Beiträge zur
Geschichte der
deutschen
Sprache und
Literatur
Eduard Sievers,
Wilhelm Braune
ifarbart College Itbrarg
FROM TUE BKQUEST OK
MRS. ANNE E. P. SEVER.
OF BOSTON,
WlDOW ok Col. James Wakren Sevek,
(CUM of 1B17)
I
BEITRÄGE
ZUR
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR. .
*
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEVEHS.
XXIL HAND.
HALLE a. S.
MAX NIEMEYER
77/78 GR. STEIN STRA8SE
1897
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I N H A L T.
»■ «1»«
Ziir r^rziv.ili'ragc. v n J. Liihtent>toin |
Zu Wolframs UruVrn. t. ü i-k >]
Die heimat dtr alrnordi.« heu ]it>i« r vm den 'Velaung n nnd ■!. n
XibeluagftL I. Von S. Uugjre u,,
Zu Heinrich von tfiteeln. m TV. Von K. Huhn 135
Zorn Wigaloü.. Von F. Sara n 151
D.--3 toderjahr des Uiila* und der übertritt der Goten zum .iriaais-
;aus. Von F. Joit6S 15S
Zur gotischen etym.dogie. Von <\ C. Chleubeck 1«S
Miscellen. Von d -mselben . . . . : 19.1
Althochdeutsche* in den slavisrhen Freisiug»-r d< nkmiilorn. Von.
W. Vondrak 201
teW 'int iget im bairisclien. Von K. Bohnen herber . . . 2<»<j
Einige fällt von consonRiitensehw-iud in deutschen ra<\nd.irn<n.
Von W. Horn 217
Grammatisrhes und etymologisches. Von H. Hirr 223
Zur genna;.;..< hen wortkunde. Von 11. WadsteKv, 23$
Grammatisch': miscdlen : 1 1 . Ag*. weorold : u o/oJ. X Von E. S i e v e r * 5
Untersuchungen über das mhd. gedieht von der Minneburg. Von
G. Ehrismann 2b:
Znr dinfeehen heidensage. Von R. C. Iioer 342
Satzvrbindende Partikeln bei Ottrid und Tatian. Von W. E.
üoholten _. . ;tv>J
Bemerknng^L :i;:n HUdebiandslied. Von A. Erdmann . ... 421
Etymologie von 1tdn> 'Steuerruder'. Von J. Hoopa ;:>.>
Znr Krone. Von-G. Ehrismann J3ß
Zur spräche des Leidener Williram. Von W. van Helten . 437
Wortgeschiohtlirhe beitrage. Von K- T. Bah der v:u
INHALT.
536
543
( 1 . Die Vertretung der labiovelaren media aspirata im anlaut :
3,543. — 2- Nochmals hana : hön: s. 545.
548
An. gabba, ajrs. ^abhiati. Von G. Ehr is mann
564
507
Antwort anf den anfcarz Kanffmannfl 'Der arrianismtifl de« Wnlfila'
571
574
Zur herkunft des deutschen reimverees. Von K. Lnick . . .
57.;
PROSPEKT.
fllr
Celtische Lexikographie.
7"nter diesem Titel beabsichtigen die Unterzeichneten in einer
Reihe zwangloser Hefte Beiträge zur Lexikographie der
celtisehen Sprachen herauszugeben und fordern ihre Fachgenossen
zur Mitarbeit auf.
In Ermangelung umfassender wissenschaftlicher Wörter-
bücher soll das Archiv dazu dienen, den künftigen Lexiko-
graphen der Einzelsprachen den Weg zu ebnen, dem Sprach-
forscher neues Material an die Hand zu geben, und ein besseres
Verständnis der Litterat ur zu befördern.
Die Beiträge werden sich auf sämtliche celtische Sprachen
und Sprachperioden eistrecken. Vor allem soll der Wortschatz
der nüttelirischen Sprache, in welcher die grosse Masse der
irischen Litteratur überliefert ist, soweit er nicht in Windischs
Wörterbuch und Atkinsons Glossar zu den Passions and Homdks
vorliegt, Gegenstand der Sammlung sein, während auf alt-
celtischem und altirischem Gebiet Hoblers Sprachschatz und
Ascolis Glossarium nach ihrer Vollendung kaum mehr als eine
Nachlese erfordern werden. Auch die noch unveröffentlichten
einheimischen Glossare, die trotz ihrer vielen Mängel doch
manches seltene Wort bewahren, sollen nach und nach heraus-
gegeben werden.
Auf dem Gebiet der britannischen Sprachen wird das Archiv
nächst einer kritischen Ausgabe der altkymrischen, altbretonischen
und alt komischen Glossen auch alphabetisch geordnete Indices zu
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diesen Glossen bringen; ferner ein Verzeichnis der in Bettnaus
Meriasek vorkommenden, in Williams' Lexicon nicht enthaltenen
kornischen Wörter. Desgleichen sind Sammlungen aus dem
Sprachschatz der mittelkymrischen Litteratur (Mabinogion, Four
Ancient Books of Wales u. s. w.) und Listen von Lehnwörtern
in den verschiedenen Sprachen beabsichtigt. Auch aus den noch
lebenden Dialekten hoffen die Herausgeber unter Mitwirkung
einheimischer Gelehrter Wörtersammlungen bringen zu können.
Schliesslich liegen auch Onomastika, welche die celtischen
Personen- und Ortsnamen Irlands, Schottlands, Wales' und der
Bretagne enthalten sollen, im Plane des Archivs.
Beiträge zum Archiv, die in deutscher, englischer, fran-
zösischer oder italienischer Sprache abgefasst sein können, werden
an die Adresse eines der Unterzeichneten erbeten.
Die Herausgeber:
Whitley Stokes, Kuno Meyer,
15, Greuville Place, London S.W. 57, Hope Street, Liverpool.
Die Verlagsbuchhandlung:
Max Niemeyer,
Halle a. S.
Druck von Ehrhardt Karraa, Halle a. 8.
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ZUR PARZIVALFRAGE.1)
1. Einleitung.
Wolfram von Eschenbach dichtete seinen Parzival bald
nach 1200. Etwa zwanzig jähre früher war derselbe stoff
von dem grossten französischen epiker des mittelalters, Orestien
von Troyes, behandelt worden; sein Conte del graal ist zugleich
die älteste und die bedeutendste darstellung der gralsage in
der französischen literatur, doch hat er sein werk nicht voll-
endet. Wolfram nennt Crestien am ende seines Parzival, aber
nur, um seine fassung der sage in gegensatz zu der Oestiens
zu setzen. Als Urheber der von ihm benutzten rehten mcere
bezeichnet er vielmehr den Provenzalen Kyot, der franzö-
sisch gedichtet habe (416,25.28). Er nennt ihn la schantiure,
was nur einen lyriker oder einen Verfasser von volksepen
(chansons de geste) bedeuten kann und nebenbei W.'s merk-
würdiges französisch illustriert; und er nennt ihn ferner den
meister wol behaut (453,11). Sonderbar ist es nun, dass wir
gerade von diesem hochberühmten dichter und seinem werk
sonst auch nicht eine spur auffinden können. Wir müssten
') Mit dem blossen namen der Verfasser sind im folgenden citiert:
S im rock, Parz. und Tit. tibersetzt und erläntert, 2. und 5. ausg. — Ur-
bach, Ueber den stand der frage nach den quellen des Parz., Zwickau 1872.
— Bartsch, Die eigennamen in Wolframs Parz. und Tit., Germ. Studien
2, 114 ff. — Zarncke, Zur geschiente der gralsage, Beitr. 3, 304 ff. —
Birch-Hirchfeld, Die sage vom gral, Leipzig 1877. — Klipp, Die
unmittelbaren quellen des Parz., Zs. fdph. 17, 1 ff. — Hertz, Die sage vom
Parz. und dem gral, Nord und süd 18 (1881), 94 ff. (auch separat). — Piper,
Wolfram v. Eschenbach, Stuttgart [1890]. — Heinzel, Ueber Wolframs
von Eschenbach Parzival, WSB., phil.-hist. kl. bd. 130 (1894). — Wacker-
nagel, Altfranz, lieder und leiche, Basel 184t».
Beitrug, zur gotehiebto dor deutschen apnehe. XXH. 1
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2
LICHTENSTEIN
denn eine alte, viel bestrittene Vermutung ') wider aufnehmen,
wonach der lyriker und spätere Satiriker Guiot de Pro v ins
gemeint ist, der durch seine anwesenheit bei dem ritterfest in
Mainz 11842) auch in Deutschland bekannt geworden sein
kann, und dessen name daher sehr gut als eine autorität
gegen Crestien ausgespielt werden konnte, mochte nun ein
misverständnis zu gründe liegen oder nicht. Einen Parzival
hat dieser Guiot jedoch nicht gedichtet.
Wenn also schon die einfache nennung der quelle bei
Wolfram der kritik Schwierigkeiten bereitet, so liegt das
schwerste bedenken gegen seine angäbe in dem umstände,
dass tatsächlich sein werk mit dem uns erhaltenen unvollen-
deten gediente Crestiens eine beinahe vollständige Parallelität
der handlung, vielfach lange stellen wörtlicher Übereinstim-
mung, und dazu eine reihe von mis Verständnissen aufweist,
die nur durch entlehnung aus Crestien erklärt werden können.
Dem gegenüber steht allerdings auch wider eine grosse zahl
von abweichungen und Überschüssen bei Wolfram, so vor allem
die Vorgeschichte in buch 1. 2, der abschluss der erzählung in
buch 14 — 16, die erklärung des grals, die bei Crestien fehlt,
und die beziehung auf das haus Anjou.
Um diese Schwierigkeit zu lösen, haben San Marte (Germ.
3,445), Bartsch s. 114 und Hertz angenommen, Wolfram habe
zwei vorlagen für sein gedieht benutzt, Kyot und Crestien.
Das entspricht nun schon nicht dem einfachen Wortlaut der
angaben Wolframs, und dann ist es doch fraglich, ob man
dem dichter Wolfram eine solche kritische tätigkeit, wie sie
die vergleichung und Verarbeitung zweier gralwerke darstellt,
zutrauen darf.3)
Bleibt man aber bei den angaben Wolframs stehen und
nimmt Kyot als seine einzige quelle an, dann fordern die ähn-
lichkeiten zwischen Kyot und Crestien eine erklärung. Drei an-
sichten hierüber sind möglich und tatsächlich verteidigt worden:
') Zuerst aufgestellt von Wackernagel, Altfranz, lieder und leiche
8.191. Dass Wolfr. im Wh. 437, 11 die Stadt Provis kennt, braucht nicht
als gegenbeweis zu gelten, vgl. Heinzel 16.
») Guiot s Bible v. 278 ff. ; vgl. Wolfarts ausgäbe in San Martes Parz.-
stud. 1, einl. s. 5.
s) Zarncke s. 318 anm. Golther, Rom. forsch. 5, 116.
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ZUR PARZIVAL FRAGE.
8
1. Crestien hat Kyot als quelle benutzt (Haupt, Bartsch
s. 114).
2. Kyot hat Crestien als quelle benutzt (Wackernagel
s. 191 anm., Simrock 1*, 489, Martin, QF. 42, 19, Piper s. 110).
3. Crestien und Kyot schöpften aus einer gemeinsamen
quelle (Küpp s. 8, Heinzel s. 39).
Die erste annähme ist literarhistorisch und kritisch un-
haltbar, wie Zarncke, Beitr. 3, 317 f. und Heinzel s. 29 ff. nach-
gewiesen haben. Aber auch die zweite erklärung führt zu
unglaublichen consequenzen (s. Birch-Hirschfeld s. 275 f. 280 f.
Heinzel s. 37 ff.). Eine art Übergangsstandpunkt von 2 zu 3
vertritt Golther, Rom. forsch. 5, 116 ff.: 'Guiot hat erst nach
Crestien gedichtet, er hat den Crestien gekannt und vielleicht
auch aus ihm entlehnt, daneben aber auch ältere quellen be-
nutzt.'1) Woher dann die beinahe vollständige congruenz der
beiden darstellungen mit ihren zahllosen wörtlichen Überein-
stimmungen und directen misverständnissen kommt> bleibt da-
bei unerklärt.2)
Diese Schwierigkeit wird auch durch Küpps und Heinzeis
hypothese nicht genügend gelöst. Küpp setzt einfach für alles
was bei Crestien fehlt oder abweicht, Wolfram = Kyot. Heinzel
betont stark Wolframs Selbständigkeit gegenüber seiner quelle
und weist eine grosse summe von dem plus das Wolfram
gegenüber Crestien hat, als Wolframs eigentum nach; dann
aber stellt auch er alles von jenem plus übrig bleibende auf
Kyots rechnung. Ein zwingender grund hierzu liegt nicht vor.
Unsere kenntnis der mittelalterlichen literatur wird stets un-
vollständig bleiben, und in bezug auf den inhalt des uns ver-
lorenen kommen wir über Vermutungen nicht hinaus. Hat es
da mehr Wahrscheinlichkeit für sich, eine grosse menge von
abschweifungen (die ja nach Heinzel s. 7 die französischen
dichter des 12. jh.'s nicht so sehr lieben wie die deutschen
des 13.), anspielungen , namen und deutungen dem uns un-
») Aehnlich San Marte, Zs.fdph. 15,411.
*) Eine vermittelnde anschauung anderer art ist es, wenn Urbach
8. 36 und Hertz s. 94 in Kyot nur eine verloren gegangene erweiterte re-
daction (iuterpolation) des Werkes von Crestien sehen. — Auch die oben
unter 2 genannten forscher nähern sich mehr oder weniger diesem Stand-
punkt,
1*
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4
LICHTENSTEIN
bekannten Kyot zuzuschreiben oder Wolfram, dessen Vorliebe
für derartige dinge wir kennen? Ueberau wo sich Wider-
sprüche, dunkelheiten, Seltsamkeiten der composition ergeben,
soll nach Heinzel s. 22 ff. die unbekannte quelle die lösung
enthalten. Aber solche unvoUkommenheiten finden sich in
jedem mittelalterlichen roman. Und bei dem weitschichtigen
material das Wolfram verarbeitete, 'sind solche irrungen so
natürlich, dass man sich eher wundern möchte, deren so wenige
zu finden' (Heinzel s. 2G). Ja, Heinzel geht so weit auch die
kette von moti Vierlingen und beziehungen, durch die bei
Wolfram im gegensatz zu jenen abschweifungen und Uneben-
heiten eine gewisse einheit in den gang der handlung ge-
bracht wird, als Kyots werk zu bezeichnen (s. 29 ff.). Das
heisst aber, um mit Golther zu reden,1) die grossen geister
der Uteraturgeschichte, denen sich alle späteren willig unter-
ordnen, jeder eigenen phantasietätigkeit verlustig erklären und
alles bedeutende und neue von sehr hypothetischen Vorläufern
tun lassen, die dann nur abgeschrieben zu werden brauchten.
Dies trifft nicht nur Wolfram und Orestien, sondern auch
Kyot. Denn wenn Wolfram wirklich bei letzterem alles ver-
einigt gefunden hat, sowol die abweichungen von Orestien als
die Übereinstimmungen, dann werden wir zu der unhaltbaren
annähme geführt, dass Orestien, der eigentliche Schöpfer des
höfischen romans in Frankreich, und Kyot, der von Wolfram
noch über ihn gestellte meister, beide die hauptteile ihrer dar-
Stellungen aus der gemeinsamen quelle entnommen haben, und
zwar zum grossen teil mit demselben Wortlaut, Kyot hat
sich dann ausserdem willkürlich in gegensatz zu der in Frank-
reich herschenden graltradition gesetzt, oder er, der franzö-
sisch dichtende Provenzale, hat sie selber misverstanden, oder
endlich er hat sie ebenso misverständUch und unvollständig
überliefert wie Orestien.2) Bevor wir uns zu einer so gewagten
annähme entschliessen, werden wir doch noch einmal den ver-
such machen, durch eine genaue vergleichung der beiden vor-
handenen dichtwerke aus ihnen selbst die abweichungen zu
erklären, und nur wo diese erklärung uns im stich lässt, uns
') Sitz.-ber. der bair. akad., ph.-hist. kl. 1890, bd.2,216.
*) Birch-Hirschfeld 8. 275 f.
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ZUR PARZIVALFRAGE.
5
nach einer anderen quelle umzusehen. Bezüglich des grals
ist diese aufgäbe bereits von Zarncke und Birch- Hirschfeld
glänzend gelöst. Ich verweise dafür auch auf das urteil Böt-
tichers, der am Schlüsse seiner prüfuug der Wolfram-literatur
anerkennt, dass Birch-Hirschfelds beweisführung 'der schwerste
einwand gegen die existenz Kyots ist, und dass alles früher
beigebrachte dagegen unwesentlich wird'. Aber 'die Kyot-
frage ist durch Birch -Hirschfeld noch nicht aus der weit ge-
schafft; daher ist und bleibt es wünschenswert, dass ein jeder,
der sich in diese fragen vertieft, sein scherflein zu ihrer lösung
beitragen möge'. Von grösster Wichtigkeit ist nach Botticher
eine genaue und zuverlässige vergleichung der zu erwartenden
kritischen ausgäbe Crestiens») mit dem Parzival.
Eine vergleichung von W olfram und Crestien ist auszugs-
weise schon 1858 von Rochat und 1884 von Küpp geliefert
worden. Aber Bötticher (W.-lit. 40 anm. und 59) und Heinzel
(Grab*. 1) bemerken mit recht, dass solche auszüge und inhalts-
angaben immer durch die auffassungen und absiebten des Ver-
fassers beeinflusst werden und somit als eine objective grund-
lage für die beurteilung nicht dienen können. In der tat
kommen die beiden Verfasser bei ihrer vergleichung zu ent-
gegengesetzten ergebnissen. Eine vollständige gegenüberstel-
lung der entsprechenden textstellen aus Wolfram und Crestien
und eine genaue feststellung des nichtentsprechenden habe ich
bereits vor mehreren jähren vorgenommen. Diese in extenso
hier zu veröffentlichen, verbietet der räum; es ist auch nicht
so notwendig, da ja das meiste immerhin seit Rochat und
Küpp bekannt ist. Nur wo ich neue zusammenhänge gefunden
habe für stellen die man bisher als abweichend betrachtete,
oder wo sonst das Verhältnis Wolframs zu Crestien eine cha-
rakteristische beleuchtung empfängt, werde ich die textworte
selbst anführen. Im übrigen kann ich mich darauf beschrän-
ken, zahlenmässig eine vollständige Übersicht zu bieten. Wo
die darstellungen beider dichter sich in inhalt und form decken,
setze ich das zeichen ^ ; wo nur der inhalt übereinstimmt, das
zeichen =; blosse ähnlichkeit in worten bei abweichendem
') Eine kritische ausgäbe, die prof. Baist vorbereitet , ist leider noch
nicht erschienen.
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LICHTENSTEIN
sinne bezeichne ich durch t/*.. Die unterschiede gebe ich jedes-
mal mit möglichster genauigkeit an, und Überschüsse oder
stärkere ab weichungen zeichne ich durch [ ] aus.
Zahlen wirken freilich nicht überzeugend und sind nur
ein notbehelf, damit man die betreffenden stellen auffinden
und gegen einander halten kann. Aber die Übersichtlichkeit
gewinnt dabei, und es ist meines erachtens nicht nur für die
entscheidung der quellenfrage, sondern auch für culturhistori-
sche und stilistische Untersuchungen von Wichtigkeit zu wissen,
ob eine stelle im Parzival dem deutschen dichter allein zu-
kommt, oder ob sie ihr Vorbild im Conte del graal hat , und
was Wolfram aus dem vorliegenden stoff gemacht hat. Das
ist aber durchaus nicht leicht, da sich die entsprechuugen
häufig an ganz verschiedenen stellen finden.')
Für die gralsage insbesondere ist es kaum anders mög-
lich als sämmtliche in betracht kommenden stellen im Zu-
sammenhang zu untersuchen. Hierfür wird man doch immer
auf die umfassenden arbeiten von Birch-Hirschfeld und Heinzel
zurückgi-eifen müssen; ich kann daher diese teile aus meinen
nachweisungen ausscheiden. Eine weitere abkürzung wird mir
leider durch persönliche Verhältnisse geboten, so dass ich meine
Übersicht vorläufig mit dem schluss des sechsten buches von
Wolfram abbrechen muss. Ich hoffe aber, dass auch dies ge-
nügen wird, um die enge des Verhältnisses zwischen Wolfram
und Orestien vollständiger als bisher zu veranschaulichen, um-
somehr als häufig auch späteres dabei zur spräche kommt.
Die zusammenfassende betrachtung der unterschiede, die ich
der Übersicht folgen lasse, stützt sich auf die vergleichung
des ganzen textes.
2. Textvergleichung.
Farzivals eitern.
Das Originalgedicht Oestiens, welches in der ausgäbe von
Potvin (abgesehen von einem kurzen prolog, Potvin 2, 307 f.)
mit v. 1283 beginnt, führt uns sogleich mitten in seinen eigent-
lichen gegenständ hinein, während Wolfram der geschiente des
») Weinhold, Deutsche frauen 1», KU f. führt nach Pare. 512, 16 eine
sitte als echt deutsch an, die aus C. S205 ff. stammt.
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ZUR PABZIVALFRAGE.
7
helden diejenige seines vaters vorangehen lässt (buch 1. 2).
Schon Rochat (Genn. 3, 119) hat entdeckt, dass der name Gah-
muret aus C. stammt: C. 1661 roi Ban de Qomeret, Variante
Gamoret. Der name kommt dort allerdings nicht Parzivals
vater zu, von dem nur im vorhergehenden die rede ist; die
ganze stelle aber — es ist die klage der mutier beim abschied
— bringt weitere mitteilungen über Parzivals geschlecht und
liefert interessante anhaltspunkte zu vergleichen, die bisher
noch nicht genügend beachtet worden sind.
W. 5, 23
Gahmuret »1er wigant
verlos sus bürge unde laut
da sin vater schone
truoc zepter unde kröne
mit grözer kfineelicher kraft
unz er lac töt an riterschaft.
17
künge, graven, herzogen,
Olaz sag ich in für ungelogen)
daz die da huobe enterbet sint . . .
vgl. 7,27. 8,8. 12, 16 f.
108, 12
sin pris gap so hohen nie,
nienien reichet an sin zil
Bwfi man noch ritter prüeven wil
317,22
— daz iuwer vater wsere
manlicher triuwe wise
unt witvengec höher prise.
318, 1
nu ist inwer pris ze valsche komn.
owe daz ie wart vernomn
von mir daz Herzeloyden bam
an prise hat sus missevarn.
vgl. 56, 21.
Dann berichtet bei C. die mutter auch von ihrer abkunft:
1617 car jou sni de Chevaliers nee
de mcllours de ceste contree;
es illes de mer n'ot linage
niellor del mien en mon eage.
Ihr geschlecht ist nun aber sowol bei C. (7790) wie bei W.
(476, 12 f.) das der gralkönige. Dass diese auch von C. als
C. 1632
ses grans tieres, ses grans tresore
qne il avoit come prendom,
ala tont a pierdission;
si cha'i en grant povretd;
apovri et desirete
et essilie furent a tort
Ii gentil honie apres la mort
(lTter Pandagrons qui rois fu1)
et peres le bon roi Artu).
1610
n'ot Chevalier de si haut pris,
tant redoute ne taut cremu,
bians fius, com vostre peres fu,
en toutes les iles de mer.
de cou vo8 poes bien vanter
que vous ne deeees de rien
de son lignage ne del mien.
W. 56, 12 wird Utepandragün als grossoheim Gahmurets genannt.
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8
LICHTENSTEIN
Chevaliers bezeichnet werden, und zwar als die besten es illes
de mer, darf nicht übersehen werven, wenn man nach dem
Ursprung des gralrittertums bei W. forscht.
[C. 1621— 28 moralische betrachtung; vgl. W. 103,20— 23
oder 4, 27— 5,51.] — Die Verwundung des vaters (W.106, 15 — 17.
C. 1629 — 31) wird verschieden geschildert, bei C. in derselben
art wie die des fischerkönigs (C. 4687—91 = W. 479, 8—12).
C. 1650. 53—82 erwähnt zwei brüder Parzivals (s. zu W. 177.14).
Der held selbst trägt zunächst keinen namen; er heisst
bei W. der knappe (117, 30. 119, 9 u. ö.) = C. Ii valh's (1323. 38
u. ö.) oder ganz zuerst des werden Gahmuretes kint (117,15),
fil Ii rot Gahmuret (122, 28) tr. C. Ii fius a la vaivc damc (1288).
Für seine spätere widererkennung durch Sigune (140,4—7)
sind die zärtlichen benennungen wichtig, die ihm die matter
beilegt, Man hat bisher gemeint, diese habe W. ganz allein;
sie sind aber fast wörtlich aus C. entnommen:
W. 113, l C.1561
die künegin des gelüste mais grant joie ot en icele eure
daz sin vil dicke kuste. qu'ele le voit, et pas ne pot
si sprach hinz im in allen fliz celer sa joie qu'ele en ot ;
'bon fiz, scher fiz, beä fiz.' car corae mere qui monlt l'aime,
keurt contre lui et si le claime
biaus fils, biaux fils, plus de
.C. fois.
Dass W. statt des mehrfach widerholten biaus fils wech-
selnde adjectiva setzt und dabei seine französischen sprach-
kenntnisse zeigt, entspricht der sonstigen art des dichters. Zu
vergleichen sind noch die widerkehrenden anreden biaus fius
oder biaus dous fius bei C. 1582. 90. 1602.7.12 u.ö.«)
') In dieser beucnnung haben wir eine wichtige berührung der Parz.-
sage mit der vom Schönen unbekannten, was Menuung in seiner disser-
tation: Der Bei inconnn, Halle 1890, übersehen hat. Auch die wnrfspiesse,
die M. vermisst. finden sich C. 1600, ebenso die hohe Stellung und der
spätere stürz des vaters 1(510 ff. 1032 ff. Die jugend des beiden stimmt
genau Uberein, und auch sonst finden sich viele verwante ztlge. Da der
Schone unbekannte nach Mennung nicht der ursprüngliche träger der
schlangengeschichte und ebensowenig Parzival der der gralsagc ist (vgl.
Hertz s. 103), so könnten beide aus einer und derselben dümmlingsfignr
hervorgegangen sein. Jedenfalls haben die verschiedenen bearbeiter jenes
stoflfes die ähnlichkeit gefühlt, was sie durch mannigfache entlehnungen
bekunden (Orguillous de la Lande, Giftet etc.).
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ZUR PARZIVALFRAGE.
9
Farzivals erziehung.
Auch diese einleitung ist nur bei W. ausgesondert, bei C.
sind die entsprechenden angaben in die erzählung eingestreut,
C. 1644
[Vostre peres] ce raanoir ot
ici en ceste foriest gaste;
ne pot fuir, mais en grant haste
en litiere aporter s'en fist.
76
et jene le vie moult amere
sofferte puis que il fu mors.
51
petis esties et alaitans
poi avies plus de .11. ans.
1288
Ii fius a la vaive dame
de la gaste foriest soutaine.
1283
(Ce fu el tans c') arbre florissent
fuellent boscage, pre verdissent.
1296
erceours ke sa inere avoit
qui ses tieres Ii ahanoient.
1532
que destouruer Pen quidoit Ten
que ja chevalier ue ve'ist
ne lor afFaire n'apresist.
1602
'Biaus dous tins, de chevalerie
vous quidoie je bien garder,
que ja n'en oissies parier
ne que ja nul u'en veissies,
n'estre Chevaliers deüssies.'
1414
'Dont vault mius Ii .1. de res trois
ga verl os que vous vees chi;
car, kanke jou vocl, en ochi
oisiaus et bicstes au besoing
et si les ocis de si loing
que on poroit .1. boujon traire.'
vgl. 1309 f.
W. 116,28
[frou Herzeloyd diu riche]
ir drier lande wart ein gast.
117,4
si vlöeh der werlde wunne.
7
sich zoch diu vrouwe jämers balt
fti ir lande in einen walt.
116, 30
si tmoc der freuden mangels last.
117, 14
si brahte dar durch Hühtesal
des wenlen (lahmuretes kint.
117,8
— in einen walt
zer waste in Soltäne;
(niht durch) bluoraen uf die
plane.
117, 16
Hute, die bi ir da sint
miiezeu buwen und riuten.
117,20
ir volc si gar für sich gewan
22
den gebot si allen an den Up,
daz se immer ritters wurden lut.
4 wan fricschc daz mins herzen tritt,
welch ritters leben wiere,
daz wurde mir vil sware.
nu habt iuch an der witze kraft,
und helt in alle riterschaft.'
118,4
bogen unde Wlzeliu
[die sneit er mit sin sell>e8 haut,]
und schoz vil vogele die er vant.
120,2
er lernte den gabilötes swanc,
da mit er mangen hirz erschöz,
des sin mnoter und ir volc genoz.
ez wsere «eber oder snß
dem wilde tet sin schiezen we.
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10
LICHTENSTEIN
118,8
(den vogel) des schal von sauge e
was so gröz.
13
— — alle morgen,
erne knnde niht gesorgen,
ez enwjere ob im der vogelsanc,
die süeze in sin herze drauc:
daz erstracte im sinin brüst elin.
vgl. 118,24-28.
[\V. 118,9—10. 118,29 —
von ihm ei*schossenen vö^el.
zu töten. 118,11—18 P.'s
morgen am nach. — 120, 7 —
heim.] — W. 118,18—22 ^ C.
W. 119, 17
'Owe mnoter, waz ist got?'
'sun, ich sage dirz sine spot.
er ist noch lichter denne der
tac,
der antlitzes sich bewac
mich menschen antlitze.
119, 22
snn, merke eine witze,
und flehe in umbe dine not.'
W. 119,25—27 = C. 132«»- 30.
12S5
et eil oisel eu lor latin
docement eantent au matin.
1300
et inaintenant Ii eners del ventre
por le douc tans se resjooit.
et por les cans qne il ooit
des oisiaua qui joie faisoient;
toutes ces coses Ii plaisoient,
119,15 P.'s schmerz über die
Die mutter befiehlt, alle vögel
Schönheit, er wäscht sich alle
10 er trägt das wild unzerlegt
1560 f.
C. 1354
et ne nie dist ma mere fable,
qui me dist que Ii angle sont
les plus beles coses du mont,
fors dex ki plus est biaus que
tuit.
vgl. 1577-81.
1590
— 'Biaus fius, a dien te rent;
car moult ai grant paor de toi.
Begegnung mit den rittern.
W. 120, 11 — 125, 26. C. 1290—1557.
C. 1300—4. 1354—57. 1414—19. 1532—34 s. vorigen ab-
schnitt. [C. 1290—93 P. steht früh auf, sattelt sein pferd und
nimmt 3 gavrelots. Bei W. hat er 1 gabylot (120, 10), aber
kein pferd (126,20). — C. 1305— 6 er nimmt dem pferde den
zäum ab.]
W. 125, 25—26 = G. 1294—96. — W. 120, 11—12. 16 k£
C. 1299. 1307—11. — W. 120, 14— 15. 24— 26 ^ C. 1314— 16.
23—24. — W. 120, 17— 24. 16 £ C. 1325— 38 (vgl. \V. 119, 25
—27). — W. 122, 1—12. 120, 25. 121, 14 <x C. 1319—22. 41—48.
W. 120, 27—28. 121, 30. 122, 1. 21—24. 120, 29 — 121, 2.
122,25— 28 ^ C. 1348— 50. 58—70.
Bei C. sind es 5 ritter, bei W. zuerst 3, ein vierter kommt
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ZUR I'AKZIVALKRAUK.
11
nach, er ist ihr herr 121,13—15.23. Dazu vgl. C. 1371—79
der herr der ritter befiehlt seinen gefährten, zurückzubleiben,
um den knappen nicht zu sehr zu erschrecken.
W. 121,3— 9 £ C. 1454— 00. — W. 121,29.15 g C. 1380
— 81. — [C. 1382 — 85 er grfisst Parz. und sucht ihm seine ver-
meintliche furcht zu benehmen; 1\ verwahrt sich dagegen.] —
W. 122, 29 — 123, 4 ^ C. 1380—90.
Bei C. bewundert Parz. die Schönheit des ritters; W. über-
trägt dies lob auf seinen beiden, zum teil mit denselben Worten ;
vgl. W. 118, 11. 122.13.
W. 122, 15—16. 20 (121, 16—22) = C. 1396-97. Die an-
zahl der verfolgten ritter und jungfrauen weicht ab, wie die
meisten Zahlenangaben. — Die frage wird bei C. mehrmals
widerholt (1421—23. 1460—09. 1503—0), weil P. nicht ant-
wortet.
Die folgenden aufklärungen über waffen und ritterschaft,
bei W. kurz zusammengefasst, bilden bei C. einen sehr leb-
haften, teilweise in halbzeilen verlaufenden dialog: W. 123, 19
—27. 124, 1—4 & C, 1400—3. 24—26. 70—73. — W. 124, 5
—10 ^ C. 1409. 13. 36. 40—41. 75. 82—85.
W. 123, 28—30 vergleich mit den kammerfrauen seiner
mutter, gerade wie C. 1919 — 22.
W. 124,11—14 üg C. 1485— 88. — W. 124,15— 16 0.1443
—47. — W. 124, 17. 19—21. ^ C. 1448—53. 61—64. — W. 123,
6—10 ^ C. 1497. 1501—2. 44—46.
[C. 1547—54 der konig sei in Oarduel, wo ihn der ritter
vor vier tagen verlassen habe.]
W. 124, 22—30 i/i C. 1507-22 die ritter kommen [C: von
Parzival geführt] zu den pflügern [('.: in den destroit de Val-
done\ — Zu W. 124,30 vgl. noch C. 1535.39 boviers.
W.125, 17— 24. 124,27 £ C. 1523— 31. — W. 125, 1—10
== C. 1535—43 der führer der ritter [nach C: Parz. für ihn]
erkundigt sich bei den pflügern nach dem von den verfolgten
W. 123,13
Do lac diu gotes kunst an im.
16
mais von» este.s plus biau» ke dex;
C. 1891
nie manne» vanve baz geriet
124, 18
,6wi wan war din achcene min!
car fusce jou ore autreteus,
ausi luisans et ausi fais!'
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12
LICHTENSTEIN
eingeschlagenen wege. — W. 125, 12 ^ C. 1555—57 er setzt
ihnen eiligst nach.
[W. 121, 18— 22. 2G— 27. 125,11. 13—16 der beweggrund
der Verfolgung, der erfolg und die nanien der beteiligten.
31elja(h)kanz 125, 11 = Meljaijanz Hartm. Iw. 5080; vgl. W.
343,26. 387, 1. 583,10.]
Farzivals auszug.
W. 125, 27 — 129, 4. C. 1558—1810.
W. kürzt auch diesen auftritt und verwendet das material
anderweitig: C. 1577— 81. 90— 94 1(302— 6. 44— 52. 76— 77 s.
unter 'P.'s erziehung'; C. 1562 67. 1610—43 s. 'P.'s eitern';
< \ 1653—82 s. 'bei Ciurnemanz'.
1. P. kommt zur mutter. W. 125,27—29 — 1558—59.
— [C. 1560— 61. 68— 72 die mutter ist wegen P.'s ausbleiben
in grosser angst gewesen; vgl. W. 118. 19 f.J — W. 125, 30—126,
4.15 ^ V. 1597— 1601. - W. 126,9— 11 £ C. 1584— 88.96.
Hier fügt C. die nachrichten über die familie des beiden
ein, die im deutschen gedieht anderwärts verwertet sind. Da-
für bringt W. ein anderes stück familiengesehichte. um zu
motivieren, dass I». nicht in seine länder zurückkehren kann,
und damit den zustand widerherzustellen, wie er vor der ein-
schiebung der büeher 1 und 2 vorhanden war: [W. 128,3 — 10.
s. auch 140, 25 141, 7 die getreuen P.'s sind von Lii heiin, dem
eroberer seiner länder, erschlagen und gefangen worden; vgl.
(\ 1609 ros autres amis und 1611 les tieres furent cssilies].
W. 126, 12—14. 16 18 ^ 1687—91. — [W. 126, 19—20
P. verlangt von der mutter ein pferd. 0. 1683 — 85 er verlangt
zu essen; ein pferd hat er bereits nach 1291 f.J
2. P.'s ausrüstung mit torenkleidern (C. a lu guise de Gnies).
Die veranlassung zu der Übersetzung 'torenkleider' entnahm
W. aus C. 1455 f. que Gnlois sont tuit par nature plus fol que
besles en pasture; vgl. \V. 121, 5 ff.
YV. 126. 26—27. 127, 1—9 \£ C. 1692—98. 1798. — W. 144,
26—27 -= 0. 1795—97. — W. 145, 1-2 = C. 1799—1805 er
nimmt sein gabyWt mit. [Nach ('. lässt ihm die mutter von
seinen 3 gavcrlos 2 wegnehmen, damit er nicht gar zu sehr wie
ein Galois aussehe.] — [W. 144, 23—25 bastzaum; schwaches
pferd.] [C. 1806—7 une roote, por sott ceval ferir.] — W. 127,
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ZUR PA RZIV ALFRAGE.
13
11—14 & 0. 1699— 1700 die mutter hält ihn noch drei tage
fW. eine nacht] zurück [W. um ihn zu belehren].
3. Die 4 lehren der mutter. W. 127, 13— 14 ^ C. 1721— 22.
a) Kuss und ring einer frau erwerben W. 127.25 — 128,2
= C. 1740—50. — (C, 1745 cuinte cainturc u aumosniere, vgl.
W. 131, 17 fürspan.) — [C. 1727—39 dienst und hilfe den damen.
Diese Weisung hat W. mit recht der ritterlichen belehrung
durch Gumemanz vorbehalten (s. W. 172, 7 — 173,6). Nach dem
vorangegangenen muss es ja auch auffallen, wenn bei C. die
mutter diese lehre so begründet (1725 f.): du wirst in kurzem
ritter sein, und ich billige es!]
b) Betragen gegen fremde. W. 127, 19 — 20 grüssen, stimmt
zu 0. 1876 f. 2552 — 54, ist also an unserer stelle von W. richtig
ergänzt. [C. 1751 — 56 alle gefährten auf wegen und herbergen
um ihren namen fragen.]
c) Bei biedermännern belehrung suchen W. 127, 21—24 =
C. 1757—60.
d) [Kirchen und münster besuchen 0. 1761 — 88. Diesen
rat übergeht W. auch an den beiden anderen stellen, wo er
bei C. widerkehrt, nämlich in den Unterweisungen des Gurne-
manz und des Trevrezent 2855—63. 7816—32; s. zu W. 169, 16.]
— [W, 127, 15—18 hat dafür die lehre, dunkle fürten zu ver-
meiden; veranlassung dazu gab C. 2506 ff., s.u.]
W. 128, 11—12 c/> C. 1789—92 P. drückt seine bereitwillig-
keit aus, der letzten mahnung zu folgen, die aber in den beiden
texten nicht die gleiche ist.
4. Abschied, tod der mutter. W. 128, 13— 22 £ C. 1793
—94. 1814—19 (bei C. sieht er die mutter niederfallen, kehrt
sich aber nicht daran. Erst nachher bei Gumemanz regt sich
sein gewissen).
C. 1810—13 die mutter betet zu gott um glück für ihren
scheidenden söhn. W. 128, 23 — 129, 4 der mutter treue wird
im himmel ihren lohn finden; getreue frauen aber sollen ihrem
söhne heil wünschen.
Die dame im zelte.
W. 129, 5 — 137, 30. C. 1820—2025.
1. P. kommt zu dem zelte.
W. 129,5—6. 12—23 £ C. 1823— 37 durchgehende wörtliche
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14
LICHTENSTEIN
Übereinstimmung. Der rest der beschreibung ist abweichend
[\V. 129, 24—20. 0. 1838— 46J.
[C. 1847 — 60 der lehre seiner mutter eingedenk, will P. in
das münster gehen, das er vor sich zu sehen glaubt. W. hin-
gegen, 129,7—11, lässt ihn die mahnung befolgen, dunkle fürten
zu vermeiden, genau dieselbe vertauschung wie oben.] Jedoch
hat W.'s text seine wörtlichen entsprechungen in späteren
stellen O.'s:
W. 129,10 C. 2506
durch daz sin fluz bö tunkel was, mais en l'enwe n'entra il mie,
der knappe den furt dar an vernieit, qu'il le vit monlt parfonde et noire, —
9
den tag er gar deraeben reit si s'en va tout »elonc la rive.
vgl. auch C. 416(5—72.
W. 129, 28— 29. 130,3.20 g C. 1802-66. — [C. 1867— 70
ihre jungfrauen waren ausgegangen, um frische blumen zum
streuen zu suchen.] — Der name Orilus de Laiander W. 129, 27
ist aus 0.4991 vorweggenommen.
[Zusätze bei W.: die titel duc und hereoginne 129,27.30,
der name der Jeschüte (nach Bartsch s. 133 aus gisoit C. 1864
misverstanden) und die Schilderung ihrer reize 130, 1—2. 4—19.
21—25. 131, 23; der name des waldes Bridjdn 129, 6 aus Iwein
263. 925.]
W. 131, 1—5 ur. C. 1871—74 die dame erschrickt und er-
wacht, bei C. durch das wiehern des pferdes, bei W. durch P.'s
ungestüme annäherung. — C. 1875— 80 s. zu W. 132,23—24.
2. Gewaltsame umarmung und raub des ringes.
W. 132, 6—8. 131, 6—15. 19—21 ^ C. 1881—88. 94—1900.
— (C. 1901—3 er küsst sie 20 mal; vgl. W. 132, 20.) — W. 130,
26. 29—30. 131, 16 ^ C. 1904. 6—7. 15. — [C. 1909—12 sie wei-
gert sich den ring gutwillig herauszugeben. — 1917—18 er
wendet sich zum gehen.] — C. 1919—22 s. zu W. 123, 28—30.
3. P. isst und zieht weiter.
W. 132, 10—14 g 0,1923—27. 1885-86. 92—93. — W. 132,
15—16. 131,22 = 0.1928—31. — W. 131, 27— 28 ^ 0.1932.
37. — W. 132, 1-3 g 0. 1938—44. 1953-54. — [C. 1945—52.
55 er ladet die dame zum mitessen ein; sie erwidert kein wort.
Er deckt den rest wider zu.]
W. 132, 23—24 ^ 0. 1956—59. 1876—80. — [C. 1960—64
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ZUR PARZIVALFRAGE.
15
sie möge sich um ihren ring nicht grämen; bevor er sterbe,
werde er ihr ihn widergeben; vgl. W. 132, 17—18.] — W. 132,
21—22 = C. 1965—73 sie verweigert ihm den abschiedsgruss
(hier wird durch die parallele die interpretation W.'s gefördert).
4. Eifersucht des gatten.
W. 132, 28 — 133, 13. 133, 15—18 ^ 0. 1974—84 (charak-
teristisch für W. ist, dass er die herabsetzenden ausdrücke
durch ein lob der Schönheit seines beiden ersetzt ; dieses dient
ihm zugleich als verstärkendes motiv für die eifersucht des
gatten 133,21. 271,4).
W. 133, 14. 19—20. 22 ^ 0. 1988. 92—95. 2000. — [W. 133,
23 — 28 sie wreist die Verdächtigung durch berufung auf ihren
f ürstenrang zurück. 0. 2002 — 1 1 sie gesteht, P. habe sie wider
ihren willen geküsst; der gatte glaubt nicht an ihre Unschuld.]
[W. 133, 29 — 135, 15 reminiscenzen aus dem Erec, hervor-
gerufen durch den umstand, dass auch dort ein Orgucillous de
la lande vorkommt^ s. Bartsch s. 125.]
W. 135, 16-18 antieipiert 0. 2234— 38. - W. 135, 21— 24
antieipiert C, 4642 f. und 5001.
W. 136, 24-25. 137,1—4. 136,29—30. 137,15—19. 135,
19—20 = C. 2012—24. — [W. 135, 25 — 136, 22. 136, 26-28
Scheidung von tisch und bett. Die fürstin bittet um ritter-
liches gericht, — 137,5—12 die angekündigte strafe wird an
dem sattelzeug des pferdes sogleich vollzogen. — 137, 20 — 30
sentimentaler epilog.] — [C. 2025 der eifersüchtige gatte setzt
sich zum essen nieder.]
Die folgende partie bietet die erste bedeutendere abwei-
chung. W. schiebt 138, 9 — 142, 2 eine begegnung P.'s mit
seiner cousine ein. Bei C. fehlt dieser auftritt hier; die einzel-
heiten sind aber der späteren begegnung bei C. entlehnt, s.
zu W. 249, 11. — Das motiv dieser einschiebung bei W. ist
offenbar, dass er seinen neiden nicht länger unbenannt lassen
wollte. Er selbst sagt das 140, 10:
nu hoert in rehter nennen,
daz ir wol niiiget erkennen,
wer dirre aventiure herre si.
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16
TJCHTKNSTEIN
Erstes auftreten bei hofe.
W. 138, 1—8. 142, 3 — 161, 8. C. 2026—2496.
1. Der Wegweiser.
In diesem kurzen Zwischenstück zeigt sich starke Ver-
schiedenheit. W. 138, 2 = C. 2026. — [W. 138, 5—8. 142,6—10
P. folgt dem zweiten rat der mutter. 142,11 — 143,7. 143,
10—20 er kommt zu dem hause eines geizigen fischers, dem
er für eine herberge das fürspan der Jeschute gibt.] [C. 2027
— 28 er trifft einen köhler, der einen esel vor sich hertreibt.]
- W. 143,8-9. 144,5-7. 9-10. 17—18 — C. 2029. 31—32.
34—35. 55—56. 51 ». 53—54.
fC. 2036—50 episode vom könig Rion*).]
[\V. 144, 11—16 ein bauer darf sich dem hofe nicht nahen;
vgl. Wh. 187,26— 29, San Marte, Ueb.Wh. s. 67. — 143,21—
144,4. 144,20—22 zwei polemische ausfälle auf Hartmanns Krec
und Eilharts Tristrant. — 145, 4 — 6 anspielung auf buch 2.]
Artus' residenz heisst bei W. Nantes (vielleicht misver-
ständnis aus asnes C. 2028), bei C. Carduel.
W. 144, 23 — 145, 2, s. s. 12.
2. Der rote ritter.
W. 145, 7. 30. 146,1. 145,22.25—27.17—18 ^ C.2057— 66.
[W. 145, 8—12. 15 nach der lehre der mutter grüsst P. den
ritter, dieser dankt. Des ritters name und verwantschaft mit
Artus (der name Ither von Gaheviez, vgl. Wh. 467, 3, kann aus
Hartm. Erec 1657 stammen, wo die hs. Iher Gaheries hat; s.
Heinzel s. 5). — 146, 5—12 P.'s Schönheit.] — fC. 2067—73
P. will schnurstracks zum könige gehen und die waffen von
ihm fordern.]
W. 146,13-15. 17-18. 21— 23». 145,13-14. 146,2 =
C. 2076—77. 80—89. — [W. 146, 26—30 hinweis auf die alt-
deutsche rechtsform der besitzergreifung mittelst strohwischs,
8. Grimm, RA. 196.] — [W. 147, 9 f. P. nimmt den auftrag an.
C. 2090 f. er hört nicht darauf.] - W. 147, 11. 28 = C. 2092-94.
3. Im palast.
[W. 147, 12— 15. 148,19-22. 150,30. 151,7—10 P. wird
wegen seiner Schönheit von allen umdrängt; s. 0.2169—70.]
') Nach Heinzel s. 38 einschub , den C. ans einer anderen erzählnng
entnahm. Vielleicht aber ist es nur eine interpolation?
zed by
ZUR PARZIV ALFRAGE.
17
[W. 147, 27 — 29 P. wird von Iwanet zum palast g-efühi*t,
wo er, die anwesenden übertönend, seinen auf trag ausrichtet,
ohne dass ihn der könig hört, s. 148,29. — 0. 2095— 2103 P.
reitet in den zu ebener erde gelegenen saal, wo die bei tische
sitzenden ritter mit einander sprechen, während der könig selbst
in nachdenken versunken ist; über die Ursache s. C. 2136 ff. —
W. 150, 6 ff.]
W. 147, 19—22. 148, 2—8 = C.2104— 6 P. weiss nicht, wen
er grüssen soll.
W. 147, 22—23. 17. 25—26. 30 - 148, 1 g 0.2109. 11—15.')
[0.2116—29 der könig bleibt nachdenklich und stumm,
auch als P. ihn zum zweiten male anredet, worauf dieser un-
willig umkehren will, dabei aber aus Ungeschicklichkeit des
königs kappe herabwirft.]
W. 149, 5—7. 150, 6-8. 10 = 0. 2130-31. 33-39.
W. 145,16 C.2142
den roten riter man in liiez Ii Vermaus Chevaliers a nom
Man beachte an dieser stelle die wörtliche Übereinstim-
mung und zugleich die für W. typischen ab weichungen: un-
genaue namenwidergabe und titel.
[0. 2144—47 die königin sei hingekommen, um die ver-
wundeten ritter zu pflegen.]
Daraus dass P. bei W. sagt, seine mutter habe ihm befohlen,
könig und königin zu grüssen, und Herzeloyde 127, 13 davon nichts gesagt
hat (wol aber bei C. 170«), schliesst Heinzel s. 46, dass sowol \V. wie C.
hier etwas aus der gemeinsamen quelle weggelassen haben, ersterer den
auftrag, letzterer die botschaft. Das ist schwerlich richtig: denn eben-
sowenig hatte ihm die mutter besonders aufgetragen, die von der tafel-
runde zu grüssen (148,4- 6) oder Ither (145,9) oder die traurigen sowol
wie die fröhlichen (138, 25 f.)- P. wendet vielmehr nur die allgemeine
lehre 127, 19 f. jedesmal auf den concreten fall an (s. 138. 5— 8). Schliess-
lich ist auch bei C. 1706 von einem auftrage den könig zu grüssen gar
nicht die rede.
Beitrage «nr geschieht« der deutschen •pracbe. XXII. 2
W. 147, 16
Iwanet dar naher spranc
158, 1.17.
Ywanet
C.2117
Tant c'uns serjans contre liu vint
var.:
Tant qu'Yvonnet ...
29
der kttnec von Kukümerlant
de la foriest de Kinkerloi
5505
Kinkenroi
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18
LICHTENSTEIN
W. 146, 22— 24 ^ C. 2150—54. — [W. 147, 1—2. 148.13
— 14 sucht die Unschicklichkeit des roten ritten zu entschul-
digen, die C. 2154 laide et vilaine nennt.] — W. 149, 2 — 4 =
C. 2155— 57. — W. 149, 15— 16 = 0.2160—65. — W. 148,22
—28. 149,1 = C. 2166— 70 (dies ist die erste stelle, wo auch
0. einige worte über die Schönheit des helden hat). — W. 149,
23—24.8—10.17—22 = C. 2171— 76. 83— 85.
W. 149, 11—16. 25—30 = C. 2178—82. 86—92 P. verlangt,
auf der stelle zum ritter gemacht und mit den waffen des
roten ritters beschenkt zu werden, [\V. 150, 1 — 2 sonst werde
er welche von seiner matter erhalten, die eine königin sei].
— W. 150, 11— 14 = C. 2193— 99 der seneschall [welcher ver-
wundet ist, 0] erklärt in boshafter ironie die forderung für
berechtigt. P. möge sich die waffen holen. — W. 150, 23—26.
3—4 = C. 2200—5 der könig nimmt P. in schütz. — W. 150,
16—22 Keie begründet seine ansieht durch Sentenzen; desgl.
bei C. 2206—25 der könig.
4. Die lachende jungfrau.
W. 150, 29. 151,3. 11—19 = C. 2226—38, vgl. 2251—54. —
W. 151, 21— 30 = C. 2240— 44. — W. 152, 23-28. 153,9—13
= C. 2246—54.
Unterschiede (nach Hagen, Germ. 37, 124): bei W. lacht
Cunneware und wird deshalb, ohne dass sie ein wort gesprochen
hat, von Keie sofort bestraft. Sie wollte niemals lachen, es
sei denn, dass sie denjenigen sähe, der den höchsten rühm be-
sässe oder noch erwerben würde. In demselben sinne wollte
sich Antanor des Sprechens enthalten; er ist nur scheinbar
ein tor. — Bei C. lacht eine jungfrau, die zehn jähre lang
nicht gelacht hat, und sagt dem P., er werde einst der beste
ritter sein. Dasselbe hatte ein narr vorausgesagt, dass näm-
lich die jungfrau nicht eher lachen werde, als bis sie den
besten ritter gesehen habe.
Von diesen unterschieden ist nur das nichtSprechen wesent-
lich, das sowol W. wie das mabinogi1) unabhängig von C.
einführen. Für diesen einen märchenhaften zug scheinen sie
») Dort begrüssen ein zwerg und eiue zwergin, die ein jähr stumm
gewesen sind, den l'eredur als die Wüte der ritterschaft und werden deshalb
von Kei gezüchtigt.
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ZUIi PAKZIVAIjFRAGE.
somit eine andere quelle benutzt zu haben (vielleicht jedoch
ist W.'s fassung nur ein misverständnis von C. 2444 ff., einer
stelle, die W. auch im übrigen hierher versetzt hat: Ii sos,
ki sist jouste le feu, ot ki parole et saut en pies ...et dist;
ot = habuit (bekam) statt — audit ») ). — Dagegen wäre es
ein irrtum anzunehmen, dass auch Cunneware bei W. sich
stumm verhalten sollte. Ihr nichtSprechen ist rein zufällig;
die worte, die ilir C. 2231 ff. in den mund legt, sind bei W.
151, 14 ff. einfach erzählend widergegeben. Das lachen, worauf
es bei ihr ankommt, hat W. mit C. gemein, wie sich auch
sonst zahlreiche Übereinstimmungen ergeben. Die zehn jähre
bei C. sind unerheblich und nur des reimes wegen gesetzt.
W. hat die roheit Keies gemildert: bei C. schlägt er der jung-
frau mit der hand ins gesicht, dass sie zu boden stürzt, und
dem toren gibt er einen fusstritt, dass er ins brennende
kaminfeuer fliegt. Ebenso nimmt W. den Antanor in schütz,
wenn er den Vorwurf der torheit als mit unrecht gegen ihn
erhoben darstellt.
Die Prophezeiung des toren W. 152, 30 — 153, 8 anticipiert
C. 2444 — 66. — Der ausdruck la puchiele la ro'inne C. 2439 =
'die jungfrau der königin' könnte von W. fälschlich apposi-
tionell aufgefasst worden sein, indem er die Cunneware zur
fürstin macht. — Der stab und die zöpfe können aus C. 3971.
75 stammen, wo Keu /. bastonet hat und trecies d'une trece ist.
[W. 152, 1—22. 153, 14—22 scheltreden Keies. P.'s ent-
rüstung. Verwantschaft der jungfrau mit Orilus und Lähelin.
Namen: Cunneware und Antanor, letzterer aus Yeldeke En. 3326. j
5. Der kämpf.
Falls diese parallele richtig ist, so liegt hier ein neues
misverständnis W.'s vor, das notwendig auf dem Wortlaut C.'s
basiert. — Weiterhin nimmt W. an, dass der gegen seine ge-
W. 151, 1
Iwänet in an der hende zöch
C. 2259
Yones les sentiere savoit, . . .
ist par X vergier de la sale
für eine louben niht ze hoch.
4
ouch was diu loube so nidr . . .
et par une posterne avale
') Heinzel ». 12. Auf dieselbe Vermutung war ich vorher selbständig
gekommen.
2*
20
LICHTENSTEIN
nossen diensteifrige Iwanet (C. 2260 f.) den Parz. führe; dazu vgl.
W. 153,21— 24. 154, 4 — 6. 153.28 t£ C. 2256— 58. 75— 77.
— \V. 153,25— 27. 154,3 - ( '. 2279— 81. 86— 88. — W. 154,
19—21 (\ 2282— 85. - W. 154,8— 10 C. 2289— 93. —
[W. 154, 11—18 ironische antwort des ritters. 154, 24 — 26 er-
innerung an Lä heiin. vgl. 128,3— 10. | — W. 155, 1—3. 154,27
—30. 155,4—11 s£ ('.2294—2311. - [W. 155, 12-18 epilog.]
6. Der waffenraub.
[('.2312— 14 P. steigt erst jetzt ab und entfernt zunächst
lanze und schild.] — W. 155, 19—28 = 0.2315— 21 vergebliche
versuche, den heim und die schinnelier [('.: den heim und das
schwertj zu lösen. — [W. 155, 29 — 156, 8 durch das wiehern
der pferde angelockt, kommt Iwanet, der verwante der frau
Ginover, herbei.]
W. 156, 9-10. 15—21 ( '. 2322-43 (ron fuoze üf = jwt-
qucs cn Vortel). — W. 156, 25 — 157, 2 ^ C. 2344—56. P. will
die ihm von der mutter gegebene kleidung und besondere die
ribbdton nicht ablegen. [('. 2357—64 praktische gründe. — Der
deutsche Parz. wird durch das ethische motiv bestimmt.] —
W. 157, 3-8. 10. 12-13. 22 — 158, 2. 5 ^ V. 7365—72. 75—83
wörtlich. Nur fehlen bei \\. der heim (C. 2373—74), bei C. die
schinnelier (\V. 157, 13 s. o.).
[W. 158, 3 — 4. 6 — 12 Unterweisungen Iwanets, weitere aus-
führung von C. 2375 — 78; dies greift jedoch der belehrung durch
Gurnemanz vor.] — [C. 2386 — 88 er schenkt Yonet sein pferd.]
— [\V. 157, 17 — 21 Iwanet behält ihm sein gabylöt als nicht
rittermässig zurück; vgl. C. 2344 ff. und 1802—5.] — [W. 158,
13—16 hinweis auf die deutsche kunst: dieser muss von dem
deutschen dichter stammen trotz der berufung auf die quelle.
Uebrigens hat die stelle ihr Vorbild bei ('. 2374 und 3008— 10.]
— W. 158, 17 — 159,3 ^ ( \ 2384— 85. 89— 95. 99.
7. Der schluss dieses abenteuers bietet viele verschieden-
[C. 2400— 30. 37— 43 bericht des knappen bei hofe; viele
widerholungen. W. hat hiervon nur zwei Zeilen 159,20 — 21.]
— C. 2444^-73 s. W. 153, 1—8. — [C. 2431—36. 74—96 der
W. 147,17
der knappe valsehes vrie
der bot im kump&nie.
et moult volentier« aportoit
noveles a ses corapagnons.
C. 2260
heiten.
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ZUR PABZIVALFRAGE
21
könig beklagt Keus torheit, die Parz. vom hofe vertrieben
habe.] — [W. 159, 5 — 161, 8 155,11—18 der tote ritter wird
bei bofe beklagt und feierlich bestattet. Dies folgt aus dem
von W. eingeführten verwantschaftsverhältnis.J
Bei Gurnomacz von Graharz iGornomans de Grohort ).
W. 161, 9 - 179, 12. C. 2497—2890.
1. Ankunft.
W. 161,9— 16 = C. 2635— 37 Vorzüge des pferdes. — W.
161.21-22 = C. 2497-98. - (C. 2499-2517 terrain-schilde-
ning, vgl. W. 129, 7-12, s. s. 14.) - W. 161, 23-27 £ ('. 2518
—20. — [W. 161, 28 — 162, 5 naive betrachtung über das schloss.]
[C. 2521— 38 detaillierte beschreibung des Schlosses.]
W. 162, 8 C. 253$
da vor stnont ein linde breit enmi le pont ot nne tonr,
nf einem grttenen anger: et devant, X pont torneis
der was breiter noch langer qni estoit fais et establi*
nibt wan ic rehter maze. a ee qne la droiture aporte.
43
daz ors nnd oneb diu »träze Ii varlfo vere le pont cemine;
in trnogen da er sitzen vant viertln d'une reube d'ermine
de« was diu bnrc mit oucb daz lant. s'aloit .1. prendom esbatant
par aus le pont, et »i atant
celni ki viere le pont venoit.
Wir finden hier neben wörtlichen entlehnungen und mis-
verständnissen (cemine verb 3. sg. — diu sträze) die grösste
freiheit der darstellung. Dass P. bei \V. den burgherrn unter
der linde sitzend trifft (s. auch 162,21 — 22) entspricht deutschem
brauch.
('.2550— 51 dem burgherrn folgen 2 knappen. W. 162,20.
26. 163,7 — 12 er sitzt zunächst allein, auf ein zeichen von
ihm kommen mehrere knappen heraus. — W. 163, 25 £ C.2552
—55. — W. 162, 25. 27—28 = C. 2556—58. — W. 163, 21—22
= C. 2560— 62. — W. 162,29 — 163,6.15—16 ^ C. 2594— 98.
2605—10. — [W. 162, 15—19 grosse müdigkeit lässt P. seinen
schild ungeschickt schwingen, vgl. ('.2630—34. Hiermit moti-
viert dann 173, 14 Gurnemanz die Notwendigkeit der Unter-
weisung in ritterlichen künsten.J
Bei ('. folgt unmittelbar auf die begrüssung die frage des
Wirtes, woher P. komme 2559; W. verschiebt sie dem höfischen
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22
LICHTENSTEIN
brauche gemäss bis zum folgenden tage 169, 25 — 28. Bei C.
findet noch am selben tage die waffenübung statt, während im
deutschen gedieht P. ermüdet am abend ankommt und sich,
nachdem er gegessen hat, schlafen legt, sodass die ganze
handlung einen tag mehr füllt.
W. 163, 13—14 = C. 2603—5. 2729—30. P. erhält herberge.
— W. 163, 20 — 164, 5 = (\ 2611—14 P. wird [nach langem
sträuben, AV.J veranlasst abzusteigen und entwaffnet. Bei C.
besorgen das die beiden knappen, bei W. eine anzahl ritter
[163,17— 19J. — W. 164,6— 8 ^ C. 2615— 18. — [\V. 164, 11
—23 P.'s Schönheit. 164,24—165,14 seine wunde wird von
dem wirt mit eigener hand gewaschen und verbunden; vgl. C.
2816 ff.] — W. 165, 15 — 173, 10 s. unter no. 3. 4. 5.
2. Waffenübung.
[W. 173, 11—20 der wirt hält P. seine steife Schildhaltung
vor (s. o. 162, 15) und erklärt eine Unterweisung in ritterlichen
künsten für notwendig. V. 2576— 91 der preudom stellt mit P.
ein kleines examen in der kenntnis des waffenhandwerks an
und lobt ironisch seine naiven antworten; desgl. später zur
repetition 2643 ff. 2702 ff.] — [W. 173,21-26 der wirt lässt
pferde und lanzen herausbringen; ritter und knappen beteiligen
sich. 0. 2619 — 24 der preudom nimmt P.'s sporen, schild und
lanze und besteigt dessen pferd.J
W. 173, 12—13. 19—20. 27 — 174, 5 — C. 2625—35. — W.
174,6 — 9 lt, C. 2638 — 64.73 — 76 pädagogische begründung. —
W. 174, 10 — 175, 9 = C. 2665—72. 77 — 2700 P. bekundet in
einer reihe von proben seine angeborene tüchtigkeit, vgl. be-
sonders W. 174,25 : C. 2672 und W. 175,7—9 : C. 2677—82.
Bei C. führt er diese Übungen dreimal allein, dem beispiel
seines lehrmeisters folgend, aus; bei W. stellt ihm der schloss-
herr geguer aus seinen rittern, von denen er fünf niederwirft.
— [( '.2702—26 gebrauch des Schwertes. P. sagt, er habe schon
bei den ochsentreibern seiner mutter tüchtig gelernt, sich gegen
angriffe zu verteidigen.] — W. 175, 4 = C. 2727—28.
3. Mahlzeit.
Dieser auftritt ist bei W. verdreifacht : 165, 15 - 166, 4.
169,21 - 170,6. 175,10— 177,8.
W. 169, 5-6. 21. 175, 19 ^ 0. 2731. 41—42. — [C. 2732
—38 der lehre seiner mutter folgend, fragt P. nach dem nanien
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ZUR PARZIV ALFRAGE.
23
des wirts.] — \V. 162, 6 u. ö. Gurnemmiz de Graharz = C. 2740
Gonemans de Gelbort, Berner hs. Gornemans de Groort, 3084
Gonemans de Gohort. W. gibt diesen namen gleich am anfang
des abenteuere, verschiebt dagegen die mitteilungen P.'s über
seine reise bis hierher. W. 169, 25 — 170, 2 C. 2559. 69—72.
[C. 2563—67 der schlossherr bemerkt, der könig habe jetzt
doch wol anderes zu tun, als ritter zu machen: das kann auf
den roten ritter gedeutet werden. W. 170, 3—6 der wirt
erkennt mit schmerz, dass es sich um den roten ritter handele;
er überträgt diesen namen nun auf P.; vgl. C. 5339.] — [C. 2743
—48 ein knappe bringt einen kurzen mantel und zwar ganz
ans eigenem antriebe; vgl. W. 167, 1. — C. 2749 Gornemans
besitzt reiche und grosse häuser; nach W. 176, 2—3 ist sein
wolstand nicht eben gross.] — C. 2750 er hat schöne kinder;
W. nennt die schöne Liaze und drei söhne (s. no. 6). Alles was
\V. über das benehmen der Liaze und die heiratspläne des
vaters sagt, ist von C. unabhängig [175,10—18.21 — 176,12.
176.18—25. 177,3—4. 178,8—10. 178,27— 179,6]. Vgl. je-
doch W. 175,7— 15 mit C. 3052— 65.
W. 165, 15. 169,22. 175,20 = C. 2751— 52. — W. 165,26.
169, 23 £ C. 2753—57. — [W. 176, 16—17 P. muss sich bei der
dritten mahlzeit zwischen seinen wirt und dessen tochter setzen.
- W. 165, 16—25 P. hat grossen hunger.] — W. 165, 26—30
= 0. 2758— 60. — W. 166,5. 170,7 ^ C.2762.
4. Ritterliche kleidung.
\V. 166, 6—9 vgl. C. 4302—7. — W. 166, 11. 14—20 der
wirt führt den müden P. an eine bettstatt; dieser schläft fest
bis zum tage. G. 2787 — 91 sie gehen schlafen; am morgen
kommt der wirt an P.'s bett. — W. 166,12— 13 ^ ('. 2797
—2813 P. sträubt sich anfangs, sich von den von seiner matter
gemachten kleidern zu trennen. — \V. 168, 2—14 = C. 2792
-96. 2814, vgl. auch 2994—96. — W. 168,21.23 = C. 2790.
[C. 2816—30. 2886 P. wird zum ritter gemacht, indem
Gornemans ihm selbst den rechten sporn und das schwert,
zahlreiche knappen die anderen waffen anlegen.] [\V. 164, 24
—165, 14 Gurn. wäscht und verbindet mit eigener hand P.'s
wunde. 166,21—167,30 jungfrauen bereiten ihm ein bad.J
5. Gumemanz' lehren.
a) Nicht immer die mutter im munde führen W. 170, 9—14
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24
LICHTENSTEIN
^ G 28G7— 80. — [W. 170, 15—20 knüpft daran einen anderen
rat: ir sult nietner iuch verschemen; vielleicht ist das ein mis-
verständnis von C. 2873 vos pri que vos en chasties.]
b) Bedrängten helfen W. 170, 23— 171, 6 = C. 2848— 54.
— 0. fasst männer und frauen zusammen, W. widmet dem
verhalten gegenüber den frauen einen besonderen abschnitt
172, 7 — 173,6, welcher aus den lehren der mutter bei 0. 1727
— 39 hierher versetzt zu sein scheint. — [W. 170, 27 mitte;
171,7 — 16 rechte masshaltung zwischen Verschwendung und
knauserei. Diese erweiterung darf wol dem deutschen dichter
zugeschrieben werden, vgl. 297, 16 — 29.]
c) Zu vieles reden und fragen vermeiden W. 171, 17—24
= C. 2840—48.
d) Besiegten rittern pardon geben W. 171,25— 30 ^ C.2831
—39. — [W. 172, 1—6 äugen und bände von rost waschen beim
ablegen der rüstung.]
e) [Fleissig ins münster gehen, nur C. (2855—66); P. er-
innert sich dabei der gleichen lehre seiner mutter (s. s. 13),
und dies gibt veranlassung zu der belehrung a.]. Zu vergleichen
wäre aus W. 169, 15—20, wo beim schlossgottesdienst P. opfern
und sich segnen lernt.
W. 173,7— 9 ^ C. 2881— 85. Trotzdem W. die reihenfolge
der lehren geändert hat, hat er am schluss die antwort P.'s
beibehalten, die auf die lehre a bezug nimmt.
6. Abschied.
W. 176, 28 — 177, 2 <s> C. 2763—70 um sich in ritterlichen
Übungen weiter auszubilden, will P. fort bei W., während
bei 0. gerade dasselbe motiv ihn an Gurn. fesseln soll; aber
hierfür hatte W. ja das heiratsproject erfunden. Die besorgnis
um die mutter, welche im französischen gedieht den helden
forttreibt [2771—86. 2893—94], durfte er auch deswegen nicht
äussern, weil er ja gelehrt worden war, von seiner mutter zu
schweigen (er hatte sie auch nicht niedersinken sehen, wie
in C); aber der deutsche Parz. trägt darum nicht weniger die
mutter im herzen, s. W. 173, 8 f. 169, 10—14, vgl. 223, 17 ff.
Bei W. pflegt man ihn 14 tage, bei C. möchte man ihn
einen monat oder am liebsten ein ganzes jähr dabehalten.
W. 177, 9— 10. 178,10. 179,7—8 — C.2887—92; vgl. be-
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ZUR PARZIVALKRAGE.
25
sonders 178, 10 (stt) . . . min lant in niht behagt, 2890 qne Ii
demorers vos anuie.
W. hat diese abschiedsscene bedeutend erweitert durch die
erzählung, die Gurnemanz von seinen drei söhnen gibt. Auf
den ersten blick scheint es, dass er dies aus einer anderen
quelle geschöpft oder frei erfunden haben müsse; denn C. sagt
(2750) nur, dass G. schöne kinder gehabt habe. Sieht man
aber näher zu, so findet sich ein deutliches Vorbild für jene
erzählung in der abschiedsklage der mutter bei C. Schon bei
besprechung der lehren des Gurnemanz wurden wir veranlasst,
auf diejenigen der mutter zurückzugreifen. Und in der tat ist
die Situation in den beiden scenen eine so ähnliche, dass die
annähme nicht zu gewagt erscheiut, W. habe aus der einen
züge für die andere entlehnt, P. nimmt abschied, dort von
einer liebenden mutter, hier von einem zweiten vater, welche
beide ihm lehren fürs leben mitgeben und dann im augenblick
des Scheidens ihrer anderen söhne gedenken, die vordem auf
ritterschaft ausgezogen und nicht mehr nach hause zurück-
gekehrt sind. Man vergleiche besonders folgende stellen:
W. 177, 23
diu drin für miniu werden kint
C. Hi50
.II. monlt bians freres avies
diu ellenthaft erstorben sint.
lönt iedoch din ritterschaft :
ir zagel ist jamerstricke haft.
178,4
de« ist mir dftrkel als ein znn
min herze von järaers sniten.
25
(de») lac min wip, »in mnoter,
töt:
gröz jämer irz nach im gebot.
177, 14
ir sit min vierder sun verlorn,
ja wand ich ergetzet wtere
drier jämmerlichen maere.
178, <i
nfi sit ir alze froo geriten
von mir tröstelösen man.
as armes fnrent mort andui.
«2
en .1. jonr andni Ii vallet
adoubet et chevalier fnrent,
et en .1. jor mesmes mornrent.
75
dou doel des fins morn Ii pere,
et j'ettc le via moult amere
»Offerte pnis qne il fn mors.
78
vous estiies tous Ii confors
qne jon avoie et tons Ii biens,
car il n'en i a plna des miens,
qne plns ne m'avoit dex laissie
dont je fusoe joians et lie.
Im einzelnen finden sich natürlich viele abweichungen; so
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26
LICHTENSTEIN
hat W. die zahl der söhne um einen vermehrt, und die affären
bei denen sie ihren tod finden, teils einer späteren stelle P.'s
entnommen (Kingrün — s. C. 3484 cor .1. de ses fr er es gier-
muins, de ceste guerre, Ii hocis), teils dem deutschen Erec (W.
178,11 — 24) mit hinzufügung einiger anderer namen.') Ich
glaube, damit ist erwiesen, dass an irgend eine unbekannte
quelle hier nicht zu denken ist.
In Pelrapeire (Biau-Bepaire).
W. buch 4. C. 2891— 4151.
1. Ankunft.
W. 179, 13—15 ^ Q 2891—92. — fW. 179, 16 — 180, 2 P.
kann den gedanken an Liaze nicht los werden. C. 2892 — 94
P. sehnt sich nach der mutter.] — W. 180, 3—8 ^ C. 2895
—97. — W. 180, 15. 21—23. 181,5. 180,24—25 ^ C. 2898—2903.
— W. 181, 3. 9—10 ifi C. 2904—6.
fW. 180,9— 14. 180,29— 181,2. 181,7—8 drastische ver-
gleiche.] — Die namen Bröbarz und Tampcnteire scheinen ledig-
lich dem reime auf Gräharz und Pelrapeire ihre entstehung
zu verdanken. — [W. 181, 11—24. 182, 2—4. 6 die ritter der
Stadt halten ihn für einen feind und ziehen sich aus furcht
zurück.]
W. 181, 26—27. 182, 1. 7—8. U.5 = C. 2907-11. — W. 182,
13-17 ^ C. 2914-16. - W. 182, 20— 29 </i C. 2917— 22. 27.
Bei W. wird P. wider als feind gefürchtet, er erbietet sich je-
doch zur hilfe. — [C. 2928—30 P. beginnt aufs neue zu klopfen.J
2. Empfang.
W. 183. 3. 11. 13. 17. 184, 1-3. 7-11. 22-25 ^ C. 2934
—35. 31—33. 36—40. 60—65. Man beachte die wörtlichen ent-
sprechungen sarjande = serjant, haschen = haces, ferner mctc
— cydrc cervoise, kröpften = paste. Daneben hat wider jeder
der beiden dichter seine besonderheiten in der Schilderung.
fW. 183, 4— 10. 16.20—30 die milizen der stadt; der marschall;
die befevstigungen, vgl. C. 2521— 33. — 184,4 — 6 der graf von
Wert heim; 184, 24 Trühendingen; 184, 27 — 185, 9 des dichters
') Bartsch s. 124. Heinzel 8.5. Auch der name Sdttnteflürs in dem
C. entnommenen abenteuer ist dem deutscheu Erec entlehnt. Diese wunder-
liche mischung von namen und abenteuern gebort nur W. an, ebenso die
Übertragung des frauennamena GciUeflur auf einen mann.
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ZUR PARZ1VALFRAGE.
27
eigene armut] [0. 2948—57 zwei klöster; zu vgl. W. 190. 21 die
einsiedeleien der beiden oheime, ferner W. 196. 13 kirchen münster]
— W. 185, 10-18. 194, 7-8. 16-17 = C. 2941-47. 58-59.
W. 185, 21-22. 30 = 0. 2966-68 P. wird hineingeführt
und entwaffnet. — W. 185, 21—26 = C, 3027—34. 3136—38.
— [W. 185, 27—29 man legt einen teppich auf das gras —
vielleicht misverständnis des französischen covert d'ardoise 2966,
var. de gloise. — Die deutsche linde. — 186, 1—6 P. wäscht
sich von rost und gleicht an glänz der sonne. — 186, 11—14
. er nimmt den Vorschlag an, die herrin zu sehen.] [C. 2973—76
ein knappe bringt sein pferd in den stall.]
W. 186, 15—16. 7—9 g C. 2969—72. — W. 186, 28 — 187,
1. 7—8 ^ C. 2980—86 (durchaus wörtlich). — W. 186, 24—27
s. C. 3104 — 5, C. erwähnt einen oheim des fräuleins moult sains
hont et relegious; W. macht daraus zwei und identifiziert die-
selben mit den beiden edlen herren welche beim empfang das
fräulein führen.
Die lange Schilderung der Schönheit bei C. 2987 — 3021
wird von W. abgekürzt und in einzelne skizzen aufgelöst, in
denen er vielfach die beschreibung in handlung umsetzt (vgl.
Bock, QF. 33, 11). Auch scheint er einzelne züge von C.'s ge-
mälde anderwärts verwertet zu haben: C. 2994 — 96 vgl. W. 168,
12—14; 0.3052—65^^1.^.175,7—15; C. 3019— 21 vgl. W. 148,
24 — 28.30. — Im übrigen beruht W.'s darstellung trotz der
eingestreuten anspielungen auf Erec und Tristan vollständig
auf dem texte (Ts: W. 187, 12—18. 188, 6—8 = C. 2997—3001.
3019—21. — W. 186, 17—20. 188, 10—14 ^ 0. 3012—18 (der
beidiu tviz ist unde rot = Ii vermaus sor le blatte assis; daz
fuogte ir gaste gröze not — por embler euer et sens de gent etc.).
\V. 187, 2—6 = C. 3022-26. 38. 41. 43. — W. 187, 7. 9. 27
—29. 188,15—21 ^ C. 3044— 51. — W. 187, 24— 26. 3 = C.
3056—61. — W. 187, 30 = G. 3067— 68. — W. 188, 25-30 ^
C. 3069—73. - W, 189, 6. 13-20 ^ C. 3074—84. — W. 188,27.
190,3—8.10.13.11(14—15) ^ C. 3093-97. 3102-9 (beachte
zwelf pröt = V. mices; zwei buzzel mit win = J.boueel piain
de vin cuit). — W. 189, 21—26 vgl. C. 4302—7. — [W. 190, 16
—25 die beiden oheime reiten nach ihrer einsiedelei zurück,
vgl. C. 2948—57 die beiden klöster.] — W. 190, 26 — 191, 1. 3
—5 £ C. 3110— 14.
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28
LICHTENSTEIN
3. Die nacht.
\V. 191, 7. 10—11. 21—24 — C. 3115. 22—26. — fW. 191,25
— 27 P. schickt die ihn geleitenden ritter zurück und wird von
knappen entkleidet.] [C. 3116—21. 3267—71 die eine hälfte der
mannen geht schlafen, die andere übernimmt die wache.] —
W. 191, 27 san er slief ^ C. 3135. W. 191, 28—30 </> C. 3156
—63. — W. 192, 5-8 ^ 0. 3139—43.
C.314R
si sVst en aventure mise
come hardie et corajreuse,
mais co n'est mip wyseuse;
ains se porpense qu'ele ira
a lon hoste et Ii dira
de son affaire nne partie.
44
mantel de soie taint en graine
a afuble sour sa cemise.
W. 192,9
do giene diu küneginne
niht näch sblher minne . . .
(diu) meide wip heizet,
si suochte helfe unt frinndes rät.
an ir was werlichin wat,
ein hemde wiz sidin:
waz mfihte kampflicher sin ...
18
oueh swanr diu frouwe nmh ir Up
von samit einen mantel lane.
si gienc als si der kumber twanc.
W. 192,21—23 ^ 0.3264—66. — W. 192,24—25.30. 193,
1.16—21 ^ C. 3156— 64. — W. 193,8— 10 = C. 3169— 71.
C.3127
trestonte l'aise et le delit
que on puist deviser en lit
ot Ii chevaliers cele nuit,
fors qne seulement le deduit
W. 193, 2 de pucele, se lni pleüst,
si heten heidiu kranken sin, u de dame le recheüt;
er unt diu küneg-inue. mais il ne savoit nule rien
an bi ligender minne. d amor ne de nule autre bien.
Die vergleichung der angeführten stellen zeigt, dass W.
einfach seiner quelle gefolgt ist. mithin der ihm wegen dieser
scene gemachte Vorwurf (Piper 1, 12) unberechtigt ist.
W. 193,22— 24 0.3172—73. — [0.3174—80 sie bittet,
dass er sie nicht für schlecht halte, weil sie fast nackt ge-
kommen sei.] — W. 193,25— 29. 194,2—4^ 0.3241.46—53'.
— W. 194, 14—30« 0. 2941—43. 3456. 3191—98. 84—90. (7a-
mitU der kt'inec von Iserterrc \Y. 220, 6 Clamadcjc des illcs
0. 3197. 3952. Clamediu 3805. Kintjrim sin schmeschUmt 194, 15
-- Enynrains Ii scncscaus 3196, var. En-(A-)yuigtron, gui-
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:^ ...iirKi,:'iJT:>3llllBnHBHBW
ZUR PARZIV AL KRAGE
20
grenon, Affuinfjeron Berner Iis. 2603 -= Potvin 3914. Guhiyrron
Pariser hs. 12577 bei Potvin 2, s. 113 randnote, Quinyeron prosa
1530 bei Potvin 2, s. 132 anm.
W. 195, 1—5 s. C. 3484 f. — [W. 195,0—11 P. wird durch
die erinnerung an Liaze traurig gestimmt.] — [0.8199 — 3202
die dame beklagt die getöteten und die gefangenen ritter, s.
W. 195, 16.J — C.3205 ff. s. W,210, 17 ff.
W. 195, 12—13 ^ 0. 3239—40. 42. — W. 195, 16—17 =
C. 3203—4. — W. 195, 18-26 = C. 3214—26. 3379. — W. 195,
27—196,1 = 0.3317—19. — W. 196, 2— 3. 5— 8 (vgl. 192, 21
—23) == 0.3261—66. — W. 196,4 - 0.3174.
[0. 3230—38. 3250—61. 3272—3316 die dame verstellt sich
und bittet ihn widerholt, dem gefährlichen kämpfe auszuweichen
und sie zu verlassen, immer in der absieht, ihn nur desto mehr
in seinem vorhaben zu bestärken. Sie küssen sich und liegen
die nacht hindurch mund an mund und arm in arm. Am
morgen kehrt sie noch einmal zurück. Kr fordert ihre liebe
als lohn. Sie will seine amie werden (vgl. W. 200, 7), aber
angeblich nicht unter der bedingung, dass er für sie sterbe.]
4. Parzivals kämpf mit Kingrun.
[W. 196, 12 — 19 das volk sucht kirchen und münster auf
(vgl. C. 2948 — 57); P. und die konigin hören den gottesdienst,
den der schlosskaplan abhält] — W. 196,20— 23 ^ 0.3330
—35. — W. 196,30— 197,2 j£ 0.3336—53 die bürger geben
P. das geleit bis zum tor und beten für sein heil; bei 0. 18 verse,
bei W. nur 3, dafür der gottesdienst, s. o. — W. 196, 24. 26. 28
£ 0. 3354. 59—60. — [0. 3355—58. 61—87 Guingeron glaubt,
man wolle ihm das schloss übergeben und beginnt ein hoch-
mütiges gespräch mit ihm; vgl. \V. 197, 14 — 19.]
W. 197, 4— 7 - 0.3390-95. — [W.197,8 beide kämpfer
werden herabgeworfen. 0. 3396—3400 Guingeron kommt allein
zu falle, P. steigt ab.] — W. 197, 12—13 ^ 0. 3397—99. —
W. 197, 9—10. 20 - 198, 1 = 0. 3402—11.
W. 198,2 C.3412
(sin Sicherheit) et eil Ii dist que il n'i a
ir enwolde niht der mit im streit de la merci ne tant ne quant.
[0. 3414—23. 36—43 P. wird erst durch die erinnerung an
Gornemans und die inständigen bitten des besiegten bewogen,
diesem pardon zu gewähren, s. W. 212— 30 — 214,3.]
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30
TilCHTENSTEIN
W. 108, 8-12 = C. 3424. 30-35. - W. 198,3—4 = 0.3468
-70. - W. 198, 5-7 (214,8—12) C. 3480-88. Nach W.
ist es der söhn, nach C. der bruder des Guraemanz, der in
diesem kriege umgekommen ist. W. ist hier viel kürzer als
C. und bringt dieselben gespräche noch einmal ausführlich bei
Clamides besiegung. Die reihenfolge der beiden ersten vor-
schlage ist bei W. umgekehrt. Bei C. wird Gornemans immer
als der besitzer des schöngebauten Schlosses bezeichnet, vgl.
0. 2521—38, W. 183, 23—27.
W. 198, 13—22 = C. 3445—55. 57—67. — W. 198, 23—24.
199, 3—4. 9—10. 198, 25 — 199, 2 ^ C. 3489—99. — W. 199, 13
—17. 203, 21—22 = C. 3500—4. — [W. 199, 19—21 das äussere
beer wird mutlos, bleibt aber vor der Stadt liegen, s. 203, 23.
C. 3505—7 das belagerungsheer zieht ab.J — fC. 3508—13. 16
— 29 die bürger bedauern, dass ihr feind nicht in ihre bände
geliefert oder getötet worden sei.] — W. 199, 22—25. 29—30.
200,1—2.6—7 = C.3514— 15.30— 38 (3306).
5. Die schiffe mit lebensmitteln. Die hochzeit.
Bei 0. ist es nur ein schiff, welches erst später ankommt.
W. 200, 10— 19 £ a 3700— 10. - W. 200, 28 die hmfliute ifi
C. 3713 marceant somes. — W. 200, 24 — 201, 3 = C. 3721—33
die kaufleute erhalten glänzende bezahlung. — W. 201, 4. 7 =
C. 3732-33. 15-16. - W. 201, 8—18 ^ C. 3737—41. 47-49.
54—61 die Speisung der hungrigen. W. lässt dabei, wie schon
vorher beim einkauf, P. eine weise vorsieht zeigen.
Dass P. die geliebte und ihr land gewinnt, wird bei C.
erst am schluss des ganzen abenteuere deutlich ausgedrückt,
4088 ff.; vorher gehen mehrfache zärtliche Zusammenkünfte.
Auch bei W. ist ja das erste beilager nur formell, aber das
zweideutige des Verhältnisses wird damit beseitigt (vgl. auch
das gebende).
6. Clamides ankunft.
W. 203, 12—22. 25 — 204, 3 £ C. 3539—63. Die beiden
langen stellen stimmen wörtlich überein. W. 203, 16 des ors
zen siten was durchslagen scheint ein misverständnis zu sein
von C« 3548 que de ses puins ses ceviaus trait.
[W.204,5 — 12. 15 — 17 derkönig kann den schnellen glücks-
wechsel nicht begreifen; ein ritter bestätigt die nachricht.
C. 3564 — 68 der könig ist ratlos; der knappe schlägt ihm vor
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ZUR PARZIV AL FRAGE.
31
umzukehren.] — W. 204, 7—10 = C. 8540—41. — W. 204, 18
—19 = C. 3565. — W. 204, 13. 21. 28—29 = C. 3569—76. —
[0. 3577 — 86 der alte ritter macht den könig auf die hungersnot
in der Stadt aufmerksam. Dieses motiv konnte W. nicht brau-
chen, da nach ihm die neue .zufuhr schon eingetroffen war.
Um den könig zu ermutigen, lässt er daher den fürsten sagen,
dass Kingrun gar nicht ernstlich ihre allgemeine sache ver-
fochten habe.] — W. 204, 30 — 205, 2 ^ C. 3587—89.
C.3593 ist zum ersten male der name der geliebten P.'s,
Blancheflour, genannt und dann nur noch einmal am schluss
des abenteuers, 4090. Es wäre denkbar, dass W., der nicht
so zurückhaltend im namengeben ist, jene benennung bei 0.
überhaupt übersehen oder erst hinterher gefunden hat. Viel-
leicht behagte ihm der name Blancheflour auch deshalb nicht,
weil er schon für eine person in Eilharts Tristran bekannt
war. Eine änderung war ja nicht so sehr kühn, da der name
bei C. eine so geringe rolle spielt. Wie dem auch sei, eins
ist sicher, dass der bei W. eingesetzte name Condwir ämürs
(Cundwierämürs 282, 28) nicht aus einer französischen quelle
stammt. Es ist eine deutsche imperativische bildung aus dem
deutsch-französischen verb condwieren und dem object ämur.
Das verb condwieren kommt bei \V. vier mal vor (155, 18.
199, 22. 495, 22. 696, 18), das zugehörige Substantiv cond(e)wier
zweimal (401,13. 741,15). Besonders zu beachten ist 495,22
ir minne condwierte mir freude in das herze min. Danach ist
W. die bildung dieses namens wol zuzutrauen.1)
[W. 205, 9—14 namen, offenbar W?8 eigener zusatz: Ga-
logandres der herzöge von Gippones stammt aus Hartm. Erec
1661 Galagaundris und fil dou Giloles. Ein fürste üz Wer-
lernt und 210,2 norden über den Ukerse sind ganz unfranzösi-
sche und unsinnige bildungen nach dem muster von 121,27
leh cons UUerlec*).]
W. 205, 3-8 C. 3590—91. 3599-3602. - [C. 3604—9
der könig lobt diesen rat ; vgl. W. 205, 8. — C. 3609 st les
prendrons come gent morte ^ W. 205, 16 den man töten truoc
*) 327,20. 508,22 bildet W. den acc. ( 'otuhriren ämiirs. Vgl. Martin,
QF.42,8. Heinzel s. 11.
*) Bartach s. 151. Heinzel s. 13 f.
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32
LICHTENSTEIN
herdan.] [W. 205, 17 — 206, 4 die bürger rüsten sich zur Ver-
teidigung und verbrennen die belagerungsmaschinen.]
Hier folgt bei W. 206, 5 — 207, 5 die reise Kingruns zu
Artus; der letzte vers scheint anzudeuten, dass W. hier selb-
ständig das mcere unterbrochen habe, um diesen teil einzu-
schieben, der bei ('■. mit der reise riamides verbunden ist,
W. 207, 6—8. 14. 12—13. 15. 9. 16—18 ^ C. 3610—11. 15
—25. 20 (durchaus wörtlich). — W. 207, 21—26 die bürger
stechen zuerst grausam auf die von P. besiegten ritter ein
(ähnlich sticht P. selbst bei C. 3626—28), dann nehmen sie
auf P.'s geheiss 20 lebend gefangen (vgl. ('.3610 vint Chevaliers).
C. 3630—31 P. übergibt die gefangenen und ihre pferde den
damit beauftragten.
Der kämpf gegen die zweite abteilung entwickelt sich
verschieden. [W. 207, 27 — 208. 4 P. merkt den plan und um-
geht den feind.J [C. 3632—59 als das hauptheer den unter-
gang der kameraden sieht, kommt es in auflösung heran, wäh-
rend die belagerten sich geschlossen an das tor zurückziehen
und von den nachdrängenden einen teil innen gefangen nehmen,
den andern durch ein falltor zerschmettern.]
W. 208, 5-6. 18-20 = C. 3660— 61. 64— 66. - [C.3667
—87 der alte Waffenmeister ermahnt den könig auszuharren,
die bürg werde durch hungersnot in weniger als drei tagen
bezwungen werden; vgl. W.208, 16 der kundez l%cr wol manen
(208, 17 er fällt an des königs seite). — C. 3688—91 sie la-
gern sich.]
W. 208, 23—25. 27—28. 209, 1 £ 0. 3692—98. — [W. 209,
2—7 die gefangenen kehren zu dem äusseren heer zurück.
Dadurch wird motiviert, wie Hamide von der frischen ver-
proviantierung der bürg erfährt, s. C. 3762 ff.]. — W. 209, 8—10
t£ C. 3742—46. 65—67. — (C. 3700—61 s. auch unter no. 5).
7. Einzelkampf zwischen P. und (Hamide.
W.209, 15—29 ^ C. 3762— 63. 69—75. 79—81. — [C.3776
—78. 3782—3816. 3820—21. 28 das fräulein und alle herren
und danien des Schlosses bestürmen P. mit bitten, dem gefähr-
lichen kämpfe fernzubleiben; vgl. 3230 — 38 etc. s. 29.] — W.
209, 30 — 210, 3 C. 3834—37. — W. 210, 4—6 = C, 3817
—20. 24- 25. 29—33 (W. bezeichnet das pferd Clamides als
ein (jewiipent kastelän, C. das P.'s als ein cheval norais). —
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ZUR PARZIVALFRAGK.
33
[W. 210, 7 — 13 die herkunft des pferdes, norden vgl. C. norois;
Ukerse s. zu 205, 14.J — W. 210, 14. 20 tusent sarjant und fünf-
hundert ritter ^ C. 3607—8. 34 — 35 IV. cens Chevaliers armes
et mil serjans tous acesmes.
W. 210, 27 = C. 3826—27. — W. 211, 10— 13. 15— 29 =
C. 3838— 53. — [W. 211,30 — 212, 16 zwei vergleiche zur be-
lebung des karapfbildes, vgl. 197, 22—26. — C. 3854—57 bricht
ab.] — W. 212, 17. 21— 22 = C. 3858— 59. — [W. 212, 24— 29
P. wirft seinen gegner zu boden, reisst ihm den heim herab
und ist im begriff ihn zu töten; vgl. 197,28. C. 3410 f.]
Die Verhandlungen über die Unterwerfung kürzt C. mit
hinweis auf die gleiche scene mit dem seneschall ab (s. s.30);
W.'s längere reden holen hier das früher übergangene nach.
W. 212, 30 — 213, 21 = 0.3412—13. 19—35. - W. 213, 29-
214, 12 = C. 3414-18. 68-70. 80-88. 3865-67.
W. 214, 18 C.3191
da täten gnote ritterschaft de .III. cens Chevaliers et dis
ninn hundert ritter die wol striten dont eis castiaus estoit garois,
21
und fünfzehn hundert sarjant: n'a eaiens reines que .L.
25
ir kom ouch kürae der säme widr. et .11. et dis raains de .LX. .
Diese angaben beziehen sich bei W. auf die von Gurne-
manz geschickten hilfstruppen , bei C. auf die gesammte be-
satzung; C.'s zahlen sind etwas unklar.
[C. 3862— 64 er soll sich nach Biau-Repaire in die gefangen-
schaft begeben.] — W. 214, 29—30. 215, 2. 6—9 = 0. 8868—73.
Das bei W. stets kundgegebene bedauern für Cunneware (statt
des rachegefühls bei C.) hat ein vorbild in C. 4074 car de la
buffe se doloit qui Ii fu en la goe assise (das subject des haupt-
satzes kann verschieden ergänzt werden).
[C. 3876 — 84 P. lässt Clamide versprechen, dass er die
gefangenen ausliefern und nie wider etwas feindseliges gegen
die schlossherrin unternehmen werde. — \V. 215, 10—18 P.
lässt Clamide geloben, dass er sich der geschlagenen jungfrau
als gefangenen stellen werde.] — [C. 3887—95 die auslieferung
der gefangenen. — W. 215, 30 — 216, 1 die bestattung der toten.]
— W. 216, 2—4 = C. 3885— 86. [W.216,4 das land Löver s.
s. 43.J .
Beiträge »or gMchiohte der deaUohen ipr»obe. XXII. 3
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LICHTENSTEIN
8. Kingrun und Clamide ziehen an den hof.
Die beiden reisen, bei C. zusammengefasst, sind bei W.
getrennt beschrieben 206,5 — 207,3 und 216,3 — 222,9; vgl.
s. 32. Auch C. fängt zweimal an zu erzählen, 3924 und 3961.
[W. 206, 7 — 9 Artus hält sich zuerst im jagdhaus Karminal
auf.] — C. 3898—3905 s. W. 217, 23. — C. 3910—23 s. W. 222,
12—28.
W. 206, 5—6. 216, 3—12 £ C. 3906—9. 24—25. 29—31.
Dianazdrün W. = Dinatiron, Dinaderon en Gates C. (s. s. 43).
— W.206, 10— 11. 20. 28. 207,1 = C. 3934— 39 (messenie =
maisnie). — W. 216, 13—18. 217, 10—13. 218, 15 [16] ±Q C. 3961
—65 (pfinxtac = pentccoste etc.). — W. 217, 19—27 = C. 3932
—33. 3900—5. — W. 217, 28— 30 = C. 4070— 71. — W.218,
1—12 = C. 4072—75. 4020—26. — W. 279, 7—8 (beim empfang
des Orilus) = C. 4074—84.
Bei C. kommt er zu der geschlagenen jungfrau erst ganz
zuletzt, sie sitzt in den gemächern bei den hofdamen der königin;
nach W. isst die königin mit Cunneware allein an einem be-
sonderen tische. Nach C. stellt er sich dem könige als gefan-
genen, nach W. der Cunneware, und zwar mit den gleichen
Worten.
W.218, 17-24 = C.3969. 4050-54 (doch warne ich des,
erst üf gelogen = le tient a mottlt grant musardie\ der wider-
saz im ein teil = par estoutie). — [C. 3970—4005 der äussere
prunk des seneschalls (vgl. W. 151, 28. 24) contrastiert mit der
bosheit seiner zunge (W. nimmt ihn in schütz 218, 25 ff., vgl.
152, 7 ff. 296, 13 — 297, 29). Der könig will nicht eher essen,
als bis sich ein abenteuer seinem hofe naht (denselben zug
verwertet W. 309, 3—9)]. — [W.218, 28 — 219,3 man nimmt
dem Clamide den heim ab, das ermöglicht seine widererkennung.]
W. 219, 4—6. 1 1—13 ^ C. 3934. 41—43. 59—60. — [ W. 219,
14 — 220,10 vgl. 213,22—28 Clamide ergeht sich in liebes-
klagen, indem er die Pilatuslegende und die erzählung von
Mabonagrin streift, vgl. 178, 23. — Bei C. 4017 sagt er nur ce
poise moi\. — W. 220, 11—13. 17. 19—22 = C. 4015—18. 36—41.
— Q 4020—26 s. W. 218, 3—12. — [C. 4028—35 Artus erkun-
digt sich nach P.'s ergehen.] — [W. 220, 14—18. 23—24. 206,
24 — 26 anspielung auf eine frühere feindschaft zwischen Cla-
mide und Artus. — 220,25 — 221,6 gedränge bei hofe; moti-
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ZITR TARZIV ALFRAGE.
35
vierender Übergang zum folgenden.] — W. 221, 7—8. 10 — 12 =
C. 4060 — 65 dem ankömmling wird gesellschaft erwiesen bei
AV. von Gawan, bei C. von Yvain und Gyfles (Giflet). Hiermit
sind zwei andere stellen zu vergleichen, wo teils einer, teils
zwei der genannten in ähnlichem zusammenhange auftreten:
W.277,4. C. 5464 nach der ankunft des Orilus und W.311,6
— 7. C. 6096. 99 nach der ankunft Parzivals, bez. nach der an-
kunft der gralsbotin bei hofe. An diesen drei stellen erscheinen:
bei W. bei C.
1. Gawan Yvains und Gyfles
2. Gawan und .Tofreit fiz Idoel Gawains
3. Gawan und Jofreit fiz Idoel Gawains und Gifles Ii fius Do.
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich schon mit grosser
Wahrscheinlichkeit, dass auch an der ersten stelle bei C. Ga-
wains für Yvains zu lesen sein wird, und diese Vermutung
wird noch sicherer durch die Charakteristik des betreffenden
ki amande tous ciaus qui a lui s'accompagnent, die viel eher
auf Gawain passt.
W. 221, 13 — 222, 6 = C. 3943—56. 4034—35. — W. 222,
7—9 tsi C. 4056—59 (bei C. vom könige gesprochen). — [C.4042
—49 neue Prophezeiung des toren, vgl. 2444 ff. W. 152,30 ff.
— 4086—87 der könig behält Clamide an seinem hofe, vgL 3938
—39].
9. P.'s abschied von seiner gattin.
W. 222, 12—28 t/> C. 3910—23 die freude im lande, im ein-
zelnen ganz abweichend geschildert. — W. 222, 29 — 223, 14
s£ C. 4088—94. — W. 223, 17—22 = C. 4095—99. — [W. 223,
23 fügt als zweites motiv den wünsch nach abenteuern hinzu.]
— [W. 223, 26 — 30 P. nimmt Urlaub, den ihm seine gattin aus
liebe nicht versagt; er trennt sich von seinen mannen und
reitet allein fort. C. 4100 — 4151 P. wagt nicht von seiner
geliebten Urlaub zu nehmen, sie versagt ihm denselben (ähn-
licher unterschied beim abschied von Jeschute); auch alle
mannen bestürmen ihn mit bitten. Er verspricht widerzu-
kommen mit seiner mutter, wenn sie noch lebt, sonst allein.
Die mönche und nonnen geleiten ihn in feierlicher procession;
er verspricht, seine mutter in ihrem kloster nonne werden zu
lassen oder für ihre seele messen zu bestellen.]
3*
36
LICHTENSTEIN
Ich übergehe nun P.'s besuch auf der gralburg und scheide
auch aus dem folgenden abenteuer alles aus, was sich auf die
gralwunder bezieht.
Parzivala oouaine (Sigune).
W. 249-255. 138-142,2. C. 4606-4864.
C. gibt in diesem abschnitt ausser einigen andeutungen
über den gral den ohne grund so lange verschwiegenen namen
des beiden. Letztere aufgäbe hatte W. schon in einem früheren
einschub (s. s. 15) erledigt und verweist hier noch ausdrück-
lich darauf, indem Sigune zweimal als diejenige bezeichnet
wird, die P. seinen namen gesagt habe (252, 13. 28 — 29). Auch
aus den versen 139, 20 und 141, 26 scheint hervorzugehen, dass
die ganze scene früher hinter dem gralabenteuer gestanden
hat. Zur gewissheit vollends wird die annähme, dass W. eine
derartige teilung vorgenommen habe, ') durch die tatsache, dass
beide Sigunen-abenteuer sich ergänzen und nur zusammen ge-
nommen den inhalt des einen auftritts bei C. vollständig wider-
geben. Wir erhalten bei der vergleichung bald doppelte ent-
sprechungen, bald entspricht nur der erste oder der zweite
abschnitt W.'s dem französischen texte.
W. 138, 1—2. 13—14. 17—19 (249, 1—2. 11—15) £ C. 4606
—11 (slä, huof siege kraz = trace\ brach ir langen zöpfe — se
deraisnc; üz rehtem jämcr schrei, einer frouwen stimme jämmer-
lich ~ qui crie et pleure; üf einer linden — sous. .1. kaisne,
hs. von Möns sor). — [C. 4612—30 lange klagen der jungfrau.
W. 139, 24 drückt dies in einer einzigen zeile aus, dagegen
betont er 249, 15. 18—20. 24—25. 139, 25 — 140, 2 widerholt die
treue Sigunens.] - W. 138, 22-23 (249, 16—17) = C. 4632
—33. - W. 138, 15. 20 (249, 21-22) k2 C. 4634—35. — W.
(138, 25—27. 139, 25-28) 249, 26. 250, 1 g C. 4636—38. —
W. 138, 28 - 139, 2 (249, 27—30) £ C. 4639—41. — W. 141,
8—10 = C. 4642—43 (vgl. auch W. 135, 21 hiute morgen =
hui matin).
W. wird hier sogleich concret: er nennt den namen des
Schionatulander,*) der bei C. fehlt, und den namen des Orilus,
•) Schon Urbach s. 18 äusserte diese ansieht n. v. a.
*) Wahrscheinlich nach Ganatulander im Erec 1690 gebildet; s. Bartsch
s. 126. Heinzel s. 5.
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ZUR PARZIVALFRAGE.
37
der bei C. erst 4991 vorkommt; er sagt auch sogleich ausdrück-
lich, dass dieser den tod des ritters verschuldet habe, was bej
C. erst 4823 und 5001 ganz unbestimmt angedeutet wird. An
der letzteren stelle wird erzählt, dass Orilus soeben einen
getötet habe, wie er jeden töte, der seine gattin anspreche
(s. s.39). Diese unmotivierte grausamkeit konnte W. schon
aus dem gründe nicht gebrauchen, weil bei ihm P. unmittelbar
nach dem abenteuer mit Jeschute die Sigune mit dem toten
ritter trifft. Er gibt deshalb eine andere veranlassung zu dorn
kämpf oder vielmehr zwei verschiedene motive an [140, 28 —
141, 7 die Verteidigung der erbländer P.'s; 141, 16—23 die ge-
schiente vom brackenseil, weiter ausgeführt im Titurel].
W. 139, 7-8. 141, 27-28 (249, 27-30) = C. 4810-13. —
[W. 139, 9—22 P. greift in den köcher und findet Jeschutens
ring und spange; das veranlasst den dichter zu einigen be-
merkungen.] — W. 253, 6— 8 ^ C. 4804— 6. 8— 9. — C.4802
— 3. 7. 16 — 19 P. schlägt der jungfrau vor, mit ihm weiterzu-
ziehen; sie will das um keinen preis tun, auch ihren geliebten
nicht verlassen, bevor er beerdigt ist. Dazu vgl. W. 253, 9 — 18
Sigune ist durchaus nicht gewillt, sich mit einem anderen
manne zu trösten, wie Lunete im Iwein das geraten hatte. —
W. 141, 11— 12.24 (252,19—23) = C. 4783— 87.
'deiswar du heizest Parzival ... devine et dist que il avoit
ein Waleis von der muoter din . . .' Percevaus Ii Galo is a nom.
dö sprach si 'du bist Parzival'.
Bei C. weiss er seinen namen nicht und rät ihn; bei W.
kennt er nur seine kosenamen (140,6, s. s.8), daran erkennt
ihn die cousine, und sie erkennt ihn ein zweites mal, da ja
die begegnung verdoppelt ist, an seiner stimme [251, 28]. Die
glückliche änderung W.'s ist vorbereitet durch C. 4772 je te
conois mius que tu inoi. — W. gibt auch eine deutung des
namens Parzival [140, 17 der name ist rehte enmitten durch],
dennoch bezweifele ich stark, ob er den namen so verstanden
W. 140, 4
si vragte in wie er hieze.
10
si erkant in bi dem namen san.
16
C. 4748
'coment aves vos nom, amis?'
et eil ki son nom ne savoit
2«
251,29
38
LICHTENSTEIN
hat, wie wir ihn heute verstehen, und wie er schon im alt-
französischen gedeutet wurde1): perce val oder perce aval, son-
dern er scheint nur an die praeposition par gedacht und daher
auch den namen entsprechend umgestaltet zu haben. — [W.
140, 25 ein Anschevin].
W. 140, 21—24. 141, 13 (252, 15) C. 4772—77. — [C. 4769
—71 P. erfährt den tod seiner mutter.] Seltsamerweise em-
pfängt er dieselbe nachricht noch einmal bei dem eremiten,
ofone erkennen zu lassen, dass er sie schon weiss. W. unter-
drückt die erste stelle sammt der folgenden argumentation
[C. 4797— 4801], benutzt aber einiges für die spätere Unter-
redung: W. 476, 12-13. 25— 26. 490,20-25 ^ C. 4769— 71 =
7766—72. — W. 476, 21-24 ^ C. 4788—93. — W. 476, 16—18
xr. C. 4796— 98.
W. 141, 30 — 142, 2 = C. 4820—29 sie zeigt ihm den weg
zu dem mörder ihres geliebten: nach W. einen falschen weg,
weil sie P.'s tod fürchtet; nach 0. wünscht sie nicht, dass P.
nachziehe (offenbar aus demselben gründe), und doch hasst sie
den mörder tödlich.2)
W. 250, 3—5. 20—23 g C. 4644—50 drUec tntln = bounes
V. liues). — W. 250, 19 vgl. C. 4658—60. — [C. 4652—57 sie
findet sein pferd gut verpflegt.] [W. 250, 6 — 11 sie macht ihn
auf die gefahren der gegend aufmerksam.] — W. 250, 13 — 16
= C. 4661—70.
W. 255, 30 £ C. 4862. — [W. 255, 21—29 P. möchte sein
vergehen wider gut machen; Sigune aber will nichts mehr von
ihm wissen.]
Orilua.
W. 256—279. C. 4865—5463.
[W. 256, 1—10 Übergang: P. wird von reue und von der
hitze des tages gequält.]
1. Begegnung mit Jeschute.
W.256,11— 12. 256,14—257,25. 260,6—7. 258,24—29. 257,
27 ^ C. 4865-4913. 4930, vielfach wörtlich übereinstimmend, nur
dass W. die hässlichen spuren [C. 4906] unterdrückt, überhaupt
') Holland, Crest. von Troyes 8.55. Hertz s. 104. Heinzel 8.90.
•) Küpp s. 25 hat hier 0. niisYeratanden, er interpretiert : 'doch wünscht
sie den tod des mörders nicht \
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ZUR FARZIVALFBAGE.
39
die Schönheit der dame weit mehr hervorhebt als C. (dieser
sagt nur biele et gente fust) und ausserdem ihre Vornehmheit
[W. 257, 7] und vor allem ihre edle Weiblichkeit [257, 23—24.
26 — 30. 260, 8 — 11] im gegensatz zu ihrer augenblicklichen
demütigung betont. — W. 256, 16. 259, 2—4 g C. 4914—17. —
[C. 4921—51 klagen der dame.]
Die folgende Unterhaltung zeigt recht interessant, wie W.
ein stellenweise etwas unklares stück C.'s ausdeutet und dabei
die Situation unbewusst verschiebt.
W. 285, 1 C. 4952
(16 Parziväl gruoz gein ir sprach lors Ii dist: 'bele, dex vos saut!'
62
[an in si erkenneclichen sach]. 'ciertes, je ne pens ne ne croi
5 qne jon onques mais vos veüsce,
si sagete 'ich h&n iuch 6 gesehn. ne riens nnle vos meffcsisce.'
d& von ist leide mir geschehn: 'si as, fait eile, qne je sni
doch müez in freude nnt £re tant caitive et tant ai anni' . . .
got immer geben mere 57
4 Ii tnens cners ait ce qu'il voroit!
denn ir nm mich gedienet hät.' et se n'i ai jou mie droit.'
Bei C. erwidert die dame P.'s gruss unfreundlich, und als
er nach dem gründe fragt — er habe sie doch nie gesehen
und sich durch nichts gegen sie vergangen — da antwortet
sie: 'doch, denn ich bin so unglücklich, dass mich niemand
grüssen darf.' Darin also besteht in ihren äugen (und in denen
ihres mannes) sein vergehen, dass er sie gegrüsst hat. Dass
sie ihn erkennt, davon steht nichts da. W. aber bezieht das
si as! der antwort auch auf das veisce in v. 4963 (was ja sehr
nahe liegt), und das vergehen bezieht er auf jene frühere
umarmung, wodurch die bei C. zunächst fehlende Verbindung
der abenteuer hergestellt wird. Daher W. 258, 2 an in si er-
kenneclichen sach und dann der Vorwurf 258, 10—14 (dazu vgl.
C. 4968—69).
W. 258, 15—23 = C. 4961. 70—80. — [W. 259, 5—10. P.
bietet ihr gutherzig sein kursit an.] — W. 259, 11—18 — C.
4981—88. — \V. 259, 19—22 = C. 4989— 96. — W. 259, 23—
26 = CL 4949-51. — W. 260, 3—5 = C.4998. — (C.5001 =
W. 135, 21—24, s. s. 16). — [C. 4997-5000. 5002-4 der gatte
töte jeden, der sie anspreche, und erzähle vorher jedem den
grund seines zornes, s. s. 37.] — [W. 260, 12—17 motivierender
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40
LICnTENSTEIN
Übergang. Während P. sich kampfbereit macht, beginnt sein
ross zu wiehern; dadurch wird Orilus aufmerksam.]
