).  Also  'brand,  durch  seine  Vernunft,  d.  h.  ver- 
nünftig, klug  gestiftet'? 

233.  Man  erwartet  cejes  gen.  sg.  zu  scyUe.  Ein  alter  gen. 
cegeres  wäre  hier  hochinteressant  ;  vgl.  lomber  Gllfl.  1015.  Alade 
ist  hier  intransitiv  wie  v.251  (178). 

240.  brdsd  =  fldesc  v.  259. 

258.  edniwe  möchte  ich  als  instrum.  auf  flcescc  beziehen. 

266.  feprum  deal,  V.  86  feprum  Strong,  v.  347  feprum  snel 
Deal  ist  aber  synonym  mit  wlone  oder  mödij  und  wol  ein  nur 
halb  verstandenes  erbstück  der  agerm.  poesie.  Eine  bedeutung 
'schön,  passend'  taugt  hier  nicht:  weder  das  dalidun  des  Steines 
von  Tune  noch  mhd.  geteUe  beweisen  etwas  für  die  bedeutung 
des  ags.  Wortes. 

284.  In  gottes  namen  komma  hinter  forpylmdel  denn  ascan 
td  eacan  gehört  zu  bdn  gebrinxed,  vgl.  v.  271.  Nur  ausnahms- 
weise, wo  es  unerlässlich  ist,  führe  ich  interpunctionsfehler  an. 
Auch  Grein  verstand  unsre  stelle  nicht. 

301.  gt'byrd  i.  e.  gecynde;  v.  360  in  sexueller  bedeutung. 

302.  stdne  'hyacintho',  das  auch  in  der  C.  past.  nicht  über- 
setzt ist. 

304.  biseted  'eingesetzt';  der  eine  waffe  zierende  stein 
erscheint  als  banden,  scarobunden  (Kä.  21, 3  swylce  beorht  seomaö 
wir  ymb  pone  wad^im  pe  me  wählend  xeaf). 

306.  brt'Ädt  n  als  branden  part.  perf.  pass.  von  brejdan  ist 
unglaublich.  Lies  brogden :  der  copist  Hess  sich  durch  swylce 
täuschen  und  setzte  einen  conj.  praes.  ein. 


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ANOL08AXONICA.  123 

322.  swa  i.  e.  sona  stca,  ponne;  vgl.  v.  41  und  Or.  116,27 
he  ...  pdem  twdm  ddelum  bebead,  swa  hie  feohtan  angunncn, 
pmt  hie  wiÖ  his  fingen. 

330.  ofcr  nach  dem  comparativ  auch  Or.  34, 1  glcawra  ofer 
hi  ealle;  0.  past.  75, 3  Pees  biscepcs  tceorc  sceolon  bion  ofer 
oÖra  tnonna  tceorc  sua  micle  bete  ran  sua  etc. 

331.  Lies  doch  on  gcwritum  und  vgl.  Lactantius  v.  154. 
Auch  v.  425?  Ueber  ond  i.  e.  on  hat  Sweet  (C.  past.  s.  486  zu 
277, 15)  gehandelt. 

343.  wildne  vgl.  201,  466  und  529:  er  ist  ein  dnhaga 
(v.  87,  346). 

364.  urnen  1.  äurnen. 

373.  edgeong  tcesepl  vgl.  edgeong  icesan  v.  435.  Ich  ketme 
bloss  wesap  'erunt'  ßlickl.  hom.  153, 11. 

390b.  Vgl.  450b,  was  wol  auf  die  anfechtung  des  teufels 
deutet. 

512.  1.  byrgennum  mit  Beitr.  10, 462. 

581.  pdr,  zu  allgemein  gefasst.  Lies  pder  htm. 

613.  Vgl.  Rä.  44, 3. 

624.  geongra  gyfhia;  s.  oben  zu  Gu)>l.  1015. 
647.  Eine  andere  deutung  gibt  .Elfric  in  seiner  Gr.  70, 12 
(Xapier). 

Julian*. 

27.  fyricct  1  Ungeduld',  vgl.  v.  40. 

33.  tcyrd  'wie  sich  die  sache  verhielt',  'factum';  nicht 
'geschick'. 

44.  dehte  1.  dhtv. 

90.  yreptceorh  ist  eine  vox  nihili:  pwcorh  bildet  keine  com- 
posita  als  zweites  glied,  und  yre  kann  unmöglich  yrrc  sein, 
weil  dies  unmittelbar  folgt,  livpc  zu  vermuten  liegt  nahe,  aber 
erklärt  die  handschriftliche  lesart  nicht :  ein  zweiter  hauptstab 
wol  mit  vocalischem  anlaut  wird  gefordert. 

91.  1.  glcedmöde;  denn  wer  yrre  gebolgen  ist,  kann  nicht 
glwdmöd  heissen. 

104.  e'ce  eadlufan  wird  mit  moderner  Sentimentalität  durch 
'ewigdauernde  liebe',  iasting  love'  erklärt.  Aber  der  vater 
sucht  nur  einen  steinreichen,  vornehmen  eidam;  er  denkt  nur 
an  das  iiebe  geld\ 

126.  pingrceden  =  pingung  (Beda -Miller  170,23)  =  btn, 


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124 


CORI.TN 


welche  man  mittelst  einer  andern  person  an  jemand  richtet. 
Grein  erklärt  es  frei,  aber  sinngemäss  mit  'braut Werbung'. 

133.  Ii  mc  lifeendre;  vgl.  Schmid,  Gesetze  be  lifietidre  pdere 
bei  lebzeiten  derselben'  yEthered  6,  5  §  1.  Tilge  das  komma 
hinter  lifeendre. 

160.  in  ceringe,  die  lat.  vita  hat  diluculo.  Vgl.  Mc.  1,  35 
on  dering,  Rushw.  on  dringe  i diluculo'. 

190.  Der  lateinische  text  lautet  ecce  prtncipium  quaestionis. 

202.  dohvillen,  eig.  ein  adjectiv  wie  druncenwillen  'ebriosus' 
C.  past.  401, 29,  hier  aber  substantiviertes  neutrum. 

204.  1.  on  pe  />d  grimmestan  etc. 

255.  1.  sigortifr,  denn  onsecgan  ist  transitiv. 

302.  1.  nedde  und  biswdc,  wie  im  vor.  verse  mit  Sievers  drys. 

309.  on  heanne  beam  i.  e.  on  galgan  (v.  310);  vgl.  Schicks, 
v.  16—22. 

313.  Bessere  das  nichtswürdige  asengan  in  äsecgan,  wie 
in  der  note  angegeben  ist. 

352.  Lies  mit  Sievers  eaöe  tna>g  (vgl.  z.  b.  Rä.  56, 7)  und 
natürlich  v.  353  gecxjöan. 

358.  Glaubt  Assmann  wirklich  an  die  existenz  von  geponcg? 

467.  py,  1.  pe,  das  relativum,  womit  es  Grein  auch  übersetzt. 

474.  Ich  übersetze  ;so  dass  sich  (dort)  ihre  letzte  spur 
zeigte',  denn  der  brynv  vernichtete  sie.  Gesyne  wces  oder  tcearp 
steht  absolut,  wie  Beowulf  2947  und  1403.   Anders  Grein. 

479.  Bessere  mit  Frucht  (s.  nachtrage  und  vgl.  Rä.  34, 1) 
mfter  wcegc  =  cefter  wdgum. 

482.  Vgl.  Heleand  4155  drörag  sterban. 

492.  peak  ic.  Unsinn;  1.  pe  ic.  Die  vorläge  hatte  vielleicht 
Pe  i/i  ("  pe  ie),  was  zur  Schreibung  und  einfügung  von  ic  ver- 
anlasste. 

505.  Hinter  swa  (v.  504)  komma,  denn  mircast  mdnweorca 
ist  in  dieser  rührenden  teufelsbeichte  apposition. 

521.  min.  Nur  drei  beispiele  davon  in  Greins  Glossar 
2,252!  Mm? 

560.  Dass  Holthausens  aufsatz  IF.  4,  385  in  diesem  bände 
nicht  erwähnt  wird,  begreift  sich  leicht.  Er  substituiert  ueorc, 
metrisch  vortrefflich.  Belegt  ist  nur  nach  hdlig  von  einsilbigen 
worten  bloss  word,  und  das  passt  hier  recht  gut,  weil  es  sich 
auf  Julianas  predigt  bezieht. 


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ANGL0SA  KONICA. 


125 


570.  pcer,  vgl.  Crist  1313  oben  und  El.  979  und  ändere 
nichts!  Vgl.  meine  Aanteekeningen  op  den  Beowulf  v.  32. 
Also  meahte  mit  ausrufungszeichen. 

678.  XXX.  In  der  note :  Ettm.  Prittig.  Merkwürdige  Va- 
riante! Vgl.  Ra.  23, 1  'LX,  Ettm.  sixttf;  23,4  «IUI,  Ettm. 
feower1  u.s.w. 

Bi  monna  craftum. 

7.  1.  onfoan  (Beitr.  10,  476),  was  für  das  alter  unseres 
gedientes  nicht  indifferent  ist.  Man  vergleiche  weiter  die 
Übereinstimmungen  mit  dem  Crißt:  ( \  (5(33  seow,  Crä.  tosdiveÖ  1 10; 
C.  Sänger  und  redner  667.  Crä.  35  b,  36  und  41—43;  C.  harfner 
008.  Crä.  49;  C.  schriftkenner  670.  Crä.  94;  C.  Schreiber  672. 
Crä.  95  b.  96;  C.  kriegsmann  674.  Crä.  39a.  40;  C.  Schiffer  676. 
Crä.  53b— 58;  C.  gymnast  678.  Crä.  82— 84  a;  C.  Waffenschmied 
179.  Crä.  61—66.  Bloss  der  astronom  Crist  671  und  geograph 
>ist  680b  fehlen  hier.  Endlich  vergleiche  man  Crist  6cS4  pty 
des  kirn  x'telp  seeppe  mit  Crä.  24  ]ty  Ides  he  for  wlence  u.s.w. 

18.  eft,  ebenso  C.  past.  87, 11. 

29.  leopoerceftas.  Aber  das  erste  beispiel  cehte  ist  unglück- 
ich  gewählt,  sonst  sind  die  gliedermässig  verteilten  fähigkeiten 
nd  künste  ziemlich  geschickt  angeführt. 

61.  1.  tvcepenprwce  —  tvige  to  nytte. 

65.  Tilge  das  komma  hinter  rond  und  lies  v.  66  gefiged. 

Bi  manna  möde. 

10.  1.  se  pe  hine  ne  Ideted. 
25.  1.  nnjemete,  adv. 

28.  böd,  aber  Liber  scint.  (Rhodes)  152, 2  se  pe  hyne  bögad 
ui  se  jactat',  wahrscheinlich  eine  falsche  form  aus  bögian 
t  =j)  gebildet.  Das  wort  ist  auch  lelfredisch,  aber  corrupt 
>erliefert:  Boeth.  66,  29  (Cardale  102)  forpdmhe  hine  stva  or- 
üicc  upahof  dt  böde  (Cod.  bodode)  ö<vs  piet  he  udtvita  udere. 

48.  frdete\  vgl.  Zs.  fda.  31, 21  freetc  fedus  (obscenus,  turpis). 

55.   1.  nedsipum;  vgl.  nvdfaru  OET. 

O.'i.  beryfan,  wol  berypan,got.bir(inpjan, Saints3,444'spoliare\ 

Bi  manna  wyrdum. 

7.  fergad  in  der  bedeutung  von  beruö  befremdet;  freogaö? 
43.  Man  lasse  jedenfalls  as.  äpenyian  aus  dem  spiele;  äpeccan 


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126 


COSIJN 


ist  möglich  nach peccan  'consumere',  s.  v.47.  Beow.  3015.  Phoenix 
216  und  365. 

55.  dryhtbealo  nach  folc-,  peodbealo? 

56.  sylfcwala  im  sinne  von  seif  bona  ßio&avarog  erscheint 
in  Logemans  New  Aldhelm  glosses,  Anglia  13, 33  no.  142.  Hier 
begegnet  ein  sylfcwalu  'selbsmord';  für  nemnan  to  s.Boeth.  120,21 
und  Ps.  67, 4. 

63.  Nach  geliealdan  ausrufungszeichen. 

73.  goldsmtp  ist  an.  yuttsmid  'goldschmiedkunst'.  Bedeutet 
hier  geanvad  'beschenkt'  (s.  Grein,  Gloss.  unter  gcgearwian), 
so  lese  man  sum:  sumutn  ist  dann  wol  durch  sume  boceras 
beeinflusst. 

90.  dcedum  sc.  his  frean? 

93  b.  1.  weoroda  nagend  und  vgl.  folca  nervend  Crist  426. 

Wunder  der  Schöpfung. 

69.  1.  on  h'a(h)pe?  onheapo  'in  mare'  (Beitr.  21, 10)  taugt 
hier,  auch  aus  metrischen  gründen,  nicht  und  on  heape  ist 
sinnlos. 

77.  sped  'power'  Blickl.  hom.  179, 9. 

Walfisch. 

—  Vgl.  Zs.fda.9,  422  a  baUmatn,  ran,  diabolum. 
8.  hreofum  stdne,  aber  steine  sind  weder  schorfig  noch 
lepros.   Lies  hreowum, 

10.  sceryric  wird  mit  ahd.  rörahi  'arundinetum'  verglichen. 
Aber  ein  ags.  reor  —  got.  raus  existiert  nicht,  und  von  reor 
kann  eine  collectivbildung  auf  -ic  (vgl.  nl.  esterik  von  estere 
'stoppen';  wenigstens  nach  Verdam,  Tijdschr.  16,  8)  nur  reoric 
lauten.  Dass  auzö  zu  eure  ward,  nicht  zu  eore,  liegt  an  der 
silbenteilung  ea-re.  Man  erwartet  hier  eher  eine  bildung  von 
seewdr:  die  walfischbarten  haben  damit  einige  ähnlichkeit. 

22.  aled,  und  dann  celeö,  worauf  lueled  folgt,  erregt  den 
verdacht,  dass  das  zweite  d>leÖ  aus  wcalleÖ  verdorben  ist.  Das 
ist,  wie  ich  hoffe,  kein  majestätsverbrechen  gegen  die  unver- 
letzbare doppelte  alliteration. 

28.  midpd  nöphlöpe  'mit  der  wagehalsigen  schar'?  Gewis 
eine  wagehalsige  conjectur! 

39.  je/iM-y/c,  nein  hwylc  'einer',  nicht  'jeder'! 


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ANGLOSAXONK'A. 


127 


40.  nn  his  hrhige.  Aber  der  walfisch  ist  gerade  dem  mit 
einem  sunnan  klinge  gezierten  Phoenix  entgegengesetzt;  1.  on 
his  hricge:  sie  setzen  sich  auf  seinen  rücken. 

Bi  dömes  dwge. 

114.  Ein  interessantes  oncicedan  erscheint  Anglia  2.  373 
(von  Wülker  citiert):  omni*  inuocans  cujnt  audiri,  clipiendm 
gehtryle  wnlde  Jjast  kirn  mon  onac&de. 

» 

Höllenfahrt. 

1.  Hirn  ist  fehlerhaft ;  es  sollte  hie  sein,  weil  gierwan 
transitiv  ist.  Vielleicht  aber  rührt  es  wirklich  vom  dichter 
her,  der  bei  gierwan  tö  gonge  an  gongan  dachte:  denn  ongunnan 
him  gongan  ist  correct. 

2.  Cremers  und  Trautmans  deutung  ist  gekünstelt  (s.  Anglia 
19,159);  das  subject  von  iviston  muss  a?fielcunde  mcegÖ  sein  (vgl. 
auch  v.  16  a).  Nach  gutncna  gemot  ist  wol  ein  ganzer  vers  aus- 
gefallen —  oder  gemot  ist  verdorben. 

6.  Richtig  bessert  man  re'onge;  vgl.  auch  El.  1083,  wo  es 
mit  reotan  verbunden  ist,  Acolad  andre  man  nicht  in  das 
sinnlose  gedclad;  die  lagerstätte  '  das  bett1  des  toten  war  acolad 
wie  das  lic  selbst  (Seel.  125). 

17.  ac  bedeutet  in  nicht -west sächsischen  stücken  auch 
'denn'.   Vgl.  Rä.  6,  7  u.s.w.   Passim  im  Beowulf. 

22.  mo?genprymme?  doch  vgl.  74b. 

35.  forbygan  'niederwerfen',  denn  bygan  ist  hier  das  cau- 
sativ  von  bugan  'fallen'. 

Gl.  So  geraten  metrisch  falsche  ergänzungen  in  den  text. 
Vgl.  weiter  Anglia  19, 163  und  IF.  4, 384. 

69.  1.  dre  gelyfad,  vgl.  v.  114  und  Beowulf  1272. 

71.  end.  Wer  an  end  glaubt,  kann  darüber  auch  Scherer, 
ZGdDS.105  (erste  ausgäbe)  nachlesen:  seine  berufung  auf  Otfrid 
5,8,55  taugt  nicht,  weil  dort  enti  'lebensende'  bedeutet. 

105.  nales.  Die  ergänzung  ist  falsch;  Sievers,  der  auch 
v.  78  snottor  gebessert  hat,  warnte  uns  davor.  Lies,  ohne  er- 
gänzung, naldes  i.e.  noldcs  statt  nales,  denn  nur  ein  A-typus 
ist  hier  brauchbar. 

106.  mostan,  1.  ne  möstan  und  v.  115  ymbfoan  und  trenne 
v.  124  ymb  und  stondaÖ. 


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128 


C08IJN 


135.  git  Joluinnis  d.  h.  'du  und  ich,  Johannes'.  Warum 
darf  der  Sprecher  sich  selbst  nicht  nennen? 

Bitsei. 

II,  10.  holme,  nein  helme:,  heim  heisst  die  ' Corona'  eines 
baumes. 

II,  11.  1.  wrecen. 

III,  4.  1.  fdmge  ivealcan.  Also  doch  wider  ein  beispiel  dieses 
seltsamen  Wortes;  vgl.  Beitr.  21, 19  zu  Andr.  1524.  Für  fdmig 
vgl.  Rä.  4, 19. 

IV,  5.  Vielleicht  hceste  (on  enge)  =  ]mrh  hebst  Rä.  16, 28. 
Wenn  wir  einen  alemannischen  text  vor  uns  hätten,  würde  heorö 
einen  trefflichen  sinn  geben;  lies  aber  jetzt  heard. 

IV,  41.  seeo  1.  seeor  und  vgl.  Andr.  512. 
IV,  62  a.  Vgl.  Panther  7? 
IX,  8.  1.  sittaö  sttigende. 

IX,  9.  Der  sceawend  ist  der  sceawere  'scurra'  Wr.-Wü.  519, 3; 
die  scierenige  ist  in  seierniege  zu  ändern:  seeriege  'mima'  Shrine 
140,  seeareege  Lye. 

X,  4.  Nicht  nur  die  interpunetion,  sondern  auch  die  rich- 
tige trennung  der  worte  ändert  oft  den  sinn.  Man  lese  tcel 
hold  mege  uedum  ]>ecciin;  der  vogel  welcher  den  kukuk  ver- 
sorgt, ist  dessen  mege,  denn  beide  gehören  zum  fugoleynne: 
nur  ihm  gesibb  ist  er  nicht  (v.  8),  weil  er  eben  kein  kukuk 
ist.    Vgl.  dnre  mdgan  Rä.  44,  14. 

X,  6.  1.  sue  drlice  (cod.  snearlice). 

X,  10.  Hs.  tetddor,  im  text  wülor,  aber  Rä.  61, 17  hs.  und 
text  beide  tviddor.  Ebenso  bleiben  bisweilen  nach  der  laune 
des  herausgebers  anglische  i  ungeändert,  dann  wider  liest  man 
ein  de  im  texte,  während  die  fussnote  das  ursprüngliche  e  ent- 
hält. Varietas  delectat. 

XII,  6.  möde  bestohtie,  vgl.  Gen.  1579  ferhöe  forstolen. 

XII,  9.  bringeÖ  1.  pringeÖ.  Jlorda  deorast  ist  die  sonne. 

XIII,  11.  deorcum  nihtum,  opp.  feegre.  Vgl.  fegre  'dilueulo' 
Luc.  24, 1  Rushw. 

XIV,  1.  ealra  4 im  ganzen';  die  raufe  hat  also  6  +  4  füsse. 
XI V,  6.  1.  ne  siÖ  ]ty  sdrra. 

XVI,  4.  1.  her  sivylce  suge. 

XVI,  11.  htm,  auf  geogudcnosle  bezogen?  Sonst  wäre  die 


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ANOliOSAXONICA. 


129 


flucht  des  dachses  ganz  unmotiviert:  erst  später  fühlt  er  sich 
sicher. 

XVI,  15.  Entweder  hine  breost  beraÖ  —  oder  etwas  anderes; 
keinesfalls  was  der  text  bietet. 

XVI,  24.  Die  in  den  text  gesetzte  besserung  gif  se  ist 
vortrefflich  und  gifre  metrisch  falsch.  Der  alte  Thorpe  hatte 
bisweilen  vortreffliche  gedanken.   Hinter  secep  v.  25  komma. 

XVIII,  11.  Zwischen  men  und  gemunan  fehlt  ein  wort, 
z.  b.  oft  oder  pcet, 

XX,  5.  rdd  ist  der  runenname,  der  mit  de  und  gifit  den 
gär  bezeichnet. 

XX,  6.  eh  und  wynn  können,  wenn  ein  B-typus  vorliegt, 
stehen  bleiben;  die  alliteration  ruht  dann,  wie  mehrfach  in 
den  rätseln,  auf  der  zweiten  liebung.  Aber  besser  scheint  mir 
die  Umstellung  in  tcynneh,  weil  damit  das  ross  bezeichnet  wird, 
der  wtdldst  ferede  etc. 

XXII,  3.  hdr  holte*  fe'ond,  eine  vortreffliche  kenning  für 
las  eisen,  das  in  der  form  eines  beiles  den  bäum  anfeindet; 
rier  bezeichnet  sie  das  pflugeisen. 

XXII,  4.  Weder  Sievers'  on  wöh,  noch  seine  besserungen 
!4,9  aror;  29,12  hycgan;  40,22  seegan  u.s.w.  finden  wir  auf- 
renommen;  überhaupt  sind  keine  seiner  grammatischen  und 
metrischen  entdeckungen  benutzt.   Auch  ein  system! 

XXn,  5.  Natürlich  py(h)eö  wie  13, 8  und  tyheö  (teheö)  35, 4. 
8,  6,  wie  pe\o)he  45, 1. 

XXII,  15.  hindeweardre.  Genau  nimmt  der  dichter  das 
eschlecht  des  zu  ratenden  gegenständes  (liier  Ödere  sylh)  in 
cht.  Abweichungen  sind  verdächtig;  lies  darum  24,  7  lengra; 
5,  7  bezieht  sich  aber  glado  nicht  direct  auf  den  higoran, 
»ndern  auf  wiht  von  v.  L 

XXV,  9.  Vor  oder  nach  heegl  d'  is  fehlt  ein  stab;  vgl.  auch 
unenverse  20,5  a  und  65,2  a,  wo  dt  einzufügen  ist. 

XXX,  5.  Walde  scheint  im  ags.  nicht  zu  existieren:  wir 
iden  es  hier  in  wolde  'gebessert'!  Auch  49,1  und  50,11  wie 
.  4  wird  fer  in  for  geändert! 

XXXII,  4.  L  nohweedre  statt  no  ;  vgl.  v.  8. 

XXXIV,  7.  Man  erwartet  onbond  nach  Beow.  501. 

XXXVII,  9.  1.  foldwegas. 

XLII1,7.  bec  'buchstaben',  wie  Dan.  735  (Beitr.  20, 115)? 

BeitrEu«  «ur  g«tcbiobte  der  deutschen  spräche.   XX1U.  9 


130 


C08IJN,  ANOliOSAXONICA. 


Aber  der  Schreiber  schrieb  den  text  seiner  rätsei  gewis  nicht 
in  runen,  nur  die  zu  erratenden  Wörter. 

XLIV,  4.  1.  yldo  ne  ddl  gif  htm  drlice  und  v.  5  esne  penad 
sc  pe  he  dgan  sceal.  Die  eingeschalteten  halbverse  tilge  man. 
Se  pe  =  ponc  pe. 

LH,  4.  1.  fieog  i.  e.  fleag  an  hjfte.  wie  Rä.  74. 3  lehrt.  Vor 
fh'-oÄ  semikolon. 

LIII,  6.  Die  Wedlas  heissen  stcearte,  wie  die  Wale  18.8 
wonfeax.    Lies  also  hier  ttonf(e)aks. 

LVI,  15.  1.  onmede  'sich  vermesse'.  Vgl.  onmedla  und 
geanmettan  im  Orosius. 

LVIIL3.  rotve  statt  r6fe?  Vgl.  C.  past.  71, 19. 

LX,  14.  1.  ungefuUodra,  gen.  plur. 

LXXIV,  5.  L  ferÖ  cwicu;  vgl.  feorh  etcico  11.  G  und  14.3: 
endlich  Crist  1320  ford  -  ■  ferö. 

LEIDEN.  12.  juli  1897.  P.  J.  OOSIJN. 


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DIE  DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMM- 
SILBEN VOCALK  IN  DEN  VOLKSMUNDARTEN 
DES  HOCHDEUTSCHEN  SPRACHGEBIETS  AUF 
GRUND  DER  VORHANDENEN  DIALEKT- 
LITERATUR. 

Einleitung. 

Die  Untersuchungen  über  die  frage  nach  der  entstehung 
und  den  grundlagen  der  nhd.  Schriftsprache  erstrecken  sich 
natürlicher  weise  auch  auf  die  in  ihr  geltenden  quantitäts- 
verhältnisse  der  stammsilbenvocale.  Eine  der  wichtigsten 
hierher  gehörigen  fragen  ist  nun  die,  festzustellen,  auf  welcher 
mundart  oder  welchen  mundarten  die  quantitäten  des  nhd. 
beruhen.  Ausser  der  grundlegenden  arbeit  Pauls,  Vocaldehnung 
und  vocalkürzung  9, 101  ff.  befasst  sich  K.  v.  Bahder  mit  dem 
einen  teile  dieser  frage:  der  erhaltung  der  vocalkürzen  in 
seinen  Grundlagen  des  nhd.  lautsystems,  Strassburg  1890,  85  ff. 
Die  frage  ist  aber  erst  dann  vollständig  zu  lösen,  wenn  wir 
uns  über  die  quantitätsverhältnisse  der  hochdeutschen  dialekte 
ausreichend  zu  unterrichten  vermögen.  Bis  jetzt  hat  es  jedoch 
an  einer  zusammenfassenden  darstellung  gefehlt;  nur  für  ein- 
zelne grössere  gebiete  haben  wir  die  notwendigen  nachweise, 
am  vollständigsten  für  das  schwäbische  in  H.  Fischers  Geo- 
graphie der  schwäb.  ma.,  Tübingen  1895.  Einige  zusammen- 
fassende bemerkungen  gibt  Behaghel  in  seiner  Gesch.  d.  d.  spr. 
§22  (Pauls  Grundr.  1,558). 

Meine  arbeit  will  nun  versuchen,  das  material  in  dieser 
hinsieht  aus  der  vorliegenden  dialektliteratur  zu  sammeln,  und 
zwar  soll  ausschliesslich  festgestellt  werden,  in  welchem  um- 
fange die  mhd.  kurzen  stammsilbenvocale  in  den  einzelnen 
dialekten  gedehnt  worden  sind.   Dies  unternehmen  scheint  auf 

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HITZKRT 


den  ersten  blick  nicht  allzn  schwierig,  und  wäre  es  auch  nicht 
wenn  unsere  dialektliteratur  in  dieser  beziehung  ausgiebiger 
wäre.  Jedoch  lassen  uns  die  meisten  dialektarbeiten  hier  im 
stiche;  nur  wenige,  darunter  einige  schweizerische,  geben  in 
zusammenfassenden  gesetzen  vollständigen  aufschluss.  Dazu 
kommt,  dass  erst  die  neueren,  nach  Pauls  aufsatz  erschienenen 
arbeiten  mehr  unser  thema  berücksichtigen;  aber  auch  von 
diesen  stellen  nur  wenige  die  dehnungserscheinungen  zusammen- 
hängend dar  (vgl.  die  recensionen  im  Lit-bL,  im  Anz.  fda.  etc.). 
So  ist  mir  nichts  anderes  übrig  geblieben,  als  zunächst  selbst 
die  dehnungsgcsetze  für  die  untermundarten  —  soweit  sie  lite- 
rarisch behandelt  sind  —  zu  construieren.  Zieht  man  aber 
einerseits  die  mangelhafte  phonetische  Schreibweise,  besonders 
älterer  erscheinungen ,  und  andererseits  die  vielfach  spärliche 
und  gleichgiltige  auswahl  der  beispiele  in  betracht,  so  ist  gewis 
ersichtlich,  dass  das  vordringen  zu  einigermassen  reinlichen 
resultaten  nicht  immer  einfach  war.  Ich  kann  indessen  die 
Versicherung  geben,  dass  ich  alles  was  sich  mir  auch  hinsicht- 
lich meines  themas  geboten  hat,  gewissenhaft  geprüft  habe. 
Manches,  z.  t.  solches  das  ich  erst  auf  umwegen  erhalten  hatte, 
musste  ich  ohne  gewinn  wider  aus  der  band  legen;  für  man- 
chen dialekt  wäre  es  mir  lieber  gewesen,  wenn  die  quellen 
reichlicher  geflossen  wären. 

Wie  sich  aus  den  unten  mitgeteilten  quellen  ergibt,  habe 
ich  auch  dialekt  Wörterbücher  und  -dichtungen  benützt,  aller- 
dings nur  solche,  deren  Schreibweise  zweifellosen  aufschluss 
geben  konnte.  Die  zahl  dieser  ist  freilich  nicht  gross:  einige 
haben  mir  aber  gute  dienste  getan.  Manchmal  habe  ich  zu 
Firmenichs  Germaniens  Völkerstimmen  gegriffen,  und  zwar 
besonders  dann,  wenn  ich  über  den  einen  oder  anderen  punkt 
einer  dialektarbeit  zweifei  hegen  musste.  Grossen  nutzen 
haben  mir  F.  Wredes  berichte  über  G.  Wenkers  Sprachatlas 
im  Anz. fda.  18 ff.  gewährt  ;  ich  habe  sie  treulich  benützt,  nament- 
lich zur  bestimmung  der  geographischen  ausbreitung  mancher 
einzelheiten. 

Was  speciell  das  rheinfränkische  betrifft,  so  habe  ich  auch 
meine  eigenen  Sammlungen,  die  sich  auf  mehrere  orte  beziehen, 
verwertet;  anders  hätte  ich  manche  erscheinung  dieses  dialekts 
nicht  genügend  erörtern  können  (ich  verweise  auf  die  erhaltung 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMM8ILBENV0CALE.  133 


der  kürze  vor  t,  die  dehnung  vor  r,  n  +  dental),  zumal  ausser 
einer  abhandlung  über  eine  rheinfr.-ostfr.  misch mundart  nicht 
eine  einzige  der  hierher  gehörigen,  übrigens  wenigen  litera- 
rischen erscheinungen  die  gesetze  über  vocaldehnung  zusammen- 
hängend behandelt.  Letzteres  gilt  auch  vom  mittelfränkischen, 
die  arbeit  von  Baldes  über  die  Birkenfelder  ma.  abgerechnet; 
doch  sind  hier  die  arbeiten  an  zahl  reicher. 

Bei  der  grossen  Verschiedenheit  unserer  dialektliteratur 
an  innerem  werte  konnte  es  nicht  ausbleiben,  dass  mir  viele 
Unrichtigkeiten  und  schiefe  aufstellungen  begegnet  sind:  wollte 
ich  jede  derselben  beleuchten  und  richtig  stellen,  so  würde 
meine  arbeit  zu  sehr  in  die  breite  geraten.  Ich  beschränke 
mich  deshalb  lediglich  darauf,  die  tatsachen  zusammenzustellen. 
Nur  an  wenigen  stellen  weiche  ich  hiervon  ab.  namentlich 
dann,  wenn  es  neuere  arbeiten  betrifft. 

Wo  ich  dazu  in  den  stand  gesetzt  bin.  gebe  ich  für  meine 
aufstellungen  die  Seiten-  (manchmal  auch,  und  das  ist  danu 
besonders  bemerkt,  die  £-)  zahl  meiner  quellen.  Oft.  sehr  oft. 
ist  dies  unmöglich:  wo  mir  die  literatur  nur  beispiele  bot,  aus 
denen  ich  die  gesetze  zu  abstrahieren  hatte,  musste  ich  von 
diesem  verfahren  abstehen. 

Für  die  gruppierung  des  Stoffes  benütze  ich  die  übliche 
teilung  nach  den  hauptdialekten  des  hochd.  Sprachgebiets:  hin- 
sichtlich des  thüringischen  bin  ich  L.  Hertel,  des  ost fränkischen, 
obersächsischen  und  schlesischen  C.  Franke  gefolgt.  Die  ergeb- 
nisse  rechtfertigen  dies  verfahren.  Ks  zeigt  sich  nämlich,  dass, 
wenn  auch  für  das  ganze  hochd.  Sprachgebiet  mit  ausnähme 
des  hochalemannischen  das  gesetz  der  dehnung  der  mhd.  vocal- 
kürzen  vor  einfacher  consonanz  giltigkeit  hat,  bestimmte  aus- 
nahmen vorkommen,  deren  ausbreitung  mit  der  gewöhnlichen 
dialektbegrenzung  zusammenfällt:  ebenso  ist  ein  zweite* 
dehnungsgesetz.  die  vocallängung  in  ursprünglich  einsilbigen 
Wörtern,  auf  ganz  bestimmte  dialekte  beschränkt:  fernerzeigt 
die  aller  orten  vorkommende  dehnung  in  folge  consonantischer 
einwirkung  ganz  bestimmte  dialektische  färbungen.  Auch  dann 
wenn  ich  eine  dehnungserscheinung  nach  der  anderen  als  ganzes 
zur  darstellung  bringen  wollte,  bliebe  mir  nichts  anderes  übrig, 
als  von  dialekt  zu  dialekt  zu  wandern,  um  die  besonderen 
charakterist ica  zu  zeichnen.  Manche  erseheimmg  spottet  freilich 


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RITZERT 


der  dialektischen  begreuzung:  dies  betrifft  aber  nur  dinge  ge- 
ringeren umfangs,  einzelheiten.  Freilich  ist  zu  beachten,  dass 
die  dehnung  der  mhd.  kürzen  eine  verhältnismässig  junge  er- 
scheinung  ist  und  es  deshalb  nicht  ausbleiben  kann,  dass,  ;da 
die  ursprünglichen  Stammesgrenzen  in  den  wenigsten  fällen 
Verkehrsgrenzen  geblieben  sind',  an  den  grenzen  benachbarter 
dialekte  ein  beständiger  kämpf  der  vocalqnantitäten  herscht 
und  die  Vorposten  des  einen  in  die  bezirke  des  andern  dringen. 
C.  Franke  besonders  weist  in  Bayerns  maa.  1,  20  auf  die  tat- 
sache  hin,  'dass  es  übergangsmaa.  gibt,  die  sich  in  annähernd 
ebenso  vielen  punkten  zu  dem  einen  wie  zu  dem  anderen 
hauptdialekte  stellen'. 

Dass  die  stadtmaa.  wie  in  anderen  dingen  so  auch  in  der 
behandlung  der  vocalquantität  eine  ausnähme  von  der  reinen 
ma.  machen,  bedarf  nur  des  hinweisen 

Ueberblicke  ich  das  ganze  mir  zu  geböte  stehende  material. 
so  kann  ich  mich  selbstredend  der  erkenntnis  nicht  verschliefen, 
dass  es  von  allen  Seiten  her  ergänzt  und  bereichert  werden 
kann.  Das  ist  bei  allen  diesen  arbeiten  der  fall.  Jedoch 
glaube  ich,  dass  die  ergebnisse  im  wesentlichen  dieselben 
bleiben  werden.  Dass  manche  einzelheiten  auf  grund  völlig 
ausreichenden  materials  genauer  bestimmt  werden  können, 
liegt  auf  der  band.  Dieses  kanu  aber  erst  dann  geschehen, 
wenn  die  dialektarbeiten  mehr  als  bisher  ihr  augenmerk  auch 
auf  den  quantitativen  lautwandel  und  nicht  —  wie  bis  jetzt 
so  häufig  —  ausschliesslich  oder  doch  fast  ausschliesslich  auf 
die  qualitativen  laut  Verhältnisse  richten  und  wenn  ferner  beide 
reinlich  getrennt  behandelt  werden,  wie  es  in  unseren  besseren 
dialektarbeiten  geschehen  ist. 

Gerade  auch  in  dieser  beziehung  dürfte  es  an  der  zeit 
gewesen  sein,  dass  die  vorliegende  arbeit  gemacht  wurde.  Sie 
könnte  vielleicht  manche  Verfasser  von  dialektgrammatiken 
veranlassen,  diesem  gebiete  mehr  aufmerksamkeit  zu  widmen, 
sei  es  zur  berichtigung  oder  ergänzung  des  hier  gebotenen. 

Dies  ist  auch  deshalb  notwendig,  weil  die  quantitäten  in 
den  dialekten  mehr  und  mehr  dem  schriftsprachlichen  gebrauche 
zu  weichen  beginnen.  Diese  erscheinung  wird  häufig  con- 
statiert.  Anstatt  vieler  citiere  ich  Wolff,  der  in  seinem  Con- 
sonantismus  s.  77  sagt:  -aus  hundert  canälen  dringen  sprach- 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  135 


einflüsse  in  mancher  gestalt  auf  unsere  maa.  ein  und  langsam 
bröckelt  ein  Stückchen  von  dem  uralten  bau  nach  dem  andern 

ab         Grosser  erfolge  haben  sich  natürlich  die  für  das  nhd. 

arbeitenden  kräfte  zu  rühmen  und  ihre  eroberungen  wachsen 
von  jähr  zu  jähr.  Seine  besten  bundesgenossen  hat  das  hoch- 
deutsche von  heute  am  katheder,  an  kanzel  und  presse.'  Nament- 
lich wird  durch  die  gründlichere  allgemeine  Schulbildung  der 
phonetische  sinn  für  kürze  und  länge  der  vocale  gestört;  dazu 
kommen  die  autorität  der  städte,  die  gesteigerte  industrie,  der 
regere  handel  und  verkehr,  der  bedeutende  einiluss  unseres 
militärs.  Auch  H.  Fischer  erkennt  in  seiner  Geogr.  d.  schwäb. 
ma.  §  7  den  einfluss  der  Schriftsprache  an,  will  ihn  aber 
nicht  in  principiellen  dingen  gelten  lassen;  er  sei  nur  auf  den 
Wortschatz  beschränkt.  Ich  muss  aber  bekennen  —  und  dies 
wird  von  vielen  forschern  bestätigt  — ,  dass  hinsichtlich  der 
vocalquantität  die  schriftsprachliche  beeinflussung  doch  weiter 
geht.  Häufig  finde  ich  angegeben,  dass  das  jüngere  geschlecht 
die  mundartliche  quantität  nicht  beachtet  (beispiele  unten). 
Auch  aus  der  ma.  meiner  heimat  (Bischofsheim  an  der  Main- 
mündung) kann  ich  beispiele  hierzu  anführen  und  zwar  aus 
den  letzten  beiden  decennien.  So  lächelt  dort  jetzt  das  heran- 
wachsende geschlecht  über  die  vocallänge  in  den  Worten  fettig 
und  satt,  und  doch  war  sie  vor  zwanzig  jähren  noch  allgemein 
gebräuchlich.  —  Am  ehesten  gleicht  sich  die  quantität  in  der 
halbma.,  'dem  compromiss  zwischen  Schriftsprache  und  ma.',  aus, 
und  von  da  rückt  die  ausgleichung  in  die  ma.  selbst,  -  Wenn 
es  so  häufig  scheint,  als  ob  eine  ma.  eine  regel  nicht  eonsequent 
durchführe,  so  haben  wir  öfters  die  autorität  der  Schriftsprache 
als  veranlassung  anzusehen,  die  löcher  in  die  einheitlichen  ge- 
setze  reisst. 

An  wenigen  platzen  ist  unter  bestimmten  Verhältnissen 
die  mhd.  kürze  erst  bis  zur  halblänge  gedehnt;  ich  bemerke 
dies  unten  besonders. 

In  den  allermeisten  fällen  sind  in  meinen  quellen  diphthonge 
und  lange  vocale  gleichgesetzt;  vereinzelt  kommen  diphthonge 
vor,  deren  quantität  der  von  kurzen  vocalen  entspricht.  Zur 
Charakterisierung  setze  ich  über  dieselben  das  kürzezeichen  -  , 
das  sonst  nur  vereinzelt  anwendung  findet,  da  die  kürze  durch 
unbezeiehnetc  vocale  gekennzeichnet  ist.  Im  übrigen  bin  ich  bei 
der  ani  ührung  von  belegen  der  Schreibweise  meiner  quellen  gefolgt. 


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136 


RITZERT 


I.  teil. 

Die  dehnungaeracheinungen  in  den  einzelnen  dialekten. 

1.  Hochalemannisch. 

Quellen:  A.  Birlinger,  Die  alemannische  spräche  rechte  des  Rhein» 
seit  dem  13.  jh.  Berlin  1868.  —  H.  Blattner,  Ueber  die  maa.  de*  cantons 
Aargau.  Vocalismus  der  Schinznacherma.  Leipzig,  diss.  1890.  —  H.Fischer, 
Geographie  der  schwäb.  ma.  Tübingen  1S95.  —  Chr.  Hanser,  Die  ;t  Um  ma- 
nische ma.  in  GaltUr  (im  Paznaunthal ,  einem  seitenthale  des  oberen  Inn) 
in:  Rechterheinisches  Alamannien  etc.  von  A.  Birlinger  1890  (Forschungen 
zur  deutschen  landes-  und  Volkskunde  4.  369  ff.)*>  —  J-  Hunziker,  Aar- 
gauer  wb.  in  der  lautform  der  Leerauer  ma.  Aarau  1877  (mit  einleitung, 
die  in  einen  phonetischen  und  etymologischen  teil  zerfällt).  —  J.  Meyer. 
Da«  gedehnte  a  in  nordostalemannischen  maa.,  Schweiz.  Schulzeitung  1872. 
no.  18  u.  19:  in  no.  44— 47  das  gedehnte  q.  —  .1.  Meyer,  Das  gedehnte  e 
in  nordostalem.  maa.,  Frommanns  maa.  7,177.  —  V.  Perathoner,  Ueber 
den  vocalismus  einiger  maa.  Vorarlbergs.  Feldkircher  programm  1S83.  — 
P.Schild,  Brienzer  ma.  1.  teil:  die  allgem.  lautgesetze  u.  vocalismus. 
Uöttinger  diss.  1891 :  2.  teil :  consonantnmius,  Beitr.  18.  301  ff.  —  Schweizer- 
Sidler,  Kecension  von  Weinböhla  Grammatik,  Zs.  f.  vgl.  sprach!.  1 3,  373  ff. 
—  F.  J.  Stalder,  D.  landessprachen  d.  Schweiz.  Aarau  1819.  —  Fr.  Staub. 
Ein  schweizerisch-alemannisches  lantgesetz,  Frommauns  ma.  7, 18  ff.  191  ff. 
393  ff.  —  Fr.  Staub  n.  L.  Tob ler,  Schweizerisches  idiotikon.  Sbde.  Frauen- 
feld 1881.  60.  92.  —  H.  Stickelberger  (1),  Lautlehre  der  lebenden  ma. 
der  Stadt  Schaffhansen.  Leipziger  diss.  1861.  —  H.  Stickelberger  (2), 
(  ousonautismus  der  ma.  von  Schaffhausen,  Beitr.  14,381  ff.  —  K.  Wein- 
hold.  Alemannische  grammatik.  Berlin  1863.  J.  Winteler,  Die  Ke- 
renzer  ma.  des  cantons  Glarns.  Leipzig-Heidelberg  1876. 

§  l.  Während  im  nhd.  rnlid.  kurzer  vocal  in  offener  silbe 
gedehnt  ist,  gilt  für  das  hochalem.  gebiet  das  gesetz,  dass  die 
vocale  der  Stammsilben,  verglichen  mit  denen  des  mhd.,  keine 
wesentlichen  Veränderungen  aufweisen:  alte  kürzen  sind  gröss- 
tenteils gewahrt  (Wint.  120.  Stick.  2,  410.  Schild  l,  §  11.  Per. 
30.  37.  Hauser  370.  Birl.  45.  58. 68.  73.  Weinh.  §  81—87.  Fischer 
§  13  u.  karte  1.  Blattn.  66  ff.). 

Dieses  gesetz  gilt  wie  vom  links-  so  auch  vom  rechts- 
rheinischen Alemannien.  'So  rein,  so  echt  wie  unser  rechtsrh. 
gebiet  diese  quantitätische  messung  einhält,  findet  man  sie  selbst 
linksrheinisch  nicht'.  Birl.  45. 


')  Die  altgaltürer  ma.  wird  jetzt  nur  noch  von  einigen  hochbetagten 
leuten  gesprochen,  während  vor  fünfzig  jähren  noch  allgemein  alemannisch 
gesprochen  wurde. 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSHiBENVOCALE.  137 

Die  grenze  im  N  und  NO  für  diesen  'rest  mittelalterlicher 
quantität'  (wie  Rapp  bei  Frommann  2. 477  sagt)  hat  Fischer 
in  karte  1  seines  Sprachatlas  gegeben.  Der  nördlichste  punkt 
für  sägen,  lügen,  igel,  ofen,  htisen,  hösen  ist  Epfingen  am  oberen 
Neckar;  von  hier  bildet  die  nordwest grenze  eine  nach  SW 
ziehende  linie.  welche  die  Donauquelle  gerade  noch  freilässt. 
Die  nordostgrenze  verläuft  von  Epfingen  in  südöstlicher  rich- 
tung,  die  Donau  unterhalb  Fridingen  und  den  Schüssen  ober- 
halb Ravensburg  überschreitend,  bis  auf  das  linke  ufer  des 
Schüssen;  hier  wendet  sich  die  grenzlinie  dann  nach  S  und 
bildet  somit  den  abschluss  gegen  0.  Bei  allen  sechs  Wörtern 
läuft  die  grenze  'im  selben  sinne,  aber  mit  grösseren  und 
kleineren  ab  weichungen  im  einzelnen'.  So  hat  Ravensburg 
länge  in  sagen  und  legen;  für  letzteres  wort  zieht  die  grenze 
vom  Schüssen  unterhalb  Ravensburg  weiter  nach  0  bis  nahe 
an  die  Hier  und  wendet  sich  dann  erst  südwärts,  doch  so.  dass 
Iiier-  und  Lechquellen  noch  eingeschlossen  werden.  Weiter 
nördlich  verläuft  die  grenze  für  zrhn;  s.  u.  §  23. 

§  2.  Fast  allgemein  aber,  in  Brienz  nur  selten,  ist  in  der 
alem.  ma,  dehnung  des  a  in  offener  silbe  vor  r  eingetreten: 
färc,  bewäre.  Nur  der  canton  Ularus  hat  kürze  (Schweiz,  id. 
1.888.  Wint.  77.  Birl.47.  Fischer  21.  Schild  1,53.  2,370.  Per.  8). 
—  Der  Kerenzerbezirk  im  canton  Glarus  hat  aber  einige  mal 
auch  länge;  so  steht  neben  fune  er-fane;  gedehnt  ist  in  K. 
der  vocal  ausserdem  noch  in  xfa  te  zu  ahd.  karon,  bcri  got.  bust, 
<iri  'ähre'  und  s<Pne  'lärmen'. 

Meistens,  im  canton  Glarus  jedoch  nicht  und  in  Brienz 
nur  vereinzelt,  sind  auch  die  übrigen  vocale  vor  r  gedehnt 
(Wint.  78  [fürToggenburg].  Hunz.  cvi.  Schild  1, 50. 60. 68.  2.370. 
Per.  16.27.  Stick.  §  13.  Birl.  73.  Wreinh.  §33.  38.  40.  48).  Diese 
fassung  schliesst  es  schon  in  sich,  dass  überall  ausnahmen  vor- 
kommen. 

Wo  die  laut  Verbindungen  /•  +  cons.  svarabhakti  vocal  ent- 
wickelt haben,  tritt  ebenfalls  dehnung  ein.  da  ja  der  vorvocal 
in  offene  silbe  zu  stehen  kommt.  Auch  Kerenzen  hat,  obwol 
es  eine  ausnähme  von  unserer  ei*seheinung  macht,  in  einigen 
solchen  fällen  dehnung.  wie  <hrm  (dazu  comp,  ennvr)  und  einige 
andere:  aber  tarem  *darm\  sturem  etc.  Vielfach  ist  sogar  vor 
altem  inlautendem  rr,  das  in  der  ma.  vereinfacht  wird,  ver- 


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138 


K1TZERT 


längerung  des  vorprellenden  vocals  eingetreten  (vgl.  Wint.  79. 
Stick.  2, 388  anm.  Hunz.cvi.  Blattn.68.  Per.  16.  21). 

§  3.  Eine  ausnähme  von  obigem  gesetze  (§  1)  macht  die 
Fricktaler  ma.  (das  Fricktal  ist  der  nordwestliche  teil  des 
cantons  Aargau);  hier  sind  die  vocale  gedehnt,  die  in  den 
übrigen  Aargauer  maa.  als  kürzen  erhalten  sind  (Blattn.  30: 
b<Y(lf,  wdrse  i wesen',  rö"gel  <  rogel.  Nach  Blattn.  38  wird  im 
Fr.  langer  vocal  in  starker  silbe  fast  immer  —  wenn  mit 
emphatischem  accent  belastet  stets  —  mit  zweigipfeliger  ex- 
spiration  gesprochen  (zeichen '  ).  —  P'erner  neigt  die  Züricher 
ma.  zur  dehnung;  s.  Schweiz.  -  Sidler  374.  375.  378.  379:  grabe, 
labe,  nere,  zerc  etc.,  aber  äbc,  rät  er,  ehegel,  i  glbe,  tölc  <  doln  etc. 

Schaffhausen  dehnt  den  vocal  in  offener  silbe  vielfach  vor 
liquiden  und  nasalen:  s.  Stick.  2,  §  13.  14  smeUr  comp.,  brems 

<  bre'me,  spilor  plur.  v.  spil,  fand  <  ranc;  aber  verb.  spild,  nanu 
'name*.  woiw  •wohnen'  etc.  —  Die  wenigen  fälle  wo  in  Brienz 
vor  inlautender  lenis  dehnung  eingetreten  ist,  lassen  sich  auf 
analogiewirkungen  oder  nhd.  einfluss  zurückführen;  s.  Schild 
1,  §  111  und  2,377. 

Zahlreicher  sind  die  Verlängerungen  in  zweisilbigen  Wör- 
tern in  Leerau  (canton  Aargau).  Hier  wird  ausser  vor  in- 
lautendem r  die  alte  kürze  gedehnt  vor  n,  jedoch  nicht  immer: 
Hunz.  xcv,  vor  /  ausnahmsweise,  xeix,  und  vor  m  nur  in  zwei 
fällen,  lxxiii:  brämi  <  brem  und  rdme  <  rem.  Letzteres  ge- 
hört also  eigentlich  nicht  hierher,  da  es  sich  um  ursprünglich 
auslautendes  m  handelt  (s.  u.).  Weiter  haben  in  L.  eine  anzalü 
nomina  und  verba  mit  inlautendem  g,  d,  b  und  auch  vereinzelt 
mit  länge  eines  vorhergehenden  a  und  r,  nur  ganz  selten 
eines  andern  vocals:  säge  ' sagen",  mager  (auch  mit  kurzem  a), 
lese  'lesen',  wage  <  wegen,  rebe  <  rebe.  näse,  globe  <  geloben; 
in  den  flexionsformen  auf  st  und  /  der  verba  grabe,  lade,  zage 
etc.  erscheint  der  vocal  wider  kurz;  s.  Hunz.  xxiv  ff. 

In  (Taltür  ist  in  offener  silbe  mhd.  e  öfter  gedehnt:  fäder<* 

<  vettere,  Idsd  <  lesen  etc.  Von  den  Vorarlberger  maa.,  'in 
denen  der  hochton  die  alte  kürze  nur  in  beschränktem  masse 
zu  verdrängen  vermochte',  nimmt  der  Bregenzer  wald  und 
besonders  der  Innerwald  desselben  eine  Sonderstellung  ein.  da 
er  die  unechten  längen  in  bedeutendem  umfange  begünstigt: 
s.  Per.  30:  Idda  <  luden,  haha  <  V'ben  (regelmässig  ist  e  ver- 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMM8I LBEN  VOC  ALE.  139 

treten  durch  ea),  hbso  <  hose,  kügol  'kugel',  stübo  'stube'  etc.; 

aber  kurz  bleiben  legen,  segen  'sagen'  (sega  im  Bregenzer  wald), 

zella  <  zeljan,  gegen,  kegel  u.  a. 

Anm.  Die  dehnnng  des  mhd.  /*  erstreckt  sich  hier  noch  Uber  den 
umfang  der  dehnung  im  schriftdentschen :  schtrod  *  schritt schleoz  'schlitz', 
breoeht  'bricht',  fisch,  yenehier,  ren'era;  ebenso  rol,  rbs  'ros*';  bus  'besser*. 

Das  Walserthal  duldet  wie  der  Innerwald  kurzes  a  im 
allgemeinen  fast  nur  da  wo  es  auch  nhd.  erhalten  ist.  Mon- 
tavon  dehnt  a  in  offener  silbe  ausser  vor  r  auch  vqr  l:  zäla, 
tcdla,  aber  nicht  immer;  dasselbe  gilt  für  den  Walgau.  nur 
dass  hier  auch  e  regelmässig  ea  wird:  seagas  <  segense,  auch 
vor  eh:  leacha  <  lecken:  'ausnahmen  wie  epper  <  et  wer  stehen 
ganz  vereinzelt  da.'  Im  Walgau  und  Montavon  wird  'dann 
und  wann,  hier  und  da,  auch  in  anderen  Wörtern  mit  a  länge 
gehört'  (s.  Per.  12,  anm.  4). 

§  4.  Für  alle  die  schweizerischen  dialekte  welche  voeal- 
kürze  im  inlaut  bewahrt  haben,  gilt  das  gesetz,  dass  in  ein- 
silbigen Substantiven  und  adjectiven  mit  stammauslautender 
nasaler  und  liquider  lenis  der  vocal  gedehnt  wird  (Wint.  68  (2) 
und  76.  Blattn.  66.  Hunz.  xxiv.  lxxiii.  Stick.  2,  410.  Birl.  47. 
Per.  10, 11  ff.;  s.  auch  Heusler,  Konsonantismus  von  Baselstadt 
s.  14).  Ks  ist  hierbei  gleichgültig,  ob  die  lenis  ursprünglich 
auslautete  oder  erst  durch  abstossung  eines  vocals  auslautend 
geworden  ist  (Wint.  82.  Hunz.  lxxiii).  Der  gedehnte  vocal 
behält  seine  quantität  in  der  flexion  und  in  den  ableitungen. 
Blattn.  hol  'hohl',  holi  f.;  begdr  <  bvger,  bigrirc;  sbU,  aber 
sbiler,  sbtle;  Wint.  fil,  aber  filixt;  law  'lahm',  lemi  (in  Leerau 
aber  der  comp,  lemer);  täl,  aber  pL  fefer., 

Anstatt  der  Verlängerung  des  vocals  tritt  in  einigen  Wör- 
tern Verdoppelung  der  liquida  ein;  in  Kerenzen  xell  n.  'kehl- 
stück'; in  Toggenburg  auch  fill  'viel',  tromm  <  ahd.  drum  "end- 
stück  des  fadens',  daneben  trömli  dim.,  tili  neben  til  m.  <  ahd. 
dilo;  Wint,  69.  In  T.  haben  ferner  die  betonten  dative  imm, 
icemm,  demm  =  ihm,  wem,  dem,  kurzen  vocal  (Wint.  70;  vgl. 
hierzu  Heusler,  Beiträge  zum  consonantismus  s.  13). 

Wenn  auch  eine  fast  durchgehende  regelmässigkeit  in 
bezug  auf  das  bestehenbleiben  der  vocallänge  in  der  flexion 
herscht,  so  stösst  man  in  der  ableitung  und  Zusammensetzung 
doch  oft  auf  wort  formen  die  der  regel  widersprechen.  Nament- 


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140 


RITZE  RT 


lieh  hat  sich  in  Zusammensetzungen,  deren  bestandteile  nicht 
mehr  klar  erkannt  werden,  die  alte  kürze  erhalten,  wo  sie 
dem  einfachen  werte  abhanden  gekommen  ist:  Sctr-wb^br  — 
aber  sär  'schar',  mm  —  aber  mmr.  In  dieser  beziehung  ent- 
scheidet alter  und  herkunft:  vgl.  Wint.  68:  was  ans  der  zeit 
vor  der  dehnung  stammt  oder  mit  anlehnung  an  erhaltene 
kürzen  gebildet  ist.  hat  die  kürze  bewahrt;  was  von  bereits 
gedehnten  formen  gebildet  ist,  zeigt  die  dehnung;  ebenso  Blattn. 
68  und  69.  der  darauf  hinweist,  dass  analogiebildungen  und 
aeeent Verhältnisse  —  auch  tonische:  es  kommt  darauf  an,  ob 
ein  wort  im  satzanfang  oder  aber  im  satzausgang  zu  stehen 
pflegt  in  jedem  einzelnen  falle  den  ausschlag  geben.  Für 
die  Schinznacher  ma.  kommt  zudem  der  einfluss  der  zur  deh- 
nung neigenden  Fricktaler  ma.  in  betracht. 

In  Brienz  ist  vor  auslautender  sonorlenis  hauptsächlich 
nur  a  gelängt,  doch  nicht  durchgängig:  dehnung  des  c  findet 
sich  sehr  selten  (Schild  1,85).  l'ebrigens  tritt  diese  dehnung: 
fast  nur  vor  auslautendem  /•  ein  (Schild  2, 867.  870);  wenn  sich 
ganz  vereinzelte  fälle  vor  /  und  n  finden,  so  beruhen  diese 
auf  nhd.  einflusse  (Schild  2.  866.  876).  Kinzelne  ausnahmen 
kommen  überhaupt  an  jedem  orte  vor. 

In  der  (Taltürer  ma.  tritt  die  dehnung  in  einsilbigen  Wol  - 
tern besonders  dann  ein,  wenn  der  stamm  auf  r  oder  l  schliesst. 

Auf  verbalformen  hat  das  gesetz  der  dehnung  vor  aus- 
lautender einfacher  liquider  oder  nasaler  lenis  keine  anwendung 
(Wint.  60.  Hunz.  lxxiii.  xcvi.  r.  Stick.  2,  412.  418.  Blattn.  66). 

Da  in  Leerau  nach  Hunz.  cvn  auslautendes  r  in  betonter 
silbe  aber  'ausnahmslos'  dehnung  der  vorangegangenen  kürze 
bewirkt,  so  also  auch  in  diesen  formen. 

§  5.  Aus  der  neigung  der  alem.  ma..  den  vocal  vor  aus- 
lautender lenis  zu  dehnen,  erklärt  es  sich,  dass  in  einer  nicht 
grossen  anzahl  von  Wörtern  auch  alte  liquide  und  nasale  fortis 
wie  lenis  behandelt  wird:  s.  auch  §  2  am  schluss.  Diese  eigen- 
heit  überträgt  sich  ebenfalls  auf  den  inlaut,  doch  nicht  immer: 
Wint.  70.  76  fdl  -  fall'.  fH,  pl.  frier:  Mm,  pl.sVrfvwp;  mä  'mann*, 
aber  pl.  mannt?;  st  in  'Poggenburg,  aber  sinn  in  Kerenzen  (vgl. 
femer  Stick.  2,  385,  886.  Blattn.  67.  68.  Hunz.  xcv.  c.  CVU.  BW. 
47.  59.  Schild  2. 866.  870.  871).  —  Am  seltensten  wird  der  vocal 
vor  altem  mm  gelängt:  mit  der  dehnung  vor  nn  ist  schwund 


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DEHNUNG  DER  Mlll).  KUKZKN  8TAMMSILUENVOCALE. 


141 


desselben  verbunden,  ebenso  wie  vor  einfachem  h;  die  kürze 
bleibt,  wenn  nn  bleibt.  —  Dass  vor  inlautender  liquider  und 
nasaler  fortis,  parallel  zu  rr,  Verlängerung  eintritt,  kommt  auch 
vor,  jedoch  sehr  selten;  vgl.  Hunz.  xcix  lale  •lallen',  xcv  päne 
bannen'.  Im  rechtsrheinischen  Alemannien  werden  die  alten 
7  (//)  in  den  schw.  verben  scharf  gesprochen,  so  dass  e  alte 
üirze  zeigt:  schella  'schälen'  (Birl.  52). 

S  6,  Auch  Wörter  auf  andere  (als  liquide  und  nasale) 
infache  lenis  dehnen  in  einsilbigen  formen  den  stammvocal. 
m  gegensatze  zu  §  4  zeigen  sie  die  kürze  meist  in  den  mehr- 
ilbigen  flexionsformen,  ferner  in  enger  Verbindung  mit  anderen 
örtern.  sei  es  in  Zusammensetzungen  oder  stereotypen  wen- 
ungen.  Die  dazu  gehörigen  ableitungen  haben  teils  kurzen, 
ils  langen  vocal.  Beispiele:  (pab  plgreber;  smid  pl.  stnid); 
'dff  'klage',  aber  verb.  xlag*  (in  Schinznach  mit  langem  a) 
id  xXtger  m.;  glas  pl.  gkser,  dim.  glesli\  höf,  dim.  höfli  (in 
Denzen  mit  langem  vocale)  etc. 

Für  die  Brienzer  ma.  gilt,  was  Schild  1, 85  sagt:  'die  ma. 
hört  zu  der  kleinen  Sprachsippe,  welche  den  vocal  vor  aus- 
itstellung  der  geräuschlenis  nicht  gedehnt  hat. 

In  Kerenzen  haben  mehrere  Wörter  auch  in  der  flexion 
lehnten  vocal  (\Yint.  82).  In  Leerau  tritt  nach  Hunz.  xxiv 
in  dehnung  im  einsilbigen  worte  ein.  wenn  es  am  ende  des 
zes  steht  oder  doch  den  hauptaccent  im  satze  hat;  die  kürze 
cheint  'häufig'  wider  beim  antritt  weiterer  silben  durch 
ammensetzung,  ableitung  oder  flexion,  ja  schon  das  8  im 
itive.  —  In  Schaffliausen  finden  wir  diese  erscheinung  vor- 
sweise  in  Wörtern  mit  a  und  e,  seltener  in  solchen  mit 
ei-en  vocalen  und  zwar  durchgängig  nur  in  pausastellung 
Wortes,  während  im  Satzzusammenhänge  und  in  zusammen- 
lingen  die  ui*sprüngliche  quantität  erscheint  (Stick.  2,  414 
16).  —  In  der  Schinznacher  ma.  erleidet  unser  gesetz  vor 
osiver  lenis  nur  sehr  wenige  ausnahmen,  dagegen  ist  vor 
in  t  ischer  lenis  die  dehnung  nur  in  wenigen  Wört  ern  ein- 
eten:  höv  'hof  etc.  (Blattn.  67.  68). 
Im  AValgau  und  besonders  in  Montavon  begegnet  ebenfalls 
e  in  einsilbigen  Wörtern,  wenngleich  nicht  allgemein,  da- 
n  wider  die  kürze  in  den  fällen  wie  oben  (Per.  10  f.).  Für 
rechtsrhein.  Alemannien  stellt  Birl.  45.  52.  58.  68.  74  das 


142 


KITZ  K  KT 


gesetz  auf,  dass  sich  in  einsilbigen  Wörtern  nur  selten  'spuren- 
weise'  die  kürze  erhalten  hat  ;  vgl.  auch  Wrede,  Anz.fda.  22.324: 
einige  orte  am  nordwestrande  des  Bodensees  haben  kürze  in 
ho  f.  Ebenso  ist  nach  Fischer  s.  19  die  formel  -  gegen  » — * :  i  sag 
aber  sägd  für  jene  gegend  gesichert.  Wenn  Fischer  s.  19,  anm.  1 
sagt,  dass  öfters  auch  sag,  käs  'hase'  angegeben  sei  und  femer 
hinzusetzt:  'wie  weit  das  richtig  ist,  kann  ich  nicht  consta- 
tieren',  so  finden  wir  die  erklärung  bei  Stick.  2, 414 — 416  (s.  o.). 

Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  Stammheim  im  canton 
Zürich  bei  den  hierher  fallenden  Wörtern  durchweg  auch  in 
der  einsilbigen  form  die  alte  kürze  bewahrt  (Wint.  82). 

§  7.  Bis  jetzt  haben  wir  den  einfluss  auslautender  lenis 
auf  den  vorvocal  verfolgt,  der  für  die  hochalem.  maa.  klar  vor 
äugen  liegt.  Durch  ihn  werden  moderne  dehnungen  geschaffen, 
die  wir  als  ausnahmen  von  dem  hauptgesetze  zu  fassen  haben, 
dass  die  organischen  quantitätsverhältnisse  dort  noch  die  des 
ahd.  und  mhd.  sind.  W  eiterhin  wirken  aber  auch  gewisse 
consonantengruppen,  in  erster  linie  liquid-  und  nasalverbin- 
dungen,  verlängernd  auf  den  vorhergehenden  vocal  ein. 

§  8.  Wir  wenden  uns  zunächst  zu  den  r  -  Verbindungen, 
deren  dehnender  eigenschaft  wir  im  ganzen  gebiete  begegnen, 
freilich  nicht  überall  im  gleichen  umfange.  In  der  Schinz- 
nacher  ma.  ist  die  dehnung  vor  r  -f  consonanz  'fast  immer' 
eingetreten;  s.  Blattn.  (58,  der  auch  die  nicht  zahlreichen  aus- 
nahmen verzeichnet,  an  denen  alle  vocale  und  fast  alle  »  -Ver- 
bindungen beteiligt  sind. 

Hunz.  cvi  und  cvn  unterscheidet,  ob  die  r- Verbindung  in- 
oder  auslautend  ist,  obwol  für  beide  fälle  die  regel  gilt,  dass 
der  vorvocal  häufig  gedehnt  wird,  fast  ebenso  häufig  aber 
nicht.  Im  einzelnen  gilt  für  Leerau  folgendes:  vor  in-  wie 
auslautendem  rch  erscheint  nur  die  kürze  mit  ausnähme  von 
iverch  <  w'erc;  vor  inlautendem  rtsch,  rst,  rpf,  rdl,  rdn  und  rbl 
erscheinen  nur  lange,  vor  rsch  und  rf  nur  kurze  vocale;  vor 
anderen  r- Verbindungen  schwankt  die  quantität:  vor  auslauten- 
dem ry,  rst,  rz,  rsch  (scJi  =  scharfes  sch),  rd,  rs,  rpf  gilt  nur 
länge,  vor  rn  unterbleibt  die  dehnung  mehrfach,  ebenso  in 
herpst,  und  schwankend  ist  die  quantität  vor  rt,  rb,  rm,  rf, 
rgy,  rsch.  Wo  in  folge  der  flexion,  ableitung  oder  Zusammen- 
setzung die  auf  r  -f  cons.  auslautende  silbe  aufhört  die  letzte 


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DEHNUNG  DEtt  MH1>.  KURZEN  STAMMSILBEN VOC ALE.  143 

zu  sein,  auch  in  alten  formelhaften  redensarten.  erscheint  häufig 
wider  die  alte  kürze:  herd,  aber  herdöpfel,  zart,  aber  gerter, 
schwärz  (auch  kurz),  aber  schwerzer. 

In  der  Brienzer  ma.  werden  mit  einziger  ausnähme  von 
maryän  —  mane  o  und  ö  durchweg  gelängt  (besonderes  cha- 
rakteristicum  der  ma.);  a,  dessen  umlaut  ä,  sowie  e  sind  ge- 
dehnt worden,  doch  nicht  durchgängig;  u  und  i  erfahren 
dagegen  vor  r-  Verbindungen  niemals  dehnung  (Schild  1,  85. 
2, 371  ff.).  Nicht  ist  aber  gedehnt  der  vocal  vor  rw  (Schild  2, 373). 

In  Kerenzen  veranlasst  r  +  cons.  •häufig'  dehnung  des 
voraufgehenden  kurzen  vocals  und  in  'Poggenburg  noch  häufiger; 
so  bietet  T.  vor  rm  und  m  durchaus  dehnung;  vgl.  Wint.  79: 
•dabei  gehören  die  betreffenden  dehnungen  in  T.  zu  der  kate- 
gorie  derjenigen  langvocale,  die  eben  den  ersten  schritt  über 
die  kürze  hinaus  zur  dehnung  getan  haben  und  nicht  immer 
leicht  von  dieser  zu  unterscheiden  sind.'  •  Manche  einzelfälle ', 
sagt  Wint.  80,  'welche  aber  wider  nicht  zu  andern  stimmen, 
legen  die  Vermutung  nahe,  dass  die  erhalt ung  der  kürze  in 
den  betr.  fällen  durch  einen  frühern  hilfsvocal  zwischen  dem  / 
und  dem  ihm  folgenden  consonanten  bedingt  gewesen  sei'  (s.o. 
§  2).  Wint.  führt  s.  81  auch  einige  fälle  an,  wo  r  vor  cons. 
geschwunden  ist;  von  diesen  hat  nur  f&k  Berkel'  dehnung. 

Bei  der  dehnung  vor  r  +  cons.  kommen  in  Schaffhausen 
nach  Stick.  2,  389  ff.  abweichend  von  den  meisten  andern 
Schweizer  maa.  nur  die  vocale  ti.  e  (sei  dies  durch  umlaut  oder 
brechung  entstanden,  nicht  aber  <•),  h  (nicht  aber  6)  und  dessen 
umlaut  ö  in  betracht.  Ein  striktes  gesetz  über  diese  Verlänge- 
rung lässt  sich  nicht  feststellen-  doch  gilt  als  regel,  dass  der 
umlaut  in  ein  und  demselben  worte  die  gleiche  Quantität  hat 
wie  sein  grund vocal,  abgesehen  von  dem  umlaut  c  des  a; 
lautet  a  in  c  um,  so  hat  das  grundwort  länge,  das  umgelautete 
kürze:  surft  —  scrpr.  Dasselbe  Verhältnis  waltet  beim  ablaut 
ob:  tärft  —  törffd.  Fast  durchgängig  werden  a,  h  vor  r  -f  nasal 
gedehnt,  während  in  der  Verbindung  om,  wo  die  meisten 
Schweizer  maa.  gedehnten  vocal  haben,  kürze  herscht;  doch 
heisst  es  tsom  izorn\  mom  neben  morg9  und  hrninn  Ordnung'. 
Auch  andere  consonanzen  bewirken  in  Verbindung  mit  r  deh- 
nung von  vocalen,  ohne  dass  sich  indes  gemeinsame  gruppen 
herausfinden  lassen.   Stick,  gibt  deshalb  a.a.O.  392 ff.  in  er- 


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144  RITZBKT 

mangelung  fester  gesetze  in  tabellen  ein  bild  des  Verhaltens 
der  vocale. 

Für  das  rechtsrhein.  Alemannien  gilt  das  gesetz,  dass  a 
vor  r  -f  cons.  regelmässig  verlängert  wird  (Birl.  47.  Fischer  21). 
Auch  andere  vocale  erscheinen  gedehnt,  aber  keineswegs  immer 
(Birl.  52.  53.  59.  60.  69.  76).  Häufig  fällt  r  aus:  hüt  'hurde\ 
wit  'wirf.  —  In  den  Vorarlberger  maa.  zeigt  sich  das  be- 
streben den  vocal  zu  dehnen,  '  freilich  ohne  strenge  consequenz' 
(Per.  8.  11.  15.  21.  27.  29.  30).  In  betracht  kommen  hier  die 
Verbindungen  rb,  rch,  rf,  ry,  rk,  rm,  rn,  rst,  rt,  rtc,  rz.  Am 
weitesten  geht  auch  hier  der  Bregenzer  wald  (bes.  der  innere), 
in  welchem  r  regelmässig  schwindet  (Per.  11). 

Auch  für  die  Galtürer  ma.  gibt  Hauser  beispiele  mit  und 
ohne  dehnung;  das  material  ist  aber  nicht  umfangreich  genug, 
um  besondere  gruppen  zusammenstellen  zu  können. 

§  9.  Nunmehr  erörtere  ich  eine  dehnungserscheinung,  über 
die  Staub  bei  Frommann  7  gehandelt  hat  und  die  er  s.  377  in 
folgenden  Worten  zusammenfasse  4  im  hochalem.  Sprachgebiete 
verschwindet  der  nasal  (n,  auch  m  und  »)  vor  den  Spiranten 
f,  s,  sch,  ch  und  ihren  verwanten  lauten,  immerhin  so,  dass 
die  vocalisierung  vor  der  gutturalspirans  ch  vorzugsweise  von 
den  sog.  burgundischen  Alemannen  (Bern,  Freiburg,  Wallis 
und  teilw.  Bündten)  gepflegt  wird.  Dem  verschwinden  des 
nasals  ist  dehnung  des  vocals  durch  denselben  vorausgegangen 
und  zwar  werden  a,  ä,  e,  e  hier  zu  ä,  ä,  e,  dort  zu  au  und  ei. 
Auch  aus  i,  u,  ü  ersprossen  in  einem  beschränkten  geographi- 
schen gebiete,  in  dem  nordwestlichen  vierteile,  diphthonge; 
dagegen  hält  die  Gebirgsschweiz  namentlich  an  altertümlicher 
einfachheit  fest,  in  einzelnen  maa.  sind  die  lautverhältnisse 
complicierter.  Unser  lautprocess  kommt  nicht  in  activität 
vor  s  der  declination  und  nicht  in  den  nebensilben;  in  der 
composition  nur  dann,  falls  diese  ihren  ursprünglichen  Cha- 
rakter aufgibt  und  den  schein  der  ableitung  annimmt.  Auch 
übt  später  eingeschobener  (unorganischer)  nasal  die  geschil- 
derte Wirkung  auf  den  vorangehenden  vocal  nicht  aus'  (s.  auch 
Wint.  73  (2)  und  123.  Schild  2,  378  ff.  Hunz.  lii  ff.).  Beispiele: 
häf  oder  häuf  'hanf',  pfl&pr  oder  pfcistcr  'fenster',  hest  oder 
hcist  'hengsf,  trixän  'trinken'. 

In  der  stadtma.  des  cantons  Aargau  gilt  obiges  gesetz 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  145 

nicht  (Blattn.  40).  —  Die  Leerauer  ma.  verwandelt  die  gruppe 
-tmf  regelmässig  in  -umf:  fernumft. 

Für  das  rechtsrhein.  Alemannien  hat  unser  gesetz  ebenfalls 
giltigkeit,  nur  finden  wir  hier  den  gedehnten  vocal  nasaliert, 
während  die  Schweizer  maa.  mit  ausnähme  von  Simmental, 
Inner-Rhoden  mit  einem  teile  des  Rheintales  die  nasalierung 
nicht  kennen  (vgl.  Staub  366.  367.  Fischer  22.  BirL  48.  59.  70. 
Per.  8. 9. 17.22.31.  Häuser). 

Durch  diese  nasalierung  berührt  sich  das  rechtsrheinische 
Alemannien  mit  dem  schwäbischen;  es  ist  aber  scharf  geschieden 
von  ihm  durch  den  umstand,  dass  ersteres  einfache  länge,  letz- 
teres aber  mit  ausnähme  des  NO  diphthongierung  hat.  Cha- 
rakteristisch ist,  dass  die  grenze  dieser  erscheinung  mit  der 
grenzlinie  für  sägen  (§  1)  im  selben  sinne  verläuft  (vgl.  Fischers 
karten  1  und  5).  Auch  hier  ist  Epfingen  am  oberen  Neckar 
der  nördlicliste  paukt  für  die  einfache  alem.  länge;  von  hier 
zieht  die  grenze  einerseits  nach  kürzerem  rein  westlichen  ver- 
laufe nach  S\Y  und  andererseits  nach  SO.  Zwischen  Donau 
und  oberem  Schüssen  zeigen  die  einzelnen  beispiele  einzelne  ab- 
weichungen.  Erwähnt  sei  noch,  dass  die  grenzen  für  hip  und 
eis  so  zu  sagen  ganz  zusammenfallen,  abweichungen  von  wenigen 
kilometein  an  einzelnen  punkten  abgerechnet. 

Nach  Fischers  karte  5  können  wir  den  abschluss  unserer 
dehnungserscheinung  im  0  zum  grossen  teile  feststellen;  für 
sls  läuft  die  grenze  bis  nahe  an  die  Iiier  (südwestlich  von 
Kempten);  hier  bricht  sie  direct  nach  S  ab.  Für  die  übrigen 
beispiele  bildet  der  Lech  die  grenze;  östlich  von  ihm,  sein 
quellgebiet  bis  zu  dem  knie  abgerechnet,  von  welchem  ab  er 
nach  N  fliesst,  findet  sich  diese  Verlängerung  nicht, 

Eine  ausnähme  macht  im  rechtsrhein.  Alemannien  a  vor 
n  +  spir.:  das  Rheintal  mit  Schaffhaiisen  (s.  auch  Stick.  2, 402), 
Vorarlberg,  quellgebiet  von  Iiier  und  Lech  haben  hierbei  nicht 
'ersatzdehnung',  dagegen  aber  der  Oberlauf  der  Loisach,  also 
ein  gebiet,  das  sich  am  Oberläufe  des  Lech,  quelle  ausgeschlossen, 
östlich  von  ihm  bis  an  die  obere  Isar  erstreckt. 

Ferner  findet  das  gesetz  in  Schaffhausen  keine  anwendung 
bei  e  vor  n  +  spir.:  also  ßnstor,  und  ebenso  nicht  vor  n  + 
gutturaler  Spirans,  da  diese  nach  n  nicht  vorkommt  (Stick. 
2,402).    Dagegen  wird  hier  «  vor  n  -f-  flexions-.v  gedehnt: 

Beitrüge  »ur  gesohichto  der  deutsches  spräche.    XXIII.  1(J 


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146 


RITSERT 


/äst  'kannst',  was  aber  neubildung  zur  1.  sing,  yä  sein  kann 
(Staub  a.a.O.  347).  Nach  Stick.  2.  403  hat  Buch  im  schaff - 
hauserischen  Hegau  dehnung  vor  ss:  tc  liste  'wünschen". 

An  in.  Für  die  Vorarlberger  maa.  sagt  Per.  11,  anm.  4:  *vor  s  ist 
schwund  des  n  gewöhnlich';  beispiele,  wo  es  nach  a  schwindet:  ktiii 
'kannst',  Wim  'danse'  (=  milchbutte):  Hauser  gibt  freilich  die  form  fanstrr 
neben  fßii>r  (/'  =  nasales  i).  In  Galtür  und  Vorarlberg  wird  *  im  Gegen- 
sätze zu  Schaff  hausen  aspiriert:  deichn  'denken'  (Per.),  trhhj  'trinken" 
(Hanser). 

Ein  teil  des  seegebiet  es,  nämlich'  am  Schüssen  bis  ober- 
halb Ravensburg,  und  der  dem  Bodensee  nächstliegende  teil 
des  Ostens  (aber  Lindau  nicht)  hat  gmgs  oder  gangs  'gans* 
(Fischer  karte  4.  Birl.  59).  In  Hittisau,  östlich  vom  Bodensee, 
erscheint  zinys  'zins',  ebenso  in  Ringgen weiler;  Albersfeld  hat 
hrunyst  'brunst*  (die  beiden  letzteren  orte  liegen  westlich  von 
Ravensburg). 

Nach  Schild  2, 379  findet  sich  der  Schwund  des  nasals  vor 
gutturaler  Spirans  nur  ganz  localisiert;  'er  vereinigt  maa. 
unter  sich,  die  nicht  nur  in  formeller  beziehung,  sondern  auch 
mit  rücksicht  auf  ihre  lexikalischen  schätze  zu  einer  näheren 
verwantschaft  sich  zusammenschliessen.  Es  sind  dies  die  maa. 
des  südlichen  teils  des  cantons  Bern,  des  Wallis,  sowie  des 
Graubündnerlandes'.  Im  Lit,-bl.  10,  89  gibt  Schild  noch  die 
vereinzelten  orte  der  Schweiz  an,  wo  vor  gutturaler  Spirans 
schwund  des  nasals  statt  hat:  Davos,  Schanfiggthal,  hinteres 
Prättigau,  südlich  von  (  hur  in  Malix,  rhurwalden  und  Parpan. 

§  10.  Im  anschlösse  hieran  betrachte  ich  nun  einige  fälle, 
wo  der  nasal  auch  vor  anderen  consonanten  als  der  Spirans  sich 
voealisiert. 

Im  Vorderwald  des  Bregenzerwaldes  (Hittisau)  vei*schwindet 
n  Vor  d,  t.  k  und  m  vor  pf\  der  vorhergehende  vocal  wird 
diphthongiert  (s.  Staub  380  und  das  genauere  bei  Per.  9. 18.21): 
sau'd  'sand',  deika  'denken',  deipfa  <  dampfen,  da upf' dampf. 
Nach  i  schwindet  n  gewöhnlich  nur  in  nd:  bl'toud  'blind*.  — 
Aus  dem  Berner  Oberland  (j'sieid  'klug';  Staub  381. 

Im  Innerwald  hinter  den  Stieglen  (Schnepfau,  Au,  Schon- 
pernau)  wird  in  diesen  Verbindungen  a  zu  äu  gedehnt,  ohne 
dass  der  nasal  schwindet  :  mthmtol  'manteP,  daumpf  (Per.  9). 

Nach  Fischers  karte  4  schliesst  die  'eisatzdehnung'  vor  k 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  147 

im  X  mit  Hittisau  ab.  Ein  weiteres  gebiet  befindet  sich  in 
der  Baar  und  an  der  oberen  Donau  (Birl.  51.  70).  Das  nähere 
hierüber  s.  u.  §  28.  Das  gebiet  zwischen  oberem  Xeckar  und 
der  Donau  von  Tuttlingen  abwärts  hat  häd  'hand'  wie  das 
schwäbische  (Fischer,  karte  1). 

In  gewissen  gegenden  ist  n  vor  tr  vocalisiert  und  gedehnt, 
so  in  Luzern:  tbel  <  Inwyl;  um  Zurzach  bäumt  <  bannwart ; 
im  canton  Zürich:  Heu el  <  honteil  'Hohenwil'  (Staub  381). 

§11.  Dehnung  vor  l  -f-  consonant  findet  sich  nur  in  be- 
grenztem umfange.  Am  weitesten  verbreitet  ist  die  Verlänge- 
rung vor  /  und  dentalverschluss.  Fischers  karte  20  hat  die 
beispiele  bald  und  bhält?  westlich  vom  Bodensee  bis  über  die 
Thür  und  nördlich  vom  Rhein  bis  zum  oberen  Xeckar  (s.  auch 
Birl.  47.  Fischer  21  und  anm.2,  Meyer,  Schw.-schulz.l42ff.  149ff.). 
Wrede  gibt  im  Anz.  10. 102  für  salz  an:  am  Bodeusee  und  west- 
lich von  ihm. 

Für  die  Brienzer  ma.  (Schild  2, 366)  kommt  hauptsächlich 
a  und  dessen  umlaut  in  betracht.  In  Schaffhausen  gilt  dasselbe 
(doch  nur  für  umlaut  v,  nicht  für  c),  s.  Stick.  2. 387. 388:  mild 
und  pl.  wehbr.  alt,  aber  comp,  cltor;  Sch.  macht  scharfen  unter- 
schied zwischen  Its  und  fe;  vor  letzterem  wird  a  (e)  nicht 
gedehnt. 

An m.    In  Sch.  wird  a  auch  vor  Im  gedehnt:  almöse. 

In  den  Vorarlberger  maa.  mit  ausnähme  vom  Walsertal, 
vom  Innerwald  vor  den  Stieglen  wird  a  vor  /  -f  d,  t,  gedehnt, 
im  Walgau  und  in  Montavon  'freilich  ohne  strenge  consequenz'; 
im  Innerwald  wird  a  zu  du:  bduld,  saute.  Galtür  dehnt  auch 
mhd.  e  vor  /  f-  verschlusslaut:  fäld  <  velt;  nach  Hauser  findet 
auch  vor  Ich  dehnung  statt  :  lafalcto,  mälcho  <  melken.  —  Im 
Vorderwald  schwindet  das  /  nach  allen  vocalen  in  den  Verbin- 
dungen Id,  It,  Iz,  während  der  vocal  diphthongiert  wird:  auf 
'alt',  schmeiza  'schmelzen',  goud  'gold',  höitele  'hölzlein'  (Per. 
9. 10. 21. 28).  Vor  l  +  d,  z  :  <föld,  hölz  wird  nach  Fischers  karte  1 
o  in  einem  grösseren  gebiete  im  SO  des  Bodensees  gedehnt; 
im  W  berührt  das  gebiet  nicht  den  Rhein,  im  0  schliefst  es 
iiier-  und  Lechquelle  noch  ein. 

Eine  ähnliche  erscheinung  findet  sich  in  der  Westschweiz 
zwischen  Reuss  und  Jura.  Dort  wird  nämlich  /  vor  conso- 
nanten  (und  im  auslaut)  so  'gequetscht',  dass  es  einem  w  ähn- 

lu* 


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148  RtTZKRT 

lieb  wird  und  dadurch  dem  vorangehenden  vocale  eine  halb 
diphthongische  beimischung  verleiht  (Staub  384).  Die  Leerauer 
ma.  bildet  nach  Hunz.cn  in  dieser  hinsieht  den  Übergang 
zwischen  Ost-  und  West  Schweiz. 

§  12.  Nur  für  das  rechtsrheinische  Alemannien  gilt  die 
vocalverlängerung  vor  cht  uud  chs. 

Dehnung  des  a  vor  cht  hat  der  0  und  X  des  Bodensees 
und  das  gebiet  zwischen  Rhein  und  Donau  (Fischers  karte  1 
und  Birl.  47).  Kurz  vor  dem  ausflusse  des  Rheins  aus  dem 
Bodensee  wendet  sich  die  grenzlinie  westnordwestlich,  so  dass 
ein  breiter  streifen  des  Rheintals  keine  dehnnng  hat.  Der 
östliche  teil  des  gebiete  mit  vocallänge  hat  -fit,  und  zwar  bildet 
eine  linie,  die  von  Tuttlingen  nach  S  auf  obige  linie  zieht, 
die  scheide;  von  Tuttlingen  zieht  die  linie  zur  Xeckarquelle 
und  begleitet  dann  den  Xeckar  bis  Epfingen,  von  wo  sie  nach 
80  verläuft;  sie  überschreitet  die  Donau  einige  kilometer 
unterhalb  der  linie  für  stuj.t,  lässt  am  Schüssen  nur  dessen 
quelle  frei  und  umfasst  den  osten  des  Bodensees  in  einem 
bogen.  Ebenso  fällt  ch  nach  a  auf  dem  Schwarzwald  und 
Heuberg  aus  (Birl.  118).  Fast  ganz  mit  diesem  -«/-gebiete 
fällt  das  zusammen,  in  welchem  ch  nach  e  und  i  ausfällt, 
doch  erstreckt  sich  auf  dem  linken  Illerufer  (die  Iiier  selbst 
nicht  berührend)  noch  ein  breiterer  streifen  nach  X  bis  west- 
lich von  Unterdettingen.  Xach  Birl.  120  wird  alsdann  e  häufig 
diphthongiert  zu  ea\  für  i  vor  ausgefallenem  ch  gibt  schon 
Birl.  die  bestimmung  von  Schwarzwald  bis  Bregenzerwald 
(s.  120).  Das  gebiet  für  gedehntes  o  mit  ausfall  des  ch  ist 
räumlich  begrenzter:  die  westgrenze  fällt  mit  ät  zusammen, 
die  ostgrenze  bildet  der  Schüssen;  ferner  bleibt  die  nord-  wie 
südgrenze  teils  mehr  teils  weniger  von  der  -«/-linie  entfernt 
(s.  auch  Birl.  74  und  121,  wo  freilich,  wie  oft,  die  genauere  be- 
stimmung fehlt).  Verlängerung  des  u  findet  sich  am  oberen 
Xeckar  und  an  der  Donau.  Von  Mühlingen  (südwestlich  von 
Sigmaringen)  verläuft  die  grenzlinie  einerseits  rein  westlich 
zum  Schwarzwald  und  andererseits  südöstlich  zum  Bodensee, 
den  sie  in  Schnetzenhausen  berührt;  hierauf  zieht  sie  auf  dem 
rechten  Schussenufer,  ihn  selbst  nicht  berührend,  nach  X  bis 
zu  dessen  quelle  und  dann  zur  Iiier.  die  sie  unterhalb  Tnter- 
dettingen  trifft.    Zwei  bezirke  in  diesem  gebiete  haben  ausfall 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STA M MSI LBEN  VOCALE.  149 


des  eh:  der  eine  zwischen  oberem  Neckar  und  oberer  Donau 
(grenzorte:  Epfingen,  Tuttlingen,  Irrendorf  a.  d.  Donau),  der 
andere  westlich  von  Ravensburg  (grenzorte:  Schnetzenhausen 
im  S  und  Königseggwald  im  N);  s.  auch  Birl.  68  und  121.  — 
Für  den  Bregenzerwald  bestätigt  Per.  22  die  vocaldehnung 
nach  ausfall  von  ch. 

§  13.  Dehnung  vor  ursprünglichem  hs  ist  durchaus  mit 
schwund  der  gutturalspirans  verbunden.  Diese  erscheinung 
die  auch  der  ganze  SW  des  schwäbischen  hat  (Fischer  21), 
finden  wir  für  a  im  0  und  N  des  Bodensees  (Lindau  aber  aus- 
genommen), an  der  oberen  Donau  und  am  oberen  Neckar. 
Die  betr.  linie  wendet  sich  kurz  vor  dem  ausflusse  des  Rheins 
aus  dem  Bodensee  west  nordwestlich,  so  dass  auch  hierbei  auf 
dem  rechten  Rheinufer  ein  breiter  streifen  ohne  Verlänge- 
rung bleibt. 

Wie  weit  auch  andere  vocale  vor  ausgefallener  guttural- 
spirans im  rechtsrheinischen  Alemannien  gedehnt  werden, 
vermag  ich  nicht  anzugeben:  nach  Fischers  karte  20  findet 
sich  dort  weder  6s  'ochs'  noch  bis  'büchse'.  Birlingers  angaben 
s.  120  f.  sind  zu  unbestimmt;  er  bezeichnet  zwar  össnerin  'un- 
trächtige kulf  als  alemannisch,  bezeugt  aber  össnen  'nach  dem 
stier  begehren'  für  den  mittleren  Neckar,  also  schwäbisch  (s.u. 
§  29);  ausdrücklich  bemerkt  er  aber  s.  121:  'heute  fus  »fuchs« 
nicht  mehr  bekannt';  ferner  sagt  er  s.  120:  'echt  alem.  wiassla'; 
ob  hier  länge  oder  kürze  gemeint  ist,  bleibt  unbestimmt. 

Für  den  Bregenzerwald  gilt  die  dehnung  auch  für  andere 
vocale:  büs  'büchse',  dcsol  <  dehsel  'hacke'  (Per. 22);  für  Galtür 
sind  nur  belege  für  d  angegeben. 

§  11.  Ks  bleibt  nur  noch  übrig,  einige  einzelheiten  zu 
erwähnen. 

Wo  am  ende  eines  Wortes  der  consonant  abfällt,  ist  Ver- 
längerung des  vorangehenden  vocals  eingetreten  (s.  o.  §  5:  mä, 
ü-  un-  etc.);  besonders  kommt  dies  häufig  bei  ch  vor  (Birl.  124. 
Fischer  18.  19  und  karte  1.  Per.  11.  22.  28).  Der  osten  des 
Bodensees  vom  Schüssen  bis  zum  Lech  hat  länge  in  dach,  loch, 
das  gebiet  westlich  vom  Schüssen  mit  ausnähme  des  rechten 
ufers  kürze.  —  In  Leerau  fällt  ch  nicht  ab,  aber  trotzdem 
findet  sich  öfter  dehnung  des  vocals  (Hunz.  xxxi.  xxxiv.  xlii. 
xl vi.  iL.  cxvi):  gmdch  n.,  aber  (/mach  adj.,  stich  'stich',  blech 


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150 


KITZE KT 


u.a.  Auch  //  erscheint  hier  'bisweilen'  zu  /'geschwächt:  so 
sch'if  neben  scluf  'schiff',  gr'if  neben  griff  u.  a.;  ferner  Ms  < 
kröpfe  <  hupfe,  bäs  <  £»a.?,  r'/.s  <  r/>.  Hunz.  führt  ausser- 
dem noch  das  eine  und  andere  wort  mit  dehnung  vor  doppel- 
consonanz  an;  auch  an  den  anderen  genannten  orten  finden 
sich  solche,  aber  immer  ganz  vereinzelt.  Es  würde  viel  zu 
weit  führen,  diese  einzelfälle  aufzuzählen;  dass  solche  überall 
vorkommen,  sei  ein  für  allemal  gesagt. 

2.  Niederalemannisch-elsässisch. 

Quellen:  0.  Heilig,  Zum  vocalismus  des  alemannischen  in  der  ma. 
von  Forbach  im  Murgthal,  Alemannia  24. 17 ff.  —  K.  Heimburger.  Gram- 
matische darstelluug  derma,  von  Ottenheim,  Beitr.  13,  21 1  ff.  —  Andr. 
Heusler,  Beitrag  zum  consonantismus  derma,  von  Ballstädt.  Freiburger 
diss.  1 —  Ed.  Hoff  mann.  Der  mundartliche  vocalismus  von  Baselstadt. 
Baseler  diss.  1890.  —  \V.  Kahl,  Ma.  und  Schriftsprache  im  Elsass.  Zabera 
1893.  —  J.  F.  Kräuter,  Untersuchungen  zur  Eliisst-r grammatik,  Alemannia 
5,  186  ff.  —  H.Lienhart,  Die  ma.  des  mittleren  Zornthaies  (Zabera  bis 
Brumath),  Jahrbuch  für  gesch.,  spr.  n.  lit.  Els.-Lothr.  2.  1 12  ff.  3,  23  ff.  4. 18  ff. 
(Lienh.  1).  —  H.Lienhart,  Laut-  und  flexionslehre  der  ma.  des  mittleren 
Zornthaies,  Alsat.  Studien.  1.  lieft.  Strassburg  1891  (Lienh.  2).  —  W.  Mankel. 
Die  ma.  des  Münsterthaies,  Strassb.  studien  2,  113  ff.  <M.  1).  —  W.  Mankel. 
Laut-  und  flexionslehre  der  ma.  des  Münsterthaies.  Strassburger  diss.  188»; 
(M.  2).  -    H.  Menges.  Volksina.  und  Volksschule  im  Elsass.  (iebweiler  1893. 

—  Charles  Schmidt,  Wörterbuch  der  Strassburger  ma.  Strassburg  1896. 

—  J.  Spieger,  Zillinger  sprachproben,  .lahrbuch  für  gesch..  spr.  u.  lit.  Els.- 
Lothr.  5,  133  ff.  —  .1.  Spieser,  Mundartl.  sprachproben  aus  den  dörfem 
Wiebcrsweiler  etc.,  ebda.  8,  143  ff.  -  .T.  Spieser,  Sprichwörter  in  Wald- 
hambacher ma.,  ebda.  9,  93  ff.  -  .1.  Spieser,  Münsterthiiler  sprachproben. 
Sprichwörter,  ebda.  2,  lo(i  ff.  9.  144  ff.  —  .1.  Spieser,  Münsterthiiler  anek- 
doten,  ebda.  9,  87  ff.  10,  243  ff.  —  Ad.  Sütterlin,  Laut-  und  flexionslehre 
der  strassbnrger  ma.  in  Arnolds  Pfingstmontag,  Alsat.  Studien  2.  Strassburg 
1892.  —  K.  Weinhold.  Alemannische  grammatik.  Berlin  1893. 

§  15.  Im  niederalemannisch-elsässischcn  ist  im  allgemeinen 
vocaldehnung  in  offener  silbe  eingetreten  ( Heusler 87.  Hoffm. SO. 
Heimb.  228.  Lienh.  2,  25.  Mankel  2,25.  Sütt.  25.  Weinhold  §  115. 
120.  122).  Die  übrigen  oben  angeführten  arbeiten  bestätigen 
durch  ihre  beispiele  das  gesagte. 

Nach  Heusler  37  hat  Haselland  diese  dehnung  gleichfalls 
mitgemacht. 

In  Baselstadt  sind  dieser  dehnung  einzelne  als  interjec- 
tionen  gebrauchte  wörtchen  wie  apä  'ach  was!',  je  lebhaftes 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  151 

•ja'  entgangen;  Heusler  37  sieht  die  Veranlassung  hierzu  in  dem 
stets  mit  diesen  verbundenen  energischen  accent.  Dagegen 
erfährt  der  vocal  in  uidmo  'widmen',  höfmd  1 Hoffmann '  etc. 
stets  dehnung,  da  die  consonantengruppe  dm,  fm  zur  folgenden 
gruppe  gezogen  wird. 

§  IG.  Scheinbare  ausnahmen  von  unserem  gesetze  liegen 
bei  den  Wörtern  auf  -el,  -er,  -em,  en  vor,  doch  herscht  in  dieser 
hinsieht  keine  Übereinstimmung. 

Im  ganzen  gebiete  bleibt  die  kürze  in  den  Wörtern,  in 
welchen  n,  m  vor  l,  r,  m,  n  stand:  himl,  semz  'schämen',  tuirna 
<  name,  flectiert  namen.  Die  als  /,  ;\  m,  n  gesprochenen  end- 
silben  konnten  bei  folgendem  vocal  in  der  flexion  und  im  Satz- 
zusammenhang als  nicht  silbenbildend  erscheinen,  wodurch 
der  stammhafte  sonoreonsonant  vor  ihnen  in  silbenauslaut  zu 
stehen  kam  und  die  dehnung  des  vocals,  da  in  geschlossener 
silbe  stehend,  unterblieb,  z.  b.  der  him(e)l  ist  <  him-l  ist. 
Hierher  gehören  auch  die  fälle  wie  tsjmljg,  nfnUjg  etc.  (s. 
hierzu  Heusler  38.  39.  Heimb.  230). 

Anw.  In  Baselstadt  wurde  der  sonoreonsonant  zur  fortis  (d.i.  ge- 
dehnt): himm^i  für  das  elsässische  ist  jede  spatere  mitlanterdehnnng  als 
unbewiesen  zu  betrachten'  (Kräuter  194). 

Während  in  Basel  bei  nicht  sonorem  stammauslaut  diese 
endungen  nie  (schärf ung  zur  fortis  und)  erhaltung  der  kürze 
veranlassen,  so  dass  es  immer  (mit  lenis)  lautet:  fädt  <  radem, 
näyl,  däfaU  und  auch  nicht  tvidder,  troddcl  etc..  was  sich  ein- 
fach daraus  erklärt,  dass,  wenn  jene  endungen  consonantisch 
fungieren,  die  gruppen  dm,  gl,  fl  naturgemäss  zur  folgenden 
silbe  fallen  und  nicht  silbe  schliessen  (Heusler  39. 46),  ist  in 
Ottenheim  auch  in  den  meisten  Wörtern  auf  -bei  uud  -bor  die 
dehnung  nicht  eingetreten  (Heimb.  229. 230);  ferner  haben  hier 
von  den  Wörtern  mit  g  diejenigen  auf  -igel  :  kürze  be- 
wahrt; ausserdem  noch  wydr  4  wider'  und  odr  'oder'. 

Aus  den  für  Forbach  (nahe  der  rheinfr.  grenze)  ge- 
gebenen beispielen  ergibt  sich,  dass  häufig  die  dehnung  auch 
dann  unterblieben  ist,  wenn  der  stamm  ausser  auf  ///,  n  auf 
media  oder  Spirans  ausgeht:  dsedl  'fettel',  Jogi  und  pl.  fegl, 
fedu  -feder',  efi>  -öfeu',  husj  'hosen'  u.v.a.;  doch  gleesu  'gläser', 
-greeiv»  m.  'gräber',  schlaagj  'schlagen',  schweefl  'schwefel*  u.  a. 
Auch  diese  fälle  finden  ihre  erklärung  darin,  dass  einmal 


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152 


KITZERT 


doppelformen  mit  kürze  und  länge  nebeneinander  bestanden 
haben,  je  nachdem  die  endungen  /.  r,  m,  n  ihr  vocalisches 
element  bewahrten  oder  nicht,  und  dass  bald  die  eine,  bald 
die  andere  durch  ausgleichung  beseitigt  ist  (vgl.  Paul.  Beitr. 
9,118).  Hierher  gehören  auch  folgende  fälle  aus  Forbach: 
kinik 'könig',  fcvMiedig'  u.a.,  deren  kürze  aus  den  synkopierten 
formen  der  obliquen  casus  stammt. 

Die  elsässischen  maa.  zeigen  unter  allen  diesen  Verhält- 
nissen in  ausgedehntem  masse  die  ursprüngliche  kürze  (Lienh. 
2,25.  Mankel  2, 25.  Sütt.  25.  HO.  31.  Kahl  10. 11. 12.  MengeslS. 
Weinhold  §  115.  120).  Obwol  diese  fälle  sehr  zahlreich  vor- 
kommen,  so  lässt  sich,  die  unten  (§  17.  18)  zu  besprechenden 
ausnahmen  hinzugerechnet,  doch  nicht  mit  Sütt.  25.  27  behaup- 
ten, dass  die  mhd.  qoantitätsverhältnisse  im  allgemeinen  die- 
selben geblieben  und  vorkommende  dehnungen  als  ausnahmen 
zu  betrachten  seien  (s.  auch  Mankel  2.  25). 

Auf  frühzeitige  vocalsynkope  in  suffixen  und  flexiomssilben 
gründet  sich  die  im  ganzen  gebiete  vorkommende  kürze  in 
folgenden  fällen: 

a)  joyd,  magd,  voyt.  übst,  maysame,  lebkuehen  etc.; 

b)  in  der  verbalflexion  und  im  satzsandhi:  heps,  -t  2.  und  3. 
pers.  praes.  zu  hfiht  'halten ',  k  ept  part.  praet.:  hepti  'halte  dich', 
heps  'halte  es',  neben  Iwbm/  'halt  mich'  und  hibm  'halt  ihn'; 
ebenso  de  rcts,  or  ret  zu  rkh  'reden';  i  saktor  'ich  sage  dir', 
aber  /  säym  'ich  sage  ihm'  (Heusler  42);  ähnliche  belege  in 
den  übrigen  quellen.  —  In  diesen  fällen  kann  freilich  auch 
kürzung  einer  secundären  länge  vorliegen.  —  Für  das  Münster- 
tal s.  Mankel  2, 31. 

§  17.  Im  alem.-els.  gebiete  ist  vor  altem  einfachen  /  die 
(lehnung  nicht  eingetreten,  da  dasselbe  als  geminata  behandelt 
wird  (Heusler  46.  49.  Hoffm.  30.  Heimb.  230.  Kahl  12.  Lienh. 
2,28.  Mankel  2, 10. 11.  Sütt.  27,  30.  Kräuter  190).  Beispiele:  bot 
m..  beten,  gebet,  waten  etc.  Nach  Lienh.  2, 28  heisst  es  in  den 
evangelischen  orten  des  Zorntales  paU  'beten',  in  den  katho- 
lischen pato. 

In  den  maa.  des  Elsass  erstreckt  sich  obige  ausnähme 
häufig  auch  auf  Wörter  mit  d:  freto  <  mde,  ret  m.  -rüde*,  wet 
<  wide,  ret  'rede'  u.  s.  f.:  in  Wiebersweiler  und  Waldhambach 
heisst  es  klet  'glied',  rat  'rad',  in  Rosteig  aber  klit,  rät.  In 


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DEHNUNO  DER  MHD.  KUKZEN  STAMMSILBEN  VOC  ALE.  153 


anderen  Wörtern  erscheint  die  regelrechte  dehnung:  so  haben 
z.  b.  im  Zorntal  die  auf  -ade,  -aden  und  einige  auf  gen. 
•ades  länge  des  vocals:  sah  'schaden'.  pföt  'pfad';  ebenso  in 
Strassburg,  Zillingen  und  im  Münstertal. 

Im  niederalemannischen  werden  Wörter  wie  rfid  <  rat 
nicht  von  obiger  ausnahmeregel  betroffen:  es  muss  deshalb 
mit  Hoffm.  30  eine  verschiedene  ausspräche  des  /  in  mhd.  rat 
und  trit  angenommen  werden.') 

§  18.  a)  In  den  elsässischen  maa.  und  ebenso  in  Otten- 
heim ist  ferner  die  kürze  erhalten  in  den  meisten  Wörtern  auf 
m  und  n  (s.  die  Zusammenstellung  bei  Kahl  12:  lamm  'lahm' 
etc.;  Lienh.  2. 26);  doch  heisst  es  allgemein  im  Elsass  tsdm 
•zahm'  (Heimb.  230).  Auch  Basel  hat  kürze  in  /  nimm  u.  a, 
(Heusl.  38. 30).  Für  Forbach  gibt  Heilig  wem,  bin  <  bune 
'Speicher',  aber  yroom  'gram',  loom  'lahm'  (über  die  zwei- 
silbigen mit  m  und  n  s.  oben  §  16). 

b)  In  folge  energischer  betonung  ist  bisweilen  die  kürze 
erhalten,  so  in  *wek  'weg'  <  vntvcc  im  ganzen  gebiete;  für 
Basel  gilt  ferner  yjp  (nicht  imp.,  sondern  ausruf);  jn  troll  (be- 
kräftigender ausruf)  steht  sonstigem  wol  gegenüber:  eine  Wir- 
kung des  verschiedenen  accents  (s.  hierzu  Heusl.  13.  23). 

c)  Die  genannten  Wörter  haben  keine  flectierten  formen 
lieben  sich :  in  anderen  hat  die  quantität  der  unflectierten  form 
den  sieg  davongetragen  trotz  der  danebenstehenden  flectierten 
formen,  in  denen  der  stammvocal  in  offener  silbe  steht;  so  in 
ril  'vieF  (Elsass),  yras  -gras'  (Münstertal,  Forbach),  sdnp 
4stube'  und  grop  (Elsass,  Forbach,  Ottenheim),  hof  (Elsass, 
Ottenheim:  im  Elsass  findet  sich  südlich  des  48.  breitegrades 
einzelne  höf,  Wrede,  Anz.  22,  324),  sep  'sieb'  (Zorntal,  Strass- 
biu*g)  und  einzelnen  andeni.  —  Einige  mal  zeigt  sich  die  kürze 
selbst  in  den  flectierten  fermen;  so  heisst  es  in  Ottenheim 
sdutre  'stuben',  yrour  'grober'. 

§  10.  Ich  erörtere  nunmehr  die  dehiiungserscheinungeii, 
die  durch  benachbarte  consonanten  verursacht  werden. 


')  Bisweilen  erscheinen  unter  den  belegen  für  die  dehnung  in  offener 
silhe  die  einsilbigen  nominative,  in  denen  also  der  vocal  in  geschlossener 
silbe  steht  und  stand.  Es  ist  natürlich  daran  festzuhalten,  dass  in  diesen 
fällen  die  ausgleichung  nach  den  obliquen  casus  analog  dem  schriftsprach- 
lichen gebrauche  bereits  vollzogen  ist. 


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154 


RITZERT 


Vocaldehnenden  einfluss  haben  im  niederalem.-els.  zunächst 
die  Verbindungen  /•  consonant.  Obenan  steht  Basel,  wo  vor 
r  -f  consonant  ausnahmslos  längung  eintritt  (Heusl.  41.  Hoffm. 
.SO).  —  Ottenheim  hat  dehnung  vor  r  +  t,  </,  z,  s,  st:  hgrt 
'hirt \  dürst  'durst'  etc.  Doch  kommen  hier  auch  ausnahmen 
vor,  so  in  den  isolierten  formen  dert  'dort',  fürt  -fort':  ferner 
in  hert  'hart',  swards,  hwrds  'herz'.  Schwankungen,  wie  in 
kürds  —  kurds,  ort  —  ort  u.  a.  schreibt  Heimb.  232  dem  einflusse 
der  schule  zu;  'es  zieht  die  ältere  generation  die  länge,  die 
jüngere  die  kürze  vor'.  Ferner  erscheint  in  0.  länge  vor  rl 
in  Karl,  <>rlo,  fori,  also  mit  svarabhaktient Wickelung  und  dem- 
gemäss  offener  silbe;  dagegen  aber  Iccerl  'kerl';  ebenso  äri 
'arg'.  Vor  den  übrigen  /  -Verbindungen  ist  in  0.  durchweg 
kürze  erhalten. 

Für  Forbach  sind  nur  wenige  belege  angegeben:  wand*  \ 
'warten',  gcuub  'garten',  auch  iveendik  'Werktag'  (also  mit 
assimilation  des  k). 

Im  Zorntal  ist  vor  rt  und  gelegentlich  auch  vor  rs,  rst 
und  zwar  in  Wörtern  mit  mhd.  stammvocal  a  und  e  dehnung 
eingetreten  (Lienh.  2, 26).  In  Zusammensetzungen  tritt  vielfach 
die  alte  kürze  wider  ein:  Art  'erde',  aber  aper  'erdbeere*. 
Sonstige  vocale  werden  vor  den  betreffenden  Verbindungen 
nicht  gedehnt:  hert  (<  herte),  hert  'hirV. 

In  den  Zillinger  (bei  Pfalzburg)  sprach  proben  finde  ich 
einzelne  Wörter  auf  rtn,  m  mit  länge;  vor  rt  hat  nur  hart 
•Jierde'  dehnung.  nicht  karte  'garten',  zart  etc.  Waldhambach 
hat  länge  des  a  und  e  vor  rt,  ferner  in  markt,  gern,  Wiebers- 
weiler  auch  in  tsör  'zorn'.  Strassburg  hat  nach  Sütt.  29  und 
Ch.  Schmidt  dehnung  des  a  und  t  vor  r  +  tt  d:  warte  etc.; 
auch  ars  ist  angegeben. 

Im  grossen  und  ganzen  haben  also  die  Klsässer  maa.  a 
und  v  vor  r  -f  /,  d  prt*läng"t .  aber  nicht  consequent,  vereinzelt 
auch  vor  rs  und  ganz  vereinzelt  vor  anderen  /-Verbindungen. 

§  20.  a)  Dehnung  vor  l  -f  ('onsonant  findet  sich  nach 
Wrede  21,275  (alte)  vereinzelt  im  Klsass.  Nach  meinen  quellen 
ist  dieselbe  nur  für  das  Münstertal  (Mauke)  2,  38)  und  für 
das  Zorntal  in  juil  <  halde  und  hat  <  haldc  (Lienh.  2, 37)  an- 
gegeben. Im  Münstertal  fällt  in  den  Ortschaften  Mühlbach, 
Breitenbach,  Metzerai  und  Sandernach  in  der  Verbindung  l 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN  VOCALE.  155 


und  ebenso  m,  n  +  verschlusslaut  dieser  ab  und  die  ursprünglich 
kurzen  vocale  werden  diphthongiert.  Dieser  Vorgang  tritt  in 
der  regel  nur  dann  ein.  wenn  l  -f  vei-schlusslaut  im  inlaut 
stellen:  haü  <  halde,  weil  <  wilde  (eine  ausnähme  macht  fail 
'feld');  päin  'bände',  khimor  <  kumber,  wüin  'wunde*. 

b)  Ebenfalls  auf  das  Münstertal  ist  die  erseheinung  be- 
schränkt, dass  vor  nasal  +  Spirans  vocaldehnung  mit  Schwund 
des  ersteren  eintritt  (Mankel  2,  37.  38):  rai'f  *ranft',  fai'stor 
Fenster',  wiu's  'wünsch'.  —  Auch  die  Spieserschen  sprachproben 
des  Münstertales  bieten  belege  für  diese  erseheinung:  nach 
denselben  wird  in  Mühlbach  der  vocal  vor  den  genannten 
consonantengruppen  wol  gedehnt,  aber  meistens,  namentlich  a, 
nicht  diphthongiert 

§  21.  Vor  ursprünglicher  liquid-  und  nasalgeminata  ist 
in  folgenden  fällen  vocaldehnung  erfolgt: 

a)  Vor  rr  ist  in  Basel  regelmässig  der  vocal  gelängt 
(Heusl.41.  Hoffm.30):  nur  1 narr \  dir  'dürr'. 

b)  Ferner  ist  in  Basel  in  ein  paar  vereinzelten  fällen  vor 
auslautendem  //  dehnung  eingetreten:  fdl  'fall'  (pl.  fei.  aber 
falb):  stdl  'stall',  doch  auch  dim.  stell  u.a.  —  Ottenheim  hat 
ywrdl.  das  auch  für  Basel  und  Elsass  gilt.  Das  Münstertal 
hat  Kwai  'wallen*  sieden  machen,  Strassburg  bual  (frz.  h 
bat)  und  traal  'festungswall'  (aber  ballr  'spielball',  wall  'auf- 
wallen des  wassers').  Für  das  Zorntal  bezeugt  Lienh.  2.  7 
dehnung  in  all 

c)  Für  Ottenheim  rinde  ich  vor  mm  aus  mhd.  mb  in  einigen 
fällen  dehnung  bezeugt:  ymos  <  imbiz,  ijm  <  imbe  u.  a.;  in  an- 
deren ist  kürze  erhalten:  dum  <  tump,  dsijme-  <  zimber-  etc. 
(Heimb.230.  $  Ol).  —  Für  das  Münstertal  s.  obeu  §  20,  a. 

d)  Vor  auslautendem  nn  ist  in  einem  teile  des  niederale- 
mannischen dehnung  eingetreten  (Heusl.  15  und  Wrede.  Anz. 
10.201:  mann).  Für  Basel  betrifft  dies  die  Wörter  mä  'mann', 
aber  pl,  niennzr;  1c  d  "kann*,  dazu  auch  2.pers.  tidss;  bdn  'bann'. 
Von  letzterem  abgesehen  schwindet  also  nn  und  der  vocal 
(nur  «?)  tritt  in  offene  silbe.  V\  rede  gibt  a.  a.  o.  die  grenz- 
linie  für  den  abfall  des  nn  in  mann,  mit  welchem  «in  der  regel 
dehnung  des  stammvocals  verbunden  ist'.  Die  hauptorte  dieser 
linie  sind:  Hüningen,  Lörrach,  Schönau,  Todtnau  (Freiburg), 

•  Vöhrenbach,    Triberg,    Hornberg,   Hausach,  Freudenstadt, 


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156 


II  I  TZ  K  KT 


Leonberg.  Bönnigheim.  Hottwar,  Murrhardt.  Buchen  und  dann 
die  grenze  des  ostfränkischen.  Das  gebiet  im  80  dieser  linie 
hat  vocaldehnung. 

§  22.  Dehnung'  vor  ursprünglichem  ht  und  Jus.  a)  Mit 
ausnähme  von  Basel  findet  sich  an  allen  oben  angeführten 
oilen  dehnung  vor  ursprünglichem  ht,  aber  in  verschiedenem 
umfang.  Ottenheim  hat  bei  allen  vocalen  dehnung.  einzelne 
fremdwörter  ausgenommen  wie  bracJtt  *praeht\  pacht,  weht 
(doch  daneben  auch  weht,  Heimb.  231 ).  Für  Forbach  sind  nmuht 
und  fjneccf  'knecht'  (c  =-  palat.  ch)  gegeben. 

Im  Zorntal  zeigt  sich  nach  Lienh.  2, 29  vor  cht  dehnung 
des  a  und  e:  ä/t  num.  card.,  ßx^  <  cehten;  neben  rexti  'richten* 
kommt  auch  reyt<>  vor.  —  Das  Münstertal  kennt  ausserdem 
auch  dehnung  des  u:  fr  tut  -frucht'  (Mankel2,25.  37).  —  Strass- 
burg  hat  ausser  a  und  c  auch  o  gedehnt:  doochder  'tochter'; 
dazu  pl.  deechder  und  dim.  deechderk  (Sütt.  20).  -  Ferner 
geben  die  sprachproben  Spiesens  beispiele  dieser  art ;  in  Hirsch- 
land sind  die  formen  nät  'nacht'  und  Unat  'knecht'  veraltet; 
dort  wird  jetzt  kürze  gesprochen;  in  nacht  hat  auch  Rosteig 
kurzen  vocal. 

Was  speciell  die  dehnung  des  c  vor  ht  betrifft,  so  ist 
hiermit  zu  vergleichen,  was  Wrede  im  Anz.  19, 162  unter  rechte 
sagt:  Mm  nördlichen  und  mittleren  Elsass  ist  dehnung  desselben 
häufig'. 

b)  Vor  ursprünglichem  hs  hat  in  manchen  fällen  a  dehnung 
erfahren,  wobei  die  gutturalspirans  geschwunden  ist.  Wrede 
gibt  im  Anz.  21.  261  unter  wachsen  für  diese  erscheinung  die 
geographische  begrenzung.  Zunächst  hat  das  gebiet,  das  süd- 
östlich folgender  linie  liegt,  vocaldehnung:  Thengen,  Löffingen, 
Neustadt,  (Freiburg),  Klzach,  Schiltach,  (Wolfach),  obere  Murg; 
ferner  haben  drei  orte  zwischen  Rastatt  und  Seltz  gedehntes  a 
in  wachsen,  dann  die  gegend  inmitten  Bischweiler,  Hagenau, 
Ingweiler,  Zabern,  Maursmünster,  Wasselnheim,  Molsheim, 
Mutzig,  Rosheim,  Ob.-Ehnheim,  Erst  ein,  Strassburg,  Kehl, 
Renchen,  Achern,  die  aber  alle  ausserhalb  des  gebiets  bleiben, 
und  endlich  fünf  orte  westlich  von  Münster.  8.  hierzu  auch 
Lienh.  2,  23  für  das  Zorntal  und  Maukel  2,  26  für  das 
Münstertal. 


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DEHNUNG  DER  MHP.  KÜRZEN  STAMMSILBENVOCALE.  157 


3.  Schwäbisch. 

Quelle:  l'eber  die  dehnungserscheinungen  im  schwäbischen  haben  wir 
tzt  eine  zusammenfassende  darstellung  in  H.Fischers  Geographie  der 
hwäbisehen  ma.  mit  atlas  von  28  karten.  Tübingen  1695.  Fischer  behan- 
lt  mmr  tliema  in  den  §  13—17:  in  betracht  kommen  die  karten  1.  4.  5. 
18.  20.  23.  —  In  erster  linie  fnssen  Fischers  resultatc  auf  dem  materiale 
n  fragebogen  aus  gegen  anderthalbtausend  Ortschaften ;  andererseits  sind 
eh  die  arbeiten  anderer  herbeigezogen,  so  Schindlers  Maa.  des  könig- 
kfcl  Bayern.  Weiuholds  grammatiken,  Kauftmanns  Geschichte  d.  schwftb. 
u,  Bohneubergers  Gesch.  der  schwftb.  ma.  im  15.  jh.,  Bopps  Vocalismus 
l  sehwäb.  in  der  ma.  von  Münsingen,  Wagners  Gegen  w.  lautbestand  des 
iwäb.  in  der  ma.  von  Reutlingen,  und  Wredes  Berichte  über  den  sprach- 
as.  Das  gebiet  ist  so  weit  gewählt.  Mass  es  über  das,  was  heutzutage, 
•h  im  weitesten  sinne,  schwäbisch  genannt  wird,  nach  allen  Seiten  hinans- 
•hf;  zugleich  sollte  für  das  jetzige  Württemberg  eine  vollständige 
achgeographie  gegeben  werden.  Wir  finden  deshalb  ausser  Württemberg 
d  Hohenzollern)  auch  die  angrenzenden  teile  Baierns,  Badens,  der 
weiz  und  Vorarll>erg8  in  den  kreis  der  bet rächt  ung  gezogen. 

Auf  «liese  weise  hat  Fischer  einen  grossen  teil  des  ostfränkischeu  mit 
andelt,  nämlich  dessen  ganzen  SW:  das  hohenlohische  am  Kocher  und 
st,  den  Taubergrund  und  das  ansbachische  am  oberlaufe  der  Wörnitz, 
uühl  und  friink.  Rezat  und  den  südwestlichen  teil  des  oberpfälzischeii 
iler  mittleren  Altmühl;  ferner  das  ganze  nordostalemaunische  (nördlich 
östlich  vom  Bodensee):  weiter  vom  rheinfrftnkischen  die  maa.  an  der 
und  am  Neckar  von  der  mündnng  der  Enz  bis  zu  der  von  Kocher  und 
it;  schliesslich  den  westlichen  streifen  des  bairischen. 

Die  ergebnisse  von  Fischers  arbeit  verwerte  ich  bei  der  besprechung 
einzelnen  dialekte.  Was  das  eigentlich  schwäbische  betrifft,  so  gelten 
r  die  folgenden  gesetze  (ich  führe  sie  der  Vollständigkeit  halber  an; 
inzelnen  verweise  ich  auf  den  atlas). 

§  23.  'Vor  einfacher  consonanz  ist  im  allgemeinen  ver- 
;erung  eingetreten  (F.  §  13).  Vereinzelte  ausnahmen  kommen 
I  beschränkt  oder  allgemeiner  vor:  weg  'fort'  neben  w(g 
himl  'himmel'  (im  SW;  vgl.  Kanffmann,  Gesch.  d.  schw. 
s.  158),  anderswo  html;  besonders  vor  /:  bot  'böte',  got  'gott' 
ich  göt),  fahr  (im  NO  fahr),  böte  'geboten'.  Bohnenberger 

Aleni.  24, 28  zu  dieser  hauptsächlichsten  ausnähme  vor  / 

secundär  entstandenes  ph  <b  +  h  (dem  an  dieser  stelle 
esproclienen  wünsche  B.'s  nach  einer  karte  über  die  gebiete 
kürze  bez.  länge  vor  t  schliesse  ich  mich  ganz  an).  Con- 
mt  ist  die  Verlängerung  eingetreten,  wo  ein  von  haus  aus 

später  einsilbiges  wort  zufolge  abfalls  consonantischeu 


158 


RITZ  K  KT 


auslauts  vocalisch  endigt:  ä  'ab',  sä  'sage'  (dasselbe  gilt  auch 
bei  abfall  von  doppelter  consonaiiz). 

'Wo  nun  innerhalb  eines  paradigmas  ein-  und  mehrsilbige 
form  wechseln,  ist  gleichheit  beider  eingetreten:  sag,  säg», 
M,  böto. 

Fischer  erklärt  die  entstehung  der  'aus  dem  NO  gekom- 
menen' dehnung  vor  einfacher  consonanz  in  den  zweisilbigen 
formen  durch  Übertragung  aus  den  einsilbigen:  in  diesen  sei 
im  ganzen  gebiete  zuerst  Verlängerung  alter  kürze  erfolgt 
(im  NO  des  gebiets  -  da  näher  dem  Ursprung  —  auch  vor 
doppelter  consonanz;  s.  unten  §  25).  Gegen  diese  annähme 
müssen  wir  front  machen:  die  dehnung  ist  vielmehr  zuerst  in 
zweisilbigen  Wörtern  (mit  obigen  ausnahmen)  eingetreten,  in 
denen  der  vocal  in  ungedeckter  silbe  stand,  und  aus  diesen 
ist  sie  auf  die  einsilbigen  übergegangen.  Es  ist  keineswegs 
mit  F.  annehmbar,  dass  die  für  das  alemannische  giltige  deh- 
nung einsilbiger  Wörter  mit  auslautender  lenis  und  die  unten 
zu  besprechende  dehnung  einsilbiger  Wörter  mit  doppelconso- 
nanz  im  NO  des  schwäbischen  unter  einen  hut  gebracht  werden 
können.  Dort  haben  wir  den  klar  vor  äugen  liegenden  einfluss 
der  folgenden  bestimmten  einfachen  consonanz,  hier  Verlänge- 
rung vor  jeglicher  doppelconsonanz,  zwischen  beiden  aber  ein 
breites  gebiet,  in  dem  alteinsilbiges  wort  vor  doppelconsonanz 
die  kürze  bewahrt,  einige  wenige  ausnahmen  abgerechnet, 
Von  der  Wirkung  eines  einheitlichen  gesetzes  kann  somit  hier 
absolut  keine  rede  sein  (s.  hierzu  Bohnen  berger,  Alem.  24. 29  f.. 
der  derselben  ansieht  ist). 

1  )ie  grenze  für  die  nordostalemannische  formel  -  gegen  > — - : 
/  siuj,  aber  s<u/,f,  ist  in  §  1  gegeben;  weiter  nach  N  erstreckt 
sich  das  gebiet  von  tsfle  'zählen',  'so  dass  es  sich  fragen  kann, 
ob  hier  nicht  die  kürze  aus  altem  zdlcn  abzuleiten  sei';  mir 
erscheint  dies  als  das  einzig  mögliche  (s.  auch  Heusler,  Con- 
sonantismus  etc.  39).  Die  grenze  für  tsvU  geht  von  der  oberen 
Kinzig  über  Ostdorf  in  südöstlicher  richtung  an  iSigma  ringen 
vorbei,  hierauf  in  ziemlich  östlicher  richtung  bis  rnterdettiugen 
an  der  Iiier,  dann  nach  S  bis  über  Memmingen,  worauf  sie 
bald  ostwärts  bis  zum  Lech  verläuft. 

§  24.  a)  'Vor  doppelter  consonanz  ist  alt-  oder  neu-ein- 
silbiges wort  laug  geworden,  sobald  der  consouantische  anslaut 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  159 

abgefallen  ist:  mä  'manu',  da  'dach'  (aber  dax,  wo  x  erhalten 
ist)'  (F.  §  14);  ebenso  bei  dem  südlichen  pl.  mä,  mä  <  altem 
pl.  man.  —  Die  Verlängerung  musste  in  diesen  fällen  eintreten, 
da  der  vocal  in  offene  silbe  zu  stehen  kam;  principiell  gehört 
deshalb  diese  erscheinung  zu  dem  vorhergehenden  paragraphen. 
Ueber  das  gebiet  des  abfalls  von  -nn  im  schwäb.  s.  §  21,  c. 

b)  'Sonst  ist  bei  alt-einsilbiger  form  kürze  im  SW,  länge 
im  NO  des  gebiets,  so  dass  im  SW  das  ganze  paradigma 
kürze,  im  NO  gesetzmässigen  Wechsel  hat:  SW  köpf,  köpf, 
NO  köpf,  köpf  auch  nom.  köpf,  dat.  köpf  <  köpfe?  Die  ein- 
zelnen paradigmen  haben  wol  abweichungen  im  verlaufe  ihrer 
grenzen,  doch  sind  dieselben  so  gering,  dass  die  einheit  des 
gesetzes  erkannt  werden  kann.  Die  grenze  läuft  von  N  her 
kommend  ca.  10 — 15  kilometer  östlich  vom  Neckar  in  südlicher 
richtung  über  Jagst,  Kocher.  Rems  und  Fils  bis  Bissingen, 
dann  in  südöstlicher  richtung  die  Donau  etwas  oberhalb  Ulm 
überschreitend  und  auf  ca.  30  kilometer  der  Hier  entlang  bis 
Unterdettingen,  hierauf  nach  0  bis  zur  Wertach  und  dann 
südöstlich  über  den  Lech.  Mit  dieser  linie  stimmen  auch  'dach' 
und  'loch',  nur  dass  im  S  durch  ausfall  des  ch  notwendig  Ver- 
längerung eingetreten  ist;  auch  'gold'  und  'holz'  stimmen, 
ausser  im  S.  —  Nach  F.  bewahrt  der  dativ  köpf  die  kürze; 
leider  fehlt  die  angäbe,  wie  weit  sich  diese  erhaltung  der 
kürze  trotz  apokope  des  endungs-e  erstreckt;  für  die  dative 
tisch,  laß  (überwiegend)  und  fehl  wenigstens  gilt  auch  im 
schwäbischen  NO  vocaldehnung  (Wredc,  Anz.22,325. 10,278.285). 

Zwischen  einer  linie,  die  im  grossen  und  ganzen  zu  der 
von  köpf  stimmt,  einerseits  und  Altmühl,  Lech,  Ammersee  und 
oberer  Ammer  andererseits  ist  in  den  Wörtern  mit  r  -f-  nasal: 
auch  -Im  svarabhakti  eingetreten  und  der  auslautende 
nasal  abgefallen.  Ich  stelle  diese  fälle  hierher,  da  die  alt- 
zweisilbigen formen  kurz  sind:  horner,  ärm.  Fischer  hält  den 
Zusammenhang  für  zweifelhaft.  Freilich  könnte  es  nahe  liegen, 
die  länge  in  ivurs  <  wurm  aus  der  zweisilbigkeit  zu  erklären, 
wodurch  die  tonsilbe  eine  offene  wurde.  Da  aber  an  der  Rezat 
und  mittleren  Altmühl  (vgl.  §  45)  die  altzweisilbigen  formen 
trotz  svarabhakti  kurz  geblieben  sind,  im  gegensatze  zu  den 
alteinsilbigen,  so  möchte  ich  annehmen,  dsuss  wie  dort  — 
auch  in  unserem  falle  die  alte  formel  wurm  :  würmj  vorliegt 


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160 


RITZKKT 


und  dass  sich  erst  nach  entwickelung  dieses  Unterschiedes 
wurm  >  tvürd  gebildet  hat. 

§  25.  Principiell  wie  bei  köpf :  köpf  liegt  der  fall  in  den 
Wörtern  auf  nd  und  cht  (s.  F.  19  und  karte  1);  auch  hier  sind 
die  altzweisilbigen  formen  kurz,  also  häd  (händ),  aber  hmd 
(was  im  NO  tind^  in  der  mitte  auch  für  nom.  und  acc.  mit- 
gebraucht ist),  wld  (wind)  :  wind;  nacht  (nät)y  frücht  (f'rüt). 
Aber  wir  finden  ein  viel  grösseres  Verbreitungsgebiet  als  dort  ; 
'die  grosse  abweichung  kann  nur  auf  rechnung  der  consonanz 
kommen'. 

Das  gebiet  dieser  dehnungserscheinung  ist  folgendes: 
ausser  dem  0  der  linie  köpf :  köpf  hat  ganz  Württemberg  länge 
in  häd  (händ)  mit  ausnähme  der  maa.  an  der  Enz  und  auf 
beiden  ufern  des  Neckars  von  Pleidelsheim  abwärts;  kürze 
findet  sich  ausserdem  im  SW  an  dem  oberlaufe  der  Kinzig 
und  Donau  bis  Tuttlingen.  Auf  dem  rechten  ufer  der  letz- 
teren besteht  ein  grösserer  dehnungsbezirk:  von  Riedlingen 
an  der  Donau  läuft  die  betr.  linie  südöstlich  bis  Hummerts- 
ried  und  dann  nördlich  bis  zur  liier.  —  An  der  Verlängerung 
wld  (wind)  nehmen  nicht  teil  die  maa.  an  der  Kuz  und  am 
unteren  Neckar,  an  der  Nagold,  am  oberlaufe  des  Neckars 
(bis  einige  kilometer  oberhalb  Tübingen)  und  der  Donau  bis 
Zwiefaltendorf ;  auf  dem  rechten  ufer  derselben  findet  sich  hier 
nur  ein  kleines  gebiet  mit  vocallänge.  —  Die  grenzlinie  für 
häd  (hünd)  entfernt  sich  nicht  erheblich  von  der  linie  köpf  : 
köpf;  sie  berührt  nur  zweimal  den  Neckar  ohne  ihn  zu  über- 
schreiten (vgl.  hierzu  auch  Wrede,  Anz.  19, 104  pfund,  107  Hund, 
111  kind). 

In  nacht  dehnen  die  maa.  am  unteren  Neckar  nicht  (bei 
frucht  schon  von  der  Remsmündung  ab  nicht)  und  ein  gebiet 
von  grösserem  umfange  auf  beiden  ufern  der  liier  bis  Unter- 
dettingen: sonst  das  ganze  schwäbische.  Die  linie  für  frucht 
(früt)  geht  nicht  so  weit  südlich  als  die  für  nacht,  welche  den 
ganzen  0  des  Bodensees  umfasst,  ohne  jedoch  bis  zur  liier  zu 
gehen  (vgl.  oben  §  12). 

§  26.  'Ein  einfluss  von  Verbindungen  r  f-  dental  auf  Ver- 
längerung des  vorausgehenden  vocals  ist  zwar  nicht  zu  leugnen, 
aber  auch  nicht  gesetzmässig  zu  fassen.  Nur  a  wird  hier  regel- 
mässig verlängert:  hart,  khärto,  garn*  (s.  F. 20  und  karte  18). 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  8TAMM8ILBENV0CALE.  161 

Verlängerung  vor  r  +  dental  ohne  unterschied  zwischen 
ein-  und  zweisilbiger  form  zeigt  das  grosse  hauptgebiet  mit 
ausnähme  des  oberen  Neckars  (bis  Irslingen),  der  oberen  Donau 
(bis  Irrendorf)  und  eines  gebietes,  das  sich  in  einer  breite  von 
ca.  30 — 45  Kilometern  im  NW  von  Ulm  bis  zur  Rems  erstreckt: 
unrty  kirsch,  schüre.  Im  S  der  Donau,  von  Sigmaringen  bis 
Donaustetten  auch  auf  ihrem  linken  ufer,  also  an  Schüssen, 
Iiier,  Wertach  und  Lech,  findet  sich  die  svarabhaktiform  wiart, 
die  F.  aus  dem  spiele  lässt,  'weil  sie  weder  für  kürze  noch 
für  länge  beweist'.  Ebenso  sind  die  fälle  wg»rt  'wort'  und 
fezrs  'vers'  zweifelhaft;  'ob  diese  kurz  oder  lang  seien,  ist 
schwer  zu  erkennen  und  würde  lauter  sehr  genaue  beobaehter 
erfordern'. 

Zwischen  schüre  und  Jcirsch  besteht  ein  unterschied  im  N 
des  gebiet«;  die  grenze  für  ersteres  zieht  von  der  Enzmündung 
an  den  Kocher  (etwas  unterhalb  von  Hall),  dann  nach  0  bis 
zur  mittleren  Altmühl  und  hierauf  den  Lech  hinauf,  von  dem 
sie  zum  Ammersee  abbiegt;  dann  zieht  sie  von  Wessobrunn 
in  westlicher  richtung,  Kempten  in  einem  bogen  umschliessend, 
zur  Schussenquelle  und  endlich  nach  NW  über  Epfendorf  bis 
zur  oberen  Kinzig.  Dagegen  verläuft  die  grenze  für  kirsch 
(altzweisilbig)  vom  unterlaufe  der  Enz  östlich,  schliesst  Kocher- 
und Jagstquelle  ein,  wendet  sich  nordöstlich  nach  der  oberen 
Wörnitz,  von  wo  sie,  auf  dem  rechten  ufer  derselben  bleibend, 
zum  Lech  zieht;  im  S  tritt  die  form  'kriese'  ein. 

In  arm  hat  auch  der  SW  gebiete  mit  länge. 

§  27.  'Die  lautverbindung  n  +  Spirans  hat  im  schwäbischen 
länge  des  vocals  mit  vertust  des  n  bewirkt.  Im  schwäbischen 
hauptgebiet  (zwischen  Schwarzwald,  Welzheimer  wald,  Wörnitz 
und  Lech)  herscht  die  formel  gäs  :  gh  u.  s.  f.  ohne  unterschied 
von  sing,  und  pL,  hier  also  Verlängerung  durch  n  +  spirans 
bei  ein-  und  mehrsilbiger  form'  (F.  22  und  karte  4).  Noch 
deutlicher  ist  dies  bei  den  beispielen  in  karte  5:  eins,  fünf, 
brunst,  uns  —  eis,  fif  etc.;  hier  zeigt  sich  das  hauptgebiet  im 
W,  N  und  0  von  kurzvocalischen  formen  umgeben,  und  zwar 
sind  die  grenzen,  vom  NO  abgesehen,  auch  wie  bei  gans. 

§  28.  Dehnung  vor  n  +  verschlusslaut  findet  nur  im  W 
des  hauptgebiets  statt  (F.  23  und  karte  4.  6).  Das  gebiet  für 
en  +  verschlusslaut:  it  'ente',  im  äussersten  SW  ält,  ist  am 

Beiträge  «ur  geechlchU  der  deuUcheo  ipraohe    XXIII.  H 


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162 


KITZE KT 


umfassendsten:  ausser  der  Enzma.  nimmt  nur  noch  das  obere 
Donaugebiet  bis  Tuttlingen  nicht  daran  teil.  Die  grenze  im 
0  bildet  eine  linie,  die  von  der  Remsmündung  zur  Donau  zieht . 
auf  dem  rechten  Donauufer  haben  nur  zwei  kleine  gebiete 
länge,  das  eine  bei  Tuttlingen  und  das  andere  etwas  unterhalb 
Sigmaringen.  —  Die  grenzlinie  für  dekd  4 denken',  im  äussersten 
S\V  dätka,  reicht  im  W,  N  und  0  nicht  ganz  so  weit.  —  Ver- 
längerung in  mitsch  'mensch'  findet  sich  zwischen  oberem 
Neckar  und  der  Donau  von  Tuttlingen  abwärts  (zwischen 
Neckarquelle  und  Donau  mältsch).  'Fast  immer  ist  ls,  nicht 
blos  ä  angegeben;  ein  »mensch*  würde  sich  wie  *gänse*  ent- 
wickelt haben;  der  einschub  des  t  muss  also  alt  sein'  (F.  23. 
anm.  8).  In  tvinhr  erscheint  Verlängerung  zu  witer  in  einem 
kleinen  gebiete  zwischen  Tuttlingen,  Donau-  und  Neckarquelle 
und  zu  waiter  in  einem  kleinen  bezirke  zwischen  dem  ober- 
laufe der  Donau  und  des  Neckars,  der  Ostdorf,  Bitz,  Mess- 
stetten und  Ensingen  als  grenzorte  hat  (s.  auch  Birl.51.  Bohnen- 
berger,  Alem.  24,  28). 

§  29.  Dehnung  vor  chs  mit  ausfall  der  gutturalspirans 
(F.  21  und  karte  20).  'Soweit  urspr.  hs  zu  5  geworden  ist  ist 
der  vocal  ohne  unterschied  ein-  oder  mehrsilbiger  form  ver- 
längert: fläs  'flachs',  ös  'ochs',  bis  'büchse'.  Das  gebiet  dieser 
Verlängerung  ist  dem  von  köpf  geographisch  gerade  entgegen- 
gesetzt. Daraus  geht  hervor,  dass  die  einwirkung  der  conso- 
nanz  von  jenem  allgemeinen  prosodischen  gesetz  verschieden 
—  und  mit  um  so  grösserer  Sicherheit,  dass  sie  wirklich  vor- 
handen ist.' 

Am  kleinsten  ist  das  gebiet  für  ös:  es  umfasst  den  Ober- 
lauf von  Murg,  Kinzig  und  Nagold  und  das  gebiet  zwischen 
letzterer  und  Enz.  Ausgedehnter  ist  die  Verlängerung  bis: 
quellgebiet  der  Murg,  Kinzig  und  Nagold  und  beide  ufer  des 
Neckars  von  Wittershausen  bis  Kirchentellinsfurt  (unterhalb 
Tübingen).  Am  verbreitetsten  ist  die  länge  wäsd:  von  der 
oberen  Murg  zieht  die  grenze  über  die  untere  Nagold,  südlich 
an  Stuttgart  vorbei,  übersehreitet  den  Neckar  bei  Mittelstadt, 
läuft  von  Zwiefaltendorf  die  Donau  aufwärts,  überschreitet  sie 
unterhalb  Sigmaringen  und  wendet  sich  dann  nach  SO,  den  0 
des  Bodensees  umfassend. 


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DBHHUNG  DBH  MHI).  KURZKN  RTAMMSlLHKNVOCAliE. 


168 


4.  Bairisch-öster  reichisch. 

Quellen:  Aug.  Hartmann,  Volksschauspiele.  In  Baiern  und  Oester- 
eich-Ungarn  gesammelt.  Mit  glossar.  Leipzig  1880.  —  M.  Himmelstoss, 
us dem  Bairischen  wald,  Bayerns  raundarten  1,61  ff.  239 ff.  362  ff.  2,  IIS  ff. 
13 ff.  445 ff.  —  Val.  Hintner,  Beitrage  zur  tirolischen  dialektforschung. 
er  Deferegger  dialekt.  Wien  1878.  —  Joh.  Krassnig,  Versuch  einer 
utlehre  des  oberkärntischen  dialekts.  Progr.  Ton  Villach  1870  (Kr.  hat 
Hein  die  ma.  des  mittleren  Gailtales  im  auge').  —  M.  Lex  er,  Kärnti- 
hea  wörterbnch.  Leipzig  1862  (s.  vm— xiv  giht  L.  einen  'überblick  der 
utverhältnisse'.)  —  R.  v.  Muth,  Die  bairisch-österreichische  ma.  Progr. 
n  Krems  1873.  —  Seb.  Mutzl,  Die  bairische  ma.,  Bavaria  1,339—363. 
lachen  1860.  —  H.  W.  Nagl,  Grammatische  analyse  des  niederösterreichi- 
ien  dialektes  im  anschluss  an  den  6.  gesang  des  Roanad.  Wien  1686.  — 
K.  Noe,  Beiträge  zur  kenntnis  der  ma.  der  Stadt  Iglau,  Frommanns  maa. 
SOI  ff.  310 ff.  459  ff.  —  A.  Prinzinger,  Die  baierisch- österreichische 
kssprache  und  die  Salzburger  maa.,  Mitteil.  d.  gesellsch.  f.  salzb.  landesk. 
(1882),  178  ff.  —  J.Schatz,  Die  ma.  von  linst.  Strassburg  1897.  — 
L.  Schmeller,  Ueber  die  quantität  im  bairischen  und  andern  deutschen 
ekten,  Abhandl.  d.  bair.  acad.  1830.  —  J.  A.  Sc  hm  e  Her,  Die  maa.  Bayerns 
mmatisch  dargestellt.  München  1821.  —  J.  B.  Schöpf ,  Ueber  die  deutsche 
;sma.  in  Tirol.  Progr.  von  Bozen  1852—53.  (Schöpf  1).  —  J.  B.  Schöpf, 
lantlehre  des  oberdeutschen  in  der  bairisch-österr.  volksma.  von  Tirol, 
nmannsmaa.  3, 15  ff.  89  ff.  —  J.B.  Schöpf,  Tirolisches  idiotikon.  Nach 
en  tode  vollendet  von  A.  J.  Hofer.  Innsbruck  1866.  —  K.  Weinhold, 
fache  grammatik.  Berlin  1867. 

§  30.  Mhd.  kurzer  vocal  in  offener  silbe  wird  im  bair.- 
rr.  dialekt  stets  gedehnt:  göd  'gott',  Mder  'butter',  sthner 
imer';  s.  Schmeller  §  672.  Mutzl  343.  Schöpf  2, 89  ff.  Noe  206. 
ssnig  12.  Schatz  109  ff.  Weinhold  §  7.  36.  43.  48.  51.  55.  57. 
41;  ferner  sehr  zahlreiche  belege  bei  Hartmann  im  glossar, 
I,  Lexer  vm— xiv  und  in  den  übrigen  angeführten  werken; 
Jen  Bair.  wald  s.  auch  die  einleitung  zu  Himmelstoss  von 
-enner  in  Bayerns  maa.  1, 61—64;  für  den  vorderen  teil  des 
auntales  gibt  Hauser  in  den  Forsch,  z.  d.  land-  u.  volksk. 
t— 386  belege. 

§  31.  Durch  vocalsynkope  in  suffixen  und  flexionssilben 
gte  ausnahmen  kommen  allenthalben  vor,  am  häufigsten 
rol  und  Kärnten;  Tirol:  Hammel,  nepl  'nebel',  doch  auch 
Kärnten:  nägl  'nagel',  ösl  'esel',  künik  'kömg';  die  für 
im  Oberinntale  Tirols  geltenden  kürzen  s.  bei  Schatz  114. 
ahlreich  sind  daneben  die  fälle,  in  denen  der  regelrecht 
nte  vocal  erscheint:  stifl,  igl,  höftmsr  'hammer'  etc. 

n* 


164 


SITZEST 


Im  hauptgebiete  sind  diese  (scheinbaren)  ausnahmen  sehr 
selten;  vgl.  Weinh. 50:  'die  zahl  der  heute  erhaltenen  kurzen  a 
vor  einfachen  consonanten  ist  sehr  gering';  hierher  zu  zählen 
sind  vater,  Immer,  kavier,  in  denen  nach  Schmeller  1,  755  die 
Quantität  schwankt.  Kürze  in  vater  finde  ich  ausser  in  Tirol 
und  Kärnten  (s.  unten  §  33)  nur  noch  bei  Muth  16;  bei  Xagl 
und  Schmeller  2,  §  672  hat  das  wort  gedehnten  vocal.  —  Nach 
Weinh.  s.  60  erhält  sich  vor  m  zuweilen  die  kürze  e:  nemmtn, 
hemmen  (=  'nehmen,  kommen');  für  beide  worte  ist  aber  als 
quelle  nur  Luterotti,  Gedichte  im  Tiroler  dialekt  (Innsbruck 
1848)  gegeben,  während  Weinhold  s.  65  selbst  als  allgemein 
für  den  bair.  dialekt  geltend:  gnomen,  körnen  anführt.  Be- 
stätigt und  ergänzt  werden  diese  angaben  durch  eine  der 
neuesten  dialektarbeiten;  nach  Schatz  114  haben  beide  Wörter 
in  Imst  in  allen  formen  die  kürze,  in  der  Umgebung  aber  ist 
die  dehnung  durchgeführt.  Auch  die  Salzburger  ma.  hat  nach 
Prinz.  193  bökemma,  doch  süma  'sommer';  ferner  gibt  Hart  m.  583 
kemnUT.  Kurzes  i  findet  sich  nach  Weinh.  61  in  zimlicli,  wider 
adv.;  leider  fehlt  genauere  Ortsbestimmung. 

Mutzl  343  hat  als  kürzen  nur  gettä  'götter',  blddl  dim. 
zu  bläd  'blatt',  wetta  'wetter';  auch  bei  Noe*  findet  sich  nur 
sehr  selten  kürze:  scJiättn,  gleppn  'kleben',  gibbl  u.  a.  Im 
Bair.  wald  finden  sich  nach  Bayerns  maa.  1, 62  neben  einander: 
breddr  und  brtdof  'bretter',  wedor  und  wedor  'wetter'. 

Wenn  in  einzelnen  fällen  mit  stammhaftem  /  allgemeiner 
die  kürze  erscheint  wie  in  bc'tn  'beten',  schmitn,  schütn,  noten 
pl.  'noten',  dretn  'treten'  (vgl.  zu  letzterem  Schatz  112),  so 
gehören  diese  ebenfalls  zu  diesem  capitel.  Vgl.  Weinh.  s.  293 
und  311.  Schatz  112. 

In  der  verbalflexion  begegnet  uns  die  alte  kürze  häufig. 
Im  ganzen  gebiete  findet  bei  Stämmen  auf  d  oder  t  in  der 
3.  sing,  und  2.  pl.  praes.  und  bei  den  schw.  verben  in  der  1. 
und  3.  sing,  und  2.  pL  praet.  und  im  part.  praet.  stets  synkope 
des  flexionssilbenvocals  statt,  wodurch  gemination  mit  kürzung 
des  vormals  entsteht  (Weinh.  290.  308).  Nach  p  (b)  und  g 
und  k  fällt  in  der  3.  sing,  und  2.  pl.  praes.  t  regelmässig  ab, 
der  stammauslaut  wird  verschärft,  der  stamm  vocal  gekürzt 
(Weinh.  147.  290. 308;  s.  ferner  Schmeller  2,  §  675.678.  Mutzl  361. 
Lexer  xiv.  Xagl  26.  Noe  319.  321.  Schöpf  2, 102.  Prinz.  191). 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  8TAMM8ÜLBENVOCALE.  165 


Für  die  2.  sing,  praes.  sagt  Weinh.  289:  1  der  endvocal 
uuterliegt  der  sjukope'.  Mit  dieser  erscheinung  ist  nach  Nagl 
s.  10  (§  3.  4)  kürze  des  stammvocals  verbunden.  Schöpf  fasst 
(2,102)  alles  hierher  gehörige  in  den  allgemeinen  satz:  'tritt 
in  der  flexion  zu  dem  einfachen  consonanten  ein  anderer,  so 
bleibt  die  kürze:  »  säg,  aber  du  sägst,  er  sägt  (und  söt),  gesagt 
(g'satt,  gsöt). 

§  32.  Die  erhaltung  der  kürze  des  vorhergehenden  vocals 
findet  im  bair.-österr.  gebiete  auch  dann  statt,  wenn  in  der 
composition  oder  im  satzzusammenhange  zwei  verwante  con- 
sonanten sich  anziehen  und  wechselseitig  verstärken;  s.  Nagl 
s.  27:  glös  'glas',  aber  glöffüus.  Nagl  hat  hierüber  sehr  aus- 
führlich in  dem  ungemein  interessanten  capitel  'assimilation' 
gehandelt  und  den  satz  aufgestellt  (s.  10,  §  3.  4),  dass  die  in- 
tensivität  der  consonantenaussprache  mit  der  länge  des  vorher- 
gehenden vocals  in  verkehrter  proportion  steht.  Während  die 
assimilation  im  worte  stets  kürze  bedingt,  da  die  die  assimi- 
lation hervorrufenden  consonanten  nie  von  einander  getrennt 
werden:  sah  aus  sögt,  gip  aus  gibt,  leipa  (mit  kurzem  diphthong) 
aus  leiw-ta  'lebtag1  — ,  hört  man  im  satze  überall  auch  die 
nicht  assimilierte  form  sprechen,  trotzdem  diese  assimilationsart 
im  ganzen  gebiete  des  bajuwarischen  dialekts  gebräuchlich  ist 
(a.  a.  o.  s.  26)  —  Zu  dieser  durch  assimilation  hervorgerufenen 
lautlichen  Veränderung  gehört  es,  wenn  v.  Muth  16  sagt,  der 
bair.-österr.  dialekt  habe  den  hang,  die  im  hochdeutschen  lange 
Stammsilbe  zu  verkürzen,  und  Weinhold  112,  im  bair.  werden 
(alle  im  gemeinen  deutsch  geschärften  Stammsilben  gedehnt, 
und  umgekehrt)  die  gedehnten  geschärft  ;  unser  gesetz  von  der 
dehnung  in  offener  silbe  wird  durch  diese  assimilation  nicht 
alteriert 

§  33.  Wirkliche  ausnahmen  von  obigem  gesetze  begegnen 
uns  in  den  maa.  von  Tirol  und  Kärnten.  Von  Tirol  gilt,  was 
Schöpf  1,8  sagt:  'einzelne  ursprüngl.  lautverhältnisse,  manche 
kürzen  hat  die  ma.  bewahrt';  ferner  s.516:  'Oberinntal,  besonders 
aber  Paznaun  hat  unverkennbar  viel  schweizerische  demente; 
die  ma.  im  Lechtal  scheint  den  Übergang  zum  alem.  zu  bilden'. 

Kürze  vor  t  habe  zahlreiche  Wörter  in  Tirol:  brett  und  dim. 
brittl,  statt,  ttitt  4sitte'  (an  der  oberen  Etsch  und  Kisack  slt\ 
glätt,  gesotten  u.  a.;  neben  krott'n  steht  bot  'kröte';  andere 


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166 


KITZEKT 


haben  nur  länge:  bot  'böte'  u.  a.  (s.  die  beispiele  bei  Schöpf 
und  Hintner) ;  nach  Weinh.  65  kommt  im  bair.  auch  bott  und 
botten  vor:  ich  finde  die  kürze  in  diesen  nirgends  belegt. 

In  der  erklärung  der  Verschiedenheit  der  quantitat  vor  t 
stimme  ich  Schatz  111  f.  zu:  das  t  war  in  inlautenden  formen 
zur  zeit  der  dehnung  anlaut  der  schwachtonigen  silbe,  so  dass 
der  stammvocal  schwachgeschnittenen  accent  hatte,  die  Vor- 
bedingung der  nhd.  dehnung  (Paul,  Beitr.  9, 102).  Der  kleinere 
teil  der  Wörter  mit  auslautendem  t  hat  nun  die  dehnung  aus 
dem  inlaut  übernommen;  grösstenteils  aber  wurde  die  aus- 
lautende kürze  in  den  inlaut  übertragen:  got  'gott',  mit  'mit\ 
srit  'schritt',  glot  'glatt'  etc.  Die  ma.  (Imst)  dehnte  vor  aus- 
lautender verschlussfortis  den  vocal  nicht,  während  vor  aus- 
lautender lenis  die  dehnung  —  m.  e.  in  folge  Übertragung  aus 
dem  inlaut  —  eingetreten  ist;  vor  auslautendem  t  aber  wurde 
der  schwachgeschnittene  accent  gesetzmässig  durch  den  stark- 
geschnittenen ersetzt,  wie  die  überzahl  der  beispiele  beweist. 
Oestlich  von  Imst  erscheint  die  länge:  mit,  srit,  ebenso  im 
Unterinntale  von  Telfs  abwärts.  S.  auch  Sievers,  Phonetik4. 
§  792. 

Auch  in  Kärnten  erscheint  nicht  selten  vor  t  kürze:  göte 
=  'pate',  statt,  mda  (nur  in  Unter-K.)  u.  a.;  im  kämt.  Möll- 
tale,  wo  dehnung  in  weiterem  umfange  als  im  übrigen  K. 
stattfindet,  aber  blät  'blatt'  u.s.w.  (Lexer  vm). 

In  Tirol  und  Kärnten  erscheint  auch  einige  mal  vor  d 
kürze:  T.:  y  statt  'gestade',  jud  'jude',  röd  neben  red  'rede': 
K.:  Ut,  aber  Vidi  'glied',  pal  'bad',  wäde  und  wädi  'wade'  u.  a. 

Anm.  1.  Die  Salzh.  ma.  (Pinzgau,  Zillertal,  Pongan,  Brixental) 
kennt  kiirze  vor  t  nicht:  rauda  'vater',  gada  'gatter',  schrid  'schritt' 
(Prinz.  187  ff.). 

Ausserdem  ist  in  Tirol  und  Kärnten  in  manchen  ein- 
silbigen Wörtern  die  kürze  erhalten;  T.:  Min  <  büne,  toll 
'tüchtig',  mäll  'mühle'  u.a.  (Schöpf  1, 11.  Erklärung  bei  Heusler, 
Oonson.  18).  —  Für  K.  sind  bei  Lexer  mehr  hierher  gehörige 
fälle  zu  finden;  in  manchen  tritt  in  den  flectierten  formen 
die  gesetzmässige  länge  ein:  täk  'tag',  aber  pl.  Ulge-,  grass 
'gras',  aber  dim.  gräsrl,  tnel  'mehr  und  mUwih  'mehlig',  hoff' 
•hof  neben  houf  u.  a. 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMM8ILBENV0CALE.  167 

Anm.  2.  Nach  Schmeller  1,  755  ist  die  quantität  schwankend  in  ml, 
tai,  schtcan,  bind,  glas,  gras;  es  fehlt  zwar  die  angäbe,  wo  in  diesen  Wörtern 
die  kürze  erscheint,  doch  hatte  Schra.  jedenfalls  die  eben  genannten  gebiete 
im  ange. 

§  34.  Als  zweites  hauptdehnungsgesetz  gilt  für  unseren 
dialekt  mit  ausnähme  des  südlichen  Tirols  und  Kärntens,  dass 
der  vocal  in  mhd.  einsilbigen  Wörtern  vor  doppelconsonanz 
gedehnt  wird.  In  der  ableitung  und  flexion  erscheint  wider 
die  alte  kürze;  'die  consonantenverstärkung  (und  die  damit  ver- 
bundene schärfung  des  vorvocals)  tritt  ein,  wenn  eine  endsilbe 
folgt,  selbst  wenn  sie  aus  einem  unausgesprochen  bleibenden 
vocal  bestünde'  (Schmeller  2,  §  403).  Hiermit  stimmt  folgende 
tatsache  des  Wenkerschen  Sprachatlas:  südlich  der  linie  Lech- 
mündung,  Donau,  Ingolstadt,  Neumarkt,  Eger  hat  der  dativ 
sing,  tisch  kurzen  vocal,  nördlich  gedehnten  (Wrede,  Anz.  22, 
325);  ferner  gibt  Brenner  in  Baj'erns  maa.  1,62  hrös  'ross', 
aber  dat.  hros;  weitere  beispiele  tis,  pl.  tis;  truzm.,  aber  trutzeg; 
stüy  'stück',  pl.  ebenfalls  stmj,  da  auf  mhd.  einsilbige  neben- 
form  zurückgehend  (s.  Schmeller  2,  §691;  ferner  §  111.115. 
116.  422.  453.  457.  508.  617.  640.  665—667.  690.  Weinhold  §  7. 
36.  43.  48.  51.  55.  57.  61.  Mutzl  343.  345.  351.  Noe  208.  Nagl 
442  (§  10.  12).  358.  Bayerns  maa.  1, 62  ff.;  ferner  zahlreiche  bei- 
spiele bei  Hartmann).  Wie  weit  die  Salzburger  ma.  beteiligt 
ist,  vermag  ich  nicht  genau  zu  bestimmen;  Prinz,  hat  wol 
wünscht  'wurst',  schautz  'schätz',  sauk  'sack'  u.a.,  aber  rock, 
köpf  u.  a. 

In  Tirol  zeigt  das  gesetz  erst  von  Telfs  abwärts  nach  Hall 
und  um  Innsbruck  seine  Wirkung  (Schöpf  2, 90  ff.);  doch  hat 
die  Imster  ma.  in  einer  reihe  von  Wörtern  mit  auslautender 
spirans-fortis  den  kurzen  vocal  gedehnt:  <yri/* 'griff',  pis  'biss', 
stix  'stich'  u.  a.  (Schatz  109  f.).  Nach  karte  1  in  Fischers  atlas 
setzt  sich  die  linie  für  köpf :  köpf,  die  bei  Epfach  den  Lech 
überschreitet,  in  südöstlicher  richtung  fort  bis  Ohlstadt  an 
der  Loisach  (der  weitere  verlauf  ist  nicht  mehr  zu  sehen): 
der  Oberlauf  der  Loisach  hat  also  keinen  anteil.  Für  wind 
Ist  die  grenzlinie  bis  zur  Isar  verzeichnet:  im  S  der  linie 
Epfach,  Wessobrunn,  Loisaehmündung  gilt  kürze.  —  Von  den 
maa.  Kärntens  gehört  das  Mölltal  hierher:  h/md  'hand'.  nit 
'nicht';  Lexer  vm. 


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108 


KITZERT 


§  35.  Ausnahmen  des  vorstehenden  gesetzes  finden  sicli 
bei  bestimmten  consonantengruppen: 

a)  Fast  allgemein  unterbleibt  die  dehnung  vor  urspr.  hs 
=  ks  :  flachs,  fuchs;  Schindler  2,  §  423;  auch  Nagl  gibt  bei- 
spiele  dieser  art;  s.  ferner  Bayerns  maa.  1, 62. 

b)  Zuweilen  lautet  im  ostlechischen  dialekte  am  ende 
gewisser  nicht  flectierten  formen  fs  wie  ff  :  liaff  nuff  (Schm. 
2,  §  648.  194). 

c)  Nach  Schm.  2,  §  666  bewahrt  sch  in  einigen  unflectierten 
formen  den  scharfen  laut:  falfch,  hirfch. 

d)  In  Niederösterreich  tritt  vor  nz  nur  in  wenigen  fällen 
dehnung  ein:  schwäimz,  pl.  schwänz;  1 die  dehnung  wird  durch 
consonantenverhärtung,  die  hier  durch  consonantenhäufung  be- 
dingt ist,  verhindert';  'ntf  ist  von  dauernder  inhärierender 
schärfe'. 

Am ii.  !.  In  NiederöKterreieh  bleiben  nomina  auf  ad  nnd  elid  'am 
liebsten'  anch  im  pl.  ungeschärft:  fpechd,  pl.  fpechdn;  löad,  phlösdn,  aber 
niisd,  pl.  nei/'da;  doch  behalten  diejenigen,  die  ein  historisches  e  verloren 
haben,  scharfes  -fl  :  griß  'gerttste'  (Nagl  195),  wie  Überhaupt  alle  mhd.  nicht 
einsilbigen  Wörter  kurz  bleiben,  wenn  sie  auch  im  dialekte  einsilbig  er- 
scheinen (Nagl  442,  $  12). 

Anm.  2.  Hin  und  wider  kommt  es  vor,  dass  die  quautität  des  noni. 
sing,  in  flectierte  formen  eindringt;  s.  Schmeller  2,  §  640:  gtcis  'gewiss'  und 
zuweilen  auch  f  gwitu,  fn  gwim;  Bayerns  maa.  1,  62  für  den  Bair.  wald: 
khrefdn  'kraft  nnd  kräfte',  khrefdig. 

§  36.  Kinen  weitgehenden  dehnenden  einfluss  auf  den 
vorausgehenden  vocal  haben  im  bair.-österr.  dialekte  die  li- 
quiden /,  r  und  die  nasale  m,  n,  v  (s.  Schmeller  §  542.  627.  555. 
568.  613.  Nagl  27.  442).  Nach  beiden  forschern  sind  diese  laute 
einer  Verstärkung  fast  nicht  fähig,  so  dass  meistens  die  gemi- 
naten  II  etc.  wie  einfache  laute  ausgesprochen  werden  'und 
also  den  vorhergehenden  vocal  nicht  schärfen'  (Schm.  2,  §  111). 
Beispiele:  fällen;  tälla  sing,  und  pl.  'teller';  pfwträ  'pfarrer', 
pl.  pfära;  law  4lamm';  khaü'l  'kännlein';  pfainiv  'pfennig'. 
Belege  zu  dieser  erscheinung  geben  auch  die  übrigen  quellen. 

Schm.  macht  in  den  citierten  Paragraphen  die  bemerkung, 
dass  diese  'eigenheit'  von  eingeborenen  auch  auf  die  ausspräche 
des  schriftdeutschen  übertragen  wird. 

In  der  Imster  ma.  ist  nur  in  der  lautgruppe  -br  vocal- 
dehnung  eingetreten:  hro  'irren',  kshr  'geschirr'  (Schatz  114); 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KUBZEN  ST AMM8I LBEN VOC ALE.  169 


ausserdem  noch  in  möü  'mann',  feal  'feil'  (auch  im  pl.  fahr) 
und  kxroüm  'krampf  (mhd.  kram,  gen.  krummes);  s.  Schatz  113. 

§  37.  Für  die  niederösterreichische  ma.  haben  auch  die 
Verbindungen  liquida  und  nasal  -f  consonant  dehnenden  ein- 
fluss,  besonders  v  vor  k  und  l  vor  dental-  und  palatalmuten 
(s.  Nagl  358):  gedäukä  pl.  'gedanken',  zaumhölldn  '  zusammen- 
halten', kholldar  comp,  zu  khölld;  aber  böllg  'balg',  pl.  bdllk  u.a. 

Die  hierher  gehörigen  Verbindungen  r  +  consonant  be- 
wirken fast  regelmässig  vocaldehnung:  khdiiw  'korb',  pl.  kheaw; 
steam  'sterben';  guadn  'garten'  —  nicht  aber  gewöhnlich  r  +  k 
(Nagl  112)  und  r  f-  spirans  (Xagl  358):  stoak  'stark',  schmeaz 
'schmerz';  in  Wien  auch  nicht  die  Verbindung  rt  (Nagl  71), 
während  der  Neunkircher  dialekt  vor  rt  nur  selten  kürze  hat 
wie  in  gdtn  'gerte';  neben  ftadi  'fertig'  steht  fmdi,  das  die 
jetzt  gebräuchlichste  form  ist  (Nagl  81). 

Dagegen  hat  in  Niederüsterreich  nd  die  neigung  zur 
härtung  im  miaute  (Nagl  419),  d.  h.  nur  im  pl.  der  auf  -nd 
auslautenden  Substantive  und  in  allen  formen  der  starken 
verba  (Nagl  358):  sind  'sünde',  aber  pl.  sintn;  fintn  'finden'; 
eine  anzahl  hat  aber  auch  in  mehrsilbigen  dehnung:  baünd  und 
pl.  banda,  länd  und  dim.  ländl  (s.  hierzu  Nagl  421). 

Anm.  Das  bairische  südlich  der  Donau,  ferner  im  Bair.  wald  und  am 
oberen  Regen,  vereinzelt  an  der  AltmUhl,  hat  mouillierung  des  /:  solz  'salz'. 
Die  grenze  dieser  erscheinnng  im  W  bildet  der  untere  Lech  und  dann  eine 
linie,  die  nördlich  an  Augsburg  vorbei  nach  SO  zieht  zwischen  Aramer- 
and  Würnisee  durch,  um  westlich  von  Mittenwald  die  reichsgrenze  zu 
treffen;  s.  Wrede,  Anz.  fda.  19,  102.  Schmeller  §  523—525. 

Ob  die  durch  die  Verbindungen  von  liqu.  oder  nasal  -f 
cons.  bewirkten  längungen  für  weitere  gebiete  giltigkeit  haben, 
vermag  ich  nicht  zu  entscheiden,  da  aus  den  vereinzelten  bei- 
spielen  der  mir  vorliegenden  arbeiten  sichere  Schlüsse  nicht 
zu  ziehen  sind.  Nur  was  die  Verbindungen  von  r  +  eons.  be- 
trifft, lässt  sich  noch  folgendes  sagen. 

Die  wortsammlung  aus  dem  Bair.  wald  in  Bayerns  maa.  1 
und  2  von  Himmelstoss  hat  sehr  zahlreiche  beispiele  mit  länge 
vor  r  +  cons.:  dfom»  'türmer',  fdrln  'ferkel  werfen',  fiorsn 
, ferse'  u.  a.;  selten  ist  der  vocal  kurz:  gart  -gerte',  meorkj' 
'merken'. 

In  Tirol  und  Kärnten  findet  häufig  vor  r  +  n  vocaldehnung 


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170 


RITZERT 


statt:  gärn,  tum  'türm'  und  pl.  tirn  u.  a.:  vor  r  +  t,  d  haben 
in  Tirol  die  meisten  Wörter  kürze,  nur  einige  auf  mhd.  a  und  e 
sind  gedehnt:  ärt  1 geschlecht '  und  ärtlich,  crd'n  'erde',  herd  < 
hört  m.;  allgemein  icear  'werde';  auch  oart  'ort'  und  pl.  earter, 
woart  und  dim.  wertl. 

Für  Imst  gilt  dehnung  des  s  vor  r  -f  dental,  cons.,  des  e 
vor  r  -f-  dentaler  lenis  und  des  o  vor  r  -f  dental;  vereinzelt 
sind  (>rf  'art',  tsfrt  'zart  ',  fQrt  (aber  ßrtiy),  $rs,  1e$irt&  'kerze*. 
tnöirts,  kföirt 4 f ahrzeug',  gepürt  'geburt'  (s.  Schatz  114  f.).  Die 
maa.  westlich  von  Imst  haben  e  und  t  auch  vor  r  +  lab.  und 
gutt.  cons.  gedehnt  (s.  Schatz  §  40.  43). 

Die  dehnung  vor  r  -f  consonant  ist  mithin  nach  den  ein- 
zelnen vocalen  und  consonanten  in  der  einzelma.  wie  unter 
den  verschiedenen  maa.  Tirols  eine  verschiedene;  ebenso  ist 
es  in  Kärnten.  Im  kärntischen  Gail-  und  Drautal  erscheint 
vor  r  +  cons.  aber  häufiger  die  länge  (s.  Lexer  ix);  ebenso  im 
Mölltal;  im  Lavanttal  wird  r  und  der  ihm  vorausgehende  vocal 
gedehnt  gesprochen  (s.  Lexer  xn). 

§  38.    Als  einzelheiten  erwähne  ich  noch  folgendes: 

a)  In  Niederösterreich  ist  vocaldehnung  vor  ck  eingetreten 
in  bu(ß  'buckel',  wogin  'wackeln',  süga  'zucker'  u.a.;  ferner 
vor  tz  in  mtzn  'mütze'  und  Uczn  schw.  m.  =  'gedörrte  obst- 
spalte'. Vereinzelt  kommen  diese  fälle  auch  sonst  vor;  so  hat 
Kärnten  spotze  und  dim.  spätz-l  'spatz';  für  Iglau  gibt  Noe  bükt. 

b)  Vor  doppelspiranten  ist  in  der  kärntischen  Gnesau 
dehnung  eingetreten;  vgl.  Lexer  in  s.  überblick:  gscss'n,  essrn, 
trefn.  Nach  Prinz.  182  findet  sich  diese  erscheinung  auch  iu 
einem  'teil  von  Kärnten'  und  in  dem  Salzb.  Lungau:  ccsn 
'essen',  waasa  'wasser'. 

In  diesen  fällen  lag  bei  eintritt  der  dehnung  keine  gemi- 
nation  mehr  vor,  so  dass  der  vocal  im  silbenauslaut  stand; 
dieselben  sind  deshalb  principiell  wie  die  in  §  30. 

5.  Ostfränkisch. 

Quellen :  11.  Bauer,  Der  ostfränkische  dialekt  zu  Künzelsau,  im  Wir- 
temberg.  Franken,  Zs.  d.  bist.  ver.  f.  d.  Wirt  Franken  6,  3  (1864),  309  ff.  — 
0.  Felsberg,  Die  Kobnrger  nia..  Mitteilungen  «1er  geogr.  gesellschaft  zu 
Jena  6  (\bbb),  127  ff.  E.  Fentsch,  Die  ofaerpflUiische  ina.,  Bavaria  2. 
abt.  1  (München  1SC.3),  193—217..  ('.Franke.  Die  unterschiede  de»  ost- 
fränkiseh-oberpfalzischen  u.  obersächsischen  dialekt,  Bayerns  maa.  1 , 19-36, 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMM8ILBENV0CALE.  171 

261—290.  874— 389  und  2,73—93.  317—343.  —  G.  K.  Frommann.  Gram- 
matischer abriss  der  Nürnberger  ma.,  in  J.  W.  Weikerts  Ausgew.  gedichten 
(Nürnberg  1872),  289  ff.  —  G.  K.  Frommann,  Kurze  graminatik  der  Nürn- 
berger ma.  und  Glossar  zu  Grtibels  sämtlichen  werken  (Nttrnb.  1873),  221  ff. 
(ich  citiere  letztere  arbeit,  da  sie  die  ausführlichere  ist).  —  E. Göpfert, 
Die  ma.  des  sächs.  Erzgebirges.  Leipzig  1878.  —  H.  Gradl,  Die  maa.  West- 
böhmens, Bayerns  maa.  1,  81—111.  401-444.  2,95-117.  207-242.  364-383, 
auch  sep.  München  1895  (Gradl  hat  ausser  zahlreichen  beantwortnngen  von 
umfassenden  fragebogen  in  seiner  arbeit  die  literarischen  erscheinungeu 
benutzt,  die  die  maa.  Westbbhmens  betreffen;  es  sind  dies  u.a.:  Ig.  Petiers, 
Bemerkungen  über  deutsche  dialektforsch,  in  Böhmen,  Prag  1862,  und  An- 
deutungen zu  einer  Stoffsammlung  in  d.  deutsch,  maa.  Böhmens,  Prag  1864; 
J.  Nasal,  Die  laute  d.  Tepler  ma.,  18M;  R  Manul,  Die  spr.  d.  ehem.  her- 
schaft Theusing,  Pilsen  1886;  ./.  Neubauer,  Ein  beitrag  z.  erforsch,  d.  Eger- 
länder  ma.,  1SS9;  Jos.  Kö fei  l,  Der  polit.  bezirk  Tachau,  1890;  ferner  seine 
eigenen  abhandlungen  in  der  Zh.  f.  vgl.  sprachf.  17.  18  [Znm  ostfr.  vocalis- 
musj,  19  [Der  ostfr.  dialekt  in  Bhm.]  und  17.  19.  20  [Zur  künde  deutscher 
maa.  (ostfränkisch)],  sein  Egerländisches  Wörterbuch,  1S83,  u.a.:  s.  Bay. 
maa.  1,  108).  —  Haupt,  Die  ma.  der  drei  Frauken,  Bavaria  .'1.  abt.  1,  191  ff. 

—  R.  Hedrich,  Die  laute  der  ma.  von  Sehöneek  im  Vogtlande.  Leisniger 
Progr.  1891.  —  O.  Heilig,  Beitrage  zu  einem  Wörterbuch  der  ostfr.  ina. 
des  Tanbergrundes.  Heidelberger  progr.  1894  (ausserdem  habe  ich  von  herm 
prof.  O.  H.,  der  demnächst  eine  graminatik  der  maa.  d.  T.  herausgibt,  brief- 
liche mitteilungen  über  d.  dehnungserscheinungen  seiner  ma.).  —  L.Hertel, 
Die  Greizer  ma.,  Mitteilungen  der  geogr.  gesellsch.  zu  Jena  5  (1887),  132  ff. 

—  0.  Hertel,  Die  Pfersdorfer  ma.  (bei  Hildburghausen;  mannscript).  — 
E.  Reichhardt,  E.  Koch  und  Th.  Storch,  Die  Wasunger  ma.,  in  den 
Schriften  des  Vereins  für  meiningische  geschichte  u.  landeskuude,  lieft  17 
(Mein.  1895).  —  J.  B.  Sartorius,  Die  ma.  der  Stadt  Würzburg.  Würzburg 
1862.  —  Aug.  Schleicher,  Volkstümliches  aus  Sonneberg  im  Mein.  Ober- 
lande. Weimar  1858.  —  A.Stengel.  Beitrag  zur  kenntnis  der  ma.  an  d. 
schwäb.  Rezat  und  mittl.  Altmühl,  Frommanns  maa.  7,  389  ff.  —  B.  Spiess, 
Die  fränkisch-hennebergische  ma.  Wien  1873.  —  Für  da«  württemb.  und 
bair.  Ostfranken  wurden  ferner  benutzt :  H.Fischer,  Geographie  d.  schwäb. 
ma.  und  J.  A.  Schmeller,  Maa.  Bayerns.  München  1821. 

§  39.  Mhd.  kurzer  vocal  in  offener  silbe  wird  im  ostfr. 
stets  gedehnt:  schliten,  kete  'kette',  geUten,  hämer  'hammer 
(s.  Fentsch  193.  Frommann  §  29.  30.  32.  34.  49.  Heilig,  briefl. 
mitt.  O.Hertel  32.  Haupt  252.  Gradl  in  Bay.  maa.  2,209.  Hed- 
rich 11.  L.Hertel  136.  Felsberg  128.  Schleicher  25.  Uöpfert  19. 
20.  Fischer  §  13.  Schmeller  §  111).  In  den  übrigen  genannten 
quellen  sind  die  belege  zerstreut  ;  im  bes.  verweise  ich  auf 
Franke,  der  in  Bay.  maa.  1. 28  ff.  zahlreiche  beispiele  aus  dem 
ganzen  gebiete  gibt. 


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172 


RITZE  RT 


Wo  durch  abfall  der  endconsonanz  der  vocal  auslautend 
wurde,  ist  lautgesetzlich  dehnung  eingetreten;  dieses  gilt 
namentlich  für  -n  fast  im  ganzen  gebiete:  bi  'bin'  (im  Vogtl. 
bin,  bei  Gradl  und  Schleicher  aber  bin);  kt  'kinn'  im  Henne- 
berg; dt  'denn'  im  Erzgeb.;  6  'ab':  Rhön,  Würzburg,  Ebrach, 
Bamberg,  Vogtland;  ü-  =  un-  u.  a.  (s.  Franke  34 — 36.  Gradl 
210.  L.  Hertel  143.  Felsberg  140). 

In  manchen  fällen  ist  auch  vor  urspr.  doppelconsonanz 
der  vocal  in  offener  silbe  gelängt;  dieses  war  aber  erst  mög- 
lich, als  durch  consonantenausfall  einfache  oonsonanz  entstanden 
oder  die  geminata  vereinfacht  war,  so  dass  hier  derselbe  fall 
vorliegt  wie  oben.  Hierher  gehört  wuner  'wunder'  in  Ochsen- 
furt in  Unterfr.  und  in  Eger,  Hmln  4 schimmeln'  in  Theusing 
<  ahd.  scimbalön  (aber  schon  mhd.  schimelen):  risl  'rüssel'  in 
Welletschin  (Böhmen);  bügl  'buckel'  in  der  Tepler  ma.;  wögein 
im  Erzgeß.;  ferner  vor  z  (tz)  allgemein  in  den  maa.  West- 
böhmens in  ädsn  ;zu  essen  geben',  stridsl  'gebäck',  hüdsl  (<  hu- 
tzele), ätidsn  (<  stütze)  'traggefäss'  (s.  Gradl  211).  Vor  tz  er- 
scheint vocallänge  auch  sonst  in  vereinzelten  fällen;  s.  die- 
selben bei  Franke  29  ff.  Hedrich.  Spiess. 

§  40.  Die  vorkommenden  abweichunge'n  sind  mit  aus- 
nähme eines  falles  nur  scheinbare.  Dieser  fall  betrifft  einige 
Wörter  mit  Z,  die  im  hennebergischen,  in  Sonneberg  (Schleicher 
s.  26),  Bamberg,  Schöneck  und  teilweise  in  Westböhmen  (Gradl 
8.212)  kürze  haben:  fil  'viel',  spil  'spiele'  und  dazu  spiler 
suln  -sohle',  dol  'toll*;  in  Henneberg  auch  in  koln  'kohle',  rüt- 
tele -rotkehlchen'  u.  a.;  für  Schöneck  ist  es  ausserdem  bezeugt 
in  huln  'holen',  kätuln  'gestohlen',  wul  'wol';  für  das  Erzgebirge 
finde  ich  huln  belegt,  —  Fast  ausschliesslich  haben  wir  es 
also  in  diesen  fällen  mit  kurzem  i  und  o  zu  tun;  femer  ist 
beachtenswert,  dass  nur  der  nördliche  teil  des  gebiets  die- 
selben kennt. 

Vereinzelt  erscheint  die  kürze  in  einsilbigen  Wörtern,  so 
öfter  in  gott  'gott'  (schriftsprachlicher  einfluss);  ferner  sind 
bezeugt  für  das  Erzgebirge  bin  sg.  und  pl.  'biene',  grub  'grob', 
stod  ' stadt';  für  Schöneck  per  'birne'  (auch  in  Greiz),  hänv 
'halnT,  mal  'matt'  u.a.  Gradl  gibt  für  Westböhmen  matt, 
trup  (<  trupe).   In  Künzelsau  erscheint  hier  häufiger  die  kürze 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  RTAMM8ILBENV0CALE.  173 


''böte',  satt,  red  neben  rvkl  'rede',  grab  'rabe'  u.  a.;  s.  Hauer 
{96:  'manche  einsilbige  werden  geschärft'. 

Das  adverb  weg,  das  wie  in  allen  dialekten  auch  in  Ost- 
nken  wegen  des  stets  mit  ihm  verbundenen  energischen 
entes  vocalkürze  hat,  erscheint  in  Triebel  und  Schönbrunn 
Vogtland  mit  langem  e  (Franke  31). 

§  41.  Die  oben  erwähnten  scheinbaren  ausnahmen  nun 
reffen  eine  nicht  grosse  anzahl  mehrsilbiger  Wörter  auf 
und  -er,  seltener  auf  -en  oder  andere  suffixe,  in  denen 
h  erfolgter  vocalsynkope  in  den  endungen  der  stammsilben- 
al  nicht  in  den  silbenauslaut  zu  stehen  kam.  In  einigen 
i.  ist  die  zahl  dieser  'ausnahmen'  sehr  gering,  wie  z.  b.  in 
«rtbohmen,  wo  die  kürze  nur  in  fättar  'vater'  (städtisch), 
r  'adler'  (Theusing),  hejfm  'hefe'  (Eger,  aber  anderwärts 
%\  nbnma  'nehmen'  (fast  allgemein),  klebbm  'kleben',  summa r, 
nl,  khummad  (<  komat)  erscheint  (in  den  drei  letzten  wör- 
nimmt  Gradl  vordringen  schriftsprachlichen  gebrauches  an); 
so  selten  sind  die  'ausnahmen'  im  Erzgebirge,  in  Sonne- 
,  Pfersdorf,  Henneberg,  Nürnberg  (Fromm.  §  8.  30a.  32.  45). 
Im  W  des  gebietes  treten  diese  kürzen  wol  etwas  zahl- 
ter  auf  (s.  Bauer  374  und  396;  auch  Heilig  bestätigt  es), 
bleiben  sie  in  der  minderheit  gegenüber  den  regelrechten 
in ;  zudem  zeigt  sich,  dem  wesen  dieser  analogiebildungen 
>rechend,  ein  schwanken  der  quantität  in  der  ma.  wie  in 
barmaa.;  nach  prüf.  Heiligs  mitteilungen  heisst  im  Tauber- 
1  das  participium  gr'nU  'geritten',  flectiert  aber  hat  es 
»s  i;  gridtnor;  in  Künzelsau  stehen  wider  imd  zuwider 
i  einander,  im  Erzgebirge  öwr  und  oicr  u.  a. 
»Venn  die  stadtmaa.  häufiger  kürze  haben  und  zwar  vor- 
lich  in  solchen  Wörtern,  die  auch  im  nhd.  dieselbe  zeigen, 
n  sattel,  Sommer,  donner,  so  muss  sicher  schriftsprachliche 
Sussung  angenommen  werden;  beispiele  bei  Sartorius, 
rtel,  Felsberg,  Hedrich. 

T nterblieben  ist  die  dehnung  ferner  im  ganzen  gebiete, 
erst  durch  vocalsynkope  entstandenen  geminaten  bei 
-rben  auf  t  und  d  und  ebenso  vor  den  auf  gleiche  weise 
ndenen  doppelconsonanzen  bei  den  verben,  deren  stamm 
rschlusslaut  ausgeht  (s.  Gradl  212.  Stengel  394.  Felsberg 
[edricll  12,  /.  Schleicher  57.  58.  Güpfert  80.  81.  85.  Fromm. 


174 


KITZKKT 


§  24  29.  30a.  33).  Beispiele:  rct  'redet,  redete';  gtrct  'geredet', 
retn  'redeten1,  retst  'redest,  redetest'. 

§  42.  Im  gesammten  ostfränkischen  gebiete  ist  in  mhd. 
einsilbigen  Wörtern  vor  doppelconsonanz  dehnung  eingetreten. 
Bei  antritt  einer  flexionssilbe  oder  ableitung  tritt  die  alte 
kürze  wider  ein,  s.  Gradl  210.  Spiess  14. 15.  Hedrich  11.  Haupt 
252.  Felsberg  129.  132.  Fentsch  193.  Stengel  390.  Schleicher  25. 
Göpfert  20.  Schmeller  §  111.  117.  Fischer  §  14.  Fromm.  §  18. 
30.  32.  34.  40.  43.  44.  Bauer  396.  Noe"  208.  311.  0.  Hertel  und 
0.  Heilig  bestätigen  das  gesetz  für  ihre  maa.  Franke  gibt  in 
Bay.  maa.  1. 29  ff.  sehr  zahlreiche  beispiele  aus  dem  gesammt- 
gebiete.  Sartorius  hat  nur  wenige  beispiele:  einmal  bietet  er 
in  seiner  Sammlung  wesentlich  'städtische  ausdrücke'  und  dann 
bezeichnet  er  auch  die  quantität  nur  selten.  Vgl.  ferner  die 
grenzbestimmung  für  vocaldehnung  in  mann  bei  Wrede,  Anz. 
fda.  19,201;  dieselbe  stimmt  im  wesentlichen  mit  der  für  das 
ostfränkische  (gegen  das  thüringische  und  obersächsische)  von 
Hertel  und  Franke  gegebenen  grenze  überein. 

Anm.  In  solchen  wtirtern,  die  erst  durch  Unterdrückung  eines  älteren  e 
einsilbig  geworden  sind,  ist  die  dehnung  unterblieben:  kost  <  koste,  bett 
<  bette;  hierher  SO  zählen  sind  auch  die  dialektischen  nominativfonuen, 
die  urepr.  gen.  dat.  sg.  waren:  hent  4hand\  benk  'bank'. 

§  43.  Während  dieses  gesetz  im  hauptgebiete  fast  aus- 
nahmslos wirkt,  gilt  es  für  die  nördlichen  maa.  Henneberg. 
Pfersdorf,  Koburg,  Sonneberg,  Schöneck,  Erzgebirge  wol  auch 
als  regel,  doch  finden  sich  hier  nicht  selten  ausnahmen  (in 
Greiz  am  nördlichen  rande  des  ostfränkischen  wirkt  es  über- 
haupt nicht;  hier  ist  nach  L.Hertel  'kurzer  vocal  vor  doppel- 
consonanz erhalten').  Beispielsweise  hat  Henneberg  kürze  vor 
rm  und  rn;  ferner  vor  cht  (aber  knächt),  ft  und  in  anderen 
Wörtern;  in  Sonneberg  steht  ort,  horn  u.a.  neben  tcirt,  htm; 
auch  in  Westböhmen  steht  vor  chs,  cht,  ft,  st  und  ähnlichen 
harten  consonanten Verbindungen  'häufig  auch'  kurzer  vocal 
(Gradl  212).  Vor  chs  bleibt  die  kürze  ausserdem  in  Henne- 
berg, Sonneberg  (hier  hat  allein  flooas  'flachs'  länge),  an  Rezat 
und  Altmühl  und  im  Taubergrund;  doch  haben  verschiedene 
nachbarmaa.  des  letzteren  langen  vocal:  &g&  'dachs',  flbgs 
•flachs'  (nach  Heilig). 

In  der  rege!  sind  ausnahmen  im  hauptgebiete  sehr  selten 


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DEHNUNG  DKU  HUI).  KURZEN  STAMMSILHENVOCAIjE.  175 


und  erklären  sich  dadurch,  dass  die  betr.  Wörter  nicht  urspr. 
mundartlich  sind,  oder  dass  die  Quantität  der  flectierenden 
formen  den  sieg  davon  getragen  hat  (wie  z.  b.  auch  in  swam 
im  Taubergrund),  oder  aber,  dass  das  wort  in  Verbindungen 
erscheint,  in  denen  es  nicht  den  hauptton  trägt:  -fach;  femer 
■lach  in  Ortsnamen  u.  a. 

§  44.  Ursprünglich  hatte  der  dativ  obiger  Wörter  (§  42), 
trotzdem  er  frühzeitig  einsilbig  war,  die  kürze  bewahrt.  So 
ist  es  noch  im  westböhmischen,  wo  kürze  'in  allen  flexions- 
formen'  gilt  (Gradl  211).  Im  grössten  teile  des  gebietes  hat 
jedoch  jetzt  auch  der  dativ  gelängten  vocal.  Ein  schwanken 
zeigt  sich  in  der  Wasunger  ma.;  heute  ist  aber  die  gedehnte 
form  vorwiegend  im  gebrauche;  die  ursprüngliche  kurze  ist  im 
absterben  (s.  Reichardt  110);  doppelte  formen  haben  in  Wa- 
sungen u.  a.  such,  griff,  knöpf)  kämm,  wald.  Auch  bei  Spiess 
finde  ich  nur  drei  beispiele  mit  kurzem  vocal:  tcall  dat.  zu 
'wald',  fass  neben  fäss,  (hä)  desch  ('bei)  tische'  (a.a.O.  50). 
Wie  mir  ferner  prof.  Heilig  mitteilt,  gilt  die  kürze  im  dativ 
für  den  Taubergrund  nur  für  stall,  wall  'wald'  und  fall. 

Die  übrigen  ostfränkischen  dialektarbeiten  haben  weiteres 
hierher  gehöriges  niaterial  nicht  angegeben,  doch  leistet  Wen- 
kers Sprachatlas  willkommene  hilf e :  s.  die  berichte  Wredes 
über  die  dative  von  tisch  (Anz.  22, 325),  luft  (Anz.  19, 278)  und 
feld  (Anz.  19, 285).  Hiernach  gilt  im  dat.  tisch  langer  vocal 
in  einem  grossen  mittel-  und  oberdeutschen  bezirke,  den  man 
ganz  ungefähr  abgrenzen  mag  gegen  NW  durch  die  linie 
Wasungen,  Meiningen,  Fladungen,  Nordheim,  Tann,  Fulda, 
Schlüchtern,  Brückenau,  Steinau,  Salmünster,  Orb;  gegen  W 
durch  die  Verbindungslinie  Orb,  Eberbach  a.  N.,  Löwenstein, 
Weilheim,  Ehingen,  Füssen;  gegen  0  durch  den  Lech,  die  Donau 
bis  Ingolstadt  und  etwa  Ingolstadt,  Neumarkt,  Eger;  gegen  NO 
durch  Thüringerwald  und  Frankenwald,  von  dessen  südostende 
aus  *  noch  die  reich sgrenze  längs  den  abhängen  des  Erz- 
gebirges begleitet.  Ausser  dem  NO  des  schwäbischen  dialekts 
hat  also  auch  der  grösste  teil  des  ostfränkischen  im  dat.  tisch 
langen  vocal.  —  Für  dat.  luft  wird  gedehnter  vocal  seltner 
von  der  oberen  Pegnitz  bis  zum  Fichtelgebirge,  häufiger  zwi- 
schen diesem  und  dem  Erzgebirge  überliefert;  dann  aber  über- 
wiegt luft  im  grossen  schwäbisch-fränkischen  gebiete,  das  gegen 


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176 


KITZKKT 


S  zwischen  den  unterlaufen  von  Hier  und  Lech  beginnt,  gegen 
NO  von  Donauwörth  bis  zum  Mittelmain,  gegen  SW  von  Ulm  bis 
Stuttgart,  Adelsheim,  Miltenberg  sich  ausdehnt;  endlich  ist  am 
Frankenwald  louft  bezeugt.  —  Gedehntes  e  im  dat.  feld  findet 
sich  namentlich  östlich  der  Rhön,  im  meiningischen,  sowie  im 
länglichen  streifen  vom  Spessart  südöstlich  auf  die  Lech- 
mündung  zu. 

Aus  diesen  belegen  ergibt  sich,  dass  die  dehnung  im  dativ 
nicht  auf  die  oben  genannten  orte  beschränkt  geblieben  ist 
Es  darf  aus  ihnen  und  den  oben  gegebenen  tatsachen  ge- 
schlossen werden,  dass  der  ganze  Singular  der  einsilbigen  nonüna 
auf  doppelconsonanz  im  grössten  teile  des  ostfränkischen  ge- 
dehnten vocal  hat 

Wie  weit  damit  Gradl  (s.  oben)  in  Übereinstimmung  zu 
bringen  ist,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden;  Gradl  spricht 
ausdrücklich  'von  allen  flexionsformen';  immerhin  ist  auffallend, 
dass  in  den  nhd.  Übersetzungen  der  dialektformen  mit  kurzem 
vocale  so  weit  ersichtlich  nur  der  plural  angegeben  ist:  napf 
'näpfe',  niemals  der  dativ. 

Wenn  übrigens  die  herausgeber  der  Wasunger  ma.  ver- 
muten, dass  die  vocaldehnung  im  dativ  dadurch  veranlasst 
sei,  dass  das  flexions-e  hier  eher  abgefallen  sei  als  bei  den 
pluralformen,  so  liegt  gar  kein  grund  zu  dieser  annähme  vor: 
wir  haben  es  einfach  mit  einer  ausgleichung  nach  der  nom.- 
acc.-form  zu  tun. 

§  45.  Vereinzelt  kommt  auch  in  flectierten  formen  der 
Wörter  auf  r  -f  cons.  dehnung  vor,  jedoch  so  selten,  dass  im 
ostfränkischen  von  einem  dehnenden  einflusse  dieser  lautver- 
bindungen  keine  rede  sein  kann.  In  den  wenigen  fällen  dieser 
art  haben  wir  es  mit  ausgleichungen  nach  dem  nom.  zu  tun. 
Prof.  Heilig  gibt  zwei  beispiele:  dsÖ9rdar  'zarter'  und  btrdt 
'arten'.  Reichardt  und  Spiess:  bdrt  'bärte'  und  dim.  bärdU, 
aber  bfärU,  dim.  zu  bfar  'pferd'.  Dehnung  findet  sich  ferner 
in  ferse  an  mehreren  orten,  im  Taubergrund  auch  in  dozrst 
'salatstengel';  Heilig  setzt  für  beide  mhd.  *veresen  und  *torese 
an:  liegt  aber  nicht  vielleicht  analogiebildung  nach  den  ein- 
silbigen auf  -rs  oder  aber  beeinflussung  des  nahen  rheinfr.  (s. 
unten  §  51)  vor?  —  Auch  in  der  Wasunger  ma.  erscheinen 
einige  zweisilbige  Wörter  mit  rs  mit  langem  vocale:  nrihrül 
'mörser'  u.  a..  aber  gä'rsdd  'gerste'  u.  a. 