2. Dazwischenkunft des Orilus.
W. 260, 18—19. 22—26 = C. 5005—8. — [W. 260, 27 — 262,
13 Schilderung der waffen des Orilus, als eigene zutat W.'s er-
kennbar durch die conipilation aller möglichen vorher dagewe-
senen namen und details: ein roter Speer von Gaheviez, heim
von Trebuchet gefertigt, schild aus Dolet, Kailets lande, etc.
Das land Tenabroc, schon erwähnt 232,25, stammt aus dem
Erec 2233. 2240, 2352 (s. Bartsch s. 125).]
C. 5009— 91 Li Orguellous erzählt die Ursache seines zornes.
P. gesteht, dass er selber der Urheber gewesen sei, und be-
teuert die Unschuld der dame; drohende wechselreden. W. gibt
von den bekannten tatsachen, die dem streite zu gründe liegen,
nur ein kurzes resume 264; die beteuerung P.'s enthält der
wunderliche eid nach dem kämpfe 269, und auf den anfang
seines zornes kommt Orilus noch einmal 271 zurück. Ueber-
einstimmung in allem wesentlichen und selbst wörtliche an-
klänge sind nicht zu verkennen, nur dass C. historisch schlicht
erzählt, während W. in seiner etwas krausen, hastigen art
vorgeht, eigene betrachtungen einmischt [264,4—5.16—19.25
—30], den Trevrezent mit seiner klause anticipiert [268, 25—30]
und aus Hartmanns Erec und Iwein den wilden Dodines ') ein-
führt, dessen bruder einen speer dort vergessen haben soll
[271, 10—13].
W. 264, 1—19 = C. 5030— 33. 51—72, vgl. besonders:
W. 204, 2 C. 5051
daz sin wip wol geborn pur ce quic jou qu'il giut a Ii . . .
da vor was genotzogt ... 58
8 orena son loier si der
uut daz si guneret m'ainie com il Ii apert:
het ir kiusche unde ir pris qui fait folie sei compert,
mit einem andern Amin, si qu'il se gart del renkeoir.
des lasters nam er phlihte. monlt m'en pot on irie veoir
onch ergienc sin gerihte quant jou reving et jou le soi,
über si . . . et jurai moult ke droit en oi.
4
er was iedoch ir rehter Yogt
») Erec 1030. Iwein 87. 4090; s. Bartsch s. 125. — Der name Troys
W. 271, 10 dient nur zum reim auf poys.
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ZUR PARZIV ALFRAGE.
41
Zu C. 5034—50 vgl. W. 201, 21 — 202, 18.
W. 271,8
'fürz forest in Brizljan
reit ich dö in juven poys.'
2
do ich die stiezen eine liez
269, 20
ob missetän
disiu frouwe habe, dÖ diz geschach
doz i'r fürspan von ir brach,
och fuort ich mer goldes dan.
ich waa ein t6re nnd niht ein man,
gewahsen niht pl witzen.
vil weinens, da bi switzen
mit jämer dolte vil ir lip.
sist benamn ein unschuldic wip.
Ueber die bedeutung des galois s. s. 12. — Dass P. bei
W. seine handlung anders beurteilt als bei C, fällt nicht ins
gewicht. Die grundzüge zu jenem merkwürdigen eide bei W.
sind unverkennbar bei C. vorhanden. Ja selbst die ganze
scenerie sammt dem gemalet sper hat eine verdächtige ähn-
lichkeit mit einer späteren stelle C.'s, die dort bei W. fehlt:
C. 5019
'voirs ert k'ales el bois estoie, ')
et ceste damoisele avoie
laissie en nn mien pavellon,
et n'amoie rien se Ii non;
tant ke par aventnre avint
que nns varles galois i vint
75
'aniis, or sacies sana dotance
qne ele a fait sa penitance,
car je sui eil qui le baisa
maugräsuen, et moult Ten pesa,
et son anel en son doi pris,
ne plus n'i ot ne plus ni fis;
84
de con ne fis je pas que fols.'
W. 268,25
dä wart niht langer da gebitn . . .
28
eine kefsen Parzival dä vant:
ein gem&let sper derbi da lent.
269,2
er nam daz heiltuom, druf er swnor.
C. 7573
X monlt pressieus saintuaire
Ii a on maintenant fors trait,
et il a le sairement fait
qne il metra tote sa paine
a querre la lance qni saine.
Auch die veranlassung, diese eidscene einzuschieben, hat
W. aus C: 5319 que le mal n'avoit ele mie deservi, ce te puis
jurer.
3. Der kämpf.
W. 262, 14— 19. 265,10—13. 263,2—5 g C. 5092— 5100.
— W. mustert diesen kämpf mit kennerblick [262,20—263,1.
263, 6 — 30. 265, 4 — 9], aber er verändert durchaus subjectiv die
kämpf Ordnung, indem er den sch Wertkampf noch zu pferde
') Variante oen en bois alis estoie, Germ. 3, 98. Bartsch im commentar
vermutet, dass der von W. benutzte text en i'oen« bois las.
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42
LICHTEN8TEIN
ausfüliren lässt (263,23) und daran ein ringen anschliesst,
durch welches P. den gegner aus dem sattel hebt und mit
ihm zu boden springt. Bei C. räumen sie die sättel beim
lanzenstoss, et porte Ii uns Tautre jus. Uebrigens hält C. es
für verlorene mühe, von dem kämpfe viel worte zu machen
(5306—7).
[C. 5101 — 5304 interpolation der Monser hs.; s. Urbach s. 19.]
W. 265, 1. 4. 18—19 (265, 30 — 266, 6) ^ C. 5305. 8—10. — Bei
W. weigert sich Orilus zunächst sich zu ergeben mit denselben
Worten, die P. bei C. vor dem kämpfe spricht: W. 265, 24. 26
^ C. 5090—91. — [W. 265, 27 — 267, 8 er wird noch einmal
von P. bedrängt, will sich aber auch jetzt nicht zur Versöh-
nung mit seiner gattin verstehen, bietet vielmehr ein land
seines bruders und sein eigenes herzogtum als lösegeld an.] —
[C. 5311 — 14 P. erinnert sich der lehre des Gornemans.] —
— W. 265, 20—23. 266, 7—9. 267, 25—30. 269, 18—21 ^ C.5315
—20; vgl. s. 41.
4. Die Versöhnung der gatten.
W. 270, 23 — 271, 1. 6—7 & C. 5321—27. — W. 267, 12—24
(276, 21) = C. 5334—41. 47—58. Der gruss an Artus' frau.
W. 267, 21 ist anticipiert aus C. 5424; umgekehrt ist die be-
zeichnung chevalier verntel C. 5339 hier tibergangen, aber W.
276, 21 angewendet. — fC. 5328—33 es wird ihm auch befohlen,
seine frau durch bad und pflege wider frisch und gesund zu
machen, wozu er sich 5363—65 bereit erklärt. Bei W. tut er
dies aus eigenem antrieb 272. — C. 5342—46 er soll das aben-
teuer bei hofe erzählen; vgl. 5002— 4.J — [W. 268, 7— 24. 270,
2—22 ausbrach der gattenliebe. Die eidesscene scheint erst
nachträglich zwischen diese beiden abschnitte hineingeschoben
zu sein.] — W. 268, 3—6 t/> C. 5359—62. — W. 271, 18—23 =
C. 5366— 75. — W. 271, 25— 27. 272,4—6 ^ C, 5328—31; statt
des rice nmnoir O.'s setzt W. das poulün, das wir von der
ersten begegnung her kennen. — W. 272, 1. 4—6. 27. 273, 15
—25 = C. 5362—65. 76—79.
W. stattet diese versöhnungsscene mit einer menge gemüt-
voller einzelheiten aus, wobei das meiste als eine weitere aus-
führung des Crestien'schen et tant Ii fist cCaaiscment gelten
kann: 1 271, 27 — 30 das volk nimmt herzlichen anteil an der
Versöhnung; die messenie niuss bei dem plus rice tnanoir O.'s
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ZUB PARZIVALFBAGE
43
ja auch als anwesend gedacht werden. 272,21 zwölf schöne
jungfrauen besorgen das bad. 272,2—3. 20. 273, 12—13 Orilus
selber nimmt ein bad. 272, 11—18 reflexion über die liebe J.
5. Empfang bei hofe.
Hier treffen wir auf grössere differenzen: a) Artus' residenz
befindet sich nach C. 5382 in Carlion, von wo er erst nach
der ankunft des Orilus aufbricht. Nach W.273, 1—11 scheint
er sich schon unterwegs zu befinden, aber nachträglich erfahren
wir erst, dass er von seinem hause in Karidcel aufgebrochen
war (280,2). Karid&l ist auch nicht identisch mit Carlion,
sondern mit Carduel C. 1548. 2031. Bei W. sind überhaupt
die orte etwas durcheinander geraten. Zur klarstellung gebe
ich hier eine Übersicht über die residenzen des Artus in den
einzelnen abenteuern bei W. und C:
1. P.'s 1. auftreten: Nantes W. 144,8 Carduel C. 1548. 2031.
2a. Kingrun: Kanninäl in Bertäne 206,6 — 9 1 Dinatiron en Gates
b. Clamide: Dianazdrun in Löver 216,4.7.10 / 3907. 3929
3. Orilus \ (Karidcel 280,2) ,3. Carlion 5381.
4. P.'s 2.begegnung \ üf einem plan 273,2. 274,28 5533. 5984.
bidem Plimizal ze tal 273, 10 > 4. en une praerie
281, 14 I les une f ortest
Nimmt man an, dass, wie ich s. 16 vermutet habe, Nantes
ein misverstandnis aus .1. asnes (C. 2028) ist, dann hat man
den Schlüssel zu der ganzen Verschiebung der namen bei W.
Dass er für Kingrun noch einen besonderen empfangsort an-
setzt, kommt daher, dass er die reisen Kingruns und Clamides
getrennt schildert (s. s. 34). Das land Galcs konnte W. für
Artus nicht gebrauchen, da dies bei ihm ja das land P.'s ist
(Wals oder Wäleis — Valois); statt dessen finden wir bei ihm
Löver*) und Bertäne, wie es scheint promiscue; diese dürften
ihm wol als länder des Artus bekannt gewesen sein.
b) Die empfangs-formali täten. Bei C. ist es Artus, der
die huldigung der besiegten empfängt, sie begnadigt und zu
*) Von W. niisverstanden nach Bartsch, anra. zu W. 610, 17.
*) Nach Heinzel s. 13 identisch mit Logres C. 10007, dem geburtsland
der Orgelnse, bei W. Lögroys 67, 15. 506, 25. Noch mehr passt hierher 0.
7543 /* roiaumes de Logres, falls die stelle echt ist
115, 12 1 5538—39.
en Oranie 10258
(bien en ai la novele ole)*)
5. Gawans böte: Berns bi der Korea 610, 17
44
LICHTENSTEIN
der von Keu geschlagenen jungfrau führen lässt. "W. kehrt
die scene in der regel um: der besiegte stellt sich als gefan-
gener der Cunneware, die ihn freigibt und ihm gastfreundschaft
erweist; dann begrüsst er den könig (W. 275, 12— 13. 19—20.
276,1—11. 278,8—23. 279,11—30). Das hängt mit der ver-
änderten Stellung der Cunneware zusammen, die W. zur fürstin
gemacht hat (s. s. 19).
c) Cunneware ist bei W. Orilus' Schwester [275, 20 — 276,
3.27—30; vgl. 135,14—15. 152,20—23].
d) Die rolle der Jeschute, der gattin des Orilus. die sich
bei C. ganz passiv verhält, gewinnt in dem deutschen gedieht
an bedeutung. Sie ist hier die treue gefährtin ihres mannes,
stets bereit ihm zu dienen [W. 274, 24—25. 275, 6], obwol sie
von königlichem geschlecht und eine Schwester Erecs ist [277,
18—29 vgl. 134, 2 ff.]
e) W. setzt zwischen Orilus und dem hofe gespannte be-
ziehungen voraus [277, 30 — 278, 5, vgl. 135, 7—13], ebenso bei
Clamide, s. s. 34.
f) Die ähnlichkeit dieser scene mit dem empfange Cla-
mides veranlasst W. von dort einige kleine züge zu entlehnen:
der besiegte erscheint in demselben aufzuge wie er aus dem
kämpfe kam (274,6—11. 275,2-4 vgl. 217, 21— 27 = C. 3898
—3905). Gawan und Jofreit fiz Idoel [dazu Clamide u. a.J bieten
ihm ihre dienste an (277,4—11 vgl. s. 35); die veranlassung zu
dieser anknüpfung bot C. 5463 f. et puis desarmer le commande;
et messire Gawains demande — Cunneware hat die schuld
nicht vergessen (W. 279, 4—8 vgl. C. 4074—84, dort von W.
übergangen). — Dagegen unterdrückt W. die jedesmal wider-
holte Prophezeiung des toren [C. 5450 — 54] und berührt nur
kurz die immer darauf folgenden vorwürfe gegen Keie (W. 277,
1—2 = C. 5455—59).
Man braucht nur ein wenig W.'s eigenart bis hierher be-
obachtet zu haben, um zu erkennen, dass man alle diese
änderungen ihm eher als irgend einem anderen zutrauen kann.
Dasselbe gilt wol auch von der beteiligung des volks beim
abschied (s. o. bei der Versöhnung) und von der einführung des
ritters, der den weg zu Artus weist [W. 273, 1—11. 274,14 —
18. 22— 23J. — Die poulün des Artus 273, 3. 274, 20 sind anti-
eipiert aus C. 5527. — Schliesslich nimmt noch bei W. einen
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ZUR PARZIVALFRAGE.
45
breiten räum die wappenschilderung ein, die das motiv der
widererkennung des Orilus durch seine Schwester ergibt [275,
21. 276, 10. 278, 14—20 vgl. 262, 4—13. 265, 17].
W. 274, 13. 19—20. 24—29. 273, 2 = C. 5380—85. — W.
275, 8. 17—19. 276, 4—8 = C. 5386—95. — [C. 5396— 5410. 5415
—22 der könig heisst ihn voll freude willkommen (W. 275, 18)
und fordert ihn auf sich zu entwaffnen. Orilus will zuvor die
königin mit ihren jungfrauen sehen; diese werden herbeigeholt.]
— W. 275, 12—15 = Q 5411—14. 37—38. — W. 276, 11 = C.
5462. — W. 276, 19—26 (277, 12) = C. 5423—29. 39—49. —
W. 277, 14—16 vgl. C. 5430—31. - [C. 5432-36 Oril. erzählt,
wie er seine frau behandelt habe, vgl. W. 278, 3 — 5. — C. 5450
—54 widerholte Prophezeiung des toren.] — W. 277, 1— 3 =
C. 5455—59 vorwürfe gegen Keie (bei C. vom könige aus-
gehend, wie früher). — W. 278, 21. 277,4—11 <✓> C. 5463— 64
(s.o.). — W.279,16— 18 = C.5460— 61. — [C. 5464-5510
auf Gawans frage erzählt der könig ausführlich P.'s erstes
auftreten bei hofe, vgl. W. 278, 24— 26. 280,11—15.]
C. hat hier unendlich viel widerholungen. Die botschaft
wird mit denselben Worten vorgetragen, wie sie aufgetragen
wurde; dann folgt die Prophezeiung des toren mit den vor-
würfen des königs und schliesslich die ganze lange erzählung
des königs Artus. W. bringt nicht nur abwechslung in die
reden, er gibt auch der ganzen scene neuen reiz durch das
schwesterliche Verhältnis der Cunneware zu Orilus, und wir
empfangen den eindruck eines gemütlichen familienfestes [vgl.
Urbach s. 21).
Parzivals zweite begegnung mit dem hofe.
W. buch 6. C. 5511— 6191.
1. Der aufbrach des hofes.
In W.'s gedieht, wo sich der hof schon bei der ankunft
des Orilus unterwegs befindet (vgl. s. 43), werden hier, dem
französischen text entsprechend, die näheren umstände des
aufbrachs nachgeholt.
W. 280, 1—3. 5. 8—10 =?= C. 5511. 18. 33—34. — [C. 5522
—32.35—37 zurüstungen zur abreise; vgl. zu W.273,3 8.44.
die königin mit allen frauen nimmt teil.] — [W. 280, 7 acht
tage ist der könig unterwegs.] — W. 280, 19 — 281, 9 ^ C. 5512
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46
LICHTENSTE FN
—21 gelübde: bei C. gelobt Artus, nicht zwei nächte nach-
einander in einer kammer zu liegen, bevor er P. gefunden
hat; die ritter fügen sich; — bei W. lässt Artus die ritter
geloben, sich in keinen kämpf ohne seine besondere erlaubnis
einzulassen; dies ist anticipiert aus C. 5728— 34.
2. Die drei blutstropfen.
W. 281, 12—13. 282, 4—6. 9. 11 — 0, 5540=48. — W. 282,
13—21 = C. 5549—60. 64—66. — W. 282, 23—29. 283, 5—9.
16—23 ^ C. 5572—90. 92.
Unterschiede: bei C. ist P. aufgestanden, um abenteuer
zu suchen, bei W. hat er die nacht im freien zugebracht.
Bei C. sind die gänse durch den schnee geblendet, bei W. hat
der falke durch den schnee den weg verloren. Sein erscheinen
wird bei W. begründet und an das vorhergehende angeknüpft ;
zugleich dient er mit seinem nächtlichen verweilen als folie
zuP. [281,23 — 282,3.12]. — Bei C. lässt der falke von dem
kämpfe ab, weil er zu matt ist; bei W. findet die verfolgte
unter einem gefällten baumstamm Unterschlupf, sie ist zum
hochfliegen nicht mehr fähig. — Bei W. wird P. durch die
drei blutstropfen auf dem schnee nicht nur an die färben in
dem gesiebt seiner gattin, sondern auch an die formen des-
selben erinnert [283, 10— 13J. — [W. 281, 14—22 literarischer
seitenhieb.J
Im übrigen zeigt sich engster anschluss und namentlich
gegen den schluss wörtliche Übereinstimmung, z. b.
3. Kampf mit Segramors.
W. 283, 24—29 = C. 5591—92 (bei 0. mehrere knappen,
bei W. der knappe der Cunneware). — W.285, 11— 13. 284,4.
285, 2—10 = C. 5594—99 (die kurze Charakteristik des Segra-
mors ist bei W. anschaulich ausgeführt, wobei auf den Rhein
bezug genommen wird). — W. 284, 8 — 22 waffenruf des knap-
pen, vgl. 407, 13 ff.; als zeichen der heransf orderung gilt es,
die lagerschnüre zu durchreiten (284,22) und mit aufgerich-
tetem Speer zu rosse in der nähe des lagere zu halten. Diese
W. 283,10
C. 55S0
Bus begnnder sich verdenken,
nnz daz er unversunnen hielt.
si pensa tant que il s'oblie.
23
sus hielt er als er sliefe.
93
si quidoient qu'il soinellast.
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ZUR PARZTVAL FRAGE.
47
offenbar aus den ritterlichen anschauungen der zeit genom-
menen zutaten W.'s bedingen weitere änderungen, insofern es
sich nun bei den tafeirunden von vornherein um kämpf han-
delt, während nach C. Parz. nur an den hof gebracht werden
soll. Nur einmal 294, 5 hat W. verabsäumt, diese änderung
durchzuführen.]
W. 284, 24—27. 1—3 = C. 5600—5 (bei C. ist Segramors
der fragende, bei W. viele ritter; bei C. kurze wechselrede,
bei W. indirecte und erzählende form). — W. 285, 14 — 15. 19.
29 = C. 5608— 11 (bei W. ist die königin Gynover mit herein-
gezogen). — [W. 285, 16—18. 20 spasshaftes intermezzo. —
286, 1—14 als neues niotiv für sein verbot führt Artus die
nähe der gralburg an. Dieser zusatz ist nicht ganz gerecht-
fertigt: denn woher konnte Artus wissen, dass die gralburg
in der nähe sei? — 285,21—27.30. 286,15—22 auf die für-
sprache der königin, seiner verwanten, erhält Segramors die
erlaubnis zum kämpfe.] [C. 5612—14 der könig befiehlt Se-
gramors und bittet ihn zugleich, den ritter an den hof zu
führen.]
W. 286, 23—26. 287. 5—6 = C. 5615—21. — [W. 286, 27—
287, 4 humoristische Schilderung. — 287, 11 — 18 persönliche
bemerkung des dichters über die minne.] — W. 287, 7 — 10. 25.
28 — 288, 3 = C. 5622—31 (C. geht von der aufforderung, an
den hof zu kommen, aus, W. von dem Vorwurf der beschim-
pfung des königs, s. o.). — W. 288, 5—6 = C. 5632—35. —
W. 288, 7—9. 14—16. 20—26 = C. 5638—46 (bei C. wird P.
durch einen anruf des Segramors wider zum bewusstsein ge-
bracht, bei W. durch eine instinctive Wendung seines pferdes,
welche die blutstropfen seinen blicken entzieht). — [W. 288,
17—19 s. zu 271, 10—13 s. 41.] — W. 289, 3—4. 13—14. 20.
290, 3—5 = C. 5647—55 (W. 289, 14 daz si Parzivälen sähen
vielleicht falsche deutung von C. 5649 et eil le voient).
[W. 288, 27 — 289, 2. 289, 5 — 290, 2 P. beginnt wider auf
die blutstropfen zu starren, während Segramors zu seinen ge-
nossen zurückkehrt, wo er seinem ärger luft macht. C. schweigt
darüber, was die beiden kämpfer nachher tun; indessen die
analogie des zweiten kampfes (C. 5706 — 7) und, mit bezug auf
Segramors, die worte Keies (C. 5655 vee's com Saigremors re-
vient) können recht wol die veranlassung zu dieser erweiterung
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48
LICHT ENSTE IN
geboten haben, die übrigens durchaus in Wolframs stile scher-
zender reflexion gehalten und mit heimischen reminiscenzen
geschmückt ist: 289, 17 = Veldeke,MSF. 66, 16; ferner 289, 24
vgl. Winsb. 20, 9.]
4. Kampf mit Keie.
W. nimmt offen Keie in schütz (besonders 296,13 — 297,30),
er bemüht sich, ihn von jedem Vorwurf freizumachen (W. 290, 3
Keye der küene man : C. 5652 Kex qui onques ne se pot tenir
de felonnie dire, vgl. auch s. 19. 21. 44); und aus diesem gründe
übernimmt er den spott gegen Segramors auf eigene rechnung
(W. 289, 5— 12 : C. 5655— 57).
W. 290, 8—22 = C. 5660—66 Keie erhält die erlaubnis
zum kämpfe (bei C. den auf trag, den ritter herbeizubringen,
vgl. unter no. 3). — W. 290, 23—28. 293, 19—21 == C. 5667—71
(vgl. besondere 290, 28 ez ist siinde, swer im mer nu tuot :
C. 5671 il n'avoit d'autre cose soing).
[W. 291, 1 — 293, 13 umfangreiche abschweifung über die
macht der minne, mit beziehung auf Heinr. v. Veldeke; vgl.
289,16—17; ferner 283, 18— 19. 287,11—18. 288,30. 290,29—
30. 293, 24—27. 294, 9. 21—30. 296, 5—12. 300, 14—19; aus C.
stimmt hierzu 6249— 52.J
W. 293, 28 — 294, 8 = C. 5672-75. - fW. 294, 10—20. 295,
1—9 selbst ein schlag von Keies lanzenschaft rüttelt P. nicht
aus seiner erstarrung auf; erst die wendung seines rosses zieht
seinen blick von den blutstropfen ab, vgl. den vorigen kämpf.]
— W. 295, 1—2. 10—30 = C. 5676—97 W. hat in diesen kämpf
einige abwechslung hineingebracht, z. b. wird das ross des geg-
ners getötet, während es bei C. wie im vorigen kämpfe ledig
ins lager zurückläuft. Die Verwundung Keies ist vermehr^
indem zu dem gebrochenen rechten arm noch das linke bein
gefügt wird. Hat vielleicht das wort canole C. 5688 hierzu
veranlassung gegeben? — Von den Übereinstimmungen sind
charakteristisch: W. 295, 19 übern ronen <s- C 5687 sor une
roce. W. 295, 28 sus galt zwei bliwen der gast = C. 5692 si
com Ii sos le devina.
W. 296, 1—4 = C. 5706—7. — W. 298, 2—5 = C. 5700—5.
5723. — [W. 296, 13 — 297, 30 ehrenrettung Keies mit hinweis
auf die zustände am thüringischen hofe.] — [C.5708— 22. 24—26
der könig ist sehr betrübt über das Unglück seines seneschalls,
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ZUR PARZIVATjPKAGE.
40
den er liebt, und schickt ihm seinen arzt und zwei jungfrauen
aus der schule desselben; zu vgl. W. 575, 1 — 576, 19.]
5. Gawan führt P. an den hof.
W. 298, 6. 8 = C. 5727 (C. 5728—34 ist bei W. vorweg-
genommen 280, 20—25 s. s. 46. — C. 5738—41 ist später an-
gebracht W. 301, 21—25, ebenso 0. 5742—47 - W. 300, 9—10).
— W. 298, 9—11 C. 5735—37 (bei W. beklagt Gaw. den
Keie und nennt ihn seinen freund, vgl. 0. 5787 biaus dos amis).
— W. 298, 12—28 bs C. 5748—49. 59—63. 72—79 (gegen die
redefertigkeit Gawans). — W. 298, 29 ^ C. 5764—67. 77. —
W. 298, 30 — 299, 2 C. 5750—51. — W. 299, 3—12 = C. 5752
— 58. 68—71 Vorwurf der feigheit, bei beiden dichtern eigen-
artig ausgeführt; vgl.
W. 299, 13 der wol gelobte man und 299, 16 wol gezogne
man — C. 5797 eil ki de toutes les bontes a los et pris. —
W. 299, 20—26 — 0. 5782—87. — [0. 5791—95 der könig lobt
Gawans entschlaft, aber er solle alle warfen mitnehmen.] —
W. 299, 27—30 = C. 5796—99 [bei W. reitet er ohne schwert
und sporen aus].
W. 300, 1-2. 6— 8 g C. 5800— 3. 5810—12. — W.300,9
—10 = 0. 5742—47. — [C. 5804—9 da bereits zwei tropfen
und auch der dritte schon zum teil von der sonne aufgetrocknet
sind, ist P. nicht mehr so sehr in sein nachdenken verloren.
W. verschmäht dieses einfache und natürliche motiv und wählt,
wie in den beiden vorhergehenden fällen ein stärkeres mittel,
um P. seinen träumen zu entreissen: Gawan breitet ein sei-
denes tuch über die drei tropfen 301, 28—30, vgl. C. 5768—69.]
— W. 300, 11— 12. 301,1—3 = C. 5813— 19.
[W. 300, 12—30. 301, 5—19 P. antwortet weder auf den
gruss, noch auf die sanfte drohung, noch auf die bitte Gawans.
Echt wolframisch sind darin die beiden digressionen über die
minne (300, 14—19. 301, 3—25, vgl. s. 48), wovon die zweite
auf ein uns unbekanntes abenteuer aus Gawans leben anspielt.
Die ganze erweiterung lehnt sich an stellen aus C. an: W. 301,
Beiträge aar geschieht« der deutschen «pr»che. XXII. 4
W. 299, 3
och enist hie ninder fronwen här
5
C. 5708
ciertes, en .1. bliaut de soie
ez eiiwjere doch ein veate baut
ze wem strites inwer haut.
pories eeste besongne faire
(vgl. W. 301,28-29).
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50
UCHTENSTEtN
1—3 = C. 5816—19 s. o.; W. 301, 21—25 = 0. 5738—41 s.
s. 49.]
W. 302, 1—30. 305, 1—6 = C. 5808—9. 20—34 W.'s dar-
stellungsweise ist hier durchaus frei und originell. Nach ihm
erfährt P. auf seine fragen erst durch Gawan von den vorauf-
gegangenen kämpfen, während er bei C. eine erinnerung davon
hat. — W. 303, 1—4 ir. C. 5835—37. — W. 303, 5—10 ^ C.
5840—43. — W. 303, 14. 25—28 = C. 5860—64 bei C. fragt
Gawan zuerst P. nach seinem namen, nachdem er in ihm den
vom könige gesuchten erkannt hat 5856—59, dazu vgl. W.
308,24—25. Eine weitere parallele bietet eine spätere stelle
O/s (1. Gawan -episode), die hier offenbar von W. anticipiert
worden ist:
Gawan mich die nennent.
W. 304, 1—7. 303, 29 — C. 5865—73. 77—78. — fW. 303,
15—24 Gaw. nennt Artus seinen herrn und Lot seinen vater.|
— W. 304, 8— 21 £ C.5844— 55. - [W. 304, 22— 24 Gawan
zeigt P. die spuren des kämpfe*.] — W. 804, 30 j£ C. 5874—76.
(C. 5877—78 s. o., desgl. W. 305, 1—6.) — [C. 5879—91 sie um-
armen sich und lösen ihre helme. Knappen bringen die nach-
richt zum könige, vgl. W. 307, 17— 18.]
6. Empfang.
W. 305, 9—12 0. 5892—94. — [C. 5895—5911 Keu spottet
über den sieg ohne Schwertstreich.] — W. 305, 13. 24. (306, 10
—11) 306,24—25.29 = C. 5912— 21 (bei W. empfängt P. die
kleider von Cunneware statt von Gawan, er hat daher auch
aus dem cambrelen eine juncfrotre gemacht).
Der empfang durch Cunneware geht dem durch den könig
voraus, bei C. ist es umgekehrt, vgl. s. 44. — W. 305, 14. 16—
18.26- 306,4 C. 5974— 80 (bei W. dankt Cunneware ihm
für die geleisteten dienste, bei C. für das anerbieten, ihr ritter
sein zu wollen). — Zusätze: die erwähnung ihres bruders und
seiner gattin Jeschute, wodurch das ganze ein familiäres ge-
präge erhält [305, 19—20]; der kuss [306, 5—9]; die vertraulich
gemütlichen zurüstungen, die kostbaren Stoffe [306, 12-20.
W. 303, 25
C. 0099
min nam ist oucli vil unverholn,
an allen steten unverstoln:
linte die mich erkennent,
sire, (ranwains sni apieles;
onqnes mes iioms ne fu eeles
en liu on il nie fust reqnis.
ZUR PARZIVALFRAGF.
51
306, 30 — 307, 6]; das lob der Schönheit des helden und das
waschen [305, 22—23. 306, 23—28. 3u7, 7—12].
[W. 307, 13 — 30 der könig hat so lange die messe gehört
und kommt nun mit den tafelrundern in Gawans zeit, um P.
zu begrtissen. Antanor springt ihm vor und frohlockt über
Keies demütigung; dem entspricht C. 5948—53.] [0. 5922—32.
36 — 40 Gawan kommt hand in hand mit P. zum zeit des königs
und stellt ihn als den gesuchten vor. Auf befragen des königs
nennt P. seinen namen, wie schon einmal Gawan gegenüber
5860 f., s. s. 50.]
W. 308, 4-15. 23-29 - C. 5933-35. 41-56. — W.309,
3—11 Artus' gewohnheit, nicht eher zu speisen, als bis sich
ein abenteuer dem hofe naht, ist aus C. 4000 — 4 hierher ver-
setzt. — fW. 309, 12—30 einrichtung der tafeirunde s. u.] —
W. 310, 1-2. 8—12 = C. 5957. 60. 62—64 (bei W. führt Artus
Parzival und Cunneware an der hand, bei C. befindet diese
sich in der begleitung der königin).
C. 5965—73 P. und die königin tauschen höflichkeiten und
complimente aus. W. 310, 13 — 26 liefert dazu ein witziges
gegenstück. Wie vorher (281, 16) ArttU der meienbwre man
ihn zur satire gereizt hatte, so travestiert er hier la plus
bele, la mellor de toutes dames qui soient durch die einlad ung
des königs an Parzival ich teil iweren clären Up lasen küssen
min altes wip.
[W. 310, 27 — 311, 3 die königin verzeiht ihm den tod Ithers.]
— W. 311, 4—30. 309, 15—16 — 0. 5981—83. 86—88 fest zu
ehren P.'s, im einzelnen ganz verschieden geschildert; bei W.
langer excurs über die Schönheit des helden. — Jöfreit ßs Id(rl
aus 0. 6099, vgl. s. 35. — C. 5984—85 rückkehr nach Carlion
s. W. 336, 6.
7. Die gralbotin.
Die Schilderung der hässlichkeit zeigt ebenso viele wört-
liche anlehnungen wie freiheiten. Einige der schlimmsten
züge hat W. unterdrückt [C. 6009—15. 2—3], und er entschul-
digt sich noch hinterher wegen dessen was ihn die Wahrheits-
liebe zu berichten gezwungen habe [313, 26—28]. Seine zusatze
andrerseits sind geeignet, diese hässliche person etwas zu heben
[312, 9 — 313, 13 ausrtistung ihres maultieres; kenntnisse, name
und kostbare kleidung der jungfrau]; so auch die erste ein-
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52
LIECHTENSTEIN
führung ein rnagt gein triwen wol geborn und am schluss ihr
mitgefühl 318, 5 ff. 27 und die bezeichnung diu unsüeze und
doch diu ßere 319,2.
W. 312, 1—8 ^ C. 5988—90 (ein mül val = une fauve
mule). — W. 312, 15. 313,1—3 — 0. 5994— 97. 6018—19. —
W. 313, 17 — 314, 9 = (\ 5991—6008 (ein zopf swarz =
tresces trestoutes noires; genaset als ein hunt ^~ ses nes fu de
singe u de cat; ztven ebers zene = ses levres d'asne u de bueft
si dent sambloient mioel d'uef; gevar als eines äffen hüt truoc
hende diz gaibe trat, die nagele wären niht ze lieht — ains ne
ve'istes si noir fer come ele ot les mains et le cor; ein geisel
fuorte sc in der haut — tint en sa main destrc une escorgie).
W. 313, 20. 24—25 scheint der Schilderung des hässliehen
knappen der Orgeluse entlehnt zu sein (sie sind bei W. ge-
schwister):
W. 313, 19 ('.8350
(zopf) swarz, herte und niht ze dar, les kevians ot iuelles et rous,
linde als eins swines rilekehar. roides et contremont drecies
24
iet weder wintpra sich dranc come pors qni est hirecies;
mit züpfen für die harsnnor. et les sourcius ot antrete»
vgl. auch 313, 18.23. que tout le vis et tont le nes
Ii couroient jusques gernons,
qu'il les avoit torncs et Ions.
W. 314, 11—13 = C. 6016—17. — [W. 314, 14—18 grup-
pierung der speisenden; die königin von Janfuse s. s. 54.] —
fW. 314, 23 - 315, 19 Oundrie versagt Artus und der tafeirunde
den gruss, weil dieselbe durch P. entehrt sei. Nach C. 6020
— 22 grüsst sie den könig und seine barone, nur P. nicht.]
W. 315, 20 — 316, 28 = C. 6026—47. — Die parallele wird
ergänzt durch die Trevrezent-scene W.'s, wo ähnliche aufklä-
rungen Uber den gral erfolgen. W. 483, 22—23. 484, 3—8 =
C. 6049 — 52 (ern sol ab niemer künec wesen darf vielleicht er-
klärt werden durch übersehen von C. 6051 und misverständ-
liche auffassung von C. 6054 del rot qui tiere ne tenra). —
[C. 6053—61 unheilvolle folgen der unterlassenen frage.] —
[W. 317, 3-10 Feirenz.] - W. 317, 22 - 318, 4, s. s. 7.
W. 318, 11-24 ^ C. 6062-82. - [C. 6083-92 es gilt, eine
jungfrau auf Montesclaire zu befreien und das schwert as es-
tranges ranges zu gewinnen. Das ist offenbar ein besonderes
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ZUR PARZIVA I.FRAGE.
53
abenteuer, von dem auf Castel Orguellos verschieden, aber es
wird bei C. nicht fortgesetzt, und daher ist es vermutlich von
W. übergangen worden; aber die Übergangszeilen 6079—82
verwendet er mit bezug auf das erste abenteuer.]
Den namen Castel Orguellos C. 6067. 6101 verwandelt W.
in Schastel marveil 318, 19 und nennt auch das land Terre mar-
veile 557,6 wegen des Lit marveile 557,7 = C.9179 Uz de la
merveille; das ist bewusste angleichung. — Die insassen des
Schlosses sind nach W. vier kimiginnen und 400 juugfrauen,
nach C. 570 ritter, von denen jeder seine geliebte bei sich hat;
aber nach C. 8890 ff. sind drei königliche frauen, gegen 500
knappen und eine menge frauen, alte und junge, dort; vgl. auch
C. 8603 ff. 9092 f. W. 534, 27 ff. 600, 15.
W. 318, 25—26. 319, 19 f. = C. 6093—95. — [W. 318, 5—10.
318,27 — 319,18 mitgefühl Cundriens, des dichtere und der
anwesenden.]
Nach C. erklären sich sofort Gawan, Perceval und eine
grosse anzahl ritter bereit aufzubrechen. W. hat alles, was
mit dem aufbrach zusammenhängt, ans ende des buches ver-
schoben: doch wol in bewusster künstlerischer absieht.
8. Kingrimursel.
Kingrimursel (C. Guigambresil, Berner hs. Gninguebresil)
fordert Gawan zum Zweikampf auf den vierzigsten tag (ains
le cief d'ane quarantainc 6168) vor dem könig von Ascalun
(le roi de Cavalon 6169, d'Escavalon 6694, vgl. Hartm. Iwein
2274 kiince Ascalön) in der hauptstadt Schanpfanzun (nach
Bartsch aus tans et raison O. 7100 entstellt). Kingr. ist dem
hofe bekannt (W. 325, 3—4), aber er selbst scheint Artus und
Gawan nicht zu kennen, da er sie sich zeigen lässt [320, 14
— 16]; C. 6133 sagt ausdrücklich Guigambresil le roi conut. —
Im übrigen schliesst sich W. eng an C. an, aber sein stil wird
weitläufiger; der ausdruck der gefühle und der teilnähme der
anwesenden nimmt einen breiten räum ein [319, 28 — 320, 8.
320, 29—321, 4. 321, 23—322, 30. 325, 5—16], [W. 320, 10—13
W. 318,20
C. 6079
al äventinre ist ein wint,
wan die man da bezalen mar,
hoher minne wert bejae.
mais ki vorroit le pris avoir
de tont le mont. je qnic savoir
le lin et la piece de terre
u on le poroit mius conquerre.
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54
LICHT KNSTEIN
deutsche rechtsform der gerichtlichen anklage, s. Grimm, RA.
878. — W. 324, 11 — 18 verwantschaft zwischen Kingr. und
seinem könige.]
W. 319, 20—27. 320, 9 = G. 6125—32 (die wappenschilde-
rung übergeht hier W., während er sonst eine Vorliebe dafür
hat). — W. 320, 20—27. 321, 5 = C. 6134 -35. — W. 321, 8—15
= C. 6136— 43. — W. 321, 16— 22 ^ C. 6166— 71. — W.323,
1—23 = C. 6146—52 (für Ägrerains setzt W. Beäcurs, behält
aber die apposition der stolze man — Ii orgueüeus bei; ferner:
der spranc üf, sprach zehant = a son frere saut e Je tire et
si Ii dist Bei W. wendet er sich zuerst an Kingr. und dann
an seinen bruder). — W. 323, 24— 30 == C. 6153— 65. — [W.
324, 1—10 Kingr. weist ebenfalls das anerbieten des Beacurs
zurück. J — \V. 324, 25— 28 freies geleit, antieipiert aus C.
7516—22 :
'ouch gib iTm vride über al daz lau t, 'sire (»anwain, sire (Jauwain,
niwan von min eines hant: je vos avoie en eonduit pris,
mit triwen ich vride geheize mais taut i a que je vos dis,
üzerhalp des kämpfe» kreize.' que ja si hardis ne fussies
que vons el castiel entrissies
n eu tite que mesire etist,
se destorner vos en pleüst.'
9. Die abreise.
Hierher zieht W. auch das Zwischenstück C, 6096—6125
(s. s. 53). Auch sonst ist die scene ziemlich frei umgestaltet
und erweitert. Die abreise P.'s und der übrigen vergisst C.
ausdrücklich zu erwähnen; nur Gawans auszug wird genau
beschrieben. W. macht die Versäumnis gut, indem er einen
weitschweifigen bericht mit vielen fremdartigen Zusätzen ein-
schiebt: [W. 325, 17— 326. 8. 326,15—329,24. 330,1 — 331,10.
332, 1 — 333, 30. 334, 9—30. 336, 1—4. 7- 30. 337 nacht rag zu
der erzählung der gralbotin über P.'s eitern. Die heidin Ekuba
von Janfuse, deren auftreten durch nichts motiviert ist, be-
richtet über Feirefiz. der grieche Clias über die vier königinnen
auf dem wunderschiosse.1) Jedermann beeilt sich, P. zu trösten
') Diese einflieknng ist ungeschickt und mit dem übrigen schlecht
verbunden (vgl. Heinzel s. 40). Man muss annehmen, dass Artus und der
ganze hof die namen Amive, Sangive etc. gänzlich Überhören, denn sonst
mussten sie doch sofort wissen, um wen es sich handele, und später 072, 1 ft".
könnte Artus nicht in Unkenntnis über die namen sein.
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ZUR PARZIVALFRAGE.
55
(s. u.), dessen hochstrebender geist jede hilfe, auch die gottes
zurückweist. Die geschiente Clamides und Cunnewares wird
durch eine heirat zum abschluss gebracht. Nach der all-
gemeinen abreise rechtfertigt sich der dichter den frauen
gegenüber in einem epilog 337; vgl. 313, 26—28. 334, 10.
26—30].
W.325, 1— 2 = 0.6175. — W. 326, 5— 14 = C. 6184— 90
grosse trauer bei hofe: nach C. um Gawan, nach W. um Parz.
und Gaw.; vgl. auch W. 327, 21— 30. 331,1—10. 335,4—9. —
W. 329, 25—30 : C. 6105—18. — W. 331, 11—30 Artus und
Gawan bieten P. hilfe an, vielleicht aus 0. 6096: et mesire
Gautcains saut sus et dist que son pooir fera de Ii secorre.
Das Ii, das sich bei C. auf das fräulein von Montesclaire be-
zieht, könnte von W. falsch bezogen worden sein. — C. 6099
Giftes, Ii fiusDo s. zu W. 31 1,6 s. 51 und s. 35. — C. 6103 Ca-
hadins vgl. W. 351, 12 Kaheti, Kahadi, Ortsname; 386, 6 die
Kahetinc, Kahadme. — W. 334, 1—7. 23 = C. 6100 f. 6119—24.
— W. 335, 1—3. 10—21 ^0.6176—83 Gawan rüstet sich, er
nimmt mit: 3 (2) schilde, 7 (7) rosse, 12 speere (7 knappen).1)
Nach W. 335, 19 nimmt er die Speere ze sinen friwenden;
Bartsch erklärt 'als seine freunde und begleiter'; richtiger
wol 'von seinen freunden' (wie 384, 29 f. 465, 28); W. 355, 26
—29 Artus gibt ihm reiche geschenke mit; vgl. C. 6188: que
hon eheval et hone lance et hon ebne et hone espee ot present
a tut, mais lui ne plot quil emportast rien del autrui, was die
prosa von 1530 übersetzt: lesquelles choses lui furent plusieurs
foys presentees par ses amys chevalliers.
W.336,5 vgl. <\ 5984 Artus kehrt nach Karido?l (Carlion)
zurück (bei C. unmittelbar nach P.'s empfang); vgl. s. 43.
In dem epilog 337 führt W. zum beweise dafür, er Kunde
tviben sprechen baz, an: 1) die königin Belakane mit ihrer
treue gegen den toten geliebten; 2) froun Herzeloyden troum\
3) froun Ginovercn llaye an Ithcres endetage; 4) seine anteil-
nahme an der trauer Jeschutens und 5) an der Züchtigung Cun-
newarens und seine genugtuung über die herstellung der ehre
beider. Von diesen punkten sind 2—5 sicher W.'s freie zutaten
>) Die eingeklammerten zahlen sind die (Ys. Die knappen erwähnt
W. 352, 27 ff. 29 ff. 429, 3 ff.
56
LICHTENSTEIN
(zu 3 s. s. 21 ; zu 4 s. 39 und W. 137, 20—30. 257, 20—30. 260,
8—11; zu 5 s.33 und 44 und \V. 158, 27 ff. 198, 30 f. 206, 15.
215,9. 276,13). Es wird dadurch im höchsten grade wahr-
scheinlich, dass auch die figur Belakanens ebenso zu beurteilen
ist, dass also W. sich zu seiner rechtfertigung nur auf Schöpf-
ungen seines geistes beruft.
3. Ergebnisse der vergleichung:
das Verhältnis zwischen Wolfram und Crestien.
Aus der vergleichung, die wir bis zu dem einsetzen der
ersten Gawan-episode geführt haben, ergibt sich zur genüge,
dass die abhängigkeit W.'s von C. erheblich grösser ist, als
man bisher annahm. Für vieles, was man als ab weichungen
ansah, findet man bei widerholtem vergleichen die Vorbilder
bei C. Von solchen hier besprochenen punkten hebe ich her-
vor: P.'s vater (s. 7), P.'s brüder bez. Gurnemanz' söhne (s. 25),
P.'s kosename und seine erkennung durch Sigune (s. 8. 37), den
vergleich mit den kammerfrauen 123,28 (s. 11), die bezeichnung
torenkleider (s. 12), die warnung der mutter vor dunklen fürten
(s. 14), die belehrung bei Gurnemanz über das verhalten gegen
frauen (s. 24); die stummheit des toren und seine erste rede
bei W. 153, 1 (s. 19), Keies stab und die zöpfe der Cunneware
(s. 19), die laube im palast des Artus (s. 20), die polemik gegen
die frauen 201, 22 (s. 30), P.'s heirat (s. 30), Gawan und Jofreit
fiz Idu?l (s. 35), P.'s widererkennung durch .Teschute (s. 39), P.'s
eid, Taurians speer (s. 41), Artus1 residenzen (s. 43), sein verbot
des kampfes (s. 46), Kingrimursels freies geleit (s. 54).
Unter den abweichungeu führt Küpp auch Vergulahts
feenhafte Schönheit an. Diese hat ihre genügende entsprechung
in C. 6169 devant le roi de Cava Ion qui plus est biaus que Ab-
salon; — 7093 dont Ii uns estoit jourcnciaus sor tos les autres
gratis et biaus. Eine klare erinnerung an die erste stelle be-
wahrt W. 796, 8 f. Was bei W. hinzukommt, ist nur die ab-
leitung seines geschlechts und seiner Schönheit von der famosen
fee Terdelaschoye aus Feimurgan (400, 8). Der jagd Vergu-
lahts auf einen reiner W. 401, 1. 19 entspricht bei C. genau
an derselben stelle und mit demselben ausgang eine jagd (Ha-
waiis auf eine hirschkuh (7053 — 61), so dass auch hier nicht
die tatsache an sich, sondern nur die änderung in frage kommt.
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ZUR PARZIV ALFRAGE.
57
Das Verhältnis zwischen W. und C. können wir auf gTund
unserer beobaehtungen folgendermassen formulieren:
1. Der gang der erzählung ist der gleiche; die wenigen
ausnahmen erklären sich ungezwungen (erstes Sigunen - aben-
teuer, s. 15 und 36).
2. Lange stellen wörtlicher Übereinstimmung, entsprech-
ungen selbst in unbedeutenden nebensächlichkeiten weisen auf
eine so enge beziehung W.'s zu C. hin, dass zur erklärung
dieser tatsache die annähme einer gemeinsamen quelle für
Kyot (W.'s vorläge) und C. oder einer selbständigen neubear-
beitung auf grund von C. nicht hinreicht. Die beiden werke
müssten in grossen teilen geradezu identisch gewesen sein.
8. Die misverständnisse des Orestien'schen textes bei W.,
die nach den bisherigen forschungen ') schon auffallend genug
waren, und deren zalü sich durch unsere vergleichung noch
vermehrt hat,1) haben eine directe benutzung C.'s durch W.
zur notwendigen Voraussetzung.
4. Auch da wo W. von C. abweicht, behält er meist einzel-
heiten und worte aus letzterem bei, welche uns die quelle ver-
raten: viele beispiele in P.'s erziehung, s. 9 f.; ferner das
schönheitslob 123,13, s. s. 11; kumpanie 147,18, s. s. 20; Gur-
nemanz unter der linde 162,8 — 12, s. s. 21; P.'s antwort 173,
7 — 9, s. s. 24; Gurnemanz' söhne, s. 25; Clamides botschaft 218,
1—12 ^ C. 4015— 21, s. s. 34 u.s.w. Die änderung ist bis-
weilen nicht vollständig durchgeführt: der kirchenbesuch, s.
B. 65; die einholung P.'s, s. s.47; die belagerung von Bearosche3)
') Bartsch s. 133 f. Heinzel s. 11 ff. Birch-Hirschfeld s. 274. 278.
*) C. 2028 J. asnes : Nantes W. 144, 8 (s. 16); 2439 la puciele la
roinne : m was von arde ein furstin 152, 19 (s. 19); 2203 rergier : loube
151,2 (8.19): 2444 ot la parole (s. 19); 2543 cemine verb. 3. sg. : diu
sträze 162,12 (s. 21); 2872 chasties : verschonen 170, 16 (s.24); 3548 de
ses puins sen ceriaus trait : des ors zen siten icas durchsingen 203, 10
(8.30); 4965 'Si as' (s. 39). Spätere falle sind: 8910 sages dem (Tastrc-
nemie. que la roine en ttmena (vielleicht qui verstanden V) : ein phaffe der
xcol zouber las, mit dem diu froutce ist hin getränt 60, 4; 0057 as feniestres
d'une torniele u esgardoit une puciele et MM cheralier : Gäuan sach in der
siule riten ein riter und ein f raunen 592,22; 9370 et t oient le pais en-
totir : diu lant umb giengen 590,9; 9890 se lance verb. 3. sg. : mm sper
602, 26.
3) .So erklären sich auch die bei Heinzel s. 102 aufgeführten Wider-
sprüche. Vgl. endlich unten das auftreten P.'s in den Gawanepisoden.
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58
LICHTEXSTEIX
(s. unten). Die veranlassung zu seinen abweichungen findet
W. häufig in (Vs texte selbst, sei es durch misverständnisse,
sei es durch andeutungen, die ihn zu weiterer ausführung
reizten (s. die eidesscene s. 43; die digressionen über minne
und Gawans erlebnis s. 48. 40 etc.).
5. Umgekehrt ändert \Y. auch an stellen, die sich sonst
völlig entsprechen, bis in unbedeutende kleinigkeiten hinein.
Einen seltsamen beleg hierfür bieten die differenzen in den
Zahlenangaben.1) P. trifft im walde 4 (3) ritter, welche 2 (5)
ritter und 1 (3) jungfrauen verfolgen. Er wird von (Tiirne-
manz als sein vierter söhn bezeichnet, während er bei C. der
dritte söhn seiner eitern ist (s. 25). ( Ymdwiramurs erhält von
ihrem oheim 12 brote und 2 bnzzcl mit wein (5 mices et 1 bouvel
piain de ein cttit, s. 27); der andere oheim sendet ihr ebenso
viel (bei C. nur ein oheim, aber s. s. 27). Neue lebensmittel
kommen ihnen auf zwei schiffen (einem schiff, s. 30) zu.
Clamides Verstärkungen betragen 500 (4U0) ritter und 1000
(1000) sarjant, ähnlich differiert die zahl der besatzung von
Pelrapeire (s. 33). die zahl der insassen des wunderschlosses
(s. 53), (4awans ausrüstung (s. 55). Manchmal lässt sich ja
auch für diese abweichungen ein grund erkennen, so wenn W.
beidemal (225,21. 250,22) die einöde um die gralburg auf
30 meilen im umkreise angibt, während C. an der ersten stelle
(41*»«)) von 20, an der zweiten (4048) von 5 meilen spricht,
oder wenn er der Symmetrie halber in dem gralznge zwei
silberne messer statt eines tailleoir d'argent aufführen lässt.2)
Aus der gesammtheit der fälle aber ergibt sich, dass es nicht
zulässig ist. aus Zahlendifferenzen auf eine unbekannte vor-
läge für \Y. zu schliessen. Aendert er doch auch unbesorgt
und geradezu willkürlich die überlieferten namen: Kinlerloi >
Kukanierlant. Ksearalon > Asealän, Dinatiron > Dianazdrnn,
Gninyambresil > Kingrinmrsel, Guiromelans > Gramoflanz,
Griogoras > Vi Ums, Gifles Ii fitis Do > Jo freit fiz Ido l, Tie-
baut > Lijtftaut (Libattt), Gerin le fil Berte > Sehendes; Ar-
nire ist vielleicht nur ein anagramm aus lyieme; vgl. Bartsch
s. 123. Das adjectiv Waleis Galois gebraucht er auch als
') Die eingeklammerten zahlen beliehen Bich auf ('.
J» Rirrh- Hirse Ilfeld h. 278 f. Hunzel ». 14 schlicsst au« der zweizahl
bei W. auf eine andere quelle.
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ZUR PA KZI V ALFRAGE.
59
Substantiv = Valois (Bartsch s. 117), und Ortsnamen verwan-
delt er häufig in Personennamen und umgekehrt, z. b. Ter-
delaschoye, Feimurgän* GaJmuret, der künee Translapins <
Transalpina Gallia (Martin, QF. 42, 5). Ebenso frei verschiebt
er die verwantschaftsverhältnisse: Gahmuret s. Bartsch s. 117;
P.'s brüder, s. s.25; Gawans brüder s. Bartsch s. 118; Gurnemanz'
bruder wird sein söhn Schenteflurs, s. s. 26; der alte gralkönig,
der vater des reichen fischers, wird zum grossvater desselben,
s. Birch-Hirschfeld s. 281.
Dass es je eine darstellung des Parzivalstoffes gegeben
habe, die sich mit der Wolframs in den liier angeführten
punkten deckte, muss als ausgeschlossen betrachtet werden.
Ja, man kann sagen, dass W. fast nie nur einfach nacherzählt
(man vergleiche die eidesscene, die Schilderung der Condwira-
murs, der gralbotin, der drei blutstropfen), dass er alles, was
er sagt, so mit dementen seines geistes durchdringt, dass etwas
ganz neues und eigenartiges daraus entsteht. Und das eben
ist der grund, weshalb über seine quellen so viel zweifei und
Streitigkeiten möglich sind trotz der engen beziehungen zu C.
4. Wolframs behandlung des Stoffes im Willehalm.
Um einen massstab für die beurteilung der abweichungen
und Überschüsse im Parzival zu gewinnen, müssen wir die art
und weise feststellen, wie W. überhaupt mit den ihm vorliegen-
den Stoffen verfährt. •) Wir erkennen dies aus dem Willehalm,
dessen quelle, die Bataille d'Aliscans, uns vorliegt; ausser-
dem kommen dann noch die zahlreichen stellen im Parzival
wie im Willehalm in betracht, in denen der dichter mit seiner
persönlichkeit und seinen künstlerischen absiebten hervortritt.
•Im Willehalm hat W., dem die chansons über Willehalms
Vorgeschichte nicht bekannt waren, die begründung des krieges
und die frühere lebensgeschichte Willehalms aus wenigen
andeutungen der Bataille d'Aleschans und den reminiscenzen
aus der deutschen spielmannspoesie glücklich componiert und
die einzelnen details mit künstlerischem bewusstsein durch
das ganze gebiet seiner dichtung hin verstreut.'2) 'Eine reihe
») Bötticher, W.-lit. 59.
4) Seeher, Progr. von Brixen 1894, 8.8, nach Suchier, Ueh. die quelle
Ulrichs v. d. T. 39 f. 43.
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60
LICHTKN8TEIK
von abweichungen von der Hat. AI. konnte San Marte nicht
erklären; er nahm deshalb an, dass W. noch andere dichtlingen
gekannt und aus ihnen einzelheiten entnommen habe. Eine
eingehendere kenntnis des französischen textes hat nun er-
geben, dass die meisten abweichungen entweder durch mis-
verständnis der Chanson oder durch die dem deutschen dichter
eigentümliche darstellungsweise herbeigeführt wurden.'1) W.
gestaltet das lose ge wirre der französischen dichtung nach
einem selbständigen, einheitlichen plan um und versetzt scenen
und gesprache.*) Er bringt seinen geist und sein gefiihl hinein
und ändert unbesorgt, was dem widerstreitet, 'Nicht der
glaube, sondern die minne ist die kraft, welche mit gleicher
stärke den Christen und den beiden in den kämpf treibt.'3)
Die minne erscheint als motiv für abenteuerzüge Wh. 6, 1—7
(zugleich mit der enterbung). 7, 4. 22, 22 ff. 24, 5 ff.; weibes
minne und gottes minne verbunden (doppelmotiv) 9, 7—20. —
4 Je mehr gegen den schluss, desto mehr entfernt sich der
dichter von seinem vorbilde.' Das 8. buch ist 4 ein freies
phantasiestück W.'s, berechnet auf den geschmack seiner
ritterlichen Zeitgenossen.'4) — Die beziehungeu auf deutsche
heldensage, auf das Kolandslied, auf zeitgenössische dichter,
auf den Parzival, die deutschen ortsnamen und die beziehungen
auf deutsche specialgeschichte gehören \V. an, ebenso das ein-
gangsgebet.5)
Wir werden alle diese züge in den abweichungen des
Parzival widerfinden, und wenn wir hinzunehmen, wie der
dichter sich in seinen werken selbst gibt, so werden wir
nicht im zweifei sein, was wir als sein eigentum betrachten
dürfen.
') Saltzmann, Prngr. von Pillan 1^S3, ». 1. l'cber misverständnisse
im Wh. vgl. Bartsch *. 133: kante Antikote < Ii rois iVantiquite; lirfmtm
Aloe < «lotr; 40, 17 er sluoe Lihilun, Arofeh sieester nun < fiert le nereu
Arofle le Um AI. 351 a. s. w.
3) Seeher a.a.o. s. 11. 17. San Marte. Tob. W.b v. E. rittergedieht
Wilh. v. Orange s. 03. 70.
3) Saltziuanu a. a. o. s. 9 f.
*) San Marte a. a. o. ». S7.
Ä) San Marte a. a. o. s. 20 — 102. Seeher a. a. o. s. 7. l'eher die zahl-
reichen namen. die an« dem Parzival in den Willehalm eingeführt sind, vgl.
Bartsch s. 131.
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ZUR PARZIVALFRAGE.
61
5. Wolframs persönlichkeit
als massstab für die beurteilung der Abweichungen.
Aenssere lebensumstände.
Wolfram ist bekanntlich nicht zurückhaltend mit äusse-
rangen über seine person, seine erlebnisse und seine anschau-
ungen. Er spricht von einer ganzen reihe von deutschen
örtlichkeiten und ereignissen, und wir wissen fast nur aus
diesen erwähnungen, wo er gelebt und wann er gedichtet hat.
Diese zusätze, die sich im Wh. sowol wie im Parz. finden,
sind natürlich sein freies eigentum, wie überhaupt alle stellen
wo seine person oder deutsches wesen hineinspielt (z. b. der
hinweis auf die deutsche kunst 158. 13, die bezugnahme auf
den Rhein in der Charakteristik des Segramors 285, 6). Auch
die genaue kenntnis steirischer Ortschaften, die er mit Gandin,
Uahmuret und Trevrezent in Verbindung bringt (496,15. 498,26),
brauchte er gewis nicht aus einem französischen dichter zu
holen, !) zumal da sie von dem sonstigen Schauplatz der erzäh-
lung weit ab liegen. Er kann jene angaben den Schilderungen
eines freundes (Walthers) verdankt haben,2) falls wir nicht
einfach annehmen wollen, dass er hier persönliche reiseerinne-
rungen einflicht, denn mir scheint W. aus erfahrung zu sprechen,
wenn er gerade im anschluss an die steirischen reisen bemerkt
(499,9): stvcr Schildes ambet Heben wil, der muoz durchstrichen
lande vil 'Mit diesen steirischen localitäten, der erfindungW.y
sagt Heinzel, 'hängt das wappen des hauses von Anjou zu-
sammen und die ableitung von könig Gandhis namen 498,26.
101, 17/3)
Ueberhaupt liebt es W. nicht nur, bei jeder gelegenheit
seine persönlichen Verhältnisse und die ihn umgebenden zu-
stände mit den geschilderten in vergleich zu bringen, sondern
sie beeinflussen deutlich auch unmittelbar seine darstellung.
') S. Haupt bei Beiger, H. ata academischer lehrer 8. 281 f.
r) Bartsch s. 13*5. Heinzel s. 20. Dass W. erst durch eine stelle seiner
vorläge zu der Verwechslung des orientalischen Rohas mit «lein steirischen
berg und dadurch zu der einHecht nng der anderen steirischen orte geführt
»ei. ist eine überflüssige annähme. Derartige Verwirrungen geographischer
begriffe gehören zu den eigenheiten W.'s (vgl. s. 59), und den namen Rohas
= JSr/e.w« konnte er in der zeit der kreuzzüge oft genug gehört haben.
3; Vgl. Haupt, Zs. fda. 11, 4b. Bartsch s. 136.
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62
LICHTENSTEIN
Aus welchem anderen gründe wol nähme er im Wh. sowol
wie im Parz. die erblosigkeit des beiden zum ausgangspunkt
der erzählung und knüpfte daran betrachtungen, wenn er da-
bei nicht an sich gedacht hätte? In der quelle stand davon
nichts, in der Schlacht von Aliscans ebensowenig wie in einer
französischen gralerzählung.1) Die gelehrte anmerkung aber
von dem welschen recht, das auch in einem deutschen landes-
teile gilt (4, 28) stammt wie manche anderen gelehrten zusätze
bei W. aus Otto von Freising (s. unten), und ihr inhalt wird
bei den deutschen lesern als bekannt vorausgesetzt (4, 30).
Wenn ferner W. in der ehrenrettung Keies (296,13 — 297,30),
die wir als seinem geiste entsprungen ansehen dürfen, das
ged ränge an Artus' hofe mit dem beim fürsten Hermann von
Thüringen vergleicht, so ist das mehr als ein vergleich: hier
hat die erinnerung an das selbsterlebte erst die ganze stelle
mit ihrer polemischen tendenz hervorgerufen.
Mit besonderem nachdruck betont \V., dass er ritter sei
(115,11), und dieses hohe gefühl von der würde des Standes
wird von seinem beiden geteilt (269, 4 ff. 472, 1 ff. 612,7). Ein
kämpf nach den regeln der kunst erfüllt den dichter mit be-
friedigung (262,20 — 265,17), und er benutzt seine erfahrung
darin, um ein grosses detail zu entrollen (buch 7, vgl. Wh.
buch 8). Abenteuerfahrten und minnedienst geben wie im Wli.
(s.s. 60) das motiv für viele Verwickelungen; sie spielen eine
entscheidende rolle in dem leben des Gahmuret, des Galoes,
des Anfortas, des Trevrezent, des Schionatulander. Als Parz.
das gralschloss verlässt, brennt er sogleich vor begierde, sich
im dienste des gralkönigs und seiner nichte auszuzeichnen
(246,11—18. 248,20—30; ebenso vor Pelrapeire 182,25—28);
der wünsch seine mutter widerzusehen tritt zurück vor dem
verlangen nach ritterlichen taten (177, 2—8. 223, 23, s. s. 24
und 35).
Die minne bildet ein lieblingsthema W.'s (s. s. 48 und W.
532. 533. 584, 5); auch in sein leben hat sie bedeutsam ein-
gegriffen, und er kommt widerholt mitten in der erzählung
auf diese« persönliche Verhältnis zu sprechen (114,8. 334,10.
26. 337. 827, 25). Kr verherrlicht vor allem die eheliche liebe
') Abgesehen von der dunklen andeiitung bei C, s. s. 7.
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ZUR PARZIVALFRAOE.
63
(Belakane, Herzeloide, Condwiramurs, Sigune, .Teschute: s. ferner
468, 1. 474, 14), die stcete, die keuschheit und die edle Weib-
lichkeit (3,25. 24,8. 26,10. 115,2. 176,12. 192,2. 201,21). In-
dessen ist der dichter von prüderie so weit entfernt, dass er
auch der Sinnlichkeit und ihren freuden ihr recht gibt (vgl.
W.'s lieder), mehr in dem geschmacke seiner Zeitgenossen als
in dem unsrigen (vorbild bei C. s. 8. 28 — 30). Seine ritter
werden bei der begrüssung regelmässig von den damen ge-
küsst (20,25. 23,30. 46,1 — 48,2. 175,26. 176,9. 187,2. 310,15
u. ö.) und von reizenden jungfrauen bedient (167. 176,18. 243,20.
423,5. 430,27. 549,1. 550,15. 551,3. 552,25. 553,26. 575,1).
Für die Schönheit des weibes wie des mannes hat der
dichter einen lebhaft empfindenden sinn (s. z. b. 450, 1), und
neben den herzenseigenschaften sollen uns auch äussere Vor-
züge für seine gestalten einnehmen. Die Schönheit des beiden
ist überall, wo er hinkommt, der gegenständ höchster bewun-
derung (s. s. 11. 16. 22. 51; bei V, nur eine stelle: 2166—70),
und auf ihn werden auch bemerkungen (Vs übertragen, die
anderen personen gelten (s. s. 11. 27). Die Schilderung der
hässlichkeit widerstrebt dem dichter, er kürzt sie ab und ent-
schuldigt sich noch überdies bei den damen, auf deren bei-
stimmung er wert legt, (s. 38. 51. 55; vgl. 114,5. 827,25).
Auf höfische zucht und gute sitte hält \V. sehr (2,13 —
3,10. 188,15 — 189,3. 193,23. 230,25. 297. 576,20. 582,11
etc.). Die Vorschriften, die wir bei ihm den lehren des Gur-
nemanz hinzugesetzt finden, oder die von seinen personen be-
obachtet werden, sind der deutschen gesellschaft der zeit
gemein: müte (170,27. 191,1. 297,20. 336,17. 394,22; vgl.
142,15. 150,11) und mäee (171,13. 3,4. 13,4) werden als
wichtige tugenden empfohlen. Der ritter soll sich vom rost
waschen, nachdem er die rüstung abgelegt hat (172,1. 186,2.
228.1. 272,3. 306,21. 550,11; ferner 118,13. 167. Erec 3054.
Biterolf 1809, s. Schultz, Höf. leben P,224); er soll vom pferd
steigen, wenn er einer dame zu fuss ansichtig wird (217, 28.
437,3. 509,2, s. Schultz 1, 181), und er soll die waffen ablegen,
bevor er an den hof kommt (275,10. 437,11; vgl. Nib. A 391.
1583. 1683. 1799—1805. Konr. v. Haslau 712. 724). Ritterlich-
keit wird auch gegen feinde geübt (527, 23—27. 539, 25 -
540.2. 543,9—26; Schultz 2, 172. Erec 827). Unter der linde
64
LICHTENSTEIN
sitzend empfängt Gumemanz, der Hauptmann der wahren zucht,
seinen gast (162,8.21); unter einer ummauerten linde wird P.
in Pelrapeire entwaffnet (185, 27, vgl. Schultz 1, 663). Mit
aufgerichtetem speer in der nähe des hofes zu halten oder gar
die lagerschnüre zu durchreiten, gilt als herausforderung und
besehimpfung (281,1. 284,3.22. 598,24); der waffenruf kündet
die drohende gefahr (284, 13. 407, 13). Deutsche rechtsformen
spielen öfter in die darstellung hinein: besitzergreifung mittels
stroh wischs 146, 26, s. Grimm, RA. 196; anklage vor gericht
320, 10—13, RA. 878; gerichtsverhandlung 525, 11 — 529, 23,
RA. 633. 684; das gericht der standesgenossen 136,15. 152,14.
347,24. 415,19. Deutsch sind ferner die vier hofämter mar-
schall, kämmerer, truchsess und schenk (666,23 — 29. 183,20.
353,4. 354,9. 662,17.20), und die Vorliebe W.'s für titel und
rangerhöhung (duc, hcrzoyinne s. s. 14; künec von Kuktimerlant,
s. s. 17 u. s. w.) darf man wol ebenfalls als deutsch bezeichnen.
Nicht minder gefällt sich W. in der Schilderung von wapj>en, ')
und er verwendet sie bisweilen wirksam als motiv der wider-
erkennung (s. s.45, ferner W. 18, 5. 80,11). Da das wappen
von Anjou seine erfindung ist (s. 8.61). so dürften die übrigen
ebensowenig auf alter Überlieferung beruhen. Das drängen
und schauen bei der begrüssung von gästen und hervorragen-
den personen, das \V. nie zu erwähnen vergisst,2) ist charak-
teristisch als eine höfische sitte, deren auch andere deutsche
dichter gedenken.3) — Der gralzug, der ceremonielle empfang
bei hofe, die hochzeiten und die feste der tafeirunde (309,3
—30. 311, 5—9. 775, 1 — 778, 15) beweisen W.'s sinn für schöne
formen, und es wäre auffallend, dass er zweimal die ceremonie
des ritterschlags übergeht (C. 2816— 30. 10538—55), wenn nicht
die von C. geschilderte form specifisch französisch wäre (s.
Schultz 1, 182—184). Ebenso unterdrückt er dreimal (s. 13. 24)
den rat, kirchen und klöster zu besuchen, sowie dessen törichte
l) W. 14, 12 - 15, 7. 50, 1. «4, 23. 70, 22. 99, 11. 101, 7 Gahinnret: 474,
5-9 Gral; 202,4 -13. 203,10. 275,21. 270,10. 27b, 14 Orilus; 730,10.
741,10. 708,24 Feirefiz; 575,27 Gawan; 3S3, 2 Iiinot.
*) W. 147,12. 148,19. 150,30. 151,7. 210,20. 217, 2S. 220,28. 275,8.
305, 9. 320, 0 u. ö.
s) Walther 20,7. 28,15 (». Wilmanns, anra.). Winsbeke 23. Konrad
v. Harlan 153. 191 (b. Hildebrand, Genn. 10, 144).
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ZUR PARZIV ALFRAGE.
65
anwendung durch P. (0. 1847—60, s. s. 14) und setzt dafür
einmal die beim Schlossgottesdienst erfolgende belehrung 'zu
opfern und sich zu segnen' (bekreuzigen) aus dem einfachen
gründe, weil auf den deutschen schlossern die tägliche messe
in der schlosskapelle gehört winde und nicht in der kirche,
welche oft weit entfernt und unter umständen gar nicht zu
erreichen war (Schultz 1, 111; vgl. W. 196, 12—19, ferner 378,
21—25 gegen C. 6860 f. und W. 705, 1—9; ein rest ist stehen
geblieben 461,4).
6. Individuelle charakterzüge.
So zeigt sich, dass W. getreu das leben seiner zeit und
seiner Umgebung copiert, und noch manches vielleicht wird
sich aus dem milieu erklären lassen, in dem sein werk ent-
stand. Andererseits aber ist er ein durchaus origineller geist
der das gepräge seiner individualität unverkennbar allen seinen
Schöpfungen aufgedrückt hat. Directe Zeugnisse seiner denkart
sind die einleitungen und Schlüsse des ganzen Werkes und ein-
zelner bücher, ferner zahlreiche in die erzählung eingestreute
reflexionen und excurse, wozu auch die reden des Trevrezent
zu einem grossen teile gerechnet werden müssen, da sie sich
in ihren erweiterungen nur noch scheinbar an Parzival, tat-
sächlich aber an das publicum richten (s. 463, 27 ff.). Der
gesammteindruck, den wir daraus von W. empfangen, ist der
einer imponierenden persönlichkeit, eines durchaus selbständig
denkenden kopfes, überreich an gedanken (4, 2 ff.), von hohem
sittlichen ernst und von tiefem gefühl. Dieser mann, das er-
gibt sich ohne weiteres, wird sich nimmermehr zum dolmetsch
der gedanken eines andern machen; und wenn man eine noch
vollständigere vorläge für sein gedieht zu finden hofft, so wird
sie doch ebenso wie C.'s roman grundverschieden sein von dem,
was er daraus gemacht hat.
Eigenartig ist W. zunächst in seiner religiösen richtung.
Eine Vorliebe für dieses gebiet bezeugt schon die wähl der
Stoffe im P. und Wh., mehr noch die art, wie W. sie behan-
delt, die tiefsinnigen erörterungen, die er einflicht. So ist im
Wh. das Zwiegespräch über Christentum und muhamedanismus
(215—220) sein eigentum»), und ebenso bis auf wenige wen-
>) San Marte, Ueb. Wh. v. Orange b. 73.
Beitr&g« «ur geschieht« der deutschen ■prache. XXII. 5
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66
LICHTENSTEIN
düngen ') das tief empfundene eingangsgebet. W. steht aller-
dings im allgemeinen durchaus auf dem boden der ansckau-
ungen der mittelalterlichen katholischen kirche;*) auch von
ihrer scholastischen gelekrsamkeit hat er sich ein gut teil
angeeignet (463—465. 481, 19 ff. 482, 12 ff. 518 u.a.), und aus
der übergehung des rates, kirchen zu besuchen, darf man nicht
ohne weiteres einen abweichenden Standpunkt folgern (s. s. 65).
Und doch welch tiefgreifender unterschied zwischen C. und
ihm in der Trevrezentscene: bei dem einen das festhalten an
den kirchlichen formen, der gottesdienst unter assistenz des
priesters (0. 7717 ff. 7867 f.), das gebet mit den hochheiligen
namen gottes, die man nur in grosser gefahr aussprechen darf
(7855 — 66): bei dem anderen der laienbeistand des menschlich
fühlenden, ritterlich ratenden Trevrezent (462, 11. 489. 1. 501,
18), der herzbewegende hinweis auf die liebe gottes, des wahren
winnceres (W. 466, 1; vgl. 119,24). Die werkheiligkeit tritt zu-
rück, innere heiligung, deutscher mysticismus tritt an ihre
stelle. Die beiden klöster in Pelrapeire, die lange procession
der mönche und nonnen und die Zusicherung der totenmesse
(s.27. 35) fehlen bei W.; nur ihm dagegen gehören an die ein-
siedeleien der beiden oheime der Tondwiraniurs zer wilden
alhe Husen (190, 22, s. 27), die waldklause der Sigune, die
selten messe hörte, deren ganzes leben jedoch gottesanbetung
und ewige minne war (435, 24 ff.). Auf edle menschlichkeit
und teilnahm volles fühlen werden auch die geheimnisse des
grals von W. zurückgeführt (255, 17. 315, 30. 473, 1); ihrer
würdig ist nur, wer falschheit und halbkeit (zivivel) in sick
überwunden und sick zu unverzagtem mannesmut, zu cka-
rakterfestigkeit (stcete) und treuer, keuscker gesinnung durch-
gerungen kat.
Das ist die stiure, die idee, die W. selbst in der einleitung
aus seinem werke abstrakiert; und am scklusse desselben fasst
er nock einmal das ideal des lebens, wie er es in seiner dicb-
tung verwirklickt kat, in den Worten zusammen:
627. 19 Hwes lebn sich so verendet,
daz got niht wirt gepfendet
>) Rolin, Aliscans, einleitung.
») Sattler, Die religiösen anschauungen W.'s, Graz 1895.
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ZUR PARZIV ALFRAGE.
67
der s£le durch des libes schulde,
und der doch der werlde hulde
behalten kan mit werdekeit,
daz ist ein nütziu arbeit.
Diese durchdringung geistlicher und weltlicher ideen, wie
sie sowol den Parz. wie den Wh. beherscht, ist specifisch wolf-
ramisch.1) Aus ihr entsprang die Vorstellung von jener ritter-
lichen brtiderschaft, der er den namen templeisen gegeben hat
in anlehnung an den zu jener zeit viel genannten namen der
tenipelritter. Bei dieser Weiterbildung der fabel, die übrigens
auf andeutungen bei C. beruht, lässt sich also der nach weis
erbringen, den Bötticher (W.-lit. 59) fordert, dass sie nämlich
der ideenrichtung W.'s angemessen und aus ihr leicht zu er-
klären sei.
Die idee W.'s, wie sie in der einleitung zum Parzival
gekennzeichnet ist, setzt psychologische entwickelung voraus.
Dass W. ganz der mann dazu war, diesen gesichtspunkt in
die geschiente Parzivals einzuführen, zeigen seine widerholt
eingeflochtenen reflexionen, durch die er die aufmerksamkeit
von dem äusseren geschehen auf die inneren beweggründe,
auf das Seelenleben des helden lenkt. Hierher gehören die ein-
leitungen zu buch 4, 5, 9 (433, 17 ff.), 15 (734, 23 ff.), der schluss
von 14 (732. 733), aus buch 6 der excurs über die gewalt der
minne 291,1—293,16; ferner im innern der bücher kürzere
bemerkungen an wichtigen Wendepunkten 161, 7. 256 1 ff.
319, 1 ff. 443, 1. 445, 30. Statt des dichters übernimmt oft der
held selbst die rolle, seine seelenstimmung zu schildern2):
329, 18 ff. 332,1 ff. 441, 4 ff. 461, 9 ff. 472, 1 ff. seine seelen-
schmerzen, Verzweiflung an gott; 688, 24 ff. sein Schuldbewußt-
sein; vgl. 689, 26 ff. (Gawan) der sieg über sich selbst. Eine
ausdrucksform von plastischer anschaulichkeit und dramatischer
kraft fand W. in den träumen Herzeloydens und ihres sohnes
(103,25.245; vgl. 374, 6), die zu den perlen wolframischer
poesie gerechnet werden müssen. Häufig beschränkt sich die
Charakteristik auf ein blosses epitheton, z. b. der knappe tump
unde teert 126, 19, unser teer scher knabe 138, 9, der unverzagte
«) Vgl. Vogt in Pauls Grundr. 2 a, 277.
■) Vgl. Urbach s. 21, der besonders auf die an Wendung von monologen
bei W. zum ausdruck der gedanken aufmerksam macht.
5*
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68
LICHTENSTEIN
138,3, der hoch gemuot 267.0, der freudenflühtec man 733,25;
und auch ohne solche direeten hinweise erkennt man öfter
das streben nach psychologischer Vertiefung. So malt sich die
Stimmung an manchen stellen wirksam in der Situation: 180, 3
P.'s gedankenloses hin- und herreiten, 282, 1 sein nächtliches
verweilen am unwegsamen orte, den falken zur seite. Bei 0.
kommt P. bereits ganz zerknirscht zu dem eremiten, W. lässt
uns den inneren Vorgang seiner demütigung beobachten. Die
innere entwicklung ist dem dichter so sehr die hauptsache,
dass darüber die an die erwerbung des grales geknüpfte
äussere bedingung, dass die frage ungenann t geschehen solle,
schliesslich unberücksichtigt bleibt. Der held ist des grales
würdig geworden, da wird denn die lösung höchst einfach und
kunstlos durch eine inschrift am grale und durch eine aber-
malige entsendung der gralbotin herbeigeführt. Was jedoch
den beiden von vornherein vor allen anderen dazu befähigt,
hüter des grales zu werden, und was ihm in den schwierigsten
lebenslagen halt verleiht, das ist der von vater und mutter
her ererbte adel der gesinnung, die angeborene werdekeit
146, 6 f. 149,25. 164,19. 174. 24 f. 179,24. 212,2.301,5. 317.
11 f. 325, 30 ff. 451, 3 ff. u. ö.); damit rechtfertigt sich denn
die ausführliche Vorgeschichte.
Während der französische dichter, abgesehen von dem
kurzen prolog, vollständig zurücktritt, mischt sich W.'s stark
subjective natur überall mitten in die handlung ein, polemi-
siert gegen seine Zeitgenossen, bringt seine gefühle zum aus-
druck oder wendet sich an die der leser. sucht seine personen
in unserer achtung zu heben, indem er ihre edle gesinnung
(triuwe) betont, und nimmt das wort für einen verkannten
Charakter (Keie s. s. 48, gralbotin s. 51 f., Jeschute 257, 23—30.
260, 8—11 s. s.38f.. Obie 365, Antikonie 427, 5, Orgeluse 516, 3).
Was an seinen personen anstoss erregen könnte, sucht er zu
entschuldigen oder psychologisch zu motivieren (s. die eben
erwähnten beispiele. ferner Ither s. 18, Antanor s. 19, Lippaut
355,27, Klinschor 618, 1. 656, 1. 20 ff. 659,8); roheiten und
Unziemlichkeiten mildert er oder unterdrückt sie ganz (mis-
handlung Cunnewarens s. 19, P. handelt mehr aus mitleid für
Cunneware als aus räche gegen Keie s. 33, P.'s Ungeschick-
lichkeit C. 2116—29 s. 17, Blancheflours Verstellung s. 29. 32,
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ZUR PARZIVALFRAGE.
69
Orilns' grausamkeit s. 37, Obies ohrfeige C. 6417; vgl. über Wh.
Seeber s. 10. Rolin, einl. 25).
Wie in dieser herzlichen anteilnahme des dichten sich
seine deutsche gemütsrichtung offenbart (vgl. Hartmann von
Aue), so auch in der sinnigen art, womit er sozusagen alle
personen seines gedichts zu einer grossen familie vereinigt.
Nor wenige ansätze hierzu fand er bei 0. vor. Auch dort ist
Sigune der Herzeloyde verwant, der einsiedler ist bruder des
gralkönigs und oheim P.'s, die graljungfrau ist nicht« des
königs, Gawan Artus' neffe. 'Bei W. sind diese familiären
beziehungen ausgedehnter. Zwischen Parz. mit seiner gral-
sippe und Artus mit seinen tafelrundern sind mittelpersonen
eingeschoben.'1) So ist P. mit Artus durch Gahmuret ver-
want (769), P. mit Vergulaht durch Gahmurets Schwester Flur-
damurs (420,6), Kingrimursel mit Vergulaht (324,11), Gawan
mit Vergulaht (608, 14), Ither mit Artus und Parz. (145, 11,
498, 13), Condwiramurs mit Gurnemanz (198, 27), Cunneware
mit Orilus (s. 44), Segramors mit Ginover (285, 21). Durch
heiraten werden neue verwantschaftsbande geknüpft (327, 1.
397, 3. 730, 27). Wo nun einige dieser personen zusammen-
treffen, da entfaltet sich ein gemütliches familienleben, das
den leser mit behagen erfüllt, so besonders zwischen Orilus
und seiner Schwester (s. 45) und bei P.'s ankunft am hofe
(s. 50). Eine woltuende wärme ist über jede häuslichkeit aus-
gegossen: ohne das walten züchtiger frauengest alten wäre sie
für den deutschen dichter nicht denkbar. Ihm haben wir da-
her die einführung der töchter im hause des Gurnemanz und
Plippalinot, der mutter im hause des Lippaut zu danken; er
machte aus den pilgernden herren und damen ((■. 7716 f.) einen
ritter mit frau und töchtern. die P. in der kälte mitleidsvoll
eine wärmende Unterkunft anbieten (446, 10. 448, 27). Hierzu
kommt eine fülle von kleinen zügeu. die dem leben abgelauscht
sind, wie die ihre puppen anbietende Clauditte 372, 18, P.'s
weise und patriarchalische Verteilung der speisen nach der
hungersnot 201,8, Arnives mütterliche fürsorge für den schwer-
verwundeten Gawan 574, 5. 578, 4 — 581, 26. der geizige fischer
(ein gegenstück zu dem gastfreundlichen fährmann Plippalinot),
') Urbach «.21.
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70
LICHTENSTEIN
der nur für sich und seine kinder sorgt 142, 26. Echt deutsch
und wolframisch schliesslich sind scenen von ergreifender ge-
mütstiefe, wie der schmerz des kindes Parzival über den tod
der unschuldigen vögelein 118, 9. 23; die rührende bestattung
Ithers, das blumendach und die klagen der frauen 159, 13;
vor allem jene versöhnungsscenen zwischen Orilus und Jeschute
(268, 15. 270, 6, s. s.42) und zwischen Obie und Meljanz (396, 21
s. Martin, QF. 42, 3), in denen das hervorbrechende gefülü so
meisterhaft zum ausdruck gelangt.
Wie diese familiären und gemütlichen züge geeignet sind,
uns die auftretenden personell menschlich näher zu bringen, so
gilt dies auch von einer anderen zutat. Die erwähnungen
früherer abenteuer, von denen uns sonst nichts überliefert ist,
dienen nämlich bei W. vielfach nur dazu, alle mitwirkenden
mit einander in irgend eine persönliche beziehung zu bringen.
Er gibt von ihnen nicht nur die namen, die zum grossen teil
in seiner vorläge fehlen, sondern auch ihre lebensgeschicke,
so dass sie uns vertraut werden und nicht mehr als blosse
Statisten die bühne füllen. C. 4774 f. und W. 141, 13 berichten
übereinstimmend, dass Sigune von P.'s mutter Herzeloide er-
zogen wurde. W. 805, 6 lässt nun aber auch Condwiramurs
bei Sigunens mutter Schoysiane erzogen werden, was nach
Titurel 25 unmöglich ist, wie Heinzel s. 45 zeigt. Mir scheint
das dafür zu sprechen, dass dieser zug unecht, d. h. ein zusatz
W/s nach analogie jenes früheren bei C. ist. Schianatulander
ist bei V. nur der tote geliebte der Sigune (auch die namen
fehlen bei C); W. macht ihn zum Verteidiger der erbländer
P.'s (s. s.37. 81. 83) imd bringt ihn im Titurel in ein ähnliches
Verhältnis zu Gahmuret wie Sigune zu Herzeloide. Eine ähn-
liche Stellung bei Trevrezent nimmt Ither ein (498, 14), den
wir bei C. nur als roten ritter kennen lernen. Trevrezent,
der einsiedler, hat wie alle anderen helden (s. s. 62) aben-
teuerfahrten im minnedienst unternommen und ist dabei mit
Gahmuret zusammengetroffen (495, 18). Clamide und Orilus
spielen bei C. eine bloss episodenhafte rolle; W. erhöht ihre
bedeutung, indem er ihnen frühere fehden mit Artus zuschreibt
(s. s. 34. 44). Den Orilus bringt er ausserdem in Zusammen-
hang mit den abenteuern des Erec (s. s. 15), weil auch dort
ein OrgueiUous de la lande (Hartm. 2575 der höehvertiye Landö)
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ZUR PA RZIV ALFRAGE.
71
vorkommt,1) und seiner gemahlin Jeschute dichtet er eine
verwantschaft mit Erec an, um ihr eine königliche abkunft
zu geben (134,2) und dadurch um so mehr mitleid mit ihrer
unverdienten demütigung zu erwecken (277, 19). Charakte-
ristisch ist die einführung des wilden Dodines aus Hartmanns
Erec bei gelegenheit der aus verschiedenen stellen O.'s zu-
sammengearbeiteten eidesscene (s. 40) und die anknüpfung an
Erecs vater Lac bei der erwähnung von Trebuchets brunnen
(W. 254, 1 = C. 4848 qui la voie tenir sauroit | au lac).2) Ein
klassisches beispiel aber ist der bericht W.'s von den söhnen
des Gurnemanz (s. 26), diese sonderbare verquickung von namen
und tatsachen aus C. mit personen und abenteuern aus dem
deutschen Erec.
Die letzten fälle machen es unzweifelhaft, in wem wir
den gemeinsamen Urheber dieser erweiterungen zu suchen
haben, die eine durchgehende künstlerische absieht verraten.
Zugleich führen sie uns auf die frage nach W/s literarischen
kenntnissen und nach seiner geistigen bildung überhaupt.
7. Wolframs geistige bildung.
W. citiert eine ganze reihe von deutschen dichtern und
deren werken, teils direct und meist polemisch, teils in an-
spielungen oder vergleichen.3) Hartmann von Aue (134, 21),
Veldeke (292, 18. 404, 28), Walther (297,24) und Xeidhart (Wh.
312, 12) nennt er mit namen und zeigt sich mit ihren werken
vertraut. Die beiden ersteren waren offenbar die muster, nach
denen er sich bildete, und Hartmanns Erec insbesondere be-
nutzte er als eine wahre fundgrube für namen.4) Dass er
auch abenteuer daraus in seine erzählung verwebte, ist oben
(s. 70 f.) bemerkt worden. Ebenso ist in die erzählung ver-
flochten der frauenräuber Meljakanz 125, 11. 343, 26 u. ö.,
dessen name aus dem Iwein 5680 stammen kann, dessen aben-
teuer mit Lanzelot aber (387, 2. 583, 8) nur aus einer uns
') Bartsch s. 125. Dass Hartmanns werk zu gründe liegt, beweist der
ortsname Prurin 134,12, Euerin Hartm. Erec 2241. 2353, Erröte Crestiena
Erec 2131; s. Heinzel s. 5.
») Bartsch s. 122. 124. Heinzel 8. 12.
») Bartsch s. 124 ff. Heinzel 8. 4 ff.
*) S. Bartsch und Heinzel a.a.o.
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72
LICHTENSTEIN
unbekannten Übersetzung von C.'s Karrenritter, wenn nicht
aus diesem selbst, genommen sein kann. Aehnlich verhält es
sich mit der bezugnahme auf den Cliges (334, 11. 586,27. 712,8).
Anspielungen und entlehnte namen weisen ausserdem auf be-
kanntschaft mit Eilharts Tristan und Ulrichs Lanzelot. ')
Ferner muss W. eine reihe von erzählungen gekannt haben,
die uns heute verloren sind: von Gawans liebe zur königin
Inguse von Bahtarliez 301, 8, von Garel 583, 12, von Artus'
söhn Iiinot 383, 4. 575, 28. 585, 30, von Lämbekin von Brabant
74, 1. 270, 20. Dass diese anspielungen W.'s eigene zutat sind,
wird allgemein zugestanden; es ergibt sich auch schon daraus,
dass sie grösstenteils in betrachtungen und vergleichen an-
gebracht sind, 'also an stellen, wo Selbständigkeit W.'s wahr-
scheinlich ist ' (Heinzel s.7). Am allerdeutlichsten aber sprechen
für seine Selbständigkeit die dem Liddamus in den mund ge-
legten beziehungen auf die deutsche heldensage (Nibelungen
und Ermenrich 420, 22 — 421, 28), 2) auch insofern als W. der
einzige unter den grossen höfischen epikern ist, der fuhlung
mit der volkspoesie sucht. Sogar in der darstellung macht
sich das bemerkbar; er verwendet einige male volksmässige
formein (390,9. 461,8), und die scene, welche den oben er-
wähnten anspielungen vorausgeht (411—412), ist ganz im Stile
und geiste des volksepos gehalten. Allerdings forderte die
stelle bei (\ durch manche ähnlichkeit mit dem letzten kämpfe
der Nibelungen zu weiterer angleichung auf.s) Wie dort be<
reits der an der turmtür gegen seine gastgeber kämpfende
Gawan an den grimmen Hagen erinnert, so hat offenbar W.
bei dem edlen landgrafen Kingrimursel an Rüdiger, bei dem
schwachen, wankelmütigen könig an Etzel gedacht. Hat er
also auch hier widerum die darstellung nach seinen literarischen
') Für Eilhart beweist hauptsächlich die namensfonn Isolde 187,19,
für Ulrich mit den sc/urnen (V.liehteti) nchrnkeln Mnurin W. 6Ö2, 19. lTlr.
3052. Heinzel hält es auch hier für möglich, das« W. die französischen
originale gekannt habe.
*) Heber die im Wh. vorkommenden anspielungen auf das Nibelungen-
lied, die Ermenrichsage und das Rolandslied s. San Marte. Ueb. Wh. 28- 1 02.
Kaut, Scherz und humor 89 f.
n) Der hypothetische »atz C. 7428 se il esioit enx atoec lui hat ver-
mutlich veranlassnng zu W.'s anffassung gegeben, dass Kingrimursel wirk-
lich iu den türm gehe.
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ZUR PARZIV ALFRAGE.
73
reminiscenzen frei umgestaltet, so spricht doch wol die Wahr-
scheinlichkeit dafür, dass die im ersten buche auftretenden
deutschen namen Isenhart und Fridebrant von Schotten, Schil-
tunc, Hiuteger, Hernant, Herlinde derselben quelle entstammen ;
zum mindesten bedürfte es eines sicheren gegenbe weises, ehe
man an ihren französischen Ursprung glauben kann.1)
Bei W. wenigstens ist es eine bekannte tatsache, dass er
allerlei füllwerk anzubringen suchte, um seiner dichtung einen
reichen inhalt zu geben, und leider überschritt er darin bei
weitem das rechte mass. 'Sicherlich hatte W. bei seinem
erstaunlichen gedächtnisse allerlei kenntnisse in sich auf-
gesammelt, und bei seiner neigung für anspielungen und be-
ziehungen dürfen wir auch glauben, dass er reichlich von
ihnen gebrauch machte' (Bartsch s. 131). Ausser namen, die,
aus allen möglichen quellen zusammengeholt, oft in langen
listen bei einander stehen (65,29 — 67,28. 770. 772), ausser
den schon erwähnten angaben über wappen (s. 64), über genea-
logische und persönliche Verhältnisse (s.69ff.) gehört hierzu
eine für uns recht auffallende summe von gelehrten notizen.
Jedoch muss man sich vor äugen halten, dass bei der im
mittelalter herschenden encyklopädischen Verbreiterung und
Popularisierung des wissens mancherlei kenntnisse, zum teil
recht abenteuerlicher natur, ins volk gedrungen waren und
offenbar von mund zu mund giengen. Auf diesem wege könnte
unserem dichter seine medicinische und astronomische Weis-
heit,1) seine kenntnis von den wunderbaren eigenschaften vieler
tiere und steine1») zugeflossen sein. Es lässt sich aber erweisen,
dass er directe entlehnungen aus ganz bestimmten literarischen
werken gemacht hat, die unmöglich in so unveränderter form
bei ihm aufnähme gefunden hätten, wenn er sie aus zweiter
hand, etwa aus einem französischen roman übernommen hätte.
Eine solche gelehrte quelle ist , wie Martin, QF. 42, s. 5
') Der hinweis auf (tonnond und Aquin (Heinzel 8. 87) genügt nicht.
») 109,13 — 18. 480,3 — 483,18. 484,13—18. 489,24 — 490,30. 492,23
— 493, 8 (521, 21 f. 8. C. 8280—8305). 575, 20 - 576, 19 (vgl. C. 5708—26).
577,18—24. 578,8-11. 579,12-22. 580,19-30. 581,9— 21 (Vtfl.C. 9337-42).
736,10-14. 741,16. 789,4 - 790,13. 792,1—7. Wh. 216, 5— 23.
3) Steinkunde: 566, 21 f. 589,18- 22. 592,1. 741,6 14. 743,5-8.
757,2—5. 775,5. 791.
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74
LICHTBN8TBH9
nachgewiesen hat, Solinus' Polyhistor. Von den 59 per-
sonen- und völkernamen, welche in dem Verzeichnis der von
Feirefiz besiegten könige (770) vorkommen, lassen sich 31 mit
Sicherheit bei Solin widerfinden, bei 8 weiteren ist entlehnung
wahrscheinlich. Manche sind nach einem bestimmten System
verändert, wie wenn jemand sich eine kunstsprache, einen
jargon zurecht macht, aber immer auf directer grundlage der
lateinischen form, so die völkernamen auf -jente und -jentestn
(= gentes -f -in adj.-endung), z. b. Trogodjente 770, 1 = Troglo-
dytue populi Sol. 28, 1 u. ö.; Nomadjentesin 8 — Nomades populi
15, 14 iL ö. Hervorgehoben zu werden verdient der name Lid-
damus 4 = Lygdamis Sol. 1, 74, weil dieser selbe name 416, 19,
für eine andere (bei 0. unbenannte) person gebraucht, den
dichter zu der ersten berufung auf seine autorität Kyot ver-
anlasst. Das vorkommen des namens in jener liste 770 beweist
für die entlehnung aus Solin; es ist aber durchaus unwahr-
scheinlich, dass W. denselben zweimal aus verschiedenen quellen
geschöpft habe. Von den anderen namen in jener liste inter-
essieren besonders Azagouc und Zazamanc, die bekanntlich im
ersten buche als länder Belakanens auftreten und sogar in das
Nibelungenlied (Azagouc nur in recension C 439, 2) eingang
gefunden haben. Die herleitung aus Solins Azachaei und Ga-
ramantes wird von Martin für zweifelhaft gehalten und bei dem
zweiten wort nur unter annähme einer textverderbnis für
möglich erachtet. Bei Azachaei ist das jedenfalls nicht nötig,
denn der erste teil des wortes stimmt ganz, und der letzte
teil wird bei \V. fast immer verändert, z. b. Hiberborticön <
llypcrborei populi Sol. lb\ 1.') Und nun beachte man die teils
auf irrtum teils auf Willkür beruhenden Verstümmelungen, die
W. an den bei C. überlieferten namen (s. 58) und sogar an
denen aus deutschen Schriftstellern (Heinzel s.5f.) vorgenommen
hat, die wunderlichen misverständnisse im Parz. und im Wh.
(s. 57. (30), die bizarren Wortbildungen W.'s (Berns tri der Korea,
s. s. 43; Ligweiz p reif jus; Lischoys Gwelljus; Av estroit mävoie,
s. Bartsch s. 121 f.), so wird man auch geneigt sein, der ablei-
tung Zazamanc < Garamantes im Zusammenhang mit den
>) Vielleicht (lachte W. hei Azayouc an die hihlischen länder Gog
und Magog.
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ZUR PARZIVALFRAGE. 75
anderen namen der liste zuzustimmen, zumal es sich hier um
einen lateinischen Schriftsteller handelt und treue ihm gegen-
über für W. nicht geboten war. Manche namen der liste
sind ebenso wie Ässagouc und Zazamanc von W. noch ander-
weitig benutzt worden, so namentlich Nomadjen tesin Wh. 356, 5;
Orastegentesin < Orestae populi (Sol. 9, 4) P. 335, 22. 385, 6.
Wh. 22, 20. 23, 22. 'Auch abgesehen von abschnitt 770 hat W.
Solins Polyhistor als namenverzeichnis benutzt und ganz be-
sonders da, wo es sich um Feirefiz handelt' (seine geliebte
Secundille stammt aus Solin 1, 88, deren land Tribalibot < Pa-
libotra Sol. 52, 12, ihre Stadt Tabronit < Taprobane Sol. 53, 1
u. s. w.). Ebenso verdankt er die kenntnis der zauberhaften
Wirkung des bocksblutes 105, 18 ff. dem Solin 52, 59. Die stelle
W. 657,28 Persidä da erste zouber wart erdaht ist eine wort-
getreue Übersetzung aus des Honorius von Augustodunum
Imago mundi 1. 1. c. 14 Persida . . . in hoc primum orta est ars
magica (Martin, QF. 42, 6).
Ein mehr als zufälliges zusammentreffen ist es ferner,
dass eine reihe solcher Specialkenntnisse W.'s sich auf Otto
von Freising zurückführen lassen: 1) von dem welschen
erbrecht 4, 28 ff. = Gesta Friderici 2, 29, s. Zarncke, Beitr.
3,323; — 2) von dem katolicö von lianculat, dem armenischen
Patriarchen 563, 7 f. = Chronicon 7, 32, s. Heinzel s. 21. Wilken,
Kreuzzüge 7, 42. Haupt, Zs. f da. 11, 42; — 3) von den zwei ge-
walten im Orient, der geistlichen des baruch in Baldach und
der weltlichen des adnürats entsprechend dem römischen papst
und kaiser Parz. 13, 22. Wh. 45, 16. 217. 23. 434, 1 Chronicon
7, 3 ff., s. Heinzel s. 8; — 4) von dem priester Johannes, der an
Feiretiz' nachkommenschaft angegliedert wird wie der schwanen-
ritter an die Parzivals 822, 23. Nach Oppert, Der presbyter
Johannes in sage und geschiente1, Berlin 1864, s. 13. ist Otto
v. Freising derjenige Schriftsteller, welcher zuerst (( 'hron. 7, 83)
den presbyter namentlich erwähnt und ausführlich von ihm
berichtet.
Noch interessanter ist es, dass wir für eine gelehrte ein-
schiebung W.'s nicht bloss die lateinischen quellen, sondern,
wie es scheint, sogar die textrecension des Werkes nachweisen
können, aus dem sie stammen. Es ist die liste der 58 edel-
steine W. 791. Hierfür hat Bartsch in seinem commentar die
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7G
LICHTENSTEIN
nachweisungen aus Albertus Magnus (Museum f. altd. litt.
2, 141), aus Josephs Gedicht von den edelsteinen und aus
Marbods weit verbreitetem Uber lapidum seu de
beigebracht. Nun stimmen aber viele namensformen nur un-
genau zu denen Marbods, wie sie in den ausgaben stehen,
genauer dagegen zu den lesarten der Prager hs., deren Va-
rianten in Zachers exemplar des Marbod (ed. Beckmann, Gött.
1709), das sich jetzt auf der Halleschen universitäts-bibliothek
befindet, eingetragen sind.') Ich stelle nachfolgend die betref-
fenden fälle zusammen:
w.
Marh.
Präger hs.
, 4 coralitt
§ 20 corallu*
coraliu*
5 optaUie»
49 Ophthalmitis
optalim (Joseph
var. optalliu*
optalias)
7 eljotröpiö
29 heiiotropia gemma
etitropia (sonst -Mit)
8 antrodrayma
48 androdramanta
androdrama
14 echites
25 aetite»
erhites
15 Ugurivs
24 hjncHriux
Uguritu
gof/t'ttes
18 gagates
a gagates ?
10 cegölitus
55 teculithus
cegolitus
17 jacinctus
6 u. 14 hyacinthm
iacinctus
19 alabanda
21 aiabandina
alabamla
24 lippareä
45 laparaea
liparaea
28 melochites
54 molochite*
melochite»
30 berilhts
12 beryllos
perilloH.
(i perillus
Dies sind die sicher nachgewiesenen literarischen quellen;
dass W. aber noch andere benutzt hat. besonders für die arabi-
schen planetennamen 782 (vgl. Bartsch s. 1H2) und die schlangen-
namen 481. 8 (wo er sich auf die nrzdbuoche beruft), ist mit
höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Ks erhebt sich nun die frage: wie ist W. zu dieseu dingen
gekommen? Zwei möglichkeiten sind offen: entweder hatte
er gelehrte freunde, die ihm diese kennt nisse zubrachten, oder
er hatte aufzeichnungen darüber, collect aneen oder dgl. zur
band. Im letzteren falle muss man natürlich die alte ansieht,
dass W. nicht schreiben und lesen konnte, fahren lassen; aber
auch im ersten falle ist sie kaum aufrecht zu erhalten. Wie
konnte er, der ritter, derartige gelehrte notizen, wie konnte
•) Hierauf hat mich herr professor .Sievers aufmerksam gemarht.
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ZUR PARZIVALFRAGE. 77
er jene lateinischen namen aus Solin im köpfe behalten, um
sie an den betreffenden stellen, zum teil mehrmals mit solcher
genauigkeit anzuwenden? Als ein unding aber erscheint es
geradezu, dass er jene 58 lateinischen steinnamen in verse und
reime bringen konnte, ohne sie geschrieben vor sich zu sehen.
Man mag sein gedächtnis noch so hoch veranschlagen, man
mag auch die spielleute und wandernden rhapsoden anführen,
die viele tausende von versen im gedächtnis bewahrten; aber
das waren eben verse, die sie noch dazu unzählige male wider-
holten, bis sie ihnen zum geistigen besitz wurden, und vor
allem es waren dinge, die in ihrem vorstellungskreise lagen!
Hier aber handelt es sich um gelehrte notizen, um lateinische
namen, es handelt sich, alles in allem genommen, um einen
höfischen roman, den W. aus einer fremden spräche übertrug,
und zu dem er weitere fremdartige zutaten von beträchtlichem
umfange hinzufügte. Die art, wie er dieses ungeheure niate-
rial zu einem kunstvollen gewebe verarbeitete, indem er be-
ständig vor- und zurückgriff, lässt ebenfalls die annähme, er
habe dies alles ohne Unterstützung durch das auge fertig ge-
bracht, als nicht recht glaublich erscheinen. Darum wird nichts
anders übrig bleiben, als in seiner äusserung P. 115, 27 ine
htm decheinen buochstup eine polemische Übertreibung zu sehen,
was auch durch den folgenden vers wahrscheinlich gemacht
wird, der ja deutlich auf Hartmannn zielt.')
Ganz ähnlich steht es mit der anderen frage, was wir
von W.'s kenntnis des französischen zu halten haben. Auch
hier hat man sich durch eine polemische äusserung W.'s irre
führen lassen: Wh. 237, 5 ein ungef Heger Tschampäneys künde
iril baz franzeys dann ich, siviech franzeys spreche. Das geht
doch nur auf das wie, auf die qualität seines französisch.
Damit war es allerdings nicht weit her; das zeigen die formen
la schantiure, der pareliure 456.21, schuhtelakunt 43,19. 52,15,
maJiinandc 646,30 u.s.w.2) und seine misverständnisse des fran-
zösischen textes (s. s. 57. 60 anm.), obgleich man hier nicht den
heutigen massstab anlegen darf. Dass er aber eine grosse
menge französisch verstand, das geht schon aus dem umstände
•) Vgl. Holland, Gesch. der altd. dichtimg iu Baiem (Regensburg 1SB2)
s. 127. San Marte, Ueber Wh. s. 106.
») Bartach s. 13S. Heinzel 8. 11.
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78
LICHTENSTEIN
hervor, dass er unter allen mhd. dichtem die meisten fran-
zösischen Wörter und redewendungen in seine darstellung ein-
mischte.') Bisweilen gibt er auch die deutsche bedeutung dazu,
z. b. beä curs. der name ist Huschen schamcr Up 187, 22. Wir
sehen hieraus ferner, dass W. im stände war, französische
nanien zu machen, denn Beacurs begegnet bei ihm auch als
eigenname (323, 1). Er verrät sich häufig durch unfranzösische
bildungen oder gebrauchsweisen, wie Condwir ämürs (s. 31),
Salvasche ah Muntäne 261, 28, Scheute flars als mannesname
(s. 26 anm.). Er bildete zu Lit marveile eine Terre marveile
und ein Schaufel maneil (s. 53) und ebenso zu Munsalvcesche
eine Terre de Salv&sche 251.4 und Fontane la Salvätsche
452, 13. Ja, dieses Munsalvcesche oder Salväsche ah Muntäne
ist vermutlich nichts weiter als eine Übersetzung von Wilden-
bcrc, dem namen seines eigenen lehens, mit dem er das gral-
schloss contrastierend vergleicht 230, 13. 242, 29.2) Da sieht
man, was es mit W.'s vielgerühmter treue gegen die Über-
lieferung (Haupt, Zs.fda. 11,48) auf sich hat. Ich halte es
sogar für eine offene frage, ob nicht W. noch andere fran-
zösische gedichte gekannt hat ausser den beiden, die er
bearbeitet hat, ob er nicht vielleicht gar selber einmal in
Frankreich war oder wenigstens mit französischen rittern sich
unterhalten hat, An gelegenheit dazu dürfte es ihm nicht
gefehlt haben. 'Damals war es an den deutschen höfen sitte,
die französische spräche zu reden und die kinder darin unter-
richten zu lassen. Landgraf Hermann und sein bruder Ludwig
waren im knabenalter zu ihrer ausbildung nach Paris gesant
worden. Von daher mag auch des landgrafen schätz fran-
zösischer bücher herrühren, die der bücherfreund deutsch be-
arbeiten Hess, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er selbst
und seine nähere Umgebung der französischen spräche mächtig
gewesen sei. (Jewis haben an seinem geräuschvollen und nach
W.'s eigenem Zeugnis von ab- und zuströmenden gasten über-
füllten hofe auch französ. adlige und ritter sich eingefunden.' a)
l) Otto Steiner, Die fremdwörter in mhd. dichtwerken, Genn. stud.
2, 245. Leo Wiener, French words in Wolfrain you Escheubach, American
journal of philology 16 (1895) 1326 ff.
Bartsch s. 139. Heinzel 8. 8.
3) San Marte, Ueber Wh. 117 ff. — Vgl. Schultz, Höf. leb. 1«, 157.
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ZUR PARZIYALFRAGE
79
Uebrigens ist bei W. nicht alles echt französisch, was so aus-
sieht: ja, die namen in der liste der von Parz. besiegten fürsten
(772) erinnern stark an volaptik und dürften wol zum grossen
teil reine phantasiegebilde W.'s sein.
8. Stil und composition.
Wir können nach dem vorstehenden gegenüber der be-
hauptung Haupts von der treue W.'s in bezug auf die Über-
lieferung constatieren, dass sich W. in allen beziehungen die
grössten freiheiten erlaubt hat (vgl. s. 58 f.). Dieser Charakter
prägt sich auch in seinem stil aus.1) Er schaltet souverän
mit der spräche und lässt seiner subjectivität ungehindert die
zügel schiessen. Fast nie bewegt er sich in gerader linie vor-
wärts, sondern er erlaubt sich die wunderlichsten abschwei-
fungen und Sprünge. Sein gedankenreichtum und eine gewisse
unruhe des geistes sind die treibenden kräfte. Wo er belehren
will, verfällt er alsbald ins phantastische, in 'fliegende bei-
spiele'; wo er erzählt, da greift er beständig vor und fühlt
ausserdem das bedürfnis, den gang der erzählung, das vor-
läufige verschweigen wichtiger umstände dem publicum gegen-
über zu rechtfertigen, ob wol er sich in völliger Übereinstim-
mung mit seiner quelle befindet (241. 338. 453. 734). Lange
reden kürzt er oder löst sie in gespräche und erzählung auf
(klage der Jeschute ('.4921— 51 s.39, der Sigune C. 4612— 30,
s. 86, Orilus C. 5009—91 s. 40, Artus C. 5464—5510 s. 45, klage
der mutter C. 1602—82 s. 7. 8. 9. 25); aber auch die knappen
wechselreden C.'s sind nicht sein fall. Häufig überstürzt sich
bei ihm der redende, und muss lünterher nachholen, was er
gleich anfangs hätte sagen sollen (P/s eid s. 40, Gawan 303, 15.
Obie 346, 3).
Diese eigenart kennzeichnet W.'s darstellung überhaupt
und kommt auch in der Ökonomie der einzelnen bücher zum
ausdruck: anfangs rasches vorwärtsdrängen, am schluss behag-
liches ausmalen der Situation, nachträgliche erwähnung von
namen und persönlichen beziehungen (s. besonders buch 6).
Man hat die verspätete einführung der auftretenden personen
») Kinzel, Zur Charakteristik des Wolframscheu stils, Zs. fdph. 5, 1.
Vogt in Pauls Grundr. 2a, 281. Ausserdem habe ich mündliche anregungen
des herrn prof. Sievers benutzt.
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LTCHTENSTEIN
besonders auffällig gefunden in den ersten beiden büchern.