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DEHNUNO  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  177 

Nicht  selten  sind  im  ostfränkischen  einsilbige  Wörter  durch 
svarabhaktivocal  zweisilbig  geworden.  Es  Hesse  sich  die  deh- 
nung  in  diesen  also  auch  auf  grund  der  hierdurch  entstandenen 
offenen  silbe  erklären.  Heilig  lässt  die  frage  offen:  ich  ver- 
neine sie,  da  einmal  in  anderen  ostfränkischen  maa.  (Stengel 
s.  390)  der  plural  trotz  svarabhakti  kürze  behalten  hat:  bölich 
'balg'  und  pl.  bdlich,  är,im  'arm'  und  pl.  drdm,  und  anderer- 
seits in  anderen  ostfränkischen  maa.  in  bestimmten  Wörtern 
trotz  svarabhakti  auch  der  Singular  keine  dehnung  erfahren 
hat:  Schleicher  26:  bolich  'balg',  kolich  'kalk';  Spiess:  wolef 
'wolf  u.  a.;  auch  Stengel  hat  wurm  sing.,  sturom  sing.  Beide 
fälle  ergeben  also,  dass  die  svarabhaktientwickelung  jünger  ist 
als  die  vocaldehnung. 

§  46.  Als  vereinzelt  auftretende  dehnungserscheinungen 
sind  folgende  zu  nennen: 

a)  Dehnung  vor  nasal  Verbindungen,  die  sich  auf  alle 
flexionsformen  erstreckt,  kommt  an  der  Werra  vor;  beispiele 
bei  Spiess  und  Reichhaidt;  das  nähere  s.  unten  §  75. 

b)  Ebenfalls  an  der  Werra  kommt  —  wie  im  angrenzen- 
den südwestthüringischen  —  dehnung  vor  altem  -st  vor:  bei- 
spiele bei  Spiess  und  Reichhardt:  äst  'ast'  und  pl.  est,  dim. 
esdh;  fast  'fasten'  u.  a.;  aber  Idst  'last',  bdst  'beste'  u.  a. 

c)  Ferner  wird  hier  a  vor  lz  auch  in  mehrsilbigen  Wörtern 
gedehnt:  sdlzh,  dim.  zu  salz  u.  a. 

d)  In  den  maa.  Westböhmens  tritt  vor  U,  rr  regelmässig 
in  ein-  und,  wenn  die  zweite  silbe  ein  altes  e  (nicht  aber 
andere  vocale)  barg,  auch  in  zweisilbigen  vocaldehnung  ein: 
«/'alle',  sdl  'schall'  und  saln  'schallen';  bei  rr  tritt  der  Über- 
gang eines  oder  beider  r  in  a  ein:  iar  'irre',  saqrn  'scharren' 
(Gradl  210).  —  Nach  Haupt  hat  auch  Weischenfeld  in  Ober- 
franken ndr  <  narre,  die  Oberpfalz  erfült;  für  das  Erzgebirge 
verzeichnet  Göpfert  20  u.  a.  Jcräln  subst.  und  verb.;  Franke 
gibt  a.a.O.  30 ff.  verschiedene  beispiele  dieser  art  von  ver- 
schiedenen orten  Ostfrankens. 

6.  Rhein  fränkisch. 

Quellen:  E.  David,  Die  Wortbildung  der  ma.  von  Krofdorf  (bei 
Gi  essen),  Germ.  37,  377  ff.  —  E.  Dittmar,  Die  Blankenheimer  (bei  Bebra) 
ma.,  Jenaer  diss.  1891.  —  K.Hessel,  Kreiznach  is  tromp!  Localschwank. 

Beitrige  zur  geachichte  der  deutschen  »praohe.    XXIII.  ]  2 


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178 


RITZE KT 


Mit  einer  ahhandlnng  über  Kreuznacher  art  und  ma.  n.  einem  Wörterbuch. 
Kreuznach  1692.  —  J.  Kehrein,  Volkssprache  u.  volkssitte  in  Nassau. 
3  bde.  Bonn  1872.  —  ,1.  Leidolf,  Die  Naunheimer  ina.  (bei  Wetzlar). 
Jenaer  diss.  1S1>1.  —  Ph.  Lenz,  Der  Handschuhsheimer  dialekt.  1.  Kon- 
stanz 1SS7.  Nachtrag  (2).  Darmstadt  1692.  —  J.  Salzmann,  Die  Hersfelder 
ma.  Marburger  diss.  1888.  L.  Schandein,  Gedichte  in  Westricher  ma. 
Stuttgart  1854.  —  L.  Schandein,  Ma.  der  Rheinpfalz,  Bavaria  4.  2.  abt.. 
21"  ff.  —  W.  Victor,  Die  rheinfr.  Umgangssprache  in  und  um  Nassau. 
Wiesbaden  1875.  —  A.  Vilmar,  Idiotikon  von  Knrhessen.  Marburg  un«l 
Leipzig  1  SM.  —  v.  I'fister,  Mundartliche  und  stammheitliche  nachtrage 
zum  idiotikon  von  Hessen.  Marburg  1681».  —  v.  Pf  ister,  Ergänzungshefte 
zum  idiotikon  von  Hessen.  Marburg  1 889  und  1694.  —  G.Volk,  Auf  der 
ofenbank.  Erzählungen  in  Odenwälder  ma.  Offen bach  1892.  —  H.  Breunig, 
Die  laute  der  ma.  von  Buchen.  Progr.  von  Tanberbischofsheim  1891. 

A  n  m.  Die  maa.  der  orte  Bischofsheim  bei  Mainz  und  Eberstadt  bei 
Dannstadt  sind  mir  genau  bekannt.  Ich  habe  sie  deshalb  mit  zur  ver- 
gleichung  herangezogen  und  citiere  sie  mit  Bisch,  und  Eh.;  ferner  habe 
ich  auf  erkundigungen  bei  bekannten  hiu  zuverlässige  angaben  aus  den 
Ortschaften  dos  kreises  Homberg  (bez.  Cassel),  aus  Merxhausen  (bei  Fritzlar). 
Ershausen  im  kreise  Rotenburg  (Fulda)  und  Rod  (bei  Weilburg)  erhalten, 
die  ich  ebenfalls  mit  verwerte. 

§  47.  Im  rheinfränkischen  ist  im  allgemeinen  mhd.  kurzer 
vocal  in  offener  silbe  gedehnt  worden. 

Da  in  keinem  der  genannten  werke  ausser  bei  Breunig 
(s.  unten  §  55  e)  der  quantitative  lautwandel  zum  gegenständ 
einer  besonderen  betrachtung  gemacht  worden  ist,  vermag  ich 
nicht  auf  beweissteilen  hinzuweisen;  zahlreiche  beispiele  aus 
allen  rheinfr.  maa.,  wie  folgende  aus  Handschuhsheim:  fand 
'fahne',  lära  m.  'laden',  wtm  'weben',  säg9  'sagen'  u.v.a. 
ergeben  die  richtigkeit  des  obigen  satzes,  der  auch  für  die 
mischmundart  von  Buchen  gilt  trotz  Breunig  25. 

§  48.  Zahlreich  sind  in  Rheinfranken  die  scheinbaren 
ausnahmen,  die  durch  vocals}*nkope  in  suffixen  verursacht 
werden,  vornehmlich  im  S  (s.  Lenz  1, 11.  Hessel  65.  Schmeller, 
Die  maa.  Baierns  §  439  [für  die  Rheinpfalz],  Schandein  2, 234  ff.). 
Mit  wenigen  ausnahmen  erscheint  der  vocal  kurz,  wenn  der 
stamm  auf  m,  n  schliesst:  nems  'nehmen',  hämo  'hammer*  etc.; 
ferner  vor  liquiden,  Spiranten  und  medien:  hob  'holen',  wetcv 
' weber',  heivl  'hebel',  ofo  'ofen',  swefl  ' Schwefel',  besam  'besen'. 
glesv  pl.  zu  glas,  wagd  'wagen',  gewd  'geben',  glirv  pl.  zu  gltd 
u.  v.  a.  Im  Westrich  (der  grösseren  gebirgigen  hälfte  der 
Rheinpfalz)  begegnet  die  kürze  seltener  (Schandein  2,  2.33) : 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  179 


reifen'  u.a.;  dasselbe  gilt  für  die  maa.  von  Bisch,  und  Eb.; 
mierhin  sind  die  fälle  mit  kürze  liier  noch  zahlreich.  Auch 
r  N  hat  häufig  die  ursprüngliche  kürze,  doch  wider  seltner 
ä  die  mitte  des  gebiets;  so  haben  Homberg,  Hersfeld,  Blanken- 
im,  Merxhausen,  Erxliausen,  Naunheim  und  Rod  wol  html, 
w/.>r,  sonur  u.  a.  auf  m,  aber  hätmr,  hü  mal,  danuirn  (Rod  in 
zterem  kurzen  vocal).  Für  das  schwanken  der  quantität 
den  fällen  dieser  art  seien  nur  einige  beispiele  angeführt, 
rze  in  nabd,  geben,  nehmen  hat  der  länge  finde  ich  be- 
igt  für  Blankenheim,  Erxhausen,  Merxhausen,  Homberg, 
rsfeld  (in  beiden  letzteren  doch  nicht  in  nehmen);  ziemlich 
,  so  viel  ich  finde,  nur  in  Erxhausen  langen  vocal;  die 
tt.  geblieben,  geschrieben  u.  a.  haben  in  Bisch,  und  Eb.  kürze, 
X  länge;  gedehnten  vocal  hat  krebs  in  Homberg  und  Rod, 
4  kurzen,  dagegen  erscheint  magd  und  obst  stets  mit  länge; 
ig  erscheint  in  Blankenheim  als  huvk,  in  Naunheim  als 
•,  sonst  wie  im  nhd.  Diese  beispiele  Hessen  sich  ins  un- 
iche  vermehren;  sie  beweisen  zur  genüge,  dass  wir  es 
mit  verschiedenartiger  ausgleichung  zu  tun  haben  (s.  Paul, 
r.9,118). 

A  n  m.  In  Buchen  haben  öfters  pl.  und  ableitung  von  solchen  Wörtern 
kürze,  die  im  sing,  die  regelrechte  länge  zeigen:  Wfi,  pl.  aber  ift/f; 
'boden',  dim.  aber  hedimh;  nam»,  aber  nemU  u.  a. 

In  der  verbalflexion  kommt  die  kürze  in  folge  synkope 
lexionssilbenvocals  nur  vereinzelt  vor;  aus  der  mir  ge- 
ren  ma.  von  BLsch.  kenne  ich  sie  nur  in  den  verbal- 
en von  sdr3  'schaden'  :  sad  'schadet'  und  gdsad  part.;  aber 
badet'  und  part.  g9bäd;  in  Eb.  auch  in  ligd  3.  sg.  praes. 
iegen'  und  in  legd  und  gdlegd  zu  'legen'.  Vietor  führt 
ir  Nassau  ausser  ersterem  an  in  liehst,  licht  'liegst,  liegt' 
fachst,  sacht,  gesacht  'sagst'  etc.;  letzteres  auch  im  S.  — 
:ürze  in  dem  für  alle  drei  orte  giltigen  a  in  sad,  gssad 
?.her  durch  den  umstand  bedingt,  dass  diese  formen  häufig 
ime  zu  bach  <  baten  sw.  v.,  das  kurzen  stammvocal  hat 
teil  §  49),  gebraucht  werden. 

49.    Eine  ausnähme  von  unserem  gesetze  machen  im 
n  g-ebiete  die  meisten  Wörter  auf  t,  welche  die  alte 
bewahrt  haben.  Während  aber  in  den  alem.  maa.  hierbei 
irze  durchweg  erscheint,  zeigt  sich  im  rheinfränkischen 

12* 


180 


KITZKKT 


ein  mehr  oder  minder  grosses  schwanken.  Fast  überall  haben 
kürze  gott,  pate,  matt,  quitt,  schnitt,  kette,  gevatter,  wetter, 
dotter,  sattel,  schatten,  gesotten,  geritten,  bettet,  tritt  subst.  und 
3.  sg.  von  treten  u.  a.;  gedehnten  vocal  haben  blatt  (=  bldd), 
hrett,  satt,  gebet  n.,  beten,  treten,  kneten.  Was  die  übrigen 
betrifft,  so  finden  wir  mannigfache  Schwankungen:  stadt,  glatt, 
vater,  kater  haben  kürze  im  S  (s.  Lenz  1, 11. 12. 26  etc.),  länge 
in  Naunheim,  Homberg,  Merxhausen,  Erxhausen,  Blankenheim. 
Hersfeld  (doch  hat  letzteres  fatdr  'vater').  Bisch.,  das  meistens 
wie  der  S  kürze  vor  t  hat,  kennt  dieselbe  ausser  obigen  nicht 
in  der  3.  sg.  praes.  von  treten,  nicht  in  Schlitten,  schnitte;  Rod 
dehnt  ausnahmsweise  in  schatten  —  auch  Eb.  hat  sard  — , 
gesotten,  verboten;  böte  erscheint  im  N  mit  langem  vocal,  doch 
hat  Erxhausen  hier  übereinstimmend  mit  dem  S  kürze,  wie 
Merxhausen  in  getreten.  Hersfeld  hat  länge  in  kette,  bettet, 
wettet,  gelitten,  aber  kürze  in  ungewitter;  in  Homberg  haben 
pfote,  gote,  verboten,  geboten  kurzen  vocal,  doch  glad  'glatt' 
u.  a.;  schritt  und  tritt  haben  langes  i  in  Erxhausen;  in  Blanken- 
heim erscheint  in  ersterein  länge  und  kürze  neben  einander. 
Der  pL  von  blatt,  brett  ist  meistens  kurz,  doch  gibt  es  auch 
hierbei  Schwankungen;  so  hat  Erxhausen  länge  in  blätter,  und 
Rod  in  breiter.  Die  mischma.  von  Buchen  und  Umgebung  hat 
vor  t  einige  mal  kürze  bewahrt:  bod  'böte',  gzbodd  'geboten', 
gesodo  'gesotten',  grod  'kröte',  i  bed  'bete'  neben  bed;  aber 
grich  'geritten',  glido  'gelitten',  brid  'brett'  u.a.  —  Wie  gross 
auch  dieses  schwanken  zwischen  den  einzelnen  maa.  sein  mag, 
so  zeigt  sich  doch  im  ganzen  gebiete  das  starke  bestreben, 
t  als  geminata  und  darum  silbeschliessend  zu  behandeln;  nur 
im  äussersten  NO  überwiegt  die  regelrechte  dehnung.  Für  die 
Rheinpfalz  vgl.  Schindler  §  671  und  Schandein  241. 

Auch  vor  d  ist  nicht  selten  kürze  erhalten:  smid  'schmied', 
red  'rede'  und  rcd{r)d  'reden',  jud  und  pl.  jwb  (jutv)  'jude', 
doch  gltd  'glied'  u.  a.;  ebenso  in  zweisilbigen:  leder,  feder  u.  a.; 
doch  lässt  sich  die  kürze  hier  durch  ausgleichung  nach  syn- 
kopierten formen  erklären.  Für  die  Rheinpfalz  s.  Schmeller 
§  439.   Buchen  hat  jüt  'jude',  pöto  'boden'  etc. 

§  50.  Ausserdem  begegnen  uns  im  rheinfränkischen  einige 
wenige  Wörter  (meist  in  einsilbiger  form)  mit  erhaltenem 
kurzen  stammvocal.    Erklärung  bei  Heimburger  (Beitr.  13, 


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l)EHXUN(i  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE. 


181 


11  ff.)  §57.  Es  sind  dies:  sdub  (im  N  Mowj)  'stube'  und 
I.  sduwd;  mb  <  scJmp;  grob,  flectiert  grotvr  (in  Rod  gröwr); 
is  (im  N  iceso  und  in  Hersfeld  tces)  'wiese';  ferner  fromm, 
tm,  toll,  weg  (adv.);  vereinzelt  kommen  vor:  sib  'sieb'  in 
aunheim;  äsug  'zug'  und  dim.  dsügdlyo  in  Eb.  und  Rod;  nach 

hmeller  §  645  lautet  s  an  der  Queich  in  einzelnen  Wörtern 
ie  ff:  glaff  'glas',  graff  'gras'. 

Vor  /  zeigt  sich  einige  mal  kurzes  t  und  o;  so  in  Rod:  ml 
iel',  mil  'mühle',  dil  'diele';  Blankenheim:  mel  'mühle';  Hers- 
el: fil,  mel,  khol  <  hol,  feU  'füllen';  kürze  in  kohle  findet 
Ii  auch  im  kreise  Homberg. 

§  51.  Von  der  Qualität  benachbarter  consonantengruppen 
id  die  dehnungserscheinungen  verursacht,  die  ich  in  den 
genden  paragraphen  erörtere. 

Vor  r-verbindungen  und  zwar  hauptsächlich  vor  r  +  dental, 
rden  mhd.  a,  e  gedehnt  und  nur  vereinzelt  auch  andere  vo- 
e.  Hinsichtlich  der  einzelnen  Verbindungen  dieser  art  be- 
llt aber  keine  gleichmässigkeit  des  dehnenden  einflusses. 

Durchweg  ist  a,  e  vor  r  +  t,  d  in  einsilbigen  Wörtern  ge- 
gt:  bärd 'b&rV,  tvcrd  'wert';  auch  särd  'scharte;  «erscheint 
h  in  zweisilbigen  gedehnt  mit  ausnähme  Nassaus:  gärdc 

ten',  jedoch  hat  auch  Naunheim  gomh  'garten',  ico*adj 
rten'.  Länge  in  werden  hat  Handschuhsheim.  Blankenheim, 
nberg:  wer;  sonst  (Rheinpfalz  [s.  Schandein  241J,  Nassau, 
•h.,  Eb.  u.  a.)  gilt  kurzer  vocal,  aber  erdj  'erde'.  Ver- 
elt,  so  in  Rod,  Krofdorf,  Bisch.,  Eb.,  erscheint  dehnung  in 
•rd  'geburt'. 

Xov  rz  ist  nur  a  gelängt  :  hurds  *harz'  u.  a.,  aber  stcards 
warz'  (Buchen  mit  a)\  Handschuhsheim  hat  auch  j)(»tsl 
zeV  (doch  auch  kurz),  ste'nts  (<  sterz),  stöntsz  (<  sturzel). 
!er  Enz  wird  u  in  schürf  gedehnt  ;  s.  Fischers  atlas,  karte  18. 
Vor  rs  und  rsd  ist  immer  dehnung  von  a,  e  eingetreten: 
l  'karst',  gersd  'gerste',  im  8  kdsd,  gemd\  Handschuhsh. 
auch  p(>vst  'bi'u-ste'  (aber  nur  bei  älteren  leuten),  toost 
\t\  tön  so  (<  torse):  auch  Bisch,  hat  föosd  'forst,  als  name 
gemarkungsteiles,  der  früher  wald  war;  diese  einzelfälle 
□  den  schluss  zu,  dass  sich  in  früherer  zeit  die  dehnung 
rs  auch  auf  andere  vocale  erstreckte.  Für  die  Enzma. 
igt  Fischers  karte  18  kirs  'kirsche'. 


182 


KITZKRT 


Vor  rn  sind  a  und  e  sehr  häufig  gedehnt:  gä(r)n  'gara', 
gern  (geon)  'gern'  u.  a.,  doch  heisst  es  überall  warnen;  ander- 
wärts tritt  vor  rn  die  längung  nur  in  einzelnen  Wörtern  ein, 
so  in  Hersfeld,  Blankenh.,  Erxh.  Rod  und  Naunh.  haben 
(ausser  gdan  'garn')  vor  rn  stets  kürze.  Das  linksrheinische 
gebiet  entwickelt  svarabhakti:  gen  'gern';  hier  ist  auch  Kärzl 
'Karl'  üblich,  wol  in  folge  dieser  erscheinung. 

Dehnung  des  a  und  e  vor  r  +  labial  und  guttural  ist 
häufig  zu  constatieren,  aber  nicht  allgemein;  hierher  gehört 
dehnung  des  a  vor  rm  in  arm  subst.  und  adj.,  ärmut,  warnt: 
wol  überall;  öfter  ist  länge  in  darm  und  erbarmen  angegeben, 
dagegen  niemals  in  ärmel,  wärme.  Handschuhsh.  und  das 
linksrheinische  gebiet  entwickeln  in  rm  svarabhaktivocal : 
tcärdtn;  ebenso  in  ärix  'arg',  das  sonst  —  mit  ausnähme  von 
Krofdorf  —  kurz  ist. 

Vor  rb  erscheint  mhd.  e  gelängt  in  sterben  in  Bisch.,  Eb., 
Homberg,  Hersfeld,  Blankenheim;  in  den  beiden  ersten  orten 
auch  k-Qüb  f.  'kerbe',  (owo  'erben',  aber  gasdorwa  'gestorben', 
seob  ' scherbe'  etc.  In  Bisch,  und  Eb.  heisst  es  auch  (owJtl 
'arbeit',  wie  im  linksrh.  gebiete  ärwdd  neben  arweit;  Hersfeld 
hat  erwds  <  erweiz. 

Mhd.  e  ist  vor  rg  im  ganzen  gebiete  —  mit  ausnähme 
des  8  auf  beiden  Rheinufern  —  gedehnt  in  berg,  werg;  die 
häufig  vorkommende  länge  in  wqn-ddg  'Werktag'  ist  entstanden 
nachdem  k  sich  dem  t  assimiliert  hatte;  Hersfeld  hat  auch 
m$rk  'mark'  und  sdörg  'storch'. 

§  52.  Dehnung  vor  l  +  t,  d  wird  im  rheinfränkischen  für 
a  bezeugt  und  zwar  für  das  gebiet  östlich  und  nördlich  der 
linie,  die  von  Weilburg  über  Idstein,  Mainz,  Dreieichenhain. 
Babenhausen,  Seligenstadt  weiter  nach  Lohr  zieht,  (die  cursiv 
gedruckten  orte  haben  vocalkürze);  s.  Wrede,  Anz.  21, 275:  alte. 
Hierbei  fällt  der  dentale  verschlusslaut  in  der  regel  aus,  so 
dass  a  (sofern  es  sich  um  zweisilbige  formen  dreht)  in  offene 
silbe  zu  stehen  kommt.  In  dem  bogen  zwischen  der  ge- 
nannten linie  und  der,  die  von  Weilburg  über  Herborn,  Staufen- 
berg, Schweinsberg,  Kirtorf.  Neustadt,  Alsfeld,  Herbstein, 
Schotten,  Wenings,  Büdingen  nach  Windecken  zieht,  kommen 
alt  und  dl  neben  einander  vor.  Mit  alte  stimmt  kalte  (s.  Anz. 
21,  279)  im  grossen  und  ganzen  überein.  Vereinzelte  ausnahmen 


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DEHNUNO  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  183 


kommen  hin  und  wider  vor;  allgemein  aber  bleibt  der  umlant 
von  a  kurz  :  hei  f.  'kälte'. 

Die  orte  Bisch,  und  Eb.,  die  im  S  an  obige  linie  grenzen, 
haben  nur  in  häh  'halten1  und  bäl  'bald'  gedehnten  vocal; 
dasselbe  gilt  für  den  Odenwald. 

Länge  des  a  vor  Its  (s.  Wrede,  Anz.  19, 102:  sah)  findet 
sich  in  wesentlich  demselben  gebiete  wie  vor  It:  die  westgrenze 
zieht  von  Hilchenbach  über  Haiger,  Braunfels  nach  König- 
stein, die  südgrenze  bildet  der  Main.  Femer  findet  sich  ein 
kleineres  gebiet  mit  länge  östlich  und  südlich  vom  Odenwald 
mit  Miltenberg,  Waldürn,  Adelsheim. 

In  Blankenh.  ist  auch  e  in  ßld  gedehnt;  doch  heisst  es 
geld.  Hersfeld  hat  in  beiden  Wörtern  länge,  aber  nicht  im 
pl..  ferner  in  smrlds  'schmelzen';  andere  Wörter  mit  mhd.  e 
zeigen  kürze:  sekh  'selten',  meld  'melden'. 

§  53.  a)  Vor  der  lautgruppe  nasal  -f  vei-schlusslaut  wird 
im  NO  des  gebiets  der  vocal  häufig  gedehnt.  Das  nähere 
hierüber  ist  beim  thüringischen  erörtert;  s.  unten  §  75. 

b)  Dehnung  vor  n  +  Spirans  mit  schwund  des  nasals  findet 
sich  nach  Kehrein  22  (§  160)  'hier  und  da'  am  Taunus.  Nach 
Wrede.  Anz.  18, 406  hat  ferner  die  Lahngegend  um  Driedorf, 
Weilburg,  Staufenberg,  Giessen,  Nidda,  bad  Nauheim,  Wetzlar 
geis  für  den  pl.  gänse.  Für  Naunheim  gibt  Leidolf  einige 
hierher  gehörige  beispiele,  wie  hraU  'kränz';  doch  pl.  krente, 
kant&l  'kanzel'. 

An  in.  Für  Naunheim  #ilt  auch  Ä«*</  'band',  firMa'd;  doch  land, 
wund  etc. 

Die  für  das  schwäbische  charakteristische  'ersatzdehnuug' 
mit  nasalierung  des  vocals  vor  n  +  Spirans  erstreckt  ihre  aus- 
länfer  an  die  Enz.  Verlängerung  des  a  findet  sich  auf  beiden 
ufern  derselben  und  in  einem  schmalen  streifen  auf  dem  linken 
Neckarufer  nördlich  der  Enzmündung;  auch  i  wird  an  der  Enz 
vor  u  +  spir.  gelängt;  sein  gebiet  erstreckt  sich  jedoch  nicht 
so  weit  westlich  als  das  für  ä  und  zwar  f'ff  wider  nicht  so 
weit  als  zi's.  Die  linie  für  ü*s  'uns'  bleibt  einige  kilometer 
von  der  Enz  entfernt  und  geht  erst  kurz  vor  ihrer  quelle 
auf  das  linke  ufer;  noch  weiter  entlernt  bleibt  die  linie  für 
die  dehnung  in  brunst;  s.  Fischers  karten  4  und  5. 


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184 


KITZEKT 


§  54.  Vor  urspr.  ht  ist  mhd.  a  und  e  ausser  dem  links- 
rhein.  teil  im  ganzen  gebiete  gedehnt;  nur  wenige  Wörter  sind 
davon  ausgenommen,  wie  acht  num.  (das  aber  im  N  länge  hat 
gegenüber  achtzig)  und  fechten;  auch  specht  hat  hin  und  wider 
vocalkürze.  Das  fremd  wort  ^a<7<  <  hat  t  eils  langen,  teils  kurzen 
vocal;  echt  und  pracht  haben  stets  kürze. 

Nach  Wredes  bericht  im  Anz.  21, 162  zieht  die  grenze  der 
vocaldehnung  in  recht  den  Neckar  abwärts,  weiter  den  Rhein 
entlang  bis  Bingen  und  dann  der  Nahe  und  Glan  aufwärts. 

Wie  weit  damit  Riehls  angäbe  (Die  Pfälzer,  Stuttg.  1858. 
s.  277),  gedehnte  ausspräche  des  e  in  schledit  sei  ein  charak- 
teristicum  des  Pfälzer  dialekts,  in  einklang  gebracht  werden 
kann,  vermag  ich  nicht  zu  beurteilen;  für  das  Westrich  gilt 
vocalkürze,  und  ebenso,  nach  meiner  erfahrung,  für  die  hes- 
sische Rheinpfalz. 

In  Blankenh.  und  im  kreise  Homberg  ist  auch  i  gedehnt 
in  trichter.  Für  die  Enzma.  ergibt  Fischers  karte  1  länge  in 
frucht. 

§  55.  Nur  für  kleinere  bezirke,  und  zwar  in  erster  linie 
für  grenzgebiete,  gelten  folgende  dehnungserscheinungen: 

a)  Vor  urspr.  hs  ist  a  in  einem  gebiete  nördlich  des  Mains 
gedehnt;  dabei  schwindet  die  gutturalspirans.  Von  Ems  (cursiv 
gedruckte  orte  auf  der  .r-seite)  zieht  —  nach  Wrede,  Anz.  21, 
2(51:  wachsen  —  die  südgrenze  desselben  über  Runkel,  Com- 
herg,  Usingen,  Homburg,  Windecken  bis  Hanau;  von  hier  bildet 
den  abschluss  gegen  0  und  N  die  linie  Büdingen,  Ortenberg, 
Wenings,  Schotten,  Herbstein,  Lauterbach,  Homberg  a.  d.  Ohm, 
Kirtorf,  Schweinsberg,  Kirchhain,  Marburg,  Biedenkopf,  Dillen- 
burg, Haiger,  Ederkopf;  vgl.  unten  §  67.  Rod,  das  an  der 
grenze  des  genannten  gebiets  liegt,  hat  länge  nur  in  wachsen 
und  flachs,  aber  nicht  in  wachs,  dachs,  achsel. 

Ferner  ist  an  der  Enz  in  Übereinstimmung  mit  dem  schwäb. 
a  vor  hs  gedehnt  (s.  Fischers  karte  20);  auf  ihrem  linken  ufer 
aber  hat  nur  am  unterlaufe  ein  kleiner  bezirk  länge  (die 
grenzlinie  für  6s  'ochs'  reicht  nicht  bis  an  die  Enz). 

Mhd.  e  ist  nur  ganz  vereinzelt  vor  hs  gedehnt:  Naunh. 
hat  we*asdn  ; wechseln'  und  Krofdorf  w('DsjI  'Wechsel'. 

Dehnung  des  o  vor  hs  ist  nach  Wrede,  Anz.  21, 264  eben- 
falls für  das  gebiet  nördlich  des  Mains  bezeugt,  nur  zieht  die 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KÜRZEN  8TAMMSILBENV0CALE.  185 


südgrenze  in  einem  kleinen  abstand  nördlich  von  der  für 
wachsen  gegebenen  linie  bis  Hofheim,  von  wo  sie  mit  der- 
selben zusammenfällt;  ausgenommen  bleibt  ferner  an  der  Lahn 
die  weite  halbinsel  Weilburg,  Braunfels,  Herborn,  Biedenkopf, 
Marburg,  Rauschenberg. 

b)  In  Hersfeld  und  Blankenh.  ist  wie  in  Westthüringen  o 
und  e  vor  st  gedehnt  (vgl.  §  78,  a):  swc'scUr  '  Schwester',  kysih 
'kästen'.  In  Hersfeld  heisst  es  ferner  fösbdr  'vesper'.  Länge 
in  tust  hat  auch  Homberg. 

c)  Das  pronomen  ich  hat  in  Handschuhsh.  und  in  der 
Glan-  und  Donnersberggegend  (Schändern  252)  langen  vocal; 
ferner  in  einem  grösseren  gebiete  an  der  Lahn  und  in  der 
Wetterau  bis  Herborn,  Biedenkopf,  Rauschenberg  im  N,  Taunus 
und  Main  im  S,  Herbstein  und  Gelnhausen  im  0,  Westerburg 
und  Nassau  im  W:  hier  wechselt  aich  mit  ich,  betonte  und 
unbetonte  form;  s.  Wrede,  Anz.  18,308. 

d)  Vor  II  erscheint  einige  mal  länge  des  a,  so  häufiger 
(Bisch.,  Eb.,  Rheinpfalz,  Odenwald)  in  überall,  in  der  Pfalz 
auch  in  ball  =  frz.  le  bal;  Handschuhsh.  hat  auch  wal  'auf- 
kochen' <  tcal,  -lies. 

e)  Buchen  auf  der  grenze  zwischen  Rhein-  und  Ostfranken 
dehnt  wie  letzteres  den  vocal  in  mhd.  einsilbigem  worte  vor 
doppelconsonanz  (s.  Breunig  16  ff.).  Hiermit  erklärt  sich  die 
unbestimmte  angäbe  bei  Breunig  25:  'das  von  Paul  aufgestellte 
gesetz,  dass  in  geschlossener  silbe  die  kürze  bleibt,  in  offener 
dagegen  dehnung  eintritt,  hat  in  unserem  dialekt  nicht  un- 
bedingt statt'  (in  offener  silbe  hat  Buchen  mit  ganz  wenigen 
ausnahmen  —  vor  t  —  dehnung;  vgl.  Br.  16;  auch  sonst  hat 
Br.  zahlreiche  hierher  gehörige  belege). 

7.  Mittelfränkisch. 

Quellen:  Bahlen,  Die  Birkenfelder  ma.  Vocalismns.  Birkenfelder 
progT.  1805.  —  Th.  Bneseh,  Ober  den  Eifeldialekt.  Ein  beitrag  zur 
kenntnis  des  mittelfr.  Progr.  von  Malmedy  1888.  —  F.  M.  Follmann, 
Die  ma.  der  Deutsch-Lothringer  und  Luxemburger.  1.  Consonantismus. 
Metzer  progr.  1880.  2.  Vocalismus.  Metzer  progr.  1890.  —  M.Hardt, 
Vocalisnius  der  Sauerma.  Echternacher  progr.  1843.  —  J.  Heinzerling, 
l*eber  den  vocalismus  und  consonantismus  der  Siegerländer  ma.  Marburger 
Ana.  1871.  —  F.  Honig.  Wörterbuch  der  Kölner  ma.  Köln  1877  (dazu 
einleitung:  Ueber  die  laute  der  kölnischen  ma.  und  deren  bezeichnung  von 


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186 


KITZEKT 


W.  Wahlen berg).  —  Heckiug,  Die  Eifel  in  ihrer  ma.  Prüm  1890.  — 
A.  Jardon,  Grammatik  der  Aachener  ma.  Laut- und  formenlehre.  Aachen 
1891.    —   G.  Keiutzel,  Lautlehre  der  maa.  von  Bistritz  und  Sächsisch- 
Regen,  Archiv  d.  ver.  f.  iiebenb.  lande.sk.  N.  f.  26  (1894),  133  ff.  —  J.  Kehr- 
ein, Volkssprache  und  volkssitte  in  Nassau.  Bonn  1872.  —  Kisch,  Die 
Bistritzer  ma.  verglichen  mit  der  moselfränkischen,  Beitr.  17, 347  ff.  — 
Ph.  Laven,  Gedichte  in  Trierischer  ma.  Trier  1858  (mit  lautübersicht  u. 
glossar).  —  Rott  mann,  Gedichte  in  Hunsrticker  ma.  Kreuznaeh  1874.  — 
A.  Scheiner,  Die  Mediascher  ma.,  Beitr.  12, 113  ff.  —  B.Schmidt.  Der 
voealismus  der  Siegerländer  ma.   Halle  1894.    —    K. Chr. L.  Schmidt, 
Westerwaldisches  idiotikon.  Hadamar  und  Herborn  1S00.  —  J.  Wegeier, 
Cobleuz  in  seiner  ma.  und  seinen  hervorragenden  persönlichkeiten.  Coblenz 
1 876.   —    J.  Wolff,  Der  consonautisinus  des  siebeubürgisch  -  sächsischen. 
Mühlbacher  progr.  1873  (1).  —  J.  Wolff,  Ueber  die  natur  der  vocale  im 
siebenb.-sächs.  dialekt,  Mühlbacher  progr.  1875  (2). 

§  56.  Im  mittelfr.  ist  mhd.  kurzer  vocal  in  offener  silbe 
stets  gedehnt  worden;  in  den  nördlichen  maa.  (Köln,  Aachen) 
jedoch  nur  im  allgemeinen  (s.  Baldes  7.  Buesch  8.  Jardon  15. 
Hardt  4.  Laven  ix.  Follm.2,23f.  B.  Schmidt  16. 31. 43.  Kehrein 
[für  den  Westerwald]  3  und  §  12;  für  Siebenbürgen  s.  Wolff  2,60). 
Zahlreiche  belege  sind  in  allen  genannten  arbeiten  zu  finden; 
ich  führe  an:  hämdr,  tsdsämd  'zusammen',  bQstäto  =  'sich  mit 
einer  statte  versehen,  daher  heiraten',  bdU  <  baten,  kateti 
'kette'. 

Wo  altes  p  =  hochd.  ff'  erhalten  ist.  findet  sich  lautgesetz- 
lich länge  des  vorhergehenden  vocals:  dp,  pl.  äpe  'äffe';  in 
diesem  worte  hat  der  nördliche  teil  des  mittelfr.  auf  beiden 
Rheinufern  un verschobenes  p;  die  genaue  grenze  dafür  gibt 
Wrede  im  Anz.  20, 324. 

§  57.  Von  weitgehendem  schützenden  einflusse  für  die 
erhaltung  der  urspr.  vocalkürze  sind  auch  im  mfr.  die  suffixe 
-el,  -er,  -et»,  -en  und  ferner  -ig,  -et  u.  a.;  hierzu  vgl.  §  16.  Die 
Wirkung  dieses  einflusses  ist  nicht  allerorts  die  gleiche.  Obenan 
steht  die  kölnische  ma.,  wo  unter  den  angegebenen  Verhält- 
nissen fast  ausnahmslos  die  kürze  erscheint,  mag  der  stamm 
auf  nasal,  liquida.  spirans  oder  media  ausgehen:  tcone  'wohnen', 
hamel,  hole  'holen',  küning  'könig',  wevcer  'weber',  iget,  heitern, 
ledder  'leder',  faddem  'faden'.  In  der  Kifelma.  ist  die  kürze 
'regelmässig'  erhalten,  wenn  die  Stammsilbe  auf  liquida  oder 
nasal  schliesst:  faren  'fahren',  jestolen  'gestohlen'  (s.  Buesch  9); 
aber  auch  vor  anderen  consonanten  bleibt  die  kürze  häufig: 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOC ALE.  187 


disen  'dieser',  je  zogen,  botdem  u.a.;  aber  ja  fei  'gabel',  hadern 
'besen',  kaiel  'kegel',  bldtel  ' flache  schüsser  IL  a.  Ebenso 
haben  die  maa.  Siebenbürgens  in  sehr  zahlreichen  fällen  die 
kürze  bewahrt,  so  fast  regelmässig,  wenn  die  Stammsilbe  auf 
nasal,  und  sehr  häufig,  wenn  sie  auf  stimmhaften  verschlusslaut 
ausgeht  (s.  Keintzel  145.  159.  150.  153.  157). 

Bei  weitem  nicht  in  demselben  umfange,  aber  immerhin 
noch  häufig  erscheint  vocalkürze  in  folge  vocalsynkope  in  den 
suffixen  in  den  übrigen  maa.  Aus  den  an  den  angeführten 
orten  verzeichneten  beispielen  ergibt  sich  die  tatsache,  dass 
sich  die  kürze  am  häufigsten  dann  erhält,  wenn  der  stamm 
auf  im,  n,  w  <  b,  und  nicht  selten,  wenn  er  auf  g,  d  ausgeht. 
Im  Siegerland  bleibt  z.  b.  die  kürze  vor  dem  aus  g  nach  i 
erweichten.;  in  re)7 'riegel'.  Vgl.  B.Schmidt  39,  der  hier  Verkür- 
zung aus  sehr  früh  eingetretenem  i  annimmt;  zu  /cjf(  heisst 
aber  der  sg.  /'p<s ( ' vogel',  also  mit  erhaltener  kürze.  Es  liegt 
deshalb  m.  e.  viel  näher,  jene  durchgangsstufe  überhaupt  nicht 
anzunehmen.  Bemerkt  sei  noch,  dass  in  Siegen  a  vor  m  + 
suffix  stets  gedehnt  wird:  zosänw  etc.,  die  übrigen  vocale  aber 
meist  nicht:  nämc  'nehmen',  hhnel,  sotner:  doch  kiml  'kümmel'; 
auch  donner  hat  kürze.  Ferner  hat  Aachen  kämer,  zesämc 
neben  schömel  'schimmel',  nenie  'nehmen'  etc.;  doch  auch  hamel. 

Hin  und  wider,  so  in  der  Eifel,  kommt  es  vor,  dass  in 
den  flexionsformen  der  verben  auf  dentalexplosiv,  in  denen 
durch  ausfall  des  e  der  flexionssilbe  geminata  entsteht,  die  alte 
kürze  zum  Vorschein  kommt:  sat,  bat  =  3.  sg.  praes.  zu  säden, 
baden.  Leider  sind  die  quellen  zur  ausreichenden  behandlung 
dieser  erscheinung  nicht  genügend. 

§  58.  Erhalten  ist  die  kürze  vor  altem  einfachen  t  fast 
ausnahmslos  in  Köln:  gcbctt  'gebet',  bott  'böte',  patt  'pate'  etc.; 
länge  vor  t  finde  ich  in  der  Wörtersammlung  bei  Hönig  nur 
in  plaat  'platte',  plaate  verb.,  aber  blatt,  pL  blatte r  und  verb. 
bläddere\  bäte  (<  baten);  Staats  (<  an-stete);  gäder  'gattertüre' 
und  in  hrat  'kröte';  neben  letzterem  aber  krott  'kleiner  junge'; 
neben  vatter  kommt  väder  und  rar  vor. 

Ebenso  ist  liier  vor  d  kürze  bewahrt:  ratt  'rad'  und  pl. 
rädder,  glidd  n.,  redd  f.  'rede',  patt  'pfad'  und  üim.  pättehe  etc. 

Von  einer  beeinflussung  des  kölnischen  als  einer  stadtma. 
durch  die  Schriftsprache  kann  also  hierbei  keine  rede  sein. 


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188 


RITZE KT 


In  Aachen  steht  nach  Jardon  die  kürze  namentlich  vor 
auslautendem  dentalexplosiv:  sat  'satt',  j'lat  'glatt',  blat  'blatt  \ 
aber  pl.  blär,  bö*  'böte'  etc.;  ferner  rat  'rad',  aber  pl  rar,  bat 
n.  'bad',  aber  verb.  bade.    Vgl.  hierzu  §  33. 

In  den  maa.  Siebenbürgens  erscheint  ebenfalls  nicht  selten 
kürze  vor  t  und  d  (belege  bei  Keintzel;  s.  ferner  Scheiner  126. 
127.  128.  132). 

In  den  übrigen  mfr.  maa.  findet  sich  vor  t  nur  selten 
kürze;  in  der  Eifel  kommt  putt  'pfote,'  vor1,  in  Siegen  baddj 
(<  baten,  s.  B.Schmidt  13,  aber  auch  31);  in  Birkenfeld  haben 
einige  Wörter  kurzen  vocal  zur  Unterscheidung  von  gleich- 
lautenden, so  u.  a.  blad  f.  ' platte'  neben  bläd  n.  'blatt',  sadj 
(<  schate)  neben  sädo  m.  'schaden';  s.  Baldes  11. 

Kürze  vor  d  begegnet  in  wenigen  fällen  auch  an  anderen 
als  den  vorhin  genannten  orten;  fast  durchweg  erscheint  sie 
in  ret  f.  'rede',  jut  m.  'jude',  smit  m.,  glit  n.;  in  einigen  maa. 
besteht  daneben  gedehnter  vocal. 

B.  Schmidt  47  vermutet,  dass  in  jut  sehr  früh  dehnung 
eingetreten  und  dann  ü  gesetzmässig  zu  u  verkürzt  worden 
sei  (nach  s.  75  a.  a.  o.).  Die  sache  verhält  sich  m.  e.  aber  um- 
gekehrt. Das  kurze  u  blieb  und  analog  dazu  wurden  auch 
lange  ti  vor  t  kurz  wie  in  brutt  aus  brüt.  Ganz  dasselbe  liegt 
vor  in  sitt  'sieht'  und  yesitt  'geschieht'  (a.  a.  o.  40). 

§  59.  Erhaltene  kürze  in  folge  Verallgemeinerung  der 
quantität  der  unflectierten  formen  hat  eine  anzahl  einsilbiger 
Wörter  in  fast  allen  oben  angeführten  maa.  des  mfr.;  dasselbe 
gilt  auch  für  Siebenbürgen ;  ausgenommen  ist  der  Hunsrück. 

Es  betrifft  dies  zunächst  die  auf  liquida  auslautenden 
Wörter  mit  /,  o,  ü:  stil  'stiel',  spil  m.  'spiel',  tnäl  f.  'mühle", 
hol  f.  'kohle',  bol  f.  'bohle'  etc.  Aachen  und  Siegerland  haben 
hier  länge,  doch  hat  letzteres  bol  'bohle'.  Auf  r:  bir  (<bir, 
pirus),  dir  (<  tür;  Köln  jedoch  beer,  aber  pl.  birre)  etc.;  so  auch 
bei  Wolff,  Keintzel,  Kisch,  Scheiner. 

Kürze  vor  auslautendem  nasal  zeigt  sich  meist  in  from 
•fromm",  tsin  n.  'zinn',  schin  oder  schm  'Schienbein',  son  und 
pl.  sön  m.  'söhn',  in  der  Elzma.  auch  in  bun  f.  'bahn;  bei 
Keintzel:  wun  'wohnen',  lum  'lahm'  tsum  'zahm';  doch  (jräm, 
fin  f.  'fahne'. 

Von  sonstigen  Wörtern  haben  kürze:  eicech  (<enwec)\ 


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DEHNUNG  DER  Ml 1 1).  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  189 

emcec);  ferner  mehrere  auf  f  und  s:  hof  lief  f.  'liefe',  arof 
ob',  stuf  f.  'stube',  sef  'sieb',  hos  f.  'hose',  tcis  f.  'wiese'; 

Hardt  auch  ris  m.  'riese'.  Hin  und  wider  findet  sich  in 
1  einen  oder  andern  auch  vocal länge. 

In  der  Aachener  ma.  zeigt  sich  im  pl.  oft  die  alte  kürze 

zwar  durchaus  bei  solchen,  die  plural-c  verloren  haben: 
h  m.  'tag',  aber  pl.  dach.   .Tardon  sagt  a.a.  o.  s.32:  'das  i 

pluralendung  (der  t-decl.)  ist  überall  geschwunden,  der 
um  vocal  womöglich  gekürzt,'   Ebenso  wird  in  der  compara- 

des  adj.  'der  stammhafte  vocal  meist  gekürzt'  (s.  Jardon  34). 
§  60.  Viel  häufiger  als  in  anderen  dialekten  bewirken 
nfr.  doppelconsonanzen  dehnung  mhd.  kurzer  vocale. 
Von  gesetzmässigem  dehnenden  einflusse  auf  den  voraus- 
nden  vocal  sind  hier  zunächst  die  Verbindungen  r  +  con- 
nt;  in  mehreren  der  oben  angeführten  maa.  wirkt  dies 
tz  fast  ausnahmslos;  so  in  Luxemburg  und  Deutschloth- 
m  (s.  Follm.  1, 17.  2, 10. 11. 13);  ferner  zahlreiche  belege 
fardt;  auch  Birkenfeld  gehört  hierher  (s.  Baldes  7).  Auch 
ten  hat  meistens  länge  (Jardon  3.  28.  29).  Vor  r  -f  dental: 
z,  n,  s,  sch,  l,  dehnen  Köln  (s.  Hönig  30),  Trier  (s.  Laven 

Coblenz  und  die  Eifel.  Stadtmaa.  aber  haben  öfters 
kürze.  Wo  sonst  in  durchaus  dehnenden  maa.  fälle  mit 
;ni  vocale  vorhanden  sind,  ist  schriftsprachliche  beein- 
ng  zu  constatieren  oder  das  betr.  wort  ist  aus  dem  nhd. 
int.  Für  ersteres  gibt  Baldes  einen  treffenden  beleg: 
•  Birkenfelder  ma.  erscheint  die  kürze  in  fiad  'hart',  swads 
arz',  hcdds  n.  'herz',  pheol  f.  'perle';  hierzu  bemerkt  B.  11: 
auch  hier,  wenigstens  in  suads,  die  länge  vorhanden  war, 
iigt  die  ausspräche  des  Ortsnamens  Schwarzenbach,  der 
inde  der  Birkenfelder  swadsobax  lautet.'  Ein  beleg  für 
weiten  fall  bei  Hardt  21:  bor  seht  'bursche'  und  »ior.se/* 

morsch'  'sind  beide  aus  dem  hochd.  entlehnt.' 
ür  die  maa.  Deutschlothringens  und  Luxemburgs  sagt 
inii,  dass  nur  selten  und  zwar  nur  an  der  Mosel  vor 
u  r- Verbindungen  kürze  vorkommt:  berrecii  'berg',  lierrebst 
t\  dorre f  dorf.  An  der  Mosel  scheint  also  dehnung  nur 
jr  dental  zu  gelten. 

uesch  und  Hecking  geben  für  die  Eifelma.  die  kürzen 
'sorgen',  dazu  sor<eh  l  'sorge';  für  f.  'furche';  ary\ 


190 


RITZE RT 


barg  =  porcus;  daneben  aber  die  längen  mar  'morgen;  tcärjc 
(<  werch  und  werk). 

Während  auf  dem  Westerwald  die  kürze  nur  ausnahms- 
weise erscheint,  werden  in  der  Siegerländer  ma.  vor  r-verbin- 
dungen  nur  a  (doch  nicht  dessen  umlaut)  und  c  <  e  gelängt 
und  zwar  fast  durchgängig.  Schmidt  IG  f.  nimmt  mit  Heinzer- 
ling 14  als  Ursache  dieser  dehnungserscheinung  die  entwicke- 
lung  eines  svarabhaktivocals  an,  'wodurch  der  vorhergehende 
vocal  gewissermassen  in  offene  silbe  zu  stehen  kam.'  Wenn 
auch  ein  solcher  oft  noch  deutlich  fühlbar  ist  und  in  orte* 
' arg'  klar  zu  tage  tritt,  so  muss  es  doch  auffallend  erscheinen, 
dass  sich  derselbe  nicht  wie  z.  b.  im  schwäb.  und  ostfr.  auch 
da  entwickelt  hat,  wo  dem  r  ein  umlauts-e,  i,  o,  u  vorausgeht. 

Im  siebenbürgischen  sind  die  Verhältnisse  vor  r  -f  cons. 
weniger  einfach.  Doch  gilt  hier,  was  Wolff  2, 28  sagt:  'wo  die 
kürze  der  hochtonigen  silbe  nicht  geschützt  war  durch  Posi- 
tion, da  war  sie  in  den  meisten  fällen  unrettbar  verloren'; 
ferner:  'kurzes  a  bleibt  aber  in  den  Verbindungen  r  -f  cons. 
fortis.'  —  Die  Verbindungen  rsch  und  rscht  dehnen  den  voraus- 
gehenden vocal  fast  regelmässig  (s.  Wolff  1,  20).  In  der  Bi- 
stritzer  ma.  ist  o,  sein  umlaut,  e  vor  r  +  cons.  gedehnt,  jedoch 
nicht  immer;  ferner  tritt  oft  dehnung  ein  in  mundartlich  ein- 
silbigen Wörtern  mit  i,  mitunter  auch  mit  u:  hirt,  hurt;  ferner 
ist  vor  rd  und  rn  fast  durchweg  o  gelängt,  während  nach  Wolff 
1,20  andererseits  in  der  gruppe  m  das  r  oft  geminirt  wird. 
Keintzel  hat  für  Bistritz  und  Regen  auch  die  beispiele;  girkti 
'gürten',  girfol  m.  'gürtel',  irt  =  rechnung. 

Mit  Bistritz  stimmt  Mediasch  im  wesentlichen  überein:  a 
und  sein  umlaut  sind  gedehnt  vor  rn,  rd,  rs,  rm  (vor  letzterem 
der  umlaut  nicht);  e  ist  gedehnt  vor  rs  und  r§t  und  einige 
mal  vor  rt,  so  in  &>rt  f.  'erde';  o  ist  gedehnt  vor  rn,  rd,  doch 
ist  der  umlaut  mitunter  kurz;  i  erscheint  einige  mal  gelängt 
in  mundartlich  einsilbigen  Wörtern. 

§  61.  lieber  vocaldehnung  vor  l  +  consonant  im  mfr.  gilt 
folgendes.  Vor  It  (d)  wird  a  nördlich  einer  linie  gedehnt,  die 
etwas  westlich  parallel  der  Nied  über  Merzig,  Saarburg,  den 
Hochwald,  Bernkastel  und  dann  etwa  Mosel  und  Lahn  entlang 
zieht  (vgl.  Wrede,  Anz.21,  275  ff.:  alte).  Hierbei  assimiliert  sich 
immer  das  /  dem     so  dass  a  bei  zweisilbigen  formen  in  offene 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KÜRZEN  8TAMMSILBENV0CALE.  191 

silbe  zu  stehen  kam.  In  den  Wörtern  in  denen  /  (d)  geblieben 
ist,  bleibt  auch  die  kürze;  *es  finden  sich  deren  mehrere  im 
Siegerland  und  auch  sonst  :  tadd,  gewalt,  ferner  öfters  die  ein- 
silbigen formen  der  Wörter,  die  in  zweisilbigen  gedehnt  er- 
scheinen: alt,  aber  die  'alt';  halt  imp.,  aber  hole  'halten'  (s. 
Heinzerling  110).  Die  kürze  bleibt  auch  dann,  wenn  das  ver- 
längerte a  umgelautet  ist:  äl  'alt',  aber  comp,  aller.  Für  die 
Kifelma.  östlich  von  Prüm  gibt  Buesch  auch  kalt  und  alt:  also 
erhaltenes  t. 

Im  NW  des  gebiets  besteht  übrigens  nach  Wrede,  Anz.  21, 
275  ff.  279  ein  schmaler  streifen  längs  der  belgischen  und  hol- 
ländischen grenze  mit  erhaltenem  -ß-,  dessen  südgrenze  für 
alte  von  Malmedy  ostwärts  nicht  ganz  bis  Blankenheim  und 
dessen  ostscheide  von  hier  gegen  N  östlich  vorbei  an  Schleiden, 
Gemünd,  Stolberg  über  Linnich  und  Erkelenz  weiter  zieht, 
Für  das  beispiel  kalte  ist  das  gebiet  der  -//-formen  noch  weiter 
ausgedehnt,  so  dass  man  die  grenze  bis  Erkelenz  ganz  ungefähr 
ersetzen  mag  durch  St.  Vith,  Daun,  Remagen,  Erkelenz.  'Doch 
beweisen  noch  zahlreiche  Äd/-ausnahmen  die  Priorität  der  alte- 
linie.'  Ausgenommen  ist  für  beide  Wörter  der  grenzsaum  von 
Eupen  bis  Straelen,  wo  der  dental  schwindet  und  l  vocalisiert 
ist;  für  kalte  schliesst  der  saum  im  S  noch  Comelimünster  ein, 
in  seinem  südzipfel  ist  öfters  alt  bezeugt.  Für  Aachen  be- 
stätigen Jardons  beispiele  das  gesagte:  att"e  'alte',  fau'e  'fal- 
ten'; in  einsilbigen  formen  bleibt  der  dental  ÖH  'alt'. 

In  den  maa.  Deutschlothringens,  Luxemburgs  und  der  Eifel 
wird  auch  e  vor  It  gedehnt:  seien  'selten',  gelen  'gelten';  Wrede 
gibt  im  Anz.  19,285:  fal  dat.  sg.  'felde'  um  Prüm  und  Witlich. 
Bei  Finnenich  1, 502  finde  ich  für  den  kreis  Prüm  auch  schould 
'schuld'  neben  schölligkeet,  jähld  n.  'geld'  neben  weit. 

Für  den  Westerwald  gibt  K.  Chr.  Schmidt  goold  n. 'gold'. 

Vor  -Its  wird  a  gedehnt  in  einem  streifen  zu  beiden  Seiten 
des  Rheins  von  Düren  über  Köln  bis  zur  lautverschiebungs- 
linie,  sowie  häufiger  nördlich  der  Mosel  im  westlichen  teile 
der  Eifel.  Vocalisation  des  l  erscheint  auch  hier  im  west- 
lichsten teile  der  Rheinprovinz  mit  Gangelt  und  Waldfeucht 
(s.  Wrede,  Anz.  19, 102).  Auch  Buesch  gibt  salz.  Firmenich  hat 
ferner  hahls  für  die  Eifel  (1, 503).  Ebenso  hat  der  Westerwald 
saalz  (aber  salzborjer)  und  schmaalz. 


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192  BITZERT 

Allgemeiner  ist  vor  l  -f  cons.  in  Aachen  und  auch  in 
Siebenbürgen  Verlängerung  eingetreten;  in  A.  ist  in  einer  an- 
zahl  von  fällen  l  ausgefallen  und  der  vocal  diphthongiert: 
A-pM/^kalb';  oft  findet  sich  nach  l  svarabhakti vocal:  käl'k  'kalk', 
jäl'm  'qualm',  meVch  'milch'  und  verb.  m^l'ke;  oft  nicht:  pflz, 
Mit  'bild'.  Von  den  maa.  Siebenbürgens  dehnt  Mediasch  con- 
sequent  den  vocal  vor  /-Verbindungen  (s.  Scheiner  131).  Bistritz 
und  Regen  dehnen  a  und  in  der  regel  e;  einige  mal  ist  in 
Regen  auch  o  gedehnt:  httlts  n.  'holz',  fülk  'volk'  etc.  Nach 
Wolff  2, 16  findet  sich  in  den  dorfmaa.  Siebenbürgens  vor  U 
sehr  häufig  diphthongierung:  ault  'alt',  houlz  'holz',  foulk  'volk', 
neben  alt,  hülz,  fülk;  anderwärts  hat  doppelconsonanz  in  S. 
eine  dehnung  des  vocals  nicht  zugelassen.  Im  nösnischen  ist 
t  (d)  nach  /  häufiger  verloren:  schälen  'schelten'. 

§  62.  a)  Verlängerung  vor  nasal  -f  cons.  findet  sich  im 
W  des  mfrk.  In  Aachen  tritt  vor  den  Verbindungen  mp,  nk, 
nts,  ns  und  in  einigen  fällen  vor  nt  (d),  das  selbst  aber  wegen 
des  wandels  zu  nk  nur  sporadisch  vorkommt,  vocaldehnung  ein: 
wempel  'wimpel',  lank  'lang',  blenk  'blind',  6ns  'uns',  mi[nz 
'minze',  schwänz  (aber  pl.  schwe.nz),  zqnke  'zanken'.  Der  plural 
zeigt  meistens  wider  die  kürze. 

In  der  Eifelma.  wird  nur  a  vor  nt,  nk  und  mp  gedehnt. 
'Bei  hinzutritt  einer  flexionsendung  sträubt  sich  die  spräche 
gegen  eine  Vermehrung  der  laut-  und  tonmasse',  so  dass  meistens 
der  urspr.  kurze  vocal  wider  hervortritt  (s.  Buesch  9).  Die  an- 
geführten beispiele  wie  lamp  'lamm',  pl.  lammer,  länk,  flectiert 
lanye,  sdnt,  dat.  sann,  zeigen  aber,  dass  in  den  flectiert en 
formen  die  consonanz  sich  ändert.  Ich  sehe  deshalb  hierin 
die  Ursache  der  quantitätsveränderung  in  der  flectierten  form. 
In  den  Wörtern,  die  jetzt  a  für  mhd.  i  haben,  ist  die  deh- 
nung unterblieben:  hont  'kind',  want  'wind'.  Hecking  und 
Firmenich  haben  ebenfalls  hierher  gehörige  beispiele. 

Für  die  Trierer  ma.  sagt  Laven  vrn  und  xxv:  'in  vielen 
Worten  ist  die  ausspräche  von  m  und  n  (auch  l  und  teilweise  r) 
eine  gedehnte  und  der  diesen  lauten  vorausgehende  vocal  wird 
schwebend,  d.h.  etwas  gedehnt,  ausgesprochen.' 

In  der  Sauerma.  steht  e  vor  der  Vereinfachung  des  m,  n 
aus  mp(b)  und  nt(d):  Uner  pl.  von  lant;  also  offene  silbe. 

Honig  gibt  für  die  Kölner  ma.  beispiele  mit  vocaldehnung 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCAIjE.  193 


vor  nz:  fraanzbrüdche  'milchbrötchen',  krenzele  'sich  zieren', 
krönzel  'Stachelbeeren',  doch  Franz  nom.  pi%  ans. 

Für  Siebenbürgen  sagt  Wolff  1, 28:  'vor  nä,  nt,  nz  wird  a 
häufig  gedehnt';  s.  auch  Scheiner  124. 

In  Regen  wird  ausser  a  auch  c  vor  n  -f  </,  sowie  vor  u 
gedehnt:  letzteres  gilt  auch  für  Bistritz  (s.  Keintzel  143.  149); 
vor  »  wird  in  beiden  orten  auch  u  gelängt  (s.  Keintzel  162). 
In  Mediasch  wird  u  vor  nt,  ml,  nk,  ng  gedehnt,  sein  umlaut 
aber  nicht. 

Anm.  Zu  §  60.  61.  62,  a  vgl.  E.  Maunnann,  Die  laute  der  ma.  von 
Mülheim  (Marhurger  disw.  1SS9)  §  137  und  145;  in  dessen  niederfr,  an  das 
mfr.  grenzenden  ma.  »ind  die  kurzen  vocale  vor  r  +  alveolar,  vor  hl  und 
//  und  vor  mb,  mp,  nd,  nt  gedehnt  worden. 

b)  Vereinzelt  tritt  im  mfr.  der  fall  ein,  dass  n  vor  der 
Spirans  s  oder  /'  schwindet,  wodurch  der  vorausgehende  vocal 
gedehnt  wird.  Für  die  Sauerma.  erwähnt  Hardt  nur  is  'uns'. 
Füll  mann  constatiert  diese  dehnung  in  einigen  fällen:  spdsei 
'Spannseil',  dasen  ' geschwind  laufen',  gas  'gans'  und  pl.  geis 
(hierzu  vgl.  Wrede,  Anz.  18, 406:  'in  der  nordwestlichsten  ecke 
von  Lothringen',  femer  überall,  mit  ausnähme  der  Elzma,,  eis 
[c's,  is]  'uns'. 

Hecking  bezeugt  für  die  Eifel  luifel  'haudvoll',  heischen 
'handschuh',  olisen  'der  unsrige';  Buesch  auch  möfel  •mund- 
voll', saß  'sanft'.  Bei  Rottmann  linde  ich  sähft  'sanft',  tths 
'uns',  fiester  'fenster'  (daneben  finsterglas).  Auch  auf  dem 
Westerwald  und  im  Siegerland  begegnen  wir  dieser  erschei- 
nung;  Kehrein  22:  its  'uns',  gas  'gans',  sehn  äs  'schwänz',  lise 
'linse',  saß  'sanft',  Wrede  a.a.O.:  'um  Driedorf  findet  sich 
dehnung  in  gänse  mit  ausfall  der  Spirans.  Im  Siegerland  ver- 
liert sich  unsere  erscheinung  im  laufe  der  zeit:  kost  f.  'kunst' 
ist  der  name  eines  alten  Wasserwerks  bei  Siegen,  doch  sonst 
heisst  das  wort  im  heutigen  gebrauche  immer  konzt;  ferner 
neben  gas,  pl.  gaese  schon  ganz,  ganze. 

Für  Siebenbürgen  sagt  Wölfl  1,28:  4  vor  ns  wird  n  gewöhn- 
lich synkopiert  und  der  vorausgehende  vocal  zum  ersatz  ge- 
dehnt: käst  'kannst',  güs  'gans',  doch  kernt  'kennst',  konst  f. 
'kunst'.  Bei  Keintzel  156.  162,  Kisch  und  Scheiner  131.  134 
erscheinen  i  und  t«  nach  Schwund  eines  n  (»)  vor  s,  f  gelängt; 
Keintzel  gibt  auch  haist  m.  'hengst'.   In  manchen  Ortschaften 

Beitrage  zur  geiohichte  der  deutschen  spräche.   XXIII.  13 


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194 


RITZERT 


fällt  n  nicht  aus,  so  z.  b.  in  Klein -Bistritz:  tsents  'zins\ 
fenzf  'fünf. 

§  63.  Auch  vor  urspr.  geminaten  von  liquiden  und  nasalen 
findet  sich  hin  und  wider  dehnung  des  vocals.  Die  Ursache 
dieser  erscheinung  liegt  darin,  dass  dieselben  nicht  als  gemi- 
naten behandelt  werden.   Im  einzelnen  gilt  hierüber  folgendes : 

In  den  maa.  Deutschlothr.,  Luxemburgs,  Triers,  also  im  SW 
des  mfrk.,  wird  rr  'stets  aufgelöst'  (Follmann  1. 15)  und  der 
vorausgehende  vocal  gedehnt:  geschir  'geschirr',  nor  'narr'. 
Selten  finden  sich  ausnahmen.  Jedenfalls  erstreckt  sich  das 
gebiet  dieser  erscheinung  viel  weiter,  da  auch  aus  anderen 
linksrhein.  maa.  mit  ausnähme  des  8  vereinzelte  belege  vor- 
liegen;  so  bei  Bnesch  hör  f.  'karre',  schären  'scharren';  bei 
Hecking  kahr  'karre':  bei  Jardon  jcschiär  'geschirr',  auch  Hönig 
hat  kür,  aber  geschürt- \  in  der  Koblenzer  ma.  erscheint  fahre- 
schwänz  zu  mhd.  rar,  -ms. 

Vor  II  findet  sich  dehnung  des  a  in  Trier,  Luxemburg. 
Lothringen:  schM  m.  'schall',  nalen  'wallen':  vgl.  Hardt  11, 
der  auch  gesel  m.  'geselle'  gibt.  In  Bistritz  und  Regen  wird 
a  vor  urspr.  auslautender  doppelliquida  gedehnt;  umlauts-e 
erscheint  vor  bald  lang,  bald  kurz  in  Bistritz.  in  Regen 
immer  lang;  kurz  bleiben  aber  die  übrigen  vocale.  In  der 
ma.  von  Mediaseh  sind  vor  //  alle  vocale  ausser  a  gedehnt. 
Für  den  Hunsrück  gibt  Rottmann  itveräl  'überall'. 

Vor  mm  und  nn  hat  Luxemburg  und  Lothringen  nach 
Follmann  und  Hardt  länge  von  a  und  dessen  umlaut  e.  In 
der  Sauerma.  sind  'vor  geminationen  nur  wenige  a  und  e  kurz 
geblieben'  (s.  Hardt  11,  16);  ferner  Wrede,  Anz.  19.201:  man 
wird  gehört  in  einem  grösseren  gebiete,  das  südwärts  etwa 
durch  Mosel  von  Trier  bis  Cochem  begrenzt  wird  und  nord- 
wärts noch  Prüm,  Blankenheim,  Ahrweiler,  Adenau,  Daun 
umfasst,  das  aber  seine  unsicheren  südausläufer  längs  der 
reichsgrenze  noch  bis  1  Jedenhofen  und  Busendorf  vorschickt: 
ausserdem  gilt  man  für  die  umgegend  von  Hachenburg,  wäh- 
rend östlich  davon  ein  streifen  landes,  der  den  Westerwald 
durchkreuzt  und  von  Hilchenbach  über  Siegen  und  Wester- 
burg bis  Montabaur- Hadamar  reicht,  ma  hat.  Von  Siebenbürger 
maa.  dehnen  Bistritz  und  Regen  a  vor  urspr.  auslautendem 
doppeluasal;  in  Regen  wird  auch  umlauts-f  vor  nn  stets,  in 


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DETTNFNO  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  105 


Bistritz  nur  in  vereinzelten  fällen  gedehnt,  durchweg  aber 
vor  mm  (in-  und  auslaut).  In  Mediasch  erfährt  a  vor  mm 
dehnung,  doch  nicht  sein  umlaut  (s.  Scheiner  124). 

§  64.  Vor  den  genünaten  pp,  //,  kk  ist  an  der  Mosel  und 
in  der  Kifel  a.  e,  o  gedehnt  worden.  Da  im  mfr.  p  in  der 
gemination  ganz  ohne  Verschiebung  bleibt  und  ebenso  k,  so 
findet  sich  diese  erscheinung  in  zahlreichen  beispielen  (s.  die- 
selben bei  Follmann,  Hardt  11.  Hecking,  Buesch,  Laven):  apel 
'apfel'  (Trier  hat  im  pl.  aber  äbbel,  dim.  äbbelchen),  säk  'sack', 
geuat  'gewettet',  dop  4 topf,  rök  'rock',  wehen  'wecken',  drök, 
bei  Buesch  dreck.  Bei  Wegeier  finde  ich  nur  geschääkt  'ge- 
scheckt': Laven  gibt  als  kölnisch  an:  sfrecekcn  'stricken'  und 
fleccken  'flicken';  Honig  selbst  aber  hat  diese  beispiele  nicht. 
Die  bei  letzterem  angeführten  Wörter  haben  durchweg  kürze: 
appel,  droppe  m.  'tropfen',  sack,  klock  etc. 

Mit  dem  moselfr.  stimmen  die  maa.  Siebenbürgens  überein; 
nur  bleibt  mhd.  a  hier  kurz.  Der  umlaut  von  a  zeigt  wie  e,  o 
und  dessen  umlaut  dehnung  (s.  Keintzel  141.  147.  152.  158.  159; 
ferner  belege  bei  Kisch,  Scheiner,  Wolff);  also  apel,  qkdrn 
'ackern',  aber  kläpdr  (<  klepfel),  bat  (<  bette),  ak  (<  ecke)  etc. 
Mitunter  kommen  auch  ausnahmen  vor.  so  heisst  es  in  Bistritz 
klopm  'klopfen',  in  Bistritz  und  Regen  bok  'bock',  fnssok  f. 
'socke',  opfern,,  letzteres  'wahrscheinlich'  aus  dem  nhd.  entlehnt. 

Rechtsrheinisch  wird  unsere  erscheinung  für  den  Wester- 
wald (besonders  im  amte  Hachenburg  und  Rennerod)  und  den 
nassauischen  Unterrhein  (besonders  im  amte  St,  Goarshausen) 
bezeugt  (s.  Kehrein  8);  die  hier  angeführten  belege  sind  aus 
K.  Ctlr.  Schmidt:  zehten  'zetten',  spehk  m.  'speck',  drehk  'dreck', 
haag  f.  'hacke';  doch  hat  Schmidt  latt  f.  iatte'  und  krabbeln. 

§  65.  Charakteristisch  für  den  grösseren  nördlichen  teil 
des  mfr.  ist  die  längung  vor  doppelspiranten  und  Spiranten- 
Verbindungen.  Die  räumliche  ausdehnung  dieser  erscheinung 
ist  bei  den  einzelnen  vocalen  nicht  die  gleiche;  i  und  u  werden 
nur  ganz  vereinzelt  gelängt.  Weitere  Verschiedenheiten  er- 
geben sich  ferner  durch  die  art  der  spirantischen  consonanz 
(s.  Kehrein  12.  Follmann  1,28  und  2,5.  7.  8.  11.  Hardt  11.  14. 
16.  21).  In  den  übrigen  arbeiten  sind  die  belege  zerstreut 
Beispiele:  mäcJien,  dazu  3.  sg.  praes.  maickt,  stäclien  'stechen', 
Irnich  und  loch  und  pl.  löücher  (lecher);  nds  'nass',  esen  (eisen) 

13* 


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m 


RITSERT 


'essen',  schlos  und  pl.  schlöüser  (schleser);  kläfe  'klaffen',  lefel 
und  laifcl  'löffel',  schtouf  m.  'stoff';  waischen  'waschen',  drai- 
schen 'dreschen',  fro(ai)sch  m.  'frosch'  und  pl.  frc(öii)scJ^e); 
raisten  'rasten',  rö(on)st  m.  'rost',  neist  'liest'  und  pl.  neister; 
haß,  haspelt  waispel  f.  'wespe',  kätz  'katze',  kaotzen  'kotzen', 
sähen  'setzen'  etc.   Ausnahmen  finden  sich  überall. 

Für  einzelne  hierher  gehörige  fälle  gibt  Wenkers  Sprach- 
atlas die  genauere  begrenzung.  Vocaldehnung  in  machen  (s. 
Wrede,  Anz.  20, 207)  wird  im  0  und  S  durch  eine  linie  be- 
grenzt, die  von  Freudenberg  südwärts  zieht  auf  Driedorf  am 
Westerwald  und  von  hier  westlich  auf  Linz,  den  Rhein  auf- 
wärts und  dann  südwestlich  etwa  dem  Hunsrück,  Idarwald 
und  Hochwald  folgt.  Die  grenze  für  gedehnten  vocal  in  ge- 
hrochen (Anz.  22, 98  f.)  ist  im  S  ungefähr  einzuengen  bis  Linz- 
Adenau-Trarbach-Merzig-Luxemburg.  Gedehntes  a  in  teasser 
ist  nach  Anz.  19, 283  zu  erwähnen  für  das  linke  Rheinland  von 
Remagen-Montjoie  nordwärts  und  besonders  consequent  für  die 
beiden  Moselufer  aufwärts  bis  zur  Schneeeifel  einerseits,  dem 
Hoch-  und  Idarwald  andererseits,  erstreckt  sich  also  keines- 
wegs so  weit  als  ä  vor  ch.  Dehnung  in  besser  findet  sich 
nach  Anz.  20, 329  im  ripuarischen  linksrheinisch  durchgängig, 
rechtsrheinisch  fast  nur  in  der  nähe  des  flusses;  so  hat  nach 
Firmenich  Stieldorf  am  Siebengebirge  freissen  'fressen',  ver- 
geissen  und  Buscherhof  bei  Waldbröl  vergasen.  Nach  Kehrein  3 
hat  der  Westerwald  und  nassauische  Unterrhein  pehz  m.  'petz', 
trehf  m.  'treff. 

In  den  maa.  Siebenbürgens  begegnet  uns  diese  dehnungs- 
erscheinung  ebenfalls,  jedoch  bleibt  ausser  /.  u  auch  altes  a 
kurz  bis  auf  vereinzelte  ausnahmen:  uaszr,  plqts,  sojc  'Sache', 
af  'äffe',  gast  etc.;  doch  rufst  z.  b.  in  Bistritz,  flöstw  u.  a.  in 
Bistritz  und  Regen;  ferner  hat  Bistritz  häx  und  däx.  Regen 
moxz  'machen',  16 j  .  döx.  In  Mediasch  wird  aber  a  vor  ch 
gedehnt  (s.  Scheiner  125.  128.  131).  Der  umlaut  des  a,  ferner 
e,  o  und  dessen  umlaut  erfahren  dehnung:  gast  (<gcsti)y  kräßix. 
käsjl  m.  'kessel',  gaster  *  gestern*,  slds  n.  'schloss',  löx  'loch* 
und  pl.  le/jr,  6fn  'offen7,  klotz  m.  'klotz*  etc.  (s.  Keintzel  141. 
142. 147. 152. 158. 159;  ferner  belege  bei  Kisch,  Scheiner,  Wolff). 
In  Aachen  erscheint  auch  list  f.  iist',  meis  m.  'mist',  mu*t 
•musste".  aber  ke.s(t)  f.  'kiste',  le.st  'lust*  etc.    Der  pl.  zu  kraß 


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DEHNUNG  DER  MUT).  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE. 


107 


heisst  hier  kreftc;  ebenso  ist  in  der  Sanerma.  der  umlaut  des 
ä  vor  ft  in  einigen  fällen  kurz:  kreftech,  seftech,  doch  auch 
säftedi. 

Aus  den  beispielen  bei  Laven  ergibt  sich  für  die  Trierer 
ma,,  dass  a  vor  allen  oben  angeführten  Spiranten  und  spiranten- 
verbindungeu  gedehnt  wird;  in  den  wenigen  ausnahmen  liegt 
sicher  nhd.  einfluss  vor  wie  in  kass  f.  'kasse'  etc.;  vor  ch  und 
88  ist  auch  e  gedehnt,  o  jedoch  nur  in  loch,  pl.  Icicher,  dim. 
laehehhen  ;  auch  spiehziy  ist  verzeichnet,  jedoch  in  übertragener 
bedeutung  'schmal  aussehend'.  Zu  den  letzteren  fällen  ist  zu 
vergleichen,  was  Laven  xix  sagt :  'die  Trierer  ma.  bietet  nicht 
selten  den  fall,  dass  ein  wort  mehrere  formen  hat.  Je  nach 
dem  jedesmaligen  Charakter  des  gedichts  ist  bald  die  eine, 
bald  die  andere  form  gebraucht.  Von  diesen  formen  ist  ge- 
wöhnlich die  eine  die  plattere,  welche  in  der  nähe  von  Trier 
unter  der  ländlichen  bevölkerung  angetroffen  wird'.  Jeden- 
falls darf  daraus  der  schluss  gezogen  werden,  dass  die  ma.  bei 
Trier  in  Übereinstimmung  mit  der  benachbarten  Sauer-  und 
Moselma.  Luxemburgs  auch  o  dehnt. 

In  der  ma.  von  Köln  erstreckt  sich  die  besprochene  deh- 
nungserscheinung  nur  auf  a;  ausnahmen  sind  auch  hier  zu 
finden.  Nach  Wrede.  Anz.  22,  325  erscheint  im  dat.  sg.  tisclw 
im  Roergebiete  eircumfleetiertes  oder  diphthongiertes  öe,  öi,  öü, 
im  südlich  sich  anschliessenden  e-  gebiete  bis  Montjoie- Sinzig 
weniger  oft  e,  doch  ebenso  oft  ei,  et. 

Vocallänge  in  ich  findet  sich  zu  beiden  seiten  der  Mosel 
bis  Saarlouis,  St.  Wendel,  Kusel.  Wolfstein,  Sobernheim,  Sim- 
mern, Zell;  dieses  gebiet  wechselt  bunt  zwischen  diphthon- 
gierten formen  und  ich,  eck,  öch\  nördlich  von  der  linie  Prüm, 
Daun,  Cochem,  Hoppard  findet  keine  dehnung  statt  (s.  Wrede, 
Anz.  18, 308).  Auch  in  Siebenbürgen  sagt  man  mitunter  aix, 
mm'x  etc..  aber  nur  dann,  wenn  auf  diese  pronomina  ein  be- 
sonderer nachdruck  gelegt  wird  (s.  Keintzel  154).  Vgl.  hierzu 
Maurmann  §  14«,  der  für  Mülheim  dehnung  vor  den  stimmlosen 
reibelauten  ff)  j,  ss,  s  constatiert. 

Die  Birkenfelder  ma.  dehnt  den  vocal  in  seltenen  fällen 
vor  st  (s.  Baldes  7). 

§  66.   Vocal  Verlängerung  vor  urspr.  ht  und  hs. 

Im  hauptgebiete  des  mfr.  wird  mhd.  kurzer  vocal  fast 


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108 


RITZE  KT 


durchgehend  vor  altem  ht  gedehnt.    Ausnahmen  sind  zwar 
allerorts  zu  constatieren,  doch  nirgends  zahlreich;  namentlich 
erscheinen  acht  num.  card.  und  fechten  ohne  gedehnten  vocal. 
sicherlich  in  folge  nhd.  einflusses.   Für  Trier  hat  Laven  die 
'plattere'  form  nöhchden,  pl.  zu  nöhchd,  neben  kurzem  n«c/«7. 
Wredes  beispiele  recht  im  Anz.  21. 1(52  und  schlecht,  ebenda  164. 
bestätigen  obiges  gesetz;  ferner  lucht  *luft\  Anz.  10. 278.  Für 
nichts  folge  hier,  was  Wrede,  Anz.  10. 205  gibt:  innerhalb  des 
folgenden  wesentlich  mfr.  gebiets  lassen  sich  die  hellsehenden 
dialektformen  zurückführen  auf  urspr.  *nüst;  wir  finden  dort 
die  diphthonge  eu,  ei,  ferner  ü  und  i:  Eupen,  Aachen  (orte 
mit  */V*  cureiv  gedruckt),  Düren,  Lechenich,  Brühl,  Köln.  Mül- 
heim, GladbacJi,  Wipperfürth,  Blankenberg,  Altenkirchen.  Unkel, 
Remagen,  Linz,  Sinzig,  der  Rhein  von  Andernach  bis  Bacha- 
rach, Simmern,  Stromberg,  Gemünden,  Sobernheim,  Kusel, 
St.  Wendel,  Ottweiler,  Saarlouis,  Forbach,  St.  Arold,  Saaralbeu 
(s.  auch  Hardt  23). 

Nicht  allgemein,  aber  immerlün  'häufig'  tritt  dehnung  vor 
ht  in  der  Birkenfelder  ma.  ein  (s.  Baldes  7).  Im  Sieger land 
sind  im  wesentlichen  nur  a  und  e  gedehnt;  doch  findet  sich 
auch  dö'chder  neben  gafoduU.  In  Siebenbürgen  werden  mu- 
ri, v,  o  gedehnt  (s.  Keintzel  144.  147.  151  [hier  auch  einige  bei- 
spiele  mit  kurzem  e  in  Bistritz].  158).  Auch  Kisch,  Scheiner 
und  Wulff  haben  keine  fälle  mit  langem  i  und  tt. 

§  67.  Dehnung  vor  altem  hs  mit  schwund  der  guttural- 
spirans  gilt  für  das  ganze  Mittelfranken  und  ebenso  für  Sieben- 
bürgen (jedoch  mit  ausnähme  des  i  und  »);  in  Aachen  tritt 
sie  nur  teilweise  ein,  da  sich  hier  ch  (h)  vor  s  'meist'  zu  k 
verhärtet  (s.  Jardon  25).  Auf  dem  Hunsrück  findet  sich  die 
erscheinung  selten;  fläs  (<  clahs),  die  mfr.  form,  herscht  noch 
in  der  ländlichen  Umgebung  Birkenfelds,  während  die  durch 
das  hd.  hervorgerufene  form  flags  in  der  Stadt  selbst  in  der 
jüngsten  zeit  die  alte  form  fast  verdi*äugt  hat.  Dieser  um- 
stand hat  an  mehreren  orten  ausnahmen  verursacht,  was  deut- 
lich daraus  hervorgeht,  dass  alte  und  neue  formen  neben 
einander  bestehen.  Wenn  aber  fast  durchweg  die  formen 
fuks  (<  vuhs),  seks  (<  sehs)  und  biks  (<  bühse)  erscheinen,  so 
muss  mit  Heinzerling  schriftsprachliche  beeinflussnng  an- 
genommen werden.    Keintzel  hat  für  Bistritz  zes  (<  sehs\ 


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DEHNUNG  DER  MHI).  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  199 

aber  zcsIsj  und  zestsix  10  iiud  20;  hier  liegt  ein  Wirkung  der 
gehäuften  consonanz  vor;  Regen  hat  zisstsa:. 

Die  grenzlinien  für  einige  hierher  gehörige  beispiele  er- 
geben sich  aus  Wenkers  Sprachatlas;  für  wachsen  (s.  Wrede, 
Ans.  21, 261)  zieht  die  südgrenze  der  vocaldehnimg  von  Saar- 
ijvnuind  (orte  mit  ks  <  hs  und  vocalkürze  cursiv)  über  Saar- 
louis, OUweiler,  St.  Wendel,  Oberstein,  Kirn,  Obcrwesel,  Mayen, 
Andernach,  Bendorf  nach  Ems  und  setzt  sich  im  rheinfr.  fort. 
Die  ostgrenze  zieht  von  Gummersbach  über  Hilchenbach  und 
wendet  sich  dann  südwärts  über  den  Ederkopf  und  Haiger  in 
rheinfränkisches  gebiet.  Die  quautität  des  Stammsilben vocals 
in  ochsen  (s.  Wrede,  Anz.  21, 264)  ist  im  grossen  und  ganzen 
der  von  wachsen  analog;  die  südgrenze  beginnt  hier  westlich 
von  Trier  und  zieht  zwischen  Bitburg,  Prüm,  Gerolstein,  Cochem 
weiterhin  in  einem  kleinen  abstand  nördlich  der  für  wachsen 
gegebenen  linie  (s.  auch  Follmann  1,15.  Hardt  2.')). 

8.  Thüringisch. 

Quellen:  E.  Brand  in,  Zur  lautlehre  der  Erfurter  ma.  1 .  Yocalisinus. 
2.  Consonantismns.  Programm  von  Erfurt  1892  f.  —  R.Flex,  Beiträge  z. 
erforschung  der  Eisenacher  ma.  Progr.  von  Eisenaeh  1893.  —  B.  Haus- 
halter, Vocalismus  der  Rndolstädter  ma.  Rudolstadt  1882.  —  L.Hertel, 
Die  Salzunger  ma.  Wim.  von  Jena  1888.  —  L.Hertel,  Thüringer  Sprach- 
schatz. Weimar  1895.  —  Herwig.  Idiotismen  aus  Thüringen.  Progr.  von 
Eisleben  1893  (eigenwörter  ans  der  Vogtei,  südöstlich  von  Mühlhausen).  — 
R.  Jecht,  Wörterbuch  der  Mansf  eider  ma.  Görlitz  1888.  —  S.  Klee  manu, 
Beitrage  zu  einem  nordthür.  idiotikon.  Progr.  von  Quedlinburg  1882.  — 
Fr. Liesen berg,  Die  Stieger  ma.,  ein  idiom  des  Unterharzes.  Diss.  von 
Göttingen  1890.  —  K.  Regel.  Die  Ruhlaer  ma.  Weimar  1868.  — 
M.  Schultze.  Idiotikon  der  nordthür.  ma.  (grafschaft  Hohnstein  uud  stadt 
Nordhausen).  Nordhausen  1874.  K.  Schöppe,  Naumburgs  ma.  Naum- 
burg 1893.  —  O.Weise,  Die  Altenburger  ma.,  Mitteilungen  des  gesch.-  u. 
altertumsforachenden  Vereins  zu  Eisenberg,  4.  heft  (1889). 

§  68.  Im  thüringischen  wird  mhd.  kurzer  vocal  in  offener 
silbe,  einzelne  abweichungen  abgerechnet,  durchaus  gedehnt 
(s.  Brandis  5.  ti.  13.  Flex  8.  Hertel  1,11.  Liesenberg  37);  weitere 
belege  in  allen  genannten  quellen ;  s.  auch  Regel  6. 38.  Kpiess 
14  f.).  Beispiele:  sledn  'Schlitten',  gläd  'glatt',  dazu  comp,  gläder, 
hdmel  'hammel',  ketncl  'kümmel'  etc.  Die  fast  durchweg  er- 
scheinenden formen  krepel  'krüppel',  rebe  (rewe)  'rippe'  gehen 
auf  mhd.  krüpel  (nbf.  zu  krüppel)  und  ribe  (nbf.  zu  rippe)  zu- 


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200 


RITZBKT 


rück,  cge  auf  mhd.  egedc.  Häufig  erscheint  der  vocäI  in  dem 
worte  'höckerin'  gedehnt:  Hägen,  hcken,  koken  frau;  dies  ist 
eingetreten,  nachdem  ch  nicht  mehr  als  geminata  behandelt 
wurde;  dasselbe  liegt  in  einigen  anderen  fällen  wie  sjhU 
'spass'  vor. 

§  69.  Kürze  des  stammvocals  findet  sich  in  den  maa.  .Süd- 
westthüringens  einige  mal  vor  l  (s.  Hertel  13):  metle  'niuhle\ 
vUl  'viel',  sbill  'plaudern*.  Ruhla  hat  sollen  f.  -sohle',  motten 
'mühle',  gestollen  'gestohlen'  u.  a.  (s.  Regel  3).  Kürze  in  mähic, 
kohle,  sohle  begegnet  nicht  selten  auch  in  den  übrigen  maa. 
Thür.;  in  Stiege  ausserdem  in  wol  (mangel  an  flectierteii 
formen)  neben  feie  'viel',  hol  adj.;  für  Rudolstadt  ist  nur  in 
hol  kürze  angegeben. 

Ebenso  erscheint  fast  überall  kürze  in  stube  und  häufig 
in  sehne  (doch  schon  mhd.  senne  neben  senetec)  und  scJriene, 
in  letzterem  besonders  in  dem  compositum  Schienbein  und  zwar 
auch  da  wo  die  form  schienehein  erhalten  ist.  Altenburg  hat 
stöbe,  aber  (nach  erfolgter  Umwandlung  der  offenen  in  ge- 
schlossene silbe)  stummdaere;  Naumburg  hat  auch  im  compos. 
länge,  ferner  in  schihnebehn,  daneben  aber  schimmbehn. 

Da,  den  SW  abgerechnet,  in  anderen  als  den  obigen  schw. 
Substantiven  auf  l  die  gesetzmäßige  länge  erscheint,  so  liegt 
es  nahe,  die  Ursache  der  kürze  in  den  obliquen  casus  zu  suchen 
mit  annähme  von  vocalsynkope  in  der  endung  und  hierdurch 
entstandener  einsilbigkeit:  solen  >  soln\  dies  liegt  um  so  näher, 
als  jene  Substantive  häufig  im  nom.  in  der  form  der  obl.  casus 
erscheinen:  Icoln,  soln,  auch  stttbn  (sdomm);  hinzuzuzählen  wäre 
dann  das  ebenfalls  häufig  vorkommende  rödden,  redde  'rfide\ 

Kürze  vor  t  kommt  vereinzelt  vor;  sieht  man  aber  von 
fällen  ab,  in  denen  sie  auf  rechnung  der  voealsj'nkope  in 
suffixen  kommt,  wie  z.  b.  ka'tl  'kittel',  batlman  'bettelmann' 
in  der  Yogtei  und  auch  sonst,  so  gehören  nur  ganz  wenige 
fälle  aus  dem  mansfeldischen  und  Naumburg  hierher,  wie  brätt 
'brett\  schatte,  kette.  Nordthüringen  hat  wol  statt i Stadt ',  aber 
steetc  pl.;  jebotten,  jesotten  sind  zu  erklären  \x\e  jescJiobben  'ge- 
schoben\  ^(//raW^n 'geschrieben'.  .Stiege  kennt  kürze  in. sät 
-satt'  und  jlät ' glatt',  aber  pöde  'böte',  prät  'brett'  etc.;  ferner 
im  pl,  praet.  und  part.  praet.  der  starken  verba  der  ersten 


— D  igiti^  e^byö  OCgTvi 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  201 


a blaut  st  eine,  deren  stamm  auf  /,  d  ausgeht:  ItiVn, 4 litten \jdedn 
•gelitten';  me\Vn  '  mieden ',  jcmed'n  •gemieden'. 

§  70.  Manche  einsilbige  nomina  bewahren,  trotzdem  sie 
flectierte  formen  neben  sich  haben,  in  denen  der  vocal  in 
offene  silbe  zu  stehen  kam.  aucli  im  thür.  die  alte  kürze;  es 
sind  dies  u.  a.  im  mansfeldischen  hoff'  'hof  (aber  gen.  höwes\ 
schmedd  i  schmied'  (verb.  aber  Schmiden);  ebenso  am  Unter- 
harz, wo  aber  das  verb.  schmvden  mit  langem  und  kurzen 
vocal  erscheint;  hier  auch  jrob,  comp,  jrower.  Xordhausen  hat 
kürze  in  glas,  rad,  htd  (pl.  mit  länge),  söb  n.  *sieb'  (pL  mit  L; 
am  Unterharz  scp),  fann  'fahne',  glid  'glied',  srhmid.  Nach 
Kleemann  kommt  hier  neben  ivvd  (<  tvidc)  auch  tcvtt  vor 
(immer  in  lanywöft  'verbindungsstange  am  wagen';  nebenton). 
Vereinzelte  fälle  erscheinen  auch  sonst,  so  manchmal  schtnid. 
Wenn  durchweg  gott  und  fromm  kurzen  vocal  haben,  so  liegt 
sicher  schriftsprachlicher  einfluss  vor.  Der  dehnung  nicht 
unterworfen  ist  fast  im  ganzen  gebiete  der  imp.  der  2.  sing, 
der  verben,  deren  stamm  auf  verschlusslaut  ausgeht,  als  iso- 
lierte form  (s.  Schultze  12.  Schöppe  28);  ferner  das  adv.  (?)wäk, 
in  Xordthüringen  auch  die  Partikeln  hin  und  für. 

Aura.  Für  den  l'uterharz  sagt  zwar  Lie*enberg  4.  Ii.  8:  das  urspr.  * 
ist  im  ganzen  in  demselben  umfange  wie  im  mhd.  erhalten  -  hierdurch 
steht  die  ma.  näher  dem  ndd.  und  in  auffallendem  gegensatze  zu  der  im 
thür.  so  stark  verbreiteten  neignng.  das  /  durch  dehnung  zu  i  zu  verändem 
—  auch  bei  u  zeigt  sich  im  ganzen  wider  im  gegensatze  zum  thür.  eine 
grossere  Vorliebe  für  erhaltung  des  urspr.  «',  doch  ergeben  nicht  wenige 
beispiele:  jir  'gier",  resc  riese\  frede  friede',  flüge  dat.  'ftugv'Jugent  u.a. 
die  geltung  des  gesetzes  der  vocaldehnuug  in  offener  silbe  auch  Ar  den 
fnterbarz.  Die  vorhandenen  zahlreichen  ausnahmen  finden  ihre  erklämng 
im  folgenden  paragraphen. 

§  71.  Auch  im  thür.  zeigt  sich  die  erscheinung,  dass 
durch  vocalsynkope  in  Suffixen  (meistens  betrifft  sie  -et.  -er, 
-em,  -en)  der  vocal  der  Stammsilbe  nicht  in  den  silbenauslaut 
treten  konnte,  wodurch  denn  die  urspr.  kürze  bewahrt  worden 
ist.  Die  Verteilung  der  fälle  dieser  art  ist  in  unserem  gebiete 
verschieden.  Am  seltensten  begegnen  sie  im  S  und  SW.  In 
der  Salzunger  ma.  betrifft  es  nur  eine  geringe  anzahl  solcher 
Wörter,  deren  stamm  auf  6,  d.  t  schliesst:  seu  ive  'sieben',  ge- 
cadder,  ewwet'hbeV,  aber  grätce,  öicc,  bödm,  nawel  (s.  Hertel 
1,13).   Mit  Salzungen  stimmt  Ruhla  fast  ganz  überein;  doch 


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202 


KITZE KT 


haben  hier  beispielsweise  auch  bodcn  und  dünner  kürze  (s. 
Kegel  3).  Rudolstadt  hat  kürze  in  weder  conj.,  wider  praep., 
zusammen,  dagegen  länge  in  aber,  oder,  Wer  'über'. 

In  den  niaa.  des  mittleren  gebiet«  (Vogtei,  Eisenach,  Er- 
furt, Altenburg)  erscheinen  schon  mehr  kürzen.  Damit  kann 
und  soll  aber  nicht  gesagt  sein,  dass  an  den  einzelnen  orten 
die  fälle  dieselben  seien.  Manche  kürzen  sind  zwar  an  fast 
allen  orten  zu  constatieren  wie  in  fiddcl,  lädder,  bodden,  fluidem, 
wädder  'wider',  ewwel,  stüwwel '  Stiefel',  geradder  (vater  erscheint 
dagegen  nur  ausnahmsweise  mit  kurzem  vocale)  u.  a.  In  an- 
deren aber  schwankt  die  Quantität,  was  eben  das  wesen  dieser 
analogiebildungen  dartut;  äwr  aber  in  Erfurt  neben  atcr  ist 
sicher  schriftsprachlich. 

Der  N  des  gebiet«  hat  zahlreiche  hierher  gehörige  fälle, 
doch  stehen  ebenso  zahlreiche  mit  regelrechter  dehnung  da- 
neben; kurz  ist  z.  b.  der  vocal  in  feder,  edel,  scJiäbbcr  'schiefer', 
jaueV gabel',  kammer,  uöseel  'wiesel';  also  vor  media,  Spirans 
und  nasal.  Häufig  sind  im  N  die  plurale  der  neutra  rad,  glied, 
glas,  gras  kurzvocalisch,  doch  hat  das  mansfeldische  rode  neben 
redder,  der  Unterharz  jrcser  neben  j  raset;  jleser  pl.  zu  jläs, 
aber  dim.  jläsel;  hier  auch  pleiter,  pl.  von  pldt.  In  der  von 
.Schmidt  geschilderten  ma,  haben  nicht  selten  die  partt.  praet, 
kürze,  so  jestolUn.  be füllen,  jenummen,  jeschobben  (auch  im 
mansf.),  jeschräbben  u.  a,,  aber  jebooren,  jezoogen,  jefloogen.  In 
den  nfirdl.  maa.  hat  honig  durchweg  kürze,  die  auch  für  Eise- 
nach  bezeugt  ist.  Kurzen  vocal  in  Jcönig  finde  ich  bei  Schnitze 
und  Kleemann;  letzterer  gibt  auch  hafitcJi  'habicht'.  Der  Unter- 
harz hat  ledig  und  nämlich,  aber  cimlich,  Mansfeld  vocht  (<voget), 
aber  jächd  'jagd'.  Fälle  letzterer  art  finde  ich  auch  sonst: 
sibzeh  ' siebzig',  aber  $(m  'sieben',  und  räddcJi  'rettig'  in  Er- 
furt, bräteht  f.  'predigt'  in  der  Vogtei,  mar  radelt,  'merrettig' 
mid  nilche  'lilie'  in  Altenburg;  barbs  'barfuss'  hat  ausser  im 
SW  überall  kurzen  vocal. 

In  der  verbalflexion  ist  vor  den  durch  synkope  entstan- 
denen geminaten  und  doppelconsonanzen  im  thür.  sehr  häufig 
kürze  zu  constatieren  (s.  Schultze  11.  Schuppe  27. 28).  Beispiele: 
batt  'betet'  in  Altenburg;  schadde  'schadete'  in  Erfurt,  aber 
bwda  'betete',  gehet  'gebetet',  jeschott  part.  zu  scheten  'schütten' 
im  mansf.  etc.;  weitere  belege  geben  die  genannten  quellen. 


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DEHNUNG  DEK  MHD.  KURZEN  8TAMMSILHENV0CALE.  203 


Regel  und  Hertel  unterscheiden  für  das  praes.  hiernach  beson- 
dere Grundformen  (s.  K.  100  und  H.  115). 

§  72.  Vocaldehnung  vor  doppelconsonanz  gilt  für  das  thür. 
in  folgenden  fällen. 

In  den  dem  ostfr.  benachbarten  maa.  Kuhla  und  Salzuugen 
ist  'das  streben  weitgreifend '  mhd.  einsilbige  nomina  mit 
doppelconsonanz  zu  dehnen.  Bei  antritt  der  tlexionsendung 
tritt  die  urspr.  kürze  wider  ein  (s.  Hertel  11.  Regel  38  ff.). 

Beispiele:  wäld,  aber  dat.  wall  und  pl.  wäller;  füsch,  aber 
dat.  füsch  und  pl.  fbsch;  zupf,  aber  dat.  zapf  und  pl.  zapf;  alt, 
aber  dar  all  man  'der  alte  mann',  de  allen  männcr  etc.  Aus- 
nahmen: gefd  'gift'.  fruchd,  werd  m.  'wirf,  dorn,  arm  u.  a. 
(s.  Hertel  13.  14.  98.  Kegel  37:  'vor  positionalem  /•  pflegt  das 
ruhlaische  die  alte  kürze  a  rein  zu  bewahren). 

§  73.  Vor  r  -f  dental  ist  im  thür.  a  und  e  gedehnt ;  gegen- 
über dem  schriftsprachlichen  gebrauche  haben  auch  die  zwei- 
silbigen auf  -art-  dehnung:  gärten,  warten,  doch  findet  sich  im 
N  nach  Kleemann  Worten  'warten'  und  Bartel  nom.  propr.;  auch 
Hertel  11  gibt  für  Salzungen  gärde,  schwank:  Vor  rz  ist  nur 
a  gelängt,  jedoch  nicht  in  schwarz;  neu  entstandenes  dialek- 
tisches a  bleibt  aber  kurz:  warze  f.  'würze'  (Altenburg); 
Schultze  gibt  auch  stanz  'hinterteil  des  vogels',  aber  (wie 
sonst)  herze,  schmerz.  Vor  rs  wird  der  vocal  auch  in  mersel 
'mörser',  hirsen  'hirse',  bersen  'börse'  (bei  Schultze  und  Brandis) 
und  in  bersch  'wirsing'  gedehnt;  kurz  ist  der  vocal  in  karst 
im  X  und  in  Erfurt  (der  famüienname  Karst  hat  aber  in  E. 
langen  vocal),  in  forsch  'vers'  im  N  und  in  jerschte  'gerate' 
am  Unterharz.  Dehnung  vor  rn  findet  sich  ausser  in  göm 
'garn',  gäm  'gerne'  (in  Rudolstadt  aber  gdrnc  u.a.);  ferner 
in  dam  'dorn'  und  sbüm  'sporn';  dagegen  heisst  es  harner 
'hönier';  kürze  hat  auch  larn  'lernen'.  Das  mansf eidische 
hat  teils  aren,  teils  ä'rnt  f.  'ernte1,  ferner  arenst  m.  'ernst', 
aber  ärenstJiaftig  adj. 

Vor  rm  ist  ausschliesslich  a  gedehnt  in  der  Vogtei,  Eise- 
nach und  am  Unterharz;  vor  rl  haben  Mansf eld  und  Altenburg 
vocalläuge  in  Karl.  Eisenach  hat  länge  in  stiert  'sarg'  und 
stuerk  'storch'  und  die  Vogtei  in  haark  'berg'. 

Aura.  Die  dehnunir  vor  r  -f  anderer  consonanz  im  SW  gehört  zw  «1er 
genannten  dehnnng  mhd.  einfilbiper  worter  mit  doppelconsonanz:  duirf 
'dorf,  aber  pl.  dörfer  etc. 


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204  ,  RITZE  KT 

§  74.  Vor  /  f  /,  d  wird  im  grössten  teile  des  gebiets  a 
gedehnt,  nur  der  80  hat  kürze;  dabei  schwindet  der  dental- 
explosiv. Beispiele  in  allen  angeführten  arbeiten  ausser  bei 
Sehöppe.  Für  Stiege  s.  Liesenberg  37.  Weise  sagt  zwar  s.  8: 
'es  scheint,  als  ob  die  liquiden  längende  kraft  haben',  doch 
fehlen  genügende  belege  hierfür;  er  gibt  nur  vi  nie  *muldc\ 
säl  'sollte'  und  wal  'wollte'  (doch  erscheinen  die  beiden  prae- 
terita  auch  als  sali  und  wall).  Das  fehlen  weiterer  belege 
deckt  sich  mit  dem  ergebnis  des  Wenkerschen  Sprachatlas; 
nach  Wrede,  Anz.  21. 275  ist  nämlich  nur  westlich  der  folgenden 
linie  vocaldehnung  in  alt-  eingetreten:  (Suhl),  Ilmenau  (cursiv 
gedruckte  orte  haben  vocalkürze),  Gehren,  Saalfeld,  Blanken- 
burg, lludolstadt,  Remda,  Tannroda,  Kranichfeld,  Weimar, 
llastenbery,  Wiehe.  Nebra,  Laucha,  Naumburg.  Im  SW  ist 
in  den  einsilbigen-  auf  U  dehnung  vorhanden,  die  flectierten 
formen  aber  haben  kürze.  Damit  stimmt  Wredes  bericht: 
'zwischen  Waltershausen,  dem  Rennstieg  einer-  und  der  Fulda, 
Hersfeld  andererseits  macht  für  alte  ein  gebiet  mit  all-  eine 
ausnähme '. 

Für  vocaldehnung  in  sah  (s.  Wrede,  Anz.  19, 102)  bildet 
folgende,  im  grossen  und  ganzen  wie  obige  verlaufende  linie 
die  grenze:  (Hildburghausen),  Blankenburg.  Berka,  Sömmerda, 
Cölleda,  Wiehe,  Querfurt,  Schafstädt  (und  weiterhin  südost- 
wärts  ins  obersächsische);  dieselbe  erstreckt  sich  also  im  0 
nicht  ganz  so  weit  als  ä  in  alt, 

Ausnahmen  finden  sich  nur  selten;  so  z.  b.  older  n.  'alter' 
und  oUem  verb.  bei  Liesenberg,  aber  *n  older  m.  'ein  alter', 
speien  'spalten'  bei  Jecht  und  Kleemann.  Der  umlaut  de*  « 
bleibt  auch  im  thür.  kurz. 

Im  W  des  gebiets  erstreckt  sich  die  dehnung  vor  l  4- 
dentalexplosiv  auch  auf  andere  vocale:  für  Eisenach  ist  sie 
bezeugt  in  gfrld  und  fteld,  für  die  Vogtei  ausserdem  in  saiU- 
saam  'seltsam'.  hwU  -holz',  schtäilz  'stolz',  schhilz  'schulze', 
Schmialzen  flurname. 

§  75.  Charakteristisch  für  das  westthfir.  ist  vocaldehnung 
vor  nasalverbindungen.  Wie  schon  §  46.  a  und  53,  a  erwähnt, 
gilt  diese  auch  für  das  ostfr.  an  der  Weira  und  den  NO  des 
rheinfr.  Ich  erörtere  diese  erseheinung  deshalb  hier  im  zu- 
sammenhange. 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN  VOCALE.  205 

Die  in  betracht  kommenden  lautgruppen  sind  n  +  U  d,  * 
und  m  +  p,  pf.  also  nasal  -f  verschlusslaut  (s.  Hertel  12.  Regel 
15.  37).  Beispiele:  hdnd,  keind  'kind',  treinter  ' Winter',  hoind 
'hund',  roinzel  Hunzel',  loumbe  1  lumpen',  jeunpfer  ' Jungfer*. 
Hertel  bemerkt  zu  seinen  beispielen  mit  nd  s.  67:  'diese  formen, 
auf  den  dörfern  bei  Salzungen  einzig  üblich,  werden  in  der 
stadt  allmählich  von  den  gemeindeutschen  aufgezehrt'. 

An  tu.  Inlautend  wird  nd  in  Salzungen  stets  zu  ntj  oder  im  mit  kürze 
des  vorvocals:  hannel  Handel heiiger«  mhd.  hinder),  aber  tiutndel  «mhd. 
inantet). 

Für  die  Vogtei  gibt  Herwig  viele  belege;  weiterhin  be- 
zeugt Flex  diese  erscheinung  für  Eisenach.  Für  das  nordöst- 
liche Rheinfranken  finden  sich  zahlreiche  belege  bei  Salzmann 
und  Dittmar;  während  aber  im  thür.  'eine  beachtenswerte 
regelmässigkeit'  unserer  erscheinung  vorliegt,  gilt  sie  hier  nur 
'häufig'.  Nach  W  hin  nimmt  sie  an  umfang  ab:  in  stadt  und 
kreis  Homberg  zeigt  sich  ihre  Wirkung  nur  in  der  gruppe  an 
-f  verschlusslaut:  länd  und  dat.  ländj,  dändson  'tanzen',  gänds 
gans',  aber  pl.  gendsa,  änko  (<  anke)  'geniek'.  Wie  weit  die 
vocallängung  noch  weiter  nach  W  reicht,  vermag  ich  nicht 
gänzlich  zu  constatieren;  für  Merxhausen  bei  Fritzlar  wurde 
mir  ante  bezeugt:  weiteres  konnte  nicht  angegeben  werden. 
Doch  ist  folgendes  bei  Wrede,  Anz.  19, 111  zu  vergleichen:  für 
kind  ist  eigentümlich  ein  kleiner  neun  Ortschaften  umfassender 
bezirk  im  S\Y  von  Cassel  mit  keind  (in  Grossenritte  bei  K.. 
Besse  bei  Fritzlar  etc.). 

Für  das  ostfr.  s.  die  belege  bei  Spiess  14  f.  und  Reichard t 
33.  35.  In  Henneberg  begegnen  nicht  selten  ausnahmen;  so 
hat  hier  namentlich  der  pl.  öfters  wider  die  alte  kürze:  dang, 
aber  pl.  dang;  neben  pflanze  und  ivänze  erscheinen  lange  und 
schanze  (in  Pfersdorf  heisst  es  aber  tfintsd  f.  'schanze');  doch 
dank  m.:  geddnke,  pl.  gedänkene,  verb.  bedanke  u.  a. 

Anm.  In  Sonneberg  (s.  Schleieher  30)  und  Coburg  (s.  Felsberg  141  > 
hat  der  sg.  der  hierher  geliörigeu  Wörter  dehnung  unter  Schwund  des  na- 
sal«; die  flectierten  formen  und  ableitungen  zeigen  aber  vocalkürze.  sodass 
wir  es  hier  mit  dehnuug  nach  §  72  zu  tun  haben. 

Für  einige  Wörter  mit  uasalverbindungen  gibt  der  Sprach- 
atlas die  genauere  geographische  Verbreitung  der  vocaldehnung. 
Auch  aus  diesem  material  ergibt  sich,  dass  die  Wirkung  des 


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206 


RITZE  RT 


dehnenden  einflusses  der  nasalverbindung  für  die  einzelnen 
vocale  verschieden  ist;  ja,  es  zeigt  sich  nicht  einmal  bei  einem 
und  demselben  vocale  in  verschiedenen  Wörtern  völlige  Über- 
einstimmung. So  zieht  die  grenze  der  dehnung  in  pfund  nach 
Anz.  19. 103  im  W  von  der  Fuldaquelle  bis  Vacha,  lässt  Lengs- 
feld und  Salzungen  gerade  noch  nordwärts  liegen,  verläuft 
weiter  im  NO  mit  dem  Rennstieg  und  schliesst  gegen  SO 
Zella,  Wasungen  und  Fladungen  ein,  Suhl,  Meiningen  und 
Ostheim  aus.  Um  Treffurt  und  Mühlhausen  findet  sich  pfuind, 
nördlich  von  Hersfeld  peund.  südlich  paund,  ferner  bei  Bischofs- 
heim in  der  Rhön  pfaund.  Dagegen  geht  hoind  (Wrede,  Anz. 
19, 107:  hund)  mit  pfo'md  nur  gegen  NO  bis  zum  Rennstieg 
zusammen,  hingegen  gegen  W  und  N  beträchtlich  weiter,  so 
dass  es  auch  für  Fulda,  Hünfeld,  Hersfeld,  Vacha,  Lengsfeld, 
Salzungen  noch  gilt;  bei  Grebenau  (südwestlich  von  Hersfeld) 
findet  sich  haund. 

Das  zerstreute  auftreten  von  pfoind  ausserhalb  der  obigen 
enclave  lässt  den  schluss  zu.  dass  die  läugung  früher  verbrei- 
teter war,  jedoch  durch  den  gebrauch  des  Wortes  als  marktwort 
einbusse  erlitten  hat,  worauf  auch  Wrede  mit  recht  hinweist. 

Für  winter  bemerkt  Wrede,  Anz.  19, 108:  wenn  hess.-thür. 
hoind  sich  weiter  ausdehnte  als  p(f)oind,  so  geht  entsprechendes 
weinter  noch  über  jenes  hinaus  bis  in  das  nordthür.;  grenzorte: 
Sontra,  Kreuzburg,  Treffurt,  Wanfried,  Mühlhausen,  Dingel- 
stedt,  Schlotheim,  Tennstedt,  Gebesee,  Gotha,  Ohrdruf,  Plaue, 
Schmalkalden,  Zella,  Suhl,  Wasungen,  Meiningen,  Meirichstadt, 
Ostheim,  Fulda,  Herbstein,  Lauterbach,  Grebenau,  Alsfeld, 
Hersfeld,  Rotenburg. 

Vocaldehnung  in  kind  erstreckt  sich  im  N  bis  Treffurt, 
im  S  reicht  sie  aber  etwas  weiter  als  für  winter:  Meirichstadt, 
Ostheim,  Bischofsheim  (Rhön).  Neustadt,  Brückenau,  Schlüchtern. 
Hierbei  ist  zu  beachten,  dass  im  ostfr.  die  dehnung  in  lind 
gemäss  dem  gesetze  der  dehnung  einsilbiger  nomina  mit  doppel- 
consonanz  erfolgt;  in  diesem  sinne  ist  auch  zu  verstehen,  was 
Wrede  a.a.O.  111  sagt:  'die  bei  winter  fehlende,  bei  pfund  und 
hund  aber  vorhandene  vocaldehnung  nordwärts  vom  schwäb. 
nasalierungsgebiete  bis  Spessart  und  Rhön  gilt  auch  für  kind. 
Ebenso  haben  die  pfound  und  hound  ihre  fremd- entsprechung 
im  Franken wald'. 


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NO  DER  MUH.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  207 


Vereinzelt  tritt  obige  erscheinung  auch  sonst  auf;  so  gilt 
für  Altenburg  dnde  f.  'ente'  und  gänsert  m.  'gänserich';  letz- 
teres auch  für  Erfurt;  für  den  linterharz  jäntcr,  während 
Mansfeld  jdnert  hat. 

§  76.  Vocaldehnung  vor  cht  ist  zu  erwähnen  für  mhd.  e 
im  W  des  gebiets.  Belege  bei  Hertel,  Regel.  Flex.  Vgl.  hierzu 
W rede,  Anz.  21, 162:  'die  grenze  des  grossen  westdeutschen 
complexes  mit  dehnung  des  c  in  recht  zieht  von  Heiligenstadt 
über  Hainich  den  Thüringerwald  entlang  und  wendet  sich 
dann  ostwärts  zum  Erzgebirge.  Dehnung  des  a  vor  cht  gilt 
für  Nordthüringen;  Kleemann  gibt  nacht  und  Schnitze  auch 
aachte  num.  und  saachte  'sachte'. 

§  77.  Vor  chs  bezeugt  nur  Schultze  für  Nordthüringen 
dehnung  des  a:  waak.sc  'wachsen',  waaks  n.  'wachs';  dieselbe 
ist  aber  verbreiteter,  wie  sich  aus  A\ 'redes  bericht,  Anz.  21. 261, 
ergibt:  vocaldehnuug  vor  ~x-  in  wachsen  ist  thüringisch  zwischen 
der  s/.* -grenze  (die  von  Eisenach,  Kreuzburg.  Treffurt.  Mühl- 
hausen, I  Hngelstedt,  Worbis,  Bleicherode,  Sachsa,  Beneckenstein, 
Quedlinburg,  Cochstädt,  Stassfurt  weiter  nach  Magdeburg  zieht) 
und  etwa  Beneckenstein — Kindelbrück — Gräfenthal  (südlich  von 
Saalfeld):  im  nördlichen  drittel  (etwa  bis  Mühl  hausen— Kindel- 
brück) vorwiegend  -wdx~  (s.  auch  Schultze),  im  mittleren  (etwa 
bis  Waltershausen— Erfurt)  woax-,  im  südlichen  wuax-. 

§  78.  Dehnungserscheinungen  geringeren  umfangs  sind 
ferner  folgende:  a)  vor  -st  (mit  altem  *)  tritt  im  8W  vocal- 
dehnung ein:  yted  und  pl.  yesd,  flhsder  'pflaster  u.  a.;  aber 
läst  'last  '  von  laden;  brüst,  last  n.  a.  (s.  Hertel  11).  Ebenso  in 
Ruhla.  Für  Eisenach  ist  nur  kfiesdn  'kästen'  angegeben,  für 
Erfurt  nwst'nesV,  aber  flasder-,  auch  Schultze  hat  naest,  Lie- 
senberg daneben  pldster. 

b)  In  der  lautgruppe  vocal  +  nf  fällt  im  SW  des  gebiets 
n  aus  mit  'ersatzdehnung'  des  vocals.  Ruhla:  raf't  m.  'rand', 
fäufzen  'fünfzehn';  Salzungen:  säfd  'sanft'  und  comp,  saefder 
und  sdfder,  sup.  sdfdsd. 

Auch  der  NO  des  rheinfr.  kennt  diese  erscheinung;  so 
Blankenheim:  rdfd.  In  Hersfeld  tritt  dehnung  mit  erhaltung 
des  nasals  ein:  rdmfd  und  dim.  rtmfdjp. 

c)  In  Ruhla  tritt  'ersatzdehnung'  ein  auch  in  der  gruppe 
•alb:  käb  'kalb',  hab  'halb'. 


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208 


RITZERT 


d)  Vor  U  ist  in  Altenburg  einige  mal  dehnung  eingetreten : 
iltberdl  'überall',  hol  m.  'ball'  und  verb.  bdle  'ballen'. 

9.  Obersächsisch. 

Quellen:  K.  AI  brecht .  Die  Leipziger  ina.  Leipz.  1881.  —  C.  Franke. 
Der  obersachsische  dialekt.  Programm  von  Leisnig  1884  (citiert  Fr.  1).  — 
C.  Franke,  Grundziige  der  scliriftspraehe  Luther».  Görlitz  1888  (Fr.  2». 
( '.  F  r  a  n  k  e .  Die  unterschiede  de»  ostfränkisch-obeq)fUlzischen  und  obersächsi- 
ichen  dialekt«  etc.,  Bayerns  inaa.  1.  2.  —  F.  Weidling,  Ober  Johannen 
Clajus'  Deutsche  grammatik.  Freiburger  dißs.  1894. 

§  79.  Das  obersächsische  delint  im  allgemeinen  mhd.  kurzen 
vocal  in  offener  silbe  (s.  Franke  1, 36).  Beispiele:  rede,  hVdy 
'ledig',  öbsd  (<  obez),  rtl  'viel'  (jedoch  ril  in  dem  grösseren 
nördlichen  teile  des  Osterlandes).  Nach  Bay.  maa.  1, 29  haben 
auch  krüppel  und  egge  langen  vocal;  auf  die  md.  nebenform 
t(d)rugc  weist  drfye  (drceiye)  'trocken1.  Ferner  haben  sjxitz 
und  schmntz  vocallänge,  in  Leipzig  auch  mäsche,  ele  'eile'  (<  mhd. 
de)  und  zuweilen  die  bildungssilbe  -sam. 

§  80.  Scheinbare  ausnahmen,  die  nicht  gegen  obiges  gesetz 
Verstössen  (s.  §  16),  liegen  in  den  Wörtern  auf  -el, 
vor;  es  haben  nun  nicht  allein  diejenigen,  in  denen  auf  den 
stamm  vocal  m,  n  folgen,  die  kürze  (wie  in  der  Schriftsprache), 
sondern  auch  solche,  deren  stamm  auf  w  (<  h,f)  und  d,  einige 
mal  auf  s  und  %  (<//)  auslautet.  Zu  den  ersteren  gehören: 
sceml  'semmel',  hintl,  hamjr,  donr;  ferner  auch  jenr  u.  a.  Da 
Franke  bei  der  aufzählung  der  abweichungen  der  quantitaten 
des  obers.  vom  schriftdeutschen  keine  von  diesem  abweichenden, 
hierher  gehörigen  beispiele  (ausser  den  genannten)  gibt,  so 
miLss  einschlössen  werden,  dass  unser  dialekt  hierin  mit  dem 
nhd.  zusammenfällt;  die  in  Bay.  maa.  1,29  ff.  genannten  fälle 
stehen  dem  nicht  entgegen.  Mit  der  schriftspr.  hat  das  obers. 
kürze  auch  in  zappeln  und  krabbeln  (s.  Bay.  maa.  1,  31.  32); 
über  dieselbe  hinaus  aber  ist  die  kürze  vor  den  übrigen  ge- 
nannten consonanten  erhalten:  schdiwl  (schdcwel)  'Stiefel',  ntuff 
•hinüber'  (neben  niwa>r),  drim  'drüben',  geschrim  'geschrieben* 
etc.;  bei  Albrecht  auch  aur  'aber',  gabl,  ewncl  u.  a.  I^änge 
haben  hüwl  'nobel',  ihn  'eben'  u.  a.  Auf  </,  s,  x:  wirf;- 'wider' 
(daneben  mit  t);  bei  Albrecht  feder,  Uder,  neder  'nieder'  (ander- 
wärts nidf),  edeUteene,  tadel  m.,  fidel  f.  (auch  mit  i),  zedel  m. 


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DEHNUNG  DEK  MHD.  KURZEN  STAMM8ILBENV0CALE.  209 

DL  a.;  haselnüsse,  uisel;  reyl  m.  'riegel',  mexn  'mögen';  doch  btjesn 
'besen',  dsögn  'zogen',  ßchVxogeV  u.a.  (s.  Fr.  1,36). 

Ferner  gehören  folgende  beispiele  nüt  erhaltener  kürze 
hierher:  sibdsn  'siebzehn',  sibds%,  aber  sibti  ;  lceivamd%  'lebendig'; 
zuweilen  begraibnis,  auch  hab%  'habe  ich'  und  einige  andere; 
aber  redlich,  bred^d  f. '  predigt '  etc. 

Schliesslich  bleibt  urspr.  kurzer  vocal  in  der  Verbalflexion 
in  den  formen  der  schw.  verben  auf  d,  t,  in  denen  durch  Syn- 
kope in  der  flexionssilbe  gemination  entstanden  ist:  schmal 
'schmiedet',  gcbed  'gebetet';  zuweilen  auch  schlwd  'schlägt'. 

Auch  die  präsensformen  mit  t  der  verben  geben  und  sehen 
haben  kürze  (s.  Franke  2,26);  ebenso  Usd  'liesest,  liest'. 

§81.  Eine  wirkliche  ausnähme  liegt  vor  in  Wörtern  mit 
altem  t:  in  den  meisten  derselben  bleibt,  wie  im  nhd.,  die 
urspr.  Quantität  erhalten.  S.  hierzu  Franke  1, 36,  wo  als  ab- 
weichungen  von  der  schriftsprachlichen  quantität  nur  brtPd 
'brett'  und  schd<hle  'Städte'  angegeben  sind.  Hiermit  stimmen 
auch  die  beispiele  überein,  die  Franke  in  Bay.  maa.  1,  29—35 
gibt;  'dieselben  werden  im  obers.  der  schriftsprachlichen  regel 
entsprechend  nur  mit  kurzem  vocal  gesprochen:  schritt,  tritt  in.. 
blatt,  satt,  glatt,  Stadt,  statt,  gott,  kette,  büttcl,  bettel,  wetten, 
gcratter,  Sattel,  Schlitten,  gesotten,  geritten,  gelitten,  geschnitten, 
gestritten.  Bei  Albrecht  ist  auch  für  geboten  kurzer  vocal 
angegeben.  Länge  vor  t  findet  sich  also  in  den  fällen  wie  im 
schrift deutschen:  fader  'vater'  etc. 

Vor  d  ist  die  kürze  mir  in  schmid  und  pl.  schmide  erhalten 
(s.  Franke  2,  26). 

In  einigen  einsilbigen  Wörtern  hat  die  quantität  des  nomi- 
nativs  den  sieg  davongetragen:  dsug  'zug'  (und  dat.  dsuclte), 
beschM,  grob;  zuweilen  in  dal:  'tag';  ferner  allgemein  in  kar- 
(freidäch);  nach  Albrecht  auch  in  hof,  grab  n..  schmal  (nur  in 
der  'bauernsprache').  Kürze  haben  ferner  ivol,  mag  praet.- 
praes.,  wvec  'weg'  adv.  und  (nach  Albrecht)  staivtve  'stube'; 
Franke  gibt,  als  für  das  ganze  gebiet  geltend,  schdumdir 
'stubentiir'. 

§  82.  Von  doppelconsonanzen  haben  im  obers.  die  Verbin- 
dungen r  +  cons.  und  /  -f  dentalexplosiv  vocaldehnenden  einfluss. 

Vor  r  +  (/,  /,  ts  wird  übereinstimmend  mit  dem  nhd.  a  und  e 
gelängt:  erde,  iahe  'werde',  harz  etc.;  über  die  Schriftsprache 

Beitrüge  iur  gMchichte  der  deutschen  »praene    XXJII.  \± 


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210 


KITZ  K  KT 


Iiinaus  zeigt  sich  dehnung  in  gebart,  gärten  und  nach  Albrecht 
$  1  in  Leipzig  auch  in  warten.  Vor  rs  hat  allgemein  herschr 
dehnung,  während  gerate,  wurst  etc.  kurzen  vocal  haben. 

Ferner  tritt  häufig  vor  rm,  rb,  rf,  rg,  rch  dehnung  ein. 
In  seinem  programm  s.  35  sagt  Franke,  dass  durch  einwirkung 
des  r  besonders  bei  gaumenvocalen  eine  niedere  Stellung  der 
zunge  eintrete  und  i,  ü,  e,  b\  namentlich  wenn  diese  kurz  sind, 
regelrecht  zu  w  werden  und  dass  diese  w  jetzt  'vielfach '  zu  ä> 
werden.  Die  dehnung  vor  den  genannten  r -Verbindungen  bleibt 
aber  nicht  auf  dieses  w  beschränkt,  wie  die  folgenden  beispiele 
zeigen: 

rm:  arm  und  pl.  irrme,  iPrmlo,  norm  'wurm'  und  p],  trtPnner, 

dorm  'türm',  scherm  'schirm'. 
rb:  tPrbd  'arbeit',  körb. 

rf:  darf  und  pl.  dfhrfer;  darf,  dü'rfsd,  dth  fn,  d<Prfd  'darf. 

darfst,  dürfen,  dürft';  wforft  'wirft'. 
rg:  barg  'berg',  sarg. 

rch:  ethye  'kirche',  ffPr/dn  'fürchten',  yefür/d  'gefürchtet', 
börx  'bürg'  und  bdr/er  m.,  föryd  'furcht',  dar/  'durch'. 
mür/ti  'morgen',  gebwr/e  'gebirge'. 
§  83.    Dehnung  des  a  vor  l  +  t,  d  mit  schwund  des  dental- 
explosivlautes  findet  sich  in  dl  «  alt),  flectiert  die;  Ml,  flec- 
tiert  hdle;  habt  'halten',  veruäln  'verwalten',  bdle  'bald';  aber 
tcald  (s.  Franke,  Kay.  maa.  1, 34).    Auch  Albrecht  constatiert 
diese  erscheinung,  beschränkt  sie  aber  auf  die  'bauernsprache'. 
Nach  Wrede,  Anz.  21,275  bildet  die  linie  Naumburg  a.  8.  bis 
(Heising  (südlich  von  Dresden  an  der  reichsgrenze)  die  süd- 
grenze der  vocaldehnung  in  alte:  dasselbe  gilt  für  halte]  s. 
Anz.  21,  279. 

Auch  vor  Iz  wird  a  im  obers.  gelängt,  jedoch  nicht  im  S; 
s.  Wrede,  Anz.  10,  102:  die  südgrenze  für  die  dehnung  in  mh 
bildet  die  etwaige  linie  Schafstädt,  Frohburg,  Dresden,  Schandau'. 

10.  Schlesisch-lausitzisch. 

Quellen:  Kietiling,  Blicke  in  die  ma.  der  .südliehen  Oberlansitx. 
ZsrliD]»]»an  1SS3.  —  A.KlfHse,  Znr  Grammatik  de«  in  der  gjafschaft  (ilatx 
gesprochenen  deutschen  dialekts,  Vierteljahrsschrift  f.  gesch.  u.  heimatsktle. 
der  grafseh.  Cilatz.  :i.  beft  (1883/84),  148—159.  —  P.  Knpka.  Die  ma.  de* 
kreise«  Guben,  Niederlaus,  mitteil.  3,  275-  282  (vocalismus)  und  367  -377 
Konsonantismus).  —  K.  Michel.  Die  ma.  von  Seif heunersdorf  (an  der  sttd- 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMKILHENVOCALE.  211 


grenze  der  sächs.  Oberlausitz),  Bcitr.  15,  1  ff.  II.  Rückert,  Zur  Charak- 
teristik der  deutschen  maa.  in  Schlesien,  Z».  fdph.  1,  19U.  4,  322.  5,  125  ff.  — 
(i.  Waniek,  Zum  vocalisinus  der  schles.  nia.  (W.  behandelt  hier  die  ma. 
an  der  Biala  im  üstl.  teile  des  fteterr.  Schlesiens  und  westl.  Galiziens).  Bie- 
litz  1SS0.  —  K.  Weinhold,  l>b.  deutsche  dialektforechung.  Die  laut-  und 
Wortbildung  und  die  formen  der  schles.  ma.  Wien  1S53.  —  K.Wein  hold, 
Die  Verbreitung  und  die  herkunft  d.  Deutschen  in  Schlesien,  Forschungen  z. 
d.  land-  u.  volkskde.  2,  214  ff. 

§  84.  Im  schles.-laus.  wird  mhd.  kurzer  vocal  in  offener 
silbe  stets  gedehnt  (s.  Weinh.  1,  88.  39(1).  Waniek  21.  Michel  25. 
Kupka377.  Kiesslingö).  Beispiele:  göt  und  gaut  'gott',  stät 
und  stuoadt  1  Stadt ',  nim  imp.  zu  'nehmen',  wätr  'wetter',  mt 
und  suoat  'satt',  kitel  ' kittel hite  'bütte',  nider  und  neider 
'nieder'  u.  a.  (die  an  zweiter  stelle  angeführten  formen  sind 
niederschlesisch ;  das  charakteristische  des  'Xeiderlandes'  ist 
seine  neigung  zu  ei  und  au;  s.  Weinh.  20).  Laus.:  toutä  'dotter', 
iväta  ' wetter',  chqti-  'kette',  sitn  'sitte'. 

§  85.  Ausnahmen  kommen  nur  selten  vor.  Erhalten  ist 
die  kürze  in  den  unflectierten  formen  einiger  einsilbigen  Wörter: 
fluk  'Aug',  Zill-  'zug',  gras,  sik  'sieg',  frumm  'fromm';  aber  tag 
(bei  Weinh.  und  Waniek),  grob  etc.  Birlingers  angäbe,  Rechts- 
rhein. Alemannien  45  f.  (fussnote):  'das  schles.  behält  die  mhd. 
quantität  ganz  rein,  bloss  in  einsilbigen  aber  nicht  in  mehr- 
silbigen Wörtern',  ist  also  nicht  stichhaltig.  Die  ma.  an  der 
Biala  hat  schwanken  zwischen  kürze  und  halblänge  in  glott, 
blott;  aber  brat  'brett'  u.  a.  In  Seifhennersdorf  ist  vil  'viel' 
stets  kurz,  meist  auch  mak  praet.-praes.;  ferner  die  'fremdlinge' 
mqt,  clqt  'glatt',  kot  'gott';  für  letzteres  ist  das  gesetzmässige 
erhalten  in  kouprhitjl  'gott  behüt  euch!'  (in  den  benachbarten 
böhm.  maa.  ist  kout  die  übliche  form,  geschützt  durch  die  po- 
litische grenze;  Michel  26).  Ooschen  und  Wellmitz  im  kreise 
Guben  haben  seff  'sieb',  Stargardt  hat  triff;  ferner  erscheint 
dort  schtot  'Stadt'. 

§  86.  Sonstige  abweichungen  von  unserem  gesetze  sind 
nicht  eigentliche  ausnahmen;  sie  führen  sich  auf  den  ausfall 
des  vocals  in  Suffixen  zurück.  Ihre  zahl  ist  gering;  s.  Weinh. 
1, 88:  'einige  alte  kürzen  haben  sich  gerettet,  die  aber  in  der 
spräche  der  gebildeten  weichen  mussten'.  l'ebrigens  zeigt  sich 
auch  hier,  dem  wesen  dieser  verschiedenen  ausgleichung  eines 
älteren  wechseis  zwischen  formen  mit  und  ohne  länge  ent- 

14* 


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212 


RTTZEKT 


sprechend,  keine  einheitlichkeit;  4  der  schles.  dialekt  schwankt 
fortwährend  nicht  nur  im  allgemeinen,  sondern  auch  in  den 
localmaa.'  (Rückert,  Entwurf  einer  System,  darstellung  der  schles. 
ma.  im  mittelalter,  hg.  von  Pietsch,  Paderborn  1878,  s.  177).  Die 
hierher  gehörigen  beispiele  sind  meist  solche  mit  m  oder  t  im 
stamme:  himmel,  hämmer,  kämmer,  summer,  schammel  'schemel*. 
aber  näm  'nehmen';  batteln  'betteln',  geritten,  sottet,  vatter 
(nur  in  manchen  gegenden;  an  der  Biala  nur  in  Städten),  retter 
und  einige  andere.   In  der  Bielitzer  ma.  schwankt  kürze  und 
halblänge  in  zusohnma,  ko2mmer;  länge  haben  hohner  'hammer', 
sämel  ' semmel';  halblänge  liegt  vor  in  gesnetta  'geschnitten', 
srett  m.  'schritt',  lufmmcl  und  Kemel  'himmel',  während  nur 
batteln  entschiedene  kürze  hat,   Sonst  kommen  u.  a.  noch  vor: 
dunner,  tu  fei  'tafel',  zwippel,  weder  'wider',  oder.    Für  Seif- 
hennersdorf ist  zu  erwähnen  tunä  (nach  gen.  dunres)  neben 
tounä  (nach  nom.  acc.  donar);  ferner  ceritn  'geritten',  cHmtn 
'geschnitten',  neben  eezoutn  'gesotten'  etc. 

In  der  verbalflexion  ist  die  kürze  erhalten,  wo  durch  Syn- 
kope des  tonlosen  flexions-e  geminata  oder  doppelconsonanz 
entstanden  ist;  bei  Weinhold  scliatt  'schadet';  gitt  'gibt',  gatt 
•gebt',  gehatt  'gehabt'  (s.  auch  Kupka371.  Michel  §  58 e  und 
s.  20.  Weinhold  1,  78). 

§  87.  Als  zweites  dehnungsgesetz  gilt  für  das  schles.- 
laus.,  dass  in  der  regel  der  vocal  in  mhd.  einsilbigen  Wörtern 
mit  doppelconsonanz  gedehnt  wird;  bei  antritt  einer  flexions- 
silbe  oder  ableitting  erscheint  wider  die  alte  kürze.  Diese 
erscheinung  darf  wol  mit  als  beweis  gelten  für  die  verwant- 
schaft  des  schles.  mit  dem  ostfr.,  die  VVeinhold  2, 214  f.  betont. 

Belege  zu  unserem  gesetze  bieten  die  angeführten  quellen; 
im  bes.  verweise  ich  auf  Michel  §  59.  09.  Kiessling  6 1  Waniek 
25.  31,5.  34,  a.  38,2.  41,  §  22, 3.  44, 3.  Klessel49f.  Weinhold 
26,3.  27,5.  28,2.  29,1.  36^9.  37,3.  42,2.  45,7.  46,8.  48.  51,2. 
59,  5.  00,  9.  61.  5.  64,  8.  Belege  für  die  erhaltung  der  kürze  in 
der  flexion  und  ableitung  bei  Weinh.  23.  32,  5.  33, 12  f.  59. 5. 
Waniek  25.  42,  §  23, 1. 

Ausnahmen  finden  sich  local  beschränkt  und  allgemein: 
s.  Weinh.  23, 4.  25, 1.  31,4.  49,2.  52,2:  'neben  den  längen  auf  o: 
kop  'köpf,  ^oÄ-'bock',  loch,  sehlös  'schloss'  etc.  kommt  im  ge- 
meinschlesischen  an  denselbeu  orten  das  kurze  m  (s.  Weinh.  56) 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMRILBENVOCALE.  213 

vor  nach  einem  Wechsel,  der  gesetzlos  erscheint'.  An  der  Biala 
zeigt  sich  in  manchen  einsilbigen  Wörtern  nur  halblänge  (s. 
Waniek34.b.  38,3);  in  anderen  bleibt  die  kürze  (s.  Waniek 
31,6.  34,4.  5.  37  [§  20, 1]). 

§  88.  Ausserhalb  des  rahinens  des  zweiten  dehnungs- 
gesetzes  stehen  die  dehnungserscheinungen,  die  durch  die 
natur  benachbarter  consonanten  bedingt  sind. 

In  erster  linie  haben  im  schles.-laus.  r-verbindungen  deh- 
nenden einfluss.  In  Schlesien  wird  nach  Rückert,  Zs.  fdph. 
4,331  der  vocal  vor  jeder  Verbindung  von  r  mit  muten  und 
Spiranten  gedehnt;  für  die  Bielitzer  ma.  sagt  Waniek  21,3 
dasselbe. 

Nach  den  von  Weinhold  mitgeteilten  belegen  hat  diese 
erscheinung  jedoch  nicht  in  dieser  allgemeinheit  giltigkeit; 
ich  verweise  auf  23.4.  24,5.  25,1.  30,2.3.  31,4.  32,5.  33,8. 
39,3.  49,2.  56,8.  57,11.  58,4.  An  der  Biala  kommen  aus- 
nahmen allerdings  nur  vereinzelt  vor,  zum  teile  nur  an  be- 
stimmten orten;  so  in  we'h'fa  •werfen',  stuo^rcJi  'storch',  buolrtta, 
surao\rz  (die  lautverbindung  uo  ist  vor  mehrfacher  consonanz 
prägnant  kurz  nach  Waniek  39),  yebürt  u.  a.  Halblänge  liegt 
vor  in  harz  iierz'  und  hnar2  *  schmerz'.  Beispiele  für  dehnung 
vor  r  +  cons.:  gärten,  gdrte  f.  *gerte',  borte  f.,  börschtc  f., 
yärschte  u.  a. 

In  der  Bielitzer  ma.  tritt  nicht  selten  auch  vor  r  +-  w,  m,  n 
dehnung  ein:  Mrua  Scherbe',  wurm  (pl.  wirmer),  kam  'kern' 
u.  a.:  doch  sc^rm  'schirm',  duom  'dorn'  und  dim.  die2mla  u.  a. 

In  der  Oberlausitz  ist  dagegen  nur  vor  r  -f  d,  t,  $,  z  deh- 
nung eingetreten  und  zwar  in  nur  wenig  mehr  Wörtern  als  in 
der  schrift spräche;  s.  Michel  §  67:  kharte  'karte',  kqrtn  'garten', 
kärste  'gerste',  ccbürt  'geburt'  (aber  cebyrtj),  wart  'wort'.  Art 
'ort',  cp-te  f.  'gerte'.  m(rzl  'mörser',  pfrzl  'schöpf lurze  'hirse\ 

§  89.  Vor  der  lautgruppe  l  -f-  t,  d,  z  wird  im  schles.-laus. 
a  gedehnt  (s.  Weinhold  27. 65.  Rückert,  Zs.  fdph.  4, 331.  Waniek 
21  f.  38.  Kupka  375.  Michel  §  65.  Wrede,  Anz.  21.  275).  Im 
grössten  teile  des  gebiets  auf  dem  linken  Oderufer  schwindet 
der  dentalexplosiv;  erhalten  ist  er  nach  Wenkers  atlas  in  einem 
gebiete,  das  im  W  etwa  durch  die  linie  Golssen — Ruhland, 
gegen  X  ganz  ungefähr  durch  die  ik  j  ich  -  lüde  begrenzt  ist; 
im  S  umfasst  die  grenze  die  Wendei,  zieht  weiter  von  Muskau 


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214 


RITZERT 


Uber  Sommerfeld  nach  Grimberg  und  dann  ungefähr  der  Oder 
aufwärts.  Oestlich  der  Oder  längs  der  W- grenze  gilt  in 
schmalem  säume  dl  Hiermit  stimmt  Waniek  21  und  Kupka 
s.  375  überein,  die  beide  für  ihre  maa.  erhaltung  des  explosivs 
bestätigen;  letzterer  fügt  hinzu,  dass  in  dem  benachbarten 
Sorauer  kreise  aber  derselbe  schwindet;  ebenso  im  Sprach- 
atlas. Auch  Seifhennersdorf  hat  erhaltenes  /,  d;  Michel  con- 
statiert,  dass  die  dehnung  des  a  vor  l  -f  d,  t  völlig  durch- 
gedrungen ist;  nicht  von  der  dehnung  wird  das  a  betroffen, 
das  westgerm.  e  oder  den  späteren  umlaut  von  a  vertritt: 
falt  'feld'  etc.;  ferner  in  fremdwörtern:  altä  'altar',  salta  ;post- 
schalter'.  Kürze  in  salz  ist  erhalten  in  einer  enklave  im  süd- 
lichen Schlesien  mit  Schweidnitz,  Zobten.  Reichenbach.  Wartha. 
Ottmachau,  s.  Wrede,  Anz.  19. 102. 

Dem  nordschles.  ist  dehnung  des  c  vor  l  +  t  eigen.  Wein- 
hold 45, 6.  7:  (jceild  'geld',  sd'ilten  'selten'.  Vereinzelt  trifft  man 
diese  erscheinung  auch  im  gebirge.  Manchmal  wird  auch  ein 
anderer  vocal  gedehnt;  ich  finde  als  hierher  gehörige  beispiele: 
schauldr  'schulter',  schatdd  'schuld',  ycdauld;  im  Kuhländehen 
bei  Oderau  in  Mähren  auch  gould  'gold\ 

§  90.  Dehnung  vor  nasal  Verbindungen,  besonders  vor  n  -f 
verschlusslaut,  ist  dem  N  eigen;  vereinzelt  findet  sie  sich  aucb 
in  der  gebirgsmundart ,  besonders  im  Kuhläudchen.  Diese 
dehnungserscheinung  betrifft  e  und  seltner  i  (s.  ^'einhold  69. 
Kupka  Ii75).  Heispiele:  cindc  'ende',  mcinsch  'meusch*,  svinzt 
\sense'.  Vgl.  auch  Wrede,  Anz.  19, 108:  'gedehntes  /  in  teinter 
wird  bezeugt  für  Schlesien'. 

§  91.  a)  Vor  cht  wird  nach  Wrede,  Anz.  21, 1(52  v  gedehnt 
innerhalb  des  dreiecks  Bautzen — Schwiebus — Hirschberg  a.  R: 
ferner  um  Ohlau  und  Falkenberg  und  an  der  obersten  Glatzer 
Neisse;  s.  auch  Weinhold  27,  5.  45,  b\  7. 

An  der  Biala  erscheint  <  nur  halblang;  so  in  kwteht  etc.: 
hier  ist  auch  a  vor  urspr.  ht  gedehnt  in  nacht,  weinaciUa. 

Auch  Seifliennersdorf  hat  dehnung  des  e  vor  cht',  rdjt 
'recht',  ndjtn  'gestern  abend'  etc.;  aber  fajtn  'fechten';  s. 
Michel  §  66. 

b)  Vor  hs  <  hs  wird  an  der  Biala  a  gedehnt:  ivdksa 
'wachsen',  äksel,  wäks  u.  a.;  nah' sein  'wechseln'  und  suk's  haben 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  8TAMM8ILBENV0CALE.  215 

halblangen  vocal  (s.  Waniek  34.  38).  Nach  Wrede,  Anz.  18, 413 
zeigt  sich  in  sechs  diphthongierung  im  Odergebiete  von  Frank- 
furt bis  Beuthen. 

n.  teil. 

Zusammenfassung  der  dehnungserscheinungen 
und  vergleiohung  mit  den  quantitätsverhältnissen  der 

Schriftsprache. 

Nachdem  ich  im  vorhergehenden  den  quantitativen  laut- 
wandel  in  den  hauptdialekten  des  hochd.  Sprachgebiets  nach 
seiner  hauptseite:  der  dehnung  der  mhd.  kurzen  stammsilben- 
vocale,  zur  darstellung  gebracht  habe,  will  ich  im  folgenden 
versuchen,  die  resultate  zusammen  zu  fassen.  Dabei  werde 
ich  gleichzeitig  die  entsprechenden  quantitätsverhältnisse  der 
Schriftsprache  zur  vergleichung  heranziehen  und  die  frage  er- 
örtern, auf  welchem  dialekte  die  schriftsprachlichen  quanti- 
täten  beruhen.  Mein  augenmerk  habe  ich,  gemäss  den  obigen 
ergebnissen,  dabei  nach  zwei  seiten  zu  richten:  wo  ist  die 
dehnung  spontan  entstanden  und  wo  durch  benachbarte  con- 
sonanten  bedingt? 

1.  Dehnung  in  offener  silbe. 

Spontan  ist  die  dehnung  mhd.  kurzer  stammsilbenvocale 
in  urspr.  offener  silbe  eingetreten.  Sehen  wir  vom  hochale- 
mannischen ab,  in  welchem  im  grossen  und  ganzen  die  urspr. 
Verhältnisse  bewahrt  sind  (vgl.  §  1)  und,  wenige  zur  nhd. 
dehnung  neigende  gegenden  (s.  §  3)  abgerechnet,  vocaldehnung 
in  offener  silbe  nur  dann  eingetreten  ist,  wenn  die  folgende 
silbe  mit  r  anlautet  ('s.  §  2),  so  finden  wir  dieses  gesetz  für 
alle  dialekte  gütig;  s.  §  15.  23.  30.  39.  47.  56.  68.  79.  84. 

Paul  hat  Beitr.  9, 102  nachgewiesen,  dass  diese  quantitäts- 
veränderung  mhd.  kurzer  vocale  mit  dem  silbenaccente,  und 
zwar  mit  einer  bestimmten  form  desselben,  dem  schwach- 
geschnittenen,  zusammenhängt;  s.  auch  Sie vers,  Grundzüge  der 
phonetik«  §  790. 

Die  frage,  weshalb  nun  die  mhd.  kurzen  vocale  mit  schwach- 
geschnittenem  accente  der  dehnung  unterworfen  waren,  ist 
gewiss  keine  müssige.  Mich  hat  sie  immer  interessiert.  Ihre 
beantwortung  findet  sie  m.  e.  in  der  für  so  viele  fälle  zu- 


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216  RITZEBT 

treffenden  annähme  des  natürlichen  strebens,  mit  möglichst 
wenig  muskelanstrengung  und  atemaufwand  denselben  zweck 
zn  erreichen  wie  mit  viel  (Max  Müller);  s.  Kussmaul,  Die 
Störungen  der  spräche  243. 

Auch  J.  Wolff  betont  in  seiner  vortrefflichen  abhandlung 
Ueber  die  natur  der  vocale  etc.  (progr.  von  Mühlbach  1875). 
s.  63  das  bestreben  nach  physischer  erleichterung  der  arbeit, 
welches  auch  auf  sprachlichem  gebiete  mehr  und  mehr  zur 
geltung  gekommen  ist.  Dies  ist  zweifellos  richtig;  dagegen 
aber  nicht,  was  Wolff  über  die  ausspräche  der  langen  vocale 
sagt,  und  damit  komme  ich  zur  begründung  meiner  ansieht. 
Wolff  meint  nämlich  a.  a.  o.,  dass  die  anhaltende  muskelaction, 
mit  welcher  die  ausspräche  langer  vocale  verbunden  ist,  eine 
grössere  physische  anstrengung  erfordere  als  die  bildung  eines 
kurzen  vocals. 

Die  erfahrungen  beim  Sprachunterrichte  taubstummer 
sprechen  direct  dagegen.  Das  gedehnte  sprechen  der  vocale 
fällt  dem  sprechschüler  leicht,  keineswegs  aber  die  ausspräche 
der  betonten  vocalkürzen.  Das  üben  der  letzteren  bedarf 
unendlich  mehr  zeit,  und  noch  lange  nach  absolvierung  des 
ersten  sprechunterrichts  tritt  die  neigung  auf,  die  kurzen  vocale 
gedehnt  zu  sprechen.  Für  die  technischen  Sprechübungen  der 
späteren  Schuljahre  bildet  deshalb  das  üben  der  kurzen  vocal- 
aussprache  ein  stehendes  capitel. 

1  >icse  tatsache  bildet  für  mich  den  grund  zu  der  annähme, 
die  in  den  dialekten  wie  in  der  Schriftsprache  eingetretene 
delinung  der  alten  kurzn  vocale  mit  der  physisch  leichteren 
gedehnten  ausspräche  zu  erklären. 

Häufiger  kommt  es  vor,  dass  urspr.  liquid-  und  nasal- 
geminaten  als  einfache  laute  behandelt  werden,  so  dass  der 
vocal  vor  denselben  in  den  silbenauslaut  zu  stehen  kommt; 
s.  §  2  (am  Schlüsse).  5.  21.  36.  47,  d.  55,  d.  63.  78,  a. 

Dieselbe  erscheinung  begegnet  uns  vor  explosivgeminaten 
im  mfr.  (s.  §  64)  und  vereinzelt  auch  sonst  (s.  §  38,  a). 

Das  gesetz  der  vocaldehnung  in  offener  silbe  erleidet  nun 
nach  zwei  seiten  hin  abweichungen,  die  aber  nur  eine  schein- 
bare willkür  bedeuten  und  ihre  erklärung  in  der  'annähme 
einer  verschiedenen  ausgleichung  eines  älteren  Wechsels' 
linden. 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSIT.BENVOCALE.  217 


Einmal  betrifft  dies  solche  Wörter,  in  denen  auf  den  stamm 
noch  ein  suffix  folgt,  meistens  -el,  -er,  -em,  -en;  dann  auch  -et, 
•ig  u.  a.  Unter  diesen  Verhältnissen  zeigt  sich  nun  in  allen 
dialekten  die  neigung,  die  urspr.  kürze  zu  bewahren  (erklärung 
s.  §  16),  und  zwar  besonders  dann,  wenn  der  stamm  auf  nasal 
ausgeht  (s.  §  16.  23.  31.  41.  48.  57.  71.  80.  86). 

Auch  die  Schriftsprache  hat  in  den  meisten  fällen  vor  m 
in  zweisilbigen  Wörtern  auf  -en,  -el,  -er  die  kürze  erhalten: 
ausgenommen  sind  nur  nehmen,  schämen,  ziemen,  name  (flect. 
nameri),  schemel;  mit  n  steht  douner  dem  part.  geschienen 
gegenüber.  K.  v.  Bahder  führt  dies  auf  den  einfluss  südwest- 
deutscher dialekte  zurück  (Grundlagen  des  nhd.  lautsystems 
s.  88).  Es  ist  jedoch  gar  nicht  nötig,  so  weit  zu  gehen.  Wol 
zeigen  die  alemannischen  maa,  vor  m  +  suffix  consequent  die 
alte  kürze;  doch  steht  beispielsweise  der  grösste  teil  des 
rheinfr.  der  Schriftsprache  nicht  nach;  nur  der  X  desselben 
dehnt  hier  a,  aber  nicht  die  übrigen  vocale.  Ebenso  liegt  es 
im  mfr.  Ganz  besonders  aber  muss  die  Übereinstimmung  des 
obersächsischen  mit  der  Schriftsprache  in  dieser  hinsieht  hervor- 
gehoben werden  (s.  oben  §  80). 

Gegen  den  schriftsprachlichen  gebrauch,  wo  wir  fast  aus- 
nahmslos länge  finden,  zeigt  sich  bewahrung  der  kürze  in 
vielen  dialekten  öfters  auch  dann,  wenn  der  stamm  auf  liquida, 
einfache  Spirans  oder  media  ausgeht.  Ich  verweise  auf  die 
vorhin  genannten  Paragraphen.  Die  mehrzahl  dieser  maa. 
zeigt  nun  nicht  allein  den  anderen  gegenüber,  sondern  auch 
in  den  einzemen  fällen  die  grössten  schwanklingen.  Viele 
maa.  haben  aber  in  der  regel  länge  oder  doch  in  den  meisten 
fällen;  zu  ersteren  gehören  Basel,  zu  letzteren  die  ostschwäbi- 
schen, bairischen,  ostfränkischen,  südthüringischen,  schlesischen 
und  besonders  auch  die  obersächsischen;  wenn  nach  Albrecht 
Leipzig  auch  zahlreiche  kürzen  erscheinen  lässt^  so  gilt  für  das 
ganze  obersächsische  gebiet  doch  die  regel,  dass  die  kürze  nur 
'zuweilen'  bewahrt  ist  (vgl.  Franke,  Der  obers.  dialekt  36). 
Gegenüber  dem  mundartlichen  schwanken  in  den  einzelnen 
fällen  behandelt  die  Schriftsprache  diese  Wörter  aber  con- 
sequent. 

Während  die  Schriftsprache  in  der  verbaltiexion  auch  in 
den  formen,  in  welchen  durch  synkope  des  flexions-e  geminatea 


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218 


RITZERT 


oder  doppelconsonanzen  entstanden  sind,  in  Übereinstimmung 
mit  den  übrigen  formen  die  länge  durchgeführt  hat  (aus- 
genommen sind  nur  die  2.  und  3.  sg.  praes.  von  nehmen  und 
treten),  zeigen  viele  maa.  hier  die  kürze  (s.  §  16.  31.  41.  48.  57. 
71.  80.  86).  Zur  zeit  des  eintritts  der  dehnung  stand  also  der 
stammsilbenvocal  in  folge  der  vorausgegangenen  vocalsynkope 
nicht  mehr  in  offener  silbe. 

Die  zweite  abweichung  von  unserem  gesetze  zeigt  sich  bei 
vielen  dialekten  in  manchen  einsilbigen  nominibus  und  im  imp. 
sing.  In  der  Schriftsprache  ist  auch  in  diesen  dehnung  ein- 
getreten, indem  die  vocaldauer  der  flectierten  casus  in  die- 
selben eingedrungen  ist;  sie  zeigt  also  stets  die  fertigen  er- 
gebnisse  der  ehemaligen  ausgleichung.  In  den  dialekten 
dagegen  erscheinen  mitunter  solche  fälle,  in  denen  die  aus- 
gleichung noch  nicht  erfolgt  ist,  zuweilen  hat  sogar  die  Quan- 
tität der  unflectierten  casus  den  sieg  davon  getragen  in  dem 
ganzen  paradigma  (s.  §  17.  33,  b.  40.  50.  59.  70.  81.  85). 

Häufiger  kommt  es  hierbei  vor.  dass  die  kürze  bewahrt 
wird,  wenn  der  stamm  auf  liquida  (besonders  Z)  oder  nasal 
schliesst;  s.  §  18.  33.  40.  55.  59.  69.  85.  Vgl.  hierzu  Heusler, 
Beitrag  zum  consonantismus  etc.  13. 

Aus  der  Schriftsprache  gehören  hierher  fromm  (<  vrom, 
rritm),  ginn  (<  ff»)  und  toll  (<  toi);  letzteres  kommt  freilich 
mild,  auch  schon  als  toll  vor. 

Während  das  unterbleiben  der  ausgleichung  (wie  in  sik 
m.  'sieg',  aber  flectiert  siye  im  schles.)  in  den  hochd.  dialekten 
nur  in  seltenen  fällen  zu  constatieren  ist.  bildet  es  für  das 
niederdeutsche  mit  ausnähme  derjenigen  einsilbigen  Wörter,  die 
auf  /  und  /•  endigen,  die  regel:  weg,  aber  weges;  nemen,  aber 
näm.  In  der  niederfränk.  ma.  von  Mülheim  a.  d.  Ruhr,  in  der 
die  kurzen  vocale  in  offener  silbe  stets  gedehnt  worden  sind, 
tritt  auch  bei  den  kurzsilbigen,  die  auf  urspr.  p,  t,  k,  sowie 
auf  /,  m,  n,  r  ausgehen,  der  gedehnte  vocal  aus  den  obliquen 
casus  in  den  nominativ  (s.  Maurmann,  Die  laute  der  ma.  von 
M.  §  128). 

Ausgenommen  von  der  dehnung  sind  in  der  Schriftsprache 
mit  wenigen  ausnahmen  die  Wörter  mit  sowol  ein-  wie  zwei- 
silbige: Matt,  Schlitten.  Die  erklärung  dieser  erscheinung  s. 
bei  Sievers,  Phonetik4  §  792.   Bahder  sieht  auch  hierin  einfluss 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  219 

alemannisch-schwäbischer  maa.  (Grundlagen  s.  88),  jedoch  nicht 
mit  recht.  Es  stehen  nämlich  die  alem.  maa.  (s.  oben  §  17.23) 
in  der  erhaltung  der  kürze  vor  t  nicht  allein;  wir  finden  die- 
selbe erscheinung  im  rheinfr.  (§  49),  im  X  des  mfr.  (§  58),  im 
gebiete  des  südbair.  dialekts  (g  33)  und,  abgesehen  von  ver- 
einzeltem auftreten,  vor  allem  wider  im  obersächsischen  (§  81). 
Gegenüber  den  Schwankungen  des  rheinfr.  zeigt  letzteres  nahezu 
vollständige  Übereinstimmung  mit  dem  schriftdeutschen:  nur  in 
breit  und  städte  (pL)  weicht  es  ab.  Für  die  erhaltung  der 
kürze  vor  t  im  obers.  vgl.  auch  die  reimtafel  bei  J.  P.  Titz, 
Zwei  bücher  von  der  kunst  hochd.  verse  zu  machen  1,  cap.  xin, 
mitgeteilt  von  V.  Bahder  a.a.O.  s.  99.  Nimmt  man  mit  v.  Bahder 
einfluss  des  alemannischen  mit  seiner  consequenten  kürzeerhal- 
tung  vor  t  an,  so  bleibt  unverständlich,  aus  welchem  gründe 
trotzdem  in  einigen  Wörtern  dehnung  eingetreten  ist  und  zwar 
in  solchen,  die  auch  sonst  in  vielen  maa.  die  alte  kürze  be- 
wahren, wie  in  rater,  pate,  böte.  Noch  eher  wäre  an  eine 
beeinflussung  seitens  des  rheinfr.  zu  denken,  das.  wie  oben 
gesagt,  in  den  meisten  fällen  die  dehnung  nicht  kennt,  in 
anderen  aber  dehnt;  jedoch  stimmen  die  einzelnen  fälle  nicht 
mit  dem  schriftdeutschen,  was  aber  im  obers.  der  fall  ist. 

Aus  diesem  und  dem  obigen  zusammentreffen  der  Schrift- 
sprache mit  dem  obers.  glaube  ich  den  schluss  ziehen  zu  müssen, 
dass  die  Quantitäten  des  nhd.  auf  diesem  dialekte  beruhen.  Ich 
befinde  mich  also  im  gegensatze  zu  v.  Bahder  und  stimme  Paul 
zu,  der  a.a.O.  103  allgemein  sagt,  dass  unsere  Schriftsprache 
doch  nicht  so  sehr  eine  mischung  aus  verschiedenen  maa.  ist, 
dass  sie  nicht  im  wesentlichen  auf  einer  einheitlichen  grund- 
lage  ruht. 

Die  annähme  dieses  Verhältnisses  zwischen  Schriftsprache 
und  obersächsischem  dialekte  ist  um  so  wahrscheinlicher,  als 
die  spräche  Luthers,  in  der  die  meissnischen  (obers.)  demente 
dominierten  und  welche  die  grundlage  der  nhd.  Schriftsprache 
ist,  in  dieser  beziehung  vorbildlich  wurde  und  zwar  in  der 
form,  die  sie  in  seinen  gedruckten  Schriften,  namentlich  der 
bibelübersetzung,  erhalten  hat  (über  das  vorkommen  der  kürze 
vor  /  in  der  Bibel  von  1545  vgl.  v.  Bahder  a.a.O.  s. 90,  und 
über  den  gebrauch  von  tt  gemäss  Luthers  Vorbild  in  anderen 
denkmälern  a.  a,  o.  s.  99). 


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220 


RITZERT 


2.  Dehnung  in  geschlossener  silbe. 

a)  Vocaldehnung  in  geschlossener  silbe  haben  in  allen 
dialekten,  wie  in  der  Schriftsprache  diejenigen  Wörter,  die  auf 
r  auslauten:  er,  der  etc.,  aber  nur  dann,  wenn  sie  betont  sind; 
unter  dem  einflusse  der  accentlosigkeit  zeigen  sie  kürze.  Da 
diese  keine  flectierten  formen  neben  sich  haben,  in  denen  die 
länge  lautgesetzlich  eintreten  konnte,  substituiert  Paul  a.  a.  o. 
s.  110  deshalb  für  den  wortauslaut  das  ende  eines  satztaktes 
im  satzzusammenhange.  Für  meinen  heimatsdialekt  liegt  die 
sache  einfacher;  da  r  hier  durch  einen  kurzen  a-laut  (=  v) 
ersetzt  wird,  bleibt  die  silbe  nicht  mehr  geschlossen,  und  es 
muss  lautgesetzlich  dehnung  eintreten:  g»wä  <  fpwao  =  'ge- 
wahr'. Dasselbe  gilt  auch  für  andere  dialekte,  so  für  Hand- 
schuhsheim. Seifhennersdorf:  hä  'er'  u.a.  Für  die  alemannischen 
maa.  fällt  die  dehnung  vor  r  unter  das  capitel  des  dehnenden 
einflusses  auslautender  lenk 

b)  In  einem  grossen  teile  des  hochd.  Sprachgebiets  tritt 
ausserdem  in  allen  schon  mhd.  einsilbigen  Wörtern  mit  doppel- 
consonanz  dehnung  ein;  es  betrifft  dies  das  ostschwäbische 
(§  25),  bairisch-östeiTeichische  (§  34),  ostfränkische  (§  42),  das 
an  letzteres  grenzende  südwestthüringische  (§  72)  und  schle- 
sische  (§  87).  Die  alte  kürze  kommt  wider  bei  antritt  einer 
weiteren  silbe  zum  Vorschein;  im  ostschwäb.  und  ostfr.  hat 
auch  der  dat.  sg.  dieser  Wörter  gedehnten  vocal  (s.  §  24  b.  44), 
im  bairisch-österr.  und  südwestthür.  aber  kurze  (s.  §  34.  72). 

Ueber  die  erklärung  dieser  erscheinung  vgl.  Kauffmann, 
Geschichte  der  schwäb.  ma.  §  127.  Fischer,  Geographie  der  schw. 
ma.  §  12.  0.  Brenner.  IF.  3, 207  ff.  Streitberg,  ebda.  305  ff.  Bohnen- 
berger,  Alemannia  24, 20  und  besonders  Zs.  fdph.  28, 515  ff.  Mit 
Kauffmann,  Fischer  und  Bohnenberger  ist  daran  festzuhalten, 
dass  die  Stellung  in  tonsilbe,  zumal  in  pausa,  zur  Verlängerung 
des  vocals  führt.  Dagegen  scheint  es  auch  mir  nicht  wahr- 
scheinlich, dass  die  dehnung  ein  ersatz  für  den  vertust  der 
germanischen  nominativendungssilbe  sei,  wie  Brenner  glaubt. 

3.  Dehnung  in  folge  consonantischen  einflusses. 

Von  den  durch  die  Qualität  der  dem  vocale  folgenden 
consonanz  bedingten  längungen  sind  zunächst  die  im  hoch- 


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DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  221 

alem.  vorkommenden  vor  lenis  zu  erwähnen  (s.  §  4.  6).  Kauf- 
mann, der  dehnung  auf  conto  folgender  consonanz  zu  setzen 
überhaupt  nicht  für  annehmbar  hält  (a.a.O.  155,anm.2),  erklärt 
auch  diese  hochalem.  erscheinung  durch  die  Stellung  in  satz- 
pause (so  auch  Fischer).  Für  Schaffhausen  tritt  nach  Stickel- 
berger,  Beitr.  14, 414  ff.  dehnung  vor  spirantischer  und  explo- 
siver lenis  freilich  nur  in  pause  ein  (vor  liquider  und  nasaler 
aber  immer);  das  verfahren  der  masse  der  hochalem.  maa. 
bleibt  davon  aber  unberührt;  dasselbe  lässt  sich  nur  durch 
die  dehnende  Wirkung  der  folgenden  auslautenden  lenis  er- 
klären. 

Allgemeiner  verbreitet  sind  die  dehnungserscheinungen, 
die  durch  den  einfluss  von  liquida  oder  nasal  +  consonant  (in 
den  weitaus  meisten  fällen  dentalexplosiv)  verursacht  werden. 
Gegen  Kauffmann  a.  a.  o.  155  muss  diese  consonan tische  be- 
einflussung  besonders  betont  werden,  denn  anders  lassen  sich 
die  betreffenden  längungen  nicht  erklären. 

Am  häufigsten  wird  a  vor  den  genannten  eonsonanten- 
gruppen  gedehnt,  dann  e  (mhd.  e)  und  seltener  die  übrigen 
vocale.  Im  übrigen  verweise  ich  auf  das  obige  material  und 
füge  die  betr.  paragraphenzahlen  an. 

a)  Dehnung  vor  r -Verbindungen:  §  8.  19.  2G.  37.  51.  00. 
73.  82.  88.  Für  das  ostschwäbische,  bairische,  ostfränkische 
kommt  zudem  in  betracht,  dass  in  allen  mhd.  einsilbigen  Wör- 
tern auf  r  +  consonant  dehnung  eingetreten  ist.  Die  schrift- 
sprachliche dehnung  von  a  und  e  vor  r  -f  cons.  (die  einzige 
dehnungserscheinung  vor  doppelconsonanz,  s.  Paul,  Grundriss 
1,  559)  hat  also  ihre  entsprech  ungen  im  ganzen  hochdeutschen 
Sprachgebiete.  Allerdings  gehen  nahezu  alle  dialekte  weiter 
als  die  Schriftsprache. 

b)  Dehnung  vor  /  +  cons.  (meist  in  der  gruppe  a  +  /  -f 
dentalverschluss  mit  fast  regelmässigem  Schwunde  des  letz- 
teren): §  11.  20,  a.  37.  46,  c.  52.  61.  74.  83.  89. 

c)  Dehnung  vor  nasal  +  verschlusslaut:  §  10.  20,  a.  25.  28. 
37.  46.  53,  a.  62,  a.  75.  90; 

ferner  vor  nasal  +  spirans  mit  Schwund  des  ersteren :  §  9. 
20,  b.  27.  53,  b.  62,  b.  78,  b. 

Von  dehnendem  einflusse  sind  ferner  urspr.  ht  und  im; 


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222    RITZERT,  DEHNUNG  DRK  MHD.  KURZEN  8TAMM8ILBENVOCALE. 

für  die  dehnung  vor  ht  s.  §  12,  22,  a.  25.  54.  00.  70.  91  und 
vor  hsf  wobei  die  gutturalspirans  ausfällt:  §  13.  22,  b.  29.  55.  a. 
07.  77.  91,  b. 

Dehnung  vor  doppelspiranten  und  Spirantenverbindungen 
begegnet  uns  im  nifrk.  (s.  §  05);  ausserdem  vor  ersteren  in 
einem  beschränkten  gebiete  in  Kärnten  (s.  §  38,  b)  und  vor  st 
in  einem  mitteldeutschen  bezirke  an  der  Weira  (s.  §  40.  b. 
55,  b.  78,  a). 

HOMBERG  (bez.  Cassel).  A.  RITZERT. 


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KLEINE  BEITRÄGE  ZUR  DEUTSCHEN 
WORTFORSCHUNG. 

L  abgemergelt,  ausgemergelt 

ziehen  Kluge,  Heyne  und  Paul  übereinstimmend  zu  mark  n., 
wobei  sie  an  bildliche  redensarten  wie  einem  das  mark  aus- 
saugen anknüpfen.  Hierbei  bleiben  lautliche  Schwierigkeiten; 
wenn  sich  auch  das  g  des  Stammes  aus  der  älteren  wortform 
zur  genüge  erklärt,  so  bleibt  das  ?-suffix  auffällig;  man  würde 
* -morgen  erwarten.  Dass  der  nächstliegenden  ableitung  von 
mergel  'argilla',  mergeln  'mit  mergel  düngen'  von  den  genannten 
forschem  und  ihren  Vorgängern  ausgewichen  wurde,  beruht 
wol  auf  der  er  wägung,  dass  eine  düngung  Verbesserung  des 
bodens  bedeute,  also  grade  das  gegenteil  von  dem  was  man 
bei  abgemergelt,  ausgemergelt  empfindet.  Dennoch  ist  hier  das 
nächstliegende  zugleich  das  richtige.  Jeder  landwirt  weiss, 
dass  mergeldüngung  eine  reihe  vortrefflicher  ernten  ergibt, 
dass  aber  schliesslich  der  boden  davon  schlechter  wird  als  er 
vorher  war;  die  bauernregel:  mergeln  macht  reiche  väter  und 
arme  söhne  drückt  das  Verhältnis  zutreffend  aus.  Der  grund 
davon  liegt  in  dem  kalkgehalt  des  mergels,  der  den  boden 
energisch  aufschließt  und  die  pflanzen  veranlasst,  alle  im 
boden  irgend  vorhandenen  nahrungsstoffe  herauszuziehen,  wo- 
durch natürlich  ein  an  sich  armer  boden  bald  genug  gründlich 
erschöpft  wird.  Vgl.  noch  das  von  Heyne  unter  ausnutzen 
angeführte  citat  aus  Maaler  (1561):  auszuätzen,  ein  crdtrich 
auszmürglen  und  ersaugen. 

2.  ammer  f.  1) 

'ein  Singvogel',  spätahd.  amcro,  mhd.  amer  (Heyne).  Die  von 
Kluge  und  Heyne  zweifelnd  gegebene  ableitung  von  ahd.  amar 
'sommerdinkel',  die  lautlich  tadellos  ist,  scheint  mir  auch  in 


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224 


T.IKBICH 


hinsieht  auf  die  lebensweise  des  vogels  und  auf  andere  vogel- 
nanien  wie  distelfinJc,  hänfling  annehmbar.  Das  von  Heyne 
auch  angeführte  synonym  ämmerling  ist  sogar  eine  genaue 
parallelform  zu  hänfling.  Der  mlat.  und  zoologische  name 
emberiza  ist  nur  widergabe  eines  anderen  synonyms,  des  jetzt 
veralteten  deutschen  emmeritz,  das  Kluge  unter  Stieglitz  auf- 
führt. Hinzuzufügen  wäre  nur,  dass  auch  ahd.  amar  heute 
noch  fortlebt,  als  ammer  in  der  Schweiz  und  Hessen,  emer, 
emmer  im  schwäbischen  IL  S.w.;  vgl.  Pritzel  und  Jessen,  Die 
deutschen  volksnamen  der  pflanzen  (1882).  Die  butaniker 
nennen  die  pflanze  triticum  dicocciim. 

3.  ammer  f.  2) 

'eine  kirschenart'  (Heyne).  Es  ist  die  Sauerkirsche,  prunus 
cerasus,  die  in  Mittel-  und  Niederdeutschland  auch  amarelle. 
marille  etc.  heisst  , v  namen,  die  alle  auf  das  von  Hevne  an- 
geführte  mlat.  amareüum  zurückgehen;  und  zwar  stellen  sich 
ammer  und  marille  ebenso  gegenüber  wie  oberd.  ampel  und 
nd.  pulle,  die  beide  aus  ampulla,  diminutivum  von  amphora 
stammen.  Mlat.  amareüum  selbst  aber  ist  wol  nicht  entstellung 
aus  armeniacum,  wie  Heyne  u.  a.  vermuten,  sondern  nach  dem 
gleichbedeutenden  it.  amaraseo,  amaraschino  (davon  unser 
marasehino,  eig.  kirschenliqueur)  zu  schliessen,  ableitung  von 
lat.  amarus.  Die  Verbreitung  des  Wortes  durch  die  mundarten 
und  seine  Übertragung  auf  die  aprikose  im  südöstlichen  gebiet 
verdiente  wol  eine  genauere  darstellung. 

4.  ausversehämt 

stammt  aus  dem  plattdeutschen  oder  ist  vielmehr  nur  eine 
Übertragung  des  .plattd.  utverschamt;  eine  dem  hd.  'unver- 
schämt' genau  entsprechende  negierende  bildung  gibt  es  im 
plattdeutschen  nicht. 

5.  baekbord,  steuerbord 
—  'linke,  rechte  seite  des  schiff  es'.  Die  begriffe  'links'  und 
'rechts1  werden  mit  Vorliebe  durch  concretere  bezeichnungen 
ersetzt,  die  gewöhnlich  sehr  gut  gewählt  sind.  Warum  da* 
rechte  wagenpferd  handpferd,  das  linke  sattelpferd  heisst,  be- 
greift man  sofort:  wenn  der  kutscher  reitet,  so  legt  er  den 
sattel  stets  auf  das  pferd  zur  linken,  um  den  andern  gaul  mit 


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KL.  BEITRÄGE  ZUK  DEUTSCHEN  WORTFORSCHUNG.  225 


der  rechten  band  regieren  zu  können.  Schwerer  ist  es  zu 
verstehen,  warum  unsere  seeleute  die  obigen  bezeichnungen 
gewählt  haben,  und  sie  selbst  wissen  keinen  grund  dafür  an- 
zugeben. 

Fragen  wir  unsere  Wörterbücher  um  rat,  so  suchen  wir 
steuerbord  vergebens.  Zu  hackbord  bemerkt  Hejrne:  'aus  dem 
niederdeutschen  aufgenommener  Schifferausdruck,  linke  hinter- 
seite  des  schiff  es;  eigentlicli  seite,  die  der  Steuermann  im 
rücken  (niederd.  engl,  back)  hat';  Kluge:  'eig.  der  rand,  die 
seite,  welche  dem  mit  der  rechten  band  das  Steuer  lenkenden 
Steuermann  links  im  rücken  liegt,  die  linke  hinterseite  des 
schiffes';  Paul:  'aus  nl.  bacboord,  linke  hinterseite  des  Schiffes, 
eig.  rand,  der  dem  Steuermann  im  rücken  liegt'. 

Was  die  von  Paul  allein  angenommene  entlehnung  aus 
dem  niederländischen  anlangt,  so  ist  diese  abzulehnen  wegen 
des  hohen  alters  der  betr.  worte,  die,  wie  unten  gezeigt  wird, 
schon  lange  im  gebrauch  waren,  bevor  sich  das  nl.  als  eigne 
spräche  vom  mnd.  ablöste.  Zu  dem  allen  dreien  gemeinsamen 
teil  der  erklärung  ist  zweierlei  zu  bemerken:  erstens  ist  back- 
bord  nicht  die  linke  hinterseite,  sondern  die  ganze  linke  seite 
des  schiffes,  und  zweitens  sitzt  oder  steht  der  Steuermann  gar 
nicht  schräg,  sondern  wie  bekannt  mit  dem  gesiebt  nach  vorn. 

Für  das  von  mir  behauptete  hohe  alter  der  beiden  worte 
spricht  zunächst  ihre  weite  Verbreitung  in  den  heutigen  germ. 
und  rom.  sprachen,  die  aus  folgender  Zusammenstellung  her- 
vorgeht: 

nl.        bakboord  —  xtuurboord 
dän.      bagbord  —  styrbord 
8ch\ved.  babord  —  styrbord 
engl.         —         starboard  * 
franz.     babord  —  tribord 
span.      babor  —  estribor 
portug.  babordo  —  estibordo 
it.         babordo  —  tribordo. 

Die  reihe  ist  vollständig  bis  auf  das  englische,  in  dem  heute 
nur  das  zweite  der  beiden  worte  fortlebt,  aber  grade  hier  tritt 
das  angelsächsische  mit  bcecbord  und  steorbord  in  die  lücke 
und  beweist  uns  zugleich,  dass  beide  Wörter  schon  vor  einem 
jahrtausend  auf  germanischen  meeren  in  gebrauch  waren.  Auf 
noch  höheres  alter  weist  die  form  der  entlehnung  in  den 

Beitrag    zur  tfetcblckte  der  deutschen  spräche.    XXIII.  15 


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226 


LI  KHK  II 


romanisclien  sprachen,  da  tribord  etc.  sich  nur  aus  einer  nicht 
überlieferten,  aber  auch  für  das  germanische  vorauszusetzenden 
älteren  form  *stiuribord  oder  *styribord  befriedigend  herleiten 
lassen,  unter  Verschiebung  des  accentes  auf  das  zweite  glied 
der  Zusammensetzung.  Damit  sind  wir  schon  bis  in  die 
wikingerzeit  gelangt,  und  wenn  wir  deren  reste  betrachten, 
so  löst  sich  das  rätsei  in  überraschender  weise:  sowol  das  alt- 
sächsische boot  in  Kiel  (zeit  2. — 4.  jh.  n.  Chr.)  als  das  wikinger- 
schiff in  Christiania  (aus  dem  9.  jh.)  haben  das  Steuer  nicht 
wie  unsere  heutigen  schiffe  am  hinterste ven,  sondern  an  der 
rechten  seite.  und  dieselbe  construction  zeigen  sehr  alte  dar- 
stellungen  von  schiffen  in  Skandinavien  (vgl.  Boehmer,  Pre- 
historic  naval  architecture.  Smithsonian  report  1891,  fig.  112 
— 115).  Das  steiler  hieng  freischwebend  in  einem  lederringe 
und  musste  mit  beiden  händen  geführt  werden,  wodurch  der 
Steuermann  genötigt  war,  so  zu  sitzen,  dass  er  der  linken 
seite  des  schiffes  den  rücken  zukehrte.  Für  ihn  konnte  es 
also  keine  näher  liegende  bezeichnungsart  der  beiden  Seiten 
geben,  und  da  die  ämter  des  Steuermanns  und  capitäns  ur- 
sprünglich wol  in  einer  person  vereinigt  waren,  so  teilten  sich 
durch  seine  commandos  diese  namen  auch  der  übrigen  mann- 
schaft  mit.  Die  einmal  eingeführten  bezeichnungen  aber 
pflanzten  sich  von  einer  generation  auf  die  andere  fort  and 
überdauern  die  einrichtung,  der  sie  ihren  Ursprung  verdanken.1) 

6.  bugsirren, 

nl.  boegseeren,  ist  nicht  eine  verdunkelte  Zusammensetzung  mit 
bug,  wie  Heyne  vermutet,  sondern  entlehnt  aus  portug.  ptuan 
•ziehen,  schleppen1  (Klnyver,  Tijdsehr.  v.  ned.  taal-  en  letterk. 
13  (1894),  158.  Da  dieses  selbst  aber  -  lat,  pulsart  ist,  so  ist 
bugsieren  am  nächsten  mit  unserem  puls  verwant. 

7.  drüse,  drusc  f. 
Kluge  unterscheidet  (ebenso  Heyne  und  Paul): 
druse*  'verwittertes  erz',  nur  nhd.;  dunkler  abkunft; 

I1)  Vgl.  hierzu  jetzt  auch  Reinh.  Werner.  Gfltt.  gel.  auz.  1897.  3«1  (vom 
28.  mai  1897):  'der  name  steuerbord  für  die  rechte  seite  de«  schiffe*  dürfte 
mit  jrrösster  Wahrscheinlichkeit  wol  daher  stammen,  das*  alle  antiken 
schiffe  bis  zu  der  flotte  Wilhelms  des  eroberers  das  Steuerruder  an  der 
rechten  seite  des  schiffes  aufgehängt  hatten E.  S.j 


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KL.  BEITRAGE  ZUR  DEUTSCHEN  WORTFORSCHUNG.  227 

druse'1  'eine  krankheit  des  pferdes',  nhd.;  identisch  mit  drüse, 
druse  aus  mhd.  drüese,  druose  (daher  nhd.  die  nebenform  druse2, 
nur  mit  specialisierter  bedeutung). 

Die  doppelformen  driisc  —  druse,  mhd.  driiese  —  druose, 
sind  nur  mundartliche  doubletten  wie  säule  und  saule,  und 
zwar  ist  die  form  mit  umlaut  oberdeutsch,  die  ohne  umlaut 
mitteldeutsch  (vgl.  Weinhold,  Mhd.  gramm.2  s.  140).  Noch  heute 
sind  drüse  und  druse  begrifflich  nicht  überall  geschieden;  im 
allgemeinen  spricht  man  von  drusen  als  krankheit  bei  den 
pferden,  von  driisen  bei  den  menschen  (in  beiden  fällen  han- 
delt es  sich  um  eine  Schwellung  der  lymphdrüsen);  doch  hörte 
ich  in  der  Niederlausitz  auch  die  skrofelkrankheit  der  kinder 
als  drusen  bezeichnen. 

Als  grundbegriff  des  Wortes  ergibt  sich  aus  den  ahd.  und 
mhd.  belegen:  ansch wellung  am  körper,  gewöhnlich  krank- 
hafter art,  mit  flüssigem  inhalt.  Heute  bezeichnen  die  ana- 
tomen  als  driise  alle  sackartigen  secernierenden  ausbuchtungen 
im  tierischea  körper  und  sprechen  nicht  nur  von  lymphdrüsen, 
Speicheldrüsen,  tränendriisen,  sondern  fassen  selbst  die  leber, 
die  milz,  die  lunge  als  grosse  drüsen  auf  (vgl.  Ranke,  Der 
mensch  1  \  42).  Die  botaniker  sprechen  von  drüsenhaaren,  haaren 
mit  kolbig  erweiterter  spitze,  die  eine  flüssigkeit  ausscheiden, 
wie  beim  Sonnentau  (drosera),  aber  auch  von  drüsenschuppen, 
driisenzotten  etc.  Unter  diesen  umständen  scheint  es  mir  nicht 
gerechtfertigt,  druse  im  mineralogischen  sinne  für  ein  anderes 
wort  anzusehen,  zumal  die  definition  'verwittertes  erz'  sehr 
unzulänglich  ist:  drusen  sind  blase nf örmige  h ohlräume  in 
plutonischen  gesteinen,  die  gewöhnlich  reichlich  krystalle  ent- 
halten. Die  wähl  der  namensform  ohne  umlaut  erklärt  sich 
zur  genüge  daraus,  dass  die  deutschen  mittelgebirge,  in  denen 
sich  der  bergbau  entwickelte,  im  bereich  der  mitteldeutschen 
mundarten  liegen. 

8.  kiel*  m.  (Kluge). 
Als  älteste  überlieferte  form  führen  die  Wörterbücher  and. 
und  ahd.  kiol  auf,  während  Kluge  als  mutmassliche  altgerma- 
nische form  *kiula-  ansetzt.  Diese  von  ihm  auf  grund  der 
lautgesetze  erschlossene  form  ist  aber  überliefert  und  das 
Sternchen  daher  zu  streichen.  Vgl.  Gildas  ed.  San-Marte  (1844) 

15* 


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228 


LIEBICH 


s.  132:  qualiter  gern  Scuronica  cum  tribus  kyulis  Britanniam 
appulerit;  ebda.  s.  151  (—  Mommsen  s.  38):  tribus,  ut  lingua 
(jus  (i.  e.  Saxonis)  exprimitur,  cyulis,  nostra  lingua  longis 
navibus  (die  zweite  stelle  schon  bei  Ducange  unter  ceola);  vgl. 
femer  die  entsprechende  stelle  bei  Nennius  ed.  San-Marte  s.  47 
(=  Mommsen  s.  171):  interea  venerunt  tres  ciulae  a  Germania 
expulsae  in  exilio  u.  s.  w.  Eine  noch  ältere  lautstufe  liegt  vor 
in  finnisch  keula  Steven'. 

0.  lügen  und  trügen. 
Von  23  starken  verben  der  w-reihe,  die  Wilmanns  fürs 
nhd.  aufzählt,  zeigen  nur  diese  beiden  im  praesens  ü  gegenüber 
dem  ie  von  bieten,  biegen  u. s.w.  Fragen  wir,  wie  das  ge- 
kommen ist,  so  lautet  die  antwort  für  trügen:  i durch  anleh- 
nung  an  trug  und  an  lügen,  womit  es  oft  formelhaft  verbunden 
wird'  (Paul);  für  lügen:  4 durch  anlehnung  an  lug  und  lüge\ 
Beides  ist  zweifellos  richtig:  aus  den  historischen  angaben  bei 
Heyne  erfahren  wir,  dass  lügen  für  liegen  schon  im  17.  jh. 
emporkommt,  um  1770  allgemein  angenommen  ist.  während 
trügen  noch  von  Adelung  zurückgewiesen  und  erst  von  Campe 
(1707)  durchgeführt  wird.  Der  process  ist  also  von  lügen 
ausgegangen.  Auch  die  anlehnung  an  lug,  lüge  liegt  auf  der 
band,  und  es  bleibt  nur  noch  die  frage  offen,  warum  die  gleiche 
erscheinung  sich  nicht  auch  bei  anderen  verben  dieser  klasse 
gezeigt  hat  ,  warum  man  z.  b.  nicht  auch  nach  flug  * 'fingen 
und  nach  Schub  *schüben  bildet. 

Ich  denke  mir  den  hergang  folgendermassen:  durch  das 
monophthongierungsgesetz  wurde  aus  mhd.  liegen  Ilgen,  durch 
das  nhd.  dehnungsgesetz  aus  mhd.  ligen  'jacere'  ebenfalls  Ilgen. 
Es  trafen  also  von  verschiedenen  Seiten  kommend  gewisser- 
massen  zwei  parteien  auf  einem  punkte  zusammen,  und  es 
begann  ein  kämpf,  der  wie  überall  mit  der  Verdrängung  des 
schwächeren  teiles  endete.  Ilgen  'mentiri'  war  schwächer,  weil 
Ilgen  'jacere'  nicht  nur  selbst  häufiger  gebraucht,  sondern  auch 
durch  eine  zahlreiche  verwantschaft  (läge,  lager,  legen  etc.) 
gehalten  wurde.  Bei  diesem  kämpfe  gieng  das  praesens  von 
ligen  'mentiri'  fast  zu  gründe;  am  längsten  hielten  sich  noch 
die  formen  du  leugst,  er  leugt,  die  mit  den  entsprechenden  von 
Ilgen  '  jacere'  lautlich  nicht  zusammenfallen:  Lessing  gebraucht 


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KL.  BEITRÄGE  ZUR  DEUTSCHEN  WORTFORSCHUNG.  220 


noch  gelegentlich  und  im  schlesischen  gebirge  kann  man 
heut«  noch  hören.  Sonst  kam  an  seiner  stelle  eine  jüngere 
bildung  auf,  die  auch  von  der  alten  wurzel  abstammte  und 

veränderten  Verhältnissen  besser  angepasst  war. 

Ist  diese  erklärung  richtig,  so  liefert  sie  uns  den  Schlüssel 
das  Verständnis  einer  ganzen  reihe  ähnlicher  fälle.  Es  ver- 
t  jedenfalls  beachtung,  dass  wir  so  oft,  wo  wir  ein  wort 
inbar  ohne  grund  absterben  sehen,  ein  anderes  gleich- 
endes nachweisen  können,  das  ihm  überlegene  concurrenz 
aachen  scheint.  Hier  noch  einige  beispiele: 
aue  'schafmutter',  indog.  ovis,  zurückgehend  neben  aue 
serland'; 

ahd.  pilidüri  'bilder',  noch  in  Schillers  glocke  gebraucht, 
i  etwa  noch  in  Zusammensetzungen  wie  essigbilder,  sah- 
sonst  gewichen  vor  bildner,  mhd.  bildendere,  da  jenes  im 
mit  der  mehrzahl  von  bild  zusammenfällt; 
mkell)  'fussknöchel'  und  enkel2)  'kindeskind'  schliessen 
in  der  mundartlichen  Verbreitung  gegenseitig  aus  (vgl. 

0; 

•ot,  filhan,  ahd.  felahan,  heute  noch  in  befehlen,  empfehlen, 
it  als  simplex  gewichen  zu  sein  vor  dem  im  mhd.  ein- 
ngenen  fehlen  =  fr.  faillir\ 

ciscl  f.  ist  in  den  östlichen  mundarten  verdrängt  durch 
ivische  peitsdie,  vielleicht  wegen  geisel  'kriegsgefangener'. 
irm  geissei,  historisch  unberechtigt,  würde  dann  einen 
1  differenzierungsversuch  darstellen.  Dagegen  scheint 
f.  auf  das  geschlecht  von  geisel  'kriegsgefangener'  störend 
gewirkt  zu  haben,  das  im  ahd.  und  mhd.  nur  m.  oder  n., 
r.  ist; 

lid.  giht  'geständnis',  gichtig  'geständig'  (bis  ins  17.  jh.), 
gangen  wegen  gicht  'arthritis',  gichtig  'paralytieus'; 
us  4 schutt'  hat  die  eigentlich  hd.  form  grauss  nahezu  ver- 
weil dieses  mit  graus  4 schreck'  lautlich  zusammenfällt; 
iber,  der  gemeineurop.  name  des  Ziegenbocks,  an.  hafr, 
er,  gr.  x/tJiQOG,  neben  haber,  hufer  'avena';  nhd.  noch  in 
i&s,  n.  einer  schnepfenart,  die  zur  begattungszeit  einen 
nden  ton  liören  lässt,  huberbari  'tragopogon.  geissbart', 
ilehe  'prunus  insititia,  bocksschlehe'  (nach  der  bock- 
iii liehen  gestalt  der  früchte)  u.  a.; 


230 


MBB1CR, 


warum  hat  bei  hart  'durus'  die  adverbiale  form  die  adjec- 
tivisehe  (mhd.  herte)  verdrängt,  im  gegensatz  zu  fest,  schön, 
süss  iL  a.?  Zwei  umstände  dürften  damit  in  Zusammenhang 
stehen:  einerseits  die  besondere  Verwendung  der  adverbia  fast, 
schon,  andererseits  dass  als  abstractum  dort  nur  härte  in  ge- 
brauch ist,  während  hier  in  nicht  gehobener  rede  nur  fest  ig- 
hcit,  Schönheit,  süssigheit  gebraucht  werden; 

and.  mhd.  hunt  'centum'  neben  hunt  'canis';  neben  jenem 
kommt  am  ende  der  ahd.  zeit  das  compositum  hundert  auf. 
das  heute  allein  den  platz  behauptet  ; 

heller  'cellarius'  verdrängt  durch  Kellner  'cellenarius\  zur 
Unterscheidung  von  heller  'cellarinu';  bei  letzterem  schon  im 
ahd.  geschlecht s Wechsel  (vgl.  geisel); 

nhd.  hissen  n.  gegen  mhd.  hüssen,  nl.  küssen  aus  mlat. 
cussinus.  Das  mundartliche  t  für  ü  hat  in  die  hochsprach e 
eingang  gefunden,  weil  man  dadurch  eine  Unterscheidung  von 
dem  verbum  hüssen  'oscularf  gewann; 

lechen  'mit  dem  fuss  ausschlagen'  bei  Luther  neben  lecken 
'lambere';  die  im  vorigen  jh.  eingeführte  Schreibung  mit  un- 
organischem ö  ist  für  die  erhaltung  ohne  einfluss  geblieben. 
Ein  drittes  lechen  'undicht  werden'  ist  nur  nd.; 

mhd.  Ut,  im  nhd.  durch  glied  ersetzt,  weil  hier  mit  mhd. 
lief  '  zusammenfallend ; 

ahd.  mund  f.  'band'  neben  mund  m.  'mund',  nhd.  nnr  noch 
in  mündig,  mündet,  rormund,  mund  tut;  keine  von  diesen  bil- 
dungen  hat  eine  entsprechende  von  dem  m.  mund  neben  sich: 

säule  •ahle',  nhd.  noch  in  pinsel2)  (vgl.  den  nach  weis  bei 
Heyne)  und  in  mundarten,  aber  zurückgehend,  neben  säule 
'columna'; 

*i räche  (engl,  drahe)  'männliche  ente'.  nur  noch  in  entrieh 
ahd.  antrchho  für  anut-trehho,  neben  drachc,  ahd.  tratiho, 
aus  gr.  ÖQäxwr;  im  engl.,  wo  letzteres  dragon  lautet,  fällt 
diese  concurrenz  weg; 

ahd.  tvdian  'kämpfen'  neben  wlhan  •weihen',  nhd.  nur  noch 
in  getceihy  tceigand,  weigern  und  vielen  eigennamen. 

Man  wird  nun  vielleicht  einwenden,  dass  es  noch  heute 
homonyme  gibt,  die  ruhig  neben  einander  fortbestehen,  ohne 
dass  eines  von  ihnen  spuren  des  Verfalls  zeigte,  wie  malen 
und  mahlen,  weide  'futter'  und  weide  'salix'.    Ich  glaube,  dass 


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KL.  BEITRÄGE  ZUR  DEUTSCHEN  WORTFORSCHUNG.  231 


i  dieser  einwand  durch  die  betrachtung  entkräften  lässt, 
s  in  einer  lebenden  spräche  ebensowenig  als  in  der  natur 

bewegung  zum  abschluss  gekommen  ist.  Auch  handelt  es 
i  hier  nicht  um  einfache,  gleichmäßige  Vorgänge,  sondern 

das  zusammenwirken  mehrerer  factoren,  die  für  jeden  fall 

verschiedenem  werte  sind,  häufigkeit  des  gebrauchs,  vor- 
rl ensein  eines  ersatzes  u.  a.  So  bildet  mau  ein  nomen 
ltis  auf  -er 'nur  von  mahn,  nicht  von  mahlen,  weil  sich 

das  fremdwort  molinarius  —  müller  als  ersatz  bot.  Auch 
Unterscheidbarkeit  durch  die  schritt  wird  einen  gewissen 
ervierenden  einfluss  ausüben. 

So  einschneidende  lautgesetze,  wie  sie  den  Übergang  vom 
zum  nhd.  kennzeichnen,  haben  für  tausende  von  Wörtern 
Verhältnisse  geschaffen,  die  die  spräche  seither  in  stiller 
it  mit  einander  in  einklang  zu  setzen  sucht.   Neu  auf- 
mmene  Wörter,  aus  den  mundarten  wie  aus  der  fremde, 
len  ständig  am  Wettbewerb  teil,  verursachen  aber  nur 
ere  Störungen.    Tnd  noch  ehe  die  nivellierenden  und  aus- 
len  kräfte  ihr  werk  beendet  haben,  werden  neue  laut- 
ze  neue  revolutionen  bewirken,  worauf  dann  das  alte  spiel 
orn  beginnen  wird. 

Natürlich  beruht  die  erseheinung  nicht  auf  einem  mysti- 
.  selbständigen  leben  der  spräche.  Diese  ist  nur  das 
e  abbild  des  denkeus,  das  selbst  nur  eine  function  der 
blichen  seele  ist.  Vielmehr  werden  wir  den  grund  in 
mehr  oder  weniger  unbewussten  auslese  von  seiten  des 
enden  zu  suchen  haben.  Dieser  wünscht  in  erster  linie 
nden  zu  werden,  und  wenn  er  die  wähl  hat  zwischen 
tusdrüeken,  so  wird  er  den  bevorzugen,  der  bei  dem 
i  sicher  den  gewünschten  begriff  hervorruft  und  keine 
rage  zur  folge  hat.  Aber  es  ist  doch  von  hohem  inter- 
1  beobachten,  wie  sich  selbst  in  diesen  äusseren  abbildern 
en  gesetze  widerspiegeln,  denen  alles  lebende  ohne  aus- 
unterworfen ist. 

iESLAU,  16.  mai  1897.  B.  LIEBICH. 

>  vervollständigt  am  17.  dec.) 


ZUR  ALT  WESTFRIESISCHEN  LEXIKOLOGIE. 


Siebs  hat  im  Literatnrblatt  für  germ.  und  rom.  phil.  1897. 
s.  219  ff.  einigen  in  meiner  schritt  Zur  lexikologie  des  altwest- 
f riesischen  vorgeschlagenen  fassungen  eine  abweichende  deutung 
gegenüber  gestellt.')  Ob  mit  recht  oder  unrecht,  möchte  ich 
hier  in  der  kürze  untersuchen. 

S.  weist  für  statt  regelrechtes  tvrhW  stehendes  urhtftten 
'berüchtigt'  auf  nwfries.  bretn  'gebraten'  hin,  eine  compromiss- 
bildung  aus  regelrechtem  *breden  (nwfries.  brudn)  und  nach 
analogie  von  *blft  etc.  (p.  praet,  zu  bUda  'bluten'  etc.)  gebil- 
detem *brH  (nwfries.  bret);  es  sei  in  ähnlicher  weise  auch 
-Mitten  entstanden  aus  -hUt  und  nach  analogie  von  *breden 
etc.  (p.  praet.  zu  *hr?da  'braten'  etc.)  gebildetem  *-hledcn  (nwfries. 
hludn).  Diese  fassung  ist  gewis  plausibler  zu  nennen  als  die 
von  mir  vorgeschlagene:  wrhWtten  für  wrhUt  durch  einfluss 
von  *irrhlrdcn  gravatus.  —  Nach  S.  soll  herne  in  Hueerso  ecn 
tvedue  manneth  and  se  da  bem  to  baclmond  sette,  so  nyme  hio 
dat  herne  and  dal  laepldnd  häljf  witha  bem  nicht  subst.  = 
'ernte',  sondern  pron.  poss.  fem.  sein  ('so  nehme  sie  das  ihrige*) 
und  das  bv  der  parallelstellen  nicht  'ernte'  (=  as.  beo).  son- 
dern 'unbewegliche  habe'  (=  ags.  ba  'wohuung')  bedeuten 
(dass  Zur  lexik.  s.  5  z.  13  Umbewegliche  habe'  druckfehler  ist 
für  'bewegliche  habe',  leuchtet  dem  leser  des  artikels  Be  so- 
fort ein).  Er  vergisst  dabei:  1.  dass  kerne,  das  (nicht  öfters, 
wie  S.  behauptet,  sondern  nur  einmal)  im  ms.  Roorda  bezeugt 
ist,  an  der  belegstelh*  als  acc.  sg.  masc.  steht  (dat  di  fader 
aeyh  syne  dochter  neen  män  to  jaen  irr  herne  icilla),  also  -nt 

')  Nach  anlas*  von  Siebs'  bedauern,  dass  Zur  lexikologie  an  nicht  leicht 
zugänglichem  orte  erschienen  sei,  bemerke  ich,  dass  alle  die  im  auftrage 
der  Koninklijke  akademie  van  wetensehappen  erseheinenden  werke  im 
handel  sind. 


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ZITU  AT /TW  EST  FR!  KS.  1.KXIK0L00IK. 


als  suffix  des  erwähnten  casus  enthält  (vgl.  auch  hirres  erwen- 
schips  Ag')160,  om  herre  bedc  wille  Ag.  104,  hiärer  sted  gen. 
8ch  772,  etc.);  2.  dass  bc  als  'unbewegliche  habe'  sich  an  den 
belegstellen  nicht  mit  der  Zur  lex.  s.  5  ausdrücklich  hervor- 
gehobenen rechtsregel  reimen  Hesse.  —  Biferdia  wäre,  wie  S. 
meint,  schon  von  v.  Richthofen,  Wb.  750  richtig  als  'fredus 
zahlen'  erklärt.  Aus  der  Verwendung  des  Wortes  an  der  frag- 
lichen stelle  Als  dy  frucht  (die  durch  ein  tier  beschädigte 
feldfrucht)  byferdeth  tvirth  myt  acht  ponden  fan  dis  riüchtes 
wegena,  d.  h.  aus  den  hinzugefügten  Worten  fan  dis  riüehtes 
wegena  ergibt  sich  jedoch  zur  genüge,  dass  hier  nur  eine 
Übersetzung  durch  'mit  fredus  belegen'  am  platze  ist.  —  Mit 
berewed  schip  soll  nach  S.'s  ansieht  vielleicht  'ein  aufgetakeltes, 
fahrt  bereites  schiff'  gemeint  sein,  indem  das  p.  p.  mit  plattd. 
bereven,  ndl.  reef  in  Zusammenhang  stände.  Die  bedeutung 
von  reef  'Vorrichtung  zur  Verkürzung  des  segels'  spricht  in- 
dessen keineswegs  zu  gunsten  solcher  annähme:  und  dass 
übrigens  berewed  schip  'mit  waaren  geladenes  schiff'  und 
nichts  anderes  bedeutet,  geht  ganz  klar  aus  der  betreffenden 
belegstelle  hervor:  Hivaeso  fuert  ti  ene  bireteeda  schipe  .  .  . 
aldcer  di  män  leyt  omme  ribchta  ncringha  ende  nimth 
htm  zyn  goed  of}  deer  hi  sculde  zyn  lyf  fan  feda  etc.  — 
Formen  wie  westfries.  bedlc  neben  bidle,  bedlinze  F  neben  bir- 
lenze,  bimze  lassen  bei  S.  [der  auch  eine  Schreibung  (?)  wie 
iccrnsdei  für  *tvedcnesdei  vergleicht]  keinen  zweifei  aufkommen 
an  der  Verbindung  von  birlenze,  bimze  'aussteuer'  mit  ttlbedla 
'aussteuern*.  Wie  lautet  aber,  möchte  man  fragen,  ein  hierher 
gehöriges  gesetz  für  r  aus  d  vor  l?  Wie  Hesse  sich  diese 
lautent Wickelung  gegenüber  der  sonstigen  erhalt  ung  von  d 
vor  l  erklären?  Die  von  S.  ins  feld  geführten  saterl.  beUin 
aus  bern,  badnp  aus  *bamia  (?)  können  hier  ja  schwerlich 
dienen.  Und  ausserdem  sollte  das  auf  assibilierung  hinweisende 
z  von  birlcnze,  bimze  ausdrücklich  vor  dei*  annähme  einer  form 
mit  (i-  bez.  j-losem)  suffix  inga  warnen.  —  Für  dretve  in  ief 
hi  sine  bannenu  wey  naet  icirtza  (reparieren)  neUe  ende  Uyt 
drewe  Ute  teer  ende  dey  will  S.  statt  an.  drei  fr  'zerstreut' 
as.  dröbi  heranziehen  und  beruft  sich  dabei  auf  nwestfläm. 

l)  Wegen  der  hier  verwauten  sigelu  s.  Beitr.  Ii»,  345  aum. 


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234 


VAN  HELTE* 


droere  kost,  droef  werk,  eenc  drocve  woniny,  een  drocf  huis  mit 
drocf  'elend*  (man  vgl.  auch  mnl.  droeve  Unglückselig,  elend'). 
Liegt  es  aber  nicht  näher,  für  unsere  stelle  an  einen  'lockeren, 
unfesten'  als  an  einen  'elenden'  weg  zu  denken?  —  Für  dzie 
oder  dzie  'ja'  glaubt  8.  (der  die  quantität  des  vocals  unent- 
schieden läset)  an  die  möglichkeit  einer  entstehung  aus  jeje 
oder  aus  t  (aus  thet)  +  sie  'sei'  oder  skie  'geschehe'  oder  aus 
je  +  sie  bez.  skie;  ent Wickelung  von  dzie  aus  dz  (für  des  gen. 
sg.  ntr.  des  dem.)  und  je  lehnt  er  ab  mit  rücksicht  auf  die 
Schreibung  dzye  (Jurispr.  Fris.  63, 7),  deren  y  auf  eine  compo- 
sition  mit  sie  oder  skie  als  zweitem  element  hinweisen  soll. 
Hier  drängen  sich  uns  eine  reihe  fragen  auf.  Was  berechtigt 
zur  annähme  eines  in  folge  starker  aspiration  aus  j  entstan- 
denen dzj?   Wie  soll  die  Schreibung  dzye  auf  eine  ausspräche 
dzye  hinweisen,  wo  doch  bekanntlich  in  der  hs.  der  Jurispr. 
y  auf  schritt  und  tritt  als  zeichen  für  unsilbischen  halbvocal 
begegnet  (vgl.  blyiiiva,  dryüwen,  foerlyoest,  foerlyCsi,  byftla, 
syaende,  syücht,  hyaere  etc.  etc.)?    Wie  wäre  wol  die  ansetzung 
von  optativformen  sie,  skie  statt  der  unzweideutig  durch  die 
tatsachen  erwiesenen  tjfa  skie  zu  begründen?   Wie  Hesse  sich 
in  eventuellem,  aus  t  -f  sie  oder  skie  hervorgegangenem  dzie 
der  stimmhafte  anlaut  begreifen?   Kurzum  keine  von  Siebs" 
möglichkeiten  ist  aus  phonetischen  gründen  für  möglich  zu 
halten.    Hingegen  ist  die  (durch  mnl.  jaes,  s.  Mnl.  wb.  3, 975  f.. 
gestützte)  deutung  aus  des -{-je  lautgesetzlich  unanfechtbar. 

—  Das  nomen  eederseip  vergleicht  S.  nicht  mit  an.  (extra, 
sondern  mit  ahd.  atar  'sagax.  celer'  und  erklärt  es  als  'un- 
gestüm, fahrlässigkeit';  die  von  mir  vorgeschlagene  (und  be- 
gründete) Übersetzung  durch  'furcht'  soll  keinen  sinn  geben. 
Für  die  letztere  behauptung  vermisst  man  eine  begründung; 
für  die  erstere  wäre  deutung  der  sonderbaren  begriffsentwicke- 
lung  ('scharf sinnig'  :  'ungestüm' :  'fahrlässig')  erwünscht  — 
l'nrichtig  ist  ferner  Siebs'  behauptung,  dass  die  erklärung  von 
awfries.  gare  schon  in  Schiller-Lübbens  Wb.  2, 13  gegeben  sei. 

—  Für  gette  'machte  übereinstimmend'  setzt  Siebs  nicht  ein 
erschlossenes  *gedda  (zu  ahd.  gvgat  '  übereinstimmend')  au. 
sondern  ein  mit  ahd.  guaten,  mhd.  güeten  zu  vergleichendes 
*geda  aus  *gödjan  (einem  factitiv  zu  yadia).  Mit  welchem 
recht?    Doch  wol  nicht  auf  grund  von  ahd.  giguatm  {sih) 


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ZUR  A LT VV E ST FK I KS.  LEXIKOLOGIE. 


235 


'sicli  als  gut  bewähren',  mhd.  giieten  'gut  machen,  als  gut  er- 
weisen' etc.?  —  Für  to,  te  uctande  'eidlich  zu  beanspruchen, 
gerichtlich  zu  entscheiden'  beansprucht  8.  eine  herkunft  aus 
waitjan  (wol  causativ  zu  w'itan  'strafen',  vgl.  Heck,  Die  alt- 
friesische gerichtsverfassung  s.  427).  Wenn  aber  to,  te  wetandc 
gleichbedeutend  ist  mit  dem  praeteritopraes.  wita,  -andc  etc. 
'eidlich  beanspruchen,  gerichtlich  entscheiden  u.  s.  w.'  (s.  Zur 
lexik.  s.  24  anm.  2)  und  der  Wechsel  von  e  und  i  hier  auch 
grade  keine  Schwierigkeit  bietet,  so  dürfte  es  wol  geboten  sein, 
wetandc  mit  witande  etc.  zu  identificieren,  zumal  wo  die  be- 
deutungen ''eidlich  beanspruchen,  gerichtlich  entscheiden'  sich 
nicht  so  leicht  mit  einer  gedachtem  waitjan  eventuell  beizu- 
messenden factitiven  bedeutung  in  einklang  bringen  Hessen. 
—  Ob  die  meinung,  dass  für  regelrechtes  gumead  in  folge  einer 
durch  quäd  veranlassten  accentverschiebung  gelegentlich  eine 
ausspräche  guc^d  eingetreten  wäre,  so  sonderbar  ist,  dass  sich 
nach  S.  wol  schwerlich  jemand  dazu  bekehren  möchte,  sei  dem 
urteil  anderer  überlassen.  Sicher  ist  es,  dass  8.,  als  er  die 
worte  lGweed  ist  statt  des  häufigen  gued  (vgl.  fuet  'fuss')  nur 
in  Ro  bezeugt  und  darf  durch  Unkenntnis  des  Schreibers  er- 
klärt werden'  niederschrieb,  weder  genügend  das  überaus 
häufige  ue  von  gued  gegenüber  sonstigem  nur  selten  mit  ue 
oder  u(it)  wechselndem  o  (oo)  oder  oe  für  aus  germ.  o  ent- 
wickelten laut  (vgl.  Beitr.  19. 397  anm.)  beachtet,  noch  auch 
der  tatsache  rechnung  getragen  hat,  dass,  indem  w  -f  Wort- 
zeichen eine  gewöhnliche  awfries.  Schreibung  ist  für  diphthong 
mit  unsilbischem  u  als  erstem  element,  das  häufige  gwe(e)d 
unbedingt  auf  einen  diphthong  mit  solchem  componenten  hin- 
weist. —  Die  fassung  von  clesie  (-cliszie)  als  -brutzeit'  soll 
nach  S.  sachlich  unmöglich  sein,  weil  an  der  betreffenden 
belegstelle  die  erwähnung  eines  festen  termins  erforderlich 
wäre.  Man  beachte  jedoch,  dass  aus  der  am  schluss  des 
artikels  clesie  citierten  bestimmung  ausdrücklich  die  not- 
wendigkeit  hervorgeht,  in  dem  ausdruck  die  bezeichnung  eines 
ungefähren  termins  zu  erblicken.  Wenn  S.  sich  aber  unter 
berufung  von  thet  l'ulsc  des  Apographons  gegen  die  anknüpt'ung 
von  clesie,  thocliszic  an  an.  klekja  'eier  legen,  brüten*  ausspricht 
und  meint,  jenes  ds  weise  eher  auf  assibilierung  der  media 
als  der  tenuis  hin,  so  sei  bemerkt,  dass  eine  offenbar  verderbte 


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236         TAN  HELTEN.  ZUR  ALTWESTFRIES.  LEXIKOLOGIE. 


lesart  hier  schwerlich  ins  gewicht  fallen  kann.  —  Das  ej»i- 
theton  des  septuagesima-sonntags  sangwyand,  dem  die  bedeutung 
'den  sang  sistierend'  beizumessen  ist  (s.  Zur  lexik.  s.  40),  habe 
ich  in  sangswyand  'den  sang  zum  schweigen  bringend'  ge- 
ändert: S.  erachtet  diese  einschaltung  von  s  eine  'sehr  gewalt- 
same' änderung  und  glaubt,  dieselbe  hätte  sich  dadurch  ver- 
meiden lassen,  dass  ein  afries.  *wia  'conficere'  =  mhd.  tctften 
angenommen  wäre.    \Yas  wäre  hier  aber  mit  einem  verbum 
anzufangen,  das  nach  mhd.  erwihen  'erschöpfen,  schwächen' 
bedeuten  miisste?  —  Für  wängcde  in  Htceerso  een  wyff  her  kpnd 
myt  wänhoed  off'  myt  wängcde  ...  naet  habbe  bywareth  will 
S.  die  bedeutung  'Schlechtigkeit'  gelten  lassen;  ob  hier  aber 
neben  fahrlässigkeit  (wänhoed)  Schlechtigkeit  als  factor  für 
mangelhaften  schütz  am  platze  wäre,  dürfte  fraglich  sein. 
Wenn  das  subst.  wirklich  auf  *-gödi  zurückzuführen  ist  (und 
die  berechtigung  dazu  möchte  ich  jetzt  nicht  mehr  bestreiten), 
dann  verdient   wol  eine  Übersetzung  durch  'ungeschicktheit 
(zur  gewährung  des  mütterlichen  Schutzes)'  den  Vorzug.  — 
Für  das  schlusswort  von  alle  da  XL  nachte,  deer  God  mit 
Moyse  uppa  (auf  dem  berg)  bögade  (wohnte)  ende  hem  alle 
riüchte  leerde  ende  wegade  zieht  S.  statt  an.  weigr  'stütze' 
ahd.  wegem  heran.   Diesem  Vorschlag  ist  m.  e.  beizupflichten, 
nicht  aber  indem  man  mit  S.  für  dieses  verb.  eine  bedeutung 
'den  weg  weisen'  annimmt  (Otfr.  1,  7, 26  tÜuu  si,  d.h.  Maria, 
uns  allo  worolti  .s*/  ziru  nunc  wegöntV  steht  st  wegönti  be- 
kanntlich —  'sich  verwende  für'),  sondern  insofern  man  dem 
ahd.  Zeitwort  die  für  das  mini,  belegte  bedeutung  'beistehen' 
neben  bezeugten  'intercedere  (interpellare).  adhinnire'  beilegt. 
—  Zum  Schlüsse  behauptet  S.,  in  Worten  wie  ziele  'seele*.  hälff 
'halb',  riüchl  'recht',  byhöt  'behütet',  wallende  'wallend'  Hessen 
sich  die  längen  nicht  stützen.    Hier  möchte  ich  bitten  Beitr. 
20.  510  f.  zu  beachten  und  die  Schreibungen  haelf  (Zur  lexik. 
s.  \V1\  rjuecht  ( Beitr.  19, 389),  faelle,  fach  'falle'  Ag  102.  160. 
faelt  'fällt*  Sch055.  709.  715,  to  falen  gerund.  Sch  612  zu  be- 
rücksichtigen.   Nur  für  das  p.  p.  zu  bihoedu  wäre  vielleicht 
nach  dem  Beitr.  19, 409  erörterten  byhöt  anzusetzen. 

(iRC)NlN(iFN.  W.  VAN  HELTEN. 


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ZU  BEITR.  22,  543  ff. 


An  dem  angegebenen  orte  sucht  Uhlenbeck  nachzuweisen, 
dass  die  labiovelare  media  aspirata  im  germanischen  anlautend 
durch  w  vertreten  wird,  ausgenommen  vor  u  und  consonanz. 
Ich  würde  es  als  erster  mit  freude  begrüssen,  wenn  es  ihm 
gelungen  wäre,  klarheit  in  die  sache  zu  bringen,  mochte  sich 
auch  meine  ansieht  nicht  bewähren.  Ich  finde  aber  denn  doch, 
dass  auch  nach  Uhlenbeck  von  einer  sicheren  entscheidung, 
zumal  in  seinem  sinne,  noch  keine  rede  ist.  Für  got.  fragildan 
und  aisl.  ged  will  ich  keine  lanze  brechen;  der  Zusammenhang 
des  ersteren  mit  gr.  rtXd-og  ist  wegen  riiog  so  unsicher  wie 
nur  möglich,  und  wenn  jemand  gr.  xo&og  lieber  mit  lit.  bädas 
'hunger'  identifiziert  als  mit  ged,  so  ist  er  nicht  wol  daran  zu 
hindern.  Auch  der  gleichung  mhd.  gampen  :  gr.  d&tfjßovoa 
wohnt  nur  eine  minimale  beweiskraft  inne,  wenn  auch  das 
griechische  wort  gewis  nichts  mit  dttfjßco  zu  tun  hat.  Aber 
aisl.  gandr  und  gondoll  hat  Uhlenbeck  nicht  beseitigt.  Ihr  d 
braucht  kein  suffix  mit  instrumentalbedeutung  zu  sein,  es 
findet  sich  ausser  in  ir.  geinn  'keil',  bret.  genn  'coin  de  bois 
ou  de  fer  pour  fendre  le  bois  ou  la  pierre*,  genna  'faire  entrer 
un  coin  etc.'  (man  erinnere  sich  der  bedeutung,  des  aisl.  ggndoll 
Fritzner  la,  671  und  des  aind.  ähanti  gabhe  pasah  VS.)  in  lat. 
offendo,  ist  also  vermutlich  verbalen  Ursprungs. 

Uhlenbeck  führt  drei  gegenbeispiele  an:  ahd.  warm,  got. 
ivamba,  got.  wöpeis.  Von  diesen  ist  das  älteste,  warm,  auch 
das  beste.  Wenn  man  aus  anderen  beispielen  sicher  wüsste, 
dass  germ.  w  =  anlautendem  gvh  ist,  würde  man  keinen  moment 
zögern,  wann  =  aind.  gharmd-  u.s.w.  zu  setzen.  Selbst  diese 
lautentsprechung  beweisen  kann  es  nicht.  Wir  müssen  stets 
darauf  gefasst  sein,  neben  wurzeln  mit  anlautendem  labiovelar 
solche  mit  v  zu  finden.   Wie  das  kommt,  wissen  wir  noch  nicht, 


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2:58 


ZUlMi'ZA 


die  tatsache  steht  fest.    Derartige  doppelheiten  sind:  aind. 
kr uii-  :  lat.  vcrutis;  gr.  i&tXco,  (f  aZiCti  :  got.  wiljan;  aind.  yä- 
yate  ' singt',   lit.  gedoti,  got.  qainön  :  gr.  aeiöco,  ahd.  tcintiöti. 
ir.  fuid,  kymr.  gwacdd  'schrei';  aengl.  ctcinan  'hinschwinden*, 
aind.  jinäti  'altert'  :  ahd.  stvtnan,  swintan  'schwinden',  abgr. 
-vfnqti,  'Svpiqti  'welken',  lit.  uy.sti;  got.  qijtan  :  kymr.  dyiccdyd 
'sprechen';  lit.  yaliu  'kann',  kymr.  gallaf  :  lat.  valeo;  gr.  jroioz 
'achse',  abg.  kolo  'rad',  okolo  'ringsum',  ir.  timmcJicU  'umkreis"  : 
aind.  vdlutc  'wendet  sich',  ralita-  'gebogen',  valaya-  'annband, 
umkreis',  ir.  fillim  'drehe,  wende',  kymr.  chtvdyd  'wenden* 
(*svel-),  ir.  fail  'ring',  fdl  'zäun';  got.  qairrus  :  kymr.  gtcar 
'sanft';  aengl.  civdan  'sterben',  cwalu  'tod'  :  lit.  tvelys  'ver- 
storbener', aisl.  valr  'leichen  auf  dem  schlachtfelde';  gr.  ifo=6i 
'zugespitzt*  :  ahd.  wahs  u.s.  w.   So  liegt  neben  *y»her-  ein 
*rer-  (lit.  werdu,  abg.  varü),  und  zu  diesem  gehört  vermutlich 
warm  (vgl.  auch  Brugmann  l2,  §  680  anm.).    Ob  man  apr. 
ivarmun,  urminan,  klr.  venujdnyj  'rot'  vergleichen  darf,  ist 
nach  Zubatys  ausführungen  freilich  unsicher;  Welleicht  ist 
aber  Grünaus  warutun  doch  in  Ordnung  und  slav.  rumcnü  'rot' 
nach  Brugmann,  Grundr.  1*  §  279,2  zu  beurteilen,  wodurch 
Zubatys  deutung  hinfällig  würde.    Es  sei  wenigstens  darauf 
hingewiesen,  dass  in  einer  anderen  ableitung  von  *rer-  der 
begriff  'rot*  deutlich  zu  tage  tritt,  ich  meine  kjmr.  gicrido 
'erröten',  wozu  aind.  mdyati  'schämt  sich'  (eigentlich  'wird 
schamrot')  gehören  wird  (es  steht  [halb] prakritisch  für  *rrU-. 
vgl.  padi  =  prati;  anders,  mir  unwahrscheinlich,  Johansson. 
IF.2, 49,  anm.  2). 

Was  got.  ivauiba  betrifft,  so  lässt  sich  kein  grund  bei- 
bringen, weshalb  es  nicht  zu  altkymr.  gumbelauc  'uterus',  bret. 
gwamm  mit  indog.  /;  gehören  sollte.  Aind.  gabhd-  'vulva'  ge- 
hört zu  einer  ganz  anderen  Wortsippe.  Es  wird  im  Peters- 
burger Wörterbuch  richtig  zu  aind.  gdbhasti-  'gabel,  deichsel' 
gestellt,  gehört  somit  des  weiteren  zu  ahd.  gabala,  aengl.  geaful, 
ir.  gabul  'gabel',  kymr.  gafl  'feminum  pars  inferior'.  Ich  ziehe 
ferner  hierher  lit.  gdbals  'verhältnismässig  grosses  stück  fleisch, 
brot  o.  dgl.',  lett.  gabals  'abteilung.  stück'  (Thomsen,  Beroringer 
mellem  de  finske  og  de  baltiske  sprog  73.  170  hält  die  worte 
für  möglicherweise  entlehnt  aus  liv.  kabäl:  sein  grund  [etymo- 
logische isoliertheit]  ist  aber  nicht  stichhaltig),  ir.  yabait  (dual) 


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ZU  HKITK.  22.  543  ff. 


239 


'zwei  stücke'  (häufig  in  kampfschilderungen,  z.b.  Ir.  t.  2,1.  z.962 
co  tarat  bulle  do  chlaidib  do,  co  ndernai  da  gabait  de  'er  ver- 
setzte ihm  einen  schlag  mit  dem  Schwerte,  dass  er  zwei  stücke 
aus  ihm  machte'),  gaibti  pl.  (z.  b.  LL.  72  a  30).  Kin  primäres 
verbum  mit  der  bedeutung  'spalten'  scheint  zu  fehlen. 

So  bleibt  got.  tcöpeis  :  gr.  (pwztov.  Das  letzteres  für 
*<p<6diov  verschrieben  sei,  brauchen  wir  gar  nicht  anzunehmen, 
um  den  von  mir  bevorzugten  vergleich  mit  ir.  bdid  (wol  zu 
unterscheiden  von  air.  bdith,  mir.  bdeth,  nir.  baoth  'einfältig, 
närrisch';  neuir.  wird  das  wort  bdidh  geschrieben,  bä  gesprochen, 
td  bdidh  agam  lat  bedeutet  'ich  habe  dich  lieb')  zu  ermöglichen. 
(fxoxtov  steht  für  *(pcofrtov  wie  qxxxvi]  für  *<p(tfrvT}  (vgl.  xafrvrj), 
es  hat  ein  umspringen  der  aspiration  stattgefunden,  wie  in 
ytxmv  :  xifrcov,  Ogr/xoq  :  TOiy'/oq  u.  s.  w.,  vgl.  G.  Meyer,  Gr. 
gr.  §  209. 

Einreissen  ist  leichter  als  aufbauen.  Die  lehre,  dass  (ßh 
auch  vor  anderen  vocalen  als  m  zu  g  geworden  sei,  stützt  sich 
vorläufig  nur  auf  aisl.  gandr.  Wir  müssen  hier  auf  die  zukunft 
hoffen.  Vor  allen  dingen  wäre  zu  wünschen,  dass  die  be- 
dingungen,  unter  welchen  gh  der  palatalen  und  velaren  reihe 
durch  lat.  /'  vertreten  wird,  völlig  aufgeklärt  würden.  Zweierlei 
steht  fest:  gh  erscheint  als  /'  vor  m  und  m  (ferus,  fundo)  und 
dialektisch  (sab.  fircus,  auch  alat.  folus  u.  s.  w.).  Aber  weshalb 
heisst  es  fei  :  yolrj,  fauces  :  yaoq,  x«€*'o-*?  Vorläufig  können 
wir  daher  die  gleichung  mhd.  garst  :  lat.  fastidium  noch  nicht 
mit  voller  Zuversicht  ins  treffen  führen. 

BERLIN.  E.  ZUPITZA. 


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GOTES. 

EINE  ANMERKUNG  ZUR  ALTDEUTSCHEN  WORTSTELLUNG. 


Müllenhoff  hat  in  den  Denkmälern  XXXVIII  im  40.  vers 
des  Arnsteiner  Marienieichs  das  handschriftliche  du  godes  craft 
ohne  weitere  bemerkung  in  die  craft  godes  geändert.  Er  hielt 
also  eine  Verbesserung  der  Wortstellung  für  unanstössig  und 
selbstverständlich  geboten,  und  zwar  aus  einem  metrischen 
gründe;  denn  offenbar  sollte  das  daktylische  versmass  durch 
van  tme  sal  sie  die  craft  godes  entfän  richtig  und  hörbarer 
zum  ausdruck  gelangen  und  durch  die  ictuszeichen  verdeutlicht 
werden. 

Nun  braucht  man  nicht  so  weit  wie  Paul  zu  gehen,  der 
in  dem  ganzen  gedieht  nur  die  gewöhnlichen  unregelmässigen 
Zeilen  sieht  (Grundr.  2, 1, 939  in.);  man  kann  nach  gewöhnlicher 
annähme  in  den  etwa  sechzig  ersten  zeilen  ausätze  eines  dak- 
tylisierenden  metrums  anerkennen  und  braucht  doch  nicht 
Müllenhof fs  änderung  für  nötig  oder  richtig  zu  halten.  Man 
kann  wol,  ohne  gegen  die  rohe  versart  des  gedientes  zu  Ver- 
stössen, bequemlich  lesen :  rdn  ime  sdl  sie  die  godes  craft  entfun. 
Ich  meine,  dies  könnte  genügen,  um  die  an  sich  geringfügig 
scheinende  änderung  des  textes  zurückzuweisen.  Aber  es  gibt 
auch  einen  tiefern  innern  grund,  aus  dem  jene  vermeintliche 
besserung  fast  unmöglich  wird.  Zum  beweise  dieser  behaup- 
tung  muss  ich  etwas  weiter  ausgreifen. 

Bei  dem  religiösen  inhalt  eines  grossen  teils  der  altdeut- 
schen literatur  ist  es  nicht  auffällig,  dass  der  genitiv  gotes 
wol  das  am  häufigsten  vorkommende  wort  ist,  dessen  Stellung 
im  satze  ein  systematisch  arbeitender  herausgeber  nicht  aus 
den  äugen  lassen  kann.  So  setzt  Sievers  im  Heliand  1977 
gegen  Cotton.  und  Monac.  for  ogon  godes,  far  ogun  godes  statt 
des  überlieferten  godes  ogon:  also  wird  auch  hier  der  abhängige 


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QOTKS. 


241 


genitiv  hinter  den  regierenden  casus  gestellt.  Ein  gleiches 
geschieht  v.  2309,  wo  godes  barn  des  Monacensis  in  das  vom 
Cottonianus  gegebene  barn  yodes  umgewandelt  wird.  Um- 
gekehrt nimmt  Sievers  v.  5730  statt  des  überlieferten  barn 
godes  in  den  text  godes  barn  auf.  Im  Heliand  nun  sind  diese 
änderungen  unbedingt  richtig  und  von  zwingender  notwendig- 
keit,  und  wenn  Sievers  v.  5738  barn  godes  statt  des  allein 
richtigen  godes  barn  im  text  stehen  Hess,  so  ist  das  nur  ein 
versehen,  das  in  den  anmerkungen  wider  gut  gemacht  ist 
(man  vergleiche  auch  v.  2290  das  irrige  drohtines  sunu  des 
Monac).  Im  Heliand  steht  godes  mehrere  hundert  mal  hinter 
und  nur  ein  viertel  oder  fünftel  der  fälle  vor  dem  regierenden 
worte.  Aber  von  einer  Willkür  kann  da  nirgends  die  rede 
sein:  der  genitiv  godes  steht  im  unlöslich  festen  bann  des 
ausnahmslos  wirkenden  stabreimgesetzes.  Nur  wo  godes 
alliteriert,  muss  es  voranstehen,  andernfalls  muss  es  nach- 
folgen. Nach  diesem  unverbrüchlichen  grundsatz,  der  die 
Riegersche  regel  durchweg  bestätigt,  hat  Sievers  an  jenen 
stellen  ändern  müssen,  und  ich  weiss  nicht,  warum  Hejne  in 
der  dritten  aufläge  anders  verfahren  ist. 

Für  die  hochdeutsche  reimdichtung  gibt  es  keinen  so 
zuverlässigen  anhält,  nach  dem  die  Stellung  von  gotes  un- 
bedenklich fest  bestimmt  werden  könnte.  Hier  ist  das  Ver- 
hältnis weniger  einfach  und  muss  für  jedes  denkmal  von  fall 
zu  fall  untersucht  werden;  aber  eine  richtschnur  lässt  sich 
doch  finden. 

Nehmen  wir  z.  b.  den  Otfrid,  so  zeigt  sich,  dass  an  den 
etwa  170  stellen,  wo  gotes  vorkommt,  es  überall  voransteht, 
mit  der  fast  verschwindenden  ausnähme  von  nur  zwei  Versen, 
die  dazu  noch  ganz  nahe  bei  einander,  in  einem  capitel  stehen: 
3, 4. 11  Engil  goHs  guato  und  v.  45  ginada  gotes  thigita.  Natür- 
lich geben  diese  vereinzelten  erscheinungen  zu  denken,  und 
mancherlei  Vermutungen  Hessen  sich  leicht  aufstellen,  aber  doch 
wol  schwer  begründen.  Gegen  die  mehrfache,  sichere  Über- 
lieferung zu  ändern,  ist  hier  doch  nicht  gut  möglich.  Metrisch 
wäre  gotes  engil  guato  freilich  anstandslos,  wenn  sich  auch 
gotes  engil  bei  Otfrid  sonst  nicht  finden  sollte.  An  der  zweiten 
stelle  wäre  gotes  ginada  thigita  rhythmisch  auch  nicht  unmög- 
lich, wenn  man  es  vergleicht  mit  4,  12,  47  iSume  fh  namun  iz 

Beitrag«  zur  geschieht*  der  dtmtsoheu  t)>r»cbe    XXIII.  \(j 


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242 


HARCZYK 


■in  thaz;  3, 26,  34  thuruh  thcn  sinan  einun  fal;  4,  30. 27  oba  thu 
unser  kuning  sis;  4,  Ii*,  47  thuruh  then  himilisgen  got  u.  a. 
Nicht  unerwähnt  darf  ich  lassen,  obwol  es  nicht  ausschlag"- 
gebend  ist,  dass  Otfrid  gotes  ginada  sonst  nicht  aufweist,  wol 
aber  druhtines  ginada.  —  Unter  diesen  umständen  vermag  ich 
für  die  zwei  regelwidrigen  erscheinungen  keine  stichhaltige 
erklärung  zu  geben  und  kann  sie  nur  als  höchst  auffällige 
abnormitäten  betrachten,  die  die  sonst  ausnahmslose  beobach- 
tung  der  voranstellung  von  gotcs  bei  Otfrid  unangenehm 
durchbrechen.   —   Dass  aber  die  voranstellung  von  gotes 
durchaus  nicht  eine  nur  dichterische  eigenart  ist,  zeigen  auch 
die  prosadenkmäler. 

Im  Tatian  findet  sich  gotcs  über  hundert  mal  vor  dem 
regierenden  wort,  während  die  nachstellung  sich  auf  wenige 
fälle  beschränkt,  die  sich  ausserdem  grossenteils  leicht  erklären 
lassen:  4,  18  thuruh  innuovilu  miltida  unsares  gotes  =  per 
viscera  miseiicordiae  dei  nostri;  hier  sind  die  genitive  gehäuft 
und  gotes  noch  mit  einem  zusatz  versehen;  vgl.  53,6  sun  thes 
hohisten  gotes  —  fili  dei  altissitni;  90,  2  sun  gotes  lebentigcs 
-----  filius  dei  vivi.  —  Im  82.  capitel,  das  zu  einem  auch  sonst 
eigentümlichen  abschnitt  gehört,  treffen  wir  v.  6  und  9  brot 
gotes  =  panis  cnim  dei;  lirige  gotcs  =  docibilcs  dei  (gen.  obj.). 
Sonst  aber  kommt  in  der  umf angleichen,  von  verschiedenen 
übei*setzern  herrührenden  schrift  nachgestelltes  gotes  nur  ganz 
am  ende  vor,  wenige  Zeilen  vor  dem  schluss,  244,  2  in  ceso 
gotes  =  a  dextris  dei,  wobei  zu  erinnern  ist,  dass  diese  formel 
sehr  beliebt,  aber  nicht  notwendig  war;  Notker  wenigstens 
schreibt  ze  gotes  zeseuuun,  des  almahtigen  fatei\  Hiermit 
wären  die  wenigen  ausnahmefälle  im  Tatian  abgetan,  die,  wie 
man  sieht,  gegen  die  sonstige  regel  nicht  schwer  ins  gewicht 
fallen.  —  Das  in  der  ersten  Tatianausgabe  von  Sievers  zu 
205,  2  aus  B  erwähnte  tempal  gotes  für  einfaches  tentpal  G  be- 
ruht sichtlich  auf  einer  modernen  ergänzung  durch  Fr.  Junius. 

Im  ältern  Isidorus  liegt  das  Verhältnis  wesentlich  anders: 
gotes  kommt  hier  einige  dreissig  mal  vor  und  davon  sechs  mal 
mit  oachsetzung  des  genitivs,  ohne  dass  die  veranlassung  immer 
deutlich  erkennbar  wäre. 

In  MSD.  sind  fälle  des  nachgestellten  gotes  äusserst  selten. 
Erst  in  uo.  XXXIV,  Summa  theologiae,  zeigen  sie  sich:  12.0 


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GOTES. 


243 


sun  gotis\  12  b,  4  gwidi  gotis;  21,8  di  gnadi  gotis.  Diesen  drei 
stellen  gegenüber  tritt  in  dem  stücke  fünfzehn  mal  Vorstellung 
ein.  —  Das  nächste  nachgesetzte  gotes  taucht  erst  auf  in 
XL  III,  3, 1  diu  vorhte  des  obristen  gotes,  wo  die  beifügung  des 
eigenschaftswortes  die  Stellung  erklärlich  macht;  sonst  nämlich 
enthält  das  gedieht  zwölf  mal  vorangestelltes  gotes.  In  den 
poetischen  stücken  von  MSD.  kommen  andere  fälle  von  nach- 
gesetztem gotes  nicht  vor.  Auch  in  den  prosaischen  stücken 
ist  es  sehr  dünn  gesät.  Wir  stossen  darauf  nur  in  no.  LVI 
und  LVII,  wo  es  sich  in  der  schon  oben  erwähnten  formel 
ci  cesuun  gotes  fateres  ulmahtiges  drei  mal  zeigt,  aber  ausser- 
dem noch  in  rieht  gotes  und  lamp  gotes  =  agnus  dei  auftritt. 
Damit  wären  aber  auch  alle  fälle  aufgezählt,  die  sich  in  dieser 
umfangreichen,  mehrere  Jahrhunderte  umfassenden  Sammlung 
finden  lassen.  Grammatisch  sorgfältige  und  streng  geschulte 
Schriftsteller,  wie  Notker,  scheinen  die  nachstellung  von  gotes 
zu  meiden.  Das  lehrt  ein  vergleich  seiner  psalmenübersetzung, 
auch  nach  der  Wiener  handschrift. 

Das  ergebnis  meiner  beobachtungen  glaube  ich  ohne  be- 
deutenden irrtum  folgendermassen  zusammenstellen  zu  können: 

L  Die  gotische  bibel  stellt  den  abhängigen  genitiv  be- 
kanntlich gern  liinter  das  regierende  wort;  s.  Wilmanns,  Gr. 
2,517;  aber  der  gebrauch  ist  nicht  in  allen  teilen  der  Über- 
setzung gleichmässig.  Die  evangelien  haften  am  urtext  fester 
als  die  episteln  an  ihrer  in  gedanken  und  form  schwierigem 
vorläge.  Dies  scheint  sich  auch  bei  der  Stellung  des  genitivs 
zu  zeigen.  Wenn  aber  in  den  gotischen  episteln  die  genitive 
öfter  voranstehen  als  in  den  evangelien,  so  ist  zu  beachten, 
dass  dieses  schon  durch  den  griechischen  text  gegeben  war; 
z.  b.  Rom.  10, 3  gups  garaihtein;  13,2  g.  garaideinai;  13,4  g. 
andbahts;  13, 14  leikis  mtm;  1.  Cor.  1,  24  gups  maht  jah  gups 
handugein;  2.  Cor.  1, 19  g.  sunus;  11, 2  g.  aljana;  11,  7  g.  aiwag- 
geljon;  Eph.  2, 8  gußs  giba;  3,2  gups  anstais.  Um  so  inter- 
essanter sind  alsdann  die  seltenen  fälle  der  abweichungen, 
Zusätze  und  Umschreibungen,  aus  denen  hervorgeht,  dass  auch 
im  gotischen  die  Voranstellung  des  abhängigen  genitivs  in  allen 
einfachen  Verbindungen  dem  sprachgeiste  durchaus  gemäss  war: 
Mrc.  11,  18  gudjane  auhumistuns  =  dg^it^iU.  12,  28  allaizo 
anabusne  frumista  =  noanq  xdvrmv  tvxoh)\  Joh.  9,  lü  sabbate 

16* 


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244 


HARCZYK 


daga  =  ro  odßßazop;  Rom.  9,  4  uritodis  garaideins  =  vofio- 
&eola;  1.  Cor.  8, 10  in  galiuge  Stada  =  Iv  fldwlelm;  9,21  uritodis 
laus  =  ävouog;  —  Xva  ^corjv  alwvtov  xZt)qovo/i?}ö(d  wird  drei- 
mal Mrc.  10, 17.  Luc.  10, 25.  18,18  widergegeben  mit  ei  libainais 
aiweinons  arbja  wairpau;  Mt.  26,  75  faur  hanins  hruk  =  xq\v 
aXixxoQa  ipmvrjöai. 

Die  annähme,  dass  die  Voranstellung  des  abhängigen 
genitivs  der  ungezwungenen  gotischen  spräche  eigen  war,  wird 
durch  die  Skeireins  gestützt,  die  im  gegensatz  zur  bibelüber- 
setzung  mehr  vor-  als  nachsetzungen  aufweisen;  allerdings 
stehen  auch  hier  dem  du  gups  kunfja  43  b  gegenüber  sechs 
stellen  37b.  38c.  39a.  40c.  46d.  52c.  —  Der  beste  beweis 
für  die  im  gotischen  gewöhnliche  voranstellung  liegt  jedenfalls 
in  den  substantivischen  compositis,  deren  erster  teil,  in  appel- 
lativen  und  eigennamen,  genitivische  function  hat. 

II.  Wenn  auch  die  altsächsische  dichtung  godes  meist 
voranstellt,  so  folgt  daraus  nicht,  dass  dies  auch  in  ungebun- 
dener rede  geschah;  denn  die  kleinen  prosadenkmäler  setzen 
das  wort  voran,  während  in  der  dichtung  die  Wortstellung  sich 
nach  dem  Stabreim  richten  musste. 

III.  Im  althochdeutschen  überwiegt  seit  dem  neunten 
jahrhundert  in  dichtung  und  prosa  die  voranstellung  so  stark, 
dass  eine  ausnähme  wirklich  eine  rara  avis  vorstellt. 

IV.  Je  mehr  sich  das  mittelhochdeutsche  herausbildet, 
desto  seltener  hat  man  gelegenheit,  gotes  nachgestellt  zu  sehen. 
In  der  blütezeit  der  klassiker  herscht  unbedingt  und  ohne 
einschränkung  die  voranstellung.  Abweichungen  sind  anzeichen 
der  noch  rohen,  ungelenken  oder  bereits  verrohenden  Sprech- 
kunst; z.  b.  Orendel  578  in  dem  namen  gottes;  daz  reht  gotes 
Bücher  Mosis  bei  Diemer  72, 27;  der  minsten  knehte  gotes  einer 
Wolfdietrich  DVD,  38,3;  die  minne  godes  Marienlieder  12216: 
reimnot  zwingt  mitunter  zur  ungewöhnlichen  Umstellung.  — 
Andere  beispiele  liefern  die  mystiker,  die  kirchenlieder  und 
die  altdeutschen  predigten  bei  Roth  (besondern  in  neuern  hss.), 
Leyser  und  Schönbach.  Bei  dem  letztem  wird  man  z.b.  im 
zweiten  bände  auf  den  ersten  75  Seiten  über  achtzig  mal  voran- 
gesetztes gotes  lesen,  nachgestelltes  jedoch  über  dreissig  mal. 
aber  nur  da,  wo  gotes  noch  einen  zusatz  bei  sich  hat,  wie 
70,31  ze  der  minn  des  almcehtigen  gotes. 


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G0TE8. 


245 


Eine  von  mir  übersehene  stelle  treffe  ich  im  Mhd.  wb.  ein 
armiu  dierne  gotes  Mai  76, 35. 

Dass  die  Stellung  des  genitivs  in  der  höhern  kritik  be- 
rücksichtigung  verdient,  ist  schon  oben  beim  Tatian  angedeutet 
worden.  Zu  einem  völlig  einwandsfreien  zeugnis  wird  sie  dort 
im  cap.  77.  Die  Übersetzung  ist  ja  auch  sonst  einfach,  recht 
und  schlecht;  aber  nur  ein  unbehilflicher  anfänger  und  arm- 
seliger stümper,  der  sich  von  den  andern  mitarbeitern,  nicht 
zu  seinem  vorteile,  unverkennbar  abhebt,  konnte  vier  mal 
hinter  einander  rihhi  himilo  leisten. 

Wenn  ich  nun  auf  den  ausgangspunkt  dieser  bemerkungen 
zurückgehend  schliesslich  hinzufüge,  dass  im  Arnsteiner  Marien- 
ieich zehn  mal  vorangestelltes  godes  handschriftlich  feststeht, 
so  wird  wol  kein  zweifei  mehr  möglich  sein,  dass  in  v.  40  die 
änderung  von  MSD.  unerlaubt  und  unmöglich  ist. 


bemerkt  Zarncke  im  commentar:  'hier  und  namentlich  beim 
folgenden  verse  muss  Braut  eine  bestimmte  stelle  der  bibel 
im  auge  haben,  die  ich  nicht  kenne'.  Auch  Bobertag  bemüht 
sich  in  seiner  ausgäbe  des  Narrenschiffs  (Kürschners  national- 
litteratur  16, 33),  bibelstellen  beizubringen,  nach  denen  Moses 
andre  so  lieb  gehabt  haben  soll  als  sich  selbst. 

Vielmehr  wird  geUch  hier  wie  auch  Narrenschiff  111,  17 
'entsprechend,  genügend'  bedeuten  und  Moysi  etwa  mit  'dem 
gesetz,  der  Vorschrift  des  Moses'  zu  umschreiben  sein.  Unsere 
stelle  bezieht  sich  dann  auf  3.  Mos.  19,  18:  dtliges  amicum 
tmim  sicuf  de  ipsum.   Darauf  führen  auch  die  vorausgehenden 


BRESLAU. 


IGNAZ  HARCZYK. 


ZUM  NARRENSCHIFF. 


Zu  Brants  Narrenschiff  10,21 

Kein  fyndt  man  Moysi  jetz  gelich 
Der  andre  lieb  hab,  als  selbst  sich 


verse  17  f. 


Keiner  so  lieb  syn  nechsten  hat 
Als  dan  jm  gsatz  geschriben  stat. 


LEIPZIG. 


ALFRED  GOETZE. 


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BRUNHILDEN  BETT. 


In  seiner  jüngst  veröffentlichten  antrittsvorlesung-  über 
die  germanische  heldendichtung  hat  E.  Mogk')  sich  auf  den 
von  Golther  eingenommenen  Standpunkt  gestellt,  dass  die  8ieg- 
fried-Brunhildsage  der  Edda  im  wesentlichen  nordische  weiter- 
dichtung  sei,  und  hat  die  echteren  gestalten  des  Siegfried  und 
der  Brunhild  in  der  deutschen  Überlieferung  des  Nibelungen- 
liedes und  der  Thidrekssaga  finden  wollen.  Danach  soll 
mythisches  in  der  sage  nicht  vorhanden  und  die  gestalt  der 
Brunhild  von  haus  aus  die  kampfesfrohe  menschliche  königs- 
tochter  sein,  nicht  aber  die  göttliche  walküre,  die  auf  dem 
felsen  von  Siegfried  aus  dem  schlafe  erweckt  wird. 

Nun  will  ich  nicht  leugnen,  dass  ich  die  skeptische  be- 
trachtung  der  eddischen  Überlieferung  für  einen  fortschritt 
halte  gegenüber  der  früher  herschenden  tendenz,  alles  ohne 
weiteres  als  urgermanisches  eigentum  liinzunehmen.  Aber 
wenn  es  feststeht,  dass  die  nordische  Siegfriedsage  auf  einer 
deutschen  form  beruht,  die  um  mindestens  vier  jahrhunderte 
älter  ist  als  Nibelungenlied  und  Thidrekssaga,  also  einer  zeit 
entstammt,  in  der  die  germanische  götterweit  auch  in  Deutsch- 
land noch  im  volksbewusstsein  lebte,  so  muss  es  von  vorn- 
herein als  möglich  zugegeben  werden,  dass  die  nach  dem  norden 
gewanderte  sage  mythische  demente  enthalten  hat.  Es  wird 
jetzt  niemand  mehr  die  gesammte  nordische  mythologie  der 
eddischen  dichtungen  unbesehen  auch  für  Deutschland  in 
anspruch  nehmen.  Aber  dass  es  in  Deutschland  mehr  mytho- 
logie gegeben  hat  ,  als  unsere  spärlichen,  zufällig  erhaltenen 
deutschen  Zeugnisse  direct  beweisen,  und  dass  manches  nur 
aus  dem  nordischen  belegte  auch  bei  uns  vorhanden  gewesen 

')  Neue  jahrbüeher  hg.  von  Ilberg  und  Richter  1 ,  HS  ff. 


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BRUNHILDENBETT. 


247 


sein  kann,  das  wird  doch  auch  niemand  leugnen  wollen. 
Schon  wenn  die  Merseburger  Zaubersprüche  nicht  zu  tage 
gekommen  wären,  wäre  des  sicher  belegten  viel  weniger,  selbst 
wenn  man  vom  Balder  absieht,  dessen  deutsche  existenz  hat 
weggedeutet  werden  sollen  —  mit  unrecht  wie  ich  glaube. 
Für  die  Siegfriedsage  haben  wir  ja  nun  leider  keine  deutsche 
fassung  aus  dem  8.  jh.,  und  man  muss  den  Standpunkt  des- 
jenigen welcher  nur  das  direct  belegte  als  deutsch  gelten 
lassen  will,  als  methodisch  berechtigt  anerkennen.  Aber  damit 
iit  doch  nicht  bewiesen,  dass  es  ein  mehreres  nicht  gegeben 
haben  könne.  Es  kann  sehr  wol  vieles  von  der  eddischen 
Siegfriedsage  nordische  zudichtung  und  ausschmückung  sein. 
So  macht  es  Mogk  s.  76  recht  wahrscheinlich,  dass  die  i  waber- 
lohe '  im  norden  zu  hause  ist.  Aber  deswegen  kann  doch 
immer  noch  die  deutsche  Brunhild  eine  walküre  sein,1)  auch 
in  der  deutschen  sage  kann  sie  auf  einem  felsen  im  schlafe 
liegend  von  Siegfried  erweckt  worden  sein.  Man  wird  diese 
möglichkeit  schon  an  sich  zugeben  müssen.  Wenn  aber  noch 
ein  directes  zeugnis  aus  alter  zeit  auf  diese  sagenform  deut- 
lich hinweist,  so  wird  man  sich  dagegen  nicht  weiter  sträuben 
dürfen.  Das  zeugnis,  welches  ich  hier  meine,  ist  nun  freilich 
längst  bekannt,  es  ist  sogar  gegen  Golthers  auffassung  schon 
einmal  von  Henning  (I).  lit.-ztg.  1890,  s.  229)  beiläufig  angezogen 
worden.  Aber  man  hat  es  doch  seiner  bedeutung  nach  bisher 
nicht  recht  gewürdigt  oder  ganz  verkannt.  Es  ist  dies  das 
B  r  u  n  h  i  1  d  e  n  b  e  1 1  auf  dem  grossen  Feldberg  im  Taunus.  Aensser- 
lich  gehört  dieses  zeugnis  zusammen  mit  einer  reihe  von  orts- 
bezeichnungen  wie  Brunhildenstein,  Brunhildenstuhl  u.  dgl.2) 


')  Die  walküreii  sieht  jetzt  freilich  Mogk  mit  Golther  auch  für  rein 
skandinavisch  an,  während  er  in  der  ersten  aufläge  von  Pauls  Grundr.  1. 
s.  1014  noch  anders  urteilte.  Aber  das  in  ags.  glossen  des  8.  jh.'s  als  name 
göttlicher  wesen  bezeugte  walcyrge  als  entlehnung  aus  dem  nordischen  zu 
betrachten  ist  doch  reine  willkür.  Mit  dem  gleichen  rechte  könnte  man 
alle  mythologischen  namen  des  2.  Merseburger  sprnchs  als  nordische  ent- 
lehnnngen  abtun  wollen.  Ich  unterschreibe  vollständig,  was  gegen  Golther 
hierüber  Kögel  GGA  1897,  s.  651  f.  bemerkt  und  meine,  dass  das  ags.  zeugnis 
hinreicht,  um  die  Walküren  als  westgermanische  und  deutsche  gottheiten 
zu  erweisen. 

>)  S.  hierüber  schon  \Y.  Grimm,  Heldensage  s.  155.  Weitere  literatur- 
nachweise  bei  W.  Müller,  Mythologie  der  deutschen  heldensage  s.  85. 


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248 


BRAUNE 


Und  Mogk  verwahrt  sich  in  seiner  Vorbemerkung  ausdrücklich 
dagegen,  dass  man  den  1 Brunhildenstuhr  eine  rolle  spielen 
lasse:  'alles  das  ist  von  mir  widerholt  geprüft,  aber  nicht  aus 
seinem  geschichtlichen  zusammenhange  herausgerissen  und  des- 
halb für  die  mythische  grundlage  unserer  heldensage  als  gehalt- 
loses material  erfunden  worden'.   Nun  gebe  ich  Mogk  gern  die- 
jenigen Zeugnisse  preis,  die  jünger  als  unser  Nibelungenlied  sind, 
sie  mag  man  immerhin  den  verschiedenen  Siegfriedsbrünnlein 
beirechnen,  die  sich  jetzt  im  Odenwald  um  die  ehre  streiten, 
Schauplatz  der  ermordung  Siegfrieds  gewesen  zu  sein.  Bs 
könnte  möglicherweise  nach  unserem  Nibelungenliede  in  älterer 
oder  jüngerer  zeit  eine  örtlichkeit  Brunhildenstein  oder  Brun- 
hildenstuhl  benannt  worden  sein.1)   Aber  die  älteren  Zeugnisse 
sind  doch  anders  zu  beurteilen.  Selbst  wenn  man  mit  W.Grimm 
a.a.O.  zugibt,  dass  örtlichkeiten  mit  'Siegfried',  ja  selbst  ein 
Sivrides  hnmno,  bei  der  häufigkeit  des  namens  Siegfried  auch 
nach  irgend  einem  Siegfried  benannt  sein  können,2)  so  trifft 
das  gleiche  doch  nicht  bei  Zusammensetzungen  mit  dem  viel 
seltneren  namen  Brunhild  zu,  besonders  wenn  das  zweite  glied 
so  bezeichnend  ist  wie  in  'Brunhildstein',  wo  eine  bezieh ung 
auf  die  Brunhild  der  heldensage  nicht  abzuweisen  ist.  Denn 
dass  an  verschiedenen  orten  schon  in  alter  zeit  gerade  felsen 
mit  dem  namen  der  Brunhild  belegt  worden  sind,  kann  doch 
nur  aus  der  sagenhaften  rolle  derselben  erklärt  werden.') 
Das  wird  auch  Mogk  nicht  in  abrede  stellen  wollen,  sondern 
zugeben,  dass  auch  in  der  deutschen  sagenform  die  kämpf  es- 
jungfrau  Brunhild  ihre  wohnung  auf  einer  felsenburg  gehabt 
haben  möge,  wie  ja  noch  im  Nibelungenliede  Isenstein  als  ihr 
sitz  genannt  wird.  Aber  weiteres  noch  beweist  das  Brunhilden- 
bett auf  dem  Feldberg. 

Das  zeugnis  stammt  aus  dem  jähre  1043  und  findet  sich 
in  einer  Urkunde  des  erzbischofs  Bardo  von  Mainz,4)  welche 

')  Vgl.  hierzu  Henning,  Anz.  fda.  4.  74  f. 

a)  Für  »icher  möchte  ich  diese  auffassung  erklären  bei  namen  wie  den 
von  F.  Cirimme,  Germ.  32,  <•!•  beigebrachten  Sitjefrulexroth,  Sifrithustm  etc. 

3)  Die  alten  urkundlichen  Zeugnisse  hierfür  hat  zuletzt  .John  Meier. 
Beitr.  1«,  81  f.  zusammengestellt. 

\)  Vgl.  Boehmer.  Kegesta  ai-chie^c.  Maguntinensium  1,  172  f.  Sauer. 
Cod.  diplom.  Nassoii  us  1,  t;o  ff.  Die  Originalurkunde  befindet  sich  jetzt  hier 
in  Heidelberg  im  besitz  der  Universitätsbibliothek. 


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BRUNHILDENBETT. 


249 


grenzen  des  sprengeis  der  kirche  in  Brunnon  (Schlossborn 
Königstein  i.  T.)  festsetzt.  In  dieser  grenzbeschreibung 
!it  die  bekannte  stelle:  et  inde  in  medium  montem  veltberc 
eum  lapidem  qui  vulgo  dicitu r  lectulus  Brunihilde. 
aus  geht  also  mit  voller  Sicherheit  hervor,  dass  dieser  fels 
ler  mitte  des  11.  jh.'s  im  volksmunde  'das  bett  der  Brun- 
'  hiess.1)  Was  beweist  das  nun  für  die  geschiente  der 
j?  AVer  an  der  alten  auffassung  der  Brunhild  festhält, 
I  ohne  weiteres  folgern,  dass  die  auf  einem  felsen  schlafende 
küre,  welche  die  nordische  sagenform  kennt,  auch  in  der 
sehen  sage  vorhanden  gewesen  sei.  Wer  auf  dem  stund- 
ete von'Golther  und  Mogk  steht,  wird  versuchen  müssen, 
»  zeugnis  zu  entkräften.  W.Müller  ist  hierin  vorangegangen: 
teint  a.  a.  o.  s.  85,  dass  der  fels  anf  dem  Feldberge  nichts 
iise,  da  an  ihn  sich  keine  sagen  knüpfen:  —  ein  wunder- 
r  einwurf.  da  die  Brunhildsage  jetzt  freilich  im  volks- 
isstsein  geschwunden  ist,  während  jenes  alte  zeugnis  doch 

)  Ein  spätere»  zeugnis  dafür  gibt  es  nicht.  Denn  weun  nach  W.  Grinini 

Meier  a.  a.  o.  dieser  felsen  in  einer  Urkunde  des  jahres  1221  als  Brune- 
ein  vorkommen  soll,  so  ist  das  ein  irrtum.  Diese  Urkunde  (hg.  am  besten 
mer,  Cod.  dipl.  Nass.  1,  s.  265  ff.;  vgl.  dazu  Schliephake,  Gesch.  von 

1,  406  ff.)  beschreibt  die  grenze  der  gemarkung  von  Sonnenberg  und 
id t  (NO  von  Wiesbaden).  Die  grenze  geht  von  Wiesbaden  nordwärts 
n  Taunus  und  es  heisst  da  postea  ad  ciain  quae  ducit  Brunehilde- 
>ostea  Vneehinhagin  ad  aqttutn.  Letzteres  ist  das  heutige  Eugen- 
en. 10  km  nordlich  Wiesbaden).  Der  Brunhildenstein  ist  danach  süd- 
ti  Engenhahn  auf  der  höhe  des  Taunus  zu  suchen.  Das  ist  aber  der- 
lsen,  welcher  in  einer  Urkunde  des  klosters  Bleidenstadt  (bei  Langen- 
ich) vorkommt.    Die  Urkunde  (hg.  von  Sauer,  Cod.  dipl.  Nass.  1, 

ist  allerdings  mir  in  einer  abschritt  des  16.  jh.'s  erhalten,  in  welcher 
liographie  der  namen  teilweise  modernisiert  ist.  Die  fassung  der 
!  stammt  jedoch  ans  der  zeit  des  Willegis  (975 — 1011),  und  der  die 
:<hreibung  enthaltende  teil  derselben  führt  sogar  auf  die  Stiftung 
ters  im  jähre  812  zurück.  Vgl.  Sauer  a.  a.  o.  und  besonders  Schliep- 
!  1 4  ff.  Darin  heisst  es  inde  ad  Brunhildenstein  und  die  läge  des- 
timmt  zu  den  angaben  der  Urkunde  von  1221.  Schon  v.  Preuschen, 
•mlenzblatt  d.  deutschen  gesehiehts-u.altertumsvereine  4  (1856)  s.  123 

ort  dieses  Brunhildensteins  die  jetzige  'Hohe  kanzel'  (596  m)  SO 
oi  bahn  erkannt  und  Schliephake  a.  a.  o.  s.  119  ff.  hat  dies  ausführ- 
tert  und  festgestellt.  Den  auf  der  Hohen  kanzel  zu  tage  tretenden 
.■schreibt  Schliephake  s.  121.  Aus  späterer  zeit  als  1221  ist  der 
inihiMonstein  für  denselben  nicht  mehr  überliefert. 


250 


BRAUK! 


unzweifelhaft  die  damals  daran  geknüpfte  sage  erweist.  Femer 
sncht  Müller  das  wort  -bett'  umzudeuten,  indem  er  anführt. 
Grimm  habe  DWb.  1,  1722  gezeigt,  dass  bett  früher  auch 
'altar'  bedeutete.  Und  allerdings  führt  Grimm  daselbst 
'altar'  als  erste  bedeutung  von  bett  auf  unter  berufung  auf 
ags.  iveohbed\  ahd.  kotapetti;  und  diese  bedeutung  sei  auch  in 
Brunhildebett  erhalten.  Aber  dass  bett  je  die  bedeutung  'altar* 
gehabt  habe,  ist  absolut  unrichtig.  Es  ist  zwar  für  das  wort  eine 
glaubhafte  indogermanische  sippe  nicht  gefunden.1)  Aber  die 
Übereinstimmung  aller  altgermanischen  dialekte  vom  gotischen 
an  beweist,  dass  die  grundbedeutung  nur  Mager,  lagerstatt. 
sitzstatt'  gewesen  ist.  Diese  bedeutung  hat  sich  schon  in 
alter  zeit  besonders  in  der  richtung  'polsterlager,  polster  ent- 
wickelt.1) Aus  der  bedeutung  Mager,  lagerstatt,  sitzstatt'  ist 
denn  auch  im  westgermanischen  die  schon  im  ahd.  und  ags. 
vorhandene  bedeutung  'Standplatz  von  pflanzen,  gartenbeet' 
hervorgegangen,  wie  sie  im  nhd.  beet,  engl,  bed  noch  heute 
vorliegt:3)  sie  konnte  zunächst  nur  in  compositis  vorkommen. 


')  Vgl.  Uhlenbeck,  Etyra.  wb.  d.  got.  spr.  s.  20. 

*)  Got.  badi  ~  xoaßßutoi  'ruhebett',  einmal  auch  =  xktviSiov;  an. 
bedr  (poetisch =  prosaisch  swina)  'polsterlager',  ags.&«M  'bett*,  in  ahd.  glossen 
betti  meist  entsprechnng  von  lat.  Stratum,  ciUcita,  cubile,  aber  auch  einmal 
von  thron us. 

3)  Es  ist  nicht  richtig,  wenn  Kluge  im  Etym.  wb.  (s.v.  beet  und  bett) 
wegen  des  gartenbeets  bett  zu  fodio  'graben'  stellt.  Die  altwestgerm. 
bedeutung  'beet'  ist  entschieden  eine  abgeleitete.  Zwar  ist  im  ahd.  betti 
'beet'  (das  G raff  3,  51  fälschlich  von  betti  'bett'  trennt)  auch  als  simples 
schon  in  glossen  als  Übersetzung  des  lat.  areola  belegt,  neben  dem  demin 
pettili  und  dem  bei  Will,  vorkommenden  irurzbette.  Aber  die  bedeutung 
areola  muss  neu  sein,  so  neu  wie  die  gartencultnr  überhaupt  bei  den 
Deutschen.  Denn  betti  bedeutet  nicht  etwa  ein  stück  gegrabenes,  abgeteilte« 
ackerland  überhaupt,  sondern  ist  eben  nur  technischer  ausdruck  für  den 
neuen  begriff  eines  gartenbeets,  lat.  areola.  Dass  es  für  diesen  neuen 
cnlturbegriff  angewant  werden  konnte,  geht  aus  seiner  eigentlichen  bedeu- 
tung 'Standquartier,  lager.  Standplatz'  hervor.  Das  ist  noch  deutlich  er- 
kennbar aus  dem  ags.  gebrauch.  Im  ags.  (vgl.  Bosworth-Toller  72)  wird 
es  in  dieser  bedeutung  nur  in  den  compositis  tnjrtbed,  hreodbed,  riscbed 
gebraucht.  Von  diesen  entspricht  xcyrtbed  dem  ahd.  wurzbette  'pflanzen- 
standplatz*,  kann  also  vielleicht  schon  den  culturbegriff  bezeichnen.  Da- 
gegen hreodbed  (noch  ne.  rcedbed)  heisst  'rohrdickicht',  also  ein  platz,  wo 
rohr,  ried  beisammen  steht;  ebenso  ist  riscbed  ein  Standplatz  von  binsen. 
Da  haben  wir  noch  die  alte  bedeutung,  mit  welcher  eine  herleitung  von 


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BKrNTTTLDRNHETT. 


251 


m  erster  teil  einen  pflanzennamen  enthielt  (s.  unten  die  anm.) 

gieng  erst  daraus  auf  das  simplex  über.  Ganz  ähnlich 
t  es  nun  mit  den  compositis,  aus  denen  Grimm  für  das 
t  betti  die  bedeutung  'altar'  erschliesst.  Auch  in  ihnen 
st  betti  nur  'lager,  rahebett,  sitz'  und  nur  durch  die  com- 
tion  hätte  allenfalls  die  bedeutung  'altar'  zu  stände  kommen 
len.  Das  ist  ganz  klar  bei  ahd.  gotopctti.  Das  wort  kommt 
en  Prudentiusglossen  vor,  wo  es  an  zwei  verschiedenen 
en  das  lat.  pulvinar  P.  Vinc.  179  und  pulvinarium  P.  Rom. 

übersetzt.  Das  bedeutet  aber  nicht  'altar',  sondern 
ter',  auf  welche  von  den  Römern  die  götterbilder  bei 
n  lectisternium  gesetzt  wurden.  Wenn  dafür  ahd.  gotopctti 
zt  wird  (Ahd.  gl.  2, 428, 21.  468,60.  476,49.  480,10;  455,1. 
19),  so  ist  es  selbstverständlich,  dass  pctti  hier  eben  nur 
bett,  polster'  bedeutet  und  von  Grimm  daraus  die  bedeu- 
1  altar'  nicht  hätte  entnommen  werden  sollen.  Da  dieses 
nar  von  den  niederd.  Prudentiusglossen  (2, 584, 13)  mit 
i  godo  rastun  übersetzt  wird,  so  könnte  man  mit  dem- 
n  rechte  schliessen,  dass  auch  rasta  'altar'  heisse!  Es 
t  sonach  für  Grimms  behauptung  nur  noch  das  ags. 
W,  wcofod  etc.,  welches  in  der  tat  'altar'  heisst.  Ist 
;  wirklich  mit  -bed  zusammengesetzt,  so  könnte  die 
bedeutung  auch  nur  'ruheplatz,  sitz  der  götter'  sein, 
diese  Zusammensetzung  ist  nicht  einmal  sicher:  Kluge, 
8,  527  (vgl.  Sievers,  Ags.  gr.2  s.  17)  hat  das  wort  viel 
cheinlicher  als  *wih-bcod  'tempeltisch'  gedeutet. 

lit  der  von  Grimm  angesetzten  'heidnischen'  bedeutung 
tti  'altar'  ist  es  also  nichts.   Es  kann  daher  auch  in 
Udcnbctt  kein  altar  verborgen  stecken,  ganz  abgesehen 
dass  einerseits  altäre  der  Brunhilde  mythologisch  höchst 
i-scheinlich  wären  und  dass  andererseits  das  deutsche 

;riffe  des  grabens  ganz  unvereinbar  ist.  Von  da  ans  wurde  erst  bett 
von  der  gartencnltnr  künstlich  geschaffenen  gruppeu  weisen  stand- 
rewisser  pflanzen,  wie  sie  die  partenbeete  sind,  übertragen.  Man 
d  nicht  diese  alte  technische  anwendnng  des  wortes  bett  znm  ans- 
nkt  der  etymologie  machen,  ebensowenig  wie  man  etwa  dem  hen- 
orst technischen  Schonung  (ans  vollständigerem  fichtenschonuny, 
'/tonung  etc.)  die  grnndbedentnng  *pflanzung'  beilegen  und  daraus 
lologie  des  verbums  schonen  gewinnen  könnte. 


252 


BRAUNE 


wort  'bett'  hier  nicht  einmal  überliefert  ist,  sondern  nur  das 
unmisverständliche  lat.  lectulus.  Man  könnte  nun  bett,  welches 
doch  ohne  zweifei  die  deutsche  grundlage  des  lectulus  gewesen 
ist,  als  Lagerplatz,  sitz'  fassen  wollen  und  es  dann  —  ebenso 
wie  den  Brunhild  stein  —  als  wohnsitz  der  Br.  deuten. 
Aber  es  ist  schon  unwahrscheinlich,  dass  betti  jemals  für 
'wohnsitz'  gebraucht  worden  sei,  wenn  es  auch  in  der  bedeu- 
*  tung  eines  gelegentlichen  sitzes  oder  lagerplatzes  angewant 
worden  sein  mag.  Dass  aber  der  felsen  auf  dem  Feldberge 
nichts  anderes  als  'bett'  im  gewöhnlichen  sinne  des  Wortes, 
Lagerstätte  eines  liegenden'  bedeuten  kann,  das  ergibt  am 
deutlichsten  der  augenschein. 

Ich  glaube  nicht,  dass  dies  jemand  leugnen  wird,  der 
selbst  auf  dem  Feldberge  gewesen  ist  und  die  merkwürdige 
felsbildung  betrachtet  hat.  Der  Feldberg,  der  höchste  berg 
des  Taunus  (880  m)  ist  bis  obenhin  mit  schönem  hochwald 
bestanden.  Nur  der  gipfel  selbst  ist  frei  und  bildet  eine 
prächtige,  geräumige  und  ebene  kreisfläche,  die  mit  gras  be- 
wachsen ist.  Von  dieser  fläche  hat  offenbar  auch  der  berg 
seinen  namen.1)  Aus  dem  grasplateau  erhebt  sich  nun  nahe 
dem  nördlichen  rande  desselben  eine  etwa  4  m  hohe  felsbildung 
von  eigentümlicher  form,  welche  schon  von  weitem  das  auge 
auf  sich  lenkt  und  den  vergleich  mit  einem  ruhelager  unwill- 
kürlich wachruft.  Die  nebenstehende  abbildung,  welche  nach 
einer  Photographie  gefertigt  ist,  wird  dies  genügend  verdeut- 
lichen. 

Auch  die  Rheinfranken  vor  1000  jähren  haben  diesen 
vergleich  gezogen  und  in  dein  felsen  ein  riesenbett  gesehen. 
Der  im  jähre  1043  als  volkstümliche  bezeichnung  bezeugte 
name  lectulus  Brunihilde  wird  natürlich  schon  lange  gegolten 
haben.  Und  wenn  das  volk  ein  riesenhaftes  felsbett  auf  der 
spitze  eines  hohen  berges  als  'bett  der  Brunhild'  bezeichnete. 


»)  Das  lob  des  Feldbergs  verkündet  Erasmus  Alberas  in  seiner 

25.  fabel:  speriell  vom  ^ipfelplatean  sagt  er  (v.  7fiff.):  Und  auff  dem  Fehlt- 
berg  hoch  dort  oben,  Wann  man  nicht  höher  kommen  kan.  Da  steht  ein 
grosser  ireiter  plan,  Der  hat  ein  solchen  breiten  raunt,  (Wann  ichs  nicht 
wist,  so  glaubt  ichs  kaum)  Ein  grosse  Stadt  kündt  droben  stahn,  Als 
Franckfurdt,  ist  kein  zweivel  an,  Und  auff  dem  selben  breiten  plan,  Siht 
man  schier  bisz  gen  Cüln  hinan  etc. 


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BRUNHILDENBETT. 


253 


so  kann  dies  meines  erachtens  nicht  anders  erklärt  werden, 
als  dass  man  glaubte.  Brnnhild  habe  auf  einem  hohen  berge 
geschlafen.  Es  wird  also  dadurch  vollkommen  sicher  gestellt, 
dass  damals  am  Rhein  eine  form  der  Brunhildsage  lebte,  welche 
der  nordischen  fassung  in  diesem  wichtigen  punkte  entsprach. 

Dass  die  Brunhildsage  bei  den  alten  Rheinfranken  des 
Taunusgebiets  lebendig  war,  dafür  ist  nun  auch  der  Brun- 
hildenstein auf  der  Hohen  kanzel  (s.  oben  s.  249  anm.)  ein 
weiterer  beweis.  Die  Hohe  kanzel,  welche  vom  Feldberg  in 
der  luftlinie  ca.  17  km  entfernt  ist.  liegt  auf  dem  kämme  des 
Taunus,  ca.  8  km  nördlich  von  Wiesbaden.  Sie  gleicht  dem 
Feldberg  darin,  dass  sie  die  höchste  erhebung  in  weitem  um- 
kreise ist.  Wenn  die  Franken  der  Frankfurter  gegend  den 
schlaf  der  Brunhild  auf  dem  Feldberge  localisierten,  so  wählten 
die  der  Wiesbadener  gegend  den  höchsten  berg  ihrer  Umgebung 
zu  diesem  zwecke.  Sie  hatten  dabei  freilich  nicht  den  vor- 
teil, einen  so  bettähnlichen  felsen  zu  besitzen  und  begnügten 
sich  daher  mit  dem  namen  Brunhildenstein,  wählend  jene 
sogar  von  einem  bett  der  Brunhilde  reden  konnten. 


HEIDELBERG. 


WILHELM  BRAUNE. 


APRIKOSE. 


Franz.  abricot  ist  durch  niederländische  vermittelung  (nl. 
abrikoos)  zu  uns  gekommen.  J.  Franck  sagt  in  bezug  auf  die 
auffällige  lautform  des  nl.  wortes  (s  für  franz.  0  in  seinem  Et. 
woordenboek  der  nederlandsche  taal:  'De  nl.  en  hd.  vormen 
komen  het  fra.  abricot  het  meest  nabij  en  kunnen  zelfs  recht- 
streeks  daarvan  gevormd  zijn,  indien  men  mag  aannemen,  dat 
de  wijziging  der  laatste  lettergreep  op  misverstand  (misscliien 
wel  van  geleerden)  berust.' 

Ich  möchte  dieser  erklärung  gegenüber,  die  wol  wenig 
anspruch  auf  Wahrscheinlichkeit  machen  kann,  die  Vermutung 
aussprechen,  dass  ein  altfranzösischer  nominativ  abricote,  bez. 
abricos  (älteres  ts  wird  im  franz.  regelrecht  zu  s),  die  quelle 
des  nl.  wortes  ist. 

Das  weibliche  geschlecht  von  nhd.  aprikose,  nl.  abrikoos, 
woneben  im  nl.  auch  männliches  geschlecht  in  Übereinstimmung 
mit  dem  franz.  gebräuchlich  ist,  beruht  auf  Übertragung  aus 
dem  plural :  vgl.  nhd.  die  träne  <  der  trahen,  die  zähre  <  der 
zäher,  Schweiz,  die  frösch  —  der  froscJi,  elsäss.  hess.  mfrk.  die 
rab  =  der  rabe,  ahd.  bira  aus  dem  rom.  plural  pira  (vgl.  franz. 
la  poire)  u.  s.  w.  Einfluss  des  plurals  zeigt  sich  auch  in  dem 
e  von  aprikose:  das  nhd.  wort  ist  eine  neue  singularbildung 
aus  der  pluralform. 

Der  scheinbare  wandel  von  t  >  s  findet  sich  auch  in 
matrose,  nl.  matroos  =  franz.  matelot.  Auch  hier  ist  von  einer 
franz.  nominativform  auf  •$  auszugehen.  Das  wort  flectiert 
im  deutschen  schwach  nach  analogie  der  vielen  schwachen 
masculina  mit  persönlicher  bedeutung;  der  nom.  matrose  ist 
gebildet  nach  dem  muster  von  böte :  boten. 

Dem  mnd.  banros,  mnl.  bavnrootse,  baenrits  liegt  franz. 
banneret  +  s  zu  gründe. 

GIESSEN.  1.  no v.  1897.  WILHELM  HORN. 


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ZU  DEN  L ABI ALISI ERTEN  GUTTURALEN. 


Zur  entscheidung  der  frage  nach  der  ent Wickelung  reiner 
labiale  aus  labialisierten  gutturalen  sind  natürlich  die 
seltenen  fälle  die  den  anlaut  betreffen,  die  wichtigsten;  und 
unter  ihnen  hat  das  nebeneinander  von  aengl.  hweol  u.s.w. 
und  afries.  fial  'rad'  ganz  besondere  Schwierigkeiten  gemacht. 
Kluge,  der  Beitr.  11,5(51  kurzweg  'fries.  fial  aus  grundform 
*peqlo  für  *qeqlo-  —  skr.  eakra-'  erklärt  hatte,  erwähnt  das 
wort  in  der  zweiten  aufläge  von  Pauls  Grundr.  (s.  375)  nicht. 
Vielleicht  hat  ihn  der  zweifei  Noreens  dazu  bewogen,  der 
(Urgerni.  lautlehre  s.  149)  nach  angäbe  von  'aengl.  hweohl 
(*kehlo-),  aisl.  hiol  (Vve^ule-)  :  afries.  fial  (zunächst  aus  *feul-)J 
fragt,  ob  die  worte  etwa  unverwant  seien.  E.  Zupitza  (Die 
germ.  gutturale  s.  6)  trifft  ganz  das  richtige,  wenn  er  eine  so 
verschiedene  entwickelung  bei  gleichen  bedingungen  nicht 
gelten  lassen  will;  aber  auch  er  kann  sich  nicht  entschliessen, 
die  verwantschaft  der  beiden  formen  aufzugeben  und  sucht 
sich  mit  der  gewagten  annähme  einer  contamination  zu  helfen. 
In  afries.  fial  soll  ein  germ.  *heula-  =  cakra-  vermischt  sein 
mit  germ.  *fefla-  bez.  *fihla-  aus  indog.  *peplo-  bez.  *peplö-,  zu 
dessen  ansetzuug  lat.  poples  4kniekehle\  gr.  xtltui$<o  'schwin- 
gen' berechtigen  sollen.  Ich  gebe  zu,  dass  Zupitza  in  feiner 
weise  die  bedeutungsent Wickelung  von  4 rad'  zu  'knie'  durch 
hin  weis  auf  ahd.  knivrado,  span.  rodilla,  lett.  skremelis  an- 
nähernd plausibel  gemacht  hat;  aber  die  laut  Verhältnisse 
widersprechen  durchaus.  Afries.  *htcel  und  seine  neufries. 
entsprechungen  (wanger.  wdil,  saterld.  w&l,  harling.  ueyhl, 
uayl  Cadovius;  nordfries.  wel  [Amrum-Föhr  tvül\;  westfries. 
u'U)  weisen  keineswegs  auf  germ.  *kmtla-7  sondern  allem 
anscheine  nach  auf  *hegla-  zurück;  und  aus  einem  germ.  *f'efla-, 
*fetla-  wäre  afries.  *f'efl  bez.  *ßvel,  niemals  aber  fial  abzuleiten. 


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256 


SIEBS,  ZU  DEN  LABIALISIERTEN  GUTTURALEN. 


Die  reguläre  weiteren twickelung  dieses  afries.  fial  lieg"!  in 
saterld.  jöl  (harling.  fiauhl  Cadovius),  nordfries.  fil,  fit  vor  (so 
auf  dem  festlande;  auf  den  inseln  ist  das  wort  unbekannt): 
wanger.  ftülbäint  'radgebeint,  krummbeinig'  setzt  gern;.  *feuü- 
voraus.  Pass  nun  dieses  fial  vollkommen  von  *huel  zu 
trennen  ist,  wird  durch  das  westfries.  erwiesen.  Hiel- 
tst afries.  *thial,  a westfries.  tial  anzusetzen.    In  der  Hand- 
schrift Jus  municipale  s.86b  (ed.  Hettema  s.  148)  lese  ich  so 
aeghma  htm  tvtor  dike  toe  ferane  ende  deer  cn  boem  toe  ferane, 
en  tial  toe  bremjane,  deer  eer  oen  wayne  ne  kome,  h  m  deer 
op  ti  settane,  hi  zyn  eynde  deerop  ti  nymane;  im  manuser. 
Roorda  (Hettema,  Jurisprud.  frisiea  2, 182):  so  aegh  ma  ht/mt 
buta  dyck  to  feren,  ende  aen  baem  myt  hem  ende  een  tyel 
aldeer  op  to  sitten,  deer  eer  in  neen  wayn  kaern  ende  hynt 
aldeer  op  to  selten.   Neuwestfries,  tjille  s.  Halbertsma,  Lex. 
fris.  s.  652,  vgl.  tsiol,  ts'jil  Siebs,  Engl.-fries.  spr.  s.  300.  Wir 
haben  also  eine  doppelheit  germ.  *pcula-  neben  *feula- 
anzunehmen  und  damit  einen  weiteren  jener  fälle  gewonnen, 
die  durch  an.  fei :  pel  'feile',  an.  file  :  pile  *  diele',  hochd.  fiemen  : 
nd.  diemen  'häufen',  ahd.  finstar  :  dinstar  u.a.m.  belegt  sind, 
vgl.  Noreen,  Urgerm.  lautlehre  s.  197.  Letzteres  setzt  ja  sicher- 
lich indog.  t  (*temsrös)  voraus;  zu  diemen  :  fiemen  (ahd.  fima) 
vergleiche  ich  lit.  styma  'hauten,  schwärm  von  fischen'.  Und 
ebenso  darf  man  wol  germ.  *peula-,  *feula-  aus  indog.  *tetilo-  zu 
gr.  TvXtj  -wulst'  stellen,  vgl.  rvXicaw  'aufrollen*. 

(tREIFSWALI),  6.  november  1897. 

THEODOR  SIEBS. 


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Verlag  vt'»  MAX  NIEMEYER  in  Hallt-  a.S 


Soeben  erschien : 

Die 


Gesetze  der  Angelsachsen. 

Herausgegeben 
iiu  Auftrage  der  Savigny-Stiftnng 
von 

F.  Liebennami. 

Hand  I.   Lief.  1. 
4.    191  8.    J6  SM. 


Früher  erschienen  von  demselben  Herausgeber: 

Quadripartitus, 

ein  englisches  Rechtsbuch  von  1114.- 

naehgewiesen  und.  soweit  bisher  angedruckt, 
herausgegeben 

von 

F.  Liebermann. 

1891.   gr.  8.   M  4.4<>. 

Consiliatio  Cnuti, 

eine  Uebertragung  angelsächsischer  Gesetze  aus  dem  zwölften 

Jahrhundert. 
Zum  ersten  Male  herausgegeben 
von 

F.  Licbermann. 

1893.  gr.  8.   J6  1,20. 

Ueber  die 

Leges  Anglorum 

Stecnlo  XIII.  Iueuute 
London iis  eollectae 
von 

F.  Liebermann. 

1894.  gr.  8.  fc*3,00. 

Ueber 

Pseudo-Cnuts 
Constitutiones  de  Foresta 

von 

F.  Liebermann. 

1894.   gr.  8.   .Ä  1,80. 

Ueber  die 

Leges  Edwardi  Confessoria. 

Von 

F.  Liebermann. 

1890.    gr.  8.    Jk  3,00. 


Aullgegeben  den  12.  Oktober  1898. 


BEIT1 


iSCHICHTE  DER  DE 


PRACHE 


UND  LITERATUR. 


UNTER    MITWIRKUNG  VON 


HERMANN  PAUL  UND  WILHELM  BRAUNE 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


EDUARD  SIEVERS. 


XXIII.  RANI).   2.  n.  8.  HEFT. 


HALLE  a.  S. 

MAX  NIEMEYER 

77  78  GK.  STEINSTKASSE 
1898 


herren  mitarbeite.*  werden  gebeten,  zu  ihren  manuscripten 
lose  q nartblätter  zu  verwenden,  nur  eine  seite  zu  be- 
eiben  und  einen  breiten  rand  freizulassen. 


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INHALT 


Seite 

Uebcr  die  ausgäbe  der  Revers  saga.   Von  G.  Cederschiöld  .    .  257 

Grammatische*  und  etymologisches.    Von  H.  Hirt  2Ss 

(I.  Zum  aldaut  der  set -wurzeln:  s.  2SS.  —  II.  Zur  Vertretung 
der  labiovelare:  s.  312.       HI.  Zu  den  t - praesentien :  s.  315. 

—  IV.  Zur  Chronologie  gennaniseher  lantgesetze:  s.  317.  — 
V.  Zum  Spirantenwechsel  im  gotischen:  s.  323.  —  VI.  Zu  den 
germ.  lehnworteru  im  slavischen  und  baltischen:  s.  330.  — 
Vit  Etymologien:  s.  351) 

Studien  zu  Reinfried  von  Braunschweig.  Von  P.  Gereke  .  .  35s 
Der  o-umlaut  und  der  Wechsel  der  endvocale  a  :  i(e)  in  den  alt- 

nord.  sprachen.    Von  A.  Koek  4S4 

(L  Der  Wechsel  der  endvocale  <t  :  i(e):  s.  4S4  [Excurs  1: 

Der  Wechsel  u  :  o  im  part.  pass.  der  ostnord.  sprachen :  s.  503. 

—  Excurs  2:  Zur  frage  nach  dem  palatalnmlaut :  s.  500].  — 

II.  Zur  frage  nach  dem  n-umlaut  von  v  in  den  altnord. 
sprachen :  s.  51 1  |  Excurs:  Die  behandlung  des  germ.  diphthongs 
eu  uud  der  Wechsel  iu  :  i»  in  den  altnord.  sprachen:  s.  532). 

III.  Zur  frage  nach  dem  n-umlaut  von  i  in  den  altnord. 
sprachen:  s.  i,44) 

Die  Chronologie  des  Übergangs  von  germ.  e  zu  i  vor  u  -f  k,  g,  y. 

Von  K.  Helm  550 

Meerrettich.    Von  .1.  Hoope  55V» 

Werwolf.    Von  A.  S.  Napier  571 

Zum  Opus  inperfectum.   Vou  W.  Streitberg  574 


Zur  nachricht! 

Es  wird  gebeten,  alle  auf  die  mlaetion  der  'Beiträge'  bezüg- 
lichen Zuschriften  und  Sendungen  an  Professor  Dr.  E.  Siovers 
in  Leipzig-Gohlis  (Turnerstrasse  26)  zu  richten. 


UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA. 

In  dieser  Zeitschrift  bd.  19, 1  ff.  veröffentlichte  prof.  E.  Kol- 
bing im  herbst  1894  einen  aufsatz,  betitelt  'Studien  zur  Bevis 
saga',  der  von  der  art  ist,  dass  er  meinerseits  eine  antwort 
erheischt  Wenn  diese  antwort  auch  zum  grossen  teile  als 
Verteidigung  oder  detailkritik  auftreten  muss,  wird  sie  doch 
auch  principielle  fragen  von  allgemeinerem  interesse  berühren. 

Diese  antwort  soll  im  folgenden  gegeben  werden.  Dass 
ich  nicht  früher  mit  der  erwiderung  fertig  geworden,  beruht 
teils  auf  andren  arbeiten,  die  keinen  aufschub  duldeten  (haupt- 
sächlich in  Verbindung  mit  einem  neuangetretenen  amte),  teils 
auf  einer  schweren  augenerkrankung,  die  meine  arbeitskraft 
sehr  herabsetzte. 

Dieser  aufschub')  dürfte  jedoch,  wie  ich  hoffe,  keine  grös- 
seren unzuträglichkeiten  mit  sich  führen.  Nur  wenige  leute 
interessieren  sich  für  fragen  dieser  art  —  die  textkritik  der 
romantischen  isländischen  sqgur  — ,  und  diese  wenigen  spe- 
cialisten  sind  nicht  gewohnt,  dass  äusserungen  in  diesen  fragen 
rasch  auf  einander  folgen. 

Auch  Kolbings  Untersuchungen  über  die  betreffende  saga 
(=  Bev.)  sind  sehr  lange  nach  meinen  arbeiten  auf  diesem 
felde  erschienen. 

Wie  gross  der  zeitliche  abstand  ist,  hat  eine  gewisse 
bedeutung  für  die  gerechte  beurteilung  der  frage,  und  ich 
muss  deshalb  zunächst  einige  worte  darüber  sagen. 

Im  jähre  1878  bereitete  ich  den  text  der  Bev.  saga  zur 
herausgäbe  vor.   Im .  sommer  desselben  jahres  unternahm  ich 

*)  Die  Schwierigkeit,  hier  in  Gotenburg  mein  schwedisches  mannscript 
ins  deutsche  Ubersetzt  zu  bekommen,  hat  die  Veröffentlichung  des  aufsatzes 
wider  um  ein  jähr  verspätet  [geschrieben  im  januar  1898]. 

Beitriffe  bot  genohioht«  der  deutschen  ipracbe.   XXIII.  1 7 


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258 


CEDERSCHIÖLD 


eine  reise  ins  ausländ,  während  der  ich  auf  bibliotheken  und 
durch  Unterredung  mit  fachleuten  mir  auskunft  über  die  aus- 
ländische literatur  zu  verschaffen  suchte,  die  sich  auf  die 
isländischen  SQgur  bezog,  mit  denen  ich  mich  damals  beschäf- 
tigte.«) Im  jähre  1879  gab  ich  in  den  Acta  üniversitatis  Lun- 
densis  den  text  der  Bev.  s.  heraus.  Das  manuscript  der  ein- 
leitung  zu  den  FSS.  schloss  ich  im  januar  1884  ab.  Seit  dem 
jähre  1882  hatte  ich  mich  hier  in  Gotenburg  aufgehalten,  wo 
es  zu  der  zeit  sehr  schwierig  war,  sich  kenntnis  von  neu- 
erschienener philologischer  fachliteratur  zu  verschaffen.  Ich 
führe  dies  an,  weil  mich  K.  scharf  tadelt,  dass  ich  in  den  FSS. 
nicht  mit  allem  innerhalb  des  jahres  1884  erschienenen  bekannt 
gewesen;  in  der  tat  hatte  ich  nach  dem  sommer  1878  nur  in 
einzelnen  fällen  meine  kenntnis  der  ausländischen  fachliteratur 
vervollständigen  können. 

Der  lange  Zeitraum,  der  zwischen  meiner  arbeit  an  der 
Bev.  s.  und  K.'s  Studien  auf  demselben  gebiete  liegt,  hat  es 
mir,  wie  ich  zeigen  werde,  unbequemer  gemacht,  die  dis- 
cussion  aufzunehmen,  während  derselbe  K.  seine  besten  waffen 
lieferte. 

Was  mich  betriff^  so  habe  ich  mich  nach  der  herausgäbe 
der  FSS.  fast  gar  nicht  mit  den  romantischen  sqgur  beschäf- 
tigen können,  sondern  habe  ganz  andre  aufgaben  übernommen, 
die  meine  ungeteilte  arbeitskraft  erforderten.  Auch  jetzt  kann 
ich  K.'s  aufsatz  keine  so  umfassende  prüfung  angedeihen  lassen, 
wie  ich  getan  hätte,  wenn  er  erschienen  wäre,  während  ich 
noch  mit  dem  Studium  der  romantischen  s<jgur  beschäftigt  war. 
In  dem  einen  oder  andern  fraglichen  falle  dürfte  ich  wol  auch 
vergessen  haben,  welche  gründe  mich  besonders  bewogen,  bei 
der  redaction'der  FSS.  so  oder  so  zu  verfahren.') 

»)  Ausser  den  in  den  Fornajgur  Suörlanda  (=  FSS.)  aufgenommenen 
auch  die  Erex  saga  und  die  Clarus  saga.  Ich  untersuchte  natürlich  auch 
die  wenigen  in  ausländischen  bibliotheken  (besonders  auf  dem  Britischen 
museum)  befindlichen  isländischen  hss.,  die  meinem  damaligen  Arbeitsgebiete 
angehörten,  u.  a.  eine  hs.  der  Lijja.   Vgl.  Kolbing,  Stud.  s.  39,  note  2. 

*)  Es  mag  im  übrigen  tu  entschuldigen  sein,  dass  man  vergisst,  was 
man  selber  geschrieben.  So  etwas  passiert  auch  K.:  in  demselben  augen- 
blick,  wo  er  (s.  39)  mir  vorwirft,  dass  ich  eine  kurte  noti*  über  die  Bev.  s., 
die  er  in  einer  abhaudlung  über  die  Elia  saga  (Beitrage  zur  vergl.  gesch. 
d.  rom.  poesie  etc.)  mitgeteilt  hat,  tibersehen  (richtiger  wäre  vergessen), 


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UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.  250 


Was  K.  betrifft,  so  haben  die  jähre,  die  seit  meiner  aus- 
gäbe der  Bev.  s.  verflossen  sind,  ihm  einige  vortreffliche  waffen 
geliefert.  Er  hat  durch  seine  ausgäbe  des  Sir  Beues  of  Hara- 
toun  für  die  Early  English  Text  Society  veranlassung  gehabt, 
die  englischen  redactionen  des  sagenstoffes  bis  in  die  kleinsten 
einzelheiten  kennen  zu  lernen.  Im  Zusammenhang  mit  dieser 
arbeit  hat  er  die  gälische  redaction  studiert.  Und  schliess- 
lich —  was  für  die  beurteilung  der  isländischen  texte  das 
allerwichtigste  ist  — ,  hat  er  durch  das  entgegenkommen 
von  prof.  Stimming  in  Göttingen  dessen  mit  emenda- 
tionen  versehenen  copien  der  altfranz.  hss.  benutzen 
können,  deren  text  dem  original  der  altisl.  saga  sehr 
nahe  steht 

Besonders  dieser  zuletzt  genannte  umstand  muss  stärker 
betont  werden,  als  K.  es  getan  hat  (er  erwähnt  ihn  nur  ganz 
kurz  am  ende  seines  aufsatzes).  Denn  durch  das  neben- 
einanderlegen dieser  beiden  copien  mit  den  nordischen  texten 
hat  K.  einen  unvergleichlich  sichreren  ausgangspunkt  als  ich 
für  die  beurteilung  der  ursprünglichkeit  der  verschiedenen 
handschriftlichen  lesarten  gehabt.  Ich  dürfte  wol  nicht  fehl- 
greifen, wenn  ich  gerade  in  dem  entleihen  dieser  copien  den 
eigentlichen  entstehungsgrund  von  K.'s  strenger  kritik  meiner 
ausgäbe  erblicke.1)  Und  ich  kann  nicht  umhin,  seine  art, 
sich  über  meine  ausgäbe  zu  äussern,  mit  der  übermütigen 
kritik  zu  vergleichen,  die  ein  schüler  mit  hülfe  des  in  seine 
hände  gelangten  schlüsseis  des  lehrers  an  der  von  einem  mit- 
schtiler  ohne  dieses  unschätzbare  hülfsmittel  angefertigten 
Übersetzung  übt. 

Wäre  der  Übermut  das  einzige  gewesen,  das  mich  in 
K.'s  Studien  zur  Bevis  saga  verletzte,  so  hätte  ich  nicht 
genügende  veranlassung  gehabt,  zu  antworten.  Aber  K.  gibt 
eine  in  der  hauptsache  tendenziöse  und  schiefe  darstellung 

in  demselben  angenblicke  erzählt  er  (anm.  1  s.  39),  dass  er  selbst  in  seiner 
ausgäbe  des  Sir  Beues  diese  notiz  vergessen  nnd  Pio  Rajna  daa  verdienst 
der  entdecknng  zugeschrieben  habe. 

')  Denn  dass  K.,  ehe  die  franz.  texte  in  seine  hände  gelangt  waren 
(nnd  während  er  sich  also  in  keiner  besseren  läge  befand  ala  ich),  meine 
ausgäbe  auf  eine  weit  wolwollendere  weise  beurteilte,  geht  aus  seiner 
anzeige  in  der  Deutschen  lit.-ztg.  1885  hervor. 

17* 


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260 


CEDfcRSCHIÖLD 


von  der  beschaffenheit  meiner  ausgäbe  und  bringt  eine  menge 
unrichtiger  detailangaben  vor.   Das  verlangt  eine  antwort. 

Für  den  der  ohne  vorgefasste  meinung  K.'s  aufsatz  liest, 
dürfte  seine  absieht,  meine  ausgäbe  als  vollkommen  wertlos 
hinzustellen,  deutlich  hervortreten. 

Dagegen  bedarf  es  einer  genaueren  Untersuchung  der  tat- 
sachen,  um  einzusehen,  dass  K.  zur  erreichung  seiner  absieht 
verschiedenes  verschweigt,  was  ich  in  der  einleitung  zu  den 
FSS.  geäussert,  und  mir  ansprüche  zuschreibt,  die  ich  niemals 
gemacht  habe;  dass  er  weiter  grundsätze  aufstellt,  deren 
richtigkeit  teilweise  recht  zweifelhaft  ist,  und  dass  er  schliess- 
lich einzelheiten  vorbringt,  die  auf  irrtum  oder  Unkenntnis 
beruhen. 

Was  K  verschweigt,  ist  vor  allem  der  grundsatz,  nach 
welchem  alle  in  die  FSS.  aufgenommenen  s<?gur  (mit  ausnähme 
von  Fl.)  veröffentlicht  worden  sind  und  worüber  ich  in  der 
einleitung  s.  lxii — v  ausführliche  rechenschaft  abgelegt  habe. 

An  der  genannten  stelle  habe  ich  (mit  motivierung)  als 
meinen  hauptzweck  hingestellt,  von  jeder  saga  bloss  eine  ein- 
zige redaction  mitzuteilen,1)  obgleich  ich  in  ein  paar  fällen 
es  für  zweckmässig  gehalten  habe,  etwas  weiter  zu  gehen. 

Die  beschränkung  des  Variantenapparates,  die  sich  aus 
diesem  meinem  prineip  ergab,  wurde  von  K.  in  seiner  recen- 
sion  der  FSS.  (Deutsche  lit.-ztg.  no.  3,  sp.82)  mit  folgenden 
worten  erwähnt:  'dies  verfahren  befördert  unzweifelhaft  die 
Übersichtlichkeit  und  wird  von  vielen  fachgenossen  gebilligt 
werden';  und  obwol  er  seinerseits  bemerkt,  dass  der  Varianten- 
apparat vollständiger  gewesen  sein  könnte,  liegt  es  ihm  doch 
so  fern,  deswegen  ein  Verdammungsurteil  auszusprechen  (ähn- 
lich dem  das  er  in  dem  vorliegenden  aufsatz  fällt),  dass  er 
statt  dessen  seine  bemerkung  mit  den  Worten  einleitet:  'das 
im  folgenden  ausgesprochene  bedenken  soll  in  erster  linie  nur 
mein  warmes  interesse  an  dem  wertvollen2)  und  mit  auf- 
wendung  jahrelanger  mühen  hergestellten  buche  bekunden.' 

Und  er  schliesst  seine  besprechung  mit  den  worten:  'wir 

\)  Dass  einige  worte  K.'s  auf  s.  37  keineswegs  eine  genügende  auf- 
klärung  hierüber  geben,  soll  weiter  unten  gezeigt  werden. 
")  Von  mir  gesperrt. 


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UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA. 


261 


können  zum  schlösse  nur  wünschen,  dass  es  herrn  C.  auch 
weiterhin  vergönnt  sein  möge,  in  so  fruchtbarer  weise') 
im  dienst«  der  nordischen  philologie  zu  wirken.' 

So  urteilte  K.  im  jähre  1885,  als  er  schon  eine  langjährige 
bekanntschaft  mit  den  romantischen  sQgur  hatte.  Aber  1894 
erklärt  er  das  was  er  neun  jähre  vorher  gerühmt  hatte,  für 
untauglich.  Er  erwähnt2)  nicht  einmal,  dass  die  herausgäbe 
einer  einzigen  redaction  als  ziel  aufgestellt  werden  könne  (und 
von  mir  im  vorliegenden  falle  tatsächlich  aufgestellt  worden 
ist).  Die  einzig  zulässige  art,  auf  die  eine  solche  isL  saga, 
welche  Übersetzung  oder  bearbeitung  eines  ausländischen  ori- 
ginales ist  oder  sein  dürfte,  ist  nach  seiner  meinung  (s.  4  f.)  die 
folgende:  '[die  ausgäbe  muss]  das  [handschriftliche]  material 
so  vollständig  wie  irgend  möglich  vorlegen,  also  keine  einzige 
sachliche  Variante  irgend  einer  hs.  von  selbständiger  bedeutung 
unerwähnt  lassen';  —  denn  der  letzte  zweck  der  herausgäbe 
einer  solchen  altisl.  Übersetzung  (oder  bearbeitung)  soll  nämlich 
der  sein,  zur  textkritik  des  ausländischen  originales  beizutragen. 

Wie  K.  seinen  grundsatz  in  anwendung  bringt,  werden 
wir  gleich  sehen.  Aber  zuerst  müssen  wir  bei  dem  grundsatz 
selbst  etwas  verweilen. 

Obgleich  K.  ausser  betracht  lässt,  dass  auch  von  roman- 
tischen (übersetzten)  SQgur  verschiedene  redactionen  existieren 
können,  ist  dies  eine  tatsache,  die  nicht  verneint  werden  kann. 
Um  nur  bei  der  publication  zu  bleiben,  von  der  die  Bev.  s. 
ein  teil  ist,  so  enthält  die  einleitung  zu  den  FSS.  reichhaltige 
beiträge  zur  beleuchtung  der  freiheit,  womit  die  isländischen 
Schreiber  bei  der  behandlung  der  übersetzten  SQgur  verfuhren; 
s.  besonders  cap.  I,  spec  s.  xiv  ff.,  sowie  cap.  VI  (Om  Flovents 
saga).  —  K.  selbst  hat  in  seinen  älteren  arbeiten  das  vor- 
kommen verschiedener  isl.  redactionen  der  nämlichen  roman- 
tischen sagaübersetzung  nicht  verkannt;  s.  z.  b.  Elis  s.  (Heilbr. 
1881)  s.  xxv,  wo  er  hervorhebt,  dass  die  gemeinsame  vorläge 
der  hss.  C  und  B  der  El.  s.  'eine  stellenweise  durch  einen  Is- 
länder stark  überarbeitete  redaction  der  saga'  repräsentiere, 
und  wo  auch  die  hs.  D  eine  'vielfach  gekürzte  und  durch  die 

')  Von  mir  gesperrt. 

■)  Bezüglich  seiner  äusserungen  auf  s.  37  s.  weiter  unten. 


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262 


CEDERSCHIÖLD 


hand  eines  Isländers  stark  veränderte  und  verschlechterte  be- 
arbeitung  einer  alten  hs.'  sein  soll  (vgl.  s.  xxxvm  a.  a.  o.),  und 
s.  xl  sagt  er  wider,  dass  wir  'in  C  B  und  D  nicht  sowol  andere 
liss.  der  saga  vor  uns  haben,  als  vielmehr  andere,  stark  über- 
arbeitete Versionen*. 

Auch  nur  durch  das  verschweigen  der  von  mir  beabsich- 
tigten beschränkung  auf  eine  gewisse  redaction  (nämlich  der 
durch  die  hs.  B  repräsentierten)  kann  K.  (s.  6)  zwei  meiner 
bemerkungen  zum  Variantenapparat  in  der  Bev.  s.  als  einander 
widersprechend  bezeichnen,  was  sie  freilich  auch,  aus  ihrem 
Zusammenhang  gerissen,  scheinen  können.  Für  den  der  den 
ganzen  Zusammenhang  an  beiden  stellen  liest,  dürfte  es  nicht 
schwierig  sein,  meine  meinung  zu  erkennen;  ich  habe  die  von 
der  hs.  B  repräsentierte  redaction  so  vollständig  wie  nur  mög- 
lich mitteilen  wollen;1)  dahin  gehört,  dass  ich  aus  anderen  hss. 
(bes.  der  red.  C)  solche  lesarten  aufgenommen  habe,  die  mir 
geeignet  schienen,  versehen  in  der  red.  B  zu  berichtigen  (vgl. 
FSS.  s.  lxiv).  Aber  da  ich  fand,  dass  die  hs.  C  an  und  für 
sich  von  grossem  werte  war  und  meinem  textcodex  B  relativ 
nahe  stand,  habe  ich  bezüglich  der  Bev.  s.  (wie  auch  der 
Konr.  s.)  die  angegebene  beschränkung  meiner  aufgäbe  über- 
schritten und  eine  hauptsächlich  vom  nordisch -philologischen 
Standpunkte  aus  einigermassen  vollständige  Sammlung  der 
abweichenden  lesarten  der  hs.  C  (ev.  yd)  sowie  auch  —  was 
die  Bev.  s.  betrifft  —  der  fragmente  A  und  D  zu  geben  ge- 


')  Eine  consequenz  dieser  meiner  absieht  und  zugleich  ein  äusserer 
beweis  derselben  ist,  dass  ich  den  namen  der  hauptperson  in  der  von  der 
hs.  B  (und  zugleich  von  dem  norweg.  diplom;  vgl.  FSS.  s.  ccxxxvm)  ge- 
gebenen form  Beters  beibehalten  habe,  obgleich  ich  wol  einsah,  dass  die 
form  Bevis  der  hs.  C  ursprünglicher  war,  was  ich  auch  ausdrücklich  FSS. 
8.  CCXLi  gesagt  habe.  Dies  hätte  K.  also  nicht  zu  widerholen  brauchen 
(s.  67).  —  Hätte  ich  gleich  K.  die  form  widerherzustellen  gesucht,  die  am 
ehesten  dem  ursprünglichen  (norw.  oder)  isl.  texte  angehört  haben  dürfte, 
so  würde  ich  mich  kaum  mit  der  form  Bevis  begnügt,  sondern  mich  eher 
für  die  form  Beves  entschieden  haben.  Für  diese  form  spricht  nämlich, 
teils  dass  sie  den  franz.  formen  näher  steht,  teils  dass  man  gerade  aus  ihr 
alle  die  formen  ableiten  kann,  die  in  den  isl.  hss.  vorkommen.  Die  ent- 
wickelung  wäre  also:  1)  Beves >  Bef{u)es  D,  2)  Beves >  Bevis  C,  3)  Beves 
>  Bevess  >  Bevers  B,  N.  Dipl.  (vgl.  pess  >  pers,  ßessi  >  ßersi  u.s.  w.), 
4)  Beves  >  Bevus  {Befus)  >  Bievw  (Biefus)  papierhss. 


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UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  8AGA. 


263 


sucht.1)  Und  da  es  auch  von  diesem  gesichtspunkt  ans  nicht 
eben  leicht  war,  die  richtige  grenze  zwischen  dem  wichtigen 
und  minder  wichtigen  zu  ziehen,  so  äusserte  ich  s.  ccxl  in 
der  anmerkung,  dass  ich  vielleicht  noch  etwas  ausführlicher 
hätte  sein  können. 

Beim  citieren  meiner  änsserung  an  der  letztgenannten 
stelle  sucht  K.  einen  widersprach  mit  s.  lxiv  dadurch  herbei- 
zuführen, dass  er  die  worte:  'also  nur  diese'  einschiebt;  dies 
ist  nicht  berechtigt,  wenn  ich  mich  auch  lieber  ausführlicher 
und  ohne  die  möglichkeit  einer  misdeutung  hätte  ausdrücken 
sollen. ') 

Doch  die  hier  zuletzt  berührten  Verhältnisse  können  wol 
von  allzu  privater  natur  scheinen,  um  ausführlicher  hier  be- 
handelt zu  werden.  Ich  gehe  daher  zu  fragen  von  allgemeiner 
bedeutung  über. 

Wie  soll  man  bei  der  Veröffentlichung  einer  ins  (norwe- 
gische oder)  isländische  übersetzten  saga  verfahren,  wenn 
diese  in  mehreren  redactionen  (handschriftklassen)  vorliegt^ 
von  denen  keine  der  eigene  text  des  Übersetzers  ist,  sondern 
wo  alle  mehr  oder  weniger  überarbeitet  sind? 

Meinerseits  gebe  ich  gern  zu,  dass  das  von  K.  s.  3—5 
skizzierte  verfahren  principiellfürdas  beste  gehalten  werden 
kann.  Aber  ich  behaupte,  dass  auch  ein  anderes  verfahren 
erlaubt  und  nützlich  sein  kann,  und  ich  behaupte  ferner,  dass 
die  art  und  weise,  wie  K.  selbst  von  seinem  princip  gebrauch 
macht,  viel  zu  wünschen  übrig  lässt. 

Es  dürfte  wol  für  selbstverständlich  gelten,  dass  das 


»)  Da«  ganze  material  zu  bieten,  das  möglicherweise  zur  vergleichung 
mit  den  franz.  texten  nötig  werden  könnte,  hatte  ich  weder  beabsichtigt, 
noch  versprochen. 

')  In  Verbindung  hiermit  möchte  ich  bemerken,  dass  K.  auch  sonst 
nicht  immer  ganz  loyal  citiert;  so  z.  b.  vertauscht  er  ohne  weiteres  in  der 
anm.  zu  8.6  die  worte:  'die  unwesentlichsten '  (also  einen  relativen  aus- 
druckt mit  'ganz  unwesentlich'  (also  einem  absoluten  ausdruck);  —  8.61 
übersetzt  er  meinen  ausdruck  (s.  coxxxix)  'ganska  (=  ziemlich)  noggrant 
afskrifna'  mit  'ganz  genaue  abschriften ' ;  —  weniger  bedeutend  ist  es, 
das«  K.  s.6  z.  7  mit  den  worten  'im  werke  selbst'  meine  worte  t  yälfva 
verket  (=  in  der  tat)  widergibt ;  vgl.  unmittelbar  vorher  (s.  5  anm.),  wo  K. 
versichert  hat,  dass  er  die  ei  täte  aus  meinem  schwed.  texte  'in  mög- 
lichst genauer  Übersetzung'  gebe. 


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204 


CEDERSCHIÖLD 


herausgeben  sich  ziemlich  versclüeden  gestaltet,  je  nachdem 
das  ausländische  original  der  (norweg.-)isl.  saga  für  den  heraus- 
geber  vorhanden  ist  oder  nicht.  Der  ausdruck  'original'  wird 
dabei  nicht  ganz  wörtlich  genommen.  Denn  natürlich  kann 
es  kaum  vorkommen,  dass  eben  die  ausländische  (z.  b.  afranz.) 
hs.,  die  dem  nordischen  Übersetzer  vorgelegen  hat,  oder  eine 
mit  dieser  hs.  ganz  übereinstimmende  noch  vorhanden  ist;  aber 
man  kann  doch  behaupten,  dass  man  das  'original'  besitzt, 
wenn  dieses  durch  eine  oder  mehrere  nahestehende  hss.  in 
derselben  spräche  repräsentiert  wird.  Alte  Übersetzungen  oder 
bearbeitungen  in  anderen  sprachen  können  auch  einigennassen 
das  original  repräsentieren,  sind  aber  natürlich  an  und  für 
sich  weniger  zuverlässige  zeugen.1) 

Also:  besitzt  man  das  fremde  original  einigennassen  wol 
repräsentiert,  so  wird  die  kritische  behandlung  der  nord.  Über- 
setzung in  hohem  masse  erleichtert.  Man  ist  dann  im  stände  — 
wie  auch  K.  in  seinem  aufsatze  getan  —  in  einer  menge  von 
fällen  zu  entscheiden,  was  in  den  nord.  texten  ursprünglich 
ist  oder  nicht,  wo  ein  redactor  etwas  hinzugefügt,  ausgelassen 
oder  umgestaltet  hat,  und  man  kann  ein  sichereres  urteil  über 
den  verschiedenen  grad  von  Zuverlässigkeit  der  einzelnen 
redactionen  fällen.  Auf  der  anderen  seite  können  dann  auch 
die  nord.  texte  einen  beitrag  zur  textkritik  des  ausländischen 
originales  liefern.  Mit  einem  wort:  man  hat  dann  mittel  zur 
hand,  um  zu  entscheiden,  welche  Varianten  der  nord.  redac- 
tionen von  wert  für  die  textkritik  der  Übersetzung  und  des 
originales  sind  und  welche  nicht. 

Aber  wie  viele  soll  man  dann  in  den  Variantenapparat 
seiner  ausgäbe  aufnehmen?  Vielleicht  bloss  die  welche  man 
als  für  die  textkritik  wichtig  befunden  hat,  mit  hinzufügung 
derjenigen  die  von  nordisch -philologischem  gesichtspunkt  aus 
wirklichen  wert  haben?   Oder  alle? 

Herr  IC,  der  das  grosse  wort  führt,  dürfte  wol  durch  seine 
behandlung  der  Bev.  s.  uns  ein  muster  geben,  wie  die  sache 
zu  machen  ist.   Wir  wollen  daher  sein  verfahren  untersuchen. 

')  Die  engl,  bearbeitungen  von  Sir  Bevis,  die  mir  1878  im  druck  zu- 
gänglich waren,  zeigten  allzu  viel  abstand  von  den  isl.  texten,  um  allein 
bei  der  beurteilung  der  hss.-verhältnisse  von  besonderem  nutzen  zu  sein; 
vgl.  meine  äusserung  darüber  FSS.  s.  ccxvi. 


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UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  8AGA. 


205 


Folgende  zahlen  müssen  vorausgeschickt  werden.  In  meiner 
ausgäbe  werden  in  den  fussnoten  ungefähr  600  vom  texte  ab- 
weichende lesarten  verschiedener  hss.  (besonders  von  C  und  den 
diesem  sehr  nahestehenden  /  ö)  angeführt.  Zu  diesen  fügt  K. 
(s.  7 — 37)  eine  liste  von  solchen,  die  er  ausserdem  für  nötig 
hält  (wolgemerkt  auch  jetzt  noch,  nachdem  das  franz.  original 
verglichen  ist);  diese  liste  bringt  ungefähr  3000  Varianten. 
Aber  von  diesen  3000  sind  es  nach  K.'s  eigener  berechnung 
(vgl.  s.  52)  nur  131 ,  die  K.  auf  grund  der  vergleichung  mit 
den  ausländischen  texten  (besonders  den  afranz.)  für  ursprüng- 
licher als  die  entsprechenden  lesarten  in  meinem  texte  hält.1) 

Nun,  diese  ungefähr  3000  ab  weichungen  von  dem  ge- 
druckten texte,  die  ich  nach  K.'s  meinung  mit  unrecht  aus 
meinem  Variantenapparat  ausgelassen  habe,  nennt  er  s.  7 
'sachliche  ab  weichungen'.  Hierzu  stimmt  schlecht,  was  er 
s.  37  behauptet,  nämlich:  'hier  (d.h.  bez.  der  Bev.  s.)  handelt 
es  sich  nicht  um  verschiedene  bearbeitungen,2)  sondern  nur  um 
verschiedene  von  einander  unabhängige  hss.  desselben  textes.' 

Ich  kann  nur  annehmen,  dass  hier  ein  Widerspruch  vor- 
liegt. Wenn  nun  'sachliche  ab  weichungen'  zwischen  den  hss. 
B  und  C  (bez.  yd)  *)  an  so  vielen  stellen  existieren,  und  man 
trotzdem  nicht  berechtigt  sein  sollte,  von  verschiedenen  redac- 
tionen  zu  sprechen,  so  müsste  man  ja  schliessen,  dass  un- 
freiwillige Verderbnis  des  textes  an  allen  diesen  stellen 
in  einer  der  hss.  vorliegt;  willkürliche  und  absichtliche 
abweichungen  von  der  vorläge  könnten  es  ja  nicht  sein,  denn 
es  sind  ja  eben  solche,  die  (wenigstens  wenn  sie  qualitativ 

*)  Die  zahl  131  dürfte  in  Wirklichkeit  allzu  hoch  gegriffen  sein,  wie 
unten  gezeigt  werden  wird.  In  welchem  umfange  übrigens  K.  richtig  ge- 
rechnet hat,  habe  ich  nicht  nachgeprüft.  Zufällig  habe  ich  bemerkt,  dass 
K.  b.  48  no.  157  eine  Variante  als  in  meiner  ausgäbe  fehlend  bezeichnet 
hat,  die  sich  dort  wirklich  findet. 

*)  Dies  ist  die  einzige  stelle,  die  ich  in  K.'s  aufsatz  gefunden  habe, 
die  auf  meine  in  den  FSS.  offen  ausgesprochene  absieht,  mich  auf  eiue  ge- 
wisse redaction  zu  beschränken,  bezogen  werden  kann.  Aber  K.'s  äusserung 
ist  hier  nicht  gegen  meine  in  den  FSS.  dargelegten  prineipien,  die  conse- 
quent  verschwiegen  werden,  sondern  gegen  einige  worte  Heinzeis  (im  Anz. 
fda.  11,  130)  gerichtet 

a)  Die  mehrzahl  sowol  der  600  wie  der  3000  betrifft  eben  das  Ver- 
hältnis zwischen  diesen  hss. 


» 

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200 


CKDEKSCHIÖLD 


oder  quantitativ  bedeutend  sind)  eine  besondere  redaction 
constituieren. 

Aber  man  braucht  die  unterschiede  zwischen  B  und  C 
nicht  lange  zu  mustern  um  zu  begreifen,  dass  die  grosse 
mehrzahl  eben  willkürlich  und  absichtlich  ist.  Und  schon 
quantitativ  scheinen  sie  mir  hinlänglich  bedeutend,  um  mein 
in  den  FSS.  s.  lxiv  abgegebenes  urteil  zii  begründen,  nämlich 
dass  C,  obgleich  B  nahestehend,  nicht  als  derselben  redaction 
wie  B  angehörig  bezeichnet  werden  kann. 

Der  qualitative  wert  der  abweichungen  ist  indessen  im 
allgemeinen  gering,')  zum  teil  so  gering,  dass  es  mir  höchst 
merkwürdig  scheint,  dass  K.  so  viel  gewicht  auf  deren  mit- 
teilung  gelegt  hat.  Der  leser  mag  selbst  über  den  wert  der 
folgenden  'sachlichen  abweichungen*  urteilen,  die  ich  aus 
K/s  nachträgen  gesammelt  habe;  ich  habe  es  nicht  für  nötig 
gehalten  mehr  als  ein  paar  kleine  stücke  im  anfang  der  saga 
und  ein  paar  aus  den  schlusspartien  zu  untersuchen,  im  ganzen 
ungefähr  ein  zehntel  des  ganzen  textes. 

Den  wichtigsten  unterschied  zwischen  B  und  C  (bez.  y  d), 
nämlich  bezüglich  des  titels,  der  Bevers'  Stiefvater  beigelegt 
wird,  habe  ich  ausdrücklich  hervorgehoben  in  FSS.  ccxl  und 
habe  dabei  mitgeteilt,  dass  der  unterschied  consequent  durch- 
geführt wird.  Nichtsdestoweniger  notiert  K.  gewissenhaft  jede 
stelle,  wo  die  abweichung  vorkommt  (z.  b.  zu  s.  209, 16.  20.  37. 
40.  210, 6.  10.  14.  15  u.  s.  w.).  Wozu  dies  sonst  dienen  soll,  als 
um  das  Verzeichnis  desto  länger  zu  machen  und  mein  angeb- 
liches verschulden  desto  schwärzer  hervortreten  zu  lassen, 
dürfte  schwer  zu  begreifen  sein. 

Aber  sonst  ist  es  ziemlich  selten,  dass  die  unterschiede 
zwischen  den  hss.  solche  sind,  die  verschiedene  bedeutungen 
mit  sich  führen  (wie  man  aus  K.'s  ausdruck  'sachliche  ab- 
weichungen' schliessen  sollte);  besonders  in  K's  nachträgen 
bilden  diese  eine  verschwindende  minderzahl. 


')  Wichtigere  abweichungen ,  wie  z.  b.  absichtliche  kUrznngen  nnd 
Veränderungen  mit  bezug  auf  den  inhalt,  fehlen  keineswegs  (wie  man  aus 
den  noten  in  FSS.  und  ans  K.'s  darstellungen  ersehen  kann),  und  sind 
natürlich  in  erster  reihe  von  bedeutung,  wenn  es  gilt,  verschiedene 
redactionen  festzustellen;  aber  sie  sind  verhältnismässig  gering  an  zahl. 


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CEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.  267 

Was  K.  hauptsächlich  zu  meinem  Variantenverzeichnis 
hinzuzufügen  hat,  besteht  in  solchen  ausdrücken,  die  mit  dem 
gedruckten  texte  gleichbedeutend  sind. 

Wenn  eine  person  (bez.  ein  pferd,  schwert  u.s.w.),  über 
dessen  identität  der  Zusammenhang  nicht  den  mindesten  zweifei 
erlaubt,  entweder  mit  1.  namen  oder  2.  titel  (bez.  anderer 
appellativer  bezeichnung)  oder  3.  sowol  namen  wie  titel  (bez. 
anderer  appellativer  bezeichnung)  oder  4.  nur  pronomen  be- 
zeichnet wird,  so  nimmt  K.  in  seinen  nachtragen  die  wechseln- 
den bezeichnungen  auf;  s.  z.  b.  zu  s.  209, 11.  18.  210, 2.  16.  44. 
52.  211,27.  216,27  u.s.w.  Fortgesetzte  vergleichungen  zwischen 
den  isl.  und  den  ausländischen  texten  haben  K.  schliesslich 
darüber  belehrt,  dass,  wie  er  am  schluss  von  s.60  zuzugeben 
genötigt  ist,  in  dergleichen  fällen  'auf  das  schwanken  . . . 
wenig  gewicht  zu  legen  ist'  —  und  das  hätte  K.  wol  im  voraus 
wissen  können,  nachdem  er  sich  so  viele  jähre  lang  mit  isL 
hss.  beschäftigt  hatte.  Aber  wenn  er  in  diesem  Zusammenhang 
(s.  60)  behauptet,  solche  stellen  in  seinen  nachträgen  nicht  auf- 
genommen zu  haben,  so  ist  dies  nicht  richtig;  nicht  genug 
damit,  dass  solche  Varianten  (wie  wir  eben  gesehen)  in  der 
grossen  Variantenliste  (s.  7—37)  besonders  zahlreich  sind,1) 
selbst  unter  den  131  stellen,  'wo  die  lesart  von  C  oder  yd, 
bez.  D  oder  A,  sich  durch  vergleich  mit  den  anderen  Versionen 
als  dem  archetypus  angehörig  erweisen  liess,'  die  aber  von 
mir  nicht  verzeichnet  waren,  sondern  erst  von  K.  hinzugefügt 
worden  sind  (vgl.  K.  s.  52),  —  selbst  unter  diesen  stellen,  wo- 
rauf K.  so  viel  gewicht  legt,  finden  sich  mehrere,  die  gerade 
der  eben  erwähnten  kategorie  angehören,  s.  z.  b.  die  anmer- 
kungen  8.  66.  99.  114.  129.  136.  158.  166  auf  s.  40  tt,  vgl. 
ausserdem  79.  172. 

Von  der  grossen  anzahl  übriger  gleichbedeutender,  aber 
in  bezug  auf  den  ausdruck  mehr  oder  weniger  abweichender 
lesarten,  die  K.  als  'sachliche  abweichungen'  anführen  zu 
müssen  glaubt,  will  ich  nur  auf  die  folgenden  hinweisen.1) 


')  In  dieser  liste  dürften  Varianten  der  genannten  art  sich  bis  auf 
ein  oder  mehrere  hundert  belaufen. 

a)  Bei  der  anftthrung  isländischer  textstellen  normalisiere  ich  nach 
demselben  princip,  das  K.  8.7  anm.  befolgt  zu  haben  behauptet,  nämlich 


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268 


CEDEKSCHIÖLD 


Die  synonymen  ausdrücke  Jtestr  und  ess  werden  in  Bev. 
(wie  sonst)  promiscue  angewant;  K.  hat  sich  die  mühe  gemacht, 
an  einer  menge  stellen  den  Wechsel  zu  notieren;  so  z.  b.  die 
nachtragsliste  zu  s.  257— 260. 

Den  Wechsel  zwischen  den  ganz  gleichbedeutenden  sem 
und  er  notiert  K.  s.  209, 24.  210.4.  215,59  u.s.w.,  zwischen  er 
und  at  s.  209,29.36.38.  210,2  u.s.w.,  zwischen  Enn  und  Oh 
(einen  neuen  satz  einleitend)  s.  215, 41,  zwischen  den  adverbien 
fyrri  und  fyrr  s.  209, 18,  zwischen  den  verneinenden  adverbien 
eiyi  und  ckki  s.  215, 43,  zwischen  eöa  und  eör  s.  214, 51.  257, 31. 
258,13');  der  Wechsel  zwischen  meÖal,  milli,  d  tnilli,  i  milli 
wird  s.  259, 13,  zwischen  möti  und  i  mot  s.  260, 13,  zwischen 
peima  und  pessum  s.  215, 46,  zwischen  den  masc.  nom.-formen 
einyinn  und  cinyi  s.  215,35,  zwischen  der  umgelauteten  form 
kjgptinn  und  der  unumgelauteten  kjaptinn  8.216, 7,  zwischen 
dem  altertümlichen  (ek)  mwtta  und  dem  jüngeren  (ck)  mcetti 
s.  216, 18  angemerkt,  u.s.w.2) 

Angesichts  solcher  beispiele  drängt  sich  einem  die  frage 
auf:  wenn  K.  diese  und  ähnliche  für  'sachliche  ab  weichungen' 
hält,  was  versteht  er  dann  unter  formellen?  Vielleicht  nur 
die  rein  orthographischen?  —  Aber  wir  fahren  fort. 

Abwechslungen  in  der  Wortstellung,  sogar  die  allergewöhn- 
lichsten,  werden  von  K.  angemerkt.  So  z.  b.  die  Stellung  des 
attributs  vor  oder  nach  seinem  subst.:  hest  sinn  oder  sinn  hest 
s.  216, 4  f.,  UÖ  mikit  oder  mikit  UÖ  s.  216,52,  tvd  riddara  oder 
riddara  tvd  s.  214,  21  f.,  hans  hest  oder  hest  hans  s.  260, 24,  vgl. 
s.  214, 41.  58.  215,  31.  216,  5.  260, 15.  24  u.s.  w.») 

'in  der  allgemein  üblichen  weise';  mein  resultat  wird  zwar  demjenigen  K  s 
recht  unähnlich  —  aber  das  ist  nicht  meine  schuld. 

')  An  diesen  stellen,  und  wahrscheinlich  an  vielen  anderen,  hat  K.  es 
sich  angelegen  sein  lassen,  dem  leser  die  tatsache  mitzuteilen,  dass  die 
jüngeren  hss.  (y,  6,  D)  die  formen  tbr  haben,  während  mein  nach  der  älteren 
membrane  B  gedruckter  text  eda  hat;  nur  schade,  dass  er  nicht  zugleich 
mitgeteilt  hat,  dass  das  wort  in  membranen  gewöhnlich  abgekürzt  ge- 
schrieben wird  ('«.'). 

3)  Dass  die  relativpartikeln  er  oder  at  (gemäss  dem  jüngeren  Sprach- 
gebrauch) in  den  jungen  papierhss.  yS  fehlen,  wird  zu  s.  212,  35.  213,25 
angemerkt,  ebenso  zu  s.  211,45,  dass  yö  die  jüngere  form  kvinnu  haben, 
während  B  die  ältere  konu  hat. 

3)  Aber  zu  s.  209, 19  unterlässt  es  K.  darauf  hinzuweisen,  dass  der 


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ÜEBER  DIE  AÜ8GABE  DER  BEVERS  SAGA.  260 

Die  Stellung  des  subj.  vor  oder  nach  dem  praed.  wird  an- 
gemerkt 8.  214, 58:  er  heitir  II  umtun  oder  er  Hamtün  heitir, 
s.  257, 42  f.:  Hann  för  nü  oder  För  kann  nü;  die  wechselnde 
Stellung  des  praed.  und  des  adv.  wird  angemerkt  s.  215, 26: 
Nü  UÖa  (svd  fram  stundir)  oder  LiÖa  nü;  vgl.  8.  209, 8  f.  (wo 
zwei  adv.  die  Stellung  miteinander  tauschen),  s.  215, 10  u.s.w. 

Manche  der  lesarten,  die  K.  in  seinen  nachtragen  auf- 
genommen hat,  geht  bloss  darauf  aus  zu  zeigen,  wie  weit  das 
eine  oder  andere,  gewöhnlich  so  gut  wie  bedeutungslose  wört- 
chen sich  in  der  einen  oder  andern  hs.  vorfindet.  So  z.  b.  wird 
s.212,31.39.  213,62.  214,63.64.  215,11.  260,19  u.s.w.  ver- 
zeichnet, ob  der  nachsatz  (apodosis)  mit  pd  eingeleitet  wird 
oder  nicht. 

Eine  andere  grosse  gruppe  Varianten  erhält  K.  dadurch, 
dass  er  verzeichnet,  wie  weit  im  erzählenden  Stile  das  praet. 
oder  das  praes.  histor.  angewant  wird,  z.  b.  s.  210, 2.  49.  57. 
211,3.  212,31.  214,28.  216,29.  257,28.  260,8.9  u.8.w. 

Ein  jeder  der  sich  nur  ein  wenig  mit  isl.  sagas  (sei  es 
originalen  oder  übersetzten)  beschäftigt  hat,  weiss  ganz  genau, 
dass  der  in  rede  stehende  tempuswechsel  zu  den  allergewöhn- 
lichsten  erscheinungen  gehört,  und  versteht,  dass  dergleichen 
'Varianten'  für  solche  von  minimalem  werte  angesehen  werden 
können.  Aber  noch  unnötiger  sind  die  'Varianten'  in  folgendem 
fall:  in  meinem  abdruck  von  B  habe  ich  (wie  ich  ausdrück- 
lich in  den  FSS.  s.  lxxii  gesagt)  die  in  der  hs.  regelmässig 
vorkommenden  zweideutigen  abkürzungen  fv.  und  f.  mit 
praesensformen  (in  der  regel  sing.,  also  entweder  svarar  oder 
segir)  widergegeben;  wenn  nun  zufällig  eine  der  andern  hss. 
ein  ausgeschriebenes  praeteritum  hat,  so  wird  dies  von  K. 
vermerkt,  z.b.  bei  s.  211, 1. 18.  215,8.  258,10  u.s.w.») 

Wenn  eines  unter  den  am  häufigsten  vorkommenden  Sub- 
stantiven (z.  b.  Jiöngr,jarl)  in  einer  von  den  hss.  irgendwo  sich 
in  bezug  auf  das  Vorhandensein  oder  fehlen  des  angehängten 
artikels  von  den  andern  hss.  unterscheidet,  hat  K.  auch  diese 
erscheinung  verzeichnen  zu  müssen  geglaubt.   Irgend  welche 

lesart  von  B:  döttur  sma  ein  sina  dottur  in  yö  entspricht,  zu  8.  214,5b, 
das«  auch  D  die  Wortstellung  mo&ir  min  hat. 

«)  Dass  A  auf  ».  257,41  sog&i  schreibt,  hat  K.  jedoch  zu  notieren 
vergessen. 


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270 


CEDERSCHTÖTiD 


anleitung  zur  bestimmung  des  ursprünglichen  textes  liefern 
indessen  diese  'sachlichen  ab  weichungen'  nicht,  denn  in  den 
älteren  hss.  wurden  diese  und  ähnliche  Wörter  sehr  oft  durch 
eine  abkürzung  angegeben,  die  nicht  angab,  ob  eine  form  mit 
oder  ohne  artikel  beabsichtigt  war;  vgl.  FSS.  s.  lxxiii— v,  wo 
ich  auch  mein  eignes  verfahren  bei  der  widergabe  derartiger 
abkürzungen  auseinandergesetzt  habe.  K.  hat  wahrscheinlich 
die  genannten  seiten  meiner  einleitnng  nicht  gelesen,  sonst 
hätte  er  wol  kaum  seine  liste  mit  solchen  bemerkungen  wie 
z.b.  s.  210,59.  211,1.  3  vermehrt,  dass  die  papierhss.  yö  jarl 
schreiben;  mein  text  hat  zwar  an  diesen  stellen  jarlinn,  aber 
da  ich  s.  lxxiv  anm.  3  bemerkt,  dass  die  hs.  B  an  den  ge- 
nannten stellen  (und  vielen  andern)  die  abkürzung  j.  zeigt, 
dürfen  wol  hier  die  abweichungen  eher  graphisch  als  sach- 
lich genannt  werden. 

Wozu  soll  nun  das  aufzählen  dieser  und  derartiger  Varianten 
eigentlich  dienen? 

Von  wert  für  die  reconstruction  des  ursprünglichen  saga- 
textes  und  für  die  kritik  der  franz.  texte  könnten  ja,  gemäss 
K.'s  eigener  meinung,  bloss  eine  geringe  anzahl  sein.1) 

Aber  auch  für  die  beurteilung  des  Verhältnisses  zwischen 
den  isl.  hss.  untereinander  müssen  ähnliche  abwechslungen,  wie 
die  hier  oben  angeführten,  mit  der  grössten  vorsieht  behandelt 
werden.  Von  der  mehrzahl  derselben  gilt  ohne  zweifei,  was 
K.  selbst  in  seiner  vorrede  zur  Elis  saga  (s.  xxvii— vm)  über 
'abweichungen'  äusserte,  'auf  die  die  betr.  abschreiber  sehr 
leicht  selbst  gekommen  sein  können';  dahin  gehören: 

a)  abweichungen  in  der  Wortfolge  ...*);  b)  hinzufügung 
oder  weglassung  des  artikels  . . c)  anwendung  verschiedener 
tempora . . .;  d)  schwanken  zwischen  sing,  und  plur. . . .;  e)  kleine 
Änderungen  in  der  construetion  . . .;  f)  Wechsel  zwischen  ge- 
bräuchlichen synonymen  ...;  g)  hinzufügung  von  dem  sinne 
nach  naheliegenden  worten 

»)  Das«  K.  bei  der  berechnnng  dieser  anzahl  recht  optimistisch  ge- 
wesen, haben  wir  z.  t.  bereits  gesehen  nnd  werden  wir  weiter  unten  noch 
in  einigen  andern  fällen  nachweisen. 

»)  Ich  lasse  K.'s  beispiele  aus;  jeder  der  es  wünscht,  kann  sich  davon 
überzeugen,  dass  sie  gleichartig  mit  denjenigen  sind,  die  ich  hier  oben 
angeführt  habe. 


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ÜEBEB  DIE  AUSGAUE  DER  BEVERS  SAGA.  271 

Hierauf  gibt  K.  folgendes  gesammturteil:  'es  darf  mit  ent- 
schiedenheit  behauptet  werden,  dass  alle  derartigen  Varianten 
unser  urteil  über  das  handschriftenverhältnis  in  keiner  weise 
beeinflussen  können.' 

Aus  speciell  nordisch-philologischem  interesse  hat  K.  offen- 
bar eine  solche  masse  Varianten  nicht  aufnehmen  wollen.  Wie 
ein  nordispher  philologe  in  derartigen  fragen  denkt,  dürfte 
wol  im  allgemeinen  bekannt  sein;  aber  für  den  fall,  dass  ein 
zeuge  verlangt  wird,  will  ich  einen  herausgeber  citieren,  dessen 
autorität  nicht  leicht  verworfen  werden  dürfte,  den  docenten 
Finnur  Jönsson. 

In  der  vorrede  zu  seiner  kritischen  ausgäbe  der  Egils 
saga  Skallagrimssonar  (Kebenhavn  1886 — 88)  s.  xxvi,  sagt 
dieser:  ' jeg  [harj  ikke  eller  meget  sjselden  . . .  taget  hensyn 
til  sadanne  varianter,  der  kun  bestär  i,  at  ordene  i  en  saetning 
er  ordnede  pä  en  forskellig  m&de  uden  nogen  sserlig  syntak- 
tisk  interesse  (f.  ex.  för  kann  f.  hann  för  og  lign.).  Den  slags 
varianter  har  sjaelden  nogen  videre  betydning,  og  for  Egilssagas 
vedkommende,  savidt  jeg  har  kunnet  skönne,  slet  ingen  . . . 
Heller  ikke  har  jeg  taget  hensyn  til  sädanne  varianter,  som 
kun  bestar  i,  at  et  ganske  almindeligt  ord  stär  for  et  ligesä 
almindeligt  (f.  ex.  för  f.  feröadiz  el.  gekk  og  lign.).' 

Und  es  ist  zu  bemerken,  dass  die  Egils  saga  von  nordisch- 
philologischem gesichtspunkt  weit  grössere  bedeutung  besitzt 
und  in  viel  älteren  hss.  bewahrt  ist  als  die  Bev.  8. 

Nun  kann  man  zwar  sagen:  'man  kann  nicht  im  voraus 
wissen,  zur  lösung  welcher  fragen  eine  zukünftige  forschung 
material  aus  den  hss.  zu  schöpfen  gezwungen  sein  wird;  denn 
diese  hss.  können  leicht  abhanden  kommen  oder  zerstört  werden; 
oder  äussere  Verhältnisse  können,  auch  während  sie  noch  vor- 
handen sind,  viele  forscher  verhindern,  sie  direct  zu  benutzen. 
Es  ist  daher  notwendig,  dass,  wenn  eine  saga  (oder  ein  anderes 
literaturdenkmal)  veröffentlicht  wird,  die  lesarten  der  hss. 
(oder  wenigstens  der  von  einander  unabhängigen  hss.)  so  voll- 
ständig wie  möglich  veröffentlicht  werden.' 

Dies  raisonnement  lautet  ja  sehr  vernünftig,  aber  wir 
können  es  doch  nicht  ohne  weiteres  acceptieren.  Will  man 
wirklich  all  das  material  liefern,  das  zukünftige  forscher  für 
verschiedene  (vielleicht  noch  nicht  geahnte)  zwecke  möglicher- 


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272 


CEDERSCHIÖLD 


weise  gebrauchen  können,  so  muss  man  natürlich  auch  für  die 
Vorführung  aller  orthographischen  und  graphischen 
Varianten  sorgen  (denn  diese  können  für  einige  zwecke  wich- 
tiger werden  als  'sachliche  abweichungen'),  und  da  findet  sich 
kein  anderer  ausweg  als  der,  möglichst  genaue  photographische 
abbildungen  von  allen  betreffenden  hss.  zu  liefern.  Aber 
nicht  einmal  dies  wäre  ausreichend.  Eine  von  den  am  sorg- 
fältigsten ausgeführten  photograpliischen  abbildungen,  die  wir 
von  nordischen  hss.  haben,  dürfte  wol  die  abbildung  der 
grossen  Eddahs.  sein,  die  Wimmer  und  F.  Jönsson  i.  j.  1891 
veröffentlicht  haben;  am  schluss  ihrer  einleitung  (s.  lxxv) 
heben  die  herausgeber  hervor,  dass  ihre  lange  beschäftigung 
mit  der  arbeit  sie  gelehrt  habe,  dass  keine  widergabe  je- 
mals das  original  vollständig  wird  ersetzen  können. 
Der  grund  ist,  dass  die  subjective  auffassung  des  herausgebers 
immer  einigermassen  auf  die  beschaffenheit  der  abbildung  ein- 
wirkt.1) Selbst  in  dem  falle  dass  die  hss.  Photographien 
werden,  bleibt  der  leser  von  der  genauigkeit,  der  einsieht  und 
dem  urteil  des  herausgebers  abhängig. 

Gerade  diese  eigenschaften  eines  herausgebers  sind  am 
unentbehrlichsten  bei  jeder  art  von  herausgäbe.  Und  diese 
eigenschaften  zeigen  sich  nicht  am  wenigsten  in  dem  ver- 
mögen des  herausgebers,  sich  klar  und  bewusst  zu  beschrän- 
ken; er  muss  verstehen  das  wesentliche  von  dem  unwesent- 
lichen zu  unterscheiden;  er  muss  nichts  mit  aufnehmen  was 
für  seine  speciellen  zwecke  unnötig  ist;  er  darf  nicht  das 
unnütze  das  nützliche  verdecken  lassen.  So  z.  b.  hat  die  eben- 
genannte Photographie  der  Eddahs.  verschiedene  zufällige  flecke 
oder  wegen  der  dünnheit  des  pergaments  durch  dieses  sicht- 
bare buchstaben  etc.  nicht  aufgenommen,  die  beim  lesen 
störend  wirken  würden.2) 

Nun  muss  wol  auch  K.  einen  speciellen  zweck  mit 
seinem  aufsatz  über  die  Bevers  saga  gehabt  haben,  denn 
nach  allen  Seiten  über  die  hss.  bescheid  gegeben  zu  haben 
kann  er  nicht  beanspruchen  — :  dazu  fehlt  allzu  viel.  Dass 


>)  Vgl.  Arkiv  für  nordisk  filologi  8, 190  ff. 

«)  Dass  Bie  im  comiuentar  notiert  werden,  ist  etwas  anderes;  dort 
tun  sie  keinen  schaden. 


UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA. 


273 


es  sein  specieller  zweck  war.  polemisch  gegen  meine  ausgäbe 
aufzutreten,  wird  er  wol  nicht  einräumen  wollen,  und  das 
wird  wol  auch  nicht  der  fall  sein,  wenn  es  auch  zuweilen  so 
aussieht.  Dagegen  dürfte  man  K.  nicht  unrecht  tun,  wenn 
man  aus  seiner  früheren  Wirksamkeit,  aus  dem  wertvollsten 
im  vorliegenden  aufsatz  und  vor  allem  aus  der  Zusammen- 
fassung, die  K.  selbst  gegen  ende  der  abhandlung  s.  127  ff. 
macht,  den  schluss  zieht,  dass  sein  eigentlicher  und  spe- 
cieller zweck  gewesen  ist,  das  Verhältnis  zwischen 
den  isl.  texten  (bez.  dem  norw.  —  oder  möglicherweise  isl. 
—  text,  von  dem  sie  abstammen)  auf  der  einen  seite,  und 
den  ausländischen  (bes.  den  franz.)  texten  auf  der  andern 
seite  zu  beleuchten.  Aber  welche  massen  von  für  diesen 
zweck  nutzlosem,  ja  geradezu  hinderlichem  stoff  häuft  er  nicht 
zusammen! 

Für  mich  konnte  natürlich  der  zweck  nicht  derselbe  sein 
wie  für  K.,  da  mir  ja  die  franz.  texte  nicht  zugänglich  waren. 
Ich  hätte  daher  unmöglich  die  beschränkung  des  Stoffes  durch- 
führen können,  die  für  K.  leicht  und  ungesucht  gewesen  wäre, 
obgleich  er  es  verschmäht  hat  sie  anzuwenden.  Und  da  ich 
meine  ausgäbe  nicht  mit  einer  masse  solcher  unnützer,  will- 
kürlicher kleinigkeiten  belasten  wollte,  die  in  der  regel  völlig 
bedeutungslos  zu  sein  pflegen,  befolgte  ich  (worauf  ich  sowol 
hier  oben  als  schon  in  den  FSS.  hinwies)  den  plan,  die  redac- 
tion  der  ältesten  erhaltenen  hs.  herauszugeben  und  erweiterte 
den  plan  insofern,  als  ich  aus  den  andern  redactionen  (vor 
allem  aus  Cs)  die  abweichungen  hinzufügte,  die  ich  von  meinem 
Standpunkt  aus  als  'sachliche'  betrachtete. 

Nun  meint  K.  (s.  4),  dass  ich  unter  solchen  Verhältnissen 
(da  die  franz.  texte  mir  nicht  zugänglich  waren)  mich  gar 
nicht  mit  der  herausgäbe  von  Bev.  hätte  befassen  sollen;  und 
an  mehreren  stellen  in  seinem  aufsatz  bemüht  er  sich  zu  be- 
weisen, dass  meine  ausgäbe  —  wegen  der  beschränkung,  die 
ich  hinsichtlich  des  Variantenapparates  beobachtet  habe  — 
gänzlich  wertlos  sei. 

Hierüber  mögen  andere  urteilen!  Ich  fürchte  nicht,  dass 
unparteiische  und  vollauf  competente  beurteiler  ein  so  hartes 
urteil  fällen.  Meinesteils  will  ich  nur,  ehe  ich  zur  nach- 
weisung  verschiedener  fehlerhafter  und  irreführender  angaben 

Beiträge  rar  geechichte  der  deutschen  aprache.  XXIII. 


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274  CKDERSClIIÖIiD 


in  K.'s  aufsatz  übergebe  (angaben,  auf  die  er  zum  teil  sein 
urteil  über  meine  ausgäbe  stützt),  an  einige  Verhältnisse  all- 
gemeinerer art  erinnern. 

Zunächst  ist  es  klar,  dass,  wenn  die  herausgäbe  der 
Bev.  s.  aufgeschoben  wäre,  bis  die  franz.  texte  durch  prof. 
Stimmings  arbeit  zugänglich  geworden  waren,  Fritzner  für 
die  ausarbeit ung  der  zweiten  aufläge  seines  Wörterbuchs  (deren 
Veröffentlichung  bereits  i.  j.  1883  begann)  schwerlich  den  text 
dieser  saga  auf  eine  solche  weise  hätte  ausbeuten  können,  wie 
dies  jetzt  der  fall  gewesen  ist.  Durch  vergleichung  der  ersten 
und  zweiten  aufläge  des  Wörterbuchs  findet  man  leicht,  dass  F. 
für  die  erste  bloss  eine  geringe  anzahl  excerpte  aus  den 
hss.  B  und  6  zur  Verfügung  hatte,  dass  er  dagegen  in  seiner 
zweiten  aufläge  an  einer  grossen  menge  von  stellen  meinen 
text  citiert.1)  In  briefen  an  mich  (citiert  FSS.  lxxix)  äusserte 
im  übrigen  Fr.  selbst,  dass  er  besonders  viel  für  sein  Wörter- 
buch aus  den  texten  in  den  FSS.  habe  schöpfen  können. 

Weiter:  aus  K.'s  eignem  aufsatz  geht  hervor,  dass  meine 
ausgäbe  der  Bev.  s.  und  die  einleitung  zu  den  FSS.  nicht  ohne 
wert  als  Vorarbeit  für  K.'s  eigne  Untersuchungen  gewesen  ist. 

K.  sagt  (s.  64,  an  in.  1):  4  die  hs.  B  habe  ich  nicht  nach- 
verglichen.' Er  hat  somit  nicht  geglaubt  auf  die  hs.  zurück- 
gehen zu  müssen,  sondern  meinen  abdruck  für  völlig  zuverlässig 
gehalten  und  der  bequemlichkeit  halber  diesen  an  stelle  der 
alten,  teilweise  etwas  schwer  lesbaren  membran  benutzt.  Wenn 
nun  meine  ausgäbe  in  erster  reihe  gerade  den  zweck  hatte, 
die  redaction  mitzuteilen,  die  durch  die  hs.  B  vertreten  wird, 
so  hat  K.  also  indirect  zugegeben,  dass  mir  dies  gelungen  ist. 
Aber  anstatt  dankbar  den  vorteil  anzuerkennen,  den  er  von 
meiner  ausgäbe  gehabt,  weiss  er  nur  unfreundliches  darüber 
zu  sagen. 

W'eiter:  K.  muss  meine  ausführungen  (FSS.  s.  ccxxxvm  f.) 
über  die  vier  hss.  AM.  179  und  181,  fol.,  Rask  31, 4»,  Stockholm 
chart.  46,  fol.,  gebilligt  haben,  denn,  soweit  ich  habe  finden 
können,  sagt  er  in  seinem  aufsatz  kein  wort  über  deren 

')  K.'s  In  Häuptling  (s.  63),  dass  meine  ausgäbe  für  lexikographen  unzu- 
reichend sei,  wird  weiter  unten  nach  ihrem  richtigen  gehalt  beleuchtet 
werden ;  ich  werde  an  derselben  stelle  etwas  auf  K.'s  Behauptung  (s.  US  f.) 
von  der  Unzulänglichkeit  fttr  grammatiker  zu  antworten  haben. 


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ÜEBKR  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.  275 

beschaffenheit.  Es  muss  doch,  wenigstens  einigermassen,  eine 
erleichterung  für  K.  gewesen  sein,  über  diese  hss.  nicht  zu 
berichten  zn  brauchen. 

Bloss  in  einer  hinsieht  hat  K.  (s.  64)  anerkennen  wollen, 
dass  ich  in  meiner  ausgäbe  eine  Vorarbeit  zur  bestimmung  des 
*verhalten[s]  des  sagaschreibers  zu  seiner  vorläge'  geliefert  habe, 
nämlich  durch  die  in  der  einleitung  zu  den  FSS.  (s.  vn— xxxm) 
gemachte  Zusammenstellung  von  formelhaften  Wendungen, 
Schilderungen  u.  dergl.,  entnommen  aus  romantischen  sagas 
(Übersetzungen  oder  freieren  bearbeitungen  von  ausländischen 
originalen).  —  Aber  ich  muss  mich  dagegen  verwahren,  dass 
K.  (s.  64)  sagt,  diese  Sammlung  sei  'nur  einer  kleineren  aus- 
wahl  von  texten  entnommen'.  Wie  man  aus  FSS.  s.  rv  anm.2 
sieht,  ist  die  Sammlung  nach  sechszehn  romantischen  sagas 
gearbeitet,  darunter  der  ganzen  Karlamagnus  saga:  die  ge- 
sammte  Seitenzahl  des  (norw.-)  isl.  textes  in  diesen  sagas  be- 
trägt 1443.  Eine  besonders  grosse  Vermehrung  der  quellen 
hat  K  durch  diejenigen  nicht  zu  stände  gebracht,  die  er  s.  64 
anm.  2  (vgl.  s.  65)  als  von  ihm  weiter  excerpiert  anfuhrt. ») 

Weiter  hat  K.  (s.  128)  nicht  umhin  können,  die  folgerung 
über  das  alter  der  Bev.  s.  anzuerkennen,  die  ich  aus  meinen 
Untersuchungen  über  die  stereotypen  gezogen  habe.  Auch  den 
Zusammenhang,  den  ich  zwischen  der  Bev.  s.  und  der  erzählung 
von  Olif  und  Landres  nachgewiesen  habe,  erkennt  K.  s.  128 
an,  wenn  er  auch,  durch  das  Studium  der  franz.  texte  belehrt, 
über  diesen  Zusammenhang  etwas  mehr  zu  sagen  weiss.2) 

*)  In  seine  liste  ist  die  pjalar-Jöns  saga  aufgenommen,  die  aber 
als  'lygisaga'  (vgl.  FSS.  s.  clxvi)  wol  kaum  verglichen  zu  werden  verdient 
hatte;  dasselbe  gilt  wahrscheinlich  von  der  Samsonar  saga  fagra  (vgl. 
Versions  nordiques  etc.  s.  90  f. ;  was  die  Islenzk  »ventyn  betrifft  (die  un- 
gefähr gleichzeitig  mit  cap.  1  der  einleitung  der  FS8.  veröffentlicht  wurden), 
so  ist  nur  ein  kleinerer  teil  dieser  texte  im  stil  mit  den  romantischen 
sagas  zu  vergleichen.  £.  hat  im  übrigen  seine  ergänznngsliste  dadurch 
vervollständigt,  dass  er  vier  nummern  aufgenommen  hat,  die  bereits  zu 
meiner  liste  gehörten:  Möttuls  saga,  Olif  ok  Landres  (als  teil  der  Karla- 
magnus s.),  Partalopa  saga,  Valvers  pättr. 

*)  Meine  Vermutung  (FSS.  ccxvif.),  dass  Bev.  aus  dem  französischen 
übersetzt  sei,  hat  sich  seit  dem  zugänglichwerden  der  franz.  hss.  als  richtig 
erwiesen.  Indessen  will  K.  (s.  113 f.)  den  versuch  nicht  anerkennen,  den 
ich  (a.  a.  o.)  gemacht  habe ,  das  vorkommen  des  wortes  Franzmar  in  der 

18* 


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276 


CEDERSCHIÖLD 


FaciU  est  in  v cutis  addere  ist  jedoch  eine  sentenz,  deren 
berechtigung  K.  einigermassen  hätte  anerkennen  sollen.  Auch 
einer  anderen  sentenz  humanen  inhalts:  miskunnar  mun  hverr 
d  sinu  malt  Purfa,  hätte  sich  K.  erinnern  können,  zumal  er 
(s.63f.)  sich  anstrengt  zu  beweisen,  dass  meine  ausgäbe  von 
Bev.  wissenschaftlichen  lesern  keineswegs  genfige  leisten 
könne.  Denn  genau  genommen  dürfte  auch  K.'s  aufsatz  den 
ansprächen  der  Wissenschaft  nicht  genügen.  Hier  wie  in 
seinen  früheren  arbeiten  ist  K.  nämlich  zu  sehr  geneigt  zu 
übersehen,  dass  wissenschaftlichkeit  Zuverlässigkeit  und  ge- 
nauigkeit  —  oder  wie  IC  es  selbst  etwas  spöttisch  nennt: 
akribie  —  erfordert.  Obgleich  sich  meine  Untersuchung  nur 
auf  einen  kleineren  teil  der  angaben  K.'s  bezieht,  habe  ich 
doch  eine  verhältnismässig  grosse  anzahl  fehler  in  seinem 
aufsatz  entdeckt. 

saga  s.  263,  20.  24  psychologisch  zu  erklären.  Gegen  K.'s  eigene  erklärungs- 
weise  will  ich  bemerken,  dass  während  meine  erklärnng  aus  einer  Hypo- 
these bestand,  K.'s  aus  dreien  besteht,  von  denen  jede  folgende  mit  der 
vorausgehenden  fällt.  Ich  will  meine  bedenken  gegen  eine  jede  derselben 
vorbringen:  1)  dass  Virile  ss  Sevilla,  ist  zwar  nicht  unmöglich,  aber  durch- 
aus nicht  gewiss  (vgl.  'sicherlich'  K.);  die  geographie  ist  ja  sonst  in  der 
erzählung  sehr  phantastisch ;  2)  auch  wenn  Virile  —  Sevilla,  so  ist  es  des- 
halb noch  nicht  wahrscheinlich,  dass  die  bewohner  dieser  Stadt  und  ihrer 
umgegend  von  dem  Verfasser  der  erzählung  (ca.  1250?)  für  Franzosen 
gehalten  worden  und  so  genannt  wären;  wenigstens  erscheint  Virile  con- 
sequent  als  ein  selbständiges  reich,  welches  von  einer  'jungfrau'  regiert 
wird  und  in  keiner  Verbindung  mit  Frankreich  steht.  Ob  wirklich,  wie  K. 
(s.113  f.)  annimmt,  das  vorkommen  von  Frangois  in  dem  franz.  gedieht 
v.  3158  einen  tatsächlichen  beleg  für  seine  hypothese  bildet,  kann  ich  nicht 
beurteilen,  da  ich  die  franz.  stelle  nicht  im  Zusammenhang  gesehen  habe 
(dass  ich  nicht  die  '  hülfstruppen '  aus  Civile,  wie  K.  s.  114  sagt,  'vergesse', 
zeigen  meine  eigenen  worte  die  K.  Ubersetzt);  3)  auch  wenn  die  15000 
mann  aus  Civile  welche  unter  der  anführung  Terris  am  kämpfe  gegen  die 
heiden  teilnahmen,  vom  Verfasser  als  Franzosen  betrachtet  worden  wären, 
so  handelt  es  sich  doch  s.  263, 20.  24  keineswegs  um  Terri  und  seine  leute; 
imgegenteil  wird  in  diesem  Zusammenhang  der  junge  könig  von  Ägypten 
Guion  (z.  14)  erwähnt  und  gleich  darauf  sein  vater,  Bevers  selbst,  der  min- 
destens sieben  jähre  (s.  258,  34)  bei  dem  söhne  in  Ägypten  geweilt  hat.  Es 
erscheint  mir  demnach  immer  noch  als  das  wahrscheinlichste,  dass  der  Ver- 
fasser bei  den  kämpfen  zwischen  Christen  und  heiden  (=  Mnhammedanern) 
im  orient  die  Christen  ohne  weiteres  mit  den  Franzosen  ('Franken')  iden- 
tificiert.  Reminiscenzen  aus  den  berichten  über  die  historischen  kreuzzilge 
konnten  dieser  Verwechslung  ja  auch  eine  gewisse  berechtigung  geben. 


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UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA. 


277 


Ich  will  nun  einige  einzelbemerkungen  gegen  K.'s  aufsatz 
machen  und  bekomme  so  zugleich  gelegenheit  einiges  auf  diesen 
oder  jenen  der  von  K.  gegen  mich  gerichteten  angriffe  zu  ent- 
gegnen. Aber  ich  betone  ausdrücklich,  dass  ich  es  weder  für 
nötig  noch  geeignet  halte,  in  diesen  meinen  bemerkungen  Voll- 
ständigkeit anzustreben.1) 

Sollte  es  sich  als  wünschenswert  oder  notwendig  erweisen, 
so  kann  ich  oder  ein  anderer  ohne  Schwierigkeit  eine  ebenso 
grosse  (oder  eher  noch  grössere)  liste  von  fehlem  aufstellen. 

Zuerst  muss  ich  auf  einige  mängel  in  der  von  K.  angefer- 
tigten liste  von  Zusätzen  zu  meinem  Variantenapparat  hinweisen. 
Nur  etwa  den  zehnten  teil  dieser  liste  habe  ich  mit  den 
hss.  verglichen;  die  anzahl  stellen  jedoch,  wo  K.  entweder 
falsch  gelesen  oder  die  angaben  incorrect  formuliert 
oder  solche  ausgelassen  hat,  die  er,  um  consequent  zu  sein, 
hätte  mitberücksichtigen  sollen,  ist  nicht  so  ganz  gering.2) 

209,4  yd  sollen  nach  K.'s  angäbe  die  lesart  haben  kann 
hafdi  undir  unnit  oh  lagt;  tatsächlich  haben  yd  kann  hafdi 
undir  sik  unnit  ok  lagt.  6  riddari  om.  yd  (von  K.  nicht  ver- 
merkt). 36  d  hat  wahrscheinlich  nicht  nü  (wie  K.  angibt), 
sondern  mjgk  (geschrieben  mt'c).  213, 60  skuld  D  (von  K.  nicht 
vermerkt).  65  hann  D  (nicht  hans,  wie  K.  behauptet).  214, 19 
skuld  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  26  kcerni  ('kicemi')  D  (nicht 
kcemiz,  wie  K.  vorgibt).  42  K.'s  angäbe,  dass  D  en  htm  hin- 
zufüge (zu  B.'s  Worten  er  bdöi  var),  ist  fehlerhaft;  D  hat  en 
hun  var  b<BÖi.  45  mcer  add.  D  (nach  K.'s  formulierung  der 
lesart  von  D  erhält  man  die  bestimmte  angäbe,  dass  mcer  fehlt). 


')  Besonders  muss  ich  noch  darauf  hinweisen,  dass  die  einzelbemer- 
kungen  welche  K.  gegen  meine  ausgäbe  gemacht  hat,  von  mir  deswegen 
durchaus  nicht  als  ganz  oder  teilweise  begründet  anerkannt  werden,  weil 
ich  hier  nichts  zu  ihrer  entgegnung  anführe.  Wie  ich  schon  am  anfang 
dieses  meines  aufsatzes  angedeutet  habe,  fehlte  es  mir  an  zeit,  den  ganzen 
stoff  durchzunehmen  (es  ist  dies  nur  mit  einem  kleinen  teil  geschehen); 
ausserdem  würde  die  erörterung  verschiedener  einzelfragen  in  dieser  zs. 
mehr  räum  erfordern  als  ich  beanspruchen  kann.  Ich  muss  mich  hier  auf 
beispiele  beschränken. 

*)  Einige  derartige  fehler,  die  von  mir  schon  oben  in  einem  andern 
Zusammenhang  vermerkt  worden  sind,  übergehe  ich  hier. 


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278 


CEDERSCHIÖLD 


215,4  Hl  om.  y6  D  (nach  K:  om.  yd  B).>)  13  borin  om.  D 
(von  K.  nicht  vermerkt).  14  yövart  D  (von  K.  nicht  vermerkt). 
31  %  kongs  hirö  om.  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  36  C  hat 
nicht,  wie  K.  angibt,  nur  at  purfli,  sondern  at  Purfli  at. 
39  land  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  216, 16  hvat  D  (von  K. 
nicht  vermerkt),  kempa  D  (nicht  skepna,  wie  K.  behauptet). 
17  t\  Ok  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  28  ok  add.  D  (=  C; 
von  K.  nicht  vermerkt).  31  pat  add.  D  (=  C;  von  K.  nicht 
vermerkt).  39  sd  C  (nicht  sau,  wie  K  behauptet).  43  fd] 
nd  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  257, 51  ok]  Hann  A  (von  K. 
nicht  vermerkt).  258, 1  varö]  nü  mjok  add.  A  (nicht  nur  mjok, 
wie  K.  angibt).  10  i  sundr  add.  A  (von  K.  nicht  vermerkt). 
26  i  brottu  om.  A  (von  K.  nicht  vermerkt).  27  segir  kann 
om.  A  (von  K.  nicht  vermerkt).  32  Munkbrank  A  (von  K. 
nicht  vermerkt).  259, 7  sjd]  hestinn  add.  A  (von  K.  nicht  ver- 
merkt). (18  pd]  ok  A,  aber  undeutlich;  K.  liest  peir.)  (19  huerr 
hvat  manna  A,  aber  undeutlich;  K.  liest  hvat  manni.)  25  hann 
köngrinn  A  (von  K.  nicht  vermerkt).  26  svd  reidr,  at  A  (nicht 
svd  reidr,  svd  at,  wie  es  nach  K.'s  angäbe  sein  müsste).  34  Nu 
tök  hann  A  (von  K.  nicht  vermerkt).  37  pd  nött]  nöttina  A 
(von  K.  nicht  vermerkt).  43  Ok  einn  A  (=  yd;  nicht  Einn, 
wie  K.  behauptet).  (261, 1  f.  K.'s  angäbe  betreffs  der  lesart 
in  A  scheint  nicht  richtig  zu  sein;  statt  hinn  dr[epa],  wie 
K.  angibt,  lese  ich:  hinum  [illt?]  gera.)  —  Dies  ist  doch  eine 
nicht  ganz  kurze  liste,  besonders  wenn  es  sich  nur  um  ein 
zehntel  des  textes  handelt. 

Die  von  K  vergessenen  Varianten,  die  ich  hier  oben  auf- 
gezählt habe,  gehören  zwar  zu  denjenigen  welche  für  mich 
keinen  wert  haben,  aber  von  seinem  Standpunkte  hätte  K. 
diese  ebensogut  anführen  sollen,  wie  er  es  mit  hunderten  von 
anderen  derselben  art  getan  hat.  Schlimmer  ist  schon,  wenn  er 
(wie  bei  s.209,4.  213,65.  214,26. 42.  45.  215,36.  258,1.  259,26. 43) 
den  leser  durch  fehlerhafte  oder  falsch  formulierte  mitteilungen 
irreleitet;  am  schlimmsten  aber  ist  der  fehler  bei  s.  216, 16,  wo 
er  behauptet,  dass  die  schlechte  lesart  in  C  skepna  (übrigens 
in  C  undeutlich  geschrieben)  auch  D  angehören  solle. 

>)  Gewiss  ein  handgreiflicher  d  nick  fehler,  aber  X.  (s.  64  anm.  1)  ver- 
merkt auch  einen  solchen  (peir  statt  pier). 


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ÜEBEE  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.  279 

Andrerseits  geht  K.  in  seinem  eifer  bisweilen  so  weit, 
dass  er  in  seiner  zusatzliste  Varianten  aufnimmt,  die  in  meinen 
fnssnoten  schon  angeführt  worden  waren.  So  hätte  er  z.  b. 
s.  259, 13  nicht  zu  bemerken  brauchen,  dass  die  lesart  priksta-- 
finn  in  yö  vorkommt;  das  habe  ich  schon  in  anm.  7  (zu  s.259) 
mitgeteilt,  und  ich  bin  insofern  exacter  als  K.  gewesen,  als  ich 
die  Schreibweise  in  y,  welche  vielleicht  als  pikstaßnn  gedeutet 
werden  kann,  angegeben  habe. 

K.  sagt  (s.  37),  er  habe  umsonst  nach  bestimmten  kritischen 
grundsätzen  für  aufnähme  oder  verschweigung  der  einzelnen 
Varianten  in  meiner  ausgäbe  gesucht  Ich  bezweifle  nun  keines- 
wegs, dass  es  anderen  nicht  an  der  fähigkeit  (oder  dem  guten 
willen)  gebricht,  meine  grundsätze  in  dieser  beziehung  zu  er- 
kennen. Aber  besondere  aufmerksamkeit  verdienen  doch  teil- 
weise die  beispiele,  mit  denen  K.  seine  behauptung  be- 
legen will. 

Da  sich,  wie  bekannt,  mit  völliger  Sicherheit  von  den 
Varianten  keine  aus  wähl  treffen  lässt  und  die  grenzen  immer 
einigermassen  fliessend  bleiben  müssen,  so  scheint  es,  als  ob 
K.,  wenn  er  seinen  lesern  die  sache  mit  einigen  wenigen  bei- 
spielen  beleuchten  wollte,  leichtes  spiel  haben  müsste.  Aber 
wenn  K's  tendenz  auch  aus  seiner  beispielsammlung  erhellt 
(denn  er  hält  sich  am  liebsten  an  die  grenzgebiete)  und  er 
auch  seine  beispiele  natürlich  durchaus  nicht  s  o  gewählt  hat, 
wie  ich  oder  ein  wol wollender  beurteiler  sie  wählen  würde, 
um  meine  grundsätze  am  besten  zu  beleuchten,  so  verrät  er 
doch  bei  der  wähl  einiger  beispiele  eine  Unkenntnis  des  (nor- 
wegischen und)  isländischen  Sprachgebrauchs,  die  bemerkt 
werden  muss,  da  sie  sonst  irreführen  könnte. 

Eine  so  gleichgiltige  und  unbedeutende  abwechslung  ganz 
gewöhnlicher  synonyme  wie  drla]  snemma,  haröla]  störliga, 
hestr]  ess  hält  K.  für  ebenso  wichtig  wie  z.  b.  folgendes: 

231,64  hat  mein  textcodex  (B)  forreÖ;  der  gebrauch  des 
verbs  forrdöa  ist  in  einer  so  alten  isländischen  hs.  beson- 
ders auffallend  (vgl.  Fritzners  Wörterbuch,  Vigfussons  Dict); 
entweder  stammt  es  aus  einem  norwegischen  archetypus, 
oder  auch,  wenn  es  als  isländisch  zu  gelten  hat  (zuerst  ge- 
braucht von  dem  Schreiber  von  B  oder  sogar  von  seiner 
nächsten  vorläge),  ist  die  stelle  merkwürdig  als  ältester  beleg 


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280 


CEDERSCHIÖLD 


für  das  vorkommen  des  Wortes  im  isländischen;  jedenfalls  lag 
mir  daran  darauf  hinzuweisen,  dass  forred  in  der  hs.  C  nicht 
vorkommt,  sondern  dass  diese  hs.  das  gewöhnliche  isl.  wort 
sveik  hat.  232,  53  hat  B  Bibilant,  broÖir  yövarr,  var  ßar 
(d.h.  i  kastalanutn  Abilant)  inni  kestr  ok  allt  hatis  folk;  inni 
leesa  bedeutet  hier  'cernieren',  ein  gebrauch  des  verbs,  wie 
ich  ihn  an  keiner  anderen  stelle  gefunden  habe;  und  da  B 
an  der  entsprechenden  stelle  vorher  (232, 31)  luktr  hat,  d.  h. 
den  ausdruck  den  man  am  ehesten  auch  232, 53  erwartet  hätte, 
so  dient  der  hin  weis  darauf,  dass  luktr  die  lesart  von  0  an 
der  letzteren  stelle  ist,  dazu,  die  autorität  der  überraschenden 
lesart  leestr  zu  schwächen.1) 

Auch  in  anderen  fällen  ist  K.  mit  seinen  beweisen  für 
meine  vermeintliche  principienlosigkeit  weniger  glücklich.  Ob- 
gleich er  (s.  38)  erwähnt,  dass  ich  für  den  abschnitt,  wo  auch 
A  zur  Verfügung  steht  (s.  257—60),  erheblich  reichere  Varianten 
mitteile  [natürlich  weil  das  fragment  A  das  älteste  ist,  was 
vom  hss.-material  der  saga  aufbewahrt  geblieben  ist],  so  wun- 
dert er  sich  doch  kurz  vorher  (s.  37)  darüber,  dass  ich  gerade 
auf  den  genannten  Seiten  solche  Varianten  anführe,  die  ich 
sonst  tibergehe.  —  Und  wenn  es  sich  darum  handelt,  ob  Ivo- 
rius  15  oder  12  Unterkönige  hatte  und  ob  das  gefolge  Bran- 
damons  aus  300  oder  4000  mann  bestand,  so  dürften  das  doch 
wol  Varianten  von  grösserer  bedeutung  sein,  als  bei  der  frage 
darnach,  ob  Bevers  11  oder  12  ritter  angriffen. 

K.  führt  (s.  38)  drei  stellen  in  meiner  ausgäbe  an,  wo  ich 
durch  zu  grosse  knappheit  (oder  unvollständige  formulierung) 
in  meinem  Variantenapparat  4  den  arglosen  benutzer  irreführe'. 
Ich  bedaure  diese  irrttimer  sehr  und  brauche  zu  meiner  ent- 
schuldigung  wol  nur  anzuführen,  dass  sich  solche  irrtümer 
leicht  einschleichen  können.  In  dem  zehntel  der  zusatzliste 
K/s,  welches  ich  soeben  untersucht  habe,  habe  ich  neun  solcher 

>)  Was  den  Wechsel  von  järnvi&jum]  järnrekendum  betrifft,  sei  daran 
erinnert,  dass  beide  Wörter  von  besonderem  interesse  sind  —  järnviQjar 
eigentlich  eine  katachresis,  järnrehendr  durch  flexion  —  und  dass  keines 
von  diesen  beiden  worten  so  allgemein  vorkommt,  dass  der  hinweis  auf 
ihren  synonymen  gebrauch  unnötig  erscheinen  könnte.  Die  anführung  der 
Variante  pdlmari  von  pilagrimr  ist  offenbar  dadurch  motiviert,  dass  pa/mari 
weniger  in  dieser  bedeutung  vorkommt. 


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UEBER  DIE  AU8GABE  DER  BEVERS  SAGA.  281 

fehler  nachgewiesen.  Lächerlich  ist  es  aber,  dass  K.  betreffs 
einer  der  drei  stellen,  bei  denen  er  meine  nachlässigkeit  tadelt, 
selbst  den  nämlichen  fehler  begeht.  Nach  meiner  angäbe  in 
anm.  14  zu  s.  257  hätten  Ayö  die  Wortfolge:  sem  sjdlfr  vüt pü 
hafa;  und  K.  behauptet,  dass  A/d  die  Wortfolge  haben:  sem 
pü  vilt  sjdlfr  hafa.  Tatsache  ist  aber,  dass  wir  beide  verall- 
gemeinert haben:  die  von  mir  angegebene  Wortfolge  gehört 
wirklich  der  alten  pergamenths.  A  an,  die  von  K.  angeführte 
dagegen  den  jüngeren  papierhss.  yd.  Sein  befremden  über 
'die  bemerkenswerte  Wortstellung',  welche  A  hier  bietet,  mag 
K.  also  selbst  verantworten;  wenn  er  das  citat  aus  der  Tröju- 
mannasaga,  welches  er  in  seinem  aufsatz  s.  117  anführt  (svd 
miht  fe,  sem  sjdlfr  kann  WH),  verglichen  hätte,  so  wäre  sein 
befremden  vielleicht  geringer  gewesen. 

K.'s  listen  (s.40— 60)  der  stellen  wo  diese  oder  jene  hs. 
mit  den  franz.  (bez.  engl,  oder  celt.)  texten  näher  überein- 
stimmt^ würden  wahrscheinlich  bedeutend  modificiert  werden, 
wenn  sie  einer  gründlichen  revision  unterzogen  würden.  Schon 
oben  habe  ich  darauf  hingewiesen,  dass  K.  (trotz  seines  Vor- 
behaltes auf  s.60)  4  das  schwanken  zwischen  eigennamen  bez. 
titeln  ...  und  personalpronominibus  der  dritten  person  oder 
sonstigen  allgemeinen  bezeichnungen'  oft  als  beweiskräftig 
anführt.  Aber  der  leser  findet  leicht,  dass  auch  andere  ziem- 
lich unwesentliche  Wechsel  zwischen  den  isl.  hss.  (abweichungen, 
wie  sie  sich  jeder  Schreiber  in  älterer  zeit  zu  erlauben  pflegte) 
als  beweise  gelten  dürfen;  daher  wird  einem  der  wert  von 
bemerkungen  wie  z.  b.  auf  s.  40  ff.  no.  2.  6.  9.  23.  26.  45.  89. 
134.  137.  142.  144.  150.  162.  171.  205.  206  recht  zweifelhaft. 

Völlig  verunglückt  durften  K.'s  'beweise'  aber  in  folgenden 
fällen  sein. 

No.  20  behauptet  K.,  dass  die  lesart  dylja  yö  dem  ccler 
des  französischen  textes  besser  entspricht  als  synja  B;  er  hat 
übersehen,  dass  die  beiden  isl.  verben  in  der  hier  angewanten 
construction  (mit  object-nebensatz)  ganz  synonym  sind  (vgl. 
z.  b.  Fritzner).  —  No.  25  sagt  K.  von  der  lesart  in  D:  hals- 
hoggva,  sie  sei  'eine  genaue  Übersetzung  vom  franz.  v.  324 
decoler;  die  anderen  hss.  haben  das  seltene  wort  in  verschie- 
dener weise  geändert'.  B  hat  jedoch  hgggva,  was  eine  ebenso 
'genaue  Übersetzung'  ist,  wie  halshgggva,  wenn  es  die  hier 


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CEDERSCHIÖLD 


vorkommende  construction  (blosses  personalobject  im  acc.)  hat ; 
vgl.  Fritzner  2 2, 176.  —  No.  73.  Wenn  K.  behauptet,  dass 
draga  üt  sveröit  dem  franz.  trere  le  braune  besser  entspricht 
als  bregöa  stnu  sveröi  B,  so  muss  er  wol  (weil  er  zugleich  das 
engl,  is  swerd  out  take  citiert)  meinen,  dass  draga  üt  besser 
als  bregöa  dem  trere  (=  take  out)  entspreche.  Weiss  K.  denn 
nicht,  dass  draga  üt  und  bregöa  völlig  synonym  sind?  Der 
unterschied  ist  nur  der,  dass  bregöa  der  allgemeinere  und 
ältere  ausdruck  ist.  —  No.  76.  Wenn  sich  K.  vorstellt,  dass 
pinnar  C  dem  franz.  pikes  besser  entspricht  als  püur  B,  so 
kommt  das  wol  daher,  dass  er  nur  von  Vigfussons  (unvoll- 
ständigen) angaben  über  ptia  kenntnis  genommen,  aber  nicht 
bei  Fritzner2  oder  in  J6n  Dorkelssons  Suppl.  2  nachgesehen 
hat;  dass  er  vom  gebrauch  auf  die  bedeutung  schliessen  könne, 
wie  es  diese  beiden  lexikographen  getan  haben,  wäre  wol  zu 
viel  verlangt. 

Ob  einige  der  bei  K.  s.  52—60  vorkommenden  bemerkungen 
(wie  die  hier  oben  von  s.  41  und  44  angeführten)  von  seiner 
ungenügenden  kenntnis  des  (norwegisch-)  isländischen  stammen, 
habe  ich  nicht  untersucht. 

Ich  komme  nun  zu  K.'s  versuch  (s.  63),  zu  beweisen,  dass 
meine  ausgäbe  für  lexikalische  zwecke  nicht  hinreiche  ml 
sei.  ' Der  lexikograph',  sagt  K.,  'hat  Ursache,  sich  zu  beklagen, 
dem  der  herausgeber  u.a.  folgende  äxag  leyofitra  oder  wenig- 
stens sonst  selten  vorkommende  worte  in  C  verschwiegen  hat', 
und  dann  folgt  eine  liste  von  12  Wörtern. 

Diese  behauptung  K.'s  und  sein  beweismaterial  sind  in 
hohem  grade  beachtenswert;  es  ist  wirklich  der  mühe  wert 
dieselben  zu  untersuchen. 

Zunächst  findet  man  durch  vergleich  mit  K.'s  eigner  zusatz- 
liste, dass  von  den  12  Wörtern  nicht  weniger  als  8»)  gar  nicht 
der  hs.  C,  sondern  vielmehr  den  papierhss.  yd  (einer  oder 
beiden)  entnommen  sind.  Dies  ist  ja  schlimm  genug  —  aber 
vielleicht  ist  in  K.'s  aufsatz  'in  C  nur  ein  druckfehler  statt 
'in  y,  6  oder  C? 

Und  wie  verhält  es  sich  mit  der  grossen  Seltenheit  der 


')  einvirbüiga,  f'pöurarfr,  hjartanliga,  nctrkUxbi,  smänarligr,  ükvän- 
gaÖr,  capnagangr,  veegdarlaws. 


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UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA. 


283 


von  IC  aufgezählten  12  Wörter?  Von  vornherein  muss  man 
ja  staunen  über  die  ausserordentliche  gelehrsarakeit,  auf  welche 
K  ansprach  machen  muss,  um  eine  solche  behauptung  wagen 
zu  dürfen.  Sonst  ist  noch  kein  nordischer  philologe  im  stände 
gewesen,  eine  so  positive  angäbe  zu  machen,  eine  so  grosse 
anzahl  Wörter,  welche  so  jungen  prosatexten  entnommen,  und 
ausserdem  (so  gut  wie  alle)  Zusammensetzungen  oder  ableitungen 
von  ganz  gewöhnlichen  einfachen  Wörtern  sind,  seien  'curag 
leyo/jEva  oder  wenigstens  selten  vorkommend'. 

Zur  beurteilung  solcher  Verhältnisse  reichen  natürlich,  wie 
jeder  nordische  philologe  weiss,  die  Wörterbücher  nicht  aus; 
dieselben  sind  ja  schon  in  bezug  auf  die  gedruckte  literatur 
sehr  unvollständig  und  nehmen  nur  ausnahmsweise  auf  die 
vielen  isl.  texte  rücksicht,  welche  noch  ungedruckt  sind; 
ebensowenig  hat  man  recht  zu  behaupten,  dass  unsere  Wörter- 
bücher die  Wörter  des  heutigen  isländischen  aufnehmen,  welche 
aus  alter  zeit  stammen,  obgleich  sie  zufällig  nicht  gedruckt 
oder  geschrieben  auftreten. 

So  eine  ganz  ausserordentliche  kenntnis  der  gedruckten 
und  ungedruckten  quellen,  sowie  des  heutigen  isländischen,  die 
erforderlich  wäre,  um  die  Wörterbücher  vervollständigen  zu 
können  —  besitzt  K  wirklich  eine  solche?  0  nein,  er  hat  es, 
wie  wir  sehen  werden,  nicht  einmal  verstanden,  von  allen  an- 
gaben der  Wörterbücher  vollständig  kenntnis  zu  nehmen.  Und 
er  hat  eine  so  geringe  erfahrung  im  gebrauch  der  Wörter- 
bücher, dass  er  z.  b.  drottinsvihi  und  fQÖurarfr  als  'selten'  an- 
führt, obgleich  er  selbst  von  beiden  sagt,  sie  seien  vorher  schon 
'viermal  belegt'!  Diese  beiden  Wörter  sind  ja  zusammengesetzt 
aus  wolbekannten  bestandteilen,  deren  bedeutung  völlig  klar 
und  ohne  Wechsel  ist;  unter  solchen  umständen  pflegt  weder 
Fritzner  noch  Vigfusson  mehr  als  ein  paar  belegstellen  anzu- 
führen; wer  glaubt,  dadurch  sei  bewiesen,  dass  das  wort  in 
der  literatur  nicht  öfter  vorkomme,  der  zeigt  nur  seine  eigene 
Unwissenheit.1) 

Von  besonders  grossem  interesse  wäre  es,  zu  erfahren, 
welche  von  diesen  Wörtern  K.  als  äxag  Xtyoptva  betrachtet 


»)  Das  wort  dröttinsviki  kommt  z.  b.  vor  F8S.  47, 16.  68, 36  (vgl. 
anm.  23). 


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CEDERSCHIÖLD 


hat;  nach  seinen  einleitenden  Worten  erwartet  man,  dass  die 
mehrzahl  der  Wörter,  die  er  anführt,  axag  Xtyofjfva  sein  sollten, 
d.  h.  dass  manches  von  ihnen  vorher  ganz  unbekannt  sein  solle 
und  nur  an  der  stelle  in  hs.  C  [oder  richtiger:  (\y,ö]  zu  treffen 
sei,  welche  er  citiert. 

Man  ist  daher  erstaunt,  zu  finden,  dass  er  sich  gleich  selbst 
widerlegt,  da  er  sie  offenbar  in  den  Wörterbüchern  alle  auf- 
gefunden hat  ausser  einem  —  hjartanliga  —  welches  sich 
übrigens  nicht  in  C,  sondern  in  yd  findet.  Und  leider  kann 
K.  auch  diesem  einzigen  nicht  das  teure  recht  vindicieren, 
äxa§  Xtyofitvov  zu  sein:  Jön  porkelsson,  Suppl.  2,  führt  zwei 
belegstellen  an  aus  den  jähren  1599  und  1601  (also  ältere  als 
yd);  derselbe  Verfasser  hat  im  Suppl.  3  drei  beispiele  für  das 
wort  aus  neuester  zeit;  ferner  treffen  wir  das  wort  an  bei 
Gislason  (dänisch -isländisches  Wörterbuch  unter  hjertelig),  bei 
Erik  Jonsson,  sowie  sogar  bei  Vigfusson. 

Das  wort  ükvdngadr  scheint  K.  (zwar  nicht  als  ein  cur. 
Xty.,  aber)  als  ein  dlg  Xty.  hinstellen  zu  wollen,  da  er  zu  ver- 
stehen gibt,  dass  sich  das  wort  ausser  in  Bev.  (yd,  nicht  C) 
nur  einmal  nachweisen  lasse:  'bei  Vigf.  einmal  belegt'.  Jedem, 
welcher  einige  isländische  sagas  gelesen  hat,  kommt  die  an- 
gäbe, ükvdngadr  solle  so  äusserst  selten  sein,  ohne  zweifei  sehr 
überraschend.  Aber  weshalb  verschweigt  K.  das  wort  welches 
Vigf.  unmittelbar  nach  der  belegstelle  hinzufügt:  'passim'? 
Wenn  K.  die  sache  auch  besser  beurteilen  zu  können  glaubt, 
als  Vigf.,  so  hätte  er  die  äusserung  Vigfussons  doch  loyaler- 
weise mitteilen  müssen.  Uebrigens  hätte  K.  das  wort  bei  L. 
Larsson,  Ordförradet  i  de  älsta  isL  hss.  zweimal  aus  dem  Stock- 
holmer Homilienbuch  citiert  finden  können. 

Ueber  die  anderen  acht  Wörter  werde  ich  mich  kürzer 
fassen. 

hrdöligr,  vgl.  Erik  Jonsson.  —  einvir&iliga  oder  einvirdu- 
Uga,  vgl.  Björn  Halldörsson,  Erik  Jonsson,  Vigfusson,  Isl.  aeven- 
tyri  (Glossar),  dürfte  262, 6  {yd)  nicht  bedeuten  'im  einzelnen, 
besonders',  sondern  'mit  fleiss,  genau'  (=  vandliga  B);  vgl. 
übrigens  innviröiliga  (-Ötil-).  —  hreystiverk,  vgl.  Björn  Halldörss.. 
Erik  Jonsson.  —  nasrkldedi  (yd)  ist  wahrscheinlich  eine  corruptel 
der  vorläge  (vgl.  var  kkedi  BC);  oder  hält  es  K.  für  wahrschein- 
lich, dass  Bevers  dem  gesanten  der  prinzessin  seine  unter- 


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UKBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA. 


285 


kleider  geben  und  dieser  sie  dann  (vgl.  221, 3— 5)  der  Prin- 
zessin vorzeigen  würde?  NcerkkeÖi  ist  übrigens  nicht  'nur  bei 
B.Halldörss.  erwähnt',  vgl.  Erik  Jonsson;  Jon!)orkelsson,Suppl.3. 
—  skadligr,  vgl.  Björn  Halldörs.,  Erik  Jonsson;  vgl.  auch  ska- 
Öaligr.  —  smdnarligr  (yd),  vgl.  Jon  porkelsson,  Suppl.  2  (zwei- 
mal vom  jähre  1599  belegt).  Suppl.  3.  —  väpnagangr  (yd); 
ausserdem  zweimal  belegt  bei  Fritzner2;  vgl.  auch  FSS.  188, 1 ; 
K.'s  Übersetzung  'waff engeklirr '  dürfte  kaum  richtig  sein,  eher 
wörtlich:  '  Waffenbewegung'.  —  vcegöarlauss  (yd)  kann  nicht 
gut  'selten'  genannt  werden:  es  wird,  um  von  Egilssons  poeti- 
schen beispielen  zu  geschweigen,  bei  Fritzner5  und  Vigt  als 
adj.  vier-  (oder  fünf-)  mal  belegt,  und  ausserdem  wenigstens 
viermal  im  neutr.  als  adv. 

Auf  wie  nichtige  gründe  K.  seine  Behauptungen  von  dem 
vermeintlichen  verlust  des  lexikographen  gebaut  hat,  wird 
durch  das  vorstehende  einigermassen  dargetan  sein. 

Etwas  unklar  ist  K/s  Standpunkt,  wenn  er  (s.  63  f.)  mich 
deshalb  tadelt,  dass  ich  an  vier  stellen  wo  B  'merkwürdige 
satzfügungen'  bietet,  nicht  die  entsprechenden  lesarten  aus  C 
oder  yö  vorgelegt  habe,  die  in  grammatischer  (syntaktischer) 
hinsieht  ganz  regelmässig  sind.  Nach  dem  was  K.  an  andrer 
stelle  (s.  106)  über  eine  dieser  stellen  (s.  248, 34  f.)  äussert  — 
'die  ganz  unmögliche  satzconstruetion'  —  scheint  er  mit  'merk- 
würdigen satzfügungen'  solche  zu  meinen,  die  nur  von  lapsus 
calami  herrühren  und  also  hätten  corrigiert  werden  müssen. 
Diese  'merkwürdigen  satzfügungen'  sind  folgender  art: 

S.  214, 13.  Der  nachsatz  wird  mit  oh  (statt  pd)  eingeleitet; 
s.  73  scheint  K.  diesen  gebrauch  des  oh  schon  etwas  weniger 
'merkwürdig'  zu  finden.1) 

S.  265, 40.  Anakoluthie:  nach  dem  conjunctionalsatze  steht 
im  hauptsatze  das  verbum  nach  dem  subject. 

S.  248, 34  f.  Unvermittelter  Wechsel  der  subjecte  in  drei 
aufeinander  folgenden  Sätzen  (A — B — A);  honum  —  kann  —  ho- 
num  bezeichnen  dabei  dieselbe  person. 

S.  256, 49  f.  Partitive  apposition;  vgl.  K.  s.  116. 

K.  hätte  in  demselben  Zusammenhang  s.  216, 39  erwähnen 


')  Eine  gute  beispielsamiulung  für  diesen  Sprachgebrauch  findet  sich 
bei  Fritzner  2»,  886. 


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286 


CEDERSCTIIÖLD 


können,  wo  die  lesart  in  B  eine  etwas  ungenaue  anwendung 
des  pronomens  ]>eir  enthält,  das  hier  nicht  alle  die  vorher- 
genannten (ritter)  bezeichnet,  sondern  gleichbedeutend  ist  mit 
peir  IUI,  er  eptir  UfÖu  CD.  Die  lesart  in  B  nennt  K.  s.  42, 
no.  20  'sinnlos'. 

Dass  solche  lesarten  keineswegs  unbedingt  corruptelen  in 
B  zuzuschreiben  sind,  hätte  K.  z.  b.  aus  s.  216,  32  f.  ersehen 
können:  hier  hat  nicht  nur  B,  sondern  auch  C  und  D  Jtessir 
ßMr  menn  —  'vier  von  diesen  männern'.  Auch  diese  stelle 
nennt  K.  (s.  75)  'ganz  unverständlich'. 

K.  hat  offenbar  nicht  genügend  bedacht,  dass  der  altislän- 
dische prosastil  nicht  an  der  modernen,  schulgerechten,  logischen 
und  correcten  ausdrucksweise  gemessen  werden  darf,  sondern 
dass  er  sich  eng  an  die  freie  und  ungezwungene,  ja  zuweilen 
nachlässige  Umgangssprache  anschliesst. »)  Wenn  von  zwei  hss. 
mit  gleichem  text  die  eine  den  logisch  correcteren  ausdruck 
hat,  so  darf  man  sie  doch  nicht  eo  ipso  für  die  ursprüng- 
lichere halten. 

Was  besonders  die  fälle  von  incongruenz  (partitive  appo- 
sition  u.dgl.)  betrifft,  welche  in  den  von  K.  getadelten  fällen 
vorkommen,  so  kann  man  vergleichen:  Lund,  Oldn.  ordf.  §  59 
anm.  3.  Holthausen,  Altisl.  elementarbuch  §  396  a;  verschiedene 
beispiele  in  den  artikeln  flestr  und  sumr  bei  Fritzner2.  Einige 
interessante  altschwedische  beispiele  eines  solchen  Sprach- 
gebrauchs habe  ich  aus  der  ältesten  reimchronik  ('Erikskrö- 
nikan')  v.  1651.  1682.  2345.  3216.  4168  verzeichnet. 

S.  64  anm.  bringt  K.  fünf  besserungen  eines  aus  hs.  C  in 
meiner  ausgäbe  abgedruckten  Stückes.1)  Von  diesen  ist  peir 
(für  pier)  ein  correcturfehler,  welcher  kaum  jemand  irreführen 
kann;  giorazt  ist  dagegen  durchaus  nicht  aus  'versehen'  für 
gerazt  geschrieben  worden:  C  hat  hier  </W,  und  ich  habe  die 
Verkürzung  nach  der  Schreibweise  der  hs.  in  unverkürzten 
formen  des  verbs  aufgelöst.  Die  behauptung  K.'s,  C  hätte 
s.219,9  (Ok)  svo  sem  statt  (Ok)  seni,  habe  ich  bei  erneuter 
Prüfung  der  stelle  in  der  hs.  nicht  richtig  befinden  können. 

')  Vgl.  Lund,  Oldnord.  ordfojningsltere  §  187.  Holthausen,  Altisl.  ele- 
mentarbuch  §  514. 

*)  'Die  wenigen  in  abschnitt  I  gesperrt  gedruckten  besserungen von 
welchen  K.  in  derselben  anmerkung  spricht,  habe  ich  nicht  geprüft 


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UEBEB  DIE  AUSGABE  DEB  BEVEBS  SAGA .  287 


Dagegea  will  ich  die  möglichkeit  nicht  in  abrede  stellen, 
dass  z.  34  über  der  zeile  geschrieben  stellen  kann,  auch  nicht 
die  richtigkeit  bestreiten,  dass  z.  40  reid*  (flicht  reid)  aus- 
geschrieben ist;  aber  K.  hätte  hinzufügen  sollen,  dass  £Ä  — 
wenn  es  wirklich  so  dasteht  —  schmal  wie  ein  strich  ist,  so 
dass  man  die  bedeutung  aus  dem  zusamuienhaug  errateu  muss, 
sowie  dass  das  r  in  reidn  fast  ganz  abgenutzt  ist. 

Man  sieht,  dass  K.  auch  in  solchen  kleinigkeiten  die  feind- 
liche tendenz  verrät,  auf  deren  Vorhandensein  in  wichtigeren 
fragen  ich  hingewiesen  habe  und  welche  —  nebst  zahlreicheu 
irrtümern  —  seinen  sonst  in  mehrfacher  hinsieht  lehrreichen 
aufsatz  veranstaltet. 