Hier werden wir erst gegen den schluss über die Personalien
unterrichtet (56. 108,5); manche namen wie Galoes und Schoette
werden überhaupt nur nebenbei genannt (80,14. 92,24). 'Nun
kann man zugeben', sagt Müllenhoff,1) 'dass diese art unprag-
matischer erzählung bei W, ganz die gewöhnliche ist; halb
vergisst er, weil er zu lebhaft mitten in den dingen steckt,
seine personen am ersten orte ihres auftretens mit namen zu
nennen; ähnlich wie der volksepiker setzt er oft den stoff als
bekannt voraus und beruhigt sich dann, wenn er weiterhin
oder gelegentlich das nötige nachholt, teils unterlässt er auch
aus künstlerischen absichten, um dramatisch und erfolgreich
zu wirken, die nennung oder schiebt sie hinaus; ja man kann
sagen, dies unterlassen der nennung wird bei ihm aus beiden
gründen beinahe zur inanier. Aber hat er die fabel selbst
allein erfunden und sagt dann seinen hörern nicht gleich im
anfange: der sterbende fürst war Gandhi von Anjou u. s. f., so
ist das . . . der abgefeimteste betrug.' Dieser aussprach enthält
eine starke Übertreibung, denn Gandin, Galoes und Schoette
sind nur nebenpersonen , Gahmuret hingegen ist an der rich-
tigen stelle genannt. Dass ausserdem die beurteilung der
Sachlage falsch ist, ergibt sich aus der vergleich ung mit
Crestien. Wo W. auf C. fusst, bringt er die namen früher
als dieser: Parzival (s. 15), Condwiramurs (s. 31), Gahmuret
(s. 7), Herzeloide (bei C. gar nicht benannt), Gurnemanz (s. 23),
Orilus (s. 30). Hier ist er ruhiger und besonnener; hingegen
wo seine eigene erfind ungskraft tätig ist, da geht er viel
weniger sorgfältig zu werke: man darf wrol sagen, es fehlt
ihm an der künstlerischen mässigung, um ordnungsgemäss zu
berichten.
Das gleiche Verhältnis lässt sich auch in anderen dingen
beobachten. (7s darstellung bewegt sich vielfach in allgemeinen
ausdrücken und dunkeln andeutungen, z. b. über die folgen der
frage und ihrer Unterlassung 4707. 0054. 7542, über feinde des
königs Artus und des vaters des beiden 1029—48. 2036—50.
W. bevorzugt demgegenüber concrete angaben: er lässt es von
vornherein nicht im zweifei, dass die frage dem oheim genesung
») Bei Martin, QF. 42, 17; vgl. auch Botticher, Zs. Mph. 13, 428.
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ZUR PAKZIVALFRAOK.
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und Parzival den gral erwerben solle (240, 2—9. 253, 20—30.
255,17—20. 315,30—317,2. 483,20—484,8); ihre Unterlassung
bringt schände und gewissenspein (245. 255,12. 315,20. 318,1
u. <">.); auch die bestimmung des Schwertes bleibt nicht im un-
klaren (240. 5. 254, 15). Als feinde der sippe Parzivals werden
Orilus und Lähelin genannt, als frühere feinde des Artus Ola-
mide und Orilus (s. 12. 34. 37. 44). Den Zusammenhang zwischen
dem tode Schianatulanders und dem folgenden Orüusabenteuer
muss man bei 0. mehr erraten; W. stellt dies klar, allerdings
nicht in dem sinne O/s (s. 37). Das zweideutige, das bei C.
in dem Verhältnisse P.'s zu seiner geliebten liegt, wird durch
eine formelle hochzeit beseitigt (s. 30). Das abenteuer der
verfolgten ritter und jungfrauen im walde ergänzt W. in einer
weise die den Stempel freier erfindung deutlich an sich trägt
(s. 12). Einige dunkle andeutungen C.'s unterdrückt er ganz:
über die foles brctes, die leichtfertigen bretonischen jungfrauen
8070; die verwundeten ritter an Artus' hofe 2144—47. 2193:
das abenteuer auf Montesclaire 0084 s. s. 52. Dessenungeachtet
ist W/s gedieht voller dunkelheiten. Seine springende dar-
stellungsweise, seine neigung, überall anspielungen und ver-
gleiche anzubringen, seine originelle spräche, die das ungewöhn-
liche und entlegene zu suchen scheint, geben dem leser oft
auf schritt und tritt rätsei auf. Er kennt diese seine schwäche,
er weiss auch, dass man ihn deswegen angegriffen hat (Wh.
4, 19. 237, 8, s. Gottfr. v. Strassb. 118, 16), aber er folgt unbeirrt
seinen eigenen bahnen und macht sich über diejenigen lustig,
die ihm in seinen kühnen gedankenverbindungen nicht folgen
können (1, 15). Allerorten guckt bei W. der schalk heraus,
der sich mit seinen lesern herumneckt und ihnen schlankweg
die Verantwortung zuschiebt für das was bei ihm wunderbar
und unglaublich erscheinen möchte.1) Was ergibt sich hieraus?
Offenbar, dass die dunkelheiten W/s aus ihm selber, aus seinen
stilistischen gewohnheiten und seinen zutaten zu erklären sind.
Keine von den dunkelheiten C.'s findet sich bei ihm. Es
kann gar nicht zweifelhaft sein, dass W. ganz der mann dazu
war, zusammenhänge und deutungen selber zu suchen, wo sie
in seiner quelle fehlten. Wir sind demnach weder berechtigt
') Vgl. Kaut. Scherz und huinor a. 63 f. San Marte, Zs. fdph. 16, 133.
Beiträge mr gotchlch'« der deutschen sprach«. XXII. G
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LICHTENSTEIN
anzunehmen, dass, 'wo W. in auffälliger weise kurz erzählt,
die quelle mehr geboten haben müsse', noch 'dass seine quelle
hier bis zur un Verständlichkeit kurz gewesen sei' und W. sie
so copiert habe, ohne dem mangel abzuhelfen. Beide erklä-
rungsweisen wendet Heinzel s. 21 f. an. Von den dort an-
geführten fällen sind die ersten beiden auszuscheiden (197. 12
P/s kämpf mit Kingrun, 200. 10 die landung zweier schiffe
vor Pelrapeire), weil in diesen W. wörtlich mit C. überein-
stimmt (s. s. 30) und die kürze hier nur stilistische eigen-
tümiichkeit ist. Es fehlt hier überhaupt nichts was zum
Verständnis nötig wäre. Der dritte fall aber, das abenteuer
des griechen Hias im wundersehloss 334. 8. ist ganz gewis
eine zutat W.'s (s. s. 54 nebst anm. 1). weil diese hineinziehung
von personell fremder Sagenkreise in die von 0. überlieferten
tatsachen zu \\7s eigentümlichkeiten gehört (s. s. 70 ff.).
Zu den fällen wo Heinzel auslassung oder kürzung seitens
W.'s für wahrscheinlich hält, gehört das Verhältnis Gahmurets
zur königin Ampflise von Frankreich. Hier erkennt man aber
vielmehr daraus, wie W. immer neue einzelheiten nachbringt,
nachdem er anfangs nur ein sin friundin und deren geschenke
erwähnt hat ■) (12, 8, 76, 6. 325, 27. Tit. 38 f. 54. 92. 96. 99), dass
diese geschichte erst nach und nach in seinem köpfe entstanden
ist. Ganz ebenso verhält es sich mit der liebesgeschichte Si-
gunens und Schianatulanders, die schliesslich den dichter so
sehr interessierte, dass er ihr ein besonderes epos widmete.
Von einer ausscheidung dieses Stoffes aus seiner vorläge
(Heinzel s. 22—26) kann keine rede sein. Wenn W. die voll-
ständige erzählung von anfang an vor sich gehabt hätte, dann
hätte er sich schwerlich enthalten können, an den entsprechen-
den stellen, z. b. bei gelegenheit der orientfahrten Gahmurets
(8,2. 12,3. 101,21. 105,3. 498,13), einen hinweis auf die be-
teiligung Schianatulanders und sogar auf dessen weitere Schick-
sale anzubringen, wie er es bei allen in seine geschichte ver-
flochtenen abenteuern tut. Denn vorgreifen und verdeutlichen,
nicht zurückhalten und verdunkeln ist seine art gegenüber
den überlieferten Stoffen ( vgl. s. 88). Ich erblicke also in dem
verschweigen wichtiger umstände an der gehörigen stelle ein
l) Vgl. Schultz, Höf. leb. P, ISS anm. 2 und 3.
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ZUR PAKZIVALKUAGE. 83
kriterium für deren spätere erfindung durch W. und für seine
Selbständigkeit in den betreffenden einflechtungen überhaupt.
Daher auch der unbestimmte ausdruck dm muost se Alexan-
dra sin 18. 11, wo nachträglich noch eine waffentat Gahmurets
in den dienst en des baruchs erwähnt wird;1) daher die auf-
fallende kürze in der erzählung dieser abenteuerfahrten Gah-
murets 14.3 — 15,20 und in der seines todes 102,23. Auch
in diesen fällen wird der bericht erst nachträglich durch den
mund des meisterknappen Tampanis 105, 13 und durch den
mund Trevrezents 407,23 ergänzt.
Eine solche ergänzung hat W. auch am schluss seines
sechsten buches für notwendig erachtet. Hier sind nicht bloss
die beiden letzten dreissiger, welche in den meisten hand-
schriften fehlen, ein späterer znsatz W.'s, wie Heinzel s. 27
zugibt, sondern auch die andern nachtrage (325,17 — 326,3.
320,15 — 329, 14, s. s. 54 f.) und schon die erste einflechtung
von Feirefiz in der rede der gralbotin 317, 3 — 10 sind W.'a
eigentum. Ja, die heidin Ekuba von Janfuse scheint eigens
aus dem morgenlande gekommen zu sein, nicht durch ma>re
mit zerkennen äventiure, wie es \V. 329, 2 in seiner Verlegen-
heit motiviert, sondern eben um jene genaueren notizen über
den orient und Feirefiz anzubringen.
Nun gar die geschiente von dem Warenlager der Secun-
dille, die durch nachträgliche aufklärungen immer complicierter
wird (519,2 — 520,2. 616,15 — 617,30. 623,20. Wh. 279, 13;
vgl. Heiuzel s. 27. 31). Den ausgangspunkt bildet das Schach-
spiel- und juwelenlager des reichen eskiekier*) vor der wunder-
burg bei C. 9013. Es musste erklärt werden, wie dieses dorthin
kam, und dabei fand sich zugleich die mögliehkeit, auch für
andere wunder und kostbarkeiten den Ursprung zu bestimmen
(zwerge, wundersäule, kostbare Stoffe und steine 519, 2. 589, 10.
592, 18. 629, 20) und, was noch wichtiger war, drei bei 0. ge-
trennte personell mit einander in Verbindung zu bringen:
•) Die widererkennung Gahmurets durch den marsehall der künigin
ist vielleicht der Siegfrieds durch Hagen nachgebildet.
2) Heinzel s. 30 übersetzt eskiekier mit 1 Wechsler': das ist unrichtig;
eskiekiei- ist ein verfertiger von eskies s. C. 9014: er ist damit beschäftigt,
einen esehenstab zu glätten, führt aber auch arbeiten in gold, silber und
edelsteinen ans; er ist also kunstdrechsler und juwelier zugleich.
0*
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84
LICHTENSTEIN
Anfortas — Orgeluse — Klinschor. Und dazu kommt noch,
dass die namen Secundille, Tribalibot, Tabronit von W. aus
Solin entlehnt sind (s. 75).
Liegt demnach sachlich kein grund vor, an kürzungen
oder auslassungen \V7s zu glauben, so darf man sich am
allerwenigsten durch gewisse poetische Übergänge bei ihm
täuschen lassen, durch welche er scheinbar andeutet, dass er
mehr sagen könnte, wenn er wollte (Heinzel s. 21). Dass diese
Wendungen rein phraseologisch sind und nach ihrer scherz-
haften färbung einen bestandteil seines 'persönlichen humors'1)
bilden, ergibt sich bei näherer prüfung und vergleichung mit
C. durchweg. W., der personen und namen so gerne häuft
(vgl. s. 73), lässt, nachdem er fast 2 x 30 zeilen mit den wun-
lichen namen besiegter könige gefüllt hat, Parz. bemerken:
772, 26 solt ich gar nennen da ich Mtreit,
daz wieren unknndiu zil:
durch not irh» muoz verewigen vil.
Wer wird das ernst nehmen? Derselbe fall liegt im siebenten
buche vor, das W. mit hilfe seiner Sachkenntnis und phantasie
zu einem grossen schlachtengemälde mit einer menge einzel-
kämpfe erweitert hat (s.s. 62); schliesslich bricht er ab mit
den Worten:
388. 4 solt ich se in alle nennen,
ich wurde ein uinniiezec mau.
Diese geradezu stereotypen redewendungen sind dem Parz. mit
dem Wh. gemein, für den der dichter doch gewis keine zweite
vorläge hattte: zu vgl. P.277,8 (s.s. 44). b'99, 28. 809,23. Wh.
319. 16. 44<>, 29. Es ist überhaupt in so gut wie allen fällen
nichts weiter zu sagen oder zu verschweigen, es handelt sich
um ausschmückungen, um füllwerk, also um erweiterungen W.'s
( vgl. noch 515, 8. (542, 10. 731, 9. 773, 18). Der Übergang selbst
enthält manchmal alles was man noch erwarten könnte, z. b.
816, 1—7, oder aber 'der dichter stellt sich zuerst, als wolle
er etwas übergehen, erzählt es dann aber doch' 401,28. 403, 15
(Heinzel). Dass W. sehr viel aus eigener anschauung und
Phantasie geschöpft haben mag, verraten schliesslich solche
schalkhaften Wendungen wie: 'wenn ihr noch mehr wissen
wollt, dann fragt nur die leute, die es gesehen haben ' (504,5)
») Kant, Scherz und humor 8. 67.
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ZUR PARZ1VALFRAGK.
85
oder *die nachbarn' (Wh-208, 28) oder *die fahrenden leute,
die bei jener hochzeit gäbe empfangen haben* (397, 7) oder
4 die sachverständigen bauleute nnd küchenmeister' (403, 15.
037, 1).
In Übergängen, Verbindungen und moti Vierlingen entfaltet
W. überhaupt eine originale kunst, da 0. hiervon nichts hat
und unvermittelt abenteuer an abenteuer reiht. Das bestreben,
den verlauf der handlung glaubhaft zu machen, tritt dabei
deutlich zu tage. Es verrät sich einmal in directer psycholo-
gischer motivierung (s. s. 67 — 69), ausserdem aber in kleinen
abänderungen und Zusätzen, durch welche die innere Wahr-
scheinlichkeit gehoben wird; 133.17. 133,27 (s. 15). 155.29
(s.20). 162,15. 173,14 (8.21), 177,1 (s. 24). 204,22 (s.31).
209, 2 (s. 32). 218, 28 (s. 34). 221, 1 (s. 35). 140, 6 (s. 37). 281. 23
—282, 3 (s. 46). 361, 1. vgl. f. 6548. Als P. durch das anstarren
der drei blutstropfen in eine art von hypnotischem zustand
versetzt worden ist, da bedarf es besonders starker motive,
um ihn zum bewusstsein seiner läge zurück zu bringen (s. 47.
48. 49).
Wie wenn W. sich hierin nicht genug tun könne, häuft
er bisweilen die motive. Diese erscheiming, die Bötticher,
Zs. fdph. 13, 424 für zwei stellen des zweiten buchs beanstandet
und gegen \V. auslegt, ist vielmehr bei diesem ganz gewöhn-
lich und geradezu charakteristisch. Sie begegnet im Wh. (s.
s. 60) und kehrt im Parz. bei vielen gelegenheiten wider, und
zum teil an stellen, wo W.'s Selbständigkeit ausser zweifei
steht (z. b. 737, 25). Zwei gedanken begleiten P. durch alle
Prüfungen und kämpfe: die Sehnsucht nach der gattin und
nach dem gral 389,10. 425,5. 441,4. 467,26. 619,4. 737,27.
740, 19. Wer W. kennt, wird nicht zweifeln, dass das erstere
motiv sein zusatz ist (vgl. s. 62 f. 69). Zwei gründe bestimmen
P., von seiner gattin abschied zu nehmen: der wünsch, die
mutter widerzusehen, und ottch durch äventiure eil 223, 23
(s. 35). Zwei veranlassungen führen den kämpf zwischen
Orilus und Schianatulander und den tod des letzteren herbei :
die fehde um P.'s erbländer und ein minnedienst 140. 28. 141, 16
(s. 37). Hiermit vergleiche man das turnier vor Kanvoleiz:
zwei verschiedene, für sich durchgeführte und nur äusserlieh
in der person Gahmurets verbundene motive laufen hier neben
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LICHTENSTEIN
einander her: die fehde zwischen Hardiz und Kailet 07, 29.
89,9. 100,21. 48,11 und das turnier um Herzeloydens hand
00,9. 85.13. 88,25. 96,1. Jenes stammt möglicherweise aus
der von W. hier eingeflochtenen erzählung von Lämbekin
von Brabant 89, 13, vgl. s. 72); dieses ist für die haupthand-
lung notwendig und W/s erfindung wol zuzutrauen. Das
'ganze hat ausserdem ein analogon in dem turnier vor Bea-
rosche im siebenten buch. Auch diesem liegt keine einheit-
liche anschauung zu gründe: (\ spricht nur von einem turnier
(6211.42. 48 u.ö.), W. macht daraus eine kriegerische belage-
rung (349, 7. 351, 25); aber die sache läuft auf dasselbe hinaus,
denn einerseits hat auch 0. die vermauerten tore 0274, andrer-
seits schwankt \V. noch zwischen den beiden begriffen 347, 13
t'z si strifen oder turnei, vgl. 355, 19. 350, 11. 380,28. 387.30.
Das motiv des Melianz bei (\ ist einfach, sich in rittertaten
auszuzeichnen, wie die dame es geraten hatte. 0247; bei W.
kommt ein edler zorn und das verlangen nach räche hinzu,
weil er dem vater mitschuld an seiner demütigung beimisst,
347, 9. Vergleicht man die beiden darstellungen, so sieht
man deutlich, wie eine aus der anderen hervorgegangen ist,
und W. brauchte gewis keinen vermittler, um diese Weiter-
bildung der fabel vorzunehmen, die mit ihrer tiefen seelischen
erregung und mit ihren germanischen rechtsansehauungen (ge-
rieht der genossen 347.24. mannentreue 354,30) durchaus für
seine Urheberschaft spricht. In ähnlicher weise kann man
vielfach bei \Y. eine entwicklung der Vorstellungen beobachten
(vgl. s. 82). dergestalt dass die anfangs heischende begründung
einer handlung zurücktritt und einer neuen auffassung platz
macht. Das kampfverbot des Artus 280, 20 ist zuerst eine
massregel zur aufrechterhaltung der diseiplin. nachher 280, 10
führt der könig die nähe der gralburg als grund an; das ist
aber ein zusatz. der keine berechtigung hat. wie s. 47 gezeigt
worden ist. Gahmurets auszug wird zu beginn der erzählung
4, 27 mit seiner crblosigkeit motiviert; später wird dieser
grund durch den edelmut des bruders hinfällig.') und nun ist
es einfach der tatendrang, der ihn aus der abhängigkeit und
Untätigkeit hinaus in die freie weit und zur eroberung eines
'> Bottiche, Zs.fdph. 12, 37S».
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ZUR PARZIVAL FRAGE.
87
eigenen herdes treibt (7, 19. 8. 8). Nichts verbietet, diesen
gedankengang dem dichter tatsächlich zuzuschreiben. Seinen
abschied von Belakane motiviert Gahmuret ihr selbst gegen-
über in einem briefe (55,24. 56,25) mit der Verschiedenheit
ihres glaubens. Als entscheidenden grund aber gibt er später
(90,29. 96,29) die Zurückhaltung von ritterlichen taten, die
sie ihm auferlegte, und die besorgnis sich zu verliegen an.
Dieses zweite motiv hat nach Bötticher (Zs. fdph. 13, 424) W.
hinzugefügt, 'um den sittlichen makel, der seinem beiden an-
haftete, von ritterlichem gesichtspunkte aus, so weit es mög-
lich war, zu vertuschen'. Das erste motiv aber war darauf
berechnet, auf Belakane eindruck zu machen. Sei es nun,
dass dieses nur ein vorwand war, oder dass Gahmuret wirk-
lich zu seinem schritte durch mehrere erwägungen bestimmt
zu denken ist, oder endlich dass in dem köpfe des dichters
die eine Vorstellung die andere ablöste: ein grund zur annähme
einer verlorenen quelle liegt nicht vor.
Aus all dem angeführten geht eius mit Sicherheit hervor,
dass wir W. die tendenz zu motivieren und zusammenhänge
herzustellen in hohem grade zuschreiben dürfen; damit ist frei-
lich nicht gesagt, dass dieses princip nun überall gleichmässig
durchgeführt wäre. Wie in bezug auf die eingestreuten an-
spielungen und beziehungen, so gibt er auch hierin stellen-
weise ein zuviel, während anderwärts mancher unvermittelte
gedankensprung stehen geblieben oder vielmehr durch \\7s
stilistische eigenheiten erst hineingekommen ist.
Ein streben nach einheitlichkeit und besserer Verbindung
gibt sich auch in der anordnung des Stoffes kund, die gegen
C. manche Verschiebungen innerhalb der einzelnen abenteuer
aufweist. Urbach s. 23 führt eine ganze reihe von beispielen
auf, wo bei W. Unterbrechungen des dialogs (P. und die ritter
im walde, P. und die mutier, P. und Sigune) oder der erzäh-
lung (die schiffe vor Pelrapeire, die schmähreden der damen
in Bearosche) durch Umstellung beseitigt und ein zweckloses
zerreissen des gedankenzusammenhangs glücklich vermieden
ist. Ich möchte besonders auf den schluss des sechsten buches
hinweisen, wo alles was sich auf die abreise bezieht (auch
das Zwischenstück zwischen dem erscheinen der gralbotin und
des Kingrimursel und die rückkehr des hofes nach Karidcel,
88
MCHTENSTEIN
s. s. 53. 54. 55), bis zuletzt verschoben und hier zu einer gemüt-
vollen absclüedsscenc ausgesponnen ist. Umgekehrt ist am
anfang des dritten buches zusammengestellt, was C. erst später
gelegentlich über die erziehung P.'s sagt, und diesem teile
wider ist die geschiente der eitern vorausgeschickt, die auf
motiven aus der abschiedsscene bei 0. beruht. Anticipationen
bilden überhaupt die regel unter den Umstellungen W.'s. Nicht
nur namen finden wir bei ihm früher (s. s. 80) und andetitungen
späterer abenteuer (135,14.21. 340,1), sondern es sind in die
darstellung eine menge einzelner züge und ganzer scenen ver-
webt, die bei C. viel später und bisweilen in einem ganz
anderen zusammenhange ihre wörtliche entsprechung finden:
P.'s kosenamen (s. 8), die entführung der Arnive (s. 57, anm. 2),
die lehren über das grtissen und über die Vermeidung dunkler
fürten (s. 13. 14), das erste Sigunenabenteuer (s. 15). die Prophe-
zeiung des toren, Keies stab, die zöpfe (s. 19). der tod des
Schenteflurs (s. 26), Trevrezents kefse und Taurians speer bei
P.'s eid, vorweggenommen aus (Hawaiis eid (s. 41). (Hawaiis be-
merkung über seinen namen (s. 50), Kingrimui-sels sicheres
geleit für flawan (s. 54). Die Verfluchung P.'s durch Sigune
255.2 wird von Küpp s. 25 unter den Überschüssen W.'s auf-
geführt; ich meine aber, dass sie nichts weiter ist als eine
vorgreifende nachahmung der Verfluchung durch die gralbotin.
Sigunens rede ist im anfange bei beiden dichtem überein-
stimmend ein weheruf. dann aber schwebte W. die spätere
stelle vor, und er konnte der Versuchung nicht widerstehen,
schon hier, unmittelbar nach der Verschuldung P.'s. den fluch
einzuführen.
In solcher weise hat \Y. oft bei parallelen scenen aus-
gleiche vorgenommen, vgl. den empfang der besiegten ritt»
(s. 44), Gawan und Jofreit fiz Idcpl (s. 35). Aber unangenehme
widerholungen unterdrückt er: das schweigende verhalten des
königs auf P.'s zweimalige anrede C. 2099. 211(5 (s. 17), Iwanets
berieht (s. 20), die nachricht vom tode der mutter (s. 38), die
erzählung des Orilus (s. 40). Clamides botschaft, die Prophe-
zeiung des toren, Artus' erzählung (s. 45), die zweimalige
namensnennung P.'s ('. 5800 f. 5936 — U) (s. 51), die zweimalige
erinnerung an (iurnemanz auf der gralburg (■. 4380 — 90. 4421
-31 — \V. 239, 8— 17, den dreifach widerholten streit der
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ZUR PA KZI V ALFRAGE.
89
damen in Bearosche C. 6376 — 94. 6408 — 29. 6898 — 6946 =
W. 357, 28 — 358,14, das zweimalige erwachen des Griogoras
0. 7949. 8325 ^ W. 506, 18. Geschickt versteht er es, ab-
wechslung zu schaffen, siehe Orilus' zusammentreffen mit
seiner Schwester (s. 45 f.), P.'s kämpfe mit Segramors und Keie
(s. 48). Tn fast allen parallelen scenen hat W. entlehnungen
von vor- oder rückwärts gemacht und dadurch oft eine pas-
sendere anordnung genommen: siehe die lehren der mutier
und des Gurnemanz (s. 13. 24), P.'s kämpfe mit Kingrun und
Hamide (s. 30. 33). die hässlichkeit der gralbotin und des
knappen Malcreatiure (s. 52), die scene auf der gralburg und
die erklämng derselben durch Sigune, Kundrie und Trevre-
zent (s. 52).
Nichts nötigt oder berechtigt uns. auf einen dritten zu
schliessen, der unserm W. die hier erwähnten änderungen so
zurechtgelegt hätte, wie er sie widergibt. Das ist bei W/s
bekannter Selbständigkeit sogar im höchsten grade unwahr-
scheinlich und in einigen der angeführten fälle direct aus-
geschlossen (vgl. auch W.'s verhalten im Willehalm, s. 60).
Ausserdem ersieht man aus den theoretischen excursen, in
denen W. den gang der erzählung verteidigt, 241. 338. 453.
734, dass er sich mit bewusstsein von künstlerischen principien
leiten lässt.
Wie von der zweckmässigen anordnung und Verbindung
des einzelnen, so gilt dies insbesondere von dem planvollen
aufbau des ganzen. Dass wir den romantorso (7s bei ihm
vorn und hinten ergänzt finden, will noch nicht viel bedeuten:
das hätte ein unbedeutenderer bearbeiter auch vermocht. Die
abgerundete form jedoch und die übersichtliche disposition, in
der das ganze bei W. erscheint, ist das werk eines grossen
dichters. Die geschiente des hehlen gliedert sich darin in
fünf grosse abschnitte:
1. P.'s jugend bis zur Verfluchung durch Kundrie (b. 3 — 6).
2. P.'s trotzige Verzweiflung: erste Gawanepisode (b. 7 — 8).
3. P.'s bekehrung und absolution (b. 9).
4. P.'s reumütiges suchen nach dem gral: zweite Gawan-
episode (b. 10—13).
5. P.'s bewährung und erlangung des gralkönigtums (b. 14
-16).
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LICHTENSTEIN
Man braucht gar nicht anzunehmen, dass W. diese disposition
in ihrer abstracten fonn vor äugen gehabt und etwa danach
gearbeitet habe: es genügt, dass sich das vorliegende werk
dieser betrachtungsweise ungezwungen fügt. Und W. ist nicht
ohne verdienst daran.
Die störenden Gawanepisoden wegzulassen oder erheblich
einzuschränken, dazu konnte er sich freilich nicht entschliessen,
weil er überhaupt so gut wie nichts weglässt (ausgenommen
einige widerholungen, dunkle andeutungen und rohe züge, s.
s. 88. 81. 68): insofern also ist er treu gegen die Überlieferung.
Aber er hat ein anderes mittel gefunden, um die Störungen
des Zusammenhangs nicht zu völligen Unterbrechungen werden
zu lassen und sie sogar für die darstellung der inneren ent-
wicklung des beiden in geschickter weise zu verwerten. Er
lässt diesen fortwährend im hintergrunde der scene erscheinen
und bewirkt dadurch, dass wir nie aufhören, uns in gedanken
mit ihm zu beschäftigen. Die entstehung dieser meisterhaften
einfleehtungen will Küpp s. 25 in die hypothetische gemeinsame
quelle verlegen, 'weil bei der erzählung eines so wichtigen
und ausführlich berichteten ereignisses' der held des gesammten
gediehtes 4 doch nicht gänzlich vergessen gewesen sein kann*.
Heinzel s. 37 erblickt darin einen 'künstlerischen vorzug' des
nicht minder hypothetischen Werkes von Kyot, 'den ('. wol
gewürdigt und beibehalten hätte', wenn er ihn in der gemein-
samen quelle vorgefunden hätte. Ich meine aber, dass dieser
zug demjenigen angehört, der selbst im AVillehalm sich nicht
enthalten konnte, beziehungen auf Parzival anzubringen, der
scene für scene die gelegenheit wahrnimmt, auch die übrigen
personell des dramas an der handlang zu beteiligen (vgl. Cla-
mide in der Orilusscene 277,6. das turnier von Kanvoleiz 65,
20 ff. 68, 22), und der die getrenntesten abenteuer mit einander
in Verbindung zu bringen gewusst hat (Anfortas — Orgeluse
Klinschor). Hier haben wir die übereinstimmenden merkmale
einer dichterindividualität, die nirgend wider mit solcher be-
stimmtheit in der mittelalterlichen literatur auftreten. In den
uns überlieferten französischen gralromanen ist von einer plan-
mässigen anordnnng und Verteilung des Stoffes überhaupt
keine rede: die Gawanepisoden nehmen bei den fortsetzern
C.'s einen immer breiteren räum ein. \V. allein hat es ver-
zed by Googl
ZUR PARZIV ALFRAGE. . 91
standen, sie in den rahmen des ganzen einzufügen,') und er
folgte dabei wol nur einem glücklichen instinct seiner eigen-
artigen dichternatur, jenem triebe, überall beziehungen her-
zustellen.
Wie wenig abstract logisch er dabei verfuhr, zeigt die
ziemlich inconsequente durchführung des planes. Golther unter-
scheidet deshalb s. 1 16 ganz richtig eine doppelte umgestaltende
tätigkeit innerhalb des Parzival: einmal den planmässigen
aufbau der geschichte, andererseits die zahlreichen Ungleich-
heiten, Seitensprünge und abschweifungen. Letztere zusammen
mit der ethischen auffassung will er \V. vindicieren, erstere
schreibt er Guiot (Kyot) zu. Das ist jedoch durch nichts be-
wiesen; die Vereinigung beider Seiten in einem dichtergeiste
ist möglich und für W. sicher zu erweisen. Der trieb, überall
beziehungen anzubringen, der sich auch im Titurel und Wille-
halm so bestimmt ausprägt, führte ihn einmal zur Verbindung
des zusammenhangslosen, in seiner Übertreibung aber bewirkte
er die einflechtung von allerlei überflüssigen und störenden
hinweisen und verschuldete es so, dass jene einheit unvoll-
kommen bb'eb.
Nun wird jeder zugeben, dass es leichter ist, einen über-
lieferten stoff planvoll auszugestalten, als in eigener erdichtung
das rechte mass zu beobachten. Freie erfindung war überhaupt
nicht die stärke des deutschen dichters im mittelalter. Dürfen
wir uns also wundern, wenn wir gerade in den ersten beiden
büchern des Parzival, die von (\ so gut wie unatfiÄngig sind,
so viel des überflüssigen finden? Der eigentliche gegenständ
dieser bücher ist die geschichte von P/s eitern; aber wie Höt-
t icher, Zs. fdph. 13, 421 bemerkt, macht dieselbe nur einen teil
ihres inhalts aus: 1—15 Gahmurets abenteuerfahrten, 58, 27 -
80, 30 turnier vor Kanvoleiz, 87, 1—0. 90, 1 — 97, 12. 98, 15 —
') Dass wir es mit einer nenerung W.'a zu tun haben, erkennt man
auch aus «lein Übergang IX, 433. 14. 434, 4. wo «ler dichter ganz wie ('. 75 8<»
IM» voraussetzt, dass «ler leser von Parz. seit seinem al»schie«l von Artus
hl VI nichts wisse, während doch VII, 383, 23. 388. 8. 3W2. 20. VIII, 424, 18
von V. die rede gewesen ist, vgl. Heinzel s. 102. Hätte sich dieser wuler-
spruch schon in W. 's vorläge befunden, dann müsste W. widerum ge«lanken-
los übersetzt haben, statt dass er nach unserer annähme nur verabsäumt
hat, alle spuren der alten, von ihm geänderten fassung zu verwischen, vgl.
». 57, 4 und anm. 3.
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92
LICHTENSTEIN
101,20 Vermählung, 101,21 — 114,5 ftahmurets tod und Par-
zivals geburt 'Diese abschnitte enthalten alles, was zum
Verständnis der geschichte P.'s nötig ist': alles übrige ist
überflüssig und geeignet, das interesse von dem hauptzweck
abzulenken, so vor allem die geschichte der mohrenkönigin
Belakane, welche den grössten teil des ersten buche« füllt.
Die einführung ihres sohnes Feirefiz, der allerdings zum
Schlüsse des Parzival in directer beziehung steht, bedurfte
keineswegs einer so umständlichen motivierung. Das ist voll-
kommen richtig, aber diejenigen, welche bei dem dichter con-
sequenz und beschränkung auf das streng notwendige suchen,
vergessen die lust am fabulieren, welche auch bei W. stark
entwickelt war. Die ansieht, dass die bücher 1 und 2 nur dann
W.'s erfindung angehören könnten, wenn sie die aufgäbe, eine
Vorgeschichte des eigentlichen romans zu bilden, vollkommen
und ausschliesslich erfüllten, beruht auf einer falschen Voraus-
setzung; sie überschätzt \\7s kunst in der composition und
die kunstanforderungen der zeit überhaupt 'Wenn man von
einem meisterhaften aufbau des Parzivalgedichts spricht',
sagt Hertz s. 108, 'so kann das nur für den phantastischen
stil seiner zeit, nicht für die strengeren anforderungen des
modernen kunst vei-standes gelten. Die epen der ritterlichen
dichter lieben wie ihre bürgen mehr den eindruck malerischer
Willkür als architektonischer notwendigkeit.' Wollte man übri-
gens unsere berühmtesten neueren romane daraufhin prüfen,
Goethes Wilhelm Meister nicht ausgeschlossen, es würde so
manches eapitel von dem tadel Böttichers getroffen werden.
Die mangelhaftigkeit der composition in den beiden ersten
büchern des Parz. spricht also nach dem gesagten weit eher
dafür, dass W. sich hier in selbständiger erdiehtung versuchte,
als dass er eine fertige vorläge bearbeitete. Zu dieser er-
kenntnis ist auch Bötticher am Schlüsse seiner hier und oben
s. 80 citierten abhandlung1) gekommen: 'gestützt auf den
') Zs. fdph. 13. 420. Erwähnt mag noch werden, das.* die Verwechs-
lung von hämisch and zeit in bnch 1 und 2, die nach Bötticher s. 428
'eins der wichtigsten momente sind, welche die annähme einer verlorenen
quelle unbedingt fordern ", trar nicht existiert, wie Heinzel s. SM» nachweist,
sondern nur hnrnosch in einer weiteren hedeutunir (krie»sausrüstunir sainint
dem zeit; gebraucht ist wie 353,0. 302,17.
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ZUR PARZIVALFRAGE.
93
umstand, dass Kyot in diesen beiden büchern nicht genannt
wird, und mit rücksicht darauf, dass W. den Kyot ganz me-
chanisch und gedankenlos übersetzt haben müsste, wenn er
die Vorgeschichte bei ihm schon so, wie er sie uns gibt, vor-
fand, könnte man vermuten, dass Kyot die Vorgeschichte gar
nicht hatte, sondern dass W. die verschiedenen erzählungen
...zu einer einleitung in die geschichte P.'s verarbeitete;
Fassen wir die vorstehenden ausführungen über die per-
sönlichkeit unseres dichters zusammen, so ergibt sich, dass die
versuche, aus den abweichungen \\7s von C. eine einheitliche
vorläge zu construieren, zu künstlichen und unwahrscheinlichen
deutungen führen, dass vielmehr alle die scheinbar so ver-
schiedenartigen bestand teile sich am einfachsten und ungezwun-
gensten als aus dem geiste W.'s hervorgegangen erklären. Man
hat meines erachtens bei der ganzen Untersuchung allzu sehr
das logische element betont und den psychologischen gesichts-
punkt darüber nicht genügend beachtet. W. ist ein mann, in
dem sich starke Widersprüche vereinigen: ritterliche kampfes-
lust und grübelnder tiefsinn; Verehrung edler Weiblichkeit und
sinnliche derbheit; echt deutsche riehtung in sitte, denken
und gefühlsleben und prunken mit französischen sprachbrocken ;
enger anschluss an seine vorläge und freiheit, ja Willkür in
unzähligen einzelheiten; klarheit gegenüber unbestimmten an-
deutungen in seiner quelle und geheimnisvolle dunkelheit in
seiner eigensten ausdrucks weise; planmässige anordnung, syste-
matische Verknüpfung des unzusammenhängenden und locke-
rung des gefüges durch abschweifungen und nebenbeziehungen.
[Nachtrag. S. 30 ist bei no. 5 durch ein versehen der
letzte absatz ausgefallen: \V. 201, 19—20. 202, 26—30. 203,
2—3. 6—11 ^ C. 3750—53. 3807—13. 4088—93 (vgl. 3260—
61). — W. 203, 1 zwen tage unt die dritten naht; nach C. 3926
beträgt die Zwischenzeit zwischen den beiden kämpfen P.'s
drei nächte. — W. 201,21 — 202, 9 moralisierende betrachtung,
die sich inhaltlich vielfach berührt mit 0. 5034—50 und 8542 ff.
- \Y. 202, 10— 14 = C. 8205—14. — [W. 202, 25 deutsche sitte.
— 203, 3—5 P. erinnert sich der lehren der matter und des
Gurnemanz.J ]
LISSA. JULIUS LICHTENSTEIN.
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ZU WOLFRAMS LIEDERN
1. Die echtheit der beiden letzten lieder.
lieber die echtheit des bei Laclimann s. 9 und des in der
vorrede s. xn abgedruckten liedes ist schon viel gestritten, ohne
dass bisher die arten über diese frage geschlossen wären. Das
erste lied ist von Laehmann zwar der Sammlung einverleibt,
aber nachträglich auf eine bemerk ung Wackernagcls hin ein-
geklammert. Paul (Beitr. 1. 202), dem Behaghel (Germ. 84. 488 ff.)
und Roethe (Zs. fda. 34. 95) gefolgt sind, nimmt die drei ersten
Strophen für Wolfram in ansprach. Andere (v. d. Hagen. Ooe-
deke, San Marte, Kant, Bartsch) halten an dem wolframischen
Ursprung des ganzen liedes fest.
Ich teile die ansieht Pauls und bemerke zu ihrer stütze
noch folgendes:
Die mythologische anspielung in str. 5 (Venus diu gotinnc)
steht in Wolframs Hedem einzig da. Für Paul sprechen femer
die anklänge von ir frömde krenketz herze min (10, 7) an Mo-
rlingen und ir fremeden h enket mir duz herze min (MF. 126,20)
und von daz schaffet mir ir roter munt, ir minneclichez Jüchen
kan mir wol gemachen höhen muot (10, 18 — 21) an Walther
daz hat ir scheene und ir giiete gemachet und ir röter munt,
der so liepliehen lachet (110,18). Auch durliuhtic röt ist ir
munt als ein rubbin (10,2) enthält einen häufig vorkommenden
vergleich. Ob dem unbekannten Verfasser hierbei gerade Par-
zival stellen vorgeschwebt haben (einen munt durliuhtic röt
130,5; sin munt als ein rubin sehein 03, 16), mag dahingestellt
bleiben; dagegen zeigt, worauf schon von anderer seite hin-
gewiesen ist, die 'tauige rose' (9,38) im zusammenhange mit
den andern gründen sicher den bewussten nachahmet- Wolframs
(Wh. 270, 20. Tit. 110. 1). Und am Schlüsse welche nachlässig-
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ZU WOLFRAMS LIEDERN.
95
keil des ausdruckst diu hat gehcehet mir dm muot uud eine
reihe weiter: tV minnecUchez fachen kan mir wol gemachen
höhen muotl
Gegen den gemeinsamen Ursprung der drei ersten Strophen
hat man wol den Übergang von der anrede der geliebten (str. 1
und 2) zur dritten person (in str. 3) angeführt und deshalb
Wolfram auch die dritte strophe absprechen wollen (Stosch,
Zs. fda.27.321 anm. 2). Dieser grund ist nicht stichhaltig: um
ein beispicl herauszugreifen, so wird in dem Morungischen liede
MF. 132, 27 von der geliebten in der dritten, dann in der
zweiten und in der schlussstrophe wider in der dritten person
gesprochen. Der vlins von donrestralen (in str. 3) begegnet
freilich auch Wh. 12, 16— 18, aber dieser umstand allein darf
unser urteil nicht beeinflussen; da str. 3 nach ihrem inhalt
und ihrer sprachlichen und metrischen form genau zu den
beiden vorhergehenden stimmt, so haben wir uns dahin zu
entscheiden, dass Wolfram sich späterhin im Willehalm wider-
holt hat: eine bekanntlich bei ihm häufiger zu beobachtende
erscheinung.
Das lied dürfte somit von einem nachahmer Morungens
und Wolframs zu seiner heutigen gestalt erweitert worden sein.
Auf diese mulier desinens in piscem folgt in C ein lied.
das Lachmann aus metrischen gründen von vornherein aus-
geschlossen und nur in der vorrede abgedruckt hat. Hehaghel
(a.a.o.) weist Lachmanns begrtindung als nicht beweiskräftig
zurück und schreibt Wolfram das gedieht zu. räumt aber
ausdrücklich ein, dass es 'nicht besonders originell' sei.
Nun haben Lachmanns gründe freilich wenig bestechendes,
aber dennoch dürfte sein urteil das richtige getroffen haben.
Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit lässt sich auch dieses lied
als das produet eines nachahmers erweisen.
Vgl. mich hat leit in truren bräht XII, 11 : mich hat ein
Uep in trüren bräht Reinmar, MF. 158, 9. Ferner: der ich mine
tage habe gedienet uz der mäze zil XII, 15 : disiu sorge get mir
für der mäze zil Morungen, MF. 138, 8. Ausführlicher ist ein-
zugehen auf XII, 18—20:
geschürt des niht und stirbe ab ich.
frowe min, uu .sprich,
öf wen erbe ich danne diae not?
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96
KÜCK
Der dichter kann nur nieinen: 'auf wen soll ich im falle meines
vorzeitigen todes meine liebesnot vererben, sc. damit er dich
in liebe bezwingt und so mich rächt?' Die crgänzung dieses
gedankens ist nicht gerade leicht; der dichter lässt sich hier
ohne zweifei von M orangen (MF. 124, 32 — 125, 18) ins Schlepp-
tau nehmen. In diesem bekanntlich auch von Walther (72,31
— 73,22) nachgeahmten gediente heisst es:
mime kinde wil ich erben dise not
und diu klagenden leit diueh hau von ir.
wtenet si daii ledic sin. ob ich bin tot.
ich laz einen tröst doch hinder mir,
daz noch scluene wirf min nun.
daz er wunder ane %v
also daz er mich reche
und ir herze uar zerbreche,
so sin also rehte sclnenen se.
Ks findet sich zwar, wie Rehaghel nachweist, im reim und
ausdruck einiges was an Wolfram erinnert, aber nach den
bisherigen ausführungen ist dies auf die rechnung eines be-
wussten nachahmers zu setzen. Ausserdem geht die erste
strophe auch unter den namen Gedruts und Rubins von Rü-
deger, ein umstand, der die Verfasserschaft Wolframs von
vornherein in bedenklichem lichte erscheinen lässt und dies
um so mehr, als das lied in 0 an letzter stelle steht.
Ich fasse meine darlegungen dahin zusammen, dass im
gegeusatze zu dem ersten teile des vorletzten (8.) liedes der
zweite teil und ebenso das letzte (9.) lied von uachahmungen
verschiedener dichter durchsetzt sind und schon aus diesem
gründe schwerlich Wolfram zum Verfasser haben können.
Roethe. dem ich vor längeren jähren als Student dieses niate-
rial vorlegte, zog aus dem umstände, dass die nachahmung
Wolframs und Morungens sich über 8,2 und 9 erstreckt, den
allerdings wol unabweisbaren sehluss, dass der fortsetzer des
achten und der dichter des neunten liedes eine und dieselbe
person seien.
2. Die reihenfolge der lieder.
Die von San Marte zuerst ausgesprochene ansieht, dass
wir in den Uedem Wolframs einen cyklus von lyrischen
erzeugnissen hätten, die einem und demselben liebesverhältnis
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ZU WOLFRAMS LIEDERN
97
ihre entstehung verdankten, lässt sich nicht aufrecht erhalten.
Zuletzt hat Domanig in einem aufsatze 'W. v. Büchenbach und
seine gemahlin' (Hist. jahrb. d. Görres- Gesellschaft 3, 1, 67 ff.)
die frage berührt, aber sein dort gegebenes versprechen, über
die lieder Wolframs eingehender zu handeln, noch nicht eingelöst.
Er setzt richtig den hebel bei dem dritten liede an, betrachtet
es im zusammenhange mit der einlage zwischen buch 2 und 3
des Parzival1) und folgert hieraus, dass der dichter damals
mit seiner ersten geliebten zerfallen gewesen sei, sie mit schelt-
gedichten verfolgt und sich hierdurch2) den hass der frauen-
weit in seinen kreisen zugezogen habe. Somit bezöge sich
das dritte lied auf eine zweite geliebte, während alle übrigen
an die erste gerichtet seien (s. 70 anm. 1). Ich stimme Domanig
bei einmal in der Verteilung der lieder auf zwei liebesverhält-
nisse und darin, dass III an die zweite geliebte gerichtet sein
muss, aber im übrigen bin ich bei der näheren durchforschung
der uns hier beschäftigenden frage vielfach zu anderen ergeb-
nissen gelangt und halte Kinzels (Jahresber. f. kl. ph. 4, 140)
beistimmendes urteil nur teilweise für berechtigt.
Ausgehend von der 'künstlerischen Wahrhaftigkeit' Wolf-
rams — und nur die Überzeugung von der richtigkeit dieser
ansieht berechtigt uns zu solchen Untersuchungen — haben
wir zunächst die vier tagelieder (I, II, V, VII) derselben
zeit und demselben Verhältnisse zuzuschreiben: der
gleiche inhalt, die gleiche kecke und doch von lüsternheit
freie Sinnlichkeit durchzieht sie und hebt sie scharf von den
übrigen Hedem ab, in gedanken und ausdruck finden sich auf-
fallend viele Übereinstimmungen.1) Auch der umstand, dass
') l'ebrigens sah schon v. «1. Hagen (Minnes. 4, 227). das« die im dritten
lied genannte schnldhafte fran jene wankelmütige »ei, deren in der einlage
de« Parzival erwiihnnng geschehe. Die richtigkeit dieser bemerknng er-
kannte auch Haupt an (Zs.fda. 11. 49); was Haupt im übrigen in seinem
Wolframcolleg über die lieder gelehrt hat, ist leider von Belger in Haupts
biographie (vgl. s. 27S) nicht veröffentlicht worden.
*) Besser 'hierbei', denn nicht die Bchmähgedichte an und für sich
erreiren die erbittemng der frauenweit, sondern die angriffe, zu denen sich
der gekränkte dichter gleichzeitig gegen die frauen schlechthin fortreissen
Itat (s.u.).
8j Ich zähle 25 stellen, an denen zwei oder mehr tagelieder zusammen-
klingen.
Beiträge nur getckiciite der deuticheu ipraobe. XXII. 7
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98
KÖCK
epische demente, wenn auch ungleichmäßig, in alle eingestreut
sind und jedes lied — offenbar der abwechslung wegen —
eine andere Staffage zeigt (in I spricht nur die dame, in II
Wächter und dame, in V ritt er und Wächter, in VII ritter und
dame), darf mit als beweis hierfür benutzt werden. Eine
chronologische anordnung der tagelieder scheint sich dagegen
nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vornehmen zu
lassen.1)
Weshalb ist nun die dame mit der Wolfram nach dem
ausweis des dritten liedes und der Parzivaleinlage sich über-
worfen hat, die geliebte der tageslieder? Die Worte der
Parzivalstelle (114,5):
wan einer bin ich unbereit
dienstlicher triuwe :
min zora ist immer niuwe
«:ein ir, sit ich se an wanke saeh.
beweisen zunächst, dass der bruch durch die untreue einer
gehebten herbeigeführt ist. Der dichter muss also bereits
die gunst seiner dame genossen haben: nur so rechtfertigen
sich seine klagen über ihre untreue, nur so lässt sich sein
leidenschaftlicher hass gegen sie verstehen. Ich denke, das
weist deutlich genug darauf hin, dass die ungetreue und die-
jenige dame, mit der er in der zeit der tagelieddichtung ver-
trauten Umgang gepflogen hat, dieselbe person ist. Noch eine
audere erwägung führt zu diesem resultat: im dritten buch
des Parzival (str. 172), d.h. nicht lange nach dem beginne der
neuen liebe (s. u.), spricht der dichter durch (Tiirnemanz' mund
ein Verdammungsurteil über die Unsitte und unsittlichkeit der
gefahrvollen nächtlichen liebeshändel: er selbst hat also da-
mals die tagelied periode bereits überwunden, und diese muss
') Im metrischen bau zeigen I und II mit ihrem sechszeiligen auf-
gesange und seiner reimstellung abc abc eine nähere verwantschaft gegen-
über dem am kunstvollsten von allen tageliedern gebauten VII. Hede, wah-
rend V in der zahl und der reimstellung der auftaktszeilen mit I und II
übereinstimmt, andererseits in den gleitenden reimen des abgesanges an
die reimkünste von VII erinnert. Möglicherweise wäre also die reihenfolg«'
I. II (II, I?), V, VII anzusetzen. Was die beinüschuug epischer elemente
betrifft, so sind diese in I, dem vielleicht ältesten tageliede, am stärksten
vertreten (titi proc), dann folgt freilich VII (33 proc.), V (25 proc; und
schliesslich II (20 proc.;.
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2U WOLFRAMS LIEDERN. 90
mit dem ersten Verhältnis zusammenfallen. Dass aber die
tageliedperiode sich nicht etwa zwischen der abfassung der
Parzivaleinlage und derjenigen von P. 172 abgespielt hat, zeigt
deutlich das dritte lied; denn in diesem, das ungefähr gleich-
zeitig mit der ersten Parzivalstelle entstanden sein muss, er-
scheint der dichter seiner neuerwählten geliebten gegenüber
so kleinmütig und verzagt, dass er unmöglich sich kurz darauf
als feuriger liebhaber einem ausgelassenen sinnestaumel in die
arme geworfen haben und dann bis P. 172 zu seinem peccavi
gelangt sein könnte.
Das dritte lied und die Parzivaleinlage sind somit später
als die tagelieder anzusetzen. >) Der an beiden stellen zu tage
tretende hass des dichters gegen die ungetreue wird uns nun
noch verständlicher bei der betrachtung des vierten liedes,
dessen abfassungszeit unschwer zu bestimmen ist. Der dort
angeredete Wächter, der bisher ie gegen dem tage daz stire
nach dem säeeen sanc und für die Zukunft seinen weckgesang
unterlassen soll, ist doch offenbar der Wächter der tagelieder,
der wenn auch fingierte Wächter auf der bürg von Wolframs
geliebten, der vertraute ihrer nächtlichen Zusammenkünfte,
und ihm kann doch vernünftigerweise — wenn auch bloss in
der fiction — stillschweigen nur geboten werden2) zu einer
zeit wo die erste, die in den tageliedern gefeierte leidenschaft
noch andauert. Folglich gehört das lied noch dem ersten
liebesverhältnis an. Daraus ergibt sich weiter, dass Wolfram,
weil dieses Verhältnis nicht zur ehe geführt hat, das lied als
un vermählter gedichtet hat — trotz San Marte, der die von
ihm selbst nicht bewiesene behauptung aufgestellt hat, dass
ein unvermählter dichter mit einem solchen preise des ehe-
glücks sich lächerlich gemacht haben würde. Wahrscheinlich
ist das lied gedichtet zu einer zeit wo Wolfram der gefahren
') Bemerkenswert ist noch, dass der im dritten liede hervortretenden
neuen liehe in der einlade noch keine erwähnung geschieht. Sollte wol
Wolfram, wenn ihn diese bereits hei der abfassnng des Parzivalstiickes
ergriffen hätte, diesen trnmpf gegen die Verdächtigungen der trauen weit
auszuspielen versäumt haben? Möglicherweise ist also das genannte Heil
erst etwas später als die einlage gedichtet.
*) Vergleichen lässt sich 4, 20 — 24, wo der Wächter ebenfalls zum still-
schweigen aufgefordert wird — dort allerdings von der dame, die in der
Verblendung der leidenschaft den geliebten noch bei sich behalten will.
7*
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100
KÜCK
des bisherigen liebesverkehres überdrüssig war, vielleicht auch
bei seiner tief angelegten sittlichen natur das unwürdige des
Verhältnisses mehr und mehr erkannte und es auf gesetzliche
grundlage zu stellen suchte. Ein ganz ähnlicher wünsch gab
Botenlauben (Bartsch. L. 125) die worte ein:
din kuslich munt, diu lip klär ltude siieze,
din drücken au die brüst,
din uinbevahen lat mich hie betauen.
Paz ich noch bi dir betauen müeze
ä n aller vrbude vlust!
so daz gesehiht, .so endiirfen wir niht klagen.
Und bei Morungen (MF. 143,30) heisst es:
owe, sol aber er iemer in 4
den morgen hie betauen,
als una diu naht eng£,
daz wir niht dürfen klagen?
Der unterschied ist nur der, dass während Botenlauben sich
unmittelbar an die dame wendet und Morungen seinen herzens-
wunsch der geliebten in den mund legt, Wolfram — nach
meinem empfinden eine sehr feine einkleidung — seine worte
an die adresse des beteiligten Wächters richtet. Die Situation
ist entweder die, dass der wider einmal beim morgengrauen
von der seite der geliebten verscheuchte dichter dem Wächter
sein verlangen nach der gefahr- und mühelosen ehelichen liebe
mitteilt, oder — wofür ich mich wegen des praeteritums du
sunge noch lieber entscheiden möchte — dass er nach einer
längeren zeit der trennung mit der Sehnsucht nach Vermählung
heimkehrt und nun diesem verlangen eine poetische fassung
verleiht.
Vielleicht stand dem dichter bei der abfassung des liedes
die erfüllung seines herzenswunsches schon in naher aussieht,
da kam der schlag, der den von den edelsten absiebten er-
füllten liebhaber doppelt schwer treffen musste.
Das vierte lied ist also vor dem als produet des zweiten
liebesverhältnisses oben erwiesenen dritten liede und nach den
tageliedern entstanden. Dieses heranrücken von IV an die
tagelieder empfehlen auch verschiedene anklänge: vgl. 5,34
mit 4.31, ebenso mit 4,18—20; 5,35 mit 4.23: 5,37.38 mit
4,39; 5,40 mit 6,21; 5, 41 mit 5,1; 5,42 mit 4,24. Auch die
wol nicht ohne absieht gewählte Variation, dass allein der
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ZU WOLFRAMS LIEDERN.
101
ritter spricht, scbliesst diesen 'abschied von dem tageliede'
passend mit den eigentlichen tageliedern zu einem ganzen zu-
sammen.
Wolframs erste geliebte gehörte der vornehmen gesellschaft
an; denn wenn er seine schmählieder einem höheren damen-
kreise vorträgt, so darf man daraus schliessen, dass die frühere
geliebte in ihm heimisch ist, ferner vgl. P. 115, 5— 7. Die ent-
schuldigungen femer, mit denen er in der letzten strophe von
III der neuen geliebten gegenüber sein vorgehen gegen die
damenweit vor misdeutungen zu schützen sucht, finden nur so
ungezwungen ihre erklärung, wenn man annimmt, dass jene
demselben damenkreise, dessen hass er sich zugezogen, dem-
selben also wie die erste geliebte, angehörte und dass der be-
ginn der neuen liebe in eine zeit fällt, wo der eklatante abbrach
des vorigen liebesverhältnisses und das wild -leidenschaftliche
gebahren des getäuschten dichters noch unvergessen im ge-
dächtnis der damen lebten.
Es bleibt noch übrig, die chronologische bestimmung von
VI und VIII (str.l — 8), deren gleiches thema (unerhörtes liebes-
werben) für gleichzeitige abfassung zu sprechen scheint.')
Domanig weist beide — offenbar, weil nach seiner ansieht
der dichter bei der abfassung von Parz. 210 (im vierten buche)
bereits vermählt ist (s. a.) dem ersten liebesverhältnis zu,
d.h. also einer zeit, wo die liebe zur geliebten der tagelieder
noch keine erhörung gefunden hat, Nun wissen wir aber ein-
mal nicht, dass Wolframs liebe zu dieser dame anfangs lange
zeit erfolglos gewesen sei, wol aber hören wir ihn im sechsten
buche des Parzival an verschiedenen stellen Über erfolglosen
minnedienst klagen:
und ouch diu strenge misse,
diu mir dicke nimt sinne
mit mir daz herze unsanfte regt,
weh not ein wip an mich leert :
wil si mich alsus t winden
mit selten hilfe bringen,
') Die von anderer seite gelegentlich angezogenen Übereinstimmungen
im ausdruck (guot irip 7, 29 und 9.3; liebez eiule 7,32 und 9, 13) sind al»
nicht beweiskräftig bei seite zu lassen, weil guot irip auch 8,9 begegnet und
mit diu hei fei ich gebot (7, 30) und mit ein helfelichez irort (7, 38) auch eine
stelle des dritten liedes (*< treit den helfclichen gruoz) sich vergleichen lässt»
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KL CK
ich hoI »is underziehen
und von ir tröste vliehen (287, 11).
Ganz ähnlich 292, 1 ff., wo es unter anderm heisst:
het ir (fron Minne) mir geholfen baz,
min lop wier gein iu niht so laz
und 334, 10:
ich pin doch frouwen lönes laz.
Ich bin überzeugt, dass Wolfram an diesen stellen von der
erfolglosigkeit seiner liebe zu derjenigen dame spricht, an die
er sich im dritten liede wendet, denn ebenso wie er dort dem
kreise der damen gegenüber seinen hass gegen die eine ent-
schuldigt, wegen dessen man ihn nicht schlechtweg zum weiber-
hasser stempeln dürfe, und zugleich einer andern (der zweiten)
geliebten seine huldigung darbringt, sagt er gleich nach den
soeben angeführten Parzivalstellen:
nu weis ich. »welch sinnec wip.
ob si hat <;etriwen lip,
diu diz mtere <;esehriben siht.
daz si mir mit wärheit &riht,
ich künde wiben sprechen baz
denne als ich sanc gein einer maz.
ich twtz in gerne fürbaz kunt,
wolt ez gebieten mir ein munt,
den doch ander füeze tragent
dan die mir ze Stegreif wagent
(337, 1—7 und 27—30).
Wie Domanig die zuerst angeführten drei Parzivalstellen
(287. 11. 292, 1. 334, 10) als aus der liebessehnsucht des von
seiner gattin (!) räumlich getrennten dichters») hervorgegangen
') Auch P. 272, 7 ff.:
dö lac frou .lesehnte
al weinde bi ir trute,
vor liebe, und doch vor leide niht.
als guotem wibe noch geschürt,
ouch ist Teilungen Hilten kunt,
weindiu ougn haut süezen munt
und 283, 10 ff. : des beides ougen mäzen.
als ez dort was ergangen,
zwen zäher au ir «rangen,
den dritten an ir kinne —
diese gedanken hrain hen dein dichter durchaus nicht, wie homauig will,
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ZÜ WOLFRAMS LIEDERN.
103
bezeichnen kann, ist mir völlig unbegreiflich. Ueberhaupt
scheint mir die hypothese, dass Wolfram in str. 216 als ver-
mählter erscheine, sehr problematisch. Dort wird nämlich
geschildert, wie könig Artus mit den rittern und damen ein
fest begeht; darauf fährt der dichter fort (v. 26):
ich enttetes niht decheinen wis
(ez was dö in an rr tumber Up),
ich brühte ungerne nn min wip
in also groz geraenge:
ich vorht nnknnt gedrenge.
etslicher hin zir Sprache,
daz in ir miune stieche
und im die freude blaute:
np si die not erwante.
daz dienter vor nnde nach.
mir warn e mit ir dannen gäch.
ich hau geredet um min dinc:
nu hoert wie Artuses rinc u. s. u:
Hieraus soll nach Domanig hervorgehen, dass Wolfram damals
bereits verheiratet war. Seine hauptstütze ist das nu (v. 28),
das er durch den druck hervorhebt und so zu deuten scheint,
als ob der dichter bald nach der hochzeit diese worte ge-
schrieben habe ('bemerkenswert ist, mit welch eifersüchtigem
stolze W. vor der weit von seiner jungen gattin redet'): aber
die stelle lässt sich auch so auffassen, dass mit dem nu der
dichter sich und seine zeit den personen und der zeit des
geschilderten gelages entgegenstellt, wie er ähnlich kurz vor-
her (216, 20) nach der Schilderung der paniere hinzusetzt : ez
(Huliten nu vil gröziu dinc. Ich interpretiere also: 'wenn in
unserer zeit dieses fest stattgefunden hätte, so würde ich
wenigstens [significant an den anfang gestellt] meine frau (sc,
wenn ich verheiratet wäre) ungern mitnehmen; es gieng dort
nämlich etwas locker zu.' Ich glaube, diese auffassung wird
der stelle durchaus gerecht, und sie ist notwendig, weil die
aus dem sechsten buche des Parzival oben aufgeführten stellen
den dichter nach meinem urteil als unvermählt zeigen.1)
erst durch erlebnisse seines ehelebens nahegelegt zu sein. Man vgl. doch
in den tageliedern (!) 3, 2b' ireiniliu ougen, süezer fronen kwx und 3, 16 ir
uuyen diu beijuzzen ir beider wengel.
l) Auch P. 201, 21 ff., wo Wolfram manchen frauen seiner zeit grosse
unmässigkfit im liebesgenuss vorwirft, musste im munde eines kürzlich
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KÜCK
Eins könnte noch eingewant werden, dass Wolfram beim
beginn der zweiten liebe von freudiger hoffnung auf erfolg
erfüllt sei (yil lihte erschtnet noch der tac, da* man mir muoz
rröiden jehen. noch yrozer wunder ist geschehen 5, 25 — 27) und
dem die aus den stellen in Parzival VI und den liedern VI und
VHP) hervorgehende aussichtslosigkeit des Verhältnisses nicht
zu entsprechen scheine. Aber einerseits bezeichnet der dichter
mit den letzten worten den von ihm erhofften erfolg immerhin
noch als ein 'wunder', und andererseits beweisen die nach den
obigen ausführungen auf das zweite Verhältnis sich beziehen-
den Strophen 287. 202 und 384 des Parzival deutlich, dass der
erfolg tatsächlich den anfangs gehegten erwartungen nicht
entsprochen hat.
Wir haben somit folgende reihenfolge der lieder fest-
gestellt:
vermählten oder kurz vor der Vermählung stehenden dichter» sich etwas
eigenartig ausgenommen haben. — l'ebrigens würde, selbst wenn jemand
Domanigs auffassung von P. 210 teilen sollte, damit meine ansetzung
der lieder VI und VI II und meine auffassung der widerholt erwähnten drei
Parzivalstellen nicht hinfällig werden. Man müsste sich dann eben so
entscheiden, dass der verheiratete dichter in diesen beiden liedern und
während der ahfassung des sechsten buchen des Parzival einer fremden
dame gehuldigt hätte. Da aber die danie, in deren dienst er hier steht,
wie oben nachgewiesen, die zweite geliebte ist. so würde man dann zn
der absurden folgerung geführt, dass Wolfram trotz seiner neigung zu der
zweiten geliebten irgend einer ungeliebten dame seine hand gereicht und
nun als vermählter im dienst der zweiten geliebten verharrt hätte.
') Im achten buche (401, 1 ff".) huldigt der dichter bei der erwähnung
der schonen Antikonie einer markgräfin. diu dicke rannte Heitstein über
td die marke sehein . . . Neben Heitstein (Lachmann) findet sich in der
(i-klasse der handschriften auch aitsteine und heitstein, daneben hat je eine
handschrift beider klassen die form hertstein. We n n sich der bündige be-
weis erbringen Hesse, dass der dichter sich der letzteren form bedient habe,
so kiinnte dies zugleich hinsichtlich des achten liedes zu einein wichtigen
resultat führen. Dort spielt nämlich der dichter in z. 9 und 10, wie schon
von anderer seite bemerkt ist, mit seinem namen W olfram: eine ähnliche
Spielerei mit dem namen der geliebten würden wir bei der obigen Voraus-
setzung in der dritten (unserer schlnss-) Strophe annehmen dürfen, wo es
heisst: got müe* ir herze erireiehen und ein rlins ran donrenträlen mäht ieh
zallen malen tum erbeten, da: im der herte entwicht tiv teil. Ich wollte
die gelegenheit nicht unbenutzt lassen, die beobachtung hier kurz mitzu-
teilen: vor der hand erscheint mir ihre unterläge nicht stark genug, dass
ich weitere Schlüsse daraus ziehen möchte.
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ZU WOLFRAMS LIEDERN.
105
Die vier tagelieder (I, II, V, VII) und nach ihnen IV.
sämmtlich dem ersten liebesverhältnis entsprungen; dann folgen
die verloren gegangenen scheltlieder; producte der zweiten
liebe sind III und später die beiden lieder VI und VIII, deren
reihenfolge sich aber ebensowenig sicher wie die der vier
tagelieder bestimmen lässt. Danach hätte also der lyriker
Wolfram sich anfangs in der mit starker Sinnlichkeit getränkten
IjTisch-epischen tagelieddichtung versucht und wäre später
(mit der absage an das tagelied, III, VI und VIII) zu den von
jeder Sinnlichkeit sich freihaltenden gedichten übergegangen.
Der ent wicklungsgang von Wolframs liebesieben, soweit dieser
aus seinen Hedem erkennbar ist, wäre danach kurz der fol-
gende: zunächst die liebesabenteuer der tagelieder mit einer
adligen dame, hierauf der wünsch des dichter« nach Vermäh-
lung (IV), kurz vor ihr bruch des Verhältnisses durch die un-
treue der geliebten, nicht allzu lange darauf beginn einer
aussichtsvollen liebe zu einer dame desselben kreises (III),
lang andauernde erfolglosigkeit des neuen Verhältnisses (VI
und VIII).
Am schluss des sechsten buches des Parzival ist der
dichter noch unvermählt, wahrscheinlich noch im anfang des
elften buches:
bi mir ich selten sehonwe,
<laz mir abents txler fruo
solch aventiure «liehe zno (554, 4— Kj.
3. Die einlage zwischen dem zweiten und dritten
buche des Parzival.
Schon mehrmals ist oben auf die enge Verbindung hin-
gewiesen, die zwischen Wolfranis lyrischem dichten und dieser
einlage besteht. Unter dem titel "Wolframs Selbstverteidigung'
hat Stosch (Zs.fda. 27, 313 ff.), ohne übrigens von dem im jähre
zuvor erschienenen aufsatz Domanigs notiz zu nehmen, eine
längere abhandlung veröffentlicht, die, wenn die darin auf-
gestellten behauptungen billigung verdienten, meine behaup-
tungen in betreff der entstehung der wolframischen lieder
wenigstens zu einem grossen teile in frage stellen, zugleich
auch eine nach meinem urteil vollständig verkehrte auffassung
des dritten liedes zur folge haben würde. Aus diesem gründe
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KÜCK
kann icli nicht umhin, zu dem genannten aufsatz Stellung zu
nehmen.
Stosch versucht nachzuweisen, dass der abschnitt P. 114,5
— 116, 4 nicht, wie Lachmann,') vorrede s. ix und Haupt, Zs. fda.
11, 49 5) meinten, zu einer zeit gedichtet sei, wo der tadel der
frauen im anfang des dritten buches anstoss erregt hätte, son-
dern dass den anlass zu der Selbstverteidigung die von dem
dichter gegen eine dame gerichteten und ihn bei der übrigen
damenweit discreditierenden scheltlieder gegeben hätten: von
einer tendenz daneben auf das dritte buch könne keine rede
sein (s. 314). Nachdem dann Stosch den inhalt der Selbstver-
teidigung eingehend erläutert hat (s. 315 — 23), gelangt er zu
dem resultat, dass der abbruch eines liebesverhältnisses, den
wir im fünften und sechsten buche des Parzival schrittweise
sich vollziehen sähen, zur zeit der abfassung des Zwischen-
stückes bereits vollendete tatsache geworden sei und die ent-
stehungszeit der einlage somit ungefähr mit derjenigen der
letzten partien von Parzival Yl zusammenfalle. Am ende des
sechsten buches sei also Wolframs minnedienst zu ende, und
aus diesem gründe dürften auch die schlussworte dieses buches
nicht mehr wie bisher als huldigung für eine dame aufgefasst
werden, sondern dieselben enthielten wahrscheinlich eine Wid-
mung an den landgrafen von Thüringen (s. 332).
iSehen wir zunächst, zu welcher paradoxen behauptung
in betreff des dritten liedes Stosch durch seine hypothesen
gedrängt wird. Die letzte Strophe lautet dort:
Seht waz ein storch de« roten schade:
noch ininre schaden hänt min din wip.
ir haz ich untrem üf mich lade,
din nn den schuldehaften Up
ge^en mir treit, das laze ich sin:
ich wil nn pflegen der zühte min.
Diese strophe zeigt, dass das Med während des Zerwürfnisses
des dichten* mit der damenweit und bald nach dem bruch des
Verhältnisses entstanden ist. Nehmen wir die beiden ersten
') Seiner ansieht schloss sich übrigens auch Simrock an (Parz. u. Tit.
1,510).
*) Dass es sich um scheltlieder handele, sah auch Haupt bereits, er hielt
daneben alter die von Lachuuuin behauptete heziehung auf den anfang des
dritten buches aufrecht.
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ZU WOLFRAMS LIEDERN.
107
Strophen, in denen er einer neuen geliebten huldigt, hinzu, so
ergibt sich mit evidenz, dass Wolfram bald nach der lösung
des ersten Verhältnisses ein neues begonnen hat.
Auch Stosch bezieht die dritte Strophe richtig, wie Haupt,
v. d. Hagen und Domanig, auf den abbruch der liebschaft. Da
dieser nun nach ihm ungefähr gleichzeitig mit der absehliessung
von P. VI vor sich gegangen ist. so setzt er folgerichtig auch
die dritte strophe für diese zeit an. Mit den beiden ersten
Strophen aber kommt er ins gedränge: seine hypothese näm-
lich, dass der schluss des sechsten buches eine widmung an
den landgrafen enthalte, hat ihre hauptstütze an der annähme,
dass im laufe dieses buches der minnedienst des diehters zu
ende gehe. Nun aber zeigt das dritte lied in der überlieferten
form die recht unbequeme tatsache, dass der getäuschte dichter
alsbald in neuer liebe entbrannt ist und an das tragische ende
des früheren minnedienstes nach kurzer zeit den hoffnungs-
freudigen anfang einer zweiten minne geknüpft hat! Was tut
nun Stosch in dieser Verlegenheit? Anstatt die drei ein ab-
gerundetes, durchaus unanstössiges ganze bildenden Strophen
als ein solches hinzunehmen und aus den beiden ersten Stro-
phen die bald nach dem brach geschehende anknüpfung eines
neuen Verhältnisses und aus der dritten einen zu gleicher zeit
auf das gelöste geworfenen rüekblick herauszulesen, zerschlägt
er das lied in zwei zeitlich auseinander liegende teile, von
denen er den ersten (str. 1 und 2) noch beim bestehen des
(zweiten) liebes Verhältnisses, hingegen den zweiten (str. 3)
nach seiner lösung entstanden sein lässt. Zur recht fertigung
der 'landgrafen-hypothese' muss also Wolfram im laufe des
sechsten buches den minnedienst aufgeben, und zur beseitigung
einer dieser letzteren annähme entgegenstehenden tatsache
muss das dritte lied sich eine zerschneiduug gefallen lassen.
Tebrigens leuchtet mir auch die annähme, dass im sechsten
buche sich schrittweise der brach eines Verhältnisses vollziehe,
nicht ein. Ich vermag aus den — bereits oben angeführten
— stellen nur das herauszulesen, dass der dichter seinen klagen
über die erfolglosigkeit seiner minne ausdruck verleiht. Teber-
haupt glaube ich schon im zweiten teile der abhandlung (s. 102)
zur evidenz gebracht zu haben, dass die geliebte, mit der
Wolfram nach dem ausweis der Parzivaleinlage gebrochen
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KUCK
hat) «ine andere ist als diejenige auf die sich seine klagen
im sechsten buche beziehen. Schon hieraus ergibt sich, dass
die einlage nicht erst gleichzeitig mit dem sechsten buche des
Parzival entstanden ist1) Es liegt folglich auch gar kein
grund vor, an der bisherigen ansieht, dass der dichter am
Schlüsse des sechsten buches einer geliebten dame gedenkt, zu
zweifeln und eine Widmung an den landgrafen anzunehmen,
ganz abgesehen davon, dass die worte
ich ta»tz in gerne fürbaz kunt,
wolt ez «^bieten mir ein mimt,
den doch ander fileze tragent
dan die mir ze Stegreif wagent.
nach meinem dafürhalten ohne jeden zweifei den fehdeinstigen
reiter und ritter im gegensatz zu der zarten, vorzugsweise in
haus und Wirtschaft waltenden dame schildern sollen. Eine
beziehung auf den landgrafen Hermann Hesse sich aus diesen
versen wol nur in einem falle herauslesen, wenn er nämlich
— das zipperlein gehabt hätte.
Auf Stoschs hypothese in betreff des dritten liedes noch
näher einzugehen, ist nach dem gesagten unnötig. Nur dar-
über wünschte man eine nähere erklärung, ob nach seiner
ansieht Wolfram die letzte Strophe als einen zusatz zu str. 1
und 2 oder als selbständige einheit verfasst hat. Im ersteren
falle wäre ein ganzes zu stände gekommen, in dessen erstem
teile der dichter eine geliebte anfleht, mit der er im zweiteu
gebrochen hat, im zweiten hätte Wolfram ein einstrophiges
lied verfasst, das — sonderbar genug — mit einem seiner an-
dern gedieht« zu einer passenden einheit zusammengeschweisst
wäre.
Nach meiner ansieht steht die Selbstverteidigung des dich-
tere nicht nur an ihrer richtigen stelle, sondern es ist auch
die von Stosch gegen Haupt aufgestellte behauptung, dass
jene nicht zugleich auf die durch Wolframs scheltlieder her-
vorgerufene Verstimmung der damenweit und auf den anfang
') Auch P. 137,29 (im dritten buch):
w:er mir aller wibe haz bereit,
mich miiet doch fronn Jeschnten leit.
lässt sich, wie auch bereits geschehen, dafür verwerten, dass die apologe-
tische partie an ihrer richtigen stelle steht.
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ZU WOLFRAMS LIEDERN
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des dritten buches sich beziehen könne, zurückzuweisen. Ich
denke mir den Vorgang folgendermassen: Wolfram ist mit der
geliebten durch deren schuld zerfallen. Sein zorn kennt keine
grenzen und versteigt sich in einer unberechtigten, aber bei
dem heißblütigen Wolfram psychologisch leicht erklärlichen
Verallgemeinerung zu angriffen auf die frauenweit überhaupt.
Das muss in den scheltliedera geschehen sein, denn die worte
(337. 1 6): nn wejz ich, »welch sinnec wip,
ob si hat getriwen lip,
diu diz mrere geschriben siht,
daz si mir mit wärheit gibt,
ich künde wiben .sprechen baz
denne als ich lanc1) gein einer maz,
beweisen, dass Wolfram in denselben Uedem, in denen er gein
einer sanc maz, auch die frauen im allgemeinen angriff. Es
werden ähnliche angriffe gewesen sein, wie der in den ein-
leitungsworten des dritten buches, doch noch schärfer und
allgemeiner gehalten:
ez machet trüric mir den lip,
daz also mangiu heizet wip.
ir stimme sint geliche hei:
genuoge sint gein valsche snel.
etsliche valsches la»re (!): ...
daz die geliche sint genamt,
des hat min herze sich geschämt,
wipheit. din ordeulicher site,
dem vert und fuor ie triwe mite.
Durch diese angriffe kommt er in den ruf eines weiberhassers
und mag unter der hierdurch hervorgerufenen misstimmung
des ihm bekannten damenkreises nicht wenig gelitten haben.
Allmählich kehrt der von der leidenschaft fortgerissene dichter
zu ruhiger besonnenheit zurück und singt in der einlage seine
palinodie. Er gibt die erklärung ab, dass er hinfort gegen
die frauen im ganzen nichts einzuwenden habe, und nur die
eine hasse und hassen werde (114, 5—15). Er erklärt zugleich,
wer die schuld an seinen ausfällen gegen das weibliche ge-
l) Sollte diese stelle nicht auch dafür sprechen, dass der brach und
die schmählieder, folglich auch die einlage, bereits einer weit früheren zeit
angehören, nicht erst, wie Stosch will, der zeit wo der schluss des sechsten
buches entstanden ist ?
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KÜCK
schlecht trage, nämlich einzig: die ungetreue: "sie hat mich so
schmählich behandelt, dass ich mir in meinem hasse gegen sie
keinen rat weiss. Darum [sc. weil ich mich durch diesen hass
zu falschen Verallgemeinerungen habe hinreissen lassen] hassen
midi die andern (v. 10 — 19)/ Und er setzt hinzu: 6we warumbe
tuoni st das? d. h. 'ein anlass, mich zu hassen, liegt nach meinen
nunmehrigen erklämngen nicht mehr vor'. 'Doch mag mich
der — für die zukunft unverdiente — hass der trauen noch
so sehr schmerzen, der adel ihrer Weiblichkeit ist — auch
von meiner seite — unantastbar; ich erkläre dies, weil ich in
der letzten zeit anders und zwar falsch gesprochen und hier-
durch an mir selbst schändlich gehandelt habe; das wird nicht
wider vorkommen (21— 25).'») Wenn somit Wolfram der frauen-
schaft als ganzem gegenüber klein beigibt, so hält er doch
mit seiner ansieht nicht zurück, dass er unter den einzelnen
damen sehr wol einen unterschied zu machen wisse.
Ich glaube, diese ausführungen zeigen schon zur genüge,
dass an Haupts auffassung der einlage nicht gerüttelt werden
darf und das dritte lied, das ungefähr gleichzeitig mit der
Parzivalpartic entstanden und mit ihr der angelpunkt für alle
Untersuchungen über Wolframs liebesieben ist. durch Stosch
eine vollständig falsche und zugleich wegen der Wichtigkeit
des liedes doppelt energisch zurückzuweisende beurteilung er-
fahren hat.
Teber die andern lieder äussert sich Stosch (s. 321 und
s. 329 anm.) nur so weit, dass VI und VIII 1—3 (auch er hält
nur die ersten drei Strophen für wolframisch) möglicherweise
mit III 1. 2 einem und demselben — später abgebrochenen —
Verhältnis entsprungen seien (er vergleicht liebe* ende 7, 32
und 9, 13); über die tagelieder spricht er überhaupt nicht.
') Einen uanz ähnlichen Gedankengang schläft die dritte strophe de«
dritten Heden ein: 'ich — der hekehrte dichter — schade den franen so
wenig wie ein storch den saaten. Ihr hass schmerzt mich — und ist hin-
fort ungerecht, denn mau !*ich auch die eine «jegen mich verkaufen hahen,
ich will fortan mich eines hütisehen heuehinens hefleissigen, nicht mehr die
zuftt durch ungalantes hetragen getreu die damenweit schlechthin ver-
letzen' (vgl. in der einlade au einer späteren stelle: sin lop hinket ante
spat, sirer allen frouwen sprühet »tat durch sin eines frouiren).
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ZU W0LKRAM8 LIEDKKN.
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4. Einzelne bemerkungen.
Den schluss des ersten liedes (4, 8—7) halte ich für ver-
dorben:
(1) »weih schiltser entwürfe daz
gesellecliche
als si lagn, des wtere ouch dem gennoc.
(2) ir beider liebe doch vil sorgen truoc.
(3) si phlagen minne an allen haz.
Mag die Schreibweise Wolfranis noch so lapidarisch gewesen
sein, es ist ganz undenkbar, dass an den zweiten gedanken,
der einen gegensatz zum ersten enthält, der dritte, widerum
dem zweiten entgegengesetzte gedanke ohne jede dieses logi-
sche Verhältnis andeutende Verbindung angeschlossen wäre.
Da der dritte gedanke auf den ersten wider zurücklenkt, so
sind die beiden schlussgedanken offenbar so angeordnet ge-
wesen, dass der zweite gegenüber dem dritten etwas zurück-
trat. Ich betrachte ir als einen eindringling aus 4, 2 (ir munde,
ir brüste) und setze dafür sicie ein (stvie doch — obgleich):
s wie beider liebe doch vil sorgen truoc,
si phlagen minne an allen haz.
Zur Stellung des doch vgl. Pauls Mhd. gramm. § :352, 7 und das
dort angeführte beispiel: er was so wol bescheiden, swie er
doch wcere ein Jieiden.
Mehrfach ist schon die frage erörtert, ob das im anfang
des zweiten liedes (4,8.9) sich findende kühne bild des an-
brechenden tages:
sine kläwen
dnrh die wölken sint geslagen
Wolframs dichterisches eigentum oder anderswoher — etwa
aus der mittelalterlichen hymnenpoesie — entlehnt sei. Zu
irgend welchem ergebnis ist man meines wissens nicht gelangt,
wie auch der vom dichter gebrauchte bildliche amdruck noch
keine hinreichende erklärung gefunden hat. Wo steckt das
tertium comparationis? Nahe liegt der vergleich mit der
ifoöoöaxrvXoQ r)coq des ionischen Sängers, und hierbei mag der
hinweis auf die bemerkung von Ameis zu Odyssee 2, 1 gestattet
sein, dass die bezeichnung (tododaxxvXoq ('rosenfingerig') her-
zuleiten sei von den fünf blassroten, perpendiculär am horizonte
aufsteigenden lichtstreifen, die in Kleinasien und Griechenland
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KÜCK
vor dem aufgange der sonne wahrzunehmen seien. Sollte es
nicht denkbar sein, dass nnserm nordischen dichter die beob-
achtung einer älinlichen naturerscheinung und zwar grauer,
in form einer klaue sich ausbreitender lichtstrahlen das bild
eines mit seinen grauen klauen das dunkle gewölk zerreissen-
den raub vogels vor die seele gezaubert hätte?1)
Eine andere frage ist die nach der Originalität des Ver-
gleichs. In der bibel findet sich nur eine stelle, die sich viel-
leicht vergleichen Hesse, Psalm 139 [138], 9. 10: si sumpsero
pennas meas dilueulo et habitarero in extremis maris, etenim
illuc manus tua deducct me et tenebit me dextera tua. Hier
liegt das bild der flügelgleich ausgespannten morgenröte zu
gründe, aber haben die mittelalterlichen dichter es benutzt
und weitergegeben? Meines wissens nicht. Und warum sollte
nicht auch die phantasie des dichter» hier selbsttätig haben
arbeiten können? Ihm, dem mit der natur und ihren geschöpfen
so innig vertrauten ritter und jäger, der au einer andern
stelle (im dritten liede) den blick des falken und den der
eule im gleichnis verwendet, konnte auch unser vergleich
nicht allzu fern liegen. Und haben wir nicht auch bei Goethe,
dein man Wolfram in der auffassung der natur so gerne con-
genial sein lässt, mehrfache personificierungeu gerade des an-
brechenden tages? Man vgl. z. b. den anfang der ' Zueignung'
und die worte Clärchens, die sie im fünften act beim anbruch
des tages spricht: 'ja, er wird grauen, der tag! vergebens alle
nebel um sich ziehen und wider willen grauen.'
Die erste Strophe des vierten liedes. Die ansieht
Lucaes, dass der beiden minne ir klage eine Umschreibung des
Wächters enthalte (De nonn. loc. Wolfram, p. 1 — 14) hat bereits
Paul, ßeitr. 1.202 f. verworfen, der mit Lachmann diese worte
') Hoethe weist in der recension der dissertatiou De Groyters über das
tagelied (Auz.fda.S4) darauf hin. dass in der tagelieddichtung, wenigstens
ihren früheren erzeuguissen, von den dichtem hei der Schilderung des an-
brechenden tages scharf unterschieden werde zwischen der roten und der
ihr voraufgehenden grauen färbung des hiuiuiels. Pass an unserer stelle
der dichter von der letzteren ausgeht, zeigen deutlich die folgenden worte
ich tili in grauen .... Beiläufig mag hier die beinerkung platz finden,
dass ähnlich die griechischen dichter von der poöoäüxtvkoq rjty< die xqo-
xÖjz t n j.og, d. h. die safrangewandige, unterscheiden (tot. aurora lutea).
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ZU WOLFRAMS LIEDERN*.
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als object zu du sunge und den vers daz si'tre nach dem süezen
als nähere erklärung zu der Helden minne ir klage fasst. Eine
parallelstelle zu dieser auffassung bietet auch 4, 18 — 20:
waht&r, du singest
daz mir manege freude nimt
unde m£ret mine klage.
Mit unrecht aber entfernt sich Paul in anderer hinsieht
von Lachmann. Er fasst nämlich, indem er nach z. 39 einen
punkt und nach z. 36 ein komma setzt, die ersten sechs verse
zu einem satze zusammen: 'du sagst immer worte, über die
die heimliche liebe klagen musste (der Helden minne ir klage
du sunge ?e), das bittere nach dem süssen, so dass sie sich
scheiden mussten, welche minne und weiblichen gruss auf
solche weise (d.h. verholne) empfiengen.' Diese zurückbeziehung
des alsö*) ist schon wegen der entfernung nicht leicht und
misfällt besonders deshalb, weil aus der Helden minne (der
heimlichen liebe) bloss der begriff des heimlichen zur ergän-
zung herausgenommen wird: wie gefällig dagegen schliesst
an das also (alse) sich das folgende an: daz si sich muosen
scheiden."1) Ich behalte daher Lachmanns anordnung bei, und
zwar nehme ich den satz swer minne (37) . . . sine (42) als
eine art anakoluth. Wolfram wollte ungefähr sagen: 'wer
liebe und weiblichen gruss nur um den preis des Scheidens
empfieng, wie wenig hat der gewonnen!' Nach dem Vorder-
satze aber ergreift ihn sein gefühl so mächtig, dass er den
ursprünglich beabsichtigten nachsatz unterdrückt und die
eigentlich sich erst aus ihm ergebende Weisung an den Wächter
unmittelbar an den Vordersatz anschliesst. Zur Verdeutlichung
dieses logischen Verhältnisses der sätze wird man nach z. 39
am besten einen gedankenstrich setzen. — In der zweiten
Strophe kehrt dann Wolfram zu dem ausgelassenen gedanken
zurück, beleuchtet ihn aber nunmehr von der entgegengesetzten
seite ('wie glücklich ist der zu preisen, der eheliche liebe ge-
l) Zu schreiben ist übrigens aUe enpfienc (Uberliefert also), entspre-
chend den worten der nächsten Strophe dannen streben. Paul vermutet so
enpfienc.
*) Vgl. auch 4,34 er gab sich miner tritt e also, daz ih in Imrhte
ouch teider den.
Boilräge «ur gesciiichte der deutschen «pracho. XXII. S
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114
KÜCK, ZU WOLFRAMS LIEDERN.
niesst'). Eine Streitfrage knüpft sich ferner noch an den
schluss der ersten Strophe:
swaz du dö riete in beiden,
dö üf gienc
der niorgensterne, wahtier, »wie, dä von
niht gerne sine.
Paul (a. a. o.) sieht gerne, weil es in B fehlt, in C nach sing
steht, als Schreiberzusatz an und ersetzt es durch mere. Doch
wenn auch für Walther B in textlicher hinsieht über C steht,
so gilt dies nicht ohne weiteres auch für Wolfram. Vielmehr
zeigt eine vergleichung der lesarten für III — V, dass beide
Überlieferungen gleichwertig sind. Daher haben wir, da nach
dem ausweis der zweiten Strophe an unserer stelle sowol B
wie C verdorben ist, das gerne von C dankbar anzunehmen,
selbst um den preis der Umstellung. Sehen wir doch auch
den grund, weshalb der Schreiber sing gerne schrieb: er wollte
reimbindung mit morgensteme herstellen, weil der reim gienc :
.Wnc durch verderbung des ersten wortes zu gie zerstört war.
8,33.34 Ir ougen naz dö wurden baz: och twanc in klage:
er muose fdan] von ir.
Dan, das in beiden handschriften fehlt, ist von Lachmann er-
gänzt. Sollte wegen der parallelstellen er muoz et hinne (4,28)
und er tnuos et dannen (6,40) nicht die lesart er muose doch
von ir vorzuziehen sein?
ROSTOCK. EDUARD KÜCK.
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DIE HEIMAT DER ALTNORDISCHEN LIEDER
VON DEN WELSUNGEN UND DEN
NIBELUNGEN.
I.
In der zweiten reihe meiner Studien über die entstehung
der nordischen götter- und heldensagen habe ich die ansieht
begründet, dass die Helgilieder der älteren Edda von nor-
wegischen dichtern, zum teil unter benutzung dänischer lieder,
in Brittannien verfasst worden sind. Daselbst habe ich
ferner die ansieht angedeutet, dass die Norweger auch die
sage von Sigfrid und den Nibelungen zuerst in Brittannien
kennen lernten und dass die meisten Volsungenlieder der
älteren Edda dort von norweg4schen dichtern verfasst wor-
den sind.
Im folgenden werde ich untersuchen, inwieweit die Vol-
sungenlieder der älteren Edda«) sprachlich und in betreff
der poetischen ausdrücke den einfluss angelsächsischer dich-
tung verraten oder wenigstens darauf hinweisen, dass die
norwegischen Verfasser derselben in England. Schottland oder
Irland gelebt haben. Später hoffe ich die sagen dieser lieder
behandeln zu können.
Siguröarkviöa in skamma.
Nachdem die einleitenden Strophen dieses gedichts von
dem ersten besuch Sigurds bei Giuki und dann von der hoch-
zeit Gunnars und von der Sigurds in kurzen und raschen
zügen erzählt haben, wird der mord Sigurds ausführlich moti-
viert. Dies geschieht durch monologe und gespräche; Bryn-
hild, Gunnar und Hogni sind die auftretenden personen. In
') Die citate beziehen sich auf meine ausgäbe, Christiania 1867.
8*
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Iii)
BtTGOR
wenigen kräftigen Strophen folgt dann eine zusammengedrängte
darstellung des mordes. Nach einer rede des sterbenden Si-
gurd') hören wir das Jammergeschrei Gudruns bei seiner leiche
und einen gewaltigen ausbruch der leidenschaft Brynhilds.
Der ganze übrige teil des gedichts (str. 31 — 70) enthält nur
wenige erzählende Strophen. Die scenen, welche hier unmittel-
bar nach dem morde vorgeführt werden, finden darin ihren
abschluss. dass Brynhild, um die sich alles hier gruppiert,
durch eigene hand stirbt, um mit Sigurd auf den Scheiter-
haufen gelegt zu werden. Die Situationen und die Charaktere
werden hier fast ausschliesslich durch reden, namentlich durch
die ausführlichen äusserungen Brynhilds beleuchtet. Sie sucht
ihre handlungsweise durch einen ruckblick auf ihr früheres
Schicksal zu erklären. Dann prophezeit sie ihren nächsten,
welches Schicksal sie erwarte. Endlich bestimmt sie, wie Sigurd
und sie selbst auf den Scheiterhaufen gelegt und verbrannt
werden sollen.
Auf das Verhältnis dieses gedichts zu andern Eddaliedern
und auf die Unterscheidung älterer und jüngerer Strophen gehe
ich hier nicht ein.
In Übereinstimmung mit Gudbrand Vigfusson habe ich
bereits früher nachgewiesen, dass die Sigui öarkviöa mehrere
Wörter und ausdrücke enthält, welche aus dem angelsächsi-
schen entlehnt sind.
So kälhr 'becher' Sig. 29 aus ags. cdlic (auch caekt). Das
wort kälkr findet sich in vielen Eddaliedern (Skirn., Lok., Hym..
Rigsj\, Atlakv.), auch in der prosa bei sagengeschichtlicher
erzählung in der Ynglinga saga und in der Gulljwis saga.
Allein es lässt sich nicht nachweisen, dass das wort in der
alltäglichen spräche in Norwegen gebräuchlich gewesen.
vaUi mengt Sig. 00, 4 'viele knechte', aus ags. weafh pl.
tcvalas 'knecht', eig. ein mann von brit tannischer herkunft.
So findet sich das wort valir nicht in der alten isländischen
oder norwegischen prosa angewendet. Auch mctuji n. scheint
aus dem ags. (mengeot) entlehnt: s. 'Helge-digtene' s. 35.
') Sigurd sagt tröstend Sig. 25: 'weine nicht, (iudruu. so bitterlich!
[xr hnrdr hlifa; dich schonen deine brnder*. Statt Ufa mnss man hlifn
lesen.
H KIM AT DKR ALTO. WEISUNGEN- ü. NIB.-LIEDER.
117
trigli eine art schmuck Sig. 49 und Lok. 20. Korm. str. 77.
aus ags. &igle i haisschmuck \ In Sig. 49 in der Verbindung
hrodit sigli. Dies particip kommt im anorw. sonst nicht un-
zusammengesetzt vor, findet sich aber im ags. hroden 'ornatus,
deauratus' wider.
Das nicht seltene an. yullrodinn ist - ags. goldhroden,
nicht von rjoöa 'röten'.
Der anorw. ausdruck drekka ok dama Sig. 2 (auch Rigs)\
und Herv. saga) ist , wie das mengl. pag dronkm tO dalten tf-
demed (Sir Gawayne 1668), eine umdeutung des ags. drincan
and dramin (drytnan), s. meine 'Studien' 1, s. 5. 542.
Finnur Jonsson meint (Lit. hist. 1, 68 anm.), dass diese
Wörter für die heimat derjenigen lieder, in welchen dieselben
vorkommen, gar nichts beweisen. Die Wörter können nach
ihm aus England nach Norwegen gekommen und dort in der
spräche eingebürgert sein.
Allein drekka ok dama und wahrscheinlich hrodit sigli
sind poetische ausdrücke und müssen daher aus englischen
gedienten herübergenommen sein.
Im folgenden werde ich nachweisen, dass der einfluss der
angelsächsischen dichtung auf die ausdrücke der Siguröarkvifla
so umfassend und tief ist, dass das gedieht in England ent-
standen sein muss.
Der dichter schildert die eifersucht Brynhilds. Sie sitzt
abends einsam draussen. Str. 6:
nam hon 4sva bert'
um at ma-lask.
Der text muss entstellt sein, denn die alliteration fehlt ; allein
man hat eine evidente besserung nicht gefunden. Ich lese jetzt :
nam 8vä aliert
um at m&laek.
I )ie entstellung entstand dadurch, dass der Schreiber das wort
dbert nicht kannte und dass ein a unmittelbar vorausgieng.
Ein ags. adjectiv celnere, *o?bere i manifest us' kommt in den
ausdrücken se a?bera J>e6f, abiere manslagan in den gesetzen vor.
Bei Lajamon 1, 96 findet sieh noch }nt ebure (var. ebare) sot.
Dies ags. wort cebere hat der norwegische dichter nach meiner
Vermutung als dbert aufgenommen, indem er ags. & durch d
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118
BUGOK
widergab, weil an. d regelrecht dem ags. <k entspricht (an.
rdöa --■= ags. rcedan, an. Svdfa — ags. Sictkfa u. s. w.).
Brynhild offenbart ihre bösen gedanken in Worten.
Sig. 8:
er J>au Guflrun
ganga ä beö
ok hana SignrOr
sveipr i ripti,
konungr inu hünski
kvan 'fria' sina.
Früher (Norr. fornkv. 420a) habe ich die Vermutung aus-
gesprochen, dass ein zeilenpaar (eine langzeile), das den an-
fang einer neuen Strophe gebildet habe, vor konungr fehle.
Dies hat bei Sv. Grundtvig, Hildebrand, Möllenhoff beifall ge-
funden, scheint mir aber jetzt unnötig. Finnur Jonsson erklärt
konnngr inn hnnski
kvan fria «Ina
für unecht. Die annähme solcher interpolationen erklärt mei-
stens nur wenig, wenn man nicht zugleich erklärt, warum, in
welchem sinne, wo oder wann die angeblichen interpolationen
zugedichtet worden seien.
Halbstrophen die aus 5 (6) zeilenpaaren bestehen, finden
sich oft in der Siguröarkviöa (4. 8. 11. 13. 14. 37. 39. 44. 45. 56.
58. CO. 65) und in anderen Eddaliedern. An einigen der ge-
nannten stellen macht es die bedenklichkeit des ausdrucks
wahrscheinlich, dass eine spätere interpolation die erweiterung
der halbstrophe verschuldet habe. Allein Sievers (Altgerm,
metrik § 42,3 und anm. 1) hat gewis recht, wenn er behauptet,
dass halbstrophen, welche aus 5 oder 6 langzeilen bestehen, ur-
sprünglich sein können.
In kvan fria sina ist fria ein unpassender ausdruck, wenn
man das wort als infinitiv versteht. Ich verstehe es jetzt
vielmehr als acc. sg. fem. vom adj. frir, und dieselbe auf-
fassung habe ich, nachdem dies geschrieben war, bei Lüning
gefunden. Dies fria ist hier aus angelsächsischem einfluss zu
erklären. Vgl. ... and his wi'f somcd, frio fa'^rostv (»enesis
456 f., freoltc wif, freolicu folccwtn (fwnme, ttwowle); mengl.
(hat lady freo, fiat fre qucnv, that leuedi fre. Das adjectiv
gieng von der bedeutung 'frei' in die von 'hochgeboren, edel'
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HEIMAT DER ALTN. WEISUNGEN- ü. NIB.-LIBDER. 119
über. Der poetischen darstellung wegen vgl. Faerösk antho-
logi no. IS v. 90: Hergeiri liggur t songini og fatmar friÖa fru.
Vigfusson hat in Sig. 8 frtda für fria eingesetzt; allein
das metrum zeigt, dass friÖa nicht das richtige ist.
Sig. 9, 1. 2. Brynhild sagt:
Von geng ek vilja
4vers oc beggia\
Diese wunderliche Wortstellung erklärt Möllenhoff (D. alt. 5,375)
daraus, dass der dichter ein stümper sei. Finnur Jönsson hat
in seiner ausgäbe ok vers beggja eingesetzt. Allein hiergegen
spricht Guör. 1,23:
Vqn se au veettr
vers ok barna,
und F. .T. hat selbst in Litt. hist. 1, 290 die änderung auf-
gegeben. Vigfusson hat barna statt beggia in Sig. 9 eingesetzt.
Ich wage eine andere unsichere Vermutung zu nennen. Hat
die verszeile in einer ags. verszeile
werea and beja
ihr vorbild gehabt ? Dies bega war nach meiner Voraussetzung
als beaga gen. pl. von beag 'ring' gemeint. Vgl. begas Genesis
1876; beg Beow. 3164; bih Beda 5, 21. Andere beispiele bei
Sweet, Old. engl, texts s. 615. Allein ags. bega konnte auch gen.
pl. zu begen 'beide' sein. Darf man es dem norwegischen Ver-
fasser der Siguroarkvioa zutrauen, dass er das bega der ihm
bekannten ags. verszeile so verstand und daher durch beggja
widergab? Richtig hätte der dichter bei dieser Voraussetzung
sagen sollen: Von geng ek vitfa,
vers ok banga.
Dass dies dem zusammenhange nach trefflich passen würde,
erhellt aus den Worten Brynhilds v.38:
lek mer meir i nimi
meiöniar piggja,
bauga ranöa
bnrar Sigmundar.
Sigurd besass ja den schätz Fafnirs.
Sig. 12, 5—8 liest F. Jönsson gewis richtig so:
hveira verfir hoMa
bQnd lettari
Hiftan tü satta?
at sonr lifit.
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120
BUGGE
'Wenn der söhn (eines getöteten) nicht mehr da ist, wird es
leichter andere verwante zu versöhnen?' Die handschrift hat
hefnd statt hond und lifi statt Ii fit, das Sv. Grund tvig zuerst
gefunden hat.
Für at 'dadurch dass', 'wenn' mit conjunctiv vgl. atpann
hjälm hafi Fafn. 19, at fietta treyröf um talit wart Guör. hv. 21,
at i brynjti fwrir Akv. 16, at kann ßgr Pceyi Am. 63.
Ein ausdruck der dem hpnd lettari Hl . . . völlig entspricht,
findet sich in ags. dichtung (Widsiö 71 f.):
se hsefde moncyunes mine gefrwje
leohtcste hond lofes to wyrcenne.
Sig. 13: 'K<?i|>r' varö Gunnarr
ok hnipnafli.
Hier fehlt die alliteration, und reiör ist dem sinne nach un-
passend. Man hat dafür u.a. hrmhlr oder hryyyr vermutet.
reidr ist hier doch wol nicht unrichtige Übersetzung des ags.
hreotc 'moestus'? Ags. hrtow kann auch *iracundus' bedeuten.
Dies wäre an sicli neben hnipnaöi nicht unpassend; vgl. öd
wearp Cain suiöe hra>dlice irre and hnipodc Gregor. Pastor,
ed. Sweet 235, 6.
Sig. 14: [>at var cigi
'arar' titt,
at fra 'kommg dorn*
kvanir gengi.
•
Gegen das metrum hat man drar in arar (afar) geändert. Dies
hat eine weitere änderung hervorgerufen: honom afar titt (F.
Jönsson) oder afar titt hdnum (Genug). Nichts darf hier ge-
ändert werden.
Ich verstehe jetzt drar als lehnwort aus dem ags. äror
' früher '; vgl. an. dr, das s. v. a. ags. &r bedeutet und an. siöar.
Für den vocal der ersten silbe vgl. dbert aus allere. Neben
drar kann titt •gewöhnlich' bedeuten und braucht nicht als
•angenehm' verstanden zu werden.
Statt lonunydom hat mir rector -Ton porkelsson die
besserung Jconunyom mitgeteilt. Dasselbe wort hat Vig-
fusson eingesetzt. Also: 'es war früher nicht gewöhnlich, dass
könige von ihren gemahlinnen verlassen wurden', konunyar
ist hier neben hrdnir gestellt wie ags. cyningas and vwene
Rätsel 508.
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HEIMAT DER ALTN. WELSÜNGEN- U. NIB.-LIEDER. 121
Sig. 18 heisst es in den Worten Hognis:
ef fimra sonn
foeönm lengi.
attumgöfta
cexla kmettim.
Der nominativ fimm (in der handschrift rer v.) wird durch das
vorhergehende meöan fjörir ver
fölki raftum
ok sä inn hiinski
herbaldr lifir
erläutert, .lene fünf männer sind Gunnar, Hogni, Guthorni,
Sigurd und entweder Giuki oder ein vierter söhn Giukis.
Mehrere forscher haben gesehen, dass lengi 1 lange' hier
impassend ist. Dies wort müsste voraussetzen, dass sowol
Guthorni als Hogni und Gunnar zu der zeit wo Hogni dies
spricht, je wenigstens einen söhn hätten. Allein dies ist der
sage unbekannt. Auch mit rücksicht auf den alten Giuki,
wenn er mitgezählt ist, ist 'lange' hier, wie Müllenhoff be-
merkt, sonderbar. Allein man hat die Schwierigkeit nicht
überzeugend gelöst, l)
Ich vergleiche Beowulf 2730 — 2733, wo der sterbende Beo-
wulf sagt: Nu ic suna minura svllan wolde
Äuft-jewiedu, \>ivr me ^ifeöe iwa
«nfa yrfeweard irfter wurde
lice seiende.
yrfetcmrd lice seiende 'erbewart zu dem leibe gehörig* be-
zeichnet 'leibeserbe'. Sowol in der Siguroarkvioa als im Beo^
wulf finden wir einen bedingungssatz, und dieser satz bezieht
sich an beiden stellen auf die möglichkeit, dass ein leibeserbe
einem fürsten vergönnt werde.
Ags. lenge findet sich in derselben bedeutung wie gelenge.
Ich vermute daher, dass der dichter in der Sig. das ags. adj.
Icnge oder jelenge nachgeahmt hat und dass
ef fimm sonn
foeAnm lengja
gemeint war: 'söhne die zu uns gehören', d. h. leibeserben;
l) Vigfusson setzt unga statt lenyi ein. Müllenhoff (I). alt. 5, 377 f.)
und Ranisch (ArkivS, 170) erklären letuji ans der Ungeschicklichkeit eines
interpolierenden poeten. Gering im Glossare versteht lenyi als in Zukunft';
allein diese bedeutung hat das wort nicht.
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122
BUGOE
söhne, die unser fleisch und blut sind. Das adjectiv hebt den
Zusammenhang (die leibliche beziehung) zwischen vätern und
söhnen stärker hervor.
Es war natürlich, dass ein Isländer dies lengia vor dttom
nicht verstand und daher statt dessen lengi vor dttom einsetzte.
Sig. 22: kynbirt tarn, kyn- in verstärkender bedeutung
'mire' ist in der alten spräche nicht nachgewiesen, auch nicht
birta = skyygja (statt hlyrbirtr bei Vigf. hat Fritzner nach
Fiat, hlyrbjartr). Daher vermutet dr. Falk, dass kynbirt ein
ags. *cynebirht widergebe; vgl. cynerof. Ich hatte an dasselbe
gedacht.
Sig. 24. Gudrun erwachte freudenlos,
er hon 'freys vinar'
flaut i dreyra.
In den Hamö. 7 wird dieselbe Situation in den folgenden nahe
verwanten ausdrücken dargestellt: bcekr pinar . . . flutu
i vers dreyra. Wie für Sigurd hier vers 'des gatten' gesagt
ist, erwartet mau, dass Sigurd in Sig. 24 nicht als 'der freund
Freys', sondern in seinem Verhältnisse zu Gudrun bezeichnet
sein sollte. Ags. wine bezeichnet oft den geliebten eheherra.
Nach meiner Vermutung hat ein ags. gedieht, das hier
das Vorbild des norwegischen dichter» gewesen ist, den Sigurd
(Sefert) durch frmmnes 'ihres geliebten ehehernT bezeichnet.
Ags. freatvine ist aus dem Beowulf bekannt. Anorw. freyr
war wesentlich dasselbe wort wie ags. freu. Der norwegische
dichter gab daher freauines durch Freys vinar wider.«)
Sig. 36. Die Zeilen
J>a er mer jööungrri
eiga aeldi
ok liier joönugri
'ara' talfti
hat Finnur .Tönsson mit recht als die zweite hälft« einer
.Strophe bezeichnet, deren erete hälft« verloren ist.
Mit unrecht hat man dagegen ara in aura geändert, denn
dies gibt eine unnatürliche Wortstellung.
Die verlorene Strophenhälfte lässt sich nicht mit sicher-
») Nach Münch (Noinke folks hist.1, 1, 59) und Noreen (Uppsalastudier
223) entspricht Ingututr-Freyr Lok. 43 dem ags. fria Ingwina. Anders Axel
Kock.
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HEIMAT DER ALTN. WELSUNßEN- U. NIB.-LLEDER. 123
heit herstellen. Durch die folgende restitution will ich den
sinn anschaulich machen. Nach der Strophe (39)
J)eim hrturak pk
pjöökonungar
folgte, wie ich vermute:
[Vartat sä, Gunnarr!
er Grana reiö,
J>6 hefr broöur nüiis
banga pejrna]
pa er mer joOungri
eiga seldi
ok mer joöungri
ära talöi.
dra verstehe icli als eine nachahmnng des ags. geara 'vor
Zeiten'. Mit meiner restitution vgl. Vols. s. cap. 29, wo Bryn-
hild zu Gunnar sagt : hat geröir pü af bring Peim er eh selda
Per, er BuÖli honungr gaf nur at efsta skilnaÖi (s. 150) und
zu Sigurd: eigi reiö Gunnarr eldinn til vär (s. 152).
Sig. 41: 'At peygi' skal
JmnngeÖ kona
annarrar ver
aldri leiöa.
In diesem unabhängigen satze ist At peygi sinnlos.«) Ich
habe früher At gestrichen oder statt At ein Oc vermutet; F.
Jonsson schreibt At prige. Das ursprüngliche war, wie ich
jetzt vermute. Ac peygi: ac ags. ac 'aber, allein'. Im ags.
lindet sich die Verbindung ac hwasfare. Es war natürlich, dass
ein isländischer abschreiber, der Ac nicht verstand, dies später
in At änderte, denn c und / sind in isL handschriften oft
einander so ähnlich, dass man sie leicht verwechseln kann.
Sig. 47: aftr sik iniölafli
nwkis eggjnm
'sich durchbohrte'. An. midla hat sonst eine weit verschiedene
anwendung: 'mitteilen, vermitteln'. Ags. gemdlian bedeutet
'in der mitte teilen, dimidiare'. Daher ist die anwendung von
midla sik Sig. 47 wol (wie dies auch dr. Falk vermutet hat)
aus angelsächsischem einfluss zu erklären. *
') Was Hildebrand zu dieser stelle bemerkt, ist mir unverständlich.
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124
BUOOE
Sig. 52 sagt ßi ynhild zu den mägden, welche mit ihr nicht
sterben wollen:
pö mun a beinnin
brenna yörum
fa?ri eyrir,
p& er er frain komio
•nejt menio god'
min at vitja.
Die fünfte zeile ist bisher nicht genügend erklärt worden.
Hildebrand (ergänzungsband zur Zs. fdph. 132 f. und in seiner
ausg.) liest nevit (was nirgends vorkommt) statt nett, versteht
(jöd als subst. n. pl. und übersetzt 'noch die schätze der Menja'
(d.h. gold). Aehnlich meint Müllenhoff (I). alt. 5, 283), dass
nett sich zu eyvit wie ags. ndictiU zu uwiht verhalte, was laut-
lich bedenklich ist.
Ich lese nach der handschrift neitt Menju yöö und fasse
dies als mit fwri eyrir coordiniert god ist hier subst. sg. neutr.,
und diese anwendung ist aus dem einfluss des ags. yöd u. 'gutes,
gut (subst.), das gute, das man einem erzeigt' zu erklären. Das
vorkommen des neitt 'kein in einem unabhängigen satze, wo
keine negation vorausgeht, deutet auf den einfluss des ags. nän
hin. Ich deute neitt Menju (jöÖ so: 'keine gute gäbe der Menja',
'kein segen der Menja', d. h. kein gold.
Jedoch hat, wie ich vermute, neitt Menju yod einen älteren
einfacheren ausdruck ersetzt, worin statt Menju eine form des
subst. n. men (ags. wene). gen. pl. menju, genannt war. Etwa
ags. nun inene göd.
Sig. 57 ist wol so zu lesen:
Marg» ak minna*k,
live vifl mik fom
tfkeyti sko»oa
skatna men^i.
Diese zwei letzten Zeilen finden sich in der handschrift sinnlos
nach 56,2. Durch meine Umstellung erhält man zwei regel-
mässige Strophen.')
Brynhild war als walküre skeyti shed skatna mengt 1 durch
geschosse vielen beiden schadenbringend':
') KIk'uso siu«l wol nach eaia mengt 66, 4 mit Umstellung die folgenden
Zeilen zn lesen: peirar sultu
meö Siguröi.
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HEIMAT DER ALTN. YVEL8UN0EN- U. NIB.-LIEDER. 125
siu seöz mit snellen degenen nmbe minne den schaft
Nib. 325 L.
Sigfrid sagt Nib. 352 L.:
ja hat diu küneginne so vreisliche sit.
»wer umb ir minne wirbet, daz ez im höhe stät.
An. skati ist ein anderes wort als ags. seeada, allein die
anwendung des sceaöa in ags. gedienten wirkt, wie es scheint,
auf die des an. skati ein. Man schrieb Helgi Haddingia scafri
und H. H.-scati. Mit skatna mengt (auch Akv.81 in einer späten
zeile und Fornald. ss. 2. 319) vgl. ags. sceuÖena Jireatum Beow. 4.
In Sig. 60: \>\\\ honnm Gnftrfa
'grymir' ä beÖ
snqrpum eggjuni
af särum hug
findet sich ein sonst nicht bekanntes verbum grymir. Ist dies
vielleicht eine umdeutung des ags. gehrhteS 'berührt, greift an',
das hier dem sinne nach trefflich passen würde? Vgl. nie sdr
Sehrdn GÜöL 1000; ic Jmrh liest hrino hildepüum (instrum.) lad-
gewinnum Rätsel 16,28.
Bei der widergabe und umdeutung fremder namen wird
inlautendes n im anorw. oft in m geändert.1) Die form grymir
ist wol, wenn die combination richtig ist, ohne beachtung des
anorw. hrina, von ags. gerytnan, anorw. ryma beeinflusst; vgl.
ryma (aufbrechen) fjalir i golfi, jyrdin rymdi sik ok opnadi.
Ob gehrined in einem entsprechenden ags. vei*se mit km
alliteration gebildet hat, lasse ich unentschieden.
Sig. 64: Hana raunu bfta
Bikka raö,
J?viat jQrmiuirekkr
6)>arft lifir.
Vigfusson hat gesehen, dass lifir hier unpassend ist; allein seine
änderung ist willkürlich.
Ich möchte ein ags. vorbild voraussetzen. Dies hatte, wie
ich vermute, den ausdruck lifcÖ = gelifeö (gclyfeJ, gelte fcd)\
d.h. vertraut (glaubt) dem Bikki. Dies wort wurde wegen
') Kolyrimr fllr Volyrinm bei (ialfridu«: Hatngestr ans Hengext:
Sighjalmr ans Sichelinus. Xamsboryar Strengt. ». 24 au» franz. de» Kaum
(Xante*); Zemon = Xenon Heil. s*. 5. Vgl. lychami* Coekayne. Leechdoms
1.50 = Xvxnc: schwel. Hi/melandh = Hünaland f>iör. 5. Siehe Arkiv
5, 35 anm.
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126
B0GOB
des lautlichen anklanges an Ii fad (lyfaö, Hof ad) zu dem hier
dem sinne nach unpassenden anorw. Ufr 'lebt'.
Aehnliche entstellungen kommen bei der traditionellen
Wanderung volkstümlicher dichtungen häufig vor. So z. b. Isl.
fornkvaeöi no. 38 A 14 hcegt htm hlö (nicht hdtt h. h) nach
dem dänischen höyht (hbjt) hun lo. Isl. fornkv. no. 44 A:
drla myrgins, Merkrinn saung, allein in dänischen Hedem:
aarle om morgen, lerken sang. Aehnlich in Sprichwörtern,
z. b. morgenstund hat gold im mund, dagegen nisl. morgunstund
her gull i mund (d. h. in der hand). In allen diesen fällen hat
man bei der Übertragung in eine fremde spräche den ungefähren
laut des einzelnen wortes festgehalten, aber den sinn desselben
vollständig geändert.
Sig. 65: lattu sva breiöa
borg ä velli . . .
66: Tjaldi }>ar um \>k borg
tjolduui ok »kjohlum.
Vote. s. gibt dies borg durch bdl wider. Ebenso wird das wort
von Ülfr Uggason angewendet: borg sonar ÖÖins (Snorra Edda
1,264). Dasselbe wird von Ülfr in einer anderen Strophe so
ausgedrückt: kgstr sd er goÖ hloÖu at mgg fallinn hrafnf reist-
aöar (Sn. Edda 1, 240).
Dr. Falk vermutet, dass borg in dieser an Wendung eine
umdeutung des ags. beorg 'grabhügel' sei; vgl. z.b. Beow.3096 f.:
bted |>8Et je jeworhtou . . .
in b&lstede beorh J>one hean.
Dies lässt sich mehrfach stützen. Statt (rnder ane) berli$e
Lasamon 2, 89 hat der jüngere text borewe, statt (vnder) beor-
gen 2, 451 borewe. In nordischen namen wechselt -bjprg (dän.
bicergh) mit -borg (dän. burgh); s. 'Helge-Digtene' s. 127.
Sig. 68. Brynhild bestimmt:
Liggi okkar enn i milli
mälmr hringvariör.
egghvaat earn
'sva endr lagiö'.
|>a er vit baeöi
beö cinn stigum.
Finnur J6nsson hat gesehen, dass z. 1—2 aus
Liggi okkar
enn i milli
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HEIMAT DER ALTN. WELSUNGKN- Ü. NIB.-LIEDEK.
127
erweitert sind; dasselbe hatte ich unabhängig von ihm ge-
funden.
svd endr lagiÖ u. s. w. ist: ' das ebenso damals gelegt war,
als wir — Finnur Jönsson setzt sem statt sra ein. 'So wie'
ist hier einfacher, allein dabei erwartet man ein verbum finitum.
Ich vermute, dass ein ags. Vorbild in einer entsprechenden
verszeile stvd hatte, was im ags. 'sowie' bedeuten kann. Die
ags. verszeile mochte etwa so gelautet haben: swd hit ceror
lwg\ vgl. stvd hit (kror wces Beow. 3069. Das svd wurde in
dem anorw. gedieh te beibehalten, obgleich svd im anorw. 'so',
nicht 'so wie' bedeutete.
Sig. 69, wo Brynhild von der ankunft Sigurds in die heimat
der toten spricht, heisst es:
Hryiya honum J>a
ä hiel J>eygi
'hlvN blic hallar "
lniniri litkuÖ.
Die herausgeber schreiben hlunnblik hallar. Die Volsunga saga
gibt die stelle so wider: ok eigi fellr honum J>d hurd d hmla.
hlunnblik kann nicht die tür bezeichnen, denn hlunnr ist ein
stock, der als unterläge dient, wenn man etwas (besonders ein
schiff) zieht, und blik ist 'glänz, das blinken', hlunnblik ist
überhaupt sinnlos. Nach meiner Vermutung ist das ursprüng-
licne: hlyn blikhallar
'die tür (eig. 'das türgitter') der glänzenden halle'.
Der cod. reg. der Saem. Edda hat öfter v für y; siehe meine
ausgäbe s. x f., die phototyp. ausg. s. xxxi. Auch ältere hand-
schriften haben v für y, z. b. Reykjaholts mdldagi II fvlgia
u.s.w. (ausg. s. 23 a). Cod. reg. hat öfter y für »; siehe meine
ausgäbe s. xii, die phototyp. ausg. s. xxv. Ich vermute, dass der
Schreiber des cod. reg. nach seinem originale hlvy für hlyn,
ohne es verstanden zu haben, geschrieben habe, hlyn scheint
mir aus ags. *hlynu = *hleonu, Vdinu entlehnt.
Im ags. gediente Walfisch im Exeterbnche v. 78 bezeichnet
helle hlinduru die tür der hölle, durch die niemand der hinein-
gekommen ist, wider entschlüpfen kann. Andreas 995 wird
hlinduru von der tür des gefängnisses angewendet, Ebenso
bezeichnet hlinrceced in Andreas und Juliana ein gefängnis,
Minscua in denselben gedienten 'tenebrae carceris'. Dem sinne
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BUGGE
ua<m passt es hierzu trefflich, dass hlyn in der SigurAarkviöa
die tür der halle der totenweit bezeichnet, welche, wenn je-
mand eingetreten ist, zuschlägt.
Das geschlecht des Hin- ') kann ich aus dem angelsächsi-
schen nicht belegen. Nach ahd. hlina (klimm cancelli), mhd.
linc vermute ich ags. *hlinu fem. Der norwegische dichter
hat hlyn als neutr. pL angewendet, wol weil die sinnverwanten
an. Wörter hliÖ und lok neutra waren.2) Wegen des y von
hlyn vgl. ags. hlyniende hleonifende, hlynigen praes. conj.
3. ps. pl.
blikholl 'die glänzende halle' bezeichnet die halle der toten.
Mit diesem ausdrucke vergleiche man einerseits blikjanda byl,
den namen des bettvorhanges (Sn. Edda 1, lOti) oder der tür
(Sn. Edda 2, 494) der Hei, andrerseits Breidablik, die wohnung
Baldrs.
Der tür (hlyn) ist das epitheton hrinyi litkud 4 mit einem
schönen ringe geschmückt' gegeben. Der ring wird hier her-
vorgehoben, weil davon die rede ist, dass die tür klirrend zu-
schlägt. Türringe werden in der nominell literatur nicht
selten erwähnt, siehe Fritzner2 unter hringr, hnröarhringr.
Mehrere solche sind aus alter zeit im norden noch jetzt be-
wahrt, und türringe sind ja noch jetzt gebräuchlich. Auch
der ausdruck hrinyi litkud ist aus ags. einfluss zu erklären.
Denn litka bedeutet im anorw. sonst nur 'färben' (neunorw.
dial. likka, siehe Aasen und Ross), z. b. moldu litkadr (befleckt),
litkadr — raudleitr. Dagegen wird geivlite$ad in ags. dichtung
in der bedeutung 'geschmückt' mit einem instrumentalen dative
verbunden: ivuldrc jewlitesad/)
') Grein und Bosworth-Toller schreiben Min.
*) Aisl. stafröf neutr. ist aus ags. sttrf'rnw fem. entlehnt.
9) Finnur Jönsson ändert hrinyi in hringa und erklärt hringa litkop
'der Schwerter röter' als appos. zu hünom (z. 1). Dies scheint mir aus
folgenden gründen nicht richtig: 1) hringr bedeutet nur in den kunst-
gedichten der skalden, nicht in den Eddaliedern 'schwert'. 2) litkudr wird
so sonst nicht angewendet, litudr nur in den kuustgedichten der skalden.
3) Die pluralform hrinya ist unpassend, da Sigurd nach der sage nur mit
dem einen Schwerte (?ram kämpft. 4) Die apposition neben honum ist
wenig passend. 5) hrinyi, die handschriftliche form, gibt einen richtigen
ausdruck. Auch die erklärung (»erings: hringa litkud 'röter der panzerringe, '
ist nach dein vorhergehenden gewis abzuweisen.
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HEIMAT DER ALTN. WEISUNGEN- U. NIB.-LIEDEK. 120
Von den im vorhergehenden gegebenen deutungen mögen
manche zweifelhaft sein. Allein jedenfalls glaube ich eine
sehr umfassende einwirkung der angelsächsischen dichter-
sprache auf die Siguroarkviöa nachgewiesen zu haben. Diese
beweist, dass der norwegische Verfasser lange in einer Land-
schaft gelebt hat. wo englische gediente neben nordischen
bekannt waren. Es wird sogar wahrscheinlich, dass die Si-
gurrtarkvifta zum teil die umdichtung eines angelsächsischen
gedicktes von dem berühmten Vplsungr oder (wie dieser name
in ags. form gelautet hat) Wcehin&t) ist. Dies wird durch die
ausführlichkeit welche wir in der Schilderung des gemüts-
zustandes der personell und in den repliken Brynhilds finden,
gestützt. Brynhild hält wie Beowulf lange reden, nachdem
sie tötlich verwundet ist. Wie Beowulf spricht Brynhild vor
ihrem tode eine bitte aus, welche sich auf das verbrennen
der leiche bezieht. Brynhild wie Beowulf bittet, dass man
den Scheiterhaufen mit Schilden schmücke. In beiden gedienten
wird angegeben, welchen platz die hauptperson (hier Brynhild,
dort Beowulf) auf dem Scheiterhaufen erhält. Bei dem tode
Brynhilds wie bei dem Beowulfs wird sowol ein rückblick
als eine aussieht in die zukunft gegeben. In beiden gedichten
sucht die sterbende person sich zu rechtfertigen.
Die von mir in der Sigurdarkvida angenommene Sprach-
mischung ist darum weniger auffallend, weil wir wissen, dass
die nordischen und die englischen demente sich auch in der
englischen spräche sehr intensiv gemischt haben; man denke
z. b. an die inschrift aus Aldborough, Holderness. Yorkshire:
Ulf het ararran cyrice for Hanum and for Gunware saula.
Siehe Kluge in Pauls Urundr. 1, 785—92.
In der Siguröarkviöa finden wir zugleich mehrere andere
Übereinstimmungen mit ags. gedichten in betreff des poetischen
ausdrucken Von diesen betreffen manche poetische formein, die
dem uralten gesammtgerniaiii sehen vorrate an poetischen for-
mein angehört haben können, bei denen es, namentlich weil
die gotischen gedichte uns unbekannt sind, nicht entschieden
') Wenn »Sigurd in Sig. 1.3, 13 als Yohungr bezeichnet wird, erkläre
ich dies aus der anwendung des ags. Welsing (vgl. Beow. 877). Was
Finnor .Tönssnn (Litt. hist. 1. 200 Mim.) hiergegen anführt, ist nicht be-
weisend.
Beitrüge *ur geschieht« der deutschen spräche. XX 11. U
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BUr.OE
werden kann, bei welchem germanischen stamme sie zuerst
ausgebildet worden sind; z. b. nn er pprf mikil Sig. 44 (vgl.
Hav. 148), ags. ////// mwj? //tw/' mtceZ, as. töcs is iharf mikil
(Sievers, Heliand s.394); af grimmum hug Sig. 9 und sonst, as.
grim hugi (Sievers s. 398). vgl. ags. hygegrim; varat hann i
augu yär um Ii kr ne d engt hlut at dlituni Sig. 39. vgl. as.
uuesan an is dädion gilic, an is ansiunion (Sievers s. 415);
undir St ella Sig. 71 (von der sterbenden ßrynhild). vgl. ags.
sio wund ongon swelan and swellan Beow. 2713 (von dem
sterbenden Beownlf); hveim holda Sig. 12, ags. hwleÖa gehwcrm
Metra 7, 13; firrask ör fiandgardi Sig. 26. vgl. ags. wie feondum
dfyrr Psalm 68, 14; bgll i brynju Sig. 37, vgl. ags. bealdc byrn-
wissende Jud. 17; maskis eggjum Sig.. ags. meees eegum, as.
mdkeas eggiun; Ufa orvwna Sig.. ags. aldres (fvores) orwvna.
Man kann bei mehreren in Sig. vorkommenden ausdrücken
auch einen einfluss der dichtung westgermanischer auf dem
festlande wohnender stamme auf die spräche der nordischen
skalden für möglich halten. Allein da ich in der Siguroar-
kvirta einen starken einfluss der spräche der englischen dich-
tung nachgewiesen habe, liegt es auch bei den im folgenden
genannten ausdrücken ebenso nahe oder meistens näher hieran
zu denken.
oöaltorfa Sig. 62, auch bei I>j6<Vdfr Arnörsson, Sn. Edda
1.454; vgl. ags. poet. vdcUurf (Corp. poet. bor. I, lxi). — erft-
rprdr Sig. 63, Guöt. hv. 14, Atlakv. 12, bei Starkaör Fas. 3. 26.
auch in Noregs konunga tal (arfrordr Sigvatr Öl. s. h. Heims-
kr. 13 und Haukr in Isl. dr. 11), nie in der spräche der gesetze;
vgl. ags. erfeweurd, yrfeweard (as. erbiward). — seygr hin
sudrun't Sig. 4 und Atlakv. 2; ags. süöerne sevg Kätsel639
(Corp. poet. bor. 1,557). — heitu at runtun Sig. 14, Gttdr.hv. 12,
entstellt hvetja at runum Sig. 44. vgl. ags. hvt fid gefrtigan . . .
tu ruue Jul. 60—62. Kiene 1161 f. — grimmar urÖir Sig. 5
(sonst nur Vrdr sing.), vgl. ags. terdöe uyrde.
mjntudr Sig. 71 (in verschiedenen Verbindungen auch in
anderen gedienten), vgl. ags. mvotud (as. metod) (Corp. poet.
bor. 1.558). - meidmar f. pl. Sig. 2. 15. 38. 46. auch in I)rym.,
KigsJ»., Akv., Am. (nie in der prosa) 'kleinode'; vgl. ags. muömas
in. pl. •kleinode', wie as. mvdnws (got. maipms 'geschenk').
Vgl. besonders meidma fj(>ld Sig. 2. Am. 95 (fj{)l(J . . . nwithna
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HEIMAT DER ALTN. WEL8UNGEN- U. NIB.-MEDER. 181
I)rym. 23) mit ags. mddma fela Beow. 36 (im Heliantl mtömo
ßhi); an. meiÖmar piyyja Sig. 38, ags. mdÖmas picgean.
Ob der gen. pl. haukstaldu Sig. 31, Og. 6, auch bei I)j6ö-
61fr Arnorsson, Sn. Edda 1, 462 (in dem verse Sn. E. 2, 469 un-
richtig s. v. a. konunya) eine umdeutung des ags. hagusteald,
hfpxesteald, h(exsteald ist, kann zweifelhaft sein, da ein urnord.
name HayustaldaK vorkommt und da in neunorweg. mund-
arten hoystall, hauystaU 'witwer' bedeutet. Allein vinr hauk-
staldo Og. 6 scheint durch ags. hasgstealdra tcyn Genesis 1862
(von Pharao) beeinflusst zu sein, obgleich an. vinr 'freund'
ein anderes wort als ags. tcyn Yvonne' ist. Ob die in Sig.
und in mehreren anderen gedienten vorkommende anwendung
von svdta für 'sterben' ererbt (vgl. got. swiltan) oder aus
ags. einfluss zu erklären ist, lasse ich unentschieden.
eöhtm göÖir Sig. 70, vgl. ags. a'öelum göd Beow. 1870. —
seldusk eiöa Sig. 1 ; ungum yram eiöa seldah Helr. 6; mar hefir
Sigurd r selda eiöa, ei Ja sclda Brot 2. Dieser ausdruck findet
sich weder in den gesetzen noch in den sagas. Vgl. dagegen
ags. scaldon . . . hdli$c döas Metra 1,24 f.; auch in der spräche
der ags. gesetze: heora celc sylle fione dd, pwt u.s.w. — mwki
mdlfdn Sig. 4, auch Skirn. 23, 25; vgl. ags. sweord fyrmcelum
fdg Andr.1136.
Die angeführten ausdrücke beweisen jedenfalls, dass eine
Übertragung aus der ags. spräche an vielen stellen des gedichts
sehr leicht war.
Schliesslich mache ich darauf aufmerksam, dass ein zug
in der Sig. kv. mit dem schottischen Volksglauben überein-
stimmt. Als Brynhild das Jammergeschrei Gudruns bei der
leiche Sigurds hört, lacht sie laut auf. Gunnar sagt dann
(Sig. 31): 'dein gelächter bedeutet nichts gutes. Warum wech-
selst du die färbe? Nicht fern ist dein tod : du bist feiy\ ')
•) Müllenhoff (D. alt. 5, 380) versteht nicht den ansdruck a yölft, denn
er meint, derselbe sei hier ohne alle berücksichtigung der Situation ge-
braucht. Brynhild, die zu bette liegt (til hvilo Sig. 30), wird als eine Wöch-
nerin bezeichnet. Von Wöchnerinnen wird ligyja a f/ölfi gesagt, s. Fritzner.
Brynhild hat die ungeheuer, mit welchen sie schwanger war, geboren
(fetkna fa-Öir).
Aehnlich heisst i-s von der Medea Ovid. Heroid. 12. 20S: ingmtt's par-
turit ira min«*.
9*
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HUQGK
Vergleiche hiermit den schottischen glauben 'that men
becoine violently hilarious, fei/, just before a violent deatlf
(Revue celt, 4, 180).
Siguröarkviöa kann nacli ihrem von mir nachgewiesenen
Verhältnisse zu der angelsächsischen spräche und dichtttng
nicht, wie dies Finnur Jönsson (Litt. hist. 1, 08 ff.) meint, in
Grönland verfasst sein.
Er begründet seine meinung durch den hinweis auf Sig. 8:
Opt grengr innan
ilk um fyUd
t-;t ok jqkla
aptan hvern,
wo er tsa ok jokla als accusative auffasst.
Ich will die richtigkeit dieser anffassung vorläufig voraus-
setzen. Allein daraus folgt gar nicht, dass das gedieht in
Grönland verfasst sei. Der dichter könnte ja Brynhild ihren
einsamen gang über eisbelegte strecken im winter wandern
lassen. Sowol angelsächsische als alt norwegische dichter ver-
binden ja die Vorstellung von kummer und pein mit kälte.
Vgl. z. b. hafde htm to zesidÖe \ sor*e and longad. \ winter-
eealdc ivrwce Deor 3 ff. Das wort jokla würde dann am ehesten
von eisbelegten strecken zu verstehen sein. Vgl. z. b. norvv.
AM.jukleföre bei Aasen, joklclaupen bei Koss; ags. fand wo?ron
freorif eealduni cyle^iceluiu Andr. 1261 f.
Dass der dichter grönländische Umgebungen wenigstens
nicht consequent durchführte, ersieht man aus Sig. 20:
gnlln vift
gnew? i tüni.
Da innan neben gengr steht.1) erwartet man bei gengr
keinen accusativ. der die strecke, worüber Brynhild geht, be-
zeichne. Die metaphorische anwendung von im ok jokla (gen. )
habe ich durch kaldrifjadr, kell mik t hofud, Jmhii sorgir ge-
stützt. Ich habe dabei Merl. 1.51: kold hrimi hvers konar hjgrtu
hjöa hervorgehoben, weil der ausdruck hier mehr specialisiert
(hvers konar) ist. Auch mehrere gelehrte, denen das islän-
dische muttersprache war. haben im ok jokla als genetiv mit
fylld verbunden. Björn Olsen erklärt jykla hier als mit klaka
') Ich verbinde hman mit gvmjr, nicht mit ftjlUL
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HEIMAT DER ALTK. WELSUNGEN- U. NIB.-LIEDER. 133
synonym; vgl. hierüber jykull1) bei Fritzner. Finnur Jonsson
verwirft fißhl isa ok jgkhi. weil dies unästhetisch, mehr als
geschmacklos wäre. Was sagt er denn von Ovid. Met. 7. 33:
tmn ferruui et scopnlos gestan» in conle fatebor?
Die eifersüchtige Brynhild ist fylld isa ok jokla, nachdem Si-
gurd der gatte eines anderen weibes geworden ist. Es verdient
beachtnng. dass es von der eifersüchtigen Medea. welche schau-
dert, als sie die Verbindung lasons mit einem anderen weibe
ahnt, Heroid. 12, 142 heisst: in toto pectore frigus erat. Ich
werde hierauf vielleicht zurückkommen.
W ie die in Sig. (und in Atlam.) vorkommende bezeichnung
des Sigurd als hunskr, inn hünshi für die grönländische heimat
des gedieht s (wie Finnur Jonsson meint) sprechen sollte, ist
mir unverständlich. Es ist meine absieht, diesen ausdruck bei
der behandlung der sage zu besprechen.
[Nachträge. Zu s. 117. Ags. (eben: Dies adjectiv. das
* manifestum ' bedeutet, findet sich nicht nur au den angeführten
stellen, sondern auch sonst in den ags. gesetzen: cebere tnord
('mit 2,(54. cebwre horetvenan Edw. u. (*udhr. 11. Noch im Or-
mulum 7189 ( Holt 1. 249 ): all Jte^re wbiere unpannkess.
Wie ich mit Mätzner u. a. vermute, ist ags. cebere mit
ahd. äpiri apricus'. mhd. a'btr, oberd. aber -von schnee frei,
blossgelegr zusammenzustellen. Ahd. äjriri ist eine nebenform
zu *äpar, oberd. aber.
Im ahd. *äpar. *äbar vermute ich das privative praetix d-
und das adj. bar. In äpiri aus *dbari (vgl. fagiri fagari)
ist das wort als nicht zusammengesetzt behandelt. Im fränk.
äfer ist das /' wie r in amfränk. leren, belirc u.s.w. (Braune,
Ahd. gi-.J zu erklären.
Dass ahd. *äbar mit bar zusammengesetzt ist. wird in
betreff der bedeutung durch mhd. ein aber man 'ein armer
von geld und gut entblösster mann' gestützt.
Die Zusammensetzung ahd. *d-bar ist. worauf mich dr. Falk
aufmerksam macht, mit nnorw. dial. avherr ganz analog. Dies
bedeutet u.v.a. oberd. aber 'blossgelegt' (wo der schnee aufgetaut
h Ihr st.ll»* ist in Thnarit lö, 110 f. (von Björn Ols.-n». 1»;. 35 -37 (von
Finnnr J6n>son), lö, S2f. (von ß. 0.) diskutiert worden.
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134 BUGGE. HEIMAT DER ALTO. WEL8UNGEN- U. NIB.-MEDER.
ist). Das nord. af- entspricht dem sinne nach dem adeutsch. A
vgl dän. afinagt aus mnd. anweht.
Lye hat bereits ags. (ebere mit ags. dbarian 'denudare.
detegere. prüdere' zusammengestellt. Das praefix ags. &■ bei
nominibus entspricht dem bei verben angewendeten d-. Die
in der jüngeren handschrift des Lagamon vorkommende mengl.
form ebare spricht dafür, dass das wort mit bar, ags. basr zu-
sammengesetzt ist. Ags. erben' entspricht dem sinne nach
wesentlich dem anorw. ba r, ostnord. bar; siehe z. b. aschwed.
in den gesetzen bar oh- atakiu 'auf frischer tat ertappt'.
Zu s. 125. Ein anorw. verbum gryma, das mit w^s.^vrynmn
identisch und mit an. ryma synonym ist, findet sich, wie es
scheint, in einem verse des Kinarr Skälaglam Snorra Edda 1,240,
wo bergs grymi-ld dverga eine kenning für 'dichtung' ist. Drei
hss. haben grymi. Die versuchten änderungen sind gewis nicht
richtig. Ich deute den ausdruck so: 'die welle der zweige,
welche den berg öffnet' (d.h. welche veranlasst, dass man den
berg durchbohrt, so dass Oflinn die (iunnlort im berge besucht ).
gryma verhält sich zu ryma wie anorw. yreida zu dän. rede.]
OHKISTIANIA. october 18%. SOPHUS BUWE
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ZU HEINRICH VON MÜGELN.
HL
Heinrich von Mügeln, Heinrich von Neustadt
und Alan us de Insulis.
Was aus Heinrichs von Mügeln werken über seine lebens-
schicksale und seine person geschlossen werden kann, das ist.
wie im 21. bd. dieser Beiträge gezeigt wurde, nur sehr wenig.
Sein im nie. seine heiinat. die böte zu denen er während seines
lebens in beziehung trat, das ist alles: was über seine person
und lebensstellung behauptet worden war. hat sich als un-
haltbar erwiesen (a. a. o. s. 240')). Auch keiner seiner Zeit-
genossen hat uns von ihm berichtet. Wol lebt sein name in
Verbindung mit seinen meisterliedern fort, aber halb sagenhaft
wie der Frauenlobs. Mit diesem zusammen nennt ihn die
tradition der meistersinger unter ihren ersten zwölf meistern.
Dass ihm dabei der titel eines doctors der theologie2) zugelegt
wurde, darauf darf man natürlich kein gewicht legen. Die
einseitige Würdigung Heinrichs als eines meist ersingers hat
bis auf unsere tage reichlich nachfolger gefunden. Zu diesen3)
gehört offenbar auch Wölkau (Geschichte der deutschen
literatur in Böhmen bis zum ausgang des lb\ jh/s). der an den
') Ich halie «lein in «leu Beiträgen 21 ausgeführten nachzutragen, «lass
Lamhel hereits 1877 in »einer einleitung zu Vohnars Steinbuch s. xxxi
zweifei an «1er ri<htigkeit von Kchröers anweht über H.s Stellung am hofe
Karls IV. und über die ent8tehung «1er (ibttinger bs. geäussert hat.
-) Puschmann. Hall, neudr. 73 s. 4: Und sind neudieh der ersten Meisler
in dieser Kunst an dir zul zwölfte ffcicesen, deren Xnnien ich zu mehrem
ttnterrirht hieheu n, zeichnen 1010 . . . Doctur Fruuetdoh, Doctur Mügelimj,
hetde Jhtctores Theolotfiue.
°) Auch S« herer (s. 252) uinl Vilmar (s. 3S5J kennen H. nur als nieister-
smger.
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186
HELM
wenigen bei Lambel (s. 126 ff.) abgedruckten Strophen genügen-
des material zu besitzen glaubt, am über H/s bedeutung sein
endgültiges urteil abzugeben, das dahin geht, man. werde nach
diesen proben wohl kein bedürfnis nach weiteren Veröffent-
lichungen haben.
H.'s bedeutung beruht aber zum geringsten teil auf seinen
allerdings sehr zahlreichen meisterliedern und fabeln, sondern
darauf, dass er einer der hauptrepräsentanten der im 14. jh.
so beliebten didaktisch -mystischen dicht ung ist. Am besten
'wird man ihn alseinen polyhistor bezeichnen, denn geschichte.
astronomie, chemie. geistliche Symbolik und allegorie sind ihm
in gleichem masse vertraut. Doppelt bedauerlich ist deshalb
die Unkenntnis, in der wir uns in beziehung auf sein leben
befinden. Ob er selbst dem gelehrtenstande angehörte, ob er.
wie Martin (Mitteilungen des Vereins für gesch. der Deutschen
in BOhmen bd. 16) vermutet, mit seinen dichtungen in irgend-
welcher beziehung zu der Prager hochschule stand und ob
hinter Puschmanns notiz. dass er doctor der theologie gewesen
sei, doch etwas wahres versteckt ist? Der gedanke hat viel
bestechendes: leider besteht jedoch, wenn uns nicht irgend ein
neuer inhaltsreicher fund zu hilfe kommt, keine aussieht, in
dieser frage weiteres zu erfahren. Mit dem material das uns
bis jetzt zu geböte steht, sind wir am ende unserer Weisheit.
Als Heinrichs hauptwerk kennzeichnet sich schon rein
äusserlich durch seinen umfang Der meide Cranz, nicht minder
aber durch seinen inhalt. der am charakteristischsten für die
besprochene mystisch -theosophische richtung ist. Schon <Ter-
vimis') machte, allerdings ohne genügende beachtung zu finden,
die bemerkung, dass dieses werk an Heinrichs v. Neustadt
gedieht Von gotes zuokunft (mit dem Apollonius desselben
Verfassers im auszug hg. von Strobl, Wien 1875) erinnere. Im
folgenden soll gezeigt werden, dass H. v. M. dieses gedieht bei
abfassung von Der meide cranz benutzt hat. Dabei werden
wir vor die frage gestellt werden, ob H.v. M. auch über H.
v. Neustadt direct auf dessen quelle zurückgegriffen hat, näm-
lich auf den Anticlaudianus des Alanus de Insulis (vgl. Migue,
'» Handbuch <1. £fes< h. der poet. natinnal-literatur d. Deutlichen, 2. anfl.
s 1<>7.
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ZU HKINRK'H VON MÜGELN.
137
Patrologia latina 210). Dass Heinrich dazu eine ausreichende
lateinkeimt nis besass, beweisen seine umfangreichen über-
setzungswerke. andererseits war Alanus im 14. jh. ausser-
ordentlich bekannt: auch Frauenlob nennt ihn gelegentlich
(Strobl s. 7).1)
Bei A und N wird die prudentia (Weisheit) von der natur
zu gott geschickt, bei M die tilgenden von der natur herbei-
gerufen, um bei der krönung der theologie anwesend zu sein.
In beiden fällen wird ein wagen gezimmert, dessen bau aus-
führlich beschrieben wird. Bei X (A) bauen ihn die sieben
freien künste, die als dienerinnen der Weisheit (bei A der natur)
erscheinen: die grammatik baut die deichsei. die logik die
achse, die rhetorik schmückt beide aus. die anderen künste
machen die räder. Bei M bauen die tilgenden den wagen
selbst (v. 1100): gerechtigkeit, Friedfertigkeit, baraiherzigkeit,
freigebigkeit die räder, die Wahrheit die deichsei, die kraft die
achse. Eine beschreibung fügt M nur dem letzten der räder
hinzu (v.llOG): daz vi nie rad von golde gar. Dazu vergleiche
man X 887 duz rirde rad mit golde fin, zurückgehend auf A
357, 13 nascitur ex auro rota quarta. Es ist nur eine un-
bedeutende einzelheit. die aber im Zusammenhang doch be-
merkenswert erscheint. Jedenfalls ist die idee des wagen-
baues auch trotz der Verschiedenheit der handelnden personell
bei beiden dichtem durchaus dieselbe. (Gelenkt wird der wagen
bei X(A) von der ratio, bei M von der Vernunft (v. 1123),
gezogen wird er bei X (A) wie bei M von fünf pferden, die
als die fünf sinne interpretiert werden, wobei auch in einzel-
heiten interessante Übereinstimmungen zu constatieren sind.
Daz erste ros hiez das sehn, sagt M 1111. rot was sin färbe
Itore ich jehn. I >ies ist zu vergleichen mit A 358. (>
Utatn
respersus eandore color subrufus inaurat.
ll Abkürzungen werden gebraucht : A — Anticlandianus des Alanus.
N = H. v. Neustadt. M — H. v. Mügeln; und zwar wenn kein znsatz dabei
ist, .stets Von gotes zuokunft bez. Der meide < ranz. In'e citate für N sind
nach Strobl, oder bei stellen die dieser nicht abdruckt, nach Cod. pal. genu.
401. M ist citiert auf urrund der hss. Orthographische eigenheiten sind
ln>i X und M beseitigt. Inhaltsangabe von M Vgl. Schröer. WSB. n.r». 401 ff. ;
über da* handschrifteiiverhültnis s. unten.
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138
HELM
Dadurch ist schon erwiesen, dass H. v. M. auch A selbst gekannt
hat; denn S schreibt anders (v. 905):
daz ernte ros was daz sehen,
an dem rosse mag man spehen
swarz flecken vnd wiz.
Auch in der Schilderung der Schnelligkeit des pferdes steht 11
A näher als N. Die entsprechenden stellen sind:
A35S, S non iiieait inio volat nee enim discrimine passns
inscrihit terram, nee gramen curvat cumlo.
sed celeri enrsn terram delibat enntis
passiis et in terra vestigia nnlla relinqnit
M 1118 keyn mensche siner fiiezze phat
noch sinen trit erkiesen kau.
das gras ez treit nf keiner hau.
N beschränkt sich hier auf den einen zug (v. 916) nid dovii nit
heim nidertrat.
A 35*. Iii antieipat inonitnm calcaris. sponte meatniu
aggreditnr.
M 1121 oueh gar snellen loufes ez phlag:
man dorft im «rohen keinen slag.
Das zweite pferd ist wenig geringer als das erste: cursn re-
missior Uli (A 458. 28); bei X (919) vz was freidig nid geil,
doch was ez drv.yvr ein teil (hs. V. fnudiij). und bei M, der
diesmal im ausdruck sieh eng an X anschliesst (v.1181):
vil na ez sam daz erste was.
«loch ez sin Sprunge t reger maz.
Das dritte, vierte und fünfte pferd erledigt X dann ganz kurz
mit den Worten dir diu siat mich ahtbrre, euphinden rirchrn
rud yestnac, M kann hier nur auf A selbst zurückgehen. Die
anklänge sind indes nicht mehr so evident.') Keim dritten
pferd wird die Unbestimmtheit der färbe ganz ähnlich aus-
gedruckt wie bei A:
M 1155 sin färbe glich was in der Schicht
als wann sich lnft in nehil flicht.
A 35U. 1» snhtilis respergit cum mistnra eoloris.
s»-d tniricns ocnlod visnin color ille rocusat.
Das vierte pferd wird bei A als weit tiefer stehend gedacht:
l) In der M-hihhmng lies 5. pferdes hahen A und \\ gar nichts gemein-
same«.
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ZU HEIN !< ICH VON MÜGELN.
IM
A 359, 22 praedictis famulan* illos quasi prorsus adorat
ancillatnr eis nee sc nejfat esse dienten
homm, »eil tanquam dominis ut venia minist rat.
M nennt das pferd zwar grosses goldes wert, dann aber fährt
er schart" tadelnd fort, und wo bei A (859,48) steht:
Ihm- speciale sibi retinet, propriumque reservat,
quod eeler ad potuiu non oblivisritur eflcam,
potibus indnlget, pro cunitis solus ad esum
enrrit. et in potn defeetus snpplet equoruni.
da finden wir bei M die worte (v. 11(>1 — 04)
in frasse phla- ez Sprunge vil.
wer im den zogel lassen vil
vnd des zu Haiden nicht jyerucht,
dem ist von tfote wol verflucht.
Dabei erhalten auch die Böhmen einen seitenhieb, v. 1159: daz
res die liehym lobten auch (P narren statt Behym). Diese be-
merkung geht vielleicht auf N zurück, dessen gedieht ja zum
teil eine Strafpredigt gegen die sitten Oesterreichs und Wiens
ist, speciell auch gegen die Üppigkeit im essen, v. 4b(i ff.:
frazheit genomen hat obern haut
und allermeist iu Osterlant.
trunken vol vnd vhersat
ist manie man in Wiener stat
und etlich fronwe mich alda . . .
Dass M die stelle auf die Böhmen bezieht, ist für ihn ja nahe-
liegend, vielleicht wirkte dabei bestimmend auch eine stelle
des Apollonias, in der auch in diesem sinne eine anspielung
gemacht wird: v. 18329 nämlich nennt der dichter nach auf-
zählung einer grossen reihe von fischen einen offenbar wol als
feinschmecker bekannten mann mit der bemerkung. nicht ein-
mal dieser habe so gute fischweiher. Der genannte ist ein
Böhme: ron Peheim herre Dobisch het so yttoter uivr nicht).1)
Die rolle der freien künste ist in N (A) und M ganz ver-
schieden: dort sind sie nebensache, hier treten sie in den Vorder-
grund. Aber X und A geben bei dem bericht von der erbauung
des wagens für jede der künste in einer reihe von versen eine
beschreibung. die sich mit den beschreibungen bei M vielfach
eng berührt. Von der grammatik berichtet A (842.11): sunt
tarnen in multo lactis iorrente natantes tnammae. Darnach M
l) Aehnliche stelle 13o%.
-
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140
HELM
(v. 514) ir bmatclm waren milche rot. Dem entspricht M 172
welch kint uz miner Urliste tich
trinket, daz erkennet wol
wi ez sin latin reden »ol
und 212 zwei kint ich ner an niiner brüst.
Bei weitem auffälliger ist die congruenz bei der loprik.
A (345. 14) schildert ihre erscheinung:
haec habitu gestu macie pallore tignrat
insomnes animi motns.
N (826) schreibt dafür
mit sinne sie dort her (deich,
die waz mager und bleich.
und fast wörtlich dasselbe lesen wir bei \I(221) bleich vnd
mager ir yestalt.
Als attribute teilt ihr Alanus blumen und schlänge zu
(345}25): dextra manus ttoris donatur honore. sinistram
scorpius ineidens caudae mneroue ininatur.
und später (346. 42)
Hörem dextra resignat
ad praesens aliisque vaeat, serpensijue sinistram
exit.
X ändert ab. indem er an die stelle der blumen die taube setzt:
v>7 ein dnbe in der lebten haut,
dir linke drutr einen serpant.
und so hat es M übernommen v. 2231:
ein tube trug ir rechte haut,
« in »lange sieh durch die linke wrant.
W ahles und falsches zu unterscheiden wird als erste, kunst
der logik an die spitze gestellt. A M'k 36:
vis loifieae veri facie tunieata reeidit
falsa, negans talsum veri latitare siib uinbra.
X S2!» mit den < mittlren gelinge
bezeiehen warheit vnd luge.
Endlich M (v.225):
*i sprach 'in aller rede gar
ich kenne wol falsch und war.'1)
Die weitere ausführung bei M muss auf eine andere, mir
1 1 Vxrl. dazu H. 's von Mügeln kleinere gedichte Sepln» arfes und Kon
tiUrn fritn Lintatn», wo sieh fast wörtlich die gleichen ausdrücke finden.
Wir kommen darauf unten im Zusammenhang zurück.
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ZU HEINRICH VON MÜGELN.
141
unbekannte quelle zurückgehen; auch im abschnitt von der
rhetorik ist M von A und X unabhängig. Dagegen wird die
arithmetik ') als nrspmng alles bestehenden wider mit den
Worten des Alanus geschildert:
A 351, 13 quomodo concordi numerus ligat nmnia nexu,
singula componit. mundnm retrit, ordinat orbem,
astra inovens
M 331 des himels Btern, de» meres «,'riez
und alles daz recheuunge hiez,
daz floz durch mines herzen rine.
nach mir buwet nature ding.
Doch ist hier auch wider directe anlehnung an den ausdruck
von X nachweisbar (v. 852):
die sterne und des meres griez
zelet sie sunder driez.
Xoch deutlicher ist die entsprechung zwischen M und A in
folgenden stellen:
A 351, 21 Quomodo principium numeri. fons, mater, origo.
est monas. et numeri de se parit nnica turbam.
M 335 Ein ding vor allen dingen was.
daruz sich alles zelen mas:
eins ist kein zal, wizz ane wank,
doch ist ez zal ein anefang.
Auch die folgende erläuterung über die einzelnen zahlen-
und rechnungsgattungen kann wol von A inspiriert sein, gegen
dessen ausführungen sich M freilich nur ziemlich unbeholfen
ausnimmt; doch muss man ihm auch hier für einzelnes Selb-
ständigkeit zuerkennen (z. b. .544 wie man die zal denarius
stetlieh mit zehen zelen muz u.s.w.).
Die geometrie erscheint bei X (A) und M wesentlich als
die messkunst. sie trägt deshalb eine messrute als attribut:
A 354, 41 Virgam vir^o gerit, qua tut tun circuit orbem.
qua terrae spatinm metitur, qua raare claudit
limitibus certis, qua circinat ardua coeli.
X 808 fügt neu hinzu, woraus die messrute gefertigt ist:
sie drug ein messe werten M 371
von golde rot in der haut. die trug ein rate von golde rot,
da mite misset sie diu lant da mit sie sich zu mezzen bot
und des hrmamentes »tei^e
') Ich folge hier der anordnung der Gtfttiuger hs.. vgl. unten.
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142
HELM
und des wilden meres wege
und der abyssen strare.
sie kan alle inaze.
der himels steinen speren kreis,
w\ hoch sie sint. mein zirkel weiz.
377
381
daz mer vnd erde nach inazes trift
uz meinem zirkel ward gerift.
feur flam ich messe und ouch die lnft,
dem fege feur vnd helle gmft.
den mezz ich irre tieffe zil.
Aber auch als geometrie im eigentlichen sinne erscheint
sie; allerdings sind die der lehre vom kreis und vom winkel
entnommenen beispiele des Alanus bei M ziemlich unverständ-
licli geworden.
In der rede der musik folgt M nur ganz wenig X, näm-
lich in der angäbe des attributes das dieser kunst beigegeben
wird: M 420 die trug ein hur ff in irre hunt, N356 dy trug ein
harphen in der haut, während A von einer cither spricht (353.11)
dum citharain manus mia gerit, manns altera chordas
Darauf folgt bei X nur noch ein vergleich mit David, während
M noch in einer längeren partie die fachausdrücke erklärt, die
sich bei A hier vorfinden:
«juis resonet nuitus. vel quis sesqualter ad illnm
sit »onus, aut illi Concors sonet in diapente:
(juae vocum junetnra parit diatesseron.
M 430 die noten, die da lanffen sin,
in di octaucn uz der prira.
der wise wisse sunder wan,
die ist genant dyapason.
die wise dyapente sal
han uz der quinten iren val:
so sal sich uz der quarten Inn
die wise dyatesseron.
In der astronomie zeigt M sich wol bewandert: er steht
hier, abgesehen von der rhetorik. seinen quellen am selbstän-
digsten gegenüber.
X beschränkt sich hier auf wenige verse (881):
sollicitat.
A 353. 47
in iliapason
der sonnen louf. des manen iraiur.
der siben himel vmhevang
künde sie erkennen wol;
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ZU HEINRICH VON MÜGELN
143
ir kleit was liehter steine vol.
sie kennet wol der steine kraft.
M führt zunächst das letzte weiter aus:
473 sie sprach ' wai tat zu kunftic ist,
daz offen t miner kunste list.
477 wen hunger sterben koraen sal,
von strite menschen wen zu tal
ifemeinlich vallen mnoz durch not,
dez ich der werlt ie vor entbot.'1)
Im weiteren über die bewegung des himmels gellt M Alanus
folgend mehr ins einzelne, praecisiert aber auch dessen angaben
über den lauf der Sterne durch nennung von zahlen:
A 35t). 42 Quis lunae motns, qnae solis sphaera. quis orbis
Mercurii, Veneria quae semita, qnae via Martis,
qnae mora Satnrnium retinet, quo limite currit
Stella .Jovis. inotus<|iie vagos qnis circnlns aeqnat.
M 4S1I die achte spere snnder spar
lonfft sechs und drizig iar:
Saturaius drizijr. zwelf Jupiter,
Man» zwei2), irelonbe mir der mer.
ein jar die sonne lonffen mnz,
acht stund mynner8) hat Venns.
Mercurins4) dri virtel jar,
«ler mond vir wochin sundir spar.5)
Daran schliesst M endlich noch eine aufzählung des tierkreises,
die mit weitläufiger ausfuhrung und entwicklung astrologischer
Weisheit am Schlüsse des gedichtes widerkehrt.
Wir sehen also H/s v. M. gelehrte erörterungen über die
künste zusammengesetzt unter benutzung von X und A und
hinzufügung einzelner eigener züge: doch müssen ihm auch
wol noch andere quellen zu geböte gestanden haben. Im ein-
zelnen hat ihm in der auswahl dessen was er von seinen Vor-
gängern übernehmen oder beiseite lassen wollte, oft vielleicht
nicht der inhalt bestimmt, sondern das bestreben, jeder der
künste die gleiche verszahl (50) zu widmen.
Weitere parallelstellen zwischen X (A) und M finden sich
in der beschreibung der Wohnung der natur und dieser selbst.
') Aach sonst von Heinrich gern behandeltes thema. Vgl. Von der
knnst astrouoinie (Gütt. hs. 11«)); W'nz der cometa betUtUt (G. hs. 190).
-) PWL drei. 3) PW ein w«-ni- minner.
*) PW vnd d. stein Mercurins. •) PW . . wochen lonfen muz.
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144
HELM
Der Zugang: zur wohnung der natur ist bei X wie bei \I
(Alanus hat davon nichts) abgesperrt durch die vier elemente.
die bei N als vier türine, bei M als riesen an den vier toren
dargestellt werden, und zwar ist bei M dies motiv zweimal
angebracht, bei der ankunft der künste im reich der natur
und bei der ankunft -der tilgenden.
1) Das feuer (ich folge der reihenfolge von M, s. unten):
M 901
in des landes mittel lag
ein bürg, der ersten phorten phlag
ein rise groz vnd vngehenr,
der liez vz sinem halse fenr
in grira über alle berge gen.
90$
daz tor gein süden1) waz gericht.
später 11 85
sie quamen an daz erste tor.
da vor so lag ein rise groz,
daz fenr nz sinem halse schoz.
2) Das wasser:
M 909
sie gingen furbaz an ein tor.
do stund ein ander rise vor,
der waz durchsichtig vnd groz.
ein ström durch sine kele floz.
der was gar tief breit unde lang,
gen westen was des tores gang.
später 119b
.. füren da ein weiser man
dort stund, der gar durchsichtig was.
1202
der wize man daz wazzer ist,
daz ist durchsichtig vnd dar.
1208
manich wunder ist darin gesmit.
3) Die luft :
M 91 S
(am dritten tor) da lag: ein ander
920 rise vor.
«well wind liez er durch sinen munt.
922
daz tor gen norden2) was gerieht.
N 127
do sach er einen torn sten.
vz dem torne sach er gen
fuwer. dez flamme was hoch.
die flamme sich vmb den torn soch
an dem ecke unmazen groz.
gein meridie der schoz
mit ungefuoger hitze.
X 111
der eine torn wiz erschein
als ein liehtes helfenbein.
uz dem wizen torne groz
manig edel brunne floz.
11$
bi dem torne st mit ein sef
der was michel und lang:
gein occidente was sin gang,
da sach er inne besunder
manig mer wunder,
dier. fische, menschen bilde,
und manig wunder wilde
N 13S
von dem torn ein wint brach,
me danne an hundert enden.
143
der torn was bla als ein lasnr.
einhalp druz ging ein schür.
l) P norden. G osten.
*) P sUden.
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ZU HEINRICH VON MÜGELN. 14"»
später 12t(> awlerhalp ein nasser regen,
da stund in blaer wete vor daz ander teil het sne gewegen.
ein man der vientlichen bliez.
zwelf wind er uz dem munde liez.
den hagel, sue schanr unde
regen.
4) Die erde:
M 924 N 152
(am vierten tor) da lag in grüner (der vierte türm) der het sin richez
wete vor obedach.
ein rise starck und lobelieb. ^ waren U11(l j,rUnez ioup.
mit boumen groz er dackte sieb. |ßQ
daz vird tor gen osten') ging. ^n orjente was der phat.
später 1230
da lag in grüner wete vor
ein man der ewiglichen slief.
manieb tier uf sinem halse lief
und barg sich in des manne» wat.
In der reihenfolge der elemente stimmen M und N nicht
überein, aber auch die himmelsrichtungen die den einzelnen
zugewiesen werden, sind verschieden, ja darin weichen die
einzelnen hss. von M selbst von einander ab. Nur für das
wasser nennen beide, übereinstimmend mit N, den westen. Da-
gegen gibt für das feuer P norden, G osten an. Die lesart
von P ist sinnlos, aber auch die von G scheint mir nicht richtig
zu sein. Bei N ist die reihenfolge der himmelsgegenden westen,
Süden, norden (der nicht ausdrücklich genannt wird), osten.
Man sieht, dass dies der gedachten Situation (Alanus um die
bürg der natur gehend) nicht entspricht: darin mag wol für
M der grund gelegen haben, überhaupt zu ändern. Eine ände-
rung in der Zuteilung der einzelnen himmelsgegenden an die
verschiedenen elemente war dagegen durchaus unnötig, und
überdies entspricht gerade die Verteilung bei N den natürlichen
Verhältnissen am besten. Wir haben deshalb für das feuer
auch bei M den süden eingesetzt. Die lesart von G (osten)
ist aber auch deshalb bedenklich, weil die dadurch entstehende
reihenfolge (osten, westen, norden, süden) ebensowenig als die
von N der Situation (hier die künste um das reich der natur
fahrend) entspricht. Dass für die luft der norden (P süden),
*) G süden.
der deuuclio» «räche. XXJI. 10
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146 HELM
für die erde der osten (G Süden) die richtige lesart darstellen,
ergibt sich aus dem vorher gesagten von selbst.
Natürlich ist nur der weg wo die erde herscht. passierbar;
er führt zu dem hause der natur. vor dem sich eine wiese
ausbreitet:
N m 946
der weg- trug in an ein tor. ein anger vor dem huse was.
da «t mit ein lichte anger vor.
Einen verwanten zug hat Alanus, wenn er berichtet, wie die
pferde (d. h. die sinne) die schwelle des himmels nicht über-
schreiten können, wie der wagen bei M drei tore nicht pas-
sieren kann.
Die natur wird geschildert als eine schöne frau:
N 301 M 980
Xatnre was das schönste wip. ir aneplik so schone was.
die ie gesach kein» manne« lip. daz mensche ny so schone wart.
N 307 M 083
ir heubt drug ein kröne. von sihen Sternen was ir cron.
do st mit nf schone
sieben steru herlich.
X 312 M 1024
die sonne vü d'niane auch stund nf irer achsel schrank
stunde als zwei tassel die snnne vnd auch der nionde dar.
nf den abseien sinewel. und leuchten ir zu dinste dar.
Ihr mantel wird dann beschrieben, in M ganz kurz, 1018:
in ires mantels valteu vil
tir. Tische, mensche wonte da.
der gründe was ir feie na,
wen aneuaug die grau bedeut,1)
bei X ausführlicher (v. 323) :
ir mantel waz ein feie groz.
die werlt hat nit ir genoz;
da was uf manig bilde
mit mauiger forme wilde:
zwelf tier gar wunderlich
mit golde dar uf geworht rieh ;
') (iriin als färbe des anfangs bei H.v. M. noch öfters, dagegen nicht
bei H. v. X, bei dem auch der mantel der natur blau ist. Vgl. für H. v. M.
im gediente Der dorn strophe 23 di grüne antra nc betlut, anrane der gloube
nam vnd grauet uz dines herzen »tarn (Lambel s. 128). Die stelle aus Ha-
damar, auf die dort hingewiesen wird, ist Strophe 243 (nicht 343) gruen
anevanges meine u.s. w.
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ZU HEINRICH VON MfOELN.
147
333 der raantel was lasttrbla.
die tierlin stunden hie und da
gefilzet uf den mantel.
Bei M findet sich das motiv auch noch auf die erde übertragen
bei deren Schilderung bei ankunf t der tugenden v. 12^2 (s. oben).
Damit ist jedoch noch' nicht erschöpft was auf eine be-
kannt sc ha ft H.'s von Mügeln speciell mit Alanus hinweist.
H. von Mügeln hat die freien künste noch in zwei kleineren
gedienten behandelt (Cod. pal. gernL 693)!), die Schröer unter
VII A und VIIB bespricht. Ob die von Schröer dort ausgespro-
chene ansieht über die reihenfolge ilirer entstehung richtig ist,
kann für unsere zwecke füglich ausser betracht bleiben.
Zwingend ist Schröers beweisführung ja nicht, auch dass in
dem gedieht Von allen frien kunsten die zahl der künste auf
15 erhöht ist, kann nicht unbedingt als beweis dafür gelten,
dass dieses zuletzt entstanden ist: es ist sehr wol denkbar,
dass H. es vorgezogen hat, die nicht besondere glückliche er-
weiterung des kreises der freien künste später wider einzu-
schränken. Immerhin steht so viel doch wol fest, und das
ist das einzige worauf es uns ankommt, dass Der meide cranz
nicht als erstes der drei gediente von den freien künsten ent-
standen ist, denn jene beiden gediente, die untereinander und
mit Der meide cranz im einzelnen oft wörtlich übereinstimmen,
machen doch in zu vielen punkten geradezu den eindruck von
vorarbeiten. In beiden kleinen gedichten findet sich nun ein
in Der meide cranz nicht vorkommender zug aus A wider,
dass nämlich am ende jeder strophe einer der hervorragendsten
Vertreter der betreffenden diseiplin genannt wird. Die an-
knüpfung ist meist ganz mechanisch. Die namen decken sich
allerdings nicht, auch abgesehen davon, dass bei A meist eine
ganze reihe, bei H. von Mügeln stets nur einer genannt wird.
Bei der musik nennt A den Michalus, H. v. M. den Boethius,
bei der astronomie wird bei A kein name genannt. Auf diese
Verschiedenheiten ist jedoch kein gewicht zu legen.
Eine kleine stilistische reminiseenz an A dürfen wir viel-
leicht in der häufung der verba an folgender stelle erkennen :
Sept. art. ein iczliek don nympt uz musica do seyn zyl,
se wirket, bawet. raunzit allifl zeytenspil.
') Siehe oben 8. 140 anm.
10*
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148
HELM
An der entsprechenden stelle findet eine solche häufung" bei
Alanus allerdings nicht statt, sie ist indes bei ihm ausserordent-
lich beliebt; am charakteristischsten sind dafür vielleicht die
folgenden verse:
341,20 Krgo Minerva videns tanto »plendore Sophiwe.
tot donis. tantisque datis, splendore »orores.
ordinat. injungit, jubet. imperat, orat, ut instant
quaelibet istarum comitum, comitante Sophia,
corpore, mente. tide, stndeat, desudet. anhelet,
instet, et efficiat, ut cum» currat adesse.
Endlich weist aber auch die ganze anläge von Der meide
cranz auf Alanus zurück. Mit dem urteil des kaisers (789—814)
ist das thema eigentlich erschöpft, das gedieht konnte damit
schliessen. Nun aber folgt ein weiterer teil von beinahe 1800
versen: die sendung der künste zu der natur. der Wettstreit
der natur und der tilgenden, wobei die künste immer mehr
zurücktreten mit ausnähme der theologie. die als richterin
erhaben über den anderen thront; v. 1268:
die künste sassen sunderlieh
und auch die togende lohelich:
zu mittelst in der seihen schul
erhaben stand ein rieher stul,
darauf theolnva saz ...
Aehnlich heisst es von der theologie bei der ankunft der Pru-
dentia in A Ecce puella polt residens in ctdmine (3(37. 44).
Die idee. das urteil durch die natur bestätigen zu lassen,
ist so merkwürdig, dass dies allein uns schon veranlassen
müsste, uns nach einer quelle umzusehen, in der künste und
natur in engerem Zusammenhang erscheinen. Hatte H. v. M.
den Antielaudianus vor äugen, in dem sie geradezu in dem
Verhältnis von dienerinnen und herrin stehen, so erklärt sich
sein plan von selbst.
Auch für die beziehung die in M einige künste zur geburt
Christi für sich in ansprach nehmen,1) wobei das dogma der
Vi Arithm. M 'MW : sind ich nach zal gegeben hau
hie gotes kinde sin gelit.
(ieometr. M 405: da got sin kint in menschen art
saute, ich maz im sein gelid.
Musik 461 : min sang waa ewig von der mait.
durch die den menschen leben tait.
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ZU HEINRICH VON MÜGELN.
149
unbefleckten empfängnis stets besonders hervorgehoben wird,
findet sich in A ein vorbild bei der arithmetik:
351,23 Quomodo virgo parit, gignens manet integra. wimplex
sese multiplicat, de sese gignit, et in se
incornipta manet, partus imitata parentis.
Ja in nuce ist selbst der Wettstreit der künste in A schon
enthalten. Der wert jeder einzelnen in ihrem Verhältnis zu
den andern wird schon hier kürzer oder länger besprochen:
Non oul tu facieqne minor, non arte secunda
tertia virgo (A 347, 43)
heisst es von der arithmetik; ähnlich von der geometrie(A 354,33):
instat sexta soror operi. se fundibus urget
ad Studium, studio reliquis studiosius haerens.
Am deutlichsten und zugleich am meisten schon im sinne H/s
von Mügeln endlich ist dies ausgesprochen bei der arithmetik :
A 350, 30 Qnarta soror sequitur. quartae rota prima soruris
est opus, huic operas operose dedicat illa.
et quamvis haee qnarta foret, tarnen esse seeunilam
se negat in faito. eontendens prima voran.
IV.
Das Verhältnis der hss. in denen uns Der meide eraiiz
überliefert ist. lässt eine betrachtung der in den einzelnen
fehlenden verse leicht erkennen. Für den teil des gedichtes,
dessen text uns alle hss. bieten (die Leipziger reicht bis 718,
die Weimarer bis 864, nur die Heidelberger [P] und die Göt-
tinger sind vollständig) ergibt sich nämlich folgendes:
es fehlen in P und W die verse 316. 409—414:
es stehen an falscher stelle in P v. 496— 98,
in W v. 497—98;
es fehlen in L v. 1-68. 496-498 und sind geändert v.87- 98;
es fehlen in (1 v. 420. 613- 15. es sind geändert 262— 68.
661-68.
Wir haben darnach eine hs. x anzusetzen, aus der einerseits
durch unbekannte Zwischenstufen (i, andererseits eine hs. y
min doli der slug und brach dy luft.
biz daz ich in des herzen gnitt
lokte gut als ez im zam,
und mensrhheit vun der meide nam.
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150 HELM, ZU HEINRICH VON MÜGELN.
hervorgegangen ist, in der die verse 496 — 98 an falsche stelle
gerieten. Aus dieser giengen dann hervor: L, das die falsch
gestellten verse verlor, und z, das sie behielt, aber die verse
316 und 409 — 414 verlor. Aus z flössen P und W, von denen
P die verse 496—98 an falscher stelle Hess. W nur 497—98,
496 dagegen richtig stellte:
X
y
z L (i
P VN-
Für die textherstellung hat also G einerseits und PWL
andererseits gleich viel gewicht ; wo eine hs. der gruppe PWL
zu G stimmt, wird, besondere ausnahmsfälle abgerechnet, da-
durch die ursprüngliche lesart gesichert erscheinen.
Verschieden von G sind die hss. der gruppe P auch in
der reihenfolge der freien künste. indem bei ihnen die musik
vor arithmetik und geometrie treten. Hier ist die lesart von
G vorzuziehen. Sie entspricht vor allem der anordnung in
H.'s v. M. kleineren gedichten.
Bei Alanus ist die reihenfolge anders: arithmetik. musik,
geometrie. Für H. v. M. wäre als grund, dass er gegen A
ändert, wol die absieht anzunehmen, die enger zusammen-
gehörigen künste arithmetik und geometrie zusammenzustellen.
Die weitere Umstellung, durch die die musik dann an erste
stelle kam, hätte in y vor sich gehen müssen und könnte
darin begründet sein, dass die arithmetik von der musik gerade
so redet, als habe diese schon vorher gesprochen. Aus dem-
selben gründe hätte y dann aber auch die geometrie und
astronomie vorstellen müssen, auf die die arithmetik auch be-
zug nimmt, v. 323:
buchst abeu hat graimnatiea
in Sil, ir spruche loyca,
«ler rethor varben hat in zol,
der musieus fa und sol,
geometria hat ir bunt
in zal, so bat der ziffer fallt
astroloyam wol gericht.
als mir Vernunft der kunste hiebt .
Es wäre freilich auch denkbar, dass das original von M
noch so anordnete wie A, und dass erst die späteren hss. —
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SAR AN. ZUM WIG ALOIS. 151
also sowol G als y — dann, um Arithmetik uiid geometrie neben-
einander zu stellen, in verschiedener richtung geändert haben.
Ich ziehe jedoch die oben ausgeführte annähme vor.
HEIDELBERG. September 1896. K. HELM.
ZUM WIG ALOIS.
Zu meiner Untersuchung über Wirnt von Grafenberg und
den Wigalois (Beitr. 21, 253 ff.) möchte ich hier verschiedene
nachtrage geben und bei dieser gelegenheit zugleich einige
versehen berichtigen.
Zu g 5 (Wirnt und die dichtkunst) bemerke ich. dass
Heinrich von dem Türlin in der Krone Wirnts einleitung be-
nutzt. Vgl. Wig. 7, 3 ff. und Krone v. 4 ff. Ebenso Wig. 6, 3 ff.
und Krone v. 32 ff. 40 ff. 89 ff. Dass Heinrich den Grafenberger
genau kennt, habe ich schon a.a. o. §2 gezeigt.
Was übrigens die in § 2 besprochene stelle aus der Krone
v. 2939—90 anbetrifft, so fehlt sie bekanntlich in der Wiener
Iis. V. Singer. Zs. fda. 38, 255 meint daher, die verse seien un-
echt und in V eingeschoben. Mir ist das sehr wenig glaublich.
Sollte nicht der Schreiber von V oder ein Vorgänger die stelle
ausgelassen haben, weil der dichter darin die herreil vom Oster-
land sehr schlecht behandelt ? Osterland konnte auch als Oester-
reich verstanden werden. Ein patriotischer österreichischer
Schreiber oder jemand der auf Oesterreich nichts kommen lassen
wollte, musste alsdann an den verseil anstoss nehmen. Im stil
scheinen sie mir durchaus in Heinrichs art. Ist nun die stelle
echt, so würde sie vielleicht im verein mit der des Wigalois.
auf die sie deutet, dazu verwendet werden können, die heiniat
Heinrichs zu bestimmen. Freilich bedarf sie noch der erklärung.
V.2971 1. swie, 2973 1. surä, 2979 L kunst. Ist 2985 twci aus
turnet entstellt und der für den zu lesen? Zwei gleiche reim-
worte auch v. 3536/37.
In g 10 der abhandlung ist s. 282. z. 10 v.o. statt 'prosa-
erzählung' bloss •erzählung' zu lesen. Vgl. dazu s.412.
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152
SARAN
In § 11 ist durch ein verseilen unterlassen worden, die
s. 281. 333 und 334 citierte arbeit E.Kölbings, Engl.stud. 1,121 ff.
(1877. also noch vor Mebes erschienen) zu würdigen. Kolbing
ist der erste der sich bemüht, das Verhältnis zwischen Wigalois,
Desconeu und Libeaus auf grund einer textvergleichung fest-
zustellen. Er und nicht Mebes hat also zuerst den richtigen
weg zur ermittelung des Sachverhalts betreten. Ich hole
darum hier das versäumte nach und bitte, die folgenden be-
merkungen auf s. 286 meiner arbeit hinter dem ersten absatz
eingeschaltet zu denken.
Kölbing glaubt mit Meissner, dass Wirnt nicht nach münd-
licher Überlieferung gedichtet habe. Vielmehr habe ihm ein
knappe die drentiure aus einem französischen buch vorgelesen
bez. übersetzt, da der dichter nicht französisch verstanden.
An dem so überlieferten stoff nahm Wirnt wenig änderungen
vor: sein werk spiegelt also wol die quelle treu wider. Auch
der englische Libeaus folgte seiner quelle treulich. Demnach
erhebt sich die frage: wie verhalten sich diese von dein mhd.
und engl, gedieht repräsentierten frz. romane und der Des-
coneu zu einander? Kölbing zeigt nun. dass alle drei viele
motive gemeinsam haben, an einigen wenigen, jedoch nicht
unwichtigen stellen aber Wigalois mit Libeaus gegen Desconeu
stimmt. Daraus wird gefolgert, dass W nicht aus I) geflossen
sei, sondern mit ihm auf eine gemeinsame quelle zurückweise.
Das Verhältnis der drei texte beurteilt K so: alle drei gehen
ohne allzu viel niittelglieder auf ein älteres X zurück, etwa
nach dem Schema
x
O " L«
w D L
Der inhalt von X kann somit durch die combinationen WDL
WD, DL mit Wahrscheinlichkeit erschlossen werden. Was im
Wigalois auf die mit D und L stimmenden teile folgt, ist nach
K.'s meinung unecht, d. h. dem ursprünglichen anfang von einem
fortsetzer zugefügt. Eben diesem schreibt er auch die Vor-
geschichte zu. In der quelle des Libeaus sieht er die relativ
ursprüngliche fassung des Stoffes.
So ist Kölbing auf grund der erwähnten stellen im wesent-
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ZUM WIGALOIS.
158
liehen zu derselben ansieht über das verwantschaftsverhältiiis
der texte W, D und Ii gelangt, die ich a. a. o. auf grund einer
genauen inhaltsvergleichung, durch erörterung von Wider-
sprüchen (§§ 25 — 27) und directen nachweis der quelle für
den Wigalois gewonnen habe. Nur freilich kann man den
wenigen parallelen die von K. angeführt werden, unmöglich
so viel bedeutung beilegen, dass sie das Verhältnis wirklich
sicherten. In der tat haben auch die forscher welche das
problem neu aufnahmen, Mebes, Bethge u. a., jene beweis-
führung nicht als durchschlagend anerkannt, Man ist vielmehr,
wie meine darstellung a.a.O. s. 286 ff. lehrt, zu anderen auf-
stellungen fortgeschritten, allerdings ohne damit dem richtigen
näher zu kommen.
Zu § 28 ff. Die ausgäbe des Chevalier du Papegau, worauf
ich in meiner arbeit bereits bezug nehmen konnte (s. 336 anm.).
ist inzwischen erschienen. In der einleitung dazu hat der
herr herausgeber. wie ich sehe, eine andere ansieht über das
Verhältnis der texte W und P aufgestellt, als ich in meiner
Untersuchung. Auch sonst modificiert er meine resultate mehr-
fach. Was jene neue ansieht anbetrifft, so halte ich sie für
sehr unwahrscheinlich, da sie ein mittelglicd mehr ansetzt
als die meinige und dadurch unnötig umständlich wird. In
fragen wie die worum es sich handelt, auf dem boden des
hypothetischen, ist aber das einfachste stets das wahrschein-
lichste. Ich verweise insonderheit auf § 50 s. 404 und § 31 s. 345
meiner arbeit.
Im einzelnen bemerke ich folgendes. Die begründung. die
Heuekenkamp für den Wegfall der drei episoden auf s. xxxn
gibt, hält nicht stich: auf s. xxxm gesteht er selbst ein, dass
eine tapferkeitsprobe auch bei Artus wol angebracht ist. Dazu
vergleiche man den titel des romans in der hs. (s. v) und text
1, 25 ff. Man sieht hieraus, dass Artus von dem dichter keines-
wegs schon als der berühmte könig der berühmten tafeirunde
eingeführt wird. Ebensowenig überzeugt die ansieht H.'s. dass
der Verfasser von P die Lion - bestrafung im Wigalois hätte
streichen müssen (s. xxxi). Schleppend ist diese geschichte,
aber das ist offenbar Wirnts schuld: dass sie in 0 oder gar
in dem alten (iuiglois. den H. fordert, schleppend war, ist doch
keineswegs sicher. Jedenfalls hängt sie mit dem grund-
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154
SA RAN
gedanken des hauptteils von W genau zusammen (vgl. meine
abh. s. 294 und 8. 419 unten). Dass sie mehr historisch gefärbt
ist und somit von dem stil des Artusromans etwas abweicht,
dürfte P kaum beunruhigt haben.
Gegen die ausführnngen von s.xxxmff. halte ich an meiner
ansieht fest, dass in P eine ältere Version mit motiven einer
neuen contaminiert ist. Dass die erzählung wenigstens au
einer stelle unklar ist, gibt H. s. xxxviii selber zu. Dass sich
der dichter s. 5, 22 den papagei als Wanderpreis vorstellt,
möchte ich nicht behaupten. Hier soll wol der ritter zunächst
nur den papagei bekommen: aber später hat Artus papagei
und zwerg. Ich möchte darin eher einen neuen Widerspruch
erblicken. Dass hoftag (5,15) und monatsversammlung (5,30)
neben einander bestehen, also vom dichter als zwei verschie-
dene feste gedacht sind, davon kann ich mich nicht über-
zeugen. Die Chevaliers de la eontree (5. 19) und les aultres de
la eontree (5. 27), d. i. um Causuel herum, sollen docli offenbar
dieselben leute sein. Man könnte ja denken, die dame führe
Artus zum hoftag (5. 20). und ehe sie dorthin kommen, treffen
sie die Versammlung vor Causuel (6,31). Aber damit ist die
sache um nichts klarer. Wir haben liier eben eine recht ober-
flächliche Verschmelzung anzuerkennen.
Die möglichkeit, dass Beauvoisin aus Heinain verlesen sei
(s. xl), habe auch ich erwogen: herr prof. Suchier hat mich bei
gelegenheit darauf aufmerksam gemacht. Ich halte diese an-
nähme aber nicht für wahrscheinlich. Wir haben zwei ver-
schiedene berichte über die grundlagen des grossen abenteuers
(§§:j9. 40). Das königreich um das es sich handelt, hat zwei
verschiedene namen (Pap. 25, 26. 25. 28): wenn nun auch der
name des königs doppelt angegeben wird, so entspricht das
nur dieser Sachlage und weist auf quellenverschmelzung zurück.
Ebenso heisst im \Yigalois Laries vater einmal Lar, das andere
mal Jorel.
Die bemerkungen Heuckenkamps über die episode von
Schaffilun (s. xli) sind gewis richtig. Vgl. auch die begegnung
des YVigalois mit dem zwerg Karrioz Wig. 169, 2 ff.
In der erzählung vom confanonnier nehme ich s. 374 an
der stelle Pap. 59, 28 ff. anstoss. Ich habe sie nicht anders
verstanden als Heuckenkamp s. xlui, d. h. als ausdruck der
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ZUM WIGAL01S.
155
bekannten Überzeugung, dass die gegenwart der damen den
raut ihrer ritter erhöhe. Nur finde ich, dass das liebenswürdige
anerbieten des bannerträgers hier sehr wenig am platze ist,
wo es gilt den ritter von der bürg fernzuhalten. Die tjost
mit dem truchsessen im Wigalois ist freilich, wie H. richtig
gesehen, auch nicht gerade glücklich motiviert. Aber das
motiv scheint trotzdem in Artusromanen beliebt gewesen zu
sein. Man vergleiche die entsprechende scene im Desconeu
(a. a. o. § 24) und Libeaus, der mit dem steward der zu er-
lösenden dame kämpft. Mir ist darum meine s. 321 angedeu-
dete auffassung der scene noch immer wahrscheinlich: der zu
hilfe kommende ritter muss zur probe seiner tüchtigkeit noch
mit einem gewaltigen beiden von der partei der zu erlösenden
einen letzten, gefährlichen kämpf bestehen. Siegt er auch
hier, so ist er ein tapferer kämpe, der aussieht hat das aben-
teuer zu vollenden. Dieser ursprüngliche sinn ist dann sowol
in W wie P verdunkelt worden: dort, weil vielleicht Wirat
das mwre Hure war (a. a. o. s. 282), hier, weil der confanonnier
zum gegner der prinzessin und mann des marschalls gemacht
wurde. Diese erzählung würde danach mit der vom chendur
du passaye in ihrer bedeutung zu vergleichen sein (erschwe-
rungsmotive; vgl. H. s. lxi). Für secundär halte ich im gegen-
satz zu H.. dass in P der confanonnier als ritter der prin-
zessin bezeichnet wird.
H. hält ferner meine annahmen in o'.>. 40 für unnötig
und führt dagegen betrachtungen über die mythische bedeutung
des zauberabeuteuers ins feld (s. xliv). Was diese betrifft,
so mögen sie richtig sein, aber zur erkläruug der Widersprüche
in P genügen sie nicht, und ich halte an dem fest, was ich in
jenen Paragraphen erörtert habe. Ich kann mir die Situation
der Flor de mont auf grund der botenerzählung mutatis mu-
tandis nicht wesentlich anders vorst eilen als die der Condwir-
amur im Parzival. Flor de mont und der marschall liegen
im kriege, der marschall belagert die bürg. Was soll sonst
Pap. 26, 4 et si la (die bürg) tient u moult peu de yens en-
contre le mareschal bedeuten? Wer kann bei der ersten
leetüre unter der yent (20, 10) etwas anderes verstehen als die
belagerer?
Dass man bei nachsichtiger interpretation die risse die
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156
SARAN
überall sichtbar sind, überkleistern kann, bezweifle ich nicht.
Ich bin auch überzeugt, dass beim vorlesen in der gesellschaft
die Widersprüche nicht bemerkt worden sind: für den zweck
den der Verfasser verfolgte, war die einheitlichkeit gewis ge-
nügend erreicht. Aber es ist doch zweierlei, ein kunstwerk
zu geniessen oder so zu erklären, dass der genuss nicht beein-
trächtigt wird, und andererseits auf kritischem wege das ver-
wantschaftsverhältnis zweier texte festzustellen. Tut man das
letztere, so ist die von Heuckenkamp (s. xi.v anm.) nicht ge-
billigte unerbittliche kritik eine notwendigkeit. Natürlich
müssen Widersprüche unanfechtbar sein, wenn man sie kritisch
verwerten will: aber umgekehrt darf man dergleichen auch
nicht verdecken, wo sie die unbefangene lectüre nahe legt.
Ganz scharfe Widersprüche kann man von vornherein überhaupt
nicht erwarten: das hiesse an dem kunst verstand der alten
dichter zweifeln, und dazu ist hier keine veranlassung. Eine
philologische Untersuchung muss sich darum naturgemäss auf
Unebenheiten stützen, die ein unbekümmert geniessender nur
selten bemerkt und die mit einer nachsichtigen deutung auch
zur not weggeräumt werden können.
Mein zweck war eine quellen untei-suchung: darum also die
unerbittliche kritik. Mi bin übrigens persönlich überzeugt,
dass man im vorliegenden falle auf grund der inhaltskritik
noch über X und Y zurückkommen könnte. So kann man das
abenteuer der zauberburg gewis ablösen von den motiven die
auf bürg Korentin bezug nehmen u. s. w.: ich habe aber solche
betrachtungen unterdrückt, weil sie nicht zum thema gehörten.
Ich meine also, wenn man die von mir gerügten Widersprüche
nicht in ganz evidenter weise durch eine bessere interpretation
des textes beseitigt, so bleiben sie bestehen.
Nun denke ich mir die entstehung einer contaminations-
srene keineswegs so mechanisch, wie H. das s. xlvi anm. aus
meinen erörterungen herausliest. P hatte natürlich nicht etwa
links die quelle Y, rechts die quelle N liegen, um daraus nach
bedarf hier oder dort abzuschreiben. Contamination ist ein
weiter begriff, der viele arten umfasst. Hier dürfte P seine
quelle Y aus der erinnerung an eine andere geschichte auszu-
schmücken begonnen haben. Denn dass ein dichter jener zeit
eine nicht geringe literaturkennt nis besass, kann man doch
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ZUM WIGALOIS.
157
annehmen. Allmählich trat hervor, dass die Zusätze aus der
geschiente X nicht recht passten. alsdann hörte P auf, die neu
angenommene Situation streng durchzuführen: das alte machte
sich wider geltend und blieb. Ich finde eine solche annähme
gar nicht unwahrscheinlich, um so weniger als der Verfasser
von P sicher auch im gewöhnlichen sinne des Wortes contami-
niert hat. Vgl. Heuckenkamp s. xxxi.
Die bemerkungen H.'s über die tierbeschreibung in P
(s. xlvi und vn) treffen zu, dagegen überzeugen mich die über
den drachenkampf nicht. Ein dankbarkeitsmotiv liegt in W
nicht vor, während es P ganz deutlich enthält.
Zur Ruelepisode (H. s.li) füge ich hinzu, dass das motiv
überaus beliebt war und vielfach widerkehrt. Man findet es
z. b. Krone 9129 ff. 9340 ff. Hier geschieht die befreiung zwar
nicht durch das wiehern des rosses, aber in einer weise die
mit Pap. 72, 11 einigermassen verglichen werden kann (Krone
9439 ff.), jedenfalls vom Wigalois ganz abweicht. Dort liest
man auch eine beschreibung des ungetümes. Der held der
episode ist Gawein. Ich bin überzeugt, dass Heinrich hier
seiner frz. quelle treu folgt. An einer solchen zu zweifeln,
liegt, soweit ich sehe, gar kein grund vor. Im gegenteil weist
die schachteldisposition der Krone unzweideutig auf eine solche
hin. Die frz. quelle oder deren vorläge schon, hat wie es
scheint, die romane Chrestiens auf Gaweinerzählungen hin ex-
cerpiert und diese stoffe mit andern Uaweinmotiven zu einer
grossen compilation verarbeitet,
Vielleicht kann man auf grund der Krone behaupten, dass
ursprünglich Uawein der held von Y war und dann erst Wi-
galois seine rolle übernahm. Es würde das mit der bedeutung
die (iawein im älteren Artusroman hat, wol stimmen.
HALLE a. S. F. SARAX.
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*
DAS TODESJAHR DES ULFILAS UND DER
UEBERTRITT DER GOTEN ZUM ARIANISMUS.
Die neuerdings wider wach gewordenen Meinungsverschie-
denheiten über das todesjahr des berühmten Gotenbischofs
lassen sich nach meiner ansieht endgiltig begleichen, wenn man
die nachrichten des Auxentius und des Maximin mehr in ihrem
Verhältnisse zu einander betrachtet als es bisher geschehen ist.
Die beiden Schriftsteller verfolgen verschiedene zwecke, darum
sind auch ihre interessen verschieden und müssen ihre angaben
nach diesen interessen verschieden beurteilt werden. Der anlass
aus welchem die Schrift des Auxentius entstanden ist, lässt
sich nicht deutlich erkennen, wol aber die absieht welche ihn
beim schreiben leitete: der un verhältnismässig grosse räum
der den damaligen unterseheidungslehren gewidmet ist, beweist,
dass es Auxentius zuerst und vor allem darauf ankam die
theologische Stellung des llfilas zu diesen möglichst scharf zu
betonen: alles andere ist für ihn mehr nebensache. Wir haben
es also weniger mit einem eigentlich historisehen berieht als
mit einer theologischen apologie zu tun. Da aber Auxentius
ein sehüler des Ulfilas war und in inniger beziehung zu ihm
gestanden hatte, so muss seinen wenigen geschichtlichen an-
gaben der grösste wert beigemessen werden. Soweit sie für
uns hier in betracht kommen, besagen sie, dass Ulfilas, als er
vierzig jähre bischof gewesen, von Theodosius zu einem con-
cile nach Constantinopel berufen sei, um gegen eine oder
mehrere religiöse parteien zu disputieren. Aber als er bald
nach seiner ankunft in der oströmischen hauptstadt die läge
des concils, an dem viele arianischen bischöfe teilnahmen, erwog
und überlegte, wie er seine gegner von ihrem irrtume über-
zeugen und zur wahren kirche (die für Auxentius die gemein-
schaft der strengsten A rianer, der Anomöer war) bekehren
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DAS TODESJAHR DES ULFILA8 Ü.S.W.
159
und so vor dem ewigen verderben bewahren könnte, da sei er
krank geworden1) und gestorben, nachdem er seinem volke
sein glaubensbekenntnis als testament zurückgelassen habe.
Da es nicht nur umstritten ist. ob Auxentius mit einer
runden biblischen zahl rechnet, sondern wir auch das jähr
nicht kennen, in welchem TTlfilas zum bischof geweiht wurde,
so können wir mit der angäbe, er sei vierzig jähre bischof
gewesen als er auf dem concile gestorben, nicht operieren.
Man hat geglaubt, es würde sich die zeit des conciles genau
und sicher bestimmen lassen, wenn die stelle leserlich wäre,
an der die gegner genannt waren, gegen welche Ulfilas dis-
putieren sollte. Ich glaube nicht, dass wir damit viel weiter
kämen, denn welche gegner Auxentius im auge hatte, scheint
mir sich unschwer erraten zu lassen. Einmal wissen wir ganz
genau, welches ziel Theodosius in den ersten jähren seiner
regierung verfolgte: er suchte eine allgemeine einigung
aller parteien zu stände zu bringen; dass er sich für eine
reduction derselben interessiert, für die eine (mit ausnähme der
der Homousianer, die hier nicht in betracht kommt) zu Ungun-
sten der andern massregeln ergriffen habe, davon wissen wir
nichts, und es ist auch im höchsten masse unwahrscheinlich.
Auxentius sagt auch ganz deutlich, dass es ein concil war
auf dem die disputation stattfinden sollte, und zu einem solchen
mussten sämmtliche bischöfe des oströmischen reiches ein-
geladen werden. Und da Ulfilas gewis nicht allein seine
gegner in dem einladungsschreiben angezeigt bekommen hätte,
so hätte der kaiser ja, wenn er die gegner bestimmt hätte,
von vornherein die heftigsten debatten beabsichtigen müssen,
und zwar offenbar zu Ungunsten derjenigen partei der er
selbst am nächsten stand. Wir dürfen daher mit Sicherheit
annehmen, dass Theodosius auch Ulfilas nicht ausdrücklich die
Parteien angegeben hatte, gegen die er disputieren sollte. Für
') Wenn Martin annimmt, Auxentius habe durch den vergleich
des Ulfilas mit dem in seiner krankheit vom künige Joas besuchten pro-
pheten Eliseus besagen wollen. Ulfilas habe auf seinem todesbette den
besuch des kaisers Theodosius empfangen, so ist das gewis unrichtig: das
würde Auxentius deutlicher ausgedrückt haben. Aber auch Bessell irrt,
wenn er meint der vergleich sei 'recht bitterlich Das tertium compara-
tionis liegt in den Worten currux Israel et auriga eins 4. Reg. 2,12.
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160
JOSTE«
Auxeutius aber war es selbst verständlich, gegen welche er
gestritten haben würde: gegen alle die welche Ulfilas nach
seiner angäbe das ganze leben hindurch scharf bekämpft
haben soll: die Manichäer, Marcionisten, Montanisten, Pauli-
nianer, Anthropianer, Patripassianer, Photinianer, Xovatianer,
Donatisten, Homousianer, Homoiusianer und Macedonianer, d. h.
gegen sämmtliche christliche parteien (soweit sie noch vor-
handen waren) mit ausnähme jener, der Auxeutius selbst an-
gehörte, der anomöischen. Diese werden wol mit einem Sammel-
namen — denn für viele worte bietet die lücke keinen räum
— an der jetzt unlesbaren stelle genannt sein. Für die Ano-
möer sogar zu Ungunsten der inittelparteien zu kämpfen,
dürfte der kaiser schwerlich selbst befohlen haben, es wäre
das der denkbar falscheste weg gewesen, die gewünschte Union
zu erzielen. Die benennung der gegner dürfte also dem
Auxentius zugeschrieben werden müssen, und die welche er
im auge hat, hat er bereits früher genannt.
Aber so viel ist festzuhalten, dass auf dem einberufenen
concile zwecks einer union disputiert werden sollte und dass
viele arianische bisehöfc in Constantinopel anwesend waren.
Es war also keine unbedeutende Versammlung, und bei den
reichhaltigen quellen, die wir für die geschiente jener zeit
besitzen, müssen wir daher annehmen, dass sie mit einer von
denen identisch ist, die uns bekannt sind. An sich könnten
da drei in betracht kommen, die von 381, 382 und 383. Auf
der ersten waren aber nur Homousianer und Macedonianer
anwesend, auf der zweiten gar nur Homousianer. Diese beiden
kann schon deshalb wenigstens Auxentius nicht im auge gehabt
haben: es bleibt bei seinen angaben somit nur das concil von
383 übrig, da zu diesem auch die arianischen bischöfe ein-
geladen waren, und zwar zum zwecke einer disputation.')
Für dasselbe concil spricht auch noch eine andere angäbe
des Auxentius. Dieser berichtet, dass Ulfilas den Goten testa-
mentarisch sein glaubensbekenntnis hinterlassen habe und teilt
dasselbe mit. Ks beginnt mit den Worten Ego Ulfila episkopus
l) "Ekeyiv (TheodcwiufO xt Aeiv yvfivaa&rjvat ro /tv^op ta<; ixxhj-
oias tymattt tt)v le öiayovlav ixnoöujv 7iott}aarxac, 6fto<fwviai> rali
ixxXtjolan; igyaoaa9ai Socrates 5, 10.
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DAS TODESJAHR DES ULFILAS U.S.W.
161
et eonfessor . . . testamentum facto ad dominum. Die phrase
testamentum facwe ad dominum ist sprachlich aiistössig und
schien sich mir auch durch einwirkung des griechischen oder
gotischen nicht recht erklären zu lassen. Ebenso befremdete
es mich, dass ein seit vierzig jähren seinem volke genau be-
kannter bischof auf seinem Sterbebette das bedürfnis empfunden
haben sollte, für jenes volk ein glaubensbekenntnis aufzusetzen,
das ebenso kurz wie in wichtigen punkten mindestens zwei-
deutig ist. Ich kam daher auf die Vermutung, dass hier testa-
mentum vielleicht als testimonium aufzufassen oder gar zu lesen
sei. Deshalb bat ich meinen freund Bedier in Paris, in der
betreffenden hs. der nationalbibliothek ■) einmal nachzusehen.
Er fand an der betreffenden stelle weder testamentum noch
testimonium geschrieben, sondern ganz deutlich — situm. Ein
fachmann wie herr Omont glaubte noch zwei weitere buch-
staben mit Sicherheit erkennen zu können: t..nsitum. Es
kann demnach keinem zweifei unterliegen, dass wir nicht
testamentum, sondern transitum zu lesen haben, was auch
grammatisch sehr gut passt.
Ulfilas leitet sein glaubensbekenntnis also mit den worten
ein: 'ich IT., bischof und bekenner habe immer so geglaubt
und gehe in diesem allein wahren glauben zum herrn, d. h.
in diesem glauben habe ich gelebt und will ich sterben'. Das
ist eine nicht ungewöhnliche phrase,2) aber indem Ulfilas die
form des praesens von facere wählt, gibt er doch zu erkennen,
wie mir scheint, dass er den tod bereits in nächster nähe
sieht. Die form eines testamentes hat er aber seiner letzten
erklärung nicht gegeben, und inhaltlich geht ihr der Charakter
eines solchen ebenfalls vollständig ab. Man lese nur einmal
genau die wenigen zeilen und vergleiche sie mit den übrigen
Symbolen, die uns aus jener zeit überliefert sind, dann wird
man nicht verkennen können, dass es sich unter den obwal-
tenden Verhältnissen für das gotische volk sehr wenig eignete:
es ist, wie ich schon bemerkte, zu knapp und zu zweideutig
für das volk, namentlich dann, wenn Ulfilas der extreme
') Sie trägt jetzt die Signatur Lat. 5809.
») So beginnt auch das syrabolum des märtyrers Lucian: xavxrjv
ovv * xovrf ? ttjv niaxiv xal i£ ttfVfc P^XQ1 xiXovq ix0Vl*<l • • • v£l-
unten s. 170: nos ab initio didicimus (zweite antiochenische fonnel).
Beiträg« zur guohlcbt« der deuteoben spreche. XXII. \\
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162
.FOSTfcS
Arianer war, als welchen ihn Auxentius hinstellt; wenn dieser
die paar Zeilen einer so langen und wortreichen ausdeutung
für bedürftig hielt, so ist er dabei von einem durchaus rich-
tigen gefühle geleitet gewesen. Ein bischof der vierzig jähre
lang seinem volke den arianismus in der schroffsten form ver-
kündet und alle anderen richtungen auf das schärfste bekämpft
hatte, von dem sollte man doch annehmen müssen, dass er auf
seinem Sterbebette in bedenklichen Zeitläuften — und bedenk-
lich stand die sache der Arianer in den ersten achtziger jähren
des 4. jh.'s zweifellos — in einer deutlicheren und entschiede-
neren spräche redete, als es hier geschieht. Denn namentlich
ist der hauptstreitpunkt zwischen den Arianern und Homou-
sianern, das Verhältnis des sohnes zum vater (wie ich unten
weiter ausführe) hier so obenhin und mehrdeutig bezeichnet,
dass strenge Arianer zu jener zeit dadurch in ihrem glauben
eher wankend gemacht als gestärkt werden konnten.
Auf keinen fall gibt uns also Ulfilas selbst eine handhabe
für die annähme, er habe das glaubensbekenntnis für sein
volk bestimmt, Wenn Auxentius es so bezeichnet, so braucht
das nicht mehr zu besagen, als wenn auch wir heutzutage
noch die (auch zufällig) letzte willensäusserung eines mannes
'sein testament' nennen.
Irgend eine veranlassung zu der abfassung des Schrift-
stückes muss für Ulfilas nun aber doch vorgelegen haben; ein
inneres bedürfnis allein kann dabei nicht entscheidend gewesen
sein: es wäre dann sicher nicht so lakonisch ausgefallen. Ein
solcher äusserer anlass ist nun in der tat noch nachweisbar.
Nachdem nämlich die einladung zu dem concil von Constan-
stinopel im jähre 383 bereits erfolgt war, setzten es die Ho-
mousianer in Verbindung mit den Xovatianern beim kaiser
durch, dass die versprochene disputation untersagt wurde.
Statt der mündlichen ordnete Theodosius insoweit eine schrift-
liche Verhandlung an, als er den bischöfen der verschiedenen
Parteien glaubensformulare einzureichen befahl, aus denen er
eins auswählen und allgemein anzunehmen befehlen wollte.
Schon Krafft hat die Vermutung ausgesprochen, dass unser
testamentum auch als ein solches glaubensformular für den
kaiser gedieut habe; jetzt nachdem sich testamentum als ein
lesefehler herausgestellt hat, dürfen wir bei dem ganzen
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DAS TODESJAHR DK8 ULFILAS U.8.W.
163
charakter des Stückes imbedenklich annehmen, dass es allein
und ausschlieslich für Theodosius bez. für das concil bestimmt
war. Ob es freilich nach dem tode des Ulfilas noch in dessen
hände gelangte, muss dahingestellt bleiben: unwahrscheinlich
ist es grade nicht. Auxentius sagt von dem weiteren verlaufe
des concils überhaupt nichts; mit dem tode des Ulfilas hat es
das interesse für ihn verloren, oder er setzt das weitere als
bekannt voraus.
Bei dieser annähme verliert die abfassung eines solchen
glaubensbekenntnisses alles auffällige, das sie sonst behält,
wie man die sache auch immer wenden und kehren mag.
Denn für jenen zweck war es nicht so ungeeignet: bei der
Vermeidung des wortes omousios einer- und dem anschluss an
die ausdrucksweise der älteren zeit über das Verhältnis des
sohnes zum vater andrerseits — wobei die damalige kluft
zwischen den parteien allerdings mehr verschleiert als über-
brückt wurde — konnte Ulfilas bezüglich dieses punktes viel-
leicht noch wol eine allgemeine annähme erhoffen. Mit an-
deren Worten: ich halte das testamentum lediglich für einen
Vorschlag zu einer unionsformel und nicht für einen dem
gotischen volke gesetzten Wegweiser.
Doch wie dem auch immerhin sein mag: was in den an-
gaben des Auxentius für ein bestimmtes concil spricht, spricht
deutlich für dasjenige vom jähre 383: für ein anderes spricht
gar nichts.
Genau zu demselben ziele werden wir durch Maximin
geführt, freilich nicht auf einem directen wege, denn die
person des Ulfilas Ist für ihn nur von nebensächlicher bedeu-
tung. Ihm kommt es lediglich darauf an, die beiden illyrischen
bischöfe Palladius und Secundianus in ihrer haltung auf dem
concil von Aquileja zu rechtfertigen und zu zeigen, auf welche
weise sie gehindert worden seien, selbst vor aller weit den
nachweis zu führen, dass nicht sie, sondern Ambrosius und
seine anhänger die häretiker seien. Zu diesem zwecke will er
auch die glaubensformeln angesehener bischöfe1) der früheren
') Unbegreiflich ist der irrtum Kaufmanns, welcher meint, dass diese
bischöfe mit Ulfilas auf der synode in Constantinopel gewesen seien. Die
beiden welche genannt werden. Eusebios und Theognis, waren ja schon
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JOST ES
zeit mitteilen — u. a. das des kirchengeschichtsschreibers Euse-
bios und das des Theognis von Nicaea — die dasselbe gelehrt
und geglaubt hätten. Allein diese formein sind ihm nicht zur
hand gewesen, mit ausnähme einer einzigen, der des Ulfilas,
welche ihm in der schrift des Auxentius vorlag. Da die letz-
tere im wesentlichen eine mehr oder minder zutreffende, für
Maximin jedenfalls brauchbare ausführung der formel bildete
und sie zugleich als das glauben sbekenntnis eines weiteren
bischofs gelten konnte, so nahm er die ganze schrift einfach
so auf wie sie ihm vorlag.
Es ist im gründe also blosser zufall, dass diese schrift
jetzt ganz allein als be weisstück für die behauptung des Ma-
ximin dasteht. Maximin lebte augenscheinlich in einer gegend
wo die schrift des Auxentius verbreitet war, die werke der
Orientalen ihm aber nicht zur hand waren. Aus seiner leb-
haften Sympathie grade für Palladius darf man vielleicht
schliessen, dass er ein nachfolger desselben im bischofsamte
war; persönlich nahe kann er ihm nicht gestanden haben,
da er sich für die anwesenheit der beiden bischöfe auf der
synode von Constantinopel auf eine schriftliche quelle (epi-
stuh ')) beruft und von dem divinum magisterium des Anus
spricht, während Palladius auf dem concil von Aquileja von
einer ideengemeinschaft mit Arius nichts wissen wollte. Ma-
ximin gehört eben einer späteren generation an, die sich
bereits ausdrücklich und mit stolz als anhänger des Arius
bekannte.
Da nun aber die schrift des Auxentius formell nicht
deutlich bei Maximin als eine der von ihm versprochenen
professiones erscheint, zumal sie einige geschichtliche angaben
enthält, wird das gefühl erweckt, dass sie den Zusammenhang
der schrift Maximins unterbricht, und dieses gefühl wird noch
dadurch verstärkt, dass dieser an das stück in einer weise
anknüpft, als wenn er gar keine anderen prnfcssinnes habe
bringen wollen. Denn da Flfilas — was an sich ganz neben-
jahrzehnte tot! Die memnrati epiacopi sind natürlich Palladius und Se-
cundianus.
•) Die schrift des Auxentius kann damit nicht gemeint sein; ich
möchte eher an den hrief des kaisers Theodosius denken, iu welchem dieser
den Palladius zum concile herief.
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DAS TODESJAHR DES ULFILA8 F. S.W.
165
sächlich ist — auf demselben concil anwesend war wie die
beiden illyrischen bischöfe, so benutzte Maximin diesen um-
stand, um zur fortsetzung seiner eigenen erörterungen wider
überzuleiten. In Wirklichkeit war nfilas ja gar nicht in die
angelegenheit jener beiden bischöfe verwickelt; auf dem concil
von Aquileja — über das wir sehr gut unterrichtet sind —
war er nicht einmal anwesend, geschweige denn angeklagt
oder gar verurteilt worden; nicht einmal sein name kommt in
den acten desselben vor. Deshalb konnte er sich auch gar
nicht, wie Palladius und Secundianus, in Constantinopel recht-
fertigen wollen. In beiden Sätzen, in denen Maximin den
rifilas erwähnt, geschieht dies ganz nebenher, das subject
bilden Palladius und Secundianus; von Ulfilas konnte auch
unmöglich gesagt werden, er habe sich ad alium comitatum
begeben.
Ich kann daher Waitz und seinen nachfolgern nicht zu-
stimmen, wenn sie meinen, dass durch den verlust der Zeilen
unmittelbar vor der schrift des Auxentius der Zusammenhang
vollständig verdunkelt worden sei; mir will scheinen, dass
dieser trotz der lticken des textes doch noch deutlich genug
erkenntlich ist. Derselbe ist nämlich nach meiner meinung
dieser: das verfahren des Ambrosius und seiner anhänger in
Aquileja gegen Palladius und Secundianus war durchweg
ungerecht: nicht die majorität sondern die minorität hat dort
den glauben der alten kirche vertreten, wie das die professiones
der bischöfe alter zeit beweisen. Dies haben auch Palladius
und Secundianus in Constantinopel selbst öffentlich nachweisen
und sich damit rechtfertigen wollen, aber das durch die Um-
triebe der gegner erlangte verbot des kaisers hat es unmög-
lich gemacht.
Also nicht der eigentliche gedankengang Maximins ist
dunkel, wol aber ist es seine aussage über das concil selbst,
und zwar ist sie es hauptsächlich dadurch geworden, dass er
das was bereits in der schrift des Auxentius stand, nicht hat
widerholen, sondern nur ergänzen wollen. Deshalb sagt er
auch nicht ausdrücklich, dass die bischöfe sich zu dem bereits
formell einberufenen concil nach Constantinopel begeben
hätten, von dem Auxentius spricht. Dass er aber dieses und
kein anderes meint, beweisen die worte ut sanctus Auocentim
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JOSTES
exposuit, denn dieser spricht nur von einem einzigen concile,
und zwar von einem nicht noch zu erbittenden, sondern be-
reits formell einberufenen. Dabei schiebt er — und das er-
klärt sich durch den speciellen zweck seiner schritt — den
Palladius und Secundianus, die Auxentius nicht einmal erwähnt,
ganz in den Vordergrund und stellt die sache fast so dar, als
ob sich das ganze concil um sie gedreht hätte und lediglich
durch sie und für sie erbeten gewesen sei. Wenn es nun auch
nicht zu bezweifeln ist, dass die beiden an ein orientahsches
concil appelliert hatten und ihre sache auf dem programm des
einberufenen stand, so hatte dieses doch sicher noch andere
und noch wichtigere aufgaben zu lösen, von denen Maximin
nichts sagt. Sein verfahren ist das aller einseitigen apologeten
und deshalb nicht befremdlich. Aber ganz misverständlich,
wenn nicht geradezu unrichtig ist es, wenn er angibt, dass
Palladius und Secundianus erst nach ihrer ankunft in Con-
stantinopel — denn das besagt doch wol der Wortlaut — das
concil von den kaisern erbeten hätten. Das muss vorher
geschehen sein! Denn was war noch zu erbitten, wenn es
sich hier um dasselbe concil handelt, von dem Auxentius
spricht? und das tut es doch nach Maximins eigenen Worten!
Und wann hätten sie die beiden kaiser (imperatorcs) in
Constantinopel um ein concil bitten können? Was hatte
Gratian, bei dem übrigens Palladius schon vor der Synode
von Aquileja eine audienz hatte, mit einem orientalischen
concil zu tun? Man mag sich für ein beliebiges concil ent-
scheiden, diese angäbe des Maximin bleibt mindestens unver-
ständlich. Sie ist übrigens auch nicht von wesentlicher be-
deutung für die beantwortung unserer frage, denn einmal ist
klar, dass Maximin von demselben concil spricht wie Auxen-
tius, und dann ist bei vemssent und adissent, wie das alt um
comitatum beweist, an Ulfilas als subject überhaupt nicht zu
denken.
Ueberhaupt scheint es mir auch ganz unmöglich zu sein,
die bittreise von der concilsreise zu trennen. Denn nach
Auxentius wurde l'lfilas zu einem concile berufen und starb
während desselben. Deshalb kann er nicht an einer bittreise
der beiden illyrischen bischöfe teilgenommen haben, die nach
diesem concile fiel. Aber auch dann, wenn man mit Sievers
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DAS TODESJAHR DES ULFILA8 t'.S.W.
167
die bittreise vor das concil verlegt und jene 380/81, diese
383 ansetzt, ist noch keineswegs 'alles in schönster Ordnung
vielmehr ist diese annähme ebenso unmöglich wie die andere.
Denn da Palladius und Secundianus von dem erkenntnisse der
synode zu Aquileja an ein orientalisches (bez. allgemeines)
concil appellierten, müsste auf jeden fall die bittreise ebensogut
wie das concil selbst nach dieser synode stattgefunden
haben. Nun begannen aber die Sitzungen der synode von
Aquileja erst im September des jahres 381, zu einer zeit, als
das concil des gleichen jahres in Constantinopel bereits beendigt
war. Selbst die bittreise könnte daher kaum mehr in das
jähr 381 fallen, und ganz unmöglich ist es, dass das auf der-
selben erlangte versprechen eines concils durch das gesetz vom
10. jan. 381 rückgängig gemacht worden sei. Wenn Ulfilas
mit Palladius und Secundianus in Constantinopel gewesen ist
— und daran zu zweifeln ist unzulässig — dann muss er
jedenfalls das jähr 381 überlebt haben, und muss das concil
von dem Auxentius und Maximin sprechen, ein anderes sein
als das jenes jahres.
Meines erachtens liegt die (übrigens nebensächliche) frage
der bittreise so: Maximin will sagen, dass die beiden illyrischen
bischöfe nicht bloss zu dem concile berufen seien, sondern auch
das versprechen gehabt hätten, dass ihre angelegenheit auf
demselben verhandelt werden sollte. Das ibique imperatores
bleibt aber auf jeden fall für uns unerklärlich.
Hat nun aber Clfilas — und das steht, auch nach Maximin,
unbedingt fest — die synode von Aquileja und somit auch das
concil von Constantinopel des gleichen jahres überlebt, dann
werden wir widerum zu dem concil vom jähre 383 geführt,
auf welchem die bischöfe aller parteien zu einer disputation
versammelt waren.
Dass nun die änderung des ursprünglichen planes, statt
mündlich gewissermassen schriftlich zu verhandeln — wodurch
der charakter eines conciles überhaupt verloren gieng — nur
durch einen kaiserlichen erlass erfolgen konnte, liegt auf der
hand. Aber dieser erlass war doch wol nur an die bischöfe
selbst gerichtet und wurde nicht in die allgemeinen gesetze
aufgenommen, so dass der irrtum des Maximin, der nach dem-
selben in einer gesetzsammlung suchte, leicht erklärlich ist.
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168
.JOST KS
Vorzüglich unterrichtet ist Maximin überhaupt nicht; er
hätte sich sonst gewis nicht auf das glaubensbekenntnis des
Eusebios berufen können; sein glaubensgenosse Philostorgios
beurteilt diesen ganz anders und viel richtiger.
Nach alledem scheint es mir keinem zweifei mehr unter-
liegen zu können, dass Ulfilas auf dem concile vom jähre 383
gestorben ist. Ob die angäbe des Philostorgios, dass er von
Eusebios von Nikomedien geweiht sei, auf einem irrtum beruht,
oder (was ihr auch noch nicht einmal widerspräche) Auxentius
eine runde biblische zahl gebraucht, wenn er dem Ulfilas ein
genau vierzigjähriges bisehofstum zuschreibt, darüber mag man
meinetwegen streiten; Sievers hat das letztere zum mindesten
sehr wahrscheinlich gemacht, und wer das bestreben hat,
scheinbare widerspräche der quellen in möglichst wenig gewalt-
samer weise auszugleichen, wird auf seine seite treten müssen.
Ich habe vorhin schon nebenbei bemerkt , dass es dem
sogenannten testament des Ulfilas an deutlichkeit fehle. Da
die worte des einganges Semper sie credidi als beweis dafür
dienen, dass die angäbe des Socrates u.s.w., Ulfilas habe ur-
sprünglich zur gemeinschaft der orthodoxen gehört, unwahr
sei, so dürfte es nicht überflüssig sein, auf dieses 'testament'
etwas näher einzugehen. Ist es doch verschieden genug be-
urteilt worden! Während Waitz auf grund desselben den
Ulfilas einer milderen richtung des arianismus zuwies, pflegt
man in neuerer zeit seine entschiedenheit immer mehr zu ver-
schärfen, wobei man weniger auf die worte des Ulfilas als
auf die des Auxentius fusst. Nun ist es aber jedenfalls un-
gerechtfertigt, den lehrer dann nach den Sätzen des schülers
zu beurteilen, wenn die des lehrers selbst noch vorliegen.
Hätte Ulfilas alles das sagen wollen was Auxentius sagt, dann
hätte er das selbst können; und wenn er es unterliess, so wird
das seine guten gründe gehabt haben. Wir bedürfen der bei-
hilfe des Auxentius gar nicht, um das glaubensbekenntnis
seines lehrers richtig beurteilen zu können.
Vergleichen wir es mit den übrigen uns erhaltenen Sym-
bolen jener zeit.1) so stellt sich das urteil etwas anders heraus;
') Hahn, Bibliothek der symbole und glaubensbckenntnisse der alten
kirche2, Breslau 1877. Die symbole wurden jeweilig nicht nur nach den
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DAS TODES.» AHR DES TLFILAS IL S.W.
man muss dabei jedoch bedenken, dass man damals auf den
blossen Wortlaut nicht viel gewicht legte; ist es doch vor-
gekommen, dass auf ein und derselben synode vier verschiedene
formein neben einander aufgestellt und gutgeheissen wurden!
Unter allen formein nun scheint mir, was den hauptstreit-
punkt zwischen Arianern und orthodoxen anlangt,
keins so sehr mit dem des Ulfilas übereinzustimmen als das
des heiligen Basilius (f 379). Ich stelle zum vergleiche hier
die texte neben einander:
Jltoxtvoutv xal bftoXoyovfJitv £Va
povov aktjSivbv xal dya&cv Otbv
xal naxtga Txavioxudxopa, ig ov
xd ndvxa, xbv &fbv xal naxiga xov
xvqiov tifitöv xal 9eov 'Irjoov Xpt-
oxov. Kai £rcr xov fiovoyevrjv av-
xov vibv, xvqiov xal btbv tjftiöv
'iqoovv Xqioxov fwvov ufa]9ivöv,
<fi' ov xd ndvxa iyivixo, xd xe
boaxu xal dogaxa, xal iv tp xa
ndvxa . . . b\ iv fioo<py 9eov vrtdg-
X<i>v ov% agnayfibv ^yrjoaxo flvat
ioog Bttji, oaa havxbv ixivtoot, xal
Aid xijg ix nap9ivov yfvrtofatg fxop-
if>tjv Aovkov kaßd>v xal oxnuaxi trot-
Belg tug dv&pwnog Tidvxa xa tig
avxbv xal nepl aCxoi ytygafifiiva
intfpatot xaxa xijv ivxoXriv xov
naxpbg, yfvopevog vnqxoog fiixQ1
Bavdxov . . xal $v fiovov nvevfja
äyiov, xbv naodxkrixov . . ')
Man sieht, es existiert bis auf die frage vom hl. geist gar
kein wesentlicher unterschied zwischen den beiden formein;
selbst das so stark betonte qui et dei nostri est dem findet
sich bei Basilius wider: tov &bov xal xarioa tov xvqIov tjficöp,
zeit Verhältnissen . sondern sogar nach den personen die sie abzulegen
hatten, im Wortlaute abgeändert. So musstcn die zur Orthodoxie zurück-
kehrenden Apollinaristen ein von Hieronymus aufgesetztes glanbensbekennt-
nis unterschreiben , in das dieser auf wünsch des papstes Damasus die be-
zeichnnng Christi als homo dominicus aufgenommen hatte. Vgl. Hefele,
Conciliengeschichte 2. 40.
•) Man beachte auch, dass Basilius sich (wie alle Orientalen und auch
L'lnlas) bemüht, auch in den Worten sich möglichst biblisch auszu-
drücken-
Ego Ulfila episkopus et confessor
semper sie credidi et in hac fide
sola et vera transitum facio ad do-
minum. Credo nnnm esse deum so-
lum ingenitum et invisivilem et in
unigenitnm filium eins dominum et
deum nostrum, opificem et factorem
universe creature, non habentem si-
mileni suum — ideo unus est deus,
qui et dei nostri est deus — et unum
spiritum sanetum virtutem inlurai-
nantem et sanetiticantem . . . nec
deum nec dominum sed ininistrum
Cristi . . . subditnm et oboedientem
in omnibus ftlio, et filium subditum
et oboedientem in omnibus deo
patri.