GÖTEBORG,  januar  1897.        G.  CEDERSCHIÖLD. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES. 

L 

Zum  ah  laut  der  sei  -  wurzeln. 

Das  ziel  und  die  aufgäbe  jeder  Wissenschaft  muss  es  sein, 
Ordnung  in  die  fülle  der  erscheinungen  zu  bringen.  Dies  kann 
nur  geschehen  mit  hilfe  von  hypothesen,  deren  wert  nach  dem 
umfang  dessen  zu  bemessen  ist,  was  sie  ordnen  und  was  sie 
erklären.  Das  hauptproblem,  das  sich  jetzt  der  indogermani- 
schen Sprachwissenschaft  bietet,  ist  die  darlegung  und  erklärung 
des  ablauts,  und  man  kann  wol  behaupten,  dass  wir  in  diesem 
punkte  wider  in  einer  neuen  zeit  stehen.  Auf  die  epoche,  in 
der  das  ablautssystem  verhältnismässig  sehr  einfach  angesetzt 
wurde,  ist  eine  reaction  gefolgt,  deren  berechtigung  nicht  zu 
verkennen  ist.  Denn  es  stellten  sich  immer  mehr  tatsachen 
ein,  die  sich  nicht  in  das  alte  einfache  Schema  einfügen  Hessen, 
und  so  hat  man  sich  in  der  letzten  zeit  auf  die  feststellung 
der  vorhandenen  ablautsformen  beschränkt  und  dabei  auf  jede 
hypothese  verzichtet.  Als  typisches  beispiel  für  diese  art  kann 
Noreens  Urgermanische  lautlehre  gelten,  deren  grundgedanken 
im  wesentlichen  auch  Brugmann  in  der  neuen  bearbeitung 
seines  grundrisses  gefolgt  ist.  Die  ungeahnte  erweiterung 
unserer  erkenntnis  aber,  die  wir  mit  dem  Verständnis  der 
litauisch -sla  vischen  accentqualitäten  und  mit  der  aufhellung 
der  dehnstufe  gewonnen  haben,  ermöglicht  es,  auch  in  der  lehre 
vom  ablaut  weiterzukommen. 

Ich  habe  meine  anschauungen  über  diese  dinge  IF.  7, 138  ff. 
185  ff.  niedergelegt,  und  habe  bisher  keinen  punkt  gefunden, 
der  mich  veranlassen  könnte,  von  dem  dort  gesagten  abzugehen. 
Das  dort  ausgeführte  ist  indessen  nur  ein  kurzer  abriss,  bei 
dem  ich  das  material  nur  in  mässigem  umfange  anführen  konnte, 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  289 


und  daher  will  ich  es  versuchen,  nunmehr  auf  dem  boden  der 
einzelsprache  vorzugehen ,  um  hier  neue  beispiele  anzuführen, 
alt«  in  neue  beleuchtung  zu  rücken.  Es  handelt  sich  hier  in 
erster  linie  um  die  altindischen  udätta-  oder  set-  (sait-)  wurzeln, 
die  man  auch  kurz  die  zweisilbigen  zu  nennen  pflegt,  ein  aus- 
druck  der  aber  besser  zu  vermeiden  ist,  da  er  zu  misverständ- 
nissen  führt. 

Zum  weiteren  Verständnis  widerhole  ich  hier  kurz  die 
grundgedanken  meiner  auffassung,  deren  begründung  ich  in 
jenem  artikel  nachzulesen  bitte. 

Es  gibt  im  indischen  zahlreiche  wurzeln,  die  hinter  der 
Wurzelsilbe  ein  i  —  indog.  a  aufweisen.  Da  aber  Hübschmann 
in  seinem  Indog.  vocalsystem  schon  vor  jähren  nachgewiesen 
lat,  dass  indog.  a  nur  die  Schwundstufe  eines  langen  vocals 
st  (wovon  auch  trotz  Bartholomae,  BB.  17, 108  ff.,  nicht  abzu- 
gehen ist),  so  müssen  wir  für  die  vollstufen  der  lautgruppen 
T9,  eh,  cmd,  end,  efc,  eus  (ai.  ari,  ami  u.s.w.)  notwendig  erü*, 
la*  u.s.w.  ansetzen.  Von  diesen  beiden  silben  musste  not- 
vendig  eine  immer  reduciert  werden.  Lag  der  ton  auf 
ler  ersten,  so  trat  als  erste  vollstufe  en,  eh,  emd,  er&,  ejp,  exp 
in;  als  zweite  erscheint  {eyrä*,  {e)U*  u.s.w.,  wobei  das  e  einen 
emurmelten  oder  tonlosen  vocal  bezeichnet,  der  zum  teil  steht, 
um  teil  fehlt,  was  sich  zweifellos  nach  betonungsverhältnissen 
ichtete.  Beide  vollstufen  sind  auch  im  germanischen  vor- 
anden,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  das  9  der  ersten  unter 
nbekannten  bedingungen  auch  fehlt. 

Als  Schwundstufe  solcher  set -wurzeln  setzt  man  bisher 
l,  m,  n,  x,  ü  an.  A.a.o.  habe  ich  mich  gegen  die  vier  ersten 
)rmen  erklärt,  und  an  deren  stelle  mit  Joh.  Schmidt  erd,  eh, 
m,  ena  erschlossen,  die  im  germanischen  als  ur,  ul,  um,  un 
iftreten. 

Aber  auch  hier  gibt  es  eine  zweite  Schwundstufe.  Wie 
Imlich  in  der  lautgruppe  erdx  das  «  stehen  und  fehlen  kann, 
•  ist  es  auch  mit  ctq  u.  s.  w.  der  fall,  neben  denen  sich  rd,  h, 
9,  ns,  jp,  u9  finden,  wenn  auch  nicht  allzuhäufig.  Diese  zweite 
h  wundstufe,  die  im  germanischen  als  ra,  la  u.  s.  w.  erscheinen 
üsste,  ist  bisher  schwach  belegt.  A.a.O.  habe  ich  angeführt 
hd.  krage  zu  lit.  gürkli  (acc.),  s.grlo,  gr.  ßtßQcooxco,  ahd.  chranuh 

It.-.tr  lK.>  «ur  g«*cliiol)t«  der  deutschen  apraobe.   XXIII.  19 


200 


Hirt 


zu  gr.  y^Qavog,  lit.  gerve,  mhd.  swach  zu  got.  siuks.  Unten  werde 
ich  weitere  fälle  geben. 

Wie  man  in  früheren  Zeiten  bei  etymologien  die  vocale 
nicht  genügend  beachtete,  so  fehlt  bis  zum  heutigen  tag  eine 
genügende  Sorgfalt  in  der  vergleichung  ein-  und  zweisilbiger 
wurzeln.  Auf  grund  von  Osthoffs  ansatz  einer  nebentonigen 
tiefstufe  (MTJ.  4)  hält  man  sich  für  berechtigt,  worte  mit  i  und  i, 
m  und  a  ohne  weiteres  zu  vergleichen. 

Statt  dessen  sollen  uns  hier  folgende  principien  leiten. 
Anit-  und  set -wurzeln  müssen  auf  das  genaueste  unterschieden 
werden,  i  und  ü,  die  sogenannten  f ,  l,  m,  y  sind  nur  Schwund- 
stufen der  seV wurzeln,  ?,  u,  f,  l,  w,  n  dagegen  gehören  zu 
anit-wurzeln.  Allerdings  wechseln  auch  t  und  ti  mit  f  und  ff, 
aber  doch  nur  so,  dass  t  und  u  weitere,  in  enklitischer  Stellung 
entstandene  ablautsformen  sind  (neben  Mutes  steht  ein  teo- 
xXvtog). 

Es  kommt  nun  vor  allem  darauf  an,  die  mittel  zu  kennen, 
die  es  uns  ermöglichen,  die  seV  wurzeln  genau  festzulegen. 
Dazu  dient  das  indische  mit  seinem  -i,  das  lit.-slavische  mit 
seinem  stosston  (bernas  zu  ai.  bhariman,  gerti,  gurkli  zu  gr. 
ßtßQojoxco),  das  griechische  und  lateinische,  wo  der  zweite 
vocal  erhalten  ist.  Ebenso  wird  eine  set-wurzel  erwiesen, 
wenn  sich  die  stufe  II  plax,  tra*  (gr.  ßtßgcboxco  u.s.w.)  findet. 

Auf  grund  dieser  Voraussetzungen  bitte  ich  das  folgende 
zu  prüfen. 

A.  Die  zweite  vollstufe  trä,  ptä. 

Ich  werde  im  folgenden  das  alte  material  sowie  eine  reihe 
neuer  etymologien  zusammenstellen.  Im  indischen  lauten  fast 
alle  set-wurzeln  vocalisch  aus.  In  den  europäischen  sprachen 
finden  wir  dagegen  häufig  Weiterbildungen  mit  consonantischen 
dementen,  die  man  als  wurzeldeterminative  bezeichnet  hat. 
Ich  bin  der  ansieht,  dass  es  sich  hier  um  suffixale  Weiter- 
bildungen handelt,  und  werde  versuchen,  dies  im  einzelnen  falle 
zu  begründen,  soweit  es  mir  möglich  ist. 

Got.  knü])s  f.  'geschlecht',  ahd.  chnuat,  ags.  cnösl,  as.  knösaJ, 
ahd.  chnuosal  enthalten  die  stufe  knö,  die  die  zweite  vollstufe 
ist  zu  der  indog.  wurzel  gene,  genö.   Vgl.  ai.  aor.  djani  -shta 

/ 

t 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  291 


V.,1)  fut.jani-shydtiV.,  verb.  jani-tös  V.  B.  S.,  \>&rt.  jd-tds,  jflä- 
tish  'verwanter'  (dieses  entspricht  dem  germanischen  worte 
ganz  genau),  gr.  i-ytvo-fiijv,  ytvixcoQ,  lat.  geni-tor,  gr.  yvrjoiog, 
yvmxoq,,  lat.  nätus  und  nätio  enthalten  die  Schwundstufe  -enz, 
got.  -kunds,  himinahunds  u.s.w.  Schwierig  ist  das  s  von  knuo- 
sal.  Uhlenbeck  (Et.  wb.)  deutet  es  aus  *knöt-tlom.  Das  ist 
aber  unmöglich,  denn  -Üo-  ist  doch  kein  secundärsuffix,  und  es 
ist  daher  suffix  -sla-  anzusetzen,  vgl.  gotpreihsl,  hunsl. 

Ahd.  rvodar  aus  *rötrom  gehört  zu  aL  ari-tram,  gr.  tytooco, 
kQ£-x(i6$,  lat.  remus.   Schwundstufe  in  lit.  irti,  irklas  'rüder*. 

Got.  dröbjan  'aufruhr  erregen',  ahd.  truobi  gehört  zu  gr. 
Trtpa/jJ  'Verwirrung'  (oqcc  =  indog.  erd),  &Qäo6a>  'beunruhige', 
lit.  dirkstu,  dirkti  (dirgau)  'von  mechanismen,  in  Unordnung 
geraten',  lit.  dergia,  derkti  'schlecht  wetter  sein,  stürmend  regnen'. 
Der  Wechsel  von  gh  und  bh  ist  häufig  im  wurzelauslaut,  vgl. 
die  reiche  beispielsammlung  bei  Zupitza,  Die  germ.  gutturale 
s.  35  ff.  In  unserem  falle  wird  man  für  das  germanische  von 
einem  *dhrö-b)iä-,  einem  verbalabstractum  mit  dem  suffix  -bh- 
ausgehen  dürfen  (vgl.  lit.  ddrbas  'arbeit'  zu  daryti  'tun',  garte 
'ehre'  zu  giriu  'loben'),  während  für  das  griechisch -litauische 
ein  suffix  -ghü-  zu  gründe  liegt,  vgl.  lit.  iszeiga  'ausgang'  iL  s.w. 
(Leskien,  Nominalbildung  s.  523). 

Got.  gredus  'hunger'  stellt  Uhlenbeck  (Et.wb.)  zu  lit.  gardüs 
'würzig,  wolschmeckend',  ai.  gfdhyati  'ist  gierig'.  Da  ai.  gfdh 
eine  leichte  wurzel  ist,  und  das  litauische  wort  schleifton  hat, 
so  geht  das  schwerlich  an,  jedenfalls  für  den  nicht,  der  auf 
eine  etwas  strengere  beobachtung  der  ablautsverhältnisse  hält. 
Man  wird  zunächst  gre-dus  teilen  und  darin  ein  altes  te-abstrac- 
tum  sehen.  In  gre-  aber  steckt  die  zweite  vollstufe  zu  der 
indog.  wurzel  *yhere  'verlangen,  begehren',  die  vorliegt  in  ai. 
hary-ate  'gefallen  finden,  befriedigt  werden',  gr.  x<*Iq(*>  'sich 
freuen',  aor.  xaQrtpai  (x«QTj-  ist  die  nebenform  zu  gre),  umbr. 
heriest,  osk.  hercst  'er  wird  wollen',  got.  gairnei  'begehr',  gatrnjan 
'begehren'.  Die  wurzel  ist  eigentlich  eine  ei- wurzel,  die  ich 
demnächst  ausführlich  besprechen  werde  (abulg.  ilüdeti  'be- 
gehren' hat  gar  nichts  mit  unserm  wort  zu  tun).  Man  beachte 
übrigens  die  bedeutungsübereinstimmung  zwischen  italisch  und 

•)  Die  citate  für  die  indischen  texte  sind  nach  der  in  Whitneys  Wur- 
zeln angewanten  weise  abgekuret. 


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292 


HIRT 


germanisch.  Der  griechisch-indische  begriff  des  'wolgefallens' 
ist  hier  zu  dem  des  'begehrens'  weiter  entwickelt. 

Got.  hrö-peigs  'ruhmreich,  siegreich'  zeigt  den  stamm  hrö, 
der  zu  ai.  k?  'gedenken,  erwähnen'  (aor.  akarisham  RY.,  kirtish 
V.)  in  regelrechtem  ablautsverhältnis  steht  Zu  gründe  liegt 
ein  ti  -  abstractum,  an.  hröör,  ahd.  hruod-  tu  Ii  m".  ablaut  zu  aL 
kirtish.  Ahd.  hruom  ist  mit  suffix  -mo  weitergebildet  (got. 
hröPeigs  mit  E.  Schröder,  Zs.  fda.  42, 68  zu  got.  hardus  zu  stellen, 
kann  ich  mich  nicht  entschliessen). 

Got.  höpan  'prahlen,  sich  rühmen',  höftuli  'prahlerei,  rüh- 
men' bezeichnet  Uhlenbeck  als  unerklärt  hö  lässt  auf  eine 
sch wundstufe  kü  schliessen,  die  ich  in  gr.  xvöog  n.  'rühm,  ehre 
u.s.w.'  belegt  sehe.  Was  die  verschiedenen  schließenden  con- 
sonanten  betrifft,  so  bemerke  ich,  dass  wir  es,  da  alle  diese 
schweren  zweisilbigen  wurzeln  eigentlich  vocaüsch  auslauten, 
mit  verschiedenen  antretenden  formativen  dementen  zu  tun 
haben,  p  erscheint  noch  in  hröpjan,  wöpjan,  hlaupan  u.  a.  und 
ist  hier  unerklärt.  Ich  möchte  trotz  Zupitza  an  eine  herleitung 
aus  indog.  gv  denken.   Die  erste  vollstufe  liegt  nicht  vor. 

Got.  höta  'drohung',  hötjan  'drohen'  wird  mit  got.  gahatjan 
'wetzen,  anreizen'  verbunden.  Doch  ist  mir  dies  zweifelhaft. 
Als  Schwundstufe  stelle  ich  dazu  gr.  xvdaQco  'schmähen,  be- 
schimpfen'. 

Zu  got  slepan  'schlafen'  gehört  ahd.  slaf  'schlaff,  träge, 
kraftlos',  und  dies  verbindet  man  mit  recht  mit  abulg.  slabü 
'schlaff,  schwach'  aus  *slöbos.  Dass  aber  lat.  labt  'gleiten' 
hierher  gehört,  ist  mir  sehr  zweifelhaft.  Schon  die  bedeutung 
scheint  mir  nicht  sehr  gut  zu  stimmen.  Das  wesentliche 
hindernis  liegt  aber  im  ablaut.  Denn  ich  kann  mich  nicht 
von  der  existenz  eines  alten  ablautes  e  —  ä  überzeugen.  Wir 
lassen  das  lat.  wort  daher  besser  aus  dem  spiel.  Dagegen 
kann  man  ste  pan  als  zweite  vollstufe  zu  lit.  silpstu,  silpti 
'kraftlos  werden'  betrachten.  Das  lit.  p  ist  wol  durch  annähme 
von  entgleisung  zu  erklären. 

Got.  snörjö  'flechtwerk,  korb'  gehört  zu  ai.  snävan,  snäyush 
'band,  sehne'.  Weiter  gehört  aber  ahd.  sena-wa  'sehne'  als 
erste  vollstufe  hierher,1)  und  schliesslich  auch  wol  neplu  u.s.w. 

[')  Aber  ags.  sinu,  obl.  sin  irr  weist  auf  indog.  t  bin:  die  gewöhnliche 
annähme,  genn.  e  gehe  vor  n  ags.  in  i  über,  ist  falsch.   E.  8.] 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  293 


Gotpröpjan  'üben',  uspröpjan  'jemanden  gründlich  unter- 
weisen', usfiröpeins  'Übung'  ist  nach  Uhlenbeck  unerklärt 
Das  verbum  ist  secundär,  wir  kämen  also  auf  *Pröp-,  eine 
f-ableitung  der  wurzel  prö.  Eine  solche  liegt  vor  im  ai.  tf 
übersetzen,  überschreiten'.  Sie  war  schwer:  tirnds  \n  aor. 
arishat  V.  B.  S.  ils.w.  Im  griechischen  hängt  damit  xQrj-ua 
bohrung',  xixqcud  'bohren'  zusammen.  Ferner:  xIqbxqov  'hoh- 
er'. Ich  glaube,  daraus  lässt  sich  die  germanische  bedeutung 
erstehen,  indem  man  von  dem  'durchdringen'  ausgeht.  Im 
law  entspricht  formell  tratiti  'verbrauchen'  ganz  genau,  und 
uch  hier  ist  die  abweichende  bedeutung  zu  begreifen,  wenn 
lan  an  unser  'aufreiben'  denkt 

Got  tcröhjan  'anschuldigen,  anklagen',  wröhs  'anklage'  ist 
nerklärt.  Sämmtliche  übrigen  germanischen  dialekte  weisen 
auf,  vgl.  an.  reegja  'verleumden',  ags.  wregan,  afries.  wrögja, 
3.  wrögian,  ahd.  mögen,  so  dass  vielleicht  die  Vermutung  nicht 
bzu weisen  ist,  das  got.  h  sei  secundär.  Dann  aber  würde 
ch  ungesucht  zur  vergleichung  got.  wargipa  'Verdammnis', 
args  'geächteter  Verbrecher'  bieten.  Aus  dem  lit  gehört 
ierher  vir  gas  'sklave',  während  vor  gas  'not,  elend'  vielleicht 
ltlehnt  ist.  Ist  aber  das  h  alt,  so  dürfen  wir  ein  altes  *wröka 
»•aussetzen,  das  zu  gr.  /qt]  in  fQrjxcoo  'redner'  u.s.w.  ge- 
>ren  könnte.  Vgl.  die  bedeutungsentwicklung  unseres  'zeihen', 
iffix  -ha  wie  in  gr.  foj-xif.  Zu  indog.  *ure  kann  übrigens 
»t.  waürd,  lat.  verbum,  lit.  vardas  nicht  unmittelbar  gehören. 

Ahd.  dräjan  'drehen',  an.  praör  'faden'  gehört  zu  gr. 
yxog,  xiQSfivov  'bohrer',  air.  tarathar  s.  o. 

Ahd.  grät  'gräte,  hervorstehende  spitze  an  ähren,  disteln, 
ebenheit^  rückgrat,  bergrücken'  gehört  wol  zu  gr.  %aQoaom 
>itze,  kerbe,  scheide  ein',  lit  iirkles  'schere,  krebsschere'.  Die 
irzel  hat  verschiedene  erweiterungen. 

In  ags.  hröf  'dach  des  hauses,  spitze,  cacumen',  engl,  roof 
ich,  decke'  stellt  hrö  vermutlich  die  zweite  vollstufe  dar  zu 
xtQctg,  ai.  giras,  lat.  cerebrum.    Dazu  auch  wol  as.  hröst 
chgesperre'.  ags.  hröst,  vielleicht  auch  got  hröt  'dach'. 

Ags.  hrör  'rührig,  lebendig',  ahd.  ruora  'bewegung,  er- 
ging', hrörjan,  ruoren  'rühren,  in  bewegung  setzen,  antreiben' 
bis  jetzt  unaufgeklärt.    Denn  die  Verbindung  mit  got. 
sjan  'schütteln',  die  Kluge  annimmt,  scheint  mir  mehr  als 


204 


HIRT 


zweifelhaft.  Die  stufe  hrö  ist  m.  e.  deutlich  die  zweite  voll- 
stufe zu  gr.  xiQa-fiai,  xtQavvvfii  '  mische*  aus  xeQaa-vvfit,  das 
weiter  in  ai.  frindti  'mischen',  frfl  'kochen,  braten',  part.  ^raids 
u.  s.  w.  vorliegt.  Ahd.  hruorjan  ist  wol  aus  Virösjan  entstanden 
(s.  besonders  auch  Bugge,  Norges  indskrifter  med  de  aeldre  runer 
s.  98),  wobei  das  s  mit  dem  ö  von  gr.  xeQavvvfii  zu  ver- 
gleichen ist. 

Ahd.  hrtioh  'krähe,  häher',  ags.  hröc  hängt  mit  gr.  xopag 
u.s.w.  zusammen,  vgl.  unten  rabe. 

Ahd.  chrön  'garrulus',  chrönnan  'garrTre,  plaudern,  schwa- 
tzen', stellt  sich  zu  ahd.  queran  und  weiter  zu  ai.  gr  'singen', 
gj-ndti  V.,  -garitjr  B.  S.,  lit.  girti. 

Ahd.  muodi  habe  ich  Beitr.  22, 229  mit  gr.  xdfiatog  ver- 
glichen: eine  Vermutung,  die  übrigens  auch  früher  schon  geäussert 
ist.   Die  zweisilbige  wurzel  ist  sicher. 

Ahd.  gräo,  gräwes,  ags.  gr&g,  aisl.  grär  'grau'  führt  auf 
einen  urgermanischen  stamm  grewa,  dessen  erklärung  noch 
aussteht,  Wir  dürfen  ohne  bedenken  gre-wa  trennen,  und  dieses 
gre  gehört  zu  einer  wurzel,  die  in  gr.  x^Qojtog  'strahläugig', 
lit.  iereti  'strahlen',  abulg.  stritt  'glänzen,  sehen'  vorliegt.  Die 
bedeutung  dürfte  sich  aus  der  natur  der  dinge  erklären.  Auch 
wir  sprechen  von  'grauem'  haar  dann,  wenn  sich  weisse  glän- 
zende haare  einmischen.  Das  suffix  ist  das  bekannte  farben- 
suffix  -J<0. 

Mhd.  vluor  mit  seinen  entsprechungen  im  germ.  stellt  sich 
zunächst  zu  air.  lär  'estrich';  weiter  zu  &\)T.  phnis  'tenne',  lit. 
plotias  'flach',  lat.  plämis.  Als  erste  vollstufe  ist  dazu  zu 
rechnen  gr.  xiXavoq,  xiXayoq  und  vielleicht  ahd.  feld  n.  'feld, 
boden,  fläche,  ebene'. 

Ahd.  bratan  'braten',  bräto  'weiches  essbares  fleisch'  ver- 
bindet Kluge,  Et.  wb.5  mit  gr.  jtQti&m  'verbrennen',  wogegen 
sich  aber  bedenken  erheben.  xqi?&<d  müsste  nämlich  aus 
*(FQa{ra>,  *bhrC'dhö  entstanden  sein,  was  unmöglich  ist,  da 
xQtjfrco  nicht  von  xlfjjiQtjfu  getrennt  werden  kann.  Ich  brauche 
also  nicht  auseinanderzusetzen,  dass  die  bedeutungen  eigentlich 
nicht  stimmen  und  schwerlich  zu  vermitteln  sind.  Man  muss 
daher  eine  andere  anknüpfung  suchen.  Als  altertümlichste  form 
dieser  sippe  scheint  mir  ahd.  brät  n.  'weisses  essbares  fleisch', 
ags.  brcßd  f.,  an.  braö  angesehen  werden  zu  müssen,  und  dies 


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GRAMMATISCH  KS  UND  ETYMOLOGI8CHE8.  205 


sieht  dann  offenbar  wie  eine  /-ableitung  einer  wurzel  *bre 
aus.  Da  wir  aber  germ.  *bre  auf  *mre  zurückführen  können, 
so  halte  ich  *mre  für  die  zweite  vollstufenform  zu  ahd.  marawi, 
muruwi,  das  längst  mit  gr.  fiaQalvm  zusammengestellt  ist,  vgl. 
unten  s.  299.  /jaQali-co  heisst  'das  brennende  auslöschen,  er- 
sticken, von  krankheiten  ausdörren,  aufreiben,  verzehren,  ver- 
nichten', sozusagen  also  'mürbe  machen',  was  auch  braten  be- 
deuten müsste. 

Ahd.  bläo,  gen.  bläwes  'blau'  wird  gewöhnlich  mit  lat. flävus 
'blond,  gelb'  verbunden,  indem  man  annimmt,  dass  es  wie  so 
viele  farbennamen  seine  bedeutung  geändert  habe.  Ein  solcher 
Wechsel  kommt  gewiss  vor,  sogar  ziemlich  häufig,  aber  immer- 
hin hält  er  sich  innerhalb  gewisser  grenzen.  Die  bedeutungen 
'grün  und  gelb',  'schwarz  und  blau',  'rot  und  schwarz'  gehen 
wol  in  einander  über,  aber  zwischen  'blond',  'gelb'  und  'blau' 
liegt  eine  kluft,  die  nicht  so  leicht  zu  überbrücken  ist.  Geht 
man  näher  auf  das  lateinische  wort  ein,  so  wird  man  es 
schwerlich  von  helvus  'gelb'  und  fulvus  trennen  können.  Es 
ist  hier  nicht  der  ort  diese  ausdrücke  zu  behandein.  Ich  be- 
merke nur,  dass  es  zwei  indog.  wurzeln  ghel  und  ghvel  gibt 
mit  ähnlicher  bedeutung,  und  zu  diesem  gehört  auch  lat.  flävus. 
Aber  auch  davon  abgesehen  ist  die  Übereinstimmung  zwischen 
lat.  flävus  und  ahd.  bläo  gar  nicht  vollständig.  Denn  letzteres 
geht  doch  auf  *blewa  zurück,  und  lat.  flävus  muss  auf  *flävo 
oder  *feteuo  zurückgeführt  werden.  Ersteres  halte  ich  für  aus- 
geschlossen, da  ein  alter  ablaut  e—  a  nicht  existiert,  letzteres 
wäre  möglich.  Aber  es  bietet  sich  jetzt  auch  ein  anderer 
weg,  das  germanische  wort  seiner  bedeutung  mehr  entsprechend 
zu  erklären,  indem  man  in  ble  ein  indog.  mle  sieht  (über  diesen 
lautübergang  s.  u.),  und  das  wort  mit  gr.  piXag  'schwarz'  ver- 
gleicht Vgl.  unten  blak.  Die  entsprechung  des  griechischen 
Wortes  im  preuss.,  meine,  bedeutet  'blauer  flecken'.  Lit  tnelynas 
'blau',  meline  'blauer  flecken',  gehört  auch  hierher,  so  dass 
also  die  bedeutung  tadellos  erklärt  ist. 

Ahd.  wät  f.  'kleidung,  rüstung'  gehört  zu  lit.  dudmi,  dusti 
'weben'  aus  dudd.  Zu  diesem  ansatz  stimmt  nun  die  'avestische 
wurzel  vad%  'sich  kleiden'  nicht,  von  der  Kluge  in  allen  auf- 
lagen des  Et.  wb.  das  germanische  wort  ableitet.  Diese  wurzel 
vad  existiert  aber  gar  nicht.  Bei  Spiegel,  Vergl.  gramm.  der 


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206 


HIRT 


alt  iranischen  sprachen  8. 127  heisst  es:  'streichen  möchte  ich 
2.vad,  kleiden,  das  Justi  für  fravadhemna  (Yast  5,  126)  an- 
genommen und  mit  skr.  va4,  vdntfate  zweifelnd  verglichen  hat ; 
ich  lese  an  der  genannten  stelle  fravaedhemna  und  betrachte 
es  als  causativum  von  vid,  ebenso  Harlez.'  Um  ganz  sicher 
zu  gehen,  wante  ich  mich  um  auskunft  an  dr.  W.  Foy,  der  mir 
die  richtigkeit  der  vorstehenden  ausführung  völlig  bestätigte. 
'An  der  einzigen  stelle,  wo  nach  Justi  eine  wz.  vad  » kleiden  < 
vorliegen  soll,  Yast  5, 126,  ist  mit  den  besten  handschriften 
(F 1,  Pt  1,  E 1)  fravaßödmna  zu  lesen,  während  nur  ganz  flüch- 
tige fravathmana  haben,  fravaeödtnna  fem.  »die  kündiget,  wie 
sonst  vaeöwnna,  auf  Ardvl  Sflra  Anaiii t a  bezüglich.'  Germ,  wät 
und  Iii.  dudmi  stehen  in  ganz  regelrechtem  ablautsverhältnis. 

Got.  tcökrs  'zunähme,  gewinn,  wucher'  ist  die  zweite  voll- 
stufe zu  got.  wahsjan,  aukan,  lit.  dugu.  Im  ablaut  entspricht 
genau  aL  vdjas  m.  'kraft'. 

Ags.  wröt  'rüssel',  ahd.  *ruozil,  ags.  wrötan  'wühlen,  auf- 
wühlen', ahd.  ruosjan  'aufwühlen,  der  pflüg,  die  erde',  lässt 
eine  vorgerm.  wurzel  ura*d  erschliessen.  Den  Zusammenhang 
mit  'wurzel1  bezeichnet  Kluge  im  Et.  wb.  s.  v.  als  unwahrschein- 
lich. Da  indessen  dieses  wegen  lat.  radix  eine  set-  wurzel 
voraussetzt,  deren  zweite  stufe  uröd  wäre,  so  ist  die  morpho- 
logische Übereinstimmung  tadellos.  Und  auch  die  bedeutungs- 
vermittlung  bereitet  keine  Schwierigkeiten,  wenn  man  an  unser 
zinken  oder  hakennase  denkt.  Auch  unser  haken,  ahd.  hake 
'haken'  (aus  häkke)  gehört  wol  zu  lit.  szaknts  'wurzel'. 

Got.  wöds  'besessen,  wütend',  ahd.  wuot  (germ.  st.  *wödi  ) 
'wut,  raserei'  verbindet  man  mit  lat.  vates  'gottbegeisterter 
sänger',  air.  fdith  'dichter'.  Wegen  ags.  wöö  (germ.  st.  *wößa-) 
'stimme,  gesang',  an.  öör  'poesie,  gesang',  wird  sich  die  bedeu- 
tung  'wut'  erst  aus  der  von  'religiöser  raserei'  entwickelt 
haben.  Uhlenbeck  stellt  das  wort  zu  avest  aipi-vat,  ai.  api-vat 
'geistig  anregen,  verstehen',  ebenso  Kluge.  Dagegen  erheben 
sich  aber  verschiedene  bedenken.  Zunächst  ist  ai.  vat  eine 
leichte  wurzel.  Wegen  lat  vates  haben  wir  es  aber  mit  altem 
a  zu  tun,  wir  müssten  also  im  indischen  ein  *w<  finden. 
Darüber  komme  ich  nicht  hinweg.  Auch  die  bedeutung  macht 
Schwierigkeiten,  vat  kommt  nur  in  der  Verbindung  mit  api  vor 
und  bedeutet  'geistig  empfangen'  als  caus.  'geistig  einflössen', 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  297 

'anregen,  beleben'.  Die  grundbedeutung  von  vat  kennen  wir 
also  gar  nicht.  Denn  so  wenig  wir  aus  deutsch  'verstehen' 
ein  simplex  'stehen'  mit  einer  geistigen  bedeutung  erschliessen 
können,  so  wenig  dürfen  wir  das  für  das  indische.  Und  wie 
soll  man  von  der  bedeutung  'geistig  empfangen'  zu  der  euro- 
päischen kommen?  Diese  vergleichung  ist  also  jedenfalls  auf- 
zugeben. Und  das  würde  auch  nichts  schaden,  selbst  wenn 
wir  keine  andere  erklärung  aufstellen  könnten.  Das  folgende 
möchte  ich  mit  aller  reserve  vortragen.  Wir  haben  im  indi- 
schen eine  wurzel,  zu  der  das  germanische  wort  in  der  bedeu- 
tung ganz  genau  stimmt,  das  ist  aLAvä,  ha  'rufen'.  Ein  *hvütas, 
das  im  indischen  allerdings  nicht  belegt  ist  (dafür  hatds)  würde 
dem  germanischen  *w6pa-  genau  entsprechen,  da  im  germ.  ghu 
zu  w  wird.  Dann  müssten  wir  aber  lat.  vätes,  air.  fdith  vom 
germanischen  trennen,  wegen  lit.  iveris,  lat.  ferus,  wozu  man 
sich  schwer  entschliessen  wird.  Möglich  wäre  es  ja,  dass  man 
für  das  lat.  und  kelt  noch  einmal  besondere  bedingungen  fände, 
nach  denen  sich  der  schwund  des  gh  erklären  Hesse,  aber  eher 
wird  man  annehmen  dürfen,  dass  im  germanischen  zwei  wur- 
zeln zusammengefallen  sind. 

Ags.  hlöwan,  ahd.  hlöjan  'brüllen'  gehört  zu  gr.  xixXrjoxa), 
xi-xXtj-fiat,  lat.  clämo,  und  weiter  zu  gr.  xaUm,  lat.  calendae, 
w.  kalä*,  ahd.  halön. 

Nhd.  sprühen,  ahd.  *sprucjen,  dazu  spreu,  gehört  zu  lat. 
sprevi,  gr.  ojisiqco,  toxaQTjv,  lit,  spirti,  spiriü  'mit  dem  fuss 
stossen'. 

Got.  jcr,  abulg.  järü  'frühling'  mag  mit  aj^er  in  av.  ayare 
'tag',  gr.  aQiöTov  {dj(Qioxov)  'frühstück',  got.  air  zusammen- 
gehören. 

Dies  sind  die  beispiele  die  ich  mir  gelegentlich  notiert  habe. 
Dass  bei  angestrengtem  suchen  noch  zahlreiche  andere  zu 
finden  sind,  das  scheint  mir  zweifellos  zu  sein.  Diese  werden 
vorläufig  genügen. 

B.  Die  erste  Schwundstufe  era,  eh  u.s.w.  (f,  T). 

Streitberg  hat  IF.  6, 141  zu  zeigen  versucht,  dass  die  indog. 
sogenannten  kurzen  und  langen  silbischen  nasale  und  liquidae 
im  germanischen  unterschiedslos  zusammengefallen  seien.  Wenn- 
gleich ich  von  der  richtigkeit  dieses  satzes  zweifellos  überzeugt 


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208 


HI  KT 


bin  und  IF.  7, 193  ff.  auch  den  grund  angegeben  habe,  weshalb 
die  sache  so  sein  muss,  so  hat  ihn  doch  Brugmann  in  der  neuen 
aufläge  seines  Grundrisses  nicht  angenommen.  Er  hält  viel- 
mehr ar,  al,  am,  an  für  die  regelrechten  Vertreter  der  im  titel 
angeführten  lautgruppe,  und  lässt  daneben  'vielleicht '  ur,  ul, 
um,  un  als  entsprechungen  zu.  Da  Streitberg  nur  ein  paar 
beispiele  herausgegriffen  hat,  so  ist  er  selber  daran  schuld, 
wenn  ihm  Brugmann  nicht  glaubt.  Im  folgenden  werde  ich 
das  zur  beleuchtung  der  frage  dienende  material  anführen, 
das  ich  gesammelt  habe,  und  dann  auf  die  von  Brugmann  an- 
geführten beispiele  eingehen. 

1.  Indog.  trd  (f)  liegt  vor  in  got,  kaum,  lat  gränum,  lit. 
zirnis,  serb.  zrno. 

Got.  waürts,  lat.  rädic.  Mit  gr.  (mdauvoq  'schoss'  kann 
got.  waürts  nicht  verglichen  werden,  da  <w*  hier  gleich  indog. 
rd  ist,  wie  in  vielen  anderen  fällen.  Jedenfalls  würden,  wollte 
man  sie  doch  zusammenstellen,  zwei  verschiedene  formen  der 
Schwundstufe  vorliegen.  Als  zweite  vollstufe  gehört  wahr- 
scheinlich ags.  wröt  'rüssel'  (oben  s.296)  hierher. 

Got.  haürds  'tür',  ahd.  hurt  '  flechtwerk ',  lat.  crätcs.  Gr. 
xctQraXoQ  'korb'  liegt  in  der  bedeutung  schon  ferner,  während 
haürds  und  crates  sogar  in  der  flexion  stimmen.  Als  vollstufe 
könnte  man  got.  hröt  'dach'  dazustellen,  für  das  aber  auch 
andere  deutungen  möglich  sind. 

Got.  gataurps,  ahd.  zorn,  ai.  vi-dirnas  'geborsten,  gespalten', 
lit.  dürti  'in  etwas  stechen'; 

ahd.  hornaz,  lat.  cräbro,  lit.  sztrszlius  (acc.  plur.),  serb. 
srsljen; 

ahd.  soraga  f.  zu  lit.  sergiu,  sergmi  'hüten',  sdrgas  'htiter', 
russ.  storoza  'wache',  ai.  sUrksh  'sich  kümmern',  praes.  sürkshati 
B.  S.,  sRrkshya  B.; 

got.  maürgins,  ahd.  morgan  zu  lit.  merkti  'mit  den  äugen 
blinzeln',  gr.  auaQvooco  'funkeln,  schimmern',  lit.  brekszta  'es 
tagt',  mtrhsnis  'der  blick,  ein  einmaliges  blicken  mit  den  äugen', 
mtrksiu  'blinzeln'.  Dazu  als  zweite  Schwundstufe  got.  brah 
'blinken,  zwinken'; 

ags.  forma,  lit.  pirmas  gegenüber  got.  fruma,  gr.  jrpapos; 
oder  ist  fram  gleich  dem  griech.  wort? 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  209 


got.  gafaürds  zu  gr.  xegdco,  xoqivco,  russ.  porömü,  poroma, 
serb.  präntt  präma  ' schiff'; 

got  paürp  könnte  zu  lit.  trobä  'gebäude'  gehören  und 
würde  alsdann  auf  *terdb  zurückgehen.  Doch  ist  dies  nicht 
sicher,  da  auch  andere  etymologien  möglich  sind,  vgl.  Uhlen- 
beck,  Et.  wb.  s.  v.  (immerhin  bleibt  es  für  mich  die  wahrschein- 
lichste erklärung); 

ahd.  muruwi  neben  marawi  'mürbe'  zu  gr.  paQaivm  *  ver- 
zehren, hinschwinden'.  Dass  in  gr.  fiaQatvo?  eine  zweisilbige 
basis  zu  gründe  liegt,  ergibt  sich  aus  (iaQa-6fi6$;  ob  ai.  mfndti 
'zermalmt',  mürnds  hierher  gehört,  ist  zweifelhaft,  da  ai.  r  auch 
indog.  I  sein  kann.   S.  o.  s.294  braten-, 

ahd.  duruh,  as.  thurh,  ahd.  durhil  'durchlöchert',  gotpatrh. 
Hierher  gehört  auch  gotpairkö  'loch'  =  gr.  TQaryXri,  das  also 
auf  eine  zweisilbige  schwere  basis  zurückgeht.  Zu  gründe  liegt 
die  indog.  wurzel  terä*  'durchbohren',  gr.  xlxQrjfii,  von  der  mit 
suffix  -ka  (gr.  &rrxij,  ai.  dha-kas)  ein  substantivum  abgeleitet 
ist,  von  dem  in  pairh  und  *purh  ein  casus  vorliegt. 

2.  Indog.  tte  (J)  liegt  vor  in  got.  fulls,  ai.  pünids,  lit. 
pünas,  serb,  pfiii; 

got.  wuUa,  ai.  ürna,  lit.  vilna,  serb.  vuna,  lat.  lüna; 

ahd. gidult,  lat.  latus,  gr.  Tlrjzoq,*)  lit.  UM  'still  werden'; 

ags.  molcen  n.  zu  got.  miluks,  lit.  meVu,  serb.  müza  'das 
melken'  aus  mU;*) 

ahd.  folma,  air.  läm,  gr.  xaldfirj] 

')  Ich  möchte  mich  jetzt  mit  grösserer  entschiedenheit  dafür  aus- 
sprechen, dass  im  griechischen  rü,  lä  (die  ja  auch  von  der  theorie  gefordert 
werden)  die  Vertreter  von  ,rv,  tb  sind  neben  aga,  aXa.  Wenn  man  in 
UavatOQ  und  »vrjxög,  in  xapaxoq  und  -X(*tjt6g  dieselbe  ablautsstufe  sieht, 
so  muss  man  auch  rä).ag  und  nokirkäg  einander  gleichsetzen.  Dazu  kommt, 
dass  got.  JnUan  ein  «-verbum  ist,  womit  lit.  tyU'ti  'schweigen'  Uberein- 
stimmt. Ein  ablaut  l  —  ä  ist  aber  m.  e.  im  indogermanischen  nicht  vor- 
handen gewesen,  und  das  lit.-germ.  wort  hat  altes  e.  Man  vgl.  ferner 
xQäaxog,  ai.  oirshatäs  neben  xctQa,  gr.  TQävrjg  zu  xQ^iog,  ahd.  gedrät,  gr. 
&Qävog,  lat.  frttu*  (Bechtel,  Hauptprobleme  s.213.  192). 

')  Dass  got.  miluks  zu  gr.  ydka,  yakaxxog  gehört,  ist  für  mich  un- 
zweifelhaft. Das  m  des  germ.  kann  von  ahd.  melchan  entlehnt  sein,  während 
da«  gr.  y  alt  wäre.  Gehören  ahd. melchan,  \iX.muigere,  gr.  dfjtilytiv,  ai. märj 
zusammen,  so  ist  der  Zusammenhang  mit  miluks  bedenklich,  weil  melg  eine 
leichte  wurzel  ist. 


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300 


HIKT 


ags.  molda  'köpf,  gr.  ßXm&Qog  'hochgewachsen',  ai.  mar- 
dhdn  'höhe'; 

ahd.  molta,  got  mulda  'staub'  zu  lit.  mdlti  'mahlen',  russ. 
molött,  lit.  mütai  'mehl'; 

an.  skuld,  &8.  skuld,  ai.  skhali-ta  B  +  .  'taumeln,  stolpern', 
lit.  sÄ-*7fc*  'in  schuld  geraten'; 

got.  huips  'hold,  gnädig',  eigentlich  'geneigt',  lit.  kdlnas 
'hügel'; 

ahd.  wolcha  f.  'wölke',  lit.  vilgau,  vügyti  'befeuchtend  glät- 
ten', serb.  vläga  'feuchtigkeit'; 

aisl.  fold  f.  'grasfeld,  triff,  ags.  folde  f.,  as.  folda  'erde, 
land'  gehört  zu  ahd.  feld,  das  wir  oben  zu  fluor  gestellt  haben. 

3.  Indog.  eti9,  tmz  (5,  m)  liegt  vor  in  got.  kunfs,  lit 
paztntas; 

got.  himinakunds,  lat.  nätus,  lit.  zentas,  serb.  *e<; 

ahd.  <7mw(Z  'kämpf,  Iii.  ginti  'wehren',  ai.  ghäids  'tötend'. 
Hier  kann  auch  n  angenommen  werden,  vgl.  ai.  hatds,  lit,  giüczas 
'kämpf,  gr.  parog; 

m.pungr,  lit.  tingits,  daneben  aber  tinkstu,  tingau  'trage 
werden',  serb.  tt&i  und  teiki,  comp,  teäi,  aber  tädk,  teiko;  un- 
sicher; 

mhd.  gespttnst,  Wtptnti  'flechten'; 
ahd.  wunsc  'wünsch',  ai.  väüchatiV.  'wünschen'; 
ahd.  wunna,  ai.  -vätasV.B.,  aor.  vani-shat  A V.,  fut  wm*- 
5Ät/ate  S.; 

ahd.  eunft  ist  verbalabstractum  zu  zeman,  das  man  nebst 
zahm  mit  lat.  domäre,  gr.  da^ao,  ai.  <iam  verbinden  muss.  Die 
indog.  wurzel  dam  ist  aber  eine  set-wurzel,  vgl.  lat  domitor, 
gr.  dafiarcoQ,  ai.  dami  t/  RV.  Der  stufe  entspricht  ai.  däm- 
tdsB+,  gr.  a-da/mros,  bez.  ö^xog.  Auch  wenn  das  wort 
zur  wurzel  'bauen',  gr.  difico  gehörte,  so  würde  es-  ebenfalls 
auf  zweisilbigkeit  zurückweisen,  vgl.  gr.  öiftaq,  lat.  dome-sticus; 

ahd.  sumbir,  mhd.  sumber  'korb,  getreidemass',  lit  semti 
'schöpfen'. 

Damit  ist  vorläufig  mein  material  erschöpft,  und  ich  denke, 
es  genügt  auch.  Es  liegt  eine  solche  fülle  zweifelloser  bei- 
spiele  vor,  dass  sicher  die  Vertretung  von  indog.  er»  u. s.w.  durch 


GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  301 


ur,  ul,  un,  um  anzuerkennen  ist.  Könnte  man  im  einzelnen 
fall  auch  annehmen,  es  hätten  doppelformen  bestanden,  gegen- 
über der  menge  der  auftretenden  beispiele  versagt  diese  mög- 
lichkeit. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  Brugmanns  fällen  und  dem  was 
man  noch  weiter  beigebracht  hat. 

Zunächst  wird  es  sich  nie  beweisen  lassen,  dass  in  germ. 
ar,  al,  am,  an  indog.  f,  l,  fn, «  stecken,  da  ja  a  der  Vertreter 
von  Oy  a,  9,  ö  und  a  sein  kann.  Wir  haben  also  so  viel  mög- 
lich keiten,  gegebene  formen  mit  ar  u.s.w.  zu  erklären,  dass 
wir  immer  darauf  verzichten  können,  auf  die  andere  instanz 
zu  recurrieren.  Wir  würden  letztere  vielmehr  nur  dann  an- 
erkennen müssen,  wenn  wir  eine  reihe  evidenter  gleichungen 
anträfen.  Solche  aber  finden  wir  nicht. 

1.  Germ.  ar. 

Got.  arms,  arm.  armukn,  lat.  armus,  abulg.  ramo,  serb.  rdmo, 
ai.  irmds,  av.  aromö,  preuss.  irmo.  Brugmann  erklärt  alle  diese 
formen  aus  einer  einzigen  ablautsstufe,  indem  er  auch  in  abulg. 
ra  den  Vertreter  von  f  sieht.  Letzteres  ist  nun  ganz  ent- 
schieden abzulehnen.  Der  annähme  von  ablaut  steht  hier 
ebensowenig  etwas  im  wege  wie  bei  lit.  bertas  gegenüber  ai. 
bhürjas,  lit.  dntis,  ahd.  anut,  lat.  anas  gegenüber  ai.  ätish,  gr. 
vijooa.  In  dem  a  von  lat.  armus  sehe  ich  altes  a  bez.  9  fin- 
den fall,  dass  die  grundform  dieses  Wortes  *ärmos  wäre. 

Ebenso  geht  aisl.  oröugr,  gall.  Arduenna,  lat.  arduus  auf 
indog.  *ardh  oder  *9rdh  zurück. 

Ahd.  art  'art  und  weise',  lat.  ars,  artis,  zu  ai.  ftdm  ' rechte 
art,  gebühr'.  Das  beispiel  stimmt  nicht,  da  im  indischen  kurzes 
T  vorliegt.  Und  ausserdem  fragt  es  sich,  ob  man  das  germa- 
nische wort  nicht  mit  an.  arör  '  pflüg',  got.  arjan,  lat.  arare, 
gr.  oqoco  zusammenbringen  muss.  Im  ahd.  ist  art  in  der  oben 
von  Brugmann  angegebenen  bedeutung  unbelegt.  Es  erscheint 
art  f.  'ackerung,  pflügung';  dazu  artön  '  bewohnen,  bebauen', 
ferner  as.  ard  m.  '  Wohnort',  ags.  eard  m.  'wohnung,  heimat', 
an.  orO  'ernte,  ertrag'.  Aus  der  bedeutung  'grund  und  boden' 
hat  sich  dann  ganz  natürlich  die  der  'herkunft,  der  art'  ent- 
wickelt, wie  schon  das  Mhd.  wb.  richtig  annimmt. 

Ahd.  fort  'fahrt'  gegenüber  got.  gafaurds  'Zusammenkunft' 


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302 


HIRT 


kann  gewiss  nicht  in  betracht  kommen,  da  es  sehr  wahrschein- 
lich eine  neubildung  ist.  Die  beiden  Wörter  verhalten  sich 
genau  wie  ahd.  slafä  zu  got.  slaühU,  wie  mhd.  traht  zu  älterem 
truht,  vgl.  darüber  v.Bahder,  Verbalabstracta  s.  65.  Da  ein  u 
in  der  ablautsreihe  der  sechsten  verbalklasse  nicht  mehr  vor- 
kam, traten  neubildungen  nach  dem  participium  ein. 

Ahd.  zart  4 lieb,  fein,  schön'  würde  wider  nicht  direct  zu 
ai.  ä-drtus  1  rücksichtsvoll,  mit  rücksicht  behandelt,  geehrt' 
stimmen.  Die  beiden  Wörter  verhalten  sich  vielmehr  wie  ai. 
mrtds  zu  mdrtas  'sterblicher,  mensch',  gr.  poQxoq,  wie  gr. 
a-ioxog  'unbekannt,  unkundig'  zu  abulg.  vestü  'bekannt',  wie 
*U6s  zu  ai.  itas  'eilend',  gr.  ohoq  'geschick'  u.  v.  a. 

Ahd.  garba  'garbe'  zu  lit.  grepti,  gröpti  'fassen,  raffen' 
kann  ebenso  wie  sparke,  ags.  spearca  'funke'  zu  ai.  sphürjati 
'prasselt,  zischt'  o-vocalismus  haben,  der  ihnen  als  ä-stämmen 
auch  zukommt. 

Das  sind  Brugmanns  beispiele,  zu  denen  man  noch  andere 
hinzufügen  könnte:  ich  tue  dies,  indem  ich  dem  leser  die  rich- 
tige erklärung  überlasse. 

Ahd.  barn,  daneben  -lern,  lit.  bernas. 

An.  barkr,  ndd.  borke  zu  ai.  bhürjas,  lit.  berias.  Gerade 
birkenrinde  wird  im  haushält  der  Litauer  und  Slaven  noch 
heute  vielfach  benutzt,  so  dass  diese  gleichung  culturhistorisch 
tadellos  ist. 

Nhd.  garn,  lit.  edrna  'darin'. 

2.  Germ.  al. 

Ags.  wielm,  wylm,  ahd. wallu,  ai.  ünnish  'woge',  &y.var9mish 
'woge',  aber  lit.  vünis. 

Got.  untila-malsks  'unbesonnen',  ai.  murkhds  'stumpfsinnig, 
dumm,  unverständig',  lit.  lett.  mülkis  'einfältiger,  tropf.  Man 
kann  natürlich  malsks  ebenso  wie  walm  auf  o-  stufe  zurück- 
führen. 

Ahd.  spaltu  zu  got.  spilda  'schreibtafel',  ai.  sphutati,  phd- 
lati  'er  birst',  nbret.  faut  'fissura'  ist  ganz  unsicher;  üLphtUati 
kommt  erst  im  epos  vor,  daher  ist  auf  phalita  kein  verlass. 
Das  nbret.  wort  kann  ich  nicht  beurteilen. 

Ahd.  scaltu  'ich  stosse'  zu  sciltu  'ich  schelte'  kann  natür- 


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GRAMMATISCHES  UND  ETTMOLOÖI8CHE8.  303 


lieh  o-vocalismus  haben.  Ebenso  got.  walda,  M.waltu  'ich 
walte,  hersche',  lit.  veldu  4 ich  regiere'  {yeldu  nach  Nesselmann). 

And.  walzu  'ich  drehe  mich',  lit.  veliü,  velti  'walken'. 

Got.  kalds,  ahd.  kalt  zu  aisl.  kulde,  lat.  gelidus;  kalds  ist 
ein  partieipium  zu  dem  in  an.  kala,  ags.  calan  'frieren'  vor- 
liegenden starken  verbum,  und  unterliegt  daher  im  gegensatz 
zu  aisl.  kulde  dem  verdacht  einer  neubildung. 

Wie  man  sieht,  haben  wir  es  abgesehen  von  den  beiden 
ersten  beispielen  durchaus  mit  verben  zu  tun,  und  ehe  daher 
die  ganze  bildung  dieser  verben  nicht  aufgeklärt  ist,  können 
wir  sie  schwerlich  als  hinreichende  stütze  benutzen.  Da  Brug- 
mann  auch  bei  n  sich  zum  teil  auf  verben  stützt,  verschieben 
wir  die  erörterung  dieser  praesensbildung,  bis  wir  alle  beispiele 
zusammen  haben. 

Hierzu  noch  galla,  gr.  *oJb{. 

3.  Germ,  an,  am. 

Ahd.  hamma  'Schenkel',  ags.  hamm  'kniekehle',  nd.  hamm 
'bergwald'  zu  gr.  xvrjfifj  'Unterschenkel,  Schienbein',  xv7jp6<; 
'bergwald',  air.  cnam  'knochen'.  Es  kann  natürlich  ablaut 
vorliegen  (aus  dem  lit.  gehört  wol  noch  kinka  in  Samog.  'knie- 
kehle, hesse'  hierher). 

Ebenso  in  ahd.  sant,  aisl.  sandr,  gr.  afiafroa. 

Got.  gaggan,  ahd.  gangan  'gehen',  lit.  zengiü  'ich  schreite'. 
Letzteres  hat  kurzen  vocal,  vgl.  zeflkti,  ziftksnis  'schritt'. 
Ebenso  aLjavghü  'bein'. 

Dasselbe  gilt  von  got  blandan,  ahd.  blantan  'mischen',  got. 
blinds  'blind',  lit.  blendliü's  'ich  verfinstere  mich'.  Diese  beiden 
beispiele  sind  also  überhaupt  zu  streichen. 

Die  wurzelstufe  der  oben  genannten  und  einiger  andrer 
verba  bietet  nun  in  der  tat  ein  noch  ungelöstes  problem,  aber 
mit  dem  ansatz  von  r,  l,  n  werden  wir  diesen  knoten  nicht 
lösen.  Zweifellos  haben  wir  es  in  einigen  fällen  mit  e/o- wur- 
zeln zu  tun.  Wie  kommen  aber  diese  zu  ihrem  o-vocalismus 
im  praesens?  Weshalb  heisst  es  got.  nicht  *giggan  entsprechend 
lit.  zeflkti,  weshalb  nicht  blindan  entsprechend  lit.  blendziü's? 
Von  der  verbalflexion  aus  kommen  wir  zu  keiner  lösung,  wir 
müssen  uns  also  an  das  nomen  wenden. 


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304 


HIRT 


Got.  saltan,  lat.  sallere  gehört  nun  unzweifelhaft  zu  lat.  sal, 
got.  sali,  und  seiner  ganzen  art  nach  können  wir  dies  verbum 
nicht  anders  denn  als  denominativ  fassen.  Auch  Brugmann 
hat  Grundr.  2, 1038  schon  auf  den  Zusammenhang  hingewiesen, 
der  zwischen  den  nominalen  bildungen  auf  to,  t  und  den  verben 
mit  praesenssuffix  -to  besteht.  Man  vergleiche  z.  b.  ai.  dyu-t-änas 
neben  dyötaU  'leuchtet'  mit  dem  nomen  dyut,  d-ceti,  dtätnis 
neben  cStati  mit  dem  nomen  dt,  ydtänas,  yatänds  mit  yai.  Da 
aber  nach  der  einleuchtenden  erklärung  von  Streitberg,  IF.  3, 
340  ff.  diese  nomina  uralt  sind,  so  werden  die  verben  denomi- 
nativ sein.  Ich  glaube  daher  dieses  auch  für  die  germanischen 
verben  annehmen  zu  dürfen. 

Zu  lit.  zengiü  'schreite'  gehört  ganz  regelrecht  mit  o-voca- 
lismus  got.  yaggs  'gang',  an.  gangr,  as.  ahd.  gang.  Davon  ab- 
geleitet oder  beeinflusst  got.  gaggan,  eig.  'einen  gang  tun'. 

Zu  gr.  xtoäv  'durchdringen,  hindurchgehen'  gehört  regel- 
recht gr.  jtoqoq  'gang,  durchgang,  tibergang',  ahd.  far,  mhd.  var 
n.  'ort  am  meere,  see  oder  ströme',  wo  man  an-,  aus-  oder 
tiberführt;  davon  abgeleitet  faran  'sich  von  einem  ort  zum 
andern  bewegen,  gehen,  ziehen,  wandern'  u.s.w. 

Zu  abulg.  grcbq.  'grabe,  schabe'  gehört  regelrecht  abulg. 
grobü,  ahd.  grab  'grab',  as.  grab,  ags.  gratf.  Wegen  got.  gröba 
liegt  aber  der  verdacht  nahe,  dass  wir  es  im  abulg.  mit  einer 
entgleisung  zu  tun  haben. 

Ebenso  dürfte  dies  bei  got.  kalds  in  erwägung  zu  ziehen 
sein,  wegen  ahd.  chuoli.   Wir  hätten  es  mit  ablaut  ö  —  a  zu  tun. 

Got.  malan,  lat.  moler e  gegenüber  abulg.  rnelja  mtisste  durch 
ein  *mala  veranlasst  sein;  vgl.  aber  auch  \it  mälti. 

Ahd.  spaltan  'spalten'  würde  ich  mit  Schade  von  spalt  'der 
Spalt'  ableiten;  ahd.  walzan  von  walza  'pedica,  decipula';  ahd. 
scaltan  von  scalta  'schiebestange'. 

Die  eine  tatsache,  glaube  ich,  können  wir  feststellen,  dass 
neben  den  meisten  der  genannten  verben  ein  nomen  steht, 
dessen  o-vocalismus  wir  erklären  können,  und  die  annähme 
einer  angleichung  des  verbums  an  den  vocalismus  dieses  nomens 
würde  die  ansetzung  eines  langen  r,  n,  l  umgehen  lassen. 

Sollte  es  nun  ein  zufall  sein,  dass  von  den  meisten  dieser 
verben  im  gotischen  das  perfectum  gar  nicht  belegt  ist?  Von 
gaggan  fehlt  es  bekanntlich  ganz,  aber  auch  zu  blandan,  faran, 


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GRAMMATISCHES  l'NÜ  ETYMOLOGISCHES. 


305 


mahn,  mltan  ist  keins  belegt;  spaltan,  scaltan,  walzan  stammen 
überhaupt  erst  aus  dem  ahd. 

Ich  glaube,  man  wird  daher  die  ergebnisse  des  aufsatzes 
von  v.  Fierlinger,  KZ.  27, 436,  auf  den  sich  Brugmann  haupt- 
sächlich stützt,  als  verfehlt  bezeichnen  dürfen.  Die  wenigen 
beispiele  die  nach  abzug  der  verben  noch  übrig  bleiben,  können 
nimmermehr  erweisen,  dass  ar,  al,  am,  an  im  germanischen 
die  Vertreter  von  indog.  r,  l,  ffi,  fi  sind.  Auch  der  ausweg,  den 
(Tilenbeck,  Beitr.  18, 561  eingeschlagen  hat,  ist  für  mich  nicht 
gangbar,  da  ich  Bartholomaes  lehre,  dass  d  auch  in  der  e-reihe 
inzuerkennen  sei,  nicht  für  richtig  halte;  wol  aber  kann  germ. 
%  in  einigen  fällen  ein  a  vertreten,  es  ist  indessen  dann  die 
jchwundstufe  eines  langen  vocals. 

C.  Indog.  rd,  h,  na,  na,  is,      als  Schwundstufe 

der  set-wurzeln. 

Unter  welchen  bedingungen  diese  Schwundstufe  ins  leben 
retreten  ist,  lässt  sich  noch  nicht  sicher  ermitteln.  Ein  factor 
st  jedenfalls  die  enklise  gewesen.  Da  ich  IF.  7, 211  nur  wenige 
•elege  gegeben  habe,  so  sei  es  mir  gestattet  diese  lücke  etwas 
uszufüllen. 

Zu  jitraftat,  avixtäv,  ai.  pati-tds  AV.,  ahd.  ß'da-ra  gehört 
r.  ejtra-xo,  Jtxaptvoq,  ai.  pa-pti-ma;  zu  telä,  gr.TsXa-/icuv,  ItXijV 
teilt  sich  ri-Tla-St,  rt-Tld-ptvai,  zu  &uva-Tog,  &Vfj'Toq  — 
t  frva  &i,  te-frva-pspai;  CtQa-zog  zu  ozoei-vwfii,  ötqcotoc;  gr. 
ä-öapvog  zu  lat.  rädix,  got.  tcaürts;  &QaaGa>  zu  rapa-x*};  oaog 
us  *tua-tAÖs  zu  ai.  tat;  gr.  yvd&og  zu  lit,  zdndas;  lat.  glans 
i  gr.  ßala-voq,  abulg.  zelad(\  lat.  gla-cies  zu  geli-dus;  lat.  gra- 
's  zu  ai.  gurush,  gr.  ßaQvg,  got,  kaürus. 

Aus  dem  germanischen  habe  ich  a.a.O.  angeführt:  mhd. 
aye  'hals'  zu  lit.  gttrklit,  serb.  grlo,  gr.  ßißyctoxco;  mhd.swach 
i  got.  siuks;  ahd.  diranuh  zu  gr.  ytQavoq. 

Weitere  beispiele  sind: 

Got.  wahsjan,  ahd.  waJisan,  gr.  dftgeiv,  lit.  dugti,  lat. 
tyere. 

Mhd.  Stendern,  ags.  swadul  zu  ahd.  siodan.    Ich  ziehe  dies 
ai.  sü  'in  bewegung  setzen,  erregen',  das  zweifellos  eine 
t -wurzel  ist,  vgl.  sutdsY.,  sdvlma  n.  'antrieb',  savitd  'an- 
iiber,  er  reger'.    Anders  erklärt  Brugmann,  Grundr.  1,  790 

Beitrage  zur  geschieht«  der  deuteohen  epreche.   XXIII.  20 


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30G 


HI  KT 


das  germanische  wort.  Er  geht  von  kfiettt-  aus,  und  vergleicht 
lit.  szuntu  'schmore',  und  weiter  ai.  kvdthati  aus  *kpwa  mit  mbd. 
madein.  Sollte  man  dies  vorziehen,  so  ist  die  Sippe  als  eine 
leichte  wurzel  aufzufassen:  W.kjteue. 

Got.  gaßwastjan  'stark,  fest,  sicher  machen \]>wastipa  Festig- 
keit, Sicherheit'  ist  nach  Uhlenbeck,  Et.  wb.  unaufgeklärt.  Ich 
beziehe  es  auf  die  altindische  wurzel  tri  'stark  sein',  ai.  tdvas 
'stärke',  tavishds  'stark',  tdvishi  'kraft,  stärke',  zu  der  auch  got. 
pusundi  gehört.  Die  bedeutungsent wicklung  bedarf  keiner  Ver- 
mittlung. Auch  im  griechischen  liegt,  woran  mich  Brugmann 
erinnert,  diese  ablautsstufe  vor  in  oaoq  'heil,  gesund',  das  Prell- 
witz, Et.  wb.  aus  Huauos  erklärt,  vgl.  Brugmann,  Totalität  s.  55. 
Prellwitz  zieht  auch  schon  das  got.  gapwastjan  heran,  wie  ich 
nachträglich  sehe. 

Ahd.  chnabo  hat  man  von  jeher  mit  der  wurzel  *genä* 
'erzeugen'  verbinden  wollen,  ohne  dass  man  indessen  über  die 
ablautsverhältnisse  ins  reine  gekommen  wäre.  Es  stellt  sich 
nun  ganz  einfach  dazu,  vgl.  lat.  geni-tor,  gr.  ytvioig,  ai.  got 
knöfls,  kunds. 

Ahd.  hra-bo  stellt  sich  ebenso  zu  gr.  xöpa-£,  xoQ(6-vt],  lat. 
cornlx  aus  *coroni,  lit.  szdrka  'elster',  russ.  soröka,  serb.  srraka 
dass.  Als  zweite  vollstufe  gehört  dazu  lat.  crö-cio  'krächzen', 
gr.  xqcq^q},  die  wir  wol  als  reduplicierte  bildungen  auffassen 
dürfen.   Oben  ist  weiter  ahd.  hruoh  herangezogen. 

Auffällig  ist  an  diesen  beiden  Worten  das  suffix.  Indog. 
p  oder  bh  lässt  sich  hier  kaum  wahrscheinlich  machen.  Ich 
leite  daher  knabo  und  hrabo  aus  indog.  *gn9mno-  und  *krdmno- 
ab,  mit  dem  Übergang  von  mn  in  bn,  den  ich  für  gemein- 
germanisch halte. 

Ahd.  stracchen  'ausgedehnt  sein',  ahd.  straeJi  'ausgestreckt, 
gerade,  straff  u.s.w.  ist  noch  nicht  recht  erklärt.  Denn  die 
annähme,  dass  es  zu  recken  gehöre  (wie  Kluge,  Et. wb.6  s.v. 
vermutet),  ist  doch  nur  ein  notbehelf.  Ich  stelle  die  stufe  stra 
zur  wurzel  sterö*,  gr.  öTQcoxoi;,  OTQatvvvfu  'ausbreiten',  latster- 
nere,  ai.  strnümi.  In  der  wurzelstufe  entspricht  stra  gr.  otQaxoi;, 
ai.  -st/tas,  das  nur  unbetont  vorkommt.  Das  suffix  -k,  indog.  -g 
ist  zwar  selten,  aber  doch  genügend  belegt.  Dieselbe  stufe 
und  dieselbe  wurzel  zeigt  auch  mhd.  strant,  ags.  Strand,  das 
Kluge  ebenfalls  als  unaufgeklärt  bezeichnet.   Es  ist  mit  nt- 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  307 

suflix  gebildet.   Die  vollstufe  dieser  wurzel  steckt  wahrschein- 
lich in  ahd.  stirna  'stirn'. 

Ahd.  cUa-ga  stelle  ich  zu  ai.  glä  Widerwillen  empfinden', 
lit.  gelti  'schmerzen',  abulg.  zal(  'leid',  gr.  ßdllco  (ßXr^)  'werfen, 
treffen';  dass  auch  ßXrjxy  'geblök'  mit  Prellwitz,  Et.  wb.  s.  v. 
hierher  zu  ziehen  ist,  scheint  mir  nicht  sicher. 

Got.  mapa  'made,  wurm',  ags.  mada,  as.  matho,  ahd.  modo, 
an.  madkr  möchte  Kluge.  Et.  wb  *  s.  v.  made  als  'nager'  deuten. 
Etwas  ähnliches  mag  wol  darin  stecken,  nur  kann  man  schwer- 
lich an  die  wurzel  *me  'mähen'  anknüpfen.  Ich  möchte  es 
mit  der  ai.  set -wurzel  am  'schädigen'  verbinden.  Zu  amlshi 
V.B.,  dmi-vaY.  'drangsal,  plage,  dränger,  plagegeist',  dmatish 
'armut,  dürftigkeit'  gehört  eine  Schwundstufe  ma.  Der  be- 
deutungsvennittlung  steht  nichts  im  wege.  Auch  mhd.  motte 
könnte  mit  weiterer  ablautsform  m  hierher  gezogen  werden. 

Got.  frajn  'einsieht',  frajyan  'verstehen'  gehört  zunäclist 
natürlich  zu  got.  fröps  'weise',  frödei  'einsieht'.  Wenn  wir 
aber  an  die  bedeutungsentwickelung  unseres  erfahren  denken 
(vgl.  auch  lit.  ttrti  'erfahren'),  so  wird  man  gl*,  xeoaco  'durch- 
bohren, durchfahren',  abulg.  pera,  prati  'fahren'  als  erste  voll- 
stufe heranziehen  dürfen. 

Ags.  blmc,  nd.  blak,  ahd.  blach  bedeutet  'tinte',  ursprüng- 
lich natürlich  'schwarz',  was  es  ja  als  adjectivum  auch 
heisst.  Eine  etymologie  ist  mir  nicht  bekannt.  Nun  hat  Jo- 
hansson, Beitr.  15, 226,  um  got.  bleips  zu  erklären,  einen  Über- 
gang von  indog.  ml  zu  germ.  bl  angenommen,  gegen  den  nichts 
einzuwenden  ist,  da  mr  zu  br  wird.  Ich  sehe  daher  in  bla- 
die  regelrechte  zweite  Schwundstufe  zu  gr.  f*iXa~$,  ai.  mali-nds 
'schmutzig,  unrein'.  Denkt  man  dann  weiter  an  die  beliebte 
griechische  ausdrucksweise  wie  ptlav  alpa,  so  kann  man  auch 
vermuten,  dass  got.  blöp,  ahd.  bluot  'blut'  nichts  anderes  als 
'das  schwarze'  bedeutet.  Das  neutrale  geschlecht  erklärt  sich 
daraus,  dass  der  indogermanische  ausdruck  für  'blut'  ai.  asj-j, 
gr.  taQ,  lat.  assir,  gr.  aifia,  lat.  (veraltet)  sanguen  n.  neutralen 
geschlechtes  war.   Was  das  Suffix  betrifft,  so  vgl.  lit.  gel-tas. 

Das  auffallende  /.-suffix  in  blak  lässt  sich  vielleicht  aus  u 
herleiten;  indessen  bleibt  dies  unsicher,  so  lange  der  Übergang 
von  u  in  k  nicht  lautgesetzlich  festgelegt  ist. 

Got.  afhlaPan,  an.  hlada,  ags.  hladan,  afr.  hlada,  ahd.  Afadan 

20* 


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308 


HIRT 


nebst  ags.  hlöö  'beute,  häufe,  schar,  menge',  and.  hlötJu»  'beute' 
stellt  man  zu  abulg.  kladq,  'lege,  stelle'.  Die  differierenden  end- 
consonanten  beruhen  wol  auf  verschiedenen  praesensbildenden 
elementen.  Der  stamm  ist  also  lila,  hlö,  den  man  in  lit.  kloju, 
kloti  'hinbreiten'  widerzufinden  glaubt,  klö  weist  aber  auf 
eine  zweisilbige  set- wurzel,  die  wir  in  lit.  kelti  'etwas  heben' 
antreffen,  das  widerum  eine  sehr  weite  verwantschaft  hat, 

Ahd.  flado  'opferkuchen',  gr.  xXäfravov  'opferkuchen'  ge- 
hört zunächst  zu  lit.  ploti  'breit  schlagen';  die  erste  vollstufe 
liegt  vor  in  gr.  xiXa-pog  'opferkuchen',  vielleicht  auch  in  xiXa- 
yog  n.  'meer,  das  ausgebreitete',  das  genau  ahd.  flah  'flach, 
glatt',  nl.  vlak  'eben'  entspricht.  Zu  gründe  liegt  eine  wurzel 
pelax,  die  im  wesentlichen  'eben,  flach'  bedeutet.  Erste  voll- 
stufe niXa-vog,  ntXa-yog,  zweite  vollstufe  lit  plöti,  plone 
'fladen',  lat.  planus  'eben',  air.  Idr  'estrich',  mhd.  vluor,  vgl. 
Prellwitz,  Et.  wb.  s.  v.  niXavog. 

Ahd.  rahlw  für  älteres  *hrah!io  'rächen',  ags.  hrace,  -u  f. 
'kehle'  ist  bisher  unklar.  Man  kann  es  verschieden  beurteilen. 
Die  wurzelstufe  hra  kann  man  zu  kerä*  in  xtgag,  lat.  cere- 
brum,  ai.  {iras  oder  zu  gr.  xqcc^co  'schreien'  stellen.  Genau 
entspricht  gr.  xQaryov  'laut  schreiend'.  Dann  wäre  die  bedeu- 
tung  'kehle'  ursprünglich.  Auch  xpa£<ö  gehört  zu  einer  zwei- 
silbigen basis,  die  wir  oben  bei  hrabo  erörtert  haben. 

D.  Germ,  n,  t  als  schwundstufenformen. 

Dem  ero,  eh,  ema,  ena  stehen  i  und  a  als  schwundstufen- 
formen zur  seite,  insofern  schon  im  indog.  <p,  eta  zu  i  und  u 
contrahiert  wurden. 

Auch  diese  t,  ü  sind  nur  in  set -wurzeln  berechtigt,  wie 
längst  de  Saussure  nachgewiesen  hat.  Im  folgenden  stelle  ich 
die  germanischen  beispiele  die  ich  mir  notiert  habe,  zusammen. 
Da  I  nicht  von  ei  zu  scheiden  ist,  beginne  ich  mit  o,  das  im 
wesentlichen  allein  in  betracht  kommt,  ü  ist  im  germanischen 
ein  ziemlich  häufiger  laut,  der  in  zahlreichen  fällen  unerklärt 
ist.  Möglicherweise  steckt  noch  etwas  anderes  darin  als 
indog.  a. 

Got.  püsundi  gehört  zu  ai.  tavi-,  wie  ich  IF.  6, 344  ff.  nach- 
gewiesen zu  haben  glaube.  Vgl.  ai.  taviti  RV.,  tdvish  RV.,  idv't- 
yas  V.   Zur  selben  wurzel  gehört  auch  ahd.  dümo,  ags.  puma 


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OB AMM ATISCHES  UND  ETTMOLOGI8CHE8. 


309 


u.s.w.,  das  einem  ai.  *tavimü  entsprechen  würde.  Verkürzung 
des  u  ist  in  an.  Jtumall  eingetreten,  das  mit  seiner  J-ableitung 
dem  ind.  tümrasY.  'feist,  kräftig'  entsprechen  würde,  falls  es 
alt  ist.  Wegen  der  kürze  des  «  ist  letzteres  wahrscheinlich 
richtig.  Oben  haben  wir  auch  got.  gapwastjan  zur  gleichen 
wurzel  gestellt,  mit  der  zweiten  Schwundstufe.  Ich  halte  dabei 
a  und  u9  für  coordinierte  schwundstufenformen.  u  ist  dagegen 
erst  aus  a  in  neuer  Schwächung  entstanden. 

Got.  brups  haben  Uhlenbeck,  Beitr.  22, 188  und  ich  a.  a.  o. 
s.  234  gleichzeitig  zu  ai.  brdvimi  gestellt.  Der  ablaut  ist  auch 
hier  in  Ordnung. 

Got.  fals  'faul'  ist  verwant  mit  Mt.püti  'faulen',  pdliai 
'eiter',  ai.  ptiyati  'wird  faul'  u.s.w.  Als  wurzel  müssen  wir 
*peua  ansetzen,  die  in  ai.  pttndti,  pavi-tum  mit  der  bedeutung 
'reinigen'  vorliegt.  Dazu  lat.  parus  u.s.w.  Die  bedeutungen 
divergieren  nun  allerdings,  und  der  einwand  lucus  a  non  Ut- 
cendo  wäre  vielleicht  zu  erwarten,  wenn  einer  die  worte  ver- 
mitteln wollte.  Das  trifft  indessen  nicht  zu.  Nach  alter  an- 
schaunng  reinigt  sich  vielmehr  die  wunde  durch  die  eiterung. 
So  lange  der  eiter  nicht  zersetzt  wird,  ist  er  ja  auch  rein 
weiss,  und  wird  erst  durch  zersetzungskeime  zur  stinkenden 
jauche. 

Nd.  dttne  f.,  an.  dann  m.  'danne',  engl,  down  'daune,  weiche 
feder  ist  nicht  erklärt.  Nun  verbindet  man  lat.  pltttna  mit 
unserm  fliegen,  und  feder  leitet  man  von  der  wurzelnd  'fliegen' 
ab.  Daher  könnte  auch  in  dan-  et  was  ähnliches  stecken.  Ich 
knüpfe  daher  zunächst  an  aisl.  dtjja  (dikta)  'bewegen,  schütteln' 
an,  das  widerum  dem  ai.  dhftnöti  'schütteln'  (fut.  dhavishyati), 
gr.  ftoctCoj  'in  schnelle,  heftige  bewegung  versetzen,  schnell 
bewegen'  entspricht.  Sollte  die  beranziehung  von  an.  dünn 
nicht  richtig  sein,  so  entspricht  doch  dyja  genauer  der  ind. 
set -wurzel. 

Got.  hlatrs  'rein',  ahd.  hlatar  stellt  man  zu  gr.  xXv^ro 
'spüle,  reinige'.   Die  zweisilbige  basis  liegt  vor  in  lat,  cloäca. 

Der  stamm  ba  in  zahlreichen  worten,  ahd.  büan,  bar,  ge- 
hört zu  ai.  bhavi-tum  u.  s.  w. 

Ahd.  Stada  ' staude,  Strauch,  busch'  verbindet  man  mit  gr. 
ötvXoq  ' säule',  das  weiter  zu  ai.  sthards,  sthalds  'dicht,  grob, 
gross,  dick,  plump'  gehört.   Die  zweisilbige  basis  liegt  vor  in 


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310 


HTBT 


sthdvi-ras  ' fest,  derb,  massig,  stark,  vollwüchsig,  alt',  sthdmma 
n.  'das  dicke  ende,  die  breite  seite\ 

Ahd.  zun  'zäun,  garten',  ags.  tan  4 das  umzäunte,  ort',  an. 
tan  'eingehegtes,  gehöfV  entspricht  air.  dün  'bürg,  stadt\ 
Weitere  anknüpfung  fehlt.  *da-nom  sieht  nun  zweifellos  wie 
ein  altes  no-particip  aus,  und  wir  können  dazu  eine  wurzel 
*deuä  erschliessen,  die  im  ai.  dunöti  AV.  +,  dands  AV.  mit  der 
bedeutung  'brennen'  vorliegt.  Die  bedeutungsvermittlung  ist 
möglich,  wenn  man  an  lat.  aedes  denkt.  Mit  unserm  wort 
kann  auch  die  thrakische  ortsnamenbezeichnung  dava,  deva 
zusammenhängen,  in  Pulpudeva,  MovQtöißa,  Zixtöißa,  Sxatöißa; 
vgl.  Kretschmer,  Einl.  s.  222,  der  es  von  der  wurzel  dhe  ableitet. 

Aisl.  snaa  'wenden,  kehren,  drehen,  winden'  verbinde  ich 
mit  ahd.  senawa,  ai.  snävan. 

Ahd.  chamön  'klagen,  beweinen'  stellt  man  mit  recht  zu 
gr.  yofog  'totenklage'.  Dies  war  eine  set -wurzel,  wie  aus  hom. 
yo^fiivai,  yodoiev  hervorgeht. 

Got.  ahd.  hos  zu  hütte  und  zu  gr.  xev&m  'verbergen'  zu 
stellen,  ist  wegen  der  länge  des  a  bedenklich,  xsv&co  ist  zweifel- 
los eine  anit -wurzel  und  muss  daher  fern  bleiben.  Den  laut- 
lichen anforderungen  entspricht  die  Verbindung  mit  lat.  caverna 
'die  höhle'.  Da  man  vielfach  in  höhlen  wohnte,  ist  die  glei- 
chung  auch  semasiologisch  unbedenklich,  caverna  lässt  sich 
aus  *cavesina  erklären. 

Ahd.  sal  'säule'  u.s.w.  verbindet  Kluge  mit  M.  swelli  n. 
'schwelle',  was  nach  den  ablautsverhältnissen  sehr  wol  angeht. 
Got.  sauls  f.  wäre  die  erste  vollstufe  dazu.  Sonst  kann  ich 
die  wurzel  nicht  nachweisen. 

Ahd.  scür  m.  '  Unwetter,  hagel'  ist  ablaut  zu  lit.  sziaurgs 
'nordwind',  abulg.  scverü  'norden',  lat.  caurus;  hier  liegt  aber 
eu  zu  gründe. 

Aisl.  ryja,  rada  'vellere  lanam'  gehört  zu  lit,  rduju,  rduti 
'eine  pflanze  mit  der  wurzel  aus  der  erde  ziehen'.  Dazu  könnte 
man  auch  ahd.  ruh  'behaart,  rauh,  struppig',  eigentlich  'gerupft, 
gezaust'  stellen. 

Ich  will  mit  diesen  gleichungen  durchaus  nicht  sagen,  dass 
man  worte  mit  ü  und  ü  unter  keinen  umständen  etymologisch 
verbinden  dürfe:  giebt  es  doch  verwante  formen  mit  u  und  ü 
neben  einander  in  hinreichender  anzahl.   Was  ich  nochmals 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  311 


betonen  möchte,  ist  dass  man  vorläufig  ein  wort  mit  a  nicht 
auf  eine  anit-wurzel  beziehen  darf.  Ich  kenne  eigentlich  nur 
eine  sichere  ausnähme  von  diesem  satz:  ahd.  lut,  ags.  hlüd,  das 
zu  ai.  {tm  gehört.  Das  ist  zweifellos  eine  anit-wurzel,  aber  es 
sind  auch  spuren  des  i  vorhanden:  ^rdvishlha  kommt  vom  AV. 
an  vor;  im  RV.  heisst  es  cucrüyäs.  Hier  standen  also  wahr- 
scheinlich zwei  wurzeln  neben  einander.  Man  beachte  dabei, 
dass  germ.  *hlaÖaz  eine  bestimmte,  abweichende  bedeutung  hat. 

Germ,  i,  das  wir  zu  zweit  betrachten  wollen,  ist  leider  nicht 
sicher  von  ei  zu  scheiden.  Aber  die  möglichkeit,  ein  an  sich 
zweifelhaftes  germ.  i  als  entsprechung  eines  ursprünglichen  ei 
aufzufassen,  muss  überall  da  in  betracht  gezogen  werden,  wo 
wir  es  mit  einer  anit-wurzel  zu  tun  haben. 

Es  kann  daher  altes  i  nicht  stecken  in  ahd.  beliban,  ai. 
•üipat  u.s.w.  (Osthoff,  MU.  4, 4),  in  got.  fraweitan,  wenn  dies 
m  viderc  u.  s.  w.  gehört  (Osthoff  s.  6),  in  ags.  snlwcÖ,  in  ahd. 
>t -is,  ahd.  ktcU,  ai.  cvtt  und  überhaupt  in  dem  meisten,  was  bei 
Dsthoff,  MIT.  4  und  bei  Noreen,  Urg.  lautl.  s.  75  f.  angeführt  wird. 
Sichere  fälle,  in  denen  t  zu  einer  set-wurzel  gehört,  sind  nicht 
gerade  häufig.  Got.  leipu(s)  würde  ein  solches  sein,  wenn  es 
nit  Iii.  lytüs  zu  verbinden  wäre,  vgl.  leti  'giessen'.  Ferner 
rot.  freidjan  'schonen',  an.  fridr,  ags.  frW  'hübsch'  u.s.w.  zu 
li.  pntds. 

Ahd.  rim  'reihe,  reihenfolge,  zahl',  kann  zu  ai.  rin&U  'fluten, 
luten  lassen'  gehören,  also  auch  mit  rinnan  verwant  sein. 

Zum  Schlüsse  dieses  aufsatzes  möchte  ich  noch  ein  paar 
ür  den  ablaut  der  set -wurzeln  im  gennanischen  typische  fälle 
usammenstellen.  Wir  unterscheiden  zwei  vollstufen  und  zwei 
chwundstufen. 

Aus  der  wurzel  genejö  wird  I)  bei  betonung  der  ersten 
übe  geno,  ahd.  chind  (gr.  yiveotq,  \a,t.genitor,  &i.jani-tä);  —  II) 
ei  betonung  der  zweiten  silbe  gene;ö,  got.  knö])s  'geschlecht', 
s.  knösal,  ahd.  chnuosal. 

Bei  unbetontheit  der  beiden  ersten  silben  entsteht  —  III) 
ie  erste  Schwundstufe  </rna-,  germ.  kun,  got.  himinakunds,  kuni 
eschlecht',  lat.  nätus,  und  —  IV)  die  zweite  Schwundstufe 
%9,  ahd.  knabo. 


312 


HIRT 


Wz.  genejö  'kennen':  I)  got.  kann;  —  IT)  ahd.  chnaan,  ags. 
cnatvan,  ahd.  einchnuadil  'insignis',  cnuodelen  'ein  erkennungs- 
zeichen  geben';  —  III)  gakunds,  kunpi,  kunps;  —  IV)  — . 

Wz.  merfl*:  I)  ahd.  maratci;  —  II)  ahd.  &rflton;  —  HI) 
muruwi;  —  IV)  — . 

n. 

Zur  Vertretung  der  labiovelare. 

1.  Gegen  die  von  Znpitza,  Die  germ.  gutt.  s.  97  f.  auf- 
gestellte lehre,  dass  indog.  anlautendes  ghv  im  germanischen 
durch  g  vertreten  werde,  hat  Uhlenbeck  in  diesen  Beitr.  22, 543 
mit  recht  einsprach  erhoben,  worauf  Zupitza,  Beitr.  23, 237  ft 
geantwortet  hat.  Ich  halte  auch  seine  jetzigen  ausfuhrungen 
nicht  für  beweisend.  Weshalb  wir  auf  die  Zukunft  hoffen 
sollen,  die  vielleicht  noch  sichere  beispiele  für  den  wandel  von 
gh*  zu  g  bringen  werde,  kann  ich  nicht  erkennen.  Vorlaufig 
müssen  wir  uns  mit  dem  begnügen  was  vorliegt. 

Zunächst  spricht  doch  die  behandlung  des  inlautenden,  im 
silbenanlaut  stehenden  ghu  auch  mit,  wenn  wir  den  anlaut 
betrachten.  Und  da  hier  von  Zupitzas  regel  nichts  zu  spüren 
ist,  ist  dies  ein  schwerwiegendes  moment. 

Sicherer  ist  es,  sich  auf  das  etymologische  material  zu 
stützen. 

Zupitza  bestreitet  die  beweiskraft  der  alten  gleichung: 
got.  warms,  ai.  gharmds  'hitze',  av.  gartma,  ap.  garma  1  warm', 
apreuss.  gorme  'hitze',  air.  gorm,  lat.  formus,  gr.  9tQft6<:.  Wenn 
wir  ein  wort  so  durch  alle  sprachen  mit  demselben  suffix  und 
derselben  bedeutung  hindurchgehen  sehen,  so  hat  ein  solches 
wort  zweifellos  eine  grosse  beweiskraft.  Daran  kann  es  auch 
nichts  ändern,  dass  des  öfteren  wurzeln  mit  anlautendem  labio- 
velar  und  tv  neben  einander  stehen.  Bezzenberger  hat  BB. 
16, 257  das  germanische  wort  mit  lit.  virti,  abulg.  vreti  'sieden, 
fervere',  variti  'kochen',  varü  'glut',  armen,  varem  'anzünden' 
verglichen.  Die  heranziehung  des  armenischen  Wortes  begleitet 
Hübschmann,  Ann.  gramm.  s.  494  mit  einem  fragezeichen,  nach- 
dem schon  Bugge,  KZ.  32, 56  auf  die  Verschiedenheit  der  bedeu- 
tungen  hingewiesen  hatte.  Und  sind  denn  nun  die  lit.  slav. 
worte,  die  zweifellos  'kochen'  heissen,  so  ohne  weiteres  in 
ihrer  bedeutung  mit  dem  germanischen  warm  zu  vermitteln? 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  313 


Ich  glaube  nicht.    Von  'kochen'  zu  'wann'  ist  ein  grosser 
sprang  der  begriffe,  und  ich  habe  bisher  kein  beispiel  gefunden, 
in  dem  auf  anderem  Sprachgebiet  dieser  Übergang  stattgefunden 
hätte.  Schliesslich  kommt  noch  hinzu,  dass  lit.  virti  (verdu) 
und  abulg.  vre'ti  (serb.  vrett)  auf  eine  set-wurzel  weisen,  wäh- 
rend die  wurzel,  zu  der  gr.  9-€Qfi6g  u.s.w.  gehört,  eine  anit- 
wurzel  war.   So  zerfällt  bei  näherem  zusehen  das  angebliche 
nebeneinander  einer  wnrzel  *ghver  und  *uer  in  nichts,  und  so 
wie  hier  ist  es  mit  mehreren  anderen  der  von  Zupitza  an- 
geführten fälle.   Ausserdem  muss  bei  solchen  Wortpaaren  noch 
nachgewiesen  werden,  dass  ihre  Urbedeutung  die  gleiche  ist, 
dass  nicht  die  gleichen  bedeutungen  erst  im  laufe  der  zeiten 
entstanden  sind.   So  ist  ags.  cwelan  'sterben',  cwalu  'tod'  mit 
dem  bestimmten  sinn  entschieden  jung,  wegen  ahd.  quüla,  lit 
gelti  'wehe  tun',  abulg.  satt  'leid';  in  an.  valr  'die  leichen  auf 
dem  Schlachtfeld'  liegt  offenbar  eine  metonymie  örtlich  causaler 
natur  vor  wie  in  kragen,  ärmel,  frauenzimmer,  backe,  bände, 
bein  u.v.a.   valr  heisst  eigentlich  das  Schlachtfeld  und  dann, 
was  sich  darauf  befindet,    wal  selbst  ist  aber  der  ort  des 
Untergangs  wegen  ahd.  wuol  'niederlage',  ags.  wo/  'pest,  seuche'. 
Wo  besteht,  wenn  wir  so  weit  gekommen  sind,  noch  eine  mög- 
lichkeit  die  worte  zu  vereinigen?    Lit.  vel§s  'verstorbener' 
kenne  ich  nicht:  ich  finde  es  weder  bei  Kurschat,  noch  bei 
Wesselmann  und  Leskien.   Ich  will  auf  die  übrigen  fälle  nicht 
Angehen,  da  es  auf  die  sache  selbst  nicht  ankommt,  und  nur 
loch  darauf  hinweisen,  dass  sich  auch  noch  andere  'reim- 
tvörter'  finden,  in  denen  scheinbar  am  anfang  ein  consonant 
linzugefügt  ist.    Darüber  hat  bekanntlich  Meringer,  WSB. 
25,2,  s.  35  ff.  gehandelt,  ohne  zu  überzeugenden  ergebnissen 
tommen  zu  können.   Jedenfalls  ist  das  wort  warms  so  gut 
wie  nur  irgend  eins  geeignet,  die  behandlung  der  lautgruppe 
Oiu  im  anlaut  klarzulegen. 

Ein  zweites  beispiel  ist  ahd.  wahs  'scharf,  das  von  Fick 
Tgl  wb.  1*,  417.  Prellwitz,  Et.  wb.  348  mit  gr.  yogoq  'spitz'  ver- 
liehen wird.  Die  gleichung  ist  tadellos  und  jedenfalls  der 
eranziehung  von  ai.  väet  'axt',  die  Zupitza  s.  33  vorgeschlagen 
at,  vorzuziehen. 

»)  Vgl.  dazu  Thomas,  Ueber  die  möglichkeiten  des  bedeutungswandels, 
Hätter  für  das  gymnasialwesen  30  (1894),  716. 


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314 


HIRT 


Gr.  tpcoriov  xQoeytXtc,  qdv,  got.  wöpeis  lässt  Zupitza 
nicht  gelten,  worin  ihm  vielleicht  beizustimmen  ist.  Er  ver- 
gleicht ir.  bdid  'süss'  mit  dem  griechischen  wort,  wobei  er 
für  das  griechische  umspringen  der  aspiration  annehmen  muss. 

Ist  das  material  für  die  bisher  geltende  annähme  immer- 
hin nicht  sehr  reich,  so  spricht  doch  auch  nichts  dagegen.  Das 
einzige  beispiel  Zupitzas  ist  aisl.  gandr  'rute1,  m.gondoll  'virga 
virilis',  das  er  zu  ai.  hdnti,  gr.  »ilvm,  yovog  stellt.  Zur  ent- 
kräftung von  Wadsteins  deutung  IF.  o,  30  hat  Z.  nichts  vor- 
gebracht, und  so  muss  sein  Widerspruch  auf  sich  beruhen  bleiben. 
Und  wenn  man  auch  aisl.  gandr  nach  Liden,  BB.  21, 98  mit 
air.  geind  ;a  wedge',  ngael.  geinn  'a  wedge,  cuneus;  a  large, 
thick  piece  of  anything'  verbinden  wollte,  so  bliebe  doch  die 
Vereinigung  dieser  worte  mit  gr.  &elva>  u.s.w.  unsicher. 

2.  Auch  die  frage  nach  dem  Verlust  des  labialen  nach- 
klangs  ist  durch  Zupitzas  arbeit  nicht  ganz  ins  reine  gebracht, 
wie  z.  b.  der  einspruch  Solmsens,  Journ.  of  germ.  phil.  1.  387 
beweist.  Ich  stimme  indessen  Zupitza  darin  bei,  dass  vor 
indog.  o  ein  Schwund  des  m  nicht  eingetreten  ist.  Aber  ob 
dies  auch  für  die  Stellung  vor  indog.  o  gilt,  lässt  sich  bezwei- 
feln. Das  einzige  sichere  beispiel  ist  gr.  ßovg,  ahd.  kuo,  und 
dies  genügt  auch.  Wenn  man  auch  die  ß-formen,  aisl.  kyr,  ags. 
cu  zu  hilft;  ruft,  um  den  schwund  zu  erklären,  so  bleibt  es 
doch  auffällig,  dass  nirgends  ein  *kwö  überliefert  ist. 

Daher  halte  ich  in  diesem  punkte  die  alte  anschauung 
für  noch  nicht  widerlegt.  Zu  beachten  ist,  dass  indog.  o  im 
germ.  zu  a  geworden  ist  in  einer  zeit,  die  wir  nicht  bestimmen 
können,  dass  dagegen  ü  stets  erhalten  blieb.  Was  übrigens 
got.  tuggö  gegenüber  lat.  lingua  betrifft,  auf  das  Solmsen  noch 
verweist,  so  kann  es  absolut  nicht  zum  beweise  dienen:  tuggö 
ist  entweder  erst  durch  metaplasmus  in  die  n-declination  ge- 
kommen (dieser  metaplasmus  ist  aber  doch  wol  bewirkt  durch 
den  zusammenfall  einiger  casus  der  ä-  und  n  -  declination  zu 
einer  zeit  wo  indog.  ä  und  ö  im  germanischen  nicht  mehr  ge- 
trennt waren),  oder  es  ist  ein  alter  ua- stamm,  bei  dem  in 
einigen  casus  n  berechtigt  war  (abulg.  jysy-kü  kann  man  ahd. 
Mungtt-n  gleich  setzen),  und  dann  ist  der  Verlust  des  k>  ana- 
logisch zu  erklären. 

Wenn  ags.  cm,  wie  nicht  zu  bezweifeln,  aus  *kö  und  weiter 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES. 


315 


aus  *ktvö  entstanden  ist,  so  kann  man  natürlich  auch  ags.  hü 
dem  as.  hwö  gleichsetzen.  Der  versuch  von  Joh.  Schmidt,  KZ. 
32,403,  ags.  hü  direct  mit  ai.  ha  zu  verbinden,  bleibt  daher 
mindestens  unsicher.  Zwischen  wgerm.  hwö  und  got.  he  be- 
steht dieselbe  vocaldifferenz  wie  im  gen.  plur.  masc.  und 
anderen  fällen. 

m. 

Zu  den  e-praesentien. 

Johansson  hat  KZ.  32, 434  ff.  überzeugend  gezeigt,  wie  im 
litauischen  die  praesensklasse  auf  -st  aus  der  dritten  person 
sg.  aor.  medii,  indog.  auf  -to  erwachsen  ist.  Der  gedanke,  dass 
aus  einzelnen  endungen  verbalsuffixe  entstehen  können,  ist  auch 
in  anderen  fällen  als  berechtigt  anerkannt.  Ich  möchte  dieses 
princip  anwenden,  um  einige  fälle  zu  erklären,  in  denen  im 
germanischen  ein  praesenssuffix  indog.  to  auftritt. 

Betrachtet  man  die  beispiele  für  das  praesenssuffix  -to  in 
Brugmanns  Grundr.  2, 1038  ff.  (§  679),  so  fällt  es  auf,  wie  spär- 
lich sie  in  den  einzelnen  sprachen  vertreten  sind,  so  dass  man 
hier  schwerlich  von  einem  productiven  suffix  reden  kann. 
Merkwürdig  ist  es  auch  hier,  dass  das  germanische  mit  dem 
lateinischen  band  in  hand  geht,  z.  b.  in  plcctö  'flechte',  ahd. 
flihtu  gegenüber  gr.  xXtxm.  Horn,  heisst  es  jrt'xro  'kämmen, 
scheeren',  lit.  pessu,  aber  lat.  pecto  und  germ.  fihtu  (vgl.  Brug- 
mann  2, 1039).  Jedenfalls  haben  wir  es  in  solchen  fällen  z.  t. 
mit  neubildungen  zu  tun,  z.  t.  liegt  aber  m.  e.  die  3.  sg.  medii 
zu  gründe.  Aus  dem  germanischen  ziehe  ich  hierher  got.  us- 
alßans  'gealtert',  aisl.  aldenn  'gealtert',  gegenüber  ala  'auf- 
wachsen'. Die  formen  mit  dem  t-  suffix,  die  leider  nur  im 
participium  belegt  sind,  haben  entschieden  intransitiv  medialen 
sinn.  Ein  indog.  *alto  hätte  im  got.  zu  *alp  geführt,  und  da- 
von ist  das  participium  alßans  gebildet.  Aehnlich  lässt  sich 
vielleicht  das  merkwürdige  verbum  got.  standan,  stöp  erklären, 
neben  dem  sich  im  ahd.  sten  findet.  Zuletzt  hat  sich  Osthoff 
um  die  erklärung  bemüht  (vgl.  IF.,  Anz.  1, 82);  er  nimmt  eine 
besondere  praesensbildung  auf  -net  an.  Diese  auffassung  scheint 
mir  mit  Brugmann,  Grundr.  2, 1043  anm.  2  nicht  überzeugend 
zu  sein.  Halten  wir  uns  an  die  tatsachen,  so  steht  z.  b.  im 
ahd.  neben  dem  alten  praesens  sten  (stän)  ein  praeteritum  stuot 


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316 


HIRT 


(arstuat  WK.,  vorstötun,  forstuotun  T..  gistuat,  gistuatun  0).  Die 
3.  pers  sing,  können  wir  ohne  weiteres  auf  *stöto  zurückführen, 
was  abgesehen  von  der  vocalstufe  einem  ai.  asthita  genau  ent- 
sprechen würde.  Allerdings  kommt  dem  aorist  nicht  eigent- 
lich die  starke  Stammform  zu,  aber  diese  unterschiede  im  ab- 
laut  sind  ja  schon  frühzeitig  ausgeglichen,  vgl.  ahd.  gitan. 
Im  praesens  der  verwanten  sprachen  finden  wir  weiter  sehr 
häufig  einen  nasal:  gr.  ötavm,  armen,  stanam,  lat.  dcstinäre, 
abulg.  stanetü  neben  statt,  preuss.  stänintei,  adv.  des  part.  praes. 
Stand  nun  im  germ.  ein  *stanö  neben  *stöp,  so  konnte  sehr 
leicht  der  dental  auch  in  das  praesens  eingeführt  werden. 

Es  liegt  natürlich  nahe,  auch  die  übrigen  <-praesentien  des 
germanischen  auf  diese  weise  zu  erklären,  vor  allem  got.  winda, 
*gawap,  doch  fehlt  hier  die  anknüpfung  an  die  verwanten 
sprachen. 

Es  liegt  ferner  nahe,  einige  s-praesentien  ans  alten  aoristen 
zu  erklären.  So  z.  b.  got.  fraliusa  gegenüber  gr.  Xvco,  lat.  solvo 
aus  aor.  fra-lu-s-um,  der  ganz  genau  gr.  IXvoafitv  entspricht. 
Ueberhaupt  muss  doch  einmal  die  frage  aufgeworfen  werden, 
was  aus  den  zahlreichen  aoristbildungen  des  indogermanischen 
im  germanischen  geworden  ist.  Wenn  man  die  zweite  sing, 
perf.  ahd.  bizzi,  ags.  bite  mit  recht  für  eine  form  des  sogenanten 
aoristus  secundus  erklärt,  so  scheint  mir  eine  solche  form  in 
das  perfectsystem  nur  haben  hineinkommen  können,  wenn  in 
anderen  formen  ein  lautgesetzlicher  Zusammenhang  statt- 
gefunden hatte.  Dieser  ist  eingetreten  im  plural.  Formen  wie 
ai.  ddigam,  ddigam,  ddicat,  ddigäma,  ddicaUi,  ddican  hätten 
wgerm.  *Ug,  tigi,  *tig,  tigum,  *tigi#,  tigan  ergeben.  Die  erste 
pluralis  fiel,  aber  nur  im  westgermanischen  (got.  dagam  —  ahd. 
tagum),  mit  der  perfectform  zusammen.  Sie  wird  den  zusammen- 
fall  veranlasst  haben.  Andere  fälle  mögen  noch  sein  *biti, 
*bitum,  ai.  dbhidas,  dbhidäma;  ai.  dsicas,  d&icüma  zu  sie  =  ahd. 
sihan;  gr.  IXursg,  illxofitv,  ahd.  Uuri,  liwum;  &i.dvrtas,  dvrtäma, 
ahd.  wurti,  wurtum. 

Nicht  also  der  zusammenfall  mit  der  optativform  (wie 
v.  Fierlinger,  KZ.  27, 432  meinte),  ist  der  grund  der  erhaltung 
der  2.  sg.  im  wgerm.,  sondern  weil  sie  in  das  perfectsystem 
eindringen  konnten,  darum  haben  sich  diese  formen  erhalten. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  317 


IV. 

Zar  Chronologie  germanischer  lautgesetze. 

Man  hat  sich  mit  recht  bemüht,  nicht  nur  die  relative, 
sondern  auch  die  absolute  Chronologie  der  lautgesetze  festzu- 
stellen, die  in  eine  vorliterarische  epoche  fallen.  In  neuerer 
zeit  ist  man  dieser  frage  wider  verschiedentlich  näher  getreten, 
und  Streitberg  hat  in  seiner  Urgerm.  grammatik  an  den  be- 
treffenden stellen  verzeichnet,  was  sich  über  die  absolute  Chro- 
nologie einzelner  urgermanischer  lautvorgänge  vorbringen  lässt. 
Dass  man  gegen  das  was  er  mit  anderen  anführt,  begründete 
einwände  erheben  kann,  hoffe  ich  im  folgenden  zeigen  zu 
können,  und  ich  bemerke  nur,  dass  derartige  bedenken  schon 
früher  geäussert  sind,  vgl.  Möller,  KZ.  24, 508.  Bremer,  IF.  4, 21. 
Da  sie  aber  nicht  beachtet  werden,  ist  es  nötig  sie  zu  wider- 
holen. 

Bei  der  bestimmung  der  absoluten  Chronologie  sind  wir 
gewöhnlich  auf  die  erscheinungen  in  lehnworten  angewiesen. 
Diese  aber  leiden  an  einem  recht  beträchtlichen  mangel,  denn 
man  muss  bei  ihnen  mit  dem  wichtigen  factor  der  lautsubsti- 
tution  rechnen,  und  daher  ist  ihr  zeugnis  meistens  anfechtbar. 
Prüfen  wir  nun  die  einzelnen  fälle: 

1.  Der  germanische  vocalismus  ist  charakterisiert  durch 
den  zusammenfall  von  o  und  o  in  a,  von  ä  und  ö  in  ö. 
Wann  ist  dies  eingetreten? 

'Die  alten  keltischen  lehnwörter  verwandeln  ihr  o  in  a, 
sind  also  vor  der  zeit  des  wandels  von  indog.  o  zu  germ.  a 
aufgenommen.  Vgl.  Moguntiacum,  ahd.  Mayima,  gall.  Voseyus, 
ahd.  Wasconowalt,  gall.  Volcae,  ahd.  WcUha.  Die  später  auf- 
genommenen lat.  lehnwörter  erhalten  im  germanischen  ihr  o 
unverändert.  Vgl.  coquere,  ahd.  JcocJüfn  u.s.w.'  Dasselbe  be- 
hauptet Brugmann,  Grundr.  1  *,  145. 

Das  beispiel  beweist  nicht,  was  es  beweisen  soll.  Denn 
angenommen,  dass  o  schon  zu  a  geworden  war,  so  besassen 
die  Germanen  kein  o  mehr  (vorausgesetzt,  dass  m  noch  nicht 
zu  o  geworden  war);  sie  substituierten  daher  ihr  o  für  das 
kelt.  o.  Als  später  ein  neues  o  aus  u  entstanden  war,  konnten 
sie  dieses  für*  das  o  der  lateinischen  lehnworte  gebrauchen. 
Es  würden  also  diese  beispiele  nur  zur  zeitlichen  bestimmung 


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318 


HI  KT 


des  germ.  a-umlauts  von  u  dienen  können,  aber  selbst  dieses 
ist  nicht  ganz  sicher.  Bei  der  widergabe  fremder  vocale 
kommt  nämlich  vor  allen  dingen  die  eigenhöhe  des  vocals  in 
betracht.  Serben,  denen  ich  deutsche  Wörter  mit  a  vorsprach, 
hörten  darin  ein  o  und  gaben  es  demnach  mit  o  wider,  ob- 
gleich sie  selbst  ein  a  besitzen,  das  allerdings  bedeutend  höher 
liegt  als  unser  deutsches  a.  Aehnlich  war  es  auch  früher. 
Für  germ.  a  in  lehnwörtern  wird  im  slavischen  o  gesprochen, 
vgl.  z.  b.  serb.  grof  =  graf  u.  v.  a.  Die  Litauer  dagegen  setzen 
für  das  slav.  o  noch  heute  ein  a,  weil  die  Litauer  kein  ö 
kennen,  vgl.  lit.  alyvä  'olive',  poln.  oliva;  lit.  altörius,  poln.  oltar 
'altar',  lit.  äsilas,  klr.  osel,  poln.  osiol  'esel'  u.s.w.  mit  voll- 
ständiger regelmässigkeit.  Man  wird  daher  aus  den  germani- 
schen lehnworten  aus  dem  keltischen  nicht  das  schliessen 
können,  was  man  getan  hat.  Sie  sind  m.  e.  in  keiner  weise 
verwertbar. 

2.  'Indog.  ö  und  ä  sind  zur  zeit  Caesars  im  germanischen 
noch  geschieden  gewesen,  vgl.  Silva  Bacenis,  ahd.  Buochunna' 
Ebenso  Brugmann,  Gründl*.  1*,  151.  Im  altirischen  und  im  galli- 
schen sind  indog.  ö  und  a  in  ä  zusammengefallen.  Ist  dies 
aber  der  fall,  so  kann  in  Bäcenis  keltische  laut  Substitution 
für  *Böcenis  vorliegen.  Denn  Caesar  wird  doch  den  namen 
aus  gallischem  munde  vernommen  haben.  Ebensowenig  be- 
weisen die  lehnworte,  gall.  bräca,  aisl.  brok,  ahd.  bruoh,  Dann- 
vius,  got  Dönawi,  ahd.  Tuonouwa.  Wie  hier  kelt.  ä  durch  ö 
widergegeben  wird,  so  wird  lat.  ö  durch  ü  ersetzt,  vgl.  as. 
Rümuburg.  In  diesem  falle  wird  wol  lautsubstitution  vor- 
liegen und  ö  für  a  kann  man  dann  kaum  für  etwas  anderes 
halten.  Es  scheint  mir  nicht  richtig  zu  sein,  in  einem  falle 
wie  got.  Bümöneis  =  lat.  Börnäni  den  einen  vocal  anders  als 
den  andern  zu  beurteilen.  Wir  können  aus  den  keltischen 
lehnworten  widerum  nichts  anderes  schliessen,  als  dass  damals 
im  germ.  ein  ä  nicht  existierte.  Nun,  dass  ä  aus  o  erst  ziem- 
lich spät  entstanden  ist,  das  wissen  wir,  und  ebenso,  wann  un- 
gefähr das  urgermanische  &  zu  a  geworden  Ist.  Auch  hier 
sei  es  mir  gestattet  ,  auf  den  bekannten  Vorgang  in  den  lit 
slavischen  sprachen  zu  verweisen. 

Das  litauische  kennt  nur  ein  ö,  das  slavische  nur  ein  a, 
und  sie  substituieren  dementsprechend.  Man  vergleiche  folgende 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  319 


fälle:  Ii t.  moseria,  mild,  maser,  lit.  omerszlakaa  'hammerschlag', 
lit.  koka  'pranger',  mnd.  käk  'schand  pfähl'  u.s.w.  Für  slav.  a 
steht  gleichfalls  ö:  lit.  dövyti,  klr.  davyty  'umherjagend  quälen', 
lit.  grömiata,  klr.  hramöta  (gr.  yQafifiaxa);  lit.  gronyfe,  poln.  gra- 
nica  u.8.w.  So  wenig  man  hier  aus  den  lautsubstitutionen 
einen  schluss  auf  die  Chronologie  ziehen  kann,  so  wenig  ist 
das  im  germanischen  angängig. 

3.  lieber  die  Chronologie  der  germanischen  lautverschiebung 
hat  Much,  Beitr.  17, 62  f.  gehandelt.  Auch  in  diesem  falle  haben 
seine  resultate  bei  Kossinna,  IF.,  Anz.  4,  49  beifall  gefunden. ') 

Ebenso  bei  Streitberg,  Urgerm.  gramm.  §  126.  Aber  man 
kann  sich  bei  dieser  Chronologie  nur  auf  sehr  unsichere  beweis- 
punkte stützen.  Zunächst  kommt  das  wort  ahd.  hanaf,  ags. 
hwnep,  aisl.  hanpr  gegenüber  gr.  xävvaßig  in  betracht.  Much 
bemerkt  dazu  s.  63:  'diese  pflanze  wurde  den  Griechen  von 

l)  Ich  hatte  diesen  paukt  z.  b.  mit  im  sinn,  als  ich  Beitr.  21,144 
schrieb,  dass  sich  Much  auch  in  anderen  unbegründeten  punkten  des  bei- 
falls  von  Kossinna  erfreue.  Es  wird  in  den  IF.  ausdrücklich  gesagt:  'Als 
wichtigstes  ergebnis  der  Sprachwissenschaft  darf  endlich  die  festlegung  der 
ersten  (germanischen)  lautverschiebung  in  die  zeit  um  300  v.Chr.  nicht 
unerwähnt  bleiben/  Seitdem  hat  Kossinna  selbst  dieses  datum  wider  um 
ein  Jahrhundert  verrückt  (Beitr.  20,  297),  und  er  hat  auch  die  Verteidigung 
von  Muchs  deutung  der  völkernamen  übernommen  (IF.  7, 302),  wie  mir 
scheinen  will  mit  wenig  glück.  Ich  bestreite  durchaus  nicht,  dass  einzelne 
völkernamen  aus  spott-  oder  tiernamen  entstanden  sein  können:  ich  be- 
streite nur,  dass  Muchs  deutungen  irgendwie  wahrscheinlich  sind.  Sehr 
charakteristisch  auch  für  Kossinna  sind  die  IF.  7,  304  augeführten  beispiele: 
Picenies  (picm)  'gpecht'  und  Hirpini  (hirpux)  'wolf'.  M.  e.  müssten  die 
betreffenden  Stämme,  wenn  sie  tiernamen  trügen,  Pici  und  Hirpi  heissen, 
und  die  Warnari  in  Mecklenburg  müssten  Varni  genannt  sein,  wenn  sie 
'krähen'  wären.  Zwar  könnte  in  dem  -ari  die  endung  der  u -Stämme 
stecken,  aber  ebensogut  auch  das  suffix  -or>  das  z.  t.  die  herkunft  bedeutet. 
Varnavi  könnten  also  die  nachkommen  eines  Vom  sein,  und  ebenso  bedeutet 
Hirpini  nichts  anders  als  zu  einem  Hirpus  gehörig.  Der  wichtige  gesichta- 
punkt,  dass  überall  in  Europa  grosse  geschlechtsverbände  als  grundlage  der 
stämme  existieren,  und  dass  wir  in  den  den  namen  deutlich  patronyniische 
endungen  treffen,  findet  bei  Kossinna  und  Much  nicht  die  gebührende  be- 
rücksichtigung.  Allerdings  genügen, '  um  alte  völkernamen  richtig  erklären 
zu  können,  nicht  einmal  die  besten  kenntnisse  der  lautsysterae  der  alteu 
spräche,  sondern  es  bedarf  dazu  noch  ethnologischer  und  urgeschichtlicher 
kenntnisse/  Gewis.  Aber  sprachliche  kenntnisse  und  richtige  Vorstellungen 
von  dem  leben  der  spräche  sind  doch  die  notwendige  Vorbedingung,  ohne 
die  die  übrigen  kenntnisse  wertlos  sind. 


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320 


III  KT 


Skythien  her  (von  wo  sich  ihre  cultur  über  Europa  aus- 
breitete) erst  im  5.  jh.  bekannt:  Herodot  4, 74  beschreibt  ihre 
Verwendung  seinen  lesern  noch  als  etwas  neues.  Kaum  früher 
aber  als  die  Griechen,  die  mit  der  nordküste  des  Schwarzen 
meeres  in  lebhaften  beziehungen  standen,  lernten  die  Germanen 
sie  kennen.'  Wenngleich  diese  annähme  nichts  weniger  als 
sicher  ist  und  auch  mit  einigem  vorbehält  vorgetragen  wird, 
so  steht  in  der  anzeige  Kossinnas  IF.,  Anz.  4, 49  schon  die  'tat- 
sache  von  der  einführung  des  hanfes  in  Osteuropa  im  5.  jh.' 
fest.  Sehen  wir  uns  diese  'tatsache'  etwas  genauer  an.  Die 
betreffende  stelle  bei  Herodot  lautet:  "Eon  öi  o<pi  (2xv&au) 
xdvvaßig  <i  \  vr\  kv  ty  x<DQV>  *tfv  xaxvrrlT0$  *ß*  fuyd&tog 
tg3  Xlvcp  ifiq>tQ£Ozdx?f  tavry  de  xoXXw  vmoipiQU  r/  xawaßtg- 
avxrj  xal  avrofidt^  xal  ontiQOfiivri  (pvsrai,  xal  ig  avxfjg 
GQifixsq  ftkv  xal  tifiaxa  xoievvvcu  xolGi  XivioiCi  ofioiorara, 
ovtf  av,  ootiq  (iri  xctQxa  TQlßcov  eirj  avxrfi,  öiayvoirj,  llvov  jy 
xavvdßioq  iöri. . . *) 

Unzweifelhaft  beschreibt  hier  Herodot  den  hanf  als  eine 
in  Griechenland  nicht  einheimische  pflanze,  die  bei  den  Skythen 
wild  und  culti viert  wuchs,  die  aber  auch  bei  den  Thrakern 
vorkam.  Denn,  sagt  er,  die  Thraker  bereiten  daraus  gewänder, 
die  Skythen  (so  muss  man  ergänzen)  aber  nicht.  Dass  der 
anbau  erst  kürzlich  eingeführt  wäre,  davon  steht  bei  Herodot 
kein  wort.  Vielmehr  sind  die  Skythen  und  Thraker  mit  der 
Verwendbarkeit  der  hanffaser  und  der  berauschenden  kraft 
der  samen  wol  bekannt,  und  sie  können  die  pflanze  schon  seit 
langer  zeit  culti  viert  haben.  Nicht  alles,  was  Herodot  be- 
schreibt, war  seinen  landsleuten  unbekannt.  Erzählt  er  doch 
ausführlich  die  anschauungen,  die  die  pontischen  Griechen  von 
der  herkunft  der  Skythen  hatten,  und  liegt  doch  seinem  vierten 
buch  zu  einem  teil  eine  ältere  griechische  quelle  zu  gründe.  Die 
art,  wie  Herodot  hier  den  hanf  beschreibt,  ist  für  ihn  fast 
typisch  und  überall  zu  belegen. 

In  den  südlichen  halbinseln  fand  der  hanf  kein  günstiges 
fortkommen.  Bei  den  Römern  erwähnt  ihn  (nach  Hehn,  Cultur- 
pflanzen«  s.  187)  der  Satiriker  Lucilius  um  100  v.  Chr.  zum 
ersten  male.   Wann  er  bei  den  Germanen  angebaut,  oder  wann 


l)  Das  ist  auch  heute  uoch  der  fall.   Experto  crede. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCH  Ks.  321 


er  ihnen  wenigstens  bekannt  geworden  ist,  darüber  lässt  sich 
einfach  nichts  aussagen.  Auch  die  Untersuchung  der  funde  hat 
nichts  ergeben.  Buschan  sagt,  Vorgeschichtl.  botanik  s.  116: 
'In  dem  ganzen  mittleren  und  westlichen  Europa  war  die  hanf- 
pflanze zur  jüngeren  stein-  und  broncezeit  und  auch  wol  noch 
zur  eisenzeit  unbekannt;  das  erste  hänfene  gewebe,  das  in 
jenen  gegenden  gefunden  ist,  stammt  nach  meinen  Unter- 
suchungen aus  der  Völkerwanderungsperiode.'  Indessen  dürfen 
wir  aus  dem  mangel  an  funden  nichts  schliessen.  Wichtig  ist 
eine  von  Hehn  a.  a.  o.  angeführte  nachricht:  'Als  Hiero  II.  von 
Syrakus,  269—215  v.  Chr.  sein  bei  Athenaeus  5,  206  beschrie- 
benes ungeheures  prachtschiff  baute,  zu  dem  er  von  allen 
ländern  je  das  beste  in  seiner  art  kommen  Hess,  wurden  hanf 
und  pech  vom  flusse  Rhodanus  in  Gallien  bezogen.'  Es  liegt 
kein  grund  vor,  mit  Buschan  die  richtigkeit  dieser  nachricht 
zu  bezweifeln.  Wenn  der  hanfbau  spät  in  die  südlichen  halb- 
inseln  vorgedrungen  ist,  so  kann  dies  seinen  grund  darin  haben, 
dass  hier  die  wollenkleidung  stets  die  linnene  und  hänfene  über- 
wogen hat.  Man  bedurfte  daher  keines  ersatzes.  Wie  es  aber  im 
norden  gewesen  ist,  das  vermögen  wir  einfach  nicht  zu  sagen. 

Aber  noch  etwas  anderes  ist  zu  erwägen.  Allgemein  und 
mit  recht  zerlegt  man  die  erste  germanische  lautverschiebung 
in  verschiedene  acte;  von  diesen  Vorgängen  ist  die  Verschie- 
bung der  medien  jünger  als  die  der  tenues.  Es  muss  dem- 
nach im  germanischen  eine  zeit  gegeben  haben,  in  der  man 
X,  s  und  g  u.s.w.  sprach,  in  der  also  keine  tenues  vorhanden 
waren.  In  dieser  epoche  hätten  die  Germanen  für  ein  fremdes 
k  sicher  ch  substituiert,  ebenso  wie  sie  in  Kreks  ein  k  für  g 
eingesetzt  haben,  weil  sie  kein  g  besassen.  Das  wort  hanf 
würde  demnach  nur  beweisen,  dass  die  Verschiebung  der  medien 
noch  nicht  eingetreten  war,  als  es  aufgenommen  wurde,  es  würde 
also  nur  für  diesen  Vorgang  chronologisch  bedeutsam  sein. 

Ebenso  steht  es  auch  mit  dem  worte  *Walh$g.  'Sofern 
Caesar  von  den  Volcae  Tectosages  mit  recht  erzählt,  dass  sie 
durch  die  grosse  Keltenwanderung  nach  Germanien  und  an 
den  erkynischen  wald  geraten  seien,  so  bestätigt  sich  damit, 
dass  jenes  germanische  Sprachgesetz  nach  dem  Sigovesuszuge 
in  kraft  getreten  ist.'  Muchs  'soferne'  ist  es,  woran  alles 
hängt.  Caesars  nachricht  kann  aber  ebensogut  falsch  als  richtig 

Btitr&g«  zur  geachlchto  der  deataoben  «prmch«.    XX  Iii.  21 


■ 


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322 


HfKT 


sein.  Im  allgemeinen  sind  wir  doch  heute  nicht  so  ohne  wei- 
teres geneigt,  an  diese  ein  Wanderungstheorie  zu  glauben,  die 
Caesar  BG.  6, 24  ausspricht.  Wir  werden  vielmehr  mit  grösse- 
rem recht  die  Volcae  in  der  provinz,  die  auf  ligurisch-iberischem 
boden  sitzen,  für  einwanderer  halten,  und  die  Volcae  in  Ger- 
manien für  zurückgebliebene  ansehen  [vgl.  jetzt  Niese,  Zs.  fda. 
42, 142  f.]. 

Dass  auf  den  namen  Vacalus  bei  Caesar  kein  gewicht  zu 
legen  ist,  und  dass  in  diesem  falle  Muchs  auseinandersetzungen 
unzutreffend  waren,  ist  bereite  durch  v.  Grienberger,  Beitr. 
19, 531  und  durch  Kossinna,  Beitr.  20, 294  gezeigt  worden. 

Auf  den  nach  Müllenhoff,  DA.  2, 234  aus  gall.^>c*m  4  köpf 
entlehnten  bergnamen  Finne,  auf  den  Kossinna,  Beitr.  20, 296 
wider  hinweist,  ist  natürlich  ebenfalls  kein  beweis  zu  bauen. 
Er  könnte  höchstens  für  die  bestimmung  der  medienverschie- 
bung  in  betracht  kommen. 

Kossinna  will  auch  got.  fairyuni  u.  s.  w.  aus  dem  keltischen 
entlehnt  sein  lassen  (IF.  7, 284).  Wir  können  ihn  bei  dieser 
annähme  ruhig  belassen  und  abwarten,  ob  er  den  beifall  der 
fachgenossen  finden  wird.  Ehe  wir  ihm  glauben  sollen,  muss 
Kossinna  noch  einige  andere  worte  nach  weisen,  die  vor  der 
Wirkung  des  Vernerschen  gesetzes  entlehnt  sind.1) 

Bf.  e.  ist  bisher  noch  kein  beweispunkt  angeführt,  der  uns 
gestattete,  die  erste  germanische  lautverschiebuug  chronologisch 
festzulegen.  Allenfalls  lässt  sich  die  Verschiebung  der  medien. 
aber  ohne  sicheren  beweis,  ins  vierte  jh.  setzen.  Und  ich 
möchte  in  dieser  beziehung  auf  den  litauischen  volksnamen 
Gudal  verweisen.  Kurschat  sagt  im  Wb.  s.  v.:  4  von  den  hiesigen 


')  Wenn  »ich  Kossinna  auf  das  gebiet  der  grammatik  begibt,  ist  er 
meistens  wenig  glücklich.  Iiier  möchte  ich  vor  allem  noch  die  tatsache 
feststellen,  dass  er  Muchs  etymologische  deutungen  in  der  hanptsache  ge- 
billigt hat,  diese  etymologischen  deutungen,  deren  letztes  ergebnis  es  war, 
dass  Ptolemaeus  seine  völkernameu  von  herumziehenden  händlern  erhalten 
habe,  während  Holz  die  sehr  gelehrte  arbeitsweise  des  antiken  geographen 
aufdeckte.  Kossinna  hätte  besser  getan,  auf  seine  anzeige  von  Holz. 
Deutsche  zs.  f.  geschieh tsw.  n.  f.  1,  monatsbl.  76  ff.  nicht  zu  verweisen,  denn 
sie  zeigt  doch  jedem  der  sich  mit  diesen  fragen  beschäftigt  hat,  daas 
Kustmina  in  diesem  punkte  zum  mindesten  befangen  ist.  Ich  halte  Holzens 
buch  für  eine  viel  solidere  grundlage  für  weitere  forschung  als  Muchs  ety- 
mologien  und  stehe  damit  nicht  allein. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMÖL0GI8CHES.  323 


Litauern  werden  die  polnischen  Litauer,  von  den  Samogiziern 
aber  die  südlicheren  Weissrussen  Gudal  (etwa  Goten?)  genannt.' 
Ich  brauche  wol  kaum  auseinanderzusetzen,  dass  diese  Ver- 
mutung richtig  sein  kann,  falls  die  Goten  vor  der  Verschiebung 
der  medien  zu  tenuis  an  die  Weichselmttndung  Ubergesiedelt 
sind,  was  sich  nach  Kossinnas  ausführungen  IF.  7,276  ff.  viel- 
leicht begründen  Hesse. 

V. 

Zum  spirantenwechsel  im  gotischen. 

Durch  Thurneysens  aufsatz  IF.  8, 208  ff.  ist  die  frage  nach 
dem  grammatischen  Wechsel  im  germanischen,  speciell  im  goti- 
schen, aufs  neue  angeregt.  Durch  den  nach  weis,  dass  sich  der 
Wechsel  zwischen  tönenden  und  tonlosen  Spiranten  in  unbetonter 
silbe  nicht  nach  der  stelle  des  indog.  accentes,  sondern  nach 
einem  ganz  anderen  princip  richtet,  sind  eine  ganze  reihe  von 
Schwierigkeiten,  die  sich  der  durcMührung  der  accenthypothese 
entgegenstellten,  auf  das  einfachste  beseitig^  und  die  zweifei, 
die  ich  in  meinem  Indog.  acc.  in  betreff  der  verwertbarkeit 
germanischer  formen  für  die  bestimmung  des  indog.  accents 
ausgesprochen  habe,  vollständig  gerechtfertigt  worden.  Auch 
Kluge,  der  in  seiner  anzeige  meines  buches  Lit-bl.  1895,  s.  331 
seinen  widersprach  gerade  gegen  diesen  punkt  richtete,  hat  in 
der  neuen  aufläge  von  Pauls  Grundriss  die  meisten  früher  an- 
geführten beispiele  für  accentwechsel  gestrichen. 

Indessen  finde  ich,  dass  mit  Thurneysens  aufsatz  die  sache 
selbst  keineswegs  erledigt  ist.  Abgesehen  davon  dass  eine 
anzahl  von  beispielen  übrig  bleiben,  die  sich  dem  gesetz  nicht 
zu  fügen  scheinen,  fehlt  auch  eine  erklärung  des  lautphysio- 
gischen  und  historischen  Vorgangs  der  gleich  zu  nennenden 
erscheinungen. 

Thurneysens  regel  lautet:  'unmittelbar  hinter  unbetonten 
(nicht  haupttonigen)  vocalen  erscheinen  stimmhafte  Spiranten, 
wenn  im  anlaut  der  unbetonten  silbe  ein  stimmloser  consonant 
steht;  dagegen  stimmlose,  wenn  jene  silbe  mit  einem  stimm- 
haften consonanten  anlautet  (-tub-,  aber  -duf-).  Stehen  zwei 
consonanten  im  silbenanlaut,  so  wirkt  stimmloser  consonant  + 
liquida  wie  stimmhafter  anlaut;  vgl.  unten  auhjödus,  tceittcöd-, 
aber  braprahans,  niuklahs.    Im  letzteren  fall  hebt  also  die 

21* 


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324 


hittT 


dazwischenstehende  stimmhafte  liquida  die  Wirkung  des  vorher- 
gehenden lautes  auf/ 

Hier  drängen  sich  sofort  verschiedene  fragen  auf,  die  eine 
beantwortung  erfordern.  Wie  verhält  sich  diese  regel  zum 
Vernerschen  gesetz?  Hat  dieses  zunächst  gewirkt,  und  sind 
dann  die  tönenden  Spiranten  tonlos,  tonlose  tönend  geworden, 
oder  haben  wir  im  gotischen  in  unbetonten  silben  nur  tönende 
Spiranten  vorauszusetzen,  die  dann  nach  tönenden  consonanten 
im  anlaut  der  vorhergehenden  silbe  tonlos  geworden  sind,  oder 
ist  etwa  das  umgekehrte  eingetreten?  Ist  diese  erscheinung 
speciflsch  gotisch  oder  ist  sie  gemeingermanisch? 

Ich  will  versuchen,  hier  einen  schritt  weiter  zu  kommen. 
Ich  gehe  von  den  beispielen  aus,  die  auch  Thurneysens  aus- 
gangspunkt  gebildet  haben,  den  eigentümlichen  bildungen  auf 
-ubn-,  -ufn-.  Es  heisst  fraistubni,  fastubni,  tcitubni,  aber  tcal- 
dufni,  wundufni. 

Ich  halte  liier  mit  Thurneysen  a.a.O.  und  Brugmann, 
Grundr.  1, 383  an  der  alten  Sieversschen  herleitung  dieses 
suffixes  aus  -umni-  fest,  und  glaube  nicht,  dass  Joh.  Schmidts 
zunickführung  auf  -upn-  (Kritik  der  sonantentheorie  s.  132  ff.) 
viel  beifall  finden  wird.  Abgesehen  davon,  dass  wir  dieses 
suffix  -upn-  schwer  irgendwo  anknüpfen  können,  ist  der  Über- 
gang von  -mn-  in  -tin-  auch  in  Wurzelsilben  belegt,  vgl.  Brug- 
mann  a.  a.  o.,1)  und  wir  gewinnen  mit  der  herleitung  aus  -umni- 
eine  tadellose  erklärung.  Bei  dem  Übergang  von  m  vor  n  in 
einen  Spiranten  muss  nun  zunächst  ein  tönender  Spirant  ent- 
standen sein,  wie  ein  solcher  ja  auch  in  got.  stibna  vorliegt. 
In  diesem  falle  kann  der  Wechsel  von  b  und  f  zweifellos  nichts 
mit  dem  Vernerschen  gesetz  zu  tun  haben,  und  es  folgt  daraus, 
dass  im  gotischen  unter  der  von  Thurneysen  gefundenen  be- 
dingung  tönende  Spiranten  zu  tonlosen  geworden  sind.  Es  ist 
dies  auch  verständlich.  Wurde  ein  wort  wie  wdlduhni,  tcün- 
dubni  im  gotischen  mit  starkem  exspiratorischem  accent  ge- 
sprochen, so  konnte  die  Spannung  der  Stimmbänder  am  schluss 
der  zweiten  silbe  sehr  wol  nachlassen,  während  sie  in  firm- 
stuhlt,  fastubni,  witubni  U.8.W.  erst  bei  dem  «  wider  einsetzen 
musste,  und  nun  das  t  tönend  blieb. 

»)  Zu  den  dort  angeführten  beispielen  habe  ich  oben  s.  3(Mi  einige  neue 
gefügt. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  325 


Die  es-stämme  waren  im  indog.  wurzelbetont.  Wir  müssen 
daher  zunächst  tönendes  z  voraussetzen.  Wenn  wir  rimisa,  agisa 
finden,  so  erklärt  sich  das  sehr  leicht  nach  Thurneysens  gesetz 
aus  *  rimisa  u.  s.  w.  Wir  haben  es  also  mit  einer  rückverwand- 
lung  zu  tun. 

Dass  auch  lautgesetzlich  berechtigte  tonlose  Spiranten 
tönend  geworden  sind,  wird  sich  schwerlich  nachweisen  lassen. 
Leider  sind  die  fälle,  in  denen  wir  im  indog.  betonung  der 
zweiten  silbe  eines  dreisilbigen  Wortes  anzunehmen  haben,  dünn 
gesät.  Am  sichersten  sind  noch  fälle  wie  frija]>wa,  fiaPwa,  für 
die  ich  Indog.  accent  s.  251  eine  betonung  frijdpwa  erschlossen 
habe,  während  piwadw  wegen  &i.dcvatvdm,  catrtttvdm, priyatvdm, 
russ.  bozestvo,  vratestvö  auf  endbetonung  weist. 

Wenn  uns  nun  auch  die  verwanten  sprachen  im  stich 
lassen,  so  haben  wir  in  den  übrigen  germanischen  dialekten 
stützen,  die  Thurneysen  merkwürdigerweise  gar  nicht  heran- 
gezogen hat.  So  lange  er  nicht  nachgewiesen  hat,  dass  sein 
gesetz  auch  in  den  übrigen  mundarten  gilt,  so  lange  können 
formen  nicht  benutzt  werden,  die  im  übrigen  germanischen 
eine  enteprechung  finden.  So  sind  denn  unsicher  oder  über- 
haupt zu  streichen:  got.  agisa  wegen  ahd.  egiw,  got.  menupum 
wegen  ahd.  manöd\  auch  wol  got.  bajöPum  wegen  ahd.  beide; 
liuhad-  wegen  ahd.  Höht;  naqad-  wegen  ahd.  nahhut;  fratnap- 
wegen  ahd.  fremidi;  magap  wegen  &M.tnagad;  zu  den  abstracten 
auf  -ipa  ist  zu  bemerken,  dass  auch  im  ahd.  -ida  ganz  allgemein 
ist.  Dass  jemals  ein  -iöa  bestanden  habe,  lässt  sich  aus  aupi-da, 
wairpida  schwerlich  folgern,  witöd  weicht  von  ahd.  tcizzöd 
ab,  doch  kann  hier  Verallgemeinerung  des  suffixes  -öd  vor- 
hegen.  Der  Wechsel  -ödus,  -opus  ist  auch  im  ahd.  vorhanden. 

Dass  im  gotischen  h  und  g  nicht  mehr  mit  einander 
wechseln  können,  ergibt  sich  aus  der  behandlung  des  g  im 
auslaut.  Sollte  wirklich  h  für  g  in  mittelsilben  eintreten,  so 
müsste  dieses  lautgesetz  recht  alt  sein.  Indessen  lassen  die  von 
Thurneysen  angeführten  erscheinungen  auch  eine  andere  erklä- 
rung  zu,  die  ich  Indog.  acc.  s.  283  schon  gegeben  habe.  Dem 
got.  suffix  in  bairgahei,  bröPrahans  entspricht  das  ahd.  suffix  -ahi, 
während  den  got.  adjectiven  auf  $  ebensolche  im  ahd.  gegen- 
überstehen. Es  ist  nun  nicht  zu  kühn,  die  got.  adjective  wie 
stainahs  u.s.w.  ihr  h  von  collectiven,  wie  sie  in  ahd.  steinahi 


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326 


HIRT 


vorliegen,  beziehen  zu  lassen.  Auf  ainalui  ist  schwerlich  viel 
zu  geben,  niuklahs  ist  vielleicht  compositum,  parihs  ganz  un- 
klar. Die  encliticae  -uh,  -h  und  -hun  kommen  als  einst  selb- 
ständige worte  vielleicht  nicht  in  betracht.  Lassen  sich  also 
einerseits  die  fälle,  in  denen  h  im  gotischen  auftritt,  anders 
erklären  als  es  Thumeysen  tut,  so  bleiben  andrerseits  doch 
zahlreiche  ausnahmen  mit  g.  gabigs  und  handugs  konnten 
sich  doch  schwerlich  so  leicht  an  die  übrigen  adjectiva  auf  g 
anschliessen.  Ahd.  heisst  es  ebenfalls  hantac.  In  fällen  wie 
sineigs,  andanemeigs,  gawizmigs,  usbeisneigs,  waursttceigs,  witö- 
deigs,  audags  und  zahlreichen  anderen  könnte  man  ja  Über- 
tragung annehmen,  was  mich  indessen  nicht  sonderlich  befrie- 
digt. Eher  dürfte  in  erwägung  gezogen  werden,  dass  hier  wie 
im  auslaut  g  auch  den  entsprechenden  tonlosen  Spiranten  be- 
zeichnet, das  auftretende  h  aber,  wie  eben  angedeutet,  auf 
anderen  Ursachen  beruht. 

Thurneysens  gesetz  lässt  aber  auch  ausserdem  eine  reihe 
von  ausnahmen  zurück,  die  er  selbst  zusammengestellt  hat. 
nämlich  barizcins,  ubizwa,  arbaiditn,  haubida,  filigri,  twalibim, 
silubr,  silubreins,  frumadei,  ftiwadw.  Mag  man  auch  einigen 
seiner  versuche,  diese  formen  zu  deuten,  zustimmen,  so  bleiben 
doch  andere  ganz  rätselhaft,  und  ich  möchte  daher  nach  einem 
lautgesetzlichen  gründe  suchen. 

Nehmen  wir  zunächst  haubida.  b  geht  doch  hier  höchst 
wahrscheinlich  auf  indog.  p  zurück,  wenn  auch  das  Verhältnis 
zu  lat.  caput,  ai.  kapucclmla  noch  nicht  genügend  aufgeklärt 
ist.   Wir  erhalten  also  eine  ursprüngliche  betonung  haubida. 

Got.  ubizvca  'halle,  Vorhalle1  weist  auf  dieselbe  betonung, 
falls  es,  wie  man  mit  Johansson,  Beitr.  15, 239  und  Ehrismann, 
Beitr.  18, 227  f.  annehmen  darf,  zu  indog.  up  gehört. 

Worte,  mit  dem  suffix  tno  gebildet,  sind  auf  dem  i  betont, 
vgl.  ai.  apäcinas,  anjasinas,  navinas,  gr.  a-yx^^og,  tQv&Qlvoq, 
xoQaxtvoc,  ahd.  magatin,  lit.  kaimynas,  vgl.  Indog.  acc.  s.  278. 
Wir  haben  also  vorgot.  *barizeinsf  *  silubreins  anzusetzen.  Ebenso 
war  piwadw  auf  dem  ende  betont,  wie  schon  oben  bemerkt  ist 
Dasselbe  für  frumadei  anzunehmen  hindert  nichts.  Wir  würden 
nach  diesen  beispielen  Thurneysens  regel  dahin  ergänzen  müssen, 
dass  der  Übergang  des  tönenden  Spiranten  in  den  tonlosen  nicht 
eintrat,  wenn  der  ton  unmittelbar  dahinter,  also  auf  der  dritten 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  327 


silbe  lag.  Oder  wir  können  auch  sagen:  der  Übergang  ist  nur 
eingetreten,  wenn  seit  indog.  zeit  anfangsbetonung  herschte. 

Ich  glaube  durch  diese  fassung  erledigen  sich  noch  eine 
ganze  reihe  von  fällen,  die  Thurneysen  durch  ausgleichung 
erklärt. 

Auf  die  adjectivendungen  -aizös,  -atze,  -aissö  will  ich  kein 
allzu  grosses  gewicht  legen.  Da  aber  die  adjectiva  meistens 
endbetont  waren,  und  es  zweifellos  *pizös,  *pizö,  *piz6  geheissen 
hat,  so  liegt  eine  ursprüngliche  be tonung  blindaizös  sehr  nahe. 
Die  endungen  -za,  indog.  -sai,  und  -da  waren  im  indog.  in  vielen 
fällen  betont.  Setzen  wir  dies  auch  für  das  germanische  voraus, 
so  konnten  sich  niemals  -sa  und  -pa  einstellen.  Ebenso  können 
die  angehängten  partikeln  in  pizözei,  iztvüei,  harjizuh,  andizuh, 
tcilcizu  den  ton  getragen  haben,  wie  in  anderen  indog.  sprachen, 
vgl.  ai.  td-dm,  gr.  arkad.  tm-vl  'huius',  dor.  ifu4,  tti,  ovtoa-i, 
ovxl,  lit.  tasat,  abulg.  ktito.  Bei  dem  comparativsuffix  -iza,  -öza 
haben  wir  in  der  überwiegenden  mehrzahl  der  fälle  lautgesetz- 
lichen tönenden  Spiranten,  da  ja  ausser  den  sonoren  nur  p,  t,  k 
oder  f,  p,  h  am  schluss  der  ersten  silbe  stehen  konnten.  Wenn 
auch  dieses  Verhältnis  frühzeitig  verwischt  ist,  so  war  doch 
der  tonlose  spirant  in  mehr  fällen  vorhanden,  als  sie  historisch 
vorliegen. 

Das  schwache  part,  war  zweifellos  auf  dem  ende  betont, 
daher  wären  die  formen  wie  habaid-,  salböd-  vollständig  laut- 
gesetzlich, und  das  schwache  praet.  hat  sich  nach  dem  part. 
gerichtet,  falls  es  etwa  wurzelbetont  war.  Wenn  Thurneysen 
meint,  das  zweite  d  von  dedum  u.s.w.  sei  deshalb  erhalten, 
weil  das  wort  als  compositum  gefühlt  sei,  so  stimme  ich  ihm 
darin  vollkommen  bei.   Ich  habe  ja  schon  früher,  um  das  -e 

zu  erklären,  eine  betonung  hdbaidedum  erschlossen,  und  es  ist 
klar,  dass  nach  einem  neben  ton  das  d  nicht  tonlos  werden 
konnte. 

Dass  die  adjectiva  auf  -g  ihr  g  erhalten  haben,  würde  sich 
ebenso  aus  der  endbetonung  erklären  lassen,  die  für  sie  ziem- 
lich feststeht,  wenn  man  nicht  den  oben  gegebenen  ausweg 
einzuschlagen  vorzieht.  Für  die  adverbialendung  -ba  würde 
ich  consequenterweise  endbetonung  ansetzen.  Falls  das  suffix 
mit  den  slavischen  abstracten  auf  -ba  zusammenhängt,  würde 
diese  durch  die  slavischen  dialekte  gestützt,  vgl.  Indog.  acc. 


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HIRT 


s.  285.  Ueber  got,  ainlibim,  twalibim  weiss  ich  allerdings  nichts 
plausibles  zu  sagen.  Ich  habe  darüber  schon  IF.  7, 131  f.  ge- 
schrieben. Mir  scheint  im  gegensatz  zu  Thurneysen  got.  b 
alt  zu  sein.  Die  endbetonung  ist  mir  nicht  gerade  wahrschein- 
lich, wenn  sie  auch  möglich  ist.  Diesen  rest,  der  sich  auch 
bei  Thurneysen  findet,  muss  ich  also  lassen.  Im  übrigen  er- 
klärt meine  fassung  der  regel  viel  mehr,  so  dass  man  ihr  wol 
den  vorzug  vor  der  Thurneysenschen  geben  wird.  Entgegen- 
stehende instanzen  wüsste  ich  nicht  anzuführen.  Wir  werden 
also  das  gesetz  so  fassen:  lag  seit  indog.  zeit  der  accent  auf 
der  ersten  silbe,  so  gehen  im  gotischen  die  lautgesetzlich  ent- 
standenen tönenden  Spiranten  in  unbetonten  mitteisilben  in 
tonlose  über,  wenn  im  anlaut  der  unbetonten  silbe  ein  tonender 
laut  steht. 

Im  weiteren  mag  diese  erscheinung  auf  demselben  priucip 
beruhen,  wie  die  spätere  synkopierung  der  mittel vocale,  die 
man  sich  doch  vollzogen  denken  muss  durch  einen  Übergang 
der  vollstimmigen  vocale  zu  tonlosen  durch  die  murmelstimme 
hindurch.  Nur  ist  das  gotische  auch  in  diesem  punkte  seine 
eigenen  bahnen  gewandelt. 

Thurneysen  lässt  es  im  zweifei,  ob  dieses  gesetz  auch  in 
den  übrigen  germanischen  dialekten  gewirkt  habe.  Es  ist  sehr 
schwer,  hier  ein  sicheres  urteil  abzugeben,  da  einigermassen 
isolierte  formen  selten  sind.  Es  heisst  ahd.  scefßd  4  schöpf  er', 
aber  leitid  'führer'  und  helid  'held';  gegenüber  got.  awefri  aus 
*awedi  steht  ahd.etatf,  ouwiti;  es  heisst  egiso,  &gs.byres  'bohrer', 
ahd.  burissa,  ags.  lynes,  and.  lunisa  'wagenlünse',  ahd.  hulisa 
'hülse',  mhd.  bremse  'hemmschuh',  aber  auch  slangura,  slengira 
'sohlender',  doch  lässt  sich  gerade  hier  das  auftreten  des  ton- 
losen Spiranten  erklären. 

Im  allgemeinen  bin  ich  nicht  geneigt,  die  gotische  regel 
auf  die  übrigen  germanischen  dialekte  auszudehnen,  doch  ist 
hier  noch  nicht  das  letzte  wort  gesprochen. 

In  einer  beziehung  bedarf  Thurneysens  beobachtung  wol 
auch  noch  der  berichtigung.  Der  gegensatz  von  auhjödus, 
weitwöd-  und  bröprahans,  niuklahs  ist  vielleicht  nur  zufällig. 
Die  beiden  letzten  fälle  sind,  wie  ich  sehe,  die  einzigen,  auf 
die  sich  die  regel,  dass  tonloser  laut  +  liquida  wie  tonender 
anlaut  wirkt,  gründet.   Wir  haben  aber  oben  angenommen, 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHEM  329 


dass  g  und  h  überhaupt  nicht  dieser  regel  unterliegen,  und  so 
wird  man  diese  beschränkung  ablehnen  dürfen. 

In  einer  anmerkung  kommt  Thurneysen  auch  auf  die  frage 
nach  der  behandlung  der  auslautenden  Spiranten  zu  sprechen, 
eine  frage,  die  ja  in  mehr  als  einer  hinsieht  wichtig  ist. 

Die  gotischen  auslautenden  -s  sind  zum  grossen  teil  erst 
aus  tönenden  entstanden,  und  da  auch  im  nordischen  im  nom. 
sing,  durchweg  r  erscheint,  so  nimmt  man  wol  an,  dass  einst 
die  meisten  auslautenden  -s  des  germanischen  tönend  gewesen 
sind.  Es  fragt  sich  dabei  nur,  ob  sie  es  lautgesetzlich  oder 
durch  analogische  beeinflussung  waren.  Der  fälle  die  hier  zur 
ent scheidung  in  betracht  kommen,  sind  wenige,  und  zwar  in 
erster  linie  die  lautverbindung  -rs.  Bekanntlich  stehen  wir 
in  der  frage,  wie  diese  im  got.  auslaut  behandelt  wird,  noch 
vor  einem  ungelösten  rätsei.  Teils  schwindet  nämlich  das 
nominativ-s,  teils  bleibt  es.  Ohne  eine  reihe  von  analogie- 
bildungen  kommen  weder  Brugmann  noch  Braune  aus. 

An  und  für  sich  liegt  es  sehr  nahe  anzunehmen,  dass  rs 
blieb,  rz  aber  zu  r  wurde,  denn  mit  einer  assimilation  haben 
wir  es  entschieden  zu  tun. 

1.  -rs  bleibt  in  akrs  m.  'acker',  gr.  aypoc  figgrs  'finger' 
wird  doch  wol  mit  penfoie  '5'  zusammenhängen,  und  weist  also 
auf  *penJcros.  Die  adjectiva  auf  ro  dürfen  wir  als  endbetont 
ansetzen:  hörs,  lat.  cärus  (ai.  edrush  ist  nicht  damit  zu  ver- 
binden), indog.  *kärös,  skeirs  'klar,  swers  'geehrt',  gdurs  'be- 
trübt', sA.ghörds  'schrecklich',  hlütrs  'lauter,  rein'.  Gen.  sing. 
fadrs,  gr.  jtaiQog.   Doch  ist  dieser  fall  natürlich  unsicher. 

2.  -rz  wird  zu  r.  anpar  'zweite'  lässt  eine  betonung  an- 
}>araz  erschliessen,  ebenso  hapar,  gr.  jtottQoe,.  fidwör,  ai.  cat- 
vdras.  stiur  'stier'  Neh.  5, 18  hängt  zweifellos  mit  gr.  tavQoq 
zusammen.  Genauer  entspricht  ai.  sthdviras  'dick,  derb,  voll- 
wüchsig'.   Der  accent  von  baur  lässt  sich  nicht  bestimmen. 

Als  einzige  ausnähme  bleibt  wair  übrig,  dem  im  indischen 
virds  gegenübersteht.  Auf  lit.  vyras  ist  wegen  des  stosstons 
nichts  zu  geben,  es  kann  aus  *vyrds  entstanden  sein.  Diese 
ausnähme  würde  in  einem  ganz  anderen  licht  erscheinen,  wenn 
auf  krimgot.  fers  'mann'  sicher  zu  bauen  wäre.  Hier  wäre 
tatsächlich  das  -s  erhalten,  das  im  gotischen  aus  unbekannten 


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niKT 


gründen  verloren  sein  müsste.  Aber  dies  wort  gehört  schwer- 
lich zu  got.  tvair.  Man  darf  zur  not  auch  eine  betonung  viras 
ansetzen,  die  sogar  wahrscheinlich  wird,  falls  der  bettlemame 
7(>os  in  der  Odyssee  gleich  viros  wäre. 

VI. 

Zu  den  germanischen  lehnwörtern  im  slavischrn 

und  baltischen. 

Welch  grossen  einfluss  die  germ.  dialekte  auf  die  baltisch- 
slavischen  ausgeübt  haben,  ist  im  allgemeinen  bekannt,  Kluge 
hat  in  Pauls  Grundr.  1, 321  zuerst  wider  auf  dieses  wenig  be- 
achtete capitel  hingewiesen.  Seitdem  hat  Uhlenbeck  die 
germanischen  Wörter  im  altsla vischen  im  Arch.  f.  slav.  phil.  15, 
481  ff.  noch  einmal  zu  sammeln  versucht,  indem  er  den  älteren 
versuch  von  Miklosich,  Die  fremdwörter  in  den  slavischen 
sprachen  (Denkschr.  der  kais.  akademie  d.  wiss.  zu  Wien  bd.  15) 
ergänzte.  Ich  kann  aber  auch  diese  letzte  arbeit  aus  ver- 
schiedenen gründen  nicht  für  abschliessend  halten.  Denn 
erstens  hat  Uhlenbeck  in  seine  liste  nur  solche  Wörter  auf- 
genommen, die  auf  grund  lautlicher  kriterien  zweifellos  entlehnt 
sind.  Die  bei  denen  diese  kriterien  versagen,  fehlen.  Nun 
sagt  uns  aber  die  Wahrscheinlichkeitsrechnung,  dass  auch  von 
den  Wörtern  die  lautlich  genau  übereinstimmen,  viele  entlehnt 
sein  können,  ja,  dass  sie  mit  derselben  Wahrscheinlichkeit  von 
Vi  unverwant  und  entlehnt  sein  dürften.  In  solchem  fall 
werden  erst  andere  gründe  die  wagschale  nach  der  einen  oder 
anderen  richtung  sinken  lassen.  In  dieser  beziehung  möchte 
ich  seine  ausführungen  ergänzen.  Zweitens  mangelt  uns  aber 
eine  lautlehre  der  geimanischen  lehnwörter,  und  auch  in  diesem 
punkte  will  ich  versuchen,  einiges  hinzuzufügen. 

Als  sichere  kriterien  der  entlehnung  kommen  nicht  allzu 
viel  in  betracht.  Das  slavische  ch  für  germ.  h  ist  das  wich- 
tigste. Das  slavische  ch  bezeichnet  zweifellos  einen  reibelaut. 
Man  darf  aber  daraus  nichts  für  die  natur  des  germ.  h  er- 
schliessen.  Denn  noch  heute  setzen  die  Russen  für  unser  h  ein 
X  ein.  Ausserdem  verdienen  die  gutturale  aufmerksamkeit.  Wo 
die  baltisch -slavischen  sprachen  den  verschlusslaut  an  stelle 
des  Zischlautes  zeigen,  da  ist  in  den  meisten  fällen  entlehnung, 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHEM  331 


wenn  auch  nicht  gerade  immer  aus  dem  germanischen  anzu- 
nehmen. Ich  kann  hier  meine  speciellen  gründe,  die  sich  auf 
eine  Untersuchung  der  indog.  gutturalreihen  stützen,  nicht 
näher  ausführen.  Hier  genüge  die  bemerkung,  dass  die  über- 
wiegende anzahl  der  Wörter  mit  verschlusslaut  in  der  f-  reihe 
ohne  jede  Schwierigkeit  als  entlehnt  angesehen  werden  kann. 
Oft  zeigen  auch  die  slavischen  und  germanischen  Wörter  die- 
selbe articulationsart,  die  nicht  auf  eine  indog.  einheit  zurück- 
gehen kann.  Man  hilft  sich  hier  mit  der  annähme  von  indog. 
Wechsel  von  media  und  tenuis,  vielfach  gewis  ohne  genügenden 
grund.  Die  Vermutung  der  entlehnung  ist  mindestens  mit  in 
betracht  zu  ziehen. 

Bei  der  frage  der  entlehnung  dürfen  natürlich  die  baltisch- 
slavischen  sprachen  nicht  als  eine  einheit  behandelt  werden, 
da  wir  es  mit  ganz  verschiedenen  epochen  zu  tun  haben. 

A.  Die  germanischen  lehnwörter  im  altslavischen. 

Abulg.  almuzlno,  neuslov.  (Umozna,  kroat.  almuzno  ist  aus 
dem  deutschen  entlehnt,  und  zwar  erst  zu  ahd.  zeit,  da  dem 
got,  das  wort  mangelt,  dafür  armaiö.  Auch  im  abulg.  heisst 
es  gewöhnlich  milostyni  almuzlno  stammt  aus  einer  cechischen 
quelle.  Ahd.  al  ist  deshalb  auch  durch  al  und  nicht  durch  la 
widergegeben. 

Abulg. bidiH  'zwingen',  serb.  bijkliti  'accusare',  russ.  beditX 
aus  got.  baidjan.  Nach  Uhlenbeck,  Et.  wb.  s.  v.  urverwant.  Die 
genau  übereinstimmende  bedeutung  scheint  mir  für  entlehnung 
zu  sprechen.  Lit.  baidyti  heisst  'scheuchen'  und  ist  wahrschein- 
lich urverwant. 

Serb.  bök,  boka,  russ.  bokü,  böka  'seite'  aus  got.  *bak-,  ahd. 
bah,  aengl.  bcec  'rücken'. 

Abulg.  boll  'krank',  boll  'krankheit',  serb.  böl,  boli,  boleti 
'leiden',  got.  balwjan  'quälen'.  Die  möglichkeit  der  entlehnung 
möchte  ich  offen  halten. 

Serb.  bör,  bbra  (6ära),  russ.  borü,  bora  'föhre',  ags.  bearu 
'wald,  hain'.   Nach  Uhlenbeck  urverwant. 

Abulg.  brasino  'speise',  serb.  bfasno,  russ.  dial.  borosno 
'roggenmehr,  got.barizeins.  Urverwant  nach  H.Pedersen,  IF.  5, 54. 

Abulg.  bravü,  serb.  brav,  russ.  börovü  aus  germ.  *barw-,  vgl. 
ahd.  barug,  barh,  an.  byrgr. 


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HIRT 


Abvüg.bregü  *uferT,  serb.  brijeg,  russ.  beregü,  got.  bairgahei. 
Nach  ausweis  von  arm.  bardzr  'hoch',  avest.  bfarteant  hatte  das 
wort  palatal,  und  ist  deshalb  als  entlehnt  anzusehen.  Nach 
Uhlenbeck  urverwant. 

Abulg.  bregq,  'bewahre,  behüte',  got.  bairgan.  Urverwant 
nach  Uhlenbeck  und  anderen. 

Abulg.  celü,  serb.  clo,  cijela,  russ.  celü,  celd,  gothails,  apr. 
kailastikan.  Urverwant  nach  Uhlenbeck.  Mir  ist  die  gleiche 
bedeutung  im  germ.-slav.  trotz  Brugmann,  Die  ausdrücke  für 
den  begriff  der  totalität  s.  41  ff.,  verdächtig,  vgl.  abulg.  celovati 
'grüssen,  küssen'  mit  ags.  tätet  tan,  aisl.  heilsa  'grüssen'. 

Abulg.  creda  'reihe,  tagesfolge,  herde',  got.  hairda  'herde\ 
ahd.  herta  'Wechsel'.  Vgl.  lit.  kerdzius  aus  got.  hairdeis.  Nach 
Uhlenbeck  urverwant.  Die  sippe  hatte  aber  palatal,  vgl.  ai. 
cdrdhas  'schar'. 

Abulg.  cremü  'zeit',  ahd.  chräm,  Kluge,  Grundr.  2  a.a.O. 
Sie  gehören  wol  nicht  zusammen.  Man  erwartete  *kremü. 
Eher  aus  ahd.  scirm,  scerrn,  mit  dem  es  nach  Joh.  Schmidt, 
Verwantschaftsverh.  s.  41,  urverwant  ist.  Doch  ist  auch  dies 
sehr  unsicher.  Anders,  aber  nicht  überzeugend,  Johansson,  IF. 
8, 171,  der  ahd.  chräm  wol  richtig  mit  ai.  grätna-  verbindet. 

Abulg.  dclu  'teil',  serb.  dio,  dijela,  got.  dails  f.  'an teil', 
abulg.  dcliti  'teilen',  got.  dailjan.  Nach  Uhlenbeck  und  Kluge, 
Et.  wb.*  s.  v.  teil  urverwant,  was  jedenfalls  nicht  zu  be- 
weisen ist. 

Abulg.  dlügü  'schuld',  serb.  düg,  düga,  russ.  dölgü,  dolga, 
got.  dulgs.  Die  bedeutung  spricht  mir  für  entlehnung.  Urver- 
want nach  Uhlenbeck. 

Abulg.  dolü  'loch,  grübe,  tal',  got.  dal  n.  'tal'.  Urver- 
want nach  Kluge,  Et  wb.5  s.  v.  thal.  Die  bedeutung  stimmt 
überein  gegenüber  gr.  &6Xo$. 

Abulg.  drüzükü  'kühn',  drüsati  'kühn  sein',  got.  gadaürsan 
'wagen'.  Das  slavische  z  kann  nicht  aus  slavischen  laut- 
gesetzen  erklärt  werden,  wol  aber  aus  germanischen.  Anders 
Nehring,  IF.  4, 401. 

Abulg.  dunavX,  dunaj  'Donau',  got.  *Dönavi.  Möllenhoff, 
DA.  2, 362  ff. 

Abulg.  gast,  ahd.  gans,  got.  *gans,  vgl.  lit,  zasts  mit  palatal 
Entlehnt  nach  Kluge,  Et,  wb.5  s.  v.  Brugmann,  Grundr.  1, 345. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  333 


Russ.  glazü  'äuge',  mhd.  glaren.   Nehring,  IF.  4,  102. 

Abulg.  godü  'günstige  zeit',  goittnü  '  angenehm ',  ahd.  gigat 
'passend'.   Nach  Kluge,  Et.  wb.&  s.  v.  gütlich  urverwant. 

Abulg.  gostX  'gast',  got.  gasts.  Das  slavische  wort  hat  die 
bedeutung  des  germanischen  gegenüber  lat.  hostis.  Urverwant 
nach  Kluge,  Et.  wb.*  s.  v.  gast. 

Xhvilg.gospodX,  vielleicht  aus  got.  *ga$tifaps,  vgl.  lAthospes. 
Dass  der  zweite  teil  des  rätselhaften  slavischen  Wortes  mit 
*potis  zusammenhängt,  hat  man  längst  vermutet,  aber  das  d 
blieb  unerklärt.  Vielleicht  hilft  also  die  annähme  von  ent- 
lehnung  aus  dem  germanischen. 

Abulg.  gradü,  serb.  gräd,  gräda,  russ.  görodü,  goroda,  got. 
gards.  Für  diese  auch  von  ühlenbeck  angenommene,  aber 
häufig-  bestrittene  entlehnung  sprechen  vor  allem  die  composita 
abulg.  vinogradü,  got.  weinagards,  abulg.  vrutogradü,  got.  aürti- 
gards.  aürti  stammt  ja  selbst  erst  aus  lat.  horti,  so  dass  in 
diesem  falle  die  entlehnung  zweifellos  ist. 

Abulg.  grebq,  got.  graban,  abulg.  grobii  'grab',  ahd.  grab. 
Sind  eher  als  urverwant  aufzufassen. 

Xsl.  grcdel,  kroat.  gredelj  'pflugschar',  russ.  graditt,  ahd. 
jrindel,  grindil  'obex,  pessula'.  Wird  auch  zu  abulg.  greda 
trabs'  gezogen.   Entlehnt  nach  Miklosich. 

Abulg.  chotarX  'limus',  ahd.  huntari  'abteilung  eines  gaues'. 
Uiklosich,  Et.  wb.  s.  86.  G.  Meyer,  Alb.  stud.  3, 48. 

Abulg.  chlochotati  'strepere'  vielleicht  aus  got.  hlaJijan;  s. 
kleyer  a.a.O. 

Abulg.  chrabriA  'krieger',  serb.  chrdbar,  chrdbra,  chrdbro 
us  got.  *harva-  'herb'  nach  G.Meyer  a.a.O.  Das  ist  kaum 
ichtig,  da  das  got.  wort  *chravü  ergeben  hätte.  Nach  H.  Pe- 
ersen,  IF.  5, 63  ist  es  nicht  entlehnt.  Ob  aus  got,  gaprafstjan? 
r  zu  dir  wie  in  abulg.  chrastX  'käfer'  aus  got.  pramstei. 

Abulg.  chriitu  'hund',  serb.  ehrt,  cJirta,  klruss.  chort,  chorta, 
hd.  rud(e)o,  got.  Vmtjtja,  ags.  hryÖÖa.  Der  anlaut  kr  ist  für 
as  germanische  nicht  gesichert,  wird  aber  durch  das  slav. 
»stgelegt. 

Slov.  chrxip  'tumult',  got.  hröps  'geschrei'.  Ühlenbeck, 
eitr.  20, 38. 

Abulg.  inü  'ein',  got.  ains  und  abulg.  iskati,  \it.jeszl'6ti,  ahd. 
scön  sind  nach  gewöhnlicher  annähme  urverwant.  Doch  sind 


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334 


hirt 


dies,  wie  mir  Brugmann  mitteilt,  vgl.  jetzt  Berichte  d.  k.  sächs. 
ges.  d.  wiss.  vom  6.  febr.  1897,  s.  37,  die  beiden  einzigeil  fälle,  in 
denen  indog.  oi  im  slavischen  anlaut  durch  i  vertreten  sind, 
während  die  regelrechte  Vertretung  ja  ist.  iskati  ist  auch 
wegen  der  behandlung  des  gutturals  verdächtig,  vgl.  Brug- 
mann,  Grundr.  1, 306  anm.,  und  mm,  wofür  die  Slaven  sonst  jedmü 
'eins'  gebrauchen,  kann  der  kirchlichen  terminologie  entnommen 
sein,  vgl.  inoeedü  'povoytvriq?  =  got.  ainabaur  (baur  'das  kind' 
=  slav.  eedü  'kind'). 

Russ.  ha,  serb.  Iva,  ahd.  iwa.  IL 

Abulg.  klada  'lege,  stelle1,  got.  hlajxin.  Die  urverwantschaft 
ist  nur  möglich  bei  der  annähme  von  Wurzelvariation,  vgl. 
Uhlenbeck  unter  afhlapan,  Kluge,  Et.  wb.*  s.  v.  laden. 

Abulg.  konoplja,  got.  *hanaps,  lat.  cannabis,  gr.  xavvaßiq.  M. 

Abulg.  kotora  'kämpf,  mhd.  hader  'zank,  streit',  vgl.  ai. 
cdtrash.   Nach  Kluge,  Et  wb.»  s.  v.  urverwapt. 

Serb.  krt,  krta,  russ.  krotu,  krotd  'maulwurf,  ahd.  chrota, 
ehr  Uta  'kröte'. 

Serb.  krap,  russ.  koropü,  ahd.  karpo  'karpfen'. 

Abulg.  krüzno  'vestis  pellicea',  ahd.  chursina.  M. 

Abulg.  kupü,  serb.  ktip,  Icupa,  lit.  kaüpas,  ahd.  houf,  vgl. 
Kluge  s.v.  häufen. 

Abulg.  kuriwa,  got.  *hörwa-  von  hörs.  Entlehnt  nach  Uhlen- 
beck s.v.  hörs  und  Kluge  s.v.  hure. 

Abulg.  laja  'belle,  schmähe',  got.  *laian  'schmähen'.  Unsicher. 

Abulg.  lasta,  mhd.  lanze,  lat.  lancea.  M. 

Abulg.  listl  'betrug',  llstiti  'betrügen',  got.  lists.  Nach 
Uhlenbeck  kann  das  abulg.  wort  entlehnt  sein.  VgL  noch  Kluge 
s.v.  list. 

Abulg.  Ilvü  aus  got.  *liwa-,  ahd.  leo,  lewo.  Abulg.  Hvü  kann 
nicht  aus  lat.  leo  stammen.  Als  lehnwort  aus  dem  got,  in  dem 
leo  zu  *liwa-  werden  musste,  wäre  es  verständlich. 

Abulg.  lice,  serb.  lice,  russ.  licö  'antlitz',  aus  *likiom  zu  got. 
leite,   zülo-likü  'boshaft'  =  got.  -leiks;  Ulilenbeck  s.  v. 

Abulg.  likü  'chorus',  likovati,  got.  laikan  'salire',  got.  laiks, 
lit.  aber  läujyti  'wild  umherlaufen'.  Das  slav.  wort  entlehnt 
nach  M. 

Aruss.  lobuzati  'osculari',  ahd.  le'fsa  M. 

Abulg.  Ijubu,  got.  Hufs,  abulg.  ljuby  =  got.  Viuhö.  Urver- 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYM0L0GI8CHKS. 


335 


want  nach  Uhlenbeck.  Nach  Kluge,  Et.  wb.5  s.  v.  lieb  entlehnt. 
Doch  geht  seine  ansieht  nicht  ganz  deutlich  aus  seinen  Worten 
hervor. 

Abulg.  ljudü,  ljudTje,  ahd.  Hut.  Urverwant  nach  Kluge,  Et. 
wb.&  s.  v.  leute. 

Abulg.  losf  'mager',  serb.  lös  'schlecht',  got.  laxitcs.  Nach 
Jon.  Schmidt,  Verwantschaftsverhältnisse  s.  39  und  Uhlenbeck 
s.v.  urverwant. 

Abulg.  lügati  'lügen',  lüiY,  serb.  läzt,  lazi,  russ.  lozl,  Izi. 
Urverwant  nach  Uhlenbeck. 

Abulg.  lug  'lauge',  ahd.  louga  M.  'lauge'.  Nach  Kluge  s.  v. 
lauge  urverwant. 

Abulg.  meso,  got.  mimz.  An  entlehnung  denke  ich  wegen 
der  betonung  serb.  meso,  vgl.  verf.  Indog.  accent  s.  140,  und  weil 
auch  Wörter  wie  got.  hlaifs,  miluks,  biuds  entlehnt  sind. 

Abulg.  meniti  'meinen',  ahd.  meinen.  Nach  Kluge  ur- 
verwant. 

Abulg.  wem,  got.  mers.  Urverwant  nach  Uhlenbeck.  Vgl. 
aber  die  Verwendung  in  namen  wie  Vladimerü. 

Abulg.  misa  'patina',  got.  mffs,  ahd.  meas,  mias.  M. 

Abulg.  mXzda,  got.  mizdö  m.  Urverwant  nach  gewöhnlicher 
annähme.  Man  erwartete  bei  directer  entlehnung  *mlzdy.  Doch 
ist  das  wort  in  einzelnen  germ.  dialekten,  wie  ursprünglich 
überhaupt,  starkes  femininum. 

Abulg.  mogq,  got.  mag,  abulg.  mostl,  serb.  moc,  möc'i,  russ. 
gen.  möci,  got.  mahts.  Die  sippe  hat  palatal.  Vgl.  apreuss. 
massi.   Urverwant  nach  gewöhnlicher  annähme. 

Abulg.  mora  'ineubus',  serb.  möra,  ahd.  mara.  U.  Urver- 
want nach  Kluge,  Et.  wb.a  8.  v.  mahr.  Doch  vgl.  das  aus  dem 
germ.  entlehnte  frz.  cauchemar  'aipdrücken'. 

Abulg.  mrüzeti,  mruznati  'verabscheuen',  got.  marzjan  'är- 
gern, anstoss  geben'.  Entlehnt  wegen  des  z  aus  einer  form 
mit  aur,  die  vielleicht  in  nhd.  murren,  nl.  morren  'murren' 
vorliegt. 

Abulg.  münogu,  got.  manags.  Nach  Uhlenbeck  urverwant. 
Doch  erwartete  man  im  slav.  monogü. 

Abulg.  neprijaznX  ist  die  Übersetzung  des  ahd.  unhold,  und 
wol  erst  mit  der  kirchlichen  Übersetzungsliteratur  zu  den  Slaven 
gekommen. 


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336 


HIRT 


Abulg.  olü  'sicera',  lit.  alus,  an.  gl,  ags.  ealu.  M.  Kluge 
8.  v.  hier. 

Abulg.  oradije  'negotium,  instrumentum,  apparatus'.  ahd. 
ürunti.  M. 

Abulg.  ostlü,  got.  asilus.  M. 

Abulg. plesati,  got.plinsjan  'tanzen'.  Wahrscheinlich  aus 
dem  slav.  entlehnt. 

Serb.  pir,  pira  'hochzeit',  russ.  pirü,  pira  'schmaus',  ahd. 
firaiac. 

Abulg.  plakati  'sich  die  brüst  schlagen',  got.  fiökan  'be- 
klagen'. 

Serb.  pldtno,  russ.  polotno  'leinwand',  mhd.  valte  st.  swt 
u.  a.  'tuen  zum  einschlagen  guter  kleider'. 

Abulg.  o-pona  'Vorhang',  got  fana  m.  'stück  zeug'. 

Abulg.  pram  'navis  genus',  ahd.  faram.  M.  Nach  Kluge 
s.  v.  prahm  urverwant. 

AbvHg.prijati  'günstig  sein',  got.  frijön,  dbvAg.prijateti,  ahd. 
friudil,  got.  *frijö]rils,  abulg.  prijaznt,  got.  *frijözns. 

Abulg.  kroat.jwwdm.  'hierum',  mhd.  fruot  'gedeihen,  klugheit'. 

Abulg.  rokü  'termin',  serb.  rök,  röka,  russ.  gen.  röka,  ags. 
racu,  as.  raka,  ahd.  rahha  'rede,  rechenschaft,  sache'.  rokü 
scheint  allerdings  zu  abulg.  rekq,  'sagen'  zu  gehören.  Aber 
rekq,  gehört  wol  mit  ahd.  rehhanön  zusammen,  die  man  nur 
unter  der  annähme  von  Wurzelvariation  vereinigen  kann. 

Abulg.  »raka,  sraky  f.  'tunica',  mlat.  sarca,  an.  serkr  (st. 
*sarki-)1  ags.  serce  (st.  *sarkjön-),  got.  *$arkö~.  M. 

Abulg.  sterfca  'unfruchtbare  kuh',  got.  stairö  'unfruchtbar', 
vgl.  nhd.  stärke.   Urverwant  nach  Uhlenbeck. 

Abulg.  stena  'mauer',  serb.  stijena,  russ.  stend,  got,  stains 
'stein'.  Urverwant  nach  Uhlenbeck.  Vgl.  aber  abulg.  steninü 
'steinig,  felsig',  got.  stuineins. 

Abulg.  stiklo  'vitrum',  serb.  stäklo,  got.  stikls  m.  'becher, 
kelch'.  M.  Uhlenbeck  spricht  sich  jetzt  Beitr.  22, 191  für  slav. 
Ursprung  des  Wortes  aus,  aber  kaum  mit  recht,  da  f  als  Schwä- 
chung von  e  im  slavischen  zwar  einige  male  vorzuliegen  scheint, 
aber  absolut  nicht  als  bewiesen  gelten  darf.  Gewis  ist  ent- 
lehnung  aus  dem  slav.  möglich,  aber  kaum  zu  beweisen. 

Abulg.  svekrü,  svekry,  got.  swaihra,  swaihrö.  Nach  gewöhn- 
licher annähme  urverwant.   Schwierigkeiten  bereitet  der  slav. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  337 


verschlusslaut,  für  den  wir  Zischlaut  erwarten.  Doch  sprechen 
schwerwiegende  culturhistorische  gründe  gegen  die  annähme 
von  entlehnung,  wenngleich  die  herübernahme  von  verwant- 
schaftswörtern  nicht  unerhört  ist. 

Abulg.  stuzdf,  serb.  tüdj,  tudja  4 fremd',  got.  piuda.  M. 

Abulg.  treba  'negotium',  trebü  'notwendig',  trebovati  'be- 
dürfen', got,  paurban,  ahd.  durfan.  Urverwant  nur  bei  der 
annähme  von  wurzelvariation.  Doch  ist  die  stufe  perb-  im 
'    germanischen  nicht  belegt. 

Abulg.  valiti,  got.  afwahcjan  'abwälzen'.  Urverwant  nach  M. 

Abulg.  varovati  sg.  'cavere',  got.  wäret  'cautio'.  M. 

Abulg.  vedro  n.  'gutes  wetter',  aengl.  weder,  ahd.  w'etar 
' wetter',  falls  man  dieses  mit  abulg.  ve'tiü  'luft,  wind'  vergleicht. 

Abulg.  vera  'glaube',  serb.  vfira,  russ.  vera,  got.  tuswerjan. 
Urverwant  nach  Uhlenbeck. 

Abulg.  vesd  'ding,  sache',  got.  waihts  f.  'ding,  sache'.  Ur- 
verwant nach  gewöhnlicher  annähme. 

Abulg.  vlada,  got.  waldan.  Von  Uhlenbeck  wird  die  ent- 
lehnung bezweifelt.  Für  frühe  entlehnung  Kluge,  Et.  wb .»  s.  v. 
walten. 

Aserb. vlachii,  serb.  vlach,  vlacha,  rms.vol6chü,  volocha,  ahd. 
walah.  M. 

Serb.  vldkno,  russ.  volokno  'flaclis',  vielleicht  aus  ahd.  wal- 
chan  'schlagen,  prügeln,  walken',  vldkno  'das  geschlagene',  vgl. 
den  flachs  bliuwen. 

Abulg.  vosa,  serb.  bsa,  lit.  vapsä,  ahd.  wafsa  gegenüber  lat. 
vespa.   Gewöhnlich  als  urverwant  angesehen. 

Abulg.  voskü,  lit.  väszkas,  ahd.  wahs  n.  Vielleicht  entlehnt 
nach  Kluge  s.  v.  wahs. 

Abulg.  vünukü  'enkel',  ahd.  enenkel.  Das  abulg.  wort  führt 
auf  ein  *anökas  zurück.   Auffällig  ist  das  k. 

Ich  füge  nunmehr  eine  kurze  Übersicht  der  Wörter  hinzu, 
die  Uhlenbeck  behandelt  hat,  wobei  ich  aber  von  seinen  bei- 
spielen  aus  ahd.  zeit  absehe. 

Abulg.  bljudo,  bljttdü,  gotbiups;  brady,  germ.  *bardö  'Streit- 
axt'; brüdo,  russ.  berdo,  got.  baurd;  bugü,  ahd.  boug;  buky,  got. 
*bökö\  ceto,  got.  kintus;  ccsarT,  kaisar;  aiiky,  ahd.  chirihha,  fydT, 
ahd.  chind;  chabiti  se  'abstinere',  ochaba  'eigentum',  got.  haban; 

Beiträge  inr  genoblaht«  der  dtutechen  ipreah«.   XX in.  22 


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HIRT 


serb.  charati  'spoliare,  devastare',  an.  herja;  abulg.  chqulogu,  got. 
handugs-,  abulg.  chladü  'kühle'  stammt  nicht  aus  genn.  *kalda; 
chlakü  'caelebs',  gothalks  'arm',  -chlastati  'frenare',  ahd.  Was/; 
chlebn,  got.  hlaifs;  chlevü  'stall',  chUvina,  got.  */»tot«tf,  hlija; 
chlujati,*flöjan;  chlümü,  m.holm;  abulg. chmeU topfen',  an.Äuw/i, 
humall;  chorqgy,  got.  hrugga;  chrqsti  'käfer',  got.  ]>ramstei;  £ech. 
cÄwfe  'zeit',  poln.  chwila,  got.  foetfa;  chvrastü  'wald,  eiche',  ahd. 
Äorsf;  <%e-t«,  got.  hüs;  dutnati  'denken',  duma  'rat',  got.  dömjan, 
dötns;  glumü  'scena',  gluma  'Unverschämtheit',  an.  gfaumr;  go- 
bidzü,  got.  gabeigs;  godavabtt  'seide',  ahd.  gotawebbi;  gonesti, 
goritsti,  gontznati  'errettet  werden',  got.  gantsan;  gonoziti,  ga- 
nasjan;  goneti,  got.  ganah?;  gorazdü,  got.*garazds;  gotovü,  got. 
*gataws,  gataujan;  kalezi  'kelch',  kladezf,  got.  *kaldigga;  kriUf, 
karl;  kotflü,  katils;  kupiti,  got.  *kaupön\  kusiti  'kosten',  kausjan; 
küncgu,  künedzf,  kuning;  lekü,  got.  Ukeis;  lichva  'wucher',  got. 
leikan  'leihen';  abulg.  loky  'lache',  ahd.  lahha;  lukü,  ahd.  louh; 
nilcl,  got.mekeis;  mltko;  gotmiluks;  abulg. myto  'lohn,  gewinn', 
got.  möta\  natÜt  got.  naus;  nuta  'rind',  an.  naut;  ocUü,  akeit; 
penegu,  *penning;  pigy  'feige',  got.*feigö;  abulg.  plosky,  ahd. 
flasea;  plugü,  sm.plögr\  plüchü,  ahd.  pilih-,  plükü,  ahd.  fblc; 
postü,  ahd.  fasta;  raka  'grab',  *raky,  got.  *arkö;  *raty,  *rattö; 
*sakü,  got.  sakkus;  skotü  'vieh',  got.  skatts;  skutü,  got.  skauts, 
srnoky,  got.  *smakkö  (stnakka);  sokü  'ankläger',  got.  sakan-, 
strukü,  &n.storkr-y  sytu,  got.sö/tf;  &lemü,  got.  Hilms ;  abulg.  stiru, 
gotskeirs;  tynü,  an.  iün\  useregu,  got.  atisahrigga;  variti'&nte- 
vertere',  gotwarjan;  varovati  'hüten',  got.wars,  wäret,  xcarjan; 
vettbydü,  got.ttlbandtis;  vino  'wein',  got. wein;  vinogradü,  weina- 
gards;  vrüi%  gotaurkeis;  vriitü  'garten',  vrutogradü,  got.  aürti 
gards;  zledq,  got.  gildan. 

Zweifellos  wird  sich  diese  liste  noch  vermehren  lassen. 
Was  ich  angeführt  habe,  sind  teils  offenbare  lehnwörter,  die 
von  Uhlenbeck  nur  übersehen  sind,  teils  andere,  bei  denen  die 
frage,  ob  sie  entlehnt  sind,  mindestens  aufgeworfen  werden 
muss.  Ich  will  durchaus  nicht  behaupten,  dass  wir  in  allen 
fällen  gezwungen  wären,  dies  zu  bejahen. 

Die  grosse  zahl  der  genn.  wort«  im  slav.  mag  billig  in 
erstaunen  setzen.  Sie  weisen  nicht  auf  einen  blossen  grenz- 
verkehr hin,  sondern  darauf,  dass  viele  Slaven  germanisch  ge- 
lernt haben,  und  nun  die  deutschen  Wörter  in  ihre  rede  mischten. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  339 


Vgl.  über  diesen  punkt  Windisch,  Zur  theorie  d.  mischsprachen 
und  lehnwörter,  Ber.  der  sächs.  ges.  d.  wiss.  1897,  101  ff.  Man 
kann,  glaube  ich,  ohne  allzu  grosse  kühnheit  annehmen,  dass 
einzelne  slav.  stamme  direct  unter  der  herschaft  der  Goten 
gestanden  haben,  als  diese  nach  dem  Schwarzen  meer  vor- 
drangen. Umgekehrt  wird  es  dadurch  auch  verständlich,  dass 
sich  keine  slav.  lehnwörter  aus  alter  zeit  im  germ.  finden. 

Wir  werden  gut  tun,  nunmehr  die  regelmässigen  laut- 
entsprechungen  zusammenzustellen,  bei  denen  noch  manches 
unklar  ist   Dabei  nehme  ich  Uhlenbecks  material  mit  auf. 

Vocalismus. 

1.  Got,  ö  ist  slav.  durch  a  vertreten:  got.  *bökö,  abulg. 
buky;  got.  dörns,  abulg.  durnati;  got.  *Bönatn,  abulg.  dunavl; 
got.  hröps,  slov.  hrup  ]  gothörs,  abulg.  kurüva;  tihü.  phluog,  an. 
plögr,  abulg.  plug;  mhd.  fruot,  kroat.  prud. 

2.  Got.  ö  ist  slav.  durch  y  vertreten,  zunächst  in  der 
endung  y  =  got,  ff,  worüber  Möller,  Beitr.  7, 487  gehandelt  hat. 
Vgl.  abulg.  crüky,  raky,  brady,  loky,  buky,  svekry.  Setzt  man 
buky  =  got.  *bökö,  so  springt  die  eigentümliche  differenz  in 
der  behandlung  der  beiden  ö  in  die  äugen.  Den  grund  kann 
man  in  verschiedenen  momenten  sehen.  Entweder  sind  in- 
und  auslaut  verschieden  behandelt,  oder  die  beiden  ö  des 
gotischen  waren  verschieden.  Dürften  wir  für  das  gotische 
eine  nasalierte  endung  ansetzen,  so  wäre  alles  in  Ordnung. 
Aber  nach  meiner  auffassung  der  auslautsgesetze  geht  das  nicht, 
wol  aber  müssen  wir  p  für  das  westgerm.  und  nordische  an- 
nehmen.  Ein  solches  hätte  zweifellos  im  slav.  zu  y  geführt. 

Auch  in  Wurzelsilben  tritt  y  für  o  ein  in  abulg.  myto, 
?ot.  möta.  Ahd.  heisst  es  aber  müta  'abgäbe'.  Und  das  wort 
könnte  auch  aus  diesem  dialekt  stammen  oder  aus  einem 
mderen,  in  dem  ö  zu  a  geworden  war.  Dazu  darf  man  wol 
nit  Uhlenbeck  sytü  aus  got.  söps  herleiten.  Ein  a  ist  in  dieser 
.vurzel  sonst  nicht  nachgewiesen,  und  rein  lautlich  lässt  sich 
las  slav.  y  schwerlich  erklären.  Dies  müsste  jedenfalls  später 
entlehnt  sein  aus  einem  dialekt,  in  dem  germ.  o  zu  a  geworden 
var,  vgl.  die  Schreibung  ü  für  ö  der  bibelhandschriften  des 
fotischen. 

3.  Ob  germ.  ö  durch  a  vertreten  ist,  ist  sehr  zweifelhaft. 

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HIRT 


Man  wird  zugeben  müssen,  dass  abulg.  plakati  und  prijati  nicht 
entlehnt  zu  sein  brauchen.  Jedenfalls  müssten  diese  beiden 
aus  sehr  früher  zeit  stammen. 

4.  Wie  ö  wird  auch  au  behandelt.  Ihm  entspricht  regel- 
recht slav.  m.  Ahd.  bouc,  kroat.  bugü,  got.  kaupön,  abulg.  kupiÜ; 
got.  kausjan,  abulg.  husiti,  ahd.  louh,  abulg.  luk;  ahd.  nöz,  abulg. 
nuta;  got.skauts,  abulg.  skutü;  gotausa,  abulg.  user^gü;  abulg. 
glumü,  an.  glaumr.  Hier  fragt  sich,  lag  im  gotischen  schon  ö 
vor,  oder  ist  im  slav.  au  direct  zu  u  geworden  durch  laut- 
substitution,  oder  fällt  der  Übergang  des  slav.  diphthongen  ou 
in  u  in  die  zeit  nach  der  entlehnung.  Eine  antwort  ist  schwer- 
lich zu  geben.  Mit  der  annähme  der  letzten  möglichkeit  muss 
man  sehr  vorsichtig  sein,  da  ja  ö  durch  ü  widergegeben  wird, 
was  nur  eine  lautsubstitution  sein  kann. 

5.  Got.  ii  wird  slav.  zu  y.  Got,  hos,  abulg.  chyzü,  ags. 
tun,  got.  *tan,  russ.  tynü,  serb.  ftn;  got.  pasundi,  abulg.  tysastf. 

6.  Germ,  a  wird  slav.  zu  «  in  abulg.  brunatfnü,  ahd.  bnln  ; 
abulg.  struzü,  ahd.  strilz;  poln.  niss.  serb.  slov.  ruta,  ahd.  rüta; 
diese  Wörter  müssen  einer  jüngeren  Schicht  angehören  als  die 
ersten,  was  ja  durch  struzü  sicher  erwiesen  wird.  Ausserdem 
könnte  man  schliessen,  dass  zur  zeit,  als  jene  entlehnt  wurden, 
entweder  slav.  a  noch  nicht  zu  y  geworden  war,  oder  ou  noch 
nicht  zu  m.  Falls  nämlich  kein  ü  bestand,  wurde  y  für  «  sub- 
stituiert. Aber  beides  könnte  auch  täuschen,  da  y  im  munde 
der  Slaven  dem  germ.  a  vielleicht  näher  lag,  als  das  aus  ou 
entstandene  u.  Und  schliesslich  könnten  auch  verschiedene 
accente  in  betracht  kommen. 

7.  Got.  iu  wird  abulg.  zu  ju.  Gotbiuds,  abulg.  bljudo;  ahd. 
Hut,  abulg.  ljudu,  got  Hufs,  abulg.  ljubü;  got.piuda,  abulg.  stuzdi. 
Anders  erklärt  Zupitza,  Die  germ.  gutturale  s.  145  diese  Wörter. 
Er  hält  im  anschluss  an  Jon.  Schmidt,  KZ.  23, 348  ff.  slav.  ju 
für  Vertretung  von  indog.  cu.  Wie  mir  scheint  mit  recht. 
Trotzdem  halte  ich  die  Wörter  für  entlehnt.  Ich  mache  übri- 
gens auf  die  länge  des  slav.  a  aufmerksam.  Man  müsste  für 
tu  eigentlich  iü  >  <  erwarten.  Slav.  ju  setzt,  wie  mir  scheinen 
will,  eine  steigende  betonung  des  diphthongen  iu,  also  wol  iu 
voraus. 

8.  Got.  ai  und  c  werden  zu  e.  Got.  kaisar,  abulg.  cesart; 
got,  baidjan,  abulg.  bediti\  got,  hails,  abulg.  celü;  abulg.  chlevü 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES. 


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aus  got,  *Maiwa  '1  got.  lekeis,  abulg.  lekü;  ahd.  meinan,  abulg. 
meniti;  got.  mers,  abulg.  merü;  got.  -wer-,  abulg.  t'e'ra;  got.  AJat/s, 
abulg.  chlebü. 

9.  Got.  e  wird  zu  i  in  got  nies,  abulg.  mk.  Hier  haben 
wir  es  mit  £J  zu  tun,  vgl.  ahd.  mias.  Got.  ai  wird  zu  t  im 
anlaut,  abulg.  iskati,  inü.  In  abulg.  Wcü,  got.  totßs  könnte  wol 
eine  andere  stufe  vorliegen.  Die  mittelstufe  I  wird  auch 
vorausgesetzt  für  die  fälle,  in  denen  e  und  ai  zu  X  geworden 
sind;  abulg.  nücX,  got.  mekeis,  aruss.  cXsarX,  got.  kaisar,  denen 
sich  ^oftte«  aus  gabeigs  und  ocfttf  aus  a&ei7  anreihen.  Offenbar 
ist  die  Verkürzung  durch  tonentziehung  entstanden. 

10.  Die  lautgruppen  e,  a  +  liquida  +  consonant  erleiden 
die  urslavischen  Verwandlungen,  im  abulg.  also  die  metathese 
mit  dehnung  des  vocals;  got  bairgan,  abulg.  brega,  got,  bairg-, 
abulg.  bregü,  russ.beregü;  got.  *bardö,  abulg.  brady;  germ.  *barw-, 
abulg.  bravü;  got.  garte,  abulg.  ^rodtä;  got,  hulks,  abulg.  c/iZafcw 
u.  s.  w. 

11.  Die  lautgruppen  i,  u,  o  +  liquida  -f  consonant  werden 
behandelt  wie  urslav.  i,  u  +  liquida,  erleiden  also  alle  Ver- 
änderungen der  einzelnen  dialekte;  abulg.  crüky,  ahd.  chiriMa; 
ibulg.  chlümü,  an.  Jwlm,  got.  *hulm,  abulg.  *mrüky,  ahd.  worÄa; 
ibulg.sfrwÄu,  ahd.  storah;  abulg.  wucT,  got.  awrÄets;  abulg.  vrütü, 
jot.  aur&>  mit  Vorschlag  von  w. 

Auffällig  sind  einige  formen.  Abulg.  sletnü  ist  nach  Uhlen- 
>eck  nicht  aus  got.  Hilms,  sondern  aus  einem  *helma-  entlehnt, 
ind  zledq  stammt  nicht  aus  got,  gildan,  sondern  aus  einem 
geldan.  Letzteres  halte  ich  indessen  nicht  für  entlehnt  Diese 
Voraussetzung  würde  keine  Schwierigkeiten  bereiten,  nur  müsste 
>emerkt  werden,  dass  sie  nicht  bewiesen  ist  Ueber  abulg. 
nleko  aus  melko  hat  sich  Uhlenbeck  nicht  geäussert.  Got.  heisst 
s  miluks,  ahd.  miluh.  Aus  beiden  könnte  die  form  nicht  stam- 
men.  Aber  es  fehlt  jedes  beispiel  für  die  behandlung  des  aus 
erm.  el  entstandenen  gotischen  iL  Wir  dürfen  nicht  ohne 
weiteres  das  von  der  lautgruppe  ul  gewonnene  auf  ü  über- 
ragen, denn  ü  ist  ja  aus  el  hervorgegangen.  Schon  Scherer 
at  vermutet,  dass  got.  i  für  zwei  verschiedene  laute  geschrieben 
-erde  (ZGDS.1 51  anm.,  vgl.  dazu  Braune,  Beitr.  9, 548)  und 
V>ede  hat  dies  QF.  68, 162  weiter  begründet,  und  das  slav. 
nterstützt  seine  annähme  entschieden.  Denn  weshalb  sollten 


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niRT 


gerade  diese  zwei  oder  drei  Wörter  aus  einem  nicht  got.  dia- 
lekt  entlehnt  sein? 

Ebenso  wenig  kann  ich  Uhlenbecks  ansieht  beistimmen, 
dass  got  baürd  im  abulg.  brad  ergeben  hätte.  Er  führt  selbst 
die  entscheidenden  fälle  an,  indem  er  abulg.  chlümü  aus  germ. 
holma-,  plükü  aus  ahd.  folc  entlehnt  sein  lässt.  baürd  hätte 
also  im  abulg.  brüdo  ergeben,  wie  es  wirklich  vorliegt.  Auf- 
fallend ist  die  russische  form  berdo,  die  auf  ein  urslav.  blrdo 
weist.  Derselbe  fall  liegt  aber  in  abulg.  strükü  'storch'  vor, 
urslav.  *stlrkü.  Es  scheint  fast,  als  ob  ur,  or  regelrecht  durch 
ir,  ul  dagegen  durch  ül  reflektiert  werde.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung könnte  man  abulg.  prlsü,  serb.  prsi,  russ.  persi,  aus 
deutsch  brüst,  got.  brusis,  an.  trünü,  russ.  ternu  aus  gotpaurnus 
entlehnt  sein  lassen,  brttsts  und  prüsü  gehören  wol  zusammen, 
können  aber  kaum  urverwant  sein. 

Auffallend  ist  noch,  dass  das  slav.  wort  abulg.  kralt  'der 
könig'  die  regelrechte  ent Wicklung  des  volllautes  zeigt,  russ. 
korolj.  Dies  stammt  aus  dem  namen  Karls  des  grossen,  und 
kann  also  erst  während  dessen  lebenszeit  entlehnt  sein.  In 
unsern  abulg.  quellen  ist  der  volllaut  vollständig  durchgeführt. 
Er  muss  ja  überhaupt  viel  älter  sein  als  unsere  Überlieferung, 
da  er  gemeinslavisch  ist.  Man  kann  unmöglich  annehmen, 
dass  er  erst  nach  der  zeit  Karls  des  grossen  eingedrungen  sei. 
Beachtenswert  ist  almuzno  gegenüber  raky  aus  *arkö.  Jenes 
wird  später  entlehnt  sein,  wol  erst  aus  dem  ahd.  Freilich 
heisst  es  dort  alamuosan  mit  mittel  vocal,  der  aber  in  andern 
Wörtern  nichts  ausmacht. 

12.  Vocal  +  nasal  -f  consonant  wird  regelrecht  zum  nasal- 
vocal,  vgl.  ceta,  got.  Jdntus;  gast,  ahd.  yans;  chadogü,  got.  han- 
äag$\  choragy,  got.  hrugga;  klad&f,  got,  *kaldiggs.  In  abulg. 
chotari,  ahd.  huntari  müsste  eine  spätere  entlehnung  vorliegen. 