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170
.1 OST ES
und diese stelle bei Basilius macht es sogar wahrscheinlich,
dass der fehler der hs. de nostris nicht aus dei, sondern aus
domint (di) nostri der vorläge entstanden ist; sachlich ist da«
freilich gleichgiltig. Basilius war ein Zeitgenosse des Ülfilas;
es gibt noch eine ältere form, die man zum vergleiche herbei-
ziehen kann; es ist die erste der synode in Encaeniis (341),
auf der vielleicht rifilas zum bischof geweiht wurde; jeden-
falls gehört sie derselben zeit an: (warn) nos ab initio didi-
cimus, in unum deum totius universitatis , omnium verum
quae (um mente tum sensu percipiuntur opiftcem et rreatorem
credere: et in unum filium dei unigenitum, qui fuit ante omnia
saeeidu et una cum patre, qui cum genuerat, exstitit: per quem
omnia risibilia et inrisibilia facta sunt: qui in norissimis diebus
secundum patris beneplaeitum descendit et carnem de sancta
virgine ajisumpsit: qui omnem patris voluntatem eplevit.
Credimus etiam in spiritum sanctum : et si quid amplius adiun-
gendum est, credimus carnis resurrectionem et vitam aeternam
(Harduin 1,606).
So viel ist sicher, dass, auch wenn Ulfilas sein ganzes leben
von dem Verhältnisse des sohnes zum vater so geglaubt hat.
er ebensowol mit seinen Goten zur gemeinschaft der ortho-
doxen kirche gehört haben kann wie etwa Basilius. Wenn
Auxentius aus dem texte etwas anderes heraus liest, als ich
darin finde, so muss man doch das zugestehen, dass sich aus
Basilius' worten genau dasselbe herauslesen lässt. Muss es
nicht auch höchst merkwürdig erscheinen, dass Auxentius
nicht einen einzigen ganz unzweideutigen beleg für die dem
rifilas von ihm zugeschriebenen ansichten aus dessen anderen
Schriften, die ihm doch bekannt sein mussten, beibringt?
Warum lediglich diese paar Zeilen, die einer so ausführlichen
und mindestens gewaltsamen interpretation bedürftig waren?
Es ist richtig, dass rifilas das wort omotisios vermeidet,
aber das taten auch orthodoxe theologen,1) selbst solche, die
') So^ar Athanasius sa^t : tidoc Ai ro»c unoAr/ouivoii: r« ftiv a).ka
xuvta twr tv SixaUt youtpiviutv, ntgl 6t ftovov to ofxoovaiov dft<pißaX-
i.ovxaq %pij j<// wq Ttgbq t/9govq Aittxüo&ui, xal yttg xai ^fiflq ov'A <«C
ngbq Anniiutn trrtQ, oi'A' oj^ fiaxonivovt; ngbq zovq naxtgaq ivtoTctfif9ay
dk/' otq uAt).<poi ijfilv Aiävoiav l%ovtaq. ntg\ AI tu ovofta ftovov Atoiü-
lovtaq. De synodi* DO. 41.
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DAS TODESJAHR DES ULFILAS U.S.W.
171
unter die heiligen der kirche aufgenommen sind. Andrerseits
vermeidet er auch das schiboleth der damaligen Arianer, dass
der söhn eine 'creatur' des vaters sei, und ebenso nennt er gott
vater innsivilem, während wenigstens die strengen Arianer
gott für ebenso erkennbar hielten als sich selbst (Eunomius).
Soweit vermag ich aus dem stücke keinen anderen ein-
druck zu erhalten als den dass es inhaltlich orthodox ist,
dass wir aber in ihm einen Vorschlag zu einer unionsformel
vor uns haben, in der das für beide Seiten anstössigste fort-
geblieben ist und die spräche der mittelpartei geführt wird.
Ganz anders steht es mit Ulfilas' ansieht vom hl. geiste.
Von den Arianern alten Schlages war derselbe überhaupt noch
nicht in die discussion gezogen worden, oder wenigstens war
kein streit über ihn entstanden. Erst lange nachdem Ulfilas
bischof geworden war, war die frage durch Macedonius zu
einer brennenden geworden; das Nicaenum sagte nur: ciedo et
in spiritum sanetum. Wenn nun Ulfilas vom hl. geist sagt:
nec deum nec dominum sed ministrum Cristi, so eignet er
sich damit ganz unstreitig das schiboleth der Macedonianer
oder Pneumatomachen an, die er nach Auxentius immer be-
kämpft haben soll, und wer ihn lediglich nach seinem 'testa-
mentum', ohne rücksicht auf die interpretation des Auxentius
richtig unterbringen will, der kann ihn nur zu jenen stellen
und nicht zu den eigentlichen Arianern. Uebrigens zeigt diese
stelle, dass Ufilas auch auf seinem Sterbebette noch wol deut-
lich das zu sagen verstand, was er sagen wollte.
Dieser umstand nun, dass Ufilas grade beim hl. geiste
sich so entschieden ausdrückt, scheint mir auch darauf hinzu-
weisen, dass dieses 'testament' auf dem concil von 383 und
für dasselbe abgefasst ist. Denn man hatte diese frage nur
auf kleineren synoden behandelt, bis das concil von 381 die
lehre der Pneumatomachen verurteilte, und deshalb war es
selbstverständlich, dass die angelegenheit wider zur Verhand-
lung kommen würde. Und hierbei war es viel weniger sicher
als bei dem omousios, wie der entscheid ausfallen würde, denn
auch hochangesehene orthodoxe theologen, z. b. Basilius, hatten
sich bisher hier sehr reserviert verhalten. Bardenhewer sagt
von letzterem: 1 nichtsdestoweniger hat er mit rücksicht auf
die den Pneumatomachen günstigen zeit Verhältnisse (ob allein
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.1 OST ES
deshalb?) fort und fort scheu getragen den hl. geist geradezu
gott zu nennen'.1) Es ist immerhin auch sehr auffallend, dass
Ulfilas allein bei diesem punkte seine meinung mit
schriftstellen stützt.
Die behauptung der griechischen kirchenschriftsteller, dass
Ulfilas ursprünglich zur gemeinschaft der orthodoxen gehört
habe, brauchte durch das semper &ic credidi also auch dann
noch nicht einmal als erschüttert betrachtet zu werden, wenn
man diesen ausdruck viel schärfer auffassen dürfte, als es bei
seiner formelhaftigkeit erlaubt ist.
Vollends unzulässig ist es hier 'orthodoxe entstellung',
'fälschung der Überlieferung' u.s. w. anzunehmen: wenn man
diese glaublich machen wollte, müsste man sie doch mindestens
psychologisch begreiflich zu machen wissen. Aber kein mensch
wird angeben können — geschweige denn dass es bisher ge-
schehen wäre — was die orthodoxen damit hätten bezwecken
können, wenn sie behaupteten, Ulfilas habe nicht von anfang
an zu den Arianen) gehört, sondern sei erst später zu ihnen
übergetreten, und zwar erst als bischof. Mir ist weder aus
der erfahrung noch aus der geschiente ein fall bekannt, dass
ein apostat — sei es nun religiöser, politischer oder auch
wissenschaftlicher art — sich von seite seiner früheren Partei-
genossen einer liebenswürdigeren behandlung erfreut hätte als
die welche nie zur partei gehört. Im gegenteil ist er immer
der am schärfsten beurteilte: nie gereicht es ihm zur ent-
schuldigung, dass er ehemals anders gedacht, wol aber wird
ihm in der regel vorgeworfen: im herzen habe er eigentlich
nie zur partei gehört, und er hätte viel besser getan bereits
früher auszuscheiden ! Die drei griechischen kirchenhistoriker,
Sokrates, Sozomenos und Theodoret, hätten demnach psycholo-
gisch gleichmässig wunderbar veranlagt gewesen sein müssen,
wenn sie hätten glauben sollen, ihrer sache einen dienst zu er-
weisen, indem sie Ulfilas erst als bischof arianisch werden Hessen.
An und für sich braucht man diese kirchenhistoriker, die
rund t)0 oder mehr jähre nach dem tode des Ulfilas schrieben,
nicht für zeugen erster klasse zu halten, allein ihre angäbe
wird, und das ist von grosser bedeutung, durch Zeitgenossen
') Patrologie s. 259.
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DAS TODESJAÜR DES ULFILAS U.8.W.
173
bestätigt. Wir kommen damit zu der frage nach dem Über-
tritte der Goten zum arianismus überhaupt.
Bei der behandlung dieser frage scheint man mir von der
ansieht auszugehen, dass die Stellung des arianismus zur da-
maligen oilhodoxie ungefähr der heutigen Stellung des Pro-
testantismus und zwar des freisinnigen Protestantismus zum
katholicismus entspräche, wobei dann hier und dort auch noch
die 'schweren sorgen um glaubensfreiheit' bei den Arianern
betont werden. Nun abgesehen davon, dass dieser moderne
begriff damals noch fehlte und die toleranz auf seite der
Arianer1) mindestens nicht grösser gewesen ist als bei den
orthodoxen, ist die gleichstellung schon deshalb falsch, weil
beide parteien sich nur in der lehre, nicht aber im cultus
unterschieden. Damit lag es wesentlich an den bischöfen und
allenfalls noch manchmal an den fürsten, zu welcher partei
eine gegend oder eine gemeinde gehörte. Waren diese ge-
wonnen, dann vollzog sich der übertritt, wie auch z. b. der der
Goten zum katholicismus, sehr leicht und unauffällig. So er-
klärt sich auch das ewige schwanken des besitzstandes der
beiden parteien im vierten jahrh ändert. Deshalb müsste, wenn
Ulfilas von anfang an Arianer gewesen wäre, auch sein volk
im ganzen wenigstens arianisch gewesen sein, denn einen
orthodoxen bischof neben ihm hat es nicht gegeben. Dass
dies aber nicht der fall gewesen ist, lässt sich aus den zeit-
genössischen Schriftstellern mit voller Sicherheit beweisen. Die
Wichtigkeit der hier in betracht kommenden stellen hat am
besten der scharfsinnige Bessell gewürdigt, wenn er auch leider
bei der auffassung und auslegung mehrerer von ihnen einen
irrweg gegangen ist.
Von grosser Wichtigkeit ist zunächst das urteil des Mai-
länder erzbischofs Ambrosius, dem der kaiser Gratian wie ein
söhn ergeben war, und der ganz gewis zuverlässig unterrichtet
sein konnte. Am Schlüsse seines zweiten buches De fide (ab-
gefasst.378) redet er den kaiser an: Gog istc Gothus est, quem
iam vidimus exisse, de quo promittitur nobis futura victoria . . .
Nec ambiguum, sanete Imperator, quod qui perfidiae alienae
pugnam excepimus, fidei mtholicae in te vigentv habituri sumuft
v) Diese tauften die orthodoxen sogar von neuem, was umgekehrt nicht
geschah.
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ITA
.TOST KS
auxilium. Emdens Ctl l IN antehac dirinae indignationis causa
praecessit: ut ibi primum fides Romano imperio franyeretur,
ubi fracta est deo. Non licet confessorum neces, tormenta, exilia
recordari, piorum sacerdotia, proditorum munera. Nonne de
Thraciae partibus per ripensem Daciam et Mysiam omnemque
Valeriam Pannoniorum . totum illum lfmitem sacrilegis pariter
vocibus audivimus inhorrentem ?
BesseH1) bemerkt dazu: 'wenn es bekannt gewesen wäre,
dass die Goten gar durch einen offenen vertrag mit Valens
vorher schon Arianer geworden, ja dass sie überhaupt Christen
waren, so hätte man doch ganz andere Wendungen des Am-
brosius zu erwarten gehabt. Er hätte in jenem kämpfe eher
eine sich selbst2) zerfleischende häresie sehen müssen, und den
krieg, den der kaiser Gratian, an welchen jenes werk gerichtet
ist, eben zu unternehmen im begriff war, mindestens unter
den gesichtspunkt gestellt, dass er in den Goten selbst die
häresie zugleich bekämpfe, während er doch in den Worten,
die er in bezug auf den zu erwartenden sieg des kaisers
schreibt: »wir, die wir den kämpf mit der häresie aufgenommen
haben, werden in te vigente eine hilfe des katholischen glaubens
haben«, nur an eine mittelbare Unterstützung von seiten des
kaisers denkt.'
Das unterschreibe ich vollständig bis auf die annähme,
Ambrosius habe hier die Goten überhaupt noch nicht für
Christen gehalten: sie ist unmöglich. Man muss bedenken,
dass bei Ambrosius (und hierin ist ihm Philostorgios ganz
gleich) die Sympathie für seine glaubensgenossen durch seine
sorge um die cultur gezügelt ist und er in den Goten doch
'barbaren' sieht, welche diese cultur zu vernichten drohen.
Dass die zunächst betroffenen Stämme arianisch waren, kommt
für ihn gar nicht in bet rächt; er will trotzdem den kämpf
und trotzdem, dass die Goten gut und blut für den glauben
dahingegeben haben, l'nd diesen glauben hält er für seinen
eigenen.
Die zweite stelle findet sich in seiner Expositio evang. sec.
Lucam lib. 2, cap. 2.3)
«> A. a. o. s. M.
*) Weil in Thracien und Müsieu 'damals der ariauiamus blühte'.
3) Bardenhewer, Patrologie h. 404 nagt, dass dieses werk aus 385—387
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DAS TODES.? AnK DES ULKILAS Ü.S.W.
175
Da Bessell diese stelle nicht im zusammenhange gelesen
oder doch nicht gewürdigt hat, ist er einem misverstandnisse
anheimgefallen.
Die betreffende homilie hat nämlich den vorsprach: factum
est au fem in dicbus Ulis, exiit edictum a Caesar e Augusto, ut
censum profiteretur unirersus orbis und handelt über die be-
rufung der Völker zum Christentum. Die uns hier interessie-
rende stelle lautet: vis Christi audire censoresV Iubentur
censere (d. h. das Christentum anzunehmen), sed non viryis:
nec terrore sed gratia plebern quaerere: condere gladium, non
possidere aurum. Talibus censoribus acquisitus est orbis.
Denique, ui scias, censum non August i esse sed Christi , totus
orlris profitcri iubetur. Quando nascitur Christus, omnes pro-
fitentur, quando mundus concluditur, omnes periclitantur. Quis
ergo poterat professionein totius orbis exigere, nisi qui totius
habebat orbis imperium? Non enim Augusti, sed domini est
terra et plenitudo eins, orbis terrarum et universi qui habitant
in eo. Gothis non imperabat Augustus, non imperabat Arme-
niis, imperabat Christus. Acceperunt utique Christi censores,
qui Christi martyres ediderunt. Et ideo fortassc nos rincunt,
ut praesentia docent, quoniam quem Uli oblatione*) san-
guinis fatebantur, huic Ariani quaestionem generis
inferebant.
Wenn Bessell meint, 'dass Ambrosius in bezug auf das
Christentum der Goten nicht von der gegenwart spricht', so
liegt da ein arger irrtum vor: es handelt sich hier um das
censere, d.h. um die annähme des Christentums (— hätten
die Goten es in der arianischen form angenommen, würde er
sie auch gewis nicht so unmittelbar neben die katholischen
Armenier gestellt haben — ), und die gehörte bei den Goten
wie bei den Armeniern der vei-gangenheit an. Dieser irrtum
hat dann die ganzen weiteren ausführungen ßessells entgleisen
lassen, so die, dass Ambrosius das zweifelnde fortassc gewis
nicht gesetzt haben würde, 'wenn er die siegreichen Goten
allgemein für katholiken gehalten hätte'. Nun, das for fasse
gehaltenen homilien entstanden sei. Diese homilie ist sicher älter als das
jähr 3S5, wie die historische anspielung beweist. Bessell setzt sie frühe-
stens nach 379.
') Bessell liest oblicione, was offenbar ein dmckfehler ist.
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17(5
JOSTES
hat Ambrosius gesetzt, einmal weil den ausgang eines krieges
doch niemand mit Sicherheit vorhersagen kann, und dann, weil
er den sieg der Goten aus sorge um das reich und die cultur
nicht wünschte, trotzdem es seine glaubensgenossen waren.
Darin wird aber jedermann Bessell recht geben, dass sie
damals, also c. 380, keine Arianer waren (wenigstens dass Am-
brosius sie nicht dafür hielt); heiden können sie aber auch
jener worte wegen nicht mehr gewesen sein, das ist unmöglich.
Somit sehen wir, dass Ambrosius die Goten bis minde-
stens zum jähre 380 für seine glaubensgenossen hielt, und dass
ein mann der so wie er mitten im getriebe der kirchlichen
und weltlichen politik stand und, wie sein vorgehen gegen
Palladius und Secundianus beweist, wol ein scharfes auge für
Arianer besass, hier schlecht unterrichtet gewesen sein soll,
das ist doch ganz unwahrscheinlich.1)
Aber Ambrosius steht mit seiner ansieht auch keineswegs
allein, vielmehr besagen eine reihe anderer zeitgenössischer
berichte genau dasselbe. Ich führe hier zunächst die Goten
an, auf deren aussage Augustin fusst, wenn er in der Civitas
dei 18, 52 sagt : nisi forte non est persecutio computanda,
quando rex Gothorum in ij)sa Gothia persecutus est Christ ianos
crudelitate mirabili, cum ibi non essent nisi catholici,
quorum plurimi martyrio coronati sunt, sicut a quibusdam
fratnbus, qui tunc (370 — 372) illic pueri fuerant, et se ista
ridisse incuncUtnter recordabantur, audirintus.
Dazu stimmt, dass nicht nur Nicetas mit seinen genossen,
sondern auch die beiden zur gemeinde des Ulfilas gehörenden
•) Das« Ambrosius über die Verhältnisse unter den Goten nicht nn-
unterrichtet war. beweisen die acten des eoncils von Aquileja, wo von
einem verlaufenen, auch arianisch gesinnten priester .Julianus Valens, der
sich bei ihnen herumgetrieben hatte, die rede ist. Die stelle beweist auch,
dass Ambrosius wusste, da.«* damals noch nicht alle Goten christlich waren.
Mit derartigen individuell ist indes nicht viel zu beweisen, sie versuchen
immer ihr heil mit vorliehe auf neuerworbenen boden. Auch die angaben
des Eunapius über die qnalität des gotischen Christentums dürfen wir nicht
zu hoch taxieren, nicht weil er ein beide war, sondern weil er seinen
massstab von dem Christentum der gebildeten stadter nahm. Namentlich
wenn der übertritt massenhaft erfolgt, ist es auch bei redlicher Über-
zeugung eines Volkes nicht möglich, ihm gleich reine begriffe beizubringen.
Vgl. Bessell a. a. o. s. 611.
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DAS TODES.! AHR DES t'LFILAS U.8.W
177
priester Vereka und Batvins (Yericas und Bathusis) in das
römische martjTologiuni aufgenommen sind. Die annähme
Kaufmanns, dass dies geschehen, trotzdem man gewusst habe,
dass es Arianer gewesen seien, scheint mir schon an sich ganz
unannehmbar; eher könnte man noch an einen irrt um denken,
aber dazu liegt auch nicht der geringste anlass vor, und die
aussage Augustins u. s. w. steht dem als ein nicht zu beseitigen-
des hindernis im wege.
Nicht anders als die weströmischen lauten die oströmischen
Zeugnisse in dieser sache. Die von Bessell s. 69 f. aus Sozo-
menos und Theodoret angeführten erzählungen setzen, wie er
bereits richtig bemerkt hat, voraus, dass die Goten zu ende
der siebziger jähre mindestens keine Arianer waren. 'Aber
als noch wichtiger muss das Zeugnis des Gregor von Nazianz
gelten, der während des Gotenkriegs eine reihe kirchlicher
reden zu Constantinopel hielt, die uns erhalten sind . . ., wenn
er (aber) etwa in der mitte des jahres 379 sagt,1) dass man
die niederlage der Römer, die doch einst den erdkreis unter-
worfen hätten, nicht erklären könnte aus ihrer feigheit, son-
dern nur aus ihrer verderbt heit und der gottlosigkeit der
nicht -trinitätslehre, so ist sein urteil offenbar dasselbe
welches Ambrosius in demselben jähre aussprach und Trajanus
sowol wie Isaak ausgesprochen haben sollen. Es muss das
um so mehr geltend gemacht werden, als derselbe redner in
der mitte des jahres 380, also sogleich nach dem zweiten fluss-
übergange der Goten, in bezug auf die arianischen kämpfe
sagt: *nach der auflösung der eintracht durch die Verschieden-
heit der meinungen verfolgen wir uns mit fast grösserer grau-
samkeit als die jetzt uns mit krieg überziehenden barbaren,
welche die aufgelöste trinität vereinigt.« Nach dieser
l) dtivbv 6h xal xa vvv oQM/xtvd xe xal dxovofifvw naxQlöfq
dvtaxäutvai xal fivftiäöfq nlnxovaat' xal xäfirovaa yrj xolq a'ipaai xal
xoiq nxwfjtaat xal ).aö<; dlköyktuoooi w; oixtiav diaxQixutv xrtv dk).o-
XQiav ov öi dvavÖQlav xwv nQOfiaxofdvwv xaxtjyoQtixat jWpfe/fc ovxot yap
tiot ol iiixQov näaav xrjv oixovfiivr^v naftaaxtjadftfvot, u).ka öia xfjv q/tt-
xtgav xaxiav xal xqv imxpaxovaav xaxa xrji; T^iaöoq daißetav. Oratio 22
no. 2 (Migne, Patr. gr. 25, 1133).
Beiträge zur geachichte der deutschen «pr.ch«. XXII.
12
178
.»OSTES
bemerkung kann kein zweifei sein, dass die Goten damals
gleich als Arianer aufgetreten sind.'1)
Hier liegt offenbar wider ein misverständnis Bessells vor;
Gregor kann mit jenen Worten unmöglich sagen wollen, dass
die Goten Arianer seien, sondern er will sagen: wir sind un-
eins, und ein grosser teil von uns Römern hat sich gegen die
trinität verfehlt, indem er sie nicht anerkennt. Und weil wir
sie aufgelöst haben, hat sie sich von uns abgewant und be-
günstigt jetzt die barbaren. Gregor hätte doch eine merk-
würdige logik und eine noch merkwürdigere pastoral haben
müssen, wenn er seinen zuhörern hätte beibringen wollen, die
trinität begünstige die Goten zu Ungunsten der Römer, weil
jene in der leugnung ihrer existenz (im orthodoxen sinne)
einig, sie aber nur zum teil Arianer seien!
Man sieht übrigens, dass Gregor (ebenso wie Ambrosius)
über die tatsache, dass die Goten seine glaubensgenossen
waren, ganz sanft hinweggleitet. Welche waffen würden die
beiden in bänden gehabt und wie würden sie dieselbe ge-
schwungen haben, wenn die politischen zugleich ihre religiösen
gegner und glaubensgenossen der arianischen minderheit ihres
volkes gewesen wären!
Nach alledem kann es keinem zweifei unterliegen, dass
die koryphäen der zeitgenössischen orthodoxen Ambrosius und
Gregor von Nazianz die Goten mindestens bis zum jähre 380
für ihre glaubensgenossen ansahen, und ihr zeugnis ist um so
wertvoller, als es nicht nur von sonst sehr gut unterrichteten
männern herrührt, sondern auch ganz nebenbei, ohne jeden
apologetischen zweck abgegeben ist. Ja man kann wol sagen,
dass sowol die Stellung des Ambrosius wie Gregors eine wesent-
lich günstigere gewesen wäre, wenn sie die ; barbaren' auch
als Arianer hätten behandeln können. Dass sie dies nicht
taten, kann an nichts anderm gelegen haben als daran, dass
es nicht gieng.
Zu dieser tatsache stimmen nun aber anscheinend nicht
ganz die angaben der drei griechischen orthodoxen kirchen-
') KaxtHg fdv tobt dXXqXmv intTrjpovfitv xaiQovi xal tu ovftxvxov rtp
htQoöogy kvoavrtq, ftixgov xal xwv ivv nokefiovvtwv r^dv ßapßäptov,
ov; r/ T(><«$ Xvo^avtj ovvtoTTjötv. Or. 33 110. 2.
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DAS TODESJAHR DES l'LFILAS U.S.W.
179
Historiker Sokrates', Sozomenos' und Theodorets wenigstens
insofern nicht, als sie den übertritt der Goten zum arianismus
früher, 360 oder 375, ansetzen. Sie schrieben aber alle drei
erst rund sechzig jähre nach dem tode des Ulfilas; es ist daher
nicht unangebracht ihre Zeugnisse nach dem Ursprünge zu
untersuchen, zumal dieselben sich auch unter einander wider-
sprechen. Vergleicht man sie mit einander, so stellt sich als
allen dreien gemeinsame angäbe diese heraus: Ulfilas trat in
( "onstantinopel zu einer zeit als dort mehrere häupter der
A rianer versammelt waren, (durch sie beeinflusst) mit den Goten
zum arianismus über. Das müssen schon die quellen gehabt
haben, und wahrscheinlich gaben diese auch an, dass es auf
einem concile geschehen sei. Sokrates fand den namen des
Ulfilas nicht in den concilsacten, natürlich auch nicht in denen
vom jähre 383, da er ja schon beim beginne des concils ge-
storben war. Und da arianische bischöfe mit Ulfilas zu-
sammengewesen waren, blieb für ihn nur die annähme übrig,
dass die Arianersynode von 3*30 gemeint sei. Dass Ulfilas an
dieser teil genommen, davon wissen wir sonst nichts, nur
Sokrates (und der von ihm abhängige Sozomenos) hat die
nachricht. Sie ist schon früher angezweifelt,') und mit vollem
rechte; denn wenn einer, so hatte Auxentius interesse daran
sie zu erwähnen, er sagt aber nichts davon, sondern erwähnt
nur ein einziges concil an dem Ulfilas teil genommen, das
auf dem er starb. Sokrates gerät durch diese annähme auch
in Widerspruch mit den oben erwähnten lateinischen Schrift-
stellern, und was auch etwas besagen will, sogar der sonst
nicht sehr kritische Sozomenos hat sich an ihr gestossen.
Theodoret hat Sokrates nicht gekannt; er oder schon sein
Vorgänger dachte bei dem übertritt in Constantinopel an die
zeit da Ulfilas angeblich als gesanter zu Valens nach Con-
stantinopel geschickt sei, und schrieb die schuld dem längst
verstorbenen arianischen bischof Eudoxios zu, den er vielleicht
mit Eunomios verwechselte.
Sozomenos, der anscheinend die quellen beider vor sich
hatte, hat weder mit ihren angaben auskommen zu können
geglaubt, noch auch der combination des von ihm benutzten
*) Sievern, Grundr. 2, 67 bezeichnet sie nur als 'wahrscheinlich'.
12*
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180
J OSTES
Sokrates getraut. Er hat offenbar noch andere nachrichten ge-
habt, die mit dieser nicht in einklang zu bringen waren. Er
übernimmt dieselbe zwar, fügt aber hinzu, dass die teilnähme
des Ulfilas an der Arianersynode von 3b'0 mehr aus Unvorsichtig-
keit erfolgt sei, da er nach wie vor kirchengemeinschaft mit
den Nicänern gehalten habe.1) Die erzählung von dem Über-
tritte anlässlich der gesantschaft und den religionsverhand-
lungen mit den arianischen bischöfen ist ihm ebenfalls zweifel-
haft vorgekommen, sonst würde er sie nicht mit Xiytxai ein-
geleitet haben. Wenn dabei irgendwie ein confessionelles
interesse ersichtlich wäre, könnte man verdacht schöpfen.
Aber das ist nicht der fall: Sozomenos denkt nicht daran
Ulfilas für seine partei in anspruch zu nehmen. Wann aber
grade sein übertritt erfolgt, das war nun doch sehr gleich-
giltig. Dass aber die bedenken des Sozomenos nur zu gerecht-
fertigt waren, haben wir oben gesehen.
Offenbar wusste man um die mitte des 5. jh.'s in den
kreisen dieser schriftsteiler nicht mehr genau die zeit, in der
die Goten arianisch geworden waren, sondern nur noch, dass
rifilas den anstoss dazu gegeben hatte, und zwar in Constan-
tinopel. Angesichts dieser tatsache und den übereinstimmen-
den nachrichten der oben genannten Zeitgenossen scheint mir
nur eine möglichkeit übrig zu bleiben, nämlich anzunehmen,
dass Ulfilas erst im jähre 388 in Constantinopel öffentlich als
mehr oder weniger entschiedener Arianer aufgetreten sei und
dass der übertritt der Goten durch sein 'testameutum' ver-
anlasst wurde. Nimmt man das an, dann wären alle Wider-
sprüche gehoben und die irrtümer der kirchenhistoriker er-
klärten sich leicht. Aber dieser annähme steht ein zeuge
entgegen: der schüler des Ulfilas, Auxentius. Es ist daher
notwendig auf dessen Schrift hier näher einzugehen. Kauf-
*)"&2onfQ dt yaQiv dnoAiöovg Ovüktvxt, xal navxutv y/Ao? thai
niaxov^itvoi, ixotvwvtjoe xijs avxov Hgrjoxfiaqt xal xovg xti9ofttvin\;
uvxvi ßaQjictyovq (ntt&$V iv<h pgovttv. Ov xnvzo AI ftovov oiiiui ahmr
yiyovtv, tloiu vir nüv xb <pv).ov ngoaxt&ffvai xoiq ra 'Afttiov tSn^citovotr.
'AXXa yag xal OvXyikaq o nag' avxolg xoxe IfQiuftiioz, xa plr nyojxa
ovölv AietptQero TtQng xijv xa$6?.ov txx?.tjoiav, ini 61 xr/r Kiovoxavxlov
ßaai).flac, dnfQiaxinxiog oiftat fttxaaywr xoi$ d/itpi EvAd^tor xal Axä-
xmv xiji; iv KtovoxavxtvovTtolci ovvööov, StifMtivf xotrwruiv xnig itpovat
Xiöv ir Ntxaitf ovveMvxwv.
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DAS TODESJAHR DES ULFILA8 Ü.8.W.
181
mann1) sagt: 'die schrift des Auxentius ist also eine partei-
schrift, verfasst, um in entscheidender stunde den arianismus
gegen die angriffe der durch den thronwechsel plötzlich zum
siege gelangten Athanasianer zu verteidigen. In diesen käm-
pfen ist die geschichtsfälsehung eine gewöhnliche waffe. Ten-
denziöse Sammlungen von briefen und actenstücken, tendenziöse
berichte und Protokolle sollten die menge gewinnen und vor
allem die massgebenden personell im kaiserlichen palaste '
u.s.w. AVenn das wahr ist. und es ist wahr, dann tut man
doch besser, nicht wie Kaufmann ohne jede weitere prüfung
trotzdem zu erklären: 'die schrift ist der lautere ausdruck des
eindruckes den Auxentius von seinem grossen lehrer empfangen
hat*. Ein parteischriftsteller darf immerhin doch etwas con-
troliert werden, zumal wenn seine Behauptungen mit unserm
sonstigen wissen in Widerspruch stehen: ganz fehlt es uns
hier dazu nicht an den mittein.
Sehen wir zunächst einmal, welches bild wir aus der
darstellung des Auxentius von dem theologen llfilas gewinnen;
ich führe hier einzelne ausspräche an, denen es an deutlichkeit
nicht fehlt:
1) qui (deus pater) . . . uniyenitum demn creavit et genuit,
f'eeit et fundavit.
2) Omousionorum odivilem et execrabilem, prabam et per-
versam professionem ut diabolicam adinventionem et demoniorum
doetrinam sprevit et caleuvit . . . sed et Omoeusianorum errorem
et inpietatem flevit et deritavit
Omousionorum sectam destruebat. quin non confusas et
eoneretas personas, sed diseretas et distinctas crcdebat , . .
4) Secundum Maeedonianam fraudulentam pravitatem et
pervvrsitatem
5) Omnes haereticos non cristianos sed antecristos, non
pios sed impios, non rel'ujiosos sed inreligiosos , non timoratos
sed temerarios, non in spe, sed sine spe, non cultores dei sed
sine dco, non doctores sed seduetores, non pracdicatores sed
praevariealores adserehat, sibe Jfanieheos sice Marcionistas sive
Montan istas sirc Pauli nianos sive Psabellianos sive Äntro-
pianos sive Patripassianos sive Fotinianos sive Novatianos
Z*. fda. 27, 206.
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182
J OSTES
sive Donatianos sive Omousianos sive Omoeusianos sive Maee-
donianos. —
6) prabam eorum doctrinam repellebat . . . lupos graves et
canes, malus operarios effuyabat.
7) Quia et una est eelesia dei viri . . . cetera vero \omnid\
convcnticula non esse eclesias dei sed synayoyas esse satanae
adserebat et contestabatur. Et haec omnia de dirinis sribturis
dixisse et nos describsisse , qui leyit intelleyat. Qui et ipsis
tribtts Unguis plures tractatns et mtritas interpretationes volen-
tibus ad utilitatem et ad aedificationem, sibi ad aeternam memo-
riam et mercedem post se dereliquid.
Wenn das alles wahr sein sollte, was Auxentins hier von
seinem lehrer sagt, dann wäre dieser ein denkbar schroffer
Streittheologe gewesen, der jedem, auch unorthodoxen anders-
denkenden weder luft noch licht gegönnt hätte. Das hätte
dann doch aber auch kaum unbekannt bleiben können, und
namentlich würde das wol wollen das die orthodoxen kirchen-
historiker für ihn offenbar haben, sich dann nicht erklären
lassen. Mir erscheint hier aber der grosse Ulfllas zu einem
kleinen Auxentius gemacht zu sein, und das ganze bild auch
zu einem Arianer der alten zeit nicht zu stimmen.
Angaben wie die no. 3 sind auch höchst sonderbar, denn
confusas et eoncretas pcrsonas nahm auch kein Homousianer an.
Eine behauptung ist aber unter den obigen, die sicher
unwahr ist, die in no. 1 enthaltene. Die worte unigenitum
deum creavit et yenuit, freit et fundavit enthalten das
schiboleth der damaligen strengen Arianer, und wenn llfilas
deren ansieht in diesem punkte geteilt hätte, dann hätte er
als ehrlicher mensch das in seinem glaubensbekenntnisse sagen
müssen. Das hat er aber nicht nur nicht getan, sondern das
glaubten seine Goten selbst zur zeit des Theodoret noch nicht
einmal, obwol sie damals schon lange aus der orthodoxen
kirchengemeinschaft ausgeschieden waren. Denn dieser sagt
ausdrücklich (4,33): Ov tvtxa, fitxQi xal rrmtgov oi Fot&oi
fitl^ova fikv top jtattQa Xtyovoi rov viov, xtlofia dt tov
vtov tljtelv ovx uvixovrat , xaizoi xoivcovovtnti; rolg Xi-
yovot. Die übrigen schüler des Ulfilas dürften demnach doch
wol ganz anderer meinung über die ansieht ihres lehrers
gewesen sein und das auch aus dessen 'testaraent ' nicht haben
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DAS TODESJAHR DES ULF1LA8 U.8.W.
18a
entnehmen können, was Auxentius luce clarins darin zu finden
vermeint.
Und wenn es nun sicher ist, dass die angäbe des Auxen-
tius über die Stellung des Ulfilas (und damit auch der Goten)
zu der fundamentallehre des damaligen arianismus (Arius
selbst war so weit nicht gegangen) unrichtig ist, handeln wir
dann noch wissenschaftlich correct, wenn wir ihm alles andere
trotzdem ohne weiteres glauben? Welche beweise bringt er
denn für die geradezu haudegenmässige tätigkeit seines lehrers
vor, von der sonst niemand etwas erwähnt? Obwol Ullilas
zahlreiche Schriften in drei sprachen hinterlassen hat, beruft
er sich nicht auf eine einzige, sondern nur auf das von ihm
(in dieser schrift?) mitgeteilte mündliche wort desselben.
Wenn aber ein lehrer eine reihe schriftlicher werke hinter-
lässt, so tut man doch gut sich auf diese zu berufen: gegen
das geschriebene fällt das wort eines auch noch so begeisterten
schülers nicht sehr ins gewicht; selbst nach einem collegien-
hefte werden sich nicht viele lehrer beurteilen lassen wollen,
am wenigsten wenn der schüler so befangen und wenig be-
fähigt erscheint wie es Auxentius tatsächlich tut. Ein ein-
ziges schriftliches Zeugnis führt dieser allerdings an: das
'testamentum'; und wenn man erwägt, was ich oben über
den inhalt beigebracht habe, dann wird man sich dem ge-
danken nicht verschliessen können: wenn Auxentius nichts
anderes für seine weitgehenden behauptungen beibrachte, dann
hat er sicher wenigstens nichts besseres anzuführen gehabt!
Ks ist übrigens allgemein angenommen, soweit ich sehe, dass
die schrift des Auxentius im wesentlichen nichts anderes ist
als eine ausdeutung eben dieses Schriftstückes, und man sollte
doch meinen, dass die gewaltsamkeit, die dabei zu tage tritt,
unbegreiflich wäre, wenn Ulfilas die ganze lange zeit seines
bischoftums seine ansichten vor aller weit klar und energisch
zum ausdruck gebracht hätte, wie das nach den oben an-
geführten stellen der fall gewesen sein müsste. Das konnte
auch damals nicht verborgen bleiben, und wenn es bekannt
war, was war dann noch zu beweisen? Was hätte dann über-
haupt noch die ganze schrift sollen? Warum führt Auxentius
nicht an, dass Ulfilas sich auf den synoden, etwa auf der der ent-
schiedenen Arianer zu Constantinopel 360, so gezeigt hätte, wie
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184
JOSTES
er ihm gegenüber persönlich es getan haben soll? Tlfilas
hätte dann jedenfalls auch das symbolum dieser synode unter-
zeichnet und sich damit angeeignet. Dieses aber wäre für
den zweck des Auxentius jedenfalls viel brauchbarer gewesen
als das 'testamentum', abgesehen davon, dass es die streng
arianische gesinnung seines lehrers schon 23 jähre früher be-
zeugt hätte. Vergessen geblieben ist dies und anderes offenbar
nicht, offene türen werden nicht eingerannt, sondern man fühlt
'an dem herzschlag des mannes*. dass es noch keineswegs so
allgemein anerkannt war was er behauptet, er will die leser
oder hörer noch erst davon überzeugen! Auch Kaufmann sieht
in dem Schriftstück ja eine zu einem praktischen zwecke ver-
fugte parteischrift, und solcher bedurften die Arianer 383 sehr.
Der verlauf des concils hatte ihre politische bedeutung so gut
wie vernichtet; sie schickten nach allen Seiten briefe an ihre
anhänger, um diese darüber zu trösten, dass so viele zu den
Nicänern übergetreten seien, ') als sich die staatssonne für sie
verfinsterte. Bei dieser läge der dinge dürfte es sehr begreif-
lich sein, dass man einen allgemein hochgeachteten mann
— und dass Ulfilas das war, scheint mir noch deutlich genug
aus den Worten der orthodoxen kirchenhistoriker herauszu-
klingen — der nach dem 'testamentum' nun doch nicht mehr
als Parteigänger der orthodoxen durchgehen konnte, der partei
der allein übrig gebliebenen Anomöer zu vindicieren suchte,
zu der er, wie allein schon die spätere Stellung der Goten
zeigt, sicher nicht gehörte. Bei Basilius hätte Auxentius mit
dem gleichen verfahren mindestens keine grösseren Schwierig-
keiten gehabt und mit leichtigkeit bessere beweise für seine
behauptungen beibringen können als bei Ulfilas.
Man braucht bei alledem an 'fälschung' (mit deren an-
nähme man hier, freilich nicht bei Auxentius, sonst nicht
sparsam gewesen ist. trotzdem sich kein grund dafür finden
Hess) gar nicht einmal zu denken; auch in jüngerer zeit lassen
sich bei subjectiv ehrlichen Schreibern, die aufregende kämpfe
mitmachten, wol ähnliche fälle nachweisen, l'lfilas gehörte
eben einer ganz anderen generation an als Auxentius: wenn
auch Philostorgios uurecht damit hätte, dass er ihn durch
») SokratesS, 10.
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DAS TODES.TAHK DES ULKILAS f. S.W.
185
Eusebios von Nikomedien weihen lässt, so können wir doch
wol annehmen, dass er diesem in seinen ansichten nicht allzu
fern stand, dass er jener mittelpartei angehörte, die da mit
recht oder unrecht annahm, dass man sich viel zu viel um
worte streite. Von den ganz durch die Philosophie des Euno-
mios beherschten Arianen der achtziger jähre war diese
partei mindestens so weit entfernt wie von den Athanasianern.
Ulfilas kam dann in ein amt, das ihm ein gerütteltes und
geschütteltes mass von arbeit und mühsal einbrachte. Männer
in solchen Stellungen werden keine doctrinäre, und wenn sie
es waren, hören sie bald auf es zu sein. Nichts hören wir
davon, dass Tlfilas sich während seiner vierzigjährigen amts-
dauer öffentlich an den Streitigkeiten jener zeit beteiligt
hätte; nur von einer synode wissen wir sicher, dass er daran
teil genommen hat, aber ihren abschluss hat er nicht erlebt.
Als er damals am ende seines lebens in Oonstantinopel an-
kam, mag er sich als zeuge einer längst entschwundenen zeit
vorgekommen sein — er war es wirklich — : denn wenn auch
vielleicht im lebensalter, in der amtsdauer war ihm kaum
einer voraus. Die mittelpartei alten Schlages war verschwun-
den; als ihre Stellvertreter konnten etwa die Macedonianer
allenfalls gelten; sonst gab es nur noch versprengte, die nicht
entweder zu den Homousianern oder zu den Anomöern ge-
hörten, denn die Xovatianer unterschieden sich in ihren lehr-
meinungen nicht von den ersteren. Vm worte stritt man
nicht mehr: was nicht bestimmt und klar für die eine oder
andere partei sich entschied, das verstand man nicht mehr.
Historisch dachte und urteilte die junge generation nicht.
Man sieht das deutlich bei Maximin, der den kirchenhistoriker
Eusebios zum Parteigenossen des Palladius macht, man sieht
es auch bei Auxentius, der dem Hfilas den glauben an die
creatürlichkeit des sohnes zuschreibt ! Wenn nur etwas nicht
zur Orthodoxie jener zeit stimmendes vorlag, dann war man
bald damit fertig, den Urheber einer zur zeit bestehenden
partei zuzuschreiben.
Tebrigens brauchen wir den Auxentius wahrhaftig auch
nicht allzu sanft zu behandeln: eine offenbare Unrichtigkeit
berichtet er zweifellos, und die einzige schriftliche quelle die
er anführt, behandelt er durchweg mindestens sehr gewaltsam.
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186
J08TES
Er ist ein ausgesprochener tendenzschriftsteller, zu dessen
gnnsten wir nicht notwendig haben, von den urteilen der
übrigen Zeitgenossen abzusehen, bei denen eine tendenz nicht
sichtbar ist.
Streng genommen sagt er auch gar nicht, dass Ulfilas
von anfaiig an dem arianismus angehört habe; wenn man an
und für sich einen ausdruck auch dahin deuten könnte, so
macht es der ganze bombastische schwulst seiner spräche
doch unmöglich, seine worte auf die goldwage zu legen.
Belegen kann er die unorthodoxie nur von dem ende
seines lebens mit dem 'testamentum', und am wenigsten
dürfte man genötigt sein, aus des Auxentius' worten zu fol-
gern, dass Ulfilas niemals mit den Xicänern in kirchen-
gemeinschaft gestanden habe.') Das glaubensbekenntnis
') Man hat freilich auch in der bibelübersetzung ein Zeugnis für den
arianismus des Ulfilas sehen wollen: ich glaube, mit unrecht. Man wirft
ihm damit doch vor, dass er absichtlich falsch übersetzt habe, und einen
solchen Vorwurf soll man ohne not überhaupt nicht erheben. Wollte er
fälschen zu gnnsten seiner partei, dann hätte er grade die stelle nehmen
müssen, welche die Homousianer am meisten betonten: Joh. 10.30 iyat xai
» natifQ ¥v ta,ufr: aber da übersetzt er ganz wörtlich: ik iah atta meitus
uin* xijtt. Dieser fall sollte «loch von vornherein daran zweifeln lassen,
dass er bei Pliilipper 2. «'» (iou Öftji = guleiko gußu) anders verfahren sei.
l'm aber herauszubringen, dass 'gleich' im gotischen nicht dasselbe be-
deutet habe wie jetzt, construiert man willkürlich einen unterschied
zwischen den Zusammensetzungen mit ga- und sama-. Schon (irimm ist
darüber stillschweigend hinweggegangen, indem er Gr. 2. 740 sa^t: 'man
halte epun-alt zu ki-alti », rpun-Uh zu ka-Uh, epun-hlozo zu ki-Mozo, xin-hii an
(coninges) zu gi-hdeihi für guuwto setzt Otfrid (5,0.18) xuinati-xindo'.
Auch gotisch ist der unterschied nicht vorhanden, wenigstens ans dem
sprach^ebrauche des l'lfilas nicht festzustellen. Pas wort i'oo$ kommt über-
haupt nur selten im N.T. vor (viermal als adjectiv. einmal iaovuy/f/.ot
und zweimal Ajo'rr/c). Davon fehlen indes im gotischen mehrere fälle. In
den erhalteneu ist das adjectiv nicht zweimal gleich übersetzt:
Luc. 0, 34 tu i'ou = xantalauil] Luc. 20, 3»'» ioovnyyf/.ot ~ ihn uns
uggdum und Phi). 2,0 toa &ttp = galeiko gujju. Noch mehr: Phil. 3, 32
gibt ibnaskauii* ov/unfoyo^. dagegen Kömer l.V,0 gawüjis bno&vf*aö6v
wider. Lucas 0. 20 übersetzt sumuleikn sogar xatlc tu uvxat während
es sonst auch mehrfach bfiotwQ widergibt, l'nd wenn guleiks nur ähn-
lich' hiesse, dann könnte mixsaltiki auch nur di**hnili* und nicht rariux
bedeuten. An den drei stellen wo es vorkommt (Marc. 1.34. Luc. 4, 40.
2. Tim. 3, fi) entspricht es aber stets dem griechischen nmxiko*. Für die
bedeutuug von mma- ist besonders die stelle Phil. 2, 2 interessant; at'/u-
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DAS TODESJAHR DES ULFILAS T.S.W
187
des rifilas konnte zur zeit seines amtsantrittes ganz wol als
orthodox gelten; wegen seiner logoslehre brauchte er aus der
orthodoxen kirchengemeinschaft nicht auszuscheiden, und über
das wesen des hl. freistes wurde derzeit noch nicht gestritten.
Aber während seiner vierzigjährigen amtstätigkeit hatte sich
vieles geändert, und 383 konnte das 'testamentum' schlechter-
dings nicht mehr als orthodox angesehen werden, und wenn
sich die gotische geistlichkeit auch auf den Standpunkt des-
selben stellte, dann wurde eine trennung von der katholischen
kirche unbedingt notwendig. Ich glaube, dass wir diese f ac-
tische trennung unmittelbar nach dem tode des rifilas anzu-
setzen haben; erscheint meine annähme zu kühn, nun, ich bin
zufrieden, wenn die Untersuchung von jemand wider auf-
genommen wird, der mit den Verhältnissen jener zeit vertrauter
ist als ich es bin und meine Vorgänger es waren.
tyvxoi, ro ¥v (pQOvovvzeq — Hain amiualat , HamafraPjai. Wahrlich,
Massmann hat seine durchaus richtige ansieht Castiglione viel zu leicht
preisgegeben — Dass der Hebräerbrief fehlt, beweist nichts; einmal braucht
er in der Übersetzung nicht gefehlt zu haben, wenn er auch in der einen
oder anderen handschrift fehlt, und dann bringt unsere handschrift auch
nur die paulin ischen briefe, und zu diesen rechneten anch die ortho-
thodoxen den Hebräerbrief nicht allgemein. Noch zur zeit des Hieronymus
gab es hier meinungsverschiedeuheiten ; er selbst denkt ausser an Paulus
auch an Lukas als autor.
FREIBURG, Schweiz.
FRANZ JOSTEN.
ZUR GOTISCHEN ETYMOLOGIE.
1. Aha. In meinem Etym. wb. habe ich zweifelnd die
alte erklärung dieses Wortes (zu ahd. uobo, uoban O.8.W.) an-
genommen, weil ich eben nicht im stände war etwas neues
und besseres zu geben. Es soll aber eine andere möglichkeit
in betracht gezogen werden, nämlich dass aba ursprünglich
ein onomatopoeticum mit einer allgemeineren bedeutung als
'ehemann' gewesen sein könnte. Das vorgerm. *apä 'vater,
lieber' u.s.w. wäre dann in die analogie der n- Stämme ge-
raten, wie es mit dem nach der laut Verschiebung neu gebil-
deten atta (s. mein Etym. wb. s. v.) tatsächlich der fall ist. Apd
wäre ein ähnliches lall wort wie gr. xdjtjta, jtajtxos, türk. bal>a.
maori papa u. dgl. Oder dürfen wir an eine koseform zu *p9t4r-
denken (vgl. Fick 1 <. 470)? Hezzenberger (BH. 21. 290 anm.2)
fragt jetzt , ob aba aus *o?vm- entstanden und mit lit. itszvis
•Schwiegervater'. «W 'Schwiegermutter' verwant sei. Weil
diese Vermutung auf einer unrichtigen Voraussetzung beruht,
dürfen wir sie mit bestinimtheit ablehnen: aus *ohun- hätte
im germ. nur *a(y)iccn-, niemals aber *at>en- werden können.
2. Jirnjts. Das unerklärte brftfti- kann ursprünglich ein
verbalabstractum gewesen sein und etwa •Versprechung, Ver-
lobung* bedeutet haben. Dass solche abstracta oft auf per-
sonell übertragen wurden, ist eine bekannte tatsache. vgl.
z. b. aind. tirati- •feindseligkeit ' und 'feind', russ. nänovl
•schwäche, krankheit" und 'schwacher, kranker". Besonders
lehrreich in dieser hinsieht ist Wolter, Kazyskanija po voprosu
o grammaticeskom rode. St. Petersburg 1 882. Es liegt darum
nahe in braßt-, das auf *mrnii- zurückgehen kann, eine abstract-
bildung zu aind. brdnmi, avest. mraomi zu vermuten. Indog.
*mrüti- wäre eigentlich Sias sprechen', woraus sich die bedeu-
tungen •Verabredung, Versprechung, Verlobung' entwickelt hätten.
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ZUR O OTISCHEN ETYMOLOGIE.
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8. Fagrs. Neben fayra und *flkfjan (indog. *>%-) steht
bekanntlich eine wurzelvarietät mit indog. media im anstaut
Dazu gehören ausser lat. pango, gr. xrtfi'vftt und aind. pajrd-
noch einige slavische Wörter welche bis jetzt als isoliert be-
trachtet werden, nämlich russ. slow paz 'fuge', slow paz, wend.
pazen 'bretterwand* u. s. w. (s. Miklosich 234), deren bedeu-
tungen sicli nahe mit denen von hd. fach (s. Kluge 5 95) be-
rühren.
4. Galya. Auffällig anklingend an got. galya (urverwant
mit lit. zalya, armen. dzaXk 'stange') ist ein lesghisches wort
für 'bäum', nämlich Varkun kalka, Akusa galyi, chürkilinisch
galya (von Erckert, Die sprachen des kaukasischen Stammes 44).
Loewe (IF.3, 146 f.) hat zwei gotische lehnwörter im ossetischen
nachgewiesen {yau, qau 'dorf aus yawi und mid 'met, honig'
aus *midus), was uns auf den gedanken bringt, ob auch dieses
kalka, yalgi, yalya nicht etwa ein lehnwort aus dem gotischen
sein könnte. Man hätte wol ossetische vermittelung anzu-
nehmen. Ein anderes gotisches wort im Kaukasus wäre viel-
leicht kabardinisch jrrade 'garten' (von Erckert a.a.O. 70),
tschetschenisch kart, kerth 'zäun, cinfassung' (von Erckert
a. a. o. 155), vgl. got. yards, yarda.
5. (iunds. Ausser gr. xai&vX?}, das Holthausen (KZ.
28.282) herangezogen hat, sind vielleicht noch russ. zud 'das
jucken', zudetl 'jucken' hierher zu stellen, welche auf *zadü,
*zade'ti zurückgehen können. Der grundbegriff wäre etwa
'hautentzündung'.
0. Hana : hön. Es kann kaum bezweifelt werden, dass
as. hön, ahd. huon eine vrddhi - ableitung von hana ist. Dass
nicht nur das arische (wie von Bradke, ZDMG. 40, 301 ff.) an-
nimmt), sondern auch schon die indog. Ursprache secundäre
ableitungen mit vrddhi bildete, meist mit adjectivischer oder
collectiver bedeutung, darf für sicher gelten (s. Kechtel, Haupt-
probleme 175 f. Streitberg, IF. 3, 379 ff.), und es gibt gute gründe
anzunehmen, dass hana schon ursprachlich eine wilde hühner-
art bezeichnet hat (s. Schräder. Sprachvergleichung und Ur-
geschichte2 300, vgl. Hehn* 328. 580). Ein schlagendes beispiel
von secundärer vrddhi ist aksl. slava 'rühm' : sloco 'wort'.
Slovo ist bekanntlich ein «-stamm (gen. slovtse) und identisch
mit aind. crdvas, avest. sravah-, gr. xXioc, weshalb ich slava
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tJHLENBHCE
auf indog. *klo~uös zurückführe, das eine collect ive ableitung
von indog. *kleuos war (zum teil anders Meillet, Mem. de la
soc. de ling. 9, 146). Im auslaut musste das s im slavischen
verloren gehen, wodurch der tibertritt von slara in die «-klasse
veranlasst wurde. Aehnlich ist der ursprüngliche r- stamm
roda 4 wasser', nachdem das auslautende r von indog. *uadör
(vgl. gr. Ua>Q) geschwunden war, in die ä-klasse übergegangen.
Ausser slara möchte ich auch slav. *labadt (poln. labedz, kasub.
labqdz u.s.w.) : hbedr 'schwan' als eine secundäre vrddhi-ab-
leitung auffassen, zumal weil das gegenseitige Verhältnis dieser
beiden Wörter lebhaft an dasjenige von huhn zu hahn erinnert:
nur ist zwischen *labadl und lebedl (urverwant mit ahd. clbiz,
ags. ielfetu, an. elptr, olpt, gegen Miklosich 162) kein bedeu-
tungsunterschied nachzuweisen. Vgl. noch fälle wie slav.
bagno 'sumpf : ahd. bah, ahd. brtwh : aind. giri-bhrdj-, ahd.
muor : meri, ahd. luoy : aksl. -logü, an. not : net, mhd. buost :
bast, ahd. nodal : adal, mhd. gruose : gras u. a., welche zum
teile schon von andern hervorgehoben sind. Besonders sei
noch got. wöhrs 'wucher', ahd. wuohhar 'ertrag, gewinn, nach-
kommenschaft' genannt, das sich durch seine bedeutungen als
ein collectivum zu erkennen gibt. Am nächsten steht apers.
vatrka-, npers. bueurg 'gross', vgl. ferner aind. rdjra-, avest.
razra- 'keule, donnerkeil' : die Wörter gehören mit hd. waclien,
wachsen, wacker (s. Kluge5) zu einer und derselben wurzel.
Beiläufig weise ich noch hin auf die analoge bedeutungsent-
wicklung von pehlevT vax$ (~ avest. raxsa- : uxfyeiti, aind.
ükshati, gr. at£co, got. wahsjan), das nicht nur 'anwachs, zu-
nähme, Sonnenaufgang', sondern auch ganz wie hd. wucher
•anwachs des capitals, Zinsen' bedeutet. Ich schliesse diese
erörterung über indog. vrddhi mit einem erklärungsversuche
von ahd. muos, as. mos, ags. mos 'gekochte speise, speise'.
Dieses wort kann nämlich auf indog. *mätso- zu aind. mdisya-,
avest. masya- 'fisch' beruhen, welches nach alter annähme
zur sanskritwurzel mad 'sättigen' gehört und einmal die all-
gemeine bedeutung 'speise' gehabt haben wird. Dass ein
wort für 'speise' die specialisierte bedeutung 'fisch' annehmen
konnte, beweisen gr. lx&vc, lit. £ur)s und armen, dzukn, deren
aind. verwanter kshü- nach der tradition ein synon)Tn von
Unna- ist.
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ZUR GOTISCHEN ETYMOLOGIE.
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7. Hau i. Jetzt stelle icli tatet, an. hey, ags. hkg, ahd.
kern, hon zu niss. kovylr 'federartiges pfriemengras in den
steppen1, wobei eventueller Zusammenhang mit an. hoggra, ags.
hcatvan, ahd. houivan, lit. kdttti, aksl. kovati natürlich nicht
ausgeschlossen ist. Trifft meine Vermutung das richtige, so
muss lit. szekas, aind. gäka- ferne bleiben. Gr. xoln, noa
darf auf keinen fall herangezogen werden, denn durch lit.
p'eva 'wiese' ist das anlautende n als indog. p gesichert (s.
Kretschmer, Einleitung in die geschiente der griech. spräche
s. 168).
8. Lamb. Mikkola (BB. 21, 219 f.) vergleicht lett, löps
'hausvieh', das auf *lampas zurückgeht. Von urverwantschaft
kann freilich keine rede sein, denn lamb war ursprünglich ein
neutraler s- stamm und also wurzelbetont. Aus vorgerm.
*lotnpes- konnte aber nicht germ. *lambis- hervorgehen, wes-
halb wir vielmehr *lömbhes- als grundform ansetzen müssen.
Dass lamb ursprünglich ein oxytoniertes collectivum gewesen
sei, wie Mikkola annimmt, lässt sich durch nichts wahrschein-
lich machen, denn in allen germ. sprachen wird, so viel ich
sehe, nur das einzelne tier damit bezeichnet, Ist lett. löps
wirklich mit lamb identisch, so wird es wie finn. lammas,
lapp. labbas aus dem germ. entlehnt sein (von collectiver be-
deutung ist auch im finnisch-lappischen keine spur, s. Thomsen,
Den got. spr. indflydelse 128).
9. Stikls. Schon früher habe ich für stikls slavischen
Ursprung vermutet, Jetzt stelle ich aksl. sttklo 'glas' (die
materie) zu einer wurzel *stek- 'fest sein, starr sein, spröde
sein', wobei das r als Schwächung von e zu betrachten ist: vgl.
lett, stakans 'trinkglas', stakle, staklis 'gabel, zacke, zinne, ge-
rüste' iL s.w., avest. stayra- 'steif, fest', vielleicht auch apr.
•stachln, ahd. stahal 'stahl'. Zubaty (Sitzungsberichte der kgl.
böhm. ges. 16 [1895], 18) hat neuerdings diese sippe besprochen
und sie in einen weiteren Zusammenhang einzureihen versucht.
Russ. stakän 'trinkglas' dürfte nach ihm baltischen Ursprungs
sein: ist aber stiklo echt slavisch (\it. stiklas ist daraus entlehnt),
so liegt es nahe auch russ. stakdn für einheimisch zu halten.
10. Pragjan. Gegen die oft angenommene verwantschaft
von pragjan mit gr. rp^tw, fut. ftotgouai spricht ein wort für
'töpferscheibe', nämlich gr. rpo^o<?, armen, durgn, welches kaum
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UIILKXBECK
von T()ixa> getrennt werden darf. Dtirgn weist auf eine wurzel
mit dh und gh (s. Hübschmann, Armen. Studien 28), weshalb wir
TQix<n auf *dhreghö, nicht aber auf *threkhö zurückführen
müssen. Auch was den vocalismus betrifft, ist es nicht un-
bedenklich, pragjan mit rot/co zu verbinden, denn die zu
ersterem gehörigen keltischen Wörter scheinen auf eine ff-wurzel
hinzuweisen (s. Whitley Stokes, Urkelt. Sprachschatz 13G, der
daneben ein kelt. treg-, trog- Wertere' annimmt).
11. Wamba. Pedersen (BB.20,238) wird mit seiner glei-
chung wamba : aind. gahhä- ' Vulva' doch das richtige getroffen
haben; dann aber müssen cymr. gumbe-, bret. gwamm wol aus
dem germ. entlehnt sein. Wamba und gabhd- gehören zur
wurzel *ghembh- 1 klaffen ' (in meinem Et. wb. s. v. wamba ist
natürlich zu lesen: 'aus velarem gh1), welche noch folgenden
Wörtern zu gründe liegt: aind. gabhird-, gambhird 'tief, gdm-
bhan- 'tiefe, grund', gambhdra- 'tiefe', poln. geba, czech. huba
'maul', russ. giiba 'lippe', slov.gdbec 'maul' (anders Fick l4, 33).
12. Wandus. Got. wandus, an. rgndr 'rute' wird meist
zu windan gestellt, wofür allerdings die bedeutungen der lehn-
worter finn. ranne 'vimen vel circulus ligneus, quo vasa eou-
stringuntur' und läpp, rttodda 'ligamen calceamenti' (die ent-
lehnung des letzteren ist freilich nicht sicher, s. Thomsen
a. a. o. 158) zu sprechen scheinen. Nun ist aber wind- wahr-
scheinlich aus *wmd- entstanden und aus der wurzel *uex- in
aind. rdtjati, lat. viere, lit. ryti, aksl. viti weitergebildet (wozu
vermutlich noch waddjus und wein: s. über letzteres Schräder
a. a. o. 408 f. Jensen, ZDMG. 48, 464 f.), welchenfalls der ablaut
wind-, wand-, wund- nicht ursprünglich sein kann. Wandus
hat aber einen durchaus altertümlichen Charakter, denn die
M-klasse ist auf germ. boden keine produktive kategorie ge-
wesen. Es dürfte also kaum zulässig sein, wandus als eine
ableitung von windan zu betrachten, und wir müssen uns nach
einer besseren erklärung umsehen. Eine solche bietet sich aber
ungesucht dar, denn wandus kann als 'dasjenige, womit man
schlägt' zu aind. vadh- 'schlagen' gehören (indog. *uendh-,
*twndh-, *undh-). Sind vielleicht auch wunds, wundufni hier-
her zustellen, deren verwantschaft mit lit. votis u.s. w. jeden-
falls nicht für sicher gelten darf? •Wund' wäre also eigent-
lich 'geschlagen, zerschlagen'.
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MXSt'ELLBir
19a
13. Wnpjan. Got. wöpjan, an. dpa, ahd. wuoffan d.s. w.
habe ich in meinem Et. wb. nicht erklären können. Jetzt
identificiere ich es mit slav. räbiH 'heranlocken, herbeirufen'.
In lit. vajwti 'schwatzen, plappern' könnte vielleicht eine
wurzelvarietät mit tenuis im auslaut vorliegen (vgl. noch
aksl. rupiti 'schreien'); eher ist es aber eine ähnliche ono-
matopoetische Schöpfung.
14. Zum Schlüsse berichtige ich zwei störende fehler in
meinem Et. wb. der got. spräche: s. v. hneiwan lies germ.
Vmeigtr- (statt *yneiyw-\ s. v. sihtbr lies 2iußQoc (statt 27/1-
ßQog). Unter Ufa hätte noch kurd. lapk 'pfote1 (Justi bei
Kretschmer a.a.O. 102), unter skaban noch pers. siknftan 'spal-
ten' (Xöldeke, s. Horn, Neupers. etym. 175, vgl. Hübschmanu.
Pers. Studien 80) erwähnt werden sollen. Auch ist s. v. stiur
J. Schmidts meinung (Die Urheimat der Indogermanen 7) nicht
genau widergegeben: nur ein teil der indog. stiernamen (xüvqoq
u.s.w.) könnte nach ihm aus dem semitischen stammen.
AMSTERDAM, mai 1896. C. C. UHLENBECK.
MISCELLEN.
1. Zur lehre von den geminaten.
Die urgerm. geminaten hh, ff, ß]> und gg, bb, dd sind nicht
auf lautgesetzlichem wege zu stände gekommen, sondern con-
taminationsproducte von kk, pp, tt mit h, f p und g, bt d (s.
Kluge, Beitr. 9, 176 f.). Das einschlägige material aus den
agerm. sprachen hat Kluge (a. a. o. s. 157 — 162) zusammen-
gestellt und zum teile erklärt, es bleibt aber noch vieles
etymologisch dunkel. Einige der hierher gehörigen fälle auf
ihren Ursprung zu prüfen, habe ich mir im folgenden zur
aufgäbe gestellt.
I. Wörter mit hh, ff, ]tp.
Ags. teohhian, mhd. zechen 'anordnen' neben ags. teon, ahd.
gizehön können, wie Kluge (Et. wb.5 414) annimmt, mit got.
Beitr&ge sur «eiehiobu der deuticheu ipnche. XXII. 13
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l'HLKNBKCK
tetva 'Ordnung', (jafewjan 'verordnen', ags. getane 'rüstung',
tdwian 'bereiten' auf eine wurzel *d?q- hinweisen, deren exi-
stenz aber durch keine andere spräche gestützt wird: gr.
ötlxvov ist jedenfalls ferne zu halten, denn es beruht auf
einer wurzel mit auslautendem p (s. Prellwitz s. 70). Darum
ziehe ich es vor, tcwa und seine nächsten verwanten mit
taujan zu verbinden und teohhian — zecJien auf die indog.
wurzel *deh zurückzuführen, von welcher in mehreren sprachen
ableitungen vorliegen: s. Fick4s. 66 und Prellwitz s. 70. Hier
seien nur diejenigen erwähnt, deren bedeutung am nächsten
mit der von gerat. teyj-, übereinstimmt. An erster stelle
muss lat. decus genannt werden, dem aind. dacas- in dacasydti
'leistet dienste, verehrt, ist gefällig' vollkommen entspricht.
Auch aind. dueü 'zustand, läge' erklärt sich aus dem begriffe
der 'ordnung' und dasselbe gilt vielleicht von dem gleich-
lautenden worte, das 'die am ende eines gewebes hervor-
ragenden zettelfäden, fransen, Verbrämung eines gewandes'
u. dgl. bedeutet: man wird es dann freilich von got, tagt
trennen müssen. Die dehnstufe der wurzel liegt vor iu aind.
drirati 'beweist ehre, bringt verehrend dar, gewährt, verleiht',
dessen ältere bedeutung wol 'ordnet an' gewesen ist.1)
[') Mir sind beide etyniologien, die alte wie die neue, verdächtig, weil
wie ich glaube zeche und sippe mit not wendigkeit auf eine /-wurzel zurück-
geführt werden müssen. Das deutsche zeche bietet mit seinein e natürlich
keinen beweis für eine e- wurzel. Dagegen sind die spätws. formen tcohh,
teohhian etc. nur die gewöhnlichen spätformen für älteres liohh etc., das
durch h - brechung aus *tihh entstanden ist. Dies folgt direct aus der angl.
forin ^etihhode im leben des hl. Ohad. Anglia 10, 143, 86, deren i innerhalb
des angl. eben nur auf vorags. t zurückgehen kann. Man könnte nun
freilich dies i durch annähme eines i'-umlaiits (*tihhj~ ans *tehhj-) erklären
wollen. Dem widersprechen aber die altws. formen. Von den altws. texten
hält nämlich die t ura pastoralis auch noch den später im südengl. schwin-
denden unterschied zwischen io und eo (vgl. Beitr. 18.411 ff.) so ziemlich fest.
Das wort erscheint aber, s. Cosijn 1, 40 f., in C 2 mal mit io, 1 mal mit eo,
in H aber 13 mal mit io, 3 mal mit eo. Das io aber schliesst die annähme
eines /-umlauts aus, da in diesem falle *tiehh-, *tihh- zu erwarten wäre.
Ebensowenig fordern die kent. formen tihhap, tihodon, ^eiihhod, die im
Boethius begegnen, die annähme eines solchen umlauts. da ja auch sonst
altes io (nicht eo) später mit y, i wechselt (am nächsten liegt hier spätws.
Hiyr neben meox aus mio.e mist). Freilich hat derselbe Boethius auch die
formen tehhafi, jetehhod: aber die brauchen bei einem so mit kenticismen
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MI8CKM.KN.
195
Ags. nuhhunj Rabies' und mhd. ivüchzen 'brüllen' scheinen
mit got, auhjfm (aühjün?) 'lärmen' verwant zu sein, womit man
lett. auka * Sturmwind', serb. üka 'geschrei' und andere Wörter
vergleicht. Der onomatopoetische Charakter von wuhltung u.s.w.
macht es unmöglich, mit Sicherheit verwante ausserhalb des
germ. nachzuweisen. Gewis erst im germ. gebildet sind ags.
cohhettan, nl. kuchen, hd. keuchen und ags. ceahhettan, mhd.
kochen, kachzen. Dagegen geht die sippe von ags. pohha (s.
Franck s. 745 s. v. pok) in ein höheres altert um zurück, denn
lat. bucra, büvina, gr. ßvxdvrj u.s.w. setzen eine indog. wurzel
*buk- 'aufblasen' voraus.
lieber ags. seohhe, geneahhe, *sihhian (engl, siyh), ahd. seh,
scahho, zuhha s. Kluges aufsatz und über das rätselhafte ags.
reohha, rohhu s. Franck s. 803 s. v. roy. Zur erklärung dieser
Wörter weiss ich nichts neues zu sagen.
Ags. woffian 'delirare, lärmen' stellt sich zu aksL vüpiti
'schreien', rüpll 'schrei', rypü 'larus' welche natürlich von
got. tcöpjan zu trennen sind (s. über wöpjan oben s. 193).
Ags. lyffettan 'schmeicheln' ist ein schwieriges wort: das
ff weist auf einen alten Wechsel pp : /' aus indog. im : p, wes-
halb man nicht an verwantschaft mit got. Hufs, lat. labet, aind.
lubh- u. s. w. denken darf (ebensowenig ist got. lubja-, air. luib
heranzuziehen).
Nicht viel besser steht es mit ags. wlceffetere 'narr' (?) :
man könnte an die indog. wurzel *uelep- anknüpfen, vgl. lat
rolup, voluptäs, gr. iXxlq, iXjtwQ^, Unikat, tXxofiai (wozu auch
eiXaxlvTj 'festschmaus').
Ags. hoffins 'kreis' gehört offenbar zu hof, das nicht nur
'hof, gehöft', sondern auch 'kreis, bezirk' bedeutete (s. Kluge,
Et. wb.& s. 170 s. v. hof). Im anord. ist hof eigentlich 'tempel
mit dach', was auf die Vermutung bringt, dass germ. *hofa-
aus *hufa-, vorgerm. *küpo- zur wurzel *heup- 'wölben' ge-
hört, vgl. ahd. hovar 'buckel'. hubil 'hügel', lit. kuprä 'höcker',
kupstas 'hügel', lat. cüpa 'tonne, kufe', gr. xvjisXXov 'becher,
xvxTf TQa>yXri, xvjtqos 'ein getreidemass', aind. kupa- 'grübe,
durchsetzten texte natürlich nichts anderes zu bedeuten, als die keut. ent-
sprechungen von ws. tyhhap, geiyhhod. Der genn. befund weist also unsere
Wortsippe deutlich zur w. rlik. E. S.)
13*
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UHLKNBECK
höhle, brunnen' (vgl. noch die sippe von hd. kaufen, lit. kaiipas,
aksl. ktipü und mit / aus ph apers. fani/ä-, avest. Avio/«- 'berg' :
s. Prellwitz s. 169).
Mit ags. gaffeiung 'obscenity' ist nicht viel anzufangen
(vgl. unten). Teber ags. snoffa 'schnupfen' s. ausser Kluges
aufsatz noch sein Et. wb.5 332 und 334 (schnauben, schnüffeln,
schnupfen).
Von den spärlichen belegen von urgerm./»// lässt nur mengl.
läppe, ahd. latta, nl. lat eine befriedigende erklärung zu. Kluge
(Et. wb.*227) verbindet es mit hd. laden, mhd. fade, das ur-
sprünglich 'brett' bedeutete, und vergleicht ir. slat, bret. las
Tute, stange', welche mit cymr. lläth auf urkelt. *slattä hin-
weisen (s. Whitley Stokes, Urkelt. Sprachschatz 319). Indog.
findet sich noch in russ. htok 'flaches holzgefäss'. Da-
gegen sind czech. lat, slow, latra, serb. letra, poln. wend. lata
(Miklosich s. 161) und franz. latte, it. latta, span. lata (Diez5
s. 190) aus dem gerin. entlehnt.
Ob wir in ags. moppe (mohpe), mhd. motte, an. motte und
ags. oppe, "got. aippKiu (as. c/tfo, fries. ieftha) urgerm. pp an-
nehmen dürfen, ist ganz zweifelhaft (s. Sievers, Ags.gramm. 99).
Ahd. spottön, an. spotta, nl. spotten hat urgerm. ist aber
etymologisch dunkel: vgl. etwa aksl. $pyft 'vergebens \ spyt'mü
'vergeblich' (indog. *spüt-\ welche begrifflich vielleicht zu weit
ab liegen. Andere unklare fälle finden sich bei Kluge und
können hier unerwähnt bleiben: nur auf ein wort, das nach
Kluge pp haben soll, werde ich noch eingehen. Ich meine
ahd. ratio, ratta, dessen verschiedene formen bei Kluge (Et.
wb.5 295) und Franck s. 774 gesammelt sind. Man vermutet
fremden Ursprung: 'das tier selbst, dem altertum noch un-
bekannt, tritt erst nach der zeit der Völkerwanderung in
Huropa auf. Dennoch halte ich ratte für ein genn. wort, in-
dem ich annehme, dass ratio, ratta aus dem niederdeutschen
stammen: dafür sprechen oberd. ratz 'ratte', hess. thüring. ratz
'marder'. bair. schwäb. ratz auch 'raupe', welche hd. te aus
urgerm. tt zeigen. Das wort kann ursprünglich 'nager' be-
deutet haben und ein nomen agentis (*ratt-, *ratm- aus indog.
*radn-, *raden-) zu aind. rddati 'kratzt, ritzt, hackt, nagt',
lat. rodo *nage'. rädo 'schabe, kratze' gewesen sein. Bei dieser
auffassung gibt ahd. rato (rada) aus urgerm. *raden-, das neben
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MI8CELLEN.
107
ratto steht, einige Schwierigkeit: dürfen wir vielleicht eine
wurzelvarietät mit auslautendem dh oder t annehmen? Auf
indog. *ra(n)dh~ scheint aind. rdndhra- 'spalte, höhlung' hin-
zuweisen, das auch im Petersb. wb. mit rad- verbunden wird.
II. Wörter mit gg, hh, dd.
Ags. froc$a (neben frocra) 'frosch', vgl. an. fraukr und mit
Verlust eines gut t urallautes an. froskr, ags. forsc, ahd. frosc:
bisher unerklärt. In deutschen mundarten wird der frosch
'liüpfer' (höppcr, ln>ptzgcry s. Kluge, Et. wb.5 121) genannt
und ein indischer name des tieres ist placangaina- (plavaga-),
was auch für frucja und seine nebenformen eine ursprüngliche
bedeutung 'Springer' wahrscheinlich macht. Genn. ru kann
auf indog. r zurückgehen und es ist durchaus erlaubt *frukk-,
* frühen- aus älterem *prghn-, *pryhcn- zu erklären. Aber
dann liegt es nahe, die ganze sippe von frocra -frosch von der
wurzel *spergh-, *sprengh-, *prengk- abzuleiten, welche weit im
indog. verbreitet ist: vgl. gr. omo/agat 'eile', aind. sprhayati
•eifert, strebt': mit nasal ahd. ags. springan 'springen': ohne
das anlautende s aksl. pragu 'heuschrecke', russ. pryyatJ, pryg-
nuü 'springen' (mit // durch urslav. dehnung aus m vor nasal?).
Zieht man aber vor das ru in frocga u.s.w. wegen an. fraukr
auf indog. ru zurückzuführen, dann bietet sich jedenfalls russ.
l>rygati, prygnut) zur vergleichung dar. Die oben gegebene
erklärung dürfte jedoch in allen hinsichten empfehlenswerter
sein, denn dadurch wird der germ. froschname mit russ. pryg-
in eine allgemein -indog. Wortsippe eingereiht, Zum Schlüsse
bemerke ich, dass das k in an. fraukr aus kk (indog. ghn) ver-
einfacht ist und dass sein au durch übertritt in die «-reihe
erklärt werden kann.
As. roggo, ahd. rocko : aksl. rüzl, lit. rugys und an. ragya :
ahd. icaya : got. ya-iciyan sind etymologisch klar, und ags. clucze,
ahd. ylocka ist ein lehnwort aus dem keltischen (s. Kluge, Et.
wb.5 141 f.). Mhd. wache 'feldstein', mit ck aus gy, stelle ich
zu gr. ayvvftt (vgl. für die bedeutung lat. rüpes : rumpo). wo-
mit Kern (Tijdschr. v. ned. taal- eu letterk. 10, 114), nl. wuk \\n
an. cok f., schwed. vak m. "Öffnung im eise' verbunden hat.')
l) An. rok, gen. rakar ist nach Kern ---- gr. «; //. Dagegen führe ich
nl. icuk, plur. uakken, auf indog. "uaynit- ' gebrochen ' zurück. Derartige
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108
UHLENBECK
Andere Wörter mit urgerm. gg, wie ags. docga, flocgian,
hocgian weiss ich nicht zu erklären.
Auch die zahlreichen fälle, in welchen man urgerm. Ib
annimmt, sind zum teile dunkel. Ags. ebba 'ebbe' wird wol
mit recht zu ahd. ippihhän 'revolvere' und got. ibuhs 'sich
rückwärts bewegend' gestellt, und mengl. sobbin, engl, sob ge-
hört mit hd. seufzen zusammen (vgl. Kluge, Kt. wb.s 347).
Tnter den klarsten fällen gehört noch ags. nL drabbe Miefe;
das ich schon Beitr. 16, 563 mit hd. treber zu lit. dreht u 'werfe
breiiges' gestellt habe. Ueber Jcrabbc, knappe, rappe, kippen,
quappe, hnüppel, hrüppel vgl. Kluge, Et, wb.
Ahd. häppa 'hippe, sicher lässt sich am besten als 'ge-
bogene' auffassen und mit der indog. wurzel *käp-, *kamp-
1 biegen, krümmen' verbinden: eine ablautsstufe *kep- findet
sich auch in aind. capa- 'bogen'. In diesem falle beruht hd. pp,
urgerm. bb auf contamination von pp aus pn und b aus vor-
tonigem p. Vgl. aber Kluge, Et wb.5 168 s.v. hippe.
Ags. gabbian, an. gabba 'deridere', ags. gahbung, an. gabb
'derisio' sind wegen ags. gaffet ung 'obscenity' auf eine wiirzel
mit auslautendem/) zurückzuführen: ausserhalb des germ. kann
ich aber keine anknüpfung finden. Ags. lobbe, scrub, ahd. trappa
und andere Wörter bleiben leider unerklärt.
Seltener sind Wörter mit urgerm. dd, wie ags. ßoddettan
'pulsare' (das wegen seines dd, contaminiert aus tt und (T, auf
eine wurzel mit auslautendem dh oder t zurückgehen muss,
also zu aind. tuddti, lat. tundo u.s. w. nicht recht passt). brod-
dkm 'luxuriare' (neben brottettan, vgl. etwa die sippe von nl.
brodden, Franck s. 147), codd 'sack' (an. kodde 'pillow'), sceadd
'maifisch', an. todde = ahd. zotto 'zotte', ahd. chratto 'korb'
(s. Franck s. 510). Keine Schwierigkeit bietet ags. rudduc *rot-
kelchen' : got. mups.
Ags. budda 'käfer' würde sich, wenn der vocalismus es
-no - partieipia mit assimiliertem n sind z. b. hd. strack aus *str.njnö-
(*strognö-?) zu derselben wurzel wie hd. stark und got. ga-staitrkiian: nl.
slak 'schneeke' aus * slakko, indog. * shgna zu gr. kayttoog\ hd.
bock = air. bocc aus *bhugn6- zu gr. fproyo», aind. bhuj- u.s.w.; ahd.
Zoe 'locke' zu gr. Avyt%w u.s.w.; hd. dick zu gedeihen; hd. speck zum
wurzelnomen aind. ttphij- 'hüfte'; mnd. soppe ' fleisebbrühe ' zu süpaii.
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MI8CELLEN.
100
gestattete, gilt aus lat. fodio 'ich grabe', aksl. boda i ich stosse',
lit. Itadan 'ich steche, stosse' als 'gräber' oder 'nager erklären
lassen (vgl. Kluge, Et. wb.5 180 s.v. käftr). Nun hat Sievers
(Beitr. 16. 234 ff.) einige fälle nachgewiesen, wo germ. u ohne
die nähe von liquida oder nasal sich aus einem unbestimmten
vocale entwickelt hat: ist auch das « von Imdda so zu be-
urteilen?
Ein schwieriges wort ist noch an. padda, nl. päd, paddik,
engl, paddock 'kröte'. Urgerm. *padd- weist auf einen alten
Wechsel *patt; *paden- und wir dürfen also annehmen, dass
wir es mit einem alten n- stamm zu tun haben, der vor der
laut Verschiebung *badhn-, *badhcn- oder *batn-, *baten- lautete.
Vielleicht ist gr. ßdcrga/oc, ßoxQaxog (daraus mit Umsetzung
des (> auch ßQotnyoq), ßd&Qaxog 'froseh' verwant, das aus
einem / -stamm (wegen ßd&Qaxog wol eher *badher-, *badhf-
als V,atn-, *batr-) erweitert zu sein scheint. Andere halten
das ß in ßictgaxog u.s.w. für indog. y und vergleichen ahd.
ehre'ta, chrota, indem sie ßgora/pg als eine ursprüngliche form
betrachten: mir scheint die obige erklärung den Vorzug zu
verdienen.
2. Etymologien.
Ags.horh, gen. horwes, ahd. as. horo 'kot, schmutz' wird
bei Prellwitz s. 150 zu gr. xoQtco 'fege, reinige', xoqos 'besen'
gestellt. Falls dies richtig ist, dann muss das h : ir aus indog. q
suffixal sein. Ich führe germ. *xu*lLmt- auf indog. *krqo- zu-
rück und vergleiche noch russ. sor 1 schmutz, kehricht', sorill
'beschmutzen'.
Nl. smuykn 'subridere' (Kilian), mhd. smielen 'lächeln' ist
offenbar verwant mit russ. u-chmyljutt-sja, das ebenfalls 'lächeln'
bedeutet.
Nl. varken, mnd. ferken ist zunächst mit aksl. prazu 'männ-
liches tier, bock', russ. poroz 'männliches schwein, stier' ver-
gleichbar: iiidog. *])or(j- ist eine Varietät von *pork- in ags.
fearh, ahd. farah, air. orc, lat. porcus, gr. jroQxog, aksl. prasq,
lit. pärszas.
Nl. zimk 'wolkenhimmel', aind. svargd- iiimmel' (s. Franck
s. 1233) hat auch im sla vischen einen verwanten, nämlich den
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2U0
UBLENB g K, MlßCELLEN.
iminen des alten himmelsgottes Srarogü. Ich betrachte Sva-
royü als eine vrddhi-ableitung von ziverk-svargä- und nehme
als ursprüngliche bedeutung an 'der himmlische*, lieber andere
vrddhi-bildungen habe ich in einem vorigen aufsatze (luina-liön)
gehandelt, wozu noch russ. skvdzina 'riss, Öffnung, Schlüssel-
loch': skvözl 'durch' nachzutragen ist.
AMSTERDAM, sept. 1896. ('. (\ THLKNHKCK.
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ALTHOCHDEUTSCHES IN DEN SLAVISCHEN
FREISINGER DENKMÄLERN.
Die slav. Freisinger denkmäler wurden im j. 1808 in einem
lat. codex der sich bis dahin im kloster zu Freisingen befand,
entdeckt. Jetzt wird der codex in der bibliothek zu München
bewahrt (sign. cim. 0420). Den hauptinhalt desselben bilden
verschiedene lat. Sermone und homilien. Auf bl. 78 steht I. eine
slav. beichtformel in 35 Zeilen, und auf bl. 158b— 100a folgen
dann die zwei anderen slav. denkmäler. nämlich II. eine beleh-
rung oder betrachtung über den sündenfall und die beichte (sie
endet auch mit einer aufforderung zur beichte) in 118 gebro-
chenen Zeilen; III. und das dritte denkmal ist ein beichtgebet,
das 75 gebrochene Zeilen umfasst. Die denkmäler wurden
von P. J. Koppen im j. 1827 in seinem Sbornik slovenskieh
pamjatnikov herausgegeben; sprachlich beleuchtet hat sie in
dieser ausgäbe Vostokov; später von Kopitar in seinem be-
kannten werke 'Glagolita C^zianus1 (1880) s. xxxm— xlvil
Die texte allein erschienen dann noch mehrmals.
Was das alter der denkmäler anbelangt, so lässt prüf.
E. Mühlbacher, von dem ich mir ein diesbezügliches gut-
achten erbeten habe, das erste in der wende des 10. u. 11. jh.'s
entstehen, das zweite und dritte teilt er der zweiten hälft e
des 11. jh.'s zu. Der director der Münchener bibliothek G. v.
Laubmann meint, sie seien ende des 10. oder in der ersten
hälfte des 11. jh.'s entstanden, G. H. Pertz hielt sie für älter
(10. oder selbst 0. jh.), ebenso Jac. Grimm (0. oder erste hälfte
des 10. jh.'s.). Schon in den ersten ausgaben musste man eine
gewisse verwantschaft dieser denkmäler mit althochdeutschen
beichtformeln zugeben. Prof. W. Braune lenkte zuerst die
aufmerksamkeit auch der deutschen philologeu auf dieselben,
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202
VONDRAK
indem er zeigte, wie sich darin in mehreren punkten die alt-
hochd. Orthographie äussere (Die altslov. Freisinger denkmäler
in ihrem Verhältnisse zur althochd. Orthographie, Beitr. 1 (1874),
s. 527-534). Er wies insbesondere darauf hin, dass in den Freis.
denkmälern die dentalen Spiranten s, z mit z und die eacumi-
nalen s, z in der regel mit v (f) bezeichnet werden, woraus
eben rticksehlüsse auf die lautliche geltung des ahd. s erlaubt
waren. Weiter hob er hervor, dass die dentale affricata c
vor e und t mit c (das vor a, o, w, wie im ahd. mit k als be-
zeichnung der gutturalen tenuis wechselt) und zwar 4 mal (in
Wirklichkeit nur 2 mal) und ausserdem mit z und zwar vor
dunklen vocalen stets, aber auch vor hellen bezeichnet werde.
In der doppelten ahd. anwendung des z als dentale affricata
und dentaler Spirant sah Braune am deutlichsten eine beein-
flussung der Freisinger denkmäler durch die ahd. Orthographie.
Kr sah aber noch andere berührungspnnkte. Das slav. ch
werde am wollende wie im ahd. mit h (z. b. uzeh moih ijreh),
selten mit ch widergegeben, das im inlaut regel ist, ebenso
wie auch im anlaut (das deutsche // konnte man hier nicht
brauchen, da es im anlaut den blossen hauch bezeichnete).
Das slav. v werde ebenfalls nach ahd. weise im anlaut und
im inlaut zwischen vocalen mit uu (uv, vu) widergegeben und
mit einfachem m stets im auslaut (wie auch vor und nach
consonanten). Hei der bezeichnung des j bemerkt Braune,
dass sich II von I und III unterscheide (was er übrigens im
geringeren grade bei der bezeichnung des s bemerkte). In
I und III wird im anlaut und inlautend zwischen vocalen
ausnahmslos j durch / dargestellt, wogegen in II anlautend
vorwiegend y und seltener / stehe; inlautend zwischen vocalen
wechsle y mit i ab. Zur erweichung des n wurde ebenfalls
ff verwendet: pomnyit 1. 13. Kndlich führt Braune an, dass
in II im anlaut 17 mal statt des slav. p das weiche b ge-
schrieben wurde und einmal auch im inlaute {gozbod 80). was
übrigens schon den ei sten herausgebern dieser denkmäler auf-
gefallen war. Diese angaben Braunes sind im grossen und
ganzen richtig, und es kann höchstens nur in dem angeführten
statistischen material hie und da eine kleine correctur vor-
genommen werden. Ferner verdient hervorgehoben zu werden,
dass auch das dritte denkmal teilweise aus dem rahmen der
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AHD. IN DEN 8LAV. FREIRINGER DENKMALERN. 203
durchschnittsorthographie dieser denkmäler heraustritt, und
zwar insbesondere hinsichtlich der bezeichnung des slav. r,
da hier tu nur 1 mal, v nur 4 mal, uv dagegen und vr gar
nicht vorkommt (auch für u steht hier nie /•), was in den bei
den anderen denkmälern sich anders verhält. Man ersieht da-
raus, dass die denkmäler auf verschieden geartete vorlagen
zurückgehen, wenn auch das II. und III., wie wir noch sehen
werden, von derselben hand herrühren.
Mit den Freisinger denkmälern und namentlich mit der
frage nach ihrer herkunft habe ich mich in letzterer zeit ein-
gehender beschäftigt. Da aber meine diesbezügliche arbeit in
böhmischer spräche unter den publicationen der böhm. akademie
der Wissenschaften in Prag als Frisinske pamatky, jich vznik
a vyznam v slovanskem pisemnictvi (Die Freisinger denkmäler,
ihre entstehung und bedeutung im slav. Schrifttum). Prag 1896,
4°, 82 s. mit 9 tafeln erschienen ist und somit wegen der spräche
nicht allen germanisten zugänglich ist, so sei mir erlaubt, hier
aus der arbeit das hervorzuheben, was sie interessieren dürfte.
Zunächst möchte ich nur anführen, dass ich eine wörtliche
Übersetzung des sog. St. Emmeramer gebetes in dem altkirehen-
slav. glagolitischen Eucholoffittm sinaiiicum, das von (ieitler
herausgegeben ist, gefunden habe. Diese slav. Übersetzung
gibt uns sogar aufschluss über eine etwas eorrupte stelle des
ahd. textes. Einzelne stellen dieser Übersetzung finden sich
nun auch im dritten der Freisinger denkmäler. so dass sich
diese nun noch mehr als Übersetzungen althochdeutscher ori-
ginale herausstellen (vgl. nieinen kurzen berieht darüber im
Archiv für slav. phil. 15, s. 118— 132: Althochdeutsche Deicht-
formein im altkirchenslavischen und in den Freisinger denk-
mälern). Dass die slav. texte Übersetzungen deutscher originale
sind, zeigt sich auch deutlich in den misverstandenen ahd.
relativsätzen wie: trohtin, du in desa uuerolt qwhni suntiga
za generienna, kaunerdo mih yahdUan etc., was im slav. wört-
lich, also ohne relativpronomen übersetzt wurde, was hier
unmöglich ist. So haben wir es im Euch, sin., ähnlich auch
im 1. Freis. z. 17 (in der transscription): boze, ti pride sr ticbes<>,
uze sc du etc., statt etwa h., ize jcsi priscl u. s.w. In III
lesen wir schon ganz richtig z. 67— 71: Kristc, Infi sinu, ize
jesi racil na si sve't priti etc. uchrani u.s.w. In allen drei
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204
VONDKAK
denkmälern wie auch im texte des Euch. sin. kommt weiter die
phrase vor ispoue'den rsech grech, was eine Übersetzung des
deutschen bigichtig allero suntono ist.
Was nun speciell die Freisinger denkmäler betrifft, so
zeigt sich darin der einfluss der ahd. Orthographie ausser in
den von Braune hervorgehobenen punkten noch in einigen
anderen. Am deutlichsten sieht man ihn in der widergabe
des slav. y mit ui, z. b. bui (fiy), mui (my) u, s. w., aber das
zeigt sich nur in II und hier nur nach den labialen b und m.
Ja, einmal haben wir hier auch muzlite ( myslite II 84),
also ganz wie im ahd.. wo auch mitunter w st. ü geschrieben
wurde. Noch interessanter ist folgender iu der ahd. literatur
sonst verhältnismässig seltener fall. Der diphthong in gieng
um 1000 in H über, was auch im und m geschrieben wurde,
so dass dieser laut mit dem umlaut u zusammenfiel (Braune.
Ahd.gramm. §40). Daneben finden wir aber auch vereinzelt
z. b. die Schreibweise rugir (neben fnir, mint etc. 1. c. anm. 8).
<;anz in derselben weise wird nun in 11 das slav. // geschrieben
und zwar im worte neimugi z. 15 ueimy (part. praes.
'non habens'). Ks muss autfallen, dass nur in II das slav. y
auch graphisch unterschieden wird, wenigstens in einigen
fällen, wählend in I und III dafür einfach /' steht. Statt des
slav. k ist in II im anlaut zweimal ch geschrieben: chifto 80
( kUshh) und in dem verstümmelten ausdruck choife ih 28
(wol für kakhze) und im inlaut einmal g: pagi 14 st. paki. In
dem erwähnten chifto 80 haben wir auch / statt d und im
Worte detd II 1 steht td statt d.
Wie im ahd. j in anlehnung an den vocal i oder den
diphthong ei steht: frif frier, aber auch frigtr, frige (Braune
§ 117), so haben wir auch hier ugongenige II 28, zcei>ufgenigc
11.80. bulotmtniye II 02. aber es beschränkt sich diese eigen-
tümlichkeit wider nur auf II. denn wir finden sonst rttezelie
I 34 (und nicht ntezelige), pomiflenie III 08 u.s. w.
Der ahd. einfluss zeigt sich jedoch in II in einigen fällen
die in lautlicher hinsieht beachtung verdienen. Wie man aus
«lern faesimile ganz deutlich ersieht, hat der Schreiber zuerst
rafzbni (eig. rofzbui) z. 22 (taf. 8, col. 2, z. 22) geschrieben. Krst
nachdem er irgendwie auf den fehler aufmerksam gemacht
worden war. corrigierte er es zu rofzboi. Analog verhält es
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AHD. IN DEN 8LAV. KREISINGER DENKMÄLERN.
205
sich mit crnrri 51 (taf. 4. col. 1. letzte zeile). das er nachträglich
auch zu cron i corrigierte. Kbenso mit preftupam (preftopam)
25 (taf. 3, col. 2, z. 8) und wol auch mit banedal 88 (taf. 5, col. 2.
z. 3), wo er anfänglich auch ein u statt o schreiben wollte.
Der Deutsche war also geneigt ein slav. o als u aufzufassen
(man vgl. Weinhold, Bair. gr. s. 43: 'dazu kommt die über das
ganze gebiet verbreitete neigung o in u zu verdiimpf en'). So
alte belege für diese erscheinung wie in unserem falle ver-
dienen gewis beachtung. Weiter hat der Schreiber ursprüng-
lich zpoßtel II 01 (taf. 5, col. 2, z. 0) geschrieben und corrigierte
es zu zpafitel, ebenso das schon oben erwähnte rofzbui, das
er zu rafzboi machte. Ks ist dies wider eine eigentümlichkeit,
die den Deutschen verrät (vgl. Weinhold a.a.O. s. 37 § 22: 'eine
reiche quelle des unechten o ist die neigung des bairischen a
sich zu verdumpfen. Wir können sie durch jahrhunderte ver-
folgen'). Auch hier dürften so alte belege, wie sie unser denk-
mal bietet, willkommen sein.
Höchst auffallend ist der deutsche einfluss in bofi raba
II z. 109— 110 (taf. 0, z. 7— 8) und grcrhi ruasa gleich in der
nächsten zeile (beides schon zum schluss des denkmals). Man
hat bis jetzt grosse mühe mit der erklärung dieser ausdrücke
gehabt, und doch ist die sache sehr einfach. Bekanntlich
zeigen die kurzen und langen e der endsilben im späteren
bairisch (10. und 11. jh.) eine starke neigung in a überzugehen
(Braune, Ahd. gr. § 58 anm. 3). Es ist also hier bozi rabe und
grechi vase zu lesen, was auch der sinn verlangt. Wie im ahd.
in endungen i neben e auftritt, so haben wir auch hier mofhn
II 106 statt tnofem (—mozem possumus) und vielleicht noch
andere ähnliche fälle.
Wie im ahd. die sog. secundärvocale sich nach dem vocal
der folgenden silbe richten, also bißihit, aber befelahftnnc
(Braune § 69 a), so werden auch die slav. halbvocale durch e
und i ersetzt, wobei auch der vocal der nächsten silbe nicht
ohne einfluss zu sein scheint: nezegrefil 112, gkmßa III 49,
timnicach II 52 u. s. w.
Auch spuren einer accentbezeichnung scheinen sich in
unseren denkmälern erhalten zu haben, wie dies in einigen
ahd. handschrifteil der fall ist (vgl. darüber s. 35—38 meiner
ausgäbe).
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206
VONDRAK
Nun ist aber noch ein wort zu erwähnen, welches ganz
den deutschen habitus hat. nämlich cruz 1190 (taf. 5, col. 2,
z.4), wenn man bedenkt , dass das deutsche criuz ab und zu
im ahd. auch so geschrieben wird (vgL crucc bei Braune § 49
anm. 1). Die ganze stelle, die das wort enthält, betest naf
gozbod zucti cruz ifc geft bali telez naffih i zpafitcl du/' tutffih
ton bozzledine balouvanige pofledye pozftavv % ucazal ge ...
u.s. w. Man sucht unter cruz eine Verstümmelung von Christus,
welches wort man hier etwa erwartet. In III kommt es auch,
allerdings in der form Grifte 67, vor. Allein so wie das wort
in II erscheint, kann es nur der reflex des deutschen criuz
(cruz) sein. Ks muss demnach hier ein misverständnis ob-
walten, welches auf die wol nicht ganz richtig hier erfasste
vorläge zurückgeht. II und III rühren von einem und dem-
selben Schreiber her: das bestätigte mir auch K. Mühlbacher.
Während wir aber in II so viele lautliche germanismen fanden
(wie a statt e im auslaut, b statt p im auslaut u.s. w.), Ist in
III keine spur davon: hier sind nur die allgemeinen ortho-
graphischen traditionell gewahrt (z. b. die widergabe des slav.
s und i etc.), wozu wir auch die ausdrücke wie sancte petra
III 14 hinsichtlich des sancte rechnen müssen, da sie sich
auch in ahd. denkmälern vorfinden. Das spricht dafür, dass
die vorlagen verschieden waren. Die vorläge zu III war
schon in einer für den Schreiber verständlichen form da, also
offenbar auch in lateinischer schrift; daher hat der deutsche
Schreiber einfach nur das hier wort für wort abgeschrieben,
was er in seiner vorläge lesen konnte, und brauchte nicht dem
einflusse seiner muttersprache in lautlicher hinsieht zu unter-
liegen. Anders verhielt es sich offenbar mit der vorläge des
zweiten denkmals. Die so starke beeinflussung von Seiten des
ahd. in lautlicher hinsieht spricht dafür, dass II nach dem
gehör geschrieben wurde und dass keine vorläge in lateinischer
schrift vorlag. Sie war wol in einer anderen schrift verfasst,
und zwar spricht vieles dafür, dass sie glagolitisch war und
von den Kroaten, bei denen damals der glagolismus herschte,
herrührte. Unter den Slovenen irgendwo in Kram oder
Kärnten hat sich dann die deutsche geistlichkeit diese glago-
litischen texte zu nutze gemacht; daher verraten die denk-
mäler auch einen starken slovenischen einfluss, und es hat
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AHD. IN DEN SI,AV. PHK1SINORR DENKMÄLERN. 207
Sprachforscher gegeben, die sie für rein slovenisch hielten,
was unrichtig ist. Aber bei den Kroaten selbst sind die glag.
altkirchenslav. texte ursprünglich nicht entstanden. Ks wird
dies schon dadurch unwahrscheinlich, wenn wir bedenken, dass
sie aus althochdeutschen texten geflossen sind. Dazu fehlen
die Vorbedingungen bei den Kroaten. Wie einige boheniismen
oder slovacismen bezeugen, sind die ahd. texte irgendwo in
Mähren oder unter den Slovaken, wo einerseits die deutsche
geistlichkeit wirkte, andererseits auch der slav. gottesdienst
eingeführt war, so gut es gieng. ins altkirchenslavische über-
setzt worden und von dort erst kamen die texte zu den
kroatischen glagoliten. Es würde natürlich zu weit führen,
wollte ich hier alle unistände anführen, die dafür sprechen,
dass die Übersetzung aus dem ahd. zuerst altkirchen-
slavisch war.
Ob derjenige der den text von II dictierte, auch ein
Deutscher war, oder ob der Schreiber von 1 1 selbst den glago-
litischen text, so gut es gieng, las und dann mehr nach dem
gedächtnis niederschrieb, lässt sich freilich schwer beweisen.
Uebrigens ist mir das zweite nicht recht wahrscheinlich. Ks
wurde auch, wie einzelne fehler beweisen, nicht alles ver-
standen. Dafür spricht auch das oben erwähnte cruz. In
der glag. vorläge dürfte die abbreviatur chü, wie gewöhnlich
für Christus, gewesen sein, was wol als krstri, kstü (kreuz)
gedeutet wurde. Das könnte namentlich von seiten eines
Deutschen erklärlicher sein, der das anlautende k mit cli
verwechselte. Uebrigens wird in späteren kirchenslav. denk-
mälern selbst auch Christ mitunter mit k geschrieben. Und
selbst wenn schon die vorläge hier krstü (kreuz) enthielte,
dürften wir in II nicht cruz erwarten, sondern entweder
ebenfalls etwa Jcrist, kr st oder unter dem böhmisch-slo venischen
einflusse kriz (also crif). Cruz bleibt hier also unter
allen umständen ein deutsches wort.
So gehören die Freisinger denkmäler zu den slavischen
texten die auch der deutsche philolog in den bereich seiner
Untersuchungen ziehen kann, und sie zeigen uns eine merk-
würdige Verkettung in der art wie man sich die literarischen
producte die von anderwärts kamen, zu nutze zu machen
wusste. Ursprünglich althochdeutsche texte (wol auf grund-
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208 VONDRAK, AHD. IN DEN 6LAV. FREISINOER DENKMÄLERN.
läge von lateinischen verfasst), werden sie bei den Slaven
übersetzt, machen bei ihnen mannigfache Wanderungen durch,
werden schliesslich widerum von einem Deutschen für die
Slaven in seiner weise abgeschrieben (wenigstens sicher IT
und III) und lassen sich den Stempel der jeweiligen behand-
lungsweise ruhig aufdrücken.
WIEN, juli 1896. W. VONDRAK.
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URBER GAT I GÖT IM BAIRISCHEN.
Was sich bei Untersuchung der frage nach dem gebrauche
der ä- oder e-form der verba r/dn und stän in der bairischen
mundart ergiebt. ist recht charakteristischer art. Ist es an
sich unwahrscheinlich, dass entsprechend der gewonlichen an-
nähme die bairische mundart durch die ganze ahd. und mhd.
zeit hindurch im ind. praes., inf. und part. die ä- und e-formen
neben einander benützt hat. so lässt sich wirklich erweisen,
dass von der ahd. zeit bis zur gegenwart an diesen stellen nur
eine der beiden formen gilt. Sodann zeigt sich, dass für die
fraglichen formen die spräche der ahd. quellen und der im
letzten viertel des 13. jh.'s beginnenden Urkunden ohne weiteres
zusammenstimmt, dass die dazwischen liegende periode aber
abweicht. Hier wird die einheimische mundartliche form und
eine fremde neben einander verwendet, Dieser schwankende
gebrauch geht von den autoren selbst aus, und er beruht auf
praktischen gründen.
Dass in der heutigen bairisch-östeiTeichischen mundart
nur die <'-formen gelten, ist gemeine annähme. Die e- formen
heischen auch in den Urkunden des 13. und 14. jh.Ts. Es
liegt hierfür ziemlich reiches material vor. in erster linie dank
den österreichischen publicationen. Auf bairischem boden ist
wenigstens bd. 35 der Monumcnta boica für unsere zwecke
verwendbar. »)
') MB — Mounnienta Boica. — ÜB.d.Lo.d. E. = Urkundenbuch des
laudes ob der Enns. — TB. v. Kr. = Urkundenbuch für die geschieht« des
B. 8t von Kremsmünster. — F. r. A. — Fontes rerum Austriacarum. 1 abt
Diplomata. — Not.-bl. = Notizenblatt, beilage zum Archiv für künde Öster-
reichischer geschiehtsquellen. - Oe. ws. = Oesterreichische weist Unter ges.
v. d. ks. ak. d. wiss. — Eine gründliche Verarbeitung des sprachlichen mate-
rials dieser österreichischen publicationen wäre sehr zu wünschen, sie ist
i\l>er nur bei kenntnis der lebenden mundart möglich.
Heurige rat gwebicht« der dcuUch-n «pracho. XXII. M
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210 BOHNEN BEUG EH
MUnchen 1293: gen. sten MB. 35, 2, 13: 1294: get, stet, stennt MB. 35,
2,14: 1304.131«: MB. 35. 2, 2b. 47. Passau 1288: stet, gesten UB.d.l.O.
d.E. 4, 96. - Linz 128b: stet l'B. «1.1. o. d.E. 4, 81. — Kremsmiinstcr
1293. 1300: Stent, hegen ÜB. v. Kr. 151. 158. Wintendorf 1292: stent
l'B. d. I. o. d. E. 4,109. — Kloster Neuburg 1311: sten, gen, stet F. r. A.
10,127. — Wien 1284: sten F. r. A. 31.420; 1291: stet TB. d. 1. o. d. E.
4,158: 1207. 1300. 1305. 1307: stent, stet, get F.r.A. 18.94; 15.2.1: Not.-
bl. 4,9: F.r.A. 15, 21. Heiligenkreuz (?) 1294: stet, get F.r.A.
11,275. o.o. 1274: get F. r. A. 31. 325. Hzgt. Salzburg 15.jh.: gern,
steen (Hallein, Oe. wst. 1, 143): gent. steet, get, geen (Mittersill. Oe. wst. 1. 284).
— Tirol 1387: «fef (Neustift im Stubaithal. Oe.wst.2,270); 1434: get (Muttern.
Oe. wst. 2. 252): 1444: gen (Brandenberg. Öe. wst. 2, 135. — Kärnten 1283:
Stent (Klagenfurt, F.r.A. 1,213); 1337: get (St. Paul? F.r.A. 39.227). —
Steiermark 1278: stent, gen ( Wildon, F. r. A. 1,192); 1330: steent, steet
(o.o. Oe. wst. «. 160): 1434: get, stet (Admont, Oe. ws. 6,268).
Ebenso weisen die ahd. quellen des 9—11. jh.'s in
Müllenhoff-Seherers Denkmälern3 durchweg c-formen auf:
Muspilli: get 6. stet 44. 45. 61. 87. sten 81. stent 89. Otlobs
gebet: gen 18. — Predigten (86): steift A, 1.15: sten A. 4.7, 8: /»>-
stenni, stet, sten, gen, stent, firsten B 1.23: 2,34. 52. 54. 55: 3.29: stet,
rohtet (' 1,1: 2. 12. Geistliche ratschlage (85): ken 3.
Auch im 12. jh. haben einige quellen noch durchweg
e- formen:
Benediotbourer glanbe I (87): ernten 14. — Bened. gl. IIT
(96): stet 25. Wessobrunn er gl. II (95): gestent 22. sjente 26. —
Pater noster (43): gesten (i. 6, testen 6, 11; eigen : ersten 8,3, stet 10.1.
irgent 11.2, irgen : iisten 11.3 und durch den reim noch ausdrücklich ge-
sichert stente : ellent*- 20, 7. Trotz der beträchtlichen länge kein reim mit ä.
Gegenüber diesen c-formen finde ich solche mit ä in alter
zeit auf ba irischem sprachboden nur in den Pariser und
Hrabanischen glossen geschrieben (vgl. Bremer, Beitr. 11,43).
Mit diesen quellen begründet auch Braune (Ahd.gr. §383 anm.2)
seine angäbe, dass sich bairisch nicht ganz selten « formen
linden, l'mgekehrt haben wider die Emmeram er glossen
c : uuidwshHt (Steinmeyer-Sievers. Ahd. gll. 2. 103. 62. vgl. auch
Lndw. Wüllner, Hrab. glossar, 1882, s. 133).
Nun zeigen aber die zuvor aufgeführten belege zu deutlich
einen geschlossenen bestand von c-formen, als dass ihnen gegen-
über aus denkmälern von der art der glossen ein gegenbeweis
zu erbringen wäre, zumal bei einer an sich so unwahrschein-
lichen sache, wie es die doppelform get / yät ist. Nicht die
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GAT G kl' IM UAIHISCHKN.
211
Bestimmung der mundartlichen formen kann hier von den
glossen abhängen, sondern man hat nun umgekehrt zu er-
klären, wie die glossen zu nicht -baltischen formen kommen.
Dieser frage habe ich hier nicht weiter nachzugehen. Ich
hebe nur hervor, dass Pa auch gtntgis, gantfit hat (Steinmeyer-
Sievers, Ahd. gll. 1. 20. 8. 34. 28) und weise noch darauf hin. dass
nach den Verhältnissen welche Fischers Sprachatlas zeigt, auch
ein grenzbezirk mit «-formen für gen, stin gegenüber sonstigem
wesentlich bairischem spraehbestande unter die in erwägung
zu ziehenden möglichkeiten gehört. Als rest einer bis ins
8. jh. herabreichenden doppelbildung gnn f gm, die mit ausgang
des 9. jh.'s aus der gesprochenen mundart verschwunden wäre,
wird man die fraglichen formen kaum erklären wollen. Dann
treten «-formen neben solchen mit v von der mitte des
11. jh.'s an im reim auf. Diesen formen zulieb scheide ich
zunächst einmal die zweite hälfte des 11. jh.'s aus, und ich
nehme diese formen mit den entsprechenden doppelformen der
nächsten zeit zusammen. Somit bleibt die zeit vom 9. jh. bis
zur mitte des 11. jh.'s. In dieser sind auf bairischem boden
allein e-formen nachzuweisen, und sie sind daher auch allein
der bairischen mundart zuzuerkennen.
Nun bleiben die zwei Jahrhunderte von 1050 bis zum
auftreten der Urkunden nach 1270. Sie müssen die Verbin-
dung für die vorhergehende und die folgende zeit bilden und
es sind daher gleicherweise auch hier ausschliesslich
c-formen zu erwarten. Hiemit lässt sich die spräche der
quellen ohne Schwierigkeit vereinigen und die grammatik hat
daher künftig allein gen für die bairische mundart zu
verzeichnen.
Die literarischen quellen schreiben vom 12. jh. ab sowol
t als ä. und schon seit mitte des 11. jh.'s ist beides im reim
nachzuweisen. Kine grosse anzahl von quellen hat im reim
vorhersehend «-formen, verwendet aber auch c- formen, wo
sich ein reim für diese bietet. Einige quellen, zumal solche
geringen umfanges, haben im reim nur «-formen. Wo gen mit
sien gebunden ist. wird bald « bald e geschrieben, mehrfach
im anschluss an das verfahren im innern des verses. An dieser
letzteren stelle erscheint in einem teil der quellen vorwiegend
oder auch ausschliesslich fi. andere haben auch hier viele ä.