13.  Germ,  a  wird  zu  o,  abulg.  borü,  ags.  bearu,  serb.  bök, 
got.  *balc;  abulg.  gostl,  got.  gasts;  abulg.  gorazdü,  got.  *garazds 
u.s.w.  Dies  ist  die  regelrechte  Vertretung.  Daneben  stehen 
unzweifelhafte  fälle,  in  denen 

14.  germ.  n  durch  a  widergegeben  ist,  kroat,  almuzno,  russ. 
glasüy  mhd.  glaren  ;  abulg.  cha biti  sg,  gotgahabati  sik;  abulg.  sakit, 
got.  sakkus;  abulg.  valiti,  got.  afwalwjan;  abulg.  varovati,  got 
wäret  ;  russ.  valü,  urgerm.  wall  Diese  Wörter  müssen  aus  einer 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES. 


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späteren  zeit  stammen.  Denn  man  wird  diese  Vertretung  nicht 
abweisen  können.  Ein  besonderer  fall  liegt  vor  in  abulg.  navtt 
got,  naus,  abulg.  dunavi.  Sehl*  auffällig  ist  abulg.  gorazdü,  dar- 
aus einem  got.  garazds  stammen  soll. 

15.  In  drei  fällen  scheint  germ.  a  auch  durch  ü  vertreten 
zu  sein,  in  münogü,  got.  manags,  bürü,  got.  hariz,  vünukü.  Nach 
slav.  lautgesetzen  ist  das  ü  hier  schwerlich  erklärbar,  aber 
auch  die  annähme  der  entlehnung  ist  nicht  bewiesen  und  nicht 
ohne  Schwierigkeiten  durchzuführen. 

Sonst  ist  im  vocalismus  noch  auffallend  die  widergabe  von 
ahd.  ärunti  durch  oradije,  und  abulg.  pen$gü  mit  langem  e. 

lieber  den  consonantismus  ist  weniger  zu  bemerken. 
f  wird  anfänglich  durch  p,  später  durch  b  widergegeben,  ]> 
durch  t  Bemerkenswert  für  die  Sprachgeschichte  ist  gonoziti 
mit  z,  got.  ganasjan,  abulg.  diyzü,  got.  hßs  u.s.w.  Zweifellos 
gibt  slav.  z  ein  germ.  z  wider. 

Auffallend  ist  die  behandlung  von  germ.  h.  Es  wird  in 
der  überwiegenden  anzahl  der  fälle  zu  ch.  Beispiele  s.  oben 
s.  337  f.  Vor  hellen  vocalen  wird  ch  zu  8,  slemü  aus  *helmaz. 
Es  wurde  so  schwach  gesprochen,  dass  es  in  useregu  ausfiel. 
In  einigen  beispielen  wird  es  aber  durch  k  widergegeben. 

Ueber  abulg.  konoplja,  das  aus  got,  *hanaps  zu  stammen 
scheint,  habe  ich  schon  oben  in  anderem  sinne  gehandelt.  Man 
würde  hier  ja  gern  die  annähme  von  entlehnung  ablehnen,  da 
der  hanf  doch  vermutlich  eher  zu  den  östlicher  wohnenden 
Slaven  als  zu  den  Germanen  gekommen  ist.  Aber  das  p  gegen- 
über dem  b  in  gr.  xävvaßiq,  lat.  cannabis  bereitet  vorläufig 
unüberwindbare  Schwierigkeiten.  Der  einzige  ausweg  bliebe, 
slav.  konoplja  aus  einer  spräche  stammen  zu  lassen,  die  wie 
das  germ.  die  medien  zu  tenues  verschoben  hätte.  Aber  bis 
jetzt  ist  eine  solche  nicht  nachgewiesen. 

Abulg.  kurüva  kann  auch  nicht  ohne  Schwierigkeiten  aus 
got.  hörs  abgeleitet  werden,  denn  woher  stammt  das  u?  Abnlg. 
kotora  aus  einer  form,  die  in  mhd.  hader  noch  vorliegt.  Abulg. 
kupü,  ahd.  houf.  Mit  Wandlung  in  den  Zischlauten  finden  wir 
*bulg.  celü,  got,  hails,  abulg.  crdda,  got.  hainla. 

Sollten  diese  Wörter  vielleicht  nicht  direct  zu  den  Slaven 
gekommen  sein,  etwa  durch  Vermittlung  der  Balten? 


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HIRT 


k  wird  durch  k,  vor  hellen  vocalen  durch  6  und  c  vertreten 
Man  vergleiche  cesari,  c?ta,  lice,  cruky  und  cedo,  creänja,  micl, 
vrucl  und  sktyzi,  kün&l  Im  allgemeinen  repräsentiert  wol  c 
die  ältere  schient. 

Leider  lässt  sich  nicht  feststellen,  in  welche  zeit  die  frühe- 
sten entlehnungen  fallen.  Aber  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
dürfen  wir  doch  die  Goten  als  die  ersten  ansehen,  die  einen 
nachhaltigen  einüuss  auf  die  slav.  sprachen  ausgeübt  haben. 

Vielleicht,  so  könnte  man  denken,  böte  uns  die  betonung 
ein  kriterium  für  die  entlehnung.  Die  aus  dem  germanischen 
entlehnten  Wörter  müssten  den  ton  auf  der  ersten  silbe  tragen. 
Das  ist  aber  durchaus  nicht  immer  der  fall.  Es  heisst  cesdri, 
russ.  dsari,  car;  abulg.  mlcl  lautet  im  serb.  mäc,  wtacw,  aus 
älterem  tnaöä.  Kroat.  heisst  es  üborak  für  *ubörak  aus  ahd. 
cimbar;  in  cimning  geht  die  erste  silbe  verloren,  und  es  heisst 
serb.  knez,  kneza,  russ.  knjdsü. 

Wir  können  demnach  aus  der  betonung  keinen  schluss 
ziehen.  Das  slav.  hat  die  fremden  Wörter  offenbar  unter  ge- 
wisse accentschemata  eingestellt. 

Im  allgemeinen  bin  ich,  wie  man  sieht,  sehr  dazu  geneigt, 
entlehnungen  anzunehmen,  und  zwar  aus  dem  gründe,  weil  ich 
keine  besonders  nahe  verwantschaft  zwischen  germanisch  und 
slavisch  anerkennen  kann.  Neuerdings  hat  Uhlenbeck,  Beitr. 
22, 539  eine  anzahl  von  Wörtern  zusammengestellt,  die  nur  im 
germ.  und  slav.  vorkommen.  Es  sind  nicht  allzu  viel,  und  so 
recht  significante,  denen  man  einen  culturhistorischen  wert 
beilegen  müsste,  sind  nicht  darunter.  Bei  einigen  habe  ich  be- 
denken. AM.harti,  russ.  korty§ki  s.  unten  s.  351.  Bei  got  hairpra 
'eingeweide',  abulg.  cresla  'lende'  stimmt  die  bedeutung  nicht, 
abgesehen  davon,  dass  die  gutturale  Schwierigkeiten  bereiten, 
wie  ich  aber  hier  nicht  ausführen  kann.  Zu  ags.  ielfetu,  ahd. 
elbü,  aksl.  lebedt  vgl.  jetzt  Osthoff,  IF.  8, 64  ff.  Ahd.  hentera 
'nieswurz',  abulg.  cemcrX  'gift',  ceincrica  'belleborus'  vermag 
ich  wegen  der  gutturale  ebenfalls  nicht  ohne  bedenken  zusammen 
zu  stellen. 

B.  Die  altgermanischen  lehnwörter  im  baltischen. 

Das  baltische  zerfällt  bekanntlich  in  drei  dialekte,  in  das 
ausgestorbene  preussische,  in  das  litauische  und  in  das  lettische. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES 


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Ich  will  hier  nicht  auf  eine  genaue  bestimmung  der  alten 
Sprachgrenzen  eingehen,  da  es  feststeht,  dass  die  alten  Preussen 
am  westlichsten  gesessen  haben.   Bei  ihnen  darf  man  daher 
am  ehesten,  vielleicht  ausschliesslich  germ.  einfluss  voraus- 
setzen.  Von  wem  dieser  ausgegangen  ist,  das  kann  nicht 
zweifelhaft  sein.   Die  geschiente  kennt  die  Goten  am  unter- 
lauf der  Weichsel,  etwa  von  der  einmündung  des  Bug  bis  zur 
Ostsee  hin.  Im  Weichseldelta  sass  der  got.  stamm  der  Gepiden. 
Auch  die  zeit  ihrer  anwesenheit  in  dieser  gegend  lässt  sich 
annähernd  bestimmen.   'Der  letzte  zeitgenössische  zeuge,  der 
der  Goten  noch  als  bewohner  der  alten  geschichtlich  bezeugten 
sitze  gedenkt,  ist  Ptolemaeus  in  der  ersten  hälfte  des  zweiten 
jh/s.   Um  die  mitte  dieses  jh.'s  mögen  die  züge  der  Goten 
nach  dem  Süden  begonnen  haben.   Um  200  müssen  die  Goten 
die  Gegend  am  Pontus  erreicht  haben:  bereits  214  findet  bei 
dem  orientzuge  des  Caracalla  ein  erster  zusammenstoss  mit 
den  Römern  statt'   Sievers,  Pauls  Grundr.  1',  407  f.   Hat  das 
gotische  also  auf  das  altpreussische  gewirkt,  so  kann  das  nur 
im  ersten  und  zweiten  jh.  n.  Chr.  oder  früher  geschehen  sein. 
Man  kann  allerdings  daran  denken,  dass  reste  von  Goten  im 
lande  geblieben  wären,  dass  sich  nicht  alle  den  zügen  an- 
geschlossen hätten,  aber  eine  solche  annähme  können  wir  vor- 
läufig nicht  beweisen.   Dass  aber  irgend  welche  menschen  als 
träger  einer  historischen  tradition  zurückgeblieben  sind,  das 
geht  aus  einer  reihe  von  indicien  hervor,  von  denen  ich  nur 
die  neueste  besprechung  des  namens  'Danzig'  von  Kossinna, 
IF.  7, 285  ff.  namhaft  machen  will.   Ob  die  Goten  wirklich  mit 
den  Preussen  in  berührung  gekommen  sind,  das  wage  ich  auf 
grund  anderer  momente  nicht  zu  entscheiden,  und  will  daher 
nur  die  spräche  als  zeugin  anrufen.   Allerdings  haben  wir 
hier  mit  gewissen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen.   Der  slav.  ein- 
fluss auf  die  balt.  spräche  ist  ungeheuer  gross  gewesen;  den 
germ.  von  ihm  sauber  zu  trennen,  ist  oft  unmöglich.  Doch 
glaube  ich  einiges  wenigstens  mit  Sicherheit  feststellen  zu 
können.   Wo  uns  lautliche  kriterien  im  stich  lassen,  da  gibt 
n.  e.  ein  punkt  den  ausschlag.   Stimmt  ein  preussisches  wort 
n  flexion,  stammbildung  und  bedeutung  genauer  zum  germ. 
ils  zum  baltisch-slav.,  so  ist  es  der  entlehnung  dringend  ver- 
iächtig. 


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HIRT 


I.  Die  lehnwörter  im  altpreugsischen. 

Ich  stütze  mich  hier  auf  Berneker,  Die  preussische  spräche. 

ackons  'granne'  Vocabular  (V.)  277  stimmt  genauer  zu  got. 
ahana  'spreu'  als  zu  lit.  akutas,  lettaküts.  Es  steht  für  *ackatis 
mit  o  statt  a  nach  guttural,  vgl.  Berneker.  Welche  casusform 
in  ackons  steckt,  ist  unklar.   Sehr  unsicher. 

alu  V.  392  'met',  lit.  alm,  lett.  alus  aus  germ.  *alu-,  aengl. 
ealu  n.,  an.  gl  n.  Dies  wort  wird  gewöhnlich  zum  balt.-germ. 
Wortschatz  gerechnet.  Doch  kann  es  ebenso  gut  entlehnt  sein. 
Da  ein  lautliches  kriterium  fehlt,  so  gibt  vielleicht  lit  midus 
'met'  den  ausschlag.  Dem  ai.  tnddhu  n.  'süssigkeit,  honig, 
süsser  trank',  gr.  pifrv  'wein',  abulg.  medü  'honig'  entspricht 
regelrecht  lit.  mediis  'honig',  preuss.  meddo  V.  391  'honig'.  Da- 
neben gibt  es  ein  lit. midus  'met'.  Nun  tritt  allerdings  im 
lit.  in  einzelnen  fällen  ein  t  statt  eines  indog.  e  auf  (vgl.  Les- 
kien, Der  ablaut  der  Wurzelsilben  im  lit.,  Abh.  d.  phil.-hist.  cl. 
d.  sächs.  ges.  d.  wiss.  9, 270.  Wiedemann,  Das  lit.  praeteritum 
s.  8),  aber  die  fälle  sind  zu  unsicher,  um  mit  ihnen  rechnen  zu 
können.  Das  lit.  midüs  'met'  erklärt  sich  aber  sehr  einfach 
aus  einem  im  got.  zufällig  nicht  belegten  *midus  'met'.  Hier 
haben  wir  einerseits  an  dem  i,  andrerseits  an  der  bedeutung 
ein  kriterium  der  entlehnung,  denn  germ.  *medus  hat  auf  dem 
ganzen  gebiete  unseres  sprachzweiges  die  bedeutung  'met', 
und  nicht  mehr  die  von  'honig'. 

Als  dritter  fall  auf  dem  gebiete  des  'getränkes'  kommt  hinzu 
preuss.  dragios  'hefen'  an.  dregg,  pl.  dreggjar  (st  *dragjä-).  Das 
got.  wort  fehlt,  müsste  aber  wol  *dragjös  lauten.  Auch  hier 
können  wir  die  entlehnung  nicht  beweisen,  und  im  allgemeinen 
gelten  die  worte  für  urverwant,  vgl.  Kluge,  Pauls  Grundr.  1, 320. 
Berneker  s.  287.  Für  entlehnung  dagegen  G.  Meyer,  Alb.  wb. 
s.v.  drä  f.  und  mit  recht. 

Pr.  ankstan  'butter',  Grünau  ancte  zu  ahd.  ancho  'butter', 
lat.  ungucn  'salbe'  u.s.w.  Die  formen  des  preuss.  stimmen 
nicht  genügend  überein,  um  die  annähme  von  entlehnung  zu 
sichern.  Auffallend  ist  mir  die  gleiche  bedeutung.  Die  aus- 
drücke für  'butter'  gehen  sonst  nicht  in  die  urzeit  zurück. 
Jedenfalls  ist  vorsieht  geboten. 

assanis  V.  13  'herbst',  got  asans  'erntezeit'.  Abulg.  jeseni 
zeigt  in  beiden  silben  e-vocalismus.   Doch  können  die  preuss. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  347 

a  für  e  stehen,  was  im  anlaut  im  Vocabular  sogar  regel  ist. 
Unsicher. 

asilis  V.  436  'esel',  lit.  äsilas,  abulg.  osXlü  aus  got.  asilus. 
Berneker  s.  281  nach  anderen.  Prellwitz  hält  es  für  ein  mo- 
dernes lehnwort,  aber  das  tier  wurde  schon  in  vorchristlicher 
zeit  in  Nordeuropa  bekannt. 

brunyos  V.  419  'brustharnisch',  lett.  brunas,  abulg.  brünja 
entlehnt  aus  got.  brttnjö.  Prellwitz  hält  es  für  entlehnung 
aus  dem  mhd.  bn'inje,  bronigen,  was  mir  nicht  wahrscheinlich 
ist.  Bekanntlich  ist  das  germ.  in  waffennamen  und  heerwesen 
für  das  baltisch -slav.  vorbildlich  gewesen.  Aus  dem  preuss. 
gehören  noch  hierher: 

sartvis  V.  41  f.  'wofen',  lit.  szarval  aus  got.  sartva  'rüstung'. 
Unzweifelhaft. 

saknis  V.  420  'heim',  lit.  szalmas,  abulg.  Slemü,  got.  hilms, 
ahd.  heim.  Doch  kann  das  preuss.  wort  nicht  direct  aus  dem 
germ.  stammen. 

Unmittelbar  ist  preuss.  kelmis  'hut'  V.  474,  chelmo  Grünau 
'hut'  entlehnt.  Hier  beweisen  die  gutturale,  da  got.  hilms  zu 
ai.  carman  gehört. 

Preuss.  kalabian  V.424  'schwert',  lit.  kalavJjas  'schwert, 
eisbock,  eisbrecher',  kalavijädaris  'ein  Waffenschmied,  schwert- 
feger'.  Das  wort  ist  nicht  aufgeklärt  und  sieht  unlitauisch 
aus.   Man  könnte  an  ahd.  halb,  halab  'handhabe,  stiel'  denken. 

buccareisis  V.  593  'buchecker',  buccawarne  V.  723  'holz- 
krähe', lit.  büka,  got.  bökö,  aber  kaum  direct  aus  dem  got. 

gattawint  'bereiten',  lit.  gätavas,  lett,  gataws  'fertig',  lit. 
gatävyti,  &b\i]g.go(oviti  'bereiten',  got. gatuujan.  Nach  Brückner, 
Die  slav.  lehnworte,  stammt  das  balt.  wort  aus  dem  slav.;  das 
ist  möglich,  aber  nicht  sicher.  Von  Berneker  s.  290  wird  es 
zu  alban.  gat  'bereit',  gatuan  'bereite  zu'  gestellt  nach  G.Meyer, 
Alb.  wb.  s.  v.  gat,  aber  schwerlich  mit  recht. 

instran  V.  193  'schmer',  an.  istra  'fett,  schmer.  Unsicher. 

kailüstikan  'gesundheit'  nebst  abulg.  ce'lü,  celosü  entlehnt 
aus  got,  hails.  Wegen  des  k  nicht  aus  dem  slav.  Die  ent- 
lehnung ist  mir  vor  allem  wegen  der  bedeutung  wahrschein- 
lich, vgl.  ags.  hM  n.  'gesundheit*. 

caymis  V.  797  'dorf ',  cayme  Gr.  'dorf',  lit.  kemas  aus  got. 
haims.   Vgl.  noch  kaima  luke  'sucht  heim'.   Die  Wörter  können 


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HIRT 


auch  urverwant  sein,  doch  gehört  haims  vielleicht  mit  gr. 
xmpii  zu  preuss.  seimins  'gesinde',  lit.  szeimyna,  abulg.  äemtnü, 
vgl.  Zupitza,  Die  germ.  gutturale  s.  49. 

catils  V.  355  'kessel',  \\i.kätilas,  lett.  Jcatls,  abulg. Aro^iö  aus 
got.  katils. 

käupiskan  'handel'  kann  natürlich  nicht  trotz  Brückner 
und  Prellwitz  aus  poln.  küpec  entlehnt  sein.  Denn  woher  sollte 
der  diphthong  stammen?  Ebensowenig  kann  es  aus  dem  nieder- 
deutschen herübergenommen  sein.  Es  bleibt  als  quelle  nur  ahd. 
und  got. 

kerdan  'zeit',  abulg.  creda  'Wechsel',  goLhairda,  ah&.herta 
herde,  Wechsel'.  Die  annähme  der  entlehnung  bereitet  wegen 
der  bedeutung  des  preuss.  Wortes  einige  Schwierigkeiten,  doch 
hatte  die  sippe  nach  ausweis  von  ai.  cdrdha  'schar,  herde' 
palatalen  guttural.  Vgl.  noch  das  sicher  entlehnte  lit  kerdzius, 
got.  hairdeis.  Das  alte  lit.  wort  für  'hirt'  heisst  pernl 

klausiton,  klausemai,  lit.  klausaa,  klausi/ti,  lett.  Maust*  'hören, 
gehorchen;  man  hat  dies  wort  stets  mit  abulg.  sluchü,  ai.jra- 
vanam  verbunden.  Wegen  des  verschlusslautes  muss  das  wort 
entlehnt  sein.  Es  gibt  aber  im  deutschen  kein  wort  Maus-, 
und  man  hat  daher  diese  Vermutung  abgewiesen.  Ich  nehme 
an,  dass  im  lit.-preuss.  secundärer  ablaut  vorlegt,  und  wir  die 
entlehnte  form  in  preuss. poklusmai,  poklusmingiskai  'gehorsam', 
lit.  klustü,  paklusnus  zu  sehen  haben.  Lit.  klustü  'jemandem 
gehör  geben,  gehorchen'  kann  auf  einer  germ.  form  beruhen, 
die  etwa  in  ags.  hlystan  'aufhorchen,  zuhören'  vorliegt.  Der 
aorist  klusaü  berührt  sich  mit  ahd.  Mosen,  hlosön.  Secundärer 
ablaut,  d.  h.  die  entstehung  ablautender  form  auf  grund  einer 
einzigen  form,  ist  etwas  ganz  gewöhnliches  in  allen  sprachen. 

auklipts  'verborgen'  aus  got.*hlifts,  hliftus.  Man  vergleicht 
das  preuss.  wort  mit  gr.  xlixxco,  lat.  depo,  got,  hlifan,  ohne  sich 
um  die  erklärung  des  i  zu  kümmern.  Auch  bei  Berneker  finde 
ich  nichts.  Indog.  e  kann  es  nicht  sein,  und  {  auch  nicht,  da- 
her wird  man  entlehnung  annehmen  müssen. 

knapios  V.  268  'hanf ',  lit.  kanäpes,  lett  kanepe  aus  got. 
Vianaps.  Vgl.  oben. 

cuylis  V.  683  'eber',  lit.  kuilgs  'zahmer  eber',  lett.  kuiUs, 
nhd.  keiler,  keuler.  Eine  entlehnung  des  deutschen  aus  dem 
lit.,  wie  sie  Kluge  im  Et.  wb.  vermutet  hat,  ist  mir  wegen  des 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  349 


lit.  vocalismus  nicht  gerade  wahrscheinlich.  Wie  verhält  sich 
htti§8  zu  kiäule? 

mal  Um  'malz'  in  piwamaltan  aus  dem  deutschen  'malz'. 

nautin,  nautien  'not',  got.  naups.  Wol  entlehnt, 

panno  V.  33  'feuer',  panustaclan  V.  370  'vuerysen'.  staclan 
=  ahd.  sfa/wJ,  got.  *stahla-  n.  Letzteres  ist  vielleicht  entlehnt, 
und  auch  wol  pawwo,  da  man  got.  fön,  funins  seinem  ablaut 
nach  nicht  mit  dem  preuss.  wort  vereinigen  kann. 

pecku  'vieh',  \itpeki*s,  []  Kurschat,  mit  gutturalem  ver- 
schlusslaut gegenüber  ai.  pdfu,  entlehnt  aus  got,  faihu.  Davon 
abgeleitet  pecküt,  popeckat  'behüten'. 

rikis  'herre'  V.  404,  riks  'reich'.  Das  wort  kann  nicht  aus 
dem  slav.  stammen,  da  es  dort  nicht  vorhanden,  und  kann  auch 
kaum  in  späterer  zeit  aus  dem  germ.  entlehnt  sein,  da  riks 
nicht  mehr  die  bedeutung  'herr,  könig'  hat.  In  spätere  zeit 
gehört  konagis  V.  405  'könig'  gegenüber  der  alten  entlehnung 
von  lit.  kimingas  'pfarrer',  lett.  kungs  'herr'. 

saltan  V.  376  'speck'  braucht  man  wol  nicht  in  pal  tan  zu 
bessern,  da  es  mit  deutsch  sali  zusammenhängen  könnte. 

stiklo  'glas',  got.  stikls.   Möglicherweise  aus  dem  slav. 

tuldtsnan  'freude',  got,  dulj>s  'fest',  ahd.  dult  'jahrmarkt'. 

tcangus  V.  588  'damerau',  got.  waggs  'paradies',  an.  vangr 
•feld'.  Gegen  annähme  von  entlehnung  lässt  sich  nichts  ein- 
wenden. Gehörte  waggs  mit  gl*,  oyxog  'biegung'  zusammen, 
so  wäre  sie  sogar  sicher. 

Die  lehnwörter  sind  im  preuss.  weniger  gut  und  sicher  zu 
erkennen  als  im  slav.  Obgleich  vieles  sehr  zweifelhaft  ist, 
glaube  ich  doch  asilis,  sarwis,  rikis,  kaupiskan,  pecku,  tuldisnan 
direct  auf  das  gotische  zurückführen  zu  dürfen. 

II.  Die  germanischen  lehnwörter  im  litauischen. 

Die  zahl  der  altgerm.  lehnwörter  im  lit.  ist,  wie  wir  schon 
oben  vermutet  haben,  in  der  tat  ziemlich  gering,  doch  sind  in 
einigen  fällen,  wie  mir  scheinen  will,  entlehnungen  zweifellos 
anzuerkennen. 

Die  angeführten  fälle  beruhen  nicht  auf  einer  systemati- 
schen durchforschung  des  lit.  Wortschatzes,  sondern  auf  gelegent- 
licher notierung. 

Lit.  alus  'hausbier'  s.  oben  s.  346. 


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Lit.  Ostias  s.  oben  8. 347. 

Lit.  ganu  'genug'  soll  aus  got.  ganah  stammen.  Das  ist 
zwar  nicht  sicher,  aber  doch  möglich. 

Lit.  gardas  'hürde',  abulg.  gradü  'mauer,  garten',  got.  gards. 

Lit.  jeszköti,  ahd.  eiscön  s.  oben  s.  334. 

Lit.  kätilas,  got.  katils.  Das  lit.  wort  wird  kaum  aus  dem 
poln.  stammen. 

Lit.  kaugurys,  kaugure  'ein  mit  sandgras  bewachsener  kügel' 
steht  neben  kaukarä;  vgl.  an.  haugr. 

Lett.  kauns  'schände,  schäm,  höhn',  got.  hauns  'niedrig,  de- 
mütig'. 

Lit.  kaupas  'ein  häufen  von  erde',  abulg.  kupü,  ahd.  häuf. 
Abulg.  kupü  kann  nicht  die  quelle  sein.  Gegen  urverwantschaft 
spricht  die  mangelnde  lautverschiebung. 

Lit.  Mmas  s.  oben  s.  347. 

Lit.  kefdzius  'hirt',  got.  hairdeis  s.  oben  s.  348. 

Lit.  kirmyti,  mhd.  hinnen.  Die  sippe  hat  palatal,  vgl.  ai. 
grämyati,  doch  kann  das  lit.  wort  aus  bekannten  gründen  nicht 
aus  dem  historischen  got.  stammen. 

Lett.  klaips  'brot'  kann  nicht  aus  dem  slav.  entlehnt  sein, 
sondern  nur  aus  dem  got. 

Lit.  klausyti  s.  oben  s.348. 

Lit.  küningas  'pfarrer,  herr'  muss  altes  lehnwort  sein. 
Lit.  kuprä,  ahd.  hovar  können  auch  urverwant  sein. 
Lit.  kvetys,  got.  baiteis  wegen  des  t  und  des  gutturals 
zweifellos  entlehnt. 

Lit.  midüs  s.  oben  s.  346. 

lAt.mufidras  'munter',  ahd. munter,  got.mundrei.  Vielleicht 
spät  entlehnt. 

Lit. prötas  'verstand',  got.  fröp-. 
Lit.  pulkas,  ahd.  folc,  got.  *fulk. 

Lit.  stodas,  zem.  eine  herde  vieh,  besonders  pferde'  wird 
wol  eher  aus  slav.  stedo  als  aus  germ.  *stöda  stammen. 
Lit.  szarval,  got.  sarva  s.  oben  s.  347. 

Wie  man  aus  dieser  liste  sieht,  ist  die  zahl  wirklich  alter 
lehnwörter  sehr  klein  gegenüber  der  im  slavischen.  Man  kann 
daher  mit  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  dass  auch  die  an- 
geführten nicht  direct,  sondern  durch  das  preuss.  in  das  lit. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOG ISCHE8.  351 


gekommen  sind.  Das  eine  steht  aber  fest:  ein  guter  teil 
dieser  Wörter  kann  zweifellos  nur  aus  dem  altgerm.  stammen, 
denn  später  sind  ja  auf  jahrhunderte  hinaus  die  beziehungen 
zwischen  Litauern  und  Germanen  unterbrochen. 

VII.  Etymologien. 

1.  Ahd.  harti  'Schulterblatt*. 

Ahd.  harti  'Schulterblatt'  gehört  mit  an.  heröar  pl.  'schul- 
tern' zusammen  und  ist  bei  Zupitza,  Die  germ.  gutturale  mit  russ. 
kortyski  'schultern'  verglichen.  Dem  schliesst  sich  jetzt  Uhlen- 
beck,  Beitr.  22, 539  an,  indem  er  es  als  germ.-baltoslav.  glei- 
chung  in  ansprach  nimmt.  Indessen  kann  man  auch  lat.  car- 
tilägo  'knorpel  am  tierischen  körper'  hierher  ziehen. 

2.  mare. 

Das  deutsche  mare,  nachtmare,  dial. mart  hat  schon  A.  Kuhn, 
Zs.  fda.  5, 488  f.  mit  ai.  marut  und  mit  lat.  mori  verbunden.  Mogk 
hat  sich  Pauls  Grandr.  V,  1013  dem  angeschlossen  und  daraus 
eine  anzahl  von  folgerungen  abgeleitet.   Die  Verbindung  mit 
lat.  mori  ist  aber  zu  beanstanden,  da  man  jetzt  ai.  marut  kaum 
von  \&tmavors,  mavortis  trennen  kann,  vgl.  Wackernagel,  Aind. 
gramm.  §  184:  hier  ist  durch  zahlreiche  beispiele  ein  indog. 
gesetz  belegt,  nachdem  aus  ujr,  ul  unter  gewissen  bedingungen 
ru,  lu  wurde.   Die  lautgesetzliche  erklärung  ergibt  sich  auf 
grund  von  zwei  indog.  Schwächungsstufen  der  gruppen  er,  el. 
Denn  es  ist  klar,  dass  aus  indog.  *mauert  nichts  anderes  als  lat. 
mavort  werden  konnte,  während  *maurt  zu  marut  fühlte. 
Ebenso  gehen  ai.  vr'kas,  abulg.  vlüku,  lit.  vilkas,  got.  wulfs,  lat. 
vulpes  auf  indog.  *uJkos,  lat.  lupus,  gr.  Xvxog  dagegen  auf 
*ttlkos,  woraus  *lukos,  zurück.   Wir  besitzen  also  einen  indog. 
ausdruck  mauert,  marut  für  ein  gespenstiges  wesen,  über  dessen 
eigentliche  bedeutung  wir  nicht  ins  klare  kommen  können.  Ob 
slav.  mora,  serb.  mbra  'alp'  entlehnt  oder  urverwant  ist,  lässt 
sich  nicht  feststellen;  ich  vermute  das  erstere. 

3.  Got.  qairrus. 

Got.  qairrus  'sanftmütig',  an.  kvirr,  kyrr  'still,  ruhig',  mhd. 
kürre  'zahm,  milde'  hat  Bezzenberger  mit  lit.  gurüs  'locker, 


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bröckelig'  verbunden  (BB.  3, 81).  Noch  besser  scheint  mir  aber 
lit.  gtras  'gut'  dazu  zu  stimmen.  Letzteres  hat  Bezzenberger 
mit  gr.  (ptQTtQoq  verglichen,  was  indessen  wegen  des  labials 
einige  Schwierigkeiten  bereitet,  da  wir  &  erwarten  müssten. 
Unaufgeklärt  bleibt  das  doppelte  r.  Ist  obige  gleichung  richtig, 
so  muss  natürlich  die  Verbindung  von  lit.  gtras  mit  gr.  ytQTt qo$ 
aufgegeben  werden. 

4.  Got.  qistjan. 

Got,  qistjan  'verderben',  an.  ktnsta  'verstümmeln',  mnd. 
quisten,  ahd. quistan,  chwisten  'verderben,  vernichten'  bezeichnet 
Uhlenbeck,  Et.  wb.  als  unaufgeklärt.  Zu  gründe  liegt  ahd. 
quist  'Vernichtung'.  Das  wort  gehört  zu  einer  in  den  indog. 
sprachen  weit  verbreiteten  wurzel  gves,  vgl.  &\.jas  'erschöpft 
sein,  totmüde  sein,  erschöpfen,  entkräften',  nijas  'vergehen, 
verschwinden',  jdsush  f.  'erschöpfung,  mattigkeit',  lit.  gesau, 
gesyti  'löschen',  gesth,  gesti  'erlöschen',  gr.  oßivvvfii  aus  zg*es- 
' auslöschen',  tibertr.  'stillen,  dämpfen,  mässigen'. 

• 

5.  Got.  -friks. 

Got.  faihu- friks  enthält  ein  wort  friks,  das  in  an.  frekr 
'gierig,  kühn',  ags.  free  'verwegen',  ahd.  freh  'habsüchtig'  vor- 
liegt. Dies  dürfte  doch  trotz  der  nicht  übereinstimmenden 
schlussconsonanten  zu  lat.  precäri,  procus  u.  s.  w.  gehören.  Die 
form  *preg  verhält  sich  zu  *prek  wie  *deig  in  taikns  zu  *deik 
in  teihan. 

6.  Ahd.  gispanst. 

Ahd.  gispanst  'lockung'  gehört  zu  ahd.  as.  spanan  'locken, 
reizen',  das  man  zu  gr.  axäm  'ziehen'  stellt.  Noch  näher  liegt 
aber  lit.  spetidziu,  spesti  'fallen'  oder  'f allstricke  legen'. 

7.  Ahd.  narro. 

Ist  ahd.  narro  'verrückter'  ein  deutsches  wort,  so  kann 
man  es  mit  lit.  narsas  'zorn',  nirsti  'starrköpfig,  starrsinnig  etc' 
vergleichen. 

8.  Ahd.  hehara. 

Ahd.  hehara,  ags.  higora  m^  an.  heri,  hegri  m.  'häher'  ist 
noch  nicht  erklärt.  Denkt  man  an  die  eigentümliche  gestalt 
dieses  vogels  mit  seinem  auf  dem  köpf  verschmälerten  und 
tollenartig  verlängerten  gefieder,  so  könnte  man  daran  denken, 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES.  3f>3 


dass  der  vogel  nach  seinem  aussehen  benannt  wäre.  Die 
grundform  des  germ.  Wortes  ist  unzweifelhaft  *kikoros,  und 
dieser  entspricht  ganz  genau  ai.  cikharas  'spitzig',  abgeleitet 
von  tfkhü  f.  'haarbusch,  pfauenkamm,  spitze'.  cikfiaras  bedeutet 
also  eigentlich  'mit  einem  haarbusch,  federbusch  versehen', 
und  das  passt  ausgezeichnet  als  bezeichnung  für  den  näher. 

9.  Ahd.  hirso. 

Die  hirse  gehört  bekanntlich  zu  den  ältesten  cultur- 
gewächsen  Europas,  und  es  ist  daher  von  vornherein  anzu- 
nehmen, dass  ihr  name  auch  bei  den  Germanen  uralt  ist. 
Sehr  ansprechend  ist  Brates  heranziehen  von  lat.  ceres,  cereris 
(BB.  13, 48),  wenngleich  nicht  ganz  sicher.  Ich  verbinde  weiter 
mit  dem  germ.  wort  ai.  cashpam,  das  auf  carsh  zurückgeht.  Die 
bedeutungen  'junges  gras'  —  'hirse'  sind  leicht  zu  vermitteln. 

10.  Ahd.  hödo. 

Ahü.hödo,  mnl  hode,  &Mes.hotha  'hode'  weisen  auf  ablauts- 
formen  kout,  kut,  deren  erklärung  noch  aussteht.  Mit  lat.  cöleus 
'hodensack'  (Kluge)  weiss  ich  die  formen  wegen  des  vocalismus 
nicht  zu  vereinigen.  Dass  das  wort  uralt  ist,  ist  wegen  des 
alters  ähnlicher  bezeichnungen  von  vornherein  zu  vermuten. 
Ich  verbinde  unser  wort  mit  lat,  cunnus  aus  *cut$nos.  Um 
ien  bedeutungstibergang  zu  erklären,  verweise  ich  auf  mhd. 
mt  'cunnus,  vulva',  gegenüber  ai.  puta  m.  dual,  'hinterbacken', 
»ötas  'junges',  lit.  pautus  'ei',  paütai  'hoden,  hodensack',  die 
autlich  mit  dem  germ.  wort  genau  tibereinstimmen.  Auch  ai. 
othas  'anschwellung'  könnte  man  mit  dem  in  der  Überschrift 
genannten  worte  verbinden. 

11.  Ahd.  scinan. 

Ahd.  scinan  'glänzen,  erscheinen,  sich  zeigen',  got.  skeinan 
leuchten,  scheinen'  stellt  man  zu  gr.  axia  'schatten',  ai.  chüyd 
glänz,  schatten'.  Es  mag  sein,  dass  hier  eine  wurzel  skei  zu 
runde  liegt.  Immerhin  wird  man  auch  eine  andere  etymologie 
orschlagen  dürfen,  die  absolut  genau  übereinstimmt.  Got 
keinan  entspricht  abulg.  sinati,  sina,  sineü  'illucescere',  sinX 
lell,  licht'.   Weiter  gehört  hierher  alb.  si,  stamm  sin  'auge'. 


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sk  in  skeinan  muss  auf  indog.  sk  zurückgehen,  und  daraus  hat 
sich  ganz  regelrecht  abulg.  s,  alb.  s  entwickelt. 

12.  Got.  sair. 

Got.  sair  'schmerz'  stellt  Uhlenbeck,  Et.  wb.  s.v.  zu  air. 
saeth  'leid,  mühe,  krankheit'.  Ist  dies  richtig,  so  kann  man 
diese  worte  weiter  mit  ai.  fashä  'brennen',  gr.  grjooq  'trocken' 
verbinden,  indem  man  von  einer  #-wurzel  ausgeht. 

13.  Ahd.  werah. 

Ahd.  werah  und  werch  n.  'werg'  möchte  man  gern  mit  werk 
'Ipyor'  zusammenbringen.  Doch  bleiben  dabei  immerhin  einige 
Schwierigkeiten  der  bedeutungsentwicklung.  Dass  diese  selbst 
schon  alt  ist,  scheint  mir  aus  gr.  fä-yoc  'ein  gefärbter  teppich, 
eine  bunte  decke'  hervorzugehen,  das  ich  direct  mit  dem  germ.  * 
worte  vergleiche.  Prellwitz,  Et.  wb.  stellt  es  zu  $tCa>  'färbe', 
was  mir  nicht  notwendig  zu  sein  scheint. 

14.  Ahd.  blio. 

Ahd.  blio,  bltwes  'blei'  bezeichnen  die  etymologen  als  völlig 
unaufgeklärt.  Schade  hat  es  mit  ahd.  bli  st  n.  'färbe'  zu- 
sammengebracht, was  schwerlich  angeht,  und  ebensowenig  kann 
ein  Zusammenhang  mit  lat.  plumbum  bestehen.  Und  doch  fühlt 
man  eine  gewisse  ähnlichkeit  im  klänge  dieser  Wörter,  der  ja 
täuschen  könnte,  vielleicht  aber  doch  auf  einen  alten  Zusammen- 
hang hinweist.  Das  ahd.  wort  kommt  ausser  in  diesem  dialekt 
nur  noch  im  an.  als  big  vor.  Dass  wir  daraus  nicht  die  exi- 
stenz  eines  urgerm.  wortes  erschliessen  dürfen,  ist  bei  der 
weiten  und  rätselhaften  Wanderung  der  meisten  metallnamen 
selbstverständlich.  Als  grundform  für  unser  wort  gewinnen 
wir  ein  *bliwan  (got.  *blciw),  und  dies  können  wir,  einen  neuen 
fall  zu  den  alten  fügend,  auf  *mliwam  zurückführen.  Das  er- 
innert uns  sofort  an  gr.  fioXtßog,  fioXvßog,  ftoXvßöoq;  die  erste 
form  liegt  II.  11, 237,  die  letzte  II.  24, 80  vor.  Ein  indog.  wort 
liegt  hier  natürlich  nicht  vor,  obgleich  sich  uöXtßog  auf  nwli- 
(jmos,  *mliwam  aber  auf  *mleighuom  zurückführen  lassen,  zwei 
formen,  die  sich  nur  durch  einen  regelrechten  aMaut  und  den 
häufigen  Wechsel  von  media  und  media  aspirata  unterscheiden. 
Wir  haben  es  viel  eher  mit  lehn  Wörtern  zu  tun.   Im  griech. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMO LOGISCHES. 


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weist  darauf  schon  die  verschiedene  gestalt  der  zweiten  silbe. 
Wenn  aber  hier  wirklich  ein  vorläufig  noch  nicht  näher  zu 
bestimmender  Zusammenhang  zwischen  den  beiden  Wörtern 
besteht,  so  wird  man  die  heimat  derselben  nicht  mit  0.  Schräder, 
Sprachvergleichung  und  urgesch.  s.312  in  Spanien  suchen  dürfen, 
sondern  in  dem  alten  gebiet  der  Hallstadtcultur,  also  in  Oester- 
reich-Ungarn; und  dann  werden  wir  auch  lat  plumbum  nicht 
von  dem  griech.-germ.  worte  trennen  wollen,  wenn  wir  gleich 
die  art,  wie  das  lat.  wort  seine  lautgestalt  gewonnen,  nicht  zu 
bestimmen  vermögen. 

Die  ältere  forschung,  z.b.  Curtius,  Grundr.*  s.370,  verbindet 
auch  slav.  olovo  'blei',  lit.  alvas  'zinn'  apr.  aluris  mit  dem  griech. 
wort,  was  aber  aufgegeben  werden  muss.  Dass  die  balt  Wörter 
aus  dem  slav.  entlehnt  sind,  wie  Brückner,  Die  slav.  lehnworte 
s.  67  annimmt,  kann  nicht  bewiesen  werden.  Darf  ich  eine 
Vermutung  wagen,  so  ist  slav.  olovo,  lit.  alvas  das  lat  album, 
sc.  plumbum. 

Das  engl. -deutsche  wort  für  blei,  mhd.  löt,  ags.  lead  'blei' 
entspricht  zunächst  ir.  luaide.  Dass  die  beiden  Wörter  urver- 
want  seien,  lässt  sich  freilich  kaum  wahrscheinlich  machen. 
Weiter  darf  man  aber  auch  ai.  löhdm  vergleichen,  dessen  be- 
deutung  (kupfer  oder  eisen?)  allerdings  nicht  ganz  feststeht 
Gewöhnlich  verbindet  man  löham  mit  lat.  raudus,  sieht  also 
in  l  ein  indog.  r,  weil  im  ind.  löhitas  neben  röhitas  steht. 
Aber  sicher  kann  man  darauf  nicht  bauen.  Dass  hier  eine 
alte  gleichung  vorliegt,  ist  durchaus  nicht  undenkbar,  da  die 
Völker  Europas  zweifellos  eine  viel  grössere  kenntnis  ver- 
schiedener metalle  hatten,  als  man  bisher  annimmt  Eine 
kenntnis  setzt  natürlich  noch  keinen  ausgedehnten  wirtschaft- 
lichen gebrauch  voraus,  und  die  metalle  haben  doch  zunächst 
als  schmuckgegenstände  Verwendung  gefunden,  die  leicht  ebenso 
entbehrt  werden  konnten,  wie  sie  beliebt  waren.  Es  ist  daher 
auch  sehr  wol  möglich,  dass  die  von  Lottner,  KZ.  7, 183  auf- 
gestellte gleichung  lat.  fcrrum,  ags.  brms  zu  recht  besteht. 

15.  Ahd.  Mal 

Der  für  ahd.  bläo,  ags.  blac,  ahd.  Mio  angenommene  wandel 
von  anlautendem  ml  zu  bl  verhilft  uns,  glaube  ich,  auch  zu 

23* 


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einer  annehmbaren  etymologie  des  ahd.  blat  u.s.w.  Kluge 
verbindet  es  zweifelnd  mit  lat.  folium,  gr.  tpvXXov.   So  genau 
auch  die  bedeutung  stimmt,  so  vermag  ich  die  Stammformen 
vorläufig  noch  nicht  zu  vereinigen,  namentlich  da  man  blat 
schwerlich  von  ahd.  bluonia  und  der  dazu  gehörigen  sippe 
trennen  kann.   Dies  weist  alsdann  auf  eine  set-wurzel,  mit  der 
sich  gr.  yvXXov,  lat.  folium  schlechterdings  nicht  vereinigen 
lassen,   blat  und  bluoma  lassen  sich  auf  eine  indog.  wurzel 
*bhelö  oder  melö  zurückführen.    In  beiden  fällen  lässt  sich 
lat.  flös,  fl&rere  vergleichen.   Ueber  die  Vertretung  von  ml  im 
lat.  wissen  wir  noch  nichts  genaues,  vgl.  darüber  Brugmanu, 
Grundr.  1*  370  anm.  4.  Solmsen,  KZ.  34, 11.   A  priori  ist  es 
wahrscheinlich,  dass  ml  wie  mr  behandelt  wird,  und  aus  dein 
entsteht  fr,  vgl.  fräces  'ölhefe',  fracidus  'mülsch,  überreif',  air. 
mrafch  'malz',  lat.  marcidus;  fretum,  gr.  ßQattco  1  siede,  brause'; 
lat.  frcmo,  gr.  ßQifico.   Als  ein  zweites  beispiel  Hesse  sich  viel- 
leicht noch  lat.  flaccus  'welk,  schlapp'  anführen,  das  man  zu 
gr.  fiaXaxog  'weich,  sanft'  stellen  könnte.   Dagegen  steht  es 
zweifellos  fest,  dass  ml  im  griech.  zu  bl  geworden  ist.  Es 
entspricht  daher  ßXaoxava)  'von  pflanzen  keimen,  empor- 
sprossen', ßXaortj  'keim,  spross',  ßXacxoq  'keim,  trieb,  junges 
blatt  und  zweig,  schuss'  ganz  genau. 

Das  griech.  wort  ist  vollständig  unaufgeklärt.  Die  ältere 
forschung  verglich  ai.  vdrdhami  'grösser  machen',  was  ganz 
unmöglich  ist,  während  Prellwitz  zweifelnd  auf  ßäZXm,  ßXt<o 
verweist,  was  in  mehr  als  einer  beziehung  schwerlich  angeht. 
Das  griech.  zeigt  dieselbe  s-erweiterung  des  Stammes,  die  auch 
in  lat.  flös  und  mhd.  bluost  und  anderen  Wörtern  vorliegt^  und 
die  gerade  bei  set  -wurzeln  häufig  ist.  Liegt  aber  eine  wurzel- 
stufe mld  zu  gründe,  so  kann  diese  kaum  zu  einem  anderen 
wort  gehören  als  zu  gr.  noXtlv,  ßXcooxm  'gehen,  kommen'  mit 
einer  bedeutungsentwicklung,  die  sehr  wol  verständlich  ist 

16.  Got.  himma  u.s.w. 

Uhlenbeck  stellt  den  pronominalstamm  got.  Ai  u.s.w.  zu 
Mts/ts,  abulg.  si,  lat.  ds  u.s.w.,  während  Kluge  lat.  h'ic  'hier' 
u.  s.  w.  heranzieht  und  diese  beiden  formen  unter  indog.  kh 
vereinigt.  Ich  glaube,  dass  beide  forscher  zu  einem  teile  recht 
haben. 


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GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES. 


357 


Die  einzige  spräche,  die  noch  zwei  pronominalstämme  ki 
und  khi  zeigt,  ist  das  lat .,  und  das  muss  daher  auch  zum  aus- 
gangspunkt  dienen.  Naturgemäss  wird  man  got.  himma  daga, 
ahd.  hiutagu  mit  lat.  hödie  vergleichen,  ebenso  got.  her  mit 
lat.  hic  aus  *heic,  dagegen  hidre  eher  mit  lat.  citrä.  Ags.  he 
u.s.w.  wird  ebenso  lat.  hic  wie  slav.  st,  lit.  ssrts  entsprechen, 
falls  indog.  kh  im  slav.-lit.  durch  s  und  sz  vertreten  ist. 


LEIPZIG  -  GOHLIS. 


H.  HIRT. 


STUDIEN 

ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG 


Erster  abschnitt.   Der  dichter. 

Ist  uns  auch  der  name  des  Verfassers  des  Reinfried  von 
Braunschweig  unbekannt ,  so  können  wir  uns  doch  von  seiner 
person  einigermassen  ein  bild  machen.  Oft  genug  tritt  er  ja 
bei  gelegenheit  von  excursen  mit  seinem  ich  hervor,  und  so 
erfahren  wir  denn  einiges  über  ihn  direct  durch  seine  eigenen 
worte,  anderes  lässt  sich  aus  seinen  äusserungen  wenigstens 
mit  ziemlicher  Sicherheit  erschliessen. 

Nächst  der  heimatefrage  —  aus  der  spräche  ergibt  sich 
ohne  weiteres,  dass  der  dichter  dem  alemannischen  gebiet  an- 
gehört —  ist  die  wichtigste  die  nach  der  lebensstellung  des 
mannes.  Hier  gehen  die  ansichten  auseinander.  Baechtold  (Ge- 
schichte d.  deutsch,  litteratur  in  der  Schweiz  s.  134  ff.)  möchte  ihn 
für  einen  geistlichen  halten.  Dem  gegenüber  betont  K.  Eich- 
horn (Reinfriedstudien,  teil  1,  einladungsschrift  zur  feier  des 
Henflingschen  gedächtnistages  am  gymnasium  zu  Meiningen, 
1892)  im  anschluss  an  Bartsch  den  bürgerlichen  stand  unseres 
dichters. 

Wer  Baechtold  folgen  will,  kann  als  einziges  argument 
für  den  geistlichen  beruf  des  dichters  nur  seine  umfassende 
gelehrte  bildung  in  anspruch  nehmen.  Ergibt  sich  nun  aber 
aus  sicheren  gründen,  dass  Baechtolds  auffassung  irrig  ist, 
dann  lässt  sich  doch  andererseits  die  reiche  belesenheit  des 
dichters  nicht  gegen  eine  bürgerliche  Stellung  in  die  wagschale 
werfen.  Sorgfältige  erziehung  in  einer  guten  klosterschule, 
bemerkt  Eichhorn  mit  recht,  erklärt  vollkommen  die  genaue 
bekanntschaft  mit  der  vulgata  und  die  kenntnis  sonstiger 
lateinischer  literatur,  die  der  dichter  wirklich  besitzt. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


Ich  halte  es  für  durchaus  gesichert^  dass  der  dichter,  wenn 
ich  mich  vorerst  einmal  negativ  ausdrücken  darf,  nicht  geist- 
licher war,  und  ich  folgere  das  1.  aus  seinen  eigenen  äusse- 
rungen  und  2.  aus  dem  Stoffe  seines  Werkes,  wie  aus  formellen 
eigentümlichkeiten  seines  Stiles. 

1.  Beweis  aus  den  eigenen  äusserungen 

des  dichters. 

Obenan  steht  hier  was  der  Verfasser  über  sich  selbst  be- 
merkt. Dass  er  nicht  ritter  ist,  versichert  er  deutlich  v.  12820 ff.: 

dar  zuo  bö  bin  ich  ane 
geburt  und  eilenthafte  kraft, 
daz  ich  niht  von  der  ritterschaft 
weiz,  wan  diu  ist  mir  Terzigen. 

Was  er  aber  von  seiner  armut  sagt  (vgl.  Eichhorn  s.  5. 
Bartsch,  ausg.  s.  807),  ist  an  sich  noch  nicht  beweisend  für 
nichtgeistlichen  stand.  Jedoch  scheinen  mir  die  äusserungen 
über  seine  Stellung  zu  den  trauen  und  zur  minne  entscheidend. 
Er  hat  selbst  eine  frau  geliebt  —  Else  heisst  sie  (vgl.  v.  12802 
went  ir  si  Heeren  nennen:  Ein  I/iep  Siiez  Edel  sunder  schäm 
ist  ir  minneclicher  nam)  —  und  liebt  sie  noch,  mit  blutendem 
herzen,  denn  sie  verschmäht  ihn.  Aber  sie  trägt  ihm  unver- 
schulten  heu.  Und  wenn  er  sie  deshalb  auch  schelten  muss, 
so  hat  si  doch  mit  senke  sich  in  sin  herz  gedrungen.  Von  ihr 
hat  er  ja  das  dichten  gelernt. 

Es  unterliegt  in  der  tat  wol  keinem  zweifei,  dass  er  sich 
auch  in  der  lyrik  versucht  hat.  Oft  genug  noch  werden  wir 
durch  wirklich  schöne  und  hochpoetische  stellen  daran  erinnert, 
wie  tief  den  dichter  die  minne  berührt  hat.  Er  kennt  die 
macht  der  liebe  aus  eigener  erfahrung  und  weiss  sie  uns  im 
vergleich  zu  seiner  sonst  ruhigen  erzählung  mit  wahrem  feuer 
und  echter  leidenschaft  darzustellen. 

Von  ausserordentlich  feiner  beobachtung  zeugt  z.  b.  folgende 
scene.  Als  Reinfried  im  turnier  Yrkanes  kuss  errungen  hat  — 
übrigens  ein  schönes  bild,  wie  die  liebliche  jungfrau  in  freu- 
digem erröten  vor  dem  herzog  steht,  um  ihm  den  süssen  lohn 
zu  reichen,  und  in  diu  minnecliche  so  ruossig  under  ougen  sach 
(v.  2074  f.,  vgl.  Wolfr.  Wh.  229, 26)  —  da  führt  ihn  Yrkane  under 
ein  swache  hüttelin  und  lie  niemen  bi  ir  sin  wan  ir  junefrouwen 


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360 


GEREKE 


eine.  Beider  liebenden  herz  ist  zum  zerspringen  volL  sie  haben 
einander  so  viel  zu  gestehen  und  zu  sagen,  und  doch  wagt 
keiner  zu  sprechen. 

v.  3018.  T.3062. 
*wa  fii<-h  zwei  herzen  schon  in  ein      zno  gelicher  wise 
mit  den  gedenken  einent,  geschürt  den  sinnen  alle  frist. 

so  daz  si  beide  meinent  als  da  ein  hus  erfüllet  ist 

ein  dinc,  ein  ein,  ein  liep,  ein  leit,      mit  linten  also  daz  ein  man 
und  doch  dewederz  hat  geseit  niht  me  da  hin  in  komen  kan. 

dem  andern  slnes  herzen  pin,  diz  Mspel  ich  geliche  spttr. 

diu  herzen  müezent  beide  sin  na  stant  liute  vor  der  tür 

verdaht  na  süezer  minne.  nie  denne  in  dem  hüse  sin. 

jen  went  her  üz  und  dis  hin  in 
und  dringent  vast  an  der  getät. 
der  uzern  also  vil  da  »tat 
daz  jene  bellbent  dinne. 

Ich  sollte  meinen,  solche  worte  könnten  nur  aus  einem 
natürlich  empfindenden  herzen  kommen,  das  selbst  den  zauber 
der  liebe  gefühlt  hat. 

Ich  denke,  wenn  wir  die  vielen  stellen,  in  denen  die  minne 
gepriesen  wird,  richtig  beurteilen,  müssen  wir  gestehen,  dass 
das  alles  zu  der  Stellung  eines  geistlichen  schlechterdings  nicht 
passt.  Auch  der  ausweg,  das  seien  nur  jugenderinnerungen 
des  dichters,  ist  verlegt;  denn  v. 2868  erfahren  wir,  dass  er 
noch  jetzt  bi  jungen  jären  ist,  und  die  worte  v.  4074  ff.  lassen 
immerhin  erkennen,  dass  er  noch  keineswegs  mit  der  minne 
abgeschlossen  hat: 

ein  man  muoz  sich  under  daz  im  wol  in  muote  lit, 

wilent  von  minne  ziehen  ald  er  wirt  eteliche  zit 

und  mit  gedenken  fliehen  von  minne  missehandelt. 

Was  hätte  er  als  geistlicher  für  Ursache  gehabt,  v.  10860  ff. 
die  ehe  als  göttliche  einrichtung  zu  preisen  und  umständlich 
für  ihre  nichtSündhaftigkeit  einzutreten?  Was  konnte  ihn  wol 
als  geistlichen  bewegen,  bei  jeder  möglichen  gelegenheit  auf 
papst,  cardinäle,  Patriarchen,  bischöfe  und  pfaffen  zu  schelten, 
deren  schände  er  offen  aufdeckt,  deren  habgier  er  unter  den 
schärfsten  ausdrücken  an  den  pranger  stellt?  vgl.  v.  16870  ff. 
v.  17648  ff. 

v.  17676.  den  text,  wan  si  bindent 

si  vindent  niuwe  fünde  daz  reht  hin  ze  nnrehte. 

mit  glösen  unde  vindent  daz  krump  machent  si  siebte, 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUN8CHWEIG.  361 


daz  sieht  si  künnent  krnmben. 
got  solt  in  verstumben 
die  zongen  in  dem  munde. 


Grossen  wert  lege  ich  endlich  mit  Eichhorn  auf  die  worte 
v.  17841  ff.,  mit  denen  der  besiegte  persische  fürst  den  herzog 
Reinfried  überredet,  ihn  von  seinem  in  Todesnot  gegebenen 
taufgelübde  zu  entbinden: 


diu  kröne  müea  eich  iemer  schämen     in  swelher  hand  gelouben, 


ein  heiden  sin  an  dirre  vart, 

(vgl.  dazu  Parton.  2748:  swä  der  mensche  wirt  erzogen,  voeiz- 
got,  da  strebet  im  der  sin  ie  ze  jungest  wider  hin).  Das  sind 
worte  einer  toleranz,  wie  sie  damals  ein  geistlicher  schwerlich 
ausgesprochen  hätte. 

Zugleich  mit  den  pf äffen  tadelt  der  dichter  aber  auch  alle 
weltliche  obrigkeit;  dem  kaiser,  den  fürsten  und  der  ritter- 
schaft  sagt  er  bittere  Wahrheiten.  Als  geistlicher  hätte  er 
sich  vielleicht  des  Zweckes  wegen  über  die  gründe  hinweg- 
täuschen lassen,  die  deutsche  edle  zur  fahrt  in  das  heilige 
land  in  bilgerines  pfliht  bewogen;  aber  als  bürgerlicher,  der 
die  not  seines  Vaterlandes  kennt,  empfindet  er  schmerz  darüber, 
dass  solche  leute  gewissermassen  aus  feigheit,  um  sich  den 
aufgaben  zu  entziehen,  die  ihrer  im  Vaterland  und  in  ihrem 
hause  warten,  in  wallers  wise  sunder  teer  gen  Kriechen  oder 
über  mer  fahren: 


15514   eins  edeln  mannes  mervart 
in  bilgerines  wise 
ich  lästerliche  prise 
mit  hinderredelicher  pfliht. 
ich  tar  es  vor  in  sprechen  niht. 


Der  dichter  kennt  alle  schaden  der  fürsten,  er  weiss  wie 
schlimm  es  mit  ihnen  selbst  und  ihren  ratgebern  steht.  Er 


erlänt  mich  des  gelouben, 
wan  er  k finde  rouben 
mich  an  miner  6re 
und  mohte  niemer  mere 
gewinnen  rehtes  künges  i 


iuwer  künne  und  iuwer  art 

het  sin  iemer  mere 

laster  und  unere, 

und  wier  diu  arbeit  doch  verlorn. 

swa  der  mensche  ist  geborn, 


na  mir  ewecliche. 
werder  ftirste  riche, 
ob  iueh  so  misselunge 
daz  man  iueh  betwunge 


swer  in  des  wil  rouben 
mit  twinclicher  Sicherheit, 
der  verliust  vil  arbeit, 
wan  er  sich  selben  triuget 


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beklagt  aufs  tiefste  den  verfall  der  ritterschaft.  —  Das  alles 
spricht  gegen  einen  geistlichen  Verfasser  und  bringt  uns  zu- 
gleich auf  die  richtige  spur. 

Dem  verderbten  rittertum  seiner  zeit  stellt  der  dichter  als 
idealbild  seinen  helden  Reinfried  gegenüber.  Eine  seiner 
tugenden,  die  er  mehrmals  lobt,  ist  die  milte;  widerholt  hebt 
er  hervor,  dass  Reinfried  nie  versäumt,  der  geraden  diet  zu 
spenden;  vgl.  v.  1890  ff.  2630  ff.  4392  ff.  11420  ff.  12589  ff.  — 
v.  26594  ff.  entwickelt  er  ausführlich  seine  ansieht  über  die 
gaben  des  'mitten'  und  des  'kargen'. 

Und  das  führt  mich  auf  den  gedanken,  in  dem  dichter 
einen  mann  zu  sehen,  der  wol  selbst  zur  gernden  diet  gehört. 
So  urteilt  auch  Eichhorn  (s.  6),  der  sehr  richtig  auf  die  verse 
327 — 356  hinweist,  in  denen  sich  der  dichter  über  die  aufgaben 
der  fahrenden  äussert. 

Zu  dieser  Stellung  des  dichters  würde  alles  trefflich  passen, 
was  wir  sonst  über  ihn  erfahren;  besonders  seine  dürftigen 
Verhältnisse  fänden  auf  diese  weise  leicht  erklärung.  Eine  so 
genaue  bekanntschaft  ferner  mit  allen  standen  im  reiche,  mit 
ihren  mängeln  und  schwächen,  die  stark  pessimistische  auf- 
fassung  der  ganzen  Zeitverhältnisse  ist  begreiflich  bei  einem 
angehörigen  der  gernden  diet,  der  im  lande  herumkommt  und 
manche  trübe  lebenserfahrung  machen  muss. 

Der  dichter  hat  zwar  eine  gelehrte  bildung  erhalten  und 
ist  wol  anfangs  zu  etwas  besserem  bestimmt  gewesen,  aber, 
durch  widrige  Verhältnisse  seines  guts  beraubt,  zu  dem  leben 
eines  fahrenden  genötigt  worden,  lieber  seine  abhängigkeit 
vgl.  v.  25474  ff.  Er  sucht  also,  wie  Eichhorn  mit  recht  aus 
v.  12752 ff.  folgert,  'aus  dem  dichten  capital  zu  schlagen': 

12758   dö  mich  gelücke  geltes  flöch, 
dö  reis  mir  zuo  an  muote 
und  nam  ab  an  dem  guote. 
ich  dien  min  selbes  muot  hie  an, 
sit  ich  des  guotes  lütxel  han. 

Wenn  er  übrigens  als  grund  für  sein  dichten  v.  12752  f. 
und  v.  13992  f.  angibt,  dass  er  sich  urdrüUse  sweere  damit  ver- 
treiben wolle,  so  folgt  er  hierin  seinem  vorbilde  Konrad  von 
Würzbnrg,  der  sich  im  eingang  des  Partonopier  und  des  Tro- 
janerkriegs ganz  ähnlich  über  die  motive  seiner  dichtung 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


363 


äussert.  Eine  gegenüberstellung  wird  die  abhängigkeit  des 
Verfassers  des  Reinfried  zeigen. 


Reinfr.  13988. 

mir  sol  gewin  und  ouch  vertust 

beliben  miereteilet , 

Bit  «ich  min  sin  durchgeilet 

an  disem  gelben  maere, 

wan  urdrütze  swsere 

ich  mir  hie  mit  vertribe. 

ob  ich  hie  von  belibe 

von  gwacher  diete  dankelös, 

nu  wol,  daz  wunder  ist  niht  gröz: 

des  trag  ich  kleinen  riuwen. 

doch  wil  ich  wol  getriuwen, 

wirt  ez  gedihtet  und  bereit, 

ez  werde  etesweun  gespreit 

für  reiner  sinne  merken, 

den  ez  vi  1  llht  kan  Sterken 

liep  und  fröude  sunder  wanc. 

ist  mir  von  den  ein  habedanc 

beschert  oder  gefüeget, 

umb  daz  so  benüeget 

mich,  wan  ich  ger  anders  niht. 

ob  eins  schalkes  zunge  giht 

mir  spot,  daz  lan  ich  alsö  sin, 

wan  diu  unfuoge  ist  niht  min. 


Part  1. 

Ez  ist  ein  gar  vil  nütze  dinc, 

daz  ein  bescheiden  jungelinc 

getihte  gerne  hoere 

und  er  niemen  stoere, 

der  singen  unde  reden  kan. 

da  lit  vil  hohes  nutzes  an 

und  ist  ouch  guot  für  urdrntz. 

104   swaz  aber  nu  der  tumben  sl, 

die  getihten  wellen  noch, 

ein  meister  sol  niht  lazen  doch 

dar  umbe  sprechen  unde  sanc. 

swie  lützel  man  imwizzedanc 

slner  meisterlichen  kunst, 

sök^re doch  herze  und  vernnnst 

üf  edeledoene  und  edelinwort. 


diu  nahtigale  singet, 
ir  sanc  vil  oft  erklinget, 
da  niemen  hceret  sinen  klanc, 
si  lat  darnmbe  niht  ir  sanc 
daz  man  sin  da  sö  lützel  gert 

(vgl.  Troj.  174  ff.) 


2.  Beweis  aus  dem  stoff  des  gedichtes  und  aus 
formellen  eigentümlichkeiten  des  stils. 

Als  ein  mann  gelehiter  bildung  weiss  der  dichter  genau 
bescheid  im  ritterlich-höfischen  epos,  und  als  fahrender  kennt 
er  die  volks-  und  Spielmannsdichtung.  Ueberwiegt  im  all- 
gemeinen in  seinem  werke  auch  das  ritterlich-höfische  element, 
so  sind  doch  andererseits  unverkennbar  eine  reihe  von  zügen 
vorhanden,  die  wir  vergebens  im  höfischen  epos  suchen. 

Der  erste  teil  des  Reinfried  enthält  eine  brautfahrt,  im 
gründe  eine  regelrechte  entführungsgeschichte,  nur  in  höfischem 
gewande.  In  der  eigentlich  höfischen  epik  findet  sich  dieses 
motiv  nicht,  wol  aber  ist  es  sehr  beliebt  in  der  ganzen  Spiel- 
mannsdichtung. Ich  erinnere  an  Rother,  Nibel.,  Gudrun,  Ortnit, 
Wolfdietrich,  Orendel,  Oswalt,  Saiman  und  Morolf  u.s.w.  Und 


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364 


GEREKE 


in  der  tat  lassen  sich  im  R.  mannigfache  anklänge  an  alle 
diese  epen  feststellen,  besonders  aber  an  die,  die  in  gewisser 
beziehung  zu  der  alemannischen  heimat  des  dichters  stehen 
und  selbst  vom  höfischen  epos  beeinflusst  sind. 

Wol  kaum  zufällig  dürfte  die  ähnlichkeit  der  brautfahrt 
im  R.  mit  der  im  Ortnit  sein. 


Der  Ortnit(DHB.  3)  beginnt: 
3,1 

ez  wuohs  in  Lamparten  ein  gewalte- 
ger  kttnic  rieh, 

dem  was  bi  den  ziten  dehein  künec 

geüch. 

5,1 

dnreh  ktinicliche  wirde  gap  man  im 

den  pris. 

geheizen  was  er  Ortnit,  ze  stürme 

was  er  wis. 


Brissen  nnde  Berne  was  im  undertan. 

(6,4 

im  diente  mit  ge walte  Börne  nnde 

Lateran). 

Dem  könig  Ortnit  wird  von  den 
seinen  geraten,  sich  ein  weib  zu 
nehmen.  Sein  oheim  llias  von  Riu- 
zen  nennt  ihm  eine  seiner  würdige 
königin.  Er  weiss  ihre  Schönheit  so 
zu  rühmen,  dass  Ortnit  erklärt: 

18,4 

ez  erg£  mir  swie  got  welle,  ich  muoz 
nach  ir  hin  über  mer. 


Reinfr. 
65 

hie  vor  ein  werder  fürste 


178 

daz  üf  der  weit  kein  herre 
lept  an  wirde  sin  genöz. 

106 

. .  hörte  man  in 


man  nante  den  selben  herzogen 
Reinfrit  von  Bruneswic. 

102 

Westeval  und  Sahsen 
dienden  beidin  siner  hant. 

Der  knappe  aus  Dänemark  lädt 
Reinfried  zum  turnier  und  schildert 
die  Schönheit  Yrkanes  so,  dass  Rein- 
fried sich  zur  reise  entschliesst : 

398 

zehant  im  aber  brahte 
der  sin  ander  unmuoze, 
wie  er  sich  n&  ir  gruoze 
solt  erbeiten  üf  die  vart, 
der  er  dur  niht  wendic  wart. 


Wie  Ortnit  schon  von  der  künftigen  braut  angezogen  wird, 
ohne  sie  vorher  gesehen  zu  haben,  ebenso  ergeht  es  Reinfried. 


69,2 

niwan  von  sagenden  dingen 
der  meide  schoene  in  twanc. 
im  het  ouch  ir  minne  vil  nach  be- 
nomen  den  sin. 


488 

diu  süeze  minnecüche 

im  nie  kam  üz  den  sinnen. 

sin  herze  muose  minnen 

die  doch  sin  ouge  nie  gesach. 


Ortnit  fordert 


auf,        Ebenso  später  Reinfried,  als  Yr- 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUN8CHWEIQ.  365 


Ortnit. 


Reinfr. 


ihm  bei  der  gefährlichen  brautfahrt 
EU  folgen  und  verspricht  dem  mit- 
ziehenden seine  Unterstützung,  droht 
aber  dem  bleibenden. 

24 

swer  mir  der  reise  hilfet,  dem 

bin  ich  immer  holt, 
im  9i  onch  mit  geteilet  min  silber 

und  mtn  golt; 
lant  und  bürge,  darzuo  liute  und  guot. 
ich  wil  im  immer  danken,  swer  ez 
wüleclichen  tuot 


kaue,  von  dem  dänischen  grafen  be- 
schuldigt, an  ihn  einen  boten  sendet, 
der  ihn  zum  streite  mit  jenem  für 
ihre  Unschuld  auffordern  soll. 

7844 

swer  mir  siner  helfe  gebe 
hie  mit  dienest  niht  verseit,1) 


der  wizze,  swä  in  iemer  leit 
kumber  oder  not  bestät 


dem  bin  ich  immer  wa?ge,  die  wlle 
unde  ich  lebe 


50,2 

swer  hinder  mir  belibet,  dem  wirde 
ich  nimmer  holt. 


daz  er  mich  dä  ze  helfe  hät, 
die  wile  daz  ich  einen  tac 
mit  Ären  leb  und  leben  mac«) 

7874 

swer  mich  in  disen  noeten  lät 
und  mir  sin  helf  wol  weer  bereit, 
dem  sl  iemer  widereeit 
min  rät  min  helfe  für  diz  zil  etc. 

Nun  erklären  sich  die  einzelnen  fürsten  der  reihe  nach 
bereit,  ihn  mit  mannen  und  mit  ihrer  eigenen  person  zu  unter- 
stützen (vgl.  auch  Vogt,  Salman  und  Morolf  s.  cxxxiv).  Ebenso 
im  Reinfried,  z.  b. 


3<i 

dö  sprach  der  marcgr&ve  Helmnot 

von  Tuscän 
'so  nim  von  mir  ze  stiure  fünf  tn- 

sent  küener  man: 
die  wil  ich  mit  dir  senten,  h£rr,  über 

den  wilden  s£. 
sol  ich  selbe  mit  dir  fliezen,  sö  wirt 

ir  lihte  me.' 

39—40 

Der  herzog  Gerwart  von  Troyen 
sendet  500  helden  mit,  bleibt  aber 
auf  Ortnits  rat  selbst  daheim : 


»)  Vgl.  14092  ff. 

•)  Vgl.  7882  ff.  7910  f. 


7946 

von  Mizenlant  der  sprach  'ich  var 
und  ahzic  ritter  sunder  wer 
mit  inch,  went  ir  über  mer.' 


7949 

von  Brandenburg  der  sprach  'ich  wil 
niht  mit  inch  der  reise  zil, 
wan  mich  irret  ander  pfliht. 


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306 


GEREKE 


Ortnit.  Reinfr. 
40,4 

'du  solt  hie  heitue  selbe  des  berge-     doch  lfm  ich  i ach  &n  helfe  niht, 

birges  pflegen/       ich  wil  iuch  in  einer  schar 

atiric  ritter  Hhen  dar; 

51  7962 
si  waren  alle  willic  dem  riehen  kü-    sns  wart  diu  reis  gemeret 

nege  her.       von  raangem  eilenthaften  degen, 
durch  des  guotes  willen  wagten  si    der  der  vart  sich  wol  bewegen 

da«  leben.       torste  durch  den  fürsten  rieh. 

. .  wan  ir  einer  niht  beleip, 
und  fuorent  alle  sament  dar. 


Vielleicht  ist  auch  in  den  näheren  umstanden  der  ent- 
fühmng  der  braut  selbst  ein  Zusammenhang  zwischen  Ortnit 
und  R.  zu  finden.  Beide  ritter  schwingen  die  braut  auf  ihr 
ross  und  reiten  davon: 

439, 4  9270 
er  spranc  in  sin  gereite,  die  meit    wan  er  si  bi  der  hant  begreif 

nara  er  für  sich:       und  hnop  si  von  der  erden  dan 
von  der  burcliten  si  dö  beidiu  riten.     üf  da«  ors.   der  werde  man 
ir  ros  gienc  enschüfte,  nieraens  si     die  reinen  vor  im  fuorte. 

da  biten.       ob  er«  mit  sporne  ruorte? 
des  waen  ich  wol. . . 
niht  langer  er  dä  hapte 
und  kerte  sich  sa  uf  die  vart. 

Sie  werden  verfolgt,  doch  gelingt  es  ihnen,  da  ihnen  ihre 
mannen  zu  hilfe  eilen,  die  feinde  zu  besiegen.  Als  Reinfried 
durch  seine  Verfolger  in  höchste  gefahr  geraten  ist,  bläst  er 
in  sein  horn,  und  auf  dieses  verabredete  zeichen  kommen  seine 
im  versteck  liegenden  mannen  herbei:  ein  motiv,  das  in  der 
spielmannsepik  durchaus  gebräuchlich  ist;  vgl.  z.  b.  Rother 
4177  ff.  Alph.  362  ff.,  Salm.  u.  Morolf  2654  ff.  2756  ff. 

Mir  scheint  es  keines  weiteren  beweises  zu  bedürfen,  dass 
der  Reinfrieddichter  das  thema  der  brautfahrt  nach  dem  muster 
des  volksepos  gewählt  und  vielleicht  sogar  speciell  den  Ortnit 
vor  äugen  gehabt  hat.  In  der  näheren  ausführung  folgt  er, 
wie  an  einer  anderen  stelle  dargelegt  werden  soll,  Konrads 
Engelhard. 

Doch  sehen  wir  uns  nach  weiteren  volkstumlichen  motiven 
um.   In  der  nacht,  da  Reinfried  der  jungfrau  Maria,  die  ihm 


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STUDIEN  ZU  REINFBIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  367 

im  träume  erscheint,  eine  fahrt  ins  heilige  land  gelobt,  hat 
auch  Yrkane  einen  träum;  hier  durfte  dem  dichter  bei  seiner 
Schilderung  Kriemhilds  träum  vorgeschwebt  haben.  Beide 
frauen  träumen  nämlich,  dass  ihnen  ein  falke,  den  sie  auf- 
gezogen, von  zwei  adlern  zerrissen  wird. 


Nib.  L.  13 
ez  troumde  Kriemhilte  in  tutenden 

der  si  pflac, 
wie  si  einen  valken  wilden  züge 

manegen  tac, 
den  ir  zw€n  arn  erkrnmmen. 


R. 13520 
si  hatte  einen  valken, 
als  si  in  släfe  düht,  erzogen 
(folgt  breite  ansfUhrung). 
-  13566 
so  koment  girdeclichen  her 
in  snellen  flucken  schier  geyarn 
zwßn  ungrefUege  gröze  arn 
und  wollen  üf  in  riehen. 


Ganz  genau  passt  nun  aber  der  träum  Kriemhilds  doch 
nicht  für  die  zwecke  unseres  dichters,  denn  sein  held  soll  ja 
glücklich  zurückkehren.  Als  ihm  diese  erkenntnis  kommt,  da 
hilft  er  sich  in  ziemlich  naiver  weise.  Er  lässt  Yrkane  er- 
wachen, ehe  der  träum  zu  ende  ist,  so  dass  sie  glauben  muss, 
der  falke  sei  eine  beute  der  adler  geworden:  hätte  sie  aber 
weiter  geträumt,  meint  der  dichter,  so  würde  sie  gesehen  haben, 
wie  der  falke  seinen  Verfolgern  entkommt. 

Yrkane  hat  auch  noch  einen  zweiten  träum,  ganz  wie 
Kriemhild;  in  beiden  fällen  wird  uns  dieser  nicht  ausführlich 
berichtet,  sondern  die  frauen  erzählen  ihn  in  kurzen  andeu- 
tungen  ihren  männern  (Nib.  L.  864.  R.  14945  ff.). 

Reinfried  erhält  von  Yrkane  beim  abschied  einen  wunder- 
baren ring,  der  die  kraft  hat,  ihn  vor  gefahren  zu  schützen, 
mit  speise  zu  versorgen  und  fröhlich  zu  machen.  Einen  anderen 
ring  zerbricht  er  und  lässt  seiner  gattin  die  eine  hälfte  zurück 
mit  der  Weisung,  wenn  jemals  ihr  ein  böte  die  künde  von 
seinem  tode  bringen  sollte,  nur  dem  zu  glauben,  der  ihr  die 
andere  hälfte  übergäbe.  Diese  ringmotive  finden  sich  zwar 
auch  in  der  höfischen  epik,1)  das  ändert  aber  nichts  an  ihrer 

»)  Vgl.  z.  b.  Iwein  2945  ff. 

Iw.  2947  R.  15059 

ich  wart  nie  manne  so  holt  ein  vingerlin,  daz  selbe  golt 

dem  ich  ditz  selbe  golt  du  fürete  mit  dir  ftleren  solt 
wolde  lihen  unde  geben. 


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308 


GEREKE 


Volkstümlichkeit,  und  darum  sind  sie  nirgends  häufiger  an- 
gewant  als  eben  in  der  volkstümlichen  dichtung.  Es  darf 
wol  als  sicher  gelten,  dass  die  teilung  eines  ringes  mit  zur 
braunschweigischen  löwensage  gehörte,  die  natürlich  die 
grundlage  für  den  R.  bildet.  Hätten  wir  das  gedieht  voll- 
ständig, so  würde  das  noch  deutlicher  sein.  Uebrigens  spielt 
das  zerbrechen  des  ringes  auch  im  Ortnit  eine  nicht  unwesent- 
liche rolle.  Ich  stelle  die  betreffenden  partien  aus  dem  Ortnit 
und  R.  im  folgenden  zusammen: 

• 

Ortnit  545, 3  R.  14778 

swaz  dir  die  liute  sagen,  ob  dir  min  sterben  iemen  sage, 

des  solt  du  niht  gelouben,  du    swer  daz  in  der  weite  si, 

solt  niht  s&re  klagen.       des  solt  du  wesen  sorgen  frt, 
küniginne  und  frouwe,  gip  mir  din     minnecliche  reine. 

vingerlin.       du  solt  gelouben  kleine 
«wer  dir  daz  widerbringe,  dem  ge-    min  bitter  sterben  sunder  haz, 
loube  den  tot  min.       ez  si  denn,  süeze  frouwe,  daz 
«wer  dir  daz  vingerl  bringet,  dem  ist     ich  dir  üz  dem  eilende 
v  i  1  wol  geschehen :       daz  ander  stucke  sende 
der  nimet  mir  etewaz  mere  und  hät     daz  an  daz  dine  höret. 

mich  töten  gesehen.       wizzest,  sö  hat  zersteeret 

der  tot  min  ellendez  leben, 
swaz  man  dir  sag  än  daz  geben 
des  stückelins  Wortzeichen, 
sö  maht  du  erbleichen 
niemer  von  keiner  riuwe. 

In  den  erzählungen  von  den  wundern  des  morgenlandes 
treten  riesen  und  zwerge  auf.  Wie  schon  Bartsch  (in  der  ein- 
leitung  zum  Herzog  Ernst)  gezeigt  hat,  ist  hier  für  den  Rein- 
frieddichter der  Herzog  Ernst  Vorbild.  Ist  aber  nicht  auch 
der  Herzog  Ernst  eine  Spielmannsdichtung?  Widerum  also 
treffen  wir  unseren  dichter  auf  ihm  bekannten  bahnen. 

Doch  noch  weiter.  Nirgends  ist  mehr  von  riesen  und 
zwergen  die  rede  als  in  den  epen  des  deutschen  heldenbuches, 
und  dass  der  Verfasser  des  R.  sicher  wenigstens  mit  einem 
teil  dieser  vertraut  war,  beweisen  schon  die  verse  25266  ff., 


Iw.  2953  R.  15072 

Bines  steines  kraft  ist  guot:  des  steine«  kraft 

er  git  gelücke  und  senften  muot.       ist  sö  kreftic  nud  sö  guot 
er  ist  s»lec  der  in  treit.  daz  er  sttete  fraUch  tuot 

den  der  in  an  der  hende  hat. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BBAHN8CHWEIO. 


wo  er  ausser  den  riesen  des  König  Rother  auch  Kuprian  und 
ÜLsenbrant,  sowie 

die  risen  mit  den  Goldem&r, 
daz  riche  keiserlich  getwerc, 
den  walt  vervalte  und  den  berc 
hie  vor  den  Wülfingen. 

nennt.  Es  wird  also  nicht  auffallen,  wenn  sich  in  seiner  er- 
zählung  auch  anklänge  an  die  genannten  epen  finden. 

Ich  hebe  besonders  den  kämpf  Wolfdietrichs  mit  dem 
riesen  Baldemar  hervor,  wie  er  im  alemannischen  Wolfdietrich 
I)  dargestellt  ist,  und  vergleiche  ihn  mit  dem  kämpf  zwischen 
Reinfried  und  dem  riesenboten  bei  den  zwergen. 


Wo  lfd.  D  7,32 

in  dem  Sellien  walde  vor  der  bürge 

plan 

da  erblicte  der  helt  balde  den  aller 

groesten  man 

der  im  vor  sinen  ougen  ie  was  wor- 
den kunt: 

nmb  sinen  Up  er  sorgte  an  der 

selben  stunt. 

33 

über    alle    boume  gienc  sin 

lenge  gar. 
er  nam  sin  gnöte  goume.  der  rise 

hiez  Baldemar. 
ein  brttnje  vest  von  hörne  het 

er  geleit  an  sich, 
irin  stnont  der  üz  erkorne  eim  helde 

vil  gelich. 

34 

?r  truoc  eine  Stangen  wol  aht 
cl&ftern  lanc, 


Reinf  r. 


inen  schilt  vor  siner  hende,  der 

was  niht  ze  kranc: 
iner  gebelwende  was  er  vil  gelich. 

ler  tiuvel  dich  hie  sehende!'  sprach 
Wolf  her  Dieterich. 


18998 

alrest  dem  fürsten  veilet 
in    sorgen    gröz    sin  jungez 

leben 

19060 

de«  risen  lenge  was  so  hoch 
daz  si  für  alle  boume  schein. 

19140 

dö  hat  der  nngefüege  man  . . . 

an  sich  ein  hürnin  wnrmes  hft t 

über  diu  wafen  schön  geleit. 

18926 

er  fuorte  eine  Stangen 
daz  ich  ir  swtere  niht  tar  sagen 
(19176 

si  sähen  siner  wunden  slac 

wol  klafters  lanc  und  halbe  wit.) 

16906 

er  truoc  einen  swseren  schilt 
hoher  breiter  denn  ein  tor. 

19140 

...  der  nngefüege  man, 


XXIII. 


24 


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370 


GEKKKE 


Wo  lfd.  D  35, 1 

'du  bist  des  tiuvels  bruoder,  dn 
ungefüeger  zage.' 

36, 1 

'waz  sprichestu,  kint  daz  tumbe?' 
38, 1 

'du  redest  turapliche,  dir  wonet 

niht  witze  bi. 
Krist  von  himelriche  macht  mich 
wol  sorgen  fri.' 

39, 1 

'wie  wiltu,  kint  daz  kleine,  din 

leben  danne  ernern?' 
des  antwurt  im  der  reine  'da  wil 
ich  mich  vaste  wem'. 

40,2 

der  fürste  unverzeit 
lief  dö  zornicliche  den  grözen 

risen  an. 

42 

der  rise  mit  der  Stangen  vaste 

üf  in  sluoc. 

44 

er    schriet    im     die  Stange 

schiere  von  der  hant, 
daz  si  ze  zwein  stücken  viel  nider 

uf  daz  lant. 

dö  zöch  er  von  den  siten  ein 

swert  uumäzen  breit 
daz  ze  sinen  ecken  gar  Kreis- 
lichen sneit. 


45 

dö  lief  er  zornicliche  den  wer- 
den Kriechen  an. 
Wolfdieterich   der  küene  im  also 

nähen  kam. 

underhalp    den   kniewen  be- 

gund  ers  risen  pflegeu 
mit  also  herten  streichen  . . . 


Reinfr. 
der  lasterhafte  tiuvels  trüt. 

18951 
du  bist  ein  kint. 

1S959 

durch  dinen  tumplichen  muot. 
18974 

got  der  den  sinen  nie  verlie, 
ruoche  mir  eilenden 
ouch  sine  gnäde  senden. 

18939 

ist  dir  din  leben  veile  ...? 
18973 

wer  dich  reht,  wan  ich  bin  hie. 
19106 

sin  manheit  übermseze 
lief  den  grozen  risen  an. 

19006 

wan  der  rise  siege  bot 
mit  siner  swaeren  Stangen. 

19028 

da  von  er  dem  risen  sluoc 
sin  Stangen  vor  der  hant  en- 

zwei. 

19034 

ein   swert  er  von   der  siten 

brach 

lanc  und  wol  zweiger  schuohe 

breit, 

daz  an  allen  orten  sneit 
reht  als  ein  gewetzet  sah«. 

19042 

den  hohgeninoten  wisen 
lief  er  dö  grimmeclichen  an. 

19072 

der  fürste  rieh  hät  im  gegeben 
wunden  vil  in  siniu  beiu. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  RRAUNSCnWKIG. 


371 


Wo  lfd.  D 
46,2 

er  sluoc  im  ein  wunde,  daz  im 

dö  zehant 
daz  kroftse   zno  den  stunden 
brach  üz  des  libes  waut. 


Reinfr. 
19110 

er  traf  in  und  zertranden 
von  dem  nabel  hin  ze  tal 
daz  allez  sin  gebütte  val 
nam  nider  ze  der  erdeu. 


Ich  glaube,  dass  bei  derartigen  Übereinstimmungen  auch 
ein  sehr  skeptischer  beurteiler  einen  Zusammenhang  zwischen 
beiden  stellen  nicht  wird  leugnen  können. 

Von  demselben  riesen,  den  Reinfried  hier  besiegt,  erzählt 
der  dichter  eine  krafttat,  wobei  er  offenbar  eine  scene  aus 
dem  König  Rother  vor  äugen  hat,  den  er  ja,  wie  oben  schon 
erwähnt  ist,  selbst  v.  25281  citiert. 


Roth  er  (Rückert) 
1146 

dö  zoch  man  vor  Constantlnis  disch 

einin  lewen  vreissam. 
derne  wolde  niemanne  vor  niht  han. 
her  nam  den  knehten  daz  bröt, 
her  teten  over  deme  tische  gröze  not. 
Aspri&n  begreif  eue  mit  der 

hant 

unde  warp  en  an  des  sales  want, 

daz  her  al  zebrach. 

w6  leide  eme  der  kuninc  dö 


Reinfr. 
1SS92 

er  nam  von  rehtem  zorne 
ein  ungefüegez  kemeltier 
und   warf  ez   gen   der  bürge 

schier 

mit  eins  armes  swanke, 
der  starke,  niht  der  kranke, 
daz  ez  kam  für  die  zinneu  in. 
swaz  ez  traf,  daz  muose  sin 
ende  da  von  kiesen, 
des  sach  man  Verliesen 
mangen  höher  fröuden  sin. 


Da  ich  nun  einmal  den  König  Rother  herangezogen  habe, 
so  sei  es  erlaubt  ,  gleich  noch  eine  andere  stelle  in  parallele 
zu  R.  zu  setzen: 

Rother  909  R.  1&926 

dö  Sölden  zw£ne  grävin  er  fuorte  eine  Stangen 

Aspriäuis  stangin  intfahin.  daz  ich  ir  swaere  niht  tar  sagen, 

dä  was  so  vil  stalis  zö  geslagin,  mit  Isen  was  si  sö  beslagen 

sie  ne  mochtin  sie  hebin  noch  getragin.  daz  vierzic  man  die  Stangen 
än  iren  danc  viel  sie  dar  nider,  lanc 

sie  liezin  sie  durch  not  ligen.  müezeu  läzen  sunder  danc 

äne  wegen  lau  gelegen. 

Ich  bin  weit  entfernt  zu  glauben,  dass  der  Reinfried- 
dichter mit  bewusster  absieht  diese  stellen  des  König  Rother 
nachgeahmt  hat:  aber  er  war  jedenfalls  so  in  allen  solchen 

24* 


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S72  OEREKE 

spielmännischen  seinen  und  Wendungen  zu  hause,  dass  er  ge- 
wissennassen unbewusst  fast  dieselben  worte  brauchen  konnte. 
Und  das  ist  alles  leicht  erklärlich,  wenn  man  in  dem  dichter 
einen  fahrenden  sieht. 

Ich  stimme  deshalb  auch  Rückert  zu,  der  (in  der  einleitung 
zum  König  Rother  s.  vii— ix)  darauf  hinweist,  wie  unter  solchen 
Verhältnissen  Vermischung  ähnlicher  Situationen  und  naraen 
mehrerer  gediente  und  sagen  erfolgen  musste.  So  lassen  sich 
die  im  Reinfried  vorkommenden  riesen  Orte  und  Velle  (Orte 
ist  noch  ganz  unbekannt,  Velle  nur  in  einer  jungen  Wolf- 
dietrichrecension  nachweisbar)  neben  den  richtig  citierten 
Witolt,  Grimme  und  Aspriän  als  undeutliche  erinnerungen 
auffassen  (vgl.  Grimm,  D.  heldens.  no.  80). 

In  ähnlicher  weise  möchte  ich  auch  die  folgende  neben- 
einanderstellung zweier  partien  des  Wolfdietrich  D  und  des  R. 
verstanden  wissen: 


Wo  lfd.  D 
uo 

ein  vingerlin  von  golde  kluoc 

und  wol  getan 
an  einer  snüere  sidin  vor  den  rittern 

uf  den  plan 
was  gehenket  schone  für  die  frouwe 

hin. 

dar  zuo  sie  justierten  durch  daz  me- 

getin. 

141 

swer  an  den  selben  stunden 
stach  durch  das  golt  so  rot, 
diu  edele  juucfrouwe   im  do 
ein  küssen  bot. 
142 

hie  mite  von  den  Kriechen  der  werde 

helt  gemeit 
nf  dem  anger  grüene  gen  in  ver- 

wafent  reit, 
in  begunde  an  schouwen  manec 

hochgelobter  man, 
dar  zuo  die  edeleu  frouwen  sahen 
in  gemeinlich  an. 


Reinfr. 
254 

und  swer  der  best  ist  mit  dem  swert, 
dem  ist  onch  höhez  lop  bereit, 
diu  junge  käneginne  treit 
ein  küssen  an  ir  mündelin: 
daz  sol  er  nen,  wan  ez  ist  sin 
swer  ez  mit  lop  erringet, 
ein  vingerlin  so  git  diu  schön 
im  ouch  an  sinen  vinger. 

628 

diu  Hut  gemeinlich  alle 
durch  schouwen  warn  gelonfen 

dar. 


Die  zwerge  im  R.  erinnern  an  Laurin. 


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8TÜDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAÜN8CHWEIG.  373 


Laarin 
55 

(Laiirin)  ist  käme  drier  spannen 

lanc. 

Lanrin  führt  Dietrich  und  seine 
mannen  in  den  berg,  damit  sie  sehen, 

S46 

waz  wünne  in  dem  berge  ist. 
969 

du  fuorte  Laurin  daz  getwerc 
mit  im  die  fürsten  in  den  berc. 

Darinnen  ist  eine  grosse  anzahl 
zwerge: 

993 

die  truogen  an  daz  beste  gewant 
daz  man  in  allen  landen  vant: 

von  golde  gap  ez  liebten  schin. 


Die  fürsten  werden  gut  empfangen, 
aufs  beste  unterhalten  und  mit  speise 
in  kostbaren  geschirren  bewirtet. 

1940 

den  fürsten  was  diu  wile  nnlanc. 
1050  . 

daz  was  ir  kurz  wile  unde  ir  spil. 

Es  folgt  Laurins  treubruch,  ge- 
fangennähme und  die  befreiung  der 
fürsten. 

1836 

(daz  getwerc)  blies  lüte  ein  her- 

horn 

daz  ez  in  dem  berge  erhal: 
daz  erhörten  diu  twerc  ttberal. 

1490 

ez  erschalte  lüte  ein  horn. 


Reinf  r. 
18524 

ir  keinz  wan  drier  schuohe  lanc 

was. 

Wie  Dietrich  den  Laurin  vor  dem 
berge  gefangen  nimmt,  so  verstellen 
auch  Reinfried  und  seine  begleiter 
dem  zwergkönige  den  zugaug  zu  der 
höhle  im  berge. 

18606 

hin  in  die  burc  man  fuorte 
die  herren  ellentrlche. 
diu  was  so  keiserliche 
über  die  maze  gezieret  etc. 

18528 

golt  und  steine  lfthte 
ab  snraelicher  honbet. 

18532 

so  durliuhteclichen  fin  . 
mit  höher  koste  schöne 
kleider  unde  kröne 
von  ir  kleinen  üben  schein. 

Ganz  wie  im  Laurin. 

Von  der  zwergkönigin  heisst  es: 
18672 

kurzewile  machet 

si  vil  den  werden  fürsten  hie. 


18500 

ein  horn  nam  er  an  die  hant 
und  blies  daz  kreftecliche. 
berg  und  tal  geliche 
dem  hörne  gaben  widerdöz. 


Endlich  sei  auch  noch  die  Virginal  angeführt  Von  der 
stimme  eines  riesen  heisst  es: 


374 


GEREKE 


Virginal 
22 

ein  stimme  hörte  er  Hiltebrant, 
diu  was  in  beiden  unbekant: 
ob  8i  von  menschen  gienge 
oder  von  eines  wurme«  rannt, 
daz  was  in  beiden  gar  unkunt, 
und  obe  den  ieman  vienge. 
der  galm  in  daz  gebirge  döz, 
in  walt  und  uf  gevilde 
ieze  kleine  und  danne  gröz. 
diu  stimme  dühtes  wilde, 
wan  si  ir  uiht  mß  heten  ver- 

nomen. 

23,7 

wiez  umb  die  stimme  wjere  getan, 
diu  wunder  wolde  er  schouwen. 

Hildebrant  fragt: 
24,11 

'von  wem  duldent  ir  dise  not? 
klagent  ir  mir«,  ich  rihtes  in 
odr  ich  gelige  dar  umbe  tot.' 


Reinfr. 
18696 

diu  griuweliche  stimme  geben 

kond  über  berg  und  über  tal 

also  jämerlichen  schal 

daz  si  fröude  störte 

allem  so  ez  hörte 

und  muose  dannen  ziehen. 

diu  stimm  von  vorhten  fliehen 

tet  klein  gröz  zam  und  wilde, 

wan  von  menschen  bilde 

wart  solich  wunder  nie  gehört 

diu  stimme  vor  der  bürge  dort 

döz  als  ein  starkez  ungewi ter. 


Reiufricd  sagt  zu  den  zwergen: 
1S810 

ich  wil  wenden  iuwer  leit 
ald  ich  rauoz  drumbe  sterben. 


Das  mag  genügen,  um  die  völlige  Vertrautheit  des  Rein- 
frieddichters mit  den  Stoffen  der  Spielmannsdichtung  zu  zeigen. 
—  Ich  wende  mich  nunmehr  zu  dem  nachweis,  inwieweit  der 
formelschatz  im  R.  die  hypothese,  dass  wir  in  dem  dichter 
einen  fahrenden  zu  sehen  haben,  zu  stützen  vermag.  Wir 
werden  natürlich  bei  einem  so  späten  dichter  wie  dem  Ver- 
fasser des  R.  nicht  mehr  erwarten,  den  alten  spielmännisch- 
volkstümlichen  Charakter  deutlich  ausgeprägt  zu  finden,  hat  ja 
doch  auch  schon  den  epen  des  deutschen  heldenbuches  der 
einfluss  der  höfischen  gedichte  einen  durchaus  höfischen  an- 
strich gegeben.  Der  dichter  des  R.  vollends  hat  durch  sein 
intensives  Studium  Konrads  von  Würzburg  sich  so  in  die  manier 
des  höfischen  epos  hineingearbeitet,  dass  vom  formelschatz  und 
von  der  ausdrucks  weise  der  spiel  männisch- volkstümlichen  dich- 
tung  bei  ihm  nur  noch  sehr  wenig  zu  spüren  ist 

Ich  halte  mich  hauptsächlich  an  den  vergleich  mit  Wolf- 
dietrich D,  weil  ich  hier  vielfach  auf  Jänickes  anmerkungen 
zurückgreifen  kann.  Freilich  ist  auch  gerade  auf  Wolfdietrich 
D  Konrad  von  grossem  einfluss  gewesen,  und  so  kann  man 


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STUDIEN  ZU  REINFKIED  VON  BRAUN8CHWEIG.  375 

■ 

bisweilen  schwanken,  ob  im  R.  gewisse  formein  spielmännisch 
sind  oder  aus  Konrad  stammen. 

Ortnit  C  195, 4  ich  wolte  e  sterben  tot  (vgl.  Jänicke,  ferner 
Grimm,  Gramm.  4, 593.  Lichtenstein  zu  Eilhart  104).  —  R  51(51. 
15154.  20219. 

Ortnit  C  224,2  wie  daz  im  geschach  (vgl.  Jänicke).  —  R. 
4044.  12726.  12810.  16622  u.  ö.  Ebenso  Wolfd.  D  öfters,  Virg. 
297,  7.  Gold.  2, 4.   Im  älteren  mhd.  nur  wie  oder  stvie  ohne  daz. 

Wolfd.  B  372, 3  er  sluoc  im  üf  daz  houbet  einen  swinden 
slac,  daz  der  heiser  Ortnit  vor  im  gestrecket  lac.  —  R.  9040  f. 
9114  f.  17529  f.  (wo  allerdings  gestrecket  fehlt).  Ueber  die 
Verbreitung  dieser  formel  in  der  spielmannsepik  vgl.  Jänicke 
DHB  4, 292.  Vogt,  Salm.  u.  Morolf  s.  cxlvi  f. 

Wolfd.  B  666, 2  unz  im  sin  guot  ros  vor  mäedc  gar  erlac 
(vgl.  Jänicke).  —  R.  8968  f. 

Wolfd.  D  3, 65, 1  dö  der  riebe  keiser  die  boten  ane  such,  er 
empfienesie  also  schöne:  nu  heerent  wie  er  sprach.  Ebenso 
6, 120, 1.  220, 1.  7, 143, 1  etc.  Virg.  131, 1.  178, 2.  526, 1  (vgl. 
Jänicke).  —  R.  5445  f.  Diese  formel  findet  sich  nach  Jänicke 
nirgends  in  den  höfischen  epen  der  guten  zeit,  eine  behaup- 
tung,  die  Vogt  etwas  einschränkt  (Salm.  u.  Mor.  exu;  hier  auch 
beispiele). 

4, 85, 2.  die  siege  raste  hüllen,  ein  übel  ndchgebür 
was  er  in  dö  allen.  R.  20502  ff.  (vgl.  Martin  zur  Kudrun  650, 4. 
Jänicke  zu  Biter.  1578).  —  (Konr.  Troj.  25657). 

5. 216. 2  dö  valte  er  üz  blechen  manegen  herten  nagel  (vgl. 
Jänicke).  —  R.  20084  ff.  20484. 

7,  74, 2  mit  armen  umberüeret  (vgl.  Jänicke).  —  R.  9398. 
10983. 

7. 159. 3  ane  stegereife  er  in  den  satel  spranc  (vgl.  Jänicke). 
—  R.  9198  f.  17235  f. 

9, 102, 2  er  gienc  vor  in  houwen  also  ein  eberswin.  —  R. 
9028  f.  18821.  (Troj.  5040);  vgl.  Lichtenstein  zu  Eilhart,  QF.  19, 
clii.  Biter.  12138  f.  Reinbot  Geo.  430. 

[8, 343,4  (R.2701  f.).  9, 56,  4  (R.6882.  7106. 25432).  10, 34,3 
(R.  16165  f.  12067.  14144.  20603)]. 

Virginal  72,  4  nu  läzen  wir  si  riten  hie  und  sagen  wiez 
dem  Berncere  ergie  130,  L  218, 1.  975, 1  etc.  Laur.  1758  (Engeln. 


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376 


GEREKE 


1629  ff.).  —  R.377.  1896.  4451.  8129.  12056.  12363.  15359. 
23212  (vgl.  Steinmeyer,  Gött  gel.  anz.  1887,  806  f.). 

V.  54, 4  von  ir  stierten  rouch  ein  tunst  182,7  sant  er 
von  swertc  manegen  tunst  üf  gegen  des  ivatdes  tolden,  daz 
ich  des  wände  cz  weere  ein  brunst.  —  R.  11298  von  dem 
schimpflichen  st  rite  huop  sich  ein  wolkcnlicher  tunst,  daz  von 
ir  siegen  gie  ein  brunst.  1042.  17316.  Hier  scheint  speciell 
ein  ausdruck  der  spielmannspoesie  vorzuliegen,  belegt  noch 
weiter  in  Dietr.  fl.,  Laur.,  Rab.,  Eckenl. 

V.  168, 13  dar  nach  schöz  von  bluote  ein  bach.  205, 12.  — 
R.  9116  f. 

Laur.  214  diu  naht  wart  nie  sö  tunkcl,  ez  lühte  als  der 
liehte  tae  vom  gesteinc  daz  am  helmc  lac.  Walb.  854  ff.  (vgl. 
Jänicke  z.  Stauf enb.  252).  —  R.  18586  diu  naht  wart  nie  sö 
tunJcel,  man  hette  liehtes  überlast  da  fanden  von  der  steine  glast. 

L.  6.  196.  210  in  stürmen  und  in  striten.  Virg.  82, 10.  Gudr. 
725, 3.  730, 4.  Alph.  99, 4.  Bit.  265.  Roseng.  (Holz)  1)  36,  2.  55,  1 ; 
auch  bei  Konr.  v.  Würzb.  (vgl.  Jänicke  z.  Staufenb.  334).  —  R 
957.  22230. 

L.  371  gegen  ein  ander  si  dö  stuben  als  zwene  vaUcen  die 
da  fingen.  —  R.  884  f.  17338  f. 

L.  1372  daz  bluot  durch  die  ringe  ran.  1474  f.  Virg.  205, 12  f. 
(Parton.  14358  f.).  -  R.  17490  f.  (20412  f.). 

Ueber  andere  aus  der  volkstümlichen  dichtung  stammende 
redewendungen  und  formein  vgl.  unten  im  dritten  abschnitt  A.2. 

Nach  diesen  ausfuhrungen  glaube  ich  mich  berechtigt,  den 
dichter  des  R.  dem  fahrenden  stände  zuweisen  zu  dürfen.  Die 
hauptmasse  seines  Stoffes  hat  er  vielleicht  aus  alten  liedern 
geschöpft,  seine  darstellungsform  aber  erscheint  infolge  des 
intensiven  Studiums  Konrads  von  Würzburg  mehr  höfisch  als 
spielmännisch. 

Zweiter  abschnitt.   Quellen  und  Vorbilder. 

Es  gehört  in  der  mhd.  zeit  zu  den  notwendigen  forde- 
rungen,  die  man  an  einen  epiker  stellt,  dass  er  für  seine 
dichtung  eine  quelle  nenne.  Daher  unterlässt  es  denn  keiner 
sich  widerholt  auf  eine  solche  zu  berufen,  mag  er  nun  wirk- 
lich eine  haben  oder  mag  er  sie  nur  fingieren. 


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8TÜDIEN  ZU  BEINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  377 

Auch  im  R.  finden  wir  derartige  angaben,  und  zwar 
verhältnismässig  häufig,  allerdings  nach  spielmannsmanier 
meist  ziemlich  unbestimmter  art.  Doch  beruft  sich  der 
dichter  daneben  auch  genauer  auf  bestimmte  quellen. 

Ich  stelle  zunächst  die  allgemeinen  angaben  zusammen: 

1.  Mündliche  quelle:  so  man  seit  112,  als  man  seit  11887, 
als  man  uns  seit  12307.  12402,  als  mir  ouch  wart  geseit  18266, 
ist  mir  geseit  22597 ;  —  so  her  icJi  jehen  952,  als  ich  hdn  ge- 
hört 25319;  —  hwr  ich  die  wisen  sagen  16,  uns  sagcnt  ouch 
die  wisen  18052,  ich  A«r  die  wisen  alten  dick  in  ganzer  wär- 
heit  jehen  19880  f. 

2.  Schriftliche  quelle:  als  icJi  ez  las  923.  962.  1510.  6242. 
12500.  17180.  26775,  als  ich  hdn  gelesen  20978.  10884.  26717. 
26749,  daz  hdn  ich  von  im  eigenlich  gelesen  18258  f.;  —  als  ich 
von  im  geschriben  las  16765,  schrittet  man  26718,  van  den  vil 
grözer  wunder  sint  geschriben  26756;  —  als  uns  für  war  diz 
mcerc  seit  146,  als  daz  nuere  seit  15418;  —  als  uns  diu  även- 
tiure  seit  927.  16706,  mir  seit  diu  ä.  für  war  5900,  nach  der 
ä.  sage  11490,  von  der  diu  ä.  sagt  11882,  uns  seit  diu  ä.  13812, 
als  diu  ä.  seit  15431,  als  mir  diu  ä.  swuor  18158,  sus  seit  diu 
ä.  27071;  —  nä  der  buoche  sage  26783. 

Directe  beruf ungen  auf  die  bibel  sind  folgende:  18094  ob 
ich  kan  der  schrifte  wort  erkennen  (Samuels  geburt),  15868 
ah  icli  da  hdn  gelesen  an  der  buoche  Schrift  (Gideon),  15904 
als  ich  geschriben  vinde  in  dem  wären  buoche  (Macca- 
bäer),  20960  daz  man  hiut  und  iemer  mer  da  von  list  in  der 
wären  schrift  (tempelbau),  15916  als  diu  bibliä  noch  seit 
(Maccabäer),  26994  diu  bibliä  bewiset  uns  dirre  suche  bae  dan 
ich  (himmelsbrot). 

Genauer:  10893  als  tcirz  am  ewangcljen  hän  (hochzeit 
zu  Cana),  13124  stver  welle  daz  im  werd  bekant  diz  dinc  üf 
ein  ende,  ze  den  fünf  buochen  sende  ich  in  die  man  Moy- 
senen  git  (juden  in  der  wüste),  15815  als  uns  diu  buoch  noch 
tuont  bekant  (Ägypter  ertrinken  im  Roten  meer),  15819  als 
ich  hän  von  Abiron  und  Dathän  in  der  rihter  buoch  ver- 
nomen  (irrtümlich  für  Num.).  25002  getcisheit  uns  der  wise  tuot 
Salomen  in  siner  schrift,  26818  Machabeörum  buoch 
daz  seit. 


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378 


GEREKE 


Berufungen  auf  eine  chronik:  17976  als  in  der  cronik  ist 
geschriben  (kaiser  Friedrichs  wunderbares  ende),  18143  als  crö- 
nied  diu  wäre  seit  (Zerstörung  Jerusalems);  vgl.  Enikels  Welt- 
chr.  28945  ff.  24331  ff.  s.  unten). 

Andere  quellen:  10421  als  Wolf  er  an  von  Eschelbach  in 
Titurelles  buoche  sprach  (vgl.  10584  ff.),  16678  biz  daz  der 
Marc  Parzivdl  im  sine  helfe  tet  erkant,  als  icJt  in  simc  buoche 
vanl  von  dem  von  Eschelbach  geschriben,  18017  diu  wunder 
. . .  diu  in  dem  buoch  der  kintheit  von  gote  noch  schöne  stünt 
geschriben  (s.  unten),  21056  tr  hänt  wol  gehoeret  wie  ein  her- 
zog üzer  Beigerlant,  Ernest  so  was  er  genant,  und  grave 
Wetzet  sin  man  hie  vor  ouch  zuo  dem  steine  kan,  ah  ich  von 
in  gelesen  habe. 

Quellen  aus  dem  classischen  altertum:  3216  Virgilius  seit 
über  al,  22590  swer  üf  ein  ort  teil  wizzen  daz  von  anevanc  unz 
an  daz  drum,  der  sol  lesen  Statium  Achilleides,  da  er  hie 
von  vint  sines  hergen  ger,  22488  als  man  an  Claudidnö  seit. 
Ovid  wird  genannt  10772.  24563. 

Sehr  interessant  sind  zwei  ausführliche  äusserungen  des 
dichten  Uber  sein  Verhältnis  zu  seiner  quelle,  bez.  zu  seinen 
quellen: 

5fi  und  würd  diu  rede  ouch  liht  ze  laue, 

ich  sag  iueh  als  mir  wart  geseit  des  laz  ich  ir  vil  under  wegen 
sunder  lougen  fine  trüge.  und  wil  einvalteclichen  ätegen 

daz  ich  mit  Worten  umbe  flüge,  ftf  der  aventiure  wän 

da  zuo  so  ist  min  sin  ze  kranc,  der  ich  mich  nnderwnnden  h&n. 

Sehr  naiv  klingt  das  andere  bekenntnis: 

1Ö922  ich  sag  ez  inch  ouch  sunder  sparn. 

da  von  mich  nieman  strafen  sol  swers  niht  geloube,  der  laz  varn, 

umb  lüge,  ich  wa?ne  ez  sige  war.  wan  ich  geloub  an  disem  zil 

ob  ez  joch  war  erlogen  gar,  dar  au  so  vil  ouch  als  ich  wil, 

daz  wolt  ich  doch  kleine  klagen.  und  mag  ez  sicher  offenbar 

ich  sach  sin  niht,  ich  hört  ez  sagen,  allez  samt  wol  wesen  war. 

Zu  all  den  directen  berufungen  auf  quellen  kommen  nun 
noch  zahlreiche  anspielungen  auf  die  höfische  literatur,  auf  die 
volks-  und  spielmannsepik.  auf  mittelalterliche  sagen  und  fabe- 
leien,  auf  die  dichtungen  der  alten,  so  dass  wir  also  bei  dem 
dichter  des  R.  eine  grosse  belesenheit  finden.  Es  dürfte  sich 
demnach  wol  verlohnen,  diesen  beziehungen  einmal  nachzu- 
gehen; denn  durch  sie  hat  der  R,  wenn  man  seinen  poetischen 


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STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUN 8CHWEIG.  379 


wert  auch  gering  anschlagen  mag,  doch  entschieden  eine  ge- 
wisse bedeutung  für  die  mittelhochdeutsche  literaturgeschichte. 

Ich  fasse  also  in  den  folgenden  quellenuntersuchungen  das 
wort  quelle  nicht  in  seinem  engen  sinn,  sondern  stelle  mir  die 
aufgäbe,  die  literarischen  beziehungen  überhaupt  zu  verfolgen. 

I.  Höfische  epen. 

1.  Konrad  von  Würzburg. 

a)  Reinfried  und  Engelhard. 

Der  plan  des  R.  umfasst  drei  teile:  die  brautfahrt  Rein- 
frieds nach  Dänemark  (v.  1 — 12658),  des  herzog»  zug  in  den 
Orient  (v.  12659—27206)  und  seine  rückkehr  (v.  27207  bis 
schluss).  Nur  die  ersten  beiden  teile  sind  erhalten  und  vom 
dritten  der  anfang.  Das  motiv  der  brautfahrt  hat  der  dichter, 
wie  wir  schon  gesehen  haben,  der  spielmannsepik  entlehnt; 
auch  schliesst  er  sich  ihr  in  der  ausführung  einzelner  züge  an. 
Für  die  composition  des  ganzen  aber  ist  ihm  in  weit  höherem 
masse  Konrads  Engelhard  Vorbild  gewesen. 

Im  eingang  des  R.  und  Engelhard  heisst  es  nach  der  all- 
gemeinen einleitung: 

R.  65  E.  221 

hie  vor  ein  werder  fürst e  was        dö  lebte  in  Burguntriche 
der  zuht  nnd  er  ie  an  »ich  las         vil  getriuweclichc 
mit  milt  nnd  ritterlicher  tat.       ein  herre  von  geburte  fri. 

dem  wonte  zuht  und  ere  bi, 
milte  nnd  ganziu  sttete. 

118  240 
er  pinte1)  leben  unde  Up  sus  hsete  er  sich  gepinet1) 

dnr  ere  in  werder  ritterschaft.  üf  tugent  für  die  brnoder  sin. 

122  246 
ze  swerte  »per  nnd  schilte  üf  alliu  saeleclichiu  dinc 

stnont  sin  sin  und  der  gedanc,       stuont  »Ines  herzen  girde. 
wan  er  na  ritterschaft  ie  ranc.     sin  muot  näch  höher  wirde 

künde  ringen  unde  streben. 

Der  ort  der  handlung  im  ersten  teil  des  R.  und  im  E. 
ist  überwiegend  Dänemark.  Yrkane  und  Engeltraut  sind  die 
königstöchter.   Engel trauts  mutter  ist  tot  (v.  1767);  auch  Yr- 


»)  sich  pinen  üf  noch  R.011.  090.  14362.  —  Part.  8700.  9554. 


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380 


GESEKE 


kanes  mutter  haben  wir  uns  wo!  als  verstorben  zu  denken, 
da  sie  nirgends  erwähnt  wird. 

Reinfried  erhält  durch  einen  knappen  die  aufforderung  zum 
turnier  nach  Dänemark.  Die  Schilderung  des  knappen  von  der 
Schönheit  Yrkanes  lässt  ihn  sogleich  in  liebe  zu  ihr  entbrennen. 
Der  dichter  äussert  seine  Verwunderung  darüber,  da  Reinfried 
die  jungfrau  ja  noch  gar  nicht  gesehen  hat.  Er  spricht  liier 
einen  ähnlichen  gedanken  aus  wie  Konrad,  als  Engeltraut  mit 
ihrer  liebe  zwischen  Engelhart  und  Dietrich  schwankt 


R.  496 

sit  nach  des  ongen  wirde 

ein  herz  (lf  minn  sich  rihtet, 

daz  ouge  muoz  gepflihtet 

ze  boten  an  daz  herze  sin. 

und  swie  si  went,  der  ougen  schin. 

da  volget  sin  und  herze  nach. 


E.  1042 
daz  herze  muoz  empfähen 
liep  oder  leit  vil  drate 
al  nach  der  ongen  rate: 
wan  swaz  den  ougen  sanfte  tuot, 
daz  dunket  ouch  daz  herze  guot 
und  ist  im  zware  wol  da  mite, 
herze  und  ougen  haut  den  site 
daz  si  gehellent  under  in. 


Der  Reinfrieddichter  fügt  dann  aber  zur  erklärung  noch 
hinzu: 

v.  534 

ein  ong  sich  mar  vergalten  dick  wider  sinen  willen  tuot 

sö  daz  ein  herze  umbehuot  an  unbesinter  minne. 

Engelhard  findet  auf  seiner  reise  nach  Dänemark  unter- 
wegs an  Dietrich  einen  gefährten;  beide  schliessen  innige 
freundschaft. 

£.  805   si  wären  zallen  stunden 
zesamene  gebunden 
mit  höher  minne  stricke. 

Aehnlich  heisst  es  später  von  Reinfried  und  Yrkane: 

R.  305R   wan  minne  mit  gedenken  bint 
si  beidiu  in  der  minne  stric. 

Die  Schönheit  Yrkanes  wird  wie  die  Engeltraut«  in  über- 
einstimmender weise  ausführlich  geschildert.  Doch  zeigt  sich 
hier  eine  herübernahme  von  gleichsam  formelhaften  Wendungen, 
in  denen  sich  Konrad  bei  darstellung  ähnlicher  Situationen 
gleich  bleibt.  Wir  können  nämlich  hier  auch  die  Schilderung 
der  Irekel  im  Partonopier  heranziehen. 


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STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIG, 


381 


R.  220 

ir  spilet  dz  den  ongen 
diu  niinne  mit  ir  stricke. 

1612 

wan  da«  küssen  hetzet 
mich  in  den  töt  mit  senfter  gift, 
sam  diu  Syrene,  so  man  schift 
bi  ir,  tuot  mit  der  stimme. 

2110 

ir  reidez  h&r  ir  ander 
der  vil  riehen  kröne  schein 
durliuhteclichen  reht  als  ein 
schon  durwünscht  gespunnen 

golt 

(vgl.  22510). 
2117 

Üz  wlzer  Stirnen  glizzen, 
reht  als  si  dar  gerizzen 
waren,  brüne  br&wen. 

2123 

. . .  ir  goltvarwez  h&r. 
nf  dem  schein  dnrlinhtic  klar 
golt  nnd  drin  gewieret 
edel  stein 

(schapel  v.2178.  2247). 


2144 

lanc  nnd  als  ein  slde  gel 
was  ir  har,  daz  verre  hienc 
für  den  gürtel,  »war  si  gienc. 

vgl.  26176 
gerispelt  reit  und  da  bi  val 
äz  reht  als  ein  side. 


2152 

diu  minnecliche  blüete 
durlinhter  denn  ein  mandel. 
an  ir  so  wart  kein  wandel- 
flecke nie  beachouwet 
(vgl.  3844  f.). 


E.  2231 

ein  spilender  ongen  blic 

da  von  ich  in  der  miuneu  stric 

also  krefteclichen  viel. 

2216 

si  tuot  als  diu  Sirene, 
der  stimme  ist  also  schoene  . . . 
(Troj.  2668  ff.  u.  ö.) 

vgl.  P.  8638 
ir  h&r  als  ein  gespunnen  golt 
schein  dnrliuhtic  über  al; 

vgl.  13565 
sin  här  .schein  als  gesp.  g. 


E.  2982 

d&  swebeten  brüne  bräwen  obe. 
3010 

man  sach  von  golde  ir  eine  snuor 
zeinem  schapel  üfe  ligen, 
diu  über  al  was  wol  gerigen 
vol  edeles  gesteines; 

vgl.  P.  8650 
sieht  und  wiz  diu  stirue. 

8667 

zwo  smale  brüne  br&wen. 

8683 

ir  goltvarwen  h&res  ... 

vgl.  P.  8640 
für  den  gürtel  hin  ze  tal 
sluogen  ir  die  zöpfe  lanc ; 

vgl.  Troj.  23244.  Part.  9430. 
Jänicke  zu  Wolfd.  D  8,  323,  3. 

E.  2998 

ir  lip  nach  edeles  herzen  gir 
in  hoher  wnnne  bluote; 

vgl.  P.  3348 
so  wjere  an  im  kein  breste  m§ 
gewesen  noch  kein  wandel. 
sin  jugent  als  ein  mandel- 
boum  in  £ren  bluote; 


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.382 


OBRERE 


R.  215« 
ir  1  i p  den  hat  betouwet 
alliu  salde  tougen. 


2194 

Yrkane  übertrifft  Jeschute  de  la 
Lander  an  Schönheit  de»  mundes. 

2208 

üz  dem  niündel  wart  gesehen 
zene  nä  helfenbeine. 
wize  dünne  und  kleine 
si  gewttnschet  waren  dar. 
sam  die  wilden  rösen  var 
lühten  lieht  ir  wen  gel, 
und  hienc  de»  hären  strengel 
ein  löckel  reit  da  bi  zetal. 


vgl.  Gold.  gm.  432 
von  dir  kam  der  mandel- 
kerne  durch  die  schalen  ganz. 

E.  2996 

diu  saelde  was  vil  manicvalt 
der  ein  wunder  lac  an  ir. 

vgl.  P.  7562 
mit  Salden  ist  betouwet 
iuwer  nam  und  iuwer  Mp. 

E.  2991 

Engeltrant  übertrifft  Isolde 
weisse  der  zahne. 

E.  29S9 

unde  stnonden  kleine  zene. 

vgl.  P.  8672 
dar  iune  sam  ein  helfenbein 
stnonden  kleine  zene  wiz. 

ir  wen  gel  wären  beide 
röt  alsam  ein  rösen  blat. 

dä  hiengen  zw£ne  löcke  reit 
ir  goltvarwen  häres  für. 

E.  2986 

ir  wangen  roeselehten  schln 
beide  gäben  alle  stunt. 

2970 

und  was  ir  här  genöte 

brun  unde  reit  bi  disen  zweiu. 


2220 

minneclioher  schoener  11p  schcene  und  minneclichgevar 

wart  nie  so  süezer  noch  so  guot  gemischet  als  milch  unde  als 
als  dä  man  milch  und  dä  zuo     was  ir  Hehtiu  varwe  guot.  [bluot 

bluot  3684 
in  rehter  mäze  mischet.  rent  als  e*n  milch  und  als  ein 

bluot 

vil  wol  gemischet  under  ein; 

vgl.  P.  8656 
reht  alse  milch  unde  bluot 
wiz  unde  röt  ir  varwe  schein; 
diu  zwei  ge mischet  under  ein 
stuonden  wttnneclichen  dä 
(vgl.  Troj.  3024). 

Vgl.  Jänicke  zu  Wolfd.  D  6, 100,  3.  Wackernagel,  Kl.  sehr.  1, 155. 
Wackeruell  zu  Hugo  v.  Montfort  5,  35. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUN 80 ITWEIG.  383 


2236 

da  bl  ein  kerz  ir  slehtin  kel, 
wizer  denn  ein  hermel. 


2248 

stirne  br&wen  öugel  klär, 
nase  mündel  tinne, 
huffei  wengel  kinne. 


225S 

so  durlinhtic  übe«  Tel 
wart  nie  noch  so  reine 
von  fleische  noch  gebeine 
swa  si  schein  vor  der  waete. 


hoch  nnd  kleine  brüste 
reht  als  ein  apfel  sinewel. 
wizer  denn  ie  krideniel  •) 
w*n  ich  daz  ez  w«re. 


E.  2994 

durlinhtic  wlz  ir  kele  schein. 

vgl.  3002 
ir  waren  bein  und  anne  sieht, 
ge wollen  als  ein  kerze; 

vgl.P.  12562 
ir  stirne  ir  ougen  unde  ir  kel, 
ir  nase  ir  raunt  ir  tinne, 
ir  wangen  unde  ir  kinne; 

vgl.  Trist.  923 
ir  här  ir  stirne  ir  tinne 
ir  wange  ir  mnnt  ir  kinne. 

E.  3039 
daz  man  dar  durch 
[durch  das  heinde]  ir  wize  hüt 

sach  linhten  bi  den  ziten. 

3044 

ir  senften  brüstelin 

als  ez  zwen  epfel  w»ren; 

vgl.  P.  156S 
unde  ruorte  ir  süezen  brüst 
diu  sam  ein  apfel  was  gedrät. 


Die  darstellung  der  Schönheit  Helenas  im  Troj.  19865  ff. 
bietet  ferner  sehr  viel  ähnliche  züge. 

Als  Reinfried  im  turnier  gesiegt  und  als  preis  turtel taube 
und  kuss  von  Yrkane  empfangen  hat,  führt  sie,  die  gleichfalls 
in  liebe  zu  ihm  brennt,  ihn  in  ein  zeit,  wo  sie  dann  beide  mit 
süssem  minnegeplauder  die  zeit  verbringen.  Bei  ihnen  ist  noch 
eine  treue  dienerin.  Vorsichtig  verlassen  alle  drei  nacheinander 
in  gewissen  Zwischenräumen  das  zeit.  Dennoch  hat  sie  ein 
dänischer  graf  beobachtet,  und  aus  dem  verwirrten  haar  Yr- 
kanes  ahnt  er  das  vorgefallene;  nur  geht  er  zu  weit  in  seinen 
Vermutungen,  indem  er  als  sicher  annimmt,  Yrkane  habe  ihr 
magdtum  preisgegeben. 

Auch  Engelhart  und  Engel  traut  bekennen  sich,  als  sie 
allein  sind,  ihre  liebe  und,  nachdem  Engelhard  in  einem  turnier 
in  der  Normandie  sich  als  siegreicher  ritter  gezeigt  hat,  gibt 


•)  Dieser  vergleich  nur  noch  Troj.  14000.  199&9. 


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384 


OERKKE 


sich  Engeltraut  ihm  hin.  Hierbei  werden  beide  vom  grafen 
Ritschier  entdeckt. 

Beide  grafen  sind  natürlich  im  höchsten  grade  eifersüchtig, 
machen,  was  sie  gesehen  haben,  bekannt  und  erklären  sich 
bereit,  für  die  Wahrheit  ihrer  behauptung  mit  dem  Schwerte 
im  gottesgericht  einzustehen: 

R.  6602  E  2422 

ze  velde  wart  der  tac  geleit  üf  einem  grüenen  plane  wH 

ftffen  einen  witen  plan.  ein  rieb  gestüele  wart  bereit, 

gestüelet  wart  dö  sunder  w&n 
nach  küneclicher  pflihte. 

Die  übliche  frist  von  sechs  wochen  vom  tage  der  fest- 
setzung  des  gottesgerichtes  an  wird  in  beiden  fällen  angegeben : 

6814  4119 
mit  urteillicher  lere 

wart  der  kämpf  gesprochen  und  wart  der  kämpf  gesprochen 
von  der  zit  sehs  wochen  schier  Uber  gehs  wochen, 

und  drige  tage,  so  man  seit, 
nä  kämpfe«  gewonheit, 

als  ie  dö  was  und  noch  ist  als  ez  was  billich  unde  reht. 

(vgl.  übrigens  Iwein  5756: 
nu  wart  der  kämpf  gesprochen 
über  sehs  wochen). 

Ein  gottesgericht  stellt  Konrad  von  Würzburg  auch  im 
Schwanritter  dar.  Mit  der  darstellung  im  Schwanr.  zeigt  der 
R.  manche  berührungen.  Die  ankläger  —  im  R.  der  dänische 
graf,  im  Schwanr.  der  fürst  von  Sachsen  —  sind  beide  so  her- 
vorragend tapfere  und  berühmte  ritter,  dass  sich  keiner  finden 
will,  der  es  wagt,  in  einer  so  heiklen  sache  ihnen  gegenüber- 
zutreten: 

R.  6754  Schwanr.  590 

nu  lepte  in  den  ziten  der  Sahsen  fttrste  hoch 

niht  reschers  ritters  denne  er  was.  schein  also  krefte  riehe 
da  von  er  vil  kleine  entsaz  daz  niender  sin  gellche 

daz  in  ieman  bestüende.  lebt  über  allez  Niderlant 

und  man  dekeinen  ritter  vant 


als  ellenthaft  ze  Sahsen. 

6760  <»04 

dö  diz  beschach,  der  künic  saz  der  künec  selber  trürec  wart, 

in  sorgen  jamerliche.  daz  man  dö  kempfen  solde, 

  wan  er  gelouben  wolde, 

...  in  der  zit  nie  ritter  swert 


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8TUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUN  SCHWEIG.  385 


nmb  den  lip  beerte, 
den  man  ze  bühurte 


bezzern  funde  denne  er  was. 


daz  nieraan  würde  funden 
sö  frecher  bi  den  stunden, 
der  für  die  fronwen  vsehte. 


Kummervoll  und  fragend  lassen  die  frauen  ihre  blicke 
umgehen,  ob  sich  denn  nicht  ein  kämpf  er  für  ihre  Unschuld 
finde,  vgl.  R.  6854—6875  und  Schwann  639—664. 

Im  R.  wie  im  Engelhart  kommen  die  kämpfer  für  Yrkane 
und  Engeltraut  im  letzten  augenblick  noch  eben  rechtzeitig 
an.  Beide  sind  ganz  weiss  gekleidet: 

R.  8569 


ein  banier  wizer  denn  ein  swan. 

da  mit  ad  was  ros  unde  man 

verdecket  an  der  zite. 

mit  wizem  semtte 

er  aller  in  ein  ander  schein. 


E.  4688 

der  fnorte  von  samite  blanc 
decke  und  kursit  wol  gesniten. 


Der  kämpf  beginnt;  er  wird  im  R.  wie  alle  anderen  ganz 
in  Konrads  weise  mit  denselben  formelhaften  Wendungen  dar- 
gestellt, lieber  diese  allgemeinere  nachalimung  später.  Jetzt 
möchte  ich  hier  nur  die  beiden  stellen  im  R.  und  E.  verglei- 
chen, in  denen  sich  doch  auch  charakteristische,  sie  von  den 
übrigen  kampfesschilderungen  unterscheidende  züge  finden. 


8897 

die  schilt  si  für  sich  drahten, 
diu  swert  si  höhe  zuhten. 


8908 

die  fiures  blicke  sprangen 
nach  der  siege  duzze, 
als  ob  der  donre  schuzze 
üf  ir  beider  helmes  tach. 
golt  und  edel  stein  man  sach 
risen  von  den  starken  siegen. 


9032 

mit  starken  siegen  Ionen 
wolt  er  mit  grimmer  herte 
dem  der  üf  in  berte 
alsam  er  war  ein  aneböz. 


4848 

die  schilde  für  sich  huoben 
ze  schirmen  die  vil  küenen. 

4830 

diu  swert  begunden  si  zehant 
zücken. 

4876 

üz  dem  gevegeten  Isen 

des  fiures  blic  höh  üfe  stoup. 

4815 

daz  des  braches  klac 

lüte  alsam  ein  donerslac. 

4874 

daz  von  den  stahelringen 
geschach  ein  michel  risen. 

4851 

ir  siege  waren  also  gröz 
daz  üf  einen  aneböz 
geschach  nie  groezer  tengein. 

25 


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im 


OERKKE 


Wie  Reinfried  von  seinem  gegner,  so  wird  Dietrich-Engel- 
hard  von  Ritschier  zuerst  niedergeworfen  (R.  9038  ff.  — 
E.  4908  ff.). 

Aber  Reinfried  und  Dietrich-Engelhard  erheben  sich  wider 
(R.  9046  ff.  —  E.  4921  ff.). 

Es  gelingt  ihnen  ihre  gegner  völlig  zu  besiegen,  deren 
leben  in  beiden  fällen  nur  durch  das  einschreiten  des  königs 
gerettet  wird.  Als  preis  fällt  jedem  sieger  die  dänische  königs- 
tochter  zu. 

Reinfried  führt  nun  seine  geliebte  heim.  Dir  abschied 
von  ihrem  vater  Fontanagris  (v.  11555  ff.)  erinnert  deutlich 
an  den  abschied  Engelhards  von  seinem  vater  (v.  338— 383), 
als  er  seine  reise  nach  Dänemark  antritt.  Beide  väter  geben 
ihren  kindern  gute  ratschlage,  insbesondere  den,  schlechte 
gesellschaft  zu  meiden:  R.  11730  vor  allen  dingen  fliehen  soll 
du  bces  gesellescliaß. 

Engelhards  vater  gibt  seinem  söhne  drei  äpfel;  wenn  ihn 
jemand  um  gesellschaft  bittet,  soll  er  ihn  damit  prüfen.  Er 
soll  ihm  einen  apfel  anbieten:  isst  er  diesen  ganz  allein,  ohne 
ihn  mit  seinem  geber  zu  teilen, 


min  kint,  du  soll  mit  ganzer  kraft     dar  under  ich  dich  biten  wil. 


sol  din  herze  niuwe 
mit  der  erbermde  halten. 

Beide  väter  sichern  ihren  kindern  zu,  dass  es  ihnen  gut 
gehen  wird,  wenn  sie  ihren  rat  befolgen. 


R.  11748 


£.  350 

so  mit,  vil  herzelieber  knabe, 
alle  sine  geselleschaft 

368 


dich  at«ter  tugent  flizen. 
in  demuot  verslizen 
solt  du  din  minnecliche  zit. 
zuht  bescheidenheit  diu  git 
dir  höhgelopte  wirde. 
bis  milt  in  herzen  girde: 
stiete  kiusche  triuwe 


daz  du  getriuwe  gerne  sist. 
hie  mite  du  dir  selben  gist 
vil  maneger  hande  werdekeit. 
triuw  ist  daz  beste  eren  kleit 
daz  den  friuntlosen  man 
in  dem  eilende  kan 
erfröuwen  unde  erhoehen  wol. 


11714 

wilt  du  in  din  herze  graben 
min  lere,  daz  bringet  dir  heil. 


384 


nnd  hast  dn  die  bescheidenheit 
daz  du  behaltest  min  gebot, 


ez  birt  dir  hulde,  sam  mir  got, 
und  bringet  dir  noch  swlden  vil. 


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STUDIEN  ZU  KEINKRIED  VON  HRAUNSCHWEIG.  38? 


Die  kinder  versprechen  auch  ihren  Vätern  gehorsam: 

R. 11785  E.  376 

si  sprach  'veterlin,  ich  wil  'vater'  —  sprach  er  —  'ich  ensol 

dir  nf  mines  todes  zil  niht  zebrechen  dinen  rat.' 

vollen  iemer  sunder  haz. 
8waz  du  hast  geraten,  daz 
wirt  von  mir  vollendet'. 

Was  der  dichter  von  Reinfried  und  Yrkane  nach  ihrer 
Vermahlung  sagt,  lässt  sich  vergleichen  mit  Engeln.  900  ff. : 

10788  900 

swä  wlp  üz  herzen  rume  wan  swa  daz  wip  beginnet  wegen 

tuot  schäm  g£n  liebem  manne  in  ir  herzen  mannes  tugent 

und  sich  diu  minne  danne  und  mit  gedenken  siue  jugent 

den  gilt  mit  glicher  schanze,  wil  mezzen  und  ergründen, 

da  hat  der  minne  lanze  da  kan  diu  minne  enzünden 

getroffen  und  beheftet.  herze  und  muot  dem  wibe 

nach  des  mannes  übe. 

R.  12658  ist  ein  förmlicher  abschluss  des  ersten  teiles,  und 
es  scheint  fast*  als  ob  der  dichter  ursprünglich  auch  nur  diesen 
ersten  teil  zu  dichten  beabsichtigt  hat: 

R.  12650  E.  6453 

ir  muot  ir  herze  klepten  gelücke  in  höhe  stiure  bot. 

ein  ander  in  dem  sinne  si  lebeten  beide  unz  an  den  tot 

mit  ungemischter  minne  fitBlichen  nnde  schöne, 

in  ganzer  liebe  schöne.  diz  heil  gap  in  ze  löne 

da  von  wart  in  ze  löne  ir  triuwe  der  si  wielden. 

hie  der  weite  pris  gegeben,  wan  si  ze  herzen  vielden 

und  dort  vor  got  daz  ewic  leben  gar  luterliche  stetekeit, 

daz  frö  frisch  iemer  m£  gestüt,  so  wart  in  weide  vil  bereit 

sö  erde  und  himelrich  zerg&t.  in  himele  unde  üf  erden. 

Ich  halte  es  auf  grund  dieser  parallele  für  gesichert,  dass 
der  Reinfrieddichter  bei  der  composition  der  Vorgeschichte 
seines  helden  sich  Konrads  Engelhard  zum  muster  genommen 
hat,  Er  hat  die  braut  fahrt  in  allen  wesentlichen  zügen  mit 
motiven  aus  diesem  epos  ausgestaltet  und  hierbei  engen  an- 
schluss  an  Konrad  gesucht. 

Selbständig  eingeführt  hat  er  eine  ganze  reihe  von  königen 

und  fürsten,  die  am  tumier  in  Dänemark  teilnehmen.  Deren 

namen  nun  wirft  er  beständig  durcheinander.   Ich  führe  die 

betreffenden  steilen  an. 

v.  740  mit  im  der  künic  Palarei, 

die  hat  gefüeret  Uber  mer  des  herze  ie  na  triuwen  schrei, 

25* 


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388 


OBRERE 


wan  im  kein  laater  was  bekant. 
dar  was  der  künc  von  Engellant 


938 

der  junge  künic  Palarei, 


ouch  komen  hin  mit  grözer  raaht,       an  schänden  gar  der  trage. 


Hier  ist  also  Palarei  könig  von  Norwegen  (ebenso  564. 
1859.  2725)  und  Florin  (oder  Floris)  könig  von  England  (ebenso 
1178.  1813.  2728);  nichtsdestoweniger  heisst  es  v.912  nu  hm 
dort  üf  der  Heide  Palarei,  künc  von  Engellant 

Total  verwirrt  aber  sind  die  namen  an  folgenden  stellen: 
v.  288  ff.  von  Schotten  ±den  künc  Löris,  Lei  an  von  Berbester 
[s.  Troj.  23921:  Lerant  von  Schotten;  der  name  Berbester  stammt 
wol  aus  Wolfr.  Wh.  329, 15.  397, 17;  vgl.  Wolfr.  Tit.  42, 2],  ein 
herzog  von  Wintsester  Partus  der  fürste  ziere,  v.  575  ff.  Löris 
der  Schotten  vogt,  Parins  ein  vil  werder  degen,  der  herzog  üz 
Berbester,  Jörän  von  Wintsester,  v.  750  ff.  Löris  der  künc  ge- 
hiure  von  Schotten,  Fontdnägris  von  Tenemark,  Jörän  von  Ber- 
bester, der  herzog  uz  Wintsester,  v.  1057.  1417.  2729  Parlus  von 
Schotten,  v.  1507  Parlus  von  Wintsester,  v.  1529  Turnis  von 
Berbester. 

Schliesslich  möchte  ich  hier  noch  die  Übereinstimmung  des 
Schlusses  des  R,  mit  einer  grösseren  partie  des  Engelhard  con- 
statieren.  Die  insel  nämlich,  an  die  Reinfried  auf  der  heim- 
fahrt vom  stürme  verschlagen  wird,  ist  ganz  ähnlich  geschil- 
dert wie  die,  auf  der  der  miselsüchtige  Dietrich  sich  aufhält. 
Beide  inseln  sind  mit  den  herrlichsten  bäumen  und  kräutern 
bewachsen,  die  vögel  singen  ihre  schönste  sommerweise ;  denn 
der  mai  ist  gekommen. 

Uebrigens  finden  sich  ähnliche  Schilderungen  auch  in  der 
Klage  der  kunst,  im  Partonopier  und  im  Trojanerkrieg: 


wan  der  meige  enboereu 
von  abreiten  wolte; 

vgl.  Kl.  2,  7 
der  meie  het  da  wol  sin  gras 
geroeset  und  geblüemet. 


Flörin,  der  ie  nä  eren  vaht. 


(er  was  ze  Norwaege 
gewaltic  künic  nnde  vogt), 
kam  ftf  die  heide  onch  gezogt. 


R.  27514 
manic  vogel  snoze 
sin  stimme  lie  dä  beeren, 


E.  5326 

der  liehte  süeze  meie 

was  komen  dö  mit  siner  maht. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  389 


R.  27524 
kleiner  vogel  rangen 
sich  rüsten  uf  ein  singen, 
die  des  winters  twingen 
tet  in  sorgen  swigen: 
die  hörte  man  üf  stigen 
nü  in  hohem  lnfte 
mit  frönden  richem  gufte, 
wan  ir  sorge  was  da  hin ; 

vgl.  Kl.  3,  7 
da  sazen  vogel  ufe  gnot 
und  snngen  süeze  wise; 

Troj.  16504 
da  mange  süeze  wise 
diu  vögellin  üf  singent. 


R.  27544 

üz     gruenen    bollen  schone 

kloup 

sich  manic  minneclichiu  bluot. 
swaz  ougen  ören  sanfter  tnot, 
des  sach  und  hörte  man  hie  kraft 

[vgl.  17155 
sit  herzen  ougen  sanfter  tuotj; 

vgl.  Kl.  3, 3 
man  sach  da  lachen  wize  bluot 
uf  dem  grüenen  rise; 

Lied  (Bartsch)  20, 3 
üzer  bollen  schöne  sliufet 
manger  lösen  blüete  kluft. 

R.  27588 
ein  küeler  brunne  flöz  da  na 
des  runs  gap  klingelenden  val. 
dur  hurst  und  stüden  hin  ze  tal 
er  sich  wünneclichen  lie. 
Reinfrlt  der  höchgeborne  gie 
durch  kurzewil  dem  wazzer  nach. 
27594 

im  was  ze  kapfende  so  gach 

an  bluomen  bluot  und  kriuter  smac. 


E. 5333 

und  hffiten  sich  gehüset  drin  (im 

laute) 

diu  wilden  waltvogelln 
vor  der  hitze  durch  gemach. 

ir  niuwen  sumerwlse 
erklancten  si  dar  under 
ze  wunnen  und  ze  wunder 
und  triben  des  gnuoc  unde  vil; 

vgl.  P.  13284 
der  meie  hete  dö  gevröut 
mit  der  liehten  kttnfte  sin 
diu  wilden  waltvogelln, 
dar  umbe  alda  ze  prise 
ir  stiezen  sumerwlse 
wurden  lüte  erklenket. 
si  heten  sich  gesenket 
in  die  schcenen  boumes  bluot 
und  liezen  süeze  stimme  guot 
des  males  hellen  über  aL 

E.  5330 

üz  grüenem  loube  glesten 
sach  man  die  snewize  bluot 

5342 

der  ören  und  der  ougen  spil 
was  da  vil  harte  manecvalt; 
vgl.  1045 

wan  swaz  den  ougen  Banfte  tuot 

(1198). 


E.  5322 

hie  mite  kam  er  durch  daz  gras 
geslichen  zuo  dem  brnnnen  kalt. 

5344 

der  brunne  lüter  unde  kalt 
gienc  rüschende  unde  klingende. 

5356 

wazzer  bluomen  unde  gras 
sach  er  mit  vollen  ougen  an. 


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390 


GERKKE 


vgl.  Troj.  16510 
ein  brnnne  lüter  unde  kalt 
üz  einem  velse  gät  derbi. 

16518 

ez  klingelt  üz  dem  steine 
ze  wünsche  in  unser  ören. 

R.  27604 
sin  herz  und  sines  libes  Uder 
hatten  von  der  arbeit, 
so  er  nf  dem  wazzer  leit, 
gröze  müede  an  sich  genomen. 
da  von  ein  släf  begunde  im  komen 
daz  er  in  die  bluomen  seic. 


vgl.  P.  13276 
ein  herberg  unde  ein  obetAch 
was  ime  alda  gewunnen 
bi  eime  kalten  brunnen, 
da  grüene  boume  stuonden  obe. 

£.  5422 

und  was  von  deme  gange 
den  er  zuo  dem  brunnen  gie 
so  gar  unmehtic  worden  hie 
daz  er  entslief  nach  siner  klage- 


alsus  der  ftirste  wert  entslief. 


b)  Kampfesschilderungen  im  Reinfried 
und  bei  Konrad. 

Bevor  Konrad  seine  ritter  zum  turnier  oder  zum  kämpfe 
reiten  lässt,  werden  wir  erst  bis  aufs  genaueste  über  ihre 
rüstung  informiert  Ebenso  ist  es  im  R. 

Wir  besitzen  von  Konrad  ein  gedieht,  dessen  hauptinhalt 
eigentlich  solche  Schilderungen  des  waffenschmuckes  der  ritter 
ausmachen;  ich  meine  das  turnier  von  Nantes,  das  ja  auch  die 
spätere  wappendichtung  einleitet.  Die  Übereinstimmung  mit 
den  entsprechenden  partien  des  R.  ist  ausserordentlich. 


R.  832 

man  sach  daz  in  die  schilte 

geteilet  wären  in  zwei  vach, 

von  obene  dur  des  randes  tach 

gchalbieret  dur  den  spiz. 

von  Arabi  gap  liebten  gliz 

daz  ein  vach  von  drin  stücken. 

daz  golt  sich  underdrttcken 

niht  14t  mit  keinem  glaste. 

von  zobel  glizzen  vaste 

driu  ander  stucke  gezilt. 

so  fuorten  si  den  halben  schilt 

geworht  mit  hohem  filze. 

von  finen  berlen  wize 

was  daz  ander  überleit, 

und  was  nä  wünsch  dar  in  gespreit 

von  rubin  rot1)  ein  halber  ar; 


T.  398 

der  herzog  einen  tiuren  schilt 
von  zweier  varwe  stücken 
für  sich  begunde  drücken 
nach  ritterlichem  rehte. 
sin  halbez  teil  strifehte 
von  zobel  und  von  golde  waa; 
daz  ander  stücke,  als  ich  ez  las, 
erschein  durliuhtic  wiz  hermin, 
und  waa  von  röten  kelen  drin 
geleit  ein  halber  adelar; 


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STUDIEN  ZU  REINFBI  ED  VON  BRAUNSCHWEIG.  391 


den  schilt  den  fnorte  er 
verdecket  mit  hermine, 
dar  öi  in  Hentern  schine 


vgl.  T.  434 

ein  glanzer  adelar  »ich  böt, 
der  was  von  lichten  kelen  rot,1) 
und  schein  daz  velt  wiz  als  ein  sne. 


R.  866 

«ins  helmes  tach  zwen  wedele 
von  phäwen  hant  bedecket, 
in  schrankes  wis  gestrecket 
heten  si  sich  be  van  gen. 
von  golde  lieht  die  Stangen 
üf  den  wedeln  glizzen. 


922 

üz  Aräbie  was  sin  schilt 
von  glanzem  golde,  als  ich  ez  las. 
von  rubin  lagen  drin  gespreit 
entwerhes  dri  leparten. 
man  sol  dem  herren  zarten, 
der  alsus  keiserlichen  vert. 


R. 1008 

da  von  er  sich  bekleidet  hat 
in  State  varwe  läsürblä.*) 

R.  1482 
von  golt  ein  liehter  pfelle 
was  sin  covertiure, 
und  was  nä  höher  stiure 
von  kelen  rot  dar  in  geleit 


E. 2522 

eins  phawen  zw€ne  wedele 
fuort  er  üf  sinem  helme  guot. 

T.408  =  Schwanr.916 
der  fürste  wol  gezieret  gar 
üf  sime  glänzen  helme  kluoc 
üz  eines  phawen  zagele  truoc 
zwo  wünnecliche  Stangen 
bedaht  und  nmbevangen 
mit  golde  lieht  und  edele 
biz  an  die  zwene  wedele 
der  phäwenspiegel  viderin, 
die  glänzen  wunneclichen  schin 
üf  der  planie  bären. 
die  8  tan  gen  beide  wären 
üf  den  heim  durch  liehten  pris 
geschrenket  schöne  in  criuze- 

wls. 

T.  310 

mit  golde  lieht  von  Aräbin 
was  im  [dem  schilde]  sin  velt  be- 
decket, 

und  wären  drin  gestrecket 
entwerhes  dri  leparten, 
der  glaste  mnoz  ich  zarten 
und  ir  gezierde  reine  . . . 
und  wären  üz  rubinen 
nach  höher  wirde  löne 
geleit  zein  ander  schöne. 


T.  360 

er  fuorte  von  samite 
liehtiu  wäpenkleider  an, 
dar  üz  golt  und  gesteine  bran 
kostbaere  und  üzer  mäzen  fin. 


«)  Vgl.  R.  1485  von  kelen  rot  T.  377  von  rubinen  rot  Part.  20536 
von  röten  kelen  was  dar  in  gesniien  manec  adelar. 

')  läsürbla  und  Idsürvar  bei  Konrad  sehr  beliebt;  vgl.  £.2507.  2540. 
T.  251.  479.  626.  670.  Part  908.  5214  U.Ö. 


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392 


GEREKE 


üf  schiltes  tach  und  wäfenkleit 

eins  löwen  bilde  griramende 

nnd  üf  ze  berge  klimmende 

reht  alsam  er  lepte. 

umb  den  löwen  swepte 

ein  »mal  gezieret  schiltes  rant. 

vun  golde  rieh  der  strich  erkant 


umb  des  schilte«  renke, 
die  des  löwen  pflägen, 
von  saphiren  lagen 
liljen  klein  dar  in  geworht. 

von  dem  striche  rtieren 

sach  man  die  bluomen  uz  und  in. 

1522 

von  golde  lieht  eins  helmes  tach 
zwei  horn  häten  bedecket. 

17066 

von  golt  ein  liehter  ciclat 
mit  edeln  steinen  schön  durbriten 
was  sin  covertiur  gesniten. 


zwivalteclicher  varwe  schln 
mit  golde  sinen  schilt  bevienc. 
ein  rant  geblüemet  drnmbe  gienc 
so  rot  als  ie  kein  röse  erkant. 
ouch  was  en mitten  üf  den  rant 
geleit  ein  güldin  strickelin. 
die  bluomen  sach  man  üz  und 
die  von  dem  rande  lühten  [in, 
und  alse  liljen  dühten 
gestellet  an  ir  bilden, 
der  schilt  mit  einem  wilden 
löuwen  stuont  verdecket, 
der  was  in  golt  gestrecket 
und  lühte  von  rnbiuen  rot. 

T.  488 

sin  heim  was  mit  zwein  hörnen 
gezieret  wol  in  fursten  wis. 

T.  302 

er  fuorte  liehten  cyclat 
der  mit  golde  was  gebriten, 
dar  üz  sin  wäpenroc  gesniten 
und  sin  covertiure  was. 


Von  den  rossen  heisst  es:  R.  1010  ein  grözez  ros,  was  apfel- 
grä;  dazu  vgl.  Part.  11820  sin  vartee  diu  tvas  apfelgrd,  Schwanr. 
864  vil  schöne  grts  und  apfelgrä,  so  seficin  das  ros  von  melier 
ort]  ferner  R.  414  gröziu  ros  sware  ah  ein  bech,  ein  vergleich, 
den  ich  häufig  nur  bei  Konrad  belegt  finde,  vgl.  Schwanr.  904 
(das  ross)  lühte  alsam  ein  stvarzez  bech;  sonst  von  der  rüstung 
gesagt:  E.  4692.  T.  447.  P.  21004.  Troj.  11992,  einmal  auch  vom 
bären:  P.  18258;  vgl.  auch  Veldekes  Eneide  5265  (vom  schwänz 
des  rosses),  und  Heinr.  v.  Neustadt,  Von  gottes  Zukunft  6517 
(vom  teufel). 

In  allen  turnier-  und  kampfschilderungen  bedient  sich  der 
dichter  des  R.  derselben  formelhaften,  typischen  Wendungen, 
die  er  aus  Konrad  entlehnt  hat. 

Das  ansprengen  der  kämpfer  wird  wie  folgt  dargestellt: 


R.  1024 
und  als  der  wandels  frie 
üf  in  gehört  das  kapfen, 
man  sach  in  drate  stapfen 
gen  im  üf  ein  tjoste. 


E.  2572 
des  wart  üf  den  vil  klaren 
genuoc  und  vil  gekapfet. 
swenne  er  kam  gestapfet, 
so  sprächen-  algemeine  . . . 
kapfen  :  stapfen  Part.  16089.  Troj.  12775. 


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STUDIEN  ZU  BEINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG, 


393 


R.  1714 

» 

schöne  deflorieret 
sach  man  si  zemen  stapfen, 
ez  solte  niemen  kapfen 
dem  andern  dö  dar  füeren. 

2011.  23075  gekapfet :  gestapfet. 

17300 

und  kämen  geleisieret  her, 

niht  als  si  riten,  als  si  fingen. 

1080 

din  ors  zesamen  dneten 
reht  als  ob  si  beide  flugen. 

17142 

sin  vart  niht  gie,  er  kam  geflogen. 
Tgl.  884  f.  1044  ff.  17338  f. 

20144 

er  fnor  in  dem  strite 

alsam  in  rör  din  windes  brut 

Ulli 

von  ietweders  ringe*  ort 
sach  man  si  bede  sprengen, 
den  orsen  bede  hengen 
si  künden  gen  dem  jnste. 

886 

diu  bein  sach  man  si  biegen 
da  neben  zuo  den  lenken. 

17308 

in  orsea  spninc  diu  bein  si  bugen. 
892 

man  sach  diu  ors  erspringen 
sam  in  dem  walde  hirzetier. 
1011 

daz  (ors)  lief  in  sprungen  sam 

ein  tier. 

1720 

ir  hurteclichez  riten 

tet  anger  plan  erzittern. 

17312 

wan  daz  man  heide  und  anger  wagen 
spurt  von  dem  starken  loufe. 

1732 

dö  wurden  liehte  rösen 

und  bluomen  vil  zertrettet. 


E. 4770 

diu  ros  diu  liefen  niht,  si  fingen 
noch  vasterdanne  ein  windes  brut. 

E.  2774  f.  Part.  20720  f.  Troj.  12527. 
18935.  24710  vergleich  mit  der  Winds- 
braut. 

T.  742 

man  hörte  banier  snurren 
als  ein  rör,  daz  in  den  brnoch 
der  wint  mit  stürme  neiget 
(vgl.  Part  15948  ff.  20676  ff.). 

E.  2700 
dö  wart  vil  snellecllche 
den  rossen  wol  verhenget 
und  üf  das  velt  gespreuget 
von  den  zwein  werden  rotten. 
Troj.  3890  ff.  12213  f.  Part.  5681  f. 
T.  748 

üf  und  zetal  begonde  sich 

vil  manic  Schenkel  biegen. 

P.  13798  f.  161 16  f. 

Schwanr.  905 
lief  ez  (das  ross)  als  ein  snellez 
T.942.  P.  13711.  19423.  fwilt. 

Troj.  3793 
und  gienc  in  sprungen  sam  ein 

tier. 

Schwanr.  954 
der  plan  der  mohte  erkrachcn 
durch  der  snellen  rosse  louf. 


E.  2592 

die  bluomen  und  daz  grtine  gras 
vertreten  wurden  sere  dö. 


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394 


GEREKE 


8940 

liehte  bluomen  roßten 
si  mit  bluote  künden. 

17496 

bluomen  gras  betouwet 
von  blnote  »war  si  traten. 

2U430  f. 

1828 

din  ors  befunden  roten 
von  bluote  zuo  den  siten. 

8942 

wan  si  vil  scharpfer  wunden 
sluogen  bi  den  ziten 
den  orsen  in  die  siten. 

1036 

für  sich  er  droht  des  schiltes  tach. 
1066 

den  schilt  er  zuo  der  brüste 
gar  ritterliche  drahte. 

8897. 

888 

ir  sper  si  künden  senken. 
1038  f.  8872.  17 304  f. 

Jetzt  prallen  die  kämpfer 
splittern: 

897 

me  dan  in  tüsent  stücken 
sach  man  die  sprizen  fiücken 
höh  nf  in  den  lüften. 

1048 

und  stächen  daz  die  scherte 
in  kleine  sprizen  höhe  flugen. 

1089 

Bi  beid  vertaten 

diu  sper,  dazs  höhe  waten 

in  den  lüften  klein  zerschivert 

und  man  die  tranzen  gar  zerrivert 

sach  ob  den  helmen  fliegen. 

7332 

den  luft  mit  tranzen  zieren 

sach  man  von  dürrer  schefte  krach. 

8876  ff.  17324  f. 


T.  756  f.  Troj.  3986  ff. 

Part.  6174 
daz  grüene  gras  mit  blnote  röt 
wart  geverwet  und  daz  mos. 
14528  f. 


E.  4766 
daz  in  daz  blnot  zen  siten 
üz  begunde  dringen. 

T.206.  763.  P.5258.  13668.  14219. 
15868.  Troj.  3895.  12216.  12636. 


Schwanr.  906 
der  herzog  einen  tiuren  schilt 

dö  für  sich  künde  drücken. 
T.  200 

die  sper  si  vornen  sancten. 
aufeinander;  ihre  Speere  zer- 

E. 2603 
daz  diu  kleinen  stückelin 
üf  in  der  liehten  sunnen  schin 
begnnden  stieben  als  ein  melm. 

Schwanr.  982 
die  schefte  in  kleiniu  stückelin 
unde  in  spame  sich  zerclnben, 
so  daz  ab  in  ze  berge  stuben 
die  schivern  und  die  sprizen. 

P.  13674 
.  .  .   daz  diu  sper 
kluben  sich  ze  sprizen, 
daz  da  von  die  wizen 
schivern  in  die  lüfte  flugen. 

20022.  21348.  Troj.  8933.  12230 
u.  ö. 


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8TÜDIEN  ZU  KEINFRIED  VON  BBAUNSCHWEIG. 


395 


11308 

gi  gäben  nnde  leisten 
herter  siege  swieren  zins. 

8924  ff. 


P.  20020 
si  gäben  herteclichen  zins 
ein  ander  mit  den  scheften. 


Bei  dem  heftigen  anprall  stürzen  die  ritter  meist  von  den 
rossen;  bisweilen  aber  hält  doch  einer  den  stoss  aus: 


T.  840 

als  ob  da  stüende  ein  st  eines  want, 
alsus  enthielt  er  under  in. 


1012 

der  werde  ritter  zier 
saz  alsam  ein  vestiu  want. 

11278 

von  dem  satel  er  sich  wegen 

lie  minre  denne  ein  Steines  want. 

17095.  17830. 

Wenn  sie  die  Speere  vertun  haben,  greifen  sie  zu  den 
Schwertern: 

8898  E.  4830  [zücken, 

din  swert  si  höhe  zuhten.  din  swert  begnnden  si  zehant  | 

Des  kämpf  es  getöse  ist  gewaltig: 

902 


reht  als  der  dnnre  schnzze, 
so  wart  ein  schal  und  ouch  ein  krach. 
8910 

als  ob  der  donre  schnzze 
üf  ir  beider  helmes  tach. 

17352 

wan  ir  stich  gap  krache 
heller  denn  ein  donreslac. 

7354  ff.  20376  f. 

1784 

sine  siege  helle 

dar  die  wölken  dnzzen. 

2872  f. 

1800 

man  hat  in  kurzer  lenge 
von  im  ein  groz  getengel. 


9034 

dem,  der  üf  in  berte 
alsam  er  war  ein  aneboz. 


£. 4814 
si  diu  aper  zerstächen 
so  vaste  daz  des  braches  klac 
lüte  alsam  ein  donerslac 
der  spaltet  daz  geböume. 

Troj.l2242f. 


T.  818 

daz  in  den  wölken  wider  hal 
der  swerte  griuwelicher  döz. 

E.  4852. 
üf  einen  aneboz 
geschach  nie  groezer  tengein. 

2728  ff.  T.  812 
do  huob  sich  gröz  getengel. 

T.  794  ff.  Troj.4076.  12804. 
P.  14327 
mit  swerten  und  mit  bengeln 
huob  sich  ein  solich  tengein 
und  slahen  üf  in  also  gröz, 


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396 


GEREKE 


»am  sich  fif  einen  aneböz 
erhebet  in  der  «mitten 
(Parz.  152,5.  537,27.  112,28.  21»,  4.  j.  Tit  3897.  4203). 

Auf  heim  und  schild  sausen  die  schwertechläge  nieder: 


175« 

uz  helmen  lieht  gehouwen 
wurden  finres  blicke. 

1786 

von  den  helmen  schuzzen 
des  wilden  finres  gneisten. 
11304 

des  wilden  fiures  blicke 
sach  man  nz  helmen  dringen, 
von  siegen  höhe  springen 
flammelicht  gneisten. 

20482 

von  wildem  fiure  manic  branst 
uz  helmen  hert  von  swerten  stonp. 
9016  f.  20402  f. 
20508 

man  moht  an  dem  finre, 
daz  si  uz  helmen  sluogen 
mit  swerten  diu  si  truogen, 
schoube  hän  enbrennet. 

17354 

v inster  wart  der  liehte  tac 
in  beiden  under  helme, 
wan  si  von  dem  melme 
ein  ander  lützel  sahen. 

17368 

ob  ir  helmen  huob  sich  tampf 
alsam  ein  starker  dicker  nebel. 
daz  wilde  fiur,  als  ez  von  swebel 
war  enpfangen  und  enbrant, 
wart  tif  helmen  dicke  erkant. 

(zu  meint  vgl.  am  Schlüsse  unter 
Wortschatz). 

1752 

golt  und  gestein  unwerde 
uz  schilten  wart  gekloezet. 

1808 

ei  waz  sin  swert  verrGrte 
siden  golt  und  steine! 


E.  4776 

uz  herten  steinen  wart  geslagen 
daz  wilde  fiur  an  manegen  steten. 

4876 

üz  dem  gevegeten  Isen 
des  fiures  blic  höh  üfe  stoup. 
T.  794 

dö  Sprüngen  fiures  flammen 
uz  helmen  also  gröze. 
P.5310.  14460.  21725.  Troj.  3958. 
12584. 


E.  4780 

da  weere  ein  kerze  wol  enznnt 
von  den  ganstern  unde  ein  schoup. 


E.  4782 
ei  wie  nach  in  beiden  stonp 
daz  fiur  und  der  vil  starke  melm! 

T.  854 

stoup  und  ouch  gesteine  mel 
um  in  ein  vinsternisse  gap. 
1038. 

P.  21734 
dö  wart  von  stoube  ze  der  zit 
ein  trtiebez  wölken  unde  ein  nebel. 

15180 

wan  diu  malie  wart  so  gröz 
und  des  dicken  stoubes  melm, 
daz  man  enweder  schilt  noch  heim 
erkennen  mohte  drunder. 

E.  4874 
daz  von  den  stahelringen 
geschach  ein  michel  rlsen. 

T.  798 

golt  und  gesteine  risen 
begonde  nider  uf  den  plan. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  397 


8912 

golt  und  edel  stein  man  sach 
risen  von  den  starken  siegen. 
17434  ff.  17462  ff. 

17466 

ab  beden  schilten  spane 
wurden  da  gehonwen. 


P.  15492 
gesteint'  pnrpur  unde  golt 
wart  verrGret  und  versniten. 
14530.  21730.  Troj.  12746. 

E.  4880 

so  viel  da  nider  balde 
von  den  Schilden  manic  spän. 
P.  20052.  T.910.  Troj.  3972.  12748. 


Findet  ein  massenturnier  statt,  so  bilden  sich  zwei  Par- 
teien, deren  jede  ihren  ftthrer  wählt:  R.  1450  ff.  P.  14054  ff. 
T.  256  ff. 

Bevor  das  turnier  beginnt,  wird  eine  messe  gehalten: 


1446 

vil  schiere  wart  gesungen 
in  ein  schceniu  messe, 
dar  näch  vil  manic  presse 
sich  rüste  üf  den  tumei. 

(zu  presse  vgl.  am  Schlüsse  unter 
Wortschatz). 


T.  252 

dö  wart  gesungen  schiere  dä 
mit  filze  ein  schoeniu  messe 
der  ritterlichen  presse. 

P.  14046 
da  sanc  ein  werder  kapelän 
in  eime  gezelte  messe 
der  kristenlichen  presse. 


Der  kämpf  entwickelt  sich: 

1728 

bl  ellenthafter  krefte 
sich  schar  und  schar  verwurren. 
man  hört  die  siege  snurren 
und  in  den  lüften  dösen. 

20150 

er  kerte  hin  da  sich  diu  wip 
vast  ze  strite  wurren. 
sin  siege  hört  man  snurren 
mit  ritterlichem  gufte 
höh  üf  in  dem  lüfte. 


1724 

man  sach  die  rotten  flehten 
sich  vaste  in  ein  ander. 


E.  2704 

die  Riuzen  und  die  Schotten 
zein  ander  sich  dö  wurren. 

T.  740 

die  schar  nach  höher  wirde  lobe 
ze  samene  sich  dä  wurren. 
man  hörte  banier  snurren  (vgl. 760). 

Troj.  12233 
banier  sach  man  da  snurren 
des  sich  die  rotten  wurren. 

P.  15433 
kämen  alle  zuo  geflogen, 
als  man  die  pfile  von  dem  bogen 
siht  Huschen  unde  snurren. 
si  flähten  unde  wurren 
zein  ander  sich  mit  höher  kraft. 

Troj.  12322 
die  schar  sich  nnderdrungen 
und  flähten  in  ein  ander  sich. 
T.  1006  f. 


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398 


GEKEKE 


Dem  tapferen  ritter  gelingt  es  sich  bahn  zu  brechen  durch 
die  kämpfenden  scharen: 


1806 

ez  wart  ein  witiu  sträze 
in  enge  swar  er  kerte. 

1864 

er  künde  üz  engem  fnrte 
ouch  houwen  wite  gazzen. 
11297 

in  engen  hüfen  machen 
«ach  man  in  gröze  wite. 


1878 

da  sach  man  spalten 
die  rotten  sunder  blten. 

1802 

alsam  die  hanfstengel 

sach  man  die  rotten  spalten. 


E.  2738 
Engelhart  reit  wider  in 
slahende  unde  stechende 
und  eine  sträze  brechende 
durch  die  ritterlichen  schar. 

Troj.  12598 
da  wart  von  im  ein  sträze 
gehouwen  dur  die  ritterschaft. 
T.  776 

mit  orse  nnd  ouch  mit  banden 
maht  er  im  selben  witen  rfini. 
e  r  s  p  i  e  1 1  die  schar  alsam  den  scbüm. 
890 

die  schar  zecloup  er  und  zespielt. 


Mit  grossem  eifer  wird  auf  beiden  Seiten  gefochten: 

T.  826 

dö  wart  vil  manic  stegereif 


erlwret  unde  satelboge. 


1750 

man  sach  dä  mangen  Teilen 
von  orse  uf  die  erde. 

1754 

vil  setel  man  enbloezet 
moht  uf  dem  plane  schouwen. 
7336 

vil  setel  wart  geheret 
von  der  ponder  juste. 

1804  f.  11354  f.  12378  f.  etc. 

So  ist  es  auch  das  ende  eines  Zweikampfes,  dass  einer  der 
beiden  ritter  zu  boden  stürzt: 


1054 

der  frouwen  ritter  der  lac  da 
von  dem  orse  wol  hin  dan 
und  was  gevallen  uf  den  plän. 

11348 

sö  sach  man  jenen  hinder  sich 
über  den  satel  bürzen. 

20361 

und  valte  vil  unwerde 
mangen  ze  der  erde. 


P.  15918 
des  nam  er  einen  swinden  val 
ab  dem  orse  kttene. 

13885 

.  .  .  valte  in  uf  den  anger  dö. 
13898  f. 

T.  216 

. . .  daz  er  zehant  genicket 
wart  üz  dem  satele  hinder  sich 
und  in  der  ungefüege  stich 
mit  kraft  und  mit  gewalte 
zuo  der  plänie  valte. 


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STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIO.  390 


Wie  der  dichter  uns  öfter  nach  gewohnheit  aller  höfischen 
dichter  versichert,  es  habe  auf  erden  nichts  dem  erzählten 
ähnliches  gegeben,  so  erinnert  er  uns  ganz  besonders  hier, 
dass  man  nie  einen  besseren  und  grimmigeren  streit  gesehen 
habe  als  den  eben  geschilderten: 


8920 

daz  (*  noch  sit  den  ziten 
so  hertez  kempfen  nie  geschach. 

17366 

ich  wsene  daz  mit  swerten 

ie  geschtehe  so  guot  kämpf. 

17494.  20092.  20468.  20535.  25536.  25582. 


P.  20062 
daz  man  nie  zwene  ritter 
gesach  ze  keinen  ziten 
so  grimmeclichen  striten. 


c)  Sonstige  anklänge. 

lieber  die  entlehnung  von  bildern  und  vergleichen  aus 
Konrad  vgl.  unten  abschn.  III,  A,  I,  i. 

Partonopier. 

Von  anklängen  vereinzelter  stellen  im  R.  und  im  P.  nenne 
icli  folgende: 


R. 6496 

wie  sol  ez  armen  mir  ergan, 
sit  daz  der  schänden  rlche 
also  lugeliche 
mtere  üf  mich  stempfet? 
wird  ich  überkempfet,  .  . . 


13173 

sus  lihte  klage  sunder  nit 
nnd  bete  treip  si  alle  zit 
tac  nnd  naht  an  underläz  [sträz, 
se  bett  ze  tisch  ze  weg  ze 
si  gie,   si  stuont,  si  lac,  si 

saz, 

daz  si  der  bete  nie  vergaz 
eine  kleine  stunde. 


P.  4036 
wan  derselbe  tac  dar  zuo 
von  alter  ist  gerihtet, 
daz  man  gerne  vihtet 
an  im  unde  kempfet. 
mit  lügen  ist  gestempfet 
niht  diz  wäre  niaere.1) 

5576 

si  künden  wol  gebaren 
als  uz  erweite  kempfen. 
die  rede  wil  ich  stempfen 
niht  mit  lttgenmwren. 


vor  disen  dingen  allen 
gebiute  ich  nnde  räte  dir, 
daz  du  »ist  getriuwe  mir 
und  du  min  niht  vergezzest. 
du  trinkest  oder  ezzest, 
du  solt  an  mich  gedenken 
und  niht  von  mir  enwenken. 


»)  Schon  bemerkt  von  Bartsch,  anm.  zn  R.  6498. 


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400 


OEREKE 


13216 

er  enwacbete  noch  slief 

wan  daz  er  lac  in  twalmes  art. 


664 

nu  wachet  unde  slief  er 
»am  der  in  einem  twalme  lit. 


Zwei  scenen  haben  im  R.  und  im  P.  eine  überraschende 
ähnlichkeit  in  der  ausführung.  Der  junge  persische  fürst  hat 
einen  Zweikampf  ausgeboten,  den  Reinfried  annimmt;  nun  lässt 
sich  der  Persän  durch  keine  bitten  seines  grossvaters  von 
diesem  kämpfe  abbringen.  Ebenso  dringt  Partonopier  darauf, 
unter  allen  umständen  mit  dem  sarrazenischen  fürsten  Sorna- 
giur,  der  zum  Zweikampf  herausgefordert  hat,  zu  fechten  und 
ist  durch  nichts  zum  verzieht  zu  bewegen: 


R.  17025 
bub  der  fürst  genendic 
wolt  des  kämpfe*  wendic 
umb  keine  Bache  werden, 
'ich  liez  mich  in  die  erden', 
sprach  er,  '£  lebendic  begraben*. 

17010 


P.  4910 

'ich  wolte  namelicheu  £ 
ze  den  toten  sin  gezelt, 
dan  iemen  anders  würde  erweit, 
der  vehten  solte  disen  wie.' 

5061 

also  gebot  er  onch  hie  sä 
den  linten  sin  gemeine  da, 
daz  si  des  morgens  alle  sich 
mit  wapenkleiden  wunniclich 
vil  schöne  zieren  solten,  ... 
Partonopier  der  k»me  dar 
und  wolte  mit  im  striten. 

5094 

dö  wart  ein  Sicherheit  genomen 
unde  ein  fride  also  gesworn, 
so  die  kempfen  üz  erkorn 
mit  einander  veehten 
und  sich  mit  strite  buchten 
ze  grimmer  noete  bitter, 
daz  beiden thalp  die  ritter 
stille  enthielten  ftfderwisen 
unde  ir  keiner  hülfe  disen. 

Es  folgt  eine  genaue  beschreibung  der  rüstungen,  worin 
sich  manche  Übereinstimmung  zeigt.  Die  kampfesschilderung 
im  R.  ist  natürlich  ganz  analog  den  sonstigen  im  anschluss 
an  Konrad  ausgestaltet;  doch  verdienen  folgende  stellen  beson- 
ders hervorgehoben  zu  werden: 


hiez  au  allen  orten 
wit  durch  die  rotten  schrien, 
swel  künige  fürsten  frien 
dur  minne  und  werde  frouwen 
ein  kempfen  wolten  schouwen, 
daz  die  alle  keemen. 

17004 

der  kämpf  also  bestattet  dö 
wart  ze  beiden  siten, 
daz  er  einic  striten 
solte  und  niemen  m§re 
helfe  da  zuo  k£re 
mit  werken  noch  mit  Worten. 


17254 

vil  jamerlicher  blicke 
si  üf  ze  gote  täten. 


5242 

der  künec  von  Kärlingen 
mante  got  vil  tiure, 


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8TÜDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


401 


si  flehten  unde  bäten  daz  er  geraochte  st  iure 

dem  werden  helt  gehinre  mit  helfeiichen  henden 

siner  helfe  stiure  Partonopiere  senden, 
mit  manges  trehenes  regne. 

Gleich  beim  ersten  anlauf  zersplittern  Reinfrieds  nnd  Par- 
tonopiers Speere: 


17388 

dä  von  si  beide  würben 
omb  höhiu  pfant  für  sterben. 

17504 

daz  »wert  ze  beiden  benden  nan 
der  helt  unverzagte. 

17370 

daz  wilde  nur  als  ez  von  swebel 
w«r  empfangen  nnd  enbrant. 
17440 

wan  sin  wer  diu  mnost  im  nern 
daz  leben  für  ein  sterben. 


5708 

si  vahten  angestüche 

mit  ein  ander  umb  daz  leben. 

5750 

sin  akkes  er  mit  zorne 

ze  beiden  henden  schiere  bot. 

5782 

uf  in  so  bran  er  als  ein  swebel. 


5842 

daz  leben  und  den  11p  genern 
wolte  der  getriuwe. 

Weiterhin  stelle  ich  folgende  scenen  zusammen: 

Der  dänische  graf  wird  m&      Partonopier  hat  Meliurs  ge- 


seiner  Werbung  von  Yrkane 
abgewiesen;  sie  fordert  ihn 
auf: 

5267 

strich  von  mlnen  ongen. 
wizzest  sunder  longen, 
ob  min  11p  dich  iemer  siht 
ilir  dis  stunt,  daz  dir  beschiht 
daz  dir  iemer  füeget  leit. 


bot  übertreten;  deshalb  ent- 
zieht sie  ihm  ihre  gunst  und 
fordert  ihn  auf: 

8592 

strich  bald  fiz  mlnen  ongen, 
daz  ich  dich  niemer  mf  ge- 
sehe, 

£  daz  dir  wirs  von  mir  ge- 
schehe. 


Der  dänische  graf  und  Partonopier  sind  sehr  betrübt  über 
die  ihnen  zu  teil  gewordene  Ungnade: 


5280 

man  sach  sin  ougen  reren 
heize  i  trehen  tropfen. 

Alle  bitten  des  grafen  helfen 
nichts;  Yrkane  ist  nicht  zu 
erweichen: 

4788 

ch  1  iez  6  schetzen, 
tprach  si,  mich  von  dem  übe, 


9176 

vil  manec  heizer  traben  viel 
uz  slnen  ougen  luter.1) 

Alle  bitten  Irekels  vermögen 
nicht,  Meliurs  vorwürfe  zu  ent- 
kräften: 

9086 

den  zepter  und  die  kröne  geben 
wolt  ich  e"  uz  der  hende  mlu, 


»)  Vgl.  9183  f. 


XXI1L 


26 


402 


GEREKE 


£  daz  min  11p  ze  wlbe 
iuch  würde  ald  ze  amien, 
ich  lieze  mich  £  t'rien 
libes  unde  guotes. 


4776 

and  hant  an  mir  zerbrochen 
ritterliche  wirde. 

4798 

zwar  ez  wttrd  gerochen 


e  daz  im  solte  werden  schln 
min  lüterllchin  friuntschaft. 

9094 

ich  bin  des  worden  über  ein 
daz  ich  benamen  stürbe, 
§  daz  er  mich  erwürbe 
zeiner  ganzen  frinndin. 

9090 

sit  daz  er  siner  trinwen  kraft 
hat  wider  mich  zebrochen,«) 
so  muoz  an  im  gerochen 
werden  sin  vil  höher  mein. 


an  iuch. 

Trojanerkrieg. 

Von  Reinfried  und  Yrkane       Von  Jason  und  Medea  sagt 


heisst  es: 

8764 

diu  nätftre  twinget  dich 
daz  diu  sin  muoz  minnen  dar 
dä  si  iender  wirt  gewar 
daz  ir  gelich  nätüre  lit. 

8786 

si  sint  worden  dort  gewar 
gelich  der  ir  natüre. 

8798 

so  minnet  sin  geliehen 
ein  ieclich  creatiure. 
diz  kunt  von  der  nätinre, 
von  irre  maht  und  ouch  ir 

kraft 


Konrad: 

7798 

swä  rehtiu  liebe  funden 
von  der  natüre  künste  wirt, 
weizgot,  da  bringet  unde  birt 
diu  minne  snellen  ursprinc. 

7805 

natüre  ist  also  liste  rieh; 
wasi  mac  vinden  ir  gelich  . 

7813 

dä  Jason  und  Medea 

von  der  natüre  krefte  sa 

begunden  merken  under  in 

daz  gelich  ir  beider  sin 

an  rehter  liebe  künde  wegen. 


2.  Rudolf  von  Ems. 

Dass  der  dichter  des  R.  Rudolf  von  Ems  kennt,  beweisen 
die  verse  15300 ff.: 

Als  man  von  Amelien 
der  schämen  seit  üz  Engellant. 
«wie  bitterlichez  leit  si  bant, 
daz  leit  so  zühteclich  si  treip 
daz  ir  ir  leben  doch  beleip. 

Amelie  von  England  ist  bekanntlich  die  heldin  in  Rudolfs 
Wilhelm  von  Orlens. 


')  Vgl.  8961  ff. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  403 


Da  uns  von  diesem  romane  Rudolfs  wie  von  seinem  Alex- 
ander leider  nur  sehr  wenig  gedruckt  vorliegt,  war  mir  natür- 
lich eine  genauere  Untersuchung  über  das  Verhältnis  des  R.  zu 
jenen  werken  nicht  möglich.  Gerade  der  erstgenannte  roman, 
der  von  allen  dichtungen  Rudolfs  stofflich  ja  die  meisten  be- 
rührungen  mit  R.  haben  dürfte,  würde  vielleicht  manche  paral- 
lelen bieten,  wie  ich  aus  der  vergleichung  einer  (Germ.21,197ff.) 
von  Palm  veröffentlichten  partie  schliesse. 

Reinfried  bittet  nämlich,  als  er  aus  dem  kämpfe  mit  dem 
dänischen  grafen  siegreich  hervorgegangen  ist,  den  könig  Fon- 
tanagris  um  seine  tochter,  da  er  diese  nicht  ohne  die  ein- 
willigung  des  vaters,  wie  er  gekonnt  hätte,  mit  sich  führen 
will.  Fontanagris  berät  sich  mit  seinem  gefolge,  ob  er  dem 
herzog  von  Braunschweig  Yrkane  geben  solle.  Eine  ganz 
ähnliche  scene  enthält  das  genannte  stück  aus  Rudolfs  v.  E. 
Wilhelm. 


R.  10148 
»o  sol  man  im  äne  wanc 
ilie  reinen  willeclichen  geben, 
»in  gelt  sin  guot  sin  lip  sin  leben 
sin  Hut  sin  mäg  sin  art  sin  lant 
sint  so  breit  so  wit  erkant 
daz  er  der  reinen  wirdic  ist. 

10141 

dö  dirre  rat  alsus  ergie. 

10166 

als  er  diz  sprach,  dö  \  ander 
die  volge  von  in  allen, 
in  rauose  wol  gevallen 
daz  dinc. 

Vgl.  auch: 

9780 

nement  mlnes  r&tes  war, 

ob  min  mnnt  iuch  rate  reht, 
da  sehent  endelichen  zno  .  . . 


iemen  baz, 
swenn  ich  gerat,  der  rat  ouch  daz. 

9791 

er  was  der  forsten  höchster  rät, 
wan  er  also  geworben  hat, 
daz  man  im  hoher  eren  sprach. 


W.  I.  45 
sit  daz  der  kunig  witikin 
ere  hat  lip  unde  gut, 
wirdikeit  und  hohen  mut 
und  in  so  rehter  wirde  lebet 
daz  ir  im  uwer  dohter  gebet. 

71 

do  der  rat  also  geschach. 

81 

do  die  den  rat  vernamen  do, 

er  geviel  in  allen  wol, 

als  man  den  wisen  volgen  sol. 


an  den  rat  wart  do  genomen 
her  wilhelm  der  furste  do 
der  riet  sus,  den  andern  so, 
iegelichen  als  er  künde, 
do  suhte  an  der  selben  stunde 
der  kunig  wilhelmes  rat, 
der  riet  im  ane  missetat 
den  besten  rat  der  do  geschach. 


26* 


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404 


GERKKE 


9824 

nu  rät  ich,  ob  ich  raten  kan, 
ob  ir  mins  rat  es  ruochent. 

10739 

und  ouch  diu  wandels  eine 
diu  minnecltche  reine 
diu  süeze  wol  getane 
diu  seelden  rieh  Yrkane.1) 


10798 

ein  lip  zwö  s£le  wirt  den  zwein 
und  ein  einlich  liden.*) 

11706 

bl  leide  solt  du  tragen  leit, 
bi  liebe  liep,  bl  guote  guot, 
bi  höhgeinuoten  höhgemuot. 

10901 

da  von  ein  glicher  wille  schein, 
ein  einlich   herze  an  disen 

zwein. 


die  süezen  Amelyen 

die  edelen  wandels  vrien. 

H.  1 

die  edele  knneginne 
die  süeze  Amelynne, 
die  kiusche  wandels  yrie 
die  reine  unde  gute. 

9 

zu  allen  ziten  nuwen 
trugen  si  beide  under  in 
einen  mut  und  einen  sin, 
einen  mut  under  in  zwein, 
da  zweier  seien  namen  schein, 
der  werde  man  sin  liebez  wip 
mit  zwein  seien  ein  lip 
trugen  under  in  beiden, 
eines  libes  ungescheiden 
waren  sie  in  dem  mute, 
da  was  gut  bi  gute; 
zuht  bi  hohgemüete 
was  ie  mit  werder  güete 
gelich  an  den  gelieben  zwein. 
ir    mut    in    einem  willen 

schein. 


VgL  den  rat  den  Reinfried  Yrkane  beim  abschied  gibt: 


14820 

er  sprach  'frowe,  du  solt  leben 
g£n  hohen  höh,  die  armen 
solt  du  dich  län  erbarmen 
und  in  ir  jämer  truesten. 
den  besten  und  den  boesten 
gip  senftecllchen  dinen  gruoz. 
den  armen  solt  du  sorge  buoz 
mit  diner  gäbe  machen, 
du  bis  an  allen  Sachen 
diemuetic  vest  unddäblreht. 


30 

er  was  mit  mit  seliglicher  kraft 

an  allen  seiden  sigehaft 

mit  zuhten  wise  unde  gut, 

werhaft  kusche  hochgemut 

getrnwe  miltebere, 

ein  rehter  rihtere, 

den  armen  demut  unde  gut. 

er  neigte  sinen  hohen  mut 

nider  zu  den  guten. 

obe  den  hochgemuten 


')  So  wird  Yrkane  öfters  bezeichnet;  bei  Konrad  habe  ich  derartiges 
nicht  gefunden. 

•)  Vgl.  y.  12009. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUN  SCHWEIG. 


405 


trug  er  den  mut  vil  hohe  em- 
sin lob  lief  in  allen  vor,  [por. 
swen  er  au  einem  male  sach, 
dem  man  dekeiner  wirde  jach 
der  was  im  iemer  mer  unkant. 
an  wem  er  zuht  und  ere  vant, 
den  minnete  ir  von  hertzen  ie. 
untruwen  minnete  er  nie 
und  trug  in  zu  allen  ziten  haz. 
dienst  es  er  nie  vergaz 
an  dekeiner  »Iahte  man. 


daz  krumme  solt  du  machen  sieht, 
swa  dir  din  m&ze  fuoge  git. 

14341 

mide  untugentliche  art, 
fliuhe  swache  hohvart, 
bis  gen  nide  und  g€n  haz 
mit  sinnen  und  mit  £ren  laz: 
daz  kan  dir  sorge  stoeren. 
von  swem  du  mugest  beeren 
hinderrede  mit  klaffe, 
üz  dlnem  hove  schaffe 
in  fluchteclichen  strichen. 

14364 

swa  dir  werde  untriuwe  kunt, 
da  von  solt  du  dich  ziehen. 

14368 

dar  da  man  tri  wen  wirt  gewar, 
da  solt  du  dich  hin  neigen. 

Eine  andere  stelle  aus  Rudolfs  Wilhelm  hat  Massmann 
in  v.  d.  Hagens  Germ.  10, 110  ff.  veröffentlicht: 

R.  19193  s.115,19 

unreht  ze  rehte  schicken  swie  du  rehte  rihtes 

und  reht  in  unreht  stricken,  nnreht  zno  rehte  slihtes; 
unreht  mit  rehte  iueren. 

noch  eine  andere  Zupitza,  Zs.  fda.  18, 89  ff.: 

R.  900  188 
ein  ritterllchez  güften.  durch  ritterlichen  guft. 

Der  anfang  von  Rudolfe  Weltchronik  (Vilmar,  Die  zwei 
recensionen  etc.  s.  60  ff.),  der  grosse  ähnlichkeit  mit  der  ein- 
leitung  des  Barlaam  und  mit  G.  Gern.  326 — 411  hat,  findet  seine 
genaue  entsprechung  im  Reinfr.  in  der  rede  des  Fontanagris 
(v.  10589  ff.): 


R.  10589 
got  der  allin  dinc  vermac, 
der  vinster  naht  und  liehten 

tac 

mit  siner  kraft  gemachet  hät 
und  nach  des  geböte  stat 
daz  firmament,  der  sparen  kreiz, 
der  Sternen  louf,  und  der  ouch  weiz1) 


Weltchr.  (Vilmar)  19 
mit  der  (wlsheit)  din  gotelichiu  maht 
vinster  lieht  tac  unde  naht 
ge8cheiden  hat. 

47 

wan  aller  geschepfede  geschaft 
ervüllet  hat  din  eines  kraft. 


>)  Vgl.  R.  129/4— 12981. 


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406 


GEREKE 


10595 

aller  herzen  meine, 
niemen  wan  er  eine, 
der  alliu  dinc  von  nihte 
geschuofund  ouch  berihte 
den  luft  wazzer  erde  fiur, 

10600 

von  dem  alle  creatiur 
getempert  nnd  gemachet  »int, 
nach  des  geböte  sich  der  wint 
mnoz  biegen  nnd  da  zno  der  luft, 
der  himels  trön  und  erden  kruft 

(=  10972). 

1(1605 

in  siner  hant  besliuzet, 

von  des  genäde  fliuzet 

aller  creatiure  leben: 

in  wazzer  fiur,  in  lüfte  swe- 

mac  niht  an  sinen  höhen  rat  ;  [ben 

10610 

swaz  fliuget  fliuzet  loufet 

stat,  10970) 
loup   gras  tier  vogel  wilde 

und  zame, 
wint  regen  donre  kan  sin  name 
binden  und  entstricken, 
des  wilden  donres  blicken 
10615 

und  aller  ougen  schouwe. 
von  rifen  tuft,  von  touwe, 
von  regen  sne  und  ise 
hat  er  mit  hohem  prise 
geeret  sich,  der  weite  hie 

10620 

ze  nutz  den  er  dem  menschen  lie. 

swaz  der  tac  beliuhtet, 

swaz  menge  ton  erfiuhtet, 

von  aller  slahte  würzen  fruht, 

daz  liez  sin  gotelichiu  zuht 

10625 

allez  hie  üf  erden 
ze  dienst  dem  menschen  wer- 
den. 


25 

als  ez  diu  witze  berndiu  kraft 
alrest  von  nihte  tihte, 
geschuof  und  gar  berihte. 

56 

also  getempert  häts  din  list 
mit  der  vier  elementen  kraft, 
diu  natürent  alle  geschaft 

32 

aller  himel  tugent,  aller  hi- 

mel  schar 


nigent  diner  herschaft, 

diu  

die  tiefe  der  abgrunde 
hat  in  kuntlicher  künde 
beslozzen  und  gemezzen. 
40 

din  kraft  hat  besezzen 
e  1 1  i  u  leben,  dar  nach  si  lebent, 
inlüften  und  in  wazzern  swe- 

bent, 

nf  erden  leben  t  vi iegent  gänt, 
wurzent    wahsent  vliezent 

stant: 

diu  nigent  dime  geböte. 

231 

tiere  gevügel  wilt  und  zam 
maht  in  got  gehorsam. 


239 

ze  nutzcl icher  Hpnar. 

242 

ze  niezen  aller  siner  geschaft. 
235 

und  swaz  üf  erden  krfttes  wirt 
und  an  im  bernden  samen  birt 
und  elliu  holz,  diu  mit  genuht 
in  ir  gesiebte  bringent  vruht 

229 

den  (menschen)  mähte  got  mit 

siner  kraft, 
uudertan  alle  geschaft. 


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STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIG 


407 


Vgl.  Barl.  2,  3  ff. 

erde  viur  wazzer  luft 

(R.  10599  ff.) 
kelte  regen  hitze  tuft 

(R.  10616) 
getempert  (R.  10601)  hat  din  eines 

kraft.  - 
din  eine«  vürd»htlich  gewalt 
hat  genennet  uude  gezalt 
der  Sternen  menege  unde  genant 
ir  aller  namen  unde  erkant 
ir  nmbelouf,  ir  umbevart. 

(EL  10594) 
onch  muoz  in  sinem  loufe  gan 

Das  vorbild  für  diese  stellen  ist  jedenfalls  Wolfr.  Wh.  2, 2  ff. 
215, 11  ff.  253, 6  ff. 

Das  paradies  mit  seinen  vier  flössen  beschreibt  der  dichter 
des  R.  gleichfalls  im  anschluss  an  Rudolfs  W.,  die  in  diesem 
punkte  nach  Doberentz  (Zs.  fdph.  13,207  ff.)  auf  Honorius  Augu- 
stodunensis  und  Isidor  zurückgeht.  Wir  werden  später  sehen, 
wie  auch  unser  dichter  sich  direct  an  diese  als  quellen 
anlehnt. 


daz  firmament  nnz  an  daz  zil 

(R.  10593).  — 
von  nihte  hat  getihtet  (R.  10597) 
din  wiser  gotlleher  list 
swaz  sihtic  nnde  unsihtic  ist. 
den  dunre  und  diu  blicschoz 

(R.  10614) 

von  viurinem  lüfte  lät 

din  kraft,  diu  sie  getempert  h&t. 

du  sihst  durch  aller  herzen 

tor   (R.  10594  f.) 
in  menschlicher  sinne  grünt 
dir  sint  elliu  herzen  kunt. 


R.  21918 
er  hat  allin  lant  durvarn, 
da  dur  diu  wazzer  fliezen 
diu  an  mitten  schiezen 
mit  götüchem  prise 
üz  dem  paradise. 

21830 

wie  er  geboren  w«re 

fiz  dem  lant  ze  Ejulat. 

dur  daz  selbe  lant  onch  gat 

üz  dem  paradise 

mit  f rühteclichem  prise 

Phisön  des  werden  wazzers  duz. 

bidellium  den  stein  sin  flnz 

und  ouch  onichium  da  treit. 

daz  beste  golt,  als  man  uns  seit, 

daz  nf  erd  ie  funden  wart, 

treit  ouch  hie  des  fluzzes  art. 

21924 

Gyön  Ethiop  Mörenlant, 
Tigris  Assirlam  dur  gat. 


Weltchr.  (Vilmars. 61)  283 
ein  wazzer  michel  unde  gröz 
von  der  selben  mitte  vlöz, 
daz  dem  paradise  gar 
viuhte  und  süeze  fruht  gebar, 
daz  teilte  in  vier  teile  sich. 

290 

der  teil  einer  ist  genant 
Physon  daz  wazzer,  daz  noch  gat 
durch  elliu  lant  in  Eiulat, 
des  vluz  daz  beste  golt  birt, 
daz  iendert  uf  der  erde  wirt, 
und  daz  edel  berdellum, 
daz  guot  ist,  edel  unde  vrum, 
daz  diu  schrift  uns  nennet  sus. 
der  edel  stein  onichilus 
da  wahset  ouch,  in  birt  daz  lant. 
daz  ander  wazzer  ist  genant 
Geon,  des  vluz  tuot  sich  bekant 
über  Etiopiam  daz  lant, 
daz  dritte  heizet  Tigris, 
von  dem  tuot  uns  diu  schrift  gewis, 


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408 


G EUERE 


swaz  En  f  rat  es  daz  wazzer  hat  daz  ez  sin  vliezen  wände 
durgangen  lant,  diu  wären  kunt  gein  Assiriä  dem  lande 
im  eigenllchen  üf  den  grünt.  daz  Vierde  heizet  Eufrates.') 

Der  geographisch -ethnographische  abschnitt  der  Welt- 
chronik Rudolfs  bietet  noch  weitere  parallelen. 

Rudolf  weiss  von  den  greifen,  die  das  gold  auf  dem  Kau- 
kasus bewachen: 

Doberentz  a.a.O.,  v.  161  mit  wünneclichem  schine  hänt. 

da  ligent  berge  gnldin  grifen  noch  tracken  nicman  länt 

die  nach  golde  liehten  schin  /   daz  selbe  polt  gewinnen  da, 

verglichen  mit  R.  18224  ff.;  dazu  vgl.  Bartsch,  Herzog  Ernst 
s.  xliv.  Seine  wundermenschen  hat  der  Reinfrieddichter  meist 
aus  dem  Herzog  Ernst>  zum  teil  jedoch  aus  Rudolf: 


R.  21935 
und  seit  den  herren  miere 
wie  in  eim  lande  wtere 
ein  site  ungemseze, 
wie  ie  der  mensche  aeze 
sin   muoter   nnd   onch  sinen 

vater. 