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212
BOHNENBERGER
Diesen bestand erkläre ich so. Die dichter haben die
fremden d- formen kennen gelernt, sie haben dieselben im
reim, wo sie sehr bequem verwendbar sind, bald häufig
benützt. Da für die c-formen im reim sehr wenig Verwendung
ist, so wiegen im reim die a- formen recht bedeutend vor.
Hiemit wird die «-form sehr geläufig, und es entsteht die
gewohnheit, sie auch da zu setzen wo man ihrer nicht bedarf:
im innern des verses und da wo gen mit sten gebunden ist,
Zwischen den beiden extremen, die mundartlichen e- formen
wo immer möglich festzuhalten, oder auf die überflüssigen
c-formen ganz zu verzichten, finden sich daher mittelstufen in
grosser menge.
Original und copie, dichter und schreiber können dabei
auch verschieden verfahren. So lässt sich vermuten, dass für
einen teil der formen abänderung des Schreibers vorliegt, wenn
im innern des verses stets e-formen auftreten, im reim dagegen
regelmässig mit ä gät : stät geschrieben wird. Dass dieser
bestand schon vom dichter stammt, ist nicht wahrscheinlich,
wenn auch nicht ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist, dass
der dichter wol an der reimstelle die dort herschende «-form
auch für den reim gut : stät verwendet, und im innern des verses,
aber frei verfahrend bald «-formen bald solche mit c benützt
hat. Der schreiber, der sich vor änderungen im reim hütet,
hat dann gät : stät unverändert gelassen, im innern hat er zu
gongten der heimatlichen e- formen ausgeglichen. Dagegen ist
m. e. mit der weiteren möglichkeit, dass alle c-formen mit aus-
nähme der wenigen durch den reim gedeckten dem schreiber
zuzuweisen sind, nicht ernstlich zu rechnen. Da für die
dichter die e- formen im reim nicht verpönt sind, werden sie
von ihnen auch ausserhalb des reimes nicht gemieden worden
sein. Und wenn all die vielen e- formen in nichtreimender
stelle von den schreibei n stammen, so wäre zu erwarten, dass
die schreiber auch den rest der ungedeckten «-formen beseitigt
hätten.
Ich gebe im folgenden eine reihe von belegen. Wem die
bände weniger gebunden sind als mir, der wird manche da-
von durch bessere ersetzen können. An dem gesammt-
ergebnisse wird sich kaum viel verschieben. Ich ziehe auch
solche quellen bei, bei welchen bairische herkunft nicht be-
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GAT G$J IM BATRI8CHEN.
213
stimmt erweisbar oder selbst bestritten ist. Ausscheidung der-
selben ändert ebenfalls an dem ergebnisse nicht viel, es ist
aber von interesse zu sehen, wie ihr verfahren von dem der
sicher als bairisch bestimmbaren quellen nicht abweicht.
(i enesis («la.** stück, welches in den Wiener Sitzungsberichten 47, 636 ff.
von Dienier uach der Vorauer handschrift veröffentlicht ist, verglichen mit
der Wiener [Hoffmaiiiis Fundgruben 2] und der Milstfttter hs. [Geneiüs und
Exodus n. d. Milst. hs. hg. v. Diemer]): irgen : willen 46, Buben : nten 71,
chouften : gen 92, fasten : Jessen 864. lobent : nirstent 1031 (M abweichend);
man \ gan 61, getan : irgan «21. gat : stat 1169. Dazu gen : sten 7 mal mit
e in VWM, 1 mal mit e in V, « in WM und 1 mal mit e in VM gegen r/en :
stan in W. Ohne reim oder in ganz unreinem reim 4 mal e in VWM, 2 mal
e in V gegen ä in WM. 1 mal r in VM gegen « in W.
Frau Ava (nach Zs. fdph. 10. 129) : Johannes : Xazareth : */rf 91 ;
stan : man 49. ergan : 71, gegan : fagan 223, man : gegan 263, /wf : «7a/
361, stan : man 405, ma« : gan 421 ; gende : erstenrie 337. Jüngstes ge-
richt: IC« : zergen 203; zergaf : hat 57 ; getan : gan bb, tu gat : rat 227;
<#T0«i (Schreiber!) : fyeffin 115, dazu f ohne reiin oder im reim gen : sten
12 mal. Weitere reime mit e aus dem Leben Jesu (uach Langguth, Zu
den gefliehten der A.. 1880, diss., 8.6), gen • Jietlehem, Jerusalem, Effrem
243. 389. 401. 1155. 1433. 1121.
Johannes baptista aus Baumgartenberg (Deutsche gediente
des 12. jh."s hg. v. C. Kraus, 1894): stan : gan 1, e : ue rufen 21.
Johannes baptista von Adelbreht (ebda.): Elisaheth : stet 49,
getan : gan 188.
Kaiserchrouik (hg. v. Schröder, MG.), 1—1200 und 10500 ff.: Jeru-
salem : gen 721. 865. 1079 ; gestan : man 197; man : gan 549. 1047: gan :
ersinn 10708; rerlat : gpttöf 10720; getan : gan 16083.
Heinrich von Melk (hg. v. Heinzel) 1 — 200: stät,gät : hat, tat 43.
101. 170; gen : 8/rn 2 mal mit e, 2 mal mit ri.
Küren berger: entsinn: man, 2 mal ri, 3 mal e.
Dietmar von Eist: a im reim 8 mal. f' ohne reim1) 3 mal.
Burggraf von Kegensbnrg: we : entsten.
Burggraf von Bietenburg: a im reim 2mal.
Hartwig von Bute: a im reim 2 mal, ohne reim 1 mal, e 1 mal.
Konrad von Fussesbrunn: Kindheit Jesu (hg. v. Kochendörffer.
QV. 43) 1 — 1000 und 2500 ff.: a 9 mal im reim, e 2 mal (Eli sähet im, Na-
zaret 2543), ausserhalb des reimes fast durchweg e.
Walt her: ohne reim weitaus vorhersehend f. bei reim gin : $ten
teils i, teils a, sehr viele reime auf anderweitiges a.
») Hierzu ist weiterhin auch der reim gen : sten gerechnet , fall» der-
selbe nicht noch besonders aufgeführt wird.
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214
UOHXENHERGEK
Heinrich von dem TU rl in. Krone: ohne reim in der regel <S auch
yen : xtin mit c. Neben den reimen auf n ziemlich häufig solche anf f,
z. b. ztrin 3894. 4204. 42S0. 5134: het 29877.
•Stricker, Karl, Ami». Daniel: viele reime anf ö. ohne reim nach
den ausgaben im Karl (Bartsch) und Amis (Lambel) vorhersehend e. im
Paniel (Bosenhagen, vgl. auch dessen Untersuchungen über P.. ISO», diss.,
s. 40) immer «.
Wem her, Helmbrecht: reime auf ä: 19. 115. 211. 333. 585. 031.
852. 1163. 1601, ohne reim c: 335. 1392. 1717. 1916, « 1309.
Ulrich von Lichtenstein, Frauendieust : sehr viele reime auf «,
ohne reim und im reim ffSti : tffti viele e. aber auch a.
Herr and von Wildonie: reime auf <t, ausserhalb des reimes c
und t'i.
Seharpfenberger: *t£t, gä n, gu .
Nibelungenlied: ohne reim meist i, aber bei reim gtn : stcii mehr
ä als «?. ABC weichen von einander ab. Klage wie das lied: reim mit r:
Mtuhnzeu : (/t steii 905 (B). Gudrun: ohne reim iu der regel <?.
Ich fasse das ergebnis dahin zusammen: die literarischen
kreise in Raiern haben von der mitte des ll.jh.'san oder jeden-
falls bald nachher die fremde sprachform mit a gekannt,
sie haben sich derselben neben der einheimischen bedient
und zwar zunächst da, wo die fremde form praktischer war,
dann auch in anderen fällen, immer aber ist auch die ein-
heimische daneben literarisch in geltung geblieben. So sind
parallelformen in die literatur gekommen und die spräche der
denkmäler ist keine einheitliche mehr. Ohne zweifei haben
wir dies ergebnis über den einzelneu fall hinaus zu erweitern,
und es fehlt in den mhd. denkmälern nicht an formen, welche
verwanten Charakter vermuten lassen. Das problem, um wel-
ches es sich dabei handelt, ist dem der Schriftsprache ähnlich,
aber es steht doch nicht direct mit diesem in Zusammenhang:
ja es enthält auch momente welche der Schriftsprache ent-
gegen stehen. Die Schriftsprache verlangt dem grundsatze
nach einheitlichkeit der sprachform, wenn diese auch nicht
immer consequent durchgeführt ist; hier aber handelt es sich
im prineip darum, dass zweierlei formen neben einander
verwendet werden. Die Schriftsprache wählt die fremde
form, weil man sich deren in massgebenden kreisen be-
dient, weil sie für feiner und britischer gilt: hier wird diese
gewählt, weil sie leichter zu handhaben ist, also weil sie
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GAT Cttj IM BAIRI8CHEJT
215
praktischer, nicht weil sie feiner ist als die andere. Manche
erscheinung zu deren erklärung man sonst die Schriftsprache
beizuziehen hätte, wird man aus der aufnähme der prakti-
scheren form erklären können. Man hat hienach auch weniger
als je die texte zu normalisieren. Nicht allein von der nor-
malisierung nach einer Schriftsprache, sondern auch von der
normalisierung nach einer mundart hat man nur sehr vorsich-
tigeil gebrauch zu machen. Wo die handschrift formen ver-
schiedener herkunft neben einander zeigt, hat man nicht so
ohne weiteres die eine dem Schreiber und die andere dem
autor zuzuweisen: der autor selbst kann beide gebraucht
haben. Sind solche doppelformen demnach nicht aus den
texten auszuscheiden, so um so ernstlicher aber aus den
grammatiken der mundarten. Hierin hat noch viel zu ge-
schehen. Je mehr quellen aber erschlossen werden, welche
nicht aus den literarischen kreisen im engeren sinne stammen,
und die dagegen örtlich und zeitlich genau bestimmbar sind,
desto eher kann man dieser aufgäbe nachkommen.
Wie das fremde ydt auf bairischem boden in der literatur
auftritt, so ist ißt in schwäbisch - alemannischen ') quellen
möglich. Daher kann der reim Vrtrn : sten bei Hartmann
(Iwein 4184) nicht mehr auffallen. Man darf nun auch nicht
ohne weiteres in den schwäbisch - alemannischen denkmälern
alle nicht durch den reim gedeckten ('-formen tilgen. Da für
die fremde form auf schwäbisch-alemannischem boden im reim
') Wenn ich für das schwäbisch -alemannische gebiet in literarischer
zeit im grossen und ganzen die ei -form ansetze, so lasse ich dabei nicht
ausser acht, dass für die heutige mnudart des äusserst en S\Y (canton Bern
bis Monte Rosa) formen angegeben werden, welche <? voraussetzen. Für
das hauptgebiet sind die d- formen von ältester literarischer zeit her zu
sicher als die einzig mundartlichen erwiesen, als dass unsere auflassnng
durch jene e-formen beeinflusst werden könnte. Dabei «oll dort, so viel ich
sehe, e in der flexion mit ä wechseln: yet aber gun. Ich glaube nicht,
dass wir berechtigt sind, darin eine ältere alemannische stufe zu sehen,
die in vorliterarischer zeit im alemannischen weitere Verbreitung gehabt
hätte. Alt muss das e, freilich sein, aber kaum auf alemannischem boden.
Man pflegt heute gar nicht mehr mit burgundischen resten zu rechnen:
ob hier nicht doch ein solcher vorliegt? Die Urkunden des Berner ge-
biete» schreihen zu eude des 13. und beginn des M.jh.'s auffalleuder-
weise yäl
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216 BOHNEN UERO ER, OAT GÜT IM BAIRI8CHEN.
viel weniger Verwendung: ist als auf bairisehem, so wird auf
ersterem die c-form vom dichter ausserhalb des reimes auch
weniger häufig verwendet worden sein, als die d-form auf
letzterem, aber ausgeschlossen ist die e-fonn auf ersterem damit
nicht: im 14. und 15. jh. tritt sie auch in recht ansehnlicher
zahl auf.
TÜBINGEN, September 1896. K. BOHNEN BERK EU.
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EINIGE FÄLLE VON C'ONSON ANTENSCHAV UNI)
IX DEUTSCHEN MUNDARTEN.1)
I. Schwund eines anlautenden ».
Nach dem Schweizerischen idiotikon 1, 164 ist Schweiz.
äcke, ecke (nacken, bug), bair. äck, gack aus anke 'verkürzt*:
4 Verstümmelung aus nacken anzunehmen, empfiehlt sich nicht,
weil die bedeutung bug ziemlich absteht und n viel leichter
vortritt als wegfällt. Unerklärt bleibt der umlaut. der in der
ausspräche e sich als alt ausweist." Bei der ableitung von
äcke aus anke wäre der ausfall des n unbegreiflich. Aus nacken
lässt sich das wort befriedigend erklären.
Sicher ist. dass anlautendes n von Substantiven als un-
bestimmter artikel aufgefasst werden und abfallen kann2);
das*? der vortritt eines n sich leichter vollzieht als der abfäll,
ist ganz natürlich, denn es gibt mehr Substantive mit vocali-
schem anlaut als mit anlautendem u.
Ein weiteres hindernis. äcke von nacken abzuleiten, sind
dem Idiotikon die bedeutungen des Schweiz. Wortes: vgl. äcke
'nacken. (knie-) bug, kleine bodenerhebung' mit mM. anke *ge-
nick. fussgelenk', gr. äyxcov 'ellenbogcn, vorsprang an einer
mauer. Vorgebirge'. Aber auch nacken kann einmal eine wei-
tere bedeutung gehabt haben: bair. nacken ist ein knochen.
Abkürzungen: HM. — Baierus mundarten, heraus^, von Brenner und
Hartmann. — DM. s= Frommanns Deutsche mundarten. Schweilers Mund-
arten Baien» und Kauftmanns (»esehichte der schwäb. inundart sind mit
den namen der verf. eitiert.
r) Beispiele s. bei Schnieller gfcj 1510. ttll. Lexer, Kämt. wb. s. xm.
Jellinghaus, NL volksraa. s. 118. PM. 5,451. BM. 1,242: einer (bair. wald)
= nahiger, eugl. auyer, nl. {n)an'<jaar; nd. nl. ük (nachen): otter (engl.
bL adder) : notier ; verbreitet ist est (tiest), Mnd. wb. 3, 142.
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218
HORN
das keltische cnocc, cnoch, das von Kluge mit unserem wort
verglichen wird, bedeutet 'hügel, erhebung'.
Der umlaut, den das Idiotikon unerklärt lässt, ist aus dem
dat. sing. *neckm eingedrungen1); vgl. altobd. henin zu hano,
nemin zu namo (ttraune. Ahd. gr.2 § 221, anm. 2).2) Damit ist
aber nur ecke (mit geschlossenem e) erklärt; das viel weiter
verbreitete äcke hat secundären umlaut: unter einwirkung
der übrigen casus bildete sich neckin zu nackin um, wo dann
später der umlaut doch durchdrang, aber nur bis zu ä ge-
langte.
II. Schwund eines anlautenden g.
Kluge erwähnt in seinem Wörterbuch für gips auffälliges
schwäb.-bair. ips. Das wort findet sich auch im Odenwald
mit dem zugehörigen verbum ipso: es ist aber im aussterben
begriffen, da seit etwa '.\Q jähren kein ips mehr als dünge-
mittel auf die kleeäcker gestreut wird. Dazu bemerkt Ph.
Lenz3): 'ob der ausfall des anlautenden g durch eine ältere
ausspräche *jij)s oder durch falsche auffassung des g in dem
verbum gipsen als Vorsilbe ge- zu erklären ist. bleibt ungewis.'
Jips kommt tatsächlich vor im Elsass*), auch in der Schweiz6)
(neben ips).
Romanisches (//, z (-_ lat. j oder g) wird dort in mehreren
Worten durch j widergegeben: Jet*/* (Genf), jentsian (gentiana),
justement (justement); vgl. A. Heusler, Alem. cons. s. 89. Beitr.
18, 847, Aber schwund des./ vor vocalen, wie ihn Lenz und
das Idiotik. annehmen, kann höchstens in unbetonter satzstelle
erfolgen: schwäb. westböhm. nachdrucksloses ö für j$ (ja).8)
Gehen wir vom verbum gipsen aus, so löst sich das rätsei:
im part. praet. gipst konnte g als Vorsilbe ge- erscheinen; so
bildete sich ein neuer Infinitiv ipso, der nur in gegenden vor-
zukommen scheint, die partieipia wie gössen, geben gebrauchen:
') Diwe erkläruii»; des f hat herr prof. Beuaghel im germ. «-miliar
vorgetragen.
|») Vgl. noch alem. mmttig aus muninUig. 0. Behaghel.]
') HamLschuhslieimcr «liahkr. nachtrag, progr., Heidelberg. 1892, f. II.
«) Alemannia 5, 200.
4) Srhwciz. id. :\, 50.
•) Kauffmanii § 180 aiiiu. BM. 2, 355.
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COXSONANTENSCHWCND.
210
gipst : ips9 = ges<) : Ebenso darf wol schwäb. pr» (gären)
erklärt werden, das Kauffinann § 180 anm. ans Balingen eitiert.
Anders steht es natürlich mit ilge (lilie) in süddeutschen
mundarten. ') Kauffinann § 182 sagt: "unter nicht bekannten
bedingungen ist g vor t geschwunden, vgl. gilgen > ilgo.' Ilgc
muss aber nicht notwendig aus gilge entstanden sein; aus liljc,
lüge lässt es sich mit annähme totaler dissimilation leicht er-
klären.
Wie aber erklärt sich gilge mit anlautenden» g? Heyne
im DWb. (unter lilie) meint, gilge habe sich wie im rom. (it.
ffiglio) dissimilierend aus lilie entwickelt. Aber eine solche
erscheinung hätte im deutschen kein analogon; wegen der it.
form vgl. Meyer -Lübke, Gr. d. rom. spr. 1, § 573. Klier dürfte
man vielleicht an eine art assimilation des anlautenden l an //
in lüge denken; vgl. dial. samt < sunst Aber wie wollte
man damit die form jilge2) in einklang bringen? Wir haben
oben gesehen, dass rom. dz durch j widergegeben wird: aus
it. giglio konnte zunächst jilge werden, das mhd. gilge ge-
schrieben, in manchen gegenden auch gesprochen wurde.
Denn der mhd. Wechsel zwischen j und g ist nach ausweis
der heutigen ma. nicht überall nur orthographisch. In man-
chen dialekten ist /' vor e, i zu g geworden, vgl. Hehaghel in
Pauls Grundr. 1,580. Aus diesen ma. können übrigens nhd.
gären, gischt, gähn stammen, es wird daher nicht nötig sein,
mit Wadstein, Zs. fdph. 28, 525 in gären ein gc- compositum zu
sehen.
III. Schwund eines
Otto Aron hat Beitr. 17, 225 f. folgende hypothcse für die
entstehung von .s' aus s in Verbindung mit bestimmten conso-
nanten vorgetragen: .v entstand aus s wortinlauteiid nach r
und in st, sofern folgendes i, j die vorhergehenden consonanteii
mouillieren konnte (gast : gvste). Im wortanlaut entwickelte
sich s zu s nach r des vorangehenden Wortes, 'wenn unmittelbar
ein den hauptaceent nicht tragender laut folgte': er stemmt >
') Schw. Hl. 1? 179. Sclimellcr. Bair. wb. I, B7. Kauffmaim IM». 1*2.
Taubergrand ifa, Bmlieu iiijr.
a) Elsass jiU Alem. 5.200. Schw. id. 1, 171». Heunebei^. DM. 2, 4 »8.
Blätter f. laudesk. Nieder-Oestr. 23, 137 (ßtlt'ny).
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220
HORN
er swimmt, aber er sagt mit erhalt ung des s. Wo Aron da-
mit nicht auskommt, nimmt er seine Zuflucht zur 'lautlichen
analogie'. Ausser anderen gründen sprechen gegen die an-
nähme, 8 vor /, m u.s.w. sei dem das vorausgehende wort
scliliessenden r zuzuschreiben, die lautverhältnisse der Brienzer
ma.: dort wird nämlich s nach (alveolarem!) r nicht zu s, den-
noch sagt man Stein, Spilan u. s. w. (Beitr. 18, 387). Auch die
ent Wickelung von s + consonant in der mundart von Basel
lässt sich kaum mit Arons hypothese in einklang bringen (vgl.
s. 267): dort haben wir dieselbe erscheinung wie in Brienz,
aber r ist velar.
s ist ganz geschwunden in sti er, swaz, wofür im 14. jh.
wer, waz auftritt. Paul, Mhd. gr.3 § 342, 2 und Beliaghel, Pauls
Orundr. 1, 585 nahmen an, das verallgemeinernde surer, swaz
sei durch das einfache interrogativ teer, waz verdrängt worden.
Neuerdings vertritt herr prof. Beliaghel in seinen Vorlesungen
über deutsche grammatik die ansieht, dass stver auf lautlichem
weg ZU teer geworden sei. Swer ist bekanntlich aus so wer
entstanden, und sw war schon zu sie geworden, als sieh soteer
allmählich durch *sewer zu sieer entwickelte. Beliaghel nimmt
nun an: nach dem lautgesetz sw > sw wirkte das lautgesetz
sw > te, und verweist auf nhd. schlohweiss : scJilossweiss, alem.
(nffima (neuwä), niewa, niewer (neizwer).*) [Das ergebnis einer
älteren zusammenrückung ist schwäb. ojsnu (heizten) neben
ojtnj, (Jerm. 36,433. In einer Schweiz, chronik von 1482 ist
nciiwaz belegt, vgl. Geschieht sfreund 38, 225.] Vgl. ausserdem
kawasser 'käswasser' (in den Alpen), Schmeller § 660.
Ich glaube, dass ebenso ein lautgesetz sni m gewirkt
hat. So erklären sich die von Kauffmann § 152 anm. 1 an-
geführten Wörter: mtumr (mttoz man), lame (läz mich), aber
las bleibd, las gab.
Auch für den lautwandel sn > n finden sich belege;
Schmeller § 660 verzeichnet : Sinzau'n (Sinzhausen), Massn-
haun (Mässenhausen). Westböhmen (BM. 2, 225. 345) bietet
folgende beispiele: bin bis -f- n (n ist die vorausgenommene
personalendung der 3. pers. pl., vgl. Schmeller § 722); won =-
was -f- n; an — *a$n = 'aus dem', aun = 'aitssen'.
l) c>. DWb. unter ueiss.
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CONSONANTBNSCIIWITND.
221
Aurh vor /• scheint * jresr.li wunden zu sein: an der Nah
und Pegnitz, im Ochsenfurter gau, im Tauhergrund sagt man
unrv) für unser, in Buchen im Odenwald Or.7) In Westhöhmen
{Byi. 2. 445) findet sieh aa'ar nehen aussar (ausser).
Aurh in folgenden fällen haben wol die erörterten gesetze
gewirkt :
Schweiz, ma. haben da (das), tra (was); da ist auch fränkisch
und we st böhmisch.3) Der Schwund des s ist aus dem sandlii
zu erklären: es schwand, wenn das folgende wort mit .* oder
Nr, m, n (r) anlautete. Kbenso können die s -losen formen von
müssen*) erklärt werden: miiez» verliert z vor n, muoz vor
folgendem s, m, n, w (Heusler, Alem. cons. § 1<>8 hält mäend
für eine analogiebildung: tuost : täaid - muost : mäend). Man
beachte auch bei Schmeller § 662: ostlech. er tva3s : i wa.)' et
(ich weiss nicht); der abfall des anlautenden n von 'nicht',
der sich auch im schwäb., in gegenden der Schweiz, in nl.
in iindarten5) findet, beruht auf falscher abtrennung im Satz-
zusammenhang (z. b. bin nieht > bin icht). Man dachte daran,
et sei vielleicht •**•); da aber in Kärnten (DM. 2, 340) et
nach vorangehendem vocal nrt gesprochen wird, liegt es näher.
et aus niht abzuleiten.
Die.se betraehtungen werfen wol licht auf das unaufgeklärte
yjtcea in Nordschwaben, in teilen Baierns, im Odenwald (bei
alten leuten, sonst gwest). Fischer, Geographie der schwäb.
ma. s. 5(3 sagt: 'darf man daran erinnern, dass die lautgesetz-
liche form gewern wäre? Das r konnte vor n fallen. Aber
vgl. das auffallende allgäuische gic&x».' •) Im Odenwald wäre
ausfall des r nicht möglich.
Nach obigen erörterungen wird gares» zu genen. Die
nasalierung, die strichweise in geuen, genr.) erscheint, kann
») Schmeller § MO. Bavaria. 3. 21». Heilig, Wh. der ma. de« Tauber-
gründe«, progr- 1894,
*) Breunig, Laute der ma. von Buchen, progr. IS91. ». 33.
3) Weinhold. AI. gr. S 1&8. Bavaria 3. 209. BM. 2. 345.
*) Weinhold, AI. gr. §151. Schmeller S «»2. BM. 2. 245. Bav. 3. 21».
*) Jellinghaus, XI. volksmaa. s. 103.
°) So schon (Trimm, Gr. (nendruck) 3, 714; neuerdings Fischer, Ueogr.
der schwäb. ma.. s. 57.
') S. karte 24 von Fischers Sprachatlas.
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HO KM. C0M80NANTKNSC1IWUN1».
durch das n bewirkt sein: möglicherweise aber ist sie zu be-
urteilen wie in lals (leise): gerade vor s findet sich im schwäb.
eine unaufgeklärte nasalierung (vgl. Fischer s. r»7). Aber wie
steht es mit ywtwrd an der oberen Hier? Auch im romanischen
schwindet s vor cons.. am frühesten vor nasalen und liquiden.
s war in manchen gegenden vor dem ausfall zu einem /- oder
^•ähnlichen laute geworden, der sich noch in heutigen in und-
arten findet1); auch mhd. lehnwörter aus dem französischen
weisen h für .s- vor cons. auf: schuht vi afrz. vhastvl; foreht
(im reime mit sieht) Parz. 601. 10. 5) So hat vielleicht auch
im deutschen eine Zwischenstufe .roder / (+ cons.) bestanden,
die sich im allgäuischen gwezx.* erhalten hätte.
') Vgl, t. b. Bulletin de la soc. des parlers de France 1. ».7:1.85.
*) Mcyer-Lübke, (Jr. «1. nun. spr. I. 4j>j 4<»8. 525». Was Köritz. s vor cons.
im frz.. diss. IS85. s. 34 tfe«rn F. Neunianns ansieht (Zur laut- and flexions-
lehre des afrz. s. 10(») vorbringt, ist nicht stichhaltig.
WESSKX, juni 189(5. WILHELM HORN.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
I. Zu den germanischen auslautsgesetzen.
Axel Kock und \Y. van Helten beschäftigen sich Beitr.
21, 429 ff. und 476 f. mit der frage nach dem abfall des aus-
lautenden u im gotischen. Dabei ist van Heltens hinweist auf
lat. cornu gegenüber germ. hörn verfehlt. Das wort hörn ist
nämlich nicht nur im germanischen ein o-stamm. sondern auch
im keltischen, wie Hesychs galat. xupiw n)v oulxiyya be-
weist. In folge dessen bedarf vielmehr, falls man nicht eine
indogermanische doppelheit statuieren will, die lateinische form
der erklärung. Kine solche ist auch schon von Danielsson in
Paulis Altital. Studien 3. 188 versucht worden. Er nimmt an,
dass ein alter dual *cornö, cornns aus *comous sich zu cornti,
comiis ausgeglichen habe und dieses dann singularisch ge-
braucht sei. Man braucht nur an aengl. nosu, dum zu denken,
um diese erklärung für sehr wol möglich halten zu können.
Ganz anders wiegt der hinweis Kocks, dass tdr im aisl.
nicht umgelautet ist. Man müsste *tör erwarten, wie es tat-
sächlich rond, Orr heisst. Kock erwägt zwei möglichkeiten
für die erklärung: es könne das u von *tuyru, da es im ab-
soluten auslaut stand, früher geschwunden sein als das gedeckte
u. oder *tagru habe sich schon vor der Wirkung der auslauts-
gesetze der flexion der (/-stamme angeschlossen, da ja vor-
geschichtlich eine menge Wörter auf analogischeni wege aus
der einen flexionsklasse in die andere übergetreten seien. Kock
entscheidet sich für diese annähme, gegen die sich, wie mir
scheint, doch einiges geltend inachen lässt. Im ahd. fiectiert
nämlich zaiutr im plural nach der /-declination. Belegt sind
zahari gl. K.. 0. 3. 24. 72. 1. 20, 9: zaharin K. 4. 0. 3. 24. 9. 48. 58;
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224
HIKT
5,6,36. T. 92. 138. Ein Wechsel zwischen «- und /-deelination
ist zwar sehr gewöhnlich, aher doch nur der art, dass zu den
alten i- und « -stammen der [dural auf -« häufig, selten aber
ein plural auf -i hei sicheren «-Stämmen gebildet wird, vgl.
v. Bahder. Verbalabstracta s. 18. Das ae. tan; north, tmhher
zeigt den reinen «-stamm, ist also insignificant, aber immerhin
lassen sich das ae. und ahd. am leichtesten aus der alten
«-flexion erklären, die demnach wahrscheinlich im wgerm. noch
vorhanden war. Der übertritt in die «-flexion wäre dann also
nur gotisch-nordisch.
Es fragt sich zunächst, ob dieser übertritt in diesen beiden
sprachen gemeinsam vollzogen ist. oder ob wir etwa eine plau-
sible erklärung für einen dieser dialekte allein finden können.
Vor allem muss ich gestehen, dass Kocks annähme einer ana-
logischen Umwandlung der flexiou mich deshalb nicht befriedigt,
weil «-stämnie sonst nicht zu « Stämmen geworden sind. Mir
ist kein einziger fall ausser tayr bekannt, obgleich nicht gerade
wenig indog. «-Stämme in das germanische hinein gekommen
sind. Die blosse annähme eines analogischen Übertritts ohne
den nachweis, dass gewisse lautlich zusammengefallene formen
oder gewisse begriffskategorien oder endlich irgend ein der be-
deutung nach verwantes wort den übertritt bewirkt haben,
verschiebt die Schwierigkeiten nur, ohne sie zu lösen.
Vielleicht wird uns eine genaue Untersuchung der im ger-
manischen vorhandenen möglichkeiten der entwicklung von
*dakru klarheit über den wert der gotisch -nordischen formen
verschaffen. <4r. öccxqv, lat. dacruma, lacruma, lacrinw, com.
dagr, pL dagrou, ahd. pL tahari, in Verbindung mit aengl. tmr
lassen eine indog. form *ddkru n. erschliessen. Wie sich dazu
aind. drru n. verhält, ist einstweilen unklar. Aber das eine
steht fest, dass es eine ganze menge indog. 'reim Wörter' gibt,
die sich nur durch das plus oder minus eines anlautenden
consonanten unterscheiden. Man vergleiche aind. hr'mish
und lat. vermin, got. dags, lit. ddgas, aind. aJias. Es darf
nicht verschwiegen werden, dass es im indischen auch
ein avrdm gibt, welches indessen weder im Kg. noch im
Atharvaveda auftritt, und dass das lateinische nicht un-
bedingt für einen «-stamm spricht. Indessen ergibt sich
aus griechisch, eornisch und wgerm. der «-stamm mit
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 225
voller Sicherheit. Ausser dem got.-nordischen ist nirgends ein
o-stamm zu spüren, und damit ist wol die indog. doppelstam-
migkeit ausgeschlossen.
Weiter ist zu fragen, wie der indog. u -stamm flectierte.
Bekanntlich gibt es in dieser klasse zwei arten von flexion, ent-
weder -us, gen. -ous, oder -us, gen. -uos, die sich zum teil noch
recht gut scheiden lassen. Doch ist diese Unterscheidung ziem-
lich bedeutungslos für das germanische, da hier fast durchweg
die flexion -us, -ous gesiegt hat, wie am besten got. kinnus —
aind. hunush, gr. ylvvi, yiwoq beweist. I >as doppel-w des germa-
nischen erklärt sich aus obliquen casus wie *kinues, die später
die endungen der «-Stämme angenommen haben. Andere bei-
spiele sind: aind. mddhuas, mddhvas, 07 mal belegt gegenüber
18 mddhös, und gr. ftiftv, fji&voe, an. mindr nach der M-decli-
nation, und aengl. meodu; aind. pagväs gegenüber ahd. fihiu,
an. fidr.
Wir werden also für das urgermanische eine flexion *tdhru,
*tdhrous u.s.w. anzunehmen haben. Wie der nominativ plu-
ralis anzusetzen ist, dürfte zweifelhaft sein; entweder als
*tagrhcö oder *togruwö. Aus jenem erklärt sich die ahd. form
zahari lautgesetzlich , womit dann zugleich der genuswechsel
klar wird. Doch ist es nicht unbedingt nötig, sie vorauszu-
setzen, vgl. Michels, Zum Wechsel des nominalgeschlechts s. 21 f.
Im nordischen sind der dat. plur. thront und gen. plur. tdra als
formen des «-Stammes verständlich; und weiter hätte eine dem
gr. öäxQva entsprechende pluralform wol über *tahruuö zu tyr
geführt. Da das wort neutrum geblieben ist, stand es als
ti -stamm vollständig isoliert, und unterlag naturgemäss dem
einfluss der neutralen o- Stämme, so dass sich als nom. sing,
nach dem muster von born : barn zu iyr ein tdr ergeben
. musste. Es scheint mir demgemäss wol möglich zu sein, die
nordische form ohne rücksicht auf das gotische zu erklären.
Hier aber versagen alle versuche, den übertritt in die a-flexion
durch den zusammenfall irgend welcher u- und a- formen zu
erklären, und ich glaube, wir müssen doch wider unsere Zu-
flucht zu dem abfall des u im nominativ *tayru nehmen. Aber
*ta(fru, dessen u im absoluten auslaut stand, beweist zunächst
nichts für -us und -um . wie Kock mit recht hervorhebt. Da
Kock ferner auf die Verhältnisse des Röksteins hinweist, in
Beitrage *ur ge«chichte der deutschen ■prmclie. XXII. 15
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220
HIRT
denen i geschwunden, u aber erhalten ist, so erhalten wir eine
treffliche illustration der behandlung der auslautenden vocale
im gotischen, und ich erkenne demnach an, dass -tts und -um
in zweiter silbe im gotischen noch erhalten waren. Mehr und
mehr haben uns ja die nordischen runeninschriften gelehrt,
dass die germanischen apokopierungsgesetze, die für die histo-
rischen dialekte auf ein einziges lautgesetz zurückzugehen
scheinen, in eine reihe zeitlich getrennter Vorgänge zerfallen.
Man kann daher auch sehr wol mit van Helten anerkennen,
dass -um im gotischen in dritter silbe (fadar) bereits ge-
schwunden ist, in zweiter dagegen erhalten war. Freilich
fragt es sich, ob -um aus m unbedingt mit altem -um auf
einer linie stand. J. Schmidt hat Kritik der sonantentheorie
s. 80 den zusammenfall der beiden laute geleugnet. Aber da die
alten consonantischen stamme fotus, handus entweder vom acc.
sing, oder vom acc. plur. (*fotum, *ßtuns), eventuell auch vom
dat. plur. (*fotum-x) in die w-flexion übergetreten sein müssen,
so kann das lautgefühl der Goten hier keinen unterschied mehr
statuiert haben. Immerhin waren die beiden u verschieden
betont, da die n- Stämme überwiegend oxjioniert waren, -um
aus -m aber nicht den ton trug. Aber wir haben ja leider
noch gar keinen anhält, um die Wirkung des indog. aecentes
auf den abfall oder die bewahrung der auslautenden vocale
im germ. festzustellen. Dass *ddiru im singular wurzelbetont
war, ist, glaube ich, ziemlich sicher. Der tonende spirant
stammt aus dem plural.
Ich lege indessen nicht allzu viel gewicht auf diesen einen
punkt, da wir ja darüber einig sind, dass auch für das gotische
dieselben auslautsgesetze anzunehmen sind, wie für das nord-
und westgermanische, nämlich früherer abfall der vocale nach
langer als nach kurzer Wurzelsilbe.
Auf die bemerkungen van Heltens a. a. o. s. 480 ff. des
näheren einzugehen, möchte ich vermeiden. Ich habe aus
ihnen nichts mich überzeugendes entnehmen können, und fühle
mich ausser stände, meinerseits neue argumente ins feld zu
führen. In solchem falle ist von einer erneuten discussion
nichts erspriessliches zu erwarten. Einige versehen muss ich
jedoch berichtigen. Die ausführungen auf s. 482 erledigen sich
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
dadurch, dass van Helten auf den wesentlichen unterschied
verschiedeninoriger vocale, auf die ich jetzt in erster linie die
behandlung der längen zurückführe, gar nicht eingeht. Ich
verkenne nicht, dass die tenninologie und accentbezeichnung
des litauischen auf den fernerstehenden verwirrend wirken
kann. Lit. ranka und szirdts tragen zwar die gleiche accent-
bezeichnung, sind aber in ihrem Ursprung ganz verschieden.
Der gravis bezeichnet hier nur den sitz des accentes, über
die ursprüngliche qualität desselben erhalten wir erst durch
die Sprachgeschichte aufschluss. welche lehrt, dass ranka auf
*ru*hd und weiter auf *rdnka zurückgeht. Ferner sagt van
Helten: 'die kürzung war nach der accenttheorie die folge
einer stosstonigen (d. h. haupt- oder nebentonigen) ausspräche
der ultima.' Ich brauche wol kaum zu bemerken, dass die
in klammern angeführten worte falsch sind, da auch unbetonte
silben ebensogut verschiedene accentqualitäten besitzen können
wie sie lang und kurz sein können.
Van Helten löst die Verkürzungsfrage jetzt dahin: 'wenn
die spiranten Ö und fi abgefallen waren, sind die längen ge-
kürzt, bei schwund von / = indog. (/ sind sie erhalten.' Diese
lösung, über deren innere Wahrscheinlichkeit man wol ver-
schiedener meinung sein kann, hilft leider nicht über die
Schwierigkeiten hinweg, die die nasalierten silben bieten, und
den unterschied von got. bairai indog. *bharoit und haitada
vermag sie nicht aufzuklären. Dass ausserdem bei van Heltens
versuch eine reihe von formen unerklärt bleiben (s. 485 ') und
formen zur erklärung herangezogen werden, die es nicht gibt
(s. 487 3 f. J. Schmidts dativendung -<• aus -ei und -ö aus -öi),
dient ihm nicht gerade zur empfehlung. Ich halte auch diesem
neuesten versuch gegenüber die 'accenthypothese' fftr uner-
sehüttert.
2. Gab es wgerm. reflexe von got. -ans, -ins, -uns
des acc. plur.?
Diese frage hat van Helten Beitr. 20, 516 f. gegen Scherer,
Mahlow, Kluge, Jellinek und mich verneint, aber mit unrecht,
wie ich nicht weiter ausführen will. Erkennt man aber die
gleichung aengl. suntt — got. sununs an, so wird man nicht
umhin können, aengl. acc. plur. stma mit got. dayans zu ver-
15*
228
HI KT
gleichen. Auch im aengl. muss eine Unterscheidung des nom.
und acc. der a-stämme existiert haben, die im got. vorhanden,
im alid. und as. noch nachweisbar ist. Die formen mussten
lauten dömas und *döma. Die durch den nom. verdrängte
accusativform der a-stämme hat aber bei den kurzsilbigen
«•Stämmen ein unterkommen gefunden, während die langsilbigen
die nominativform herübergenommen haben, feldas.
3. Gr. örofia, got. mnnps.
Got. munjts, ahd. mund m., ags. muö, aisl. munnr, urgerm.
*mn}mz hängt ziemlich sicher mit lat. mentum kkinn bei men-
schen und tieren* zusammen. Des weiteren kann man aber
gr. orofAUj azofjarog leicht mit den beiden Wörtern verbinden.
Ich halte zunächst die /-flexion des griechischen hier wie in
zahlreichen anderen fällen für alt. ordfia geht dann auf
*stömnt zurück, das sich zu *mnto- aus *sfmnto- verhält wie
o 7 o o
*dvkmt 4 10' zu *butom aus *(lkmtöm. Derartiger fälle, in denen
der vocal der ersten silbe völlig geschwunden, und die an-
lautende complicierte consonantengruppe alsdann vereinfacht
ist, gibt es ja genug, ich erinnere nur an gr. TQujrt^a aus
*ptra-, *qtra -jrt^a, an gr. xrt/c, xrtvoq aus *pktcnos zu lat.
prrten, pectinis. Die Verbindung von wund mit maul, ahd.
mala f. ist unter diesen umständen freilich aufzugeben. Die
wurzelbetonung des germanischen muss auf accent Verschiebung
beruhen. Ich lasse zunächst einige ähnliche fälle von Schwund
der ersten silbe folgen.
4. (ir. GTOfdayog, ahd. mayo.
Den iuayen mit möyen, vermögen in Zusammenhang zu
bringen, hat nahe gelegen, so unwahrscheinlich das auch bei
genauer Überlegung scheinen mag. Denn die körperteil-
bezeichnungen widersetzen sich der herleitung aus verbal-
wurzeln und gehören zum ältesten bestand der spräche über-
haupt. Die im titel angeführte vergleichung von gr. oxoitaxoc
mit ahd. mayo ist genau so gut möglich wie die von mund
mit ordfia. Die bedeutungen stimmen vortrefflich. Die w-flexion
der germanischen wird auf dem einfluss der übrigen körper-
bezeichnungen, namentlich von ahd. nioro, herea beruhen.
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GRAMMATISCHE8 UND ETYMOLOGISCHES. 229
5. Ahd. muodi.
Ahd. muodi 'müde', ahd. mttojan 'beschweren' gehören zu
lat. möles Anstrengung, mühe, last', mölestus 'beschwerlich*,
gr. fimXoq 'anstreiigung', umXve 'matt, trag'. Eine erkennbare
ablautsstufe der w. mö, eine stufe m9 ist bisher noch nicht
gefunden; das weist darauf hin, dass wir es mit einer zwei-
silbigen formation zu tun haben. In der tat kann man sie
leicht mit gr. xufjaroc, xfi^roq, aind. gamitäs u.s.w. verbinden.
Xhd.muodi wäre aus *(k)mötjos herzuleiten. Nach den IF. 7, 203 f.
gegebenen auseinandersetzungen muss die basis kemö die ab-
lautsstufen kemo und k(e)mö zeigen. Letztere war bislier nicht
aufzufinden, und liegt in mö vor, da die anlautsgruppe hm
wahrscheinlich schon im indogermanischen das k verloren hat.
Gr. xfj?]Tog spricht nicht dagegen, da man hier ui\ als Ver-
treter der indog. gruppe etno auffassen kann. Sonst findet sich
im gr. nur xjitXt&Qov, das nach Pamphilus in E. M. p. 521. 28
= fiiXa{>Qov sein soll. Nun hat man dieses zwar mit ahd.
himil zusammengebracht, was indes immerhin unsicher bleibt.
Ich glaube also, dass vor der band x(iiXti>Qov nicht gegen die
annähme eines indog. abfalls des k spricht.
(3. Got. mops 'zorn\
Got. mops m. 'mut, zorn' hat man mit abulg. sii-mej^
'wage', gi\ fictiouat -strebe, trachte', piai(iäo> 'verlange heftig'
zusammengestellt. Ich will diese möglichkeit nicht bestreiten,
schlage aber eine andere vor. Vergleicht man die bedeutungs-
entwicklung von gr. &vuog gegenüber lat. famus, abulg. dymU,
aind. dhümds, so kann man möds aus *dhmütds herleiten und,
mit aind. dhmütds von dham, dhmä 'blasen, durch blasen an-
fachen (das teuer)' vergleichen. Der anlaiit dm wurde im
germanischen oder schon früher vereinfacht (vgl. auch Osthoff,
lat. materies, Festgruss an Roth s. 120), und die bedeutungs-
entwicklung von 'angefacht, angeblasen' zu 'zorn, mut' ist
einfach und verständlich.
7. Got. dius.
Man hat längst, um got. diusn. 'wildestier' zu erklären,
auf lat. animal zu nninnts verwiesen, und daher lit. dresiit
'hauche', dräse 'atem, geist', abulg. dusa 'atem, seele' heran-
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HI KT
gezogen. Man kann mit einiger Wahrscheinlichkeit auch lat.
bestia ans *duestia wie bellum ans dueUum vergleichen, in
dem die ablautsstufe dres gegenüber gerin. *dcus in demselben
sinne verwant ist. Freilich geht lat. dues anf indog. du zu-
rück, während das germ. wort anf dh weist, aber dasselbe
Verhältnis besteht auch zwischen ahd. hart und lat. kirim, für
das wir farba erwarten, und ein Wechsel zwischen media und
media aspirata ist auch sonst belegt.
8. Ahd. her.
Ahd. btr geht mit as. berswin, ags. bar, auf urgerm. *baira-
zurück, und das indog. bhoiro- ist ein reimwort zu gr. /otyoc,
alb. der 'schwein' aus ghoiros. Mit russ. bororu 'eher kann
das wort natürlich nichts zu tun haben. Vielmehr ist dieses
aus einer form *harws, vgl. mhd. bare, ahd. baruy, barh, aengl.
bearh, an. boryr entlehnt.
9. Got. usgrudja.
Got. usyrudja icairjum übersetzt das griechische txxtcxttv.
Das wort kommt weder in den übrigen germanischen sprachen
vor, noch ist es etymologisch erklärt. Ich verbinde es mit der
aind. wurzel hrr, hrtt, hur. Bekanntlich wechselte die laut-
gruppe rr im indog. häufig mit ru, und zwar kann man mit
ziemlicher bestimmtheit behaupten, dass diese aus jener ent-
standen ist. Den stamm hrüt finden wir im Veda in der be-
deutung 'feind', hru aber heisst 'von der graden richtung
abbiegen oder abbiegen machen'. Dass sich daraus die got.
bedeutung 'mutlos, träge' entwickelt haben kann, unterliegt
wol keinem zweifei.
10. Got. u ulf's.
lTeber die verwantschaftsverhältnisse von got. u ulf's spre-
chen sich die etymologen sehr verschieden ans. Ganz neuer-
dings trennt Uhlenbeek, Kurzgef. et. wb. d. got. spräche lat. lujms
von dem deutschen wort, sicher aber mit unrecht, lupus und
gr. Xvxoj; gehören entschieden zu dem allgemein verbreiteten
wort. Ihr anlaut ist als echtes lu zu fassen, das im indog.
aus /•/ entstanden ist, vgl. Wackernagel. Aind. gr. $ 184. s. 2<M».
Das p lässt sich aus sabinischem einfluss erklären, und dann
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 231
wird man nicht umhin können, lat. vulpes (trotz Kluge, Et. wb.)
mit ahd. wulpa, an. ylgr, aind. rrkhsh zu verbinden. Die flexion
vulpes, vulpis weist auf die alte i<7-declination, für die auch
noch vulpinus spricht. Wie man dazu kam, die wölfin eine
frau fiichsin zu nennen, erklärt unsere deutsche tiersage, der
in diesem punkt ein altes tiermärchen zu gründe liegt, da ja
begattungen von fuchs und wölfin in der tat vorkommen.
11. Got. augo.
Man darf wol behaupten, dass das germanische wort für
4ange' trotz aller bemühungen noch nicht einwandsfrei erklärt
erklärt ist. Sowol der einfluss von ausö wie eine contamina-
tion von *ag und *aiv scheinen mir nicht überzeugend zu sein.
Nun führt aber die nächste erwägung dazu, in got. auyö eine
reduplicierte bildung zu sehen. Denn der indog. stamm lautet
ob', was im germanischen zu au- füluen kann, und in dem g
sehe ich den andern laut, der als entsprechung von kr an-
genommen werden darf, augö führte also auf *ok*9fa,aJ das
sich direct mit gr. ojtoijtt) vergleicht. Nur muss man im ger-
manischen an stelle des vollstufenvocals ö ein 9 voraussetzen.
Freilich, sicher ist diese deutung deshalb nicht, weil wir über
die verschiedenen laut Vorgänge, die hier eine rolle haben
spielen müssen, noch nicht genügend unterrichtet sind. 9 wird
Weif ach durch a, z. t. aber auch durch u vertreten. Um die
erhaltung der labialisation zu erklären, mussten wir hier das
erste annehmen. Ueber die bedingungen, unter denen schwache
vocale schwinden, sind wir gleichfalls noch nicht genügend
unterrichtet, vgl. IF. 7, 194, wenngleich ich nicht zweifle, dass
sie schwinden, so dass diese etymologie als gesichert erst be-
trachtet werden kann, wenn die lautgesetze genügend fest-
gestellt sind.
12. Germ. hund.
Vielleicht hat sich schon mancher gefragt, wie kommt
eigentlich das germanische wort für 'hund' zu dem ableitenden
dental, von dem sich in den übrigen sprachen keine spur zeigt :
gl-, xvcw, lat. canis, lit. szh, aind. vva. Wir haben es hier
m. e. mit einer Umbildung unter dem einfluss verwanter worte
zu tun. Man könnte fast sagen, es gibt im germanischen ein
tiersuffix -nt wie im slavischen, nur dass es fast ausschliesslich
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HIUT
in einsilbigen Worten erscheint, so dass wir diese worte mehr
unter dem begriff der Adaptation of suffixes' betrachten müssen.
Die meisten beispiele sind bekannt. Mit kind kann man be-
ginnen, weil hier der dental alt ist, und got. ulbandus, mhd.
olbentc darf man in gleichem sinne hinzufügen. Dann ahd.
hinta 'hirschkuh', ahd. lind, lint 'schlänge', an. linnr, ahd. wint
'Windspiel', ahd. hrind n. 'rind', neben nl. rund, ahd. wisunt.
Es ist bekannt, dass sich im slavischen wirklich ein tiersuffix
-nt entwickelt hat, vgl. russ. >///*/«', serb.jagnjcjagnjcta gegen-
über lat. agnus; russ. porosjd, serb. prase gegenüber lat. porcus,
ahd. forh\ ferner russ. ditjd, tcljd, kurjd u.s.w.
Wie jung das suffix -t ist, erkennt man daran, dass es
in weiteren ableitungen fehlt, vgl. z. b. telenoM.
13. Nhd. hornung.
Nhd. hornung ist schon um dessentwillen auffällig, weil
es der einzige altgermanische monatsname ist, der sich bis
heute erhalten hat. Die bisherigen etymologischen deutungen
befriedigen nicht. Eine beziehung zu horn *eornu\ der monat.
in dem die hirsche ihr gehürmi 'geweilr abweisen, wie Schade,
Altd.wb. s.v. meint, lässt sich nicht halten. Eine ableitung
von horo ;kot, schmutz' widerspricht der natur der dinge.
Wichtig für die etymologie sind ein paar sachliche erwägungen.
Die alten Germanen haben sicherlich keine monatseinteilung
besessen, wie sich weniger aus dem fehlen alteinheimischer
monatsnameii als aus allgemeinen cultiirhistorisehen erwägungen
ergibt. Der name hornung kann daher ursprünglich nur eine
durch bestimmte naturcrscheinungen im allgemeinen charak-
terisierte, nicht eine im kalender genau abgegrenzte zeit ge-
meint haben. Man könnte fast sagen, es war ein jahres-
zeitennamen wie herbst, imz u.s.w. Einen weiteren anhält
gewährt der von J. (iiimm, Gr. 2, 360 anm. citierte bauernreim:
der kleine horn (februar) spricht zum grossen horn (januar),
woraus sich ergibt, dass horn mindestens einen zweimonat-
lichen Zeitraum bezeichnete. Die bedeutung ist nun schon
ziemlich sicher zu erraten. Wenn etwas januar und februar
charakterisiert, so ist es die kälte, und diesen begriff wird man
zunächst in dem worte suchen. Ich stelle horn daher zu lit.
szarmä •pruina', lett. serma, summ, russ. screnn 'reif, wozu
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
233
aus dem an. hjam 'gefrorner schnee oder erde' zu ziehen ist.
Der Wechsel von m und n im suffix fällt nach dem, was J.
Schmidt, Kritik der Sonantentheorie s. 87 ff. an parallelen bei-
gebracht hat, nicht weiter auf, wenngleich die erklärung J,
Schmidts mir nicht in allen fällen zuzutreffen scheint. Was
die bedeutung betrifft, so verhält sich an. hjam zu hom wie
gr. yimv zu lat. hiems. Natürlich könnte man ja auch an ent-
fernteren Zusammenhang mit got. haurn, lat. cornu denken, da
sich ja in der härte des hornes und des gefrorenen bodens eine
bedeutungsähnlichkeit ergibt, die eine ableitung des einen vom
andern als möglich erscheinen liesse. ')
14. Got. födjan.
Got. fodjan, aengl. ft'-dan verbindet man mit gr. xaTtoftai,
'esse, verzehre'. Bei Schade s. v. findet sich auch der hin weis
auf abnlg. pitati 'ernähren'. Kluge hat Et. wb.5 diese glei-
chung ebensowenig aufgenommen, wie Thlenberk, Kurzgef. et.
wb. der got. spräche, höchst wahrscheinlich, weil die ablauts-
verhältnissc nicht stimmen. Wenn wir aber von einer w-wurzel
ausgehen, so können wir die germanischen worte mit dem
sla vischen vereinigen. (Gehört gr. xattoimt, wie wegen ahd.
fatunya 'nahrung. speise' wahrscheinlich ist. hierher, so haben
wir es mit einer der zahlreichen ablautsentgleisungen zu tun,
die zur gentige bekannt sind, vgl. W. Schulze, KZ. '27, 422.
xmua, jtixmxa zu jtl&i, .Tlvm und jroroV. nixoxat bieten eine
genaue parallele.
15. Ahd. riuti.
Ahd. riuti und seine verwanten haben im ahd.. namentlich
in Ortsnamen, ihre spuren hinterlassen. Aus der weiten Ver-
breitung der bildungen auf -rode, -Werf, -reut muss man schliessen.
dass das wort im agerm. ganz gewöhnlieh war. Hei Kluge. Et.
wb.5 s.v. reuten fehlt die anknüpfung an die verwanten spra-
chen, die schon Schade gegeben hat. Ahd. riuti ist /Vableitung
und starkes neutrum und führt lautgesetzlich auf \m\o%. reut 16m.
Es ist wahrscheinlich reu-tiom zu teilen, das sich als zu reu-,
m- stellen würde. Vocalisch auslautende wurzeln werden mit
Vgl. Wfiuliold, Die tkutückuu mouutiiaiuuu s. 10. £. S.J
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234
HIRT
'tjp- weiter gebildet. Das entsprechende verbum ist erhalten
in Ii t. rauft 'mit der wnrzel ausroden, jäten' (nicht bei Kurschat),
raveti 'das kraut aus den blumen jäten', lett. raut Geissen,
ziehen, raufen, schleppen', ravft 'jäten', abulg. ryti 'graben',
weiter dann im got. raupjan 'ausreissen, abrupfen'. Auch lat.
ras, rüris 'das land im gegensatz zur Stadt, feld, besitzung,
landgut* kann verglichen werden. Ebenso gehört ahd. riostur,
eig. 'Werkzeug zum reuten' hierher, s. Schade s. v.
16. Got. brap.s.
Got. brii])s bedeutet 'Schwiegertochter, braut, junge frau'.
Kluge s. v. braut bezeichnet es als etymologisch unaufgeklärt.
Uhlenbeck, Et.wb. verweist auf die 'gewöhnliche', mir aber neue
vergleichung mit lat. Frutis, einem beinamen der Venus. Da-
mit steht es aber sehr zweifelhaft. Denn Frutis ist vielleicht
etruskischer name der Venus, und nach 0. Müller, Etrusk. 2, 74
aus gi*. 'AqQoöirij entlehnt. Wie weit das richtig ist, vermag
ich nicht zu sagen. Bugges deutung, Beitr. 13, 184 als *par-
Udhis 'die heimgeführte' scheint mir auf wenig beifall rechnen
zu können. Ich halte die angesetzte form aus den verschie-
densten gründen für unmöglich, will mich aber nicht weiter
mit ihrer Widerlegung aufhalten.
Morphologisch ist das wort ein iV-stamm mit endbetonung
und regelrechter Schwundstufe der wnrzel. Die <i- stamme
haben gewöhnlich eine abstracte bedeutung, die aber zur con-
creten werden kann. Unter der annähme, dass indog. mr im
germ. zu br geworden sei (vgl. Johansson KZ. 30, 445 ff. Ost-
hoff, Ml T. 5, 123 ff.), könnte man brüps mit aind. bravlti, avest.
mm verbinden, die sicher mit mr anlauteten (vgl. Osthoff a.a.O.).
*mrüti's wäre ursprünglich 'die Versprechung, die Verlobung',
lat. S2)onsio, gr. kyyvrjoi^. In betreff des Überganges zum con-
cretum vgl. Delbrück, Grundr. 3, 102 ff.»)
17. Got. raus, ahd. rör.
Got. raus, ahd. rör hat man mit lat. ruscus, 'binse, busch,
mäusedoru, ruscus aculeatus L.' bedeutend verglichen, mit un-
recht wol, wie auch Kluge im Et.wb.5 annimmt. Ich möchte
[') Vgl. auch oben s. m. E. S.J
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGI8CHE8. 235
das wort lieber mit gr. oQorfoc tsl 'röhr' verbinden, grundform
indog. rogk*. Dazu kann dann auch mit Grimm, Gr. 3, 370
serb. royoz 'rietgras', poln. royoz 'binse' gestellt werden.
18. Ahd. bona.
'Es ist noch nicht gelungen den urgerm. pflanzennamen
mit den gleichbedeutenden lat. faba, abulg. bobtt (gr. tpaxo^
linse*) zu vermitteln', sagt Kluge im Et.wb. Hier nur ein
versuch, eine möglichkeit. Ich nehme auch hier den ausfall
eines gutturals an, der uns auf eine indog. form *bhayhvnä
oder *bhahmä führen würde. Eine vermittelung mit dem grie-
chischen oder lateinischen ergibt sich nur, wenn wir verschie-
dene entlehnungen annehmen. Denn ohne weiteres kann gcrm.
bkahv nicht mit gr. g>rcxo.\ r/«x;y vereinigt werden, weil die
gutturale Schwierigkeiten bereiten, zumal wenn alb. baOt f.
'saubohne' mit palatalem guttural mit G. Meyer, Et. wb. zum
griechischen zu stellen ist. Auf der anderen seite wäre eine
vermittelung mit lat. faba möglich, wenn dieses aus dem umbr.
osk. entlehnt auf *bhayh"ä zurückgiengc. Kann aber das slav.
l>obü ein lelinwort sein? Mir scheint auch hier alles auf Ver-
hältnisse hinzuweisen, wie sie beim worte erbst (vgl. Kluge,
Kt. wb. s. v., Hehn, Kulturpflanzen und haustiere 211) vorliegen,
d.h. entlehnung mit mannigfachen kreuzungen aus dem Osten ;
vgl. das folgende.
19. Ahd. rohho 'roggen'.
Ahd. rokho, as. royyo zeigen eine w-bildung wie bona,
gegenüber aengl. ryge, an. rttyr, die zu lit. ruyys 'roggenkorn',
rugial pl., abulg. rüzi 'roggen' stimmen. Man hält die gcrm.
lit. slavischen worte für urverwant, wogegen sich aber starke
bedenken erheben lassen. Ein glücklicher zufall hat uns den
thrakischen namen ßQt^a erhalten, der den roggen bezeich-
nete. Da im phrygischen wahrscheinlich u zu • geworden ist
(vgl. die namen Bglysc und <l>Qvytc), so können wir dies auch
für das nah verwante thrakische voraussetzen. Wir kommen
auf eine grundform *brityja, das wahrscheinlich für *trrttyia
steht, denn die Griechen inussten anlautendes tv durch ti
widergeben. Die form stimmt nun ausgezeichnet zur lit. sla-
vischen, denn im lit. slav. ist ur im anlaut zu r geworden,
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2m
HI KT
nicht aber im germanischen. Das germanische wort mnss
daher ein uraltes lehnwort sein, wahrscheinlich nicht ans dem
lit.-slavischen, sondern aus einem südöstlichen dialekt. In das
griechische ist oQv^a entlehnt, das ebenfalls eine form urttgia
voraussetzt. Woher es stammt, lässt sich freilich nicht sagen.
Auch aind. rrihi 'reis' kann mit dem griechischen wort zu-
sammengehören, natürlich nur auf dem wege der entlehnung.
20. Xhd. schlürfen.
Nhd. schlürfen ist im mhd. und ahd. unbelegt, wegen nl.
slurpen aber wahrscheinlich alt. Es stimmt laut für laut mit
lat. sorbcre, wenn man annimmt, dass hier ein l oder r in der
ersten silbe durch dissimilation verloren gegangen ist, vgl.
royel und geflügel.
21. Got. haims.
Got. haims zeigt eine eigentümliche mischung in der decli-
nation. Im sing, geht es nach der fem. i-, im plural nach der
<7-declination. Jene ist in den übrigen germanischen sprachen
so wenig wie das feminine geschlecht zu belegen. Ahd. heim
ist n., an. Itchur m., as. htm st. m. und n., ags. kam m. Aus
den verwanten sprachen ergibt sich zunächst lit. kemas 'baueni-
hof und gY.x(6fitj *dorf als verwant, von denen dieses offenbar
das feminima collectivum zu jenem ist. Ausserdem ist im
apreuss. Vocabular caymis 'dorf überliefert. Die mit dem got.
übereinstimmende flexion und bedeutung machen mir die an-
nähme von entlehnung wahrscheinlich, zumal sich solcher ent-
lehnungen ja gerade im preussischen noch mehrere finden. Sie
stammen offenbar aus der zeit, wo die Goten nachbarn oder
henen der alten Preussen waren.
Im gotischen sind von snigularformen nur nom. haims. acc.
haim und dat. haimai überliefert. Letztere kann man unmittel-
bar mit ahd. heimi, keime, as. kerne 4 zu hause' vergleichen und
als alten dativ - locativ eines o - Stammes auffassen. Wir
sind jetzt wol ziemlich darüber einig, dass got. daya lautlich
dem instr. ahd. Uiyu entspricht. Für den dativ tage milssten
wir im got. *dagai finden, und eine solche form könnte sich
wol in haimai erhalten haben. Auch haims und haim können
formell masculinformen sein. Da nun zu dem masculinen
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 237
Singular ein femininaler plural gehörte, so wurde der Singular
auch feniininum, vielleicht noch unter dem einfluss von baurgs,
vgl. die Verbindungen du paiw bisuujanc haimöm jah baurgim
Mc. 1, 38; baurgs alias j ah ha i mos Mt. 9, 35; in haimös aifißan
baurgs Meß, 50; and baurgs jah haimös L. 8, 1. Man ist also
keineswegs genötigt, eine doppelte Stammbildung bei diesem
worte anzunehmen, vielmehr erklärt sich alles, wenn man
neben einem singularischen o-stamm haima- lit. Icemas mit
der bedeutung 'haus' ein femininales * haima ■-■■= gr. xeoptn
'dorf ansetzt, das nur im plural gebraucht wurde. Der dativ
haimai wäre dann ausserdem für das gotische eine hohe alter-
tümlichkeit. Er steht aber nicht allein. Für den einmal er-
scheinenden dativ sunnin setzt man den nominativ sunna an,
was indes unnötig ist, da die flexion got. sunnö, sunnin der
ahd. sunno, sunnen entspricht. Ebenso ist das einmal belegte
U sunja neben gewöhnlichem sunjai die dem ahd. dativ-instru-
mental gebu entsprechende form. Ags. dat. kam wird man
am besten der alten instrumentalform gleichsetzen.
LEIPZIG - GOHLIS. H. HIRT.
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ZUR GERMANISCHEN WORTKUNDE.
L Deutsch böse u. a.
Von (1. böse sagt Graff 3, 210: 'kommt weder im got. noch
im ags. und nord. vor', eine angäbe, die fortwährend in den
etymologischen Wörterbüchern widerholt wird. Ich glaube
indessen, dass es zu diesem worte im nordischen entsprechende
formen gibt, und zwar norw. baus 'hitzig, heftig, übermütig,
stolz' (vgl. norw. bausa '[blindlings] darauf losgehen', banste
'unverzagt und heftig heranstürmende person', bausta-kar
'dreister und etwas gewaltsamer mann', s. Aasen und Koss)
und schwed. dial. bös 'wild, verwegen daherfahrend' (Rietz)
auch 'dicktuerisch' (in Östra härad, Km&land, z. b. in der Zu-
sammenstellung karat rt bös 'hochmütig und dicktuerisch', nach
einer mitteilung von lic. 0. Lagercrantz >)• Aehnliche bedeu-
tungen bei dem hier in rede stehenden deutschen stamme sind
schon aus dem ahd. belegt; man beachte ahd. (jebose 'levitate
(arrogantiae)', Graff 3.217, bösa 'Widersetzlichkeit, trotz' (Kelle.
Gloss. d. spr. Otfrids), 'herzenshärtigkeit' (Piper, Gloss. zu Ot-
frid) und ahd. bösa als gegensatz zu milti (s. Graff 3, 21(5).
Diese Zusammenstellung von d. böse mit norw. baus, schwed.
dial. bös (alle aus urgerm. *b«tis-) wird dadurch kräftig gestützt,
dass ein paar besondere bedeutungen von d. böse auch im nord.
bans- anklänge haben. Wie im DWb. 2, 252 erwähnt wird,
kommt d. böse dialektisch in einer der gewöhnlichen fast ent-
gegengesetzten bedeutung vor, und zwar in Verbindungen wie
en bösa jeycr 'ein geschickter, trefflicher jäger', ein böser
mann 'ein feiner mann'. Hiermit sind zu vergleichen: norw.
•) Dieses schwed. dial. bös ist gewis ein echt schwedisches, und nicht
ein lehn wort aus dem deutschen, da die bedeutungen mit denjenigen der
angeführten norwegischen Wörter vollständig übereinstimmen.
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ZUK GERMANISCHEN WOKTKUNPE.
289
baust adv. * tiiclitigr, reichlich', hause 4 bedeutender mann' und
norw. bosc 'tüchtiger mann' (Aasen). Die bedeutungen von
ahd. bösn 'albernheit ' (Schade), bösi 'ineptus' (Graff) finden
sich auch in der nord. sippe wider: norw. b&ysing 'hervor-
stürmender narr', häl(v) -b&ysing 4 halbnarr ' (Ross); vgl. auch
schwed. dial. byssing (aus urgerm. *bus-) 'alberner keil'. Hierzu
stellt sich ja auch gut nl. beuzding 'gehaltlosigkeit, narr-
heit' etc.
Schon früher (s. Kluge, Et. wb.) ist d. böse mit engl, boast
'prahlen, sich rühmen' in Zusammenhang gebracht worden. Die
Zusammengehörigkeit dieser Wörter wird bestätigt durch norw.
haus 'stolz, hochmütig', bausa 'laut, schnell und rücksichtslos
sprechen' (vgl. ahd. bösön 'blasphemare', Graff 3, 217), bausta
'mit etwas herausplatzen', bauska 'aufschneiden, prahlerische
geschienten (norw. 'skronor') erzählen' (s. Aasen und Ross;
vgl. auch das schon — s. Franck, Wb. — zu d. böse gezogene
nl. beuzel, älter bözeh 'malligheid, leugen' und mnl. heuzel-maren
'fabelachtige tijdingen', Oudemans Wb.')).
Die schon im ahd. und mhd. bei bösi etc. vorkommende
bedeutung 'schlecht' = 'wertlos, nichtig' könnte von ahd. gt~
bösi als glosse zu 'levitas (arrogantiae)' (oben aus Graff an-
geführt) beleuchtet werden. Uebermut und dickt uerei sind ja
gewöhnlich mit nichtigkeit verbunden. Indessen stehen auch
andere von den oben verzeichneten bedeutungen des hier in
rede stehenden Stammes (wie 'narrheit. gehaltlosigkeit', 'leugen')
jener bedeutung nahe.1)
') Hierher scheint auch ahd. hörn 'frivola', Ahd. gll. 2, 498, 42 (in fol-
gendein Zusammenhang: nimirum vacuae credentur frivola famae, Pru-
dentius, Psych. 231) zu gehören und vielleicht auch bose in sus getan gechose
('rede') daz dunchet mich so bose, Graft" 3, 21«; vgl. ferner in der note
s.240. Schon früher ist vorgeschlagen worden, mlat. bausiare 'fallere, deci-
pere', prov. bausios 'fallax' etc. (s. z. b. DWb. unter böse) mit böse zu-
sammenzubringen. Die bedeutungen dieser formen schliessen sich ja den
hier oben angeführten gut an.
-') Im Mhd. wb. scheint mir die bedeutung 'schlecht' — 'wertlos, ge-
ring, armselig' bei batse zu viel hervorgehoben zu sein. Nach der dort
gegebenen darstellung könnte man glauben, das« im mhd. jene bedeutung
die bei weitem gebräuchlichste und mithin die eigentliche sein sollte.
Sieht man aber die mitgeteilten belege näher an. so findet man. dass in
vielen ebensogut die bedentnng 'schlecht' = 'schlimm, arg (malus, pravus)'
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240
WADSTKIN
Zu dieser sippe urgerm. *baus-, Mfe- 'heftig, übermütig:
etc' gehören offenbar auch mlid. bus (paus) 'aufgeblasenheit,
schwellende fülle', nhd. ba-us 'abundantia, tumor, inflatio', bansten
'turgere', mhd. Imsen ' schwelgen', nM. bansen 'tumere, turgere'.
iargiter potare, schlemmen und demmcn' (DWb.). mnl. Imysen,
engl, bouse 'zechen'; vgl. norw. Imsa i sey 'gierig fressen, hinter-
schlingen', busen 'gef rassig', banse 'wolernährte person', bansten
'appetit habend' (Aasen und Koss). Ferner stellen sich gut
hierher: d. bauseh 'tumor. willst, geschwulst' (I)AVb.), mhd.
büsch 'wulst. schlag der beulen gibt, kn Uttel', hinsehen 'schlagen,
klopfen', nhd. bauschen 'tumere, turgere'. 'ferire, schlagen,
schwellen machen' (DWb.).
Diese von mir gemachten Zusammenstellungen werden
durch bedeutungen hierher gehöriger slavischer Wörter be-
stätigt. Auf meine frage, ob sich vielleicht im slavischen
verwante von dieser germanischen sippe bans : btis 'schwellen,
aufgeblasen sein etc.' finden sollten, hat mich mein freund
Mikkola auf das slav. buch- (aus ieur. bhous-) von ähnlicher
bedeutung aufmerksam gemacht. Zu diesem stamme gehörige
formen der verschiedenen slavischen sprachen finden sich bei
Miklosich, Et. wb. s. 23 verzeichnet. Russ. buehnntl bedeutet
eben 'schwellen, sich werfen*, neuslov. bnhnoti 'anschwellen',
serb. nabnhnnti -anlaufen, anschwellen, intumescere'; — vgl.
d. bansen 'schwellen' etc. oben. Die bedeutung von norw.
bans, schwed. dial. bös 'übermütig' findet sich in den mir von
Mikkola aus dem kaschubischen mitgeteilten bucfoi 'hochmut'
und bustii 'hochmütig' wider. Poln. buchnqc, buchae bedeutet
u. a. 'gewaltig hervorbrechen, hervorbrausen, herausplatzen';
vgl. norw. bausa '(blindlings) darauf losgehen' etc. Auch die
bedeutung von norw. bausa "laut und rücksichtslos sprechen'
erscheint im slav.: czech. bauehati 'hitzig reden', auch 'schwä-
tzen, plappern, gehirnlos reden'. Die letztere bedeutung
angesetzt werden kann. Auch andere bedeutungen können unterschieden
werden. So ist b(?se rede in b'tt ho se rede und tuot diu irerc Iw. 5009
und Im Wigal. 2207 offenbar mit * grossprahlerische reden' zu übersetzen.
In bwne Herren Waith. 2b, 33 • schlechte, die versprechen und ihr wort nicht
halten' kommt eine ähnliche bedeutung zum Vorschein. Ebenso int in sirä
sieh der bwse selbe lobt Iw. 2499 gewis in Iw« die nebenbedentung 'gross- .
prahlerisch, dicktuerisch' mit einbegriffen.
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ZUR GERMANISCHEN WORTKUNDK.
241
erinnert an germ. *baus- 'narr, albern' (s. oben); vgl. auch
czech. bauehnauti sc *sich vernarren (in etwas)'. Ferner be-
ileilten poln. buchac gierig fressen, hinterschlingen' und czech.
bauchati («* sc) 'gierig fressen', also ganz dasselbe wie mhd.
Imsen 'schwelgen' etc. (s. oben). Mit poln. buchac (hxjo) '(jemand)
derb prügeln', czech. bauchati 'einen schlagen' ist d. hinsehen
'ferire, schlagen etc.' (s. oben) zu vergleichen.1)
Zu der hier behandelten sippe stelle ich ferner auch isl.
bysia *to gush' (von blut. thränen). vgl. poln. buchac *mar-
quant Faction unique, des choses liquides: jaillir. saillir,
sourdre, s'cchapper avec abondance', Janusz. Dict. pol-frang.)
norw. beysa 'gewaltsamer windstoss', bysja 'böe. windstoss',
schwed. dial. busa 'stark blasen' (vgl. poln. buchac \co] 'heftig
aushauchen, gewaltsam ausatmen', Booch - Xrkossy). Ebenso
gehört wahrscheinlich hierher isl. norw. byrr, schwed. dial. byr,
bor, dfln. bor -wind'.
2. Deutsch (ftp fei u.a.
Von hd. (jipfel ist bisher keine einigeinlassen wahrschein-
liche etymologie gegeben worden (s. Kluges Wb.). Das wort
ist in keiner germanischen spräche oder dialekt ausser im
oberdeutschen gefunden worden. Man hat nicht einmal einen
verwanten davon im ganzen germanischen Wortschätze an-
treffen können.2) Dies ist in der tat auch nicht zu erwarten,
da hd. (fipfel, wie aus dem folgenden hervorgehen dürfte, nicht
ein echt germanisches wort, sondern aus dem romanischen
entlehnt ist.
Wie bekannt tritt (jipfel in der literatur ziemlich spät auf.
Nach Weigand kommt das wort erst im 10. jh. als allgemein
üblich vor. Einzelne belege sind jedoch aus älterer zeit ge-
funden worden und zwar steht der älteste mir bekannte in
einer oberdeutschen quelle von 1420, welche das mlat. c'nua
mit gipfel glossiert (s. Diefenbach, X.gl. s.9Ö* und s. xvi, no.52).
Auch in schweizerischen dialekten bedeutet [fipfel. mit der
') Die bedeutungsangaben der polnischen und czechisehen Wörter habe
ich den Wörterbüchern von Booch-Ärkossy und Jungmann entnommen.
*) E. Liden stellt es BB. 21,115 zu schwed. gippa 'wippen': vgl. in-
dessen darüber verf. in derselben Zeitschrift 22. 116.
RrltrUgo '»r getchichto der druUcheu «pra:he. XXII. \{j
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242
WADSTKIN
ncbenform lipfrf. noch besondei-s 'oberster teil von pflanzen*
(s. Schweiz, id. 2, 890); vgl. auch bair. dial. yipfliny 'der oberste,
noch ganze teil eines gefällten baumes' (Schmeller 1, 028).
Der Wechsel von anlautendem y und /.• in oberd.1) yipfel
und kipfel erklärt sich am einfachsten bei annähme von ent-
lehnung; denn bei solchen, zumal romanischen, tritt ein der-
artiger Wechsel bekanntlich oft auf. Heber denselben verweise
ich auf Grimm, \Yb. 4, 1, 1 sp. 1100 unter .V\ wo hervorgehoben
wird, dass 4 in fremd Wörtern, besonders romanischen, ein k (c)
gern als y erscheint ; so in oberd. yant . . . Gaspar . . . gerner
carnarium. (fitster küster, yumpost eompost'2); vgl. ferner Wein-
hold, Bair. gramm. 175, Alein. gramm. 211 und Franz, Die lat.-
roman. elemente im ahd. s. 30.
Das wort yipfel findet sich auch, wie aus der vorher-
gehenden erwägung zu erwarten ist. im romanischen wider
und zwar in dem afranz. ctpel. Dieses eepel ist (s. Godefroy)
ein diminutivum zu afranz. nfranz. eep, das (s. z. b. Hatzfeld-
Darmesteter) dem lat. eippus •stamm, stock' etc. (vgl. unten)
entsprungen ist. Afranz. eepel, das folglich auf ein ursprüng-
liches *cippil- zurückgeht, bedeutet 'rejetoiv: es wird z. b.
von sepeaux (aus eep-) et souches de la eigne (s. Godefroy)
gesprochen. Es stimmt also das romanische wort sowol hin-
sichtlich der form wie hinsichtlich der bedeutung (man beachte,
dass das mlat. eima auch mit sprösslein glossiert wird —
s. Diefenbach, Gl. - und dass span. eepellon "busch reiser, welche
aus einem stamme geschossen sind' bedeutet) mit dem hier in
trage stehenden germanischen worte vollkommen überein.
W ie franz. eepel und d. yipfel die oben angeführten be-
deutungen bekommen haben, ist leicht zu sehen. *Cippil-.
diminutivum zu eippns, bedeutet ja eigentlich 'stämmchen,
stöckchen'. Daraus erklärt sich ohne weiteres die bedeu-
tung 'rejeton' (/sprössling'). Die bedeutung "oberster teil
von pflanzen, bäumen' könnte auf folgende weise entstanden
sein: lat. eippus bezeichnete eigentlich nur den unteren
dickeren teil eines Stammes; vgl. z. b. eippus 'truneus*
'J Vgl. auch bair. gipfd : kipfel spitze brod' Schmeller 1. 92»>. 1273.
<l. yipf: kippe "spitze* unten ».247 u.a.m.
-) Man beuchte besonder« auch die parallele <j"p1\e) : kuppe.
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ZUR G RUMÄNISCHEN WORTKUNDE.
243
(s. Forcellini) und span. eepn 'der stamm eines baumes. eigent-
lich der untere teil desselben nebst der wurzel, aber ohne den
übrigen teil des baums' (Franceson). *Cippil- (gipfeJ) 'kleiner
stamm' ist somit eine sehr naheliegende benennung des dün-
neren, kleineren oberen teiles eines Stammes.
Die identität von afranz. eepel und d. gipfel, kipfel wird
ferner durch ein hierher gehöriges verbum gestützt, das auch
aus dem romanischen ins deutsche gewandert ist. Ks ist dies
das mit lat. eippus zusammengehörende (s. Littre) franz. re-reper
'terme de jardinage: couper un arbre jusqu'au collet afin de
reconstituer nne nouvelle charpente', 'forstwesen: abschneiden,
abholzen' (Sachs -Villatte), prov. cepa 'reeeper. couper net'
(vgl. auch prov. cepage, mlat. ceppagium 'reeepage' und franz.
cepage "abästen der reben'). Aus diesem romanischen verbum
stammt offenbar das d. kippen von ganz derselben bedeutung:
•im forstwesen, äste an den bäumen abhauen, um wider junges
holz darauf zu ziehen' (Heyne), nach dem PWb. -die spitze
abschneiden, truncare' (die oberdeutsche form topfen findet sich
in Altenstaigs vocabular vom j. 1508 und wird da den tolden
im bnum abhauen, decacum innre übersetzt; s. PWb. unter
kipfen). Im nl. kommt dieses Lippen mit der bedeutung 'de
spitz abhakken' (auch 'treffen, slaan') ebenfalls vor (s.Franck').
') Dieses kippen (vgl. auch enifl. chip und nord. kippn) entbehrt bis
jetzt einer etymologie (Franek sagt darüber: 'schijnt als onomatopee te
knnnen worden optrevat ;. Ich traue mir nicht zu. bestimmt zu entscheiden,
ob diese verba nur denominativa von eippus sind, oder ob die bedeutung
* hauen, schlafen' bei dieser sippe eine ursprünglichere ist. Lat. eippus
bezeichnet indessen gerade einen behanenen stamm, stein Csäule. pfähl *)
s. unten; vgl. auch dass appus im Yet. <rloss. [s. ForcelliuiJ xogtutc glossiert
wird). Prov. cepa 'couper', ( rom.o «jenn. kippen 'hauen, schlagen', lat.
eippUB könnten deshalb zu der bei Fick. Wb 1*. 421 angeführten sippe keip-
' bohren, schlagen' gehören, wozu u. a. gr. xißihj "metall seh lacke'. xifrSwv
'lt ergmann', xtjfiifi •falschmünzer' und (von Pcrsson. Wurzelenveit. 177)
d. schiefer, im mhd. 'Splitter von stein und bes. von holz", geführt worden
sind (beachte engl, chip u.a. ~ 'a small. and esp. thin, piece of wood.
stone ... separated hy hewing", chip verbum. vom steinhauen benutzt, s.
Murray, Piet. chip v. 1 X c und chippcdZ: mit xl^Si^ 'falschmünzer' ist d.
Kipper ' mttnzfälscher ' zu vergleichen ). IMe ältere von Fick. KZ. 20, 30]
gemachte zusammenstcllunir von eippus mit lat. seipio, gr. axiniov 'stab'
(wozu nach Johansson, 1F. 3,213 auch skr. cepu 'penis' gehören sollte) wäre ja
mit der hier vorgeschlagenen von eippus sehr leicht vereinbar ^skr. cepa 'penis'
ist geradezu von Fick a.a.o. zu leip- 'bohren, schlagen' gestellt worden).
10*
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244
WADSTKIN
Der liier in frage stellende romanische stamm dp-, ccp-
kommt indessen in noch mehreren belegen im germanischen
vor. Er ist in der tat ein dort überaus häufig auftretender
gast, was bis jetzt nur wenig1) beachtet worden ist. Wenn
man sich an die bedeutungen und anwendung von lat. cippus
erinnert, wird es auch kein wunder nehmen, dass dieses wort
sich so stark verbreitet hat. Ks bedeutet cippus 'spit-zsäule
aus stein oder holz a) als leich enstein, b) als grenzstein.
c) von den pfählen eines schanz Werks' (Georges, Wb.). l'eber-
dies bezeichnete cippus2) d) 'petite colonne ou pilier. que les
anciens placaient en divers endroits des grandes routes, et <|ui
offrait des explications sur le chemin' (Littre s.v. cippcA) und
ferner auch e) 'ligneum vinculum, ad instar ancilis factum, quo
damnatorum pedes vinciebantur aut servorum' (Forcellini4)).
Wegen dieser bedeutungen des Wortes ist es ja offenbar, dass
cippus fast gleichzeitig mit dem auftreten eines römischen
heeres in einem fremden lande dort bekannt werden, und dass
es mit dem vordringen der Kömer gleichen schritt halten
musste. Ks drang auch ins keltische ein: vgl. unten anm. 1
und Littre unter ccp: *ce mot est dans le celtique: gael. aap
trone, kymr. kyf, bas.-bret, kef, und es drang ins germanische
ein, wo es. wie ich jetzt ausführlich zeigen werde, sehr festen
fuss fasste und sich besonders stark verbreitete.
Zuerst wende ich mich zu den fällen, wo im germanischen
hip-, kep-*) (der vocalwechsel beruht auf dem romanischen über-
') S. The Century dict. unter chip, wo ags. cyp, cipp als ein Lehnwort
aus Lat cippus erklärt wird, und Pauls Grundr. 1, :iu9, wo Kluge 'ahd. chipfn,
and. ae. cipp (ir. cepp)' zu cippus stellt (über ir. cepp < cipptis s. die von
Kluge a. a. o. citierte ahhandlung von Güterbock, Lat. lehnwörter im iri-
schen s. 25 ).
*) Von diesen bedeutungen dninde) scheint es keine belege aus dem
klassischen latein zu geben: sie können aber doch alt gewesen sein.
») Vgl. auch it. cippn mezza colouna . . . senza capitello ... per addi-
tare la strada ai viaggiatori' (Tommaseo e Bellini, Du.).
•) Vgl. über die bedeutungen von lat. cippus auch die bei Du l'ange
citierten alten versus memoriales:
Est cippus truucus. terrae cumulus, monuinentum,
Petra tegens cimiterium, cippus quoque lignum,
<^uo captivornm vestigia stricta tenentur. ,
5) Mit ki-, ke~ aus lat. (-rom.) ci-, ce- vgl. dieselbe entsprechung in d.
kitte, kicher~{erbse), Keller, kerbet u.a.m.
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ZCR GERMANISCHEN WORTKCNDE.
245
gang von J zu c, vgl. Gröber. Aren. f. lat. lex. 1,540')) in der
bedeutung etwa 'stamm, stock' vorkommt. Ks sind diese:
as. kip 'stipes' (beleg- bei Steinmeyer und Sievers. Alid. gll.
2.585.513), ags. cxjp 'a chip, beam, log, trunk of a tree, ...
stipes' (Bosworth-Toller), isl. keppr 'a cudgel, club'J) (Oleasby-
Yigfusson), norw. kjep *stoek, stecken, stummel von einem
zweige', auch 'von einem grossen stamme, baumstamm' (Aasen),
asebwed. kwpper 'stecken, stab' (Schlyter. Söderwall), lisch wed.
kapp. dän. kjep dass.. schwed. dial. kippet 'Stäbchen, das in den
mund der füllen, zicklein, lämmer gelegt wird, damit sie nicht
saugen können* (hierzu schwed. dial. kippla, koppln 'kippe! in
den mund setzen', norw. kiplu dass.. aschw. kipla 'knebel in
den mund legen', s. Kietz. Aasen und Schlyter3)); - - vgl. mlat.
eippus : truneus, n/n blök, eyn deue stok; cypa : stock (Diefen-
bach. (41. und X. gl.), cepus, apptts, ceppa 'truneus, stipes' (Du
Cange). it. ceppo -stamm, baumstamm. klotz, block ', eippo
•alniosenstock', span. cepa 'der stamm eines baunies '. 'der wein-
stock', provenc. cep 'tronc', cepo 'souche, ce qui reste d'un
arbre coupe', franz. cep -reben-holz, -stock, stamm'.
Der bedeutung 'stock, stamm' schliessen sich die folgenden
') Auch im irischen ist nach (iüterboek. Lat. tehow. im ir. 25, lat. eip-
zu ce])- geworden. Zuweilen könnte deshalb, in hierhergehörigen nordger-
mauisehen Wörtern (z. b. in isl. kepjtr, das möglicherweise über Irland ent-
lehnt worden ist), e statt i auf diesem irischen übergange beruhen.
*) E. Liden hält, l'ppsalastudier s. 89, isl. keppr für eine ablautform
zu isl. keipr 'ruderdulle' (vgl. auch Noreen. Urgerm. lautl. s. 21). Auch Frauck
kann das hier in frage stehende wort nicht richtig gefasst haben, da er
(unter keper) a*. kip 'stipes' mit mnd, keper 'het balkwerk van het dak,
de daksparren' etc. zusammenbringt und dadurch für bewiesen erachtet,
dass keper ein echt germanisches wort sei. Erstens ist (vgl. oben) as. kip
selbst kein echt germanische! wort, und zweitens können kip und keper
doch nicht zusammengehören, da man keper nicht von der (im I)\Vb. unter
käpfer angeführten) form kapfer mit derselben bedeutung scheiden kann.
Letztere bestätigt die meinuug. dass man es bei diesen bautechnischen
benenmingen mit entlehnungen zu tun hat, die mit it. capra 'bock der das
irerüst trägt", franz. rhrrre 'hebebock beim bauen', cherron ' daehsparre T,
mlat. capt o zusammenhängen (s. a. a. o. : man beachte auch, dass mud. keper
gerade mit 'capreolus' glossiert wird. s. Sehiller-Lübben unter kepere).
3) Zu dem oben behandelten kip-, kep- 'stecken', kippd 'Stäbchen'
gehört meines erachten» wahrscheinlich auch d. kepf- eisen 'ein hohnwort
für da« schwelt' (DWb.). mhd. kip fei-, kepel-hcn 'spött. benennuug eines
bäurischen Schwertes" (Lexer).
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21tf
WADSTEIN
Wörter an: ahd. kipfa etc.. mhd. kipfc 'humerulus. raupe, stemm-
leiste am wagen' (auch chiph, kipphel, Diefenbach, Gl. 191 <*),
nhd. kipf) kipfc, Schweiz, dial. chipf, chipfe'1, ffijyfe" (Schweiz,
id. ö, 408) dass., nl. dial. kip 'dwarsliout aan den wahren, waarop
de achterste rongen staan' (Franck): engl, chep "a piece of
timber forming the sole of a tnrn-wrest plough, the piece of
wood on which the share is fixed'. (kip 'the share-beam of a
plough' (Murray); ags. cipp 4a coulter, plough-share. dentale'
(Bosworth- Toller) und holl. Mp 'smalle strook honts aan den
ploeg, die het ploegijzer vastknelt' (Franck): — vgl. span.
cepo 'deichsei am gcstell eines gesehützes*. port. cepo "achse
am gestell eines geschützes'. auch 'pflughaupt', nnd franz. ccp,
svp 'ptiughaupt'.
Auch die bedentnng iignemn vincnlnm' von lat. cippus
tritt im germanischen auf: anfr. kip, fuotkip 'compes' (s. Heyne.
Kl. and. denkm., Gloss.), mnl. kep -pedica* (s. Diefenbach, Gl.
unter pedica und Diutiska 2, 227); vgl. mlat. cippus, ceppus
' instrumentum quo reorum pedes constringuntur. posterioribus:
carcer ipse' (Du Tange; cippus wird auch glossiert stock in
einer gefantjmtss , block da man gefangen lade ynnc seezeite,
pyntjcreytschap, Diefenbach. Gl.), it. ccppo 'gefangenstock*. Span.
cepo 'stock für gefangene', franz. ccp pl. -fesseln*, auch 'stock,
wodurch die füsse der gefangenen gesteckt werden', rippe 'ehm.
folter-, fuss-fessel' (Sachs-Villatte ') ).
Kine weitere bedeutung des hier besprochenen Stammes
ist 'falle'. Diese liegt in folgenden formen vor: mnl. kip
•knip. vogelknip. fall, strik' (Ondemans), nl. kip, d. kippe
'falle', 'decipula. qua* dejecto pondere resurgit' (DWb.): vgl.
mlat. cippus, cepus 'rete' (Dn Tange; Diefenbach. Gl. unter
eippa), span. ccpa 'falle für Wölfe*, port. cepo 'wolfsfalle'.
') Ueber die Constitution dieser fesseln vgl- Godefroy unter cepel:
• liropreinent . inst l'iinieiit en bois. consistant en denx planches eehancrees
<le mauiere ä recevoir le« pieds et les mains des prisouniern . et «laut* les-
tjuelles on les assujetissait ' : auch die eitate bei iMi Canire: tum irati inilHes
mittun t cum in cipp um norum et nodasissiinum . Ha ut ttrtio puncto
»jus tibius cuuretareitt und (leimte cum jitssit in rarcerem trudi. et
in areto eippo exteudi. Noch eine andere art man eure rät war das
a.a.o. in folgendem eitate erwähnte: Jehon iifigtmtr de Monteurrel fttmis
en Uli ccp en ul iiiif, uutpui le <lil ehemlier fu pendu pur l nun t ein pH
en l'air.
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ZUR OERMANISCHEN WORTKUNDE.
247
proveuc. cep 'piege*. FYanek sagt vom nl. kip 'falle': 'van
kippen wippen, kantelen (vernioedelijk een onomatop. forma-
tier. E* konnte aber umgekehrt sein, so dass kippen 'wippen1
ein denominativnm zu kip 'falle', und eigentlich von der
schnellen bewegung einer zusammenklappenden falle benutzt
worden wäre. Dagegen ist Franck gewis im recht, wenn er
sp. 448 sagt: 'de bet. van kippen vangen. «rrijpen zou zieh
aan kip knip« kunnen aansluten." Mnl. kippen wird nämlich
geradezu 'betrappen" (vgl. trappe 'falle') übersetzt; andere
bedeutungen sind: 'onderscheppen, met list achterhaleu. heime-
lijk wegnemen' (Oudemans); vgl. auch d. dial. (Schweiz.)
kippen 'schnell und heimlich wegnehmen*, 'stehlen, snppilare.
rlepere. fnrari' (DWb.). Hierher stelle ich auch provenc. dpa,
chipa 'attraper. gripper. saisir. derober, prendre'. franz. chiper
•derober' (über ehi- aus *<•<- s. Diez, ('ramm, s. 3t>3), das bis jetzt
einer etymologie entbehrt. Zum teil könnten indessen diese
verba in der bedeutung 'fangen' zu kip-, cep- -fessel'. 'gefäng-
nis' gehören: vgl. mlat. eippare 'pedes in eipo stringere' (Du
Cange): stücken, sioken, Idogcrn (Diefenbach. (41.).
Lat. eippus 'leichenstein' findet sich auch im germani-
schen, und zwar im mnl. keppel, kepel 'zuil, piramide, graf-
naald' (Oudemans). Im mlat. bedeutete eippus auch 'grab'
überhaupt: vgl. eippus, eipus : dotcmjrab (auch surch, Diefen-
bach. (t1.). Aus dieser anweiidung ist wol die bedeutung von
eippus : terrae cumulus (s. die versus memoriales oben s. 2 14
anm. 4). hau ff' erden, erden hoep (Diefenbach. G).) entwickelt
worden. Dieselbe scheint auch im germanischen aufzutreten,
vgl. d. dial. kippet 'kleiner hügel', engl. dial. (schott.) kip
•spitzer hügel' (s. DWb. unter kippe I1»).
Endlich kommt im germanischen kip{-) auch in der be-
deutung 'spitze* vor: d. tjipf '(berg)spitze' (bei H. Sachs, s.
DWb. 5, 2773), d. dial. (Schweiz.) gipf 'spitze' (des eies u.s. w.,
Schweiz, id. 2,390). d. dial. (westfäl.) kip 'spitze', d. kippe (bei
Luther einmal kipfe) 'spitze' (s. über diese formen das DWb.
unter Kippe); vgl. auch d. kiplen von den spitzen der ähren
(DWb. unter kipplein). Vielleicht gehören auch hierher mnd.
kip 'der zipfel an der kapuze' (Schiller-Lübben) und engl,
dial. (schott.) kip 'a jutting point' (The Century dict.). Die
bedeutung 'spitze' hat kip- offenbar dadurch bekonunen, dass
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248
WADSTEIN
ein cippus (wie noch oft grab-, grenz- und wegsteine) ge-
wöhnlich spitz war: vgl. z. b. cippus 'spitzsäule' (Georges)
und mnl. lepel 'pyramide'. Diese bedeutungsentwicklung hat
dann mit dem oben s. 242 für d. gipfel dargelegten zusammen-
gewirkt, so dass schliesslich gipfel — um auf dieses wort zu-
rückzukommen, im allgemeinen -spitze', 'der höchste teil eines
ragenden emporstrebenden gegenständes'1) (eines baumes, eines
felsens u.s.w.) bezeichnen kann.
3. Deutsch gratis u. a.
Der Ursprung von d. gratis 'Schiffsschnabel u.s.w.' ist (vgl.
Kluges Et. wb.) bis jetzt dunkel geblieben. Ursprünglich muss
aber das wort aus *ga- -raus- entstanden sein. Neben ahd.
gratis 'Schiffsschnabel', mhd. gratis 'Schnabel der vögel, maul
oder rüssel anderer tiere. hervorragender teil eines körpers.
Schiffsschnabel' kommt nämlich auch ein mhd. raus ' rüssel,
maul u.s.w.' vor (s. Lexer). Allerdings tritt die form gratis,
ohne vocal zwischen dem g und r, schon im Hrabanischen
glossar auf. Da aber letzteres auch andere bei spiele von
synkope dieses präfixvocals aufzuweisen hat (freilich nur vor
vocalischem anlaut, s. Wüllner, Das Hrab. gloss. s. 40, vgl. aber
auch fleosan statt far-leosan daselbst. Wüllner s. 44 und Braune,
Ahd.gramm. 71 anm. 4). so ist kein grund vorhanden, gratis
anders denn als eine j/a-bildung zu raus aufzufassen.
Dieses raus hat im nordischen ein rane von derselben
bedeutnng zur Seite: isl. rane 'rostrnm suis' (Kgilsson: vgl.
auch liöt-rannadr 'foedo rostro. de lupo*. ibid.) auch 'schnauze
einer natter', 'spitze eines sui'n-iy Ikings' (Fritzner). Im nor-
wegischen bedeutet rane 'spitze, hervorragender felsen1, 'stange,
hoher schmaler bäum' und wird 'auch von einem grossen,
hageren manne' gebraucht (Aasen). Hierher gehört offenbar
mhd. ran (mit ä, nicht mit a, wie Lexer ansetzt, s. das DWb.
unter rahn) 'schlank, schmächtig' (z. b. in alse ein gvrte ran
ant swaiic Lexer), mnl. ran 'rank, dun' (Oudemans). nhd. (ver-
altet) rahn 'dünn, schlank, schmächtig, auch von schlanken,
dünnen bäumen gesagt' (DWb.). Ferner stellt sich deutlich
hierher schwed. dial. rana 'schnell in die höhe wachsen' ( Rietz).
Sanders gilit »li<'s<- «Utiititiou von »jq>l<l.
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ZUR GERMANISCHEN WORTKÜNDE. 249
Jetzt dürfte auf der hand liegen, dass diese Wörter mit
d. rennen u.s.w. zusammengehören müssen. Im norw. bedeutet
rcnna u. a. 'hervorspriessen, emporwachsen, von bäumen oder
pflanzen' (Aasen); sch wed. rä'nm upp bedeutet 4 schnell empor-
wachsen'. Neben den formen mit nn sind von diesem stamme
schon formen mit einfachem n bekannt (man fasst ja das
zweite n als praesensbildendes element); ich erinnere an ags.
ryne 'a course, run, running' und isl. runi 'a flux'. D. rahn,
uord. rane u.s.w. bedeuten mithin eigentlich etwa •hervor-
springend'. Hinsichtlich der form verhält sich mhd. ran, isl.
ran-e u.s.w. zu mhd. rinnen, isl. renna wie z. b. mhd. gram
zu (trimmen oder mhd. weich, isl. reib', zu mhd. wichen,
isl. vflria.
Die form mit s (mhd. rans u.s.w.) ist zu vergleichen mit
den zu demselben rinnen u.s.w. gehörenden got. run-s, ahd.
run-. >\ run-s-a ;alveus' und mit isl. ros -lauf, das nach Xo-
reen. Urgerm. lautlehre s. K)0 und Ark. f. nord. fil. 8,37 aus
*rans- entstanden ist.
4. Ags. hr ff 8 tan iL a.
Ags. hrystan. hyrstan 'ausstatten, schmücken u.s.w.' und
ahd. rüsten, mhd. rüsten -rüsten, bereiten, schmücken' werden
gewöhnlich zu ags. hrvodan ' schmücken ' und isl. hriööa 'rein
machen, aufräumen, abladen', hroÖenn 'geputzt' gestellt. Ich
hoffe im folgenden einen näheren verwanten von hrystan u.s.w.
aufweisen zu können. Ob trotzdem ags. hreodan u.s.w. mit
diesen Wörtern zusammengehört, lasse ich dahingestellt sein.
Wenn man die anwendung von ags. hrystan, hyrstan ge-
nauer untersucht, so findet man. dass dieses verbum zuweilen
nur 'überziehen, decken', ohne den etwaigen neben begriff von
'schmücken' bedeutet. Ich hebe folgende fälle hervor. In
einer grenzbeschreibung vom j. 970 (s. Kemble, Cod. diplom.
3, 130, 131) heisst es: his metis rus hoc yyrutur. Arrest of
tsenhyrste zate ... (s. 131) ... Jon eft in an isenhyrsien
geat Hier kann iseuhyrst geat nur 'mit eisen beschlagenes
(nicht 'geschmücktes') tor' bedeuten, da der ausdruck in einer
so prosaischen Urkunde vorkommt. Ebenso ist Menol. 35, 30
hrime jehyrsted, ha^olscarum fwrö ^eond mitUhin,scard Mar-
tins rede zu übersetzen 'mit hagelschauern fährt der grimmige,
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250
WADSTEIN
mit reif bedeckte m. über die erde'. Mau kann hyrsted liier
nicht im sinne von 'geschmückt' auffassen, da (der monat)
märz dem dichter offenbar gar nicht schön, sondern überhaupt
grausam vorgekommen ist. In Bosworth- Toller^ Diet. wird
auch bei hyrstan neben der bedeutung 'to ornament etc.* die
bedeiltung 'to deck' angesetzt.
Meines erachtens ist gerade die bedeutung i überziehen,
decken' bei unserem verbum die ursprünglichere. Icli stelle
nämlich ags. hrystan u.s.w. zu lat. crustare, das eben ursprüng-
lich 'überziehen', dann aber auch 'mit einem schmückenden
Überzug decken' (näheres vgl. unten) bedeutet. Die im lat.
crustare, subst. crusta 'rinde, kruste" vorliegende sippe ist schon
mit schwachem ablautstadium für die germanischen sprachen
nachgewiesen worden. Wie bekannt gehören hierher ahd.
(h)rosa (? hroso) 'crusta. glacies' und ags. hruse- 'earth, soil,
ground' (s. Pick. Et. wb. 1«. 893 und Grimm. Deutsche myth.1
s. 2'M)\ vgl. dass lat. crustu auch 'die erd kruste, härtere
obere erdsehicht' bezeichnet ((Georges, Wb.). Zu diesen füge ich
norw. rus, ros -dünne schale, auch von fischschuppen' (Aasen:
vgl. Plinius' sunt autem tria yencra pisrium, primum quae mollitt
appcUantur, dein contecta crustis tetiuibus etc.. Georges unter
crusta).
Die allgemeine bedeutung von einfach 'überziehen' bei
lat. crustare erscheint z. b. in lat. porta hostdis crasso ferro
erustata (citat bei Forceiiiiii), das ja dem oben angeführten
ags. isen-ltyrst settt vollständig entspricht. Mit ags. hrinte
gehyrsted (s. oben) ist das lat. crusta in der bedeiltung 'eis-
kruste. -rinde' : crustae pruinarum (citat bei Georges) zu ver-
gleichen.
Auch die bedeutung 'schmückender Überzug' bei lat.
ernst- findet sich bei dem germ. hrust- wider. Lat. crustare
bedeutet u. a. 'mit dünnen platten von ciselierter arbeit über-
ziehen* und lat. crusta 'die eingelegte arbeit, dünne platte mit
und ohne cälierte arbeit, halberhabener zierat" (vgl. Georges).
In diesen bedeutungen erscheint entstört, crusta z. b. in rasa
potoriu erustata. cundna aryeutca aurcis crustts nlajuia
(belegstellen bei Georges). Ganz dieselbe art von schmuck
der trinkgefässe ist offenbar gemeint im Beowulf '2761 f.: fyru-
iitanna f'atu ... Uyrstum bchrorene 'die triukgefässe in alten
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ZUR GERMANISCHEN WORTKl'NDE.
251
Zeiten lebender menschen, der eingelegten Zieraten entkleidet':
vgl. auch Beow. 2255 senil sc heardu heim, hyrsted joldc,
fektum bcfeallen 'dem mit gold eingelegten hei nie' (lateinisch
könnte dieses geradezu mit yalea mtro erustata widergegeben
werden) 'werden die eingelegten goldplatten abfallen';1) (ags.
feet s= *a thin plate < >f metal. gold-leaf. ornament').
Mlat. crustum kommt auch etwa in der bedeutung 'kleinod'
vor. s. das citat bei Du fange unter crustum 2: uuri sitior,
tulcntu, vel crusta, vel jocalia ('juwelen') emunxit. Aehnlich
ist die anwendung von ags. hyrst im Beow. :il(>4 f.: heg and siglu,
call swylee hyrsta -ringe und juwelen, alle solche kleinodien*.
Die bedeutung von mlat. crusta, crosta : eyn stucke ran
metallc, blech, die yleste am yeschirr (hiermit ist wol Pferde-
geschirr gemeint) hat auch etwas entsprechendes bei germ.
hrust-. Mit ags. hryste (tehyrste) wird nämlich mehrmals phu-
lerae glossiert, so z. b. in den f orpusglossen, Sweet. OKT. (M\
(lat phalerae — 'der blanke . . . schmuck . . . der pferde, bestehend
in... schildchen, mit denen das riemenwerk... geschmückt
war' (ieorges).
Im mlat. bezeichnet crusta ferner r cutis spectes rarieyato
colore ex purpurn et alio mixfa (Du fange). Auch erustatus
erscheint in ähnlicher anwendung, von Du fange -acupietus.
intertextus. gall(ice) brode uel broche' erklärt, z. b. in albam
(= -vestis seil tunicae species') supra et infra uuro crustatam,
tunieas erustatas (belegst eilen bei Du fange). Kbenso wird
germ. hrust- von prunkenden kleidern benutzt : vgl. z. b. mhd.
rüsten •schmücken, besonders von der kleidung gesagt' (Mhd.
wb.). refl. 'schmücken, kleiden' (Lexer; in Schweiz, dialekten
kommt rüsten noch in der bedeutung 'festlich kleiden' vor.
s. DYVb.).
Zum sehluss ist zu bemerken, dass lat. ernst-, wie ags.
hyrst, ahd. yirusti, sogar in der allgemeinen bedeutung 'orna-
mentunT benutzt worden ist. Ks werden nämlich erustis:
ornamentis und crustu : ornatu, fra-ttcunxe glossiert (die
') Ay;s. hyrsled stnonl Beow. «172 wird also nicht einfach 1 #efccblUÜcktea
schweif zu übersetzen sein, sondern " ciselhrtes (mit eingelegter arl»eit
geziertes) sehwert'. Ebenso ist /..Ii. mit dem hei La^annm iösll erwähnten
acetd ... irust nl mal yoUle offenbar ein mit eingelegter goldarteit ana-
gestatteter schild gemeint.
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252
WADSTEIN
stellen finden sich bei Wright-AVülker,Anglo-sax.vocabb.l, 52(5.4
and 1,384,22).
Die Zusammengehörigkeit der lat. und germ. Wörter dürfte
aus den angeführten Übereinstimmungen als ganz sicher hervor-
gehen. Da die bedeutungen des germ. hrust- in vielen fällen
so genau zu denen des lat. crust- stimmen, liegt indessen die
sache vielleicht so. dass jene zum teil von den lat. auf die
verwanten germ. Wörter übertragen worden sind.
Durch die verwantschaft dieses germ. hrust- und lat. crusta
wird auch die bedeutung 'waffenrüstung (hämisch)' bei ags.
hyrst, ahd. rust u. s. w. klargelegt. Diese Wörter bedeuten also
eigentlich geradezu 'fester Überzug aus metallplatten oder dgl.';
vgl. lat. crusta 'die harte ... Oberfläche eines übrigens weichen
körpers, rinde, schale', 'platte' (Georges), mlat. crusta : blech,
eyn stucke van metalle (Diefenbach, Gl. und X. gl.), iamina
quaelibet vel ... argenti. vel alterius metalli' (Du Tange).
5. Deutsch ranzen iL a.
^'eigand erklärt das d. ranzen 'sieb bald da-, bald dort-
hin wenden, springen', 'sich begatten, von vierfüssigen raub-
tieren, hunden' aus *rankzen, zu mhd. rauhen 'sich dehnen,
sich strecken, hin und her winden oder bewegen'. Bei ranzen
•sich begatten u.s.w.' fügt er ferner hinzu: 'schwerlich ab-
geleitet von ranken 'brüllen, laut schreien, vom esel, löwen,
hirsch etc: Auch ranzen in anranzen 'jemand schreckend an-
fahren' sollte nach AYeigand aus einem *rankzen entstanden
sein (näheres a.a.O.). Das DWb. lässt es unentschieden, ob
ranzen in seinen verschiedenen bedeutungen aus früherem
*rankzen, 'von rank 'Wendung, drehung als iterativ gebildet',
entsprungen sei. oder ob es mit rennen zusammenhänge.
Kluge, der im Et. wb. nur ranzen 'jein. anranzen' aufnimmt,
sagt davon: 'wol für frunkzcn zu mhd. ranken »wie ein esel
schreien ; kaum zu engl, rant lärmen, schreien«'.
In der tat ist aber für ranzen nicht eine grundform
*rankzen anzunehmen. Ks gibt nämlich ein nordisches wort,
das die frage nach dem Ursprung von ranzen anders entscheiden
dürfte. Ich setze das d. ranzen schwed. dial. rannta (Kietz),
norw. ranta (K'oss. der es — wie die schwed. form zeigt —
unrichtig als ein ursprüngliches eranta auffasst), wozu es
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Zl'K HEKMANISOHKN WORTKUNDK.
25«
lautlich vollständig und auch begrifflich gut stimmt. Schwed.
dial. rannta bedeutet nämlich 'hin und her rennen, unnützer
weise herumlaufen', norw. ranta heisst 'ohne ziel sich herum-
treiben, sich herumtummeln '. Das subst. rannt« bedeutet in
schwedischen dialekten 'rennerin. weib (mädchen), das selten
zu hause bleibt, sondern hinaus- und fortrennt'; vgl. das im
DWb. unter vb. ranzen 2) angeführte d. ranz-besen 'namentlich
das erwachsene mädchen. das »ranzt <' (— 'sich herumtreibt',
mit schlechter nebenbedeutung: ranzen 'herumlaufen, auf buhl-
schaft ausgehen') und d. ranze 'liederliche Weibsperson'
(Sanders).
Schwed. norw. ran(n)ta, d. ranzen ist offenbar ein itera-
tivum (bez. intensivum) zu schwed. räumt, norw. rentut, d. rennen
u.s.w. (vgl. Rietz unter rinna). Auf diese weise erklärt sich
auch die bei d. ranzen vorkommende bedeutung 'sich begatten'
(Adelung: 'sich begatten oder ungestüm nach der begattung
verlangen'). Norw. rennasi bedeutet nämlich u.a. 'befrachtet,
trächtig werden (von tieren, besonders von kühen)', schwed.
dial. ränna 'brünstig sein (von sau, widder)' und rännas wird
in der bedeutung 'brünstig, läufisch sein (von schafen)' benutzt
(s.Rietz): vgl. auch schwed. dial. ränn-uls 'stier', runn-rwre
'(spring) widder' u. a. m.
Die bedeutung von d. an-ranzen 'jemand schreckend an-
fahren', "scheltend anfahren u.s.w.' aus urspr. 'heftig anrennen'
(vgl. mhd. ranz 'streit', eig. wol 'anrennen, anfahren'), ist ja
sehr erklärlich. Hiermit ist zu vergleichen, dass (s. Rietz)
schwed. dial. rannta ebenfalls eine art von eifrigem sprechen
ausdrücken kann; es bedeutet nämlich u.a. 'klatschen' und das
subst. rannta heisst auch 'klatschmaul' (vgl. mnl. ranten sowol
'scheiden' als "pratende mededeelen', s. unten).
Das nord. ran(n)ta dürfte auch die bedenken beseitigen,
welche gegen die identilicierung des d. ranzen mit engl, rant
(und dem damit bekanntlich schon zusammengestellten mnl.
ranten) erhoben worden sind (s. Kluge, Et. wb.). Die bedeu-
tungen der Wörter sind auch sehr verwant. Es bedeuten
engl.;««/ vb. 'wild, ausgelassen sein u.s.w.' (Flügel) und rant
subst. 'the act of frolicking; a frolic; a boisterons merry-
making. generali}' accompanied with dancing' (The Century
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254
WADSTEIN. ZUR GERMANISCHEN WORTKUNDE.
dict.')). ferner 4a kind of da nee' (s. a.a.O.), engl, ranty heisst
u.a. -wild, ausgelassen, übermütig, lärmend; engl, ranti-pole
'das wilde ausgelassene mädchen. zügellose dirne. das umher-
sch wärmende frauenzimmer'; — vgl. mhd. ranzen ' ungestüm
hin und her springen' (Lexer), d. dial. (s. DWb. unter ranzen
vb.) ranzen 'sich üppig und heftig bewegen', ranze * hemm-
schwärmen, ausgelassen springen, von kimlern, toben', schwed.
dial. rannta 'kleines lebhaftes mädchen'. d. ranz-hesen •herum-
laufendes mädchen' (s. oben). Ferner bedeuten engl, rant (s.
Flügel) •schwärmen, wüten, toben', ranty 'ausser sich vor zorn.
wütend', ranti-pole 'das wütig schreiende, ungezogene kind. der
wilde ungezogene junge'; mnl. raufen heisst u. a. 'razen, uit-
varen, scheiden, doorhalen' (Oudemans); vgl. mhd. ranz
'streit', d. anranzen •scheltend anfahren", d. dial. ranzen
•knurren, keifen' (s. DWb. unter ranzen 0). ranze •bezeichnung
eines wilden unartigen kindes' (s. oben), einen ranzen 'ihm
übel mitspielen' (DWb. a.a.O.). Mnl. raufen 'pratende mede-
deelen' stimmt zu schwed. dial. rannta -klatschen'. Was end-
lich die Bedeutungen von engl, rant 'hochtrabend sprechen,
sich hochfahrend ausdrücken u.s.w.'. subst, rant -die heftige
ungestüme schreierei u.s.w.' betrifft, so ist damit zu ver-
gleichen, dass (s. oben) auch d. ranzen (mnl. ranten) und schwed.
dial. rannta von heftigem oder eifrigem sprechen benutzt
werden.
') Man beachte das a. a. o. mitgeteilte / hoc a (jood rousvicurr
unlrss if he ahottt a raul amoiuj the laxues, da* an tl. ranieit 'herumlaufen
auf buhlschaft ausgehen' <s. oben) erinnert.
LKIPZKt. klis wadstktn.
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G RAM M ATISCH K MISCELL EN.
11. Ags. wcorold : worold.
Die lautgruppe weo vor einfachem r, / geht bekanntlich
im ags. teils in wo über, teils bleibt sie als weo erhalten: das
typischeste beispiel ist worold neben wcorold.
Es scheint nun noch nicht beachtet zu sein, dass wir es
hier mit einein nicht unwichtigen dialektuntersehied zu tun
haben. Ks gilt nämlich wo im westsächsischen und dem durch
das Durhambook und das Rituale von Durham vertretenen
(nördlicheren) teil des northumbrischen. wco aber im (süd-
licheren) northumbrischen des Rushworth2, im mercischen und
kentischen. Dass sich daneben in unreinen texten gelegentlich
mischungen finden, braucht nicht wunder zu nehmen.
So hat gleich die hs. H der f'ura pastoralis nach Cosijn.
Altws.gr. 1,39 etc. hier 4 weo, die aber gegenüber sonst hei-
schendem wo kaum ins gewicht fallen können, sondern ent-
weder altertümlich oder — was ich für wahrscheinlicher halte
— durch schreiber eingeschleppt sind. Die Chronik aber hat
nur wo, das z. b. auch bei /Klfric durchaus die norm bildet.
Von den northumbr. texten hat das Durhambook ausschliess-
lich 20 wo- (Cook 214). «las Ritual 19 fr«- (Lindelöf 27).
Dagegen ist bereits für Rushworth- wco charakteristisch:
weor(u)kle Mc. 4, 19. 10,30. L. 1,55. 70. 18.30. 20,34.35. .1.9,32.
Natürlich hat auch Rushworth 1 nur weo- (8 mal. Brown 1. 33),
ebenso der Yesp. Psalter (ca. 175 wco, 2 we-, aber kein fr«),
ebenso die von Zupitza edierte merc. hs. Royal 2A20 des
Britischen museums (7 wco, Zs. fda. 33. 54). Für das kentische
sind beweisend die urkundlichen belege mworolde, tveoroldcun-
dum Sweet. OKT., urk. no. 37. 29. wcorldare (Surrey) 45.53.
umarahle 40. 20. So versteht man auch wie noch in den jungen
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2r,o
*
8IEVKB8, GRAMMATISCH E UISCELLEH.
Metra, die so stark mit kenticismen durchsetzt, überhaupt wol
in Kent gearbeitet sind (vgl. Heitr. 10. 197), über 30 weoruhl etc.
stehen, während diese form in den übrigen luetischen texten
ganz selten ist. Vgl. ferner z. b. aus halbkentisclien hss. der
predigten Wulfstans stellen mit wpo- wie 216.3. 217.0. 210.
14.31. 223.3 (2) der ausgäbe Xapiers, u.dgl. m.
Alles in allem genommen ist mir die form weorold nie in
absolut reinen westsäehsischcn texten begegnet, solidem stets
nur in Verbindung mit anderen dialekt formen, die entweder
nach Kent oder nach Meiden weisen. Da das wort an sich
ziemlich häutig ist, so bietet es ein nicht zu verachtendes
praktisches kriterium für die dialektscheidung.
Die übrigen Wörter hier vorzuführen, die unter dieselbe
regel fallen oder sich damit berühren, verbietet der räum.
LEIPZIG-GOHLIS. 14. januar 1807. E. S JEVERS.
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\ etlag von Joseph Baer D. Co.. Frankfurt a. >!.
Soeben erschien und stellt auf Verlangen grätig scu Diensten :
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bis
vax Ende des 18. Jahrhunderts.
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1896. Lex. 8. Preis geh. s Mark. tr<kl». in Mark.
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Deutschen Literaturgeschichte.
im 11. und 12. Jahrhundert
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Friedrich von der Leven.
18$>7. 8. I'n-is geh. Mark 2.40.
Ausgegeben den 15 Juli 18«?
B E 1 T K Ä G E
zuu
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR.
UNTER MITWIRKUNG VON
H Kit MANN PAUL UND WILHELM HU MM.
IIB RA ÜSGEOEBEN
VON
EDUARD SIEVERS.
XXII. BAND. 2. Ulli.
HALLE a. S.
MAX NIEMEYER
TT T- OK. STKIWI K \SN|;
IS97
Die kerreu mitarbeiter werden gebeten, /u Ihren mauascripteu
nur lose quartblüttcr zu verwenden, nur eine Beite zu be-
schreiben und einen breiten rund freizulassen.
1 N II A L T.
S-ilo
[Juteisnchttngen Uber ili\s mini, gedieht von der Mtnnebttrg. \" « • i »
<i Klirisiuanii 'JöT
J£nr dänischen heldensAgCi Von Boer 342
Sat/.v«'ihimlt n*ic partikelu bei on'riil und Tatian. Von W, I"
Schölten 391
Bemerkungen »um Bildebrandalied. Von A. Erdmaiiii .... 124
Etymologie von keim 'stenerrnder'. Von J. Hoops 435
Zur K Inn»'. Von (f. E Ii ri siii;um 436
Zur naebriehl !
Ks w ird gebeten, alle auf die redaction der 'Beiträge' bezü«*--
üchen zuschritten mnl Sendungen an Professor Dr. K Sie ver s
in Leipzig-Gohlis (Titnierstrasse 26) zu richten.
UNTERSUCHUNGEN
UEBER DAS MHD. GEDICHT VON DER
MINNEBURG.
Von den minneallegorien des 14. jh.'s war nach Hadamars
Jagd die von der Minneburg die beliebteste, sie fand eine
ziemliche Verbreitung und ist in einer verhältnismässig reich-
lichen anzahl von handschriften überliefert. Bis jetzt wurde
sie von der forschung wenig beachtet. Ihr wert als selb-
ständiges kunstwerk ist auch erstaunlich gering, sie bildet fast
das letzt erreichbare ziel einer für andere Zeiten und menschen
ungeniessbaren manier. Doch ist sie als typus unter einer
gruppe von erscheinungen für die geschichte der literatur und
cultur wol nicht ohne interesse. Auch für sprachliche beob-
achtungen ist sie ein nicht ungeeignetes object, wie sie denn
lünsichtlich des Wortschatzes schon früher von A. Schönbach
erfolgreich benutzt worden ist.
I.
Die Überlieferung.
L Die einzelnen handschriften.
Die handschriften der Minneburg sind angegeben von
Raab, Ueber vier allegorische motive in der lateinischen und
deutschen literatur des mittelalters s. 36 anm. 69 (ausser 1 )
und von Bartsch, Die altdeutschen hss. der Universitäts-biblio-
thek in Heidelberg no. 208 (ausser 1 und c).
P, die Heidelberger pergamenths. Cod. pal. germ. 455, 15. jh,
beschrieben von Bartsch a. a. o. no. 246, vgl. auch Stejskal, Zs.
fda.22,281f. Das gedieht steht auf bl. 86a — 202b, ist aber
nicht vollständig überliefert; ausserdem ist die letzte seite
(202 b) abgerieben. Voraus gehen eine prosaische inhalts-
Beitrftge «or «Mchlcht« 6n deutschen ipranha. XXII. 17
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258
EIIKISMANN
angäbe, bl. 84», darauf bis bl. 85 b drei in sehr gekünstelter
reimverschlingung abgefasste gedickte religiösen Inhalts (s.
unten).
Die mundart von P ist ostfränkisch: es fehlen die speciell
alemannischen und bairischen kennzeichen ebenso wie die
rhein- und mittelfränkischen und die thüringisch-ostdeutschen;
umgekehrt finden sich einige erseheinungen, die zusammen-
gefaßt den ostfränkischen dialekt ergeben, keine, die ihm
direct widersprechen.
Zum vocalismus ist zu bemerken: ä ist häufig zu 6 ge-
worden, besondere in zwor, mofze, kro, klo, dagegen meist an
— äne. Der umlaut von d ist r. Für ie steht oft i, besonders
in -ir, -iren : tir, schir, zirde, infinitiv -iren, und in dinen;
immer in ging, hing, ei gilt für altes ei und für die contrac-
tion aus tgi. u bezeichnet sowol u, ü und uo als auch häutig
üy im, üe. Mhd. ou ist au, o in flog, betrog. Mhd. öu ist eu,
der umlaut ist auch eingetreten in lieubt, gelruhen, bereuben.
Die diphthongierung von t zu ei, ü zu au, iu zu eu ist nicht
durchgedrungen, es finden sich nur etwa anderthalb dutzend
fälle, worunter mehrmals kaum.
Der consonantismus steht ganz auf gemeinmhd. stufe, die
Verschiebungen sind durchgeführt, auch d zu t. Das mhd.
auslautsgesetz vom Wechsel zwischen lenis und fortis ist nicht
mehr streng beobachtet, aber es zeigt sich noch in einzelheiten,
so ist z. b. mit einer gewissen regelmässigkeit nom. acc. bttrk
gegen gen. dat. bürge {—- bürge) bez. mit apokope bürg ge-
schrieben. — sl, am, sn, sie sind noch nicht schl u. s. w.,
auch Uv ist erhalten, ebenso qu in quecklich, quam, quentm
(neben kam, kernen); dagegen ist nc zu rb geworden; auch
mb zu mm (oft einfach m geschrieben), jedoch immer umh; im
auslaut hält sich mb bez. mp länger, vgl. Rückert, Entwurf
einer systemat. darstellung der schlesischen ma. hg. von Ketsch
s. 177. Behaghel, Pauls Grundr. 1,592. v. Bahder, Zs.fdph.12,485
und Germ. 23, 199 (die hier angeführte Schreibung umbe ist
archaistisch: regelrecht ist umb, e ist abgefallen ehe mb zu mm
Würde; die form mit assimilation, um aus umbe, ist satzdoublette
zu umb); w tritt an stelle von j in geblutet t, muwet, gluwende,
vgl. Braune, Ahd. gramm. § 110 anm. 2 und § 359 anm. 3. v. Bah-
der, Germ. 23, 199.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURO.
259
Im einzelnen ist hervorzuheben :
1. Die dem dialekt des gedichtet; entsprechenden infinitive
ohne n (s. unten) sind in den reimen immer bewahrt und finden
sich vereinzelt auch im innern der verse, sie waren also dem
Schreiber von P mundgerecht.
2. Schwacher conj. praet. mit umlaut begegnet in sente,
wente, merkst = merktest.
3. kumen hat als wurzelvocal u, nie o, auch im part. perf.,
dagegen steht o entgegen der ma. im part. perf. ge-, ver-nomen.
4. Immer sulrk, sulcher.
5. Die verba gen, sten haben e, d nur in reimen wie kän :
gän, tat : stät.
6. Zu den verba praeteritopraes.: praes. ind. sg.: sul, pl.
sullen, sollen, conj. sttlle, praet. sohle; mag — mugen — mokte;
darf — dürfen — dorfte\ kan — kunnen — künde, 'wollen'
flectiert teil — wollen — wolte.
7. Schwacher gen. plur. ist häufig bei kunsten, der künsten
spise, der künsten sterke, künsten fruktir, ähnlich der sinnen
durf tvitzenkünstenlos, teitzenkaft u. a., vgl. Jänicke, Zs. fda.
17. 507. Bech, Germ. 20, 258; zu sinnen vgl. Roethe, Reinmar
s. 13 anm. 31.
8. Für präfix er- steht sehr oft das dem ostfränkischen
ganz geläufige der-. Die zwei ältesten belege für der- stammen
aus dem 12. jh., worunter der eine aus dem ostfränk., nämlich
aus der hs. von Himmel und hölle, vgl. MSI). 23, 158. Das an-
lautende d ist aus dem Satzzusammenhang zu erklären, z. b.
im Übergang von er hat erslagen entstand in er hat derslagen
eine dem im ahd. und mini, häufig begegnenden td entsprechende
articulation, deren physiologische beschaffenheit Paul, Beitr.
?, 129 erörtert hat.
9. zu gilt für präposition und präfix, nie ge; aber zer-,
nicht zur-,
10. entwurt subst^ entwürfen verb. sind in Ostfranken ge-
bräuchlich für antwurt, antwurten, vgl. Bayerns ma. 1, 385.
Rückert-Pietsch s. 29: das e ist umlaut, entstanden in formen
wie anlwürte, antwurten.
11. Für wüestc subst, begegnet einmal (uf ein) wuehsten,
eine sonst nur im bairischen öfter belegte form (Schmeller-Fr.
2, 842. Weinhold, Bair. gramm. § 184). Ferner der kirtze, vgl.
17*
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260 EHRISMANN
DWb. 4,2, 1563 f.; und immer tmlle für teile, eine in hss. ver-
einzelt begegnende Schreibereigenheit, die keine lautliche be-
deutung hat.
Der ostfränkische dialekt findet unten eingehendere be-
handlung. Hier sei aus dem obigen nur so viel herausgehoben,
als zu einer näheren grenzbestimmung der hs. P innerhalb
Ostfrankens dienen kann:
1. heubt, geleuben, bereuben. Nach Brenner. Mundarten und
Schriftsprache in Bayern s. 24 'geht ein streifen landes von der
Pfalz herüber ins diesseitige Franken, wo sich die form keufen
(mit umlaut) festgesetzt hat, mitten durch das reich der un-
umgelauteten form kaufen". Femer s. Schindler, Die mund-
arten Bayerns §§ 177 und 178 {gleb, kl ff, reff, teff am Mittel-
main, gleiib u.s.w. auf der Rhön). Bavaria 3, 1, 213: 'nirgends
im Bambergischen, aber sehr häufig im Würzburgischen und
der Rhön: ecJi käfft, ech gläb u.s.w.', s. auch ss. 211. 245. 258.
Firmenich 2, 407». Bayerns ma. 1, 283 und 285. Als engere ab-
grenzung der mundart von P ergibt sich also der westliche
teil des ostfränkischen dialekts, während der östliche, das hoch-
stift Bamberg, ausgeschlossen bleibt.
2. (legen Bamberg spricht ferner, dass die diphthongierung
von t zu ei u.s.w. nur sehr selten in der hs. vorkommt In
Bamberg aber ist der neue vocalismus schon gegen die mitte
des 14. jh.'s durchgedrungen, in Würzburg eigentlich erst um
die mitte des 15. jh.'s.
Eine weitere specialisierung ergibt sich durch die aus-
scheidung des Hennebergisch-ostfränkischen: es findet
sich nie das in den Henneberger Urkunden sehr geläufige sal
für sol; ebenso nie die allerdings auch in den genannten Ur-
kunden gemiedenen he neben er, forte für forhte (vgl. From-
manns ma. 4, 238 und 459), dat. sg. mi, di (ebda. s. 459).
Als mundart von P ergibt sich demnach der westliche
teil des ostfränkischen, also Würzburg, bez. dessen engeres
dialektgebiet.
6, 2 blätter einer papierhs. des 14. jh.'s in der fürstlich
Fürstenbergischen hofbibliothek zu Donaueschingen (no. 108),
vgl. Barack s. 104 t; enthält v. 2860— 2931 und v. 3075— 3147.
Die dialektischen merkmale: e für mhd. ce, ei für I und et,
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBÜRG. 261
au für ü und ou, eu für tu, i für ie (für uo als monophthong
liefert die Schreibung keinen anhält; es wird geschrieben u,
i) tX), ferner einige male ch für Ä- (chvmen, minnenburch), einmal
anlautend p für b (pin), dann noch sülcher — weisen auf Böhmen
als heimat der hs. (vgl. Knieschek, Ackermann aus Böhmen
s. 86 f. Benedict, Das leben des heil. Hieronymus s. xliii ff.).
1. Das im liederbuch der Hätzlerin abgeschriebene gedieht
Wie ainer fein fr öd wolt begraben, Haltaus II, no. 25, s. 180 ff. ist
der Minneburg entnommen und bildet daselbst v. 2399—2664.
c, hs. des historischen archivs der Stadt Cöln no.360, papier,
folio, 15. jh., einspaltig. Die Minneburg steht auf bl. 1» — 41b, sie
bildet den einzigen inhalt der hs. Laut aufschrift auf der innen-
seite des deckblattes gehörte die hs. einst zu Wallrafs biblio-
thek (Ferd, Wallraf Prof. Colon.). Zum einband ist als falz ein
pergamentstreifen einer Urkunde verwendet, worauf der name
der fürst -äbtissin [des Stiftes Essen] Elzabeta zu Mander-
scheidt-Blankenheim zu lesen (über diese, die 1575—1578
dem stifte vorstand, s. Grevel in den Beiträgen zur gesch. von
Stadt und stift Essen, heft 13, 3—96). Es ist nicht unwahr-
scheinlich, dass die hs. einst zu der berühmten bibliothek der
grafen von Manderscheidt- Blankenheim gehörte, aus welcher
viele hss. in Wallrafs besitz übergiengen (Ennen, Zeitbilder
aus der neueren gesch. der Stadt Köln s. 345. Suchier, Zs. fdph.
13, 257 f.).
Eine zweite bemerkung auf der rückseite des deckblattes
lautet: N.B. 'Dies Ms. ist im 7her i816 abyesef trieben worden',
worauf ein ohne nähere anhaltspunkte unleserlicher namenszug
folgt. Die notiz rührt ohne zweifei von F. W. Carove her,
wie sich aus einem briefe E. v. Grootes an Jakob Grimm vom
18. märz 1817 ergibt (abgedruckt von Reifferscheid in Picks
Monatsschrift für rheinisch-westfäl. geschichtsforschung 1, 156 f.).
Groote schreibt hier: 'seither habe ich nun noch eine hübsche
hs. 41 blätter kl. folio auf papier, jede seite 42 — 44 Zeilen, er-
halten, von welcher Ihnen vielleicht Carove schon geschrieben,
der sie 1816 abgeschrieben hat. Den Verfasser weiss ich nicht;
das ganze aber ist ein grosses, meist allegorisches gedieht
über die minne, in welchem anspielungen auf die Niebelungen,
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2(i2
EHRISMANN
auf den Gral, den Tristan, Wiglisz (Wigolais), Blantschiflor,
Laurin und Lancelot vorkommen Wenn es Ihnen der mühe
wert scheint, so teile ich Ihnen nächstens eine probe daraus
mit.' Alle angaben stimmen auf die Cölner hs. der Minneburg,
auch die form Wiglisz (v. 3157; Laurin hat Groote aus dem
unsinnigen und unmöglich zu entziffernden Laurmtipe v. 3158
der hs. erschlossen, aber sicher mit unrecht). Dadurch wird
auch der namenszug verständlich: er bedeutet WC = W. Ca-
role. Aus dieser abschrift Caroves stammt dann jedenfalls die
von W. Grimm, Heldensage2 283 f. mitgeteilte stelle. — Eine
undatierte abschrift von c aus v. d. Hagens naclilass (identisch
mit der Caroves?) befindet sich in der kgl. bibliothek zu Berlin
(Ms. Germ. oct. 2ö9).
Dialekt von c. Vocale: ä und a sind oft von nach-
schlagendem i begleitet und zwar ist d etwa 80 mal, a etwa
50 mal ai. Dasselbe findet sich ebenfalls, aber seltener, nach
6 und o, für 6 besonders in groifz, vereinzelt bloifz, {be)sloifz,
ßoifz, schoifz, genoifz, troist, doit, noit, hoich; für o bes. in
woil, seltner hoiffe, goitt, spoitt, beshifzen. Nach u kommt
dieses i besonders vor in suifz ( - siicze), etwa 25 mal, gegen
ebenso viele su/z, süfz; vereinzelt in huifz (= hüs), guiz
(= giuz\e\)j gruifz (= gruoz), durchstuickct (= durchstücket).
Für umlauts-6' steht i in mircklich, stircke, stirckte, gegen-
wirtekeyt, tvirt (= werte 'erwehrte'), wichtig, gestiebt, gliter, ie
n riede sb., rieden vb.; für e steht i in entwider, wo auch nhd.
geschlossenes e; umgekehrt e für i in erdisch, errend, icedder
('wider'), derbedemt: ausserdem ist i auch durch ie vertreten
besonders in dieser, wieder, liedic, friede, hiemel, siech ('siehe').
Ursprüngliches / ist erhalten in iz, mich ( = got. bileiks, as.
hwilik). Alle diese Schreibungen sind jedoch nicht regelmässig
durchgeführt.
Der umlaut von ä ist e, auch in fregende, frege sb.
o ist durch a ausgedrückt in den seltenen ab, wanen und
durchweg in zabel 'zobel', welche nid. form auf mlat. sabclum,
frz. sablc aus lit. sabalas zurückgeht, während zobcl direct aus
russ. soboV, poln. sobol stammt.
o ist u in uffen, uft'enliche.
u, auch mit index ft, u (über ui s. oben) gilt unterschieds-
lus für u, u, ü, im, uo und üe\ zu o ist u geworden vor n:
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
he
268
wonder, wonde, uberwonden, sonne, könne u. a,; vor r: dorch,
borg, worzel, korcze u.a.; desgleichen ä zu o in wonsch, koning,
fonf u. a., worde, verlöre, dorre, worffei, geborte u. a.
Die diphthongierung von %, ü ist sehr selten eingetreten,
bei » einige male im auslaut und vor vocal (sey, Arabey, treseney,
arzeney, gekreyet, gefreyet), bei ü in gepawen, trawen.
ei ist ei und ebenso cge > ei; ou ist au (an), öu ist eu (eü\
auch in gleuben, lieupt, erleupt, verkeu/fen; ie bleibt ie und wird
selten zu i, dann meist in -iren und zir.
Consonanten: die gemein -mhd. lautverschiebungen sind
durchgeführt, auch rd zu rt, doch neben anlautendem t aus d
findet sich nicht selten d und vereinzelt begegnen unverscho-
bene p, pp in plag, hoppen : droppen, uner schopplich, scliarpes.
Dem mhd. auslautsgesetz gemäss stellt auslautend p für b und
t für d, aber g bleibt und tritt oft sogar für ursprüngliches /;
ein, besonders in starg. — hs zu 88 in wassen, sez; für ht ist
neben häufigerem vorhte zweimal vorthe geschrieben, wol des-
halb, weil vorhte dem Schreiber nicht die geläufige form war,
sondern vorte1); h schwindet einige male in ho, hoesten, geschä.
Einzelheiten: neben gewöhnlichem sol, solt erscheint auch
sal, salt, neben brennende auch burnde, bimmle; für zwischen
wechseln thuschen, zwuschen, zusehen; vor vertritt für als ad-
verb. präposition und präfix.
Zur flexion sind zu notieren vereinzelte dative sg. masc.
auf -en beim starken adj., gen. und dat. sg. fem. auf -er beim
schwachen; zur Wortbildung fem. abstracta wie stirckt = sterke,
kurezt, glimpfft, gesmekt. Endlich durchgehends antzlitz, und
leren für lernen.
Die Orthographie von c ist keine einheitliche, neben den im
allgemeinen geltenden regeln der büchersprache (über ostfränki-
sche spuren s. unten beim hss.-verhältnis) gehen die angeführten
mundartlichen besonderheiten des Schreibers. Diese weisen auf
das rheinfränkische gebiet. Gegen süden Ist die grenze bestimmt
durch wassen, das heutzutage nach Wrede, Anz.fda. 21, 2b* 1—2(58
') Der schwnnd des h in der lautverbindung rht beruht darauf, dass h
«r/i-lant war und somit dem v, dem es in der articulation sehr nahe stand,
assimiliert wurde; ebenso ist der Übergang von vorhte zu vohte zu erklären
(vgl. dazu besonders Sievers, Oxforder Benedictinerregel s. ix ff.). Auch in
dur für durdi ist c/t als acA-laut an da« vorangehende v assimiliert.
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264 EHRI8MANN
bis nördlich von Ems, Homburg, Hanau, Gelnhausen reicht.
Von dem überbleibenden nördlichen teile sind auszuschliessen
die eigentlich hessische mundart und das nassauische, denn es
fehlen die pron. her he, dit, unse, sowie die contractionen sien,
geschien gänzlich (vgl. Sievers, Benedictinerregel s. xiv und s.xi).
Es ergibt sich also etwa die Wetter au als die für den dialekt
zu bestimmende landschaft,
Im eingangs- und ausgangsstück fallen einige von dem
sonstigen schriftgebrauch abweichende Schreibungen auf: neben
mehrfachem freude etwa zehnmal freide, dazu fröde, frede, fro-
driches und erzöget; ferner schöpf er, ie für üe in giete (dreimal)
und gestiel, briefer (je einmal), endlich th im anlaut bei thuon
(elf mal), (han (tannwald), thosen, und im reime bal == bald
(: al), gesynne = gesinde (: mynne). Die teile, welche diese
spuren aufweisen, nehmen auch sonst eine Sonderstellung ein
(s. unten).
w, hs. der k. k. hofbibliothek zu Wien no. 2890, papier,
folio, 15. jh., einspaltig, vgl. Hoffmanns Verzeichnis no. LIU.
Tabulae codd. mss. praeter graecos et orientales in bibl. pal.
Vind. asservat. 2, 151. Die hs. enthält nur die Minneburg, und
zwar auf bl. lb bis 53a.
Die mundart des Schreibers ist schwäbisch. In der Ortho-
graphie zeigt er ein lobenswertes bestreben, bestimmte regeln
einzuhalten. Bei der verhältnismässig sorgfältigen Schreibweise
ist die hs. ein muster des schwäbischen dialekts.
Vocale: umgelautetes a wird bezeichnet 1. durch c;
2. seltener und fast nur in fällen jüngeren umlauts durch ä, ä,
wie in almdchtig : dry trächtig, geschldcht, widerwärtige, er-
bärmde, gegenwärtigkeit, pfärd, einfältig, gewältig, täglich,
cläfferin, mänlich, schnäbelin, fränckisch (dies hat auch nach
Seb. Helber, Syllabierbüchlein ed. Roethe s. 19, 12 offenes e ),
einmal e in m echten-, 3. der ältere umlaut durch 6, ö in schöpffer,
störckst, löschen, öpffel : tröpffei, wöllen ; ö auch f ür die schon
mhd. geschlossenen e in löwe (daneben leowc mit auch sonst
belegter, vom lateinischen beeinflusster Schreibung) und dort =
dert 'dort', vgl. Kauffmann, Gesch. der schwäb. ma. § 05 b und
§ 84 anm. 1. v. Bahder, Grundlagen des nhd. lautsystems s. 170.
Doppelformen sind manges, rnangen (aus manag) neben menger,
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
265
mengen (aus manig) und einmal mdnig (vgl. Bohnenberger, Zur
gesch. der schwäb. ma. im 15. jh. s. 35).
Für d ist ausser dem meist gebräuchlichen a auch « ein-
getreten, vor nasalen o : on[e] (immer), hon, Ion, ston, geton,
somen u.a., seltner han, lan u.s.w.; au in Janssen, autem,
aubentür.
Der umlaut des ä ist ä (e einmal in wer : ler), selten e :
wider spenig, wech ( =" wcehe), spech ( = spielte), seid (= scelde)
u.a., vgl. Bohnenberger s. 47 — 51.
Mhd. e ist 6 in öwig.
Zu bemerken ist die Schreibung ßenster 'fenster', die drei-
mal vorkommt (daneben zweimal venster, einmal vinster)\ menster
hat auch die schwäbische Schildbergerhs. in Heidelberg, bl. 58,
vgl. Germ. 7, 376 und Langmantels ausgäbe s. 132, anm. zu s.82, 14.
'Mhd. e ist wie e behandelt in faestr' u.s.w., Kauffmann § 72
anm. 4.
Für i und I werden in den hss. des 14. und 15. jh/s i und y
verwendet, und zwar meist ohne bestimmte regel. Ueber die
anwendung des y haben besonders Rückert, Entwurf hg. v.
Ketsch s.33 und Pietsch, Trebnitzer Psalter s. xxxvm fördernde
beobachtungen niedergelegt, dagegen ist v. Liliencrons annähme,
es werde durch y in manchen fällen eine abweicheude aus-
spräche bezeichnet (J. Rothes Düringische chronik s. 712), un-
haltbar. Das y hat seine eigene geschiente, die von Otfrid bis
auf J. H. Voss reicht. Für das 14. und 15. jh. hat y seine eigent-
liche Stellung in folgenden fällen:
1. Vor oder nach n, nn, m, mm, aus rein äusserlichen
gründen, weil das t als einfacher strich hier mit den n- und
m- strichen zusammen ein unleserliches gebilde ergibt (woher
die häufigen Verwechslungen in mhd. hss. zwischen diu und din,
nu und im u. a., vgl. z. b. 0. Zingerle, Ueber eine hs. des Pas-
sionals, Wiener SB. 105, 13—15).
2. y ist i, insofern es aus i +j = i +- i besteht, vgl. nl. ij,
weshalb es bei den grammatikern des 16. jh.'s das zwy fache
und lange y heisst gegenüber dem kurzen und einfachen /, vgl.
Joh. Kolrosz bei Müller, Quellenschriften und gesch. d. deutsch-
sprachl. Unterrichts s. 60. 70. 72. Fab. Frangk ebda. s. 99. Peter
Jordan s. 114. J. H. Meichszner s. 161. Laurentius Albertus hg.
von Müller - Fraureuth s. 27; ferner s. Kauffmann §74 anm.
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266
EHRI8MANN
Bohnenberger s. 61 und 68. Nohl, Die spraclie des Niclaus von
Wyle s. 40.
3. y steht in diphthongen vor folgendem vocal (y = ij) und
im wortauslaut, vgl. Joh. Kolrosz: so das lang y. zwüschen zween
stimbuchstaben gesetzt wärt, so thut es ein i vnd ein halb g.
Exemplum. Meyer, Beyer, ayer, ndyen, sdyen . . . Müller, Quellen-
schriften s. 75, vgl. auch Kauffmann § 182 anm. Fabian Frangk:
i: wird ans end eines worts, nicht gestellet, sondern das y, als
drey, dabey etc., Müller s. 99; s. auch Laurentius Albertus s.33.
Joh. Clajus hg. von Weidling s. 12 f. Joh. Becherer, Zs. f. d. d.
Unterricht 9, 708.
4. Endlich steht y im wortanlaut in ye und in den damit
zusammengesetzten Wörtern wie yeman, yeglich, yezunt etc.,
offenbar um anzuzeigen, dass der diphthong ie auf dem i zu
betonen ist, zum unterschied vom steigenden diphthongen, wo
/ oder j statt hat, wie jagen, jugent. So schreibt Joh. Kolrosz
(Müller s. 69 und 75 f.) Jesus, icger und stellt dagegen ye vnd ye,
yederman, yedes unter diejenigen Wörter, die das t betonen.
Der schreiber von w hat sichtbar das bestreben, einen
unterschied zwischen i und y zu machen, und zwar gemäss den
angegebenen vier grundsätzen. Für kurzes i ist y überhaupt
nicht sehr oft gebraucht, dann aber mit ganz wenigen aus-
nahmen wie rysen, rysel und in einigen fremdwörtern, der
regel 1 entsprechend neben n und m: tnynne, synn, nytn, ynnec-
lich, yngesinde und besonders in ymer, nymer. Seine haupt-
sächlichste Verwendung findet y für die länge (regel 2), woneben
viel seltener /, dieses jedoch immer in min, din, sin. Beispiele
für regel 3 : dat. pl. zwayen, aber zivein, mayen (acc. sg.), weye,
imp. zu mhd. tvwjen mit echt schwäbischem ey für a>j, vgl.
Kauffmann §66 anm. 3. Bohnenberger s. 47— 51. H.Fischer,
(leographie der schwäb. ma. s. 33 anm. 7. Nohl s. 64; zway, de-
hainerlay, schray, ey (interjection) und die fremdwörter Agleye,
Troy. Für regel 4: ye. yeglich. yemant, yetznnt gegen jagen,
janirr, jar. jugent, jung. — In den beiden schon besprochenen
hss. P und c sind diese regeln über die Verteilung von * und y
bei weitem nicht so correct durchgeführt wie in w, aber trotz
der Verwirrung noch bemerkbar und zwar in P deutlicher als
in c (hier eigentlich nur regel 1 und 2).
i wird sehr oft zu ü nach w, besonders in der lautgruppe
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MDXNEBURG,
267
wir-, vereinzelt auch vor r ohne vorangehendes w, hier jedoch
sichtlich meist nur des reimes wegen: ich vmrd, du wärst, er
wärt, diu würde, würde : gürde (= girde sb.), der wart, würs,
würff, erwürbt : stürbt, wurcken, würcket : zürcket, zurckel,
gewürckt : bürgkt, ich würb : ich stürb (ind. praes.), zwüret,
zwüschcnt, fürne, ferner ich wüst, süben, tüschelin, vmer neben
ynwr, aber nie im pronomen wir; vgl. Kauffmann § 86 anm.
Bohnenberger s. 58 — 61. v. Bahder, Grundlagen s. 181.
Die diphthongierung von i, w, in ist, dem schwäbischen des
15. jh.'s entsprechend, nicht durchgeführt; vereinzelt ist ge-
(z)weyot : gefreyot zu zwien, frien.
Die umgelauteten vocale sind von den nicht umgelauteten
reinlich geschieden, o — o und d, dagegen 6, ö — ö, ce\ u = w
(im anlaut v) und «, dagegen ü, u = ü und in (sowol ursprtingl.
diphthong als umlaut von u bez. /«), u = uo, dagegen ü = iie.
Damit lässt sich feststellen, dass keinen umlaut haben die in-
tensiven verba rucken, drucken, zucken, durchstucken, gebucket,
geschmückt, geknuckt (aber erkiiek), ferner brück 'brücke', ver-
lupt 'vergiftet', luppendig, nützlich, guldin, genuchtig : süchtig
(v. 2627, aber süchtig : briiehtig v. 1657), sül, vgl. Kauffmann
§ 124. H. Fischer, Geogr. s. 74 und Germ. 422. v. Bahder,
Grundlagen s. 199 ff.; suffix -nus.
Schwanken der Umlautsbezeichnung herscht in der Verbin-
dung iuw : trüwe und truwe, üwer und uwer, und in üchf uch,
wie auch sonst im schwäbischen des 15. jh.'s, vgl. Bohnenberger
s. 116— 122; über heutiges üw s. H. Fischer, Geogr. s. 41—4;$.
Mlid. ei ist ai; davon ist die contraction von cgi als et ge-
schieden, vgl. Kauffmann g 91—93. H. Fischer, Geogr. s. 44—48.
Bohnenberger s. 104—113: treit, seit, gcleit, gein - daneben die
unter schwachem satzton entstandene form gen (über schwäb.
gab und ge~ s. H. Fischer, Germ. 36, 419). Statt ei aus cgi wird
m nur der reimgenauigkeit wegen geschrieben, wenn die betr.
Wörter mit einem ai enthaltenen worte gebunden sind, das
ihnen als reim vorausgeht: wyszhuit : gesait, vestigkait : trait u. a.
Umgekehrt steht mehrfach ei für ai, aber nur in unbetonter
silbe in -heit, -keit, arbeit und selbstverständlich durchweg in
der interjection ey\ ferner zweimal beide neben sechsmal baide
(vgl. Bohnenberger s. 110). Das zweimal erscheinende tmding
verhält sich zu mhd. teiding wie modle zu meidle (zu diesem
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EHHI8MANN
8. v. Bahder, Zs. fdph. 12, 485. H. Fischer, Geogr. s. 47 f. Germ.
36,419 und Zur gesch. des mhd. s. 66 anm. 3.1) tceding (vgl.
Bohnenberger s. 110—113) ist = tagading, teiding = *tagiding
> tegiding mit assimilation des mittel vocals an das i der
schlusssilbe (vgl. Braune, Ahd. gramm. § 68 und § 27 anm. 4).
Mhd. ie ist ie, ye.
Für uo vor nasal findet sich ganz selten o in ton, stond,
vgl. Kauffmann § 97, 2. Bohnenberger s. 132—135. — Präpo-
sition und adverb sind durcheinander ztk und zü geschrieben,
hier also hat der index keine lautliche bedeutung mehr.
Mhd. 0« ist ou und o ohne unterschied, z. b. berouben und
beroben, gelouben und geloben, ougen und ogen IL a., aber nur
o vor im: bom, troni und in frowe und och = ouch; vereinzelt
steht gnaw (Kauffmann § 94. H. Fischer, Geogr. s. 40. Bohnen-
berger s. 122—128).
Der umlaut von ou ist ö: fröde, erzögen, Sgen, verströtcet,
trömen.
Die schwäbische nasalierung findet statt in zweimaligem
sunfftzen gegen einmaliges süfftzen, s. Kauffmann § 134.
H. Fischer, Geogr. s. 56 f. und Germ. 36, 423. Alemannia 3, 296.
Synkope und apokope der schwach betonten e ist ganz
geläufig, erstere IL a. z. b. in gwel, gnatv, gbunden, gsind. .
Consonanten: die medien g und b bleiben; für b steht in
fremdwörtern anlautend auch p in panier, paner, perlin neben
berlin, pensei neben bensei, sonst nur etwa zweimal (plickte,
plMigkait). Oefter tritt auf anlautend t für d: fach (Kauff-
mann § 166. s. 219 unten), tachs, Hessen, getagen, türrcs, tringen ;
selten th: thun, thorhus, rnderthänig (Kauffmann § 158 anm. 3);
mehrfach dt für mhd. d und t; bt zu pt: blipt, hpien, gehapt u.a.;
mt zu tnpt: zhnpt, nempt u. a. Gutturaltenuis ist e oder k, nie eh.
Verdoppelung des m ist oft vereinfacht: tutner, verstundet,
w wird auslautend nicht zu b: farw, und steht nach langem
vocal in blaiv, grate: im inlaut wechseln rw und rb, Iw und Ib.
Für qu ei^cheinen die ^-formen erkucken, keeklich neigen queck
( vgl. Kauffmann § 156 anm.). sl, sm, sn, sw sind zu schl u.s.w.
geworden, tw zu zw. g fiLr j in biegender (vgl. Kauffmann
§ 180 s. 255), w als übergangslaut in fmer vor sonantischem r,
») Vgl. auch magan zu man, megin iu mein 'kraft'.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
209
unterbleibt vor consonantischem r: dat. füre, adj. fürin, fürig.
Wechsel zwischen h im inlaut und ch im auslaut ist eingehalten
in wdher — wäcJi u. a., dagegen ist bei hoch die Spirans auch
in den inlaut gedrungen: hocher, hochem u.s.w.; vorgesetzt ist
h in herfücht, hertcandelieren, hernüwet (vgl. Kauffmann § 158
anm. 1).
Zur flexion und Wortbildung: verbum: die zweite person
plur. endigt neben gewöhnlichem -et auf -ent, besonders im
imperativ; part. perf. einmal auf ot: geweyot (entstellt aus ge-
zweyot, s. oben s. 267) : gefreyot. Der conj. des verb. subst. hat
neben den gemeinmhd. formen si u.s.w. in der 1. 3. sg. sig,
2. tigst, pl. ir sigent (vgl. Kauffmann § 182 s. 254 f.). In dem
einmaligen verlör, 3. sg. conj. praet., ist die ablaut&stufe des ind.
sg. praet. eingedrungen. Der vocal in den seltenen sten, gen
— gewöhnlich stan, gan — ist aus der vorläge übernommen.
— Oefter begegnen die abstracten fem. auf -in: liebin, gütin
(gen. dat. sg., vgl. Kauffmann §114, §116 und § 135 s. 164), und
solche auf -nus; häufig ist dennocht, dannocht (Weinhold, Alem.
gramin. s. 141), einmal steht gelernet = geleret.
Einige der angeführten mundartlichen eigentümlichkeiten
gehören speciell in das westliche Schwaben: die beibehaltung
der alten i, ü, iu, wofür ostschwäbisch im 15. jh. ei, au, eu gilt
(Kauffmann § 138. H. Fischer, Germ. 36, 423—426. Bohnenberger
s. 62—70); auch ei aus egi, wofür ostschwäbisch gern ai auftritt
(Bohnenberger s. 113). Noch einem bestimmter abgegrenzten
westlichen gebiet gehören üw für iuw, sünjftzen und fienster an,
s. dazu die nachweise oben s. 267, s. 268 und s. 265, zu fienster
auch Kauffmann § 77 anm. 2.
d, hs. der fürstlich Fürstenbergischen hofbibliothek zu
Donaueschingen no. 107, papier in 4°, 15. jh. (1468), vgl. Barack
s. 102 — 104, enthält auf bl. 1» — 69b die Minneburg, und zwar
von zwei verschiedenen händen geschrieben: da von bl. la — 38»
(v. 1905), db von bl.38b (v. 1906) bis 69b (schluss der Mbg.).
Die roten anfangsbuchstaben an den absätzen und meist auch
oben an den seiten in db sind vom zweiten Schreiber kunst-
reich und gewant mit blattornamenten, köpfen und phantas-
tischen tiergestalten verziert. Auch die arabesken bl. 33 b und
34 a in der partie des ersten Schreibers sind vom zweiten nach-
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270
•EHRISMANN
träglich hinzugezeichnet. Die Iis. gehörte laut einer aufschrift
auf der ersten seite vom jähre 1088 (Mnrij S. Magnj Fiefsa
16SS) einst dem kloster S. Mang in Füssen, kam später an
Lassberg und aus dessen nachlass in den besitz der Donau-
eschinger hofbibliothek. Sie ist in den beiden bibliotheks-
katalogen, die von der einstigen bibliothek in St. Mang erhalten
sind, nämlich im Oatalogus bibliothecae Sancti Magni de annis
1628—1686—1695 in der fürstlich Wallersteinschen bibliothek
zu May hingen und im Olm. 1387, nicht verzeichnet. In seinem
briefe an Tliland vom 16. august 1821 (Briefwechsel s. 23) be-
richtet Lassberg, dass er aus einer schweizerischen hs. der
Minneburg eine abschrift genommen habe. Es ist möglich, dass
diese 'schweizerische' hs. eben diese jetzige Donaueschinger hs.
ist.1) lieber den verbleib der abschrift konnten mir die Ver-
waltung der fürst 1. hofbibliothek sowie die tochter Lassbergs,
fräulein Hildegard von Lassberg in Mersburg, keine auskunft
geben.
Der dialekt der beiden teile da und d** ist ebenfalls schwä-
bisch, aber in nicht so einheitlicher Orthographie, auch nicht
phonetisch so genau widergegeben wie in w.
Zum vocalismus: ä zu 6 vor n, besonders in on[e]. — Für
alle r und ebenso für e und ce haben beide teile e, mit aus-
ausnahme von geschl. e > ö in Mischer, wollen, schöpfte
öpffel, löschen und etwa einem dutzend ä bez. % für ce in db;
dazu Ivoice, leuice für letve in d». — i wird zu ü unter den
nämlichen bedingungen wie in w, aber nur etwa in der hälfte
der fälle; zu e in brenge (d»), vgl. Kauffmann § 75. Bohnen-
berger s. 58. In der Verwendung von y für /* verfolgt d» ähn-
liche grundsätze wie w, daneben tritt ie auf in diese*) db da-
gegen braucht y fast nur in synn und mynne, wofür auf den
letzten blättern jedoch wider i regel wird. — Der unterschied
') S. unten s. 274.
*) dieser erscheint in hss., bes. mittelfränk.. auffallend häutig mit ie,
auch in solchen die sonst nicht ie für i brauchen (s. auch oben s. 262).
Dies kann einen lautlichen grnnd haben : ie kann auf *the zu thie, die stark-
tonige form des pron. demonstr., zurückgehen, wonach dieser in beiden coin-
positiousteilen tlectiert ist : vgl. Isidor dluasa (Braune, AM. gramm. § 2&i>
aoffl, 3e. Höfer, Germ. 15, 71). Auf dieselbe weise ist wol das in der Jolande
erscheinende dyser (John Meier s. xxvm) zu erklären, indem y hier für ie
stehen kann.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEHURO.
271
von mhd. ei > ai und egi > ei ist durchgeführt. — Der Um-
laut von ou ist in d« b\ du, cu, in dh nur 6. — ie ist ie, e in
neman (vgl. Kauffmann §96,2. Bohnenberger s. 114 f. Wein-
hold, Alem. gramm. § 37, e). — Indices über vocalen sind in dl)
im übermass gesetzt, abgesehen von allen umgelauteten vocalen
massenhaft beliebig auf andern. Dieses verfahren zeigt so recht,
dass diese zeichen keineswegs immer einen umlaut bedeuten,
sondern oft nur eben die vocalische natur des betr. buchstabens
hervorheben sollen. — Nasaliert sind sünftzen und siinst (db).
— Schwund des schwachen e ist häufig.
Zum consonantismus: für anlautende b und d finden sich
mehrfach p und t (fach etc.), für t th in tkftn; ferner begegnen
queck und fachlich (da), erquicken und erh'iclcn (dh) neben
einander; prothetisches h erscheint wie in w (s. oben s. 269);
m zu n in hain (da), vgl. Kauffmann § 189, 4; gäischlich für
(jeistlich (db), vgl. Kauffmann § 153 anm. 2.
Zur flexion und Wortbildung: -ent lautet die flexion der
2. plur. imp., selten -en\ der conj. sig für si ist häufig; über-
einstimmend mit w kommt einmal verlor (3. conj. praet.) vor
(da) , ebenso dannoeht, dennocht (da und d''), gelernet — geleret
(db) ; die abstracta auf -tu (auch -i) begegnen nur in da, die
auf -nuß, -nüfz in beiden teilen. Von dem schwäbischen typus
weicht nur eine form gänzlich ab, das in da etwa siebenmal
erscheinende sal für sol. Die form ist ganz unschwäbisch und
beruht auf einer nicht mehr zu ergründenden laune des Schreibers
von d»
In den beiden teilen da und dh sind nicht genau die gleichen
schreibgebräuche befolgt, die Verschiedenheiten sind aber nicht
mundartliche, sondern nur orthographische. Jedenfalls liegt
beiden ein und dieselbe vorläge zu gründe, wie sich auch aus
der beobachtung des textes ergibt, d« und db gelten deshalb
als eine hs., d.
h, die Heidelberger papierhs. Cod. pal. germ. 385, 15. jh.,
beschrieben von Bartsch no. 208. Der in den sich nur in dieser
hs. befindenden eingangsversen (s. Bartsch a.a.O.) als Verfasser
genannte Maister Nectanerus stammt aus dem inhalt des ge-
dieht«. Eine abschrift von h, gefertigt von dem pfälzischen
pfarrer und historiker J. G. Lehmann im jähre 1847 (vgl. Germ.
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EHRISMANN
22, 120) befindet sich jetzt in der kaiserl. universitär- und
landesbibliothek zu Strassburg.
Die mundart in h ist schwäbisch, jedoch einige in w und d
bemerkenswerte kennzeichen fallen hier weg oder treten noch
mehr zurück als in d, wogegen andere aber weniger ausgeprägte
neue erscheinen. Der Schreiber von h zeigt das bestreben,
sich mehr der allgemeinen geschäftssprache anzupassen, wäh-
rend w in der starken betonung mundartlicher eigenheiten
einen sonderstaatlichen Charakter trägt. Auch dem alter nach
ist h wol einige jahrzehnte von w getrennt und gegen das
ende des 15. jh.'s in die zeit der drucke Steinhöwels und Niclas'
von Wyle zu setzen.
Vocalismus: ä wird o vor nasal, immer in on\e].
Für die flaute werden drei zeichen verwendet, e , e und ä,
und zwar werden im grossen und ganzen damit die geschlossenen
und offenen laute unterschieden: e steht für altes e, ältern Um-
laut (wofür auch ö: löschen, schöpfer etc.) und $\ e für altes e
besonders vor r und l (kern, her, mel, heln) und für ce; ä für
den jüngern umlaut (täglich, schäntlich, schnäbeln, gefängnus)
und ebenfalls für ce. Natürlich ist dieses etwas verwickelte
System nicht ganz pünktlich durchgeführt.
Die rundung des i zu ü ist noch seltener als in d (zwü-
schcn, sähen, würde sb.). Im Wechsel zwischen t und y sind
die oben gegebenen regeln zwar nicht streng eingehalten, aber
grösstenteils noch sichtbar; ausserdem steht ie in dieser, wieder,
friede, wiessen u. a.
u bezeichnet das lange m; für u, ü, iu, uo, iie steht ü (im
anlaut für uo auch «; aber immer du, vnd\ meist zu, aber
zur, zürn. — Vor doppeltem nasal und vor nasal + cons. wird
u zu o, meist ö geschrieben, wie denn das Umlautszeichen mehr-
fach auch über nicht umgelauteten o und 6 steht und andrer-
seits bei umgelauteten o, ce fehlt: sönnder, wönnder, uünnde,
sonne, wönne, wünsch, kömmer; ü > ö in konig, konigin.
ü ist 0 in körn, vor nasal, vgl. Kauffmann § 82, 2. Bohnen-
berger s. 91—90.')
_ •
') hone nimmt auch sonst in hss. eiue Sonderstellung ein: m ist oft
auch in solchen hss. diphthongiert, die sonst meist u hewahren, alemannisch
z. b. in der Berner Iis. der von Rathmann und Singer herausgegebenen Volks-
bücher (Lit. V6T. 185) s. lxxxv koum oft. und versoumpt, vcrsoumbnufz,
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
273
Beide ei, das ursprüngliche und das aus egi entstandene,
sind ai, nur unter scli wacher betonung tritt ei ein, daher geht,
einander, wie im bair. hochtonigem ain gegenüber schwach-
toniges ein (Bartsch, Germ. 24, 198 f.).
Mhd. ie ist nur in ich ging durcli i widergegeben.
Mhd. ou ist ou, aber bom; öu ist ö. Bemerkenswert ist
schun ( : sun) für schon ( : son). ')
roumpt; s. anch Rosenhagen, Untersuchungen Ober I>aniel vom blühenden
tal s. 3. Im bairischen ist um unter den frühest diphthongierten lautverbin-
dnngen am stärksten vertreten, vgL Weinhold, Bair. gramin. § 100. Im
heutigen schwäbischen ist ü vor nasal zu äö geworden, sonst zu 9U (Kauff-
mann § 82,2). S. anch Toischer, Ulr. v. Eschenbacb, Alexander s. xix (kam[e\)
nnd oben s. 258.
') Im schwäbischen tritt manchmal vor nasal ü für ö ein, s. Bohnen-
berger s. 75. L. Voss, Ueber Friedrich von Schwaben (dissertation, Münster
1895) s. 0 (schun, lu». dun, krün; ü soll hier vermutlich ou widergeben,
vgl. Kauffmann § SO anm. 1). Aber gerade für schon adv. ist schün öfter
zu belegen, so in der Wiener prosaischen Minneburg (s. unten s. 275), in dem
derselben hs. augehörenden gedieht von Friedrich von Schwaben (s. Voss
a.a.O.), bei dem von H. Hofmann herausgegebenen 'Nachahmer Hermanns
von Sachsenheim' v. 541 und 1159 (im reim auf thün). Dazu erscheint als
adjectiv schiien bez. schien bei dem letztern (superl. schienst : dienst v. 305),
bei Bohnenberger s. 84. Anz. fda. 5. 224 und in vielen beispielen bei Michels,
Studien über die ältesten deutschen fastnachtsspiele s. 1 15 f. Besonders lehr-
reich für die formen schiien adj. — schuon adv. ist die Schreibung in dem
gedieht von der sultanstochter im blnmengarten, das Bolte in der Zs. fda.
34, 18 ff. aus einer hs. des frauenklosters Inzigkofen bei Sigmaringen heraus-
gegeben hat. Hier werden die umgelauteten vocale von den unumgelauteten
durch index pünktlich geschieden: mhd. u ist durch u widergegeben, mhd.
m, iu, iie durch ei, ferner mhd. uo durch m. Nnn haben das adj. und das
abstracte fem. snbst. immer ü, niemals ü, d. h. schün (siebenmal), schitni
(zweimal) ; das adverb dagegen viermal ü, schün, die daneben dreimal vor-
kommenden schün können nicht auffallen, da adj- nnd adv. nicht mehr streng
getrennt gehalten wurden. — Es fragt sich, ob schiien — schuon nur mund-
artliche entwicklungen von scho-n — schon sind oder etymologisch davon
verschiedene formen. Michels hat das letztere angenommen. Und wol mit
recht. Denn schiien — schuon haben ein weites Verbreitungsgebiet, auch
über mundarten die sich feme stehen. Auch würden als reime beim Nach-
ahmer Saehsenheiras angesetzt werden müssen die streng dialektischen
schö : tö oder schfW : tilö, scheust : denst oder schilest : d<le~st, die über die
sonstige Zulassung der nmndart bei ihm doch hinaus giengen. statt schuon :
tuon, schuenst : dienst. — Etymologisch stünden dann schiien - schuon zu
schwne — schone in demselben ablantsverhftltnis wie guome zu gönnte, ge-
mäss Michels erklärung.
Beitritt tur geschieht« der deutachsn spräche. XXII. 18
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274
EÜRI8MANN
Nasaliert sind gänst — giuzt und tönst.
Synkope und apokope des schwachen e sind in h viel sel-
tener als in w und d, vielmehr wird umgekehrt sehr häufig
am wortende ein etjTnologisch überflüssiges e zugefügt, z. b.
der stürme, den munde, idi vande, icarde u.s.w.
Zum consonantismus: neben d kommen anlautend, wie in
w und d, einige t vor; für b ist p sehr häufig (plüme, plüt,
pringen); qu nicht /; in erquicken (keeklich fehlt in der hs.);
h statt j in wehe (mhd. wage) ; prothet. h in herfucht, herwan-
del irren; tw ZU ftp; sl u.s.w. zu scJd u.s.w.
Zur flexion und Wortbildung: 1. sg. ind. praes. geht oft auf
-en aus, besonders im hiatus, sagen ich, ich u irden oucfi; die
endung -ent ist in allen zweiten personen des plurals neben
•en sehr häufig und findet sich auch in den ersten; das gerun-
divum hat als flexion -ende; die conjunctivform sig(e) ist selten.
— Wie in w und d finden sich die abstracta auf -in (auch -/),
liebt, güttin, und auf -nüfz(e), und dannocht, dennoeht. Ausser-
dem sind anzumerken yena, nyena, zwürnoL
Die für h gegenüber w und d charakteristischen mund-
artlichen bez. orthographischen erscheinungen sind: u zu o vor
nasal, cgi zu ot, anfügung eines überflüssigen e, anlautend p
für b, Lsg. praes. ind. auf -en, -ent in allen zweiten personen
des plurals und auch in der ersten person. Sie kommen alle
auch sonst im schwäbischen vor: o für n vor nasal ist echt
schwäbisch, vgl. Kauffmann § 81, 3. H. Fischer, Geogr. s. 28.
Bohnen berger s. 87— 91; ai für cgi s. bei Bohnenberger s. 110
—113 und s. 106; die überflüssigen e sind aus den gleichzeitigen
schwäbischen Schriften reichlich zu belegen, vgl. Kauffmann
§ 122 anm. 2. Nohl, Sprache des Niclaus von Wyle s. 65—71;
p für b besonders bei Steinhöwel, s. Weinhold, Alem. gramm.
s. 114. Karg, Die spräche H. Steinhöwels s. 23; die besprochenen
verbalendungen auf -en und -ent bei X. v. Wyle (Nohl s. 73),
bei Steinhöwel (Karg s. 38).
Die drei schwäbischen hss. w, d, h stimmen in sehr vielen
einzelnen auffallend mundartlichen Schreibungen so buchstäb-
lich genau überein, dass an einer gemeinsamen schwäbischen
vorläge (über ostfränkische spuren s. unten s. 278) kein zweifei
sein kann. Dass sie auf ein und dieselbe quelle zurückgehen,
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DA8 MHD. GEDICHT VON DER MINNKRITRO.
275
wird durch das Verhältnis der Varianten bestätigt (s. s. 277).
w hat die ursprüngliche mundartliche färbung am besten be-
wahrt, d hat etwas mehr davon abgestreift, h hat sich einem
neuen princip zugewendet ohne das alte ganz zu verwischen.
In dem oben s. 270 angeführten briefe bemerkt Lassberg,
dass Conz in Tübingen eine hs. der Minneburg besitze. In
der tat bespricht Conz in seinen Kleineren prosaischen Schriften
2, 307 und 327 das gedieht in einer weise, aus der hervorgeht,
dass ihm eine Iis. muss vorgelegen haben (in der ersten fassung
jenes aufsatzes in seinen Beyträgen für Philosophie s. 82—131
fehlen die beziehungen auf die Minneburg). Leider ist es mir
trotz gütiger bemühungen des herrn dr. Bohnenberger in Tü-
bingen nicht gelungen den gegenwärtigen aufbewahrungsort
dieser hs. zu erfahren. In der Universitätbibliothek zu Tübingen
und in der öffentlichen bibliothek zu Stuttgart sowie in der
kgl. hofbibliothek daselbst befindet sie sich nicht, auch konnte
mir herr stadtpfarrer Conz in f anstatt, ein nachkomme des
Tübinger professors, keine auskunft über sie geben.
Ausser der gereimten Minneburg existiert noch eine Um-
arbeitung in prosa. Diese ist überliefert in der papierhs.
der k. k. hofbibliothek zu Wien no. 2984. 15. jh. (1463), auf
bl. 246a— 273b, vgl. Hofmanns Verzeichnis no.LXXXIX. Tab.
codd. mss. 2, 168. Toischer, Aristotilis heimlichkeit s. 1. L. Voss,
Friedr. v. Schwaben (s. oben s. 273) s. 6.
Auch diese hs. ist im schwäbischen dialekt abgefasst, und
zwar tritt das mundartliche element stark hervor, z. b. sein*
häufige au und « für ä, seltner o vor nasal für ä, geschlossenes
e zu ä (stärker, härtt, hör 'heer\ kräftig u. s. w.), «'zu ie vor r
(stiem, tviert, gegenwiertigen, hiers; vgl. Kauffmann § 75 anm. 1.
H. Fischer, Geogr. s. 27. Bohnenberger s. 58 — 62), / zu ü (ward,
süben, vermüschen), äu zu ö (fröd etc.), u zu o vor nasal, ent-
rundung von o zu e (besen), üe zu ie (gr jener), eu zu ai (fraind),
nasalierung in sunfftzm, erhaltene schwere flexions- und ab-
leitungssilben wie superl. edlost, sterkost, part. perf. gclemot,
conj. praet. romtin, tvältist, adverb hinnan, abstracta auf -in
(hrrtin, lyebin, hepchin), das echt schwäbische niemm ™ nvmcn
(Kauffmann § 70 b. Bohnenberger s.41 — 47), houch, troust (Kauff-
mann § 80 anm. 1. Bohnenberger s. 75). sehün = sehön (s. oben
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276
EHKI8MANN
s. 273); m zu n in hain = heim (s. oben s. 271), eh für h (seehen,
flieehen, stachel, Kauffmann § 158 anm. 2), st für seht in erlast,
ffeivonst (Kauffmann § 153 anm. 2). Erwähnt sei noch die syn-
taktische Umschreibung des praeteritums das lind vnd sein
aiiiy ... dätten sieh frötven.
2. Das handschriftenverhältnia.
Die hss. des gedientes verteilen sich zunächst auf zwei
klassen, A und B, die sich im wesentlichen durch die abwei-
chende behandlung des eingangs und des Schlusses und, damit
zusammenhängend, durch ihren umfang unterscheiden; das
mittlere stück stimmt in beiden überein. Die auf diese weise
sich ergebenden je drei teile, Ai An Am und Bi Bn Bin,
verhalten sich folgendermassen zu einander: der eingang ist in
A (Ai = v. 1 — 80) gänzlich verschieden von dem in B (Bi =
v. 1—180 B); darauf folgt der beiden gemeinsame hauptteil
(Au = Bn); der widerum sondergebildete schluss ist in B
(Bin - 3319—3628 B) bedeutend kürzer als in A (Am =
v. 3119 — 5488). Dabei sind jedoch gewisse stellen im eingangs-
und schlussteil bei A und B inhaltlich gleich und nur in der
sprachlichen fassung verschieden; es sind dies die verse 1—80
sowie 3119—3172 und 3605—3825 in der Zählung von A.
A zählt in der vor dem schluss abgebrochenen hs. P schon
5488, B nur 3628 verse. Vorausbemerkt sei, dass, wie sich
erst aus der beobaehtung der reime ergibt (s. unten), A das
ursprüngliche gedieht darstellt und dass die in B abweichen-
den eingangs- und Schlussstücke (B i und Bin) erst änderungen
eines späteren bearbeiters sind.
A ist vertreten durch die hs. P und die bruchstücke rf,
wozu wahrscheinlich noch das bruchstück 1 kommt.
P gibt einen lesbareren text als jede andere hs., die zwei
blätter von 6 ausgenommen, ist jedoch von flüchtigkeiten nicht
frei. Solche sind einige male vom Schreiber selbst gebessert.
Ausserdem aber hat eine spätere hand mit blasser tinte zahl-
reiche correcturen angebracht, und zwar meistens unter bei-
ziehung einer auf x (= wdh) zurückgehenden hs., denn
mehrere änderungen stimmen mit sonderlesarten jener schwä-
bischen gruppe überein. Die zur richtigstellung benutzte hs.
war eine andere als die uns erhaltenen hss. wdh.
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DAS MIll». GEDICHT VON DEK MINNEBURG.
277
Dass d, welches die verse 2860—2931 und 3075—3147 um-
tost» zu A gehört, beweist der umstand, dass die letzten 29
in jenen Schlussteil, wo A und B auseinander gehen, fallenden
verse (31 17 — 3147) den text von P bieten. Im Wortlaut stimmt
6 mit P fast durchweg tiberein; wo beide verschieden sind, hat
in der mehrzahl der fälle ö die ursprünglichere lesart, wie sich
durch vergleichung mit B ergibt. Es erhellt aus der beiziehung
von d, dass P, was für die beurteilung ihres textkritischen
wertes von Wichtigkeit ist, in einzelfällen vielfach von dem
grundtext abweicht.
Die Stellung von 1, das die verse 2399 — 2664, mit aus-
lassung von 2403 f.. 2465 f. und 2597—2616, aufweist, lässt sich
gleich durch die ersten verse 2399—2402 näher bestimmen:
diese fallen in eine lücke der B-hss., 1 zweigt also jedenfalls
nicht von cx ab, auch die abweichungen im Wortlaut, die für
cx bezeichnend sind, teilt 1 nicht, 1 stimmt in weitaus den
meisten fällen mit P, kein einziger spricht dafür, dass 1 mit B
eine gemeinsame vorläge hatte; man wird daher nicht fehl
gehen, wenn man dieses bruchstück, obgleich bei seinem ge-
ringen umfang eine Übereinstimmung mit fehlem von P nicht
nachgewiesen werden kann, dem grösseren gediente A zuteilt.
— Der text von 1 ist sehr entstellt und manchmal ganz un-
verständlich, kann aber doch zur herstellung einiger kleinig-
keiten mit nutzen verwendet werden.
Die übrigen hss., c w d h, gehören zu der kürzeren fas-
sung, B. w d h weichen im mittelteil (Bn) an sehr vielen
stellen, worunter zahlreiche gemeinsame fehler, in gleicher
weise von c und Ali ab, desgleichen im anfangs- und endstück
(Bi und Bin) von c, so dass eine gemeinsame vorläge der drei
hss.. x, leicht ersichtlich ist. Eine solche hat sich schon durch
die übereinstimmende Orthographie in den dialektformen (s.oben
s. 274) als wahrscheinlich erwiesen, x war, jenen zufolge, in
schwäbischer mundart abgefasst. Innerhalb der gruppe x kom-
men w und d (d* und dl> sind ihrer vorläge gleichmässig genau
gefolgt, gelten also auch in ihrem textkritischen werte als ein-
heit) dem texte An c am nächsten, sind auch in bezug auf
die widergabe desselben ziemlich gleichwertig, während h unter
allen hss. ausser 1 von dem original am meisten abweicht.
Unter sich stimmen je zwei dieser hss. mehrfach, jedoch nicht
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278
EIIRISMANN
häufig, gegenüber der dritten in fehlem überein, am meisten
noch w und d. Da aber in diesen fällen die sehr frei ver-
fahrende hs. h durch eigene änderung ursprüngliches wider-
hergestellt haben konnte, so ist daraus auf ein näheres zu-
sammengehen von w und d nicht zu schliefen. Für die
Herstellung des grundtextes ist eine entscheidung darüber
auch nicht von Wichtigkeit, da h dazu entbehrlich ist. —
x war eine sehr willkürlich ändernde hs.
Viel geringer sind die besonderheiten von c. Die gemein-
same vorläge von c und x war im Wortlaute von An nicht
erheblich verschieden. Am meisten treten auslassungen von
kleineren und grösseren stellen hervor: es fehlen in cx die verse
135 f. 247— 343. 4ü5i 1711 f. 2218. 2391 — 2402. die für den
Zusammenhang meist unentbehrlich sind. Sinnstörend um-
gestellt sind, mit änderung einzelner verse, v. 1974 — 2018
hinter 1672.
Die beschaffenheit jener gemeinsamen vorläge lässt sich
auf folgendem wege näher ergründen: es ist oben (s. 2i>4) ge-
zeigt worden, dass der eingang und der schluss von c (ci und
ein) formen enthalten, die einer andern mundart angehören
als der mittlere, der hauptteil (eil). Diese wenigen merkmale
lassen eine sichere heimatsbestimmung nicht zu. weisen aber
auf das schwäbische oder südrheinfränkische. Da nun aber
keine ausgeprägt schwäbischen kennzeichen in jenen teilen
vorkommen und da ferner, wie sich aus den reimen ergibt
(s. unten), der ursprüngliche Verfasser jener stücke (Bi und
Bin) im südlichen Kheinfranken zu hause war, so ist anzu-
nehmen, dass jene mundartlichen besonderheiten in ci und ein
Überbleibsel des südrheinfränkischen Originals Bi Bin sind
(in x, das seinen schwäbischen dialekt streng durchführte,
sind sie grösstenteils getilgt worden, ball und yesinn sind,
weil im reime stellend, erhalten geblieben). Daraus lässt sich
nun ferner die Zusammensetzung der vorläge von cx erkennen:
das mittlere stück, das in c keim* rheinfränkischen Sonder-
heiten enthält (selbst verständlich auch nicht in x), wol aber
ost fränkische (infinit ive ohne -//, sowol in c als in x. allerdings
nur ganz vereinzelt), ist gar nicht durch die feder des süd-
rheinfränkischen bearbeiters von Bi Bin gegangen, sondern
unmittelbar aus einer ost fränkischen vorläge herübergenoiumen
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DA8 MHD. GEDICHT VON DER MINNEBÜRG. 279
worden, anfang und ende, die er in seiner heimischen mundart,
dem stid rheinfränkischen, neu hinzu dichtete, sind von ihm ein-
fach jenem ostfränkischen mittelteile vor- bez. zugesetzt worden.
— Ist nun zwischen cx und B ein mittelglied anzusetzen?
Kaum. Ein solches würde, in welcher landschaft es auch ent-
standen sein mochte, in c jedenfalls mundartliche spuren hinter-
lassen haben, auch würden bei dem durchgehen durch eine
Zwischenhandschrift die in ci cm sich noch findenden südrhein-
fränkischen eigenheiten mehr verwischt worden sein. Aus dem
Wortlaut des textes lässt sich für diese frage nichts gewinnen,
da dieser schon in seiner ursprünglichen anläge ganz verworren
und oft unverständlich war, wie aus den sicheren bestand-
teilen, den reimen erhellt. Mit dem gänzlichen mangel des
bearbeiten* an schriftstellerischer begabung lässt es sich auch
vereinigen, dass er solche Störungen des Zusammenhangs, wie
sie durch die s. 278 angeführten auslassungen entstanden, ohne
anstand bestehen Hess.
Das so festgestellte Verhältnis der hss. des gedichts lässt
sich in folgendem schema veranschaulichen:
Ai Am — An
1 \
A BlI Bl Bill
r
c
w d
Der prosa liegt das kürzere gedieht B zu gründe, der
eingangs- und schlussteil sind in der hauptsache aus B über-
tragen. Jedoch ist in einzelheiten des Wortlauts für die ab-
schnitte wo B denselben inhalt hat wie A, nur in anderer
sprachlicher darstellung, beide male eine hs. von A beigezogen.
So sind innerhalb des eingangs mitten unter den B-versen die
verse 73—78 aus A verwendet. Besonders eigenartig zeigt
sich die benutzung von A im schluss. Hier gehen die lesarten
von A und B so durcheinander, dass ersichtlich der prosa-
bearbeiter je eine hs. von A und B vor sich hatte und die
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280
EI1KISMANN
vvorte bald aus der einen bald aus der andern nach belieben
auswählte.1) Z. b.:
Prosa bl. 268».
vnd täding selb» mit «1er frowen das geschaeh, rayne überwand wen si
yrrett vnd gebar jn der bnrg ain kind dz wider myne hieffz recbt
als si geborn ward Sy ward herr jn der bnrg vnd da ward früde sunder
zal in der bnrg me dun kain hand gesrbriben künde.
A (= P) v. 3140-3161.
vnd teyding selber mit der
fra wen
die mynne die volgt dem rat
nach
vnd tet ez gern vnd geschieh
was mynne da irret daz vber
want
sie vnd gebar auch allznbant
in der bnrg ein edel kint
daz waz zum mol gesiebtes blint
B v. 3140- 3151 (nach w).
vnd haimlich selb zn täding ste
da by erkenn die bnrjrfrow
die minn vnd iren flyl'z anschow
das g esc ha oh die minn bezwang
mit rechter gilt dar nach sie rang
vnd gebar in der bnrg ain
kind
vnd hiez auch wider mynne
daz kint jn rechtem synne
wart geborn in snlher art
als mynne vor gebom wart
daz ir gehört habt hie vor
minne wnrden do die bnrgtor
vff geslol'zen vber al
do hube sich freude ane zal
iiier dann geschriben mag kein
hant.
das was so i?nr des wnnsches find
vnd ward die wider minn genant
als sie geboren was erkant
sie ward da in der bnrg der
her
in aller frod nach wnnsches ger
nie dann volsprechen kau kain mund.
Ferner: prosa bl. 260».
I>ie bltrg ward von feinem grossen hör beräntt Pie fraisslichen stürinten
vnd lYhnssen vnd wurffen. vor irem stürmen künd sy nit besten Ir
gesehoiTz was scharpff vnd brantt die jn^estüle von zipperes von tre-
st ain jn der bnrg jr bleyden freysslich brachen ärker tiim vnd
miliig starck gewelb Alles jr stürmen was zobell töttlich färb dz veld
gar beströwett ward mit rotten i'iirin zungen.
A ( P) v. 3630—3650.
dajs die burk vil vefte
wart vi) eim grofzeu her he-
ran t
die frei Blich stürmte allzuhaut
vor irem stürme knnd niht be-
sten
sie wurden vast hin zu gen
der slug der schoz yener warf
ir geschoz waz also scharf
daz ez die edeln jjestnl verbrant
die an der bürge waren bekant
die waren also hübsch vnd kurk
') Es ist dies ein sicheres heispiel für eine sonst im mini, ungebriiiu h-
licbe arbeitsmethode, vgl. Paul. Beitr. 1,30!*. Steinmeyer, (iött. gel. anz.
Ihb7, Tb»; ff. Stosch, Anz. fda. 11». 302 anin. E. Kettuer, Zs. fdph. 2a, 205.
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DAS MHfl. GEDICUT VON PEK MINNEBURG. 281
als yene dort zu mynnenbnrk wann daz must allez samt entzwey
die ich vor genennet hau ir stnnn waz mit grofzem geschreye
daz gestul zum mol verbran ir banir velt vil garbe
tum vnd erker musten lyden waz von zobel tötlich varbe
lytlich gebrechen von den plyden darin waz vil gedrungen
rotter vintlicher rangen.
B v. 3190— 3201 (nach w).
ain grosses her die bur^ beranten gestül von Ciprefz vnd gestain
»türmen werffen schiessen blyden gewelb ercker dnrn
geschaeh da vnuerdriessen brachen von des sturmes znrn
das sie deshalb nit wol bestünden der was fraislich totlich zobel
gescbofz das scharpff tett sie wunden das veld durch ain ander strobel
das in der bnrg blaib gantz dekain was bestrowet mit fiirin zungeu.
Die hs. welche der prosa für den mittleren teil, wo A
und B zusammengehen, vorlag, hatte die einzelabweichungen
von x sowie mehrere c und x gemeinsame fehler nicht, ebenso
nicht einige fehler von P. — Der text der Wiener prosahs.
ist sehr entstellt (er scheint aus einer schwer lesbaren vor-
läge flüchtig abgeschrieben), im ausgang oft ganz .sinnlos;
offenbar hatte schon der prosaumarbeiter das confuse mach-
werk von B gar nicht verstanden.
Unter solchen handschriftlichen Verhältnissen lässt sich
der ursprüngliche text der Minneburg annähernd richtig nur
im mittleren teile herstellen (An Bn). Für Ai und Am
liegt nur die vielfach ändernde, aber doch einen verständlichen
text bietende hs. P vor. Bei der kritischen herstellung der
in B umgeänderten partien Bi und Bill fehlt alle Sicherheit,
da der Verfasser selbst keinen lesbaren text zu stände ge-
bracht hat.
n.
Metrik. Sprache des Originals.
Die Minneburg ist in der für die erzählenden und lehr-
haften gediente meist gebrauchten form der paarweise gereimten
verse von vier hebungen abgefasst.
1. Rhythmus.
Hebung und Senkung. Es herscht das prineip der regel-
mässigen abwechslung zwischen hebung und Senkung. Die
Minneburg gehört also in bezug auf die rhythmische gliederung
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282
EHRISMANN
zu der zweiten der von Paul, Grundr. 2, 945 unter den gedienten
des späteren mittelalters unterschiedenen gruppen. Die zwei-
silbigkeit der füsse ist jedoch nicht streng durchgeführt. Nicht
selten fehlt eine Senkung, am häufigsten zwischen der vorletzten
und letzten hebung, sowol in ein und demselben worte bei
starkem neben ton der zweiten silbe, wie oügstem, fiurstem,
ursjrrmc, herblrg(e), tvinbr(hv{e), drmüot, gefenknt$$(e), helbfonc,
klüocheü, wisheit, biltich, ddnnbch, verelVendet u. a., als bei zwei
Wörtern: stein bran, hure lig(e), heim gan, in die bürc gan, liep
he'te, ue iuo u. a. Dem gegenüber finden sich öfter auch schwere
senkungsfüllungen, z.b. er lande kriechisch er knnd(e) kaldeisch
(v. 468), oder von der fünf sinne kdren (v. (550), wirklich
Wirkung des willen (v. 631) u.a.
In der behandlung der schwachen e folgt der dichter je
nach bedarf entweder seiner mundart oder der seit dem 13. jh.
überlieferten fortdauernden literatursprache, denn er gebraucht
sowol die syn- bez. apokopierten formen (wie die reime
zeigen), .als auch die nicht gekürzten, was daraus hervorgeht,
dass dieselben schwachen e Senkungen zweisilbiger füsse und
klingende ausgänge dreihebiger verse bilden können.1)
Die quantität der Stammsilbe kommt dabei nicht mehr in
betracht. In dieser doppelten behandlung der schwachen e
stimmt die Minneburg zu dem allgemein üblichen gebrauche
derjenigen gediente des 14. 15. jh/s welche den syn- bez. apo-
kopierenden mundarten angehören. Jedoch ist nicht in jedem
einzelnen fall die entscheidung möglich, wie sich der dichter
denselben gedacht hat. Da indess im prineip einsilbigkeit der
Senkung gilt, so wird tilgung des schwachen c da vom dichter
gemeint sein, wo durch sie dreisilbige füsse auf zweisilbige
zurückgeführt werden können.
Das zusammengehen von logischer und rhythmischer be-
tonung ist öfter gestört. Verletzung des natürlichen satztons
liegt vor an stellen die zum teil unter den begriff der schwe-
') Dies»* zwiefache verwenduug voii Wörtern mit schwachem e in der
m hlusssilbe, je nach bedürfuis für klingenden oder stumpfen reim, begegnet
schon in der zweiten hälfte des 13. jh.'s. besonders bei den schwierigeren
strophenbildnngen wie z.b. im I-ohengrin (Kiickert s. 270 f.). Ans dem Lor-
engel (Zs. fda. 15, IbOflV) sei ein auffallendes beispiel erwähnt: in Strophe 22
(s. Ibö) reimt er auf her, in der darauf folgenden atrophe cre auf Ure.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER M1NNEBCRG.
283
hcnden betonung fallen, z. b.: sag(e) ich dir das so betrüg(c)
ich dich (v. 782), swaz er mir sdgt(c) solt(e) ich duz sägen
(v. 451), der vor dem tag üf brich et und so diu sünn(e) üf
sticket (v. 1943 f.) u. a.
In der setzung des auftakts bestehen keine regeln; die
auftaktlosen verse bilden jedoch die minderheit, etwa ein achtel
der gesammtzahl. Zweisilbiger auftakt ist nicht selten.
Dass der hiat us nicht vermieden wird, beweisen verse wie
under dem dache ouch durchfrischet (v. 212), denn wollte man
in solchen fällen elision des e vorziehen, so würden übermässig
viele einsilbige füsse entstehen, was dem charakter der rhyth-
mischen gliederung des gedientes widerspräche.
Versausgang. Bei stumpfem ausgang haben die verse
regelrecht vier hebungen, nur ganz vereinzelt begegnen drei-
hebige. Die klingenden reime von den stumpfen zu scheiden
ist sehr oft nicht möglich, da die ersteren durch apokope oder
synkope des schwachen e als stumpfe gelten können. Jedoch
können unter folgenden zwei gründen sicher klingende aus-
gänge festgestellt werden: einmal sind als klingend endigend
alle diejenigen verse aufzufassen, welche durch tilgung des
schwachen e zu stumpf endigenden mit nur drei hebungen
würden, da der dichter dreihebige verse mit stumpfem reim
meidet, lTnd zweitens bilden die zweisilbigen Wörter mit
langer paenultima und -<?/, -cm, -en, -er in der ableitungs-
bez. flexionssilbe wie wandet, wunden, guoter jedenfalls klingende
reime, wie in der mhd. blütezeit. Abgesehen davon, dass solche
Wörter physiologisch nicht als einsilbig gelten können (Paul,
Beitr. 8, 188), lässt sich aus der metrik des 14. 15. jh/s. selbst
der beweis führen, dass sie als zweisilbig anerkannt und die
sie enthaltenden verse als klingend angesehen wurden: Suchen-
wirt gebraucht sie nie in vierhebigen verseil, die bei ihm immer
stumpfen ausgang haben, sondern nur in dreihebigen, stets
klingend endigenden, wahrend er als stumpf auch solche zwei-
silbige Wörter mit langer paenultima verwendet, deren letzte
silbe auf e oder mit bestimmten einschränkungen (vgl. Kober-
stein, Ueber die spräche P. Suchenwirts s. 55) auf e -f- geräusch-
laut ausgeht, 'Der meide kränz' von Heinrich von Mügeln
hat nur stumpfe reime, und darunter keine von der metrischen
form 'länge + -el, -em, -en, -er (Benedict, Die metrik in H.'s v.
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284
KUUISMANN
Mügeln -Der meide cranz' s. 9f). Hermann von Sachsenheim
hat in den 3040 reimpaaren seiner nur stumpf gereimten Mörin
nur sechs solcher Wortpaare (Martin s. 39), keine in Jesus der
arzt (die consonantverbindung r + [e\n gilt naturgemäss als
einsilbig: järn : uärn, ern : kern : sern, vgl. Martin a.a.O. Wil-
manns, Walther5 s. 2b" und 47 und Beiträge zur geschiente der
älteren deutschen Iii 4, 96 ff. Paul, Beitr. 9, 118), der ebenfalls
nur stumpf reimende 'nachahmer' Sachsenheims hat keine.
Selbst noch bei den meist ersingern waren 'gezwungene reime'
wie betragn : sagn verpönt, diese 'sind mit gewalt aus klingen-
den zu stumpfen gemacht', ebenso die 'schnurrenden reime'
mit kürzungen wie feur für feuer (s. Plate, Strassburger Stu-
dien 3, 216). Ueber häufigere Verwendung von Wörtern des
angeführten masses als stumpfe reime im jüngeren Sigenot s.
Steinmeyer, Altd. Studien s.85; bei Ulrich Fürtrer s. Hamburger,
Untersuchungen über Ulr. Fürtrers dichtung von dem Gral s. 9;
im lied vom Hürnen Seyfrid s. Golther s. xvn f. — Diese sicher
zweisilbigen Wörter werden nun nicht nur in versen mit drei,
sondern auch in solchen mit vier hebungen verwendet, und
solche klingend endigenden verse mit vier hebungen sind nicht
selten, reimen auch mitunter auf dreihebige. Schon des dichters
landsmann Hugo v. Trimberg hat sie reichlich gebildet, zum
König vom Odenwald s. v. Bahder, Genn. 23, 207.
Ausser diesen durch die angegebenen kriterien als klingend
endigend erwiesenen versen besteht noch eine ziemliche anzahl
solcher, deren reimgattung schwankt. Es sind dies alle die-
jenigen vierhebigen verse, deren reimwort in der endung ein
schwaches e allein oder vor einem gcräuschlaut enthält. Diese
können unter verschweigung des e als stumpf oder mit bei-
behaltung desselben als klingend schliessende gelesen werden.
Zweisilbige Wörter mit ursprünglich kurzer paenultima
4- schwachem e treten, in Übereinstimmung mit der mhd. metrik,
meist in vierhebigen versen auf, seltener, abweichend von dieser,
in dreihebigen. In manchen fällen mag schon dehnung der
Stammsilbe eingetreten sein, aber es bilden den ausgang drei-
hebiger verse auch solche kurzstämmige Wörter, deren stamm-
vocal niemals verlängert worden ist, z. b. üz flddvrholz (jesmten
(v. 191), tvan ümb die mhtne gotes (v. 871). Doch enthält in
dreihebigen versen dann das reimwort in der ableitungssilbe
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PAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURO.
285
meistens sonantisches m, n, r, selten wie in dem letzt-
angeführten beispiel bloss schwaches e allein oder von geräusch-
laut gefolgt. Bei dieser Verwendung der kurzstämmigen zwei-
silbigen Wörter in versen mit nur drei hebungen gilt demnach
in der Minneburg eine ähnliche, nur nicht so folgerichtig
durchgeführte einschränkung wie bei Suchenwirt, nämlich dass
nur die Wörter mit silbebildendem nasal oder liquida als
klingende reime angesehen wurden, während bei den andern
Wörtern unter tilgung des schwachen e stumpfer reim eintrat.
Das Zahlenverhältnis der stumpfen und klingenden
reime ist je nach dem inhalt abschnittweise ein verschiedenes.
Die klingenden ausgänge werden mit Vorliebe angebracht in
den lyrischen minnereden (rede), die zwischen die erzählung
(materge) eingestreut sind (s. unten). Demnach verteilen sich
die beiden reimarten im grossen und ganzen in folgendem
Verhältnis1):
Anfang bis v. 1614 materge ca. 33 proc. klingende ausgänge
v. 1615— 2034 rede „ 56 „
v. 2037— 2304 materge „ 31 „ „
v. 2305—2677 rede n 60
v. 2677— 3272 materge „ 35 „
v. 3273— 3596 rede „ 50 „
v. 3597 bis schluss materge ,. 29 „ r
(die in diesem letzten eapitel eingestreuten minnereden v. 4267 ff.
und 5013 ff. haben nicht den hohen proeentsatz klingender reime
wie die früheren).
In den minnereden ist der lieblingsvers des dichters der
dreihebige mit klingendem ausgang, in stil und verskunst sind
hier die gedichte Egens von Bamberg sein vorbild (s. unten).
Die beiden von diesem erhaltenen minnereden haben ca. 54
bez. 57 proc. weiblicher Schlüsse.
Der procentsatz der klingenden ausgänge, der sich selbst
') Als klingend sind gerechnet 1. alle reimwürter, bei denen durch
tilgung des schwachen e ein dreihebiger stumpf endender vers entstehen
würde, und 2. alle langstämmigen reiinwörter mit sonantischcm 1, m, n, r
in der schluss-silbe; als stumpf ausser den von natnr stumpfen rcimwörtern
auch diejenigen, die in vierhebigen versen stehend tilgbares, nicht von /,
m, n, r gefolgtes e enthalten. Die zweisilbigen ausgiinge mit kurzer
paenultima sind nicht mitgezählt.
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280
EHRISMANN
in den allegorisch erzählenden abschnitten zwischen 29 und
35 proc. bewegt, ist also auch hier schon ein grosser gegenüber
den meist in den erzählenden gedienten des 14. jh.'s geltenden
Zahlenverhältnissen, wie sie von Kochendörffer. Zs. fda. 35, 290 f.
und von Schröder, Zwei altd. rittermären s.x beobachtet worden
sind. Bei den allegorien, lyrischen und didaktischen 'reden'
und reimsprüchen treten überhaupt die klingenden ausgänge
im allgemeinen weniger zurück. So werden z. b. in den im
Liederbuch der Hätzlerin und in Lassbergs Liedersaal ab-
gedruckten minnereden 20 proc. öfter überschritten, ebenso in
vielen Sprüchen Suchen wirts, in den fünf paarreimigen reden
Hugos v. Montfort u. a. Die klingenden reime beim König vom
Odenwald halten sich zwischen 20 und 44 proc.
Enjambement. Stärkere Verletzungen des Sprechtaktes
bez. der logischen betonung durch enjambement sind häufig.
Getrennt sind durch den versschluss z. b.:
Partikel bez. adverb und verb:
v. 851 swaz dinem geminten an
«tet daz dünkt dich wol getan.
v. 152«) und wil ouch iezunt ieraer an
ruofen dineu zarton lip.
v. 2247 siufzen »wenn ez dir niht wol
get in dim wirken als ez sol.
v. 3085 geschehener schade ist niht ze bringen
wider zwar mit keinen dingen.
v. 4043 davon weiz ich daz dn niht an
mich muotest daz wer(e) missetän.
v. 5002 sö sprach fron Triuwe nud heizet reht
teilen als ez si Mir gezelt.
Verbum finitum und dazugehöriges persönliches pronomen :
v. 1 300 ez sprach : ' lieber meister wart
ich geborn aleine?'
Keflexives verb und dazugehöriges pron. reflexivum :
v. 1800 min ongen künden nie derluoderOi)
sich der zarten frouwen rein.
Zusammengesetztes tempus oder genus verbi:
v. 1454 gip mir als vil als du mir hast
genomen, ich mein diu herze.
v. 3070 daz ir darumb zeflieret
werd all ir fröud in truren gar.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
287
v. 4117 so daz sie im gekündet
habe wie sie angezündet,
v. 4666 getihtes geist mich verstandet
ist in mir und verdumpfet.
Hilfsverbum und inünitiv:
v. 3745 daz ich mich vor den Ixeaen aol
verbergen, ach, ez stet niht wol.
v. 3669 als vil als ir die banier moht
begrifen swa daz iemer toht.
(■opula 'sein' mit prädicatsnomen:
v. 3S2S daz minne von natnre ist
ein edel ernte diu da heilt.
Artikel und Substantiv:
v. 244 da sach ich enmitten ein
mannes bilde vor mir stau.
v. 5221 und sprach also: 'waz meinet die
krä, daz ich ir noch nie
Adjektivisches attribut und Substantiv:
v. 820 minne, du hast dinen werten
friunt als dich selber liep.
v. 866 waz ist an got daz nützest und edelst
diuk üf aller erden hie?
v. 1051 davon sol ein sogetän
wip eins mannes rede empfän.
v. 2976 von härmen ist der vierde
sinn durchliuhtet und durchziert.
Genitivisches attribut und substantiv:
v. 4570 geloubestu der philosophien
meister schrift und lere?
Reimbrechung. Diese ist in den 'reden1 im princip, wenn
auch mit manchen durchbrechungen, durchgefülirt, auch in Egens
gedichten herscht sie vor, ist jedoch dort nicht so stark aus-
geprägt. In den allegorischen teilen ist im allgemeinen die
beziehung zwischen satzschluss und reimpaar frei gelassen, in
einzelnen teilen überwiegt aber auch liier die reinibrechung
das rime samenen.
Der rhythmus ist podisch, der abstand in der betonung
zwischen hebungen und Senkungen gering. In den 'reden' liegt
ein Schwerpunkt auf den seltsamen reimen, also am ende des
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2R8
KIIRISMANN
verses. Begründet ist dieses nicht, in logischen Verhältnissen
des satzsinnes, sondern in ästhetischen liebhabereien (über die
spehen rime s. unten IV unter 'stil'). Die inhaltliche füllung
der einzelnen verse ist meist, erstaunlich dürftig; oft könnte
bei den schleppenden widerholungen, tautologien, unnötigen
Umschreibungen, doppelgliedrigen formein, überflüssigen, nur
des reims wegen angebrachten flickwörtern und phrasen, ja
ganzen Sätzen, das was in mehrere verse gedehnt ist, in wenige
worte zusammengezogen werden ohne dass dem gedanken ab-
brach getan würde. Die armut des inhalts, die bei der beob-
achtung des Verhältnisses zwischen dem gesammtstoff und der
ausdehnung des ganzen gedichtes so auffällig ist (s. unten III)
zeigt sich somit schon im einzelnen verse.
2. Reim.
a. Reim und spräche.
Um reine reime zu gewinnen, macht der dichter sehr oft
von mundartlichen formen gebrauch. Die Untersuchung der-
selben ergibt zugleich seine heimat: diese ist Ostfranken.
Zur feststellung der mundartlichen erscheinungen ') sind die
ostfränkischen gediente Hugos von Trimberg (der Renner),
des Königs vom Odenwald (v. Bänder, Germ. 23, 193—222 und
292—314), Ruprechts von Würzburg erzählung Von zwein kauf-
leuten (Zs. fdph. 7, 65—88), stellenweise auch der sprach vom
Würzburger Städtekrieg (Liliencron 1, 161 ff.) beigezogen.
Vocale.
Sehr häufig werden Silben, die in der mhd. literatursprache
als kürzen gelten, gebunden mit längen; so reimen a : d häufig
z. b. in an : getan : hän : wän, kan : hän : getan : wän, Iran :
stun : hän, versan : hän; gar : dar : icär : zwar : äne vdr :jdr :
•bar, eldr : nar : (ge)var : (ge)war : schar : tar\ nach : sprach :
') Der Renner int zum vergleich genommen als wichtigstes ostfränkisehes
denkmal tles 13., U. jh.'s, Ruprechts erzählnng, weil darin möglichste rein-
heit Und dialektfreiheit der reime erstrebt ist: des Königs vom Odenwald
gedichte. deren dialekt von K. v. Bahder a. a. o. trefflich behandelt ist, und
der Stitdtekrieg sind es als ausgeprägt mundartliche dichtungen. — Nach-
träglich verweise ich auf die reichhaltige einleitung M. H. Jellineks zu der
psalmenübersetzung des Ostfrankeu Melissus (Braunes Neudrucke no. 144 —
148). welche nach abschluss vorliegender abhandlung erschienen ist.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG. 289
Itesach : geschach; gemäht : gedaht; %(e) : wäg{e)\ hast : gast :
glast : last; tat : bat, hat : blat : mal : stat, rät : stat, stat : bat]
ttndcrläz.daz; im klingenden reim: namen : Amen, mdsen : naseti.
Offenes e : e — w: her : sich' 3769, stvcr : ger 49, teer : enber
4749, teert : vermert 1733. 3891, teern : gern : kern 2851. 401.
bcteern : gern 4711, teern : ern(c)[) 79, umbemern : enbern 1053;
getet{(>) : Gamuret (vgl. Franek, Zs. fda. 25, 223) 2991; brech(e) :
frech{e) 4795; ez : rez{e) 3033. 4109; klingend : geeder : Uder 2443,
fleäert : edert 2453, genehen : sehen 1141, breitet : wvVW 2433.
betrehtic : bedehtic 5337; me&fe/ : unseldct 127S.
Geschlossenes e : e — ee: entecn : efcn 2145.
Geschlossenes e : t*: re</c : bede 4613.
? : «: hin : sin 25, smittcn : margariten 2467, fltfCÄ : fröudcn-
rich 1557. Die persönlichen feminina wie künigin werden auf
Wörter mit kurzem und langem i gebunden, z. b. tot : künigin,
auch keiscrinne : minnc, neben mcistcrin etc.: s<7ilw : ml»; des-
gleichen die adjectiva auf -lieh: heiclich : mich : dich : sich :
sprich : stich und eigenlich : rfcÄ, ebenso die adverbia auf -liehen :
fesiielichen : stielten und festicUehen : wichen, und //c/tr/i : rtr/i so-
wie jp'/tVA : rfiWi : eigenlich.
i und i : ie vor /• bez. ä: gir : /5er 5097, jw'ä/ : licht 3229. Im
Renner Her : «?>, vgl. v. Bahder, reber ein vocal. problem des
md. s. 36.
0 : 6: cor : Amor 2821, von : Salomon 3355, tcort : gehört
(3.pers. sg. praes., ohne umlaut, vgl. Weinhold, Mhd. gramm. -
§ 111) 2061.
it : ü: fluz : Az 1043.
u : ho: du : ztw 1039, nu : ztw 5365, nt't : tuo 2107.
y) e in ist jüngerer nmlaut ('frank, alem. ärn \ Kluge, Et. wb. unter
ernte), denn Tartan hat im dat. arm (Sievers, einleitung $ r.T). Das mhd.
subst. diu ente für ahil. diu (trn, aran ist aus Verallgemeinerung; des liüutig
gebrauchten dativs in fornieln wie ahd. zi artii, mhd. in der erne abzu-
leiten und nicht aus dem plural. Dieselbe erklärung gilt auch für 4 ernte':
verdrftngung des siiurulars durch den plural ist gerade bei diesem worte
seiner bedeutumr Dach nicht wahrscheinlich. In dieser beziehung gehffrt
also erne, ernte zu den von Paul, Mhd. gramm. 5} 127 anm. 1 zusammen-
gestellten Wörtern. — Der öfter vorkommende reim erne : gerne (Grimm,
(»ramm. 1«, s. 279. Gute frau r<s. fda. 2,391. König v. Odenw. Genn. 23, 19«.
Minnebnrg v. 35H7) ist also rein.
Hi.itrÄRi. m gmbfebto der deuUchen sprach«. XXII 19
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200
EIIRISMANtf
In der heutigen ostfränkischen mundart ist die dehnung
älterer kürzen in grossein umfang eingetreten, vgl. bes. 0. Franke,
Bayerns ma. 1, 28 ff. Nach diesem finden sich u. a. gelängt: an,
kann, statt, frech, ich, mich, dich, sich, fluss. Es ist demnach
möglich, dass manche der angeführten reime in der heimat-
lichen ausspräche des dichters schon rein klangen. Andrer-
seits können in dieser gedäht, hcdehtic u.a. schon gekürzt ge-
wesen sein. — Im Renner wird a : ä sehr häufig, ca. 180 mal,
und o : 6 ca. 40 mal gebunden, dagegen nie i : i und « : u: hier
herscht also dasselbe Verhältnis wie bei Wolfram (vgl. Wimmer,
Ueber den dialekt Wolframs, programm von Kalksburg 1894/05,
s. 12), dass wol a : ä, o : 6, aber nicht i : i und u : u reimen.
a ist im ostfränkischen zu 6 geworden,') daher die häu-
figen (ca. 20) reime ä : 6 wie nach : hoch : zöcJi, här : tör{e),
st dt : rot, änc : schöne, tröst : hast, underläz : gröz, UUen : grözeti
u. a. Sie finden sich auch beim König vom Odenwald (Germ.
23, 196), werden aber von dem der literatursprache strenger
folgenden Hugo v. Trimberg nicht gebraucht.
ä > ö reimt auf mhd. o in lohen : gcvdhen 1059, auf ou in
Ironch : nach 4331.
t> = (e und e werden in der Minneburg so wenig gereimt
als in den s. 288 genannten ostfränkischen gedienten. Die
laut«' sind als offenes und geschlossenes c phonetisch getrennt :
in der schrift wird allerdings in Übereinstimmung mit der md.
Orthographie ce ebenfalls durch e ausgedrückt. Das gleiche
ist der fall im elsässischen : hier wird ebenfalls e. geschrieben,
aber mhd. e nicht auf m gereimt, z. b. bei Altswert (Karl Mej'er,
Meister Altswert, programm von (Böttingen 1880, s. 37), im Par-
zifal von f'laus Wisse und Philipp Colin.2) Desgleichen im
Wetterauer dialekt der Heil. Elisabeth und der Erlösung (Rieger
s. 30. Bartsch, Germ. 7, 3), in Athis und Prophilias (W.Grimm,
Kl. sehr. 3,240). im md. Sdiachbuch (Sievcrs, Zs. fda. 17,385),
im böhmischen des Ulrich von Eschenbach (Toischer, Ueber die
spräche Ulrichs v. Eschenbach, programm von Prag-Neustadt
') Getadelt von Fabian Frangk (Müller. Quellenschriften s. lor»), auch
von .loh. Nast, Grundsätze der tentKchen reehtschreibnng (Herrigs Archiv
65, 42.U
*) Die ersten 10000 vt rse habe ich darauf hin geprüft.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER, M1XXERURG. 291
1888, s. 13), im schlesischen in Ludwigs kreuzfahrt (Zs. fdph.
8,381), vgl. auch v. Baader, Grundlagen s. 110.
Dem entsprechend ist auch der unterschied zwischen
offener und geschlossener ausspräche des kurzen e gewahrt
(offenes e reimt auf geschlossenes e nur in bestrebt : entsebt).
Da das praet. weste im mhd. geschlossenes t hat, so sind reime
der Minneburg wie weste : beste 975 : reute 1797 : veste 3629 :
reste(n) 3115 genau. Das abstracte fem. erye reimt auf Her-
berge (1477. 2543) und plur. eryen auf verbergen (3527. 3749),
daneben schreibt P 3297 irge : gebirge (die stelle fehlt in B).
Die aus adjectiven abgeleiteten fem. Substantive auf * schwanken
zwischen älterem und jüngerem umlaut. In einzelnen Sprech-
gemeinschaften gilt der erstere in der volks-, der letztere in
der gebildeteren spräche. Dem jüngeren umlaut entsprechend
bilden erge : Herberge : rerberge(n) reine reime; • für e in irge
auf gebirge lässt sich als älterer umlaut mit geschlossenem e
auffassen, wobei allerdings noch eine reimungenauigkeit vor-
läge. Es sind aber möglicherweise diese beiden reimwörter
in der einzigen hs. die sie überliefert (P) verderbt und es ist
zu lesen erge : geberge, welch letzteres bei Lexer aus Megen-
berg mehrfach neben gebirge belegt ist.
Auch im Kenner sind offenes und geschlossenes e beinahe
niemals gebunden, beim König vom Odenwald und bei Ruprecht
von Würzburg gar nicht. Diese genaue Unterscheidung der
beiden e beruht nicht etwa auf einer besonderen feinhörigkeit
der ostfränkischen Verfasser, sondern sie gilt als gesetz für
die ganze mhd. poesie, das noch viel strenger eingehalten
worden ist als meist nach den grammatiken und sprachlichen
einzeluntersuchungen sich schliessen lässt. Denn in diesen
werden die e ihrer qualität nach fast nie ganz genau aus-
einandergehalten. Darauf hat bezüglich Konrads v. Würzburg
Edw. Schröder hingewiesen im Anz. fda. 19, 155. Es wäre auch
auffallend, dass z. b. die alemannischen, bairischen, österreichi-
schen, ostfränkischen u. a. dichter zwar den verschiedenen
klang bei den langen w und e wol bemerkten und in ihrer
reimkunst berücksichtigten, aber nicht denselben unterschied
bei den kurzen e.
Ii für o ist regel im infinitiv kumen (: frumen sb. und verb.
2687. 2899. 3661), part. perf. (rol1en)hmien (: finmen 3083. 3707.
19*
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292
feliftlSMANN
5139), demnach auch part. (ge-,rer-)numen (: hinten) mehrfach;
ebenso im Renner und beim König vom Odenwald, auch die
Jetzige ostfränkische ma. hat diese « bewahrt.
a : uo in ruam : kam 2579, vgl. zum König vom Odenwald.
Germ. 23, 198.
ei aus egi in (ge)seit, leite, geleit, treit, treist reimt mit altem
ei (fünfzehn mal mit der ableitungssilbe -heit, -keit, auf runter-
feit und zesneit, einmal meist : treist), viermal sind die betr.
Wörter unter sich gebunden. In gelegt : regt (4241. 4393) und
gedagt : gesagt (4631) wie in klagt : verzagt (4903) ist in Über-
einstimmung mit der ebenfalls ostfränkischen ha P erhaltung
des g anzunehmen. Im Renner reimen behaget, {ge)klaget,
maget, unverzaget nur unter sich oder auf saget, welch letz-
teres nur sehr selten ei aufweist; beim König vom Odenwald
vereinzelt mtrerzeit, Germ. 23, 307, v. 22; bei Wirnt sind die
formen mit ei aus egi reichlich vorhanden, vgl. H. Fischer, Zur
gesell, des mhd. s. 51.
Noch mehr als die im vorhergehenden behandelten mund-
artlichen reime weicht von der literatursprache die bindung
von selie : heilie (heilig P, helge cx) 2041 ab. Im heutigen Würz-
burger und anderen ost fränkischen dialekten ist ai > m ge-
worden, demnach gäbe selie (— stelir) : helie ( — helie) einen
vollständigen gleichklang. Ks erscheint aber gerade in gegen-
den des heutigen ostfränkischen jenes weitverbreitete heiig,
das Kögel, IF. 3, 287 in as. halag, Schweiz, haiig, heiig (Schweiz,
id. 2. 1148) nachgewiesen hat: so henneberg. heiig adj. und be-
sonders adverbiell gebraucht 'recht, tüchtig, arg. sehr', hell-
tage 'feiertage', Spiess, Beitr. zu einem henneberg. id. s. 99 f.;
Die fränk.-henneberg. ma. s. 4; Volkstümliches aus dem fränk.-
hennebergischen s.14. Frommanns mundarten 5.515: heiig 'sehr
gross, ungeheuer' (und ebenda 7, 297); femer in den nachbar-
mundarten von Salzungen (Hertel, Wb. der Salzunger ma. s. 19);
Ruhla (Regel, Die Ruhlaer ma. s. 201. 207); im fuldischen (Vil-
mar, Id. s. 163 f.): hellig sehtrn 'ganz besonders, ausgezeichnet
schön', heltag, hei tag -festlag' (wol aus helgtag — Schweiz.
heligtag)*) Dass heiig im älteren ostfränkischen auch die
') Die £rnndhe<lentnn°: des Wortes kann in «lein verstärkenden adver-
bialbegriff 'ungeheuer. Mehr yr»oss, sehr' noeh erhalten sein, wonach hahig.
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PAS MHP. GEDICHT VON DER MINNEBÜRG. 203
bedeutung von i heilig' hatte, beweisen hrlltage 'f eiertage ' und
die lesart heiig für heilig in der Würzburger hs. des Renner
v. 12000. — Kögels Vermutung, dass in manchen ahd. und
mhd. quellen heiig mit kurzem e anzusetzen sei, bestätigt sich
entschieden, vgl. auch DWb. 4, 2, 827. Ich habe keine er-
schöpfenden Sammlungen angelegt, es ergaben sich mir aber
doch folgende gesichtspunkte. Wenn in einer quelle vereinzelt
e für ei eintrat, so fand sich unter den betr. Wörtern fast
regelmässig auch heiig, oder, allerdings in selteneren fällen,
es fand sich gar kein ei > e und doch heiig. Im ahd. erscheint
helag, heiig nicht häufig (s. Braune, Ahd. gramm. § 44 anm. 4.
Milstätter blutsegen, Fulder beichte hs. B), auch in den ge-
fachten des 11. 12. jh.'s nicht oft, dagegen tritt es mit dem
überhandnehmen der mundartlichen Schreibung in den hss. des
14. 15. jh.'s sehr oft auf und ist in allen md. und obd. dialekten
nachweisbar: im mittelfränkischen (hier im cölnischen abgelöst
durch hillig), rheinfränkischen, thüringischen, obersächsischen,
schlesischen und ostdeutschen, im ostfränkischen und böhmischen,
im elsässischen und eigentlich alemannischen, weniger im schwä-
bischen (doch ist hier noch gebräuchlich hclgle 'heiligenbild', •
aus heligle, neben hylge, welches nach Kauffmann § 02 anm. 3
und H. Fischer, Geogr. s. 45 ei als wurzelvocal hat), und im
bairisch-österreichischen. — Auch ein reim seifig : heilig wäre
denkbar, ei für w in seilig ist keineswegs nur eine zufällige
schreiberlaune, sondern es hat lautliche geltung. Es reimt
heiig zw gr. nt).to(f, ni/.ioQov 'ungeheuer', nt/.topot, nf?.t»Qioq 'ungeheuer
gross, riesenhaft', lat. ej-eello, e.c-celsutt u. 8. w. gestellt werden kann. Das
ungeheure, erhabene erfüllt den menschen mit ehrlüreht und heiliger scheu.
— Brenner stellt Beitr. 19. 482 ff. einen /-umlaut von ai auf, der auch in
hailic> helic stattgefunden habe. Aber dieser umlaut müsste doch in viel
grösserem umfange im ahd., mhd. und nhd. zu belegen sein, auch sind
einige der beispiele nicht einwandfrei (so der umlaut fletsk = *flaisk(i), der
umlaut in tvenic = * Winnie, während doch ahd. ursprünglich nur wenuc
belegt ist, u. a.), und die ganze an sich ansprechende theoric niuss mit
unverhältnisraässig vielen ausgleichungeu rechnen.
') Auch das verbum bezeichnen findet sich verhältnismässig oft mit e,
hezeehnen, geschrieben. Hier ist wol eine einwirkung der verwanten wurzel-
form germ. teih-, Uiih- (ahd. zech) anzunehmen, die ja ursprünglich auch im
germanischen nicht bloss die eingeschränkte bedentung von zihen 'zeihen'
gehabt hat, vgl. got. yateihan anzeigen, erzählen, verkündigen', ahd.
zeiijon 'zeigen'.
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204
EHRISMANN
seilte : unmv'die in der Martina 6,55') und 81,87 und begegnet
allzu häufig in mhd. quellen verschiedener landschaften, s. Wein-
hold, Mhd. gramm.2 § 89 und 95. Alem. gramm. § 49 und 58, 5.
Wackernagel, Ad. predigten LV, 43 ff. Bachmann-Singer, Volks-
bücher s. lxxxiv. Mon. boica 41, 163 (Lexer, Handwörterbuch
unter scelec). Docens Mise. 1,140 ff. Heil. Hieronymus hg. von
Benedict s. xlvi. Rückert-Pietsch, Entwurf s. 100. Lacomblet,
Urkundenbuch 3, 758 (Weinhold, Mhd. gramm.* § 95). Zs. fda.
19, 78. Zs. fdph. 27, 205. Beitr. 3, 515 u. a. Leitzmann, ebda. 14,
476. 491; ebenso seilikeit und seilde für scelde, s. Weinhold, Bair.
gramm. § 66. Alem. gramm. § 49. Mhd. gramm.1 § 95. Waag, Beitr.
11,95. Zs. fdph. 11, 247. Möglicherweise findet seilte seine er-
klärung in folgendem psychologischen Vorgang: man hatte helic
und heilte nebeneinander und bildete danach zu scelie ein seilte,
darauf seilikeit und seilde; vgl. auch Leitzmann a.a.O. s. 491.
Apokope und synkope des schwachen e ist ganz geläufig.
Stärkere tilgungen sind lit(e) (1. sg. conj. praet.) : unfrid(e) 2601,
tcer(e)n : gern(e) : ern(e) 2851.79, kern : wer{c)n 401, ich ge-
lernte) : ir ger(e)nt 5363, webfbe) : widerstrebte) (subst.) 4277,
reit : überhel(le)t 2905, liuht(et) : diuht(e) 4789, ruo(we) : frtio :
zuo 947. 4607. 4731 u. a.
Consonanten.
Die consonanten stehen auf gemeinmhd. lautverschiebungs-
stnfe, das ist eben die oberfränkische, g ist auch im auslaut
verschlusslaut r, vgl. hae.smac 907, bere: teere 2487. 3803.
3815, getwerc : teere 683, danc : dranc (praet. zu dringen) 3439.
Abweichend von dem obd. lautstand wird d mit t gebunden
in staden : gewaten 69, betten : scheiden 2263, brädem : ätem 1967
(indess ist ädern auch in obd. quellen öfter zu finden, d steht
hier in grammatischem Wechsel zu /, vgl. v. Balider, Grundlagen
s. 244. Braune, Ahd. gramm. § 163 anm. 6). Im Renner, beim
König vom Odenwald und bei Ruprecht von Würzburg kommt
dies nicht vor, aber im heutigen ost fränkischen sind d und t
nicht unterschieden, vgl. besondere Brenner, Bayerns ma. 2, 269 ff.