Doberentz  244 
da  bi  hänt  disiu  selben  lant 
ein  liut  daz  solhe  site  hat, 
daz  ir  deheiner  daz  niht  lät. 
guoter  noch  unguoter, 
si  slahcn  vater  und  muoter, 
so  si  beginnent  alten, 
ir  krefte  widerwalten, 
und  gesteut  sich  zc  Wirtschaft 


mite. 

Vgl.  Honorius,  Imago  mundi  1, 11. 


10348 

er  fuort  ein  kreftecliche  schar 
mit  im  an  der  stunde, 
houbter  sam  die  hunde 
hat  al  sin  massenie. 

20444 

daz  volc  daz  sam  die  hunde 
griiicn  unde  bullen. 

Vgl.  Honorius  a.  a.  o.  1, 12. 

19312 

ein  volc  daz  kan  gähen 
mit  loufe  sneller  denn  ein  tier, 
bräht  mit  im  der  fürste  zier 
mit  helfelicher  meine, 
niht  wan  üf  eime  beine 
daz  volc  loufet  unde  stät. 


280 

da  bi  sint  ander  Hute,  die 
ze  houpten  hundes  houbet  hänt. 
niht  anders  si  gekleidet  gänt 
wan  mit  wilder  tiere  hiuten. 
(Ilsen  selben  liuten 
ist  menschen  rede  niht  verlän, 
man  hört  si  hundes  stimme 


316 

.  .  .  Cenopodes: 
daz  ist  ein  wildez  liut;  daz  hat 
einen  fuoz,  dar  üf  ez  g&t. 
331 

dise  selben  liute  sint 

snel  und  drtete  alsam  der  wint. 


')  Vgl.  Zs.fdph.  13, 173  ff. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUN8CHWEIG.  409 


Honorius  (1, 12),  dem  Rudolf  hier  folgt,  wirft  mit  diesem 
volk  die  'platfüeze'  zusammen;  der  Reinfrieddichter  kombi- 
niert die  einfüssigen  mit  den  einäugigen,  die  er  aus  dem  Herzog 
Ernst  entnimmt: 

19322  336 
ein  wunderlicher  schar,  die  da  lantliute  sint  genant, 

die  waren  ane  honbet.  die  sint  ane  honbet 

an  den  ahsein  offenbar  und  houbetes  beroubet, 

siht  man  sunder  lougen  und  in  stant  anelougen 

stän  des  volkes  ougen.  an  der  ahsein  vor  diu  ongen; 

vorn  an  der  brüste  stät  ir  munt.     für  nase  und  munt  hant  sie  zwei 

vor  an  der  brüst  [loch 

Vgl.  Honorius  1, 12. 

Der  Reinfrieddichter  berichtet  feiner  noch  von  einem 
volke,  das  nicht  isst  noch  trinkt: 

21046 

daz  lant  dem  paradlse  lac  die  Hute  von  des  smackes  trehen 

so  nahe,  als  er  hörte  jenen,  so  dannen  kam  sus  lebten  u.s.w. 

Die  genaue  entsprechung  hierfür  zu  finden  ist  mir  nicht 
gelungen.   Ich  lese  bei  Rudolf  nur  von  einem  volke, 

350  (Doberentz) 

daz  lebt  deheiner  genist  sin  spise  und  al  sin  fuore  gar 

ze  spise  noch  ze  lipnar;  an  eines  apfels  smacke  lit. 

Vgl.  Hon.  1, 12  solo  odore  cuiusdam  pomi  vivunt.  Hierauf 

kann  unsere  stelle  also  wol  kaum  zurückgehen.   Wir  hören 

dann  von  denselben  leuten  ausser  manchem  anderen  noch,  dass 

sie  beständig  in  freuden  leben 

21050  sunder  misse  wende 

au  aller  slahte  trure,  sleiz  üf  ein  rehtez  ende 

biz  daz  ir  natüre  und  stürben  denn  an  allez  we. 

Das  macht  offenbar  die  nähe  des  paradieses.  Vgl.  j.  Tit.  6052: 

der  luft  ist  so  gesüezet,  von  paradis  betouwet, 

daz  er  wol  kumber  büezet.  si  sint  da  von  gehöret  und  gefrouwet 

in  den  landen,  die  der  luft  bedrsehet. 

Auf  Rudolfs  W.  dürfte  teilweise  wol  auch  die  ausführliche 
erzählung  von  den  Amazonen  im  R.  (v.  19429  —  v.  19610)  be- 
ruhen. Zwar  sind  wesentliche  abweichungen  vorhanden,  nament- 
lich in  der  Vorgeschichte  der  Amazonen,  doch  teilt  Rudolf  diese 
differenzen  zwischen  ihm  und  R.  mit  allen  anderen  überliefe- 


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410 


«EKEKE 


rangen  über  diese  kriegerischen  weiber.  Ich  glaube  daher, 
dass  derartige  Varianten  auf  die  rechnung  des  dichtere  selbst 
kommen. 

Während  nämlich  sonst,  wo  überhaupt  von  der  Vorgeschichte 

der  Amazonen  die  rede  ist,  wie  also  bei  Rudolf  (vgl.  J.  Zingerle, 

WSB.50,432.  O.Zingerle,  Die  quellen  z.  Alex,  des  Rud.v.K,  s.  118) 

erzählt  wird,  dass  den  Amazonen  einst  in  einem  kämpfe  mit 

nachbarvölkern  ihre  männer  erschlagen  seien,  weshalb  sie  sich 

genötigt  gesellen  hätten,  selbst  kriegerkleidung  und  waffen 

anzulegen,  heisst  es  im  R,  die  Amazonen  hätten  ihre  männer 

eigenhändig  getötet,  weil  diese  auf  anstiften  des  königs 

19495   ir  wip  ze  laster  brahten. 
si  schanten  nnde  »mähten 
si  ze  allen  stunden. 

Vielleicht  hat  der  dichter  in  irgend  einer  lateinischen 
quelle  die  geschiente  der  Hypsipyle  und  der  lemnischen  weiber 
gelesen  und  diese  mit  der  Amazonensage  combiniert. 

R.  19529  Weltchron.  (Zingerle)  104 

.  .  .   din  reinen  wip  mannes  wapen  legten  si  an 

leiten  harnesch  an  ir  11p  und  leiten  ser  da  mite 

und  lerneten  sit  riten,  striten  nach  manlichem  site. 
mit  schilt  und  awerte  striten. 

Rudolf  berichtet  weiter,  die  Amazonen  seien  so  tapfer,  dass 
niemand  mit  ihnen  zu  kämpfen  wage;  in  einem  streite  mit  den 
männern  in  der  nachbarschaft  hätten  sie  diese  alle  erschlagen: 

126  als  ich  die  schrift  hoere  sagen, 

die  man  verluren  dö  den  strit  und  Heren  ir  einen  niht  ge- 

und  wurden  von  in  do  erslagen,  nesen. 

Diese  worte  stimmen  merkwürdig  zu  R.  19524  ff.,  wo  es 
von  der  ermordung  der  männer  der  Amazonen  durch  ihre  eigenen 
frauen  heisst: 

ir  keine  diu  lie  schouwen  daz  ein  man  lebendic  nie  genas 

für  die  naht  lebendic  ir  man.  der  eht  in  den  landen  was. 

diz  wart  dur  alliu  lant  getan, 

Was  der  Reinfrieddichter  sonst  über  die  Amazonen  sagt, 
von  ihrem  geschlechtlichen  verkehr  mit  benachbarten  männern, 
von  der  verschiedenen  behandlung  der  knaben  und  mädchen 
nach  der  geburt,  stimmt  zu  Rudolf  und  stimmt  auch  zu  allen 
übrigen  berichten  (z.  b.  Konrad,  Troj.  42235  ff.). 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG 


411 


Abweichend,  aber  jedenfalls  auf  eigene  erfindung  des  dich- 
ten? —  vielleicht  infolge  eines  irrtums  —  zurückzuführen,  ist 
nur  noch  die  angäbe  v.  19536  ff. 

ir  lingge  brüst,  ist  mir  bekant,        dur  daz  si  mügen  liden 
heizent  si  dannen  sniden,  des  schiltes  leger  vor  der  haut. 

Sonst  erfahren  wir  nämlich  überall,  dass  die  Amazonen 
die  rechte  brüst  abgeschnitten  hätten,  um  nicht  beim  gebrauche 
des  bogens  behindert  zu  sein. 

Schliesslich  möchte  ich  noch  die  Vermutung  aussprechen, 

dass  der  dichter  durch  die  verse  133  ff.  (Zingerle)  bei  Rudolf: 

dö  liezen  si  sich  zehant  und  mit  gebirge,  als  ich  las 

nider  iu  ein  witez  lant,  an  Alexanders  buoch 

daz  mit  dem  mer  beslozzen  was 

zu  der  angäbe  veranlasst  ist:  19547  Gog  und  Magog  der  Juden 
lant  stät  in  der  küneginne  [der  Amazonen]  hant,  die  ja  Alexander 
besUz  mit  berge  und  mit  müren  gröz  und  ouch  mit  dem  grienigen 
mer.  —  Es  besteht  jedoch  die  möglichkeit,  wie  ich  aus  den 
zuletzt  genannten  worten  Rudolfs  schliesse  (Konrad  beruft  sich 
v.  42239  f.  gleichfalls  auf  ein  buoch  von  Alexander),  dass  auch 
der  Reinfrieddichter  aus  irgend  einem  Alexandergedicht  [aus 
Rudolfs?]  schöpft. 

Wie  dem  auch  sei,  sicherlich  kannte  und  benutzte  er 
Rudolfs  W.  In  seinen  anspielungen  auf  biblische  geschichten 
ist  die  quelle  zwar  immer  die  bibel  selbst,  doch  gibt  es  stellen, 
wo  er  daneben  Rudolfs  werk  berücksichtigt  zu  haben  scheint. 
Als  er  von  der  wunderbaren  hilfe  erzählt,  die  gott  Gideon  in 
dem  kämpfe  gegen  die  Midianiter  leistete,  beruft-  er  sich  aller- 
dings ausdrücklich  auf  die  bibel  (v.  15868  f.  =  Jud.  7),  aber  die 
Übereinstimmung  zwischen  v.  15874  ff.  mit  Rudolf  lässt  doch 
auch  einen  Zusammenhang  mit  diesem  vermuten. 

Schütze  (Die  histor.  bücher  etc.)  1, 
s.36 

weihe  man  dö  trinken  sach 
R.  15874  unde  die  dir  werden  kunt 

und  swel  daz  wazzer  in  den     daz  si  daz  wazzer  in  den  mnnt 

mnnt       uf  werfen  mit  der  hant, 
würfen  mit  den  henden,  die  snln  dir  sin  da  von  bekant 

daz  waren  die  eilenden  daz  si  an  den  zlten 

die  got  bi  den  ziten  den  sie  dir  snln  erstriten. 

erwelet  hat  ze  striten. 


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412 


CSEREKE 


(Bei  Rudolf  fehlt  die  andere  partei,  die  ligelingen  trunken, 
R.  15872). 

Im  allgemeinen  jedoch  wird  man  sich  hüten  müssen,  falls 
etwa  irgendwelche  zu  biblischen  berichten  gemachte  znsatze 
dem  R.  und  Rudolfs  W.  gemeinsam  sind,  nun  behaupten  zu 
wollen,  Rudolf  sei  hier  für  unseren  dichter  die  quelle  gewesen ; 
denn  derartige  ausschmückungen  sind  durchaus  traditionell. 

Wenn  wir  also  z.  b.  im  R.  lesen,  dass  Lots  weib  als  Salz- 
säule noch  heute  in  einer  höhle  zu  sehen  sei  (27100  f.  Rudolfs 
\V.,  Zs.fda.  18, 102,65),  und  weiter  27102  da  Sodom  und  Gomorre 
was  gelegen,  da  swebet  das  rner  (vgl.  Rudolfs  W.  a.a.O.  74  f.),  so 
berichten  dasselbe  auch  andere  dichter  und  Schriftsteller  der 
zeit,  die  sich  gerade  mit  solchen  Stoffen  befassen  (vgl.  Strauchs 
anm.  zu  Enikels  W.  4193);  reisebeschreibungen  vergessen  selten 
davon  zu  erzählen  (vgl.  z.  b.  Johann  von  Montevilla). 

Aehnlich  steht  es  mit  der  geschiente  vom  turmbau  zu  Babel 
(R.  27042  ff.).  Die  angäbe  der  teilung  der  spräche  (in  zwo  und 
sibenzic  zungen  (27051)  ist  ganz  traditionell  (vgl.  Strauchs  anm. 
zu  Enikels  W.  3367).  Von  Enikel  weicht  übrigens  unser  dichter 
insofern  ab,  als  jener  von  Babel  a>  dem  erbauer  des  turmes 
spricht,  dieser  davon  nichts  weiss. 

Eine  nähere  beziehung  zu  Rudolfs  \V.  lässt  sich  vielleicht 
aus  dem  gemeinsamen  reime  spräche  :  räclie  vermuten  (vgl.  R. 
27045  f.  Rudolfs  W.  fZingerlej  7  f.);  aber  ich  möchte  darauf 
keinen  wert  legen. 

Eigentümlich  ist  der  erzähl ung  im  R.  die  angäbe: 

27058 

mit  «wein  und  sibeneic  eggen  der  turn  daz  er  verre  zöch 

was  gebftwen  also  hoch  in  den  luft  über  sich  enbor. 

Endlich  vergleiche  noch  über  den  tempelbau  Salomos 

R.  20954  ff.  nnd         Weltchr.,  Genn.  27, 63 

daz  krüt  ktinc  Salamones  sider  (Mogk,  Kopenh.  fragm.)  v.  14 

wart;  swaz  er  da  mit  bestreich,  sie  namen  eynes  wurmes  blöt 

swie  hart  daz  was,  ez  wart  doch  der  hiz  thamur  als  ich  iz  las 

weich,  eyn  krut  auch  sus  geheyzen  was 

wan  ez  sich  na  dem  krute  spielt.  des  saf  mishzeten  sie  dar  in 

daz  krut  kttne  Salamön  behielt  unde  bestrichen  her  unde  hin 

und  bat  da  mit  den  tempel  her.  die  steyne  besneden  sie  zö  hant. 


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8TUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUN8CHWEIG.  413 

4 


Petrus  Comestor,  Hist.  schol.  lib.  reg.  3, 8  berichtet  nur  von 
sanguis  vermiculi  (nicht  von  einem  kraute1)),  dessen  gewinnung 
er  aber  ebenso  erzählt  wie  der  Reinfrieddichter  die  des  krautes: 
Erat  Salomoni  struthio  Habens  pullum,  et  inclusus  est  pullus 
sub  vase  vitreo.  Quem  cum  videret  struthio,  sed  Jiabere  nequiret, 
de  deserto  tulit  vermiculum,  cuius  sanguine  linivit  vitrum  et 
tr actum  est.  Videns  autem  Solomon  cacumen  nwntis  Moria, 
ubi  aedißcavit  templum  augustum,  deiecit  illud,  et  in  arcam 
spatiis  amplioribus  diffudit 

Aus  Rudolfs  übrigen  werken,  aus  dem  Guten  Gerhard  und 
Barlaam  und  Josaphat,  wüsste  ich  nur  weniges  anzuführen, 
was  auf  R.  bezug  haben  könnte. 

Von  zwei  liebenden  heisst  es: 

R.  2443  Gern.  4740 

da  ist  niht  wan  ei n  ein  1  ich  ein.  ein  wip  ein  man,  ein  man  ein  wip, 

ein  liep,  ein  leit,  ein  ja,  ein  nein.  ein  sin,  ein  muot,  ein  einic  ein, 

3021  ein  lip,  ein  liep,  ein  herze  an  zwein, 

ein  dinc,  ein  ein,  ein  liep,  ein  leit.  ein  minne  nnd  ein  geselleschaft. 

Doch  sind  derartige  Schilderungen  nicht  eben  selten.  — 
Wie  Rudolf  spielt  auch  der  dichter  des  R.  auf  das  bekannte 
lied  MF.  3,1  ff.  an: 

B.  4223  Gerh.  4786 

ich  bin  diu,  sö  bist  du  min,  du  min,  ich  diu.  ich  wil  din  s!n. 

ich  wil  bi  dir,  du  bi  mir  sin 
in  herzen  und  in  sinnen. 

Im  Barlaam  und  im  R.  findet  sich  in  gleicher  weise  das 
biblische  gleichnis  von  dem  reichen  (Luc.  18, 25),  im  Barlaam 
allerdings  in  der  paraphrase  der  evangelischen  erzählung  selbst: 

R.  16793  Barl.  135, 16 

als  ich  wol  sprechen  beere,  durch  einer  nädel  oere  gat 

dur  einer  nädel  oere  ein  olbende  senftecllcher, 

ein  kemeltier  £  gienge,  denne  ein  weltlich  richer 

k  daz  in  got  enpflenge  ze  gotes  riche  müge  körnen, 
ze  siner  gnaden  tröne. 


»)  Das  kraut  führt  zurück  auf  eine  antike  tradition  von  der  spring- 
wurzel,  s.  Zs.  fda.  35,  lb3.  —  Enikel  (W.  12031  ff.)  berichtet  nichts  über  die 
gewinnung  des  Wunnes;  ein  kraut  kennt  er  nicht. 


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414  OEBEKE 

8.  Gottfried  von  Strassburg. 

Haben  wir  bisher  unsern  dichter  in  den  spuren  Konrads 
von  Würzburg  und  Rudolfs  von  Ems  wandeln  sehen,  so  werden 
wir  auch  erwarten,  einen  einfluss  des  lehrers  dieser  beiden. 
Gottfrieds  von  Strassburg,  im  R.  zu  finden. 

Tristan  und  Isolde  sind  mehrmals  genannt,  so  Tristrant 
v.  20162  in  einer  aufzählung  der  vortrefflichsten  helden,  Isolde 
v.9238,  ferner  sie  zusammen  mit  ihrer  mutter: 

V.  23110 

min  xin  der  hät  gezellet  ze  Ysot  nnd  Ysote 

kint  muoter  iegenöte  den  zwein  von  Yrlanden. 

Nun  scheint  allerdings  die  namensform  Tristrant  mit  be- 
stimmtheit  auf  Eilhart  hinzuweisen  (vgl.  Lichtenstein,  ausg. 
s.  cxcn);  andererseits  aber  heisst  Tristrants  geliebte  bei  Eil- 
hart Isolde,  nicht  wie  im  R.  Ysöt  (so  bei  Gottfried).  Ich  meine 
also,  aus  der  form  Tristrant  ist  weiter  nichts  zu  schliessen, 
als  dass  der  dichter  eben  diese  namensform  kannte;  jedenfalls 
aber  hat  er  hier  durchaus  nur  Gottfrieds  roman  im  sinne. 

Aber  es  zeigt  sich,  dass  Gottfried  mehr  formell  als  inhalt- 
lich auf  R.  gewirkt  hat.  Für  die  stoffliche  anlehnung  unsere 
dichtere  an  den  Tristan  weiss  ich  eigentlich  nur  ein  ganz 
sicheres  beispiel  anzuführen.  Auf  Tristans  seite  im  kämpfe 
gegen  Morolt,  der  die  stärke  von  vier  männern  hat,  streiten 
gott,  recht  und  williger  niut  (v.  6883  ff.).  So  steht  auch  Rein- 
fried gegen  den  dänischen  grafen  nicht  allein: 

0106 

wan  sin  Up  selpdritter  vaht,  mit  den  zwein  was  diu  minne 

er  und  diu  küneginne.  onch  in  den  strit  gesprungen. 

R.  1404  Trist.  724 

ir  sinne  waren  trehtic  er  was  in  ir  herze  körnen, 

dar  da  si  meisterinne  was  er  truoc  gewaltecliche 

und  ge  walteclichen  saz  in  ir  herzen  künicriche 

in  sius  herzen  klüse.  den  zepter  und  die  kröne. 

Vgl.  807  ff. 

4901  Trist.  13014 

stn  herze  seit  im  von  den  zwein        ir  beider  sin,  ir  beider  muot, 
niht  wan  ein  ja  und  ouch  ein     daz  was  allez  ein  und  ein, 

nein.       ja  unde  ja,  nein  unde  nein, 
Vgl.  2444.  ja  unde  nein,  nein  unde  ja. 

Vgl.  16328  ff. 


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STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  415 


Der  Reinfrieddichter  kennt  übrigens  auch  die  forteetzung 
von  Gottfrieds  Tristan: 

15288 

sam  diu  minnenclich  Ysöt  daz  si  järaerlich  erstarp 

din  so  klegelichen  warp  nach  Tristrande  dem  werden  degen, 

und  zwar  höchst  wahrscheinlich  das  gedieht  Ulrichs  von  Tür- 
heim (v.  3422  ff.),  da  ihm  Heinrich  von  Freiberg  wol  kaum 
schon  bekannt  war. 

4.  Hartmann  von  Aue. 

V.  8931  und  v.  20161  nennt  der  dichter  den  Iwein,  v.  20161 
Kalogriant;  er  kennt  also  Hartmann,  was  man  auch  ohne  diese 
citate  als  sicher  annehmen  würde. 

Reminiscenzen  aus  Hartmann  dürften  demnach  folgende 
stellen  sein: 


R.  13422 
ich  heer  die  wisen  jehen, 
daz  tröume  dicke  triegen 
und  tro genliehe  liegen. 

17390 

ir  ritterliche!  werben 
moht  got  gerne  han  gesehen, 
solt   ein   kämpf  vor   im  be- 
sehenen. 

12519 

  bezigen. 

man  sach  den  forsten  niht  verligen. 
Vgl.  14074. 

14616  ff. 

Lange  aufzählung:  der  eine,  der  an- 
der, der  dritte  bis  der  wunde. 

630 

zwei  hundert  was  der  ersten  schar, 
schiltknehte,  die  mit  gnoten  siten 
ie  zwene  hl  ein  ander  riten: 
die  fuorten  sper  und  kreiger  da. 
den  kam  zehant  geriten  nä 
ein  jungiu  schar  gesnndert, 
der  was  wol  üf  hundert 
zwei  und  zwei  der  scheensten  knaben 
so  edel  art  ie  moht  gehaben 
über  allez  Sahsen  lant. 
ieclicher  fuort  uf  slner  hant 
ein  sprinzelln  dur  muotes  guft. 


Iw.  3547 
swer  sich  an  troume  keret, 
der  ist  wol  guneret. 

Iw.  1020 
hie  huop  sich  ein  striten, 
daz  got  mit  eren  möhte  sehen, 
solte  ein  kämpf  vor   im  ge- 
schehen. 
Vgl.  R.  11384  ff.  Trist.  6869. 
Iw.  2789 
die  des  werdent  gezigen 
daz  si  sich  durch  ir  w!p  verligen. 
Vgl.  2863.  Erec  2970. 

Erec  8260—8286 
Lange  aufzählung  von  1—20.  Vgl. 
Part.836ff.  1—6.  11834  ff.  1-4. 

Im  Erec  reiten  zu  einem  turnier  eine 
reihe  könige. 

1944 

besnnder  baten  si  sich 
gesellet  ritterlichen, 
die  jungen  zuo  ir  glichen, 
die  alten  zuo  den  alten. 

Von  den  jungen  nun 
1964 

ir  ieclich  fuorte  üf  der  hant 
vier  müze,  ein  sparwsere. 


416 


GEREKE 


5.  Wolfram  von  Eschonbach. 


Wie  schon  oben  bemerkt,  citiert  der  dichter  v.  16678  ff. 
den  Parzival;  er  kennt  aber  auch  den  Willehalm.  Wenn  er 
sich  ferner  v.  10421  f.  und  v.  16584  ff.  auf  Wolframs  Titurel 
beruft,  so  wird  sich  ergeben,  dass  er  damit  den  jüngeren 
Titurel  meint;  von  einer  beziehung  auf  Wolframs  echte  dich- 
tung  findet  sich  dagegen  keine  spur. 

Für  directe  nachahmung  Wolframscher  scenen  im  R.  gibt 
es  verhältnismässig  nur  sehr  wenige  beispiele. 

So  ist  es  vielleicht  nicht  ganz  zufällig,  wenn  sich  an  der 
stelle,  wo  der  dichter  den  kämpf  zwischen  Reinfried  und  dem 
dänischen  grafen  mit  dem  streite  Parzivals  und  seines  Stief- 
bruders Feirefiz  vergleicht,  gewisse  anklänge  zwischen  beiden 
scenen  constatieren  lassen. 


Die  art  und  weise,  wie  der  Reinfrieddichter  die  entstehung 
der  menschlichen  abnormitäten  und  Wundererscheinungen  er- 
klärt, erinnert  so  sehr  an  Parz.  518, 1  ff.,  dass  man  wol  in 
dieser  stelle  das  Vorbild  sehen  kann  (zu  Parz.  vgl.  Pniower, 
Zur  Wiener  Gen.  s.  35.  Sattler,  Die  religiös,  anschauungen  Wolf- 
rams 8. 63  ff.).  Nur  hat  der  Reinfrieddichter  die  erzählung  viel 
breiter  ausgeführt. 

Als  nämlich  gott  den  Adam  erschaffen  hat, 


R.  8968 
biz  daz  diu  ors  erlagen 
beide  von  der  mUede. 

0002 

ir  beider  sin  gereizet 

was  nf  ein  ninwez  kempfen. 

9000 

nu  hatten  an  der  stunde 
die  herren  ouch  erbeizet. 

8934 

hie  vaht  kiusche  mit  der  zuht, 
manheit  mit  der  niilte. 


Parz.  739, 19 
diu  ors  vor  inüede  wurden  heiz, 
si   versuohten   manegen  niwen 

kreiz. 


si  bede  ab  orsen  sprangen. 


741,21 

da  streit  der  tri  wen  lüterheit: 
gTöz  triwe  aldä  mit  triwen  streit. 


R.  19702 


Parz.  518,1 


dö  gap  got  wisliche  gir 
Adamen  siner  hantgetat 
für  alliu  wunder  diu  er  hat 
geschaffen  uf  der  erden, 
swaz  gotes  kraft  lie  werden, 


unser  vater  Adam 


die  kunst  er  von  gote  nam, 
er  gap  allen  dingen  namen, 
beidin  wilden  unde  zamen: 
er  rekant  ouch  iesltches  art, 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUN8CHWEIG.  417 


dar  zuo  der  sterne  umbevart. 

der  siben  pläneten, 

waz  die  krefte  heten: 

er  rekant  ouch  aller  würze  maht, 

IDld  waz  ieslicher  was  geslaht. 


daz  wart  Adamen  gar  bekant 
und  wart  von  im  ouch  dö  genant, 
als  ez  noch  hiut  geheizen  ist. 
sin  höher  meisterlicher  list 
marht  und  bekande  alle  maht, 
der  würzen  und  der  krinter  kraft. 

Viele  dieser  kräuter  bewirken  durch  ihre  wunderbare 
kraft,  dass  schwangere  frauen,  wenn  sie  die  kräuter  ansehen, 
unmenschlich  figiire  gebären: 

Parz.  518, 11 
dö  slniu  kint  der  järe  kraft 
gewunnen,  daz  si  berhaft 
wurden  menneschlicher  fruht, 
er  (Adam)  widerriet  in  ungenuht. 
swä  siner  tohter  keiniu  truoc, 
vil  dicke  er  des  gein  in  gewuoc, 
den  rät  er  selten  gein  in  liez, 
vil  wilrze  er  se  mlden  hiez 
die  menschen  fruht  verketten 
und  sin  geslähte  unSrten. 

Die  neugierde  jedoch  lässt  ihnen  keine  ruhe: 


R.  19782 
diz  seit  offenlkhen  dö 
Adam  slnen  kinden 
und  bat  si  des  erwinden 
da  mit  ir  forme  ende  nam. 


Parz.  518,  25 
diu  wip  taten  et  als  wip. 
etslicher  riet  ir  brceder  lip 
daz  si  diu  werc  volbrahte, 
des  ir  herzen  gir  gedähte. 


R.  19830 
dö  die  frowen  hörten  jenen 
daz  onch  stuont  geschriben  dö, 
diu  krüt  schatten  sus  und  sö, 
dö  wären  si  sö  niugeru 
daz  ir  sin  niht  wolt  enbern, 
si  wolten  sin  geruochen 
und  endelich  versuochen 
ob  ez  also  w«re. 

So  sind  also  die  missgeburten  entstanden.  Vgl.  übrigens 
noch  die  ganz  ähnliche  erzählung  im  deutschen  Lucidarius, 
Schorbach,  QF.  74, 193. 

Unter  den  wunderbaren  menschen  befindet  sich  eine  schar 
von  Taburnit  (1G656.  19404.  20440);  der  name  stammt  ent- 
weder aus  Parz.  316,  30  oder  aus  dem  jüng.  Tit.  1398. 

Bei  der  erwähnung  Nabuchodonosors  macht  der  dichter 
eine  angäbe,  die  in  der  bibel  fehlt: 


R.  26746 
für  got  solt  man  in  beten  an, 
wart  üz  geschriben  in  diu  lant. 


vgl.  Parz.  102,6 
der  an  trügelichen  buochen  las, 
er  solte  selbe  sin  ein  got 
(vgl.  jüng.  Tit.  791-794). 

27 


418 


G  Kit  KK  K 


Aus  dem  Willelialm  scheinen  die  hürnenen  leute  zu  stammen: 

R.  19636  Wh.  35,  11 

swaz  in  «lern  lande  keine  stunt  .  .  .   künec  Gorhaut 

von  wibes  übe  wirt  geborn,   

daz  ist  allez  sament  hörn,  des  volc  was  vor  und  hinden 

wip  kiut  und  ouch  die  man.  35,  20  [horn. 

da  von  diz  volc  in  strite  kan  des  künec  Gorhandes  her 

nieman  überwinden.  mit  stahlinen  kolben  streit, 

an  alten  und  an  kindeu  395,23 
siht  man  nodi  grifet  nibt  denn  horn.     ir  vel  was  horn  iu  grüenem  schin: 

alsus  werdeut  si  geborn  die  truogen  kolben  stäbelin 

und  vehtent  algeliche  (vgl.  jüng.  Tit.  331 1  ff.), 
mit  kolben  ritterliehe. 

Reminiscenzen  aus  Wolfram  sind  vielleicht  auch  folgende 
stellen: 

R.  19000  Wh.  85,  25 

er  tuuose  sware  siege  geben  Arofels  ors  Volatin 

ze  bürgen  für  sin  sterben.  und  Schoyfts  daz  »wert  sin 

da  wurden  bürgeu  für  sin  leben. 

16391  Wh.  II,  16.  18,28.  20,  11.  44,25 

Terviant  als  gott  der  beiden  u.  s.  w. 

vom  bärac  angerufen. 

Im  folgenden  führe  ich  nun  sämmtliche  anspielungen  des 
Reinfrieddichters  auf  Wolfranis  werke  mit  den  entsprechenden 
belegstellen  an.  Da  es  sich  aber  nicht  immer  sicher  entscheiden 
lässt,  ob  der  dichter  in  gewissen  fällen  sich  auf  den  Parzival 
oder  den  jüng.  Titurel  bezieht,  nehme  ich  die  citate  aus  letz- 
terem hier  gleich  mit  hinzu. 

780  ff.  Die  turteltaube,  das  wappen  des  grals  —  Parz.  474. 
1—11.  540, 26  f.   Keuschheit  der  gralsritter  —  Parz.  235?  28  ff. 

2078  lebt  ItiscJtaude  die  der  gral  sieh  von  erste  tragen  He  . . . 
Hier  liegt  eine  Verwechslung  mit  Repanse  de  Schoye  vor  (vgl. 
Bartsch,  anm.  zu  R.  2078);  denn  es  heisst  Parz.  235, 25  liepanse 
de  schoy  si  hiez,  die  sicii  der  gräl  tragen  liez.  Ebenso  im  jüng. 
Tit.  Aber  diese  Verwechslung  ist  zu  erklären;  denn  Rischaude 
wird  vom  gral  dem  ersten  gralkönig  Titurel  zur  gemahlin  ge- 
geben (j.  Tit.  418  ff.). 

2194  sweus  man  von  Jeschtite  de  la  Lander  mündet  seit; 
vgl.  Parz.  130, 5  ff. 

8921  ff.  Kampf  zwischen  Parzival  und  Fereinns  —  Parz.  xv. 

8931  Gawein.    9240  Herzeloud.    9242  Gyburc. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


419 


10418  ff.  Der  gral,  ein  tvunsch  an  liplicher  nar  —  j.  Tit. 
490.  598  (Parz.  238, 28). 

11920  ff.  und  24946  f.  Reichtum  des  königs  Artus  —  j.  Tit. 
1403.  1408. 

14854  ff.  Willehalm  vergisst  den  schmerz  über  den  tod 
seiner  getreuen  Mile  und  Vivianz,  wenn  er  in  Gyburgs  armen 
ruht  —  Wh.  94.  95.  100  ff. 

15238  ff.  Sigüne  SchinaJitelandcrs  tot  mit  töne  galt  —  j.  Tit. 
5776. 

15276  ff.  alsam  der  nurrinne  von  Zazamanc,  der  grimme 
not  si  värwet  jämerlichen  tot  nach  dem  ertvelten  Gahmurcten 
—  Parz.  750, 24  ff.  j.  Tit.  1000.  2545. 

15282  ff.  ir  Up  ze  töde  het  getreten  tri?  liht  mit  frigem  willen 
sam  daz  herz  Secundillen  dur  Fere\.Xz  den  Anschcvin  — ? 

15306  ff.  C4yburg  leidet  not  um  den  abwesenden  Willehalm, 
ebenso  wie  Condwiramurs  um  Parzival. 

16146  ff.  Die  heiden  hatten  nie  so  grosse  Verluste  erlitten 
ein  allein  dö  si  verlurn  sö  mangen  helt  uf  Alischanz. 

16585  ff.  Wolfram  spricht  in  'Titureles  buoche'  wol  von 
zweihundert  hänge  namen;  vgl.  j.  Tit.  1547  zu  beider  sit  zwei- 
hundert, die  gein  strite  wären  in  der  meine. 

j.  Tit.  1974—2083  ff.  folgt  dann  eine  lange  aufzählung  von 
namen.  Der  Reinfrieddichter  bemerkt  16590  ff.,  das  sei  bei 
der  gelegenheit  geschehen,  als  die  bruoder  uzer  Babilön,  Pom- 
peius  und  Ypomedvn  (vgl.  Parz.  14, 3  zwen  bruoder  von  Babilön, 
Pompeius  und  Ipomidön  101,28  f.;  vgl.  noch  R.  19945  ff.) 

mit  her  urliuges  pflägeu  den  im  dur  riehen  prisant 

und  keiserliehen  lägen  durch  liebe  und  durch  minne 

mit  offenlicher  melde  diu  »warze  küneginne 

uf  Florischanz  dem  velde  von  Zazamanc  dem  fürsten  gap. 

gen  dem  . . .  filmten  rieh  von  Baldac, ...  ir  laut  ir  namen  ich  niht  hab 

swie  daz  der  fürste  riche  gekennet  und  ir  underscheit: 

nette  schedelich  verlorn,  da  von  wirt  iueh  niht  geseit 

dö  vor  im  der  höhgebora  noch  kunt  von  mir  ir  namen  gar. 

(iahmuret  wart  erelagen  ir  lant  ir  w&fen  offenbar 

mit  bockes  bluote,  hrer  ich  sagen,1)  mnoz  ich  durch  not  verewigen. 

an  den  herten  adamant 

Diese  ganze  geschiente  hat  der  dichter  nur  aus  dunkler 
erinnerung  eingeflochten.   Dafür  spricht,  dass  er  den  namen 


»)  (j.  Tit.  916.  Parz.  105). 

27' 


420 


der  königin  von  Zazamanc  nicht  kennt,  wie  er  ihn  denn  sehr 
wol  bei  der  grossen  zahl  von  namen  im  j.  Tit.  vergessen  haben 
konnte.  Dafür  spricht  aber  auch  die  angäbe,  dass  Pompeius 
mit  Ypomedon  auf  dem  felde  zu  Florischanz  gegen  den  fürsten 
von  Baldac  gekämpft  hätten,  während  auf  Florischanz  nach 
dem  j.  Tit.  nur  das  grosse  turnier  des  Königs  Artus  stattfand. 
Derselbe  irrt  um  passiert  dem  Reinfrieddichter,  wenn  er  sagt: 
16648  die  pavilün  die  Secureis  üf  Florischanz  der  heiden  liez, 
denn  Secureis  tritt  auf  Florischanz  gar  nicht  auf;  er  kämpft 
vielmehr  auf  seiten  der  babylonischen  brüder  in  der  schlacht 
bei  Plenanze. 

Von  den  eben  genannten  zelten  heisst  es  weiter 


Schyonahtelandern  nen  [j.  Tit.  3333],     durch  der  von  Taburnite 


Dieselbe  Secundille  sante  dem  Anfortas  den  kosterichen 
krän  [j.  Tit.  4850  ff.  Parz.519, 10-12. 18-30.  Wh.  279, 13—23], 
der  sit  ze  teile  der  scheenen  Orgelüsen  wart  [Parz.  616, 15  ff.]. 

Es  folgt  nun  die  erzählung  von  des  Anfortas  Verwundung 
und  seiner  heilung  durch  Parzival;  16680  als  ich  in  sime  buoche 
vant  von  dem  von  Eschibach  geschribcn. 

16756  ff.  Aroffels  tod  auf  Alischanz  —  Wh.  81, 12  ff.  Von 
Aroffel  stammt  der  Persän,  mit  dem  Reinfried  kämpft, 

16766  daz  goltgebirge  Kaukasas  diende  siner  milten  haut 
—  gefolgert  aus  Wh.  80, 22  ff.,  wo  Aroffel  Willehalm  lösungs- 
geld  bietet:  ob  aUez  gebirge  Kaukasas  diner  hand  ze  geben 
zamie,  daz  golt  ich  gar  niht  ncsme\  vgl.  R.  17552  si  tcolten  so 
vil  goldes  geben  und  me  denn  Aroffel  bot  üf  Alischanz  für 
sinen  tot. 

17 106  ff.  Aroffels  schild  nimmt  Willehalm  an  sich  —  Wh.  82, 7. 

17333  ein  rarin  sper  von  Agram  —  Parz.  335, 20.  384,30. 
703, 24. 

17378  ff.  Der  könig  Gramoflanz  ist  so  stark,  vier  akl  fünf 
er  wolte  zemäl  bestän  alleine  —  Parz.  604, 12  ff. 

18438  ff.  Thesereysens  tod  auf  Alischanz  —  Wh.  87, 27  ff. 


v. 16650 

die  von  Baldac  der  furste  hiez 


die  Fereviz  der  vehe  hät 
ervohten  alt  mit  strite 


daz  gelichnisae  gen 

konde  Thasme  der  riehen  stat, 


küneginnen  willen, 
der  süezen  Secundillen  f j.  Tit  5320  ff.] 
(vgl.  R.  16682  ff.). 


STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  421 


19958  Terramer.  20158  ff.  Firevis,  ParzivM,  Gawän,  Giüi- 
muret  etc. 

20406  Schionahtelander  besiegte  zwanzig  fürsten  an  der 
von  Babilöne  her  —  j.  T.  1897. 

21930  Gog  Magog  dri  Indiä  wären  alle  im  bekant,  priester 
Jahan  und  sin  lant,  zwei  und  sibenzic  künicrich  —  j.  T.  0032. 
6033.  6034.  6058. 

22946  Artus. 

Die  verse  16156  ff.  19952  f.  beweisen,  dass  der  Reinfried- 
dichter auch  die  Vorgeschichte  zu  Wolframs  Willehalm  von 
Ulrich  von  dem  Türlin  kannte. 

6.  Der  jüngere  Titurel. 

Sind  bisher  nur  die  citate  aus  dem  jung.  Tit.  berücksich- 
tigt, so  sollen  im  folgenden  die  reminiscenzen  und  directen 
entlehnungen  daraus  zusammengestellt  werden. 

Yrkanes  erstes  auftreten  wird  ähnlich  dargestellt  wie  im 
jung.  Titurel  das  der  atmerinne: 

R.  792  j.  Tit.  2799 

man  sach  üf  höhe  reichen  golt  riebe  seidin  lachen 
ein  pnrpnr  von  vier  scheften,      furt  man  da  hundert  swebende 

daz  wart  gefüert  mit  kreften  ob  den  hundert  knnigen  zu  obedachen 

enbor  von  gräven  vieren.  ie  vier  inncherren  eins  an  schef- 
dar  under  bi  den  zieren  ten  vieren 

reit  diu  minnecliche  magt.  und  ob  der  atmerinne. 

Wie  Reinfried  und  Yrkane,  so  bleiben  Titurison  und  Eli- 
zabel  anfangs  ohne  erben: 

R.  12956  j.  Tit.  137 

wan  ir  süeze  minne  sie  vorhten  sunder  fruht  beliben, 

blüete  fruht  an  ir  verbar.  an  erben  alle  ir  riche 

de«  sach  man  si  jamervar  daz  must  nn  hohe  freude  von  in 

gar  ze  manger  stunde.  triben. 
fröude  in  herzen  gründe 
künde  ez  in  verderben, 
daz  si  got  an  erben 
so  lange  hat  gel&zen. 

Deshalb  widmen  Titurison  und  Elizabel  (138  ff.)  gott  ein 

bild  von  golde  als  opfer  nach  Jerusalem,  damit  er  ihnen  ein 

kind  schenke.   Ebenso  im  R.: 

13188 

er  bat  got  und  enthiez  ze  opfer,  ob  er  wolde 

imeinkintvongolde  erfüllen  sinen  willen. 


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422 


OEREKE 


Ueber  die  greifen,  die  das  gold  auf  dem  Kaukasus  be- 
wachen (R.  18244  ff.  j.  Tit.  3346—3348)  vgl.  Bartsch,  Herzog 
Ernst  s.  cliv  f. 

Die  grosse  auseinandersetzung  im  R.  über  die  vier  demente 
und  die  in  ihnen  lebenden  geschöpfe  zeigt  wesentliche  berüh- 
rungen  mit  einer  ähnlichen  partie  im  jüngeren  Titurel: 


R.  26404 
der  elementen  viere  »int, 
von  der  complexen  stiure 
hat  alle  creatiure 
lip  und  lebeliche  pfliht. 
an  ir  temperunge  niht 
mac  lebende  sin  üf  erden. 


26410 

ez  moht  noch  kond  üf  werden 
krüt  holz  lonp  noch  stein 
an  diu  elementen  rein 
diu  so  in  ein  »ich  flehtent 
daz  si  »täte  vehtent 


20415 

mit  zwilicher  uatiure. 
dürr  heiz  ist  an  dem  fiure, 
finht  und  kalt  daz  wazzer  hat, 
kalt  und  dllrr  diu  erde  »tat, 
heiz  und  fiuht  so  hat  der  luft. 


26420 

iecliches  dementen  kruft 
pfligt  einer  lebendigen  art 
diu  lebendes  muoz  werden  schart, 
swenn  ez  in  ein  anderz  kunt. 
ein  herinc  in  des  meres  grünt 


j.  Tit.»)  2756 
got  alle  creature  mit  creften  hat  so 

geordent 

mit  wazzer  und  mit  feure  luft  und 

erde  dise  viere  hordent 
mit  solher  craft  daz  niht  an  sie  ist 

lebende 

daune   vier   hande  geschepfe 
der  einer  ist  ie  ir  eines 
leben  gebende. 

2757 

die  viere  niht  gemeine  lehent  der 

demente 

feur  erde  wazzers  eine  gainaniol 

vil  hoch  gelente 
vierzehen  mile  oberhalp  der  erde 
und  lebt  niht  wan  luftes.  der 
drier  hat  er  zu  einer  slaht  begerde. 

2760 

die  ander  creature  ist  niht  wann 

wazzers  lebende 
der  erden  luft  noch  feure  ist  nach 

disen  drin  zu  nihte  strebende 
daz  ist  der  her  in  g  weder  groz  noch 

kleine 

ist  er  nihtes  lebende  danue  besunder 
wazzers  gar  al  eine. 

2761 

der  muolwerf  ist  daz  dritte  weder 

wirs  noch  bezzer 
der  hoch  noch  der  mitte  begert  er 

weder  luft  feur  noch  wazzer. 
wan  zu  allen  ziten  in  der  erde 

tonnen 

sin  leben  ist  verkoufet  swenn  man 
in  ob  der  erde  siht  hie  ouzzen. 


')  Ich  gebe  den  text  nach  Hahn,  ohne  Verbesserung. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  423 


26428 

lebt  sunder  sterben  ane  not. 
luft  fiur  erde  sint  sin  tot, 
ieclichez  suuder,  bin  ich  wer. 
in  der  erden  lebt  ein  scher 
lange  sonder  noete. 


26430 

luft  wazzer  fiur  in  trete, 
an  diu  so  lebt  er  schöne, 
in  luft  gamaleöue 
ist  wol  an  erden  wazzer  fiur. 
so  lebt  diu  Vierde  creätiur 

26435 

an  wazzer  erden  unde  luft 
und  hat  lebelichen  guft 
in  fiure  und  niht  anders. 


2762 

so  ist  dem  salomander  immer  leben 

teure 

swenn  er  niht  sam  ein  zander  zu 
allen  ziten  brinnet  indemfeure 
dem  ist  luft  wazzer  erde  niht  ge- 

mezze 

wan  so  vil  daz  er  erde  bi  dem  feure 
muz  pflegen  eben  sezze. 

2768 

wan  sie  [die  elemente)  gar  un- 
geliche  sust  kriegent  mit  ir 

ante 

daz  ein  ist  hitze  riche  so  ist 
daz  ander  ringe  und  kalter 

slahte 

daz  dritte  ist  swer  kuole  und 

darzu  trucken 
das  vierd  swer  und  feuhte  und 
kan  ie  eins  dem  andern  craft 

wol  zucken. 


Die  gemeinsame  quelle  für  R.  und  j.  Tit.  scheint  Honorius 
zu  sein;  in  einigen  punkten  ist  die  beziehung  zwischen  R.  und 
Honorius  näher  als  zwischen  R.  und  j.  Tit.  Honorius,  De  philo- 
sophia  mundi.  1.21  De  elementis:  nachdem  er  im  anfang  des 
capitels  entwickelt  hat,  dass  die  sogenannten  vier  elemente 
eigentlich  keine  elemente  sind  —  denn  clementum  est  simpla 
et  minima  pars  —  fährt  er  fort  (Migne  172, 49  D):  cum  ergo 
illae  simplac  et  minimae  particulae  elementa  sint,  quae  est  fri- 
gida  et  sicca,  terra  est:  quae  frigida  et  humida,  aqua 
est:  quae  calida  et  humida,  aer:  quae  calida  et  sicca, 
ign  is  (R.  26416/9);  vgl.  Imago  mundi  2,  58. 

Weiter  sagt  er  (50  B):  sunt  alii  qui  dicunt  quae  videntur 

esse  elementa,  comprobantes  hoc  autoritate  Juvenalis,  qui  de 

gulosis  loquens  ait: 

'interea  gustus  elementa  per  omnia  quaerunt' 

(Sat.  11,14), 

scilicet  in  terra  venationes,  in  aqua  pisces,  in  aere  aves. 

(50  D):  in  unoquoque  illorum  [feuer,  wasser,  luft,  erde]  alt- 
quid  de  aliis  est  (R.  26408  f.). 

(52  D):  cum  enim  sint  elementa  quatuor  et  quatuor  illorum 


424 


GEREKE 


qualitates,  inde  fiunt  sex  complcxioncs  (R.  26405).  quarum 
quatuor  sunt  possibiles,  duae  impossibiles. 

Aus  dem  j.  Tit.  ist  ferner  der  ausführliche  excurs  über  die 
gewinnung  der  kostbaren  gewänder  geflossen,  die  die  Salamander 
im  feuer  spinnen: 

j.  Tit.  6065 
ein  wider  glast  der  sunnen  ist  von 

der  pfelle  wehe 
und  wirt  mit  not  gewannen  in 
dem  f eure  wurkent  sie  den  spehe 
bi  den  ist  alle  side  und  golt  zu  nihte 
wie  man  die  wan  die  gewinnet  da 
maht  man  hufen  drie  von 
holtze  die  rihte. 


R.  26458 
man  muoz  mit  grözer  witze 
üz  dem  starken  brinnen 
h&r  und  daz  tier  gewinnen 
mit  grözer  kost  und  ncete  vil. 

26450 

wan  diu  wolle  gesponnen  wart 
von  der  creätiure 
in  dem  wilden  fiure 
mit  hitze  und  mit  brinnen. 

26464 

ein  grözen  hüfen  machen 
mit  dürres  holzes  stiure. 

26472 

von  dem  wirt  aber  eine 
gemachet,  doch  nnverre  dan. 
vier  ald  flinfe  machet  man. 

26492 

der  hüf  verbrinnet,  der  ander 
hüf  da  na  enpfahet. 


26485 

so  ziuht  er  dur  die  hitze  dar, 
wan  daz  helle  fiur  in  gar 
tuot  an  allem  libe  frisch  etc. 


26498 

ez  wttrket  unde  spinnet 
alsam  die  würme  siden. 

26440 

swenn  daz  kleit  an  schrene  laz 
von  keiner  slaht  unreinekeit 
wart,  der  ez  denn  schöne  leit 
in  ein  grözez  fiur,  zehant 


6066 

von  ein  ander  niht  verre  den 

man  da  feuret 
er  want  daz  im  niht  werre  an  sinen 

kampel  freuden  ez  in  steuret 
der  ander  brinnet  swen  der 

erste  vellet 
von  dem  ez  aber  gaget  und  zum 
dritten  houfen  sich  gesellet. 
6067 

den  wurm  also  zohet  mit  feure 

drier  houfen 
dem  berge  er  sus  empflohet  wirt  wil 

er  gahes  wider  loufen 
nach  gaher  wirt  die  vart  im  nnder 

gangen 

dur  daz  die  ersten  erloschen  sint 
da  mit  ist  er  gevangen. 

6068 

vil  siden  ist  er  tragende  dar 

inne  ist  er  verwunden 
sie  sint  durch  behagende  in  dem 

berge  gevangen  und  gebunden 
wan  sie  kein  feur  nimmer  kan  ver- 
brennen 


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8TUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  425 


din  nnreinekeit  gebrant 

wirt  dä  von  gar  sunder  schranz. 

2ß525 

si  darf  nieman  weichen 

mit  lougen  noch  mit  eschen, 

niht  wan  in  fiur  ez  reinet  sich. 


wer  inoht  al  solche  wunder  an  richeit 

ouch  erkennen. 

6069 

durch  reht  man  ez  vergoldet  und  ist 

zu  pfellen  wegende 
gar  lylien  wiz  getoldet  wirt  sin 
craft  sin  glast  sus  wernde  ge- 
bende 

vil  mange  werdekeit  derpfelle  waldet 
daz  feur  iu  machet  newe  da  von 
er  nimmer  vereidet. 


7.  Sonstige  höfische  epen. 

Zur  Vervollständigung  unseres  bildes  von  der  belesenheit 
des  Reinfrieddichters  in  der  zeitgenössischen  höfischen  literatur 
dient  es,  wenn  wir  v.  8930  f.  und  v.  20160  Wigalois  und  Lan- 
zelet  genannt  finden.  Der  dichter  kannte  also  auch  Wirnt  von 
Gravenberg  und  Ulrich  von  Zazichofen. 

Ob  er  Veldekes  Eneide  gelesen  hat>  lässt  sich  aus  v.  3210  ff. 
und  15260  ff.  nicht  erkennen,  da  er  v.  3216  Virgil  citiert,  und 
wir  keinen  grund  haben,  ihm  nicht  zu  glauben. 


II.  Spielmannsdichtung. 

In  der  hauptsache  verweise  ich  hier  auf  die  früheren  aus- 
f üh rangen  über  die  person  des  dichters.  Ich  habe  dort  (s.  363  ff.) 
festzustellen  gesucht,  dass  der  Zusammenhang  des  R.  mit  der 
Spielmannsdichtung  ein  fundamentaler  ist  und,  wenn  ich  so 
sagen  darf,  einen  inneren  grund  hat. 

Ich  erinnere  ferner  hier  noch  einmal  an  Bartsch'  einleitung 
zum  Herzog  Ernst  (s.  cxxxff.),  wo  er  den  beweis  der  nach- 
ahmung  dieses  gedientes  durch  den  R.  führt,  und  mache  kurz 
einige  nachtrage. 

Wenn  wir  im  R.  lesen: 

19370 

ein  volc  was  ungehiure,  si  waren  an  den  füezen 

des  wir  sprechen  müezen:  breit  alsam  die  wannen, 

in  beziehung  auf  Ernst  4674  f.: 

den  warn  die  ftieze  vil  breit 
und  also  den  swanen  gestalt, 

so  ersetzt  der  Reinfrieddichter  hier  einen  ungewöhnlichen  ver- 


426  GEBEKE 

gleich  durch  einen  gebräuchlicheren;  vgl.  Iw.  443  örenbreit  alsam 
ein  tcanne;  Krone  9381  (vgl.  Lexer  3,  682). 

Der  fürst  von  Ascalon,  auf  dessen  seite  Reinfried  im 
kämpfe  gestanden  hat,  erweist  sich  ihm  dankbar.  Ebenso 
wird  Ernst  vom  fürsten  der  Arimaspen  für  seine  hilfe  belohnt : 

R.  2066«  Ernst  4762 

'  lip  und  ouch  daz  leben  min  er  sprach  'jangelinc  geiueit, 

muoz  iuwer  eigenlkhen  wesen.  du  hast  mir  manliche 

ich,  Hut  und  lant,  wir  sin  genesen  und  also  frumliche 

von  inen',  sprach  er,  'iuwer  trost  ere  und  lip  behalden. 

hat  uns  ritterlich  erlöst  du  solt  iemer  mer  gewalden 

von  iemer  wernder  swtere'.  rains  lande«  swaz  dus  haben  wit1 

2067«  4768 

'swaz  ich  uf  al  der  erden  'des  sul  ich  dir  lihen  also  vil 

iezc  hau  ald  ie  gewan  durch  liebe  die  ich  zno  dir  han 

und  iemer  nie  gewinnen  kau,  daz  du  selbe  maht  wol  hau 

sol  iuwer  eigentlichen  sin.'  beide  ere  unde  ruom.' 

Wie  herzog  Ernst,  so  besucht  natürlich  auch  Keinfried 
Jerusalem  und  das  heilige  grab: 

R.  17938  Ernst  5678 

der  fiirste  riche  aldä  opferte  der  wigant 

und  al  sin  kristenlichiu  schar  gote  ze  eren  uf  sin  grap. 
brahteu  groziu  Opfer  dar.  56^4 

17944  ze  dem  tempel  gap  er  ouch  genuoc 

(er  hiez)  mit  riehen  sarhen  und  swa  er  heilige  stete  vant. 

daz  grap,  den  tempel  kleiden. 

Die  frage  nun,  welche  bearbeitung  der  Ernstsage  dem 
Reinfrieddichter  vorgelegen  hat,  muss  offen  bleiben.  Von  den 
uns  erhaltenen  fassungen  scheint  direct  keine  in  betracht  zu 
kommen  (vgl.  Bartsch,  H.  E.  s.  cxxxvni). 

Widerholt  wird  im  R.  die  Alexandersage  berührt.  Diese 
ist  ja  im  mittelalter  sehr  verbreitet,  und  unser  dichter  kannte 
sie  gewis  aus  verschiedenen  quellen.  Speciell  angelehnt  haben 
mag  er  sich  an  die  Überlieferung,  wie  wir  sie  in  Enikels 
Weltchronik  lesen,  da  er  wahrscheinlich  bei  seinem  zweimaligen 
citat  einer  chronik  eben  diese  meint: 

R.  17970  Enikels  W.  28915 

sider  ich  gehöret  hab  (abweichend  Ton  der  Kaiserchronik) 

daz  diu  stat  daz  grap  daz  lant  dar  nach  der  keiser  wart  verholn, 

kam  aber  in  der  kristeu  haut  den  kristen  allen  vor  verstoln; 

bi  keiser  Frideriche.  wan  nieman  west  diu  msere 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


427 


und  do  der  fürste  riche 

so  wunderlichen  wart  vertriben, 

als  in  der  crönik  iat  geschriben. 


wa  er  hin  komen  wtere  etc. 


18140 


(vgl.  Strauchs  anm.  zu  dieser 
stelle). 
EnikelsW.  24331  ff. 


dö  Titus  und  Vespasiän 
gotes  marter  rächen 
und  Jerusalem  zerbrächen, 
als  cronica  diu  wäre  seit. 

Von  Alexanders  wunderbaren  reisen  kennt  der  dichter 
zuerst  die  meerfahrt  (v.  15156  ff.;  vgl.  auch  v.  22530  f.)  und  zwar 
die  Version  der  sage,  wonach  sich  Alexander  an  einer  kette,  die 
seine  geliebte  hält,  in  das  meer  hinablässt  (Enikels  W.  19251  ff. 
und  daraus  auch  im  Baseler  Alex.  s.  4247  ff.).  Die  geliebte  heisst 
hier  Laudavine,  während  sich  sonst  höchstens  der  name  Roxane 
findet.  Den  namen  Laudavine,  der  sich  nirgends  nachweisen 
lässt,  hat  sich  wol  der  dichter  selbst  zurechtgemacht,  aus 
Laudine  und  Lavine  (Lavinia). 

V.  21850  ff.  wird  Alexanders  fahrt  zum  paradiese  erwähnt. 
Die  angaben  treffen  insofern  mit  dem  bericht  Enikels  (19010  ff., 
vgl.  auch  Baseler  Alex.  4154  ff.)  zusammen,  als  an  beiden  stellen 
keine  andeutung  zu  finden  ist  von  dem  weisen  juden,  der  dem 
Alexander,  erst  nach  der  ruckkehr,  in  Griechenland  offenbart, 
was  es  mit  dem  wunderlichen  stein  auf  sich  habe.  So  nämlich 
ist  die  Version  in  Lamprechts  Alexander,  nach  dem  Iter  ad 
paradisum.  Ks  fehlt  jedoch  in  Enikels  W.,  was  im  R.  unmittel- 
bar vorhergeht: 


Diese  mauer  könnte  der  dichter  ja  nun  ebensogut  aus  einer 
anderen  quelle  als  einer  Alexandersage  haben  (vgl.  z.  b.  Luci- 
darius^,  Hall,  univ.-bibl.  Af  2048,  a  Illd:  der  meister  sprach  also 
die  bücher  sagen  I  so  mag  niemant  in  dz  paradeifs  kommen  daU 
mit  giltten  wercke.  traft  darumb  geet  ein  feurin  maur  die  reychet 
biß  an  de  himel);  aber  wir  finden  sie  z.  b.  bei  Lamprecht 
(6850  ff.)  und  im  Iter  ad  paradisum  (auch  bei  Ulrich  v.  Eschen- 
bach 24444  ff.)  Also  dürfen  wir  wol  annehmen,  dass  der  dichter, 


21b4rt 


er  seit  im  daz  er  wwre  komen 

mit  strenger  noete  süre 

an  die  höhe  müre 

da  al  diu  weit  ein  ende  nint. 

sumeliche  Hute  sint 


mit  sinnen  in  der  wise 

daz  si  dem  paradise 

und  dirre  erd  geb  uuderscheit. 

für  war  niemen  niht  da  von  seit 

mit  slehten  Worten  blözen. 


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428 


GEREKE 


wenn  er  auf  die  Alexandersage  anspielt,  hier  in  der  erinnemng 
aus  verschiedenen  quellen  combiniert. 

Der  schiffsherr  aus  Ejulat,  der  dem  herzog  Reinfried  von 
dieser  fahrt  Alexanders  zum  paradiese  erzählt,  da  er  selbst 
dort  gewesen  ist,  berichtet  weiter,  wie  er  auf  seiner  reise 
das  ende  der  weit  erreicht  habe,  wo  einst  könig  Hercules  zwei 
erin  (so  wird  statt  erlin  v.  21907  zu  lesen  Sein)  siul  errichtete, 
zum  Wahrzeichen,  daz  nie  kein  mensche  fürbaz  nwhte  kamen. 
In  den  Strassburger  drucken  der  HLstoria  de  preliis  werden 
nach  Kinzel,  Lampr.  Alex.  s.  xxv  die  säulen  des  Hercules  ge- 
nannt, vgl.  Hist.  de  prel.  (hsg.  von  0.  Zingerle)  c.  91. 

Als  dritte  der  wunderbaren  reisen  Alexanders  nennt  der 
Reinfrieddichter  die  greifenfahrt  22514  ff.  Vgl.  Kinkels  W. 
19441  ff.  (Baseler  Alex.  4381  ff.).  In  der  luft  habe  Alexander 
den  vogel  gamaleon  gesehen: 

22523  »wenn  er  sieb  missehüetet 

der  vogel  siniu  eiger  birt,  daz  er  näcb  zuo  der  erden  kunt, 

und  wie  im  üf  dem  rugge  wirt  so  ist  er  tot  der  selben  Munt, 

sin  fruht  schön  fiz  gebrüetet.  wan  er  üf  erden  hat  kein  ner. 

Ueber  das  nur  in  der  luft  lebende  chamaeleon  vgl.  Lauchert, 
Geschichte  des  Physiologus  s.  202.  Freidank  38, 109, 14  ff.  Rein- 
bot, Georg  3874—3880.  Im  jüngeren  Titurel  lesen  wir  str.  4755, 
dass  Alexander  in  der  luft  den  vogel  galadrot  gesehen  habe: 
wie  der  in  den  lüften  get  nu  swebende  und  sine  junge  brütet, 
bis  daz  sie  mit  im  schone  fliegent  lebende.  Str.  2759  heisst  es 
vom  gamaniol:  swenne  er  sine  jungen  willen  hat  zu  meren  von 
im  wirt  hoch  gesungen  wenn  er  legt  daz  ey  zu  hant  so  kan 
er  keren  und  tut  dem  ey  so  not  mit  nider  drucke  untz  daz  ez 
wirt  zu  vogele  so  kan  ers  danne  fiteren  uf  sinetn  rucke,  und 
von  demselben  2757  und  lebt  niht  wan  luftes  (vgl.  s.  422). 

Ueber  die  einschliessung  von  Gog  und  Magog  sagt  der 
Reinfrieddichter: 

19547  wie  Alexander  si  beslöz 

Gog  und  iMagog  der  juden  laut  mit  berge  und  mit  müren  gröz 

stat  in  der  küneginne  [der  Amazonen]  und  ouch  mit  dem  grienigen  mer 

da  mit  die  röten  juden  sint,  [hant,  daz  äue  wazzer  sunder  wer 

als  man  noch  geschriben  vint,  fliuzet  stretecliche. 

Dasselbe  berichtet  nach  Zingerle  (Die  quellen  z.  Alex,  des 
Rudolf  v.  E.  s.  86)  Rudolf  in  seinem  Alexander  (v.  15876— 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  429 


17395),  mit  fälschlicher  beruf ung  auf  Josephus  [vgl.  auch  Baseler 
Alex.  4108  ff.]. 

Gog  und  Magog  neben  den  roten  juden  werden  erwähnt 
im  j.  Tit.  6057  f.  An  derselben  stelle  hören  wir  auch  von  dem 
meer:  6056  da  bi  so  ligt  besunder  gar  ane  icazzer  trucken  ein 
mer;  6059  ditz  tner  von  sande  durch  lant  gar  ane  zuht  ez  rinnet. 
Das  sandmeer  stammt  wahrscheinlich  aus  dem  brief  des  priesters 
Johannes  c.  31 :  mare  harenosum  sine  aqua,  harena  movetur  et 
tumescit  in  undas  ...et  numquam  est  tranquillum. 

Wenn  v.  19941  f.  und  v.  26772  ff.  von  Alexanders  kämpf 
mit  Darius  berichtet  wird,  so  geht  diese  kenntnis  im  zweiten 
falle  sicher  auf  die  bibel  zurück.  Jedoch  enthält  eben  diese 
stelle  einen  zusatz,  den  die  bibel  nicht  hat.  Alexander  hat 
den  Darius  besiegt  und  die  ganze  erde  sich  untertänig  ge- 
macht; aber 

25784 

niht  langer  wan  üf  drige  tage  in  tot  sin  vil  werdez  leben, 

wert  »in  keigerlich  gewalt.  wan  er  starp,  im  wart  vergeben 

mit  nntriuwen  wart  gevalt  mit  arger  gifteclicher  pfliht. 

Da  in  v.  26784  f.  eine  textverderbnis  ausgeschlossen  ist 
(tage  reimt  auf  sage),  so  kann  die  stelle,  wenn  sie  sinn  haben 
soll,  allein  so  gefasst  werden,  dass  Alexander  nur  drei  tage 
auf  dem  gipfel  seiner  macht  stand.  Diese  angäbe  weiss  ich 
jedoch  durch  nichts  zu  belegen.  Daher  glaube  ich,  dass  der 
dichter,  der  die  eben  genannte  partie  mitten  in  einen  biblischen 
excurs,  also  wol  sicher  aus  dem  gedächtnis,  einlegt,  hier  bei 
den  drei  tagen  eine  Verwechslung  begeht.  Drei  tage  weilt 
Alexander  z.  b.  auf  dem  meeresgrunde.  Ceber  Alexanders  tod 
vgl.  Enikels  W.  19652  ff.  Baseler  Alex.  4441  ff.  O.Zingerle,  Die 
quellen  z.  Alex,  des  Rud.  v.  Ems  s.  50,  a.  3. 

Enikel  berichtet  uns  auch  (23779  ff.)  die  erzählung  von 
Virgil,  wie  er  zu  Rom  von  einem  listigen  mädchen  in  einem 
korbe  aufgehängt  wird.  Darauf  spielt  der  Reinfrieddichter 
15 176  ff.  an  und  nennt  hierbei  wider  einmal,  wie  bei  Alexan- 
ders meerfahrt,  für  das  mädchen  einen  namen,  AOuinatä,  den 
wir  sonst  vergebens  suchen.  Vgl.  Massmann,  Kaiserchronik 
3, 451  ff.  v.  d.  Hagen,  GA.  3,cxlix.  Strauch  zu  Enikels  W.  6173. 
Germ.  4, 273.  Athanais  lässt  sich  als  ähnlichklingeud  aus  dem 
Eraclius  allenfalls  anführen. 


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430 


GEREKE 


Im  anschluss  hieran  erwähne  ich  gleich  noch,  dass  im  R. 
auf  diese  geschieh te  unmittelbar  die  anekdote  von  dem 
weisen  Aristoteles  folgt,  der  sich  von  einem  mädchen  reiten 
lässt  (15182  f.).  In  v.  d.  Hagens  GA.  1,2  ist  das  mädchen  Ale- 
xanders geliebte,  Phyllis  (vgl.  dazu  GA.  1,  einleitung  s.  lxxv  ff.). 
Merkwürdigerweise  führt  sie  im  R.  den  namen  Silarin.  Wir 
haben  denselben  fall  wie  oben:  der  name  ist  anderweitig  nicht 
nachzuweisen.  Ich  glaube  deshalb  aber  noch  nicht,  dass  wir 
daraus  auf  besondere,  uns  unbekannte  quellen  schliessen  müssen, 
sondem  möchte  lieber  dem  dichter  selbst  die  erfindung  dieser 
namen  zutrauen. 

Etwas  länger  verweilen  muss  ich  jetzt  bei  der  episode 
vom  zauberer  Zabulon  und  von  dem  magnetberge,  die  im 
R.  einen  ziemlich  beträchtlichen  räum  einnimmt.  Diesen  zau- 
berer, der  in  unserem  epos  übrigens  Savilon  heisst,  und  seine 
taten  kennt  auch  der  Wartburgkrieg,  dessen  6.  teil  Simrock 
'Zabulons  buclr  überschreibt.  Vergleichen  wir  nun  beide  er- 
zählungen,  so  ergeben  sich  bei  zahlreichen,  teilweise  fundamen- 
talen ab  weichungen  doch  viele  wörtliche  anklänge.  Und  daraus 
schon  folgt,  dass  ein  directer  Zusammenhang  zwischen  R.  und 
Wrtbgkr.  nicht  besteht,  sondern  dass  beide  vermutlich  aus 
derselben  oder  aus  verwanten  quellen  schöpfen. 

Ich  gebe  zunächst  eine  kurze  Übersicht  über  beide  fassungen. 
Zabulon  oder  Savilon,  heisst  es: 


R.  21328 
was  der  frste  dem  ie  wart 
astronomie  bekant. 

21344 


150, 1 1 

eins  nahtes  er  an  den  sterneu 

vant, 


was  der  erste  der  sich 
astronomie  ie  underwant. 


W.  156,9 


nu  sach  der  selbe  jungelinc 
mit  zeichen  offenbaren 
daz  nä  zwelf  hundert  jären 
har  uf  dise  erden 
ein  kint  solte  werden 
von  einer  megede  geborn. 
von  dem  kinde  solt  verlorn 
werdeu  jüdische  diet. 


daz  bi  zwelif  hundert  jaren 

wurde  ein  kint  geborn, 

daz  alle  jnden  gar  von  fcren 


stiez. 


21350 


150,15 
erz  niht  enliez, 

wie  schier  het  erz  der  mnoter 

sin  geseit. 


er  gie  behendecliche 
und  seit  ez  der  niuoter  sin, 
wan  diu  was  ein  jüdin, 
sin  vater  was  ein  heiden. 


STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  431 


21363 

wau  si  »in  inneclich  erschrac. 

Auf  der  matter  rat  forscht  Savi- 
lon  weiter  in  den  Sternen  und  er- 
fahrt durch  den  Saturnus,  die  gefahr 
für  die  juden  könne  verhütet  wer- 
den, wenn  er  ein  kleinez  hrierel  mit 
höhen  paragraff'en  und  mit  Worten 
beschriebe,  die  auch  wol  da  zuo  hör- 
ten, und  dann  diesen  brief  so  ver- 
bärge, dass  ihn  niemand  fände. 

2143U 

über  daz  wilde  mer  und  tief 
fuor  er  üf  den  agestein. 

Es  folgt  eine  ausführliche  Schil- 
derung der  von  Savilon  auf  dem 
magnetberg  getroffenen  einrich- 
tungen.  Unter  anderem  verfertigt 
Savilon  folgendes: 

21486 

ez  was  ein  erin  bilde 

und  hat  ein  hamer  in  der  hant 

erzogen. 

Das  eherne  hild  hat  eine  ganz 
andere  bestimmung  als  im  Wrtbgkr. 
Zwar  handelt  es  sich  hier  auch  um 
ein  buch,  al>er  um  ein  nigromanzie 
buoch,  mit  dem  Savilon,  um  ewig  zu 
leben,  einen  geist  in  seinen  leib 
bannt,  indem  er  seine  füsse  auf  das 
buch  setzt.  Die  übrigen  teufel  hat 
er  mit  drei  anderen  büchern  be- 
zwungen, die  er  in  eine  wand  ein- 
schliesst.  —  Sonst  spielt  Savilon  im 
R.  selbst  die  rolle  des  ehernen 
bildes  des  Wrtbgkr. 

2150$ 

er  hatte  an  der  stunde 
mit  angestlichen  sorgen 


156,7 

er  was  ein  jude  von  niuoter  art, 
ein  beiden  vaterhalp. 

157,1 

diu  frouwe  wart  in  schricken 

röt. 

Zabulon  kommt  selbst  vermöge 
seiner  mystischen  kenntnisse  auf  den 
gedanken,  das  unheil  dadurch  abzu- 
wenden, dass  er  nach  der  juden  kür 
ein  buch  dichten  will.  Wie  er  das 
buch  nun  mit  allen  nii^ romantischen 
künsten  anfertigt,  wird  ausführlich 
berichtet.  Ein  jähr  und  zwölf  Wo- 
chen arbeitet  er  daran. 

159, 15 

einen  geist  er  twanc, 
daz  er  imz  üf  dem  agetsteine  he- 
rhielt. 

Davon  nichts  im  Wrtbgkr. 


160,  3 

der  raeister  da  ein  bilde  üz  £re 

der  schrift  ez  hüeten  sol.  [göz: 

100,7 

einen  kltipfel  truoc  ez  in  der 

der  stuont  ze  swarem  zil.  fhant, 


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432 


OKREKK 


den  kleinen  brief  verborgen 
im  selben  in  daz  öre. 


Savilon  bannt  ferner  einen  teufel 
in  ein  glas  (vgl.  Zs.  fda.  35,  1 80  f.)  und 
verbirgt  dies  unden  an  des  steinest 
pfat. 


Ein  helt  ze  Lantperten,  fürst  und 
herr  zu  Mantouwe,  Virgil,  der  grosse 
reicht Umer  besass,  gieng  mit  seinem 
gelde  so  verschwenderisch  freigebig 
um,  dass  er  gänzlich  verarmte. 


Virgil  hört  von  Savilon  und  macht 
sich  mit  elf  begleitern  auf  nach  dem 
inagnetberg.  Er  findet  den  geist  im 
glase  und  gewinnt  mit  seiner  hülfe 
den  brief  Savilons  und  das  niyro- 
manzie  buuch  unter  dessen  fttssen. 
Nun  schlägt  das  eherne  bild  mit  dem 
hammer  zu  und  tötet  den  Savilon. 
Zu  derselben  zeit  wird  Christus  ge- 
boren. 

Virgil  lässt  den  Savilon  von  den 
teufein,  die  er  befreit,  begraben. 

Darauf  stürzen  die  teufel  sich 
alle  ins  meer.   Nur  den  geist,  der 
in  dem  glase  war,  bannt  Virgil  mit 
list  wider  hinein 
(vgl.  Massmann,  Kaiserchr.  3, 438  f. 
K.  L.  Roth,  Germ.  4, 278  f.). 


160,9 

der  meister  schoub  im  einen  brief 
inz  houbet  dä  zer  nase. 

Wo  hier  mit  einem  male  der  brief 
herkommt,  von  dem  vorher  noch  nicht 
die  rede  gewesen  ist,  bleibt  unklar. 

Eine  fliege  in  einem  glase  aber 
verrät  dem  Virgil  das  buch.  Aristo- 
teles hat  diese  da  hineingesteckt, 
indem  er  seinen  gesellen  Klestronis, 
um  ihn  vor  der  höllenpein  zu  be- 
wahren, 'als  fliege  verwandelt  in 
den  rubin  eines  ringe«  bannte.  Aus 
diesem  ring  war  Klestronis  nachmals 
dem  könig  Tirol  mit  seinem  rat  beim 
Schachspiel  behülflich,  als  dessen 
haupt  zu  pfand  stand'  (Simrock 
s.  302  f.). 

163,5 

ze  Rinne  ein  rieh  geslehte  hiez, 
daz  was  in  armuot  komen 
durch  ir  edelen  milten  muot 

(Simrock  meinte,  die  erinnerung 
an  dieses  verarmte  geschlecht  hätte 
sich  im  R.  nicht  bewahrt). 

Dieses  geschlecht  will  die  schätze 
der  am  magnetberg  gescheiterten 
schiffe  auf  des  Aristoteles  rat  ge- 
winnen und  sendet  deshalb  unter 
Fabian  eiue  schar  aus,  der  der  Zau- 
berer Virgil  den  weg  zeigen  muss. 

Damit  endet  die  geschichte  im 
Wrtbgkr.  Nach  Simrock  hat  die 
Kolmarer  handschrift  noch  eine  fort- 
setzung:  Fabian  wird  von  einem 
greifen  verschlungen,  Virgil  gewinnt 
da«  buch  Zabulons  und  befreit  erst 
den  geist  aus  dem  glase,  zwingt  ihn 
aber  dann  wider  hinein. 


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STUDIEN  ZU  KEINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  433 

Comparetti  (Virgilio  nel  medio  evo  1872,  deutsch  von 
Dtitschke  1875)  versucht  es  (s.  268)  aus  beiden  fassungen  die 
ursprüngliche  sage  zu  reconstruieren.  In  einer  sich  mehr  der 
fassung  im  R.  nähernden  form  erzählt  dieselbe  sage  Heinrich 
von  Mügeln  in  einem  gedieht  auf  den  zauberer  Virgil,  das 
Zingerle  Germ.  5, 368  ff.  veröffentlicht  hat.  Comparetti  führt 
ferner  (s.  264  f.)  aus  der  Image  du  monde  (ed.  du  Meril,  Melanges 
archeol.  s.  456  ff.)  die  erzählung  von  einem  besuche  des  apostels 
Paulus  an  Virgils  grabe  an,  die  gleichfalls  ähnliche  züge 
enthält. 

Das  buch  Zabulons  ist  nach  ihm  aus  dem  buche  über  die 
ars  notoria  entstanden,  das,  wie  Gervasius  von  Tilbury  weiss, 
von  einem  Engländer  im  grabe  Virgils  gefunden  sein  soll.  Im 
wesentlichen  wird  Comparettis  reconstruetion  der  ursprüng- 
lichen sage  das  richtige  treffen. 

Simrock  vermutet,  dass  das  uns  verlorene  gedieht  vom  könig 
Tirol  die  grundlage  bildet. 

Erwähnt  sei  endlich  noch,  dass  Sabulon  auch  in  einem 
liede  der  Kolmarer  meisterliederhandschrift  (Bartsch  28, 54) 
vorkommt,  das  nach  Bartsch  jedenfalls  jünger  ist  als  1308. 

Was  übrigens  die  bemerkung  im  R.  betrifft:  21720  wol 
fünfhundert  mite  in  dem  agestein  man  sack  sicaz  iender  üf 
dem  mer  beschacJi,  so  vgl.  dazu  Comparetti  s.  256,  der  für 
Spiegel  von  solcher  Wirkung  belege  bringt.  Ich  füge  noch 
hinzu  Parz.  592,  wo  von  einem  warthaus  auf  der  wunderburg 
Klinschors  berichtet  wird,  in  dem  eine  säule  steht,  die  alles 
abspiegelt,  was  sechs  meilen  in  der  runde  geschieht. 

III.  Mittelalterliche  lateinische  schriftsteiler. 

Die  unter  dieser  Überschrift  behandelten  stellen  des  R. 
sind  leider  nicht  derart,  dass  sie  zuliessen,  ihre  quellen  zweifel- 
los und  bestimmt  anzugeben.  Das  liegt  in  der  natur  der 
sache.  Es  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  behaupten,  woher 
der  dichter  z.  b.  seine  kenntnis  des  heiligen  landes  oder  sein 
naturwissenschaftliches  wissen  schöpft.  Er  hatte  dafür  viel- 
leicht gar  keine  directe  quelle.  Denn  was  er  berichtet,  und 
wie  er  es  berichtet,  das  ist  meist  gemeinsames  wissen  der 
zeit.    Erzählungen  der  kreuzfahrer,  reisebeschreibungen,  ge- 

Beitrftge  mr  geschieht«  der  deuteohen  epnob«.   XXIII.  28 


434 


(»EUERE 


lehrte  compendien  fleissig  aus-  und  zusammenschreibender 
geistlicher  u.s.w.  haben  dafür  gesorgt,  die  bekanntschaft  mit 
solchen  dingen  allgemein  zu  machen. 

Dennoch  möchte  ich  glauben,  dass  der  Reinfrieddichter  in 
einem  teile  seiner  angaben  wenigstens  sich  seine  Weisheit 
direct  aus  den  in  der  zeit  meistgelesenen  Schriften  des  Hono- 
rius  von  Antun  und  des  Vincenz  von  ßeauvais  geholt  habe. 
Ich  will  damit  nicht  behaupten,  diese  beiden  mtissten  nun  für 
jeden  einzelnen  der  im  folgenden  behandelten  fälle,  wo  sie  als 
gewährsmänner  herangezogen  werden,  wirklich  quelle  gewesen 
sein  —  und  ich  füge  darum  oft  auch  noch  andere  belegstellen 
hinzu  — ,  aber  ich  meine,  es  dürfte  immerhin  wahrscheinlicher 
sein,  dass  der  dichter  im  wesentlichen  alles  aus  einer  oder 
aus  zwei  quellen  schöpfe,  als  dass  er  seine  mannigfaltigen 
kenntnisse  von  überall  her  zusammengesucht  habe. 

Unter  den  Stätten,  die  herzog  Reinfried  in  Palästina  be- 
sucht, Ist  natürlich  vor  allem  das  heilige  grab: 

18138  nä  langen  verreu  j&ren  sider. 

daz  grap  bl  der  selben  zit  do  Helena  lebte,  • 

stuont  vor  der  »tat  ein  teil  hindan.  diu  nach  dem  kriuze  strebte, 

dö  Titus  und  Vespasiän  diu  Constantinus  muoter  wan. 

gotes  marter  rächen  nu  büte  man  die  stat  so  daz 

und  Jerusalem  zerbrächen,  [vgl.  s.  427]  daz  grap  nu  in  der  kilchen  lit, 

als  cronicä  diu  wäre  seit,  und  dä  diu  stat  bi  alter  zit 

dö  wart  ez  von  der  kristenheit  lac,  da  lit  nu  büwes  niht, 

gebuwen  vestecliche  wider  wan  man  ez  noch  verwüestet  siht 

Dazu  vgl.  Honorius  Augustodunensis,  Spec.  eccl.:  de 
inventione  sanctae  crucis  (Migne  172, 947):  Helena  (mater  Con- 
stantini)  sanctae  crucis  amorc  accensa,  Hierosolimam  properat; 
convocatis  Judaeis  locum  Calvariae  sibi  demonstrari  postulat, 
quem  tum  densitas  veprium  atque  virgultorum  operuerat,  et  ideo 
incognitus  erat.  Kam  transactis  de  passione  Domini  XL  annis 
liomani  Hierosolimam  funditus  destruxerant,  et  aliam 
civitatem  Helius  Adrianus  post  longo  tempore  in  alio  loco 
construxerat,  quam  suo  nomine  Heliam  appellaverat.  Do- 
minus enim  extra  portam  jjassus  et  sejiultus  legitur; 
qui  uterque  locus  quae  nunc  est  Hierusalem  hodie  ab  omnibus 
cernitur. 

Sicherlich  ist  für  die  geschichte  der  kreuzesauffindung 
Honorius  dem  dichter  nicht  einzige  quelle  gewesen;  denn  dieses 


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STUDIEN  ZU  REIN  FR  TED  VON  BRAUN8CHWEIO.  435 

• 

thema  ist  in  der  damaligen  literatur  (vgl.  Massmann,  Kaiser- 
chronik 8, 849  ff.),  auch  in  deutschen  predigten  (vgl.  Zs.  fdph. 
27, 195)  und  jedenfalls  in  reisebeschreibungen  viel  behandelt; 
für  die  mündlichen  berichte  der  kreuzfahrer  und  pilger  ferner 
musste  natürlich  das  heilige  grab  den  mittelpunkt  bilden. 

Was  mich  aber  bewogen  hat,  dennoch  hier  den  Honorius 
zu  citieren,  ist  die  mit  R.  übereinstimmende  ziemlich  ausführ- 
liche angäbe  über  die  örtlichkeiten,  wie  ich  sie  in  den  sonstigen 
berichten  nicht  gefunden  habe. 

Reinfried  sieht  ferner  die  stelle  da  got  ze  himelriche  fuor: 

18159   da  siner  füeze  zeichen  »tat 
in  dem  steine  da  er  hat 
zc  jungeat  üf  ertrich  getreten. 

Honorius,  Spec.  eccl.  (Migne  172, 958):  vestigium  . . .  quod  ascen- 
dens  harenae  impressit,  adhuc  locus  ille  retinct  Vgl.  auch  Vin- 
cenz  Bellov.,  Spec.  hist.  7, 04  aus  Petrus  Comestor.  Beda,  De  locis 
sanctis  (Migne  98, 1184). 

Legenden,  deren  im  R.  erwähnung  geschieht,  sind  folgende: 
1)  v.  13000  ff.  Mariä  geburt.  —  Honorius,  Spec.  ecclesiae:  de 
nativitate  Mariae  (Migne  172, 1000).  Alt.  pass.  (Hahn)  s.  5, 63  ff.; 
vgl.  Anz.  fda.  2, 233.  —  2)  v.  15942  ff.  Märtyrertod  des  heiligen 
Mauricius.  —  Honorius,  Spec.  eccl.:  de  sancto  Mauricio  et  sociis 
eius  (Migne  172, 1005).  Massmann,  Kaiserchronik  3,  779  ff.  — 
3)  v.  2(5998  ff.  Wunderbare  Wirkung  des  leichnams  der  heil. 
Katharina.  —  Jacob,  de  Voragine,  Leg.  aurea  c.  172.  Pass. 
(Köpke)  s.  088  f.  Im  übrigen  vgl.  Piper,  Geistl.  dichtung  des 
ma.  2, 81  f.  Knust,  Geschichte  der  legenden  der  heil.  Katha- 
rina (Halle  1889).  Im  anschluss  an  diese  legende  erzählt  der 
dichter  von  einem  kloster,  in  dem 

27008 

niht  me  was  wie  zwelf  liehter  Uber  al 

denn  zwelf  herren  an  der  zal,  schön  brinnent  nnde  reine. 

Wenn  eins  dieser  lichter  erlischt,  muss  von  den  zwölf 
mönchen  einer  sterben;  ist  dann  aber  die  zahl  der  mönche 
wider  ergänzt,  so  entzündet  sich  das  erloschene  licht  von 
selbst.  Dazu  vgl.  H.  Schiltbergers  Reisebuch  (hsg.  von  Lang- 
mantel, Lit.  ver.  no.  172)  s.  71.  Johann  von  Monte villa  I  (etwas 
abweichend). 

Unbekannt  ist  mir  die  quelle  zu  v.  21042  ff.:  Salomo  habe 

28* 


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436 


GEREKE 


edler  tiuvel  kraft  in  ein  glas  verwiirket  (nach  Pass.  [Köpke] 

331, 35  ff.  m  ein  vag-,  vgl.  Wiese,  Zur  Margaretenlegende,  in 

den  Abhandlungen  ...  A.  Tobler  dargebracht  [Berlin  1895], 

s.  129  f.)  und  dieses  glas  aufgehängt  in  des  tempels  kröne, 

unz  die  von  Babilöne  und  wanden  dinne  vinden  golt. 

sich  an  den  jnden  rächen.  dö  was  dez  grözen  guotes  solt  .  .  . 

daz  glas  si  dö  zerbrachen  (lttcke) 

Vgl.  Vogt,  Beitr.  1, 286. 

Betreffs  der  benutzung  des  Honorius  s.  auch  oben  s.  423  t 
Honorius  hat  aus  Isidor  unter  anderem  den  bericht  über  die 
sämmtlichen  wundermenschen  und  fabelhaften  tiere  entlehnt, 
und  es  ist  möglich,  dass  der  Reinfrieddichter  neben  dem 
Herzog  Ernst  und  Rudolf  von  Ems  auch  hierin  Honorius  be- 
rücksichtigt. 

Was  er  über  die  planeten  und  über  Saturn  und  Jupiter 
speciell  sagt,  stammt  vielleicht  gleichfalls  aus  Honorius; 
sicher  ist  das  bei  der  undeutlichen  kürze  der  betreffenden 
stellen  nicht  zu  entscheiden: 

18624 

ir  [der  planetenj  sibenvalteclicher  si  gar  wunderliche, 
die  berge  gar  durchlühten.  [schin  dö  in  einem  striche 
die  werden  herren  dühten  iegelicher  sunder  schein. 

(Hon.,  Imago  mundi  1, 68  [Migne  172, 138]). 

Saturnus  zornecliche  mein  Jovis  des  loufes  gtiete 

tet  hie  kein  ungemüete  mit  senftecllcher  wlse. 

(Hon.,  Philos.  mundi  2, 17—18  [Migne  172, 62  f.]). 

21383 

nam  aber  des  Sternen  war  vollendet  hät  sin  loufen  sus. 

der  da  nä  Uber  drizic  jar  man  seit  ez  waer  Saturnus. 

(Hon.,  Philos.  mundi  2, 17  [Migne  172, 62  f.]). 

Ausser  Honorius  benutzt  der  Reinfrieddichter  wahrschein- 
lich den  VincenzvonBeauvais.  Beide  haben  nämlich  über 
die  elephanten  solche  eigentümlich  besonderen  angaben,  dass 
ein  Zusammenhang  mir  ziemlich  sicher  erscheint 

Wir  lesen  im  R.  von  den  elephanten,  die  der  könig  von 
Indien  dem  herzog  als  geschenk  sendet:  26230  an  ketten 
fuort  man  unde  göch  si  gegogenliche.  Dazu  vgl.  Vincenz,  Spec. 
nat.  19, 39  (aus  Plinius):  qui  tumultuantem  (sc.  elepJtantem)  ca- 
tenis  coerceant 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


437 


26241  f.  wird  erzählt,  dass  der  elephant  seine  jungen  im 
wasser  gebiert.  Dazu  vgl.  Vincenz  a.  a.  o.  19, 44  (aus  dem  Phy- 
siologus):  tempore  vero  partus  ingreditur  aquam  usqtie  ad  ubera 
et  ibi  parit  super  aquam. 

Entscheidend  ist  aber  nun  der  bericht,  wie  die  elephanten 
gefangen  und  gezähmt  werden. 

Zwar  beruft  sich  der  dichter  v.  26267  f.  (als  ich  wol  habe 
gehoeret)  auf  eine  mündliche  quelle;  ich  glaube  aber  nicht, 
dass  man  den  ausdruck  hier  so  wörtlich  nehmen  darf.  Vgl. 
Vinc.  19, 49.  Elephas  in  tibiis  iuncturas  non  habet,  ut  legitur  in 
bestiario.*  dormientes  elephanti  numquam  recumbunt,  sed  cum 
labore  defatigati  sunt,  arboribus  magnis  applicati  se  recreant 
et  in  ipsis  suffulti  dormiunt.  quod  eorum  venatores  attendentes 
locum  et  arbores  notant  easque  paene  succklunt.  quibus  cum 
elephantes  inniti  secundum  consuetudinem  suam  putant,  ruunt 
arbores  et  elephanti  cum  eis  ad  terram  prosternuntur  sicque 
capiuntur.  cum  enim  elephas  ceciderit,  surgere  non  valet.  sed 
ad  eius  barritum  elephantes  plerumque  ceteri  currunt 
et  cum  se  incurvare  ac  socium  erigere  non  possunt, 
gemunt  pariter  et  barriunt  (dazu  R.  26276 — 26289).  (par- 
vuli  vero  elephantes  prout  valent  se  secum  sua  promuscide 
supponentes  aliquando  erigunt  sicque  de  manu  venatorum  libe- 
rant).  ideo  autem  maior  elephas  cadens  surgere  non  ratet  quia 
ossa  solida  sine  iuncturis  habet,  unde  tibias  et  crura  flectere 
non  polest  (dazu  R.  26254—26260). 

*19, 39  (aus  dem  Physiologus):  elephas  dum  arte  hominum 
suceisis  arboribus  ingentia  membra  committit,  tanto  pondere 
supinatus  propriis  viribus  surgere  nequit,  quod  pedes  eius  nullis 
itistituuntur  articulis.  sed  humano  solatio  surgit,  cuius 
arte  iacuit.  Itaque  belua  suis  gressibus  restituta  memor 
esse  beneficii  novit  in  magistrum,  quem  sibi  subvenissc  ag- 
noscit.  ad  ipsius  arbitrium  gressus  movet,  eiusdem  voluntate 
cibos  capit  (R.  26290-26304). 

19,50  (ex  libro  de  nat.  rer.):  itaque  venatores  in  deserto 
quaerentes  elephantos  silvestres,  cum  eos  inveniunt,  domesticis 
praecipiunt  illos  persequi  ac  percutere  quousquam  oboediant  et 
defatigati  stando  quiescant.  tunc  venatores  illos  ascendunt  et 
percutiunt  ac  pungunt  et  movent  eos  ad  hoc,  ut  homines  timeant 
(R.  26326  ff.). 


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438 


GEREKE 


19, 42  (aus  Isidor):  in  Iiis  enim  Pcrsae  et  Indi  ligneis  turri- 
bus  collocant:  tamquam  de  muro  iaculis  dimicant  (R.  26344  ff.). 

Aehnliches  erzählt  Bartholomaeus  Anglicus,  De  proprie- 
tatibus  rerum  18, 43  (Nürnberg  1492),  aber  einmal  fehlt  bei 
Bartholomaeus,  der  übrigens  älter  als  Vincenz  ist,  die  angäbe 
des  Vincenz  19,39  =  R.  26230  f.;  ferner  hat  er  abweichend 
von  Vincenz  und  R.  18, 42:  elephas  autem  cum  scdet  flectit  pede^s, 
sed  non  polest  flectere  pedes  quaiuor  propter  pondus  corporis, 
dormit  stante  corpore  et  pedes  posteriores  flectit  sicut  Jwmo; 
endlich  fehlt  Vincenz  19, 39  (aus  dem  Physiologus)  =  R.  26290 
—26304  und  der  bericht  von  der  Zähmung,  Vincenz  19, 50  = 
R.  26326  ff. 

Ungefähr  ebenso  wie  mit  Bartholomaeus  steht  es  mit  den 
angaben  des  Jacobus  de  Vitriaco  in  seiner  Historia  Hierosoly- 
mitana  (Bongars,  Gesta  dei  per  Francos  s.1101). 

Alle  sonstigen  berichte  über  die  elephanten,  die  ich  kenne, 
erzählen  nichts  von  fang  und  Zähmung,  und  so  glaube  ich  hier 
mit  ziemlicher  Sicherheit  den  Vincenz  als  quelle  für  R.  an- 
setzen zu  dürfen,  zumal  der  dichter  bei  ihm  alle  die  einzelnen 
angaben  der  verschiedensten  quellen  vereinigt  fand,  die  er  sich 
andernfalls  aus  diesen  (Plinius,  Isidor,  Physiologus  u.  s.  w.)  erst 
hätte  zusammenholen  müssen. 

Die  dromedare,  erzälilt  der  Reinfrieddichter,  laufen  so 
schnell,  26956  daz  man  cinz  hutidert  mite  het  eins  tages  tcol 
geriten.  Dazu  vgl.  Vincenz  (aus  Isidor)  a.a.O.  18,45  centum 
enim  et  amplius  miliaria  uno  die  pergere  solet. 

In  demselben  Speculum  naturale  30, 16  findet  sich  aus 
Augustin  die  angäbe  Adam  ibi  quoque  de  diluvio  futuro  ac  dt 
iudicio  per  ignem  cognovit  et  liberis  suis  indicavit. 

Darauf  geht  direct  allerdings  R.  19750  ff.  wol  nicht  zurück: 

nn  hatte  Adam  offenbar  verderben  unde  toeten. 

vor  langen  stunden  das  geseit,  von  disen  erozen  nreten 

got  wolt  alle  inenscheit  seit  sin  wise  güete 

und  alle  creätiure  lang  vor  der  sintflttete. 
mit  wazzer  ald  mit  fiure 

Hieran  schliesst  sich  nämlich  im  R.  die  erzählung,  wie  die 
menschen  vor  anbruch  der  sintflut  den  plan  fassten,  zwei 
säulen  aufzustellen,  die  eine  aus  marmor,  damit  ihr  das  wasser 
nicht  schaden  kann,  die  andere  aus  Ziegelstein,  damit  sie  vor 


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STUDIEN  ZU  BEINFUIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  '  439 

feuer  geschützt  ist.  Auf  diesen  säulen  sollen  dann  die  taten 
der  menschen  für  künftige  geschlechter  aufgezeichnet  werden." 

Diese  merkwürdige  geschiente  überliefert  Goropius  Be- 
canus  in  seinen  Hieroglyphica  (Antwerpen  1580)  1,11:  scribit 
...  Josephus1)  ex  suorum  hominum,  ni  fallor,  traditione,  duas 
ante  diluvium  a  Sethinis  columnas  erectas  fuisse;  alteram  late- 
nt iam,  ne  igne  dissiliret;  alteram  lapideam,  ne  aquis  corrum- 
peretur:  quarttm  utrique  astronomiam  inscripserunt.  aeeepisse 
enim  ab  Adamo  geminam  totius  orbis  eversionem  futuram,  alteram 
per  vim  ignis,  alteram  per  vastam  aquarum  inundationem;  et 
uicirco  cavisse,  ut  utrovis  modo  mundus  periret,  caelestium  saltem 
motionum  doctrina  superesset. 

Die  combination  nun,  dass  die  menschen  auf  diesen  säulen 
auch  die  warnenden  lehren  aufgezeichnet  hätten,  die  Adam 
seinen  kindern  betreffs  der  wunderbaren  kräuter  gab,  stammt 
natürlich  aus  dem  köpfe  des  dichters  selbst.  Offenbar  hatte 
er  daran  anstoss  genommen,  wie  es  denn  möglich  sei,  dass 
in  folge  der  Übertretung  von  geboten  Adams  die  misgeburten 
entstanden  sein  sollen,  da  doch  die  Sintflut  ausser  Noah  und 
seiner  familie  alles  lebende  vernichtet  hat.  Da  hilft  er  sich 
denn  ganz  geschickt  mit  der  einfügung  der  geschiente  von  den 
beiden  säulen.  Ob  er  diese  aber  aus  derselben  quelle  schöpft 
wie  Goropius,  und  welches  jene  quelle  ist  —  denn  schwerlich 
geht  Becanus  direct  auf  Josephus  zurück  —  vermag  ich  nicht 
zu  sagen. 

Bei  der  erwähnung  der  arche  Noahs  im  R.  sind  mir 
übrigens  immer  folgende  worte  aufgefallen.  Die  arche,  so 
heisst  es,  wird  vom  wasser  getrieben,  19747  mit  hoch  für  aller 
berge  joch,  die  üf  der  erde  ligent  noch.  Was  soll  dieser 
sonderbare  zusatz:  die  berge,  die  noch  auf  der  erde  liegen? 
Zum  mindesten  gibt  es  zu  denken,  wenn  wir  bei  Honorius, 
Im.  mundi  1, 19  [Migne  172, 127]  (bei  Isidor  u.  a.  in  ähnlicher 
weise)  lesen:  mons  Arath,  super  quem  arca  Noe  post  diluvium 
requievit,  cuius  usque  hodie  ligna  ibi  videntur.  Mir  will 
scheinen,  als  ob  es  sich  an  der  genannten  stelle  im  R.  um  ein 
misverständnis  handelt. 

Des  Vincenz  von  Beauvais  zweites  grosses  Sammelwerk, 

l)  Josephus,  Antiqu.  lud.  1, 2,  3. 


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440 


» 


GEREKE 


das  Speculum  historiale,  kommt  vielleicht  noch  für  einige 
andere  angaben  im  R.  in  betraeht. 

13102  ff.:  in  der  gelübcde  arkc,  die  sich  im  tempel  unter 
der  aufsieht  des  propheten  Hell  befindet,  liegen  verschlossen 
Moyses  tcünschelruote,  Aarönes  dürrcz  ris,  die  steinernen  ge- 
setzestafeln  und  ein  eimer  mit  himmelsbrot.  In  der  bibel  ist 
von  dieser  aufbewahrung  nur  in  der  epistel  an  die  Ebräer 
(c.  9, 4)  die  rede  (Moses'  Wünschelrute  fehlt).  Ich  glaube  aber 
nicht,  dass  der  dichter  seine  kenntnis  aus  dieser  stelle  des  ihm 
wol  sicher  so  genau  nicht  bekannten  Ebräerbriefes  hat.  Er 
wird  vielmehr  auf  Vincenz,  Spec.  hist.  2, 17  oder  Petrus  Co- 
mestor,  Hist.  schol.  (Migne  198,  1365  f.)  zurückgehen.  Aber 
auch  hier  fehlt  Moses'  Wünschelrute;  diese  hat  also  der  dichter 
selbst  hinzugetan.  Vgl.  übrigens  Kolmarer  meisterlieder,  Bartech 
6, 200  ff. 

Der  Reinfrieddichter  erklärt,  wie  wir  schon  gesehen  haben, 
im  anschluss  an  Wolfram  die  entstehung  menschlicher  mis- 
gestaltungen  aus  der  macht  gewisser  wunderbarer  kräuter. 
Er  weiss  aber  auch  von  einem  einfluss  der  Sterne : 


der  wirt  ein  diep,  der  arm,  der  rieh,     mit  rehtem  loufe  hat  gezogen. 

Dazu  citiere  ich  Hrabanus  Maurus,  De  magicis  artibus 
(Migne  110, 1098  f.):  geneses  enim  hominum  per  XII  coeli  sigm 
describunt,  siderumque  cursu,  nascentium  mores,  actus  et  eventa 
praedicarc  conantur,  id  est,  quis  quali  signo  fuerit  natus,  aut 
quem  effectum  habcat  vidae,  qui  nascitur  etc. 

Ferner  Albertus  Magnus,  De  secretis  mulierum,  II:  de 
foetus  formatione,  der  zuerst  im  allgemeinen  vom  einfluss  der 
Sterne  auf  die  menschlichen  geburten  spricht  und  dann  die 
besonderen  Wirkungen  der  einzelnen  sterne  der  reihe  nach 
durchgeht;  z.  b.  Saturnus  . . .  facit  natum  qui  sub  eo  nascitur, 
fuscum  in  colore  . . . ,  Caput  turbidum  et  bene  barbatum,  . . . 
secundum  vero  animam  malus  esty  multum  perfidus  et  mali- 
tiosus Venercm  minime  diligens  etc.  . . . ;  Mars  facit  natum 
suum  rubei  coloris  . . . ;  secundum  animam  vero  fallax,  incon- 
stans,  irascibilis  etc.;  vgl.  Parz.  454, 15  f. 


al  irdeuiseh  tigure 

sieh  rihtet  na  der  steinen  kreiz, 

daz  man  noch  kuntlich  wol  weiz. 


19858 


der  frech,  der  zage,  der  minneelieh  etc. 
der  siech,  gesunt,  der  sus,  der  so, 
da  nach  die  Sternen  sint  geriht 
under  den  ir  gebürte  pfliht 


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STUDIEN  ZU  BEINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  441 


lieber  Petrus  Comestor  vgl.  s.  413. 

Auf  irgend  eine  mittelalterliche  lateinische  quelle  dürfte 
endlich  wol  das  ausführlich  erzählte  Sirenenabenteuer  zurück- 
gehen (22010  ff.).  Durch  den  bericht  des  schiffsherra  aus  Ejulat 
verlockt,  wagt  es  Reinfried  mit  zwei  begleitern  die  Sirene  auf- 
zusuchen, und  nur,  indem  er  sich  genau  derselben  list  wie  einst 
Odysseus  bedient,  entkommt  er  glücklich  aus  ihrer  macht. 
Odysseus  erlebte  dieses  abenteuer  damals,  als  er  den  Achilles 
bei  Lycomedes  suchte  (22569—71  und  22595—98).  Die  Sirene, 
heisst  es  weiter,  zieht  hinter  Reinfrieds  schiff  her: 

22610 

ir  was  ze  singende  so  gach,  daz  ir  in  dem  Hbe  brach 

do  si  daz  schif  entrinnen  sach,  von  Uberdon  daz  herze. 

Dieser  letzte  zug  beruht  wahrscheinlich  auf  freier  erfindung 
des  dichters.  Dass  er  aber  eine  ganz  besondere,  eigentümliche 
quelle  über  Odysseus  gehabt  haben  muss,  wenn  nicht  etwa 
hier  ein  irrtum  zu  gründe  liegt,  geht  aus  v.  24541  f.  hervor: 
der  künste  riche  starp  üf  dem  mer  da  er  verdarp. 

Die  homerischen  helden  des  trojanischen  krieges,  um  das 
hier  gleich  anzufügen,  kannte  der  dichter  sowol  aus  lateinischen 
quellen,  als  auch  aus  mittelhochdeutschen  dichtern,  die  die 
Trojanersage  behandelt  haben,  so  u.  a.  aus  Konrad  von  Würz- 
burg. Auffällig  ist  es  daher,  wenn  wir  gegen  alle  Überliefe- 
rung lesen: 

19948 

Agamemnon  der  vor  Troie  pflac         wol  üffeu  drizehen  jär, 
rehtes  legere  offenbar  braht  nie  so  manic  rotten  dar. 

Ich  möchte  deshalb  für  drizehen:  diu  zehen  schreiben,  so 
dass  also  gelesen  werden  muss:  wol  üffen  diu  zehen  jär,  eine 
betonungsweise,  die  im  R.  nichts  anstössiges  hat  (vgl.  Jänicke, 
Zs.fda.17,510). 

IV.  Bibel. 

Dass  der  dichter  eine  grosse  kenntnis  der  bibel,  besonders 
auch  des  alten  testamentes  hat,  geht  aus  zahlreichen  stellen 
seines  werkes  hervor,  wo  er  scenen  aus  der  biblischen  ge- 
schiente erzählt  oder  nur  berührt,  sei  es  um  diese  als  analoge 
fälle  für  irgend  welche  im  R.  vorkommenden  ereignisse  anzu- 
führen, sei  es  um  bei  der  Schilderung  von  örtlichkeiten  des 


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442 


GEHEKE 


morgenlandes  ihrer  Vergangenheit  zu  gedenken.  Solche  ge- 
legenheiten  benutzt  er  dann  bisweilen  zu  ziemlich  weitläufigen 
excursen,  bei  denen  sich  oft  enger  anschluss  an  den  Wortlaut 
der  vulgata  zeigt.  Er  beruft  sich  mehrfach  direct  auf  die 
bücher  der  bibel,  aus  denen  er  geschöpft  hat  (vgl.  s.  377). 

Der  dichter  beherscht  den  biblischen  stoff  vollständig, 
wie  sich  daraus  ergibt,  dass  er  oft  anspielungen  macht,  wo 
der  Zusammenhang  an  sich  das  nicht  nahe  legt, 

Ich  folge  bei  der  besprechung  der  biblischen  citate  der 
reihenfolge  ihrer  anführung  im  R. 

v.  8458  Susanna  —  Dan.  13. 

v.  10877  gott  Stifter  der  ehe.  Wäre  die  ehe  nicht  eine 
heilige  Ordnung,  so  hätte  ja  auch  gott  (d.  h.  Christus)  und 
seine  mutter  nicht  an  der  hochzeit  teilgenommen,  bei  der 
Jesus  wasser  in  wein  verwandelte. 

v.  10893  als  wirz  am  ctvangeljen  hdn  —  Jon.  2.  Nach  ur- 
alter tradition  (vgl.  Schönbach,  Altdeutsche  predigten,  anm.  z. 
1, 259, 19  ff.)  wird  diese  hochzeit  als  sant  Jöhans  brutlouf 
(v.  10892)  bezeichnet, 

Da  die  ehe  zwischen  Reinfried  und  Yrkane  lange  zeit 
kinderlos  geblieben  ist,  fleht  Yrkane  in  einer  nacht  zu  gott. 
er  möge  ihr  ein  kind  schenken,  und  erinnert  den  herrn 
gleichsam  an  ähnliche  fälle,  wo  er  auch  noch  spät  die  ehe 
gesegnet  hat,  so  u.  a.  an  die  geburt  des  Johannes  und  des 
Samuel. 

v.  13046  ff.  erzählt  der  dichter  nach  Luc.  1  ausfuhrlich 
die  geschiente  von  Elisabeth  und  Zacharias,  v.  13082  ff.  nach 
1.  Sam.  1  die  von  Anna  und  Elchanä. 

Samuel,  Annas  söhn,  weiht  den  Saul  zum  könig  (v.  13153 
—  1.  Sam.  10). 

In  derselben  nacht,  in  der  Yrkane  so  betet,  hat  Reinfried 
einen  träum;  er  meint  an  der  Wahrheit  dessen,  was  ihm  im 
träume  offenbart  ist,  nicht  zweifeln  zu  dürfen;  denn 

13428 

wir  han  gelesen  offenbar,  daz  er  daz  erecheinde 

swaz  got  wilent  meinde,  dicke  in  sl&fe  totigen. 

So  hat  Ezechiel  im  schlafe  wunderlichiu  dinc  gesehen 
(v.  13434  —  Ezech.  1, 1). 

Wie  dem  Reinfried  das  traumbild  dreimal  erschienen  ist, 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


443 


so  hat  gott  den  jungen  Samuel  dreimal  gerufen  (v.  13446  — 

1.  Sam.  3). 

Auch  Yrkane  hat  einen  träum  gehabt  und  erzählt  ihn 
ihrem  gemahl.  Er  wünscht  deshalb  ihr  diesen  deuten  zu 
können  (v.  13691)  wie  Joseph  dem  Pharao  (Gen.  41)  und  Daniel 
dem  Nabuchodonosor  (Dan.  4).  Merkwürdigerweise  heisst  es 
13691  alsam  Josep  tet  Salamön,  offenbar  ein  Schreibfehler  des 
abschreibers  der  handschrift  statt  Pliaraon,  da  dem  dichter 
bei  seiner  grossen  bibelkenntnis  solch  ein  irrtum  nicht  zu- 
getraut werden  darf. 

Ein  ganz  ähnliches  versehen  muss  angenommen  werden: 

26732 

dem  Joachim  nam  er  sit  ze  India,  wan  Jerusalem 

zepter  unde  dyadem  von  im  onch  zerstöret  wart. 

Statt  India  ist  JutUd  einzusetzen;  vgl.  Dan.  1,  1  anno 
tertio  regni  Joakim  regis  Juda,  venit  Nabuchodonosor  rex  Ba- 
by Ion  is  in  Jerusalem  et  obsedü  eam  (vgl.  Zs.  fda.  17, 518). 

Yrkane  ist  ihrem  gemahl  treu  und  verrät  ihn  nicht,  wie 
Dalidd  Samsonen  (v.  15167  —  Jud.  16). 

Als  Reinfried  im  heiligen  lande  sich  von  der  Übermacht 
der  beiden  bedrängt  sieht,  da  vertraut  er  auf  gott,  der  die 
kinder  Israel  vor  den  Aegyptern  und  Pharao  rettete,  indem  er 
diese  im  Roten  meer  ertrinken  Hess  (v.  15804  ff.;  vgl.  v.  26988 
—  Ex.  14),  der  Moses  und  Aaron  erlöste,  15819  als  ich  hän 
von  Abiron  und  Dathän  in  der  rihter  buoch  vcrnonicn.  Die 
berufung  auf  das  Buch  der  richter  ist  allerdings  irrtümlich; 
denn  die  geschiente  findet  sich  Num.  16. 

Der  herr  Hess  dem  Josua  zu  liebe  sonne  und  mond  stille 
stehen  (v.  15834  —  Jos.  10);  dem  Gideon  gibt  er  ein  zeichen 
seiner  nähe  dadurch,  dass  er  das  schaffeil  uf  truhener  erden 
mäht  von  touwe  naz  (v.  15842  ff.  —  Jud.  6,  36—40);  er  führt  ihn 
trotz  seiner  geringen  schar  zum  siege  über  die  Midianiter 
(v.  15855—15883  —  Jud.  7). 

Die  Scheidung  der  schar  am  brunnen  wird  mit  ausdrück- 
licher berufung  auf  der  buoche  schrift  (15869)  weitläufig  er- 
zählt (vgl.  s.  411). 

Mathathias  und  seine  fünf  söhne  vertrauten  auch  dem 
Herrn,  und  er  schützte  sie  gegen  Antiochus  (v.  15904  ff.  — 
1.  Macc.  2). 


444 


GESEKE 


Judith  tötete  im  vertrauen  auf  gottes  hilfe  den  Holofernes 
(v.  15928;  Vgl  v.  26748  -  Jud.  13). 

Der  Persdn,  Reinfrieds  treuer  begleiter,  ist  ein  freigebiger 
fürst  und  hängt  nicht  habgierig  an  seinem  gute: 

16790 

»wer  aber  startecliche   .  durch  einer  nadel  rere 

i«t  sinem  guote  undertan  ein  kemeltier  e  gienge 

nnd  im  dienet  «ander  wan,  e  daz  in  got  empfienge 

als  ich  wol  sprechen  beere,  ze  siner  gnaden  trone. 

Vgl.  Luc.  18,25  -  s.413. 

den  milten  ist  diu  kröne  in  der  üzern  vinster  bant 

der  höhen  ewekeit  bereit  da  niht  wan  jamer  ist  erkant 

die  argen  kargen  sint  geleit  Matth  25,  30.  8,  12. 

Als  Reinfried  all  die  heiligen  statten  besucht,  an  die  sich 
Jesu  geschiente  knüpft,  erneuert  der  dichter  bei  jedem  ort  die 
erinnerungen  aus  des  heilandes  leben,  von  Nazareth  und  Beth- 
lehem an  bis  zum  Oelberg  und  zum  grabe  (v.  17981  ff.). 

Dabei  beruft  er  sich  einmal,  v.  18016  ft,  auf  das  buoch 
der  kintlieit.  Welches  der  apokryphen  kindheitsevangelien  er 
aber  meint,  ob  er  vielleicht  das  gedieht  Konrads  von  Fusses- 
brunnen  im  sinne  hat,  lässt  sich  aus  seinen  wenigen  allgemeinen 
angaben  nicht  constatieren. 

Zu  dem  geschlechte  der  riesen,  die  im  R.  mehrfach  auf- 
treten, gehört  auch  Goliath  (v.  18912),  der  erworfen  wart  von 
dem  werden  reinen  Daviden  dem  kleinen  —  l.Sam.  17. 

Auf  seiner  reise  kommt  Reinfried  nach  Susa.  Diese  Stadt, 
bemerkt  der  dichter,  habe  könig  Aswerus  gebaut. 

24952  unz  an  Ethiopiam 

des  gewalt  und  siniu  rieh   

sich  witenen  zertrande.  moht  sin  gebiet  geleite  gen 

von  Indiä  dem  lande  den  landen  gar  gewalteclich. 

Vgl.  Esther  1, 1  in  diebus  Assueri  qui  regnavit  ab  India 
usque  ad  Aethiopiam. 

über  hundert  künge  rieh  truog  er  kröne  offenbar, 

drin  und  zweinzic,  daz  ist  war,     tuot  uns  diu  biblia  wol  schin. 

Ebenso  v.  26718  ff. 

Die  zahl  dreiundzwanzig:  XXIII  ist  offenbar  aus  XXVII 
verlesen;  denn  in  der  vulgata  heisst  es,  Esther  1, 1  super  cen- 
tum  viginti  Septem  provincias. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  445 


V.  24966  wird  dann  von  dem  feste  erzählt,  das  Aswerus 
veranstaltete,  und  an  dem  er  seine  gemahlin  (Vasthi)  verstiess, 
weil  sie  seinem  wort  nicht  gefolgt  war  —  Esther  1. 

In  derselben  Stadt  Susa  wird  nun  eine  höchgezit  insceniert, 
die  freilich  durch  einen  bösen  Zwischenfall  unterbrochen  wird. 
Das  veranlasst  den  dichter  zu  der  bemerkung: 

25002 

gewisheit  uns  der  wise  tnot  ein  herze  dick  erhoehe. 

Saiamön  in  slner  schritt  hi  fröuden  rlcher  zoehe 

daz  sich  von  de«  Talles  trift  lit  jainers  angel  dicke. 

Vielleicht  bezieht  er  sich  hier  auf  Prov.  14, 13:  risus  do- 
lore miscebitur  et  extrema  gaudii  luctus  occupat. 

In  Susa  regiert  nach  Aswerus  Arfaxät: 

26722 

na  im  der  kfinic  Arfaxät,  A  ssi  mm  daz  rieh  dö  hat 

der  M&den  künic,  über  lanc  nnd  NinivG  die  grözen  stat, 

raanic  witez  riche  twanc  da  von  er  gröze  mäht  onch  traoe. 

und  werte  daz  inz  z weifte  jür.  den  künic  Arfaxät  er  sluoc 

Nabuchodonosor  für  war  üf  Ragan  dem  velde  wit. 

Dazu  halte  man  Judith  1, 1  Arphaxad  itaque  rex  Mace- 
donum  subiugaverat  multas  gentes  imperio  suo.  5.  anno  igitur 
XII  regni  sui  Nabuchodonosor  rex  Assyriorum,  qui  regnabat 
in  Ninive  civitate  magna,  pugnavit  contra  Arphaxad  et  obtinuit 
cum  6.  in  campo  magno  qui  appellatur  Hagau. 

Nabuchodonosor  führt  die  juden  gefangen  nach  Babylon 
und  hält  sie  dristunt  zwenzc  und  zehen  jär  fest  (v.  26736  ff.). 
Seinen  hauptmann  Holofernes  tötet  Judith  (v.  26748  ff.). 

26754 

nä  im  Nabuchodonosor  starp  von  den  vil  gTözer  wunder  sint 

der  DaniGln  und  diu  zwei  kint,  geschriben,  wolt  verderben  gar. 

Dan.  1, 6  fuerunt  ergo  inter  eos  de  filiis  Juda  Daniel  Ana- 
nias  Misael  et  Azarias;  es  wird  also  v.  26755  dri  statt  zwei 
zu  lesen  sein. 

Dem  Nabuchodonosor  folgt  sein  söhn  Balthasar, 

26759 

der  ouch  unlange  künic  beleip. 
manes  thechel  phares  im  schreip 
unsihtecHche  an  eine  want 
in  siner  höhgezit  ein  hant  etc. 

Dan.  5. 


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446 


GEREKE 


26768 


dä  von  in  der  selben  naht 

kam  Parins  von  Persiä 

und  sluog  in  tot:  din  lant  dfi  nä 

dienden  im  mit  friger  ger, 

unz  daz  Alexander, 

der  zepter  und  der  kröne 

traoc  zc  Macedöne, 

Philippen  sun,  als  ich  ez  las, 


der  der  erste  fürste  was 

dem  Kriechen  ie  wart  undertän, 

in  slnoc  snnder  valschen  wän 


mit  stritlicher  werde, 
dem  wart  al  diu  erde 
gemeinlich  undertaenic 
und  was  herren  senic 


unz  an  in  na  der  buoche  sage. 


26784 


wert  sin  keiserlich  gewalt. 
mit  untriuwen  wart  gevalt 
in  tot  sin  vil  werdez  leben. 


niht  langer  wan  üf  drige  tage 


der  werde  kUnic  hat  kinde  niht 
von  rehter  arte,  doch  der  helt 
het  zwelf  knaben  uzerwelt 


die  von  jungen  jaren 

wirde  erwttnschet  waren, 

den  dienden  liut  und  richiu  lant. 

die  zwelf  knaben  alle  sant 

wolten  künge  sin  als  er. 

zepter  und  dyad$men  ger 

leiten  si  mit  schalle 

gemeine  uf  sich  alle 

und  wolten  haben  künges  namen. 


1.  Maccab.  1,  1.  et  factum  est,  postquam  percussit  Alexander, 
Philippi  Macedo,  qui  primus  regnavit  in  Graccia,  . . .  Darium 
regem  Persarum  et  Medorum,  constituit  proelia  multa  et  obti- 
nuit  omnium  munitioncs,  et  interfecit  reges  terrae,  3.  et  per- 
transiit  usque  ad  fines  terrae  et  aeeepit  spolia  mtdtitudinis 
gentium.  8.  et  regnavit  Alexander  annis  XU  et  mortuus  est 
(vgl.  s.  429).  9.  et  obtinuerunt  pueri  eius  regnum  unusquisque 
in  loco  suo,  10.  et  imposuerunt  omnes  sibi  diademata  post 
mortem  eius  et  filii  eorum  post  cos  annis  multis. 

Die  zwölf  knaben,  die  Alexanders  nachf olger  werden, 
dürften  aus  einer  Verwechslung  mit  den  zwölf  regierungs- 
jahren  Alexanders  entstanden  sein. 


l.Macc.  1,11  et  exiit  ex  iis  radix  peccatrix  Antiochus. 


2.  Macc.  7. 

Der  dichter  wirft  hier  die  beiden  Antiochi  zusammen, 
Antiochus  IV  Epiphanes  und  Antiochus  V  Eupator. 


26812 


die  zwelf  künge  allesant 
gewnnnen  kint,  dä  von  ir  rieh 
aber  wurden  wendellich 


zeroteeret  und  zerteilet  sus 
von  der  stunt  üf  Anthyochus 
dem  wurzel  aller  bösheit. 


Macchabeörom  buoch  daz  seit, 

waz  er  tet  oder  ie  begie, 

wie  er  die  siben  bruoder  vie  etc. 


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STUDIEN  ZCT  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


447 


Reinfried  gelangt  auf  seiner  reise  mit  dem  persischen 
fürsten  an  den  berg  Sinai,  wo  gott  dem  Moses  die  gesetzes- 
tafeln  gab  (v.  26972),  und  an  den  berg  Horeb,  vor  dem  die 
juden  das  goldene  kalb  machten  (v.  26976).  Die  bibel  versteht 
unter  Horeb  und  Sinai  ein  und  denselben  berg  (combination 
aus  zwei  verschiedenen  fassungen);  unser  dichter  redet  aus- 
drücklich von  zwei  bergen:  v.  26972  daz  gebirge  SQnäi,  v.  26976  f. 
ze  Öreb  . . .  üf  dem  berge  underhalp. 

Reinfried  sieht  den  felsen,  aus  dem  Moses  mit  seinem 
stabe  wasser  schlug  (v.  26980  —  Ex.  17),  er  kommt  in  die 
wüste,  wo  die  kinder  Israel  das  himmelsbrot  fanden  (v.  26990  ff. 
—  Ex.  16).  Endlich  erblickt  er  auch  das  geheizen  laut,  in 
dem  milch  und  honig  fliesst,  und  die  trauben  so  gross  sind, 
dass  sie  zwei  männer  tragen  müssen  (v.  27026  ff.  —  Num.  13, 
24.  28).  Babylon  besucht  er,  27043  da  Babel  der  tum  at&t, 
von  dem  alliu  zunge  hat  noch  wandellicJie  spräche  —  Gen.  11 
(vgl.  s.  412). 

Er  sieht  die  statte  von  Sodom  und  Gomorra,  bei  deren 
brande  (v.  27071  ff.)  allein  Lot  und  seine  beiden  töchter,  mit 
denen  er  nachher  kinder  zeugte  (v.  27085  ff.  —  Gen.  19, 30—36), 
gerettet  wurden,  und  erblickt  in  einer  höhle  sogar  die  Salz- 
säule, die  einst  Lots  weib  gewesen  war  (v.  27091  ff.  —  Gen. 
19,26;  vgl.  oben  s.412). 

V.  Altlateinische  dichter. 

Die  beiden  römischen  dichter,  die  im  mittelalter  das 
grösste  ansehen  genossen,  und  am  meisten  bekannt  waren, 
sind  unzweifelhaft  Virgil  und  Ovid. 

Und  so  hat  sie  denn  auch  der  Verfasser  des  R.  gelesen. 
Er  kennt  die  Schicksale  des  Aeneas  und  der  Dido  (v.  3210  ff. 
und  v.  15260  ff.)  und  citiert  v.3216  ausdrücklich  Virgil  (Aen. 
4, 641  ff.). 

Dass  Ovid  besonders  von  der  minne  gesungen  hat,  sagt 
er  v.  24562  f.  und  v  1()772 

ich  wa>n  und  lebt  Ovidlus,  wie  si  mit  blösen  üben 

er  müht  ez  niht  volschriben,         sich  umb  einander  wunden. 

Dabei  denkt  er  gewis  an  die  Ars  amandi. 
Die  im  mittelalter  bekannteste  erzählung  aus  den  Meta- 
morphosen ist  die  geschiente  von  Pyramus  und  Thisbe  (Met. 


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448 


GEKEKE 


4,55—166);  auf  sie  spielt  der  Reinfrieddichter  v.  15266  ff.  an 
(vgl.  Bartsch,  einleitung  zur  ausgäbe  Albrechts  von  Halberstadt 
s.  lx  ff.). 

Aus  den  Metamorphosen  (5, 385  ff.)  kennt  er  wol  auch  die 
erzählung  vom  raub  der  Proserpina  (v.  16442):  er  hat  aber 
daneben  Claudians  gedieht  De  raptu  Proserpinae  gelesen,  wie 
wir  gleich  sehen  werden. 

Wenn  er  v.  25284  ff.  die  erstürmung  des  himmels  durch 
die  giganten  Atlas  und  Enschelades  und  ihre  bestrafung  durch 
Jupiter  erwähnt,  so  beruft  er  sich  zwar  auf  eine  andere  quelle 
als  auf  Ovid:  25292  als  Phenstis  fabcllichcn  sprach  gm  der 
wandels  frien  junefrouwen  Alacien,  d.  h.  auf  Theodul  (ecl.  85  ff.), 
wie  Laistner  (Germ.  26,  420  ff.)  nachgewiesen  hat  (Phenstis 
fälschlich  statt  Pseustis).  Aber  in  dieser  ekloge  fehlen  die 
namen  Atlas  und  Enschelades:  Theod.  ecl.  85 

surrexere  viri,  terra  genitrice  creati, 

pellero  caelicolas  fuit  omnibus  una  voluntas: 

mons  cumulat  montem,1)  sed  totum  Mulciber  hostem 

fulmiue  deiectum  Vulcani  trusit  in  antrum. 

Diese  namen  wird  der  dichter  vielmehr  aus  Ovids  Met. 
1, 151  ff.  haben  (Bartsch,  Albr.  v.  Halb.  s.Lxxm).  Ich  erinnere 
noch  daran,  dass  Claudian  gleichfalls  eine  Gigantomachia  ge- 
dichtet hat. 

Ferner  finden  sich  im  R.  mannigfache  anspielungen  auf 
die  Heroiden.  In  v.  24534  ff.  zählt  sie  der  dichter  fast  alle  der 
reihe  nach  auf  (Bartsch,  Albr.  v.  Halb.  s.  xvm):  24534  ff.  Bene- 
lope  dem  helt  Ulixes  brief  unt  boten  sante,  Her.  1;  —  24544  ft 
Dido  schreibt  an  Aeneas,  Her.  7;  —  24548  ff.  Briseida  schreibt 
an  Achilles,  Her.  3  (die  form  Briseida  statt  Briseis  findet  sich 
zuerst  bei  Dares  Phrygius,  vgl.  Dunger,  Die  sage  vom  trojan. 
kriege  s.  9);  —  24552  Pillis  grözer  liebe  aht  schreip  dem  helt 
Demesticö,  Her.  2  (Demesticus  sagt  der  dichter  irrtümlich  statt 
Demophoon);  —  24554  f.  Helena  schreibt  an  Paris,  Her.  16; 
24556  f.  Medea  an  Jason,  Her.  12.  Auf  Her.  15  beziehen  sich 
jedenfalls  die  verse 

15184  ff. 

»i  gap  oueb  disem  unde  dem  als  man  von  der  reinen 

niht  tröst  mit  sinnes  meinen,  Helenen  seit  ftz  Kriechenlant. 

')  R.  25290  berc  äffen  berge  hüien. 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  449 

Vgl.  Ars  am.  2, 359: 

dum  Menelaus  abest,  Helene,  ne  sola  iaceret; 
hospitis  est  tepido  nocte  recepta  sinn. 

Für  die  erzählung  von  des  Achilles  aufenthalt  bei  Lyco- 
medes,  seiner  liebe  zur  Deidamia  und  auffindung  durch  IJlixes 
nennt  der  dichter  v.  22592  des  Statius  Achilleis  als  quelle. 
Obwol  ihm  diese  geschiente  auch  von  anderswoher  bekannt 
sein  konnte  und  auch  wol  sicher  wirklich  bekannt  war,  z.b. 
aus  Konrads  von  Würzburg  Trojanerkrieg,  haben  wir  doch 
keinen  grund  ihm  nicht  zu  glauben,  dass  er  den  Statius  ge- 
lesen hat.  Die  angäbe  v.  22574  (wie  Scharon  zöch  den  heren) 
ein  halp  ros,  ein  halber  man  fehlt  im  Statius;  also  ist  hier 
daneben  eine  andere  quelle  benutzt  (vgl.  Strauch  zu  Enikels 
W.  14551). 

Endlich  citiert  der  dichter  noch  v.  22488  den  Claudian 
für  Orpheus,  und  zwar  bezieht  sich  dieses  citat  auf  das  gedieht 
De  raptu  Proserpinae;  vgl.  Claud.  34, 25  vicinumque  lupo  prae- 
buit  agna  latus:  R.  2248G  der  Wölf  daz  schaf  dar  fuorte  fridelich 
an  arbeit. 

Dritter  abschnitt   Stil  und  spräche. 

A.  Stil. 

K.  Eichhorn  hat  in  seinen  Reinfriedstudien  (teil  2,  Pro- 
gramm des  gymnasiums  zu  Meiningen  1892)  die  hauptsäch- 
lichsten stilistischen  eigentümlichkeiten  des  dichters  zusammen- 
gestellt, ohne  jedoch  zu  untersuchen,  ob  er  in  seinem  Stil 
irgend  einem  bestimmten  vorbilde  gefolgt  ist. 

Aus  unseren  bisherigen  ausführungen  hat  sich  ergeben, 
dass  der  Verfasser  des  R.,  was  den  inhalt  seines  Werkes  be- 
trifft, ausser  durch  die  Spielmannsdichtung  besonders  stark 
beeinflusst  ist  von  Konrad  von  Würzburg  und  Rudolf  von 
Ems.  Beide  sind  seine  landsleute,  beide  durch  quantitat  und 
qualität  ihrer  produetionen  in  hohem  ansehen  stehend,  zwar 
selbst  nur  epigonen,  aber  doch  ihre  mitepigonen  weit  über- 
ragend. Sie  haben  ihre  kunst  von  Gottfried  von  Strassburg 
gelernt;  von  allen  dreien  lernt  der  Reinfrieddichter,  ihren  stil 
bildet  er,  wie  sich  zeigen  wird,  bis  ins  einzelnste  nach.  Bei 
der  nahen  bertihrung  der  drei  lässt  sich  natürlich  nicht  immer 

Beiträge  tur  geschieht«  der  deutschen  «prenbe.   XXI1L  29 


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450 


GEREKE 


mit  völliger  Sicherheit  constatieren,  was  im  R.  aus  Konrad. 
was  aus  Rudolf  und  was  aus  Gottfried  stammt  Bei  weitem 
das  meiste  jedoch  —  so  viel  steht  fest  —  geht  auf  Konrad 
zurück;  denn  dieser  hat  unsern  dichter  auch  stofflich  am 
stärksten  beeinflusst. 

I.  Stilistische  eigentümlichkeiten  im  sprachlichem 

ausdruok. 

1.  In  der  formulierung  des  einzelnen  ausdrucks  und 

gedankens. 

Unter  den  stilistischen  mittein  des  Reinfrieddichters  sind 
Eichhorn  am  auffallendsten  die  erschienen,  durch  die,  wie  er 
sich  ausdrückt,  die  darstellung  zum  verharren  genötigt  wird. 

Diese  gewisse  breite  und  wortreiche  fülle  des  Stils  möchte 
ich  als  besonders  charakteristisches  merkmal  Konrads  in  an- 
sprach nehmen.  Fast  alle  erscheinungen,  die  hierher  gehören, 
ziehen  sich  schon  als  ein  sanfter  bach  durch  den  Tristan  hin ; 
bei  Konrad  schwillt  der  bach  zum  fluss,  und  im  R.  wird  er 
gar  zum  ström.   Der  naclifolger  übertreibt  seinen  Vorgänger. 

a)  Tautologien. 

Die  häufung  verwanter  begriffe  in  zweigliedrigen, 
durch  und  verbundenen  tautologien  lässt  einen  gewissen 
parallelismus  der  anordnung  erkennen. 

Ich  verzichte  natürlich  darauf,  alle  beispiele  aus  den  ca. 
28000  versen  hier  aufzuzählen  und  begnüge  mich  für  diesen 
punkt  sogar  nur  mit  der  anführung  einiger  weniger  Verbin- 
dungen, indem  ich  in  der  hauptsache  hier  auf  Eichhorns 
Zusammenstellungen  verweise. 

Entweder  werden  zwei  begriffe  verbunden,  die  nur  nach 
ihrem  bedeutungsinhalte  zusammen  gehören,  also 

substantiva:  3951  mändel  unde  wcngel,  5143  truren 
unde  leit,  5293  leides  unde  sorgen  (6709),  9298  lastet  unde 
scJuinde;  adjectiva:  4163  froelich  unde  scheene,  4727  unlidic 
unde  bitter,  8684  vest  und  ellentrich,  oft  lidic  unde  fri  (1289. 
1587.  3231.  8388);  verba:  3741  schuhen  unde  fliehen,  3863 
prüeven  unde  schouteen,  4548  prüeve  unde  kenne.  4769  tneren 
unde  wahsen,  5341  siufeen  unde  truren,  8962  vdhten  unde 
rungen  (11270.  15769),  17256  flehten  unde  baten  (6258.  9958). 


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STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  451 

Oder  beide  glieder  haben  stammhafte  allitteration:  15969  fr  6 
unde  frwüch,  25583  fraglich  und  fro  15129. 14754.  23823  (beide 
Wörter  von  demselben  stamm;  vgl.  Trist.  6581.  12382.  14367). 

Natürlich  sind  die  alten  formelhaften  Wendungen  vertreten: 
39  liep  unde  leit,  118  leben  unde  Up,  134  witwen  unde  weisen 
(140),  138  scJUrm  unde  schilt,  198  singet  unde  saget,  6120  Mute 
unde  lant  (20684.  20716). 

Am  häufigsten  ist  der  fall,  dass  beide  glieder  durch  gleiche 
präfixe  alliterierend  verknüpft  sind  (für  Gottfried  s.  Preuss, 
Strassb.  stud.  1, 7  f.). 

Verba:  9214  geblüemct  und  geroeset  (19226;  —  Engelh. 
478.  Part.  3646.  Süv.  68.  835.  Gold,  sclim.  618.  Troj.  16194.  35912. 
Kl.  d.  kl.  2, 8),  4820  erniuuet  und  erfrischet  (7047.  14680;  — 
Part.  12539.  14723),  5783  versigelt  und  verstoßen  (5845;  — 
Trist.  17822).  Die  beispiele  sind  überaus  zahlreich  (vgl.  Eich- 
horn). Bisweilen  tritt  zu  den  zwei  gliedern  noch  eins  am 
schluss  des  voraufgehenden  verses  hinzu.  Ich  nenne  zu  den 
bei  Eichhorn  aufgeführten  Verbindungen  noch  folgende:  17335 
gedratget,  geflogen  und  geweeget,  21123  erahten,  erdenken  noch 
ertrahten,  24813  versigelt,  verslozzen  und  verrigelt,  27409  ge- 
stillten, gekeren  noch  gerihten; 

substantiva:  675  von  künden  und  von  gesten,  14351  gen 
künden  und  gen  gesten  (sehr  häufig  bei  Konrad.  Trist.  6297. 
12541),  11648  ze  bette  und  ze  tische  (Engelh.  1947.  Trist.  15394). 
Ich  zähle,  weil  sie  Eichhorn  nicht  hat,  die  Wendungen  noch 
besonders  auf,  in  denen  sich  ausser  gleichen  präfixen  auch 
noch  stammhafte  alliteration  findet:  12602  an  milte  und  an 
muote,  12724  an  nuinheit  und  an  milte,  17272  an  gelte  und  an 
ffiwte,  21659  mit  buoche  und  mit  bilde,  24603  daz  klagen  und 
daz  klbuwen,  17009  mit  werken  und  mit  Worten  (15197;  — 
Engelh.  746),  957  in  stürmen  und  in  striten  (22230;  —  aus 
der  spielmannspoesie;  vgl.  oben  s.  376). 

Beliebt  vor  allem  sind  Verbindungen  wie:  1102  Up  und 
herze  (6193.  6696),  1909  sin  sin  und  sin  gedanc  (4228),  2393 
an  herzm  und  an  sinnen  (2417.  4175.  4209.  4225.  4359.  4590. 
6850.  17272  etc.),  3674  sin  und  herze  (4231.  4272.  4478.  5222. 
5336  etc.),  4565  der  sin  und  ouch  der  muot  (4717.  6695),  4713 
herze  und  gemüete,  4722  herze  und  die  gedenke  (6304),  5328 
min  Up  und  ouch  der  muot 

29* 


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452 


GR KEKS 


Tritt  nun  ein  epitheton  zu  den  beiden  so  gepaarten  be- 
griffen hinzu,  so  lässt  sich  constatieren,  dass  der  dichter  hier 
der  weise  Konrads  folgt,  d.  h.  das  epitheton  tritt  zum  zweiten 
begriff,  wenn  es  inhaltlich  auch  schon  zum  ersten  begriffe  mit 
gehört  (vgl.  Joseph,  QF.  54, 45  ff.):  151  an  ere  und  an  werden 
siten,  2511  fröude  und  hohe  wunne  (bei  Konrad  fast  stehende 
formel),  5359  an  urloup  und  an  alle  sage,  10558  durch  ere 
und  durch  werdiu  wip,  12133  klag  und  jämerlichiu  not. 

Ueberhaupt  verträgt  das  zweite  glied  viel  eher  eine  be- 
schwerung  als  das  erste:  625  durch  ere  und  w  erder  wibe  segen, 
2813  lop  und  miner  eren  pris,  5413  den  künc  und  al  das  rieht. 
1546  ir  lande  noch  ir  namen  pfliht,  10545  diu  mwre  und  des 
Kampfes  vart,  12744  min  sin  und  mines  herzen  kunst,  14067 
mit  Up  und  mit  dem  guote,  14084  dur  guot  und  dar  die 
künegin,  14179  mit  guot  und  mit  des  libes  Uder;  vgl.  auch 
4481  so  vil  und  also  lange,  4859  so  vil  und  also  dielte,  8957 
so  gröz  und  also  mehtic,  14990  so  liep  und  also  leide  (Engeln. 
935.  1257.  1286.  1499.  1666.  1991.  4663.  Part.  1111.  1863.  1941. 
4403.  8525  etc.). 

Besonders  häufig  ist  folgender  fall:  sollen  zwei  synonyme 
oder  überhaupt  begrifflich  verwante  Wörter  (verba)  gepaart 
werden,  so  werden  sie  auf  zwei  verse  verteilt,  und  das  zweite 
erhält  irgend  einen  erweiternden  zusatz  (Joseph  a.a.O.  s.70): 
1912  sus  wart  sin  kraft  erfrischet  und  lüterlich  emiuteet,  3448 
müese  schiere  heilen  und  minnecUch  verwaisen,  6463  sus  lert 
diu  minne  liegen  und  wandelUchen  biegen  (5879  f.  6975  t  14139  t 
23551 f.  23647  f.);  505  des  teil  ich  iueh  uz  rihten  und  üf  ein  ende 
sli hten,  3399  iueh  einen  knappen  rüemen  und  so  mit  Worten 
bläetnen,  4251  die  dar  uz  vielen  und  üf  von  lierzen  Wielen 
(4273  f.  5337  f.). 

Natürlich  finden  sich  auch  ausnahmen;  aber  die  fälle,  in 
denen  das  erste  glied  erweitert  ist,  sind  wie  bei  Konrad  ver- 
hältnismässig selten  (2409.  2431.  3353.  3458.  7181;  —  8949. 
2485.  12391.  12473). 

Der  parallelismus  der  anordnung,  der  in  diesen  zweiglied- 
rigen tautologien  hervortritt,  ist  nicht  mehr  vorhanden  in  den 
mehr  als  zweigliedrigen  Verbindungen.  Namentlich 
häufig  sind  Zusammenstellungen  von  drei  gliedern,  deren 
letztes  mit  und  angereiht  ist:    225  ir  herze  ir  leben  und  ir 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  453 

tnuot,  3219  min  sin  min  herze  und  min  gedanc,  3338  herz  Up 
sin  und  da  zuo  muot,  9383  Up  sin  herz  und  ottch  ir  muot, 
3599  herze  leben  unde  sinf  5001  din  Up  din  leben  und  din  sin, 
8859  ir  sin  ir  Up  und  ir  gedanc.  Beliebt  vor  allem  bei  Eudolf 
von  Ems:  Gern.  7.  88. 127. 1029.  3971.  5055.  Barl.  39, 39.  276,6. 
341,37.  Ich  erwähne  besonders  beide  herze  sin  und  muot 
und  stelle  dazu:  Barl. 9, 5.  26,20.  Weltchr.  Rudolfs,  Schütze 
2, 115, 35.  Stricker,  Dan.  33.  373;  Karl  1507.  4828.  6298.  Ausser- 
dem vgl.  Zingerle,  Germ.  6,224.  Jänicke  zu  Staufenb.  1112.  — 
Weiter:  918  zuht  er  und  miltekeit,  2609  guot  soelde  und  ere; 

—  6179  Up  leit  unde  klagen,  8186  ir  leit  ir  sorge  und  ir  we; 

—  9947  Up  guot  friunt  und  mäge,  11825  gelt  guot  Hut  und 
lant,  11586  art  guot  gelt  lant  und  Hute;  —  123  ze  swerte  sper 
und  schilte  (4417.  7012). 

1691  treest  hilf  und  gib  mir  rät,  7285  hiez  flehte  unde  bat, 
11800  merke  prüeve  unde  spüre,  12513  birsen  beizen  unde 
jagen. 

2210  wtze  dünn  und  kleine,  25232  leidic  trüric  und  unfrö; 

—  26381  brün  rot  gel  wtz  grüen  unde  bld  (Part.  12248.  13446. 
14186.  15506.  21342.  21700.  Troj.  1410). 

Sehr  ausgedehnt  ist  im  R.  nun  endlich  noch  der  gebrauch 
der  asyndetischen  Verbindungen.  Entweder  reiht  der 
dichter  die  begriffe  an  einander,  indem  er  zu  jedem  einzelnen 
artikel,  pronomen  oder  präposition  hinzusetzt:  176  din  nam 
din  Wirde,  180  din  er  din  lop,  4376  sin  mahl  sin  gelt,  6408 
min  sin  min  herze  (6508.  9392),  6907  diu  turteltüb  daz  golt 
der  kus,  10150  st»  gelt  sin  guot  sin  Up  sin  leben  sin  Hut  sin 
mag  sin  art  sin  lant,  13176  ze  bett  ze  tisch  ze  weg  ze  sträz 
u.s.  w.,  oder  ohne  solche  präflxe:  696  ritter  gräven  frigen  (2731. 
6582.  8324.  9135.  12711.  14023),  4204  tanzen  ballen  springen 
singen  schallen  swigen  harpfen  rotten  gigen  pfifen  hei  tambüren 
(die  zuletzt  genannten  Verbindungen  sind  auch  sonst  sehr  häufig, 
namentlich  bei  Gottfried  und  in  seiner  schule);  11122  triuwe 
mdze  milte  zuht  schäm  ktusche  bescheidenheit  demuot  gedult 
stcetekeit  (122201  122691);  —  10611  loup  gras  tier  vogel  w int 
regen  donre  ;  417  orse  kleider  liehtiu  wät,  453  mit  kleinet  har- 
nesch  Hehler  wät,  9935  bürge  stet  gelt  witiu  lant. 

Bisweilen  mit  amplificatorischem  abschluss:  15665  naht  tac 
alle  stunt,  15809  ros  man  wegen  alle  diet\  2247  kröne  schappel 


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454 


GEREKE 


gelwez  här  stirne  bräwen  öugel  klär  nase  mündel  tume  hü ffel 
tcengel  kinne  kele  neckel  al  der  Up  (Trist.  923.  Part.  12562). 

Rudolf  von  Ems  verwendet  ganz  besonders  häufig  solche 
asyndetischen  Verbindungen.  Zum  beweise  stelle  ich  nur  die 
aus  dem  Barlaam  in  betracht  kommenden  zusammen:  35.38. 
36,28.  54,15.17.  65, 13  f.  98,15.  111, 13  f.  112, 32  f.  115,35. 
149, 28f.  155,27.  160,8.  162,26.  202,27.  221,7.  219,3t  266.17. 
271, 2.  273,  29  f.  32.  285, 19 f.  297,  29.  310, 27.  363, 33. 

Dasselbe  stilmittel,  häufung  des  gleichartigen,  erkennen 
wir  in  der  manier  des  dichtere,  verschiedene  hülfsverba 
zu  verbinden,  lediglich  aus  dem  gründe,  um  den  ausdruck 
voller  zu  gestalten:  6040  nu  kond  er  noch  enmohter,  6300  er 
wolt  und  muose  minnen  (7895.  8853.  10182.  11889.  12539);  - 
12989  geleben  mac  und  leben  sol  (13460.  13925.  14177.  14180. 
14258.  15641.  16779.  20306.  26568.  27125);  —  1598  »im  Up  sol 
unde  muoz  arbeiten  üf  die  zuoversiht,  2424  da  von  sol  ein  iec- 
Uch  munt  und  muoz  ein  teurer  böte  sin,  15008  sit  daz  du  niht 
mit  bi  mir  sin  noch  getarst  noch  solt  noch  maht.  Freilich 
treffen  wir  diesen  gebrauch  ausser  bei  Gottfried  und  seinen 
nachfolgern  auch  sonst  in  der  höfischen  epik  an,  doch  nirgends 
in  so  ausgedehntem  masse. 

In  ganz  ähnlicher  weise  werden  verschiedene  tempora 
desselben  verbs  aneinander  gereiht,  wo  dem  sinne  nach 
eine  form  ausreichen  würde  (Eichhorn  wendet  dafür  den  aus- 
druck polyptoton  an):  3015  beschehen  ist  —  beschiht  —  beschach, 
3590  ist  beschehen  und  beschiht  (5638),  4058  des  ich  niemer 
het  gedäht  noch  gedachte,  5123  dienet  und  gedienet  hat,  11104 
minne  dtn  gcwalt  was  ie  und  ist  und  muoz  iemer  sint  13454 
got  hat  getan  ze  manger  stunt  und  tet  ie  und  tuot  noch  (3456. 
4284.  6048  f.  8413.  11981  etc.). 

Auch  orts-,  zeit-,  conditionalpartikeln  etc.  werden 
so  gehäuft:  6872  swenn  und  swd  (7672),  7031  wie  und  w<i 
(10547),  8029  wie  ald  wä  ald  war  (9191),  9555  wie— wer  — 
wie  war  umbe  oder  wd  von  (12075).  4640.  9601.  12180.  13729. 
15437.  15455.  15921  etc. 

b)  Antithesen. 

Das  dem  vorigen  entgegengesetzte  verfahren  ist  dies: 
gegensätzliche  begriffe  zusammenzustellen  oder,  wo  ein  be- 


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8TUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  455 


stimmter  ausdruck  erfordert  wird,  zugleich  das  gegenteil  hin- 
zuzufügen. —  Die  anwendung  der  antithese  ist  mannigfach 

variiert 

Am  einfachsten  ist  die  form,  dass  ein  Substantiv  mit 
seinem  attribut  in  Widerspruch  tritt:  1266  süezer  wunden 
wunt,  1267  ir  süezer  smerze,  1288  diu  süeze  strenge  minne 
(1988),  1295  süeze  z  ungemach,  1399  minnecliche  swmre. 

Oder  das  Substantiv  tritt  mit  seinem  prädicat  in 
Widerspruch:  4948  er  wolle  in  dem  ßure  heizet  minne  erfrieren, 
4954  sin  süeze  fröude  süren  kund  im  mit  höhen  riuwen  (Trist. 
11889),  4710  diu  süeze  kan  mir  süren,  16866  ir  süeze  diu  kan 
süren,  ir  liebe  diu  kan  leiden.   Dazu  vgl.  Preuss  a.  a.  o.  1, 1  ff. 

Der  ausdruck  bekommt  so  zuweilen  das  aussehen  eines 
paradoxon:  1800  in  kurzer  lenge  (11190.  14275.  20084), 
11065  mit  fröudem  rxchem  leide,  13357  wachender  sldf,  18490 
der  lebende  töte  (Trist.  1845  und  ist  ein  lebelicher  tot,  18234 
sin  Übender  töt  [18472];  —  7741.  7788.  9596),  11746  bezzers 
boesers  nie  niht  wart,  13022  ir  leben  was  des  tödes  töt,  ir  höher 
funt  der  helle  vlust,  16124  des  wart  ir  senftez  sldfen  unsenf- 
teclich  erwecket  (Trist.  12194.  19031),  20088  diu  swert  ze  beiden 
ftanden  diu  wip  unwiplich  nämen.  Solche  Oxymora  liebt  natür- 
lich Konrad  auch  (vgl.  Joseph  s.  43). 

Weiter  werden  gegensätzliche  ausdrücke  gepaart: 
8242  vertust  und  ouch  gctvinne,  8868  gewin  und  ouch  Verluste, 
8264  sorgen  unde  minne,  9093  mit  übel  noch  mit  guote  (10087); 
3780  wintcr  unde  sumer,  13167  tac  unde  naht  (13175.  16732 
etc.),  4952  äbent  unde  morgen  (5204.  6165.  7146.  7849.  8254. 
15644.  16748.  24336),  5380  äbent  unde  fruo;  —  8245  trüret 
nu  und  was  nu  frö,  10613  binden  und  entstricken,  11149  bindet 
und  enbindet,  verliuret  unde  rindet,  si  schiltct  unde  grüezet,  si 
siuret  unde  süezet,  si  leidet  unde  fröuwet  U.S.W.  —  11163;  — 
9428  beide  arm  und  da  zuo  rieh,  ze  orse  und  ze  fuoz  gelich, 
verveäpent  nacket  unde  blöz,  wip  und  man,  klein  und  gröz, 
12664  der  witzic  und  der  tumbe}  der  arme  und  der  riche,  junc 
und  alt  geliche,  klein  gröz,  edel  swachiu  art,  14257  den  mimten 
und  den  meisten,  14334  den  minsten  und  den  nierren  (17666), 
8995  stille  und  offenbar  (Part.  1835.  4359.  8591.  9633.  11620. 
17059.  Troj.  12943.  19002.  19294.  Silv.  213.  Welt  lohn  50; 
vgl.  Jänicke  z.  Stauf enb.  1188);    11517  offenlich  und  tougen 


456 


GEBEKE 


(1153.  9404;  —  Part.  2097.  6733.  8591.  15339.  18537.  Silv.  1326. 
Trist,  8117.  11510.  16349),  20780  stille  und  überlüt  (Engeln. 
4354.  5008.  5078.  Part.  7068.  Silv.  5207  [Gold.  schm.  1919].  - 
Barl.  260, 6  [383, 31];  vgl.  Jänicke  z.  Stauf enb.  760). 

Ganz  wie  bei  Gottfried  werden  zuweilen  beide  begriffe 
anfangs  zusammengestellt  und  dann  jeder  für  sich 
behandelt:  17166  von  Babilon  dem  vogte  was  dirre  mcere 
underscheit  beidiu  liep  und  da  zuo  leit,  lieb  umb  die  fraglich 
angesiht,  leid  umb  die  kampßiche  pfliht;  vgl.  2808  ff.  4009  ff. 
Trist.  937  ff.  3149.  4705.  8658.  15538.  16758  (Preuss  s.  24). 
Etwas  anders  24338  so  daz  der  junge  künic  reht  von  Assyrie 
soltc  nen  wip,  und  solte  im  die  gen  von  Aschalön  des  landes 
wirt.  gen  und  nen  man  niht  verbirt. 

Es  werden  aber  nicht  nur  einzelne  ausdrücke,  sondern  auch 
ganze  gedanken  antithetisch  gegenübergestellt,  in- 
dem entweder  der  erste  gedanke  im  zweiten  gliede  einfach 
umgekehrt  wird  (spiel  des  gegensatzes):  2230  als  ir  schin  dem 
golde  bot  und  daz  golt  dem  sehine  wider,  2966  da  kan  minn 
ere  heren  und  hert  ouch  ere  minne,  12846  wie  leit  daz  liebe 
pfendet  und  liep  daz  leide  staerct,  13760  in  vinden  ich  verloren 
hän:  so  vind  ich  in  Verluste,  17680  daz  krump  machent  si 
slehte,  daz  slehte  si  künnent  krumben  (Trist.  30.  2019.  9874. 
9878  etc.,  Preuss  s.  27),  oder  indem  überhaupt  zwei  entgegen- 
gesetzte gedanken  zusammentreten:  49  im  himel  dort,  üf  erden 
hie  (10935),  10903  gen  gote  dort,  der  weite  hie  (12647.  13863. 
14355);  11103  vor  gote  dort  üf  erden  hie,  23499  hie  der  weit 
und  dort  vor  got\  —  12443  den  gesten  liep,  dem  wirtc  leit, 
12573  dem  knehte  hie,  dem  ritter  dort;  —  11414  der  tac  zergie, 
der  abent  an  vie  sunder  missewende,  16081  diu  naht  diu  kan, 
der  tac  verswein  (7420  f.  11168  ff.);  —  1318  si  störten  senden 
riuwen  und  brähten  lustic  girde,  7018  sin  herz  an  schänden 
leeret  und  üffet  an  den  eren  (2100  f.  11850  f.  11866  f.  16860  t); 
—  2390  ez  fröuwet  in  dem  leide  und  smirzet  in  der  liebe,  4727 
in  pures  gluot  ich  zitter  und  switze  in  kaltem  froste,  14880 
si  siuret  in  der  güete  und  liebet  in  den  leiden. 

Sehr  beliebt,  wie  auch  sonst,  ist  es  im  R.,  zwei  personen 
und  das  von  ihnen  ausgesagte  antithetisch  darzu- 
stellen: 3792  swaz  er  wolt,  daz  vander  an  ir  nä  eren  kröne, 
diu  minnecliche  schöne  vant  ouch  swes  si  gerte  an  im,  wan  er 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


457 


gewerte  si  mit  stcetes  herzen  sin,  swes  n  muoten  ntoht  an  in 
(vgl.  Part.  1725  ff.);  3848  si  was  siner  fröuden  glänz,  er  irs 
herzen  liehter  schin.  sin  munt  an  ir  mündelin,  ir  wange  an  sin 
wange  etc.,  11005  er  was  ir  wünsch,  si  was  sin  heil,  er  was 
ir  Up,  si  was  der  teil  an  dem  sin  höchste  fröude  lac.  er  was 
der  sorgen  niderslac,  si  was  sins  herzen  wunne  etc.  (3774  ff.  9258. 
12783.  12934  f.).  Oder:  1896  wie  jenen  dort  gelinge  und  disem 
hie,  daz  leben  sin,  9283  sprach  einer  hie,  der  ander  da,  11406 
wie  jene  dise  twingen  und  dise  jene  verseren. 

Häufig  sind  die  antithesen  hin  — her,  har  —  dar,  sus  — 
so:  5662  alsus  fuor  si  har  und  dar  mit  den  gedenken  sus  und 
so,  2463  nu  wendet  hin  und  denne  har,  6885  har  noch  dar. 

Meist  tritt  noch  anaphora  hinzu:  4869  nu  sus,  nu  so,  nu 
hin,  nu  her,  11267  nu  hin,  nu  har,  nu  dort,  nu  hie  (11333), 
15675  nu  hie,  nu  dort,  nu  dort,  nu  hie;  2664  nu  wil  er  hin, 
nu  wil  er  her,  nu  wil  er  sus,  nu  wil  er  so,  nu  ist  er  trüric, 
nu  denn  frö,  nu  wil  er  diz,  nu  wil  er  daz,  nu  liebet  im,  nu 
treit  er  haz  (6645.  10076  f.  12120  f.). 

Oft  werden  zwei  eigenschaften  entgegengesetzt, 
fast  immer  mit  anaphorischer  gliederung:  8791  ez  si 
übel,  ez  si  guot,  ez  si  trüric,  höhgemuot,  ez  si  leidic,  ez  si  frö, 
ez  si  nider,  ez  si  ho,  ez  si  swaeh,  ez  st  gesunt;  16280  waz  wosr 
tunkel,  wair  niht  klar?  waz  weer  liep,  w&r  kein  leit?  waz  weer 
ruow  an  arebeit  u.s.  w.  —  16293. 

Eine  ganz  besondere  art  der  antithese  endlich  findet  noch 
anwendung,  wenn  eine  eigenschaft  dadurch  hervor- 
gehoben wird,  dass  sie  erst  positiv,  dann  negativ 
ausgedrückt  wird  (vgl.  Kinzel,  Zu  Wolframs  stil,  Zs.  fdph. 
5,12):  9088  der  rösche,  niht  der  lazze,  18896  der  starke,  niht 
der  kranke,  20120  diu  freche,  niht  diu  kranke,  20236  der  wise, 
niht  der  tumbe. 

Hierher  gehören  auch  Wendungen  wie  1213  einheUeclichen 
sunder  haz,  9919  stände  sunder  kniuwen,  11874  mit  eren  sunder 
schände,  12052  mit  fröuden  sunder  schände,  15543  tougenlidien 
sunder  braht,  24675  frwlich  sunder  riuwe,  25097  snelle  sunder 
trägen;  —  7475  snelleclich  unträge  (11324. 11456.  13936.  23729), 
11845  offenlich  untougen,  25074  offenlich  niht  stille  (vgl.  Kinzel, 
Zs.  fdph.  5, 13). 


458 


GEREKE 


e)  Umschreibungen. 

Ein  weiterer  grund  für  den  breiten  Charakter  des  stils  im 
R.  ist  der,  dass  der  dichter  sich  oft  nicht  mit  der  einfachen 
bezeichnung  einer  person,  eines  gegenständes,  einer  handlung 
u.s.w.  begnügt,  sondern  dafür  einen  umschreibenden  oder 
irgendwie  erweiternden  ausdruck  anwendet 

Ganz  wie  Konrad  vermeidet  er  'den  einfachen  sub- 
stantivischen begriff,  indem  er  ihn  'von  einem  anderen 
Substantiv  als  einem  umschreibenden  begriff  ab- 
hängig' macht  (vgl.  Joseph  a.a.O.  s.33ff.;  hier  auch  zahl- 
reiche beispiele  aus  Konrad). 

Es  wird  z.  b.  der  eine  begriff  abhängig  gemacht  von  einem 
inhaltlich  übergeordneten  oder  gleichgeordneten:  557  mit  hohes 
bratitcs  dön,  1428  schalles  braht  (4213.  6991);  645  sam  eins 
dttnres  döz;  —  547  mit  gewaltes  tnaht;  —  200  sunder  vorhtes 
zitier  (758.  10092),  1006  sunder  vorhtes  kip,  13611  sunder 
vorhte  schrecken:,  —  339  hazzes  nit  (12735),  22773  sunder 
hazzes  kip;  —  12771  sunder  spottes  schimpf]  —  1841  sunder 
zwivels  wanke,  13039  an  zwivels  meine,  13225  sunder  zwivels 
zadel;  —  14973  sunder  meines  schände,  21335  sunder  meines 
tragen;  —  301  ze  mitter  meigen  zit,  1197  üf  des  äbents  zit, 
12941  manges  järes  zit;  —  2497  üf  der  wisen  velt,  7377  uf 
des  Veldes  plane;  —  3501  üf  wäges  flüete,  15421  üf  des  wilden 
mores  flttot,  16419  üf  des  wilden  mercs  vart;  —  15375  in  des 
windcs  luft;  —  15824  sunder  strites  vehten,  15892  mit  siges 
strit;  —  195  in  aller  lande  krciz  (4275.  4434  etc.),  1063  üf 
des  ringes  krciz,  1564  üf  der  plante  kreiz;  —  4409  durch  aller 
lande  rinc,  10646  tu  der  weite  ritte. 

Beliebt  sind  die  Umschreibungen  mit  pfliht:  1150  mit  siner 
ougen  pfliht,  1546  ir  namen  pfliht  (1963.  1950.  2264.  2515. 
2623.  3041.  3172.  4019.  4030.  4708.  5881.  6073.  6734.  674« 
etc.;  —  Engelh.  800.  4798.  5371.  Part.  7907.  9207),  und  mit 
stiure:  1243  nd  höher  eren  stiure,  7294  na  hoher  koste  stiure 
(3826.  5231.  5441.  7263.  7386.  7775  etc.);  ferner  solche  wie 
552  in  keins  herzen  sinne,  1097  manges  herzen  sin  (1285.  1423. 
1962.  2453.  2670.  3402.  5931  etc.),  1149  vor  sins  herzen  an- 
gesiht,  395  in  sins  herzen  grünt  (1265.  1398.  5498.  6913  etc.; 
—  Engelh.  2M3),   79  sines  vesten  herzen  brüst  (Troj.  2726). 


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STUDIEN  ZU  BEIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  459 


Zweimal  umschrieben:  4677  mit  herzen  grundes  sinne,  471  mit 
ungewiters  dunres  krach  (Engelh.  1950  sines  muotes  herzen  gir). 

Häufig  wird  ein  begriff  abhängig  gemacht  von  einem 
charakteristischen  merkmal:  851  der  rurte  gliz,  864  sunder 
ruomes  gliz;  —  464  nd  höher  wirde  gelt;  —  808  der  liehten 
sunnen  glast,  7421  des  morgens  glast,  8272  f.  der  sternen  glast 
verborgen  lac  von  der  wölken  decken,  14899  des  liehten  morgen- 
sternen  glast,  14897  des  vü  liehten  morgens  breiten;  —  1110 
diner  gneisten  funken,  1787  des  tcilden  fiures  gneisten;  —  767 
üf  des  schiltes  tach  (968.  1036.  1486.  1513.  9965  etc.),  834  des 
randes  tach,  866  sins  helmes  taeh  (1505.  1915);  —  1616  in  des 
todes  grimme  (22448),  13395  von  sorgen  quäle;  —  1652  des 
jämers  überflüzze,  3272  durch  mines  dienstes  pinen,  4730  des 
jämers  koste;  —  599  nach  des  Wunsches  segen,  2265  nd  wun- 
sclies  luste,  2647  der  minne  twingcn,  5039  mit  tröstes  gingen. 

Umschreibung  durch  metaphorische  ausdrücke:  221  der 
minne  stricke  (444.  1395.  2002.  5187),  6526  der  sorgen  stricke, 
15311  tödes  stricke;  —  327  dankes  gruoz,  1597  kusses  gruoz;  — 
1757  fiures  blicke,  13382  in  jämers  fiur;  —  2399  leides  angel 
(6325.  11522),  3703  untriuwen  angel,  5391  der  minne  angel; 

—  6164  des  jämers  flecke,  15476  lasters  flecken;  —  8649  von 
weinens  regene;  —  13194  uz  jämers  fürte,  16762  in  eren  fürte; 

—  22042  leides  orden,  22958  von  strengen  jämers  Ofden. 

Das  wort  pfliht,  das,  wie  oben  bemerkt,  gern  bei  dieser 
ausdrucksweise  Verwendung  findet,  wird  auch  oft  mit  einem 
adjectiv  verbunden,  um  den  in  dem  adjectiv  liegenden  begriff 
als  Substantiv  zu  bezeichnen.  Und  zwar  gebraucht  der  dichter 
für  diesen  fall  adjectiva  auf  -lieh,  von  denen  er  eine  zahllose 
menge  hat:  3297  mit  dienestlicher  pfliht,  3504  mit  eineclicher 
pfl,  4897  nä  wirdeclicher  pfl.,  6010  zornliche  pfl,  6605  nd  künec- 
licher  pfl.,  7208  jämerliche  pfl,,  8077  mit  tougenlicher  pfl.,  8477 
mit  urteillicher  pfl.,  10494  mit  snelleclicher  pfl.,  13502  in  släf- 
licher  pfl,,  15517  mit  hinderredelicJier  pfl.,  17170  kämpf  liehe  pfl., 
22800  isenliclie  pfl,,  25112  mit  gevanclicher  pfl. 

Für  pfliht  kann  ein  anderer  allgemeiner  oder  specieller 
begriff  eintreten:  5401  mit  volleclicJiem  rate,  5597  mit  lobelicher 
taste,  6249  die  mortlichen  tät,  6262  mit  twinclkher  fräge,  6264 
kebesliche  vart,  6411  gunstlichez  grüezen,  6814  mit  urteillicher 
lere,  6836  daz  kampfliche  striten,  7125  mit  klegelicher  schouwe, 


460 


GEREKE 


7240  mit  helfelicher  güete,  7291  mit  snelleclicher  ile,  7362  in 
engellicher  wise,  7543  helfelichen  muot,  7873  helfelichen  rät, 
8191  zwivellicher  wän,  8424  urteilliche  spor  (8653.  8679.  10084. 
10300.  11455.  13349  etc.). 

Dieser  letzteren  art  der  Umschreibung  weiss  ich  aus  Konrad 
oder  aus  seiner  richtung  nichts  ähnliches  —  wenigstens  in  dem 
umfange  —  an  die  seite  zu  setzen. 

Wol  aber  ist  Konrads  vorbild  widerzuerkennen  in  der 
ersetzung  eines  hülfszeitworts  durch  sinnliche  be- 
griffe oder  in  der  Umschreibung  eines  einfachen  ver- 
bums durch  einen  verbalen  ausdruck  (vgl.  Joseph  s.  41). 
Hier  spielt,  wie  anderswo  pfliht,  das  verbum  pflegen  eine 
grosse  rolle:  1587  sol  der  smerze  wonen  bi  mir  (Meine,  ich 
bin  tot;  6792  uns  muoz  ietner  lasier  bi  wonen  umb  die  schände; 
—  5439  (diu  sache)  diu  im  nähe  in  herzen  lac;  —  2342  da  von 
lasters  müese  pflegen  min  ere,  4800  pflegent  von  mir  fluht, 
5094  pflegent  flUhtc,  6292  für  die  not  der  er  nu  pflegen  muose, 
6345  (minne)  diu  so  hohes  namen  pfligt;  —  718  daz  diu  sunne 
wider gliz  nam  von  dem  golde;  836  von  Arabi  gap  Mehlen 
gliz  daz  ein  vach  (849.  1516.  1543.  7364  etc.);  17200  daz  diu 
liehte  sunne  an  im  widerglenzen  hos;  —  1562  si  täten 
höhe  wirde  schin,  1839  er  tet  mit  gewalte  schin  (1898.  7250. 
7574  etc.);  —  2674  nu  gap  im  minne  lere;  —  2972  swä  diu 
minne  kere  von  eren  hat;  —  19113  nam  val  zuo  der  erden. 

Sehr  gewöhnlich  ist  die  ersetzung  des  persönlichen 
pronomens  durch  sinnliche  begriffe,  ein  stilmittel,  das 
schon  Wolfram  ausgiebig  verwendet  und  Konrad  bevorzugt 
(vgl.  Joseph  s.  37):  durch  Up:  114  sin  Up  üf  vier  und  zwenzic 
jär  an  alter  hat  die  zit  vertriben  (120.  184.  1004.  1598.  4452. 
6250.  6897.  6905  etc.),  durch  herz:  212  sit  daz  ir  herze  nie 
gewan  ämis  noch  wart  ämie  (420.  862.  1152.  1156.  1305.  1906. 
2115.  3975.  5596  etc.),  854  ir  herze  gar  an  sorgen  bl6z  sus  üf 
den  hof  leisierten;  durch  sin:  688  sin  sin  so  höher  koste  pflac 
(2704.  6252.  6284  etc.);  durch  muot:  279  daz  sich  sin  muot 
ellendet  dar  (4644);  durch  h and  hingen:  1234  ir  lieplich 
smteren  sach  in  an,  9420  sin  vart  vil  gähe  snuorte,  15309  sin 
ritterlkhez  eilen  reit,  16214  ir  stritlichez  werben  sazte  sich  ze 
grözer  wer. 

In  ähnlicher  weise,  ganz  wie  bei  Konrad  (vgl.  Joseph  s.38), 


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STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  461 


331 


werden  die  zeit-  und  ortsadverbia  umschrieben:  958  euo 
den  ziten  (1533),  306  ee  disen  ziten  (7810.  7903),  6835  U  den 
eiten  (8943.  9454.  9530),  6754  in  den  ziten,  8401  an  den  ziten 
(11398);  —  7037  an  der  selben  stunde,  8643  an  den  selben 
stunden,  10208  an  den  stunden,  11260  an  der  stunt;  —  15374 
an  dem  eil,  14690  an  dem  selben  eil;  —  4927  ee  mangen 
tagen,  4696  ee  allen  eiten,  652  vor  den  eiten  (8047),  7031  ee 
welker  stunt;  —  10251  alle  frist  (16423),  10286  alliu  eil,  13218 
alle  vart. 

Umschrieben  wird  bisweilen  auch  die  conditional- 
conjunction  durch  einen  ganzen  satz:  5632  ist  aber  dae 
ez  also  stdt  (9737.  13297.  16024.  25376),  15025  und  st  daz 
got  dir  gnade  tuo,  22451  wcer  daz  daz  schif  het  gebiten. 
Hierin  ahmt  der  dichter  Gottfried  nach;  vgl.  Trist.  6098.  6103. 
6151.  6174  etc.  (auch  Part.  2128.  4508.  4748.  10960  etc.). 

Endlich  ist  hier  noch  anzufügen  die  bildliche  Verstär- 
kung o<Jer  Umschreibung  der  negation,  die  sich  unter 
allen  mhd.  dichtern  am  häufigsten  zuerst  bei  Gottfried  findet 
(vgl.  Zingerle,  Ueber  die  bildliche  Verstärkung  der  negation  bei 
mhd.  dichtem,  WSB  39):  2177  niht  als  umb  ein  bappel  (Zingerle 
s.  459),  8394  er  ahte  mlit  üf  einen  bast  (Zingerle  s.  429),  9417 
ahte  alliu  dinc  als  einen  stoup  (Zingerle  s.  436),  9747  umb  ein 
här,  14305  u.  ö.  umb  ein  hleinez  här  (Zingerle  s.  438  ff.),  18412 
niht  ein  linse  geben  umb  (Zingerle  s.  421),  20837  umb  ein  bönen 
niht  gedenken  (Zingerle  s.  417),  22393  als  ein  wiche  (Zingerle 
s.  420),  22355  umb  ein  bräwe,  22407  umb  einen  snal,  24989 
daz  eines  punkten  niht  enbrast 

d)  Widerbolungen  und  Wortspiele. 

Einiges  von  dem  hierher  gehörigen  hat  Eichhorn  unter 
der  Überschrift  'epizeuxis'  zusammengestellt.  Dahin  sind  also 
Wendungen  zu  setzen  wie  262  wang  an  tcange  (2352  u.  ö.),  1099 
von  ring  ze  ringe,  1397  uz  oug  in  ougen,  2353  munt  an  munde 
(3840  u.  ö.),  2167  herz  in  here,  sin  in  sin,  2183  gedenke  iht  euo 
gedenken;  —  1729  sich  schar  und  schar  verwurren,  11268  rotte 
in  rotte,  schar  in  scliar.  Die  beispiele  sind  überaus  zahlreich. 
2635  gap  und  gap  (12589.  14661),  5987  bat  und  bat,  6148  er 
bat  und  bat  und  ich  verseit  lang  und  lang  und  mange  stunt, 
26039  er  lech  und  Uch  und  lech  (9489.  15765.  23909.  23455; 


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402 


GEREKE 


—  Turn.  86  er  (jap  und  gap  und  (jap  et  dar),  8432  umb  und 
umbe  (22Ö54.  22302.  22349),  8663  dicke  und  dick  Gleichsam 
ein  ganzes  füllhorn  schüttet  der  dichter  aus  12  bi  guotem  guot, 
so  hcer  icJi  jehen,  U  süezen  süez,  bi  argem  arc,  bi  miltem  milU 
bi  kargem  karc,  bi  frechem  frech,  bi  zagen  zagen  tcirt  man,  hon 
ich  die  wisen  sagen.  Ebenso  184  f.  10710.  10993.  11706  ff. 
12606  ff.  12260  ff.  17285  ff.  17742  ff. 

Anderes  nennt  Eichhorn  annominatio;  doch  gibt  seine  auf- 
zählung  nicht  entfernt  einen  begriff  von  der  reichhaltigkeit, 
über  die  der  dichter  in  der  anwendung  dieses  stilmittels  verfügt 

Er  setzt  z.  b.  einem  Substantiv  ein  adjectiv  von  demselben 
stamm  hinzu:  777  gen  minneclkher  minne  (1690.  2461.  3613. 
10990  etc.),  3895  nä  kusüchem  küsse,  7588  friuntlkh  friunt, 
11014  trütlich  tritt,  13312  wunderlkhiu  wunder. 

Oder  er  rückt  Substantiv  und  verbum  desselben  Stammes 
eng  an  einander:  3582  swaz  din  gücte  güetct  (Trist.  8301  ir 
schwne  diu  scha  ttet),  7430  die  scliar  geschart  in  glicher  pfliht 
13292  ein  vart  rarest  über  mer,  10343  manic  slöz  entslozzen. 
oder  irgend  welche  anderen  Wortklassen:  1266  süezer  wunden 
wunt  (4959),  7995  an  wirde  ivirdecliche,  11021  trütlich  getriutet. 

Die  beiden  stammverwanten  Wörter  stehen  nicht  eng  neben 
einander,  sondern  sind  durch  Zwischenglieder  getrennt:  1082 
die  kr  ig  er  liefen  üf  ir  sld  mit  manger  lüten  kr  ige,  1374  ich 
weene  daz  sin  herze  wem  künne  höhen  dienest  wol  frouteen 
dm  er  dienen  sol  und  den  sin  herze  dienest  treit,  1744  ein 
t itter  moht  du  siniu  Uder  ritterlich  erswingen  (8390  f.  8668t 
9098  f.),  2000  er  suohte  blic,  so  vander  an  ir  widerblicke, 
die  blicke  in  minne  stricke  ir  beider  herze  knüpften,  2297  mit 
urteil  hie  erteilet  (6811),  2580  jö  wart  ich  der  wirde  ge- 
wir  de t  nie,  so  mir  beschach,  2982  minne  in  minneclicher 
gir,  4382  und  warp  mit  wirdekeit  da  nach  eren  und  nä 
werdekeit,  des  sin  nam  noch  wirde  treit,  4457  des  sin  sich 
so  versinte,  8471  daz  wolt  erteilen  ir  ein  teil,  8476  und 
ein  ander  urteil  kam  also  mit  urteillicher  pfliht,  8694  mmI 
minnten  gerne  minneclich,  10924  wip  und  wiplich  minnen 
ist  alles  hör  des  üb  erhört. 

Klangvoll  verdienen  die  formen  der  annominatio  genannt 
zu  werden,  in  denen  die  stammverwanten  Wörter  einen  Wechsel 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUN  SCHWEIG.  463 


des  vocals  (namentlich  ablaut  und  umlaut)  zeigen:  808  daz 
da  dur  nicht  gelestcn  moht  der  lichten  stmnen  ylast,  1104 
ä  süeziu  minne,  diniu  bant  bindent  sunder  heften,  2213 
lühten  lieht  ir  wengcl,  2229  nie  lühte  liehter  mor genrot,  2821 
lichten  tac  üf  liuhten,  13222  durchliuhtecUchen  lühte;  —  2880 
ja  mit  mangem  swanke  ir  ougen  zemen  swungen,  3004  ja 
der  sinne  senke  sich  saneten  so  se  gründe,  4871  mit  swanke 
uberswenkent,  5548  so  daz  diu  pfat  und  dl  der  stic  so  in 
ir  herze  mohte  siegen,  5932  swenn  ir  blicke  schöz  üf  in  mit 
schüzzen  an  geverde,  9930  so  starkiu  lehen  liht  min  hant, 
11056  diu  kraft  mac  überkreftet  mit  keinen  Sachen  werden, 
13133  die  klag  in  klegelicher  art,  13230  in  dem  schin  er- 
scheinde. 

Bei  widerholter  anwendung  desselben  Wortes  oder  stamm- 
verwanter  Wörter  entstehen  Wortspiele,  wie  sie  Rudolf  von 
Ems  besonders  liebt:  82  ein  vester  friunt  bi  friundes  rät,  96 
den  knehten  knehtes  reht  er  liez  (12540.  12554.  12568),  1145 
der  schaen  für  alle  schainc  wac,  2471  und  friundet  friunt  in 
friundes  triff,  2957  waz  liep  mit  liebe  liebes  kan,  da  liep  cht 
liebe  liebes  gan  (Konr.  lied  22, 19  liep  noch  liebe  liebes  gan), 
3075  swd  liep  ist  liebem  liebe  bi,  9824  nu  rat  ich,  ob  ich  raten 
kan,  ob  ir  mins  rdtes  ruochent,  10780  swä  liep  ez  liebe  biutet 
liepUch  sunder  vorhte  schäm;  —  623  vü  und  ril  me  danne  vil, 
4429  ic  me  und  me  und  aber  me  (Trist.  8079  ivol  und  wol  und 
alze  wol);  —  357  der  gernde  kneht  tet  sinem  lop  mit  lobe  reht, 
wan  swer  sin  lop  ze  lobe  treit,  da  stät  nach  lobe  der  eren  kleit 
(ebenso  364 — 371),  15532  und  als  der  fürste  rieh  vernam  daz 
ez  friundc  wären,  ir  friuntlich  gebären  galt  er  mit  friundes 
gruoze.  vil  friuntlicher  unmuoze  huop  sich  ze  beden  siten  (vgl. 
Gerh.  1—115.  383—392.  1667—1679.  2422—2425.  2901—2907). 

Der  dichter  spielt  mit  mehreren  begriffen:  70  ist  im  der  Up 
erstorben,  wcl  not  ?  sin  lop  doch  höhe  swept.  wv  dem  verzagten 
der  so  lept  stvenn  im  der  Up  alhie  verstirbt,  daz  sin  lop  mit 
dem  Hb  verdirbt;  —  4454  dö  im  der  Up  mit  leben  erstarp,  so 
lept  sin  lop  doch  iemer  me  (vgl.  Rol.5447f.,  zum  gedanken:  Parz. 
471,  13,  Iw.  16);  —  128  ein  man  der  mac  dort  und  hie  erwerben 
ritterlichen  solt.  ritters  orden  dem  ist  holt  got,  ob  er  ritterlichen 
stät  als  in  got  selbe  gordent  hat;  —  1110—1121  herz,  sin, 
minne;  2962—2973  minne,  ere;  3504—3512  ei'w(ew),  meine(n). 


464 


OEREKE 


e)  Negative  ausdrnckswelse. 

Fast  alle  mittelhochdeutschen  dichter  seit  Wolfram  kennen 
das  stilmittel,  einen  positiven  ausdruck  negativ  zu  gestalten, 
etwa  um  die  betreffende  stelle  humoristisch  oder  ironisch  zu 
färben,  oder  um  überhaupt  etwas  lebhaftigkeit  in  den  gleich- 
mässigen  gang  der  erzählung  zu  bringen.  Es  mögen  also  hier 
aus  dem  R.  einige  beispiele  platz  finden:  45  diu  (werk)  wären 
an  untcete  laz,  wan  er  der  eren  nie  vergaz,  86  sin  stete  triwe 
sich  nie  verbarc,  286  ein  künic  den  schände  gar  verbirt,  743 
wan  im  kein  laster  was  bekant,  857  des  herze  ie  schände  flock 
(959),  917  des  herze  ie  schände  meit  (1219;  —  703.  1899.  1479), 
862  sin  herze  nie  ubertreüen  hat  keine  stunt  der  mäze  riz, 
1230  sin  Up  und  ouch  sin  leben,  sich  an  eren  nie  versneit;  — 
647  daz  ez  im  leit  zerstörte,  726  man  sach  da  niemen  trumi 
noch  haben  keine  swcere,  937  des  was  sin  sorge  gar  enztcei, 
2015  diz  tet  im  sorge  kranken;  —  706  giuden  brehten  was 
niht  tiur,  3824  lieplich  umbeväJien  mähten  si  untiure.  höher 
sorgen  stiure  was  in  beiden  wilde,  4938  fröude  wart  im  wilde; 
—  604  .90  daz  in  koste  niht  enbrast,  614  dö  wart  niht  langer 
dö  gebiten,  12946  der  eren  und  der  saüden  tor  was  in  beiden 
unver spart,  18190  daz  bitten  wart  niht  übertreten,  18458  ein 
smieren  wart  da  niht  vermiten  von  den  fürsten  beiden  u. s.w. 

Eine  besondere  art  der  negativen  ausdrucksweise  haben 
Konrad  und  seine  nachahmer  in  die  epische  poesie  eingeführt 
(vgl.  Jänicke  DHB  4  zu  Wolfdietrich  D  5, 103, 2),  nämlich  die 
negierung  durch  äne,  fri  etc.  Den  Ursprung  dieses  Stilmittels 
bei  Wolfram  zeigt  Kinzel  (Zs.  fdph.  5, 4  f.):  214  diu  süeze  wan- 
deis frie  (1182  u.  ö.),  9698  diu  valsches  fri;  —  939  an  schänden 
gar  der  trage  (1187),  2726  Polar  ei  den  tragen  an  allen  lioubet- 
schänden  ;  —  1323  der  Müschen  wandels  kranken  (1842.20200. 
20351);  —  1866  den  schänden  lazzen,  6192  der  veige  an  eren 
laz;  —  6208  der  eren  leere,  9008  an  zageheit  die  siecJieti  u.s.w. 

f)  Hyperbeln. 

Von  den  hyperbeln,  deren  verschiedene  arten  Eichhorn  im 
allgemeinen  vollzählig  besprochen  hat,  möchte  ich  hier  nur*  eine 
besonders  charakteristische  klasse  hervorheben,  die  ich  bei 
Eichhorn  vermisse.  Der  dichter  hat  sie  zweifellos  seinem  vor- 
bilde Konrad  nachgebildet.   Es  handelt  sich  um  übertreibende 


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STUDIEN  ZU  REINFKIED  VON  «RAUNSCHWEIG.  465 


Versicherungen,  die  er  seinen  personen  in  den  mund  legt,  von 
der  art:  'ehe  das  geschieht,  ehe  soll  das  und  das  geschehen* 
(raeist  'ehe  will  ich  tot  sein'):  2522  nein,  micfi  müez  e pfenden 
der  tot  an  dem  Übe,  e  min  munt  keinem  wibe  ze  kus  sich  iemer 
biete;  4300  ich  wolt  e  daz  ich  wcere  tot,  e  ich  mit  sinnen  iemer 
tvolte  minnen  ald  meinen  anderswar  denn  iuch;    4762  ich  liez 
mich  in  die  erden  e  lebendigen  tclben,  ich  wolt  den  tot  mir  selben 
e  füegen  unde  schicken,  e  daz  ich  ...  (4786  ff.  4992  ff.  5160  ff. 
6118  ff.  etc.,  vgl.  Engelh.  3755  daz  ich  schiere  stürbe,  6  duz 
ich...;  4010.4142.  5528.5938.6040.  Herzm.210.  Schwanr.629. 
Part.  2824.  6056.  6434.  7370.  9087.  9097.  9872.  10062.  11242. 
12944.  17352.  19322  etc.);    7668  ich  wolte  mich  zersniden  e 
Uzen  und  zerhouwen,  e  ...    (6562  ff.  8358  ff.  9734  ff.  9974  ff. 
10800  ff.,  vgl.  Engelh.  6058  ich  lieze  e  mich  zersniden  [vgl.  Jä- 
nicke  z.  Stauf enb.  703]);   2762  e  wolt  ich  von  dem  lande  gän 
daz  mich  üf  geerbet  hat,  e  ...;  3704  e  wold  ich  Itaben  mangel 
liebes  unz  üf  minen  tot,  e  ...  (vgl.  Engelh.  3745  e  daz  ich  ge- 
dachte ...  e  wolte  ich  fröude  nimmer  noch  scelekeit  geschouwen; 
5616.  6048). 

Von  all  den  übertreibenden  formein,  wonach  bisher  auf 
erden  nichts  dem  erzählten  ähnliches  zu  finden  ist  (vgl.  Eich- 
horn a.  a.  o.),  nenne  ich  besonders  folgende:  802  diu  weit  so 
hinnen  scheidet  daz  nietner  solich  hof  ergät,  11496  diu  weit 
sich  also  endet  daz  liep  bi  solhem  leide  von  einer  hinsclieide 
so  groe  geliche  niemer  wirf. 

Endlich  erwähne  ich  noch  die  formein:  165  me  dan  genuoc 
(419.  25551),  623  vil  und  vil  me  danne  vil,  1307  me  denn  ze 
vil  (27117),  10425  me  vil  denne  gnuoc,  11907  vil  me  denne  gnuoc 
(15932.  24304),  24861  me  denne  vil 

g)  Anaphorlsche  gliederung. 

lieber  die  anaphora  bei  Gottfried  vgl.  Preuss  s.  28  ff. 

Dass  die  anaphora  im  R.  bei  den  antithesen  häufige  an- 
wendung  findet,  haben  wir  schon  oben  (s.  457  f.)  gesehen;  und 
zwar  hat  die  widerholung  hier  meist  innerhalb  desselben  verses 
statt.  Dahin  gehören  noch  folgende  stellen:  6666  . . .  umb  dl 
sin  tv erben,  umb  sin  trüren,  um  sin  klagen,  umb  sin  leit,  um 
ir  versagen,  umb  sin  dröuwen  . . . ;  9317  ald  waz  ich  tuon  ald 
waz  ich  län;    11106  vor  tac  vor  naht  vor  sunnen  schin,  vor 

Beiträge  sur  geschieht«  der  deutschen  spreche.    XXIII.  30 


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4(30 


GEREKE 


himel  erde  wazzer  luft,  vor  speren  trön,  vor  helle  krufl,  vor 
mänen  schin,  vor  sternen  kreiß.  S.  Tristan  2387.  3744.  4051. 
42G2  etc. 

Am  anfang  mehrerer  verse  findet  sich  anaphora:  1)  eines 
nomens:  3G24  minne  diu  hon  linden  sorge  herter  denn  ein 
flins.  minne  diu  git  sweeren  zins  iren  besten  friunden  etc.  (im 
ganzen  12  mal;  s.  Troj.  2214  ff.  2540  ff.);  1 1062  ff.  minne  (22  mal). 
10916  ff.  wtp(25mal);  —  2)  des  artikels  oder  eines  prono- 
mens:  3666  miner  fröuden  anger,  mines  tröstes  wird*,  mines 
lustes  girde,  mines  herzen  Wunne  u.s.w.;  4418  ein  hruft  der 
rehten  milte,  ein  berndez  zwi  der  zühtc,  ein  würze  reiner  frühte, 
ein  stein  rehter  triuwe,  ein  slöz  der  statte  niuwc;  —  3)  eines 
formwortes:  2904  so  würfen  jene  dort  den  stein,  so  zugen 
dis  schähzabelspil  etc.  (ähnlich  11328—11331),  9680  wie  (2  m.), 
23649  ff.  23658  wie,  24230  wie  (11  m.)  recapitulierend  (s.  Trist. 
4241  ff.);  10824  ff.  ob  . . .  ob  . . .  ald  ob  . . .  ald  ob...  ob;  —  4)  meh- 
rere Wört  er  zugleich:  602  ff.  dar  nach  man  (2  m.),  5182  ff.  so 
such  nuin  (2  m.;  113481),  5414  ff.  man  hiez  (2  m.),  5616  ff.  will 
du  (2  m.),  5660  ff.  wil  ich  (2  m.),  8810  ff.  es  hilfet  (2  m.),  9388  ff. 
ach  got  wie  (2  m.),  11 130  f.  ez  wart  nie  herze  (2  m.). 

h)  Alliteration. 

Des  schmuckes  der  alliteration  bedient  sich  bekanntlich 
Gottfried  in  ausgedehntem  masse.  Rudolf  von  Ems  folgt  ihm 
hierin  mehr  als  Konrad,  und  im  R.  finden  sich  alliterierende 
Verbindungen  ziemlich  häufig. 

Die  alten  formelhaften  Verbindungen  habe  ich  schon  oben 
(s.  451  ff.)  behandelt,  desgleichen  die  mit  alliterierendem  präfix. 

Nicht  formelhaft  sind:  2518  ran  und  ruoz,  6206  f.  grisen 
und  grawen,  8938  kraft  noch  kunst,  18312  schint  unde  schirt. 

Es  alliteriert  ferner  ein  Substantiv  mit  seinem  attribut: 
797  diu  minnecliche  magt,  2333  holder  herze,  2685  sender  sorgen 
(3203.  3530),  2856  waldes  wilde,  2892  ir  minnecUcher  munt, 
3331  mit  minnecUcher  meine,  3382  sendm  sinne,  3861  sunder 
sorge  sweichen,  5065  uz  süren  sorgen  strickent,  5281  heizer 
trehen  tropfen  (7043),  5348  der  minne  martercere  (6372),  6531 
in  wildes  waldes  vorste,  8975  mit  grözer  grimme,  9641  üf  rehie 
rede,  10039  weltlicher  wunne,  10543  starker  gruse  gröz,  17471 
mit  manges  sivertes  swanke  etc.; 


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STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  467 

ein  verbum  mit  seiner  bestimmung:  2170  vestcclichen  velzen, 
2213  lühten  lieht  (2229),  4348  warp  so  wirdeclichen  (4370), 
8361  wolle  willecliche,  9132  vaste  vaht,  11146  lüterlicJi  erliuhtet; 
—  1830  durch  die  rotten  Htm  (7303),  2223  in  rehter  mdze 
mischet,  2827  in  den  wölken  wcegen,  9289  mit  wazzer  über- 
wallen etc.; 

ein  Substantiv  mit  seinem  verbum  (subject  oder  object  mit 
prädicat):  2061  hohe  fürsten  fuorten,  2566  al  min  sin  besenget, 
3289  ich  merke  iuwer  metnen  f  4680  liehte  varwe  velwet,  8489 
die  ir  guotes  gunden  etc.; 

andere  Wörter:  450  üf  siben  soumer  sunder  sein,  2019  sorge 
uz  dem  sinne,  2309  het  er  hiut  hie  verliuhen,  2388  duz  senen 
senftet  smerzen,  3344  in  so  wunderltchiu  werch  hat  minne  mich 
geworren,  3358  ei  dö  si  so  süeze  sleich,  3802  leit  bi  liebe 
dicke  lit,  4064  minne  mit  ir  mugende  würket  wunderltchiu  dinc, 
5658  die  mir  zuo  gemuotet  hat  sin  munt  üf  minne  werben, 
6934  so  was  der  ören  wünne  sin  wtldiu  werch  diu  er  begienc, 
7036  ir  sin  begunde  senken  sich  an  der  selben  stunde,  8270 
die  lerchen  man  in  lüften  höch  .. .,  8552  troßste  minen  triieben 
sin,  8676  der  ritt  er  ritterlichen  saz,  der  tcise  wirdeclichen  hielt, 
9080  den  Up  er  lützel  sparte  und  lief  in  ritterlichen  an,  9084 
du  von  er  sunder  lougen  an  krefte  wart  geletzet,  15481  in 
wallers  wise  sunder  wer,  20117  in  starken  stürmen  herten, 
heim  und  schilte  scherten  sach  man  mit  swertes  swanke  etc. 

i)  Metaphern  und  bilden 

Ein  gut  teil  der  Schönheit  der  poetischen  spräche  beruht 
auf  ihrem  bilderreichtum,  denn  die  aufgäbe  der  poesie  ist  es, 
unsere  phantasie  zu  beschäftigen.  Wer  also  ein  guter  dichter 
sein  will,  muss  über  einen  gewissen  Vorrat  von  bildern  ver- 
fügen können,  und  dazu  gehört  lebendige  anschauungskraft 
und  phantasievolle  auffassungsgabe.  Nun  werden  ja  manche 
bilder,  die  wegen  ihrer  Schönheit  oder  ihrer  bequemen  anschau- 
lichkeit  öfter  anwendung  finden,  schliesslich  allgemeingut.  Die 
bedeutung  eines  dichters  kann  also  nur  darin  sich  zeigen,  was 
er  liier  aus  eigener  kraft  neues  zu  schaffen  vermag. 

Unter  unseren  mittelhochdeutschen  dichtem  ist  die  zahl 
solcher  wirklich  originalen  dichter  nicht  allzu  gross,  und  diese 
sind  dann  für  ihre  minder  beanlagten  nachfolger  tonangebend 

30* 


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QBKBKB 


geblieben.  So  kann  es  denn  auch  nicht  wunder  nehmen,  wenn 
der  im  stoff  wenig  selbständige  dichter  des  R.  sich  in  seinen 
bildern  in  der  hauptsache  an  seine  muster  anlehnt  und  sich 
in  den  herkömmlichen  bahnen  bewegt. 

An  erster  stelle  mögen  als  die  am  wenigsten  ausgeführten 
bilder  einige  metaphern  stehen.  Mehrere  davon  sind  von  der 
pflanze  und  ihren  teilen  hergenommen:  1304  mit  des  lobes  rise 
gezieret  (Engeln.  879),  9308  minnecliche  {ruht  ilö.  (Engeln.  1487. 
4359.  4419.  Part.  286.  1543.  2947  etc.  Schwanr.  279. 1225  etc.), 
10782  dä  hat  der  süezen  minne  stam  (10959;  —  Parz.  128,  28. 
j.  Tit.  721.  1326.  1065  etc.)  nä  hofier  fruht  gewürzet,  11959  der 
statten  triuwe  ein  frühtic  stam\  —  2294  üf  in  hat  gezwiget  ere 
ir  frühtic  lobes  ris,  11952  bitter  leit  mit  senden  klagen  hatte 
üf  si  gezwiget  (2386.  26136  f.;  —  Engelh.  234  t  878  f.  Troj. 
6655  f.  Barl.  353, 13 1). 

Andere  metaphern  sind:  775  des  Wunsches  kint,  der  scelden 
hört  (Engelh.  732.  5102.  5449.  5837.  6449.  Part.  1408.  1728. 
1948.  2444.  7270.  11032  etc.);  —  865  der  eren  sedele,  2455 
des  herzen  tür  (Klage  d.  kunst  22,  7);  —  12946  der  eren  und 
der  Salden  tor  was  in  beiden  unver spart,  12998  den  ouch  hoher 
frühte  tor  was  versetzet  und  verspart,  13081  entslozzen  miner 
f ruhte  tor  (Part.  5768.  Parz.  649, 28);  —  10931  aller  saüden 
obetach,  11012  er  was  ir  fröuden  übertach  (ein  bei  Konrad  sehr 
beliebter  vergleich;  vgl.  Haupt  zu  Engelh.  454);  —  2556  der 
gnäden  schibe,  10834  der  scelden  schibe,  13084  der  frühte  schibe 
(Engelh.  4400);  —  3198  der  minne  geiselruote,  12950  der  fröuden 
wünschelruote  (Engelh.  3000);  —  1853  mit  manges  ruomes  kränze, 
4349  höher  eren  kränz,  17377  lobes  kränz  (Troj.  444.  15341. 
Part.  13531.  Parz.  260, 8.  343, 25.  394, 12.  632, 28.  Gerh.  6406. 
6605);  —  3579  der  sorgen  schür  (Engelh.  5401.  Parz.  313,6. 
371,  7.  587, 13),  der  fröuden  schilt,  13073  der  seien  trost,  der 
Sünder  schilt  (Gerh.  6331.  Wolfr.  Wh.  15, 15);  —  1395  in  minne 
stricke  (2002  u.ö.),  6526  der  sorgen  stricke,  15311  tödes  stricke 
(Part.  7059.  7273.  12700.  Parz.  811,  4);  —  2399  des  leides  angel 
(6325.  11522),  3703  untriuwen  angel,  5391  der  minne  angel 
(Engelh.  1657.  Part.  8218);  —  8649  von  weinens  regene,  17259 
mit  manges  trehenes  regene  (Parz.  191,29);  —  13194  üzjämers 
fürte,  16762  in  eren  fürte  (Parz.  114,4.  Wh.  177, 14);  —  2576 
minne  ir  scharpfen  wäfen  hat  über  mich  gewetzet ;  —  3688  mit 


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STUDIEN  ZU  BEINFRIED  VON  BBAUN8CHWEIG.  469 


der  sorgen  bände  hat  minne  mich  geseilet  (Engeln.  6138  f.  Virg. 
349,121);  —  4489  ...  trüren.  in  sine  sinne  er  müren  künde 
bitter  sorgen,   5341  siufzen  unde  trüren.  des  saeh  man  so  vü 
tnurcn  in  in  stns  herzen  sinne  (Konrad:  Engelh.  2142  ff.  Part. 
709.3767.  Troj.  17052.  Herzm.244f.  Lied  14, 16  f.);  —  4512 
sin  sin,  sin  herze  wären  gar  in  der  nöt  ver steinet  (Part.  1266. 
8314);  —  2564  mir  hat  der  minne  glüete  min  herze  so  em- 
pf enget  daz  al  min  sin  besenget  ist  von  minne  fiure  (Engelh. 
975  f.);  —  4414  er  ist  ein  wünschelruote  an  ritterlicher  krefte, 
. . .  ein  kruft  der  rehten  milte,  ein  berndez  zwi  der  zühte,  ein 
würze  reiner  friihte,  ein  stam  rehter  triuwe,  ein  slöz  der  statte 
niuwe,  schäm  und  mdze  ein  ingesigel,  der  Sre  ein  vester  houbet- 
rigel  (vgl.  Engelh.  472  als  da  zwei  wahs  gedrücket  sint  in  ein 
vÜ  schamez  ingesigel  [Part.  1308],  si  wären  triuwen  gar  ein 
rigel,  ein  vestez  slöz  der  statte);  ähnlich  10928  ff.  10958  ff. 

Von  den  eigentlichen  bildern  bezieht  sich  ein  gut  teil  auf 
die  Schilderung  der  kämpfe.  Manche  davon  sind  deshalb  schon 
früher  bei  der  vergleichung  solcher  darstellungen  im  R.  und 
in  seinen  quellen  zur  spräche  gekommen.  Dartiber  darf  ich 
also  jetzt  mit  kurzen  andeutungen  hinweggehen. 

Die  rosse  sind  schwarz  wie  pech  (414),  ein  vergleich  der 
sich  häufig  nur  bei  Konrad  findet  (Engelh.  4692.  Part.  18258. 
21004.  Troj.  11992.  Turn.  447;  vgl.  s.  392);  —  8390  der  ritter 
als  ein  enget  stuont  gewäpent  ritterliclte  (Engelh.  2644  ff.);  — 
8569  ein  banier  wizer  denn  ein  swan  (17181;  —  Engelh.  2525. 
Gerh.  785);  —  8587  (er)  schein  als  ein  zigenmilch  (sonst  nicht 
zu  belegen),  18908  er  truoc  einen  swmren  schilt  höher  breiter 
denn  ein  tor  (21180  f.).  —  Die  ritter  brausen  auf  den  rossen 
heran  479  sam  daz  Wuotes  Jier,  oder  wie  die  Windsbraut 
(20144  f.  —  Engelh.  4770  f.  2774  f.  Part.  15948  ff.  20720  f. 
Troj.  3900),  oder  wie  die  falken  (884  f.  17338.  —  Laur.  371  f.), 
oder  wie  pfeile  (18985. 26171.  —  Part. 725.  15434.  Virg.  77, 4  f.); 
17335  na  zirkels  mez  gedrceget  treffen  die  ritter  auf  einander 
(8880  ff.);    17402  reht  als  der  si  mit  zangen  zesamen  wolle 
heften,  so  sach  man  si  mit  kreften  üf  ein  ander  dringen.  Die 
rosse  springen  wie  Her,  wie  hirzetier  (1011.  892  f.  —  Part. 
13711.  19423.  Troj.  3793.  Turn.  942.  Schwanr.  905).  —  Das 
krachen  und  splittern  der  Speere,  das  klirren  der  Schwerter 
und  das  dröhnen  der  schlage  wird  dem  donner  verglichen 


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470 


GEREKE 


(902.  8910.  17353.  20376.—  Engeln.  4814.  Troj.  12242);  17316 
von  ir  tjoste  gie  ein  tunst  als  vor  dem  donre  ein  blixen.  Die 
kämpfer  aber  sitzen  wie  eine  wand  von  stein  (1013.  11279. 
17095.  17330.  —  Turn.  846).  —  Als  ob  in  der  schmiede  die 
hämmer  auf  den  amboss  tengein,  so  klingt  das  kampfgetöse 
(1800  f.  9034  f.  —  Engeln.  2728  ff.  4852  f.  Turn.  794  ff.  812. 
Part.  14327  ff.  Troj.  4076  f.  12804.  32209.  37250.  -  Parz.112. 28. 
152, 5.  210, 4.  537, 27.  j.  Tit.  3897.  4203).  So  viel  feuer  schlagen 
die  ritter  aus  den  helmen,  8904  weer  der  tae  erlosclien,  man 
mohte  doch  da  hdn  gesehen  von  der  liehten  gneisten  brehen; 
20508  ff.  man  hätte  schoube  damit  entzünden  können  (Engeln. 
4780  f.).  Die  ritter  kämpfen  mit  grosser  erbitterung:  9028 
unde  vaht  als  ein  wildez  eberswin  (Wolfd.  D  9, 102;  vgl.  s.  375; 
18821  er  grein  als  ein  eberswin  —  Troj.  5040);  1802  aUam 
die  hanf Stengel  sach  man  die  rotten  spalten  (Turn.  778);  11308 
si  gäben  unde  leisten  herter  siege  magren  zins  (Turn.  857);  25678 
man  warf  und  schöz  eht  iemcr  dar  in  si  reht  als  in  fülen  mist 
(Roseng.  [Grimm]  1934  f.  1937  f.);  8902  man  sach  die  helde  Um- 
wen  ein  ander  sam  die  droschen  (Part.  14463);  9004  von  miiede 
sach  man  tempfen  man  und  ors,  ist  mir  bekant,  als  da  man 
holen  hat  gebrant  und  man  die  stat  siht  riechen;  vgl.  8670  t 
(j.  Tit.  1535);  9116  daz  bluot  im  üz  der  wunden  viel  alsam  ein 
grözer  vollic  bach  (Virg.  168,13.  205,13.  Roseng.  [Gr.]  1173); 
11310  von  Mizcn  herter  denn  ein  flins  wart  des  marlcises  güfien 
(2302.  10850;  Turn.  858.  Troj.  8693  [vgl.  Lexer  3, 405].  Wolfr. 
Wh.  76,7.  j.  Tit.  5259);  17520  minn  und  ir  fiur  zertranden  sin 
siege  als  ein  riiebe  enzwei;  18995  sin  ors  reht  als  ein  ei  ze 
stucken  wart  zerteilet  (Trist.  5691.  Engelh.  557.  Troj.  10672. 
Part.  8325.  Wolfd.  D  6, 176, 4). 

Eine  fülle  von  vergleichen  findet  sich  bei  der  Schilderung 
körperlicher  Schönheit,  Die  meisten  davon  sind  schon  be- 
sprochen, als  wir  den  R.  in  bezug  auf  seine  abhängigkeit  von 
Konrads  Engelhard  untersucht  haben. 

Das  haar  scheint  2112  durchliuhteclichen  reht  als  ein  schon 
dunvünscht  gespunnen  golt,  22510  afc  ein  gespunnen  golt  ir  hdr 
(Part.  8638.  13565.  Troj.  3022  [Erec  1551]);  2120  gelwer  denn 
ie  kläwen  würden  oder  sigen  eines  wilden  wigen,  so  was  ir 
goltvarwez  hdr;  2134  so  gar  minnecliche  schein  ir  Scheitel  sam 
ein  kride;  —  2144  lanc  und  als  ein  side  gel  was  ir  hdr,  26176 


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STUDIEN  ZU  RETNFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG. 


471 


gerispelt  reit  und  da  bi  val  was  ez  reht  als  ein  side  (vgl.  Jä- 
nicke  DHB  4,  337;  —  Part.  9430.  9722.  20244.  Troj.  23244);  — 
2152  diu  minnecliche  blücte  durliuhter  denn  ein  niandel,  3844 
wang  bi  liehten  wangen  sam  ein  mandel  lühten  (Part.  3350);  — 
2187  tr  mündel  wart  gesehen  schön  durliuhteclichen  brehen  sam 
ein  rose  in  touwe;  224  der  Salden  tou  (Part.  295.  2092.  8520. 
j.  Tit.  3335);  —  2204  ze  mögen  dicke  ir  lefsen  sam  ein  zunder 
brunnen  (Part,  18415);  —  2212  sam  die  tcilden  rösen  vor  lühten 
lieht  ir  wengel;  3840  munt  bi  munde  bluote  alsam  ein  liehter 
rose  rot;  18664  man  het  ze  mitter  nahte  von  ir  schcene  wol 
gesehen  . . .  manic  zunder  wirt  enzunt  niht  an  so  heizen  funken 
so  üz  ir  mündel  sunken  mit  rede  swenn  si  lachet 

Ehre  und  rühm,  tilgenden  und  affecte  werden  gleichfalls 
gern  unter  vergleichen  dargestellt.   Die  bei  Konrad  so  sehr 
beliebten  bilder  von  Spiegel  und  glas  (vgl.  Joseph  a.a.O.  s.42), 
lassen  sich  auch  im  E.  mehrfach  nachweisen:  2475  ir  kiissen 
was  geliutert  alsam  ein  glas,  3562  si  (diu  trütschaft)  muoz  lüter 
unde  ganz  beliben  sam  ein  Spiegelglas,    7630  daz  ir  Up  den 
spiegel  treit  ob  aller  höhen  schouwe  (11003.  11528).  —  11958 
der  frbude  ein  Uder  Spiegelglas,  der  statten  triuwe  ein  frühtic 
stam.  da  von  ir  wirde  unde  ir  natu  durliuht  als  ein  karfunkel- 
stein  (Engelh.  5303  ff.  Part.  8758  f.);  —  75  sin  leben  was  ge- 
liertet sam  ein  adamas  (1508  f.  14465;  —  Part.  6340.  Troj.  6566. 
9583  etc.  Gerh.  802.  Rud.  Wh.,  v.  d.  Hagens  Germ.  10, 111, 12.  — 
Erec8426.  8923.  Iw.3257.  a.Heinr.62);  —  364  swä  man  den 
der  lobes  fri  ist,  mit  lobe  bekleidet  hat,  reht  als  der  siuice  ein 
satel  stät,  so  gät  ei-  under  lobes  soun  (vgl.  Part.  8466  der  tum- 
ben  wibe  klärheit  gedüiet  unde  ir  schcenez  dinc  reht  als  üz  golde 
ein  edel  rinc,  der  eime  steine  wirt  geleit  an  sinen  grans);  — 
368  sin  lop  zergat  alsam  der  troun  der  blinden  troumet  umb 
ir  sehen  (j.  Tit.  47.  [Parz.  1, 20]);  —  4782  als  bi  dem  scharpfen 
dorne  stät  liehter  rösen  blüetc,  also  was  bi  ir  giietc  scharpfes 
zornes  läge;  6926  sin  lop  unverdorben  alsam  ein  rose  bliieget, 
20742  der  alsam  ein  rösen  zwic  in  höhen  cren  bluote  (7022  f.; 
—   Part.  4860  f.  6314.  20318.  Troj.  584.  Turn.  16.  Klage  d.  k. 
10,  7  [vgl.  Jänicke  zum  Stauf enb.  146]).  11682  (diu  wirde)  wirret 
unde  slihtet  in  cren  warf  der  kiusche  wevel  (Part.  21687  f.  Turn. 
792  f.  Konr.  lied  1,  30  f.);  —  9166  ir  herze  in  höher  fröude  enbor 
alsam  ein  friger  vogel  flouc,    1646  alsam  ein  jungez  vederspil 


472 


GEBER E 


daz  man  mit  luoder  reizet,  e  mit  im  werd  gebeizet  (22022  ff. 
2671  ff.;  Engeln.  19261);  —  23222  ze  fröuden  brugge  wecund 
stic  was  ir  verwüestet  und  verhagt  (23632  f.  24600  f.;  Part. 
2198  f.  4914.  7160  f.);  —  1316  diu  wort  dur  sines  ören  duz 
reht  als  ein  mezzer  hiuwen,  2440  die  gedenke  snident  beident- 
halben  sam  ein  swert  (6162  ff.;  Part.  8222  f.);  —  2552  als  isen 
von  dem  roste  gekrenket  wirt,  so  er  ez  vegt,  also  ist  ouch  mir  ver- 
zegt  min  herze  in  minem  übe  (6204  f.  11740  ff.);  —  3348  ich 
muoz  als  ein  äspin  hup  von  sorgen  gröz  erzittern  (Part.  1234. 
Troj.  20697);  —  3470  reht  alsam  diu  sunne  den  ton  von  tolden 
zücket,  also  würd  gelücket  min  sin  zuo  höhgemäete;  6472  so 
der  lüge  gunterfeit  smilzet  sam  des  rifen  tuß  von  der  warmen 
sannen  luft;  —  3650  (mtnne)  du  füerest  unde  tribest  mich  umb 
und  umb  als  einen  klöz;  6436  si  kan  an  mir  wecken  släfendes 
hundes  reizen;  10810  minn  ist  ein  sache  hole  alsam  ein  scltak- 
lösez  ei;  —  5068  iuwer  we  gdt  mir  ze  herzen  reht  als  ein 
wazzer  in  den  herten  stein,  der  da  von  niht  erfiuhtet.  mit  nazzen 
schouben  liuhtet  man  e  und  vazzet  mänen  schin  in  secken,  e 
iueh  iemer  min  hulde  werd  ze  teile;  8238  ein  wilder  hose  wenken 
niht  kan  vor  den  hunden  so  wol  ze  allen  stunden  als  ir 
herzen  sinne. 

Die  zuletzt  aufgeführten  bilder  die  ich  sonst  nicht  zu  be- 
legen weiss,  zeichnen  sich  entschieden  durch  eine  gewisse 
originelle  färbung  aus. 

Das  aussehen  von  Spruch  Wörtern  und  allgemeinen  Sentenzen 
haben  folgende  vergleiche:  4912  ff.  5560  f.  11732  f.  12232  ff. 
12886  ff.  14532  f.  (vgl.  Lach manns  Walther  106,17.  Grimm,  Frei- 
dank s.  xc).  25472  f. 

Als  völlig  ausgeführte  vergleiche  (allegorien)  mögen  fol- 
gende genannt  werden:  518  ff.  3062  ff.  8803  ff.  12903  ff. 

k)  Humor. 

Seine  ernsthafte  erzählung  versucht  der  dichter  bisweilen 
durch  witzige  bemerkungen  zu  unterbrechen,  die  in  ihrer  ganzen 
art  und  weise  an  Wolframs  manier  erinnern.  Es  sind  scherz- 
hafte äusserungen,  die  er  an  irgend  welche  geschilderten  Situa- 
tionen anknüpft. 

Der  lärm  der  zum  turnier  anrückenden  ritter  war  so  gross, 
818  ezn  dorfte  niemen  kosen  dem  andern  in  sin  öre.    Bei  der 


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8TÜDIEN  ZU  RETNFBIED  VON  BRAUN8CHWEIG.  473 


Schilderung  von  Yrkanes  gewand  bemerkt  der  dichter  schel- 
misch: 2262  waz  si  dar  under  hatte,  das  weiz  si  wol,  ich  sack 
sin  niht.  Eine  grosse  schar  kommt  zum  turniere  dur  hceren 
und  dur  schonte en:  1332  ich  warn  daz  ez  dem  vogte  von  Rom 
gewesen  weer  ze  ml.  Als  Reinfried  und  Yrkane  ihre  braut- 
nacht  feiern,  scherzt  der  dichter:  10760  swer  in  gewünschet 
hete  gmter  naht,  daz  woere  war  worden,  weiz  ich  offenbar,  wan 
si  was  an  wünschen  da;  14834  ich  warn  daz  si  unlange  mit 
einander  vähten  (ähnlich  sagt  Kourad  von  Partonopier  und 
Meliur  Part.  1700:  ob  da  der  frbuden  vil  gespart  von  im  würde? 
nein  ez,  nein).  Von  seiner  unbekanntschaft  mit  der  minne 
klagt  er:  12814  ich  sag  von  siiezer  minne  und  bevant  ir  süeze 
nie.  ich  tuon  reht  als  alle  die  sagent  wiez  ze  Börne  stdt  der 
ouge  ez  nie  gesehen  hat* (vgl.  Marner  [Strauch]  178  f.  Unland, 
Schriften  3, 227  f.).  Von  den  scharf  gegen  einander  auf  ihren 
rossen  ansprengenden  rittern  heisst  es:  17416  ich  ween  mit 
hunden  birsen  het  in  beiden  baz  getan;  17424  an  im  siegen  ich 
wol  spür  daz  der  löwe  niht  lebte  der  üf  des  schilt  dö  stvebte 
in  rubin  von  mergriezen  lac.  so  mangen  stich,  so  mangen  slac, 
als  üf  in  dö  wart  geslagen,  het  er  lebend  niht  vertragen  äne 
widerkretzen;  —  20502  si  hatten  umbe  sich  gevelt  töten  sam  ein 
mure.  ein  solich  ndchgebüre  weer  mir  bi  mir  unmeere  (vgl.  s.375; 
Troj.  25657.  Wolfd.  D  4, 85, 2.  j.  Tit.  1952). 

2.  Widerholte  anwendung  gewisser  formein. 
a)  Ueberffangsformeln. 

Wenn  der  dichter  von  einer  episode  seiner  erzählung  zu 
einer  anderen  tibergeht,  so  bedient  er  sich  oft  einer  bestimmten 
formel,  die  er  der  Spielmannsdichtung  entlehnt  zu  haben  scheint 
(allerdings  auch  sonst  nicht  selten;  vgl.  Steinmeyer,  Gött,  gel. 
anz.  1887  s.  807  und  note.  Diemer,  Deutsche  gedieh te  zu  84, 20). 

Z.  b.  als  der  knappe  aus  Dänemark  an  den  herzog  von 
Braunschweig  seine  einladung  zum  turnier  ausgerichtet  hat, 
lässt  ihn  der  dichter  wider  abziehen:  377  nu  lazen  got  des 
knappen  pflegen,  wie  er  gefüere  under  wegen,  daz  lazen  sin 
und  heprent  wie  von  Brüneswic  der  fürste  an  vie  sich  rihten 
üf  die  selben  vart.  Ebenso  heisst  es  4451  nu  lazen  got  des 
fürsten  pflegen.  Aehnlich  8129  nu  lazen  wir  si  lagen  hie. 
heerent  wie  ez  dort  ergie;    15359  nu  lazen  wir  die  reinen  hie. 


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474 


GEREKE 


hcerent  wie  ez  dort  ergie;  12056  nu  lazen  wir  si  riten  mit 
fröuden  wunneclichen  hie.  nu  hcrrcnt  wie  ez  dort  ergie  (19217. 
23212).  Aus  Konrad  weiss  ich  nur  Engeln.  1629  ff.  anzuführen; 
sonst  Virg.72,4.  130,1.  218, 1.  Laur.  1758;  vgl.  Steinmeyer  a.a.o. 

Eine  andere  tibergangsformel  die  in  ihrem  ersten  teil  auf 
das  vorausgehende,  in  dem  zweiten  auf  das  folgende  zielt  und 
so  beides  verknüpft,  lautet:  5991  die  mtwste  sin,  wan  ez  beschacli, 
6578  daz  muoste  sin,  ez  wart  getan,  8331  daz  wart  getan,  wan 
ez  beschaeh  (10067.  10261.  11491.  12414.  19521.  24329;  - 
Trist,  5324.  Part.  4029.  5695.  9171.  11947.  17968.  Barl.  277, 9). 

b)  Formeln  mr  wideranfnahme  der  erzählung  nach  excursen. 

Der  dichter  liebt  es  seine  erzählung  ab  und  zu  durch 
excurse  über  zeit  Verhältnisse  zu  unterbrechen,  in  deren  auf- 
fassung  er  sich  meist  als  starker  pessimist  zeigt.  Dem  treiben 
der  Zeitgenossen  gegenüber  stellt  er  die  personen  seiner  erzäh- 
lung in  idealem  lichte  dar.  So  z.  b.  rühmt  er  den  herzog 
Reinfried,  der  nach  hohen  ehren  und  nach  ritterschaft  ringt 
und  dabei  doch  immer  gott  vor  äugen  hat:  133  des  ist  iez 
aber  leider  niht,  sit  daz  man  witwen  weisen  siht  in  allen  landen 
machen  von  ritterschefte  Sachen,  des  tet  er  niht  (75.  357.  431); 
12587  diz  tet  der  werde  fürste  niht  (14538.  17716);  12633 
des  tet  der  herre  niht  (15230.  15519);  2475  die  was  niht  hie. 

c)  Formeln  mm  abbrechen. 

Unterlägst  der  dichter  etwas  genauer  darzustellen,  so  bricht 
er  ab  mit  redewendungen  die  an  die  volkstümliche  epik  er- 
innern. Entweder  gibt  er  dafür  gar  keinen  grund  an,  sondern 
erklärt  einfach:  6988  von  den  ich  niht  sagen  wil,  17295  des 
kan  ich  leider  niht  gesogen,  17311  kan  icli  ze  rehte  niht  gesagen, 
25056  des  wil  mins  herzen  meine  versivigen.  Oder  er  erklärt, 
seine  kraft  reiche  nicht  aus  gegenüber  der  schwere  der  auf- 
gäbe: 1422  des  möht  ich  künden  niht,  und  het  ich  eine  tusent 
herzen  sin,  18636  da  zuo  ist  ze  trcege  min  zunge  in  dem  munde, 
23129  des  sage  ich  niht,  mir  tvatr  ze  lae  min  eunge,  solt  ich 
künden  daz,  25044  daz  wcer  ein  gröziu  bürde  ze  sagende  der 
zungen  min.  Er  fürchtet  die  leser  zu  langweilen:  2853  ick 
weiz  ez  iuch  rerdruzze,  9178  daz  künde  iuch  lihte  bringen  den 
sinnen  groz  urdrütze  und  wa>r  da  zuo  unnütze,  24934  ez  tnöhte 
niht  gehelfen  daz  ich  iuch  seite  mcere.   Er  will  die  erzählung 


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STUDIEN  ZU  BEINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  475 

nicht  zu  lang  ausspinnen:  7335  daz  wcer  ze  lanc  beniwret, 
11409  diu  rede  würd  ze  lanc,  12321  ez  würde  gar  ze  vil  (13971). 

d)  Rhetorische  fragen  nnd  ausrufe. 

Geht  schon  aus  dem  eben  angeführten  hervor,  dass  der 
dichter  sich  im  beständigen  zusammenwirken  mit  seinem  publi- 
cum fühlt,  so  wird  das  aus  dem  folgenden  noch  deutlicher 
werden.  Ganz  wie  Gottfried  nimmt  er  seinen  hörern  fragen; 
die  er  sich  von  ihnen  gestellt  denkt,  gleichsam  aus  dem  mund 
und  beantwortet  sie  selbst;  entweder  mit  ja  oder  mit  nein  — 
dann  leitet  er  die  fragen  mit  ob  ein:  466  ob  iemen  da  wavr 
gemde  umb  ere  guot?  ja,  der  was  vil  (882.  1052.  1060.  1080. 
1370.  1570.  1718.  1734.  1844.  2876.  9562. 10366.  16302.  17472); 
1336  ob  iemen  da  gepf endet  an  fröuden  würde  dur  den  nit? 
nein  ...  (1392.  9516.  10746.  17398);  oder  er  lässt  bejahungs- 
und  Verneinungspartikel  weg  —  dann  leitet  er  die  frage  mit 
wie  oder  einem  fragepronomen  ein:  1766  wie  sich  der  wandeU 
frie  von  Bruneswic  gehüebe?  in  dem  genibel  trüebe  ...  (8276. 
9008.  10290.  15386);  1836  wes  er  in  nu  geniezen  lat  daz  er  in 
niht  her  under  warf?  niemen  mich  des  fragen  darf  (9548. 
9790. 27288;  —  vgl.  über  diesen  gebrauch  bei  Wolfram:  Foerster, 
lieber  spräche  und  poesie  Ws.  s.  35—38). 

Zu  solchen  rhetorischen  stilmitteln  gehören  ferner  ausrufe, 
die  der  dichter  nach  der  manier  der  volksmässigen  epik  ein- 
streut, um  die  erzähl ung  lebendiger  zu  machen.  Meist  be- 
ginnen sie  mit  der  interjection  ei  (vgl.  Erec  8856.  Trist.  9160. 
Parz.  133,21.  525,24.  Borchling,  Zum  jung.  Tit.  s.  122):  222  ei 
got,  wae  strenger  blicke  si  girdeclichc  schiuzet!  (624.  956.  1418. 
1808  etc.);  668  we  wel  ein  vingerzeigen  huop  sich  von  den 
Hüten!  (2030.  2058  etc.);  2116  ach  wie  schön  geböuget  uz  wizer 
stirne  glizzen,  reht  als  si  dar  gerizzen  weeren,  brünc  brdwen! 

e)  Aureden  an  die  snhörer. 

Sich  bisweilen  direct  an  ihre  zuhörer  zu  wenden,  pflegen 
fast  alle  mittelhochdeutschen  dichter;  Eilhard  tut  es  (s.  Liechten- 
stein, QF.  19,  clxxvih),  Veldeke,  Hartmann,  vor  allem  aber 
Wolfram,  der  ja  überhaupt  der  subjectivste  unter  seinen  dich- 
tenden Zeitgenossen  ist.  Ganz  besonders  ist  es  sitte  in  den 
spielmannsepen. 

Der  dichter  fordert  z.  b.  seine  hörer  zur  aufmerksamkeit 


476  GEBEKE 

auf:  8322  waz  nu  der  künc  gebiete,  daz  hoerent  (9184.  9816. 
10170  etc.).  Er  erinnert  sie  an  etwas  was  er  vorher  erzahlt 
hat:  9359  als  ir  da  vor  hänt  vernomen  (9427.  9492.  9682.  9744. 
11222.  12079  etc.),  10244  als  ir  da  vor  hörtent  jehen,  12159 
als  ir  hänt  gehört  (10537.  12418);  8384  als  da  vor  ist  ge- 
sprochen, 9452  als  iuch  diu  mo?r  gekündet  sint,  12101  als  ich 
da  vor  hän  geseit,  12165  als  da  vor  geschriben  stdt. 

Er  kommt  ihrem  Verständnis  erklärend  zu  hülfe:  584  si 
fuoren  zuo  dem  hinge  dar,  ich  mein  Fontanägrisen  (564. 
1188.  2805;  —  Trist,  2969.  4782.  4805.  4989  etc.  Part.  3292). 

Er  versichert  ihnen  die  Wahrheit  des  erzählten:  13380 
geloubent  mirs,  15332  ob  ir  mirs  geloubent,  19324  stver  des  niht 
geloubet,  des  mag  ich  niht,  es  ist  ie  war. 

Etwas  ähnliches,  wenn  auch  nicht  analoges,  das  aber  doch 
am  besten  an  dieser  stelle  erwähnt  werden  mag,  ist  es,  wenn 
der  dichter  viele  ereignisse  nicht  einfach  objectiv  erzählt:  'so 
und  so  geschah  das'  oder:  'das  und  das  geschah',  sondern  das 
zu  berichtende  nach  spielmannsmanier  gleichsam  aus  der  Wahr- 
nehmung anderer  darstellt,  d.  h.  also  abhängig  macht  von  Wen- 
dungen wie  man  sach,  man  hörte,  man  vant.  Derartiges  finden 
wir  ja  auch  bei  anderen  dichtem,  so  bei  Wolfram  (vgl.  Foerster 
a.a.O.  s. 26 f.)  und  in  etwas  stärkerem  masse  bei  Konrad.  In 
manchen  partien  des  R.  —  mir  sind  besonders  die  kämpf-  und 
turnierschilderungen  in  dieser  beziehung  aufgefallen  —  wird, 
man  möchte  beinahe  sagen  jeder  satz  von  einer  solchen  Wen- 
dung abhängig  gemacht,  In  den  versen  11297—11554  z.  b. 
zähle  ich  13  man  sach  und  5  man  hörte,  und  solche  fälle  ge- 
hören durchaus  nicht  zu  den  Seltenheiten. 

3.  In  der  composition  des  ganzen. 
Verhältnis  Ton  epischer  eraihlnng  nnd  reden. 

Eine  sehr  auffällige  erscheinung  der  darstellung  ist  das 
starke  hervortreten  der  reden,  vor  allem  des  dialogs,  und  zwar 
haben  die  gespräche  meist  eine  ganz  respectable  länge.  Ich 
hebe  z.  b.  die  Zwiesprache  Reinfrieds  und  Yrkanes  in  der  hütte 
hervor,  als  sie  sich  beide  ihre  liebe  bekennen.  Sie  umfasst 
800  verse  (v.  2940—3745).  Ich  erinnere  an  den  abschied  Yr- 
kanes von  ihrem  vater,  der  seiner  tochter  gute  lehren  mit  auf 
den  weg  gibt,  die  allein  200  verse  ausmachen  (v.11588 — 11784). 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIO.  477 

Mehrmals  redet  der  dichter  die  frau  Minne  an  und  lasst  sie 
antworten  (v.  6310— 6318.  8687—8718.  8752—8800.  26140— 
26148).  —  Ein  beträchtlicher  teil  der  handlung  wird  in  den 
gesprächen  abgewickelt. 

Auch  monologe,  in  denen  uns  der  dichter  den  seelenzustand 
der  personen  zu  entwickeln  sucht,  sind  nicht  selten.  Yrkane, 
von  liebe  zu  Reinfried  ergriffen,  strömt  ihre  empfindungen  in 
Selbstgesprächen  aus  (v.  1655—1692.  1698—1706).  Reinfried 
hat  sich  im  turnier  ihren  kuss  verdient,  nun  steht  er  ruozig 
vor  der  errötenden  jungfrau,  seines  lohnes  harrend  —  da  lässt 
der  dichter  Yrkane,  ehe  sie  den  mund  bietet,  erst  reflexionen 
anstellen  (v.  2077— 2101).  Der  ritter  der  Reinfried  und  Yrkane 
hat  aus  der  hütte  kommen  sehen,  erwägt  in  mehreren  mono- 
logen,  wie  er  das  geschaute  auffassen  und  wie  er  sich  dazu 
verhalten  soll. 

Bisweilen  werden  solche  Selbstgespräche  so  lang  aus- 
gedehnt, dass  der  dichter  völlig  den  Zusammenhang  vergisst 
und  den  personen  worte  in  den  mund  legt,  die  ganz  und  gar 
aus  dem  rahmen  der  rede  herausfallen  und  die  illusion  zer- 
stören. Das  auffallendste  beispiel  ist  dies:  Yrkane  wendet 
sich  an  gott  mit  der  bitte  um  ein  kind  und  erinnert  ihn  in 
einem  langen  gebete  (v.  12974—13172)  an  ähnliche  fälle,  in 
denen  er  auch  noch  spät  wider  erwarten  sich  gnädig  erwiesen 
hat;  sie  erzählt  in  aller  ausführlichkeit  die  geschichten  von 
Anna  und  Joachim,  Elisabeth  und  Zacharias,  endlich  Samuels 
geburt,  wie  dessen  mutter  Anna  zum  priester  Heli  in  den 
tempel  kommt,  wo  der  yelübede  arke  mit  Moyses  wünschel- 
ruote,  Aarons  reis,  den  gesetzestafeln  und  einem  eimer  voll 
himmelsbrot  aufbewahrt  wird.  Dabei  heisst  es  mitten  im  gebet: 
13124  stcer  welle  daz  im  werd  bekant  die  dinc  üf  ein  ende, 
ee  den  fünf  buochen  sende  ich  in  die  man  Moysenen  git  u.  s.  w. 
Aehnlich  15904  ff. 

II.  Stilistische  eigentümliohkeiten  in  der  grammatischen 

construotion. 

1.  Wideraufnahme  eines  vorausgeschickten  begriffes: 

a)  eines  Substantivs  durch  den  artikel  oder  ein  pronomen. 
Das  ist  im  wesentlichen  ein  stilmittel  Gottfrieds,  worin  ihn 
Konrad  mehr  als  Rudolf  nachahmte.   Der  dichter  des  Reinfr. 


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478 


GEREKK 


verwendet  es  in  einfacher  weise  häufig,  wenn  nämlich  das 
vorausgeschickte  Substantiv  und  der  dieses  wider  aufnehmende 
artikel  unmittelbar  neben  einander  stehen:  subject:  120  sin  Up 
der  hat  wol  ritters  Icraft,  128  ein  man  der  mac  . . .  (566.  674. 
686.  944.  1000.  1054.  1156.  1256.  1846.  1889.  2276.  2518  etc.): 
—  object:  1030  sin  sper  daz  sluoc  er  under  (1354.  1886.  2156. 
8670  etc.).  Seltener  bei  eingeschobenem  relativsatz:  4532  diu 
not,  diu  mich  getroffen  hat,  diu  muoz  ir  werden  kunt  (8408  t 
9708  f.). 

Vereinzelt  nur  sind  solche  fälle,  wie  sie  Konrad  liebt,  in 
denen  das  nominale  subject  aus  einem  conjunctionalnebensatz 
herausgenommen,  als  Vordersatz  absolut  vorangestellt  und  dann 
an  der  ihm  gebührenden  stelle  durch  ein  pronomen  ersetzt 
wird:  13644  diu  reine  sceldenbcere,  do  si  sinen  willen  sach, 
zuo  im  si  rette  unde  sprach  (Engelh.  1267.  Part.  365.  444.  885. 
10492.  12576.  Troj.4808.  9529.  19640.  Schwanr.64.  Pant.  1965. 
2073.  Otte  69). 

Eine  art  von  prolepsis  nach  antiker  art  entsteht,  wenn  das 
subject  eines  abhängigen  satzes  (meist  eines  indirecten  frage- 
satzes)  aus  diesem  herausgenommen  und  in  die  construction 
des  regierenden  satzes  eingefügt  wird:  1078  er  sach  Parlüsen 
wie  er  hielt,  10443  fragte  in  wunder  mcere  umb  ir  vari  wie 
diu  wcerc,  11439  . . .  wart  in  kürzet'  pflihte  genuicJwt  ein  ge- 
rihte  . . . ,  da'  avcntiure  kröne  wer  sie  hett  errungen  (12129  ff. 
17668  ff.). 

Bisweilen  wird  dabei  die  construction  überhaupt  über  bord 
geworfen,  so  dass  das  absolut  vorangestellte  Substantiv,  auf 
das  ein  besonderer  nachdruck  fallen  soll,  einfach  ausser  Satz- 
zusammenhang steht:  1480  sin  küneclichez  wäfenkleit,  swer  daz 
prüefen  welle,  von  golt  ein  liehter  pfelle  was  sin  covertiure; 
1(3096  manic  kreftic  adamast,  onichil  und  kar funket,  ob  diu 
naht  tvas  tunket,  diu  wart  von  in  erliuhtet;  21504  diu  buoch 
diu  er  verslozzen  hat  vor  menscJdicher  wer,  den  slüzzel  warf  er 
in  daz  mer  (18982  f.  19596  f.  20320  ff.). 

b)  irgend  welcher  orts-,  zeit-,  Verhältnis-  oder  Umstands- 
bestimmungen durch  die  partikel  so:  4952  äbent  unde  morgen 
so  wuchs  daz  bitter  trüren  (16732);  5500  an  sinetn  unehliche 
so  moht  man  . . . ;  5670  dur  al  daz  Helm  so  wirt  schier  diz 
mwre  kunt  (12178.  12240.  13570.  22218.  22342.  23476);  186  dä 


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STUDIEN  ZU  REINFRIED  VON  BRAUNSCHWEIG.  479 


von  so  bin  ich  ...  (6871.  6936.  10853.  11416  etc.);  8929  en 
daz  so  was  . . . ;  12404  da  na  so  wart  . . .  (12416.  12572.  15049. 
16554.  17580.  17946.  20528  etc.).  Auch  diese  construction  führt 
auf  Gottfried  und  seine  schule  zurück;  s.  Trist.  11152.  11475. 
Engeln.  2057.  3488.  3918.  6000  (da  von  so).  5080.  5096.  Part. 
1396.  1750.  1908.  1926.  2494  etc.  Aehnlich  ist:  6104  bi  der 
stunt  dö  markte  14498  hie  vor  dö  gie  . . . ,  s.  Trist.  7418. 
12476.  18837.  19129. 

2.  Wideraufnahme  eines  vorausgeschickten  satzes 
durch  das  demonstrativpronomen. 

Es  wird  z.b.  ein  substantivischer  relativsatz  vorausgeschickt  : 
12386  swaz  von  müsic  ie  dtene  von  vor  und  Seiten  wart  gehört,  das 
hört  man  hie,  12516  swes  üf  erde  ie  fürst  gewan  teil,  des  hat 
er  volle  kraft  (12400.  13732.  15646.  16250).  Konrad  kennt  diese 
construction  gleichfalls;  ich  citiere  nur  Engelh.  1914.  5878. 

Proleptisch  wird  der  relativsatz  bisweilen  aus  einem  dass- 
satz  herausgenommen  und  mit  nachdruck  vorangestellt:  2238 
ich  weis  wol,  sivcn  ir  crmel  solt  lieplich  umberähen,  daz  dem 
müese  nalien  fröude  und  höchgemüete  (17726  ff.  21122  ff.). 

Ein  anderes  mal  weist  das  demonstrativpronomen  auf  einen 
vorausgehenden  dass-satz:  2108  daz  sin  herze  niht  enbrast  von 
fröuden,  daz  was  wunder,  14912  daz  niht  der  reinen  herze  spielt, 
daz  was  ein  grözez  wunder,  24084  daz  sin  herze  niht  enbrach 
von  leiden,  daz  was  wunder.  Dieselbe  fast  formelhafte  Wen- 
dung findet  sich  Trist.  16673.  18476.  Engelh.  1980.  3596.  Part. 
7912.  11966. 

Steht  nun  ein  hauptsatz  (a)  mit  zwei  nebensätzen  (b  und  c) 
in  einem  Satzgefüge,  in  der  weise,  dass  in  prosa  das  ganze  die 
form  bac  oder  cbca  haben  würde,  so  ist  dafür  im  R.  oft  die 
Stellung  bca,  weshalb  dann  meist  b  in  c  und  c  in  a  durch  ein 
demonstrativum  oder  sonst  irgendwie  wider  aufgenommen 
werden  muss.  Wir  erhalten  eine  schachtelconstruction,  wie 
wir  sie  z.  b.  bei  Wolfram  nicht  selten  lesen  (vgl.  Paul,  Mhd. 
gr.  §  376):  4070  swer  sinen  willen  muhet  an  allez  daz  des  er 
begert,  wirt  der  wilent  missewert,  des  enist  kein  wunder;  5632 
ist  aber  daz  ez  also  stät  in  zornes  gelimpfe,  daz  er  sich  mit 
schimpfe  gen  dir  hat  missehüetet,  wirt  daz  von  mir  gegüetet,  des 
solt  du  versprechen  niht  (1114  ff.  1132  ff.  2106  ff.  8828  ff.  etc.). 


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480 


GKREKE 


3.  Fehlen  des  subjects. 

Im  zweiten  gliede  eines  satzes,  dessen  beide  glieder  ver- 
schiedene subjecte  haben,  wird  das  subject  öfters  nicht  beson- 
ders ausgedrückt,  sondern  muss  aus  irgend  einem  worte  des 
ersten  gliedes  oder  aus  dem  Zusammenhang  erraten  werden 
(Paul,  Mhd.  gr.  §  381):  904  ietweders  schilt  da  nider  brach  und 
wurden  ouch  der  helme  bar,  5750  man  vant  in  ze  Partse  und 
hat  verjämei't  sich  also,  8602  für  in  balde  wart  gerant  und  bot 
im  an  der  stunde  den  brief  (1036.  3217.  4156.  6716.  6964.  7022. 
8574.  8662  etc.). 

Aus  der  volkstümlichen  epik  stammen:  1010  ein  gröztz 
ros  was  apfelgrä,  1465  ein  kreftic  ros  was  stark,  218%  daz  tet 
ein  künc  hiez  Hercules  (construction  a\6  xoivov ;  vgl.  Paul,  Mhd. 
gr.  §  385). 

4.  Wortstellung. 

Wo  sich  im  R.  erhebliche  abweichungen  von  der  Wort- 
stellung der  natürlichen  rede  finden,  sind  diese  meist  aus 
metrischen  gründen  zu  erklären.  So  geht  z.  b.  einige  mal  im 
hauptsatze  das  object  dem  regierenden  zeitwort  voraus:  2570 
minne  ir  scharpfen  wäfen  hat  über  midi  gewetzet  (12022  ff. 
26648  f.  u.  ö.).  Das  verbum  finitum  steht  im  hauptsate  hinter 
dem  participium  verbi:  1284  ir  senfter  blic  durgangen  hat  gar 
sines  herzen  sin  (4470  ff.,  auch  4722  f.  u.  ö.);  oder  ein  hülfsverb 
hinter  dem  von  ihm  abhängigen  zeitwort:  3236  höchgedenke 
bringen  mir  künnent  tiefe  stvcere  (49541  u.ö\).  In  zwei  fällen 
ist  in  sehr  auffälliger  weise  das  verbum  von  den  ihm  zu- 
gehörigen Satzteilen  durch  eine  reihe  von  eingeschobenen 
Sätzen  getrennt;  vgl.  10418—10423.  11876—11884. 

Die  fragende  Wortstellung  in  einem  mit  und  angereihten 
satze,  die  ja  im  mhd.  an  sich  durchaus  nichts  incorrectes  hat 
(Paul,  Mhd.  gr.  §  330, 2)  ist  eine  sehr  beliebte  redeweise  Kon- 
rads, und  der  Reinfrieddichter  ahmt  auch  hierin  seinen  meister 
nach :  976  dar  an  ein  scgel  was  gestraJit  . . .  und  kund  der 
unden  sliezen  u.s.w.;  1156  sin  herz  daz  hat  gebildet  si  nach 
siner  girde  und  was  ir  höhiu  wirde  ahus  in  sinem  sinne  (1294. 
1512.  1587.  1998.  4113.  5254.  5532.  5940.  7123  etc.). 


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STUDIEN  ZU  KEIN  FBI  BD  VON  HRAUNSCHWEIG.  481 


B.  Sprache. 

Die  folgende  Untersuchung  beschränkt  sich  auf  einige 
bemerkungen  zum  Wortschatz  des  R.  Der  Wortschatz  verrät 
die  alemannische  heimat  des  dichters  und  zeigt  also  neben 
dem,  was  allen  verwanten  epen  gemeinsam  ist,  specielle  be- 
rührungen  mit  der  spräche  der  übrigen  alemannischen  dichter. 
Doch  finden  sich  auch  ausserdem  noch  eine  ziemliche  anzahl 
von  seltenen  ausdrücken,  die  höchst  spärlich  oder  sogar  über- 
haupt nicht  weiter  zu  belegen  sind.  Bartsch  hat  am  schluss 
seiner  ausgäbe  alles  was  ihm  dem  dichter  eigentümlich  zu  sein 
schien,  in  einem  reichhaltigen  Wörterverzeichnis  zusammen- 
gestellt. Ich  greife  nun  davon  heraus,  was,  wie  ich  glaube, 
sich  der  dichter  bei  dem  Studium  seiner  Vorbilder  aus  diesen 
angeeignet  hat.  Es  wird  sich  ergeben,  dass  besondere  Konrad 
von  Würzburg  von  einfluss  gewesen  ist. 

116  muotgelust  (10949.  13987.  14599.  14607.  14638.  16961); 

—  besondere  oft  bei  Konrad:  Sil v.  4542.  Part.  5893.  Troj.9825. 
16959.  17353.  20552.  Lied  32,  51  und  312;  sonst  noch:  Virg. 
151, 2.  269, 9.  554, 12  (einfluss  Konrads). 

221  gesten  (2051.  4352.  4436.  4407.  6889.  11395);  —  spe- 
cifisch  alemannisch  und  darum  natürlich  bei  Konrad  nicht 
selten  (s.  Haupt  zu  Engelh.  301). 

461  keiserlich  (161.  171.  478.  618.  665.  716  etc.)  und  zwar 
in  der  abgeblassten  bedeutung  'prächtig,  herrlich';  zuerst  im 
Trist.  690.  708.  1026.  1317.  6622.  11216,  dann  häufig  bei  Kon- 
rad: Silv.  147.  Herzm.  140.  297.  Engelh.  864.  Schwanr.  279. 
1225.  Gold.  schm.  260.  947.  1757.  Part.  286.  1534.  2219.  8542 
etc.  (vgl.  Preuss  s.  62.  Haupt  zu  Engelh.  863). 

481  ntelm  (1932.  17356);  —  ein  lieblingswort  Konrads: 
Engelh.  2605.  4783.  Turn.  388.  441.  867.  919.  Part.  5312.  5736. 
13818.  15181.  19058.  20682. 

712  durchschrenzen  (1770;  schräm  7546.  10748.  11138). 
20075  f.  engeneet ;  zerschrenzet  26249  f.;  —  Engelh.  2601  f.  Silv. 
4915  f.  Pant.  347  f.  1547  f.  Troj.  17781.  Part.  6148.  8265. 18270. 
18352.  21702. 

735  sich  rüsten  uz  ze  velde  mit  offenlwher  melde  (7413  f. 
15627  f.  16219  f.  16595  f.  17264  f.  24285  f.  —  11203  f.  16324  f.); 

—  Schwanr.  894  f.  Troj.  25564.  30175  f.  Part.  3413  f.  Turn.  188  f. 

Beiträge  sar  geechiobte  der  deutschen  euroohe.    XX  III.  3} 


482 


OEKEKE 


960  stüef  (17132);  —  nur  noch  Parton.3321.  7458.  21087. 
Troj.  25579.  30603.  39193. 

1418  (süeze)  notten  (10366.  11472.  22017.  22273.  22394. 
26092.  27539)  aus  Trist  bekannt  (3515.  3521.  3532.  7612.  7999). 
Hierbei  möchte  ich  bemerken,  dass  sich  im  R.  eine  merkwür- 
dige bekanntschaft  mit  musikalischen  fachausdrucken  zeigt 
Abgesehen  von  der  auch  sonst  nicht  seltenen  Zusammenstellung 
harpfen,  rotten,  gigen,  pfifen,  tatnburen  etc.  werden  weiter  ge- 
nannt v.  23294  ravenne  (sonst  unbekannt)  und  zitollen  (noch 
Erlös.  1085.  Frl.  256, 5;  vgl  auch  Schmeiler,  B.  wb.  2, 1164), 
v.  22390  ich  wcene  wol  daz  alle  kunst  von  armonie  (Frl.  18,2. 
313, 15.  362, 5.  Erloes.  950.  9187)  und  süeze  stmpfonte  hie  gen 
was  als  ein  wiche.  Besonders  hervorzuheben  sind  aber  die 
verse  23080  ff.  Da  werden  genannt  quinte,  discante,  falsete, 
octäv,  quarte,  bedure  und  benwlle. 

1448  presse  (=  schar  7956.  11198.  11250);  —  hÄufig  nur 
bei  Konrad:  Otte  37.  Turn.  254.  Troj.  31337.  31770.  32655.  32955. 
33632.  34201  u.s.w. 

1575  wünschelrU  (4150);  4414  wünschelruote  (6352.  12950. 
13106);  —  Engelh.  3000.  Gold.  schm.  664.  1312.  Troj.  2217.  Lied 
11,43  (j.  Tit.  1247.  3629.  4146.  4692.  4980). 

1787  gneist  (11307);  —  Pant.256.  Schwanr.  1001.  Troj. 
410.  3958.  12584. 

1852  rossen  (2094);  9214  geblüemet  und  geroeset  (19226)  = 
Part  3646.  Silv.  835.  Engelh.  478.  —  Troj.  16194.  24478.  Konr. 
lied  1,231.  10,8.  31,11. 

1921  malte  (11275.  15753);  —  beliebt  bei  Konrad:  Part. 
15180.15483.  Turn.  933.  1062.  Troj.  32592.  32939.  34310  u.ö. 

3300  lantvaratre;  —  Engelh.  2830. 

4760  gihUe;  —  Pant.  638.  Turn.  13. 

5235  Spellen;  —  Trist  4059.  8618.  17566.  Barl.  267, 30. 

6056  endelich  (6065.  6166.  7616.  7706.  19837.  20388  H.Ö.) 
findet  sich  zwar  bei  Wolfr.,  Walt,  Nib.  etc.,  auch  im  Trist,  nir- 
gends aber  so  häufig  wie  bei  Konrad:  Engeln.  166. 1336. 1437. 
1703.  2130.  4260  u.  ö.  Part  1457.  2873.  3085.  12605.  13815. 
14853.  14946.  15620.  17035.  17674. 17746. 19977.  20858.  21193. 
Silv.  1503.  Troj.  161.  1942.  23682  u.  ö. 

6160  gezic  (6173.  8627. 10538);  —  nur  noch  Engelh.  4019 
(vgl.  Haupts  anm.).  4494. 


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STUDIEN  ZU  REIN  FRIED  VON  BRAUNSCHWEIO. 


483 


6869  widersache  (11296.  22905);  —  nach  Jänicke  (zu  Wolfd. 
D4,52,2)  ein  bei  Konrad  sehr  beliebtes  wort. 

7069  (lasters  tri)  gebriuwen  (12487);  —  Engeln.  5427.  Part. 
17704.  Gold.  schm.  371.  Otte  563.  567.  Silv.  3967.  Troj.  1294. 
1489.  10520.  10728.  23597  u.  ö. 

7335  bemceren  (19438);  —  Trist  125.  17231. 

8442  anspräche  (=  anklage);  —  Trist.  15420  (Rechts- 
denkm.). 

8870  (ir  höhe*  adel)  ertic  (11163. 15083);  —  Engeln.  2787. 
Gold.  schm.  1438. 

10909  durclmehtic;  —  Trist.  10235.  12452.  16968.  Pant.340. 
477.  Part.  3115.  6297.  6346.  6557  u.ö.  Troj.  4719  u.  ö.  (sonst 
noch  Pass.). 

11606  enpfleehen,  14852  flwhen;  —  lieblingswort  Konrads: 
Engeln.  4341.  6207.  Gold.  schm.  20.  Troj.  2013.  2881.  3417.  8819. 
10425.  12172.  23099.  Part.  4662.  Schwanr.405. 

11847 jdmerunge  (26129);  —  Part.  18639.  Troj.  525.  Herzm. 
521  (Virg.  55, 8.  Pass.  K.  590, 3). 

11999  (sunder  ewivels)  underbint  (10230.  26621);  —  Engelh. 
1067.  1112.  1240  (vgl  Haupt,  anm.  zu  1067).  Gold.  schm.  1630. 
Silv.  3026.  Part.  6521.  8403.  9449.  9901  etc.  Troj.  437.  528.  3210. 
10187.  15430.  18714  etc. 

16564  umbetüllet]  —  nur  noch  Engelh.  1916.  Troj.  20652. 

18396  lantriviere;  —  nur  noch  Part  9112.  11103.  19857. 
2453.  2503.  Troj.  11913.  37509.  Schwanr.417.  531.  791. 

23610  Heigesinde ;  —  Trist.  2385. 

27542  verUüttem-  —  Trist  11627. 

Die  adjectivbildungen  auf  -bwre,  die  Konrad  bevorzugt, 
sind  auch  im  R.  häufig:  einbwre  4234,  frtihtebcere  13160,  fröude- 
biere  15351. 18538,  hlagebcere  4584,  minnebcere  4254. 5436,  swlden- 
basre  9498,  senebcere  4584,  siufeebeere  4520.  4608.  9564,  sorgen- 
beere  2270,  stritbcere  16409,  tröstbcere  14437.  15458,  wandelbeere 
19471  (13804). 

HALLE  a.  S.  PAUL  GEREKE. 


31* 


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DER  /MJMLAUT  UND  DER  WECHSEL  DER 
ENDVOCALE  A  :  /(£)  IN  DEN  ALTNORDISCHEN 

SPRACHEN. 

I.  Der  Wechsel  der  endvocale  a  :  i(e). 

Wie  bekannt ,  haben  die  an.  sprachen  den  endungsvocal  i(e) 
in  partt.  wie  isl.  bundinn,  aschw.  bundin,  obgleich  die  ent- 
sprechende form  z.  b.  im  got.  den  endungsvocal  a  hat :  bundans 
etc.  Aehnlich  verhält  sich  die  sache  in  gewissen  Substantiven. 
So  ist  der  name  des  vornehmsten  gottes  der  isl.  mythologie 
ÖJrinn;  derselbe  name  ist  ein  bestand  teil  des  aschw.  Opinsdagher, 
während  er  z.  b.  im  ahd.  Wuotan  mit  -an-  lantet.  Auf  der 
anderen  seite  wird  auch  in  den  an.  sprachen  die  ableitungs- 
silbe  -an-  verwendet,  z.  b.  isl.  aschw.  aptan(n),  isl.  mannltkan, 
aschw.  bundan  neben  bundin  'garbe'  etc. 

Worauf  beruht  der  Wechsel  -in- :  -an-  in  isl.  bundinn  :  got. 
bundans  etc.? 

Bei  der  beantwortung  dieser  frage  müssen  wir  vor  allem 
die  passiven  partt.  untersuchen;  später  werden  wir  in  kürze 
auch  andere  kategorien  von  Wörtern  mit  -an- :  -in-  beleuchten. 
Arkiv  1, 150  ff.  hat  Noreen  die  hier  aufgeworfene  frage  zu  be- 
antworten gesucht  Nach  ihm  dürfte  man  in  isl.  bundinn  etc. 
durchaus  nicht  eine  entwickelung  von  a  zu  i  annehmen,  son- 
dern der  endungsvocal  i  in  diesen  und  ähnlichen  formen  müsste 
immer  auf  ein  germ.  t  zurückzuführen  sein.  Zum  beweis 
dafür  führt  er  einige  wenige  Wörter  aus  den  alten  sprachen 
mit  t-  umlaut  an,  wie  das  isl.  adj.  hräsinn,  aschw.  ypin,  sowie 
verschiedene  partt.  pass.  aus  modernen  (besonders  norwegi- 
schen) mundarten,  z.  b.  bynnix)  (=  isl.  bundi t),  grevi  (=  uL 

»)  n  =  palatales  n. 


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DER  yi-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  8PRACHEN.  485 

grafit)  etc.  Er  meint  (s.  160),  dass  die  alte  spräche  nach  dem 
zeugnis  dieser  modernen  dialektformen  im  part.  einmal  einen 
Wechsel  bundinn  :  *byndinn  etc.  gehabt  ,  dass  *byndinn  sich 
aus  bundin-  in  den  casus  mit  dem  germ.  suffix  -in-  entwickelt 
habe,  dass  aber  der  wurzelvocal  in  bundinn  ursprünglich  in 
den  casus  zu  hause  sei,  die  nicht  den  suffixvocal  t,  sondern 
entweder  den  vocal  a,  u  oder  möglicherweise  keinen  ableitungs- 
vocal  besassen  (vgl.  a.  a.  o.  s.  152 »)). 

Diese  hypothese  Noreens  gründet  sich  also  wesentlich  auf 
einige  formen  aus  ganz  modernen  mundarten;  desgleichen  sieht 
er  sich  genötigt,  analogische  ausgleichungen  in  unendlich  grosser 
ausdehnung  anzunehmen. 

Ich  kann  mich  dieser  seiner  auffassung  durchaus  nicht 
anschliessen. 

Schon  Söderberg  hat  Forngutn.  ljudlära  s.  9  anm.  richtig 
hervorgehoben,  dass  verschiedene  an.  Wörter  das  germ.  suffix 
-in-  haben,  das  in  gewöhnlicher  weise  i-umlaut  bewirkt  hat, 
z.  b.  aschw.yptn  'offen'.  Ein  beispiel  von  dem  suffix  -w-  liegt 
wahrscheinlich  in  dem  urnord.  part.  haitinan  auf  dem  Tanum- 
steine  vor,  wie  Bugge  hervorhebt  (Arkiv  1, 152.  anm.  1),  und 
wir  werden  unten  sehen,  dass  man  in  einer  gruppe  starker 
verba  vielleicht  in  den  partt.  pass.  das  suffix  -in-  hat  (part. 
bitinn  etc.). 

Von  hier  aber  ist  es  ein  gewaltiger  schritt  zu  Noreens 
annähme,  dass  ein  an.  -in-  immer  ein  germ.  -in-  repräsentiere; 
eine  auffassung  die  Streitberg,  Urgerm.  gramm.  s.  195  zu  teilen 
scheint 

Ich  will  zuerst  nachzuweisen  suchen,  dass  die  hier  refe- 
rierte auffassung  nicht  richtig  sein  kann,  und  später  die  regel 
aufstellen,  nach  der  germ.  -an-  (unter  gewissen  umständen)  in 
an.  in-  übergieng. 

Die  germ.  schwestersprachen  got,  as.  und  ahd.  haben  im 
part.  pass.  ein  germ.  -an-,  z.  b.  got  bundans,  as.  gibundan,  ahd. 
gibuntan.*)  Schon  dieser  umstand  spricht  kräftig  dafür,  dass 
auch  die  alten  nord.  sprachen  im  part.  pass.  ein  germ.  -an- 


»)  S.  152  z.  2  und  z.  »>  steht  —  offenbar  durch  druck-  oder  Schreibfehler 
verschuldet  —  omljudda  statt  oonujudda. 

>)  Ueber  ags.  bundcn  vgl.  unten  s.  497  fussnote. 


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48(5 


KOCK 


haben,  d.h.  dass  isl.  bundinn  aus  einem  älteren  *bundatM* 
entstanden  ist. 

Aber  vor  allem  zeigen  die  eigenen  lautyerhältnisse  der 
an.  sprachen,  dass  der  suffixvocal  nicht  •  gewesen  sein  kann, 
sondern  o  gewesen  sein  muss.  Ich  erinnere  an  verschiedene 
Kategorien  isländischer  participia  pass. 

Verba  vom  typus  bresta  :  brast  :  brustu  :  brostinn  haben 
im  part.  pass.  o,  das  nach  der  allgemeinen  ansieht  durch  a-um- 
laut  aus  u  entstanden  sein  muss.  Das  part  brostinn  hat 
lange  Wurzelsilbe;  also  würde  ein  urnord.  part  *brustina* 
mit  suffixvocal  i  mit  notwendigkeit  in  allen  casus  *-umlaut 
erhalten  haben:  *brystinn,  *brystins,  *brystnum  etc.  Es  findet 
sich  aber  kein  *brystinn.  Doch  nicht  genug  hiermit.  Dem 
part.  brostinn  fehlt  nicht  nur  der  /-um laut,  sondern  es  hat 
a-umlaut.  Dies  zeigt,  dass  brostinn  aus  einem  älteren  *bro- 
stanaR  <  *brustanaz  mit  dem  suffixvocal  a  entstanden  ist 
Sollte  nun  wirklich  die  geringste  Wahrscheinlichkeit  dafür 
vorhanden  sein,  dass  brostinn  eine  compromissform  aus  einem 
verlorenen  *brystinn  und  einem  verlorenen  *brostann  (bez. 
einer  urnord.  form  *brostn-  ohne  suffixvocal)  wäre? 

Natürlich  gibt  es  in  den  sprachen  vereinzelte  compromiss- 
formen,  entstanden  durch  das  zusammenwirken  zweier  später 
verlorener  formen.  Aber  hier  an  compromissformen  zu  denken, 
scheint  mir  unmöglich  zu  sein.  Man  möge  sich  nämlich  er- 
innern, dass  Noreen  zu  der  annähme  gezwungen  ist,  die  aller- 
meisten isl.  und  aschw.  partt,  pass.  seien  als  ein  compromiss- 
produet  aus  formen  entstanden,  die  in  den  alten  sprachen 
nirgends  nachgewiesen  sind. 

Dies  sollte  z.  b.  in  der  gruppe,  zu  der  bresta  gehört,  auch 
mit  folgenden  partt.  der  fall  gewesen  sein:  bolginn,  dottinn, 
gollinn,  holfinn,  sorfinn,  skollinn,  skroppinn,  shppinn,  snortinn, 
sprottinn,  solginn,  sollinn,  soltinn,  sorfinn,  oUinn,  or]»nn,  Jwrrinn, 
borginn,  goldinn,  holpinn,  skolfinn. 

Ebenso  aber  oder  im  wesentlichen  ebenso  verhält  es  sich 
mit  den  meisten  anderen  gruppen  von  starken  verben. 

Verben  vom  typus  bera  :  bar  :  b$ru  :  borinn  haben  gleich- 
falls im  part.  pass.  (borinn)  a-umlaut  und  keinen  «-umlaut. 
Nach  Noreens  hypothese  würden  die  lautgesetzlichen  formen 


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DER  A-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  8PRACHEN.  487 


*borann  und  *byrinn  gewesen  sein,  aber  keine  von  beiden  ist 
nachgewiesen.  Hierher  gehören  die  partt.  skorinn,  stolinn, 
stropinn,  ofinn,  tropinn  (kominn,  sofinn). 

Verba  wie  binäa  :  batt  :  bundu  :  bundinn  können,  wie 
bekannt,  im  part.  pass.  keinen  a- umlaut  haben,  weil  dem  u 
ein  nasal  +  consonant  folgt.  Da  aber  die  Wurzelsilbe  lang 
ist,  würde  das  suffix  -in-  in  allen  casus  umlaut  bewirkt  haben. 
Nichtsdestoweniger  findet  sich  in  der  alten  spräche  nur  bun- 
dinn, butidnir  etc.,  niemals  *byndinn  etc.  Hierher  gehören  die 
partt.  spunninn,  hrundinn,  sprunginn,  stunginn,  summinn,  un- 
dinn,  unninn,  brunninn,  drukkinn  älter  *drunkinn,  runninn, 
sunginn*),  funninn1),  slunginn,  ]>runginn.  Hierher  gehören 
auch  hrokkinn  (zu  hrekkva),  stokkinn  (zu  stekkva),  sokkinn  (zu 


mr 

Sit 

zu  kk  bekommen  haben;  älter  *hrunkuemt  etc. 

Partt.  wie  alinn  zu  ala  :  öl  :  diu  :  alinn  haben,  wie  be- 
kannt, niemals  i-umlaut,  wo  dem  wurzelvocal  ein  anderer  con- 
sonant als  k,  g  folgt:  farinn,  galinn,  grafinn  etc.  Bei  Wimmer, 
Fornnord.  formlära  §  120  werden  13  derartige  participia  auf- 
gezählt, wenn  man  ddinn,  älter  *däwenn,  mitrechnet.  Dagegen 
haben  hierher  gehörige  verba  palatalumlaut  (worüber  unten 
mehr),  wenn  dem  wurzelvocal  k,  g  folgt:  ekinn,  skekinn,  tekinn, 
dreginn,  fleginn,  gneginn,  hleginn,  kleginn,  sieginn,  ßveginn. 
Schon  längst  hat  man  den  umlaut  von  ä  zu  2  in  diesen  par- 
ticipien  mit  den  palatalen  consonanten  /\  g  in  causalzusammen- 
hang  gebracht.  Arkiv  1, 152  ff.  bezweifelt  Noreen  die  richtig- 
keit  dieser  ansieht,  und  Atel,  gr.2  §  426,  verglichen  mit  §  67, 
meint  er,  tekinn  etc.  habe  t-  umlaut  nicht  in  folge  des  dem 
wurzelvocal  folgenden  palatalen  consonanten,  sondern  weil 
diese  partt.  das  urgerm.  suffix  in-  gehabt  hätten. 

Diese  annähme  ist,  soweit  ich  sehe,  nicht  möglich.  Nach 
Noreens  annähme  würden  die  lautgesetzlichen  formen  gewesen 
sein  nom.  sg.  *clinn,  *elin,  *elit,  in  synkopierten  casus  nom.  pl. 
etc.  alnir;  nom.  sg.  tekinn,  tekin,  tekit,  nom.  pl.  etc.  *taknir. 
Wäre  dies  aber  so  gewesen,  so  bleibt  es  ganz  unbegreiflich, 


l)  Die  bisweilen  begegnende  wechselform  synginn  hat  y  ans  dem  praes. 
sgngva,  vgl.  unten  s.  496.  Ueber  die  möglicherweise  vorkommende  äusserst 
seltene  anorw.  form  fymunn  siehe  ebenfalls  unten  s.  495  anm. 


488 


KOCK 


weshalb  alle')  verben  mit  k,  g  die  umgelauteten  formen 
(tekinn  ete.),  dagegen  alle  verben  ohne  k,  g  die  unumgelauteten 
formen  (alinn  etc.)  gewählt  haben. 

Nein,  es  gibt  keine  andere  möglichkeit  als  die  allernächst 
liegende,  und  die  ist:  den  umlaut  in  tekinn  etc.  mit  ihrem 
palatalen  consonanten  in  causalzusammenhang  zu  bringen, 
während  alinn  etc.  nicht  umgelautet  sind,  weil  sie  keinen 
palatalen  consonanten  haben.  Dies  aber  will  mit  anderen 
Worten  sagen,  dass  weder  tekinn  etc.  noch  alinn  etc.  ein  germ. 
suffix  -in-  enthalten,  sondern  vielmehr  das  germ.  suffix  -an-. 

Dass  dies  mit  partt.  wie  blandinn,  faldinn,  fallinn,  haldinn, 
hanginn,  vaxinn,  d.  h.  mit  partt.  mit  ä  und  langer  Wurzel- 
silbe der  fall  ist,  ist  womöglich  noch  klarer.  Denn  wenn 
diese  von  uraord.  *blandinaR  etc.  ausgegangen  wären,  so  würden 
sie  in  allen  casus  t'-umlaut  erhalten  haben,  und  liier  ebenso- 
wenig wie  bei  bundinn  etc.  kann  man  compromiss  aus  den 
nicht  nachgewiesenen  formen  *blandann  und  *blendinn  an- 
nehmen. 

Partt.  mit  langem  a  in  der  Wurzelsilbe:  bldsinn,  grdtinn, 
Idtinn,  rdpinn  sind  mit  jenen  gleichzustellen.  Desgleichen 
partt.  mit  anderen  langen  vocalen  oder  diphthongen  in  der 
Wurzelsilbe:  blötinn,  büinn,  aukinn,  ausinn,  fdaupinn. 

Dass  die  allermeisten  partt.  pass.  nicht  das  germ.  suffix 
-in-  haben,  wird  auch  durch  solche  partt.  wie  skroppinn, 
hrokkinn,  stokkinn,  sokkinn  mit  der  entwickelung  von  u  zu  o 
bei  der  assimilation  des  nasals  mit  dem  folgenden  consonanten 
(<  *skrumpcnn  etc.)  bestätigt,  denn  wie  ich  Arkiv  n.f.  7. 315  ff. 
nachzuweisen  gelegenheit  hatte,  tritt  diese  entwickelung  von 
m  zu  o  nicht  ein,  wenn  die  folgende  silbe  t-laut  hat. 

Wenn  endlich  die  partt.  pass.  das  germ.  suffix  -in-  gehabt 
hätten,  so  würden  partt.  zu  verben  vom  typus  drepa  :  drap  : 
drtfpu  :  drepinn  den  sog.  germanischen  /  umlaut,  also  *dripinn 
etc.  gehabt  haben.  Das  isl.  hat  aber  drepinn,  gefinn,  getinn, 
kvepinn  etc.  Wimmer,  Fornnord.  forml.  §  116  verzeichnet  10 
derartige  partt. 

Ich  glaube  kein  voreiliges  urteil  zu  fällen,  wenn  ich  sage, 


>)  Ein  von  Noreen,  Awl.  gr.a  §  428,  anm.3  angeführtes  an.  gnaget  hat 
natürlich  «  vom  iiif.  und  praes.  gnaga,  ebenso  wie  das  aschw.  gnaghin. 


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DER  ^4-ÜMLAÜT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  489 

es  wäre  ein  verzweifelter  ausweg,  in  allen  den  jetzt  discutierten 
participien  das  suffix  -in-  sehen  zu  wollen,  wodurch  man  zur 
annähme  von  compromissformen  im  colossalsten  umfang  ge- 
nötigt wird. 

Dagegen  stellt  sich  die  sache,  so  viel  ich  sehe,  sehr  ein- 
fach, wenn  man  annimmt^  dass  o  in  silben  mit  infortis  unter 
einer  gewissen  Voraussetzung  lautgesetzlich  in  e,  jünger  i 
übergieng. 

Zuerst  erinnere  ich  an  ein  paar  bereits  bekannte  tatsachen. 
Im  gegensatz  zu  Noreen,  Wadstein  u.  a.,  die  der  ansieht 
waren,  isl.  nom.  sg.  -a  in  Sturla,  Ella,  Üräkia,  Ketnpa  etc.  bilde 
die  unmittelbare  fortsetzung  des  urnord.  nom.  sg.  auf  -a,  habe 
ich  im  Skand.  archiv  1  (1891)  1  ff.  gelegenheit  gehabt,  diese 
frage  zu  erörtern.   In  den  urnord.  inschriften  hat  man  eine 
recht  grosse  zahl  männernamen,  die  wie  n- Stämme  flectiert 
werden  und  im  nom.  sg.  immer  auf  -a  endigen:  wiwila,  erla, 
niuwila,  hariwa,  fauauisa  etc.    Da  nun  die  normale  endung 
entsprechender  masc.  n-stämme  in  den  nord.  literatursprachen 
■i(-e)  ist:  tönt,  spini,  üsehvr.jcerlc  etc.,  so  muss  das  -a  im  nom. 
sg.  der  masc.  n- Stämme  lautgesetzlich  in  -i(-e)  übergegangen 
sein.   Sturla,  ÜräJcia  sind  ursprünglich  nicht  masc.  n-stämme, 
sondern  feminine  nomina  actionis,  die  man  erst  in  später 
zeit  auf  männer  anzuwenden  begonnen  hat.   Sturla  z.  b.  be- 
deutete ursprünglich  'Störung'  (vgl.  infin.  sturla  'stören'); 
später  wurde  es  als  beiname  in  der  bedeutung  'stbrer',  d.  h. 
in  der  bedeutung  eines  nomen  agentis  verwendet.   Vom  bei- 
namen  gieng  es  wie  verschiedene  andere  beinamen  dazu  über, 
ein  vorname  zu  werden.   Ungefähr  gleichzeitig  hat  auch  Bugge 
im  Arkiv  n.  f.  4, 18  f.  die  ansieht  ausgesprochen,  dass  urnord.  -a 
im  nom.  sg.  masc.  der  n-stämme  in  den  nord.  literatursprachen 
zu  -i(-e)  geworden  sei,  und  er  meint,  dass  das  urnord.  -a  im 
nom.  wiwila  etc.  'ein  helles  a1  gewesen  sei,  das  sich  dem  es 
näherte. 

Der  a-laut  in  der  paenultima  der  urnord.  partt.  *bundanaR 
hat  natürlich  ganz  anderen  Ursprung  als  das  -a  im  nom.  sg. 
wiwila  etc.;  es  ist  jedoch  für  unsere  frage  von  interesse,  dass  das 
-a  im  nom.  sg.  der  masc.  n-stämme  in  -i  (-e)  übergegangen  ist. 

Nach  Bugge  a.  a.  o.  ist  a  auch  in  urnord.  nom.  swestar 
(Opedal)  :  isl.  systir  in  i  (e)  übergegangen. 


490 


KOCK 


Ferner  erinnere  ich  daran,  dass  das  e  der  Wurzelsilbe  vor 
nasal  +  consonant  gemeingerm.  in  t  übergieng  (also  eine  ge- 
schlossenere ausspräche  bekam),  z.  b.  *benäan-  >  hindern-  etc. 

Eine  hiermit  verwante  erscheinung  begegnet  in  den  an. 
literatursprachen.  Das  anorw.  unterscheidet  zwischen  ce  (=  ent- 
standen durch  t- umlaut  des  a)  und  e  (=  germ.  r-  laut  i.  Aber 
yor  n  -f-  consonant  ist  a  in  e  übergegangen,  z.  b.  breenna  > 
brenna\  auch  ce  ist  in  dieser  Stellung  zu  e  geworden,  z.  b. 
frc&nda  >  frenda;  s.  Bugge  in  den  Sm&stykker  udg.  af  samfund 
til  udg.  af  gammel  nord.  litt.  110.  Wadstein,  Fnorska  hom.-bokens 
ljudlära  51. 

In  Übereinstimmung  mit  diesen  Verhältnissen  stelle  ich  für 
die  gemeinnord.  spräche  folgendes  lautgesetz  auf:  a  ist  in 
infortissilbe  vor  n  +  consonant  in  e  (später  i)  über- 
gegangen. 

Wie  in  gemeingerm.  zeit  das  e  der  Wurzelsilbe  vor  nasal 
+  consonant  in  einen  mehr  palatalen  vocal  (i)  und  wie  im 
anorw.  m  der  Wurzelsilbe  vor  n  -f  consonant  in  einen  mehr  pala- 
talen vocal  (e)  übergieng,  so  ist  in  gemeinnord.  zeit  das  a  der 
infortissilbe  vor  n  +  consonant  in  einen  mehr  palatalen  vocal 
(e,  i)  tibergegangen.  Da  diese  lautentwickelung  nur  in  infortis- 
(nicht  in  fortis-  und  semifortis-)  silben  eintrat,  so  ist  hiermit 
zusammen  zu  stellen,  dass  wie  bekannt  lautent Wickelungen 
leichter  und  deshalb  oft  nur  in  relativ  unaccentuierten  silben 
eintreten. 

Ich  erinnere  z.  b.  daran,  dass  in  den  nord.  sprachen  nur 
in  relativ  unaccentuierter  silbe  y  zu  i  wurde,  wenn  die  fol- 
gende silbe  ein  t  enthielt,  z.  b.  in  der  relativ  unaccentuierten 
praep.y^r  >  isL  ifir,  aschw.ttcir;  aschw.  Bosbyggiar  >  neuschw. 
Rospiggar;  dagegen  isL  aschw.  byggia  etc.  mit  y-laut  (s.  Kock, 
Arkiv  4, 163  ff.).  In  ähnlicher  weise  geht  im  aschw.  «  nur  in 
relativ  unaccentuierter  silbe  in  t  über,  wenn  ein  gutturaler 
(palataler)  consonant  +  i,  i  folgt,  z.  b.  annattweeggia  >  annat- 
twiggia,  dagegen  tweeggia  (Kock  a.  a.  o.  s.  171  ff.). 

Mit  hülfe  des  hier  aufgestellten  lautgesetzes  für  die  be- 
handlung  von  gemeinnord.  a  in  infortissilbe  werden  partt  wie 
bundinn,  brostinn,  borinn  etc.  leicht  erklärlich. 

Das  part.  brostinn  z.  b.  hat  das  suffix  -an-.  Während  der 
a- umlautsperiode  bekam  es  deshalb  in  allen  casus  o- umlaut: 


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DER  4-ÜMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  8PRACHEN.  491 

*brustanaz  >  *brostana*  etc.  Dieses  *brostana*,  jünger  *brostann 
wurde  in  gemeinnord.  zeit  so  flectiert: 

sg.  nom.  *bro8tann     *bro8t&n  *bro8tant 
gen.  *bro»tans     *bro8tannaR  *brostans 
dat.  *bro8tnom    *bro8tanae  *brostno 
acc.  *bro8tann     *bro8tna  *brostant 
pl.  nom.  *bro8tnen     *bro8tnan  *broston 

(nom.  nnd  acc.) 
gen.  +brostanna   *bro8tanna  *bro8tanna 
n.  s.  w. 

Nach  unserem  lautgesetz  gieng  a  in  e  (t)  über  im  nom.  sg. 
m.  *brostan*  >  brostenn,  nom.  acc.  sg.  neutr.  *brostant  >  bro- 
ste(n)t,  gen.  sg.  m.  und  neutr.  *brostans  >  brostens,  acc.  sg.  m. 
*brostann  >  brostenn,  gen.  sg.  f.  *brostan*ctx  >  brostennar,  dat. 
sg.  f.  *brostanne  >  brostenne  und  im  ganzen  gen.  pl.  *brostanm 
>  brostenna,  also  in  elf  casus,  unter  denen  sich  die  ausser- 
ordentlich oft  vorkommenden  nom.  und  acc.  sg.  masc.  und  neutr. 
befinden.  Nur  in  drei  casus  (nom.  sg.  fem.,  nom.  acc.  pl.  neutr.) 
fand  sich  -on.  Es  ist  deshalb  ganz  in  der  Ordnung,  dass  das  e  (t) 
aus  den  elf  casus,  wo  c(i)  lautgesetzlich  entstanden  war,  in 
jene  drei  casus  eindrang,  so  dass  man  erhielt:  brostenn  (-inn), 
brosten  (-in),  brostet  (-it)  etc. 

In  ganz  ähnlicher  weise  ist  z.  b.  nom.  sg.  *bundan*,  *bundon, 
*bundant,  nom.  pl.  *bundne*,  *bundnaR,  bundon  etc.  zu  bundenn 
(•mm),  banden  (-in),  bandet  (-it);  bundnir,  bundnar,  banden  (-in) 
etc.  geworden,  aber  hier  ist,  wie  bekannt,  kein  a-umlaut  ein- 
getreten. 

Es  findet  sich  aber  ein  interessantes  beispiel  der  erhaltung 
des  lautgesetzlichen  -on,  -an  in  einem  participium.  Die  nord. 
sprachen  haben  einige  wenige  beispiele  substantivierter  neu- 
traler adjectiva  ohne  -t  im  nom.  acc.  sg.,  z.b.  füll;  vgl.  got. 
füll  (im  gegensatz  zu  fullata).  Ein  solches  ist  auch  aschw. 
bundan,  bundon,  bundin  n.  'garbe'.»)  Nom.  acc.  sg.  neutr.  vom 
part.  bundinn  heisst  gotisch  bundanata  und  bundan.  Die  letz- 
tere form  sollte  lautgesetzlich  -an  beibehalten,  da  ja  dem  n 
kein  consonant  folgte,  und  sehr  richtig  findet  sich  dieses  got. 
bundan  in  aschw.  bundan  'garbe'  wider.   Das  nunmehr  (auch) 

J)  Belegstellen  für  die  verschiedenen  formen  bei  Rydqvist,  Sv.  spr.  lagar 
2,115. 


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492 


KOCK 


als  sing,  verwendete  aschw.  bttndon  ist  die  unmittelbare  fort- 
setzung  des  lautgesetzlichen  nom.  acc.  pl.  neutr.  gemeinnord. 
bundon,  während  aschw.  bundin  'garbe'  -in  aus  dem  part. 
masc.  bundinn,  gen.  sg.  m.  und  neutr.  bundins  etc.  bekommen 
hat.  Dagegen  entspricht  dem  got,  bundanata  in  üblicher  weise 
nord.  *bnnde(n)t  isl.  aschw.  bundit  mit  lautgesetzlicher  ent- 
wickelung  von  o  zu  e,  i. 

Während  -an-  im  part.  pass.  in  -en-,  -in-  tibergieng,  weil 
ihm  in  allen  casus  ein  consonant  folgt,  bleibt  -an-  in  infortis- 
silbe  erhalten,  wenn  n  im  auslaut  steht,  oder  wenn  ihm  ein 
vocal  folgt. 

Ich  erinnere  an  folgende  formen  mit  -an  in  infortissilbe. 

Adverbia  auf  -an:  innan,  utan,  ofan,  neßan,  hvapan,  paßan, 
hefan,  undan,  sialdan,1)  sunnan  etc. 

Acc.  sg.  masc.  vom  adj.:  göpan,  blindan  etc.  (vgl.  got 
blindatia). 

Fem.  subst.  auf  -an  (bez.  un :  gen.  -anar\  z.  b.  skipan,  lokkan, 
hrapan,  bUtan  etc.2) 

Neutrale  a- stamme:  isl.  mannlikan,  yaman,  aschw.  gatnan, 


>)  Im  isl.  ist  sialdan  immer  adverb.  Im  aschw.  ist  siaüdan  ebenfalls 
so  gut  wie  immer  adverb.  Söderwalls  Wörterbuch  führt  jedoch  ein  beispiel 
(aus  Bernhard)  an,  wo  surldon  (sie)  als  nom.  pl.  neutr.  verwendet  wird: 
varin  thin  ordh  faa  oc  siaüdon.  Dies  kann  die  völlig  lautgesetzliche  form 
eines  gemeinnord.  adj.  *sialdanR  sein;  vgl.  das  oben  über  aschw.  bundon 
gesagte.  In  tholkin  thanke  ar  sieddan  i  iordhrike  (Birg.)  kann  stctldan  ad- 
verb sein.  Wenn  es  (wie  es  Söderwall  fasst)  adjectiv  ist,  hat  es  in  dieser 
Äusserst  seltenen  Verwendung  -an  aus  dem  adverb  sialdan  bekommen. 

*)  Dagegen  hat  isl.  aschw.  nlm.  agutn.  e/n  das  Suffix  -in-  (vgl.  Söder- 
berg, Forngutn.  ljudl.  s.  0)  oder  -in-  gehabt.  Ein  ahn  :  nom.  pl.  *aiinan 
kann  lautgesetzlich  *elin  :  alna/i  und  durch  ausgleichung  nom.  alin,  d* 
geworden  sein.  Der  unumgelautete  vocal  in  isl.  aschw.  ahn  kann  jedoch 
auch  auf  einem  älteren  ofln  (vgl.  got.  aleina)  beruhen,  da  langes  i  keinen 
umlaut  erzeugt  (Kock,  Sv.  landsm.  12,  no.  7  s.  27  anm.  2.  Arkiv  n.  f.  10,  223). 
Svenskt  dipl.  n.  s.  2,  no.  1358  (Uppsala  1410)  wird  drei  mal  aliin  geschrieben 
Ich  lasse  dahingestellt,  ob  das  wort  möglicherweise  mundartlich  hat  den 
alten  i-laut  lang  beibehalten  können,  oder  ob  i  in  aliin  auf  späterer  mund- 
artlicher Verlängerung  in  Wörtern  mit  kurzer  Wurzelsilbe  beruht ;  vgl.  Kock. 
Arkiv  4,  87  ff.  N.  f.  10, 223.  Auch  das  fehlen  des  i'-umlauts  in  isl.  lamn  (got 
lauscim),  förn,  niosn  etc.  kann  vielleicht  darauf  beruhen,  dass  gewisse  casus 
(wie  nom.  acc.  sg.)  während  der  jüngeren  umlautsperiode  in  der  zweiten 
silbe  langes  i  hatten  (*/a«sin).  Eine  andere  erklärung  habe  ich  Beitr. 
15,  266  vorgetragen. 


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DER  ,4-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  493 

gulfingran,  systkan,  lekan,  satan  (thaskan).  Da  das  aschw.  auch 
lekon,  so  ton  (üekon)  ha  t .  so  war  diese  endung  -on  ursprünglich 
nur  im  nom.  acc.  pl.  zu  hause;  ebenso  wie  auch  in  systkon. 
Hierher  gehört  auch  das  im  späten  aschw.  (vgl.  Rydqvist  2, 115) 
begegnende  aallan  :  aschw.  aldon,  allon. l) 

Das  pari  praes.  auf  andi:  bindandi  etc.  spricht  natürlich 
nicht  gegen  das  von  mir  aufgestellte  lautgesetz.  Wie  o  vor 
nd  in  band  etc.  mit  fortis  bestehen  blieb  (und  nicht  in  e,  i 
übergieng),  so  blieb  es  auch  in  bindandi  etc.  mit  semifortis 
auf  der  zweiten  sübe.  Dass  Wörter  auf  andi  diese  accentuie- 
rung  hatten,  geht  aus  mehreren  umständen  hervor.  So  hat 
pl.  gefendr  (von  gefandi)  i-umlaut,  welcher  in  silben  mit  in- 
fortis  nicht  eintritt.  In  aschw.  Schriften,  die  o  in  silben  mit 
infortis  zu  ce  werden  lassen,  wird  die  endung  -ande  unverän- 
dert beibehalten:  eghande  (nicht  eghamde)  etc.  (Kock,  Fornsv. 
ljudl.  2, 367  f.). 

Die  von  Noreen,  Arkiv  1, 158  f.  angeführten  partt.  bynni 
(isl.  bundit),  grevi  (isL  grafit)  etc.  aus  einigen  modernen  nor- 
wegischen (und  schwedischen)  mund arten  haben  keine  beweis- 
kraft  für  seine  hypothese. 

Sich  in  dieser  weise  auf  das  zeugnis  moderner  mundarten 
gegen  die  alte  spräche  zu  berufen,  ist,  so  viel  ich  sehe,  ganz 
und  gar  unberechtigt.  Da  das  aschw.  und  isl.  z.  b.  ausschliess- 
lich bundin(n\  bundit  (nicht  *byndinn,  *byndit)  haben,  so  ist 
man  nach  meiner  auffassung  verpflichtet  zu  untersuchen,  ob 
sich  bynni,  das  in  dem  einen  oder  anderen  durchaus  modernen 
dialekt  begegnet,  nicht  in  relativ  später  (vielleicht  in  ganz 
später)  zeit  aus  bundinn,  urnord.  *bundana&  entwickelt  haben 
kann.  Erst  wenn  sich  dies  als  durchaus  unmöglich  erwiesen 
hat,  ist  man  berechtigt,  zu  einem  so  entlegenen  notbehelf  zu 
greifen  wie  der  erklärung,  das  ganz  moderne  bynni  repräsen- 
tiere die  uralte  lautgesetzliche  form  (urnord.  *bundina*),  wäh- 
rend isl.  aschw.  bundin(n)  auf  analogiebildung  beruhe.  Es  ist 
doch  nicht  ohne  gewicht  für  die  Sprachgeschichte,  ob  eine  form 
700  jähre  früher  oder  später  nachweisbar  ist. 

*)  Dagegen  hat  isl.  aschw.  aldin  das  suffix  -in-  (vgl.  Hellquist,  Arkiv 
n.  f.  3,  7),  was  dadurch  bestätigt  wird,  dass  das  wort  keinen  i-umlaut  hat 
(s.  oben  s.  492  anm.  2).  Dasselbe  suffix  -m-  liegt  in  isl.  aschw.  «ys(t)*ro 
sowie  in  aschw.  anorw.  gtä([)fi»grm  vor  (vgl.  Hellquist  a.  a.  o.  s.  5  f.). 


494 


KOCK 


Ks  ist  nicht  sicher,  dass  alle  die  von  Noreen  angeführten 
part-  formen  aus  getrennten,  teilweise  wenig  untersuchten 
mundarten  auf  dieselbe  weise  erklärt  werden  müssen;  mehrere 
von  ihnen  können  sehr  leicht  durch  analogieeinwirkung  ent- 
standen sein. 

Ich  will  aber  eine  erklärung  anführen,  die  auf  sie  alle 
angewendet  werden  kann.  Es  ist  für  viele  norwegische 
mundarten  charakteristisch,  dass  sie  in  grosser  ausdehnnng 
palatale  consonanten  haben,  auch  palatales  n  (hier  durch  ff 
bezeichnet),  sowie  dass  dieses  palatale  A  auf  einen  vorher- 
gehenden vocal  sowol  in  fortis-  wie  in  infortissilbe  palatalisie- 
rend  wirkt;  so  wird  z.  b.  mann  (=  isl.  mann)  >  mahrtn  (Gud- 
brandsdalen),  hcestann  (isl.  hestamir)  >  hmtatnn  (Gudbrands- 
dalen)  (Joh.  Storm,  Norvegia  1, 122, 124).  Die  mundarten  in 
Viken  haben  in  der  regel  nur  9  zum  endvocal;  eine  ausnähme 
hiervon  machen  die  partt.  pass.  starker  verba,  welche  -bin 
haben,  z.  b.  berinn  (<  isl.  borinn)  (Amund  B.  Larsen,  De  norske 
bygdemäl  s.37).  Das  (ehemals)  palatale  n  des  part  boren*, 
borinn  hat  hier  den  t-laut  der  ultima  conserviert,  bez.  eine 
entwickelung  von  e  zu  i  hervorgerufen.  Dies  ist  um  so 
sicherer,  als  man  in  neudän.  mundarten  (Djursland)  z.  b.  katin 
'die  katze'  (älter  kattinn)  mit  i  und  palatalem  n  findet,  dagegen 
z.  b.  sti'nan  'der  stern'  (ohne  artikel  sti'n )  mit  a  und  dentalem  -n 
(K.P.  Thorsen,  Bidrag  til  nörrejysk  lydlaere  s.65;  vgl.  auch  Vilh. 
Thomsen,  Forhandl.  paa  det  f  jerde  nord.  filologmede  s.  215  ft). 
Schon  in  altdän.  Schriften  (z.  b.  Mandevilles  reise)  begegnet  ein 
ähnlicher  Wechsel,  z.  b.  delin  'der  teil',  d.  i.  delinn  mit  t  und 
palatalem  »m,  dagegen  grafven  mit  e  und  dentalem  -n  (Thomsen 
a.  a.  o.). 

In  Übereinstimmung  mit  diesen  tatsachen  ist  der  Wechsel 
byMi :  funni  (isl.  bundit :  funnit)  etc.  innerhalb  desselben  dia- 
lekts  leicht  zu  erklären,  ein  Wechsel,  den  Noreen  für  seine 
auffassung  besonders  beweisend  findet. 

Im  part.  masc.  bundtnn  ist  das  -nn  in  den  betreffenden 
dialekten  palatal  gewesen.  Dies  wird  dadurch  bestätigt,  dass 
man  gerade  in  den  partt.  pass.  sprukkiM  etc.  im  amte  Süd- 
Drontheim  und  in  Nordmöre  (A.B. Larsen  a.a.O.  s.  89),  also  in 
gegenden,  welche  denen  wo  bynni  :  funni  etc.  begegnen,  geo- 
graphisch benachbart  sind,  stets  palatales  n  hat  Deshalb 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  495 


wurde  bundeM  zu  bundiM  (bez.  bundiM  mit  i-laut  in  der 
ultima  blieb  bestehen,  obwol  %  sonst  zu  e  wurde).  Hierauf 
gieng  bundiM  (durch  eine  art  i-umlaut)  in  byndiM  über. 
Nom.  pl.  m.  bundner,  nom.  pl.  f.  bundnar  etc.  behielten  dagegen 
natürlich  das  u  bei.  Hierdurch  entstand  innerhalb  desselben 
dialekte  ein  Wechsel  byndinn  :  bundinn,  und  in  einem  verb 
(bynni)  konnte  y,  in  einem  anderen  (funtii)  konnte  u  durch- 
geführt werden.«) 

Wahrscheinlich  ist  die  entwickelung  bundinn  >  bynni  etc. 
relativ  jung,  jünger  als  die  eigentlich  alte  spräche.  Doch  will 
ich  die  möglichkeit  nicht  bestreiten,  dass  sie  relativ  alt  sein 
könnte.  Möglicherweiseistin  den  betreff  enden  dialekten 
das  aus  *bundanaR  entstandene  *bundenn,  bundenn  durch  ein- 
wirkung  des  palatalen  -nn  schon  vor  dem  ende  der  jüngeren 
t  -  umlautsperiode  in  bundiM  übergegangen.  In  diesem  falle 
wurde  bundiM  in  diesen  dialekten  während  der  jüngeren 
»-umlautsperiode  zu  byndiM,  während  bundne*  etc.  bestehen 
blieb,  wodurch  der  Wechsel  byndiM  :  bundiM  in  diesen  dia- 
lekten entstand.  Aber  wol  zu  merken:  auch  in  diesem  falle 
ist  byndiM  nur  eine  mundartliche  form  und  hat  niemals 
in  der  Vorstufe  der  an.  literatursprachen  mit  bundinn  ge- 
wechselt, und  auch  das  mundartliche  byndinn  ist  aus  einem 
urnord.  *bundanaR  (nicht  aus  urnord.  *bundinaR)  entstanden. 

Im  übrigen  ist  es  leicht  möglich,  dass  gewisse  unter  den 
von  Noreen  angeführten  partt.,  z.  b.  bynni,  in  irgend  einem 
dialekt  den  palatalen  vocal  der  Wurzelsilbe  durch  den  einfluss 
des  unmittelbar  folgenden  palatalen  nasals  ri  (nicht  durch  den 
einfluss  des  t  der  ultima)  bekommen  haben:  bumi  wurde  byniii 
wie  mann  zu  mafM  wurde  etc. 

Die  aus  dem  dialekt  von  Dalekarlien  in  Schweden  an- 
geführten partt.  können  ebenso  wie  die  partt.  der  norw.  mund- 
arten  erklärt  werden.  Die  mundarten  von  Dalekarlien  liegen 
geographisch  den  norweg.  nicht  sehr  fern  und  repräsentieren 


»)  Nach  Noreen,  Aisl.  gr.*  §  422  anm.  5  kommt  im  anorw.  neben  dem 
gewöhnlichen  part.  funni  'eine  seltene  nebenform'  fynninn  vor.  Ich 
weiss  nicht,  aus  welcher  quelle  dies  fynninn  stammt,  vielleicht  ist  es  nur 
einmal  angetroffen  worden.  Wenn  es  nicht  Schreibfehler  ist,  so  ist  es  als 
eine  dialektform  zu  erklären  nnd  mit  nennorw.  bynni  gleichzustellen. 


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49G 


KOCK 


in  mehreren  beziehungen  ein  übergangsstadium  zwischen  nor- 
wegischen und  schwedischen  dialekten. 

Ausser  den  partt.  mit  palatalumlaut  (isl.  ekinn  etc.)  erüb- 
rigt nur  noch,  die  von  Noreen  angeführten  partt.  aschw.  Icetin, 
vcexin,  braten  (Westmannagesetz  einmal)  zu  erörtern. 

Neben  lata  (isl.  lata)  hat  das  aschw.  oft  IcBta  mit  ce  aus 
dem  praes.  sg.  Iceter.  Nun  ist  es  äusserst  gewöhnlich,  dass 
partt.  pass.  auf  analogischem  wege  denselben  wurzelvocal  wie 
das  praes.  annehmen.  So  sind  im  neuschw.  die  älteren  frusit, 
nusit  etc.  (von  frysa  :  frös  :  frusit  etc.)  im  weichen  begriffen 
vor  den  neubildungen  frysit,  nysit  etc.  Schon  im  aschw.  trifft 
man  in  vereinzelten  fällen  part.  siunkin,  siungin,  giutin  (in- 
giutif),  statt  sunkin,  sungin  etc.  durch  einwirkung  von  siunka, 
siunga,  giuta,  und  im  neuschw.  sind  sjunken,  sjungen,  gjuten 
alleinherschend;  so  hat  das  aschw.  auch  einmal  part  giolthet 
mit  i  aus  gicelda  und  normal  hcewin  (vgl.  isl.  hafinn)  mit  at  aus 
hcefia.  In  Viken  in  Norwegen  bekommt  das  part.  pass.  den- 
selben vocal  wie  der  inf.,  z.  b.  frysi  (isl.  frorinn;  nach  frysa), 
finni  (isl.  funnit;  nach  finna)  etc.  Da  man  nun  lata  :  lüeta,  aber 
part.  lätin  hatte,  so  wurde  —  was  Noreen  ebenfalls  als  mög- 
lich zugibt  —  dieses  lätin  facultativ  zu  Imtin  (lätit)  umgebildet 
Das  aschw.  verwendet  neben  vaxa  auch  oft  vcexa  (mit  a  ans 
praes.  sg.  vcez  oder  von  einem  älteren  inf.,  der  dem  got.  tcahsjan 
entspricht);  das  part.  vcexin  hat  w  aus  dem  praes.  Auch  im 
späten  aschw.  (1505)  findet  sich  einmal  das  part.  bratheth;  in 
Hert.  Fredr.  kommt  brytin  zweimal  vor.  Auch  im  adän.  be- 
gegnet part.  bretaen  (Flensborg  bylov),  brat  (AM.  453,  Hert,  Fr. 
nach  Lyngby,  Udsagns  -  ordenes  böjn.  i  jyske  lov  22  anm.2). 
Part,  brytin  hat  y  aus  dem  inf.  brytu.  In  braten,  brat  und  das 
einmal  um  etwa  1500  belegte  klaffwen  ist  a  wol  aus  praet.  sg. 
brat,  klaf  übernommen;  vgl.  dass  umgekehrt  o  bisweilen  aus 
dem  part.  in  das  praet.  sg.  starker  verba  eingeführt  wurde: 
isl.  khf  statt  klauf(\gl  part.  Mofinn),  anorw.  fok  statt  fauk  (vgL 
part.  fokinn),  isl.  holp »)  statt  halp  (vgl.  part,  holpinn).  Zur  ein- 
führung  von  a  in  brat  (braten)  hat  wahrscheinlich  auch  das 
verb  aschw.  brata  'bryta  mark'  (part.  bratter),  isl.  breyta  (op- 
bryde,  gjere  fremkommelig'  beigetragen. 

»)  Diese  praet-formen  erwähnt  Noreen,  Aisl.  gramm.*  §  413  anm..  §  422 
anm.  5,  ohne  eine  erkl&mng  fttr  sie  £U  geben. 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  497 


feine  grappe  von  partt.  bedarf  speciell  einiger  worte  der 
erläuterung.  Die  verben  vom  typus  Uta  :  beit  :  bitu  :  bitinn 
haben  alle  in  der  paenultima  des  pari  i  (ausser  beginn  von 
bipd).  Dies  ist  aber  in  völliger  Übereinstimmung  mit  der 
vocalisation  der  entsprechenden  partt.  im  ahd.,  as.  und  ags.; 
man  findet  ahd.  bizzan,  as.  bitan,  ags.  biten*)  etc.  Da  diese 
partt.  in  den  anderen  germ.  dialekten  trotz  dem  -an-  im  ahd. 
und  as.  keinen  a-umlaut  von  t  haben,  so  ist  es  durchaus  nicht 
überraschend,  dass  ein  nord.  *bitana*,  isl.  bitinn  auch  keinen 
a-umlaut  von  %  hat. 

Ich  denke  mir,  dass  das  fehlen  des  a-umlauts  in  diesen 
partt  der  germ.  sprachen  auf  eine  der  folgenden  weisen  er- 
klärt werden  kann. 

Durch  einwirkung  des  praet.  pl.  mit  i  (vgl.  isl.  bitu  etc.) 
konnte  t  in  den  germ.  dialekten,  in  denen  hier  a-umlaut  von  i 
eintreten  sollte,  im  part.  bitan-  bestehen  bleiben  (vgl.  unten 
und  Paul,  Beitr.  6,  84).  Ich  erinnere  daran,  dass  in  den  ost- 
nord.  sprachen  der  wurzelvocal  des  part.  pass.  oft  nach  dem 
wurzelvocal  des  praet.  pl.  verändert  worden  ist  (floghin  >  flughin 
nach  praet.  pl.  flughu  etc.,  s.  unten  s.  503  ff.).  Ist  diese  annähme 
richtig,  so  ist  isl.  bitinn  aus  *bitanax,  *bitanaz  entstanden. 

Man  kann  aber  das  •  der  partt.  pass.  bitinn  etc.  sehr  wol 
auch  auf  folgende  weise  erklären.  Das  urnord.  part.  haitinaR 
(Tanumstein)  scheint  zu  zeigen,  dass  das  part.  pass.,  wenn 
auch  selten,  das  suffix  -w-  haben  konnte.  Nun  findet  sich  in 
gewissen  neunorw.  mundarten  eine  tendenz  bei  der  wähl  der 
endungsvocale  a  :  i  in  masc.  n- Stämmen  (isl.  Um,  hakte,  :  obl. 
casus  tima,  bakka),  die  hier  von  interesse  ist.  In  den  dialekten 
von  Fosen  und  Namdalen  hat  teils  der  isl.  nom.  auf  -t,  teils 
der  isl.  acc.  auf  -a  den  sieg  davongetragen,  aber  gewöhnlich 

')  So  viel  ich  sehe,  muss  der  endungsvocal  e  der  meisten  partt.  pass. 
im  ags.  (ebenso  wie  in  den  nord.  sprachen)  ans  einem  germ.  o  entstanden 
sein;  dies  scheint  mir  deutlich  daran»  hervorzugehen,  dass  das  ags.  in 
boden  etc.,  holpen  etc.,  boren  etc.  a-umlaut  und  in  bunden  etc.,  faren  etc. 
keinen  i-umlaut  hat.  Ich  will  mich  nicht  darüber  aussprechen,  wie  die 
regel  formuliert  werden  muss,  nach  welcher  -cm-  der  partt.  pass.  im  ags. 
in  -en  übergieng.  Sievers,  Ags.  gr.»  §  45,  3.  §128,2.  §  366  scheint  eben- 
falls der  ansieht  zu  sein,  dass  ags.  -en  im  part.  pass.  ein  germ.  -on-  re- 
präsentiere. Dagegen  meint  Streitberg,  Urgerm.  gr.  s.  195,  dass  ags.  bunden 
etc.  ein  germ.  -im-  enthalte. 

Beitrüge  sur  gwehioht«  d«r  cUuUchen  ipraeh«.  XXIIL  32 


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498 


KOCK 


dergestalt,  dass  die  wähl  zwischen  a  und  t  sich  nach  dem 
vocal  der  paenultima  richtet,  z.  b.  nom.  acc.  Hmi  mit  -t,  aber 
nom.  acc.  bakka  mit  -a  (A.  B.  Larsen,  De  norske  bygdemäl  s.  84). 
In  urgerm.  zeit  ist  eine  teilweise  ähnliche  tendenz  bei  der 
wähl  der  suffixform  -an-  und  der  suffixform  -in-  für  das  part. 
pass.  bestimmend  gewesen.  In  der  regel  entschied  man  sich 
für  -an  :  *hunÖanaz,  *farana*  etc.,  aber  -in-  wurde  gewählt, 
wenn  die  Wurzelsilbe  einen  t-laut,  d.  h.  t  oder  den  diphthong  ai, 
enthielt,  z.  b.  *ditincur,  *haitinaz,  urnord.  haitinax.  Die  form 
bitin-  mit  t  in  der  zweiten  silbe  bestand  noch  zur  zeit  der 
durchftihrung  des  a-umlauts  in  den  getrennten  germ.  sprachen 
(vgl.  unten).  Später  wurde  in  den  continentalen  westg.  dia- 
lekten  ahd.  und  as.  und  im  got.  (in  folge  der  einwirkung  der 
grossen  menge  von  partt.  pass.  mit  der  suffixform  -an-)  das 
-in-  mit  -an-  vertauscht  (ahd.  buszan,  as.  bitan,  got.  bitans). 

Noch  in  urnord.  zeit  hatte  das  part.  haäina*  sich  einer 
derartigen  beeinflussung  seitens  der  partt.  mit  -an-  entzogen, 
und  isl.  heitinn  kann  eine  unmittelbare  entwickelung  aus  ur- 
nord. haitina*  sein.  In  ähnlicher  weise  kann  isl.  bitinn  die 
unmittelbare  fortsetzung  von  urnord.  *bitinax,  germ.  *bitinae  sein. 

Man  pflegt  isl.  beginn  (von  bipa)  als  beispiel  des  a-umlauts 
in  diesen  partt.  anzuführen.  Vorausgesetzt  dass  bitinn  aus 
*bitanaz  (nicht  *bitinaz)  entstanden  ist,  enthält  bepinn  a-umlaut. 
Soweit  ich  mich  erinnere,  ist  aber  nicht  hervorgehoben  worden, 
weshalb  in  diesem  einzigen  particip  a-umlaut  von  t  fortbestehen 
sollte.  Die  sache  ist  die,  dass  bepinn  part.  nicht  nur  zu  bißa 
praes.  Mßr,  sondern  auch  zu  isl.  bipia,  praes.  bißr  ist  Dagegen 
hat  im  aschw.  sowol  das  part.  zu  hij>a  wie  das  zu  bipia  die 
form  bipin.  Dies  zeigt  deutlich,  dass  das  part.  bepinn  (von 
bipia)  im  isl.  das  part.  bepinn  (von  bij>a)  beeinflusst  hat. 

Entweder  hat  ein  ursprüngliches  (*beäanax  >)  bepinn  zu 
bipa  das  e  unter  dem  einfluss  von  bepinn  zu  bipia  beibehalten, 
oder  auch  es  ist  das  e  von  bepinn  zu  bipia  auf  (*biÖinax>)  bidinn 
zu  bipa  übertragen  worden,  so  dass  dieses  zu  bepinn  wurde. 

Hier  mögen  die  aschw.  partt.  bipin  (zu  bipia).  sitit  (zu 
sitia),  lighat1)  (zu  liggia),  pighat  (zu  piggia)  erörtert  werden. 
Ihnen  entsprechen  die  isl.  bepinn,  setinn,  leginn,  peginn,  die 


»)  Aber  ajütländ.  for  lagham. 


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DEB  il-tTMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  499 

normalerweise  e  in  der  paenultima  haben,  da  die  Wurzelsilbe 
germ.  e  (urnord.  *beÖana*  etc.)  hat.  Die  älteren  (isl.)  bepinn, 
setinn  haben  im  aschw.  (bipin,  sitit)  i  aus  dem  inf.  bekommen, 
vgl.  oben  s.  496  über  den  einfluss  des  inf.  auf  das  part.  pass. 
Zu  den  schwach  flectierten  pighia  Schweigen',  sighia  *  sagen' 
lautet  das  part.  pighat,  sighat,  formen  welche  ihr  i  aus  dem 
praes.  pighia,  sighia  bekommen  haben  (die  älteren  partt.  sind 
isl.  pag(a)t,  aschw.  thakt;  aschw.  saghaper,  isl.  aschw.  sag(h)atf 
isl.  sagpr,  aschw.  saghper).  Neben  liggia  kommt  auch  lighia 
vor.  Nach  pighia  'schweigen'  :  pighat,  sighia  :  sighat  ist  zu 
lighia  (liggia)  das  part.  lighat,  zu  piggia  das  part.  pighat  ge- 
bildet worden. J)  Also  ist  -at  in  lighat,  pighat  eine  ganz  junge 
analogiebildung,  und  man  darf  in  diesen  formen  nicht  mit 
Noreen  in  Pauls  Grundr.  I5, 641  und  Brate,  Runverser  s.  345 
uralte  repräsentanten  des  erhaltenen  germ.  sufflxes  -an-  mit 
a  sehen.») 

Ich  gehe  von  den  partt.  pass.  zu  anderen  wortkategorien 
über.  In  ihnen  findet  sich  schon  von  alters  her  sowol  das 
germ.  suffix  -tu-  wie  das  germ.  suffix  -an-.  Aber  sie  interes- 
sieren uns  hier,  da  das  suffix  -an-  unter  denselben  umständen 
wie  im  part.  pass.  lautgesetzlich  in  -en-,  -in-  übergegangen  ist. 

Gewisse  masc.  o-stämme  haben  das  germ.  suffix  -an-,  andere 
das  germ.  suffix  -in-.  Da  der  langsilbige  name  Öpinn  keinen 
i-uinlaut  enthält,  so  hat  er  (wenigstens  unbedingt  in  der  regel; 
vgl.  s.  500  anm.),  entsprechend  dem  ahd.  Wuotan,  das  suffix  -an- 
gehabt.  Das  wort  ist  also  so  flectiert  worden: 

nom.  *(JÖann  dat.  Odne 

gen.  *OÖans  acc.  Uöan. 

Gab  es  zu  jener  zeit  noch  den  vocativ  als  einen  besonderen 

>)  Streng  lautgesetzlich  hätten  die  partt.  im  aschw.  wol  Vighin, 
*pighm  lauten  sollen.  Denn  ebenso  wie  ein  aus  a  durch  t- tun  laut  ent- 
standenes a  im  aschw.  vor  gh  + 1  weiter  zu  i  wurde  (Kock,  Arkiv4, 175), 
so  musste  wahrscheinlich  ein  germ.  e  in  dieser  Stellung  dieselbe  entwicke- 
lung  bekommen. 

*)  Das  auf  dem  Yttergärdsstein  einmal  begegnende  takat  für  takit 
ist  wahrscheinlich  fehlritzung.  Dies  ist  glaublicher  als  dass  takat  =  takant 
gelesen  werden  müsse  (mit  auslassnng  des  Zeichens  für  n,  wie  auch  sonst 
öfter),  und  dass  in  takant  mit  dem  germ.  suffix  -an-  a  noch  nicht  in  e,  i 
übergegangen  sei. 

32* 


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500 


KOCK 


casus,  so  hiess  dieser  ebenfalls  *OÖan.  Im  nom.  und  gen.  bekam 
man  lautgesetzlich  Öpenn  (-***),  Öpens  (-mm),  im  acc  (und  voc.) 
dagegen  Opan.  Isl.  Öpinn,  aschw.  opinsdagher,  älteres  neu- 
schw.  odensdag  haben  ihre  vocalisation  aus  dem  nom.  und  geiL, 
während  das  äusserst  seltene  aschw.  Odhansdaghin  (Sv.  riks- 
archivets  pergamentbref  no.  2697  vom  jähre  1393;  vgL  Lund- 
gren,  Spräkliga  intyg  om  hednisk  gudatro  i  Sverige  s.  28)  mit 
a  in  der  zweiten  silbe  vom  acc  (und  voc.)  *OÖanx)  aus- 
gegangen ist. 

Das  nebeneinander  isl.  drottinn,  aschw.  drotin  ohne  umlaut, 
aber  aschw.  dretning  (neben  drotning),  agutn.  drytning  mit  t'-um- 
laut  spricht  dafür,  dass  drottinn  das  suffix  an-  gehabt  hat 
Hier  ist  es  die  vocalisation  des  Suffixes  im  nom.  und  gen.,  die 
den  sieg  davongetragen  hat. 

Dagegen  ist  in  dem  namen  Heriann  und  in  piopann  'könig' 
der  a-vocal  im  acc.  (und  voc.)  durchgeführt  worden;  zur  ein- 
führung  des  a  in  Heriann  trug  auch  der  dat.  (Heriani)  bei, 
der  in  diesem  worte  nicht  synkopiert  wird. 

Die  worte  für  'morgen'  und  'abend'  scheinen  von  alters 
her  sowol  das  suffix  -in-  wie  das  suffix  -an-  neben  -im-  gehabt 
zu  haben:  isl.  myrginn,  alt.  neuschw.  mörnar  mit  t- umlaut  : 
aschw.  morghan,  isl.  morginn  :  isl.  morgunn,  aschw.  morghon; 
isl.  eptann  mit  /-umlaut  (?)  :  isl.  aptann,  aschw.  aptan,  affin  : 
aschw.  afton  (vgl.  Noreen,  Aisl.  gr.*  §  150, 5.  Aschw.  gr.  §  180, 3). 
Doch  enthalten  isl.  morginn,  aschw.  aftin  mit  i  in  der  ultima, 
aber  ohne  i- umlaut  in  der  paenultima  nicht  das  suffix  -in-, 
sondern  das  suffix  -an-,  dessen  a  im  nom.  und  gen.  lautgesetz- 
lich in  e,  i  übergegangen  ist  {*morgan*  >  morginn,  *morgans 
>  morgins  etc.). 

*)  In  einer  Urkunde  aus  Dalekarlien  begegnet  einmal  epinsdaghin 
(Dipl.  4142  vom  jähre  1347).  Wenn  dies  o  nicht  Schreibfehler  ist,  kann 
eßin  eine  mundartliche  form  sein,  die  ebenso  zu  erklären  ist  wie  die  oben 
s.  495  besprochenen  mundartlichen  partt.  pass.  aus  modernen  dalekarliachen 
dialekten.  Ich  finde  es  wenig  glaublich,  dass  man  in  diesem  Tereinxelten 
epinsdaghin  ein  betepiel  eines  sonst  nirgends  nachgewiesenen  germ.  *Wödtnas 
habe.  Da  die  Verwendung  der  endungsvocale  im  Hels.-geseU  höchst  regel- 
los und  inconsequent  ist,  kann  auf  das  i-  in  mal  (J£.  16  pr.)  im  Hels.-gt«eU 
vorgefundene  opunzdagh  kein  gewicht  gelegt  werden,  und  man  kann  also 
aus  diesem  opunzdagh  nicht  die  Schlussfolgerung  ziehen,  dass  Öpinn  ur- 
germ.  auch  die  suffixform  -un-  gehabt  hätte. 


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DER  i4 -UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNOBD.  SPRACHEN.  501 

Ist.  aptann,  aschw.  aptan  hat  -an-  vom  acc.  aftan,  wobei 
der  umstand  eine  rolle  spielte,  dass  die  ausdrücke  of  aptan, 
um  aptan,  i  gder  aptan  besonders  gebräuchlich  waren.  Das 
aschw.  morghan  hat  dieselbe  vocalisation.  Isl.  eptann  kann 
eine  compromisform  von  aptann  und  *eptinn  sein,  da  aber  ein 
*eptinn  nicht  nachgewiesen  ist,  ist  es  auch  sehr  möglich,  dass 
aptann  durch  einwirkung  der  praep.  eptir  und  des  comp,  eptri 
bisweilen  zu  eptann  geworden  ist;  vgl.  dass  im  aschw.  das 
adverb  aptan  'hinten'  durch  einwirkung  von  ceptir,  oeptre  die 
form  ceptan  erhalten  hat. 

Das  suffix  -in-  findet  sich  in  dem  kurzsilbigen  aschw.  wrin, 
isl.  arinn  (a  aus  pl.  arnar  etc.;  vgl.  neuschw.  äril  mit  dem  suffix 
-ü-)  und  in  isl.  aschw.  himin(n)  (vgl.  got.  himins),  wahrschein- 
lich auch  in  Beginn-,  vgl.  neutr.  regin  *götter\ 

Wie  die  adjectiva  teils  das  suffix  -il,  z.  b.  heimill,  teils  das 
suffix  -al-,  z.  b.  atall  haben,  so  haben  sie  teils  das  suffix  -in-, 
teils  das  suffix  -an-,  hier  und  da  Wechsel  -in-  :  -an-  in  dem- 
selben adjectiv.  Der  t-umlaut  in  isl.  yfrinn,  aschw.  yfrin,  efrin, 
isl.  heppinn,  neuschw.  yllen  zeigt,  dass  die  Wörter  das  suffix  -in- 
gehabt haben;  aschw.  ullin  'wollen'  kann  u  vom  subst.  ul  haben. 
Aus  den  nord.  lautverhältnissen  geht  nicht  hervor,  ob  eiginn 
das  suffix  -an-  oder  -in-  hat,  aber  got.  aigins  spricht  für  das 
letztere.  Dagegen  haben  z.  b.  isl.  aschw.  hpin(n),  rottn(n),  isl. 
ropinn,  snopinn,  aschw.  snorkin  'zusammengeschrumpft'  mit 
a-umlaut  das  suffix  -an-.  In  isl.  opinn,  aschw.  opin,  upin,  ypin, 
epin  hat  sich  am  ehesten')  ein  uralter  Wechsel  -an-  :  -in-  ge- 
funden, da  das  wort  sowol  a-umlaut  (opinn  <  *opanaR  <  *upa- 
naz)  als  i-umlaut  hat  (nom.  ypin  <  *upinan;  nom.  epin  <  *opi- 
nan  mit  o  vor  dem  ende  der  jüngeren  t-  Umlautsperiode  aus 
nom.  *opanatt  übertragen).  Ohne  grund  hat  man  aschw.  gyllcne 
als  beispiel  eines  nord.  Wortes  mit  dem  suffix  -in-  angeführt. 
Aschw.  neuschw.  gyllcne  ist  nämlich  ein  deutsches  lehen  (vgl. 
mhd.  guldin,  plattd.  gülden);  dies  geht  teils  daraus  hervor,  dass 
das  e  der  paenultima  in  aschw.  nschw.  gyllene  nicht  synkopiert 
wird,  wie  es  mit  i,  e  im  suffix  -w-  der  fall  ist  {medh  gyllene 
munnen,  dagegen  z.  b.  dat.  sg.  upno,  nicht  *upeno,  von  tipin), 

l)  Dies  ist  wahrscheinlicher  als  dass  das  wort  nur  das  suffix  -in-  ge- 
habt habe,  und  dass  o  in  opinn  z.  b.  ans  nom.  pl.  f.  opnar  «  *upna/i  < 
*upinon)  tibertragen  worden  sei. 


502 


KOCK 


teils  daraus,  dass  das  wort  gyllene  im  aschw.  (fast  immer)  und 
im  nschw.  unflectierbar  ist;  vgl.  das  silfverne  (nhd.  silbern, 
mnd.  sulveren)  der  Volkslieder.  Welches  suffix  isl.  gulUnn  ur- 
sprünglich gehabt  hat,  kann  kaum  entschieden  werden,  da  das 
wort  an  das  subst.  gutt  angeschlossen  (bez.  in  später  zeit  nach 
ihm  gebildet)  werden  konnte.1)  Das  seltene  isl.  hräsinn  ist  wol 
in  später  zeit  nach  hräsni  gebildet  worden. 

Bei  der  beurteilung  der  lautentwickelung  *brostan*  >  bro- 
stenn,  brostinn  etc.,  Ööan*>  Oöenn,  ÖÖinn  etc.  von  einem  all- 
gemeineren gesichtspunkt  muss  man  beachten,  dass  die  con- 
sonanten,  welche  dem  -an-  folgen,  f actisch  *,  s,  t  sind.  Der 
laut  r  hatte  in  der  alten  spräche  ein  i-element,  da  er  palatal- 
umlaut  bewirkt:  kaR  >  her  etc.  In  den  nord.  sprachen  hat 
auch  s  ein  t-element.  Joh.Storm,  Norvegia  1, 89  anm.2  bemerkt: 
'der  Zischlaut  s  hat  etwas  das  an  den  vocal  t  erinnert',  und 
das  neudän.  verwendet  einen  i-ähnlichen  laut  vor  -s  in  silben 
mit  infortis:  haves,  gives  etc.  (Jespersen,  Dania  1, 70).  Im  jüngeren 
aschw.  bleibt  das  ältere  t  in  levissilbe  vor  s  erhalten  und  geht 
nicht  wie  sonst  in  e  über,  z.  b.  Iwris  (Kock,  Fsv.  ljndl.  2, 272); 
das  ältere  neudän.  verwendet  die  endung  -is,  z.  b.  dragis,  obwol 
es  sonst  in  infortissilbe  e  hat  (bürde  etc.,  Kock,  Arkiv  n.f.  1,86). 
Auch  vor  -t  bleibt  im  jüngeren  aschw.  der  endvocal  •*  erhalten, 
z.  b.  funnit  (Fsv.  ljudl.  2, 272  f.).  Unter  diesen  umständen  ist 
es  leicht  möglich,  dass  die  hier  hervorgehobene  natur  des  r,  s,  t 
eine  rolle  spielte,  als  a  mit  infortis  vor  n«,  ns,  nt  zu  e,  i  wurde. 

Ich  glaube  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden  zu  können, 
inwieweit  das  n  in  gemeinnord.  zeit  in  dieser  Stellung  pa- 
latal  oder  dental  war.2)  Arkiv  n.f.  5,  254  ff.  (vgl.  teilweise 
schon  Äström,  Sv.  landsm.  6,  no.  6,  s.  109  ft)  habe  ich  gelegen- 
heit  gehabt  nachzuweisen,  dass  die  alte  nord.  spräche  in  be- 
stimmten Stellungen  supradentales  n,  in  anderen  nicht  supra- 
dentales n  hatte,  sowie  dass  der  »-laut  in  silben  mit  infortis 
nicht  supradental  war.   Gegen  die  annähme,  dass  dieses  nicht 

»)  [Doch  wahrscheinlich  -m-,  das  sich  vielleicht  auch  in  tdlm  findet; 
b.  jeUt  z.  t  Torp  og  Falk,  Lydhiat.  8.  97  f.] 

*)  VieUeicht  ist  die  entwickelnng  a  >  ce  im  prononien  Kann  >  ha*, 
etn  im  aschw.  (Westgütagesetx)  entstanden,  wenn  das  wort  infortis  hatte,  in- 
dem dem  a  ein  palatales  n  bez.  n  +  n  (*hanR)  nachfolgte.  Man  beachte 
auch  isl.  an  :  en(n),  aschw.  cen  'anam'. 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNOBD.  SPRACHEN.  503 


supradentale  »  in  infortissilbe  vor  «,  s,  t  palatal  war,  spricht 
wol,  dass  das  l  in  entsprechender  Stellung  schwerlich  palatal 
gewesen  sein  kann;  man  hat  nämlich  isl.  nom.  atall  (<  *atal*) 
gen.  atals  etc.  (nicht  *atül,  *atils  etc.).  Wenn  hinwiderum  der 
»-laut  schon  in  urnord.  *brostan*  etc.  palatal  war,  so  ist  die 
gemeinnord.  entwickelung  *brostanx  >  brostenn  ausserordentlich 
nahe  verwant  mit  der  in  norwegischen  mundarten  begegnenden 
entwickelung  hcestann  (isl.  hestarnir)  >  hcestcPtin,  borenn  >  berinn. 

Diese  frage,  inwieweit  der  nicht  supradentale  »-laut  in 
gemeinnord.  zeit  palatal  oder  dental  war,  ist  aber  für  die 
eigentlich  hier  behandelte  frage  von  untergeordneter  bedeutung, 
denn  nach  dem  oben  angeführten  dürfte  constatiert  sein,  dass 
a  in  infortissilbe  vor  »  -f  consonant  zu  e,  i  wurde.  In  dieser 
Stellung  war  der  »-laut  nicht  supradental. 


Der  Wechsel  u :  o  im  part.  pass.  der  ostnord.  sprachen. 

Es  muss  erörtert  wTerden,  warum  viele  partt.  pass.  welche 
im  isl.  a- umlaut  von  u  zeigen,  im  ostnord.,  und  besonders  im 
aschw.,  unumgelauteten  vocal  bez.  einen  Wechsel  von  unum- 
gelautetem  und  umgelautetem  vocal  haben,  z.  b.  isl.  sloppinn  : 
neuschw.  sluppen. 

Der  «-laut  solcher  ostnord.  formen  ist  späten  Ursprungs, 
und  er  ist  wenigstens  wesentlich  auf  analogischem  wege  ent- 
standen. Dies  geht  schon  daraus  hervor,  dass  das  isl.  (welches 
wie  bekannt  im  allgemeinen  einen  altertümlicheren  Standpunkt 
als  das  aschw.  einnimmt)  den  vocal  o  hat,  während  sich  im 
aschw.  oft  ein  Wechsel  o :  u,  im  neuschw.  nur  u  findet. 

Dies  ist  der  fall  z.  b.  in 


Excurs  1. 


sloppinn 

oorgtnn 

holpt'nn 

brotinn 

flotinn 

froßin 

boßinn 

gotinn 

kropmn 


aschw. 
sloppin,  duppin 
borghtn,  burghtn 


sluppen 
bürgen  (a^j.) 


nschw. 


holpin,  huipin 
brotin,  bridin 
flotin,  flutin 
frosin,  frusin 
bopin,  bupin 
gotinf  gutin 
\ropinf  KTuptn 


hulpetx 
brüten 
fluten 
frusen 


gjuten1) 
krupen 


buden  (bjuden1)) 


»)  Das  j  ist  au*  bjuda,  gjuta  übertragen  worden. 


504 


KOCK 


aschw. 

nschw. 

nohnn 

notit,  nutit 

njuttt1) 

sopinn 

sopin,  su/w'n 

s(j)uden 

skotom 

skotin,  skutin 

skjuten*) 

borinn 

borin,  burin 

buren 

skorinn 

skorin,  skttrin 

skurtn 

stolinn 

Von  anderen  verben  ist  schon  im  aschw.  nur  die  u-form 
belegt,  z.  b.  isL  boginn,  aschw.  niperbughin,  isl.  floginn,  aschw. 
flughin,  nschw.  flugen,  isl.  lotinn,  aschw.  lutit,  nschw.  ljutit,  isL 
lostinn,  aschw.  lustin,  isl.  loginn,  aschw.  %Aw,  nschw.  Ijugit, 
isl.  soginn,  aschw.  nschw.  sug(h)it,  isl.  strokinn,  aschw.  strukin, 
nschw.  struken,  isl.  sopinn,  aschw.  supm>  nschw.  su/>e»,  isl.  fcro- 
stinn,  aschw.  brustin,  nschw.  brüsten,  isl.  soltinn,  aschw.  swftw, 
nschw.  «twJttt.  Nur  selten  ist  im  aschw.  die  o-form  allein  belegt, 
z.  b.  isl.  Jclofinn,  aschw.  klowin,  nschw.  klufven. 

Dass  das  u  in  diese  partt.  analogisch  eingeführt  worden 
ist,  geht  aber  vor  allen  dingen  aus  einer  musterung  der  vocale 
dieser  partt.  in  den  verschiedenen  ostnord.  dialekten  hervor.3) 

Das  altjutl.  (Jyske  lov)  hat  im  allgemeinen  in  denselben 
partt.  wie  das  isl.  das  o  beibehalten:  stolcen,  borcen,  skorcen  — 
floghcen,  brotcen  (brot),  skotcen  (vt  skot),  bothcen.  Eine  ausnähme 
macht  das  einzige  hergehörige  verb  mit  dem  ablaut  e  :  a  :  u :  o 
im  isl.,  nämlich  das  altjütl.  part,  wrthen.  Dies  beruht  natürlich 
auf  analogischem  einfluss  seitens  der  zahlreichen  verben  von 
dem  typus  brann  :  brunnu  :  brunninn,  fann  :  funnu  :  funninn 
etc.  Da  man  neben  diesen  varp  :  ur]m  :  orpinn  hatte,  so 
vertauschte  man  orpinn  gegen  urpinn  (wrthen). 

Im  altschonischen  bleibt  o  in  den  verben  dieses  typus 
(isl.  bera  :  bar  :  bfiru  :  borinn)  erhalten:  aschon.  boret,  skorit, 
stolcen.   Sowol  in  den  verben  des  typus  verpa  wie  auch  in  den 


')  Das  j  ist  aus  njuta  übertragen  worden. 
*)  Das  j  aus  skjuta  übertragen. 

•)  Vgl.  betreffs  der  factischen  mitteilnngen  Lyngby,  Antiqvarisk  tid- 
skrift  1858 — 60  s.247.  Udsagnsordenes  böjning  i  jyske  lov  og  i  den  jyske 
sprogart  b.  15  ff.  Collin-Schlyters  glossare.  Zetterberg,  Bjärköarftttens  ljod- 
och  böjningslära  s.  93  ff.  Machule,  Die  lautlichen  Verhältnisse  und  die  Ter- 
bale  flexion  des  schoniscben  land-  und  kirchenrechtes  s.  31  ff.  Diese  gelehrten 
ziehen  aber  aus  dem  materiale  nicht  dieselben  schlnssfolgerungen  wie  ich. 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  505 

verben  des  typns  biüpa  ist  das  o  gegen  u  vertauscht  worden: 
;t schon,  urpit,  burghit,  bupit,  brutin,  lutit,  lukit.*) 

Das  altwestgötische  nimmt  wesentlich  dieselbe  Stellung 
wie  das  altschonische  ein.  Collin-Schlyters  glossar  zum  West- 
götagesetz  verzeichnet  nämlich  folgende  partt.:  borin,  stolet, 
stolin  (und  stulin),  svoren  (svoret,  s[v]ornum),  soven  Bönniens', 
aber  sowol  guldin,  guldit,  hulpit,  vurßin  wie  buden,  lukin,  lughin, 
lustin.  Die  für  Lödöse  in  Westergötland  geschriebene  hs.  des 
Biserkearaetter  hat  bomir  (zu  bcera),  skornir  (und  vt  skurin  zu 
skcera),  slolnom,  piufstolit  (neben  strulit,  das  fehlerhaft  statt 
stulit  zu  sticela  steht)  und  einmal  in  fulghit,  aber  ausschliess- 
lich mit  u  sowol  wrpit,  matburghit  wie  bupin,  bupit,  brutit. 

Im  altschonischen  und  altwestgötischen  ist  die  analogische 
einwirkung  einen  schritt  weiter  gegangen  als  im  altjütländischen. 
Nach  brunnu :  brunninn,  funnu :  funninn  etc.  sind  in  den  verben 
bupu :  bopinn  etc.  mit  kurzer  Wurzelsilbe  die  partt.  bopinn  gegen 
bupin  etc.  vertauscht  worden.2)  Dabei  hat  natürlich  auch  die 
analogie  von  urpu  :  urpinn  etc.  eine  rolle  gespielt.  Da  aber 
das  praet.  pl.  zu  bcera  nicht  *buru,  sondern  bäru  lautete,  so 
blieb  im  aschon.  und  awestgöt.  bäru  :  borit  erhalten,  und  borit 
wurde  nicht  durch  burit  ersetzt.  Dies  gilt  auch  von  skorit, 
stolit.  Das  part.  sotvin  ist  geblieben,  weil  das  praet.  pl.  söwo 
hiess  (und  der  inf.  söwa). 

Im  Östgötagesetz  dagegen  werden  nach  dem  glossar  von 
Collin-Schlyter  participien  mit  11  gebraucht:  sowol  stulin,  burin, 
surin  (zu  swoeria)  wie  burghit,  hurwit  (zu  hwcerwa),  vurpit  und 
brutin,  rutvit,  lukin.  Hier  hat  die  analogie  noch  weiter  um  sich 
gegriffen,  indem  auch  borin  etc.  gegen  burinn  etc.  vertauscht 
worden  sind.  Nur  ganz  wenige  verben  gehören  dieser  gruppe 
an  (partt.  borit,  skorit,  stolit,  sowit).  Nachdem  man  in  der 
soeben  dargelegten  weise  varp  :  (w)urpin,  halp :  hulpin,  galt  : 
guldin  etc.  bekommen  hatte,  wurden  nach  diesen  mustern  in 


')  Die  nendän.  reichssprache  stimmt  in  dieser  beziehung  hauptsächlich 
mit  dem  aschon.  überein:  nendän.  haaren,  skaaren,  stjaalen  «  stolen),  aber 
buden,  budt,  brudt  (als  adjectiv  brwlen,  broddcn),  skudt;  doch  fros&en, 
[vorden]. 

»)  In  dieser  weise  erklären  sich  auch  die  seltenen  anorw.  bupinn, 
lutinn,  isl.  lukinn,  welche  von  Noreen,  Aisl.  gr.»  §  412  anni.  2,  §  414  anm.  I 
erwähnt,  aber  nicht  erklärt  werde». 


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506 


KOCK 


den  verben  bar  :  borit,  skar  :  skorit,  stal  :  stolit,  swaf  :  sowit 
die  partt,  borit  etc.  gegen  burit  etc.  vertauscht  Hiermit  ist  zu 
vergleichen,  dass  die  analogische  Umbildung  im  nschw.  noch 
weiter  gegangen  ist.  Nach  halp  :  hulpo  :  hulpen  etc.  sind  in 
bar :  6dro  :  buren  etc.  die  praett.  pl.  bäro  etc.  durch  &t*ro  etc. 
ersetzt  worden.1) 

Im  schwedischen  ist  das  ältere  o  auch  in  den  als  adj. 
benutzten  isl.  lopinn  :  aschw.  lopin,  lupin  :  nschw.  ludeny  isL 
rotinn  :  aschw.  rotin,  rutin  :  nschw.  rutten  durch  das  jüngere  n 
ersetzt  worden.  Auch  dies  kann  durch  analogischen  ein  flu» 
erklärt  werden.  Da  man  einen  Wechsel  borin  :  burin,  flotin  : 
flutin  etc.  in  grosser  ausdehnung  hatte,  bildete  man  zu  lojrin, 
rotin  die  nebenformen  lupin,  rutin,  welche  nachher  (ebenso 
wie  burin,  flutin  etc.)  den  sieg  davontrugen.  Das  ndan.  aber 
hat  immer  lodden,  rodden  erhalten. 

Möglicherweise  hat  bei  freier  wähl  zwischen  o  :  u  in 
der  Wurzelsilbe  der  umstand,  dass  die  ultima  der  discutierten 
participien  einen  Maut  enthielt,  die  durchfuhrung  des  u  be- 
fördert; vgl.  Äström,  Sv.  landsm.  6,  no.  6,  s.  41.  Kock,  Arkiv  n.  f. 
2, 14.  5, 245. 

Excurs  2. 
Zur  frage  nach  dem  palatalumlaut. 

Schon  oben  habe  ich  hervorgehoben,  dass  kein  zweifei 
darüber  obwalten  kann,  dass  die  palatalen  consonanten  bei  der 
hervorbringung  des  i'-umlauts,  z.  b.  in  isl.  part.  ekinn  etc.,  eine 
rolle  gespielt  haben.  Durch  die  erörterung  des  Übergangs 
*brostanR  >  brostenn,  brostinn  etc.  dürfte  dies  noch  mehr  be- 
stätigt worden  sein. 

Gewisse  fragen  betreffs  des  palatalumlauts  sind  aber  bis 
jetzt  nicht  in  genügender  weise  erörtert  worden. 

«)  In  ähnlicher  weise  erklären  sich  die  seltenen  praet.  pl.  isl.  syngum 
statt  sungum  (zu  syngva),  anorw.  vorpum  statt  vurpum  (zu  verpa),  aschw. 
sloppom  statt  sluppom  (ru  slippa):  die  wnreelvocale  sind  ans  den  partt. 
synginn,  orpinn,  sloppin  übertragen  worden.  Im  aschw.  praet.  pl.  tmrpo, 
part.  vurpin  >  nschw.  vordo,  vorden  wurde  das  u  vor  rd  lautgeset*lich  zn  o 
(Kock,  Arkiv  n.  f.  5,  247).  Dnrch  den  einfluss  des  praes.  sofva  hat  das  part 
sofvit  in  der  nschw.  reichssprache  noch  immer  sein  o  erhalten,  lieber  da? 
part.  ajütl.  kommt,  aschon.  kummin,  kommit,  awestgöt.  kummin,  kamen, 
aostgöt,  kumin,  komm  8.  unten. 


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DER  4-UMLAÜT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  8PRACHEN.  507 

Eine  solche  frage  ist  die,  ob  der  palatalumlaut  in  der- 
selben ausdehnung  im  westnord.  wie  im  ostnord.  durchgeführt 
worden  ist.  Eine  zweite,  ob  der  palatalumlaut  gleichzeitig 
mit  dem  gewöhnlichen  (jüngeren)  t-umlaut  oder  zu  einer 
anderen  zeit  eingetreten  ist.  Eine  dritte  endlich,  ob  es  der 
palat&l  als  solcher  ist,  der  den  umlaut  hervorgerufen,  oder  ob 
der  palatal  (z.  b.  in  akenn)  einen  frühen  Übergang  des  end- 
vocals  e  in  i  (akinn)  veranlasste,  wonach  dieser  t-laut  ebenso 
wie  andere  i-laute  in  gewöhnlicher  weise  t-umlaut  bewirkte. 

Die  erste  dieser  fragen  muss,  so  viel  ich  sehe,  dahin  be- 
antwortet werden,  dass  im  westnord.,  oder  wenigstens  in  den 
dialekten,  aus  welchen  sich  die  isl.  literatursprache  entwickelt 
hat,  nur  a,  nicht  aber  andere  gutturalen  vocale  palatalumlaut 
bekommen  haben;  dagegen  waren  im  ostnord.,  wenigstens  dia- 
lektisch, auch  andere  gutturale  vocale  dem  palatalumlaut 
unterworfen. 

Die  regel  für  das  isl.  ergibt  sich  aus  den  umgelauteten 
partt.  eJdnn,  dreginn  etc.  (vgl.  s.  487)  im  vergleich  mit  den 
nicht  umgelauteten  sprunginn,  stunginn,  dntkkinn,  bolginn, 
solginn,  bor  ginn,  folginn,  brugginn,  hnugginn,  tugginn,  slunginn, 
sunginn,  prunginn,  hrokkinn,  sokkinn,  boginn,  flokinn,  fokinn, 
loginn  etc.,  aukinn. 

Wie  bekannt  haben  die  verschiedenen  formen  der  starken 
verben  sich  sehr  oft  gegenseitig  beeinflusst,  und  die  vocalisation 
des  praes.  ist  besonders  oft  auf  andere  formen  übertragen 
worden  (vgl.  s.  496).  Wenn  sich  im  isl.  neben  part.  sunginn 
zu  syngva  auch  synginn  findet,  so  hat  diese  form  ihr  y  aus 
dem  praes.  bekommen.  Umgekehrt  rührt  das  a  im  part.  han- 
ginn, fanginn  (neben  fenginn)  teils  aus  hanga,  fanga,*)  teils 
aus  den  synkopierten  casus  hangnir,  fangnir  etc.  her. 

Der  palatalumlaut  von  a  findet  sich  ausserdem  in  isl. 
dreki,  fleki  (neben  flaki),  afreki  (neben  afraki),  wol  auch  in  dat. 
sg.  degi  (zu  dagr\  vielleicht  in  segi  (vgl.  aschw.  saghi;  im  isl. 
jedoch  auch  sigi,  vgl.  teils  Kock,  Medeltidsordspräk  2, 68,  teils 
Bugge,  Arkiv  n.  f.  6, 87).   Ursprünglich  flectierte  man  wie  be- 

>)  Im  aschw.  findet  sich  fanga  neben  fa  und  die  existenz  eines  isl. 
f«nga  geht  ans  dem  praes.  conj.  fangt  hervor;  vgl.  Noreen,  Aisl.  gr.*  §  431 
anm.  1. 


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508 


KOCK 


kannt  fleki :  fldka  etc.;  später  ist  das  a  auch  in  den  nom.  flaki 
analogisch  eingedrungen. 

Neben  den  isl.  partt.  genginn,  fenginn  kommen  auch  gin- 
ginn,  finginn,  und  in  praes.  sg.  kommt  neben  gengr  auch  gingr 
(Jön  Thorkelsson,  Beyging  sterkra  sagnoröa  s.  143)  vor.  In  der 
Aisl.  gr.2  §  431  anm.  1  und  5  ist  Noreen  der  ansieht,  dass  die 
partt.  ginginn,  finginn  die  inff.  *ginga,  *finga  voraussetzen,  und 
dass  das  praes.  gingr  mit  lit.  zengiu  zusammenzustellen  sei  Ich 
kann  mir  diese  auffassung  nicht  zu  eigen  machen.  Schon 
Bugge  hat,  Arkiv  2, 224,  bemerkt:  'das  durch  /-  um  laut  aus  a 
entstandene  e  in  forengi  [<  *forgengi]  ist  in  i  in  foringi  ebenso 
wie  in  finginn,  ginginn  übergegangen.  Bei  forengi  >  foringi 
wirkte  der  umstand  mit,  dass  e  nicht  den  hauptton  hatte'. 

Ich  bin  der  meinung,  dass  ein  durch  i-umlaut  (es  sei  durch 
gewöhnlichen  t-umlaut  oder  durch  palatalumlaut)  entwickeltes 
e  vor  ng  in  semifortis-  und  infortissilbe  weiter  zu  i  wurde; 
es  ist  vielleicht  auch  eine  bedingung  für  diese  lautentwicke- 
lung,  dass  der  laut  Verbindung  -eng-  entweder  ein  g  vorhei- 
gieng  oder  ein  i  nachfolgte.  Dagegen  bleibt  e  in  der  fortis- 
silbe  unter  im  übrigen  gleichen  bedingungen  erhalten.  Bei- 
spiele: *forgengi  (vgl.  got.  faüragaggja)  >  *forgingi  >  foringi; 
*unngengi  >  *unngingi  >  unningi,  *värgengi  >  *vdrgingi  > 
veeringi,  *ofrgengi  >  *ofrgingi  >  ofringi.  In  gleicher  weise 
entwickelte  sich  -genginn  zu  -ginginn  im  zweiten  gliede  der 
zahlreichen  composita  (juxtapositionen)  :  upp-,  a-,  fram-,  um- 
genginn  >  uppginginn  etc.  Dass  solche  juxtapositionen  auf 
dem  ersten  (nicht  auf  dem  zweiten)  juxtapositionsglied  fortis 
hatten,  geht  aus  der  (dialektischen)  acc.  1  von  utgdngen,  in- 
gängen  etc.  im  nschw.  hervor.  Als  simplex  blieb  dagegen 
genginn  erhalten.  Nachher  konnten  genginn  und  ginginn  durch 
gegenseitige  beeinflussung  sowol  als  simplex  wie  in  der  com- 
position  benutzt  werden. 

Der  Wechsel  gingr :  gengr  ist  in  derselben  weise  zu  er- 
klären. Heutzutage  accentuiert  man  im  nschw.  gär  üt  etc. 
mit  infortis  auf  gär  und  fortis  auf  ut  (vgl.  nhd.  er  gtht  aus). 
In  den  isl.  juxtapositionen  gengr-(tt,  gengr-inn  etc.  wurde  gengr 
lautgesetzlich  zu  gingr  \  als  simplex  blieb  aber  gengr  erhalten. 

Im  zweiten  gliede  der  juxtapositionen  ist  -fenginn  zu  -fin- 
ginn entwickelt  worden. 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  509 


Der  palatalumlaut  von  a  findet  sich  in  einigen  ostnord. 
Wörtern  wider:  part.  drceghin  (neben  draghin),  slceghin  (neben 
slaghin),  Opwwghinsporp  (neben pwaghin),  gamgin  (neben  gangin), 
part.  ßngin  (<  *famgin;  neben  fangin),  praes.  conj.  taki  (<  taki 
zu  taka),  dat.  sg.  daghi  (zu  dagher). !)  Der  gen.  Dregha-  (Drcegha-) 
im  Ortsnamen  Dreghastadha  kann  sich  zu  Dragha  (nom.  Draght) 
verhalten  wie  isl.  fleht  zu  flaki  etc.  Auch  in  dem  seltenen 
nwkin  (Birg.  IV)  statt  na&tn  kann  palatalumlaut  vorliegen. 
Dagegen  ist  das  ältere  ce  in  den  aschw.  partt.  akin,  flaghin, 
gnagin,  takin  durch  den  einfluss  der  synkopierten  casus  aknir 
etc.  und  der  praess.  aka,  gnaga,  taka  von  a  verdrängt  worden. 
Das  adän.  (wenigstens  das  altjütländische  und  altschonische) 
hat  in  den  partt.  dragcet,  fangest,  gangeet,  ajütl.  takam  keinen 
umlaut.  Im  aschon.  dagegen  heisst  das  part  neben  takit  auch 
toekit,  teekin  (infin.  takas  und  twkw).  Der  «-laut  ist  in  twka 
(neben  taka)  aus  dem  praes.  sg.  teekwr  (vgl.  isl.  tekr)  ein- 
gedrungen. Das  part.  teekit  kann  palatalumlaut  enthalten,  kann 
aber  auch  sein  ce  analogisch  aus  twkeer  (tmkm)  bekommen  haben. 

Im  ostnord.  findet  aber  der  palatalumlaut  (wenigstens  dia- 
lektisch) auch  bei  u  und  o  statt,  z.  b.  in  aschw.  adän.  Tyke  (vgl. 
das  nicht  umgelautete  latinisierte  Tuco)  und  wol  auch  (vor  rk, 
rg)  in  aschw.  adän.  Therkil,  Therkel,  aschw.  Thyrkil,  der  adän. 
frauenname  Tyrckel,  aschw.  adän.  (latin.)  Thyrgerus  (<  Pur- 
geirr).  Thyrkil,  Therkil  sind  aus  Parkotil  bez.  Pörkaitil  ent- 
standen. Hierher  können  auch  gerechnet  werden  die  partt  aschw. 
drykkith  (einmal  in  SGG.  st.  des  normalen  drukkit),  brygget 
(einmal  in  BSH.  aus  dem  jähre  1502;  statt  bruggit),  [kaum 
thryskit,  einmal  im  Cod.  bildst.  neben  thruskin],  adän.  (aschon.) 
heggeet  (einmal  statt  hoggit)*)  Der  gebrauch  des  part.  drykkin 
neben  drukkin  scheint  durch  aschw.  drykkinskaper  (neben 
drukkinskaper),  nschw.  dryckenskap  bestätigt  zu  werden  (vgl. 


')  Vgl.  z.  t.  Noreen,  Arkiv  1, 153  anra.  Er  ist  jedoch  dort  geneigt  die 
Wörter  andere  zn  erklären,  und  in  der  jüngst  erschienenen  Aschw.  grainm. 
heft  1  scheint  er  der  ansieht  zu  sein,  dass  sie  gewöhnlichen  i-unilaut  ent- 
halten. Adj.  feeghin  gehört  nicht  hierher;  es  hat  gewöhnlichen  i-umlaut, 
der  dnreh  das  suffix  -in-  (vgl.  got.  fagin&n)  bewirkt  worden  ist. 

»)  Das  zweimal  belegte  aschw.  slyng{h)o  (3.  pl.  praet.  zu  üiunga)  statt 
»lungo  setzt  vielleicht  ein  part.  *slyngin  (neben  slungin)  voraus,  aus  wel- 
chem y  in  das  praet.  pl.  übertragen  worden  ist;  vgl.  s.  506  anm. 


510 


KOCK 


Tamm,  Avledningsändelser  hos  svenska  Substantiv  s.  14).  Doch 
muss  bemerkt  werden,  dass  der  wurzelvocal  der  partt.  brygget, 
thryskii,  heggcet  aus  den  infin.  aschw.  bryggia,  pryskia,  adän. 
(aschon.)  heggia  hat  entlehnt  werden  können. 

In  den  Verhandl.  der  28.  Versammlung  deutscher  philologen 
und  Schulmänner  (Leipz.  1873)  s.  192  spricht  sich  Sievers  über 
den  umlaut  von  ä  in  isl.  sieginn  etc.  folgendermassen  aus:  'es 
muss  ...  in  der  natur  der  gutturale  etwas  den  umlaut  beför- 
derndes gelegen  haben;  denn  bekanntlich  besitzt  unursprüng- 
liches  d.  h.  erst  nach  der  trennung  der  einzelnen  germanischen 
sprachen  aus  a  etc.  geschwächtes  t  sonst  nicht  die  fähigkeit 
umzulauten,  oder  mit  anderen  Worten,  es  war  die  periode  des 
eintritts  der  mouillierung  bereits  vorüber,  als  jene  Schwächungen 
eintraten.'  Dagegen  opponiert  Läffler,  Tidskr.  f.  fiL  NR.  2, 274 
anm.  und  Om  r-omljudet  af  t,  i  och  ei  s.5f.  Er  ist  der  an- 
sieht, dass  der  palatale  consonant  den  nachfolgenden  vocal  so 
beeinflusst  habe,  dass  er  schon  vor  dem  ende  der  t-umlauts- 
periode  in  i  übergegangen  sei,  wonach  der  gewöhnliche  i-um- 
laut  in  slaginn  >  sleginn  etc.  sei  durchgeführt  worden.  Nach 
ihm  ist  also  der  umlaut  nicht  unmittelbar  von  dem  consonanten 
hervorgerufen  worden. 

Ich  glaube  (im  gegensatz  zu  meiner  bemerkung  Beitr.  18,425 
anm.),  dass  Sievers  betreffs  dieser  frage  das  richtige  gesehen 
hat,  wenigstens  sofern  unsere  jetzige  kenntnis  des  palatal- 
umlauts  im  isl.  für  die  beurteilung  hinreicht. 

Der  gewöhnliche  jüngere  t-  umlaut  betrifft  im  west-  und 
ostnord.  sowol  das  u,  o  (z.  b.  pl.  *suni*  >  synir,  *soni*  >  senir) 
wie  das  a  (z.  b.  pl.  *wandiR  >  vendir).  Der  palatalumlaut  aber 
wird  im  isl.  (wenigstens  soweit  wir  bis  jetzt  wissen)  nur  bei  ä 
(nicht  bei  u,  6)  z.  b.  gangenn  >  genginn  durchgeführt  Wenn 
der  t-laut  der  ultima  von  genginn  und  der  in  synir  zu  gleicher 
zeit  eingetreten  und  durch  den  t-laut  der  ultima  hervorgerufen 
worden  wären,  so  hätte  der  ^-laut  in  sprtmgenn  den  vocal  der 
ultima  in  ähnlicher  weise  beeinflussen  müssen,  so  dass  man 
sprunginn  mit  i  in  der  ultima  vor  dem  ende  der  gewöhnlichen 
jüngeren  t-umlautsperiode  bekommen  hätte,  und  dies  sprungin* 
hätte  dann  zu  *sprynginn  werden  müssen.  Dies  ist  aber  nicht 
der  fall.   Der  umlaut  in  synir  und  der  in  genginn  müssen  also 


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DER  ,4 -UM LAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  511 

zu  verschiedenen  Zeiten  durchgeführt  und  von  z.  t.  verschiedenen 
factoren  bewirkt  worden  sein. 

Nach  der  durchfuhrung  des  gewöhnlichen  jüngeren  »-Um- 
lauts in  sunt*  >  synir  etc.  hat  der  zwischen  k,  g  und  einem 
folgenden  palatalen  vocale  (e,  ce)  entwickelte  j'-laut  den  umlaut 
bei  ä  im  isl.  (z.  b.  gang{enn  >  gengienn,  später  genginn)  hervor- 
gerufen. Wenn  dieser  umlaut  im  isl.  nur  bei  a  (nicht  bei  «,  o) 
bewirkt  wurde,  so  ist  hiermit  zu  vergleichen,  dass  der  i-umlaut 
im  ahd.  zuerst  nur  bei  a  (nicht  bei  den  anderen  gutturalen 
vocalen)  durchgeführt  wurde  ( Kauf f mann.  Geschichte  d.  schwä- 
bischen nun  klart  s.  152).  Im  ostnord.  dagegen  bewirkt  der  nach 
k,  g  entwickelte  j-laut  umlaut  auch  bei  u,  o.  Das  latinisierte 
Thyrgerus,  welches  ein  ostnord.  Pyrger  <  *Pnrgeirr  voraus- 
setzt, macht  wahrscheinlich,  dass  ein  »-laut  der  folgenden 
silbe  keine  notwendige  bedingung  für  das  eintreten  des  palatal- 
umlauts  ist,  sondern  Pürger,  Purgier  ausgesprochen,  ist  in 
Pyrgevius)  umgelautet  worden.  Denn  es  ist  wol  nicht  wahr- 
scheinlich, dass  Pyrger{us)  y  analogisch  aus  Pyrgisl,  Pyrbiorn 
etc.  bekommen  habe. 

II.  Zur  frage  nach  dem     umlaut  vou  u  in  den 

altnord.  sprachen. 

Wie  bekannt  fasst  man  gewöhnlich  den  a-umlaut  von  u 
gänzlich  als  eine  urgerm.  erscheinung  auf,  und  man  formuliert 
die  regel  folgendermassen:  'vor  ä,  d,  &  in  der  folgenden  silbe 
wird  u  urgerm.  zu  o,  sofern  nicht  entweder  nasal  +  consonant 
oder  i  zwischen  den  beiden  vocalen  steht.' 

Ich  will  unten  darzulegen  versuchen,  dass  nach  dem  zeugnis 
der  an.  sprachen  eine  solche  generelle  regel  in  urgerm.  zeit 
nicht  gegolten  hat. 

Dass  wirklich  der  a-umlaut  unter  gewissen  bedingungen 
in  einer  sehr  frühen  periode  der  urnord.  spräche  (vielleicht 
sogar  in  urgerm.  zeit)  eingetreten  ist,  lehren  einige  beispiele 
des  a- umlauts  in  den  urnord.  runeninschriften.  So  liest  man 
z.  b.  auf  dem  goldenen  hörne  acc.  sg.  horna  (<  *hurna)  und 
Holtingax,  sei  es  dass  dieser  personenname  eine  ableitung  von 
einem  personennamen  nom  *Hulta  :  gen.  *Holtann,  sei  es  dass 
er  eine  ableitung  von  einem  neutr.  subst.  *holta  (isl.  holt)  ist. 
Der  Tunestein  hat  worahto  (1.  sg.  praet.  =  isl.  orta).  Aus  später 


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512 


KOCK 


urnord.  zeit  finden  sich  hajmwolafa  (Gommor),  hqpuwolafx,  hart- 
wolafx,  borumn  (Stentofta),  orte  (By).1) 

Die  vocalisation  der  folgenden  Wörter  zeigt  aber,  dass  der 
a-umlant  wenigstens  nicht  in  allen  Stellungen  in  früher  ur- 
nord. (oder  gar  urgerm.)  zeit  eingetreten  ist. 

Das  isl.  hat  als  compositionsglied  frum-,  z.  b.  in  fruntburpr, 
frumferitt,  frumgiof,  frumhlaup  etc.  Diesem  isl.  frum-  ent- 
spricht got.  fruma-  in  frumabaür  'der  erstgeborene';  vgl.  auch 
got.  frums  m.  'anfang',  fruma  'der  erste'.  Da  das  -a-  des 
ersten  compositionsgliedes  urnord.  noch  erhalten  ist,  z.  b.  hk- 
wagastiR  (goldenes  horn),  fauauisa  (seeländ.  bracteat),  sfcifw]- 
PcUeuba*  (Skärkind),  so  muss  frumhlaup  urnord.  *frumahlaupa 
geheissen  haben.  Wenn  nun  das  a  in  fruma-  in  urgerm.  oder 
urnord.  zeit  umlaut  bewirkt  hätte,  so  hätte  man  isl.  *frotnhlaup 
etc.  (nicht  frumhlaup)  haben  müssen,  und  dies  ist  um  so  not- 
wendiger, als  es  kein  simplex  gibt,  aus  welchem  der  «-laut 
auf  frumhlaup  etc.  hat  übertragen  werden  können. 

Isl.  humarr  m.  ist  früher  flectiert  worden:  nom.  *humara*, 
gen.  *humarasf  dat.  Viumare,  acc.  *humara,  pl.  nom.  *humarö*, 
gen.  *humarö,  dat.  *humarom-,  acc.  Viumarann.  Ohne  zweifei 
wird  niemand  annehmen  wollen,  dass  der  vocal  der  zweiten 
silbe  in  dat.  sg.  und  nom.  gen.  dat.  pl.  (isl.  dat.  sg.  humri,  vgl. 
mmri  zu  sumarr  etc.)  vor  der  zeit  verloren  gegangen  sei,  wo 
z.  b.  die  inschrift  des  goldenen  hornes  eingeritzt  wurde.  Dass 
dies  auch  nicht  der  fall  gewesen  ist,  geht  übrigens  zur  genüge 
aus  dem  folgenden  hervor. 

Die  u-  und  i  -stamme  verloren  im  urnord.  (gemeinnord.) 
als  erste  compositionsglieder  mit  fortis  den  u-  bez.  /-laut  früher 
als  u,  i  in  den  entsprechenden  simplicia  verloren  giengen.  So 
wurde  z.  b.  *asumund-  früher  zu  asmund  als  z.  b.  der  acc.  sg. 
wgll  {voll)  aus  *wallu  entstand;  *kwäni-fang  wurde  früher  zu 
kvänfang  als  der  acc.  sg.  *hwani  zu  kvcBn  (ßugge,  Bidrag  til 
den  seldste  skaldedigtnings  historie  s.  8  ff.  Kock,  Arkiv  n.  f.  8, 

*)  otclßuPeicaR  (Torebjierg)  braucht  nicht  statt  \colpu}>eicatt,  das  (ana- 
logischen) a-umlaut  enthalten  würde,  geritzt  zu  sein.  I>a  in  dem  mit  den 
&lt.  runen  geritzten  teile  der  Räkinschrift  die  o-rune  den  ir-laut  (hoaa.  — 
Hicur),  die  M7-nine  aber  den  «-laut  (sagwm  =  sagum)  ausdrückt  (Bugge, 
Vitterheta  akademiens  handlingar  31  no.  3  s.  53.  41),  so  kann  owipufxtcaK 
die  ausspräche  wulpußewaa  bezeichnen. 


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DER  ^l-UMLAÜT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  513 

249  ff.).  Deshalb  hat  auch  z.  b.  der  a-stamm  hlewa-  in  hlewa- 
gastin  (isl.  *hkgestr)  den  a-laut  früher  als  das  simplex  *hlewa 
>  isL  hie  verlieren  müssen.  Da  sich  nun  auf  dem  goldenen 
hörne  hlewa-gastiR  findet,  auf  dem  seeländ.  bracteaten  faua-uisa 
etc.,  so  muss  zu  dieser  zeit  der  a-laut  der  zweiten  silbe  in 
allen  casus  von  humarr  erhalten  gewesen  sein  (nom.  sg. 
VmmaraR,  dat.  sg.  Viumare,  nom.  pl.  *humarö~R  etc.).  Bei  der 
gewöhnlichen  auffassung  des  a-umlauts  ist  es  aber  dann  un- 
begreiflich, warum  man  isl.  humarr  (nicht  *homarr)  hat;  vgl. 
horna  auf  dem  goldenen  hörne,  isl.  horn.  Dass  der  a-laut  im 
pl.  *humaröR  etc.  relativ  lange  erhalten  wurde,  wird  auch  durch 
das  erhaltene  i  in  tawido  (gold.  horn),  faihido  (Einang),  dalidun 
(Tune),  hlaaiwido  (Strand)  bestätigt. 

Isl.  sutnarr  m.,  aschw.  sumar  in.  kann  in  derselben  weise 
wie  isl.  humarr  beurteilt  werden.  Da  das  wort  aber  ursprüng- 
lich ein  neutrum  ist  (Joh.  Schmidt,  Neutra  s.  207),  und  das  isl. 
immer  sumar  n.  neben  sumarr  m.  hat,  so  ist  es  vielleicht  auch 
möglich,  dass  der  u-laut  aus  dem  nom.  acc.  pl.  sumur  n.  auf 
sumarr  m.  tibertragen  worden  ist. 

Neben  den  gewöhnlichen  composita  mit  Por-  (Porbiorn  etc.) 
.gibt  es  im  ostnord.  einige  damit  etymologisch  identische  Wörter 
auf  Thür-  und  (mit  t-umlaut)  Pyr-:  Thurgerus  (latinisiert), 
Thurbemus  (latinisiert),  Thyrbiern,  Pyrgüs  etc.  (vgl.  oben 
s.  509).  Isl.  Ponarr  (Pörr)  ist  früher  flectiert  worden:  nom. 
*PunaraR,  gen.  *Punaras,  dat.  *Punare,  acc.  *Punara,  und  das 
compositum  (lat.)  Thurgerus,  gemeinnord.  Purgeirr  ist  aus 
*Punara-gaiRaR  entstanden.  Wenn  der  a-umlaut  zu  gleicher 
zeit  in  *hurna  >  horna  und  in  *punaraR  >  *]>onaraR  (Ponarr), 
*Punara-  >  *ponara-  eingetreten  wäre,  so  ist  es  unmöglich, 
die  formen  mit  Pur-,  Pyr-  (Thurgerus,  Pyrgils  etc.)  zu  er- 
klären; man  hätte  dann  nämlich  in  allen  casus  von  Ponarr 
ebenso  wie  im  compositionsglied  Ponar-  o  bekommen  müssen. 

Während  die  isl.  partt.  folginn,  tropinn,  sofinn,  ofinn  a-um- 
laut haben,  fehlt  der  a-umlaut  in  den  partt.  numinn  (zu  nemo), 
suminn  (zu  svima),  obgleich  nema,  svima  derselben  verbalclasse 
wie  tropa  etc.  angehören.  Die  partt,  numinn,  suminn  müssen 
ebenso  wie  die  allermeisten  anderen  partt.  pass.  das  suffix  -an- 
gehabt haben:  urnord.  nom.  sg.  *nu manaR,  *sumanaR,  nom.  pl. 
*numanai,  *sumanai  etc.   Während  aber  *truÖanaR  (*trudanws) 

Beitrage  zur  getchicht«  der  deutschen  sprach«.    XXIII.  33 


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514 


KOCK 


zu  trojrinn  etc.  wurde,  haben  numinn,  suminn  keinen  a-umlaut.1) 
Ebenso  verhalt  es  sich  mit  dem  part.  aschw.  kumin,  adän. 
kumcen,  während  isl.  kominn  (aschw.  facultativ  auch  komin)  o 
bekommen  hat .  das  aus  praes.  koma  hat  übertragen  werden 
können  (dagegen  praes.  nema,  svima  mit  den  wurzelvocalen 
e,  i;  vgl.  auch  unten  s.  515). 

Isl.  sumr  hat  immer  den  wurzelvocal  ti  (aschw.  aber  noni. 
acc.  sg.  neutr.  somt  etc.  neben  sumber).  Auch  diese  vocalisa- 
tion  von  isl.  sumr  ist  schwierig,  wenn  auch  nicht  ganz  unmög- 
lich zu  erklären,  wenn  der  w-umlaut  zu  gleicher  zeit  in  *huma 
>  koma  und  in  nom.  sg.  *suman  (*sumajg)  eingetreten  wäre.1) 

Man  würde  möglicherweise  annehmen  wollen,  dass  der 
ti-laut  in  isl.  sumarr,  frutn-,  aschw.  Thurgerus  etc.  von  einer 
in  den  an.  sprachen  eingetretenen  entwickelung  o  >  u  vor 
nasal  herrühre,  und  zwar  in  der  weise,  dass  zuerst  z.b.  *hu 
maraz  zu  *homaraz,  *homarr  würde  und  nachher  *}u>marr  in 
humarr  übergienge.  Eine  solche  annähme  wäre  aber  nicht 
möglich.  Die  an.  sprachen  haben  nämlich  recht  oft  die  laut- 
verbindungen  -on-,  -om-;  ich  erinnere  z.b.  an  isl.  sonr,  gen. 
sonar,  bona,  konr,  konungr,  gen.  sg.  konar,  monvit,  skona 
'dienen',  koma,  broma  'bruchstück';  aschw.  son,  kona,  konunger, 
koma,  somt  etc.,  somliker,  brupkome  (neben  brußgumi)  etc. 

Ich  erkläre  das  Verhältnis  in  folgender  weise. 

Wie  bekannt  tritt  der  a-umlaut  nicht  ein,  wenn  die  Ver- 
bindung nasal  -f  consonant  dem  u  nachfolgt,  z.  b.  isl.  acc  sg. 
dumban,  inf.  kunna,  acc.  sg.  ungan. 

Die  annähme  liegt  deshalb  sehr  nahe,  dass  ein  nasal  ohne 
nachfolgendem  consonanten  das  eintreten  des  a-umlauts  zwar 
nicht  ganz,  aber  vorläufig  verhinderte.  In  urnord.  zeit 
wird  u  nicht  zu  o  vor  folgendem  a,  wenn  m  oder  » 
dem  u  nachfolgt;  erst  nachdem  der  mit  levissimus 

')  Ueber  anorw.  nomettn  b.  unten  s.  515  f. 

•)  Ich  erinnere  an  folgende  äiiaserung  von  Job.  Schmidt  anlässlich  des 
ahd.  isl.  sumar:  'das  u  vor  folgendem  a  ist  allein  durch  das  m  bedingt. 
Im  an.  steht  vor  m  stet«  u,  nicht  o  (Grimm  1»,443.  Holtzniann,  Altd.  gr. 
s.  73  f.),  desgleichen  im  ags.  (Grimm  1»,  340.  Holtemann  s.  184.  Sievera*  §  70), 
ebenso  mehrfach  im  as.  (Grimm  1 237.  Holtzmann  s.  139.  Heyne,  Kl.  as.  gr. 
s.  11).  Ohne  auf  diese  dinge  näher  einzugehen,  begnüge  ich  mich  ein  wort 
anzuführen,  welches  in  allen  germanischen  sprachen  u  hat,  an.  sumr,  ags. 
as.  ahd.  mm  =  a/io'c,  skr.  sama-a  enklit.'  (Neutra  ß.  208). 


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DER  A-ÜMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  515 

accentuierte  a-laut  der  zweiten  silbe  verloren  ge- 
gangen war,  wurde  der  o-umlaut  in  den  lautverbin- 
dungen  -um-,  -un-  durchgeführt 

Als  der  o-umlaut  in  *hurna  >  homa,  *hulta  'wald'  >  *holta 
(vgl.  Holtinga*)  etc.  durchgeführt  wurde,  blieb  das  u  in  sg. 
*sumaraR,  pl.  *$umarö*  etc.  noch  erhalten. 

Erst  nachdem  die  synkopierten  formen  dat.  sg.  sumre, 
nom.  pl.  sumra*  etc.  sich  entwickelt  hatten,  gieng  der  nom.  sg. 
sumarR  in  somarR,  somarr  (vgl.  aschw.  soniar,  nschw.  sommar) 
über.  In  den  synkopierten  sumraR  etc.  konnte  jetzt  ein  a-um- 
laut  nicht  eintreten,  weil  er  überhaupt  fehlt,  wenn  nasal  -f 
consonant  dem  u  nachfolgt;  auch  der  dat.  sg.  sumre  bekam 
natürlich  keinen  umlaut. 

Aus  den  synkopierten  casus  (sumraR,  sumre  etc.)  hat  das 
isl.  sumarr,  aschw.  sumar  den  wurzelvocal  bekommen,  während 
aschw.  sornar,  nschw.  sommar  die  lautgesetzliche  fortsetzung  von 
dem  nom.  sg.  somarR  etc.  ist. 

Wie  sumarr  sind  isl.  humarr,  neuisl.  humall  aufzufassen; 
der  Wechsel  isl.  pumaU  :  aschw.  pomal(finger)  erklärt  sich  in 
derselben  weise  wie  sumarr  :  somar. 

In  *fruma-hlaupa  etc.  war  der  a-laut  des  ersten  compo- 
sitionsgliedes  verloren  gegangen,  ehe  der  a-umlaut  relativ  spät 
in  den  lautverbindungen  -um-,  -un-  eintrat;  daher  isl.  frum- 
hlaup  etc. 

In  urnord.  zeit  wurde  ein  umlaut  im  nom.  sg.  *numanaR, 
nom.  pl.  m.  *numanai,  nom.  acc.  pl.  f.  *numanöR  etc.  nicht  durch- 
geführt, aber  die  partt.  isL  numinn,  aschw.  numm,  isl.  suminn, 
aschw.  sumit,  aschw.  Icumin,  adän.  kumatn  können  jedoch  auf  zwei 
etwas  verschiedene  weisen  aufgefasst  werden.  Der  a-umlaut 
in  z.  b.  sumarR  >  somar  kann  so  spät  eingetreten  sein,  dass 
*numanR  damals  schon  zu  *numenR  (numenn)  geworden  war. 
In  diesem  falle  haben  numinn,  suminn,  kumin  lautgesetzlich  u 
in  allen  casus.  Isl.  aschw.  komin(n)  hat  dann  das  o  aus  dem 
inf.  koma  bekommen  (vgl.  oben  s.  514),  und  der  o-laut  in  anorw. 
nomenn,  aschw.  nomin  (neben  numin)  ist  auch  analogisch  zu 
erklären.  Nach  den  verben  praet.  sväfu  :  part.  sofinn,  väfu  : 
ofinn,  kvämu  :  kominn  ist  das  part  des  verbs  nämu  :  numinn 
gegen  nomenn  vertauscht  worden. 

Es  ist  wol  aber  auch  möglich,  dass  der  a-umlaut  in 

33* 


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KOCK 


*sumarR  >  somarR  vor  der  zeit  eintrat,  wo  *numanR  zu  *numen* 
{numenn)  wurde,  aber  nachdem  sich  die  synkopierung  in  nom. 
acc.  pl.  fem.  *numanöR  >  numnar  etc.  schon  vollzogen  hatte. 
Wenn  dem  so  ist,  so  trat  der  a-umlaut  lautgesetzlich  in  *nu- 
man*  >  nominn  ein,  und  numinn  hat  m  aus  den  synkopierten 
casus  numnir,  numnar  etc.  bekommen;  so  kann  auch  kominn  : 
humin  erklärt  werden.') 

Urnord.  *]mnara-ga%RaR  gab  (vgl.  *humarö*  >  humrar), 
*punr-gaiRR,  sei  es  dass  die  entwickelung  *punara  -  gai*a*  > 
*punra-gai**  >  *punrgaiRR,  sei  es  dass  sie  *punara-gatRaR  > 
*Punar-ga%RR  >  *]>unr-gaiRR  war.  Aus  *punr-gai*R  wurde  laut- 
gesetzlich *pargeiRR,7)  aschw. Purger  (latin.  Thurgerus),  Pyrgfr 
(latin.  Thyrgerus,  vgl  s.  509).  Purgisl  entwickelte  sich  durch  den 
t-umlaut  zu  Pyrgils  etc. 

Es  sei  hier  hervorgehoben,  dass  man  bei  freier  wähl 
zwischen  o  :  u  in  gewissen  isl.  Wortklassen  den  nicht  umgelau- 
teten  vocal  u  gewählt  hat,  wenn  m  oder  n  nachfolgte;  sonst 
aber  meistenteils  o.  Unter  den  verben  welche  wie  isl.  vaka 
(got.  haban)  flectieren,  haben  brosa,  ylottu.  horfa,  loßa,  skotta, 
skorta,  tolla,  pola,  pora  das  umgelautete  o  (vgl.  auch  aschw. 
dogha  :  isl.  aschw.  dug(h)a),  aber  dagegen  una,~luma  das  nicht 
umgelautete  u.  Ebenso  verhält  es  sich  bei  den  masc.  n-stämmen. 
Sie  haben  im  isl.  gewöhnlich  o  (nicht  m),  z.  b.  isl.  flott,  spori,  losti, 
loghi,  stolpi  etc.;  dagegen  findet  sich  u  in  gumi,  shumi,  bruni, 
spuni,  runi. 

Der  vocalwechsel  im  isL  hunang  n.,  aschw.  hunagh  n, 
hunagher  m.  :  aschw.  honagh  n.,  honagher  m.  ist  in  folgender 


>)  Da«  seltene  isl.  kuma  und  die  ostnord.  wechselform  kutna  (neben 
koma)  haben  ihr  u  ans  dem  praes.  sg.  mkumiR  und  dem  part.  kuminn  bekommen. 

*)  Bei  dem  gemeinnord.  Verluste  von  n  in  der  lautverbindung  un  vor 
8,  r  etc.  wurde  un  zu  P  (nicht  zu  ö,  wie  Noreen,  Aisl.  gr.  §  83  mit  anm.  2 
nnd  noch  Aschw.  gr.  §  84,  2b  meint);  Tgl.  Kock,  Arkiv  n.  f.  1, 57  ff.  Bewei- 
send ist  besonders  aschw.  fus,  isl.  ß#8  «  *funs),  aber  aschw.  främßs,  run. 
Rtpfis,  isl  ßlfbss  mit  der  entwickelung  fl>  o  in  der  semifortissilbe.  Das 
wort  heisst  nämlich  aschw.  nicht,  wie  Noreen,  Aisl.  gr.  §  83  anm.  2  angibt, 
ßs,  sondern  (fast  immer)  fUs\  s.  Söderwalls  Wörterbuch.  Uebrigens  ist  die 
frage  nach  der  behandlung  von  -un-  vor  s,  r  etc.  eigentlich  ohne  belang 
für  die  erklärung  des  u  in  Thurgeru*  etc.  Denn  wenn  auch  -un-  vor  r  in 
ö  Ubergegangen  wäre,  so  wäre  damit  nicht  erklärt  worden,  wie  u  in  TAmt- 
^eru*  (Thyrgerus)  aus  einem  urgerm.  o  in  *Ponara-  hätte  entstehen  können. 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  517 

weise  zu  erklären  In  der  laut  Verbindung-  -un-  wurde  der  a-um- 
laut  vorläufig  nicht  durchgeführt.  Zu  einer  zeit  wo  der 
a-umlaut  in  kona  eint  rat,  ruhte  facultativ  fortis  auf  der  ultima 
von  hunäng,  ebenso  wie  die  ableitungsendungen  ~ing,  ~ung  im 
an.  oft  facultativ  fortis  hatten:  isl.  ten(n)ingr  etc.  (Kock,  Fsv. 
ljudlära  1, 50.  Svensk  akcent  2, 318  f.  Arkiv  4, 165;  ib.  n.  f.  1, 67 
anm.  2).  Ebenso  wie  ein  i  oder  u  in  der  fortissilbe  keinen 
umlaut  bewirkte,  so  konnte  auch  durch  das  a  der  fortissilbe 
kein  umlaut  bewirkt  werden;  daher  hundng  (nicht  *hondng). 
Durch  Dissimilation  gieng  hunang  in  aschw.  hunagh  über 
(Noreen,  Pauls  Grundr.  1*,  §  189, 6).  Da  aber  hunang  facultativ 
fortis  auf  der  paenultima  hatte,  so  wurde  es  durch  den  a-um- 
laut zu  *honang,  aschw.  honagh. 

In  diesem  Zusammenhang  sei  auch  erwähnt,  dass  vor  der 
lautverbindung  ggw  nicht  der  umgelautete  vocal  o,  sondern  u 
steht.  Während  die  masc.  n  -  stamme  sonst  oft  einen  Wechsel 
o  :  u  haben  (z.  b.  isl.  oxi :  tm,  aschw.  oxe  :  uxe,  isl.  aschw.  flott : 
aschw.  fluti  etc.),  entspricht  isl.  skuggi,  aschw.  skugge  dem  got. 
skuggwa.  In  Übereinstimmung  hiermit  findet  sich  u  in  den 
isl.  partt.  hnugginn  (zu  hnoggva),  tugginn  (zu  tyggva),  gugginn 
(zu  gyggva\  brugginn  (vgl.  ags.  breowari),  obgleich  der  a-umlaut 
in  den  partt  gollinn,  soltinn  etc.  durchgeführt  worden  ist;  vgl. 
Kock,  Arkiv  n.  f.  7, 317  anm.  2.  8, 241.  A.  a.  o.  ist  dargelegt  wor- 
den, dass  skuggi,  hnugginn  etc.  lautgesetzlich  aus  *skuggwi, 
*hnnggwinn  etc.  entstanden  sind.  Hier  sind  noch  zu  beachten 
isl.  rugga  (praet.  -dpi)  'hin  und  her  bewegen,  wiegen'  und  das 
wie  vaka  flectierte  isl.  ugga  mit  ti.  Nicht  nur  w,  sondern  auch 
gg  waren  stark  labiale  consonanten,  weshalb  g  im  ostnord. 
vor  gg  in  u  übergegangen  ist:  hogg  >  aschw.  hug  etc.  (Kock, 
Fsv.  ljudlära  2, 476  ff.).  Diese  eigenschaft  von  ggw  ist  es,  die 
den  a-umlaut  in  *bruggwan*  >  brugginn  etc.  verhindert  hat. 
Doch  ist  es  vielleicht  auch  möglich,  dass  der  a-umlaut  auch 
in  brugginn  etc.  einmal  durchgeführt  worden  ist,  obgleich  sich 
o  später  vor  ggw  zu  u  entwickelte;  in  diesem  falle  wäre  die 
entwickelung  *bruggwanan  >  *broggwan*  >  *bruggwen*  > 
brugginn  gewesen.1) 

')  Einmal  findet  sich  im  aschw.  skogga  statt  skugga.  Das  o  kann 
hier  darauf  beruhen,  dass  w  in  skugg(w)a  in  irgend  einem  dialekt  vor  dem 
ende  der  a-umlautsperiode  verloren  gegangen  ist,  und  dass  skugga  nachher 


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518 


KOCK 


Wegen  der  oben  erwähnten  und  jetzt  erörterten  Wörter 
humarr,  frumhlaup  etc.  kann,  wie  schon  gesagt,  der  a-umlaut 
im  ganzen  genommen  nicht  eine  urgerm.  erscheinnng  sein, 
sondern  er  ist,  wenigstens  zum  teil,  in  den  verschiedenen  germ. 
sprachen  durchgeführt  worden,  nachdem  sich  die  germ.  sprach- 
einheit  gespalten  hatte. 

Ich  will  auch  andere  momente  heranziehen,  welche  dar- 
tun, dass  die  gewöhnliche  auffassung  des  a-umlauts  nicht 
richtig  ist 

Nach  dieser  soll  urgerm.  auch  m  a-umlaut  bewirkt  haben. 
Soweit  ich  sehe,  haben  jedoch  die  an.  sprachen  keinen  durch  ß 
hervorgerufenen  a-umlaut  von  «. 

Hierbei  kommen  besonders  die  masc.  n-stämme  in  betracht. 
Es  findet  sich  bei  einer  menge  solcher  Wörter  ein  Wechsel  u  :  o, 
z.  b.  isl.  tm,  aschw.  uxe  :  isl.  oxi,  aschw.  oxe,  isl.  aschw.  gumi, 
aschw.  bruPgumi  :  bru]>Jcome,  aschw.  fluti :  isl.  aschw.  floti,  aschw. 
luste  :  loste,  isl.  losti,  aschw.  drupi  :  isl.  aschw.  dropi,  aschw. 
lughi  :  isL  aschw.  log(h)i,  aschw.  sarjmli :  sar^oli,  stülpe  :  Stolpe, 
isl.  stolpi,  aschw.  spurt  :  isl.  aschw.  spori,  aschw.  drusi  :  drosse, 
musi  :  isl.  aschw.  mosi,  aschw.  pusi  :  isl.  aschw.  posi,  aschw. 
bruti  :  isl.  aschw.  broti,  aschw.  spruti  :  isl.  aschw.  sproti  etc. 

Der  nom.  sg.  der  masc.  n-stämme  ist  in  den  urnord.  runen- 
inschriften  oft  belegt,  und  er  hat  dort  die  endung  -a  :  teitcila 
etc.  Sie  entspricht  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  der  griech. 
endung  -rjv,  und  fluti :  floti  etc.  hatten  also  in  urgerm.  zeit  den 
endvocal  ®\  vgl.  Heinzel,  Anz.fda.  12,48.  ßugge,  Arkiv  n.f.  4, 18. 
Kock,  Skandinavisches  archiv  1, 1  ff. 

Der  gen.  sg.  findet  sich  im  urnord.  prawivan  (Tanum),  der 
dat.  sg.  im  urnord.  tcitadahalaiban  (Tune),  wo  -an  aus  älterem 
-on-  entwickelt  ist.  Auch  der  urnord.  gen.  pl.  scheint  -an- 
aus  ält.  -on-  gehabt  zu  haben  :  arbijatw  (Tune;  vgl.  got.  hanane). 
Ohne  allen  zweifei  hatte  der  acc.  sg.  (flota)  urnord.  die  endung 
-an  (vgl.  got.  hanan),  ält.  -on-.  Im  plur.  ist  die  ursprüngliche 
nom.-form  *flutan[us]  mit  ält.  -on-  in  den  acc.  eingedrungen 
(isl.  acc.  flota,  nom.  flotar  mit  anal,  -r;  vgl.  got.  hanans,  Streit- 


en skogga  wurde.  Aber  dies  vereinzelte  skogga  kann  wol  auch  analogisch 
entstanden  sein;  nach  der  analogie  von  uxi :  oxa,  fluti :  flota  etc.  kann  man 
zu  nom.  skugge  den  acc.  skogga  neu  geschaffen  haben. 


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DER  ^1-UMLAÜT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  8PRACHEN.  519 

berg,  Urgerm.  gramm.  s.  256).  Aus  den  «-stammen  ist  -om-  auf 
dat.  pl.  flotum  übertragen  worden. 

In  allen  diesen  formen  hatte  also  z.  b.  fhtfi :  floti  in  urgerm. 
zeit  die  endvocale  ö?,  a  oder  o.  Wenn  aber  alle  diese  end- 
vocale  den  a-umlant  bewirkten ,  so  bleibt  das  u  in  fluti  etc. 
unerklärt.  Die  sache  ist  natürlich  in  der  weise  aufzufassen, 
dass  in  den  an.  sprachen  der  a-umlant  zwar  durch  den  aus 
indog.  o  entwickelten  «-laut  bewirkt  worden  ist,  nicht  aber 
durch  das  germ.  &,  das  urnord.  zu  einem  hellen,  ä- ähnlichen 
"-laut  (nom.  unwila  etc.)  geworden  war,  und  das  in  den  an. 
literatursprachen  in  e,  i  (fluti  etc.)  übergieng.  Der  a-umlaut 
ist  also  z.  b.  nicht  in  nom.  sg.  *  flutte,  urnord.  *fluta,  gemeinnord. 
* flute,  aschw. /Iwft  eingetreten;  in  den  obl.  casus  *flutan>*flotan, 
isl.  aschw.  flota  ist  er  aber  durchgeführt  worden.  Hierdurch 
wird  die  ansieht  Bugges,  Arkiv  4, 19  bestätigt,  dass  der  a-laut 
in  nom.  sg.  tciwila  etc.  ein  d-ähnliches  o  war. 

Gegen  diese  auffassung  kann  nicht  eingewendet  werden, 
dass  das  u  in  fluti  etc.  aus  solchen  urnord.  oder  urgerm.  casus 
herrühre,  welche  in  den  an.  literatursprachen  verloren  gegangen 
wären.  Am  ehesten  könnte  man  wol  an  eine  form  auf  -in(n) 
für  gen.  und  dat.  sg.  (vgl.  got.  gen.  hanins,  dat.  hanin)  denken. 
Noreen  hat  nämlich  die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  der 
t-umlaut  einiger  wenigen  nord.  n-stämme  auf  eine  solche 
endung  zurückzuführen  sei,  z.  b.  aschw.  grepe  :  isl.  gröpi  (Sv. 
landsm.  1, 696  anm.  3;  738.  Pauls  Grundr.  1«,  613).  Dies  ist  viel- 
leicht richtig.  Ein  urnord.  *flutin  muss  aber  in  den  an. 
literatursprachen  *flyti  (nicht  fluti)  ergeben  haben,  und  es  ist 
gewis  nicht  möglich,  dass  der  u-laut  in  einer  so  grossen 
menge  Wörter  {gumi,  fluti  etc.)  dadurch  gerettet  worden  wäre, 
dass  er  vor  der  t-umlautsperiode  aus  dem  gen.  dat.  sg.  in  den 
nom.  acc.  sg.  übertragen  worden  wäre.  Dass  dies  nicht  der 
fall  gewesen  ist,  geht  vor  allen  dingen  daraus  hervor,  dass 
die  umgelauteten  formen  *gymi,  *flyti  etc.  sich  nicht  einmal 
neben  gumi,  fluti  etc.  finden. 

Wenn  der  a-laut  der  ultima  von  brosa  etc.  (wie  vaka,  got. 
haban  flectiert)  aus  urgerm.  &  entstanden  ist,  so  ist  doch  der 
a-umlaut  in  brosa  erst  nach  der  zeit  bewirkt  worden,  wo  ® 
in  a  übergieng. 

Die  Umlautsverhältnisse  dieser  verben  (brosa,  duga  etc.) 


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520  KOCK 

dürften  nämlich  die  frage  zum  teil  aufklären,  wann  dar 
a-  umlaut  von  u  durchgeführt  wurde. 

Man  flectiert  bekanntlich  im  got.  praes.  haba,  habais,  ha- 
baip,  habam,  habaijt,  hdband,  inf.  hdban,  part.  praes.  habands. 
Betreffs  der  ziemlich  umfangreichen  literatur  über  die  geschicht- 
liche erklärung  dieser  verben  verweise  ich  auf  Streitberg,  Ur- 
germ.  gramm.  s.  306.  Es  dürfte  aber  als  sicher  gelten,  dass  die 
flexion  dieser  verben  auf  einem  älteren  Stadium  des  an.  mit 
der  got.  in  der  weise  übereinstimmte,  dass  sich  der  diphthong 
ai  fand,  wo  das  got.  diesen  diphthong,  aber  der  endvocal  o, 
wo  das  got.  diesen  laut  hatte.1) 

Wenn  nun  der  diphthong  ai  während  der  o-umlautsperiode 
erhalten  gewesen  wäre,  und  wenn  überhaupt  jeder  a-laut 
a-umlaut  bewirkt  hätte,  so  hätte  auch  der  a-laut  des  diphthongs 
ai  umlaut  bewirken  müssen;  vgl.  dass  der  i-laut  des  brechungs- 
diphthongs  io,  ebenso  wie  andere  t-laute,  «'-umlaut  bewirkt,  z.  b. 
Pyrbiorn  (<  Purbiorn).  Unter  diesen  Verhältnissen  hätten  alle 
formen  (oder  fast  alle  formen)  dieser  verben  mit  dem  wurzel- 
vocal  u  «-umlaut  bekommen  müssen. 

Während  aber  mehrere  verben  dieser  flexion  a- umlaut 
haben  (isL  brosa,  glotta  etc.),  fehlt  der  umlaut  in  anderen  immer 
oder  oft:  isl.  una,  luma,  duga  :  aschw.  dogha  (neben  dugha). 

Wie  bekannt  geht  der  germ.  diphthong  ai  der  infortis- 
silbe  im  nord.  in  4  i  über  (vgl.  2.  3.  sg.  praes.  vakir  etc.).  Man 
ist  deshalb  zu  der  Schlußfolgerung  berechtigt,  dass  der  o-um- 
laut in  z.  b.  aschw.  dogha  ( :  isl.  duga)  erst  nach  der  zeit  durch- 
geführt worden  ist,  wo  ai  in  der  endung  zu  e  oder  wenigstens 
zu  ei  wurde.  In  der  3.  pers.  pl.  *du$an  (vgl.  über  diese  form 
Kock,  Arkiv  n.f.  10, 232  ff.),  in  inf.  *dugan  etc.  wurde  der  a-um- 
laut  durchgeführt  (*aojan),  in  der  2.  3.  sg.  *du$e*f  *du&e#  etc. 
aber  nicht.  Isl.  duga  hat  die  vocalisation  dieser,  aschw.  dogha 
die  vocalisation  jener  formen  bekommen. 

Ich  will  noch  ein  paar  umstünde  hervorheben,  welche 
dartun,  dass  im  an.  zwar  a,  nicht  aber  ö  (wie  auch  nicht  *) 
o-  umlaut  bewirkte. 

In  mehreren  einsilbigen  masc.  a- Stämmen  findet  sich  ein 


')  Mit  ausnähme  der  1.  pers.  Bg.  prae».  (Noreen  in  Panls  Gnindr.  !•. 
§  249). 


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DER  ^4-UMLAÜT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  521 

Wechsel  u  :  o,  z.  b.  aschw.  uter,  nschw.  utter  :  isl.  otr,  aschw. 
oter,  aschw.  udder,  nschw.  udd  :  isl.  oddr,  aschw.  odder,  aschw. 
lukker  :  isl.  lokkr,  aschw.  lokker,  aschw.,  ält.  nschw.  kus(s)  :  isl. 
koss,  aschw.  kos,  nschw.  tupp  :  isl.  toppr,  aschw.  topper,  aschw. 
flukker  :  isl.  flokkr,  aschw.  flokker.  Ausserdem  findet  sich  ein 
solcher  in  mehreren  gleichartigen  Wörtern,  wo  der  dem  wurzel- 
vocal  vorhergehende  consonant  bei  freier  wähl  zwischen 
u :  o  den  w-laut  begünstigt  hat,  z.  b.  isl.  aschw.  bukk(e)r  : 
bokk(e)rt  bulst(e)r  :  bolst(e)r,  fug(h)l  :  fog(h)l,  aschw.  krupper  : 
isl.  aschw.  kropp(e)r  etc.;  vgl.  unten  8.  527  ff.  Isl.  ulfr,  aschw. 
ulwer  hat  sogar  ausschliesslich  «;  nur  als  zweites  compositions- 
glied  wird  -olfr  in  isl.  Eyiolfr  etc.  verwendet;  vgl.  urnord. 
hapuwolafa  (Gommor),  hapuwolaf*  (Stentofta)  neben  hariwulqfq:, 
hapuwuhf*,  haeruwuloyfiR  (Istaby). 

Bekanntlich  enthielt  urnord.  die  zweite  silbe  solcher  Wörter 
in  allen  casus  ausser  dem' dat.  sg.  a,  o  oder  ö  (sg.  *utra*,  *utms, 
*utre,  *utra;  pl.  *utröR,  *utrö,  *utrom-,  *utrann).  Also  hätte 
nach  der  gewöhnlichen  auffassung  des  a-umlauts  dieser  in  allen 
casus  ausser  dem  dat.  sg.  durchgeführt  sein  sollen.  Zu  einer 
noch  früheren  zeit  hätte  der  a-umlaut  auch  in  dat.  sg.  ein- 
treten müssen,  wenn  er  überhaupt  einer  so  frühen  periode 
angehörte;  die  urnord.  dat.-endung  €  dürfte  nämlich  (vgl. 
Streitberg,  Urgerm.  gramm.  s.  227)  aus  germ.  ai,  indog.  öl  ent- 
standen sein.  Wäre  es  nun  möglich,  dass  der  u-laut  so  vieler 
Wörter  aus  dem  dat  sg.  allein  herrühre,  sogar  in  Wörtern,  die 
wegen  der  bedeutung  nur  äusserst  selten  im  dat.  sg.  haben 
vorkommen  können?  Diese  frage  muss  jedenfalls  mit  nein 
beantwortet  werden. 

Die  sache  stellt  sich  dagegen  ganz  einfach,  wenn  man  an- 
nimmt, dass  der  a-umlaut  nicht  urgerm.  ist,  und  dass  in  urnord. 
zeit  nur  ä  (nicht  aber  Ö)  den  a-umlaut  bewirkte.  Gleichzeitig 
mit  der  entwickelung  *hurna  >  lwrna  wurde  dann  der  a-um- 
laut in  vier  casus  von  z.  b.  uter  :  otr  durchgeführt  (sg.  nom. 
*otras,  gen.  *otr<is,  acc.  *otra,  acc.  pl.  *otrann),  aber  u  blieb 
vorläufig  in  vier  casus  (dat.  sg.  *utre,  pl.  nom.  *utrö*,  gen. 
*utrö,  dat.  *utrom-)  erhalten.  Nachdem  das  mit  levissimus 
accentuierte  a  in  nom.  sg.  *otraR  >  otr(x),  acc.  sg.  *otra  >  otr 
etc.  verloren  gegangen  war  (bez.  nachdem  der  a-laut  der  ultima 
so  reduciert  worden  war,  dass  er  nicht  mehr  eigentlichen 


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522 


KOCK 


a-klang  hatte  und  deshalb  auch  nicht  mehr  o-umlaut  bewirken 
konnte;  vgl.  dass  der  a- ähnliche  «-laut  des  nom.  8g.  *fluta  > 
fluti  keinen  um  laut  bewirkt1)),  wurde  der  nicht  umgelautet« 
vocal  u  aus  dem  dat.  sg.,  nom.  gen.  dat.  pl.  (*utre,  *utrd~*,  *utrö, 
*utrom-)  in  die  casus  mit  lautgesetzlichem  o  eingeführt,  und 
man  bekam  also  nom.  sg.  utr(R)  neben  otr{R),  gen.  sg.  utrs  neben 
otrs,  acc.  sg.  utr  neben  otr.  Erst  nachdem  nom.  pl.  *utröR,  gen. 
pl.  *utrö  zu  utran,  utra  geworden,  bewirkte  a  auch  in  diesen 
casus  umlaut  (otra*,  otra).  Jetzt  hatte  man  aber  schon  den 
Wechsel  «*#■(«)  (aschw.  uter)  \  otr[*)  (isl.  aschw.  ot(e)r). 

Unter  den  für  diese  frage  beweisfähigen  masc.  n-stämmen 
habe  ich  aschw.  nschw.  ugn  :  isl.  aschw.  ofn,  isl.  ogn,  aschw. 
oghn,  omn,  dän.  ovn  nicht  erwähnt  Im  aschw.  dürfte  nämlich 
eine  lautgesetzliche  entwickelung  o  >  u  vor  dem  gutturalen 
nasal  durchgeführt  worden  sein.  Nachdem  oghn  zu  ogn>  ongn 
geworden,  gieng  o  in  u  (ongn  >  uhgn,  aber  noch  ugn  ge- 
schrieben) ebenso  wie  in  (isl.)  logn  >  aschw.  nschw.  lugn  über. 
Beachte  auch  isl.  hrogn,  aschw.  (sike)rompn,  nschw.  rom  :  aschw. 
rughn. 

Der  Wechsel  aschw.  skop  'spass'  :  dat.  pl.  skupum  spricht 
auch  dafür,  dass  nur  ä  den  «-umlaut  bewirkte;  vgl.  aschw.  hop, 
nschw.  hopp  '  sprung' :  aschw.  dat.  hupt.  Auch  aschw.  hop  'hoff- 
nung"  (das  jedoch  wol  ein  mnd.  lehen  ist,  vgl.  mnd.  hope)  hat 
in  der  regel  (vgl.  nschw.  hopp)  o\  nur  im  aschw.  dat  hupt 
(jüng.  hupe)  ist  u  belegt.  Die  angeführten  Wörter  sind  kurz- 
silbig,  und  solche  haben  im  aschw.  den  alten  lautgesetzlichen 
Wechsel  u  :  o  länger  als  die  langsilbigen  erhalten;  vgl.  Kock. 
Tidskrift  f.  fil.  n.  r.  8, 295  (Arkiv  n.  f.  2, 14  f.).  Derselbe  laut- 
gesetzliche Wechsel  kann  aber  auch  ausnahmsweise  in  lang- 

')  Der  Istabystein  spricht  möglicherweise  für  die  z weite  alter- 
native. Dieser  stein  hat  nämlich  den  acc.  8g.  hariwulqfa  wo  das  q,  der 
ultima  einen  reduzierten  a-laut  auszudrücken  scheint  (vgl.  Noreen,  Aid.  gr.f 
s.  259),  aber  schon  den  acc.  pl.  runan  «  runön).  Da  dch  aber  dort  auch 
der  nom.  hapMculqfn  mit  verloren  gegangenem  a  «  *hapuicubfan)  findet, 
so  ist  die  inschrift  für  diese  frage  nicht  beweisfähig.  Es  ist  zu  beachten, 
dass  Jtttrnndafa,  hafiutculqfR  composita  sind,  und  dass  die  endvocale  der 
composita  lautgesetzlich  etwas  früher  als  die  der  simplicia  verloren  gehen. 
Man  hegt  aber  wie  bekannt  den  verdacht,  dass  die  Istabyinschrift  eine  aus 
relativ  späterer  zeit  herrührende  nicht  ganz  gelungene  nachahmung  der 
älteren  runensprache  sei. 


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DER  ,-l-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNOBD.  SPRACHEN.  523 

silbigen  Wörtern  verspürt  werden.  Es  findet  sich  aschw.  lopt 
'  solarinm '  :  dat.  lupte.  holmber  hat  fast  überall  o;  doch  in 
zwei  lat  diplomen  in  erbohulm  (ans  dem  jähre  1287)  <  dat. 
-hulme  und  dat.  pl.  hulmum  (aus  dem  jähre  1311). 

Ferner  zeugt  der  Wechsel  der  umgelauteten  und  der  nicht 
umgelauteten  formen  bei  den  fem.  n- Stämmen  dafür,  dass 
zwar  a  nicht  aber  ö  den  o-umlaut  bewirkte.  In  gewissen 
altschwedischen  Schriften  findet  sich,  wie  bekannt,  ein  regel- 
mässiger Wechsel  nom.  kona  :  obl.  casus  kunu,  nom.  hola  :  obl. 
casus  hulu;  zu  beachten  ist  auch  aschw.  fora  :  nschw.  af  furu. 
Vgl.  isl.  kona  :  kuna,  aschw.  loka :  luka,  aschw.  flogha :  isl.  aschw. 
flug(h)a,  isL  aschw.  hosa  :  aschw.  husa,  isl.  stofa,  aschw.  stowa  : 
stuwa,  ält.  nschw.  sola  :  aschw.  sula,  aschw.  skrobba  (als  beiname 
benutzt,  Lundgren,  Sv.  landsm.  10,  no.6.  s.  66)  :  skrubba  'höhle'. 
Isl.  lubba  'grosser  dorsch'  hat  sogar  nur  u, 

Der  gen.  sg.  Igivon  auf  dem  Stenstadstein  lehrt,  dass  die 
fem.n-stämme  urnord. -ö»(»)  in  der  ultima  hatten,  was  vollständig 
mit  der  got.  flexion  gen.  tuggöns,  dat.  tuggön  etc.  übereinstimmt.») 


')  Dieser  ansieht  ist  auch  Bugge,  Norges  indskrifter  s.  180.  Ohne  ge- 
nügenden grond  nimmt  Noreen,  z.  b.  in  Pauls  Grundr.  1*  s.  614  an,  dass  der 
gen.  sg.  isl.  teiku  etc.  aus  urnord.  *wikün  entstanden  sei.  Nirgends  ist 
aber  ein  urnord.  gen.  auf  -flu  oder  dgl.  belegt  (in  lakmuprku  [acc.  pl.]  der 
relativ  späten  [nicht  nrnord.]  Kärnboinschrift  ist  -u  natürlich  aus  ält. 
-önn  entstanden).  Der  endvocal  -u  des  gen.  sg.  vitcu  (vgl.  got.  tuggöns) 
trotx  dem  -a  in  inf.  kalla  (vgl.  got.  salbön)  erklärt  sich  in  folgender  weise. 
Nom.  acc.  pl.  aschw.  eghon,  eghun  und  wol  auch  isl.  augu  entsprechen  dem  got. 
augöna  (s.  Kock,  Beitr.  15,  244  ff.)-  Also  ist  im  nom.  acc.  pl.  *augön-  (mit 
vocal  nach  n)  der  endvocal  als  o,  u  erhalten  (vgl.  aschw.  »ghon,  eghun, 
isl.  augu),  während  urnord.  *kaüön  mit  auslautendem  kurzem  n  zu  ist 
aschw.  kaüa  geworden  ist.  Die  entwickelung  *kcdk>n  kalla  ist  deutlich 
durch  den  relativ  frühen  verlust  des  -n  bedingt;  vgl.  dagegen  aschw. 
tghon  mit  o  und  erhaltenem  n.  Der  gen.  sg.  vßcu,  der  nom.  acc.  pl.  *wiku 
(vgl.  Iqkmuprku  auf  dem  Kärnbosteine ;  später  anal.  wihtR,  vikur)  sind  aus 
urnord.  *wikonn  mit  langem  n,  +wikonR,  wikonz  (vgl.  got.  tungöns)  ent- 
standen. Musste  nun  ö  in  *wik#nn  mit  langem  -n  in  derselben  weise  wie 
0  in  *kaUön  mit  kurzem  -n  oder  wie  0  in  *augOn-  (got.  augöna)  mit  vocal 
nach  n  behandelt  werden?  Weil  der  n-laut  in  *u7tkönn  lang  war,  muss  er 
später  als  das  kurze  n  in  *kaüön  verloren  gegangen  sein,  wenn  er  auch 
(wie  aschw.  gen.  sg.  viku  :  eghon  lehrt)  früher  als  in  *augön-  wegfiel.  Man 
hat  also  während  einer  periode  *kaüö  (wahrscheinlich  mit  nasaliertem  ö) 
neben  *wikön(n)  gehabt.  Deshalb  entwickelte  sich  *kallö  zu  kaüa  (vgl. 
nom.  urnord.  *tcikö  >  isl.  aschw.  vika),  aber  *tcikön(n)  zu  viku  vgl.  *aufön- 


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KOCK 


Eine  flexion  nom.  *hulö,  gen.  *hulönn,  dat.  acc.  *hulön,  pl.  *hulonn, 
*kulom  hätte  aber  nur  sg.  hola  :  frof«,  pl.  //oho-  etc.  (nicht  gen. 
hulu,  pl.  //«/i/r  etc.  mit  u  in  der  Wurzelsilbe)  geben  müssen,  wenn 
a-umlaut  auch  durch  ö  bewirkt  worden  wäre.  Wenn  dagegen 
nur  ä  (nicht  ö)  a-umlaut  bewirkte,  so  ist  der  Wechsel  nom.  hola : 
gen.  hulu,  pl.  hulur  etc.  vollständig  in  Ordnung.   Erst  nachdem 
urnord.  nom.  *hulö  zu  hula1)  und  urnord.  gen.  *huUfn(n)  zu  A»<lo 
oder  hulu  geworden  waren,  wurde  in  solchen  Wörtern  der 
a-umlaut  durchgeführt;  nom.  hula  wurde  dann  zu  hola  ent- 
wickelt, während  der  wurzelvocal  in  gen.  hulo,  hulu  etc.  er- 
halten wurde.1) 

Da  im  an.  nur  ä,  nicht  8,  a-umlaut  bewirkte,  so  ist  der 
a-umlaut  in  worahto  (Tune)  von  dem  zwischen  r  und  ä  ent- 

>  aschw.  eghun,  eghon,  isl.  augu).  Streng  lautgesetzlich  hätten  dat.  und 
acc.  Hg.  *wikön  (vgl.  got.  tuggöri)  zu  *vika  (vgl.  inf.  kaüd)  entwickelt 
werden  müssen.  Durch  den  einfluss  der  drei  casus  gen.  sg.,  nom.  acc  pl. 
*wikön(n)  (vgl.  got.  tuggons)  wurde  aber  das  auslautende  -n  im  dat.  acc.  sg. 
*wikön  (vorläufig)  erhalten.  Auch  dies  *wikon  gab  deshalb  viku  ebenso  wie 
gen.  sg.,  nom.  acc.  pl.  *icikön(n)  zu  viku  wurden. 

')  Für  diese  frage  ist  es  ohne  belang,  ob  *hulö  streng  lautgeaetzlich 
zu  hula  (ebensowie  nom.  *wikö  zu  vika  etc.)  wurde,  oder  ob  ö  in  *hulß 
(wegen  des  «-lautes  der  paenultima)  lautgeaetzlich  sollte  erhalten  bleiben 
(vgl.  Kock,  Beitr.  15, 254  ff.);  in  diesem  falle  ist  -a  sehr  früh  in  nom.  sg. 
hula  aus  nom.  sg.  rika  etc.  übertragen  worden. 

")  Diese  schlussfolgerung  hat  wegen  des  wechseis  aschw.  nkrobba  : 
skrubba,  isl.  kona  :  kuna,  aschw.  flogha  :  isl.  fluga  und  wegen  isl.  lubba  mit  u 
ihre  gültigkeit,  auch  wenn  das  nebeneinander  o  :  u  in  aschw.  knrzsilbigen 
fem.  n-stämmen  vielleicht  zum  teil  auf  einer  aschw.  dialektischen 
lautgesetzlichen  entwickelnng  o  >  u  vor  u  der  folgenden  silbe  beruht; 
wenn  dem  so  ist,  so  wäre  z.  b.  gen.  stitwu  durch  s.  g.  'tiUjämning'  (zum 
teil)  lautgeaetzlich  aus  sUkeu  entstanden.  —  Es  braucht  kaum  bemerkt  zu 
werden,  dass  ginoronoR  hideRrunono  auf  dem  Stentoftastein  nicht  geges 
meine  obige  auffassnng  angeführt  werden  kann.  -ronoR  in  ginoronoR  kann 
nämlich  entschieden  nicht  mit  Noreen,  Aisl.  gr.1  s.  263  als  eine  (o-umgelau- 
tete)  form  ans  neuisl.  rww*  'linea,  Stria'  aufgefasst  werden.  Eher  ist  ~ronoit 
aus  -rünoR  'runen'  (vgl.  ginarünaR  auf  dem  Björketorpstein)  entstanden 
und  als  ein  beispiel  der  lautentwickelung  12  >  o  in  semifortissilbe  aufzu- 
fassen (vgl.  Kock,  Arkiv  n.  f.  1, 57  ff.).  Uebrigens  ist  bekanntlich  der  ganze 
Charakter  dieser  inschrift  der  art,  dass  man  auf  ihr,  wenigstens  vorläufig, 
nichts  aufbauen  darf.  Es  ist  sehr  leicht  möglich ,  dass  sie  (wie  Wimmer 
annimmt  und  Bngge  wenigstens  früher  annahm)  eine  schlechte  copie  einer 
älteren  inschrift  bez.  mehrerer  älteren  inschriften  ist,  die  der  Steinmetz 
nicht  oder  nur  mangelhaft  verstand. 


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DER  ^i-ÜMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  525 

wickelten  parasitvocal  a  hervorgerufen  worden,  wobei  vielleicht 
auch  der  r-laut  und  möglicherweise  auch  der  //-laut  eine  rolle 
spielte.  Wie  bekannt  hat  der  r-laut  überhaupt  eine  tendenz 
dem  vorhergehenden  vocale  eine  offenere  ausspräche  zu  geben; 
vgl.  z.  b.  die  entwickelung  *hurn  >  haürn  etc.  im  got,  dass  im 
aschw.  r  bei  freier  wähl  zwischen  u  :  o  den  o-laut  begünstigte, 
und  dass  im  späteren  aschw.  w  vor  dem  hohen  supradentalen  r 
in  den  lautverbindungen  rö,  rt  etc.  in  o  übergieng  (spurj>e  > 
spordhe  etc.;  s.  unten  s.  527).  Zu  beachten  ist  auch  der  Über- 
gang u>  o  (au)  vor  h  sowol  im  got.  (z.  b.  *suht$  >  sauhts) 
wie  im  an.  (z.  b.  sott). 

Nach  den  obigen  erörterungen  kann  die  frage  aufgeworfen 
werden:  ist  der  a-umlaut  von  u  gänzlich  eine  einzelsprach- 
liche erscheinung,  so  dass  z.  b.  die  entwickelung  *hurna  >  homa 
nicht  in  urgerm.  zeit  durchgeführt  worden,  sondern  teils  früh- 
urnordisch  teils  urwestgermanisch  ist?  So  viel  ich  sehe,  kann 
die  frage  nicht  mit  voller  Sicherheit  beantwortet  werden.  Doch 
spricht  die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  der  a-umlaut  gänzlich 
eine  einzelsprachliche  entwickelung  ist. 

Wie  bekannt  hat  das  got.  Wulfllas  überall  u.  In  der 
letzten  zeit  ist  die  scharfsinnige  Vermutung  ausgesprochen 
worden,  dass  man  in  dem  durch  die  klassischen  autoren  über- 
lieferten namen  der  Goten  Got(h)ones  (neben  Gutones)  eine 
spur  des  a-umlauts  aus  der  vorwulfllanischen  zeit  habe  (Osthoff 
und  Streitberg,  IF.  4, 308 f.  Streitberg,  Urgerm.  gramm.  §  71 ;  Got. 
elementarbuch  §  5).  Nach  dem  aufsatz  von  Collitz,  Journal  of 
Germ.  phil.  1, 220  ff.  dürfte  man  aber  der  Schreibweise  der  klas- 
sischen autoren  kein  eigentliches  zeugnis  in  dieser  beziehung 
beimessen  können. 

Dabei  ist  aber  auch  ein  anderer  umstand  zu  beachten. 
Die  möglichkeit  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  das  nebeneinander 
Got(h)ones  :  Gutones  darauf  hindeute,  dass  bei  den  Goten  der 
a-umlaut  in  einer  bestimmten  Stellung  eingetreten,  aber 
sonst  nicht  durchgeführt  worden  ist.  In  Arkiv  n.  f.  8, 138  ff. 
habe  ich  gelegenheit  gehabt  darzutun,  dass  ein  stehengeblie- 
benes u  im  anorw.  (d.h.  in  gewissen  anorw.  dialekten)  nur 
in  semifortissilbe,  nicht  aber  in  fortissilbe  umlaut  bewirkte,  z.  b. 
piöÖggtu  (nom.  piöögata),  aber  simplex  gatur  ohne  umlaut.  In 


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526 


KOCK 


Übereinstimmung  hiermit  ist  der  f- umlaut  in  der  spräche  des 
Röksteines  nur  in  der  silbe  mit  semifortis,  nicht  in  der  fortis- 
silbe  von  einem  stehengebliebenen  i  hervorgerufen  worden, 
z. b.  mogmini,  d.h.  mogmenni,  aber  uarin  ohne  umlaut  (Kock, 
Arkiv  n.  f.  10, 249  ff.).  Da  nun  der  Gotenname  vor  allem  im 
zweiten  compositionsgliede  der  namen  '  Ostgoten 1  und  'West- 
goten1 (Ostrogothas  und  Wmgotfwe  bei  Jordanes,  vgl.  Streitberg. 
BP.  4, 300  ff.),  vorkommt,  so  ist  es  nicht  unmöglich,  dass  bei 
den  Goten  der  «-umlaut  nur  in  semifortissilbe  eingetreten  ist, 
und  dass  die  Schreibung  Gutones  bei  den  klassischen  autoren 
die  vocalisation  des  simplex  gutans,  Got(h)ones  aber  die  der 
composita  -gotans  reflectiert. 

Wie  dem  auch  sei,  so  kann  das  got.  nicht  als  eine  stütze 
für  die  annähme  herangezogen  werden,  dass  der  a-umlaut  in 
urgerm.  zeit  in  der  fortissilbe  durchgeführt  worden  sei. 

Nun  ist  oben  dargetan  worden,  dass  der  a-umlaut  der  an. 
sprachen  z.  t  ziemlich  spät  eingetreten  ist.  In  sumar  >  somar 
etc.  wurde  der  a-umlaut  erst  bewirkt,  nachdem  der  a-laut  der 
zweiten  silbe  des  nom.  pl.  *  sumar  ör  >  sumra*  etc.  synkopiert 
worden  war.  Im  nom.  sg.  hula  >  hola,  kuna  >  Jcona  etc.  wurde 
er  durchgeführt  nach  der  zeit,  wo  -ö  des  nom.  sg.  in  -a  über- 
gieng.  Unter  diesen  umstanden  ist  es  wenig  glaublich,  dass 
die  a-umlautsperiode  schon  in  urgerm.  zeit  angefangen  habe; 
dann  würde  sie  nämlich  eine  zu  lange  epoche  umspannt  haben. 
Es  ist  viel  wahrscheinlicher,  dass  der  a-umlaut  von  *huma  > 
horna  ebenso  wie  derjenige  von  hula  >  hola  der  nord.  Sprach- 
einheit angehört 

Ich  gehe  zu  der  frage  über,  inwieweit  ein  vorhergehender 
consonant  in  den  an.  literatursprachen,  besonders  im  aschw.,  die 
wähl  von  o  oder  u  begünstigte,  wenn  diese  vocale  seit  alters 
in  verschiedenen  formen  ein  und  desselben  wortes  wechselten. 

Im  Arkiv  n.  f.  5, 244  ff.  habe  ich  die  frage  nach  dem  einfluss 
eines  unmittelbar  folgenden  consonanten  (bez.  einer  unmittel- 
bar folgenden  consonantenverbindung)  auf  u  sowie  auf  ein  durch 
a-umlaut  aus  u  entwickeltes  o  behandelt;  vgl.  auch  Brate,  Äldre 
Vestmannalagens  ljudlära  s.  23.  R.  Larsson,  Sodermannalagens 
spräk  1, 32.  Hultman,  Finländska  bidrag  tili  svensk  sprak-  och 
folklifsforskning  s.  120.  Noreen,  Aschw.  gramm.  §  111, 2. 


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DEB  ^-UMLAUT  BTC.  IV  DEN  ALTNOBD.  SPBACHEN.  527 


Aber  auch  ein  den  vocalen  o  :  u  unmittelbar  vorher- 
gehender consonant  hat  einfluss  auf  sie  ausüben  können. 
Dies  geht  besonders  aus  einer  musterung  des  in  Schlyters 
glossar  zum  UpplandsgeseU  (UL.)  verzeichneten  Wortschatzes 
hervor. 

Die  tatsächlichen  angaben  über  den  Sprachgebrauch  dieses 
gesetzes  rühren  meistenteils  aus  jenem  werke  her,  das  zwar 
nicht  immer  alle  wechselformen  der  Wörter  verzeichnet,  aber 
ohne  zweifei  die  normalform  immer  correct  anführt. 

In  meinem  soeben  citierten  aufsatz  dürfte  dargelegt  worden 
sein,  dass  aschw.  u  vor  dem  hohen  supradentalen  r  der  laut- 
verbindungen  rö,  rt,  rn,  rs,  rl  (spurpe  >  sporpe  etc.)  in  o  über- 
gegangen, und  dass  im  aschw.  der  o-laut  bei  freier  wähl 
zwischen  o  :  u  vor  supradentalem  l,  n  (foli  etc.)  begünstigt 
worden  ist  Im  altgutn.  ist  u  vor  r  überhaupt  zu  o  geworden 
(Söderberg,  Forngutnisk  ljudl.  s.  16). 

Es  findet  sich  im  Upplandsgesetz  o  in  borp  (auch  fore 
borpe  ok  bryggiu  sporpe),  nwrf),  morPgceld,  morpceri,  orp,  norpwn, 
skorta,  hom,  korn,  korn  hcerbcerghi,  fom  —  borghce,  borghcen, 
morghin,  morghon  gaf,  torgh,  torghkep,  orkw,  porp,  porpcekarl, 
porwce  (verb),  vip  porwce,  vip<er  porwce,  orf,  torf,  torwce  —  por(e, 
sporgmld,  for-  (in  forman,  forfcepatr  etc.),  borin  (part.  zu  bcera), 
inborit,  oskorin  (zu  skazra). 

Dagegen  burghis  (s.  228,  9  <  burghits),  purwu  (3.  pl.  praes.), 
praet.  Purfti,  dat.  pl.  durum  und  dorum  (zu  dyr  'tür'). 

Vor  supradentalem  l  in  den  Verbindungen  lk,  Im  steht  o 
in  molkoe,  folk,  folkvapn,  folkUmd,  husscetis  folk  —  holmbar, 
fl4tho[l]mbwr,  j  stokholmi  (6, 3).  Dagegen  findet  sich  u  vor  dem 
supradentalen  l  der  Verbindungen  Ip,  Igh  in  stülpt,  obl.  casus 
grindce  stulpm  —  dulghcedrap,  daghfulghit. 

Hieraus  ergibt  sich,  dass  in  der  spräche  des  Upplands- 
gesetzes  bei  freier  wähl  zwischen  u  :  o  eine  bestimmte  ten- 
denz  durchgeführt  worden  ist,  den  o-laut  vor  rö,  rt,  rn  (und 
meistenteils  auch  sonst  vor  r)  ebenso  wie  vor  lk,  Im  zu  benutzen. 
Dagegen  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  schon  in  diesem  dialekte  eine 
lautgesetzliche  entwickelung  u  >  o  vor  rö,  rt,  m  (rs,  rl) 
durchgeführt  worden  ist. 

Sofern  o  nicht  nach  dieser  tendenz  (d.  h.  vor  r,  lk,  Im)  ge- 
fordert wird,  verwendet  aber  UL.  den  vocal  u  unmittelbar 


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528  kock 

nach  b,f,ni,g  (und?  r,h)  in  Wörtern,  die  sonst  gewöhn- 
lich im  aschw^  bez.  in  den  an.  sprachen,  einen  Wechsel 
o :  u  haben. 

Es  finden  sich  also  z.  b.  bukkeer  (vgl.  aschw.  bukker ;  bokker\ 
bulster  (vgl.  aschw.  bolster  :  bulster),  bu])f  forbup,  forbujts  vitni, 
forbußce,  tilbup,  bupkafli,  bupskapmr  (vgl.  aschw.  bujt :  bop,  bup- 
skap  :  bofskap  etc.). 

fughl  (vgl.  aschw.  fughl :  foghl),  fughlceren  (vgl.  aschw.  fugh- 
laren  :  foghlaren),  fuldwr  (doch  acc  sg.follcen  112, 7;  vgL  aschw. 
fulder  :  folder),  fulferce,  fullas  (=  fylla),  fullsceri,  fult,  fulnaposr. 

swincesmughcB  221,  14,  yrisce  smughce  221,  15  (vgl  aschw. 
smugJia),  at  muni  (dat.  sg.  zu  aschw.  mon :  mun),  mun  (praes. 
8g.;  vgl.  aschw.  mon  :  mun).    Dagegen  part.  moghandi. 

gup  (vgl.  isl.  goß  :  gup,  aschw.  gup*)\  gupsificer,  gupsiwct- 
lagh,  afgup,  gul  (subst.;  vgl.  isl.  goll :  gull;  aschw.  gut,  nur  sehr 
selten,  wol  durch  deutschen  einfluss,  gol),  gulsmipaw,  gulgcerntng, 
gutar  (vgl.  aschw.  gutar  :  gotar),  part.  guldin,  guldit,  oguldin  (vgl. 
isl.  goldinn  :  aschw.  guldin).  Es  ist  für  die  beurteilung  der  frage 
von  belang,  dass  UL.  brupjcome  'brautigam'  106, 13  mit  o  nach  k 
verwendet  (vgl.  afkoma,  aterkoma,  koma  neben  kuma).  Da  brujh 
honte  aus  brupgome,  bruPgumi  entstanden  ist  (Kock,  Arkiv  n.f. 
5, 161  ff.),  so  ist  der  gebrauch  von  u  nach  g  in  UL.  erst  nach 
der  zeit  durchgeführt  worden,  wo  bruPgomi  sich  in  brupkome 
entwickelte. 

brut  (vgl.  aschw.  brut :  brot),  byo3-,  ben-f  ra-,  dorn-,  frip-, 
hcelghudaghw-,  skriptw-brut,  brutlikcer  (vgl.  aschw.  brutliker  : 
brotliker),  benbrutin  (adj.,  vgl.  aschw.  part.  brutin  :  brotin),  subst, 
ruf  (vgl.  isl.  rof :  aschw.  ruß,  keghu  ruf,  vcernce  ruf,  gruj)  (vgl. 
aschw.  grup\  rughwr  (vgl.  aschw.  rogher  :  rugher,  isl.  rugr),  rupce 
'reute'  (vgl.  aschw.  rupa  :  obL  casus  rupu).  Dagegen  adj.  rotin. 

hughcer  (vgl.  aschw.  hugher  :  hogher),  athughi :  obl.  casus  at- 
hughce  5, 14  (vgl.  aschw.  hughi :  hoghi),  um  huxce  sik  (vgl.  aschw. 
huxa :  hoxa),  hulsceri  (vgl.  aschw.  hui :  hol),  subst  huld  (vgl.  aschw. 
huld  :  Jwld),  part.  hulpit  (vgl.  aschw.  hulpin  :  holpin). 

Die  Ursache  dafür,  dass  sich  nach  b,  f,  »*)  in  der  regel  u 
(nicht  o)  findet,  ist  natürlich,  dass  diese  consonanten  ebenso  wie 

')  Das  im  Biarkoaratter  vorkommende  gospceniiigar  hat  o  durch 
deutscheu  einfluss  (mnd.  godespennink). 
*)  Beispiele  fehlen  zufällig  für  p-. 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DKN  ALTNORD.  SPRACHEN.  529 

der  vocal  u  stark  labial  sind.  Dass  auch  g  im  aschw.  labialisiert 
war,  geht  daraus  hervor,  dass  nach  der  entwickelung  Gautstdwer 

>  Gotstäwer  mit  fortis  auf  dem  zweiten  compositionsglied  der 
o-laut  nach  g  weiter  in  u  (Gu[t]stdwer,  nschw.  Gustaf)  über- 
gegangen ist.  Wie  bekannt  gehörte  im  aschw.  auch  r  den 
koalisierten  consonanten  an;  dies  ergibt  sich  z.  b.  daraus,  dass 
aschw.  t  zwischen  labial  und  r  in  y  übergeht,  z.  b.  virßa  > 
vyrpa,  nschw.  vörda,  Birghir  >  Byrgkir,  nschw.  Börje  etc.  (Kock, 
Sv.  spräkhist.  s.  22  f.).  Es  mag  möglicherweise  auf  den  ersten 
blick  befremden,  dass  UL.  vor  r  den  o-laut,  aber  nach  r  den 
w-laut  verwendet.  Das  befremdende  schwindet  aber,  wenn  man 
bedenkt,  dass  r  zu  gleicher  zeit  ein  supradentaler  und  ein 
labialisierter  consonant  war.  üeberhaupt  findet  sich  im  schwed. 
die  tendenz,  vor  (aber  nicht  nach)  supradentalen  consonanten 
offene  vocale  zu  verwenden  (und  o  ist  offener  als  u;  vgl.  Kock, 
Arkiv  n.  f.  5, 244  ff.).  Wenn  aber  ein  consonant  labial  oder 
labialisiert  ist,  so  beeinflusst  er  auch  den  nachfolgenden  vocal. 
Wahrscheinlich  war  auch  das  h  im  aschw.  labialisiert,  da  i 
zwischen  h  und  r  oft  in  y  übergeht,  z.  b.  hirpe  >  hyrdhe  etc. 
(Kock,  Sv.  spr&kh.  s.  25). 

Ich  erblicke  im  subst.  skot  eine  weitere  gute  stütze  dafür, 
dass  ein  vorhergehender  laut  bei  der  vocalisation  u  :  o  einen 
einfluss  ausgeübt  hat.  UL.  hat  skot,  matskot,  sicelfskot  mit  o, 
aber  utskut,  utskutstola  mit  u;  in  diesen  Wörtern  findet  sich  u 
auch  in  der  ersten  silbe.  Hiermit  ist  zu  vergleichen,  dass, 
während  das  aschw.  im  subst.  holmber  fast  immer  o  (nicht  u) 
verwendet,  man  im  Westmannagesetz  B.  17  pr.  (textcodex) 
flut  humlb&r  statt  flut  hulmbar  mit  u,  im  codex  C  fluthultnar 
auch  mit  u  liest.  Dies  beruht  darauf,  dass  auch  die  erste  silbe 
des  compositums  flut-hulmber  ein  t*  enthält. 

Es  ist  eine  andere  frage,  ob  in  der  spräche  des  UL.  u 
nach  den  erwähnten  consonanten  durch  eine  lautgesetzliche 
entwickelung  aus  o  entstanden  ist  (z.b.  urnord.  nom.  sg.  *bukkan 

>  *bokkan  [durch  a-umlaut]  >  bokkr  >  bukkr),  oder  ob  der 
«-laut,  bei  freier  wähl  zwischen  u  :  o,  am  liebsten  gewählt 
worden  ist,  wenn  der  vorhergehende  consonant  labial  bez. 
labialisiert  war.  Es  ist  möglich,  dass  eine  lautgesetzliche  ent- 
wickelung o  >  u  nach  irgend  einem  der  erwähnten  laute 
(z.b.  b)  durchgeführt  worden  ist;  da  sich  aber  moghandi,  rotin 

Beitrage  zur  geschieht«  der  deutsch«  »pr»oh«.    XXIII.  34 


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530 


KOCK 


mit  o  finden,  so  zeugen  sie  dafür ,  dass  ein  lautgesetzlicher 
Übergang  o  >  u  nicht  nach  allen  den  angeführten  lauten  ein- 
getreten ist.  Wenigstens  vorläufig  ist  es  deshalb  am  vorsich- 
tigsten, das  Verhältnis  in  der  weise  darzustellen,  dass  nach  den 
erwähnten  consonanten  der  vocal  u  wenigstens  meistenteils 
gewählt  worden  ist,  dass  aber  eine  lautgesetzliche  ent  Wickelung 
o>  u  vielleicht  nach  irgend  einem  dieser  consonanten  ein- 
getreten ist. 

Das  oben  für  UL.  dargelegte  Verhältnis  findet  sich  wenig- 
stens teilweise  in  gewissen  anderen  aschw.  Schriften  wider. 
Sogar  im  altgutn.,  das  vor  r  in  der  regel  o  verwendet,  lässt 
sich  ein  einfluss  des  vorhergehenden  consonanten  verspüren. 
Trotz  dieser  regel  finden  sich  nämlich  im  altgutn.  burghan, 
bürg,  deren  w-laut  mit  dem  vorhergehenden  labialen  b-  in  causal- 
verbindung  zu  setzen  ist. 

Das  isl.  verwendet  wenigstens  zum  teil  u :  o  nach  derselben 
norm  wie  das  aschw.  Es  findet  sich  nämlich  o  vor  rd,  rt,  m 
z.  b.  in  isl.  orp,  morp,  borp,  notpan,  skorpa,  *)  skort,  skorto,  orta, 
orti  (praet.  von  yrkia),  horn,  korn,  porn,  forn  etc.  Also  ist  der 
o-laut  bei  einem  Wechsel  o  :  u  vor  diesen  lautverbindungen  mit 
hohem  supradentalem  r  (vgl.  Kock,  Arkiv  n.  f.  5, 247),  wenig- 
stens in  der  regel,  gewählt  worden.  Dagegen  isl.  bugr  'bie- 
gung',  bugi  —  bugr,  buga  'biegen*,  bukkr  (selten  bokkr),  bulstr  : 
bolstr  mit  b  vor  dem  wurzelvocal ;  fullr,  fullna,  fullnapr  etc. 
fuyl :  foyl  mit  f  vor  dem  wurzelvocal;  smuga,  munr,  anorw.  muga 
=  mega  mit  m  vor  dem  wurzelvocal;  isl.  gustr,  gusta,  gussa, 
gumi  .guma,  gulr,  gugna,  gup  :  gop,  gull :  goll  mit  anlauten- 
dem g  ;  hugna,  hugsa  (auch  hugr)  mit  anlautendem  h. 

Wenn  das  isl.  ulfr,  das  aschw.  ulwer  nur  u  (nicht  o)  hat, 
so  beruht  auch  dies  darauf,  dass  früher  das  stark  labiale  u> 
dem  ii  vorhergieng  (wulfn).  Im  zweiten  compositionsglied 
findet  sich  dagegen  -olfr  (Eyiolfr  etc.)  mit  a-umlaut;  vgL  ur- 
nord.  hajmwolafa  etc.  (s.  521).  Es  ist  möglich,  dass  in  der 
lautverbindung  wulf-  der  eintritt  desa-umlauts  in  der  fortis- 
silbe  durch  die  umgebenden  labialen  consonanten  verhindert 
worden  ist,  obgleich  der  a-uinlaut  in  dieser  lautverbindung 

')  Dagegen  z.  b.  urp  f.  'felsiger,  steiniger  ort'  (/-stamm:  p).  kt>t), 
burpr  (»-st.),  skurpr  (i-st). 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  531 

durchgeführt  wurde  (ha]>uwolafa,is\.-olfr),  wenn  sie  mit  semifortis 
accentuiert  wurde.  In  diesem  falle  ist  der  nom.  sg.  ulfr  die 
lautgesetzliche  entwickelung  aus  urnord.  *wulfa*.  Vgl.  s.  525  f. 
über  umlaut  in  der  semifortissilbe,  aber  nichtumlaut  in  der 
fortissilbe.  Es  ist  aber  auch  möglich,  dass  a-umlaut  auch  im 
simplex  *wulfan  >  *wolfan  lautgesetzlich  eingetreten,  obgleich 
nachher  der  w-laut  bei  freier  wähl  zwischen  u  :  o  gewählt 
worden  ist;  vgl.  auch  s.  521  f. 

In  diesem  Zusammenhang  verdient  auch  erwähnt  zu  werden, 
dass  sich  im  ält.  nschw.  ein  Wechsel  rttmpa,  aber  -rompa  findet. 
Das  Lexicon  lincopense  (1640)  verzeichnet  nämlich  rttmpa  (so- 
wol  im  schwed.-lat.  teile  wie  auch  im  lat.-schwed.  teile  s.  v. 
cauda);  aber  dagegen  muserompa  (ein  gewächs,  s.  v.  aizoon), 
Hästarompa  (s.  v.  anabasis),  Räfwa  rompa  (s.  v.  alopecurus). 
Zwar  würde  man  auch  hier  daran  denken  können,  dass  der 
a-umlaut  in  der  semifortissilbe  lautgesetzlich  eingetreten 
sei,  obgleich  nasal  -f  consonant  dem  u  nachfolgte.   Aber  es  ist 
wol  wahrscheinlicher,  dass  -rompa  durch  einen  dialektischen 
aschw.  tibergang  u  >  o  vor  nasal  +  consonanten  in  der  semi- 
fortissilbe zu  erklären  ist.   Dialektisch  ist  nämlich  vor  nasal 
+  consonanten  u  schon  aschw.  zu  o  geworden,  besonders  in 
der  provinz  Westmanland,  z.b.  lezond  (<  tep-sund  'meer enge' 
Westmannagesetz  BB.  ind.22),  ondan  (<  undan),  onde  (<  undir 
Kr.  26  pr.),  sonnodagh  (Kr.  B.  5, 4;  12  pr.  etc.),  misconna  cona 
(iE.  1,2),  conno  ('können'  Kr.8pr.),  conne  ('konnte'  Kr.  18), 
nach  dem  Vorworte  Schlyters  auch  fonnen\  vgl.  dass  in  dieser 
schrift  die  ableitungsendung  -ung  oft  die  form  -ong  hat,  z.b. 
enonga  bot  (Kr.  23, 2),  fiorpong  (Kr.  24, 12),  cononger  (Kr.  26 
pr.)  etc.   In  einem  westmanl.  diplom  (aus  dem  jähre  1399) 
finden  sich  Kombla  (Styffe,  Bidrag  tili  Skandinaviens  historia 
2, 82  bis),  konno  'können'  (ib.  84).   Die  entwickelung  scheint 
in  Westmanland  hauptsächlich,  aber  nicht  ausschliesslich,  in 
relativ  unaccentuierter  silbe  eingetreten  zu  sein;  wenigstens 
in  irgend  einer  gegend  der  provinz  ist  sie  also  auch  in  der 
fortissilbe  durchgeführt  worden.   Hiermit  sind  auch  zu  ver- 
gleichen die  aus  runeninschriften   verzeichneten  purmontr 
(Lilj.  475,  Uppland),  erinmontr  (Lilj.  591,  Uppland)  aus  -mundr  ; 
vgl.  Brate,  Runverser  100  anm.  9. 

34* 


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532 


KOCK 


Resultat. 

Der  a-umlaut  von  u  ist  nicht  (wenigstens  nicht  gänzlich) 
eine  urgerm.  entwickelung.  Wahrscheinlich  ist  er  erst  einzel- 
sprachlich  (also  im  urnord.  und  im  westgerm.)  eingetreten. 

Als  der  a-umlaut  in  früher  urnord.  zeit  in  z.  b.  *hurna  > 
horna  durchgeführt  wurde,  blieb  u  vorläufig  vor  m,  n  erhalten 
(z.  b.  in  *sumaraB).  Erst  nachdem  das  a  der  zweiten  silbe 
von  nom.  pL  *$umarö*  >  sumra*  etc.  synkopiert  worden  war, 
wurde  der  a-umlaut  spät  urnord.  in  den  laut  Verbindungen  -um-, 
-un-  (*sutnar*  >  somarn  etc.)  durchgeführt. 

In  den  an.  sprachen  ist  der  a-umlaut  nur  von  einem  wirk- 
lichen ä  bewirkt  worden  (nicht  aber  von  ö,  cB  oder  von  dem 
aus.«  entwickelten  d'-ähnlichen  laute,  der  in  den  an.  literatur- 
sprachen  zu  e,  i  wurde,  z.  b.  in  nom.  sg.  fiutt).  Der  Wechsel 
o  :  u  in  den  fem.  n-stämmen  erklärt  sich  daraus,  dass  z.  b.  nom. 
hola  aus  hula  <  *hulö  (nicht  aus  *holö\  gen.  hulu  aus  *hulönn 
sich  entwickelt  hat. 

Vor  ggw  (brugginn  etc.)  findet  sich  kein  o.  lieber  ulfr  : 
-olfr  siehe  s.  530  f. 

Nachdem  ein  Wechsel  o  :  u  in  demselben  worte  (stamme) 
entstanden  war,  wurde  der  gebrauch  dieser  vocale  im  aschw. 
(wenigstens  dialektisch,  UL.)  in  folgender  weise  geregelt  Man 
hatte  eine  bestimmte  tendenz,  o  vor  hohem  supradentalem  r 
in  rÖ,  rt,  rn  (und  meistenteils  auch  sonst  vor  r)  sowie  vor  Ik, 
Im  zu  benutzen.  Wenn  o  nach  dieser  regel  nicht  gefordert 
wurde,  so  machte  sich  eine  andere  tendenz  geltend:  bei  freier 
wähl  zwischen  o  :  u  findet  sich  u  gern  nach  den  labialen  b, 
f,  m  und  dem  koalisierten  g  (r,  /<?).  Im  isl.  wird  der  Wechsel 
o  :  u  z.  t.  in  derselben  weise  normiert. 

Excurs. 

Die  behandlung  des  germ.  diphthongs  et*  und  der 
Wechsel  iü  :  iö  in  den  an.  sprachen. 

Die  aus  urnord.  inschriften  belegten  skipaleubait  (Skärkind) 
und  AleugaR  (Skaäng)  mit  eu  (nicht  eo)  vor  dem  a-laut  der 
folgenden  silbe  lehren,  dass  der  diphthong  eu  in  urgerm.  oder 
urnord.  zeit  nicht  in  eo  übergieng,  wenn  die  folgende  silbe 
ein  a  enthielt.  Dies  ist  lautphysiologisch  leicht  erklärlich: 
ebenso  wie  der  a-umlaut  überhaupt  nicht  durchgeführt  wurde, 


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DBB  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNOBD.  SPRACHEN.  533 

wenn  das  palatale  {  zwischen  u  und  dem  folgenden  a-laut 
stand,  so  wurde  er  in  den  an.  sprachen  auch  nicht  bewirkt, 
wenn  der  palatale  vocal  e  dem  m  unmittelbar  vorhergieng, 
d.  h.  im  diphthonge  eu.  Bugge  hat  im  Arkiv  n.  f.  4, 23  die 
bedeutung  jener  urnord.  Wörter  für  die  a-umlautsfrage  hervor- 
gehoben, und  unabhängig  von  ihm  hatte  ich  vermutet,  dass 
der  diphthong  eu  dem  a-umlaut  nicht  unterlegen  sei. 

Die  regeln  für  die  Verwendung  der  diphthonge  ia :  iö  in 
den  an.  sprachen  sind  nämlich  einer  revision  bedürftig. 

Es  ist  allbekannt,  dass  der  diphthong  eu  in  der  aschw. 
literatursprache  im  allgemeinen  zu  in  geworden  ist.  In  der 
Tidskrift  f.  fil.  n.  r.  8, 288  anm.  habe  ich  die  ausnahmen  von 
dieser  regel:  Uößer  (neben  Haßer),  liömber  (neben  liamber)  etc. 
angeführt  Noreen,  der  die  soeben  referierte  ansieht  nicht 
billigt  (vgl.  Aschw.  gramm.  §  163  anm.  3),  vermutet  ib.  §  82, 
dass  diese  aschw.  Wörter  mit  iö  (liömber  etc.)  aus  solchen 
dialekten  stammen,  wo  eu  in  allen  Stellungen  zu  iö  geworden, 
oder  dass  iö  vielleicht  einem  urnord.  eo  entspricht,  das  durch 
a-umlaut  von  eu  entstanden. 

Schon  längst  ist  es  bekannt,  dass  das  isl.  iö  vor  'dentalen' 
und  interdentalen  (biöpa,  siön  etc.)  verwendet.  In  Pauls  Grundr. 
I2  §  110  formuliert  Noreen  die  regel  dahin,  dass  ia  nur  vor 
%  f,  S»  h  P  URd  im  auslaut  erhalten  worden,  vor  r  zu  g  (dyr 
etc.),  sonst  aber  zu  iö,  z.  b.  siön,  liomi  geworden  sei.  In  seiner 
Aisl.  gramm.2  §  98  wird  pl.  hiü  als  beispiel  für  ia  im  auslaut 
angeführt,  und  er  meint  dort,  dass  a-umlaut  in  (h)liömr,  piöfr 
(selten  piufr),  miökr  (gewöhnlich  miükr)  vorliege. 

Ich  fasse  die  sache  dagegen  in  folgender  weise  auf. 

Bei  der  behandlung  dieser  frage  muss  man  diejenigen 
Wörter,  wo  der  diphthong  ia  (iö)  durch  das  zusammenstossen 
des  wurzelvocals  mit  dem  vocal  der  endung  (z.  b.  J>ria  <  *J>riu) 
entstanden  ist,  von  denen  mit  dem  germ.  diphthong  eu  (isl. 
biößa  etc.)  scharf  scheiden. 

Dass  im  isl.  der  germ.  und  urnord.  diphthong  eu  nicht  nur 
vor  'dentalen'  und  interdentalen,  sondern  auch  vor  m  laut- 
gesetzlich zu  iö  wurde,  geht  aus  isl.  hliömr,  hliöma,  liomi,  liöma 
hervor.  Aber  auch  im  aschw.  (oder  wenigstens  in  den  meisten 
aschw.  dialekten)  ist  der  germ.  und  urnord.  diphthong  eu 
vor  w  lautgesetzlich  in  iö  übergegangen.   Es  finden 


534 


KOCK 


sich  nämlich  aschw.  liömin  'lau',  liömhet  'lauheit',  liömaßer 
,lau  gemacht,  lau',  liömber  'lau'  (dies  ist  die  aschw.  normal- 
form). Noch  das  Neue  testament  von  1526  hat  lyöm,  die  bibel 
von  1541  und  die  von  1703  Horn.  Das  ält.  nschw.  verwendet 
liom(m)  ' dumpfer  laut',  liomma  '  dumpf  lauten'  (mehrere  bei- 
spiele  in  dem  handschriftlichen  Wörterbuch  des  ält.  nschw.  von 
F.  A.  Dahlgren),  liomhörd  'harthörig'.  Noch  Westes  Wörterbuch 
(1807)  verzeichnet  Ijomhörd,  Mit  dieser  entwickelung  eu  >  iö 
vor  m  ist  die  behandlung  des  endvocals  u  im  jüngeren  aschw. 
zu  vergleichen.  In  kurzsilbigen  Wörtern  ist  der  alte  endvocal  w 
in  der  regel  erhalten  (gätu  etc.);  vor  m  ist  er  aber  zu  o  ge- 
worden: vtnum  >  vXnom  etc.  (Kock,  Fsv.  ljudlära  1, 211  ft). 

Nur  seltener  sind  im  aschw.  beispiele  des  adj.  liömber 
mit  iu  (liumber)  belegt;  nschw.  aber  ljum.  Ausserdem  hat  das 
aschw.  einmal  liutnske  (neben  dem  gewöhnlicheren  li&ske), 
nschw.  ljumske.  Das  ält.  nschw.  verwendet  adj.  Uumsk  'falsch', 
bisweilen  Uum,  liumma  statt  liom(m)  'dumpfer  laut',  liomma 
'dumpf  lauten'  und  auch  ljumhörd  statt  Ijomhörd.  Aus  dem 
angeführten  geht  hervor,  dass  das  jetzige  nschw.  ausschliess- 
lich ju  verwendet,  während  das  aschw.  öfter  iö  als  iu  hatte. 
Dies  ist  jedenfalls  so  zu  erklären,  dass  im  jüngeren  aschw. 
und  ält.  nschw.  eine  lautgesetzliche  entwickelung  iö  >  tu 
durchgeführt  wurde,  welche  vielleicht  in  Zusammenhang  mit 
der  Verkürzung  des  ö- lautes  (liöm  >  liümm)  steht  Hiermit 
kann  man  vergleichen  sowol  dass  im  ostnord.  ö  bei  Verkürzung 
zu  u  wurde  (z.  b.  aschw.  halgöme  >  h&gümme  etc.,  Kock,  Arkiv 
4, 176  ff.),  als  auch  dass  im  aschw.  der  diphthong  tu  in  den 
endungen  langsilbiger  Wörter  erhalten  bleibt,  obgleich  der  end- 
vocal u  in  anderen  langsilbigen  Wörtern  in  o  übergeht,  z.  b. 
kirkiu,  aber  (gingu  >)  gingo  (Kock,  Arkiv  n.  f.  7, 334  ff.). 

Diese  Wörter  (liömber  etc.)  mit  iö  im  isl.  und  mit  iö  (iu) 
im  aschw.  sind  aus  dem  adän.  nicht  belegt. 

In  den  an.  sprachen  dürfte  aber  der  germ.  diphthong  eu 
auch  in  gewissen  anderen  steDungen  sich  lautgesetzlich  zu  iö 
entwickelt  haben,  obgleich  nur  äusserst  wenige  Wörter  in  be- 
tracht  kommen. 

Das  isl.  hat  iö  in  p%6  n.  'the  thigh'  (vgl.  ags.  teoh\  tioa 
'helfen'  (praes.  tiöar,  tiör;  praet.  tioapi,  tiopi);  ausserdem  findet 
sich  iö  in  aschw.  *liö  'lau',  das  zweimal  im  neutr.  liöt  belegt 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  535 

ist,  und  in  aschw.  liöe  'lau',  einem  cur.  Xsy.,  das  (wenn  kein 
Schreibfehler  vorliegt)  die  bestimmte  form  von  *liö  'lau'  ist. 
Aus  dem  ält.  ndän.  ist  aber  neutr.  Hut  'lau'  einmal  belegt. 

Möglicherweise  würde  isl.  tioa  daraus  erklärt  werden 
können,  dass  iö  im  praes.  tior,  praet.  tiöjn  lautgesetzlich  vor 
r,  p  entstand.  Da  das  verb  aber  auch  tiöar,  tiöapi  flectiert, 
so  ist  diese  annähme  sehr  unsicher,  und  jedenfalls  kann  das 
iö  der  anderen  Wörter  nicht  in  dieser  weise  erklärt  werden. 

Es  ist  vielmehr  wahrscheinlich,  dass  das  eu  in  den  an. 
sprachen  lautgesetzlich  zu  iö  wurde  1)  im  auslaut,  z.b.  isL  Jri6t 
2)  unmittelbar  vor  vocal  (wenigstens  vor  a;  kaum  vor  u),  z.  b. 
isl.  piöa,  aschw.  liöe,  obl.  casus  *liöa.  Im  adj.  liö  'lau'  ent- 
stand dann  iö  in  mehreren  casus,  z.b.  nom.  sg.  fem.,  nom. 
acc.  pl.  neutr.  liö,  acc.  sg.  masc  liöan,  fem.  liöa  etc.  Das 
ält.  ndän.  Hut  ist  die  lautgesetzliche  form  in  nom.  acc.  sg. 
neutr.,  während  aschw.  liöt  sein  iö  aus  anderen  formen  be- 
kommen hat.  m 

Mit  der  entwickelung  eu  >  iö  vor  vocal  (wenigstens  vor  a) 
darf  zusammengestellt  werden,  dass  ü  vor  vocal  (wenigstens 
vor  a)  im  ostnord.  lautgesetzlich  zu  ö  wurde  (Kock,  IF.  2, 332  ff.). 

Nach  dieser  Veränderung  der  regeln  für  die  behandlung 
des  germ.  diphthongs  eu  brauchen  nur  noch  folgende  Wörter 
besprochen  zu  werden. 

Gemeinnord,  ist  a  in  der  semifortissilbe  zu  ö  geworden, 
z.b.  isl.  füss,  aschw.  füsf  aber  aschw.  öfös,  isl.  Olföss  (Kock, 
Arkiv  n.  f.  1, 57  ff.;  vgl.  oben  s.  516  anm.  2).  Nach  diesem  laut- 
gesetz  sind  auch  zu  erklären: 

die  im  aschw.  recht  gewöhnlichen  personennamen  auf 
•niöt(e)r,  z.  b.  run.  sikniot  (d.  i.  Sighniot),  ouniot,  aschw.  Gwde- 
niot.   Das  aschw.  verb  niüta  hat  dagegen  immer  t«; 

aschw.  icernbiögher,  aber  z.  b.  biüghhwtta;  vgl.  isl.  bittga; 

aschw.  öliöwer  (mit  iö  an  den  zwei  stellen  geschrieben, 
wo  das  wort  sich  findet),  aber  liüwer,  seltener  liöwer  mit  iö 
aus  öliöwer  übertragen.  Auch  das  adän.  verwendet  Höf  neben 
dem  gewöhnlicheren  Huf. 

Neben  miakr  findet  sich  im  isl.  selten  miökr;  ich  vermute, 
dass  es  iö  aus  dem  compositum  ümiökr  bekommen  hat.  Das 
wort  4dieb'  wird  als  zweites  compositionsglied  einer  menge 


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536 


KOCK 


Zusammensetzungen  verwendet.   So  verzeichnet  Rydqvist,  Sv. 
spräkets  lagar  6  aus  dem  aschw.  fiska-,  gor-,  humbla-,  hwinsku-, 
kirkiu-,  ncetia-,  run-,  skafl-,  vipertaku-piuwer,  ufiiuica,  urpiuwa ; 
vgl.  noch  z.  b.  isl.  hrossapiöfr,  saupapiöfr,  rummung sßiö fr.  In 
solchen  compositis  wurde  -piafr  lautgesetzlich  zu  -piöfr,  und 
aus  ihnen  wurde  das  iö  auf  das  simplex  is\.  piafr  Übertragren, 
so  dass  piöfr  auch  als  simplex  die  normale  form  ist.   Zur  be- 
festigung  von  piöfr  hat  auch  der  umstand  mitgewirkt,  dass 
das  isl.  eine  menge  personennamen  auf  -piöfr:  Vaipiöfr,  Geir- 
piöfr,  Hünpiöfr,  Gunnpiöfr  etc.  verwendet,  welche,  wie  Bugge, 
Arkiv  2, 225  ff.  dargelegt  hat,  Umbildungen  von  ags.  namen  auf 
-peow  (mit  peow  'servant,  slave'  zusammengesetzt)  sind.  Spater 
fasste  man  aber  solche  namen  als  mit  piöfr  'dieb'  zusammen- 
gesetzt auf. 

Das  aschw.  hat  bisweilen  shiöter  statt  skiüter  'schnell', 
nicht  selten  icemsket  neben  icemskyt  (adv.)  und  auch  fulsket 
neben  fulskyt  (adv.).  *Mmskiütt,  *fülskiütt  mit  fortis  auf  dem 
ersten  compositionsglied  giengen  lautgesetzlich  in  *i<6tnskiött, 
*fullskiött  (vgl.  isl.  iafnskiött,  fullskiötf)  etc.  über,  welche  spater 
lautgesetzlich  zu  iatmsfött,  fullskett  etc.  wurden,  ebenso  wie 
skiütt,  *icemskiütt  zu  skytt,  icemskytt  (skyt,  icemskyt  geschrieben; 
Kock,  Arkiv  n.  f.  7, 324«)).  Aus  den  compositis  auf  -skiöter  ist 
das  iö  bisweilen  auf  das  simplex  skiüter  (shiöter)  übertragen 


*)  Das  aschw.  adverb  sket  'schnell'  kann  nicht  (wie  Karsten,  Studier 
öfver  de  nord.  Sprakens  primära  nominalbildning  1, 110  und  Noreen,  Aschw. 
gramm.  §  99  anm.  meinen)  aus  einem  älteren  *skeytt  entstanden  sein.  Ein 
simplex  *skeytr,  *skeytr  gibt  es  nämlich  nirgends;  es  findet  sich  nur  ein 
compositum  isl.  an.  Xty.  beinskeytr  'wer  fähig  ist  das  siel  mit  dem  schlisse 
zu  treffen',  vgl.  auch  isl.  bräpskeyttr  'schnell'.  Dass  das  aschw.  skett  (sket 
geschrieben)  sich  aus  skiött,  skiött  entwickelt  hat,  geht  daraus  hervor,  dass 
0  sich  fast  ausschliesslich  im  neutr.  bez.  im  adv.  sket  findet  (sonst  skiüter, 
skioter  mit  iß,  iö),  d.h.  nur  in  der  form,  wo  ein  langer  consonant  dem  iö 
nachfolgt«,  und  wo  das  iö  deshalb  zu  t#>(t)&  verkürzt  wurde.  Hiermit 
stimmt  vollständig  überein,  dass  das  isl.  als  adverb  skiött  'schneU'  (nie  aber 
*skeytt)  verwendet.  Gleichzeitig  mit  der  entwickelung  skiött  >  skiött> skett 
(8ket  in  dem  s.  g.  Westgötagesetz  IV,  hs.  um  1325)  ist  die  entsprechende  ent- 
wickelung skiütt  >  skiütt  >>  skyt  (skyt  im  Södermannagesetz  cod.  B  um  1335) 
eingetreten.  Ans  dem  sehr  gewöhnlichen  skett  ist  e  ausnahmsweise  auf  die 
sehr  seltenen  sketare  (compar.  statt  skiütare,  skiötare),  sketast  (superl.  statt 
skiütast,  skiötast)  übertragen  worden.  Noreens  bemerkung,  Aschw.  gramm. 
§  99  anm.,  ist  also  ganz  unberechtigt. 


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DBB  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNOBD.  8PBACHEN.  537 

worden.  Das  subst.  skiat  n.  'pferd,  stute'  und  das  verb  skiüta 
'schiessen'  haben  aber  immer  iü. 

Aschw.  liaghnelder  wurde  durch  die  gewöhnliche  ent- 
wickelung  ghn  >  gn>  ngn  zu  liungnelder,  wobei  in  wenig- 
stens dialektisch  verkürzt  wurde:  liüngnelder.  Ebenso  wie 
der  brechungsdiphthong  iü  vor  ng  dialektisch  in  io  übergieng 
(siunga  >  sionga  etc.),  so  entwickelte  sich  auch  iü  in  liüngn- 
elder vor  ng  dialektisch  zu  iö:  liongnelder.  Hiermit  ist  zu- 
sammenzustellen, dass  das  lehnwort  iunkhcerra  (mnd.  junker) 
dialektisch  zu  ionkare,  ionker  wurde;  vgl.  den  dialektischen 
Übergang  siünka  >  siönka  etc.') 

Statt  der  normalen  aschw.  tiüper  'tüder',  tiüpra  'tüdern' 
finden  sich  im  Westmannagesetze  das  compositum  tiöpasr  stakt 
und  das  verb  tiöpra  mit  iö.  Da  dieses  gesetz  mehrere  dialek- 
tischen züge  enthält,  welche  mit  dem  jetzigen  dialekte  in 
Dalarna  übereinstimmen  (Kock,  Fsv.  ljudl.  2,  519  ff.),  und  da 
germ.  eu  im  dalekarlischen  überall  zu  iö  geworden  ist  (Noreen, 
Aschw.  gramm.  §  82  anm.  1),  so  sind  piöpmr-,  piöpra  im  West- 
mannagesetze eine  dialektische  (dalekarlische)  form. 

Als  eine  westgötländische  dialektform  kann  das  einmal 
im  älteren  Westgötagesetze  belegte  stiornfast  (aus  *stiurn  = 
isl.  stiorn  'rüder'  und  faster  'fest'  zusammengesetzt)  aufgefasst 
werden.  Die  alte  spräche  Westgötlands  steht  nämlich  in 
mehreren  beziehungen  dem  anorw.  sehr  nahe  (Kock,  Fsv.  ljudl. 
2, 502  ff.),  und  im  anorw.  geht  eu  bekanntlich  vor  r  in  iö 
über  (stiorn).  Möglicherweise  rührt  jedoch  das  iö  in  stiornfast 
aus  der  accentuierung  (*stiürnfdster  >)  stiörnfdster  her. 

Wenn  das  isl.  neben  dem  gewöhnlicheren  iöl  auch  iül 
verwendet,  so  vermute  ich,  dass  das  wort,  welches  pl.  tantum 
ist,  etwas  früher  nom.  acc.  iöl,  gen.  iöla,  aber  dat.  iülum  flec- 
tierte,  d.h.  dass  iü  (iu)  vor  dem  u  der  ultima  erhalten  blieb. 
Der  dativ  findet  sich  oft  in  den  ausdrücken  at  iölum,  i  iölum, 
möt  iölum.   Hiermit  ist  zusammenzustellen,  dass  (vgl.  Brate, 


>)  In  den  aschw.  lehnwörtern  diost  :  diust,  diostera  :  diiisttra  (vgl. 
mnd.  dtost,  diosteren,  diwrteren),  io  :  iu  (vgl.  mnd.  jo,  ju),  iudhe  :  iodte 
(vgl.  mhd.jittfc  :  mnd.  jode)  rührt  der  Wechsel  io  :  iu  von  den  fremden  spra- 
chen her,  aus  welchen  sie  entlehnt  worden  sind.  Aschw.  hiook  (d.  i.  hiok), 
adän.  hiogh  'scherz'  enthält  kein  germ.  eu;  vgl.  jäk  mit  jä  in  nschw.  dia- 
lekten. 


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538 


KOCK 


Aldre  Vestmannalagens  ljudlära  s.  41.  Kock  in  Tidskr.  LfiL  ilt. 
8, 284  ff.  Noreen,  Aisl.  gr.1  §  90  anm.)  der  brechungsdiphthong  tu 
vor  einem  u  der  folgenden  silbe  erhalten  bleibt  (z.  b.  fiughur, 
fiugurra  trotz  iorp  etc.  mit  io);  vgL  auch  dass  u  vor  einem 
assimilierten  nasal  bleibt  (und  nicht  zu  o  wird),  wenn  die 
nächste  silbe  u  enthält,  z.  b.  nom.  sg.  f.  *unkur  >  aschw.  ukkur, 
aber  nom.  sg.  m*unkarr  >  aschw.  okkar  (Kock,  Arkiv  n.  f.  7, 3 1 5  fl). 
Wenn  diese  erklärung  von  iül :  iöl  die  richtige  ist,  so  ist  eu 
im  isl.  wenigstens  vor  l  zu  ia  geworden,  wenn  die  folgende 
silbe  ein  u  enthielt.1) 

Die  cardinalzahl  isl.  fiörir,  aschw.  fiüHr,  agutn.  dat  fiaurum 
enthält  nicht  den  germ.  diphthong  eu,  sondern  den  brechungs- 
diphthong  eu.  Dieser  hat  aber  bei  der  entwickelung  *fedurai 
>  *feuöre*  >  *feuren  dieselbe  quantität  wie  jener  bekommen 
und  ist  deshalb  in  den  verschiedenen  dialekten  in  derselben 
weise  behandelt  worden  (s.  Kock,  Beitr.  20, 125  ff.  Arkiv  n.  f. 
10, 252  ff.;  betreffs  Ö  in  *fedurai  vgl.  Noreen,  Svenska  etymolo- 
gier  s.  39  ff.).  Da  sich  fiöri  (neben  fiüre)  im  Dalagesetze  und 
im  Westmannagesetze  findet,  so  ist  fiöri  ebenso  wie  /iö^pt-, 
tiöpra  im  Westmannagesetze  zu  erklären. 

Im  agutn.  ist  wie  bekannt  der  germ.  diphthong  eu  immer 
zu  iau  geworden,  z.  b.  biaupn  (isl.  biöpa),  driaugr  (isl.  driügr). 

Ich  gehe  zur  behandlung  der  diphthonge  eu,  io  (iu)  Uber, 
wenn  sie  durch  das  zusammenstossen  des  wurzelvocals  mit  dem 
endvocal  entstanden  sind.  Wir  werden  sehen,  dass  der  Wechsel 
ia  :  iö  der  an.  literatursprachen  (besonders  des  aschw.)  einen 
vorgeschichtlichen  Wechsel  «  :  ö,  ö  in  den  endungen 
reflectiert. 

Noch  in  der  jüngst  erschienenen  Aschw.  gramm.  §  122, 1 
findet  Noreen  es  auffallend,  dass  agutn.  pry  ('drei'  nom.  acc.  neutr.) 
trotz  isl.  pH u  verwendet,  obgleich  isl.  iü  (dHügr  etc.)  sonst  dem 
agutn.  iau  (driaugr  etc.)  entspricht:  'auffallender  weise  steht 
ntr.  pry  'drei',  das  also  vielleicht  nicht  genau  dem  aisl.  pHu 
entspricht'. 

Meiner  ansieht  nach  entspricht  dagegen  agutn.  aschw.  pr$ 

')  In  Übereinstimmung  hiermit  fasse  ich  auch  den  von  Noreen,  Aisl. 
gramm.«  §  55  anm.  3  nicht  erklärten  Wechsel  isl.  föa  :  orknöisch  füa  anf : 
man  hat  früher  nom.  *fufui  >  föa,  aber  gen.  *fuhu  >  füu  flectiert. 


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DER  ^-ÜMLAÜT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  539 

vollständig  dem  isl.  priü  trotz  agutn.  driaugr  =  isl.  driügr  etc. 
Der  Widerspruch  ist  nur  scheinbar  und  erklärt  sich  daraus, 
dass  agutn.  driaugr,  isl.  driügr  den  germ.  diphthong  eu  ent- 
hält, während  isl.  priü,  agutn.  aschw.  pry  dem  got.  prija  ent- 
spricht. 

Wie  bekannt  wird  das  'umspringen  des  accents'  bei  dem 
zusammenstossen  eines  palatalen  wurzelvocals  und  eines  guttu- 
ralen endvocals  in  weit  grösserer  ausdehnung  im  westnord. 
als  im  ostnord.  durchgeführt.  Wenn  das  umspringen  des 
accents  auch  im  ostnord.  eingetreten  ist,  so  muss  es  als  eine 
relativ  alte  (gemeinnord.)  entwickelung  aufgefasst  werden, 
z.  b.  urnord.  *sebun  >  *se(w)un  >  aschw.  stä,  isl.  aschw.  hiön, 
isl.  firiü  (nom.  acc.  neutr.)  aschw.  *ßriü  >  pry. 

Wenn  das  umspringen  des  accents  aber  nur  im  westnord. 
und  in  gewissen  gegenden  des  ostnord.  Sprachgebietes  durch- 
geführt worden  ist  (vgl.  Kock,  Arkiv  n.  f.  1, 382  ff.),  so  ist  diese 
entwickelung  in  späterer  (einzelsprachlicher)  zeit  eingetreten, 
z.  b.  isl.  treom  >  triöm.  Ueber  die  bedingung  für  das  um- 
springen des  accents  s.  Kock,  Arkiv  n.f.  10, 213  ff. 

Die  Wörter  welche  uns  hier  eigentlich  interessieren,  sind 
solche,  wo  das  umspringen  des  accents  sich  sowol  im  ostnord. 
wie  im  westnord.  vollzogen  hat. 

Für  sie  gilt  folgende  regel:  'wenn  in  vorgeschichtlicher 
zeit  ein  palataler  vocal  (e,  f )  mit  dem  endvocal  u  bez.  ö,  o 
zusammenstiess,  und  wenn  ein  umspringen  des  accents  dabei 
eintrat,  so  haben  die  an.  literatursprachen  den  diphthong  ia 
(oder  einen  daraus  entwickelten  laut)  bez.  itf.'  Der  vorgeschicht- 
liche endvocal  u  wird  also  durch  ein  ia  der  literatursprache, 
der  vorgeschichtliche  endvocal  ö,  o  durch  ein  iö  der  literatur- 
sprache reflectiert.  Aus  leicht  ersichtlichen  gründen  sind  die 
beispiele  sehr  selten. 

Der  nom.  sg.  der  fem.  ö-stämme  und  der  nom.  acc.  pl.  der 
neutr.  a- stamme  haben  einmal  die  endung  -ö  gehabt,  welche 
aber  in  sehr  früher  urnord.  zeit  in  -u  übergegangen  ist  ,  z.  b. 
nom.  sg.  fem.  Uubu,  min«  (Opedal,  um  400  nach  Bugge,  Arkiv 
n.f.  4, 32),  nom.  acc.  pl.  neutr. *glaÖu  (>  isl. glgp).  Folglich  hiess 
der  nom.  acc.  pl.  neutr.  von  'drei'  um  400  *friu.  Dies  wurde 
nach  dem  umspringen  des  accentes  zu  isl.  priii,  und  daraus 
entwickelte  sich  schon  im  älteren  aschw.  pry  zufolge  der 


540 


KOCK 


von  mir  Arkiv  n.f.  2, 42  ff.  dargestellten  regel  'iu  >  y  nach  con- 
sonant  +  r\  Agutn./>ry  lehrt,  dass  die  regel  auch  für  das  aerutn. 
gegolten  hat,  wenn  der  diphthong  ia  durch  das  zusammenstossen 
des  wurzelvocals  i  mit  dem  endvocal  u  entstanden  ist. 

Urnord.  *sehun  (vgl.  got.  sibun)  wurde  durch  die  entwicke- 
lung  d  >  w  zu  *se(w)un  (vgl.  Noreen,  Arkiv  1, 163),  das  in  aschw. 
siü  tibergieng.  Die  entsprechende  Ordinalzahl  ist  aschw.  stände; 
auch  im  isl.  findet  sich  bisweilen  sitindi  (belege  bei  Fritzner2). 
Beitr.  15, 252  habe  ich  isl.  siau  besprochen.  Durch  anschluss 
an  *ahtou  (got.  ahtau)  bekam  *seun  die  nebenform  *seau,  welche 
aber  den  diphthong  au  erhielt,  weil  fortis  (ebenso  wie  in  *seun 
>  siü)  auf  den  zweiten  vocal  (sedu)  versetzt  worden  war. 
Agutn.  siau  ist  in  derselben  weise  zu  erklären.1) 

Wenn  isl.  hiü,  augu,  eyru,  wie  Noreen,  Pauls  Grundr.  \  \ 
§  195,  7  annimmt,  urspr.  die  endung  -un  (vgl.  ahd.  pl.  herzun) 
haben,  so  ist  isl.  hiü  aus  einem  älteren  *hltcun  mit  u  in  der 
ultima  entstanden.  Die  Voraussetzung  ist  aber  sehr  unsicher 
(s.  Kock,  Beitr.  15, 246  f.). 

Dagegen  findet  sich  iö  im  isl.  aschw.  pl.  hiön.  Das  got. 
verwendet  -öna  im  nom.  acc.  pl.  augöna  etc.,  und  dass  dies 
-ön-  den  ff-laut  noch  zu  der  zeit  unverändert  erhielt,  wo  -ö  in 
nom.  sg.  fem.  und  nom.  acc.  pl.  zu  -u  (liubu  auf  dem  norwegi- 
schen Opedalstein)  wurde,  ergibt  sich  aus  Igivon,  gen.  sg. 
eines  fem.  n-  Stammes,  auf  dem  norwegischen  Stenstadstein. 
Der  nom.  acc.  pl.  *hlu  ön  wurde  zu  *hiÖn,  und  aus  diesem  ent- 
stand durch  umspringen  des  accentes  isl.  aschw.  hiön. 

Wahrscheinlich  hatte  isl.  hiü  (und  auch  augu,  eyru)  die- 
selbe endung  wie  got.  augöna,  aschw.  eghon,  aschw.  isl.  hiön 
etc.  (Kock  a.a.O.).  Der  Wechsel  isl.  hiü  :  isl.  aschw.  hiön  ist 
in  diesem  falle  folgendermassen  zu  erklären.  Im  pl.  *hitcön 
(>  *hiön  >  hiön)  gieng  das  w  vor  o  zwar  lautgesetzlich  ver- 


')  Die  im  id.  ausnahmsweise  verwendeten  «ö 'sieben',  siöndi 'siebente' 
erkläre  ich  folgendermassen.  Ebenso  wie  gen.  sg.  *sunauR  zn  *sunöji  (später 
sonar)  wnrde,  so  gieng  der  diphthong  au  in  *9tau  mit  fortis  auf  t  in  irgend 
einer  gegend  in  ö  (**eö)  über,  ehe  fortis  auf  den  «weiten  vocal  versetzt 
wurde.  Erst  später  wurde  *aeö  zu  st'ö.  Möglicherweise  könnten  jedoch  «ö, 
siötuli  auch  so  erklärt  werden,  dass  der  diphthong  rü  in  siü,  siündi  dialek- 
tisch im  anslant  und  vor  dental  in  iö  übergieng;  vgl.  dass  der  genn. 
diphthong  eu  in  diesen  Stellungen  zu  »ö  (Jriö,  siön  etc.)  wurde. 


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DER  4-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  541 


loren,  aber  durch  beeinflussung  vom  sg.  *hüca  mit  erhaltenem  tv 
blieb  der  w-laut  im  pl.  *hiwön  vorläufig  facultativ  erhalten. 
In  *hiwön  ruhte  fortis  natürlich  fortwährend  auf  der  paen- 
ultima,  und  die  endung  -<>n  wurde  deshalb  in  gewöhnlicher 
weise  (vgl.  *augön  >  isl.  augu)  zu  -u  entwickelt  (*hiwu).  In 
relativ  später  zeit  gieng  aber  jetzt  w  vor  u  in  *ht(tc)u  ver- 
loren, und  hiu  wurde  nachher  durch  das  umspringen  des 
accents  zu  isl.  hin.1)  Dass  die  an.  sprachen  während  einer 
periode,  die  nur  kurz  vor  der  literarischen  zeit  lag,  den  end- 
vocal  u  (nicht  6)  verwendeten,  geht  aus  den  in  ags.  Urkunden 
vorkommenden  an.  namen  (Sievers,  Beitr.l2,482ff.)  und  aus  der 
(aschw.)  vocalbalance  (Kock,  Fsv.  ljudlära  2, 340  ff.)  hervor. 

Das  isl.  hiün  ist  eine  contaminationsform  aus  hiön  und  hiü. 

Ich  füge  eine  bemerkung  über  die  isl.  Wörter  hinzu,  wo 
das  umspringen  des  accents  relativ  spät  durchgeführt  worden 
ist  (bez.  hat  durchgeführt  werden  können),  also  über  Wörter, 
die  im  ostnord.  in  der  regel  fortis  auf  dem  ersten  vocal  haben. 

Im  isl.  finden  sich  1.  pl.  siöm  (und  sidm)  zu  sid  (vgl.  aschw. 
sea,  nschw.  se),  1.  pl.  liöm  (und  lidm\  vgl.  Wimmer,  Fnord.form- 
lära  s.  142)  zu  lid  (vgl.  aschw.  led),  dat.  pl.  triöm  (und  triam)  zu 
tri  (vgl.  aschw.  trce,  gen.  pl.  trea),  dat.  pl.  kniöm  (und  knidm) 
zu  Jene  (aschw.  knce\  obl.  casus  vißsiö  zu  vifsid  (vgl.  das  aschw. 
verb  äsea,  aber  auch  das  dial.  asiö,  obl.  casus  eines  fem.  n-stam- 
mes,  Kock,  Arkiv  n.f.  1,383).  Wie  bekannt  verwenden  die  äl- 
testen isl.  hss.  den  endvocal  o  (nicht  u).  Das  umspringen  des 
accents  kann  in  diesen  Wörtern  (*seom  >  siöm  etc.)  sehr  wol 
so  spät  vor  sich  gegangen  sein,  dass  der  o-laut  in  siöm  etc. 
eine  unmittelbare  fortsetzung  des  endvocals  o  in  der  ältesten 
isl.  Literatursprache  ist.  Wenn  der  nom.  acc.  pl.  von  tre,  kne 
bisweilen  IWo,  kniö  heisst,  so  ist  iö  natürlich  aus  dat.  pl.  triöm, 
kniöm  entlehnt  worden,  und  man  darf  nicht  mit  Noreen,  Aisl. 
gram m.-  §  298  anm.  2  alternativ  daran  denken,  dass  das  o  in 
triö,  kniö  das  vorgeschichtliche  u  des  nom.  acc.  pl.  (*barnu  > 
bgrn)  vertrete.  Dies  vorgeschichtliche  -u  findet  sich  nämlich 
im  literarischen  isl.  als  ü  (Priü),  nicht  als  ö,  wider.  Umgekehrt 

l)  Es  ist  zweifelhaft,  ob  die  von  Noreen,  Svenska  etymologier  s.  18  f. 
vorgeschlagene  etymologie  vom  nschw.  fjun  'flauin'  richtig  ist.  Wenn  es 
ans  pL  *ßwun  entstanden  ist,  so  ist  der  u-laut  in  derselben  weise  wie  in 
isl.  hiü  aufzufassen. 


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542 


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ist  id  analogisch  in  dat.  pl.  triam,  knidm  (aus  gen.  pl.  tria, 
knid,  Noreen  a.a.O.)  und  in  1.  pl.  sidm,  Ii  dm  (aus  3.pL  und  inl 
sid,  lid)  eingedrungen;  vgl.  dat.  pl.  klidm  (zu  kle),  lidm  (zu  Je), 
fidm  (zu  fe)  mit  analogischem  id  aus  nom.  pl.  klidr,  lidr  etc^ 
gen.  pl.  fid  etc. 

Es  dürfte  in  diesem  Zusammenhang  angemessen  sein,  auch 
den  diphthong  iö  der  praett.  ios,  iök,  hliöp  (zu  ausaf  aukat  hlaupa) 
zu  besprechen.  Das  praet.  pl.  dieser  verben  heisst  bekanntlich 
iösu,  iusu\  iöku,  iuku;  hliöpu,  hlupu;  praet  conj.  ysa,  esa;  yha, 
eka;  hlypa,  hlepa  mit  kurzem  wurzelvocal  (vgL  Wimmer,  Forn- 
nord.  formlära  §  132). 

Ljungstedt,  Anmärkningar  tili  det  starka  preteritum  i  germ. 
spräk  s.  128  ff.  Brugmann,  IF.  6, 89  ff.  und  Noreen  in  Pauls 
Grundr,  1  *,  §  240  sind  der  ansieht,  dass  ios  etc.  einen  aus  indog. 
eu  entwickelten  germ.  diphthong  eu  enthalte.  Nach  Hoffory. 
KZ.  27, 597  ist  dagegen  ios  aus  *eaus  in  der  weise  entstanden, 
dass  *eaus  mit  fortis  auf  c  sich  zu  *eös  mit  langem  ö  ent- 
wickelte (vgl.  gen.  sg.  *sunaun  >  *sunöa\  wonach  *eös  durch 
das  umspringen  des  accents  zu  ios  wurde,  iök  hat  sich  nach 
ilim  in  derselben  weise  wie  ios  entwickelt,  und  aus  iök,  ios 
wurde  iö  auf  hliop  übertragen. 

Die  praett.  ios,  iök,  hliöp  können  gewis  nicht  ein  indog. 
eu,  germ.  eu  enthalten,  denn  germ.  eu  gibt  vor  k,  p  isL  im 
(nicht  iö ;  vgl.  siükr,  driüpa  etc.).  Hierzu  kommt  aber  noch 
ein  anderer  umstand  von  nicht  geringerer  Wichtigkeit  Der 
2-umlaut  des  germ.  eu  wird  im  isl.  von  langem  y  (vgl.  lysa  : 
liös  etc.)  vertreten;  das  praet.  conj.  hätte  also  *ysa,  *yka,  *hlypa 
heissen  müssen,  heisst  tatsächlich  aber  ysa,  esa  etc.  mit  kurzem 
wurzelvocal. 

Die  von  Hoffory  vertretene  auffassung  befriedigt  besser, 
aber  auch  sie  kann  nicht  richtig  sein,  denn  falls  *eaus  zu  *eos 
mit  langem  ö  geworden  wäre,  so  hätte  das  praet,  conj.  *6sa 
mit  langem,  nicht  osa  mit  kurzem  o  heissen  müssen. 

Ich  fasse  die  sache  folgendermassen  auf. 

Tydning  af  gamla  svenska  ord  (1881)  8. 1  ff.  Svensk  akeent 
2,329  f.  habe  ich  gelegenheit  gehabt  darzutun,  dass  der  diphthong 
au  der  semifortissilbe  gemeinnord.  inkurzeso  übergieng,  z.  b. 
bruphlaup  >  brupiop,  windauga  >  aschw.  vindogha.  Das  praet 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  543 


von  auka  heisst  got.  aiauk  und  muss  urnord.  auch  *eauk,  pl. 
*eaukun  mit  fortis  auf  der  ersten,  semifortis  auf  der  zweiten 
silbe,  also  mit  der  accentuierung  eines  compositums,  geheissen 
haben.  Dies  entwickelte  sich  nach  der  soeben  erwähnten  regel 
zu  *eokt  pl.  *eoku  mit  kurzem  o.  Schon  ehe  der  diphthong 
eo  durch  das  umspringen  des  accents  zu  iö  mit  langem  o  ge- 
worden, wurde  das  praet.  conj.  *eokiö  (*eokia)  zu  *ieka  >  eka 
mit  kurzem  e.  Später  giengen  *eok,  *eoku  bei  dem  umspringen 
des  accents  in  iok,  iöku  mit  langem  o  über;  vgl.  *leti$an  > 
liuga  etc. 

Nach  den  zahlreichen  mustern  des  praet.  sg.  strauk  :  pL 
struku,  braut  :  brutu  etc.  wurde  zu  praet.  sg.  *eauk  der  pl. 
*euku  neugebildet,  welcher  durch  den  einfluss  der  erwähnten 
pluralformen  struku,  brutu  etc.,  bei  dem  umspringen  des  accents 
den  «-laut  kurz  erhielt:  isl.  mihi.  Vom  praet.  pl.  *eukuf  iuku 
wurde  ganz  regelmässig  praet.  conj.  *eukiö,  yka  mit  kurzem 
wurzel vocal  gebildet;  vgl.  praet.  pl.  struku  :  praet.  conj.  stryka  etc. 

Praet.  sg.  iös,  pl.  iusu,  praet.  conj.  esa,  ysa  sind  in  derselben 
weise  zu  erklären.  Praet.  hliöp  ( :  hlaupa)  ist  eine  neuschöpf ung 
nach  iok  ( :  auka),  iös  ( :  ausa). 

Dagegen  finden  sich  im  ostnord.  praet.-formen  von  hlaupa 
(lepa),  welche  lautgesetzlich  entwickelt  worden  sind,  nämlich 
aschw.  löp,  Up.x)  Urnord.  *hehlaup  wurde  lautgesetzlich  zu 
*hchlöp  ebenso  wie  *eauk  zu  *eök.  Nachdem  fortis  auf  die 
Wurzelsilbe  versetzt  worden  war  (*tiehl6p),  gieng  die  redupli- 
cations8ilbe  lautgesetzlich  verloren:  *hlop,  aschw.  lop.  Up 
(=  isl.  *hlaup,  ngutn.  laup)  ist  aber  die  lautgesetzliche  ent- 
wickelung  aus  urnord.  *hehlaup  mit  fortis  auf  der  ultima.  Zu 
dem  sg.  *hlaup  wurde  der  pl.  isl.  hlupu  nach  dem  muster  sg. 
strauk  :  pl.  struku  etc.  neu  geschaffen. 

Resultat. 

Die  regeln  für  die  behandlung  des  germ.  diphthongs  eu 
in  den  an.  sprachen  sind  folgendermassen  zu  formulieren. 

Im  isl.  wird  eu  zu  iö  vor  m  sowie  vor  dentalen,  supra- 
dentalen und  interdentalen  (wenn  u  in  der  nächsten  silbe  nach- 
folgt, wird  eu  zu  iü  wenigstens  vor  l),  ausserdem  wahrscheinlich 

»)  Noreen,  Pauls  Grnndr.  1»  §  240  fasst  Up  wie  ich  auf,  findet  aber  lop 
'unklar'. 


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im  aiislaut  und  unmittelbar  vor  vocal  (wenigstens  a;  kaum 
vor  m);  sonst  geht  eu  in  iü  über. 

Im  aschw.  (wenigstens  in  den  meisten  dialekten)  entwickelt 
sich  eu  zu  iö  vor  m  sowie  wahrscheinlich  auch  im  auslaut  und 
vor  vocal  (wenigstens  o;  kaum  vor  u);  sonst  wird  es  zu  iü. 

Durch  palatalumlaut  wird  eu  zu  //. 

Unabhängig  von  den  obigen  regeln  ist  ein  iü  der  semi- 
fortissilbe  sowol  im  isl.  wie  im  aschw.  zu  iö  geworden. 

Die  vorgeschichtlichen  endvocale  u,  ö  werden  in  den  an. 
literatursprachen  bez.  von  dem  diphthong  iü  (z.  b.  *setun  > 
aschw.  siü,  *priu  >  isl.  priu,  aschw.  agutn.  pry)  und  von  dem 
diphthong  iö  (z.  b.  *hi(w)ön  >  isl.  aschw.  hiön)  reflectiert. 

Die  praett.  des  typus  iök  sind  aus  *eauk  durch  die  laut- 
entwickelung  au  >  ö  in  der  semifortissilbe  entstanden. 

III.  Zur  frage  nach  dem  a-umlaut  von  i  in  den 

altnord.  sprachen. 

Die  ansichten  über  den  a-umlant  von  t  in  den  germ. 
sprachen  gehen  weit  auseinander,  obgleich  nach  dem  aufsatz 
Pauls,  Beitr.  6, 82  ff.,  nunmehr  alle  darin  einig  sind,  dass  es 
einen  solchen  umlaut  gibt. 

Nach  Noreen,  Urgerm.  lautl.  s.  20  und  Streitberg,  Urgerm. 
gramm.  §  68  ist  i  urgerm.  vor  ä,  ö,  ce  zu  e  geworden,  wenn 
es  nicht  durch  i  oder  nasal  +  consonanten  davon  getrennt  war. 
Brugmann,  Grundr.  1  99  äussert  sich  vorsichtiger;  doch  ist 
auch  er  geneigt,  diese  ansieht  zu  aeeeptieren.  Vgl.  auch  Ost- 
hoff, Beitr.  13, 417  f.  In  der  jüngst  erschienenen  Laut-  und 
formenlehre  der  altgerm.  dialekte,  hg.  von  Dieter,  ist  Bethge 
der  meinung,  dass  der  a-umlaut  von  t  (ebenso  wie  der  von  u) 
in  allen  Stellungen  durchgeführt,  dass  er  aber  einzelsprachlich 
und  nicht  im  got.  eingetreten  sei.  Nach  Kluge  in  Pauls  Grundr. 
1>,  410  f.  ist  der  wandel  von  indog.  f  zu  germ.  B  sehr  selten 
und  die  genaue  regel  für  das  urgerm.  noch  nicht  gefunden. 
Braune,  Ahd.  gramm.1  §  31  anm.  1  scheint  auch  etwa  dieser 
ansieht  zu  huldigen. 

Die  eigentliche  Ursache  dafür,  dass  mehrere  forscher  die- 
selbe regel  für  den  o- umlaut  von  t  wie  für  den  von  u  auf- 
gestellt haben,  ist  wol  die,  dass  man  meint,  der  a-umlaut  müsse 
notwendig  in  derselben  ausdehnung  auf  i  und  u  wirken,  obgleich 


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DER  .4 -UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNOED.  8PRACHEN.  545 

man  aus  gewissen  germ.  dialekten  (besonders  dem  ags.),  wo  der 
a-  umlaut  von  u  reichlich  vertreten  ist,  nur  äusserst  wenige 
beispiele  für  a-umlaut  von  i  hat  anführen  können. 

A  priori  darf  man  jedoch  gar  nicht  als  ausgemacht  an- 
nehmen, dass  der  a-umlaut  in  derselben  ausdehnung  auf  i  und 
auf  u  habe  wirken  müssen.  Ich  erinnere  z.  b.  daran,  dass  im 
isl.  die  regel  für  den  w- umlaut  von  a  und  diejenige  für  den 
tt-umlaut  von  i  ganz  verschieden  sind.  Der  jüngere  tt-umlaut 
ist  nämlich  bei  a  ohne  beschränkung  durchgeführt  worden, 
z.b.  talum  >  tylum  etc.,  bei  dem  f-laut  aber  nur,  wenn  ein 
labialer  consonant  dem  i  vorhergeht,  z.  b.  swistur  >  s(w)ystur 
etc.,  aber  dagegen  rifum  (nicht  *ryfum)  etc.  Im  aschw.  werden 
die  endvocale  w,  i  zwar  wesentlich,  aber  doch  nicht  ganz 
nach  denselben  regeln  behandelt;  so  bleibt  z.  b.  in  der  aschw. 
reichssprache  das  i  in  der  geschlossenen  silbe  langsilbiger 
Wörter  erhalten,  z.  b.  part.  bundin  (nicht  bunden\  während  das 
u  in  dieser  Stellung  in  o  übergeht,  z.  b.  bundun  >  bundon. 

Unter  diesen  umständen  ist  der  verdacht  vollberechtigt, 
dass  der  a-umlaut  von  i  nicht  in  derselben  ausdehnung  wie 
der  a-umlaut  von  u  durchgeführt  worden  ist,  oder  dass  wenig- 
stens z.  t.  andere  tendenzen  sich  bei  dem  umlaut  von  i  geltend 
gemacht  haben. 

Ich  will  zu  erörtern  versuchen,  nach  welchen  regeln  (oder 
tendenzen)  der  a-umlaut  von  *  in  den  an.  sprachen  ein- 
getreten ist. 

Es  findet  sich  i  z.b.  in  isl.  aschw.  skip  (ahd.  aber  skef 
neben  skif),  shin  n.  (vgl.  skina),  aschw.  *ahina  in  dem  compo- 
situm skinuben  (vgl.  ahd.  shena  neben  shina  'Schienbein'),  isl. 
gil  n.  'kluft'  (vgl.  geil  f.  «kluff),  gin  n.  (vgl.  gina);  zu  beachten 
sind  auch  isl.  aschw.  skipa,  isl.  skim  n.  'Schimmer'.  Ueberhaupt 
ist  aus  den  an.  sprachen  der  a-umlaut  von  i  in  keinem  worte 
mit  Je,  g  vor  dem  wurzelvocal  constatiert  worden.  Ich  ziehe 
hieraus  die  Schlussfolgerung,  dass  der  a-umlaut  von  t  in  dieser 
Stellung  lautgesetzlich  nicht  durchgeführt  worden  ist,  oder 
wenigstens  dass  bei  freier  wähl  zwischen  i  und  umgelau- 
tetem  e  dieser  laut  in  jener  Stellung  begünstigt  wurde.  Der 
lautphysiologische  grund  dafür  ist  selbstverständlich. 

Folgendes  ist  von  grösserer  Wichtigkeit. 

Wie  oben  s.  523  hervorgehoben  worden  ist,  findet  sich  in 

Beiträge  zur  geschieht«  der  deuUchan  spräche.   XX. III.  35 


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gewissen  aschw.  Schriften  ein  regelmässiger  Wechsel  o  :  u  in 
der  Wurzelsilbe  kurzsilbiger  Wörter  (kona  :  kunu  etc.),  aber 
nicht  in  der  langsilbiger  Wörter.  In  mehreren  modernen  nor- 
dischen dialekten  findet  eine  sog.  'tilljämning'  (angleichung)  in 
kurzsilbigen  (nicht  aber  in  langsilbigen)  Wörtern  statt 
Unter  'tilljämning'  versteht  man  in  diesem  falle,  dass  die 
qualität  des  wurzelvocals  sich  derjenigen  des  endvocals  nähert, 
bez.  dass  jene  dieser  gleichgemacht  wird.  So  sind  in  einigen 
dialekten  z.  b.  isL  anorw.  Ufa  zu  läfa,  isl.  anorw.  Usa  zn  läsa 
geworden.  In  gewissen  nnorw.  dialekten  ist  ein  *-laut  kurz- 
silbiger  Wörter  vor  a  in  ob  tibergegangen,  z.  b.  isL  anorw.  vtta 
>  nnorw.  v&ta  (A.  B.  Larsen,  Overeigt  over  de  norske  bygde- 
mal  s.  41). 

Ich  stelle  folgende  regel  auf:  'in  den  an.  sprachen  ist  der 
a-umlaut  von  i  nur  in  kurzen  (nicht  aber  in  langen)  silben 
mit  fortis  eingetreten'.  Alternativ  ist  möglicherweise  die  regel 
folgendermassen  zu  formulieren:  bei  freier  wähl  zwischen  * 
und  einem  durch  a-umlaut  entwickelten  e  (welche  laute  laut- 
gesetzlich in  verschiedenen  formen  wechselten)  wurde  das  um- 
gelautete  e  fast  nur  in  kurzsilbigen  Wörtern  gewählt.  Ich  sehe 
jedoch  kein  hindernis  dafür,  der  regel  die  erste  formulierung 
zu  geben.  Ob  der  a-umlaut  von  i  auch  in  einer  langen  silbe 
mit  semifortis  eintrat,  hängt  von  der  beurteilung  des  Wortes 
Urcpt  ab  (s.  unten  s.  550  f.). 

Es  findet  sich  kein  a-umlaut  z.  b.  in  den  langsilbigen  isL 
aschw.  fisk(e)r  (a-stamm;  vgl.  lat.  piscis),  nschw.  visp  (a-stamm; 
vgl.  lat.  virga),  isl.  adj.  bitr,  aschw.  biter,  acc.  bitran  (vgl.  bita\ 
isl.  vitr,  aschw.  viter,  acc.  vitran  (vgl.  vita  :  veit),  isl.  vitra  1  ver- 
stand', isl.  aschw.  vissa  f.  'gewisse  Kenntnis',  isl.  vissa  (praet  zu 
vita;  vgl.  ahd.  fränk.  wessa,  westa  neben  oberd.  wissa,  tcista  nach 
Braune,  Ahd.  gramm.1  §  31  anm.  2),  adj.  isl.  digr,  aschw.  digher, 
acc.  dig(h)ran  (vgl.  deigr). 

Während  das  kurzsilbige  isl.  hepan,  aschw.  hcepan  um- 
gelautet ist,  ist  der  umlaut  in  dem  langsilbigen  kipra  'hier' 
(vgl.  got.  hidre),  im  ältesten1)  isl.  nicht  durchgeführt;  erst  später 
findet  sich  hepra  mit  e,  das  aus  hepan  übertragen  ist 

»)  Ueber  hipra  (nicht  hepra)  im  ältesten  isländischen  s.  SieTers,  Beitr. 
16,  241. 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  Bf  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  547 

Die  kurzsilbigen  isl.  nefian,  aschw.  nce])an,  isl.  neparr,  nepari, 
neparla,  neparliga,  pl.  taut  im  1  nepar  'abnehmender  mond'  (neben 
nipar)  f  aschw.  ncepar  (neben  nipar)  haben  umlaut;  nicht  aber 
die  langsilbigen  isl.  aschw.  nipra  (praet  -of -),  isl.  nipran  f. 
Das  isl.  verwendet  nipri  nnd  nepri,  das  aschw.  nipre  und  ncepre; 
der  umgelautete  vocal  ist  aus  nepan  etc.  übertragen  worden. 
Umgekehrt  hat  isl.  aschw.  nipar  'abnehmender  mond'  (neben 
nepar,  naspar)  i  von  nip  n.  mit  derselben  bedeutung,  nipri  etc. 
bekommen.  —  Doch  können  nipri  etc.  mit  i  in  der  Wurzelsilbe 
auch  aus  vorgeschichtlichen  formen  mit  t  in  der  paenultima 
*nüfira  etc.  (vgl.  ahd.  nidiri  neben  nidari)  entstanden  sein. 

Das  aschw.  hat  umlaut  in  dem  kurzsilbigen  leepi,  obl.  casus 
laspa  'lippe',  nicht  aber  in  den  langsilbigen  lippe  m.,  obl.  casus 
lippa;  lippa  f.  'lippe'. 

Zu  beachten  ist  noch  das  nschw.  kurzsilbige  häpen  'ver- 
dutzt' im  gegensatz  zu  dem  dialektischen  langsilbigen  kippen. 

In  seiner  Urgerm.  lautl.  s.  20  ff.  und  Aschw.  gramm.  s.  151  f. 
hat  Noreen  in  verdienstlicher  weise  Wörter  mit  a-umlaut  von  i, 
besonders  aus  den  nord.  sprachen,  gesammelt.  Mehrere  der 
nord.  beispiele  sind  jedoch  äusserst  zweifelhaft;  andere  gehören 
ohne  zweifei  nicht  hierher.  Ich  werde  die  von  ihm  aus  den 
nord.  sprachen  angeführten  beispiele  prüfen  und  noch  andere 
hinzufügen. 

Folgende  kurzsilbigen  Wörter  haben  umlaut,  oder  wenig- 
stens findet  sich  in  ihnen  wahrscheinlich  a-umlaut:  isl.  vega 
(vgl.  vig),  isl.  herap,  aschw.  hcerap  <  *Mtca-  (vgl  got  heitca-, 
Brate,  Arkiv  n. f.  5, 130  ff.),  isL  verr  'mann',  ält.  nschw.  verbroder 
'bruder  des  ehemannes',  versyster  'Schwester  des  ehemannes' 
(vgl.  lat.  rir),  isl.  hegri  (<  *hegara\  heri  (<  *hehara,  vgl.  ahd. 
heliara,  a.gs.hi£ora,  gr.  xlaoa,  Osthoff,  Beitr.  13, 416  ff.),  isl.  slepi, 
aschw.  slcepi :  isl.  aschw.  sUJri  (urspr.  nom.  slidt :  obl.  casus  sleöa), 
isl.  stegi  :  isl.  aschw.  stig(h)i,  isL  seit  :  isl.  aschw.  sili,  aschw. 
Ptccena  (vgl.  nisl.  nschw.  tvlna),  nschw.  näpen  (vgl.  nisl.  nipr 
'nett',  nnorw.  nipper  'nett'),  isl.  glepa  'weih'  (vgl.  ags.  glida, 
Hellquist,  Etymologische  bemerkungen  s.in1)).  Hierher  können 
auch  gehören  die  kurzsilbigen  ndän.  flcebe  (vgl.  nnorw.  flipa 

*)  Das  aschw.  glapa  mit  derselben  bedeutung  bleibt  jedoch  dunkel; 
die  von  Hellquist  vorgeschlagene  erklärung  befriedigt  meiner  meinung 
nach  nicht. 

35* 


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'weinen'),  adän.  trcejfwen,  aschw. ojtrcewin  (otratwin;  vgl. aschw. 
priwin),  isl.  gen.  HaUfrepar  etc.  (vgl.  Bugge,  Arkiv  2,251;  s. 
jedoch  auch  unten  s.551). 

Auch  in  folgenden  von  Noreen  nicht  erwähnten  Wörtern 
durfte  a- umlaut  vorliegen:  isLHepinn  (vgl.  Sievers, Bei tr.  16,242), 
agutn.  sen  (<  sepan,  Kock,  Sv.  landsm.  15,  no.  4,  s.  27),  ält  nschw. 
sädhan  (vgl.  isl.  sipan,  aus  sidan  verkürzt),  isL  svena  (neben 
svina  'stumpf  werden';  vgl.  ahd.  stvinan  'schwinden'),  aschw. 
Proewa  (vgl.  is\.  prifa,  preifa  'nehmen,  greifen'),  isl.  sef,  aschw. 
scef  (vgl.  dän.  $iv),  isl.  skref,  dän.  shrcev  'schritt',  isl.  skrefa,  dän. 
skrceve  'schreiten'  ( :  isl.  dat.  sg.  skrifi  zu  skref,  nnorw.  skriv, 
aschw.  bicerghskriwa  'felsenkluft'). 

Die  folgenden  sind  sehr  unsicher. 

Wenn  isl.  flekkr '  fleck,  Stückchen'  mit  fttk  'zipfel'  zusammen- 
zustellen ist,  so  ist,  wie  Tamm,  Etym.  ordbok  bemerkt,  (das 
urspr.  kurzsilbige)  *flikan-  zu  *flekan-  geworden,  während  in 
anderen  casus  *flikk-  entstand;  durch  contamination  bekam 
man  dann  flekk-.  Diese  etymologie  ist  aber  sehr  zweifelhaft. 
Das  wort  kann  auch  mit  isl.  skipfluk  'wreck',  isl.  aschw.  flaki 
etc.  zusammengebracht  werden;  vgl.  Tamm  a. a. o. 

Es  ist  auch  sehr  unsicher,  ob  isL  kvekva  'anzünden'  n-um- 
laut  enthält;  da  aber  das  dem  wurzelvocal  nachfolgende  k  in 
kvikr,  kvekva  etc.  secundär  ist  (Bugge,  Beitr.  13, 515),  so  haben 
auch  diese  Wörter  in  einem  älteren  Stadium  kurze  Wurzelsilbe 
gehabt.  Aber  die  folgende  auffassung  dürfte  vorzuziehen  sein. 
Neben  kveikia  findet  sich  kveykva,  aber  nur  selten  kvekva  (z.  b. 
imp.  qvecpti,  inf.  qvekva  in  AM.  645,  Larsson,  Ordförrädet)  und 
kvekva  (quecqua,  quequä).  Ebenso  wie  *eittki  zu  etki,  ekki,  *ne- 
weit-ek-hverr  zu  nekkverr  etc.  wurden,  so  haben  sich  part.  kveikt, 
imp.  kveikpu  etc.  zu  Jcvekt,  kvekjm  etc.  entwickelt  Nachdem 
das  in  dieser  weise  entstandene  e  auf  den  inf.  kvekva  über- 
tragen worden  war,  wurde  dies  durch  w- umlaut  zu  kvekva; 
vgl.  nekkverr  >  nekkverr  etc.  Vielleicht  kann  e  in  dem  seltenen 
kvekva  auch  dadurch  entstanden  sein,  dass  das  part.  kveykt 
(zu  kveykva)  zu  kvekt  wurde,  wesentlich  in  derselben  weise 
wie  *eitki  zu  etki  etc.  Durch  diese  auffassung  wird  gewonnen, 
dass  die  verben  kveikia,  kveykva,  kvekva,  kvekva  nicht  von 
einander  getrennt  werden,  sondern  identisch  bleiben. 

Ueber  isl.  part  bepinn  s.  s.498. 


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DER  yl-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  549 

Obgleich  folgende  von  Noreen  erwähnte  Wörter  kurzsilbig 
sind,  gehören  sie  nicht  hierher.  Aschw.  bcewa,  bewa  (vgl.  mnd. 
beven),  sUepa  (mnd.  slepen),  bloek  in  bUekskwlla  (mnd.  bleck),  spcek 
(mnd.ftpek1))  sind  deutsche  lehn  Wörter.  Nach  Noreen  soll  nschw. 
lämna  (im  gegensatz  zu  nschw.  lemna,  isl.  lifna)  a-umlaut  ent- 
halten und  aus  *let>anön  entstanden  sein.  Dies  soll  auch  mit 
nschw.  rämna  (im  gegensatz  zu  nschw.  remna,  isl.  rifna)  der 
fall  sein,  und  wahrscheinlich  denkt  er  sich  *rebanön  als  grund- 
form.  Wenn  dies  richtig  wäre,  so  wären  auch  diese  Wörter 
beispiele  für  das  eintreten  des  a-umlauts  in  kurzen  Wurzel- 
silben. Die  nschw.  lämna,  rämna  sind  aber  ganz  anders  zu 
erklären;  s.  Kock,  Sv.  landsm.  15,  no.  8,  s.  15  f. 

Die  drei  Wörter  isl.  keppr,  tvennir,  prennir,  welche  allein 
nach  Noreen  a-umlaut  in  langer  Wurzelsilbe  mit  fortis  ent- 
halten sollen,  sind  in  ganz  anderer  weise  aufzufassen. 

Aschw.  kcepper,  nschw.  kapp  ist  als  appellativum  nur  zwei- 
mal im  isl.  (keppr)  belegt.  Schon  längst  hat  man  (z.  b.  Dalin, 
Svensk  handordbok)  das  wort  als  ein  lehnwort  aufgefasst  und 
es  mit  dem  franz.  cep,  lat.  cippus  zusammengestellt.  Liden 
spricht  in  den  Uppsalastudier  s.  89  zweifelnd  die  Vermutung  aus, 
dass  isl.  keppr,  aschw.  kcepper  durch  a-umlaut  aus  *kippa-  ent- 
standen sei,  das  eine  andere  ablautsstufe  als  isl.  keipr  reprä- 
sentiere. Wegen  der  ziemlich  weit  auseinander  gehenden 
bedeutungen  der  Wörter  spricht  diese  etymologie  nicht  an. 
Fritzner2  übersetzt  nämlich  keipr  'krummholz,  in  dessen  winkel 
das  rüder  sich  während  des  ruderns  bewegt'.  Das  nnorw.  keip 
wird  von  Aasen  übersetzt  'klotz  in  form  eines  winkeis  zu- 
geschnitten, worin  das  rüder  ruht,  während  man  rudert'.  Die 
von  Liden  gegebene  Übersetzung  'ruderdulle'  ist  also  kaum 
correct.  Mit  recht  opponiert  also  Wadstein,  Beitr.  22,  245  ff. 
gegen  Lidens,  von  Noreen  angenommene  etymologie.  Wadstein 
schliesst  sich  der  alten  etymologie  von  keppr  =  franz.  cep, 
mlat.  cepus  'truncus,  stipes',  lat,  cippus  an.  Auch  im  as.  etc. 

*)  Auch  Noreen,  Aschw.  graram.  s.  152  meint  nunmehr,  dass  sprek  wahr- 
scheinlich ein  deutsches  lehen  ist.  Dies  ist  auch  mit  aschw.  an.  Ity. 
frmker  (vgl.  nnd.  fress)  der  fall,  sofern  es  nicht  nur  Schreibfehler  für 
fctrsker  ist.  Betreffs  aschw.  raformber,  isl.  reformr  s.  Kock,  Zs.  fda.  40,  206. 
Das  nur  einmal  (Westmannagesetz  JE.  18,4)  aus  dem  aschw.  belegte  fraüo 
barn  ist  Schreibfehler  für  friüo  bam;  vgl.  isl.  aschw.  fripla,  fritta. 


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550 


KOCK 


findet  sich  kip  'stipes'.  Isl.  keppr,  aschw.  kcepper  'ein  (ab- 
geschnittener) zweig,  stock'  kann  übrigens  anch  der  (von 
Kluge,  Et.  wb.  unter  kappen  aufgestellten)  germ.  wurzel  kep, 
kapp  angehören;  vgl.  z.  b.  fries.  käpen,  kepen  'kerben,  schneiden' 
(Doornkaat-Koolman,  Wb.  der  ostfries.  spräche). 

Im  isl.  finden  sich  tuifir  (tvinnan,  tvinn)  und  tue}»-,  pL 
tuennir;  Pripr  und  prepr,  pl.  prennir  (vgl.  L.  Larsson,  Ordför- 
rädet).  Neben  twcenne,  Prcenne  verwendet  das  aschw.  (awest- 
göt.)  twanne,  pranne  mit  a  in  der  Wurzelsilbe.  Es  mag  etwas 
zweifelhaft  sein,  wie  alle  diese  wechselformen  zu  erklären  sind; 
es  ist  aber  sicher,  dass  tvennir,  prennir  nicht  a-umlaut  ent- 
halten. Der  wurzelvocal  von  tvennir  kann  aus  älterem  -ih- 
(vgl.  got.  tweihnai)  durch  den  gewöhnlichen  Übergang  4h- >  e 
entstanden  sein,  wonach  e  verkürzt  worden  ist,  und  der  wurzel- 
vocal von  prennir  kann  einen  ähnlichen  Ursprung  haben  oder 
analogisch  aus  tvennir  übertragen  sein.  Uebrigens  hat  Noreen 
selbst,  Aisl.  gramm.2  §  56  (vgl.  auch  Aschw.  gramm.  §  83,  3,  a) 
versucht,  isl.  tvenn,  prmn  in  dieser  weise  zu  erklären. 

Wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  ist  isl.  lerept,  aschw.  Iterept 
vielleicht  ein  beispiel  dafür,  dass  der  a-umlaut  von  t  in  einer 
langen  silbe  mit  semifortis  eingetreten  ist;  vgl.  dass  in 
gewissen  anorw.  dialekten  der  jüngere  einfache  u-umlaut  nur 
in  der  semifortis-,  nicht  aber  in  der  fortissilbe  durchgeführt 
wurde  (piöÖgQtu  :  gatur  etc.),  und  dass  in  der  Rökinschrift  der 
jüngere  t-umlaut  sich  nur  in  der  semifortissilbe  findet  (mog- 
rnenni :  uarin  etc.,  s.  s.  525  f.).  Schon  längst  hat  man  (s.  z.  b. 
IED.  s.v.)  isl.  lerept  mit  ript  f.  'a  kind  of  cloth  or  linen  jerkin' 
zusammengestellt,  und  nach  Liden,  Uppsalastudier  s.  81  soll 
der  e-laut  der  ultima  durch  a-umlaut  von  t  in  gen.  sg.  ripta* 
>  reptar  entstanden  sein.  Da  das  simplex  nur  den  wurzel- 
vocal i  verwendet:  isl.  ript,  nnorw.  riß  'riss.  stück',  ndän.  riß 
'spalte',  sich  aber  in  dem  compositum  isl.  lerept,  aschw.  Ueript, 
leerept,  selten  lawasß  der  vocal  e  (a?)  neben  i  findet,  so  ist  dies 
mit  der  accentuierung  in  causalzusammenhang  zu  bringen.  Gen. 
riftaR  hatte  natürlich  fortis,  gen.  -rißan  als  zweites  composi- 
tionsglied  aber  semifortis:  deshalb  blieb  rifla*  erhalten,  wäh- 
rend -riftaM  in  -reptar  (lerept)  umgelautet  wurde.  Der  a-umlaut 
wurde  aus  dem  gen.  auf  die  anderen  casus  übertragen,  weil 


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DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  551 

der  gen.  in  solchen  ausdrücken  wie  dtta  alnar  Ureptar  (später 
lerepts)  sehr  oft  vorkam. 

Der  Wechsel  ript :  lerept  kann  wol  aber  auch  folgender- 
massen  aufgefasst  werden.  Bugge  bemerkt  Arkiv  2, 243,  dass 
i  in  einer  silbe  ohne  hauptton  im  an.  zu  e  werden  kann,  und 
er  leitet  deshalb  öfreskr  1  wer  geister  sehen  kann'  aus  *ufridskr 
her.  Isl.  namen  auf  -frepr  :  Hallfrepr  etc.  haben  in  ähnlicher 
weise  aus  -fripr  entwickelt  werden  können  (anders  Bugge, 
Arkiv  2,  251).  Jedenfalls  ist  ein  älteres  i  des  zweiten  com- 
positionsgliedes  in  e  übergegangen  in  personennamen  auf  -nkr 
>  -rekr,  z.  b.  isl.  Eirikr,  Eirekr,  aschw.  Eriker,  Ereker,  isL  Ha- 
rekr  (vgl.  ahd.  Uöhrih  etc.),  Älrekr  etc.,  sowie  in  adj.  auf  aschw. 
-liker  >  aschw.  dial.  -leker,  isl.  -legr,  z.  b.  aschw.  gupttker  :  guß- . 
leker,  isl.  goplegr  etc.  Im  anorw.  findet  sich  oft  auch  -leegr, 
z.b.  gudkegr  (s.  Kock,  Arkiv  n.  f.  8, 245  ff .).  Es  ist  möglich, 
dass  die  entwickelung  f  >  e  in  öfreskr,  Eirekr,  Hallfrepr  etc. 
z.  t  von  dem  vorhergehenden  r-laut  abhängt.  In  Übereinstim- 
mung hiermit  gieng  leript  mit  fortis  auf  der  paenultima,  semi- 
fortis  bez.  infortis  auf  der  ultima  in  isl.  lerept,  aschw.  Icerept 
über.  Das  sehr  seltene  aschw.  Icercept  mit  ce  in  der  ultima 
ist  mit  dem  anorw.  gudlcegr  etc.  zu  vergleichen;  übrigens  findet 
sich  im  aschw.  bisweilen  ob  statt  e  in  der  infortissilbe  beson- 
ders nach  'dentalen'  consonanten,  z.  b.  ncercer  statt  nwrer,  kcercer 
statt  kcerer  (Kock,  Arkiv  n.  f.  8, 248). 

Da  der  a-umlaut  von  u  vor  m,  n  vorläufig  nicht  durch- 
geführt wurde  (s.  514  ff.),  und  da  der  a-umlaut  von  i  überhaupt 
eine  kleinere  Verbreitung  als  der  von  u  hat,  so  kann  man  die 
frage  aufwerten,  ob  der  a-umlaut  von  i  vor  tn,  n  überhaupt 
eintrat.  So  viel  ich  sehe,  gibt  es  in  den  an.  sprachen  kein 
beispiel  für  a-umlaut  von  *  vor  m.  Wenn  dagegen  die  oben 
erwähnten  isl.  svena,  aschw.  pwama  a-umlaut  enthalten,  so 
wurde  er  vor  n  durchgeführt.  Unter  diesen  umständen  kann 
das  fehlen  von  beispielen  für  a-umlaut  von  t  vor  m  zufällig 
sein.  Auf  jeden  fall  ist  es  sehr  leicht  möglich,  dass  der  a-um- 
laut von  %  vor  n  und  (wenn  er  in  dieser  Stellung  überhaupt 
eintrat)  auch  vor  m  später  als  vor  anderen  consonanten  durch- 
geführt wurde. 

Ebenso  wie  im  an.  nur  der  tf-laut  a-umlaut  von  u  be- 
wirkte, so  hat  wahrscheinlich  nur  ein  d-laut  (nicht  ein  ö-  oder 


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552 


KOCK 


«-laut)  a-umlaut  von  i  bewirkt.  Da  der  pL  und  die  obl.  casus 
des  sg.  von  den  fem.  n-  Stämmen  urnord.  ö  (nicht  a)  in  der 
ultima  hatten  (s.  s.  523  f.),  so  sind  z.  b.  folgende  Wörter  für  diese 
frage  von  belang:  isl.  aschw.  vika  (vgl.  ags.  wlce  1  wechseldienst  *), 
aschw.  bicerghskriwa,  hcellaskriwa  (vgl.  oben  s.  548),  isl.  aschw. 
svipa  (vgl.  isl. sveipa  'mit  einer  schwingenden  bewegung  werfen"), 
isl.  bißa  Erwartung*,  fita  'fett',  rifa,  skripa,  slita  etc.  Bei  einer 
flexion  von  *wikö,  obl.  casus  *wikön(n),  pl.  nom.  acc.  *wikön(n) 
etc.  hätte  der  a-umlaut  in  allen  casus  durchgeführt  werden 
müssen,  wenn  5  a-umlaut  bewirkt  hätte.  Wenn  aber  a- um- 
laut nur  von  ä  bewirkt  wurde,  so  ist  alles  in  Ordnung.  Erst 
nachdem  *wikö :  *wikön{n)  zu  wika  :  wiku  geworden,  sollte  der 
.  a-umlaut  in  wika  eintreten;  nom.  sg.  vika  hat  aber  i  von  den 
obl.  casus  des  sg.  und  vom  pl.  bekommen. 

Wie  bekannt  findet  sich  im  got.  kein  a-umlaut  von  i 
Aus  dem  ags.  haben,  so  viel  ich  weiss,  nur  äusserst  wenige 
beispiele  für  diesen  umlaut  (wer,  nesf)  angeführt  werden 
können.  Durch  die  soeben  erörterten  Verhältnisse  der  an. 
sprachen  dürfte  bestätigt  worden  sein,  dass  in  urgerm.  zeit 
wenigstens  keine  generelle  regel  H  wird  zu  e  vor  einem  ä,  ö, 
(3b  der  folgenden  silbe'  gegolten  hat. 

Da  die  ags.  Wörter  mit  a-umlaut  von  i  so  wenige  sind,  so 
ist  man  berechtigt  einen  besonderen  grund  für  ihren  umlaut 
zu  suchen. 

Durch  den  concurrierenden  einfluss  eines  vorhergehenden 
w-  lautes  und  eines  nachfolgenden  r-  lautes  sind  in  den  an. 
sprachen  €  zu  ce,  <£  geworden.  So  ist  z.  b.  im  anorw.  germ.  e 
nach  w  in  geschlossener  silbe  und  besonders  vor  r  in  cb  über- 
gegangen: verk  >  vmrk  etc.  (Sievers,  Tübinger  bruchstücke  der 
ält.  Frostuthingslög  s.  9). 

Im  isl.  ist  e  zwischen  w  (v)  und  r  dialektisch  zu  m  ge- 
worden, z.  b.  ver  >  vcer  (Kock,  Arkiv  n.f.  7, 140  ff.).  Hiermit 
ist  zu  vergleichen,  dass  im  aschw.  die  lautverbindung  -v&r- 
in  einer  silbe  mit  semifortis  sich  zu  -var-  entwickelt  hat,  z.  b. 
natvcerper  >  natvarper  (Kock,  Svensk  sprikhist  s.  88  ff.).  Also 
haben  die  vocale  zwischen  w(v)  und  r  eine  offenere  aus- 
spräche bekommen.  Ein  ähnliches  Verhältnis  kann  auch  aus 
anderen  sprachen  dargelegt  werden. 


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DEB  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.  553 

Die  Ursache  dafür,  dass  germ.  *mraz  zu  ags.  wer  geworden, 
ist  nicht  nur,  dass  a  dem  i  nachfolgte,  sondern  auch  dass  der 
t-laut  zwischen  w  und  r  stand,  vielleicht  auch  dass  die  Wurzel- 
silbe kurz  war.  Auch  im  ahd.  und  as.  findet  sich  wer  mit 
a-umlaut. 

Das  wort  nest  (vgl.  lat.  nidus)  ist  in  dieser  form  dem  ags., 
ahd.  und  ndl.  gemeinsam.  Mhd.  findet  sich  auch  nist.  Ebenso 
wie  die  umlaute  im  an.  zu  gewissen  Zeiten  nur  in  einer  silbe 
mit  semifortis  durchgeführt  worden  sind  (s.525  f.),  so  erklärt 
sich  der  a-umlaut  im  ags.  nest  daraus,  dass  dieses  wort  beson- 
ders oft  als  zweites  compositionsglied  benutzt  wurde.  Unter 
nest  versteht  man  (um  die  definition  des  Grimmschen  wb/s  an- 
zuführen) eine  jede  von  tieren  zum  hecken  der  jungen  und  zur 
lagerung  gebaute  wohnstatte,  besonders  das  Vogelnest.  Wegen 
dieser  bedeutung  kann  das  wort  mit  einer  grossen  menge 
tiernamen  zusammengesetzt  werden.  Ich  erinnere  z.  b.  nur  an 
nhd.  adler-,  etilen-,  finken-,  lerchen-,  schwalben;  rohen-,  kühner - 
nest  etc.  und  besonders  an  mhd.  nhd.  vogelnest  (vgl.  auch  neu- 
engl.  birds-nest,  bird-nest);  ferner  an  nhd.  bienen-,  drachen-, 
mause-,  ratten-,  raupen-,  spinnen-,  wespen-,  wurm-nest  etc.,  auch 
hatzennest  (vgl.  Grimms  wb.).  Es  ist  selbstverständlich,  dass 
*-nistaz  auch  in  urwestgerm.  zeit  besonders  oft  im  zweiten  com- 
positionsglied mit  semifortis  vorkam.  In  dieser  Stellung  wurde 
es  zu  *-nestaz,  obgleich  zu  dieser  zeit  in  der  regel  der  a-umlaut 
von  i  nicht  in  der  fortissilbe  durchgeführt  wurde.') 

Ich  fasse  also  den  a-umlaut  von  i  in  folgender  weise  auf. 

In  urgerm.  zeit  ist  er  nicht  eingetreten,  und  im  got.  wurde 
er  nicht  durchgeführt.  Dagegen  findet  er  sich  im  westgerm. 
und  im  norcl 

Urwestgerm.  wurde  er  in  einer  silbe  mit  semifortis  (-nest) 
durchgeführt,  sowie  in  einer  (wenigstens  kurzen)  fortissilbe, 
wenn  dem  •  ein  w  vorhergieng  und  ein  r  nachfolgte  (wer). 

»)  Nach  Osthoff,  Beitr.  18, 417  und  Noreen,  Urgerm.  lautl.  s.  21  soll  auch 
mengl.  neÖer,  nengl.  näher  a-umlaut  enthalten.  Da  aber  das  ags.  ntperra, 
neofoerra  'lower',  nip(e)re  4 below ',  nt'per  'down waräV  hat,  so  ist  das  e  des 
mengl.  neöer  ohne  zweifei  eine  späte  entwickelung.  Das  ags.  (mengl.)  wort 
konnte  sehr  leicht  von  adKn.  na>prot,  anorw.  neÖre,  ncÖan  etc.  beeinflusst 
werden. 


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554     KOCK,  DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  BPBA 


Nachdem  das  westgerm.  sich  in  verschiedene  sprachen  gespalten, 
trat  der  a-umlaut  von  i  im  ahd.-as.  anch  in  anderen  Stel- 
lungen ein. 

In  urnord.  (bez.  gemeinnord.)  zeit  wurde  der  a-nmlant 
von  t  durch  ä  bewirkt.  Eine  bedingung  für  das  eintreten 
des  a-umlauts  wenigstens  in  der  fortissilbe  ist,  dass  die  Wurzel- 
silbe kurz  war  (alternativ  ist  die  regel  vielleicht  in  folgender 
weise  zu  formulieren:  bei  freier  wähl  zwischen  %  und  einem 
durch  a-umlaut  entwickelten  e  wurde  dieses  fast  nur  in  kurz- 
silbigen  Wörtern  gewählt).  A  -umlaut  von  t  findet  sich  nicht 
in  Wörtern  mit  k,  g  vor  dem  wurzelvocal. 

LUND,  im  frühjahr  1898.  AXEL  KOCK. 


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DIE  CHRONOLOGIE  DES  UEBERGANGS  VON 
GERMANISCH  E  ZU  /  VOR  »  +  K,  G,  X. 

Als  eine  der  frühesten  Wandlungen  im  germanischen  voca- 
lismus  wird  der  Übergang  von  e  >  i  vor  w  angesehen.  In 
seinem  aufsatz  über  relative  sprachchronologie,  IF.  4  setzt  ihn 
Bremer  8. 18  fürs  erste,  s.  30  (in  der  tabelle)  fürs  zweite  jh. 
vor  Chr.  als  gemeingermanisch  an. 

Ich  glaube  dass  wir  zu  einem  so  frühen  ansatz  nicht  be- 
rechtigt sind.  Der  wandel  von  evh  >  ih  zwingt,  wie  Bremer 
s.  16  f.  zugiebt,  nicht  dazu,  da  die  entwicklung  statt  evh  >  ivh 
>  f  h  ebensogut  auch  evh  >  ?h  >  ih  gewesen  sein  kann.  Wenn 
er  sich  dagegen  s.  14  auf  die  von  ihm  schon  Zs.  fdph.  22,  251 
zusammengestellten  ältesten  germanischen  eigennamen  als  die 
stützen  seiner  ansieht  beruft,  so  ist  dagegen  einzuwenden,  dass 
diese  alle  aus  nachchristlicher  zeit  stammen:  aus  Plin.,  Tac, 
IM  olein.,  I  nl.  Cap.  und  Dio  Cassius.  Man  kann  deshalb  aus 
ihnen  nur  den  schluss  ziehen,  dass  vor  v  gegen  ende  des 
ersten  nachchristlichen  jh/s  i  bereits  regel  war,  während  vor 
sonstigem  gedeckten  nasal  e  noch  überwog  (vgl.  Tacitus:  Mallo- 
vendus  Ann.  2, 25,  Semnoties  Ann.  2, 45,  Fenni  Germ.  46;  aber 
einmal  Brinno  Hist,  4, 15);  in  letzterem  fall  ist  der  Übergang 
also  jünger.  In  dieser  form  ist  der  schluss  ja  allgemein  an- 
erkannt, und  man  kann  wol  dabei  bleiben,  wenn  auch  nicht 
vergessen  werden  darf,  dass  immerhin  die  möglichkeit  eines 

Zufalls  bestellt. 

Der  einzige  name  der  aus  vorchristlicher  zeit  für  den 
Übergang  ev  >  im  geltend  gemacht  werden  könnte,  ist  Tulingi 
bei  Caesar,  Bell.  gall.  4, 15.  Derselbe  gibt  aber  zu  mehrfachen 
bedenken  anlass.  Erstens  handelt  es  sich  bei  ihm  nicht  um 
haupttoniges,  sondern  um  suffixales  -ivg,  und  ich  glaube  dass 
diese  beiden  fälle  von  einander  streng  zu  trennen  sind.  Wie 
wir  wissen,  wurde  e  in  unbetonter  silbe  überhaupt  zu  i,  und 
zwar  noch  etwas  früher  als  vor  n  -f  cons.  Es  folgt  dies 
daraus,  dass  bei  Plinius  und  Tacitus  zwar  vor  n  +  cons.  noch 


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556 


HELM 


regelmässig  e  steht,  in  unbetonter  silbe  dagegen  t  das  immer- 
hin noch  häufige  c  bereits  überwiegt  (vgl.  Zs.  fdph.  22,  251). 
Wir  sind  danach  wol  berechtigt  zu  schliessen,  dass  in  un- 
betonter silbe  vor  v  -f  gutt.  der  wandel  auch  früher  eintrat 
als  in  betonter,  da  hier  zwei  factoren  der  palatalisierung  zu- 
sammenwirkten. 

Sodann  ist  es  aber  auch  fraglich,  ob  wir  in  Tulingi  wirk- 
lich die  echte  germanische  form  vor  uns  haben.  Da  das  lat. 
seinerseits  sowol  vor  gedecktem  nasal  als  in  unbetonter  silbe 
ebenfalls  e  zu  i  wandelt,  so  Hesse  es  sich  leicht  denken,  dass 
ein  geschlossenes  e,  wie  es  in  diesen  fällen  als  Vorstufe  von  i 
im  germanischen  zu  Caesars  zeit  gewis  anzusetzen  ist,  im 
munde  des  Romers  bereits  völlig  als  i  gefärbt  erscheint  und 
dann  so  auch  in  die  schrift  eindringt. 

Aber  selbst  wenn  man  Tulingi  als  vollgültigen  beleg  für 
eng  >  ivg  anerkennen  wollte,  müsste  man  sich  darauf  be- 
schränken daraus  den  schluss  zu  ziehen,  dass  zur  zeit  Caesars 
ein  teil  (vielleicht  nur  ein  sehr  kleiner)  der  Germanen  bereits 
i  sprach.  Dies  widerspräche  freilich  der  theorie  Bremers,  dass 
der  tibergang  von  e  >  i  von  norden  nach  Süden  vorgeschritten 
sei;  danach  müssten  die  Tulinger  als  einer  der  südlichsten 
Stämme  auch  als  einer  der  letzten  den  wandel  vollzogen  haben. 
Da  Bremers  theorie  aber  ausserordentlich  viel  Wahrscheinlich- 
keit hat  und  wir  andererseits  bestimmte  belege  dafür  haben, 
dass  damals  andere  Germanen  noch  e  sprachen,  so  erhebt  sich 
von  dieser  seite  aus  ebenfalls  begründeter  zweifei  an  der 
beweiskraft  der  form  Tulingi. 

Der  eine  beleg  für  e  vor  »g  ist  das  bekannte  finnische 
rengas,  welches  zeigt,  dass  die  den  Finnen  benachbarten  Ost- 
oder Nordgermanen  noch  e  hatten,  als  bereits  der  Übergang 
von  o  >  a  in  unbetonter  silbe  eingetreten  war.  Damit  wird 
dieses  mit  bestimmtheit  für  nachchristliche  zeit  gesichert  (vgl. 
Noreen,  Utkast  §  6  anm.  2);  denn  es  ist  bei  dem  conservativen 
Charakter  der  finnisch -lappischen  spräche  ganz  unstatthaft 
anzunehmen,  dass  sie  entlehntes  ing  zu  eng  zurück-  oder  ent- 
lehntes  o  zu  a  weitergebildet  hätte. 

Der  zweite  beleg,  dem  westen  angehörend,  ist  der  name 
der  Tencterer,  als  Tenxterer  anzusetzen.  Diesen,  wie  Bremer 
(Zs.  fdph.  22, 251)  tut,  als  keltisch  von  vornherein  auszuschliessen 


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GERM.  E  >  I  VOR  V  +  GUTTURAL. 


557 


geht  durchaus  nicht  an.  Allerdings  ist  seine  germanische  her- 
kunft  trotz  Muchs  deutungsversuch  (Beitr.  17, 144  ff.)  keines- 
wegs gesichert  (vgl. Hirt, Beitr.  21, 148  ff.);  auch  der  lautcomplex 
%t  (durch  Caesars  Schreibweise  -chth-  gesichert)  ist  kein  beweis 
für  seinen  germanischen  Charakter,  denn  auch  das  keltische 
wandelt  U  (und  pt)  zu  %t  (vgl.  Brugmann,  Grundr.  1,  §  515.  517). 

Aber  andererseits  ist  der  keltische  Ursprung  des  namens 
auch  durch  nichts  erwiesen.  Ich  glaube  nun,  dass  wir  wol 
berechtigt  sind,  den  namen  eines  germanischen  Volkes  als 
germanisch  anzusehen,  wenn  uns  auch  seine  etymologie  nicht 
klar  ist  —  so  lange  das  gegenteil  nicht  bewiesen  ist.  Die 
last  des  beweises  liegt  auf  dem,  der  das  wahrscheinliche  und 
naturgemasse  negiert. 

Dass  die  Tencterer  aber  ein  germanisches  und  kein  kel- 
tisches volk  sind,  daran  ist  kein  zweifei.  Dies  bestätigt  uns 
ausdrücklich  Caesars  zeugnis,  der  ja  in  die  allernächste  be- 
rührung  mit  ihnen  gekommen  ist.  Bell.  gall.  4, 1  sagt  er  Usi- 
petes  Germani  et  item  Tencteri,  und  so  spricht  er  auch  in 
seinem  ganzen  bericht  stets  von  Germanen  und  geht  mit  den 
Worten  Germanico  hello  confecto  (4, 16)  zur  weiteren  erzählung 
über.  Als  er  dann  von  den  Sugambrern  die  auslieferung  der 
zu  ihnen  geflohenen  reste  der  T.  fordert,  bezeichnen  auch  diese 
dieselben  in  ihrer  antwort  wenigstens  indirect  als  Germanen 
mit  den  Worten  si  se  invito  Gertnanos  in  Galliam  transire  non 
aequum  aestimaret ...  (4, 16).  Dazu  vgl.  man  noch  die  stellen 
Tac.  Ann.  13, 56.  Hist.  4, 21. 64.  Germ.  32.  38. 

Nehmen  wir  nun  einmal  als  gewis  an,  der  name  der  T. 
sei  germanisch,  so  sichert  er  bestimmt  e  vor  *x  f&r  das  jähr  55 
v.  Chr.  Das  e  bei  Tacitus  ist  weniger  beweiskräftig,  da  er  eine 
ältere  form  die  nicht  mehr  lebte  aufgenommen  haben  mag,  weil 
sie  durch  Caesar  nun  einmal  dem  Römer  geläufig  geworden 
war.  Umsomehr  grund  zu  diesem  verfahren  konnte  vorliegen, 
je  weiter  sich  der  name  damals  schon  von  der  ursprünglichen 
form  entfernt  hatte.  Es  ist  sehr  leicht  möglich,  dass  die  Römer 
zur  zeit  des  Tacitus  den  alten  namen  in  der  neuen  form  (er 
hiess  wol  *Tihtrös)  gar  nicht  widererkannten. 

Dasselbe  gilt  für  die  formen  bei  späteren  autoren.  Auf 
Tivxeooi  bei  Ptolemäus  ist  nach  den  Untersuchungen  von  Holz 
über  die  germanische  Völkertafel  des  Ptolemäus  (Beiträge  zur 


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558  HELM,  GERM.  E  >  I  VOR  »  -f  GUTTURAL. 

deutschen  altertumskunde  heft  1)  gar  kein  gewicht  zu  legen 
(vgl.  auch  Hirt,  Beitr.  21, 129  ff.).  Te-pettjool  bei  Dio  Cassius 
beruht  naturlich  nur  auf  dessen  schriftlichen  quellen. 

Setzen  wir  nun  aber  auch  den  andern  fall,  es  gelänge 
den  namen  der  Tencterer  als  keltisch  zu  erweisen.  Ich  glaube 
nicht,  dass  die  Sachlage  dadurch  wesentlich  geändert  wäre; 
denn  es  ist  klar,  dass  der  name  von  dem  moment  an,  in  wel- 
chem er  von  einem  germanischen  volke  übernommen  wurde, 
den  germanischen  lautgesetzen  unterworfen  ist  wie  jedes  be- 
liebige lehnwort  Nun  wird  niemand  behaupten  wollen,  diese 
Übertragung  sei  so  jungen  datums,  dass  der  Übergang  ev%  > 
Mg  bereits  vollzogen  gewesen  sei  Ist  sie  aber  älter,  so  muss 
der  name  den  lautwandel  mitmachen.  Mithin  ist  die  form 
Tenxteri  auch  wenn  sie  ursprünglich  keltischer  herkunft  wäre, 
doch  ein  ebenso  sicheres  Zeugnis  für  germanisch  e*x  zu  Caesars 
zeit,  als  wenn  sie  rein  germanisch  ist. 

Gegen  Bremers  datierung  spricht  meines  erachtens  endlich 
ein  nicht  zu  verachtender  innerer  grund.  Setzt  man  nämlich 
mit  ihm  den  Übergang  ev  >  t»  im  2.  jh.  v.  Chr.  als  gemein- 
germanisch an,  so  liegen  zwischen  diesem  lautwandel  und 
dem  von  e  >  i  vor  sonstigem  gedeckten  nasal  rund  250  jähre. 
Nun  sind  aber  gewis  diese  beiden  fälle  des  Übergangs  e  >  i 
ihrem  wesen  nach  nicht  so  verschieden,  dass  sie  durch  so 
grosse  Zeiträume  getrennt  werden  dürften.  Auch  diese  Schwierig- 
keit fällt  nun  mit  unserer  datierung  hinweg.  Darnach  herschte 
also  in  der  letzten  vorchristlichen  zeit  jedenfalls  e  vor  v  noch 
in  einem  grossen  gebiete.  Vielleicht  begann  der  Übergang  da- 
mals in  unbetonter  silbe.  Vollendet  war  er  zur  zeit  des  Plinius 
und  Tacitus,  also  in  der  zweiten  hälfte  des  ersten  jh.'s  nach  Chr., 
während  zu  derselben  zeit  vor  sonstigem  gedeckten  nasal  noch  e 
überwiegt,  das  in  der  ersten  hälfte  des  zweiten  jh.'s  nach  Chr. 
dann  dem  i  weichen  musste. 

Es  fragt  sich,  ob  nach  dieser  datierung  nun  nicht  das  ver- 
klingen des  v  vor  x  und  die  nasalierung  des  vocals  für  älter 
zu  gelten  hat  als  der  Übergang  in  t.  Ich  sehe  jedoch  keine 
möglichkeit  dies  zu  entscheiden. 

HEIDELBERG,  november  1897.         KARL  HBLM. 


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MEERRETTICH. 


Ueber  den  Ursprung  und  die  bedeutung  dieses  scheinbar 
so  durchsichtigen  namens  sind  seit  länger  als  einem  jahrhundert 
die  allerverschiedensten  Vermutungen  ausgesprochen  worden, 
und  doch  gelten  noch  heute  die  worte,  die  der  alte  Nemnich 
vor  über  hundert  jähren  schrieb:  'von  den  namen  meerrettig 
etc.  lässt  sich  kein  sicherer  Ursprung  angeben;  wenn  man 
einen  entdeckt  zu  haben  glaubt,  so  wird  man  in  einer  anderen 
spräche  wieder  anstoss  finden.' *) 

Mögen  zunächst  die  wichtigsten  dieser  erklärungsversuche 
hier  zusammengestellt  werden. 

Die  auffassung,  dass  meerrettich  'mährenrettich,  pferde- 
rettich'  bedeute,  ist  heute  wol  die  verbreitetste.  Man  begegnet 
ihr  vielfach  auch  in  laienkreisen.  Sie  stützt  sich  teils  auf  die 
anscheinende  Sinnlosigkeit  des  Wortes  meer-,  teils  auf  eine  ver- 
gleichung  besonders  der  nd.  namensform  marredüc  mit  dem  engl, 
namen  der  pflanze  harse-radish.  Diese  erklärung  ist  übrigens 
schon  ziemlich  alt.  Sie  stammt,  so  viel  ich  sehe,  von  dem  be- 
kannten Hamburger  musikschriftsteller  und  componisten  Jon. 
Mattheson  (1681 — 1764),  der  neben  seiner  Stellung  als  musik- 
director  und  capellmeister  lange  jähre  das  amt  eines  gross- 
britannischen legationsrats  bekleidete  und  sich  auch  bey  mehr 
als  einer  gelegenheit  über  die  teutsche  sprach -künde  aus- 
gebreitet' hat.  Seine  erklärung  des  Wortes  meerrettich  wurde 
zuerst  1755  in  der  zweiten  aufläge  von  Michael  Richeys  Idio- 
ticon  Hamburgense  veröffentlicht,  zu  der  Mattheson  zahlreiche 
beitrage  lieferte.  Hier  lesen  wir  s.  159  unter  mähre-.  lmahr- 
reddick:  die  einfalt  saget  mar-etick  und  vermeinet  es  hoch- 
teutsch  gar  fein  zu  nennen  meer-essig.  Selbst  die  Ober-Sachsen 
schreiben  unrecht  meer-rettich,  als  wüchse  er  am  meere. 
Eigentlich  heifft  der  nähme  so  viel  als  pferde-rettich  (von 
der  mähre,  wie  Marschall,  mar  stall  etc.  also  marrettich,  und 

»)  Allgem.  polyglotten-lexikon  d.  natur-geach.  1  (1793),  1095. 


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560 


HOOPS 


nicht  vom  meere.  Angl,  horsc-radish,  weil  diese  wurtzel  den 
pf erden  heilsam  ist.  M.1)  Belg,  maer-radys.' 

Dieser  hinweis  auf  den  anscheinenden  parallel  ismus  der 
nd.  und  engl,  benennungen  hat  ohne  zweifei  auf  den  ersten 
blick  etwas  bestechendes,-  und  wir  verstehen  es  vollkommen, 
dass  Richey  die  erklärung  seines  gelehrten  freundes  zu  der 
seinigen  machte.  Indessen  hat  er  sie  später  wider  aufgegeben 
und  eine  eigene  neue  etymologie  aufgestellt.  Im  nachtrag  zu 
seinem  buche  sagt  er  (s.367):  lmaar- reddick  (denn  so  ist  es 
auszusprechen,  an  stat  des  einfältigen  maar-etick):  meer-rettich. 
Das  nieder -sächsische  kommt  hier  dem  wahren  Ursprünge 
näher,  weil  dieser  rettich  nicht  im  meere,  sondern  im 
maar-  oder  moor-lande  wächset'.  Letztere  erklärung, 
die,  so  dilettantisch  sie  ist,  einen  sehr  beachtenswerten,  rich- 
tigen kern  enthält,  hat  sich  noch  durch  einige  der  folgenden 
Wörterbücher  weiter  geschleppt,  um  dann  in  Vergessenheit  zu 
geraten.  Die  deutung  'mährenrettich'  trug  den  sieg  davon 
und  ist  bis  heute  die  herschende  geblieben. 

Schon  die  Verfasser  des  Bremisch-niedersächsischen  Wörter- 
buchs (1767 — 1771)  entscheiden  sich  für  Matthesons  auslegung. 
nehmen  aber  zugleich  von  Richeys  ansieht  notiz:  'mar-reddik, 
meerrettig.  Welches  der  gemeine  mann  hier  in  Bremen,  eben 
so,  wie  in  Hamburg,  mar-etik  ausspricht  Von  dem  alten  mar. 
pferd:  weil  diese  wurzel  den  pf  erden  gesund  seyn  soll.  Wes- 
wegen sie  auch  bey  den  Engländern  horse-radish,  pferde- 
rettig,  genannt  wird.  Richey  meint,  tmr-reddik  sey  so  viel, 
als  moor-reddik,  weil  er  gern  im  moorlande  wächset  Holl. 
mierik-worteV  (3, 129). 

Adelung  in  seinem  Grammatisch-kritischen  Wörterbuch  der 
hochdeutschen  mundart  (1777)  führt  beide  ansichten  an,  er- 
wähnt sogar  noch  eine  dritte,  ohne  sich  indes  für  eine  der- 
selben bestimmt  zu  entscheiden.  'Da  dieses  gewächs',  sagt  er 
(3, 433  f.)  'in  den  Wassergräben  und  bächen  einheimisch  ist, 
so  scheint  meer  hier  für  moor,  morast  zu  stehen,  obgleich 
andere  es  von  dem  Ist  amarus  ableiten,  und  dieses  wort  daher 

')  Dass  damit  Matthegon  gemeint  ist,  ergibt  sich  ans  der  vorrede 
(s.  xxxviii  f.),  wo  der  Verfasser  bemerkt,  er  habe  alles  was  sein  freund 
Mattheson  beigesteuert,  'mit  dem  nahmens-zeichen  M.  auf  die  Rechnung 
desjenigen  geschrieben,  dem  es  zugehörte 


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MEERRETTICH. 


MUH 


561 


märrettig  schreiben.  Da  indessen  dieses  gewächs  im  nieders. 
marredik  heisst,  so  wird  in  dem  Bremisch -niedersächsischen 
wörterbuche  nicht  unwahrscheinlich  gemuthmasset,  dass  die 
erste  hälfte  das  alte  mar,  ein  pferd  sey,  weil  die  wurzel  den 
pf erden  sehr  gesund  ist,  daher  sie  auch  im  engl,  horseradish 
heisst.  Ihr  holländ.  name  ist  mierik-wortel  Im  oberdeutschen 
wird  der  meerrettig  grän,  krän,  grien,  Jonen  genannt,  im 
russischen  ehren,  ohne  zweifei  von  dem  noch  bey  den  krai- 
nerischen  wenden  üblichen  grenak,  bitter'. 

Eine  teilweise  wörtliche  widerholung  dieser  bemerkungen 
Adelungs  finden  wir  in  Voigteis  Hochdeutschem  handwörter- 
buch  (Halle  1794).  Auch  er  gedenkt  neben  der  deutung 
'mährenrettich'  noch  der  ableitungen  von  nwor  bez.  amarus. 

—  Heyse  (Handwb.  d.  deutsch,  spr.,  1849)  erwähnt  die  letzteren 
überhaupt  nicht  mehr;  er  schreibt  einfach:  'wahrscheinlich 
nicht  von  meer,  sondern  von  mar,  mähre,  pferd;  daher  niederd. 
marretHg,  gem.  merrettig;  angl.  horse-radish,  weil  die  wurzel 
den  pf  erden  gesund  ist'.  —  Auch  0.  Schräder  in  seiner  neu- 
auSp«HA  von  Victor  Hehns  Culturpflanzen  u.  haustieren  (s.  485) 
meint:  'meerrettich  ist,  worauf  engl,  horse-radish  weist,  wohl  so 
viel  wie  pferderettich'. 

Diese  auslegung  des  meer-  als  mähre  und  die  Zusammen- 
stellung mit  dem  engl,  horse-radish  ist  nun  aber  in  neuerer 
zeit  von  verschiedenen  gelehrten  zurückgewiesen  worden.  Sie 
fassen  das  erste  compositionsglied  als  'meer,  see\  Hinsicht- 
lich des  grundes  freilich,  warum  die  pflanze  meer  retlich  ge- 
nannt sein  soll,  herscht  unter  den  Vertretern  dieser  ansieht 
keine  Übereinstimmung.  Es  stehen  sich  hier  unbewusst  Sprach- 
forscher und  botaniker  gegenüber. 

Die  Philologen,  soweit  sie  sich  für  die  bedeutung  'meer- 
rettich' gegenüber  'pferderettich'  entscheiden,  fassen  das  wort 
als  'über  das  meer  gekommener,  überseeischer  rettich'. 
So  sagt  Weigand  (Deutsch.  wb.*):  ' ahd.  meriratich  =  übersee- 
ischer, über  das  meer  (ahd.  meri)  zu  uns  gekommener  rettig. . . . 
Unmöglich  kann  das  wort  mit  mähre  (ahd.  meriha)  =  stute, 
oder  gar  mit  marah,  march  =  pferd  zusammengesetzt  sein, 
obgleich  die  Engländer  horse-radish,  d.i.  ross-,  pferderettig, 
sagen.   Es  erscheint  dies  eben  nur  als  eine  andere  benennung'. 

—  Ihm  schliesst  sich  Heyne  (in  Grimms  wb.)  an:  'der  ahd. 

Beiträge  iut  gMchicht«  dar  deuUcheu  spräche.   XXIII.  36 


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HOOPS 


name  meri-ratich,  mer-ratich,  mer-retich  (Graft  2, 492)  thnt  dar, 
dass  das  gewächs  als  ein  fremdes,  über  meer  gekommenes 
aufgefasst  worden  ist  . . .  und  dass  demnach  ein  Zusammenhang 
des  Wortes  mit  mähre  equa,  ahd.  meriha,  später  merhe,  mere 
nicht  besteht,  trotz  der  engl,  bezeichnung  horse-radish,  die 
demnach  auf  anderm  boden  wurzelt'.  —  Auch  Kluge  (Et.  wb.*) 
entscheidet  sich  für  'überseeischer  rettich',  nimmt  aber  in  hin- 
blick  auf  das  engl,  horseradish  zugleich  von  der  möglichkeit 
der  deutung  'pferderettich'  notiz. 

Eine  andere  erklärung  versuchen  zwei  botaniker,  ohne 
auf  diese  philologischen  auslegungen  bezug  zu  nehmen.  Der 
bekannte  Genfer  gelehrte  Alphonse  de  Candolle ')  äussert  sich 
über  den  Ursprung  des  Wortes  meer  rettich  folgendermassen: 
4 wahrscheinlich  entstand  es  daher,  dass  die  art  in  der  nähe 
des  meeres  gedeiht,  eine  eigenschaft,  welche  sie  mit  vielen 
cruciferen  teilt,  und  welche  sich  gerade  für  sie  darbieten  mnss, 
wo  sie  im  östlichen  Russland  mit  seinen  vielen  salzigen  ter- 
rains  spontan  vorkommt'.  —  Weniger  bestimmt  spricht  sich 
Fischer-Benzon  in  seiner  Altdeutschen  gartenflora  (1894;  s.115) 
aus:  'die  deutung  mährrettich  (pferderettich)  ist  sprachlich 
unmöglich;  sie  stemmt  auch  erst  aus  diesem  jahrhundert  oder 
frühestens  aus  dem  ende  des  vorigen.  Wie  kommt  die  pflanze 
zu  dem  namen  meerrettich?  Weil  sie  in  der  nähe  des  meeres 
besonders  gut  gedeiht?  Es  wäre  immerhin  möglich,  aber  sie 
könnte  auch  wohl  ursprünglich  eine  küstenpflanze  Italiens  und 
Griechenlands  gewesen  sein,  wie  sie  denn  jetzt  noch  die  küsten 
des  Schwarzen  meeres  bewohnt'. 

Zum  schluss  sei  noch  eine  auffassung  erwähnt,  die  Victor 
Hehn  in  seinem  bekannten  buche  Culturpflanzen  u.  haustiere 
(6.  aufl.  1894,  s.  484)  ausspricht:  dass  das  wort  meerrettich  aus 
dem  lat.  armoracia  entstellt  sei.  Diese  erklärung  ist  nach 
Fischer -Benzons  angaben  (a.a.O.)  neuerdings  wider  in  der 
Heimat  bd.  3  (Kiel  1893),  s.  44  vorgetragen  worden,  wo  *die 
plattdeutschen  namen  des  meerrettichs:  marrak,  maref/ig, 
maredig,  marretig,  als  angleichungen  [sie]  an  armoracia  auf- 
gefasst sind,  die  ihrerseits  wieder  als  meerrettich  verhoch- 
deutscht  worden  seien'.   Fischer-Benzon  lehnt  diese  erklärung 

>)  Geographie  botanique  raisonnee,  1855,  s.  654.    Xeu  abgedruckt  in 
seinem  buche  über  den  Ursprung  der  culturpflanzen,  Leipzig  1884,  s.  44. 


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MEERRETTICH.  563 

nicht  direct  ab,  weist  aber  doch  darauf  hin,  dass  'die  namen 
merradwh,  merretich  etc.  schon  vor  dem  12.  Jahrhundert'  vor- 
kommen, also  älter  als  die  nd.  formen  sein  können. 

Dieser  einwurf  ist  richtig.  Schon  in  ahd.  glossaren  aus 
dem  9.  und  10.  jh.  tritt  der  name  in  der  form  meri-ratich  auf; 
aus  dem  11.  jh.  haben  wir  merratich,  aus  dem  12.  merretich 
(Graff  2, 492).  Letzteres  ist  die  gewöhnliche  mhd.  und  friih- 
nhd.  form;  die  mnd.  ist  merredik  (Schiller-Lübben  3,76.  Lübben- 
Walther,  Mnd.  handwb.  s.  226). 

Damit  fallen  die  ableitungen  aus  amatus  und  armoracia1) 
ohne  weiteres  in  sich  zusammen.  Durch  das  ahd.  meriratich 
wird  aber  auch  der  erklärung  von  meerrettich  als  mährenrettich 
der  boden  entzogen.  Die  ahd.  form  des  wortes  mähre  ist 
meriha,  marhe,  merha ;  mhd.  mcrhe.  Dass  mer{i)lw,  als  erstes 
glied  eines  compositums  schon  im  9.  und  10.  jh.  zu  mm-  con- 
trahiert  sein  sollte,  während  sich  das  /*  sonst  durch  die  ganze 
ahd.  und  mhd.  zeit  erhalten  hat,  ist  durchaus  unwahrschein- 
lich (vgl.  auch  das  ahd.  merihün-sun).  Dazu  kommt,  dass 
mähre-  als  bestimmungswort  zusammengesetzter  pflanzennamen 
in  alter  wie  in  neuer  zeit  überhaupt  unerhört  ist;  nur  ross- 
oder  pferd-  kommen  in  dieser  function  vor. 

Wie  steht  es  aber  mit  dem  engl,  horse-radish?  De  Can- 
dolle  (Ursprung  der  culturpfl.  s.  44)  sagt:  'der  englische  name 
horse  radish  (pferderadies)  hat  nichts  ursprüngliches  an  sich, 
was  zu  der  annähme  berechtigen  könnte,  dass  die  art  vor 
der  angelsächsischen  herrschaft  im  lande  aufgetreten  sei. 
Man  will  eben  nur  die  stärke  des  radies  damit  andeuten. 
Der  wallisische  name  rhuddygl  maurth  ist  nur  die  Übersetzung 
des  englischen,  woraus  man  schliessen  kann,  dass  die  Kelten 
von  Grossbritannien  keinen  besondern  namen  hatten  und  die 
art  nicht  kannten'. 

De  Candolle  hat  mit  dieser  Vermutung  das  richtige  getroffen. 

l)  Der  lat.  name  armoracia,  der  übrigens  ursprünglich  nicht  den  meer- 
rettich, sondern  eine  andere,  pontische  crucifere  bezeichnete,  hat  auch  sonst 
Unheil  in  der  nomenclatur  des  ineerrettichfl  angerichtet.  Man  brachte  den 
namen  fälschlich  mit  Amiorica  zusammen  und  nennt  infolgedessen  in  Frank- 
reich den  meerrettich  zuweilen  cran  oder  cranson  de  Bretagne,  obwol  die 
cochlearia  armoracia  in  der  Bretagne  sicher  nicht  wild  wächst  (vgl.  hier- 
über De  Candolle,  Ursprung  der  culturpfl.  s.42). 

36* 


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564 


HOOPS 


Die  alten  Briten  wie  die  Angelsachsen  kannten  den  meerrettich 
noch  nicht.  Selbst  im  16.  jh.  war  die  pflanze  in  England 
noch  unbekannt,  William  Turner  in  seinem  buche  The 
Names  of  Herbes  vom  jähre  1548  sagt1):  'Armoracia'1)  is  named 
in  greke  Eaphanis;  it  groweth  not  in  England  that  I  wotte 
of,  but  it  groweth  in  Italy,  and  it  is  called  Larmoratia*);  it 
myght  be  called  in  englishe  if  we  had  it,  wyld  Badish;  it  is 
hote  of  complexion'.  —  In  dem  Teutsch-  englischen  lexikon 
von  Fritschen  aus  dem  jähre  1716  ist  horseradish  bereits  als 
englischer  name  des  meerrettichs  aufgeführt.  Frühere  belege 
habe  ich  nicht  finden  können.  In  Skinners  Etymologicon  lin- 
guae  anglicanae  von  1671  fehlt  das  wort,  was  aber  nicht  zu 
dem  Schlüsse  berechtigt,  dass  es  damals  noch  nicht  vorhanden 
war.  Vermutlich  wurde  die  pflanze  zwischen  1550  und 
1650  nach  England  eingeführt.  Heute  ist  sie  auf  den 
Britischen  inseln  vollkommen  heimisch.  Sie  kommt  vielfach 
verwildert  vor  und  setzt  sich,  wo  sie  einmal  boden  gefasst 
hat,  leicht  so  fest,  dass  sie  schwer  wider  auszurotten  ist  und 
fast  das  aussehen  einer  wildwachsenden  art  hat.  Doch  verrät 
ihr  Standort  stets  den  verwilderten  fremdling.4)  Ein  volkstüm- 
liches genussmittel  in  dem  masse,  wie  z.  b.  in  Süddeutschland, 
ist  der  meerrettich  in  England  bis  heute  nicht  geworden. 

Gleichzeitig  mit  dem  auftreten  der  pflanze  wird  auch  der 
name  horse-radish  entstanden  sein,  zu  dem  wir  einen  ansatz 
bereits  in  der  Turnerschen  benennung  wyld  radish  haben. 
Seine  eigentliche  bedeutung  ist  von  De  Candolle  ziemlich 
richtig  erkannt,  wenn  er  meint,  man  wolle  damit  nur  die 
stärke  des  radies  andeuten.   Wedgwood  freilich  (Dick  of  Engl. 


>)  Hg.  v.  Britten,  Engl.  dial.  soc.  34,  8. 15. 

*)  Im  mittelalter  gilt  raphanus  ruslicus  oder  vulgaris  als  die  gewöhn- 
liche lat.  benennung  des  meerrettichs.  Vom  16.  jh.  an  wird  armoracia, 
das  im  mittelalter  verschiedene  cmciferen  bezeichnet  hatte,  immer  all- 
gemeiner in  diesem  sinne  verwant.  Camerarias  (1580)  sagt:  'raphanus 
rusticus:  vulgo  armoraäa'  (vgl.  Fischer- Benzon,  Altdeutsche  gartenflora 

8.115). 

*)  Noch  heute  heisst  der  meerrettich  in  Italien  armoraccio  oder  ramo- 
laccio ;  daneben  rafano,  ravano  grosso  (vgl.  Nemnich,  Allgem.  polyglotten- 
lex.  d.  natur-gesch.  1, 1093. 

')  Watson,  Cybele  Britannica  1, 120.  3,381.  Watson,  Compendium  of  the 
Cyb.  Brit.  s.  481.  De  Candolle,  Ursprung  der  culturpfl.  s.  43. 


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MEERRETTICH. 


565 


etymol.,  2<i  ed.,  1872,  s.  349)  sagt:  '  horse -radish,  plattd.  mar- 
reddik,  from  the  ancient  mar,  a  horse,  from  some  notion  of 
the  plant  being  wholesome  for  horses'.  Aber  diese  auslegung 
stammt  augenscheinlich  aus  Adelung,  mit  dessen  bemerkungen 
sie  fast  wörtlich  übereinstimmt.  Auch  Donald  in  Chambers'  Ety- 
mological  dictionary ')  und  andere,  die  diese  erklärung  des  engl. 
horse-radish  geben,  widerholen  nur,  was  frühere  gesagt  haben. 
Dass  pferde  meerrettich  fressen,  ist  mir  nicht  bekannt;  dass  er 
ihnen  gelegentlich  als  medicin  beigebracht  wird,  ist  möglich;  auf 
keinen  fall  aber  ist  in  einer  solchen  medicinischen  Verwendung 
die  Ursache  der  namengebung  zu  suchen:  diese  auffassung  be- 
ruht sicher  auf  einer  jüngeren,  gelehrten  misdeutung  des  namens. 

Pflanzennamen  mit  lwrse  bez.  ross,  pferd  als  erstem 
element  dienen  im  engl,  wie  im  deutschen  mit  Vorliebe  zur 
bezeichnung  unechter,  besonders  gröberer,  oft  auch 
wildwachsender  und  ungeniessbarer  arten  gegenüber 
den  echten,  feineren,  cultivierten.  So  schon  ags.  hors- 
minte  als  bezeichnung  der  wilden  minzen  und  minzenähnlichen 
pflanzen  gegenüber  den  zarteren  garten -species;  im  gleichen 
sinne  nengl.  horsemint;  ebenso  ahd.  rosses-minza  (schon  im 
9.  jh.),  mhd.  rosseminz,  -myntza,  rosmintze,  nhd.  rossminz,  pferde- 
münze\  mnd.  rosmynte,  per  dem  inte,  -mynte,  nnd.  pierdmünt, 
pärmint. 2)   Hierher  gehören  ferner  nengl.  horse  cress,  veronica 


')  'So  named  from  a  notion  of  its  being  wholesome  for  horses 1  (s. 238). 
Chambers'  Etym.  dict.  erschien  1867  und  hat  nach  seiner  eignen  angäbe 
u.  a.  auch  aus  der  ersten  aufl.  von  Wedgwood  geschöpft. 

»)  Graff2,  819.  Steinmeyer -Sievers,  Ahd.  glossen  3,475,41.  555,54. 
Pritzel-Jessen,  D.  deutsch,  volksnamen  d.  pflanzen  s.  234  ff.  Fischer-Benzon, 
Altdeutsche  gartenflora  s.  188.  210.  —  Wenn  Weigand  (Deutsch.  Wb.  2) 
raeint:  'auch  der  mittellat.  name  die  equimenia,  welcher  im  9.,  11.  u.  12.  jh. 
wörtlich  durch  rosses  minza,  rosseminza,  rosmime  d.  i.  rossminze  ver- 
deutscht wurde,  scheint  von  einer  Verwendung  des  krautes  als  pferdeheil- 
mittel  seinen  Ursprung  zu  haben',  —  so  ist  er  in  mehrfacher  hinsieht  auf 
dem  holzwege.  Erstens  ist  das  ahd.  rosses  mitua  ganz  sicher  keine  Ver- 
deutschung des  mittellat.  equitnenta,  sondern  dieses  ist  umgekehrt  (wie 
Steinmeyer  richtig  vermutet)  eine  Übersetzung  des  germ.  namens,  der  ja 
auch  im  ags.  vorhanden  ist;  zweitens  ist  von  einer  Verwendung  dieser 
kräuter  —  denn  'rossminze'  ist  eine  generelle  benennung  für  verschiedene 
wilde  minzenarten  und  minzenähnliche  pflanzen  —  als  pferdeheilmittel 
nichts  bekannt;  und  endlich  hat  Weigand  die  bedeutung  der  volkstüm- 
lichen namenbildungen  mit  ross-  nicht  verstanden. 


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566 


HOOPB 


beccabunga  L.,  gegenüber  der  gartenkresse;  horse  daisy*)  für 
Chrysanthemum  leucanthemum  L.,   die  weisse  Wucherblume, 
anthemis  cotula  L.,  die  hundskamille  und  ähnliche  arten  gegen- 
über dem  zarten  gänseblümchen  oder  maasliebchen,  bellis 
perennis  L.,  mit  dem  jene  in  ihrem  habitus  ähnlichkeit  haben; 
im  gleichen  sinne  stehen  in  Schottland  gotvan  und  horse  goican 
einander  gegenüber.   Das  duftlose  hundsveilchen,  viola  canina, 
wird  zum  unterschied  von  viola  odorata  in  Essex  horse  violet 
genannt;  in  Augsburg  nennt  man  es  hundsvcigeln  oder  ross- 
veigeln.  —  Auch  sonst  sind  in  Deutschland  diese  bildungen 
nicht  minder  beliebt  als  in  England:  ross-eppich  für  heracleum 
sphondylium  L.,  bärenklau  und  ähnliche  pflanzen  im  gegensatz 
zum  wirklichen  eppich;  ross-erbs,  ein  St.  Galler  name  für  pha- 
seolus  multiflorus  Lamk.,  die  türkische  oder  prunkerbohne,  die 
nur  als  ziergewächs  wegen  ihrer  bunten  blüten,  nicht  der 
früchte  wegen  gezogen  wird;  rossfenchel  für  verschiedene 
fenchelartige,  rosskümmel  für  entsprechende  kümmelähnliche 
wilde  umbelliferen;  rosspappel  für  die  wilde  malve  u.  s.  w. 
(vgl.  Pritzel-Jessen  a.  a.  o.  s.  620  f.).   Auch  der  name  ross-  oder 
Pferdebohne  dürfte  hierher  gehören. 

Ungleich  häufiger  noch  als  horse  und  ross  wird  engl,  dog, 
nhd.  hunds-  zur  bezeichnung  des  unechten  gebraucht.  Z.  b. 
dogberry  für  verschiedene  nicht  essbare  beeren;  dogcherry,  dog 
daisy  bez.  dog  gotvan  (sj'nonym  mit  den  oben  erwähnten  horse 
daisy,  horse  gotvan),  dog  ellcr2),  dog  fennel  (wie  oben  das  nhd. 
rossfenchel),  dog  nettle,  dogrose,  dog  rotvans.*)  —  In  Deutsch- 
land sind  solche  bildungen  ausserordentlich  häufig:  hundsbecre, 
-dille,  -kamille,  -kirschen,  -knoblauch,  -kürbs,  -lauch,  -milch,  -peter- 
silie,  -reben,  -rose,  -rüben,  -veilchen,  -tveizen,  -ewiebel  u.  s.  w. 
(Pritzel-Jessen  s.  550  f.),  überall  im  sinne  von  'unecht,  pseudo-'. 
—  Auch  andere  tiernamen  werden  manchmal  in  der  gleichen 
function  verwant. 

')  'From  its  size  and  coaraeness',  sagen  Britten  nnd  Holland  in  ihrem 
Dictionary  of  English  plant -names  mit  recht  (Engl.  dial.  soc.  22.  2ü.  45; 
8. 141).  Aus  ihren  belegen  geht  hervor,  dass  der  name  in  dieser  bedeutnng 
über  ganz  England  verbreitet  ist. 

Britten-Holland  s.  154  bemerken  unter  diesem  namen  sehr  richtig: 
'dog  is  applied  here,  as  in  niany  other  cases,  as  meaning  spurious,  not  the 
right  thing'. 

»)  Ueber  die  botan.  bedeutung  dieser  namen  vgl.  Britten-Holland  s.  154fL 


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MEERRETTICn. 


567 


Nach  diesen  zahlreichen  parallelen  kann  wol  kein  zweifei 
mehr  darüber  herschen,  dass  horse-radish  weiter  nichts  als 
'unechter,  grober  rettich'  bedeutet  —  eine  erklärung,  auf 
die  übrigens  schon  das  Turnersche  wyld  radish  hinweist.  Und 
ähnlich  wie  in  Turners  Herbarium  wird  in  dem  ziemlich  gleich- 
zeitigen Kreutterbuch  von  Hieronymus  Bock  (f  1554)  zwischen 
dem  meerrettich  und  dem  zahmen  rettich  unterschieden:  'der 
meerrhetich  ist  mit  geschmack  und  geruch  sterker  dann  der 
zam'  (s.  280).  Der  umstand,  dass  schon  bei  Turner  1548  der 
in  England  damals  noch  unbekannte  meerrettich  als  wilder 
rettich  aufgefasst  wird,  zeigt  zugleich,  dass  der  name  horse- 
radish  jedenfalls  völlig  unabhängig  von  dem  deutschen  namen 
meerrettich  oder  nd.  marredik  entstand,  dass  er  eine  ganz  spon- 
tane engl,  bildung  ist,  die  erst  später  unter  verkennung  der 
ursprünglichen  Verhältnisse  mit  meerrettich  in  beziehung  ge- 
setzt wurde. 

Damit  fällt  auch  die  letzte  stütze  der  deutung  von  meer- 
rettich als  'mährenrettich'.  Es  kann  demnach  kein  zweifei  mehr 
darüber  sein,  dass  wir  in  dem  ersten  compositionsglied  tatsäch- 
sächlich  unser  wort  meer,  ahd.  meri,  zu  erblicken  haben.  In 
den  dialektischen  formen  merrettich,*)  merredch,  merch  etc. 
hat  sich  die  alte  kürze  vor  dem  doppelconsonanten  bewahrt; 
in  den  nd.  marreddik,  marreik,  mark,  marrettig  ist  das  £  vor  r 
in  geschlossener  silbe,  wie  auf  nd.  und  engl,  gebiet  so  sehr 
gewöhnlich,  in  a  übergegangen  (vgl.  mnd.  sterven  :  nnd.  starven, 
Hervest :  harvst,  herte :  hart  etc.;  mengl.  kerven :  nengl.  carve,  fer  : 
far,  sterre  :  star,  bern  :  barn  etc.). 

Jedoch  was  bedeutet  meerrettich?  'Ueber  das  meer 
gekommener  rettich'?  So  wird  es,  wie  wir  gesehen  haben, 
von  verschiedenen  philologen  erklärt.  Aber  was  haben  die- 
selben sich  dabei  gedacht?  Der  name  war  schon  im  9.  und 
10.  jh.  vorhanden.  Amerika  war  dazumal  noch  nicht  entdeckt; 
in  England  war  der  meerrettich  überhaupt  nicht  bekannt; 


*)  In  der  Schriftsprache  tritt  schon  im  16.  jh.  die  form  meerrettich 
auf;  der  erste  beleg,  den  Weigand  anführt,  stammt  ans  dem  jähre  1538. 
Andererseits  haben  sich  die  formen  mit  alter  kürze  in  den  Wörterbüchern 
noch  ziemlich  lange  erhalten.  Weigand  citiert  hierfür  Adam  Lonicerua 
(f  1586),  aber  noch  in  Stielers  Tentschem  Sprachschatz  von  1691  (p.  1605) 
lesen  wir  merrettich. 


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568 


HOOPS 


eine  entsprechende  lat  benennung,  aus  der  das  ahd.  wort  über- 
setzt sein  könnte,  existiert  nicht.  Ueber  welches  meer  soll 
also  damals  die  pflanze  nach  Deutschland  gebracht  sein?  Ich 
glaube,  durch  diese  einfache  historische  erwägung  wird  jene 
allzu  philologische  erklärung  von  selbst  gerichtet 

Die  sache  wird  noch  zweifelloser,  sobald  wir  nach  der 
wirklichen  heimat  des  meerrettichs  forschen.  De  Candolles 
gründliche  Untersuchungen  haben  erwiesen,  dass  der  meerrettich 
von  osten  her  zu  uns  gekommen,  dass  seine  eigentliche 
heimat  das  östliche  Europa  ist.1)  'Die  cochlearia  armo- 
racia',  sagt  er,  'ist  von  Finland  bis  nach  Astrachan  und  der 
wüste  am  Kuma  verbreitet.  Grisebach  führt  sie  auch  für 
mehrere  localitäten  der  europäischen  Türkei  auf,  z.  b.  in  der 
nähe  von  Enos,  wo  sie  am  meeresstrande  häufig  ist.  Je  mehr 
man  sich  dem  westen  Europas  nähert,  um  so  weniger  scheinen 
die  autoren  von  floren  über  die  einheimische  eigenschaft  sicher 
zu  sein,  um  so  zerstreuter  und  verdächtiger  werden  die  Stand- 
orte. In  Norwegen  ist  die  art  seltener  als  in  Schweden,  auf 
den  Britischen  inseln  seltener  als  in  Holland,  wo  man  keinen 
fremden  Ursprung  mutmasst.  Die  namen  der  art  bestätigen 
einen  ursprünglichen  wohnsitz  eher  im  osten  als  im  westen 
Europas:  so  findet  sich  der  russische  name  ehren  in  allen 
slavischen  sprachen  wieder:  krenai  im  litauischen,  cliren  im 
illyrischen.  Derselbe  hat  sich  in  einigen  deutschen  dialekten, 
z.  b.  in  der  nähe  von  Wien,  eingebürgert,  oder  ist  auch,  trotz 
einführung  der  deutschen  spräche,  dort  verblieben.  Auch  das 
französische  wort  cran  oder  cranson  wird  davon  abgeleitet* 

Die  Verbreitung  dieses  namens  über  das  ganze 
slav.-balt  Sprachgebiet  ergibt  sich  noch  deutlicher  aus 
der  Zusammenstellung  der  verschiedenen  dialektformen  bei  Mi- 
klosich  (Et,wb.90):  aslov./trt'WM,  nslov.Ärew,  bulg.  hren,  serb.Arm, 
czech.  ehren,  poln.  chrmn,  klruss.  chrin,  russ.  cJirenü  oder  chrenü; 
lit.  krenas.  Der  name  ist  etymologisch  bislang  nicht  erklärt.  Er 
macht  jedenfalls  einen  sehr  altertümlichen  eindruck;  ob  er  aber 
urslav.  sprachgut  oder  vielleicht  aus  einer  nichtindog.  spräche 
entlehnt  ist,  lässt  sich  vorläufig  nicht  entscheiden.  Er  drang 
schon  im  12.  jh.  ins  deutsche,  zunächst  als  chrene,  krene,  kren; 

')  De  Candolle,  Geographie  botanique  raisonnee,  1855,  8. 654f.  Ursprung 
der  culturpfl.  s.  43  f.   Ferner  Watson,  Cybele  Britannica  3,  381. 


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MEERRETTICH. 


daneben  erscheint  vom  15.  jh.  an  krienJ)  kren,  krien,  grän, 
grien  ist  auch  heute  noch  die  gewöhnliche  benennung  für  den 
meerrettich  in  den  südöstlichen  provinzen  des  deutschen  Sprach- 
gebiets und  nur  in  diesen.  Sie  erstreckt  sich  von  Siebenbürgen 
durch  Oesterreich  über  Böhmen  nach  Schlesien;  in  Süddeutsch- 
land ist  sie  durch  Bayern  bis  nach  Augsburg  vorgedrungen.2) 

Dies  nebenbei.  Von  den  oben  angeführten  deutungen  des 
deutschen  namens  meerrettich  bleiben  jetzt  nur  noch  zwei  be- 
stehen: die  De  Candollesche  und  die  von  Richey.  Beide  gehen 
übereinstimmend,  im  gegensatz  zu  den  übrigen,  von  der  an- 
nähme aus,  dass  das  bestimmungswort  meerrettich  den  Standort 
der  pflanze  angebe.  Sie  sind  damit  auf  der  richtigen  bahn, 
obschon  im  übrigen  auch  ihre  auslegungen  unzureichend  sind. 

Gegenüber  der  erklärung  De  Candolles,  wonach  die  pflanze 
so  genannt  wäre,  weil  'die  art  in  der  nähe  des  meeres 
gedeiht',  erhebt  sich  sofort  wider  die  frage:  welches  meer  ist 
denn  damit  gemeint?  An  irgend  eine  nichtdeutsche  see,  etwa 
das  Mittelländische  oder  Schwarze  meer,  zu  denken,  hat  keinen 
sinn:  einen  lat,  gr.  oder  slav.  namen,  der  'meerrettich'  be- 
deutete, gibt  es  nicht.  Die  deutsche  bezeichnung  ist  aus  keiner 
fremden  spräche  übersetzt,  sondern  specifisch  deutschen  Ur- 
sprungs und  ist  sicher  aus  der  unmittelbaren  anschauung 
geschöpft.  Für  Deutschland  aber  können  von  meeren  offenbar 
nur  Nord-  und  Ostsee  in  betracht  kommen,  und  dass  der  meer- 
rettich an  deren  ufern  besonders  häufig  wachse,  wird  niemand 
behaupten  wollen.  Das  ahd.  meri-ratich  kann  somit  nicht  'der 
am  meere  wachsende  rettich'  bedeutet  haben. 

Nach  Richeys  ansieht  endlich  hätten  wir  in  dem  nd.  maar- 
reddick  die  ursprünglichere  form  zu  erblicken,  weil  'dieser 
rettich  nicht  im  meere,  sondern  im  maar-  oder  moor- lande 
wächset'.  Hiergegen  lässt  sich  botanisch  nichts  einwenden. 
Man  kann  in  jedem  botanischen  handbuch  finden,  und  jeder 
gärtner  wird  es  bestätigen,  dass  der  meerrettich  an  feuchten 
stellen,  an  graben,  teichen,  sümpfen,  flüssen  u.  dgl. 
wächst.   Aber  die  philologische  seite  von  Richeys  erklärung 

l)  Lexer  1,  1720.  Mhd.  wb.  1,  878.  Konrad  Megenberg  in  seinem  Buch 
der  natnr  (418,  25)  sagt:  diu  würz,  diu  ctsusä  merretich  haizt  und  anderswä 
kf  tu. 

»)  Pritzel-Jessen,  D.  deutsch,  volksn.  d.  pfl.  s.  244. 


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570 


HOOPS,  MEERRETTICH. 


ist  unhaltbar;  der  dilettantismus  steht  ihr  auf  der  stira  ge- 
schrieben, weshalb  sie  von  den  neueren  forschern  seit  beginn 
des  jh.  überhaupt  nicht  mehr  beachtet  ist.  Die  nd.  form  mit  a, 
wie  wir  gesehen  haben,  ist  nicht  die  ursprünglichere;  und  selbst 
wenn  sie  es  wäre,  würden  maar  und  moor  immer  noch  nicht 
identisch  sein. 

Damit  wären  die  bisher  aufgestellten  erklärungen  wol 
erschöpft,  und  es  scheint  nun  wirklich  fast,  als  ob  Nemnich 
recht  behalte,  dass  sich  kein  sicherer  Ursprung  des  namens 
meerrettich  angeben  lasse,  weil  gegen  jeden  deutungs versuch 
gleich  wider  schwere  bedenken  erstehen.  Wie  kommen  wir 
aus  diesen  Schwierigkeiten  heraus? 

Nur  eine  vernünftige  Vereinigung  botanischer  und  philo- 
logischer forschung  kann  uns  hier,  wie  bei  allen  Untersuchungen 
über  pflanzennamen,  zum  ziele  führen.  Der  fehler  aller  früheren 
erklärer  war,  dass  sie  von  der  heutigen  hd.  oder  nd.  form  des 
namens  ausgiengen,  während  sie  sich  zunächst  an  die  älteste 
bezeugte  form,  das  ahd.  meri-ratich,  hätten  halten  sollen.  Ahd. 
mcn,  wie  as.  meri  und  ags.  mere  bedeuten  aber  in  erster  linie 
nicht  'meer',  sondern  'stehendes  binnengewässer,  weiher, 
tümpel,  sumpf.  Vgl.  afries.  mar  'graben,  teich';  anl.  tnaere, 
maer,  mer  'sumpf,  see',  ags.  mer(i)sc  =  nengl.  marsh,  nd.  marsch 
'sumpfige  niederung';  ferner  gr.  dfiuoa  'graben,  kloake'.  Nur 
auf  hochdeutschem  gebiet  hat  das  wort  die  bedeutung  'meer* 
angenommen,  im  nl.  und  engl,  bedeutet  es  noch  heute  'land- 
see,  sumpf.  Erinnern  wir  uns  jetzt  daran,  dass  der  meer- 
rettich feuchte  Standorte  an  gräben,  teichen,  sümpfen  u.  dgL 
liebt,  so  wird  uns  der  ursprüngliche  sinn  des  ahd.  meri-ratich 
sofort  klar  werden:  es  bedeutet  weiter  nichts  als  'sumpf- 
rettich'.  Das  ist  des  rätsels  sehr  einfache  lösung.  Der  alte 
Richey  mit  seiner  dilettantischen  auffassung  des  Wortes  als 
moor-rettich  ist  also  'in  seinem  dunkeln  dränge'  tatsächlich  von 
allen  der  Wahrheit  am  nächsten  gekommen. 

HEIDELBERG,  18.  märz  1898.      JOHANNES  HOOPS. 


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WERWOLF 


An  der  bekannten  stelle  in  den  gesetzen  Cnuts  (Schmid, 
Gesetze  der  Angelsachsen 2  s.  270)  bieten  die  hss.  die  form  were- 
wulf  statt  des  zn  erwartenden  werwulf.  Dieser  umstand  hat 
nun  Kögel  veranlasst,  die  landläufige  deutung  des  wortes  als 
'niannwolf  anzuzweifeln  und  eine  neue  erklärung  zu  ver- 
suchen.1) Indem  er  den  ersten  teil  des  compositums  mit  got. 
wasjan  'kleiden'  zusammenbrachte,  deutete  er  das  wort  als 
'wolfskleid',  und  diese  erklärung  ist  unter  anderen  auch  von 
Kluge  in  der  letzten  aufläge  seines  Etymologischen  Wörter- 
buchs angenommen  worden.  In  den  Beitr.  21,  574  ist  Mogk 
indessen  wider  für  die  alte  ansieht  und,  wie  ich  glaube,  mit 
recht  eingetreten.  Er  macht  geltend,  dass  das  in  den  Gesetzen 
vielfach  belegte  wort  icergüd,  dessen  erster  teil  unzweifelhaft 
'mann'  bedeutet,  in  Cnuts  dömas  zweimal  in  der  form  were- 
güd  vorkommt,1)  und  zieht  daraus  den  schluss,  dass  das  nur 
einmal  begegnende  werewulf*)  in  ähnlicher  weise  für  werwulf 
verschrieben  sei 

Es  lässt  sich  aber  noch  anderes  zur  stütze  von  Mogks 
ansieht  beibringen:  aus  den  folgenden  belegen  geht  nämlich 
hervor,  dass  seit  dem  anfang  des  11.  jh.'s  die  Schreibung  teere 
für  wer  nicht  nur  in  den  Zusammensetzungen,  sondern  auch 
als  simplex  vorkommt. 

*)  Vgl.  Beitr.  21,  574  und  Pauls  Grundr.  1, 1017  anm. 

*)  Dies  sind  aber  nicht  die  einzigen  belege:  vgl.  Ine  13  (Liebermann, 
Die  gesetze  der  Angelsachsen,  1898,  s.  96),  wo  die  hss.  Bu  (11.  jh.)  und  H 
(12. jh.)  weregild  bieten;  und  Alfred  7, 1  (I.e.  b.  54),  wo  die  hs.  E  (ca.  950) 
weregilde  hat.  Alfred  4, 1  (1.  c.  s.  50)  haben  die  aengl.  hss.  wer-,  und  in  den 
Quadripartitus  ist  das  wort  als  weregildum  aufgenommen  worden. 

*)  In  meinem  Wulfstan  s.  191, 16  wird  ebenfalls  weretculf  geschrieben: 
die  betreffende  stelle  ist  aber  nur  ein  auszug  aus  diesem  gesetz  Cnuts. 


572 


NAPIER 


Die  angeführten  belege  sind  sämmtlich  nom.  bez.  acc.  sg. 
Die  westsächsischen  Evangelien  (ca.  1000)  bieten  zweimal  den 
acc.  sg.  teere  (Marc.  10,12.  Luc.  1,34):  nur  eine  hs.  hat  an 
beiden  stellen  wer. 

In  Eadwines  Canterbury  psalter  (ed.  Harsley),  der  nach 
Wanley  'circa  tempora  Stephani'  (1135 — 1154)  geschrieben 
wurde,  steht  die  form  were  zweimal  (Ps.  1, 1.  5, 7)  neben  häu- 
figerem wer.  Belege  aus  der  um  die  mitte  des  12.  jh/s  ge- 
schriebenen Cottonschen  hs.  Vespasian  D  14  finden  sich  in  der 
Anglia  3, 106, 27.  108,73.  109,91  ßes  (se)  hal^e  were.  Anglia  11. 
370, 46  stva  p  se  were  ne  $ret  his  wif,  ne  p  irif  hire  trerc 
390,2  Eadi*  biß  se  were.  Kluge,  Ags.  leseb.2  s.  88,37.  Die 
31.  zeile  des  Poema  morale,  ed.  Lewin  (ca.  1170)  lautet:  Ne 
hopie  wif  to  hire  were,  ne  were  to  his  wife,  während  das  Or- 
mulum  (ca.  1200)  stets  die  form  were,  nie  werr  bietet,') 

Weitere  belege  für  were  aus  der  ersten  hälfte  des  13.  jh/s 
sind:  Juliana,  ed.  Cockayne  s.  14, 13.  Hali  meidenhad,  ed.  Co- 
ckayne  s.  31, 18.  Owl  and  Nightingale,  ed.  Stratmaiin  1341 
(were  reimt  mit  copenere).  1522.  Genesis  and  Exodus,  ed. 
Morris  3977.  Man  kann  sogar  behaupten,  dass  seit  dem  an- 
fang  des  13.  jh.'s  were  die  allein  herschende  form  sei;  mir  ist 
seit  dem  j.  1200  kein  sicherer  fall  von  wer  bekannt. 

Mogk  überlässt  es  den  anglisten  zu  entscheiden,  wie  dieses 
unorganische  e  zu  erklären  sei:  ich  meine,  es  liegt  nahe,  an  be- 
einflussung  durch  die  zweisilbigen  nomina  here,  mere,  spere, 
bere,  pere  zu  denken.2)  Freilich  stehen  diesen  fünf  zwei- 
silbigen Wörtern  vier  einsilbige  auf  er  gegenüber:  ausser  wer 
noch  hwer,  (ge)ncr,  $eter\  doch  sind  diese  abgesehen  von  wer 
verhältnismässig  selten,  während  here,5)  mere,  spere,  bere  in 
täglichem  gebrauch  waren. 

Namentlich  aber  bei  den  sehr  zahlreichen  und  häufig  ge- 
brauchten mit  here-,  mere-,  spere-  gebildeten  compositis  würde 
sich  ein  solcher  einfluss  geltend  machen  können:  diese  konnten 


>)  Vgl.  Ormulum  2558.  4604.  4614.  7615.  9129.  13890,  auch  Sachse,  Das 
anorganische  <  im  Ormulum,  1881,  s.  7. 

8)  Auch  einfluss  seitens  der  nomina  agentis  auf  -ere  (setawere,  prowere 
u.s.w.)  ist  nicht  ausgeschlossen;  doch  scheint  mir  einfluss  von  hert  u.s.w. 
wahrscheinlicher. 

•)  Vgl.  auch  die  mit  Here-  «usammengesetzten  eigennamen. 


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WERWOLF. 


573 


die  fast  isoliert  dastehenden  «rer-composita  leicht  nach  sich 
ziehen,  denn  von  den  übrigen  er- Wörtern  wurden  so  gut  wie 
keine  Zusammensetzungen  gebildet. 

Dadurch  wird  das  vorkommen  von  wercgild  bereits  im 
10.  jh.  leicht  verständlich;1)  etwas  später  hängt  man  auch  dem 
simplex  das  e  an,  und  diese  neue  form  wird  im  laufe  der  zeit 
die  vorhersehende. 


')  In  ganz  ähnlicher  weise  ist  aus  icermöd  'wermut'  ein  weremöd  ge- 
worden: Wright-Wülker  296,  24  (1 1.  jh.).  Cockayne,  Leechdoms  1,216,19 
MS.  0  (12.  jh.).  3, 124, 26.  134,  13  (12.  jh.).  Dieses  schwanken  zwischen  icer- 
und teere-  wurde  wol  nunmehr  der  grund,  weshalh  in  späterer  zeit  formen 
wie  herpaö  u.s.w.  neben  herepaö  auftreten;  vgl.  Crawford  charters,  ed. 
Napier  and  Stevenson,  s.  42. 

OXFORD,  januar  1898.  A.  S.  NAPIER. 


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ZUM  OPUS  IMPERFECTUM. 

Fr.  Kauffmann  befasst  sich  Zs.  fdph.  30,  431  mit  einem 
passus  meines  Dresdener  Vortrags  über  das  Opus  imperfectum 
(vgl.  Verb.  d.  44.  vers.  deutsch,  philol.  u.  schulm.  s.  121  f.)  und  nimmt 
veranlassung,  mir  bei  dieser  gelegenheit  den  Vorwurf  mangelnder 
Sorgfalt  zu  machen. 

Ich  hätte  wol  erwarten  dürfen,  dass  Kauffmann  mit  seiner 
beschuldigung  gewartet  hätte,  bis  die  von  mir  versprochene 
Untersuchung  erschienen  wäre,  anstatt  gegen  mich  zu  polemi- 
sieren, ohne  mein  beweismaterial  zu  kennen.  Auch  hätte  ich 
alle  Ursache  die  frage  aufzuwerfen,  warum  Kauffmann  in  seinem 
aufsatz  über  das  Opus  imperfectum  (Beilage  zur  Allg.  ztg.  vom 
24.  febr.  1897)  zwar  der  von  mir  als  nicht  beweiskräftig  ab- 
gelehnten stelle  über  den  gladius  separationis  (sp.  767  f.)  ganze 
22  zeilen  einräumt,  dagegen  jene  stelle  auf  sp.  896,  die  heute 
sein  hauptbeweisstück  bildet,  mit  absolutem  stillschweigen  über- 
gangen hat.  Der  herkömmlichen  art  der  beweisführung  ent- 
spricht ein  solches  verfahren  jedenfalls  nicht,  selbst  dann  nicht, 
wenn  Kauffmann  nur  auf  leser  rechnen  sollte,  die  das  ganze 
Opus  imperfectum  ad  hoc  durchzuarbeiten  willens  wärem 

Wie  dem  auch  sein  mag,  mir  genügt  es  festzustellen,  dass 
die  behauptung,  mir  sei  die  stelle  auf  sp.  896  entgangen,  un- 
richtig ist.  Ich  habe  sie  vielmehr  in  meinem  Vortrag  ausführ- 
lich erörtert,  wie  ich  durch  mein  manuscript  jederzeit  zu  be- 
weisen im  stände  bin.  Ich  sollte  denken,  mit  demselben  rechte 
mit  dem  Kauffmann  fordert,  dass  man  ihm  eine  nicht  citierte 
stelle  gutschreibe,  hätte  auch  ich  beanspruchen  können,  dass 
man  voraussetze,  nicht  alle  von  mir  in  dem  auf  ein  minin» um 
reducierten  referat  übergangenen  stellen  seien  mir  unbekannt. 

Was  die  sache  selbst  anlangt,  so  kann  ich  in  der  von 
Kauffmann  nachträglich  beigebrachten  stelle  ebensowenig  eine 


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ZUM  OPUS  IMPERFECTUM. 


575 


anspielung  auf  die  auswanderung  der  wulfilanischen  Goten 
erblicken  wie  in  der  vom  gladius  separationis.  Dem  wider- 
spricht vollständig  der  Zusammenhang.  Der  ganze  passus  lautet 
nämlich:  Ut  autetn  et  haereticis  haec  eadem  coapte- 
mus,  Ierusalem  hic  Semper  Ecclesiam  intellige,  quae  dicitur 
civitas  pacis,  cuius  fundamenta  posita  sunt  super  montes  Scrip- 
turarum.  Sicut  ergo  Uli  Iudaei,  qui  fuerant  Ierusalem  spiri- 
tualis,  ingressi  crediderunt  in  Christum,  Uli  autem,  qui  erant 
Ierusalem  corporalis,  manentes  in  corporali  Iudaismo,  perse- 
quebantur  spirituales  Iudaeos,  i.  e.  apostolos  caeterosque  ex 
circumcisione  credentes:  sie  et  de  ista  nova  Ierusalem  i.  e.  de 
Ecclesia,  qui  spirituales  Christiani  fuerunt,  relicta  corporali 
Ecclesia ,  quam  perfidi  occupav  erant  violentia,  exierunt  ab 
Ulis.  Magis  autem  iüi  exierunt  a  nobis,  sicut  Ioannes  exponit 
(1.  Joan.  2, 19). 

Exire  de  Ecclesia  quis  dicatur.  —  Non  enim  ille  de 
Ecclesia  exire  videtur,  qui  corporaliter  exit,  sed  qui 
spiritualiter  veritatis  ecclesiasticae  fundamenta  rclin- 
quit.  Nos  enim  ab  Ulis  exivimus  corpore,  Uli  autem  a  nobis 
animo.  Nos  ab  Ulis  exivimus  loco,  Uli  a  nobis  fide.  Nos  apud 
illos  reliquimus  fundamenta  parietum,  Uli  apud  nos  reliquerunt 
fundamenta  Scripturarum.  Nos  ab  Ulis  egressi  sumus  secun- 
dum  aspectum  hominum,  illi  autem  a  nobis  secundum  iudicium 
Dei.  Ideo  et  illi  corporales  Christiani  persequuntur 
nostros  spirituales,  sjiecie  colorata,  varietate  fundata.  Prop- 
terea  quae  supetius  Dominus  commemoraverat,  ad  illam  Ieru- 
salem corporalem  dicta  esse  videntur:  Ierusalem,  Ierusalem, 
quae  occidis  prophetas  et  lapidas  eos  qui  ad  te  mittuntur.  Non 
dixit:  quae  occidisti  et  lapidasti,  sed:  quae  occidis  et  lapidas, 
i.  e.  quae  hoc  proprium  et  quasi  naturalem  consuetudinetn  habes, 
ut  occidas  et  lapides  sanetos.  Non  enim  occidit  aut  lapidavit 
sanetos  ante  Christum  et  cessavit  facere  post  Christum  quae 
fecit  aliquando  prophetis,  sed  eadem  ipsa  facit  apostoUs,  quae 
fecit  aliquando  prophetis.  Sic  et  haereticorum  Ecclesia 
non  solum  persecuta  est  patres  nostros,  et  persequi 
cessavit:  sed  eadem  filii  eorum  faciunt  nobis,  quae 
patribus  nostris  fecerunt  patres  eorum.1) 

Man  vergleiche  hiermit  folgende  sätee  auf  sp.  898:  Haereticorum 
Ecclesia  derelicia  a  J)eo  et  omttibus  sunetis.  —  Relicta  est  autem  et  deserta, 


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576 


8TREITBEBG,  ZÜM  OPUS  IMPERFECTUM. 


Man  sieht ,  Ka  uff  mann  hätte  besser  getan  sich  nicht  auf 
diese,  angeblich  'einer  hervorhebung  überhaupt  nicht  bedür- 
fende' stelle  zu  berufen.  Denn  sie  handelt  von  der  occupation 
der  arrianischen  kirchen  durch  die  übermächtigen  ortho- 
doxen, von  der  Verfolgung  der  Arrianer  durch  ihre  ortho- 
doxen gegner.  Sie  stimmt  also,  wie  für  jeden  aufmerksamen 
leser  von  vornherein  klar  war,  aufs  beste  zu  jener  stelle  auf 
sp.  767  f.,  wo  von  infideles  und  nicht  von  gentiles  die  rede  ist 
So  wenig  wie  diese  kann  sie  daher  auf  die  Verfolgung  und 
Vertreibung  der  wulfilanischen  Goten  durch  ihre  'heidnischen 
Volksgenossen'  bezogen  werden.  Vielmehr  enthält  sie  nichts 
anders  als  den  alten  lieblingsgedanken  des  Verfassers,  der  in 
immer  neuen  Varianten  widerkehrt:  dass  die  starke  orthodoxe 
partei  dem  äussern  anschein  nach,  die  schwache  und  bedrängte 
arrianische  dagegen  in  Wahrheit  die  kirche  Christi  repräsentiere. 


ex  quo  de  iüa  corporali  Ecclesia  spiritualis  exivit  i.  e.  de  populo  suo,  qui 
videbatur  Christianus  ei  non  erat,  populus  iste  exivit,  qui  non  videbatw 
et  erat:  et  magis  autem,  secundum  quod  diximus,  Uli  a  nobis  exierunt  quam 
nos  ab  iüis. 

WIESBADEN,  2.  april  1898. 

WILHELM  STREITBERG. 


Halle  a.  8.,  Druck  Ton 


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I 

i 

Max  Niemeyer,  Verlagsbuchhandlung,  Halle  a.  S. 


Abhandlungen 


zur 


germanischen  Philologie. 


Festgabe  für  Richard  Heinzel. 

1898.    gr.  8.    M.  14,00. 

■  *» 
•«-•»- 

Daraus  sind  in  Sonderabzug  erschienen: 
Detter.  F.,  Die  Lausavisur  der  Egilssaga.   Beiträge  zu  ihrer  Erklärung 

.Tellinek,  M.  H.,  Ein  Kapitel  aus  der  Geschichte  der  deutschen  Grammatik 

M.  2,oo 

Kraus,  C,  Das  sog.  2.  Büchlein  und  die  Werke  Hartmanns  von  Aue.  M.  2.2t» 
M  er  in  g  er,  K..  Etymologien  zum  geflochtenen  Haus.  >f.  i"*iki 

Much,  R.,  Der  germanische  Himmelsgott.  %  .»'40 

Seein  Uli  er,  J.?  Studie  zu  den  Ursprüngen  der  altdeutschen  Historiographie 
o   «       ,  .M  2.oo 

Mnger.  S.,  Bemerkungen  zu  Wolframs  Parzival.  g  2  24 

W«)lframsK''   Beo,)achtnnSen   zu,n   Rrinigehranch   Hartmanns  und 


Die  Sage  vom  heiligen  Gral 

in  ihrer  Entwicklung  bis  auf  Richard  Wagners  Parsifal 

von 

Ed.  Wechssler. 

1898.   kl.  8.   X.  u.  212  S.    M.  3,00. 


Druck  von  Ehrhardt  Karras,  Halle  a.  8. 

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