H. Fischer, Geogr. s. 61 anm. 5.
') Die hs. hat meUiv, es niuss aber unmeiliv heilen , was von Wein-
hold, Alem. gramm. § öS, 5 und von Laudiert, Alemannia 17.213 übersehen
worden ist.
DAS MHI). GEDICHT VON DKR MINNBBUBG.
295
h fällt zwischen vocalen aus (nicht im Reimer, König vom
Odenwald, Ruprecht von Würzburg): empfän : söyetän 1051,
an : van 2299, stäl : quäl{e) 45(57.
hs wird zu zu 8$ in Hessen 'kniekehlen': cipressen 193, /nto.v:
zuekermuos 3285. Dieser Übergang findet nach der grenz-
bestimmung bei Wrede, Anz. fda. 21, 201 auch in einem grossen
teile der heutigen ostfränkischen uia. statt und ist besonders
im hennebergischen gebräuchlich. Hasse, hesse s. bei From-
mann, Ma. 2, 49. 496. 7, 292. Spiess, Beitr. zu einem henneberg.
id. s. 95. Der Renner, König vom Odenwald und Ruprecht von
Würzburg haben nichts einschlägiges, aber im Städtekrieg reimt
fuchs : sus 1923.
m reimt auslautend auf n: heim : rein(e) 1785, desgleichen
beim König vom Odenwald (Germ. 23, 199. 205), bei Ruprecht
man : genözsam : getan 120, heim : enein 426, in : vernim 643,
im Städtekrieg Berchtheim : klein 1191, Hein in den gesetzen
Ottos von Wolfskel, Archiv für Unterfranken 11, s. 95; in der
heutigen provinz Unterfranken ist heim zu hS geworden, Bayerns
ma. 1, 27.
Zu eesem : besem 1879, beide dat. sg., vgl. Lexer unter zese
und Zs. fda. 17, 383; kresem : zesem bei Frauenlob, Ettmüller
s. 22, 18, 1. Trebnitzer psalmen hg. von Pietsch s. lix.
Consonantisches i in lateinischen Wörtern wird zu g\ ge-
sperge : materge 461. 1631, bergen Aatie er gen 3509, zibörge : glörge
3307, brisilgen : tilgen 1949, geschedige(n) : remedige 5385. Dieser
Übergang von i> g kennzeichnet die umdeutschung dieser
lehnwörter, während daneben die fremdwortform hergieng
und meist die Oberhand gewann, wie z. b. materie. Andere
obd. beispiele ausserhalb der Minneburg sind: ri : rg, in reimen:
sorgen : ysiorgen in Sachsenheims Spiegel (Keller, M, Altswert
s. 151, v. 6), historgen : sorgen in dessen Goldenem tempel v. 823;
ausserhalb des reims storie 'schar' geschrieben storige, s. Lexer
s.v., ebda, ziborge unter mzibörje\ not ar ins — not (arge Mörin2923;
S. Margen aus S. Mariam, vgl. Behaghel, Grundriss 1, 581. —
Ii > lg' evangelig : stcilg Mörin 2179, gilgcn : Cecilgen Sachsen-
heims Spiegel s. 197, v. 30; gilge iilie', Gilgc 'Aegidius', pctcr-
silgc 'petersilie'. — n£ > ng: venige : menige Vetter, Reinbot
v. Turn s. cxui, katzedmigen : menigen K. Meyer, M. Altswert
s. 9. 38, fontangen : mangen Otto Baldemann v. 47, plange : lange
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206
EHRISMANN
s. Lexer unter plante; ferner Span i (je n oft, Barsilhnge r Schleier-
tüchlein bei Keller, Altswert s. 2 Ii», v. 9, Jiabilonge (Kramm,
Ueber Konrads v. Heimesfurt spräche, dissert. von Freiburg i.Br.
1882, s. 12); menig(e), minig 'mennig' aus mini um, ApolUntius
> Plönniges, Antonius > Dönniges (Wackernagel, Kl. sehr.
3, 208 f.). i nach anderen consonanten: mhd. metzjer 'metzger'
aus *macearius (Kluge, Et. wb. s. w), metzje 'metzig'; Venetia —
Veneilige. Md. einschlägige reime s. bei Weinhold. Mhd. gramm.'2
s.225 oben und s.239 f.; viele beispiele, besonders auch von i> g
nach vocalen bei Grimm, Gramm. I4. 368 ff. Kauffmann § 181
und 18. Leitzmann, Beitr. 14, 510. Dieses g folgt der landschaft-
lichen ausspräche des ursprünglichen g, ist also entweder ver-
schlusslaut oder reibelaut — Die lateinischen lehnwörter im
ahd. sind unter andern sprachlichen prineipien aufgenommen
worden, vor allem haben sie, im gegensatz zu den erst im mhd.
überkommenen, ihre betonnng der deutschen art angepasst,
auch ist das 1 noch nicht zu */ geworden, vgl. pfelli, oli, mu-
nistri, -onus > ari, ßra, Icetor lectorium und viele andere
(s. z. b. Sievers, Beitr. IG, 264), als j erscheint es in kevia, minie
(MSI). 2\ 190. DWb. 6, 2020), woraus mhd. kevje, leefige 'käfig',
minige, minig 'mennig' mit dem obigen Übergang von /* zu g.
— l'nerklärt sind die nebenformen mit eh: ahd. epflk neben
epfi 'eppich, apium\ mhd. lull ich, lulch(c) neben ahd. lolli (Stein-
meyer -Sie vers, Ahd. gll. 1, 720, 27), Schweiz. Hille (Schweiz, id.
3,1263) iolch, lolium\<)
Iw, rw reimen auf Ib, rb: salbet : valwet 2355, entverwe :
herbe 4935. 5231.
Inlautendes mb reimt auf mm: schimmert : gezimhert 2405,
nimmer : gezimber 3741, timber : Schimmer 4793.
Der wahrscheinlich satzphonetische dental in iemant (vgl.
Kauffmann § 140 d, & und anm. 1. Bich. Schmidt, IF. 1,57) ist
schon angetreten: es reimt auf behaut 2265. In der Würzburger
l) Bei lolch, «las erst im nihil, belebt ist. kann allerdings ch — g
sein, vorausgesetzt dass ilas wort in einem der dialekte aufgenommen
wnrile, der tj spirantisch sprach, vgl. Kluge. Et. wh. s.v. Frauek, Auz. Ida.
11,23. Aher für das ahd. epph (s. Hinge nnter i^ivh) kann weder der
guttural noch die länge des i im suffix aus apium erklärt werden. Hier
lieirt also doch wol eine suffixale Umbildung, sei es im lat. oder erst im
deutschen, vor.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG
297
Iis. des Michael de Leone sind iemant, nirmant viel seltener als
ieman, nietnan, im Renner, beim König vom Odenwald und
Ruprecht von Würzburg begegnen sie nicht.
Consonantisch ungenaue reime sind bistiyvsihstHb&j nivrgvn :
t irren 3085, schönsten : gekrcentsten 1897. 2001.
Zur flexion.
Die 3. pl. praes. ind. endigt auf -en, z. b. sie leben : uf yclten
(inf.) 1171. uz dem einen : sie schinen 3451 u.a. Das verbum
substant, lautet in dieser person «in: hin : sin 25, ai» : schin
593. 1347.
Im infinitiv fällt -n bez. mit apokope des c die ganze en-
dung -en häufig weg: si(n) : frl 039, /mö(ii) : zuo 707. 2705. 4847,
we : <je(ri) 2139, wer : eruer(n) 1921. bruoder : derluoder(n) 1865,
hctiute(n) : Hute 2043, mw(n) : queme 1095, verterkefn) : Sterke
2085, wein(en) : schinvbcin 2571. /ac: j(i;t{en) 1, u.a. Diese infini-
tive ohne •* sind für das ostfränkische und thüringische1)
charakteristisch und begegnen ausserordentlich häufig auch in
den zum vergleiche beigezogenen gedienten von Hugo v. Trim-
berg u. s. w. Ueber ihr vorkommen im ahd. s. Braune, Ahd.
gramm. § 120, anm. 2 und die daselbst angegebene literatur; für
die gegen wart: Schmeller. Ma. Bayerns § 580. 910. Bavaria 3, 1,
242 f. ('.Franke. Bayerns ma. 1,275 ff. Spiess, Fränk.-henneberg.
ma. s. 26—28. Hertel, Salzunger ma. s. 1 10. Regel, Ruhlaer ma.
s. 100 ff. Die aufgäbe des n beruht auf einem andern Vorgang
als die sonstige weit verbreitete reducierung der flexionssilbe
-en zu .> (mit oder ohne nasalierung). Jene w-losen infinitive
treten mit einer gewissen häufigkeit schon zu einer zeit auf, in
der die n in den übrigen endungen noch fest sind. Ferner haben
einige thüringische und ost fränkische mundarten die ganze
infinitivendung -en in bestimmten fällen abgeworfen, also z. b.
teisfi, woll, <r/c, tuJiKj, kouf, während das -en der andern flexions-
silben nur reduciert ist. Endlich erlauben sich die genannten
ostfränkischen gediente den abwurf eines -n mit ganz wenigen
ausnahmen eben nur im infinitiv. während derselbe, wenn er
in md. und mhd. gedienten anderer ma. vorkommt, nicht auf
») Steht diene dialektgemeinschaft in zusammenhaut? mit «1er hesiede-
Lung Ostfrankens durch Thüringer? Zu dieser vgl. John Meier, Beitr. 16, 1131
Wrede, Zs.fda. 37, 291.
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208
EHKISMANN
den infinit iv beschränkt ist, überhaupt aber nur vereinzelt
auftritt. Der Schwund dieses n kann also, wegen der ab-
weichenden behandlung der übrigen auslautenden -en, nicht
auf rein phonetischer entwicklung beruhen, wie etwa der alle
endungen betreffende abfall des n im altnordischen. Der
Wechsel zwischen infinitiven mit und ohne n beruht wol auf
nachbildung eines schon vorhandenen und geläufigen typus,
möglicherweise auf den parallelformen der 1. pers. praes. ind.
der B- und ö-conj. wie habest — habt, salbön — sallö, voraus-
gesetzt dass die zweitgenannten w- losen formen schon in die
zeit der frühest belegten infinitive ohne d. h. an den anfang
des 9. jh.'s hinaufdatiert werden dürfen. Es hätte sich also
nach dem muster der ersten personen auch in den infinitiven
neben hab&n ein hab$, neben salbön ein salbö im Sprachgefühl
eingebürgert, und darnach wäre Übertragung auf die andem
conjugationen erfolgt, worauf schliesslich die secundären n-losen
formen auch im infinitiv in einigen gegenden allein üblich
wurden wie allgemein in der 1. person. Bemerkenswert ist,
dass gerade in dem altostfränkischen des Williram die doppel-
heit der 1. personen wie liabon — habo reichlich belegt ist.
Der conj. praet. hat in der 1. schwachen conjugation Um-
laut: senten : dementen 1831, Uukt(et) : diuht(e) 4789, auch im
Kenner und im Henneberger urkundenbuch, vgl. Bech, Germ.
15, 149. 154. 24, 140. Rückert-Pietsch, Entwurf s. 29.
gän, stän haben im ind. praes. und inf. «, im conj. i; von
gdn erscheint das praet. gie ( : nie 4321) und gieng ( : Meng :
gemeng 5467. 1837), mit ie, dem ostfränkischen gemäss.
Das praet. ind. und conj. von hau wird mit offenem kurzen
e oder langem e — w gebunden; die quantität ist nicht zu ent-
scheiden, da auch kurzes offenes e auf i = w reimt; es lautete
also entweder nur hete mit offenem e oder auch kite = hwte.
Ein unterschied zwischen ind. und conj. ist nicht festzustellen.
Im einzelnen zu bemerken ist der reim hete : an der stete 103.
Der gen. dat. und plur. stete reimen im mhd. überhaupt oft auf
offenes e, z. b. Parzival stete : bete 621,23. 746,5; Wigalois stete :
bete 1594. 1807 : tetv 6966. 6997, bete : stete ujetete 305. 2201, vgl.
Grimm, (Tramm. I4, 885; Gotfrids Tristan stete : tüte (Mhd. wb. 3,
134h); Heinrichs Tristan Antret : stet 4627; Ulrich v. Lichten-
stein, Frauendienst stet : tet 88,21, bei : stet 482, 1. 485,9, stet :
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DAS MUH. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
290
Latizilet 484,9; Krone stet : bei 21802. (et : stet 25691; Meieranz
stete : teYr 7433, Servatius (Zs.fda. 5) töte : stete 2139; Warnung
(Zs. fda. 1) bete : stete 3575; H. Ernst I) s. 15a tet : stet; Mönch
v. Heilsbronn tet : stet Merzdorf s. 78, 297; Zingerle, Ueber eine
hs. d. Passionais tet : stet s. 70,9. 71,41. 73,125. 74,175, stet :
pet 77,291. 79,355, gepetistet 78,319. 82,443. 84.93. Zu Ulrich
v. Eschenbach s. Toischer, Ueber die spräche Ulrichs v. Eschen-
bach s. 19. 24, zu Landgraf Ludwigs Kreuzfahrt s. Kinzel, Zs.
fdph. 8, 390 f. Es liegt in dem offenen e in stete wol psycho-
logische umlautung vor: in anlelinung an den nom. stat und
an die zwillingsforaiel von an der stete : an der stat ist nur
jüngerer umlaut eingetreten.1)
Zur substantivflexion seien angemerkt die analogisch ge-
bildeten plurale sterner (: ferner 1085), geister (: meister 3357),
unumgelautet bander ( : galander 2027), bandern (.andern 1893,
vgl. Heinzelein von Konstanz s. 105, 125 und Pfeiffers anmer-
kung2) ); zum heutigen dialekt s. Bayerns ma. 2, 321. Bloss des
reimbedürfnisses wegen steht manger hander (: Schionatulander)
4539, eine art syntaktischer assimilation.
Eine sonst im ganzen gediente nicht zu belegende pro-
nominale dialektform, dat. sg. dl = dir (gegenüber häufigem
dir, mir im reim auf wir, ir, gir) ergeben die reime 2191 f.:
sol man mich von art einen er nennen oder ein si 'f der
meister sprach, daz sag ich d i.
Doppelformeii,
je nach dem bedurfnis des reiines angewendet, sind haben
hau, Idzen — län, (ge)legt — (ge)leit, saget — seit, gieng — gie,
') Aelter als hete mit offenem e ist hete mit altem i-umlant, also mit
geschlossenem e, jedenfalls alemannisch nn<l bairiseh. entsprechend dem alt-
alemann. bez. -bair. hebita (Kogel, Beitr. i». 520. Weinhold, Alem. gramm.
s. 365 f. Bair. gramm. s. 319. Mhd. gramm.* s. 424 f. Braune, Ahd. gramm.
§368). hete ist nach Edw. Schröder, Zs. fda. 38, <JS (vgl. auch (irimm, Onunm.
M, S8*>), eine nachbildnng von tele; zur Öffnung des e in hete kann auch
der offene laut in Juete beigetragen haben. Es sind also zwei formen mit
kurzem e, mit geschlossenem und mit offeuein, in die mhd. grammatik auf-
zunehmen.
Nachdem nun das vorkommen eines plurals hander zu baut sicher
belegt ist, wird man bei Pfeiffers erkliirung dieser stelle gegenüber der
Sprengers Zs. fdph. 27, 1 15 bleiben dürfen.
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300
EHRISMANN
mer(e) me, ferner bede ( : rede 4013) und h iden ( : scheiden 3577),
niht (. (jeaehiht 5043, : geriht 4207, : enwiht 5121. 5285 u.a.)
und nit (: mit 1063. 2855, ://cM 3361. 4345. 4479 u.a.), U (: wo
5283) und Aoc// (: nach 5287), bazzcr (: wazzer 3501) neben fco*,
adjektivischer comparativ auch guoter ( : fruoter 1001) neben
bezzer, Vernunft (: A'tm/? 611, : ^tm/? 793) und vernunst (: £tm*f
603. 641, : Äruns/ 5411); statt des adjectivs säeze erscheint auch
das adverbiale suoz (: yruoz 1683), vgl. Kfinig vom Odenwald,
Altd. Wälder 2, 84 ff. v. 27. Suchenwirt xl, 238.
Für die spräche des gedichtes sind aus der
Syntax
einige Verbalumschreibungen erwähnenswert, die erst im 14. jh.
geläufiger werden. So ist das praet. wart mit inf. recht häufig,
z. b. ich wart treten, sie wurden werfen u. a. Seltener sind das
praes. von werden mit inf. als Umschreibung des futurums
(daz ich . . . werd ezzen leides zidelbast 2313, so tvirt min Iwrze
pfimpfen 2341), der conj. praet. würde als conditionalis (tet sie
daz so ward mir dorren min herze 2333), tuon mit inf. {daz
si tuo schtwfen 1678, ir minne pfeffer tuot mir mutzen 2363).
Zur Vervollständigung dieser skizze des ost fränkischen
dialekts sei noch verwiesen auf die aus der hs. P beigebrachten,
nicht bloss den reimen, sondern mehr noch dem innern des
textes entnommenen mundartlichen formen oben s. 258 ff.1)
') Für die bekannte mitteilung Hugos von Trimberg über die aus-
spräche einiger auslautender consonanten im Renner 22252 ff.
wan T und N und R
sint von den Franken verre
an manges wort es ende:
wer wil dar umb sie pfende?
gilt die erklärnng von Sievers. Beitr. Ii», 549: es soll damit die 'nachlässige
ausspräche" dieser laute bezeichnet werdeu. Und in der tat ist dies eiue
eigensehaft des heutigen ostfränkisclnn. Eine reihe von fallen für ab-
fallendes f bez. (1 führt ('.Franke in Bayerns mnndarten 2, 83 ff. an; für »i
elnla. s. S5 ff. ('wol am meisten von allen consonanten ist im ostfränkischeu
n dem Schwunde ausgesetzt", wozu wol auch der abfall des n im infinitiv.
vgl. Müllenhoff. MSD. 2a, 392); auch das auslautende r wird strichweise nur
schwach articnliert, ebda. s. 1>2. Vgl. auch Socin, Schriftsprache n. dialekte
s. 119.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEHURO. 301
b. Arten des reims.
Die stumpfen und klingenden reime s. oben s. 283 ff.
Rührende reime sind selten: gehorn : durchltorn Gf>9,
errarn : tcillerarn 3139, Frnudenberc : Minnenbere 8163; die
comiK)sitionsglieder -heil und -//VA, z. b. wlsheit : kiuocheit 3073,
rerltor (jenlich : sicherlich 3799, rerdrozzenlicliste : unnützlichste
033. 939. Letztere tragen entweder allein den reim, wie in
den eben angeführten beispielen. oder sie bilden mit der Stamm-
silbe erweiterte reime, indem dieselbe mitgebunden wird,
z. b. udrheit : trifft** 1311, kiuocheit : (jefuocheit 857, fruothieh :
f/woWrA 1229, Wtiorto* : gcfuoclich 1225, zcdcllichcr : edellicher
1265. Weniger bemerkbare fälle von erweitertem reime,
wie solche, wo untrennbare Partikeln jgw-, iw-, rr-, wr-, rtorrA-
mitreimen, sind häufig, z. b. gesessen ; gemessen 399. gespraek :
gesekach 1119, rerdnrret : rerstorret 2317 u.s.w. ; krefticlichim-
nunfticlich 809.
Vier gleiche reime bilden die vei-se 2337—2340 sowie die
gleich darauf folgenden 2341 -2344.
Von besonderem einfluss auf den gesammteindruek der
metrischen form sind die spehm oder Iduogen rimc (s. unten
unter IV). Andere reimkünsteleien, klangspiele u. dgl. werden
gemieden.
Hauptsächlich durch die überaus zahlreichen, sonderbaren
und seltenen reimwürter herscht eine ziemliche mannigfaltig-
keit in dem in den reimen niedergelegten Wortschatz. Er-
müdend sich widerholende Wildungen begegnen nicht. Ein
lieblingsreim des dichter» ist minne : sinne bez. minnen : sinnen,
der gegen 50 mal vorkommt (vgl. Bock, Wolframs bilder für
frend und leid s. 54), nur viermal, trotz der unendlich aus-
gedehnten liebesklagan, hcrze(n) : smerze(n)\ häufige reim Wörter
sind ferner u. a. muot (27 mal) und guot (34 mal). Der dichter
handhabt, ohne eigentlich gewant zu sein, die reimbildung mit
einiger leichtigkeit.
c. Zeit der entstehung und engere heimat des
gedichtes.
Aber es ist doch ein gewaltiger abstand zwischen der
künstlerischen form der Minneburg und derjenigen des nur
etwa fünfzig jähre vorher in derselben landschaft verfassten
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302
EIIRTSMANN
Renner, besonders in der einführung mundartlicher formen,
wodurch nur allzu oft erst genauigkeit der reime erzielt wird,
in der anwendung derselben verfährt der dichter der Minne-
burg sogar noch etwas freier als der König vom Odenwald,
jedoch hat dieser einige andere in der Minneburg nicht vor-
kommende dialektische reime, wie s : e, abfall des n im dat.
plur. ('normalplurar), plurale auf -lerh, gnrrst, frvyvn. Da-
gegen ist der Städtekrieg mit anwendung von dialektismen
noch weiter vorgeschritten, z. b. in reimen wie i : ir vor andern
conss. als h und r, oder wie « : o, n : eu.
In Innsicht auf die mundartlichen formen wird also das
gedieht nicht zu weit gegen den anfang des 14. jh.'s, sondern
mehr gegen die mitte desselben zu setzen sein. Viel spätere
entstehung anzunehmen verbietet die noch im 14. jh. abgefasste
hs. ö. Diese datierung stimmt mit der Schönbachs (erste hälfte
des 14. jh.'s, s. Lexers Handwb. 2, iv) ziemlich überein. Das
gedieht noch in das 13. jh. hinaufzurücken, wie Raab tut
('zweite hälfte des 13. jh.'s', s. 36 seiner abhandlung Ueber vier
allegorische motive; vgl. auch Georg Richter, Beiträge zur
Interpretation des mhd. gedichtes 'Kloster der minne', Berliner
diss. 1895, s. 9 anm. 1), geht nicht an.
Versucht man den dialekt der Minneburg innerhalb des
gesammten ostfränkischen gebietes näher zu begrenzen, so
weist der Übergang von hs zu ss auf den westlichsten teil
und auf das hennebergische. Für letzteres kann noch der
einzige dativ di — dir sprechen, sonstige speciell hennebergische
kennzeichen, wie sal für sol, fehlen. Ks wäre darum doch
möglich, dass der dichter dem heutigen Unterfranken, dessen
mittelpunkt Würzburg ist, angehörte: er konnte die ihm aus
der nachbarmundart bekannte form di eingeführt haben, um
einen passenden reim auf si zu bekommen. Man wird also
bei der engeren Umgrenzung am besten bei der negativen be-
stimmung stehen bleiben, dass die heimat des Verfassers Ost-
franken, aber nicht das hochstift Bamberg ist.
Anhang.
Reim in Bi und Bin.
Die ungenauigkeiten und dialektismen sind hier andere
als in A. Zwar könnten reime wie rerstozen : unyrtfizvn 51,
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4
DA8 M III >. GEDICHT VON DER MINNEBÜBG. 303
ir : schier 3243, gnaden : misseräten 7, groest : hwst 3327, wol
auch bcstuonden : wunden 3193 auch da vorkommen. Aber es
fehlen vor allem ganz die infinitive ohne -n, dagegen treten
folgende in A keine beispiele habende freiheiten auf: offenes
und geschlossenes e reimen in weter : Meter 3459, teert : mh t
3305, seU : fcele 3525; ferner rerschict : gellt 55, w« : .srAo« 53,
torn : rorw 3197, guote (snbst.) : huote 3495, versinkt : missetingt
129, mus : fürbaz 155, mra? : metresse 9, mm**» : gesinde 3285,
ZkiW : <?W 3289.
Es ergibt sich daraus, was bislang stillschweigend voraus-
gesetzt wurde, dass der Verfasser von Bi und Bin nicht der
von A ist, dass also der ursprüngliche dichter und der be-
arbeiter nicht ein und dieselbe person sind. Die heimat von
ßl Bm ist nicht Ostfranken, auch alemannische und bairische
sowie mittel fränkische und ostdeutsche kennzeichen fehlen: so
bleibt als dialektgebiet nur das rheinfränkische, wol genauer
das südrheinfränkische. Hierher passen auch die bindungen
torn.zorn, son : schön, sele: fcele, verstozm : ungelozen, minne:
gesinde = ge sinne, bald — ball : all.
Zur genaueren bestimmung der abfassungszeit von B —
ebenso von der prosa — fehlen anhaltspunkte. Den jüngsten
termin bezeichnet die datierung der hs. d v. j. 1408, für die
prosa die der Wiener prosahs. v. j. 14G3.
III.
Inhalt.
Das gedieht zerfällt in fünf capitel, die im laufenden text
selbst bezeichnet sind; ausserdem ist der hs. P die capitelein-
teilung mit kurzer inhaltsangabe in prosa vorangesetzt.1)
Cap. I (v. 1—353). Der dichter kommt an einem heissen
sommertag in ein rauhes gebirge, das von einem wildbach
durchströmt ist. Ein floss, das er besteigt, bringt ihn auf
einen schönen, blumenduftigen anger. Bald erblickt er eine
prachtvolle, stark befestigte bürg, deren brücke von riesen,
löwen und hunden bewacht ist. Ein starkes Unwetter schläfert
') Die inhaltsAiignbe bei Raab a. a. o. s. 3<» f. bembt auf w , gilt alsu
nur fiir die kürzere fassung. AiiHser«leni ist sie lückenhaft, da die wichtigen
verse 247 343 in w fehlen.
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304
EHKISMANN
diese hüter ein und zwingt den dichter zugleich, in der bürg
schütz zu suchen. Innerhalb der bürg befindet sich eine runde,
mit erker, gesims und fünf spiegelfenstern versehene, aus gold
und edeln steinen überaus kunstreich gearbeitete säule. Wäh-
rend er diese bewundert, erscheint der kämmerer, empfängt
ihn höfisch, nennt ihm auf sein befragen den namen der bürg.
Minneburg, und schliesst ihm die säule auf. Da drinnen steht,
hinter den fenstern. aus glas das bildnis eines mannes, ober-
halb desselben das stählerne bildnis einer hau. Wenn das
frauenbild sich neigt, so blickt es in das gläserne bild des
mannes und sieht in demselben, was sich darin von aussen
hinein durch die fenster der säule hindurch abspiegelt. Ein-
mal erscheint in diesem glasbildnis das bild eines mannes.
Lange blickt das frauenbildnis dieses abgespiegelte bild an;
es wird darauf schwanger und gebiert sofort ein kind; das
ist stark, kennt alle sprachen, es hat ein schwaches augen-
liclit und erblindet bei zunehmendem alter.
In cap. II (v. 354 — 009) will der dichter daz bispel reht
iizleam. Er durchzieht alle Stätten der Wissenschaft, um einen
weisen meist er zu finden, der ihm die natur des kindes deute.
Endlich trifft er einen solchen in dem meister Neptanaus zu
Alexandrien. Dieser fährt mit ihm zur Minneburg zurück und
erklärt : das kind ist die minne. die bürg ein reines weib, der
löwe (hier nur einer, in cap. I ist von mehreren die rede) ist
ihre eigene hut und ehrgefühl, die sie vor schänden bewahren,
die riesen sind ihre angehörigen, die hunde sind kläffer und
Verleumder. Wenn diese Wächter schlafen, dann mag der
minner ohne schaden in die bürg gehen. Weiter deutet er:
die säule ist ein reines weib. die fünf fenster sind ihre fünf
sinne, der gläserne mann ist ihre Vernunft, die stählerne frau
ihr freier wille, sie sind vater und mutter der minne.
Cap. 1 1 1 (v. 070— 2285) besteht aus fragen des kindes und
antworten des meisters über das wesen der minne, ist also
durchaus didaktischen inhalts. Dazwischen ist ein umhrbint
gemacht, v. 1421—2034. enthaltend persönliche herzensergiex-
sungen des dichters an seine froutve und darauf eine rede
über das thema ich bin eigen der listen, der schönsten und
der t esten (v. 1015—2034), wobei diese eigenschaften in streng
eingehaltener disposition der reihe nach begrifflich erörtert
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEHUKG.
305
und begründet werden. — Mit v. 2285 schliesst das cap. III,
darauf ist wider bis v. 2673 ein underbint eingeschaltet , die
anrufung der geliebten, eine minnerede.
Cap. IV (v. 2077—3177). Fortsetzung der allegorischen
erzählung. Das kind geht mit seiner jungfrau Cupido, beyirde,
spazieren. Sie gelangen zu einer schönen bürg, die wie die
Minneburg von einem löwen, riesen und hunden bewacht wird.
Cupido treibt das kind an, diese zu erobern. Folgt Schilde-
rung der bestürmung der bürg durch das gesinde des kindes,
der unmasse, unsittigkeit, Unbesonnenheit und anderer, und
ihrer Verteidigung durch masse, stärke, Weisheit. Nach wechsel-
haftem, für das kind anfangs unglücklichem kämpfe kommt
man zu friedlichen Unterhandlungen überein. Der rat der
Weisheit wird gebilligt, nach welchem schliesslich das kind
selbst in eigener person in der bürg mit der burgherrin ver-
handelt. Die beiden, die minne und die frau, verständigen
sich, aus ihrer Vereinigung entsteht ein kind, die 'widerminne'.
Es erhebt sich freude ohne zahl, die werte bürg wird genannt
das edel hüs zu Fröudenbere.
v. 3178—3592 ist eine minne rede, underbint, dazwischen
eingeflochten eine minneklage an ken n Amor und Venus,
die der dichter in einem felsgebirge antrifft, in das er vor
minnekummer gelaufen. Darauf folgt
Cap. V (v. 3193 bis schluss). An einem sonntag gehen das
kind und seine amie, gegen die Warnung der huotc, vor der
bürg spazieren. Da wird dieselbe von einem grossen heer,
den kläffern und prüfern, berannt, Auf rat der Weisheit ver-
birgt sich das kind mit seinem gesinde, den belagerern werden
die burgtore geöffnet. Da sie das kind nicht finden, entfernen
sie sich wider. Nun bleibt das kind herr in der bürg: sus ist
daz leint noch sicherlich gewalticlich yeivaltic des huses du
zu Fröudenbere. — Nach so hergestelltem frieden will sich das
kind seinem gesinde, der treue, Weisheit und gerechtigkeit,
für die geleistete hilfe gefällig erweisen. Welche der frauen
einen treuen (Liener hat, der begründete klagen über seine
geliebte vorbringen kann, dem will es zu seinem rechte ver-
helfen. Darauf beginnt eine gerichtsverhandlung. Die drei,
Weisheit, gerechtigkeit und treue, führen ihre diener, minnende
edelknechte und ritter, vor den richterstuhl der minne, und
Heiträge cur beschichte der deutschen Spruche. XXII. 20
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306
KHKISMANN
diese fällt ihr urteil über die angetreuen damen. Mit dem
diener den frau Treue vorführt (v. 4138 ff.), ist der dichter
selbst gemeint, und der ergreift nun das wort zu endlosen
minneklagen. Am anfang einer neuen rede bricht die hs. P
ab. Wie viel noch bis zum ursprünglichen schluss fehlt, wie
weit diese minneklagen noch fortgesetzt wurden, kann aus der
Ökonomie des ganzen nicht gefolgert werden, da schliesslich
jedes mass in der compositum des Stoffes aufgehört hat. Doch
ist das V. cap. jedenfalls das letzte gewesen, da es vom dichter
selbst als solches bezeichnet wird (v. 3188 und 3597).
Das ist in allgemeinen zügen der inhalt des gedientes
von der Minneburg. Als wichtigste motive treten folgende
hervor, die sich zugleich mit der capiteleinteilung decken:
1. Natureingang. Beschreibung der Minneburg und der
säule cap. L
2. Auslegung der allegorie des I. capitels durch einen
weisen meister — cap. II.
3. Minnefragen und antworten = cap. ITT.
4. Bestürmung und einnähme der Freudenburg = cap. IV.
5. Sturm der kläff er auf die Freiidenburg. Gericht der
minne = cap. V.
Alle diese motive oder wenigstens verwante züge begegnen
in den gleichzeitigen minneallegorien und sind beliebte inventar-
stücke derselben: keines beruht auf des dichters eigener erfin-
dung. Kr suchte die überkommenen zu vereinigen, aber es ist
ihm nicht gelungen, sie zu einem organischen ganzen zu ver-
arbeiten. Sie eingehender zu würdigen könnte nur geschehen
auf grund zusammenfassender Untersuchung der gesammten
mittelalterlichen literatur der minneallegorien, zugleich unter
beobachtung der historischen entwicklung der einzelnen vor-
stellungskreise.') Kine solche fehlt bis jetzt, auch sind viele
dieser gedichte noch gar nicht durch den druck allgemein
zugänglich gemacht. Das umfassendste einschlägige werk,
Trojels Middelalderens elskovshofer, behandelt nur einen teil
des Stoffes.
') Die von Erich Hat hniann in »einer gehaltvollen dissertation über
Everhard von Cersne (1891) allgekündigte zusammenfassende darstellung
(daselbst s. 55) ist bis jetzt nicht erschienen.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURO. 307
Es sind nun aber, worauf zuerst Raab hingewiesen hat,
mit der zu gründe liegenden rein weltlichen allegorie züge
aus der geistlichen literatur verquickt. Die darstellung der
gcburt der ininne aus Vernunft und freiem willen ist eine der
mystik entnommene idee. Vernunft und wille sind die höheren
kräfte der seele, und die oberste der beiden ist die Vernunft;
die minne aber ist 'eine neigung des willens, die aus der er-
kenntnis der Vernunft entspringt' (Preger, I). mystik 2, 151,
vgl. auch s. 420. 422 u. ö.).') Auch im einzelnen finden sich
mystische gleichnisse und bilder: v. 2230 ff. wird die minne
einem edeln bäum gleichgesetzt, was an die mystische palm-
baumallegorie (vgl. Strauch, Anz. fda. 9, 121) erinnert. V. 2654
wird der ausspruch der Martha, Job. 11, 21 beigezogen: die
Martha und ihre Schwester Maria behandelnden bibelstellen
(Luc. 10, 38. Joh. 11,21) sind häufig gegenständ der predigten
und mystischer Symbolik. Aber alle diese der mystik und
predigt entlehnten Vorstellungen sind hier durchaus in welt-
lichem sinne aufgefasst, sie beziehen sich immer nur auf die
irdische minne. Gerade die Verwendung jener stelle Joh. 11, 21:
domine, si fuisses hie, f rat er mens non ftiisset mortuus, ist
ein deutliches beispiel der verweltlichung des religiösen Stoffes.
Die verse der Minneburg lauten:
2H54 wann ich mac sprechen als Martha sprach:
'fron, frou, werst du hie gewesen,
min früude diu w£r wol genesen
und wer von tod erheset'.
Ks klingt fast wie eine profanierung der heiligen worte.
In dem grundmotiv selbst, von dem das gedieht den namen
hat, in dem von einer bürg der minne sind ursprünglich zwei
ganz getrennte vorstellungskreise vereinigt. Den ausgang für
die weltliche allegorie bilden einige stellen in Ovids Amores,
vgl. Raab s.35, wie habet sua castrd Cupido, custra Amoris.
Hingegen quelle für geistliche auslegung sind alttestamentliche
stellen, Psalm 60, 4 und Hohes lied 4, 4 turris David, und beson-
ders die oben erwähnte neutestamentliche Luc. 10, 38 et ipsc
intravit in quoddam castellum (vgl. hiezu besondei-s Salzer. Die
') Hie quellen des stoftes. worüher oben nur andeutungen gegeben
sind, hoffe ich hei anderer gelegenheit in einem grösseren zusammenhange
behandeln zn können.
2U*
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308
EIIKISM ANN
Sinnbilder und beiworte Mariens s. 12. 284 — 292), die auf die
jungfrau Maria gedeutet wurden. Dem entsprechend ist in
der weltlichen allegorischen dichtung das im bild der bürg
dargestellte weibliche wesen die irdische geliebte, die atnie,
in der geistlichen die heilige jungfrau. Es lag also schon im
Stoffe des mhd. gedichtes eine beiziehung religiöser elemente
nahe. — Ebenfalls ein anknüpfungspunkt an die geistliche
literatur liegt in der episode von der erstürmung der Freiiden-
burg. Dieselbe entspricht dem alten geistlichen thema vom
kämpf der tugenden und Köster, welches Raab s. 25 ff. schön
entwickelt hat. Und widerum steht dieses motiv der psycho-
machie in ideenverbindung mit dem von der heiligen jung-
frau als easteUum, turris dadurch dass diese bürg verwahrt
ist durch Verteidigungswerke, das sind die tugenden (Salzer
s. 284 ff.).
Das zu gründe gelegte schema der fünf capitel, in welches
sich der stoff gliedert, ist klar und durchsichtig, und diese
anordnung ist im gedichte auch eingehalten. Aber die ein-
zelnen elemente des Stoffes sind nicht durchweg in glatten
innern Zusammenhang gebracht und sind ganz ungleichmässig
behandelt. Von einer richtigen Verteilung, einer ebenmässigen
gliederung ist keine rede. Es mangelt dem dichter überhaupt
der begriff für Verhältnisse des masses und die fähigkeit der
abwägung verschiedener werte. So ist wichtiges und unwich-
tiges unterschiedslos und gleichwertig behandelt. Diese form-
losigkeit nimmt im verlauf des gedichtes immer mehr zu. So
ist in den beiden ersten capiteln die erzählung und allegorische
deutung verhältnismässig einheitlich durchgeführt und nicht zu
weitläufig, wie sich schon an dem geringeren umfang dieser
capitel bemerken lässt. In den beiden letzten dagegen steht
die ausführung in gar keinem Verhältnis zu dem dürftigen
inhalt. Die übermässige anschwellung bei der armut des
Stoffes wird besonders veranlasst durch die reden, lyrische
zwischenschiebsel, welche der dichter underbint nennt, zum
unterschied von dem eigentlichen thema, der materge (s. oben
s.285). Diese minnereden unterscheiden sich in metrik (s. s.285)
und stil (s. s. 313) von der allegorischen erzählung und den
lehrhaften stellen. Sie wirken mit ihren geschraubten phrasen
besonders ermüdend und die eintönigkeit , die das lesen des
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DAS MHP. GEDICHT VON DER MINNEBÜRO.
809
gefliehtes unerquicklich macht, wird in ihnen am meisten
verspürt.
Es scheint, nach diesem fortschreitenden anwachsen des
umfangs, dass der dichter seine arbeit ursprünglich kleiner
beabsichtigt hatte, im laufe des hervorbringens aber, vom
Stoffe beherscht statt über ihm stehend, seiner redseligkeit
keine schranken mehr zu setzen wusste.
Mit dieser Planlosigkeit hängen auch andere mängel in
der behandlung des Stoffes zusammen. Mehrfach werden mo-
tive widerholt, so die geburt der minne in cap. I, der wider-
minne in cap. V; die Schilderung der Minneburg in cap. I und
der bürg zu Freudenberg in cap. V; der stürm auf die Minne-
burg, in -cap^nV auf Freudenberg in cap. V; Spaziergang des
kindes in cap. IV und V. Auch in diesen widerholungen zeigt
sich die mangelhafte erfind ungsgabe des Verfassers. — Anderes,
das stark betont war, wird in der folge vergessen. So wird
die mit dem alter zunehmende erblindung, die in cap. I und
bei der auslegung in cap. III als wesentliche eigenschaft des
kindes hervorgehoben ist, im verlauf der erzählung ganz ausser
acht gelassen. I überhaupt lässt sich die Vorstellung von der
allegorischen figur der minne, wie man sie aus cap. I — III ge-
winnt, mit den ausführungen von cap. IV und V nur schwer
vereinigen. — Auch offenbare Widersprüche finden sich. So
kurz nach einander in cap. II bei der deutung der Minneburg
und der säule: beide, sowol die bürg, worin die säule steht,
als diese säule bezeichnen ein reines weib.
Der dichter hat sich von vornherein keinen festen plan
gebildet, hat sich selbst die verschiedenen motive nicht deut-
lich vorgestellt. Darauf und auf der künstelei des stiles be-
ruht die Unklarheit, die man ihm mit recht zum Vorwurf
gemacht hat (Raab a.a.O.); doch liegt die unverständlichkeit.
die Raab rügt, zum teil in der beschaffenheit der von ihm
benutzten Wiener hs. (w), in welcher die unentbehrlichen
verse 247—34:3 ausgelassen sind (s. oben s. 303).
Es ist indes immerhin möglich, dass der dichter ursprüng-
lich zwei ausgaben veranstaltet hatte, eine kürzere, die, wie B,
mit der endgiltigen behauptung der Freudenburg durch die
minne abschloss, und eine um das minnegericht und die dort
eingestreuten reden nachträglich verlängerte, wie sie in A
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310 EHRISMANN
(= P) vorliegt. Dafür dass in der ersten anläge in der tat
das minnegericht nicht einbegriffen gewesen wäre, könnte der
umstand sprechen, dass in der inhaltsangabe, die im text selbst
das V. capitel einleitet (v. 3596 — 3604) und in prosa in dem
allgemeinen register dem gedichte vorgesetzt ist (s. s. 257), nur
angeführt wird, dass die minne die bürg gewann und wie die
burc behalten wart, von dem gerichte aber, das mit den ein-
gestreuten reden doch über 1500 verse beansprucht, gar nicht
die rede ist. Die oben getadelten auswüchse in der composition
wären dann vom dichter zum teil erst bei der erweiterung
hineingebracht worden. Das unerweiterte gedieht würde dann
bis v. 3806 der jetzigen fassung A gereicht haben, womit auch
ein passender schluss gegeben wäre:
v. sus ist daz kint noch sicherlich
^ewalticlich gewaltic
mit ereil manicfaltic
des huses da zu FrCmdenberc ;
ez hat ouch daz zubrochen were,
daz da tfevallen was dernider.
allez schon irebnwet wider.
Aber mit Sicherheit ist in dieser frage, zumal ohne kenntnis
des Schlusses von A, der ja in P fehlt, kein urteil abzugeben.
Inhalt von B.
Der grössere teil von B, v. 81—3118 (A) hat den gleichen
text wie A. verschieden sind der eingang und der schluss
(s. s. 276): statt v. 1 «SO in A hat B 180 verse, davon steht den
verseil 1— 134 B in A gar nichts entsprechendes gegenüber.
Auf eine anrufung der geliebten (v. 1-17) lässt der bearbeiter
in v. 17—28 eine anspielung auf seine änderung des textes
folgen, wenn anders die hier gegebene erklärung dieser
schwierig zu verstehenden verse richtig ist:
v. 1 7 ff. B wes sich hie min sin vervächt
min underwinde. in dem anfang und dem end,
ob ich bin des der blinde so bin ich doch der bekennt,
der sich in fremdmig wirret. ich sprich: 'daz mittel prisen
so blibt doch un^eirret gedichtes kunst die wisen'.
daz bezzer nie vor tremacht. merket nu des underscheid!
nn t'urlmz hin. verneint uns beid!
'Mein unterfangen (underwinde, ein zu sich underwinden aufs
geratewol gebildetes Substantiv), wenn ich auch damit ein blinder
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DAS MHD. GEPICHT VON DER MINNE BURG.
311
bin. der sich ins fremde verirrt (anakolnth) — so bleibt doch
ungestört (unangetastet) das niemals vorher besser gemachte
(nämlich der unübertroffene mittelteil des gedientes). Wessen
ich mich auch unterfange am an fang und am ende, so be-
kenne ich doch und spreche: die mitte preisen die kunst-
verständigen. Merkt nun den unterschied darin! Nim wohin,
vernehmet uns beide (d.h. den ursprünglichen dichter und mich)!'
V. 29—134 B enthalten einen preis der dreieinigkeit und
göttlichen minne. v. 135 — 180 B schildern dann ebenfalls den
sommerspaziergang des dichters, aber in anderer auffassungsart
und darstellung als A: er kommt in einen schattigen, quell-
durchrauschten tannwald, dann, am ufer eines baches entlang,
auf das blumige gefilde. Der Spaziergang wird in eine freund-
lichere gegend verlegt als in A, wo die Schrecknisse des gebirgs
und des wildbachs zu überwinden sind. Darauf folgt das in
A und B gleiche mittel. Mit v. 3119 beginnt B wider von A
abzuweichen. V. 3119- 3177 in A sind in B (v. 3219— 3272)
nur im Wortlaut verändert, nicht auch im inhalt. Der in A
folgende nnderbint v. 3178 — 3592 ist in B weggelassen, dieses
setzt wider ein mit cap. V und erzählt, inhaltlich wie A aber
in verschiedener sprachlicher widergabe, den Spaziergang des
kindes, den stürm der kläffer auf Freudenberg und die wider-
herstellung der ungestörten herschaft der minne (v.3273— 3426B
— 3605 — 3825 A). Der ganze weitere inhalt des cap. V bei A,
das gericht der minne mit den eingeflochtenen minnereden, ist
von B weggelassen und dafür ein ganz selbständiger schluss
gebildet (v. 3427—3(527 B). Dieser ist, wie der eingang v. 29—
134 B bezeichnend für den bearbeiter: es wird hier wie dort
ein religiöses monient in den interessenkreis gezogen, von dem
die längere fassung frei ist. V. 3427—35(34 preist er die minne,
aber nicht lediglich die irdische, sondern er fasst unter diesem
begriff die himmlische mit ein und macht in ihrer beider
Wesenheit keinen unterschied. nanz der religiösen betrach-
tung ist das ende geweiht (v. 3565—3(328). Ks sind wider
fragen des kindes und antworten des meistens: 'es ist betrü-
bend, dass der tod die liebe scheidet': — 'deshalb sollst du
ganz die liebe gottes in dich aufnehmen': dann die frage: 'wer
ist gott?' und zuletzt: 'wie wirkt gottes gnade im menschen?'
B ist um etwa 1500 verse, d. h. mehr als ein viertel, kleiner
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312
EHRTSMANN
als A; gerade die so breit ausgesponnene, mit dem vorher-
gehenden in gar keinem notwendigen Zusammenhang stehende
schlusspartie von dem gericht der minne fehlt, und dies zum
vorteil für die abrund ung und einheitlichkeit.
Die gründe für seine änderungen hat der bearbeiter in den
obigen versen (s. 310) nicht angegeben. Es sind zwei wesent-
liche punkte, in denen seine fassung von A, so wie es in P
überliefert ist, abweicht, einmal eben die kürze des schluss-
teils — doch ist nicht zu entscheiden, ob er hier wirklich
selbständig eine dem umfang von P entsprechende redaction
des gedichtes gekürzt hat, oder ob ihm nicht überhaupt jene
oben s. 300 f. in frage gebrachte erste kürzere ausgäbe vorlag.
Und dann sein religiöse tendenz. Damit ist. wenigstens stellen-
weise, eine Verschiebung des ethischen hintergrundes ein-
getreten. W ährend in A auch die dem religiösen gedankenkreise
entnommenen teile des Stoffes ganz nur der Verherrlichung der
irdischen minne dienen, strebt seine Sehnsucht über das ver-
gängliche hinaus zum ewigen, zu der liebe gottes und seiner
barmherzigkeit. Aber seine kräfte sind zu schwach um der
grosse dieser idee ausdruck verleihen zu können, und in
äusserlicher weise, unvermittelt mit dem das ganze beherschen-
den geiste, sind am anfang und am schluss seine frommen
gedanken in ungelenken versen ausgesprochen.
Die prosa.
Die prosa benutzte die bearbeitnng K als gnmdlage. nur
in nebendingen des Wortlautes ist auch auf A eingegangen
(s. s. 270). Umgeändert ist die kurze abhandlung über die
dreieinigkeit, die B im eingang enthält, indem andere eigen-
schaften derselben hervorgehoben werden. Grössere abweich-
ungen finden sich sonst nur in den fragen und antworten des
cap. III, von denen einige ganz weggelassen, andere nicht in
der ursprünglichen reihenfolge aufgenommen rind. Dreimal
linden sich einschaltungen lehrhafter art: 1. aufzählung der
kenntnisse des weisen meisters, 2. die vier stufen im Wachstum
der minne, 3. Verhältnis der minne zu seele und leib mit be-
rufung auf Aristotilcs und sein Buoch von dcrnatur. Am meisten
aber ist der ursprüngliche Charakter geändert durch weg-
lassung der minnereden. Das lyrische element ist demnach
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DAS MHD. GEPICHT VON DER MINNE Hl" RH.
313
zurückgedrängt, das allegorisch -didaktische herscht durchaus.
Belehrung ist der hauptzweck. Darum auch die form der
prosa. Besonders die Zergliederung des wesens der minne in
dem Schema von fragen und antworten macht den ei nd ruck
eines mittelalterlichen lehrbuchs in art des Lucidarius oder
eines wissenschaftlichen tractates (vgl. unten gegen schluss
von IV).
An umfang ist die prosa noch kürzer als B, besondere
durch die abstossung der minnereden. Dadurch ist aber auch
das Verhältnis von inhalt und ausdehnung ein ebenmässigeres
geworden als in B und noch mehr als in A. Auch die glie-
derung des Stoffes ist in annehmbaren massen gehalten. Kr
verteilt sich in folgender weise:
3 Seiten der hs. religiöse einleitung,
ca. 11 „ „ „ allegorische erzähiung,
ca. 22 ,. „ r lehren in fragen und antworten.
11 „ „ ,. wider allegorische erzähiung,
6 „ „ schliLss, bet rächt ungen über die
minne, über gott ihren Urheber.
IV.
Stil. Die geblümte rede. Meister Egen.
Der dichter hat, wie schon bemerkt, innerhalb des eigent-
lichen themas, der mahnte, grossere abschnitte lyrischen und
reflectierenden inhalts eingeschaltet (underbhü oder tmihrbttnt),
die er selbst mit rede bezeichnet. Kr hält die Scheidung
strenge ein und unterlässt nie es ausdrücklich zu bemerken,
wenn eine rede anfängt. Wie im inhalt. so sind auch in der
metrischen form (s. s. 285) und im stil nmterge und rede von
einander unterschieden. In den erzählenden und lehrhaften
teilen, in der nutterye, entfernt er sich nicht von der normalen
ausdrucksweise, rharakteristiseh aber für ihn und für eine
gewisse richtung des 14. 15. jh.'s ist der stil der reden. Hier
ist die darstellung zur geschmacklosesten manier ausgeartet,
als oberster ästhetischer grundsatz gilt: um jeden preis originell
sein. Lächerlich geradezu wirkt die sucht, etwas noch nicht
dagewesenes zu bieten, den bombast der Vorgänger noch zu
übertrumpfen. Der mangel an innerer Wahrheit soll verdeckt
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314
EHRISMANN
werden durch unendlichen phrasenschwall , und in diesem
haschen nach effecten zeigt sich am grellsten die ganz mittel-
mässige begabung des Verfassers. Vom ästhetischen Standpunkt
aus ist das abfällige urteil von Gervinus (Gesch. d. d. dichtung
2*, 443) gerechtfertigt, von diesem aus verdient das gedieht
keine weitere beachtung. Entwicklungsgeschichtlich be-
trachtet ist jedoch diese manier nicht ohne interesse, denn
sie beruht nicht auf den verrückten einfallen eines einzelnen,
sondern sie ist typisch für eine absonderliche geschmacksrich-
tung in der späteren mhd. dichtkunst und findet sich nirgends
so ausgeprägt, so deutlich von dem gewöhnlichen stile ab-
gehoben als eben in der Minneburg. Es ist die sogenannte
geblüemte rede. Der dichter selbst wendet diesen technischen
ausdruck an v.468f.:
er künde kriechisch, er künde kaldeinrk
mit geblflemter rede gemacht gnoter;
ferner mit Worten wol gebh'iemet v. 1651. 1811. 1939, diu kluoge
rede v. 2395. 2719, ein rede fin v. 5346, es sind Wiehe sprüche
v. 689, wild iu wort v. 696. 4641, die nicht jedermann versteht,
deren abfassung sowol als auslegung einen gewissen grad ge-
lehrter bildung voraussetzt. Durch diese bezeichnungen ist
die manier passend gekennzeichnet. Geblüemt sind die minne-
reden durch eine Überfüllung mit gesuchten und geschraubten
bildern, vergleichen und hyperbeln, und durch 4 wilde \ d. h.
seltsame und fremdartige worte und Wortbildungen.
Doch nicht nur durch die stilistische, sondern auch durch
die metrische form zeichnen sich die reden von der materge
aus. Als besonderheit des versmasses in den lyrischen stücken
ist schon oben s. 285 die beliebtheit der klingend endigenden
verse angegeben. Die formale künstelei besteht aber vor allen
dingen in der wähl der reim Wörter, der effect soll erzielt
werden durch auffallende, bislang unerhörte bindungen. Des-
halb finden sich die wilden wort in grosser anzahl in diesen
reimen der minnereden. Der dichter nennt sie spehe rime
v. 2303, als gegensatz zu den slehten rimen v. 4285, und spielt
auf sie wol auch an mit dem ausdruck mit khtoger suezer ritne
tritel (tritt) v. 351. Indem so der Schwerpunkt in den reim
verlegt wird und der ausgang des verses überwiegend das
interesse auf sich zieht, ist auch das 'ethos' der verse in den
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBClUi.
315
reden ein merklich verschiedenes von dem der in ebener Stim-
mung verlaufenden Zeilen der erzählung und lehre.
Am besten wird ein beispiel die Verschrobenheit und den
schwulst der geblümten rede zeigen:
v. 2305 ff.:
S ach got wie ist verwelket,
vermnret und verkelket
in mich der Minne kunder!
die Minne hat niuwe wnnder
mir in daz herz gestiftet.
10 ich forht, mir si vergiftet
min fröndenricher wände],
daz ich für fröuden mandel
werd ezzen leides zidelbast!
ir minneclicher süezer glast
15 mich in dem herzen kützelt.
daz mir min fremde verhutzelt
ist nnd mich gar verdorret,
also bin ich verstorret !
si hät mir ab geblundert
20 min fröude. daz mich halt wundert
wie ich si so veraffet.
ich hän sie angeglaffet
lang mit miner ougen zwirbel.
daz mines libes sinues wirbel
25 ist nf sie getorkelt.
un beert wie sie mich niorkelf.
zudresch und uuch zumürsehet.
radnoc und oncfa zupfnürschet !
ob sie vor fröuden kittrrt
30 wenn mir min herze zittert,
und ob sie darum h sniiuwet
ob ich mich durch sie frönwet?
tet sie daz. so würd mir dorren
min herze glich dem dürren stor-
35 also würd ich gederret! [ren,
ist daz sie mir derkerret
min herz, daz ez derkirret
und sam ein doner zirret.
so bin ich fröud verirret.
40 swie sie sich von mir virret,
so wirt min herze pfimpfeu
und sam ein kole dimpfen
daz ich vor ungelimpfen
niht fürhaz mac geschimpten.
45 darzu wird ich zuhadert,
zuzerret und zufladert,
zurizzen und zulumpert.
daz trtiren umb mich slmupert
ob sie sich gein mir wildert
50 und nicht geiu mir gemildert.
Diese probe zeigt schon, wie der dichter sich abhetzt mit
ästhetischen figuren. metaphorischen ausdrücken und hyperbeln,
aus deren wirrsal sicli kaum eine deutliche Vorstellung los-
ringen kann. Kine auslese der gesuchtesten und abgeschmack-
testen bilder und vergleichungen möge noch zur Verdeutlichung
der geblümten rede angeführt sein'):
v. 45S wie der künste ein blüendez zwi
durchsaffet hab im {dem meister Xrjrtanaun) siniu lider.
») Der dieselbe ebenfalls charakterisierende Wortschatz soll an anderer
stelle behandelt werden. Viele gar nicht oder selten belegte Wörter sind
nach der Wiener hs. w von Schönbach für Levers Handwörterbuch bd. 2
und 3 geliefert worden.
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316
EHRISMANN
v.670 ff.:
ei knnst, tuo mich mit wiz durchborn,
wenn ich ob kttnsten tischelin
sitze und hin niht sinnes win
daruf noch k misten wilpret!
ich hau von wiz ouch kein geret
daz mir min groliez herze erquick
und künsten sterke in mich schick.
daz ich der hohen künsten kluoe
bis her nie han gehabt genuoe
zn ezzen noch zu smecken
und sie niht moht bestecken
under mines sinne* riben,
des ist min sin gar klein bekliben
reht alsam ein klein getwerc.
Oder 1562 ff.:
nüns armen herzen finrstein
rüert hart an alle zerte
diu (fl. i. der Minne) staheltinrisen
herte,
da zwischen hat gestözen zunder
ein zartez wip, des lohen ein wunder,
bewart von meiles «merzen,
daran mins leides swefelkcrzen
für war sin entzündet,
die hau fürbaz angekündet
mins herzen hüs, daz ez an st iure
stet in hohen lohen» fiure
und brennet stete tac und naht,
der ronch mir tempfet libes maht.
ei knm, vil süeze troasterinne,
lesch mich mit tröstes wazzere
minne ! ')
hilf mir nz noeten, die ich dol,
wann ininer frönden swarzer kol
glimmet ser in leides hitze.
n. s. w.
v.1708 ff.:
daz sie mit violischen Sprüchen
den Unten in ir ören rüchen!
künd ich mit lobes gezierde
die sinne hier nmhzisiuen,
dnrchbalsmen und durchbismen,
v. 2550 f.:
ez sint mins herzen hend un«l bein znsamen onch gelidet . . .
V. 3730 ff.:
von inwerm smac kreften rieh
haz und nit der keinez
noch ihr gesieht unreinez . . .
mügen gewonen nimmer
reht als der dahs daz fliuhet
da der fnhs gehamet hat,
sin art in niht beliben lät
swä im der selbe smac wirt knnt:
als«\ Minne, swä ir ein stunt
sit reht gewesen genzlich
genzlich in dem gezimmer.
Etwa ein dritteil der Minneburg ist in dieser schwülstigen
manier abgefasst. Sie wird, als in den reden, vornehmlich da
angewendet, wo gesteigerte gefühle zum atisdruck gebracht
werden sollen, hier natürlich meist solche der minne. Da wirkt
der hohle bombast oft geradezu lächerlich, in dem phrasentum
tritt des Verfassers mangel an künstlerischer begabung nur
') Statt 'mit dem trostwasser der minne'.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
317
allzu deutlich zu tage. Nicht unwillkürlich kleiden sich die
gedanken in bilder, sondern mit Spitzfindigkeit sind diese aus-
geklügelt. Abgesehen von der Überfüllung und der nicht
seltenen geschmacklosigkeit decken sich die tropen oft gar
nicht mit den zu gründe liegenden gedanken oder sind in sich
nicht einheitlich und logisch durchgeführt. In folge der mehr-
fachen bezugnehmungen auf die malerei könnte man ein ge-
schärftes beobachtungsvermögen bei dem dichter voraussetzen.
Aber es mangelt ihm die ansehauungskraft, die gegenständ-
liches in scharfen umrissen zu fassen versteht, und ein sicheres
und geordnetes vorstellungsvermögen.
Ein in der geblümten manier übertrieben angewendeter
stilistischer kunstgriff besteht darin, statt eines einfachen
Substantivs eine uneigentliche substantivische compositum, sub-
stanth\mit vorangehendem substantivischem genitiv, zu setzen,
wobei der ursprüngliche begriff in den genitiv tritt. Je nach
dem logischen Verhältnis beider begriffe ist die so entstehende
Umschreibung mehr oder weniger passend, jedenfalls ist sie oft
schwerfällig und gekünstelt, in den meisten fällen überhaupt
überflüssig, indem von dem durch ein Substantiv (dem im
genitiv stehenden) ausgedrückten grundgedanken durch die
erweiterung vermittelst eines zweiten Substantivs doch nichts
wesentlich neues ausgesagt wird, z. b. äne zwifels rete ist so
viel wie äne zwifel, der rede kri — diu rede, zornes pflihl =
zorn, von gcwaltes sinnen — von gewalte, an spotens hon =
äne spot, der steine rotsehen = Belsen', der Vernunft list =
'Vernunft' u. s. w., vgl. auch Weinhold, Lamprecht von Kegens-
biu'g s. 10. In weiter ausgeführten bildern häutig angewendet
tragen sie hauptsächlich zur versehnörkelung des stiles bei,
z. b. v. 1750 ff.: seine dame ist dem dichter feindselig, diese
tatsache ruft in ihm die Vorstellung eines bildes von einem
kämpf hervor: die frau nimmt ihrer minne tanzen (vgl.
Parz. 76, 14) und wirft sie auf seines sinnes blatten (blatten-
hai nisch); sie gibt ihm manchen stoss auf seines muotes heim,
dass er auf der sorgen melm vor sie 'burzelt'; dann zieht
sie ihn mit leides seil auf der sorgen er her, lässt ihn in
traue ms her her fallen und schlägt ihn in unmuts block
u.s.w. Häufig sind die beiden Substantive fast bedeutungs-
gleich, umgekehrt besteht oft ein innerer Zusammenhang
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:U8
KIIKISMANN
zwischen ilineii überhaupt nicht, sondern willkürlicli sind in
dem rahmen eines einmal begonnenen bildes einzelne bestand-
teile dieses bildes auf einzelne begriffe der zu gründe liegenden
idee angewendet. So sind an eben angeführter stelle aus dem
bilde heraus die Vorstellungen von lanze, blatte, heim
u. s. w. ohne weiteres den der zu gründe liegenden gedanken-
reihe angehörenden abstracten begriffen minne, sinn, muof
u. s. w. beigelegt. Auf diese rein äusserliche weise sind viele
der bildlichen ausführungen des gedientes entstanden. Die
beiden gedankenreihen, die der nackten tatsache und die in
tropen gekleidete, kreuzen sich dabei fortwährend, ein los-
gelöstes, in sich abgeschlossenes und durch sich selbst inter-
essierendes bild entsteht nicht. Eines der stärksten beispiele
für diese manier bilden die von W. (Trimm, Heldensage1 8. 288
angeführten verse. — Einige male ist das logische Verhältnis
der beiden Substantive im sprachlichen ausdruck geradezu
umgedreht, so z.b. v. 565 f. ez si denn daz enbrinne der starken
weter minne statt diu storken wehr der minne; 1575 f. ei
htm, ril st'ieze trwsterinne, lesch mieh mit tröstes wazzers
minne statt 'mit dem trostwasser der minne' (s. s. 310).
Weniger häufig kommen zweigliedrige ausdrücke, aus
synonyma bestehend, vor, mit und ohne bindewort, z. b. ermahnt
und erdöz 31, mit gir und otteh mit grözem (fit 292, zutrennet
und zutraut 300, mit här mit hiute 1720, umb stittr umb keif
1675, wenden keren 22; asyndetische aneinanderreihungen be-
gegnen überhaupt öfter, so noch: daz kint die kamerer die ndmen
522, waz si diu burc diu siule umgrabt 668, teer din leben in
herz in Ith 785 u. a. Auch dreigliedrige synonymische formein
finden sich, wie durchfinet, durchglenzet und durehschinet 147.
Bei all seiner Virtuosität beherscht der Verfasser die
spräche doch nicht recht, das zeigt sich in groben Verletzungen
gewöhnlicher sprachregeln, z. b. Vernachlässigung der flexion
v. 240 f.: daz gap dar inne ril Hehlern sehtn dann uzen dran
und glenzer (statt glenzern) im reim auf genzer. Fehler in
modus und tempus des verbs v. 2326 ff. (vgl. s. 315) nu ha rt
wie sie mieh morkelt \md. praes.), zudresch (conj. praes.) und
oueh zumiirschet (ind. praes.), zusluoe (ind. praet.) und oueh
zupfnürsehet (ind. praes.) u. a.
Den stil ins einzelne zu verfolgen dürfte sich bei der
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MTXNE1IUKG.
319
mässigen literarischen bedeutung des gedieht es nicht lohnen,
lind allgemein gütige ergebnisse können nur aus der betrach-
tung der verwanten dichtungen insgesammt erzielt werden.
In erster linie kommen hierbei die typischen formeln.1) die
immer widerkehrenden metaphern. auch formelhafte reime in
betracht. Eine Sammlung derselben mit statistischer beobaeh-
tung würde am besten die Unselbständigkeit jener epigonen
zeigen und zugleich ihre abhängigkeit von den meistern der
mlid. dichtung. Denn der einfluss Wolframs und (Jotfrids lässt
sich in solchen einzelheiten durch die ganze periode hindurch
verfolgen (s. unten). So geht die Umschreibung eines begriffes
durch Substantiv und genitiv besonders auf eine bekannte
eigenheit Wolframs zurück, der in der Minneburg speciell
nicht hervortretende parallelismus zweier Substantive auf
Gotfrid. Ein kunstmittel jedoch, das sonst in Zeiten gesun-
kenen geschmaeks, wie z. b. bei der zweiten schlesischen
schule, zur verschnörkelung und auszierung wirksam ver-
wendet wird, tritt in der -geblümten rede' zurück, das ist das
malende beiwort.
Ebenso gibt es einen ständigen Vorrat einzelner motive,
gemeingut der literarisch gebildeten, aus dem die dichter
nach belieben schöpften. Auch in der Minneburg finden sich
solche vielfach verwertet, die daneben in andern dichtungen
der nachblütezeit widerkehren, so die weit ausgesponnenen
symbolischen wappendeutungen. das prunken mit edeln steinen
und fremdartigen pfianzennamen, farbensymbolik, furnier, jagd,
der banmzucht entlehnt der beliebte tropus von dem auf einen
bäum neu gepfropften reis, beschreibung des epitaphs der minne
(diese stelle. 2638 ff., führt K. M. Werner im Anz. fda. 7, 146 an
zum vergleich mit MSF. 129, 36 ff., wozu nachzutragen Veldekes
Eneide 83:«. Parzival 107.30. Willehalm 73,27. Wigalois211,32.
Mai u. Beaflor 174, 32. Massmann, Alexius 66, 85. Ulrichs Ale-
xander 11105—11820, lat. in Frommanns Herbort s. 309. Zs. fda.
33, 252 u. a.). Individuelle züge sind nur wenige zu ver-
zeichnen. Indessen sind doch manche dem Verfasser allein
eigen, so die geschmacklosigkeit in der specialisierung der
') Solche sind auch die aus der geistlichen literatur, der Marieudich-
tung, vor allem Konrada Goldener schmiede entnommenen bilder zum preise
der geliebten, wovon Raab a. a. o. s. 30 anm. beispiele anführt.
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320
EHRISMANN
reeepte gegen die minnesehnsucht, deren hestandteile genau in
pfundcn und quintinen vorgeschrieben werden (v. 3828. 5442 ff.),
die beiziehung der maierei (s. unten), eine beschreibung meh-
rerer folterproceduren (2562 tt, Hätzlerin 2, 25, 160 ff ., s. 181).
Dem entsprechend steht der dichter auch in seinen son-
stigen literarischen und gelehrten anspielungen auf dem niveau
seiner zeit. Es werden beigezogen die heldensage (das von
W.Grimm abgedruckte stück, Heldensage1 s. 283), der Par-
zival bez. der jüngere Titurel (Gral, Muntsalvas, Artus, An-
fortas, Gamuret, der baruch, Schastelmarveil, Sigune und Schio-
natulander; die beschreibung des gralstempels und des palastes
des priesters Johannes mit der säule im j. Titurel hat offenbar
bei der Schilderung der Minneburg im cap. I vorgeschwebt;
daz fiur von Ayrimontin s. unten. Aus Wolframs Wille-
halm entnommen sind die hinweisung auf sunt Wilhelmen
klag um Vivianz v. 4532 ff. und 1921 ff. daz wilde mer moht
stich mit nihte des crtvrr, ob sie (die geliebte) einen finyer dar
in stiez, ez geteünn an sücze den yeniez sam ez üs honiyes
hrunnen flüzze daz sin Hut und vihe yenüzze swaz da wer
yesrzzen: die entsprechende stelle des Willehalm (62, 11 ff.) ist,
unter nachweisung anderer nachahmungen , eingehend von
Stosch, Zs. fda. 33, 127 f. und 38, 138 ff. besprochen worden.
Bemerkenswert ist, dass hier in der tat Wolframs zehe durch
das, wie Stosch richtig bemerkt, unserem geschmack mehr zu-
sagende finyer ersetzt ist. Ferner werden genannt Kamille,
von der in Eneas man saget (4174 ff.), und als beispiele be-
rühmter liebespaare Helena und Paris, Wigalois und Larie,
Lanzelet und Iblis (3169 ff.) Verhältnismässig häufig treten
namen aus der bibel, besonders aus dem alten testamente auf;
aus der legende der weithin verehrte 8. Martin als muster
der barmherzigkeit (der sinen mantel halb zusneit und in üf
einen blözen leit 2529t) und S. Lienhart, bekannt als erlöser
aus banden (din trost mich also süczlich labt in diser yefenknis
hart, reht als mich Sunt Lienhart hob dünnen brüht yenuhtic
2624 ff.). Als männer der Weisheit und Wissenschaft werden
genannt Salomo. Aristotiles, Alanus, V poeras (3356 ff.),
als berühmte ärzte Avicenna, Pitagoras, Galien und
widerum Vpocrates (5415 f.), als statten der gelehrsamkeit
Lnnders, Hrügge, Paris, Holet 186 f., Paris, Salem,
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEHUKCJ.
Padaw, Montpelier, Dolet 388 ff., und, als heimat des
Xeptanaus, Alexandrie 308. — In dem weisen meister der
um auskunft über das wesen der minne angegangen wird und
der die fragen de« kindes beantwortet, stellt der dichter sein
ideal eines meistens der Wissenschaft, der sieben freien künste
dar. Er gibt ihm den namen des Zauberers der nach der
sage von Alexander im grössten teil der Überlieferung dessen
vater war und für ein gefäss der Weisheit galt. A (P) hat
Neptanuus (464 Naptanaus), die verschiedenen lesarten von B
gehen auf eine grundform Nectanabm oder Nectanebus zurück.
Die erstere form mit pt stimmt zu derjenigen in der pseudo-
Rudolfschen Weltchronik (Neptancdms, vgl. R. M. Werner. Die
Basler bearbeitung von Lamprechts Alexander s. 7), in Ulrichs
von Eschenbach Alexander (ebenfalls Neptanabus) und im
'grossen' Alexander (Beitr. 10, 346. 348). Ulrich schildert die
minne des Zauberers zur königin Olimpiadis als eine tat der
frou Amor (v. 301), der frou Minne (v. 315) und es ist
nicht unmöglich, dass diese scene mit der personiflcation der
minne (v. 300—350) die veranlassung dazu abgab, dass der
dichter der Minneburg gerade den Neptatui\b]us als sachver-
ständigen im minnewesen wählte. •) Die formen von B (Necta-
nabus u. s. w.) und der prosa (Xectunabris) mit et scheinen dann
wider dem sonst in der Alexandersage gewöhnlichen Nectanebus
nachgebildet.
Einen tiefern ethischen gehalt wird man in dem gedieht
nicht suchen. Von gemeinheiten oder lüsternen anspielungen
hält sich der Verfasser zwar frei, aber seine begriffe von liebe
erheben sich nicht über den äusserlichsten minnedienst. Die
Übertreibungen im preis seiner dame, die endlosen liebesklagen
lassen den mangel wahrer empfindung nur um so stärker her-
vortreten. Das dichten ist für ihn in der tat eine kunst in
der mhd. bedeutung des Wortes, eine technische fertigkeit.2)
Bei allen auf gefühlserregung berechneten effecten kein gemüt,
') Vielleicht hat die in vielen bearbeituugen der Alexandersage vor-
kommende Schilderung des tempels des Jupiter und der Juno in Aegypten
mit den Htatuen dieser beiden gottheiten das Vorbild geliefert für die dar-
stellung der saule in der Minneburg (oben h. 304) mit den bildnissen eines
mannes und einer frau.
-) Vgl. hierzu besonders Roethe, Reinmar s. Ist! ff.
Heitiüge asnr geschieht« der deutschen spräche. XXII. 21
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322 EHRISMANN
in den gesuchten ideenverbindungen keine klare anschaulich-
keit, plattheit neben unwahrer Sentimentalität. So ist die
Minneburg ein ausgeprägtes beispiel für eine kunstverirrung
der abblühenden mhd. dichtung, welcher das wesen der
poesie in der Übertreibung und masslosigkeit stilistischer
formen liegt.
Für die Stilistik der nachblütezeit der mhd. literatur ist
die beobachtung der mit dem terminus technicus 4 geblümte
rede' bezeichneten stilgattung von einschneidender bedeutung.
Ein nicht unbeträchtlicher teil der denkmäler ist darin ab-
gefasst. Es ist eine mit bestimmten hier aus der Minneburg
erwiesenen kunstmitteln und meist unter bestimmten beding-
ungen von den dichtem angewante technik. Wol zu bemerken
ist: die schwülstige darstellung ist, mit wenigen ausnahmen,
nicht die durchgehende, einem autor unter allen umständen
eigene, individuelle ästhetische ausdrucksform, sie ist nicht
'der stil des dichters', sondern ist ihm nur ein stilistisches
mittel, um gewisse stellen seines Werkes sinnfällig auszu-
schmücken, besondere den eingang, seltener auch den schluss,
oder um, ganz durchgeführt, gedichten meist kleineren umfangs,
besonders lobpreisungen, einen — vermeintlich — höheren
schwung zu verleihen. Beide stilarten, die ungeschminkte
darstellung und das phrasentum der geblümten rede, gehen
oft in ein und demselben gediente nebeneinander her, wie ge-
rade in der Minneburg. Darum ist Gervinus' urteil über den
stil der Minneburg insofern nicht erschöpfend, als der Vorwurf
des lK>mbastes vorzüglich nur die lyrischen einschaltungen,
nicht das ganze gedieht trifft. Häutig sprechen es die dichter,
wie der der Minneburg, selbst aus, dass sie in 'geblümten
Worten' reden wollen oder bedauern ihre Unfähigkeit, dieses
nicht genügend tun zu können.
So besonders Suchenwirt, und dessen erläuterungen sind
für den gegensatz der beiden stilarten belehrend. Z. b. gibt
er zum ged. IV in v. 557— 559 die stilistische bemerkung: die
red han ich gedichtet, mit tvorten siecht berichtet, als sich die
rais ergangen hat, und in der tat ist das gedieht ohne über-
triebene redensarten im tone eines historischen berichtes ab-
gefasst. Ebenso XL, 5 f.: daz ich mit sprächen sie cht er wort
treltteicher lauf}' hetieht ein ort: das gedieht ist in schlichter
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DAS MllD. GEDICHT VOK DKR MfNNKBtTRO. JF23
-
form gehalten. Desgleichen ist das gedieht XIV 'ungeblümt '
gelassen in Übereinstimmung mit v. 5 f .
pluemt ich nn end und anevank,
so wttrd di red ein tail ze lank.
Von diesen Sprüchen unterscheiden sich die, in denen der
dichter auf seine anwendung der geblümten rede bezug nimmt,
durch mehr oder weniger stark aufgetragenen schwulst. Es
sind dies no. I, III, VIII, XIII, XVI, XVII, XVIII, XXI, XLI,
XLVI. Sein gewöhnliches verfahren ist, dass er am eingang
in einigen phrasen seinen mangel an fähigkeit zur ausübung
der 'geblümten kunst' beklagt' (einmal am schluss XXV, 371).
(Gerade in diesen einleitenden versen sind die redeblumen am
verschwenderischesten ausgestreut, während dann der hauptteil,
die Schilderung der ruhmestaten des gepriesenen herrn, fast
immer (nicht durchweg) in einfacher darstell ungsform gehalten
ist. Der schluss ist öfter gehoben, doch weniger pompös als der
eingang. Dieses Schema hat er nun natürlich nicht^berall streng
durchgeführt, aber es besteht doch eine überwiegende neigung
es einzuhalten. In den oben angeführten versen XIV, 5 f. spricht
er dies letztere selbst aus. Die technischen ausdrücke für die
geblümte rede bei Suchenwirt sind spmehe fände, warhafte wort
gephhnet I, 5 und 19; witz und wol gewegne wort, wol bedachte
sinne mit Weisheit auz und inne geplümt u.s.w. III, 2 ff.; ge-
plüntte chunst VIII, 5; dg regnen wort XIII, 4; gepluemten wort
XVI, 9; gepluemte red XVII, 7; di spwhen fiind, reim unde wort
XVIII, 16; speher fände chram , di spehen sprich durehflorirt
XLI, 18 ff.; clitge sprach, die fremden wort XLVI, 1 ff.
Derartige bezeichnungen des manirierten stils finden sich
häufig in der literatur des ausgehenden 13., des 14. und 15. jh.'s.
So bei Suchenwirts Verehrer Hugo von Montfort: er (Suchen-
wirt) vachVz mit geblüemten Worten an II, 143 (Wackernell);
geblüemte wehe wort, mit (/florierten Worten, qar spehi wort
XXXI, 5. 13. 20; eluoge wort XXVIII, 245. XXXVI, 1. XXXVIII,
98; säessi wort XXIV, 5. 98; mit bezug auf versmass und reim-
kunst : /eluoge sibnen III, 0; kluoge rime XVIII, 110. XXIV, 100;
Stirnen rime cluog XXXI, 25; suessi wort mit rimen schon ge-
messen XXIV, 5 f. Dagegen ist wider die einfache ausdrucks-
weise geineint III, 09 ff.: du la dir nieman lichten, schrib us
dins hertzen grund siechte wort mit träwcn richten.
21*
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324
EHRISMANN
Weitere beispiele: Frauenlob (Ettmüller) Sprüche no.370?
s. 210 ff.: ich wil des sinnes lic florieren, mit röselohten Worten
schön probieren, mit redebhtomen sunder vrist hie riolvar
roizieren ein lop IL S.W. swer cz sol spie he b Iii einen. Selbst
bei diesem dichter sind verschiedene grade stilistischer form-
gebung zu bemerken : der höchste bombast in Marienieich und
in den lobsprüchen, dagegen beschränkung in den lehrhaften
gedichten.
Der minne falkner (ed. Schindler, Hadamar v. Laber)
s.207, v. 183 ff.: ist mit speehe das gedichte noch clng an allen
orten, so sey doch sein die slichte mit groben reimen und
unbesniten worten. Kluoge fünde und speehe spräche
sind mir tetcre.
Quilichinus- Alexandreis: mit versen geflorieret Beitr.
10. 335.
Lassbergs LS. 1, 105, v. 1 ff.: könd ich mit rosenlechten
sprächen wöl ge flechten vnd mit gebliimpten trot ten u.s.w.;
2, 608 v.127 spo3he rede.
Hätzlerin 2,73, v. 137: vnd plümt es mit hübschen
worten.
Keller, Fastnachtspiele s. 260, 5 f.: und hahs mit
W orten nit ver plümt und unversunnen herausz lan farn;
s. 262, 17: wann ich Jean meine wart wol plümen.
Hermann von Sachsenheim, Goldener tempel (Martin)
s. 232, v. 1: spehc wort, v. 100 f.: mitt klugen worten min
stijftung spech subtyln, v. 500 und 555: florier n (= 'mit
worten schmückend preisen'); Grasmetze, Hätzlerin 2, 72, v.162:
kluoge sprüche gespengelt.
Besonders lehrreich für die theorie der geblümten manier
ist Der meide kränz von Heinrich von Mügeln. Der
eingang ist hier ganz geschraubt , die reden der einzelnen vor
dem kaiser auftretenden künste sind es weniger, sehr stark
dagegen, und dies ist bezeichnend, die der Rhetorica. Sie
gibt zugleich ein musterbeispiel für geblümten stil. Die ganze
stelle lautet nach ('od. pal. genn. 14, mit beiziehung der Göt-
tinger hs. (g): bL9a<
dy virile kvnst rehto'ica dar ein gar meisterlich gesät
ging für den wvden keysfer] da. vil nianig plwn von golde rieh:
pla sam lasfir was ir wat. ni ich gesach des ( leides geleich.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
325
hl. 9 h.
nym ezaichü diser krancken schrift: das v'sneit (— vor sneit?) grimer den
'de« zornes flam wekt morde« gift. ein fewr,
wa czornes »wt dez keysers reist, daz g-ihet solt der geuaden (g, schult
da ist der veinde giift verweist. geuaden V) steur.'
in leides norden auch zehant wer tihten kau, der merket io,
ir freuden sumer wirt gewant. wy daz hi lauft transsumptio
oh schnld erwecket sinen czorn, der farhen; sechs und dreyszig sein
uz sent er »inner räche dorn, der worter uach der lere mein,
damit er bmches stürm verliert der sinne vir vnd czwauczitf hau.
und rechter czorn seiu fride wert. manch tichter ir nicht czwelfe kau,
wa aber schuld genaden gert, da mit er felschet meine kunst
czu wachse wirt sins czornes »wert ; n. ». w.
Vgl. auch bl. 24
dy vinle (die r/teturik) scchczig varhen seczt,
da mit si plümet vnd vereczt
waz rontes in dem tichte lag.
Sehr deutlich zeigt sich der unterschied der beiden stilarten
in seinen von W. Müller herausgegebenen fabeln und minne-
liedern; die ersteren sind rein erzähleud, also in natürlicher
spräche abgefasst, die lyrischen gedichte dagegen sehr geblümt.
Die rhetorik ist diejenige der sieben freien künste, die die
feine und zierliche, besonders aber auch die blumige spräche
lehrt (vgl. Diefenbach, Glossar 496h; Rhetor u. a. schöner
redner, lerer der schonen und hubischen red, zierer
der red u. a. [auch die minnesinger bez. meistersinger heisscn
rhetores], Rhetorica ein kunst von der zierheit der
rede, von schon reden, s. auch Nov. gloss. s. 318). Deswegen
preisen sie die dichter des 14. 15. jh.'s häutig, z. b. Regen-
bogen MSH. 3, 4(581 D0.5: wer singen wil unt vrte Kunst hie
wegen, der neni retorica die schcrn, ir bluomen wol behalt:
si bliiemt vür alle bluomen in dem hak, si blüemt vär alle
rarwe glunz, ir bluomen gent für golt, edelz gestern, die silben
Hm mit Worten glänz (oder ganz nach J. Meier, Jolande s. 75)
mit b tuender red gesliff'en uf ein stein; si bliiemet wol gc-
sanges kränz u.s. w.; ebenda no. 6: grammatica, si heldet wdrheit
unt daz reht hilft ir blüemen schön retorica. — Muscat-
blüt (Groote) s. 250, iv: ich wil die dritte spisen, die loben ouch
die wisen, si heizt rethorica, der wil ich mich gerüemen, alle
wort kan si wol blüemen und heizt der künste krön, si kan
326
EH KI SM ANN
wislichen (lichten, manch schaues tcort üzrickten ll. s. w. —
Kolmarer liederhandsehrift (Bartsch) s. 03: retkorica.
au ff' specken Spruch wort rund rat florieren; s. 320, 25 ff.:
retkor i cd ich loben teil: yesanyes spil du rchblüemet sie;
8. 424, 27: retkorica mit Worten wis. Vilitler v. 10128 f.:
so chan ich nicht retkorica, die hübsche red pricht enzwai.
— Keller, Fastnachtspiele s. 740, 18 ff.: Tullius lert reto-
rica, k üb schlich reden nein und ja und mit geblümten
warten dietiren und sack von sack speeificiren. — Ritter-
spiegel von J.Rothe (Bartsch, Md. gediente) v. 2645 ff.: di
forte das her gesmuchte rede hobiseklichin hm uz gerichte
und manchirlei yerime darmede und sekone materien yeticktc.
— Pf äff von Kalenberg (Bobertag, Narrenblich) s. 7. v. 7 ff.:
das ick nit kab au ff' disse fort suptile und ycplümptc wart ,
cUsJS die retkorica hat in ir.
Die lehre vom stil gehörte im Unterricht swesen des mittel-
alters in das gebiet der rhetorik und war somit ein gegenständ
der schulen und Universitäten. Die maniriertheit des stils war
für das ästhetische gefühl der epigonen der ideale ausdruck
der poesie. Diese konnte gelernt werden, und somit die kniist
selbst. So trifft die diehtkunst zusammen mit dem kanzleistil,
in den schon seit anfang des 15. jh.'s die florierte rede ein-
geführt war, vgl. Zs. fda. 37, 1 1 1; Muscatblüt s. 251, iv 55 ron
der rketorica: in mancher kantzeleyen wont si den fursten by,
und mit dem briefstil. Diese hatten ihre lehrbücher in den
zuerst lateinischen, dann seit ende des 15. jh.'s auch deutsch
abgefassten formelbüchern und rhetoriken, die als technische
ausdrücke für die ausschmiiekung ebenfalls die wolyezirt ye-
plömte red, gezierte yeblümbte synoninui, auch kostlicJi Co-
lons der retkorica gebrauchen, vgl. besonders Edw. Schröder,
.Jacob Sehöpper von Dortmund s. 28. Szamatölski, QF. 07, 10 ff.
.Joachimsohn, Aus der Vorgeschichte des •Formulare und deutsch
rhetorica' Zs. fda. 37, 24 ff. Weinkauff und Crecelius, Alemannia
0. 08. 200. Daran schliessen sich die complimentierbiieher, deren
Hottmann v. Fallersleben ein beispiel im Weimar, jahrb. 1,322
—327 herausgegeben hat. vom jähr 1054, wo am schluss ein
'Extract der verblühmten Reden und Sprüeh -Wörter
zusammengetragen' ist, vgl. auch Denecke, Beiträge zur ent-
wicklungsgeschichte des gesellschaftlichen anstandsgefühls
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DAS MHP. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
327
(progr. v. heil. Kreuz in Dresden 1801) s. xxv ff. Die redeblumeu
waren für die letzgenannten zwecke natürlich wider anderer
art als in der dicht ung, zumeist Synonyma, — Weitere bei-
spiele für bliicmen, rerblücmen in dem speciellen hier behan-
delten sinne, besonders aus dem 16. 17. jh., s. DWb. 2, 160 und
12, 146. Heyne, DWb. 1. 450 f. und 041 (floskel). Im DWb. 12,146
wird der ausdruck redeblumen direct an Cicero und (juinc-
tilian (flores verborum u.dgl.) angeknüpft, es ist aber für das
mhd. bliicmen u.s.w. Vermittlung des mlat. und roman. wahr-
scheinlicher, vgl. Du Oange unter florcre, flos, floscnlus u. a.
Im mhd. kommt Winnen in übertragener bedeutung besonders
in der phrase mit lobe bliicmen oder (ein) top blüemvn ausser-
ordentlich häutig vor, zuerst in Gotfrids Tristan v.23.
Schliesslich sei noch auf die berührung mit der schwester-
kunst musik hingewiesen. Auch diese hat unter ihren tech-
nischen ausdrücken die flores, auch colorcj, coloratur, Wimen,
coloricren, bliimen, vgl. .Tacobsthal, Zs. fda. 20, 75 f. Plate, Die
kunstausdrücke der meist ersinger, Strassburger Studien 3, 108.
Adam Puschmann, Gründlicher bericht hg. von Jonas s. 11. 16.26.
Wagenseil, Von der Meister-Singer Holdseligen Kunst s. 531 f.
Gräters Bragur 3, 82. und die Vereinigung von dichtkunst und
tonkunst ist ausgesprochen in stellen wie der Kolmarer lieder-
handschrift 320, 25 ff.: rcthoricd gesanges spil durchblüemct
sie; 407,21 f.: rcthorica .. . diu ziert gesanc mit hohem lobe;
507, 39 f. : rcthorica, du mite er blüemet sin gesanc.
Um die historische entwicklung des geblümten stils in
der deutschen dichtkunst bis zur quelle zu verfolgen, sind
noch einige frühere belege für das vorkommen der betr. tech-
nischen ausdrücke anzuführen. So leitet Heinrich von Frei-
berg seinen Tristan ein: wä nu riclwr künstc hört, wä schiene
rede, wä bin ende wort u.s.w., v. 34 f. wol gehl Herne t und
wol geberlt ist siner (Gotfrids) blüenden vündc Irans,
v. 1302 f. yebliiemet schöne und hübeschlich was alle sine rede
gar. — Erlösung v. 85 ff. ich kan niht vil gesmieren noch die
wort genieren. Ich wil die rede furrieren an alles flörieren.
Gcblümet rede seit der gräl, u.s.w des rede ich ernest-
liehe dar mit blözen Worten unde bar; ähnlich derselbe dichter
in der Heil. Elisabeth v. 43— 45 und 54 ff. Ganz geblümt
ist der schluss des Lohengrin, darin u. a. die kunstausdrücke
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328
EHRISMANN
mit (j vflorten Worten 7567, die brief mit gramnuiticd hei
meisters kunst geblüemet 7577.') vremde spräche 7626,
als der von Eschenttach sie (diu wort) schön floriert mit richer
witze gesmelzc 7635 f. 0.8. w. Endlich beispiele aus dem jüngern
Titurel: ob ich da sunderlichen geprvfen künde mit geblv-
meten Worten 862,1; mit s'rzzer rede geblrmct sin pris da
wart bezcllet 5007, 1 (vgl. Bech, Germ. 10, 404). Und aus Kon-
rad von Würz bürg, Trojanerkrieg: v. 8 ff. (la): da von mich
wunder nemen sol, duz beide riclw und arme sint an eren worden
also blint, daz si die wisen ringe wegent, die wol gebluomter
rede pflegent; Goldene schmiede v. 60 ff.: er muoz der kiinste
meijen ris tragen in der brüste sin, swer diner wirde schapclin
sol bläemen unde flehten, daz er mit rwsclehten sprächen ez
floriere und allenthalben ziere mit Violinen Worten, so
daz er an den orten vor allem falsche ez littter und wilder
rime kriuter dar under und dar zwischen eil schöne künne
mischen in der siiezen rede bluot u.s.w. Vnd hiermit sind wir
bei den unmittelbaren quellen angelangt. Diese sind der j.
Titurel und Konrad von Würzburg, besonders dessen Goldene
schmiede. Den letzteren preisen als ihren unerreichten meist er
Heinrich von Mügeln (Zingerle, Wiener SB. 37,340. Sehroer,
ebda. 55,457): von Wirzburg Könrad baz pofiret hat diu löses
glas, der blander sprach ein bilder was, ein former und ein
houbetsmid: wann ich getichtes twerc von Mogelin Heinrich
solchez werc nicht mac floriem, der kunste berc ist mir zu
') An der stelle der die beiden letzten citate entnommen sind, rühmt
der dichter des Lohengrin die stilistische ktUISt des von papst Benedict (VW.)
an Heinrich II. gesanteu einladungsbriefes zur kaiserkrüuuug. Auf die stili-
stische abfassung solcher, wie überhaupt der verschiedensten arten briefe
wurde unter umständen eine besondere Sorgfalt in der wähl des ansdnicks
verwendet, und es gab dafür bestimmte muster, die in den briefsteilem und
formelbüchera gesammelt waren. So enthält z. b. der zu ähnlicher zeit
wie der Lohengrin abgefasste Baumgartenberger forraularius einige bei-
spiele für päpstliche, auf die kaiserkronuug bezug nehmende briefe, vgl.
Bockinger in den Quellen und erörterungen zur bayr. und deutschen ge-
schichte 9, Soii. Dieser gebrauch mag der grund sein, weshalb der Verfasser
des Lohengrin das betr. schreiben des papstes in solcher redekunst abgefa-sst
sein lässt. Es ist darum zweifelhaft, ob gerade für diese stelle, wie J.
Meier. Beitr. 1 404 annimmt, eine besondere uns unbekannte quelle vor-
liegt, wenn auch diese möglichkeit nicht zu bestreiten ist.
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DAS MIID. GEDICHT VON DE Ii MINNEBURO.
320
hoch, ich sture bit; S wehen wir t XLI, 8 ff.: als cor mit maistcr-
scheffle ton Wirtzpärch maister Chunrat dich wirdikleich ge-
preiset hat, Maria müter unde mait er sojs in speher
fände chram, bestrewt mit plumen unde kh . . . und tycht
aus seines hertzen grünt (Ii spehen sprach, durchflorirt;
Hermann von Sachsenheim im Goldnen tempel (Martin)
v. 554 f.: ron Wärtzburg meister Conraut kund es florieren
bas; vgl. auch W. Grimm, Goldene schmiede s. xix ff.
Die geblümte manier ist eine seit den letzten jahrzehnten
des 13. jh/s allgemein beliebte stilgattung, nicht nur die nach-
ahmer Wolframs wie die dichter des j. Titurel und des Lohen-
grin sind ihr verfallen oder rühmen sie wenigstens, sondern
auch die Verehrer Gotfrieds wie Konrad von Würzburg. Schon
Rudolf von Ems beklagt um die mitte des jh/s in der litera-
rischen stelle seines Alexander das überhandnehmen der effect-
haschcrei bei der Wortwahl: allin unser arbeit ist nu an wildiu
wort gedigen, diu cor utis wären ie verswigen und selten ie
me rrrnomen, an diu wollen wir nu kamen. Die poetische
begabung schwindet eben in dieser zeit, und das ideal der kunst
wird in trivialen äusserlichkeiten der form gesucht. Bei weitem
nicht alle dichter haben diese mode mitgemacht. So unter-
scheiden sich, um nur ein beispiel zu nennen, des Teichners
gedichte von denen seines landsmanns Suchenwirt formal
nicht nur durch den metrischen bau der verse, sondern wesent-
lich auch durch den klaren, einfachen stil. In der volkstüm-
lichen dichtung ist sie überhaupt nie heimisch geworden.
Egen von Bamberg.
Als sein unerreichtes Vorbild in der erfindung der kluogen
rede, der wehen spräche nennt der dichter der Minneburg an
vier stellen den meister Egen von Bamberg:
v. 451 ff. Ich könnte nicht halb das erzählen, was mir der
weise meister Xeptanaus sagte:
ez müest iueh sagen MeisterE^en
von Babenberc der wise mau,
von flem ich vil yehoeret hau
wie er «1er kunst ein meister si
und wie der künste eiu blüendez zwi
durchsaßet hab im sinin lider.
v. «8s.
ez (dasbüchktn) ist ouch niht gefriet
mit weher sprüche Biegen,
ez hete sicher Meister Egen
von Babenberc getihtet baz.
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330
EHRISMANN
v. 270«.
wann er die klnogen rede neme
erfiier ez danne Meister Epen, die er mit Worten kan beschreme.
Von meister Egen sind zwei gediente im Cgm. 714 fol. 161 *>
—170» (vgl. Keller, Fastnachtspiele 1377 f.) in schlechter Über-
lieferung erhalten, in der hs. überschrieben Dy klag der mynn,
in 108 reimpaaren, und das herz, in 00 reimpaaren, beides
minnereden; in beiden nennt sich der Verfasser, am schluss
der ersten also redet meister Egen de amore, an dem der
zweiten die red hat meister Egen gemacht. Sie sind durchaus
in dem schwülstigen stil der geblümten rede abgefasst. Die
künstelei in den metaphern und seltsamen Wörtern ist hier noch
stärker als in der Minneburg, und der dichter derselben hat
recht, wenn er dem meister Egen in dieser beziehung seine
bewunderung zollt. Es ist ihm in der tat nicht gelungen, ihn
zu erreichen. Es ist kaum möglich, aus diesem wust von
phrasen einen vernünftigen sinn herauszulesen.
Der stoff des ersten der beiden gedieh te, De amore, gleicht
ganz den lobpreisungen der geliebten in den reden der Minne-
burg. Das andere gedieht, Das herz, eine Zwiesprache des
Verfassers mit seinem herzen über dessen liebespein, ist nach-
geahmt in v. 501 3 ff. der Minneburg. — Auch in einzelheiten
ist der einfluss des meister Egen auf die Minneburg zu er-
kennen in entlehnungen von reimen und einigen floskeln. So
sind dem erstgenannten gedieht Egens entnommen die reime
iiseln : beknüseln Mbg. 2371, kützelt : verhutzelt 2315, lcrisem :
hisem 1337 und 3589, krabelt : zahelt 2307; nachgebildet sind
Mbg. 2387 honig : diptonig, vgl. Egen I, 3 honig : personig,
Mbg. 087 gezwiet : gefriet, vgl. Egen I, 5 gedriet : gefriet; ferner
die ausdrücke Mbg. 1628 terrlich atzein, vgl. Egen 1, 47 tarlicJi
achzeln, Mbg. 4005 der zungen hamer - Egen 1, 140, Mbg. 3526
darificieren = Egen I, 13 u. a. Im zweiten gedieht Egens
stimmen zu der Minneburg der reim Mbg. 3201 prasteln : hra-
steln = Egen II, 17, die Umschreibungen Mbg. 1405 triackers
trost Egen II, 40, Mbg. 122 der steme tron Egen II, 118,
daz ich daz büechlin tihte.
ich weiz in in der pflihte
und in den triuwen die er hat,
daz er mir gehe dar zuo rät . .
mich wundert zwar etwenne,
ich weiz für war, daz Meister Epen
ist an witzen so durchvirot (= alt
daz er die kunst hat gar durchkirnt
der vor Quoten meister hie.
v. 542*1.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG. 381
Mbg. 2431 fiur von Ayrimontin Egen II. 124 (aus dem j.
Titurel str. 6064); die ganze stelle Mbg. 2411— 2472 ist eine
erweiterte nachahmung von Egen II, 123-133. Auch stilistische
kuustmittel sind in derselben weise gebraucht wie von Egen.
lTeber die person Egens ist nichts bekannt. Wilken, Gesch.
der Heidelberger bfichersammlungen s. 459. 481 hielt ihn, in
falscher auffassung der oben angegebenen citatc, für den Ver-
fasser der Minneburg, welcher fehler auch in Goedekes Grund -
riss übergegangen ist (V, 207, zurückgewiesen von Strauch, Anz.
fda. 11,252) und auch sonst widerholt wurde (z.b. von Stejskal.
Zs. fda. 22, 282. Richter, Kloster der minne [s. oben s. 302] s. 8.
.los. Haupt im Gesammtkatalog der hss. der Wiener hofbibl. 2, 168
[s. oben s.275]. H. Holland, Gesch. der altd. dichtkunst in Kayern
8.304). Im übrigen hat die behauptung Wilkcns keinen anklang
gefunden. Ausser letzterem und Goedeke haben über Egen
noch besonders gehandelt Docen, Altd. mus. 1,153. v. d. Hagen,
Grundriss s. 412. 442. Gervinus 2\ 443. Wackernagel. Lit.-gesch.
\\ 373. 406. Bartsch, ADB. 2.36 und Heidelberger hss. no. 208.
Zum versmass der gedichte Egens s. oben s. 285. In den
reimen finden sich noch mehr mundartliche und andere frei-
heiten als in der Minneburg, ausser e : a>, a> : 6 und inf. ohne -n
(gern[e\ : lern\en\, harnt : irbartn\en\\ auch du : ei (fröude : heide :
leide), ü : w (übel : triubel), 6 aus ä : tw (hon han : tön —
titon) u.a. Die Willkür in den reimen erlaubt kaum einen sichern
schluss auf die heimat des Verfassers, doch kann er wol in Ost-
franken bez. Bamberg zu hause gewesen sein, vgl. besonders
die Infinitive ohne Der dialekt der hs. ist bairisch.
Nur von den gedichten des meisters Egen konnte unmittel-
bare einwirkung auf die Minneburg festgestellt werden. Da
die hauptmasse der formein und bilder gemeingut der verwanten
literatur war, so ist gegenseitige entlehnung im einzelnen schwer
mit bestimmtheit zu constatieren. Eine sichere nachahmung
wichtiger bestandteile der Minneburg ist nachzuweisen. Es
sind dies die verse 480 — 537 bei dem nachahmer Hermanns
von Sachsenheim. Die entstehung und das wesen der minne
sind hier nach der Minneburg geschildert. Dass diese Vorbild
war, dafür spricht auch der name des Schlosses Frödenburg,
v. 880 und 1303 beim nachahmer. Die Minneburg konnte ihm
leicht bekannt sein, da sie ja gerade in Schwaben Verbreitung
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332
EH RI SM ANN
gefunden hatte (schwäbische gruppe x). In seinem stil zeigt
sich keine beeinflussung durcli unser gedieht.
Eine gewisse, freilich nur oberflächliche ähnlichkeit mit
der naturschilderung im eingang der Minneburg zeigen die
verse 35 — 77 von Otto Haldemanns Rede von dem laufe
des römischen reichs (hg. von J. M. Peter, Allegorisches
gedieht auf den verfall des hl. römischen reichs, programm
von Münnerstadt 1841/42, vgl. auch Zs. fda. 3, 441 f. Archiv f.
Unterfranken 11, 32. MSH. 4, 882). Der Verfasser war aus Karl-
stadt am Main und plebanus zu Ostheim bei A schaff enburg
(s. Archiv f. Unterfranken a. a. o.), also ein landsmann des Minne-
burgdichters. Kr vertritt in seinem gedieh te, einer 1341 ge-
fertigten Übersetzung des Dictamen de modemis cunHbus von
Leopold von Bebenburg, dieselbe kunstrichtung wie jener
in seinen Reden, denn sein stil ist in hohem grade geblümt.
Es liegt darum nahe, zwischen beiden gedichten eine gewisse
beziehung anzunehmen. Die einwirkung müsste wol von der
Minneburg als dem monumentaleren werk ausgegangen sein
und nicht von dem kürzeren und wenig beachteten Spruche
des pfarrers. Wenn diese blosse, auf keine sicheren gründe
gestützte Vermutung das richtige treffen sollte, dann wäre als
späteste grenze für die abfassung der Minneburg etwa das
jähr 1340 anzusetzen. Jedenfalls sind die verse Baldemanns
ein weiteres beispiel für die beliebtheit der geblümten rede
in Ostfranken.
Zum schluss ist noch der stil der bearbeitung B und
der prosa zu berühren. Der Verfasser von B kommt dem
dichter des Originals gleich an phrasenschwulst, steht aber in
der beherschung der spräche noch hinter ihm zurück. Er ist
entschieden ungebildeter. Er hat überhaupt keinen rechten
begriff von satzbau, weshalb oft schwer zu erraten ist, was
er eigentlich sagen will. Die bearbeitung ist also wie in der
reimkunst, so auch in der behandlung der stilistischen form
roher als das ursprüngliche gedieht. — Die prosa schliefst
sich sprachlich eng an ihre vorlagen an und nimmt viele
einzelheiten unmittelbar aus ihnen herüber, doch sind die reime
kaum mehr bemerkbar. Da sie die lyrischen stellen, die
'underbinde' und minuereden, auch die bezugnehmungen auf
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG.
3*3
meist er Egen, weglässt, überhaupt die gedrechselten phrasen
und auffallenden Wörter möglichst meidet, so ist damit die
geblümte rede ganz geschwunden. Auch der satzbau ist ein-
fach. Somit ist die form, wenn auch unbeholfen und zu wenig
frei aus dem originale herausgearbeitet, doch eine ungeschminkte,
einer prosaabhandlung angemessene. Der stil erinnert mehr-
fach an nicht allzu überschwängliche mystische tractate oder
an die schulprosa des Lucidarius, vorübergehend auch an die
predigt (vgl. oben s. 313).
V.
Der dichter.
Aus der beobachtung der reime hat sich als heimat des
dichtere Ostfranken, als zeit der abfassung seines Werkes die
erste hälfte, genauer vielleicht das zweite viertel des 14. jh.'s
ergeben. Nach Ostfranken gehören auch die beiden einzigen
ihm gleichzeitigen persönlichkeiten, die er in seinem gedichte
nennt, nämlich meister Egen von Hamberg und der mal er
Arnold von Würzburg. Letzterem sind folgende verse ge-
widmet:
v. 44WS. brisilgen varb koiifen kein,
ich wolt nzer mäzen gern er nein mir sin pensei rein
daz ineister Arnolt der nialer und habt in an ir roten mnnt:
von Wirzbnrc in ir (<l. i. der geliehten) zehant und an derselben stnnt
knntscbaft wer! so vil der roete dar in sohüzze
an guot müest ez in helfen ser, daz ein ganzez jar dann flnzze
wen er bedürft niemer mer Paris varb gennoe dar uz.
Diese stelle ist interessant für die geschiente der maierei
als eines der frühesten Zeugnisse für die Würzburger maler-
schule. Man hat angenommen (s. Janitschek, Gesch. d. d. maierei
s. 218), dieser maier Arnold sei der gleiche wie der 'maier
von Würzburg' in Rosenplüts gleichnamigem sprach (Keller,
Fastnachtspiele s. 1180 ff.). Aber dieser schwank beruht auf
einem internationalen thema, in einer früheren fassung (Keller.
Erzählungen s. 173 ff. Bartsch, Germ. 18, 41 ff.) ist der Schau-
platz gar nicht Würzburg, sondern eine Stadt am Rhein. Ausser-
dem gibt es noch eine im Stoff ganz abweichende erzählung,
die ebenfalls 'Der maier von Würzburg' betitelt ist (Keller.
Erzählungen s. 251 ff). Ueber Rosenplüts schwank und die
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334
EHRISMANN
hierher gehörige literatur vgl. Michels, Studien über die ältesten
deutschen fastnachtspiele s. 163 — 169.
Die einzige anspielung auf eine bestimmte örtlichkeit ist
enthalten in den versen
195»l sie (d.i. die geliebte) kan ouch also helle loelizen
als eins nahts enbrunnen wer
der gröze walt der Sehe renzer
und vor linr geh höhen lohen.
Damit ist die Scharnitz in den oberbairischen Alpen gemeint,
im mittelalter häufig genannt, z. b. als südwestlicher grenzpunkt
des bistums Freising bei K. Roth, Beitr. 1,92 (in silua scarinza);
von Veit Arnpeckh hg. von Deutinger, Beitr. zur gesch. des
erzbistums München und Freising 3, 544 {pro restitutione cer-
torum terminorum silve Schernitz); als wilde Waldgegend,
in deren einsamkeit sich Weif, der Schwiegervater Ludwigs
des frommen, zurückzog, beim Annalista Saxo, MG. SS. 6, 764
a. 1126 (juxta silvam que Scerenzerewald dicitur), s. auch
K. Roth, Kozroh's Renner s. 19. 29. 104 und besonders die vielen
beispiele bei Förstemann 2, 1233 und Schmeller-Fr. 2, 469. —
Das oben angeführte citat gehört zu den vielen ausschmücken-
den hyperbeln des gedientes; das Waldgebirge konnte dem Ver-
fasser durch eigene anschauung oder auch vom hörensagen
bekannt sein: weitere Schlüsse lassen sich aus seiner erwähnung
nicht ziehen.
Ueber seine lebensumstände gibt der dichter keine aus-
kauft An einer stelle des letzten capitcls scheint er aber
auf seine person anzuspielen. Bei dem gericht der minne stellt
die treue als letzte der klägerinnen ihren diener, einen edel-
knecht, vor mit der bemerkung, dass ihn und den der diz buoch
getihiet hat ein und dieselbe mutter geboren habe (v. 4246 ff.).
Führt er sich in der tat in dieser Verkleidung selber ein, dann
ist er wol von adligem stände, ein junker, gewesen.
Was sich über sein geistiges leben aus seinem werke ent-
nehmen lässt, bezieht sich auf seine künstlerischen fähigkeiten
und auf seine bildung. Davon ist gelegentlich des stuffes und
des stils die rede gewesen.
DAS MTW. GEDICHT VON DER MINNKBURO.
^5
Sohluss.
Die Minneburg war eine der beliebtesten minneallegorien
des 14. 15. jh.'s: das beweist die anzahl der hss., welche die der
meisten verwanten gediente übertrifft: es sind, einschliesslich
der prosa und des auszugs bei der Hätzlerin, 8 hss. direct über-
liefert, andere lassen sich als Zwischenglieder aus dem hand-
schrif ten Verhältnis sowie aus Lassbergs mitt eilung erschließen;
das beweist ferner die Umarbeitung in prosa und die aufnähme
der minnerede in das liederbuch der Hätzlerin. Die erhaltenen
hss. zeigen, dass das gedieht von Ostfranken aus in Böhmen
und in der Wetterau, besonders aber in Schwaben (hier auch
die nachwirkung bei Sachsenheims nachahmer) Verbreitung
gefunden hat. — In Ostfranken ist die gattung der minne-
allegorien ausser durch die gediente des meisters Egen und
die Minneburg noch durch den Spruch von der minne im
garten, Cod. pal. germ. 358, bl. 74«— 82 •> (vgl. Karl Meyer,
Meister Altswert s. 6) vertreten. I )ass auch dieses gedieht ost-
fränkisch ist. zeigen die reime deutlich: von dialektischen
formen erscheinen nur die inf. ohne -w, diese sehr häutig.
Auch das versmass ist glatt, die spräche nicht übertrieben.
Diese allegorie steht künstlerisch in jeder beziehung höher
als die Minneburg.
Anhang I.
Die aufstellung der mundartlichen erscheinungen s. 258 ff.
und s. 288 ff. hat eine reihe charakteristischer eigenschaften
des ostfränkischen ergeben, als deren hervortretendste das
fehlen des n im infinit iv und nur in diesem zu bezeichnen
Ist. Diese hat es zwar mit dem thüringischen und meissnischen
(Heinrich von Krolewitz) gemein, es unterscheidet sich jedoch
von ihnen durch den mangel anderer diesen eigenen besonder-
heiten. Es fehlen dem ostfränkischen überhaupt die haupt-
sächlichsten md. kennzeichen, denn unter den von Paul in
seiner Mhd. gramm. §§ 90 — 109 angeführten md. merkmalen
sind nur w für j und die graphische Vertretung von ee durch
e hier heimisch. Gerade im letzteren punkt unterscheidet
sich das ostfränkische vom thüringischen und meissnischen.
indem dort v aus w und altes e auch lautlich zusammenfallen
(es reimen da z. b. ttu're : serc u. s. w.).
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336
EHRISMANN
Auf grund der oben festgestellten merkmale des ostfrän-
kischen ist die heimat verschiedener mhd. gedichte anders
oder genauer zu bestimmen als bisher geschehen. Behaghel
hat jüngst in seiner rectoratsrede 'Schriftsprache und mundart'
auf einen merkwürdigen zufall in der Ortsbestimmung mittel-
hochdeutscher denkmäler aufmerksam gemacht, wonach so viele
derselben in 'grenzgebieten' entstanden sein sollen. Gerade
Ostfranken wird oft als 'Übergangsgebiet' in anspruch ge-
nommen, wenn bairische und mitteldeutsche, oder gar bairische
und schwäbische und mitteldeutsche bestandteile in einem denk-
mal vereinigt vorzukommen scheinen. Ks läuft dabei der irrtum
unter, dass man dem ostfränkischen einen stärker ausgeprägten
nid. Charakter zuschreibt als wirklich der fall ist.
So lag nach Rosenhagen (Untersuchungen über Daniel vom
blühenden tal s. 47) die heimat des Strickers 'etwa im öst-
lichen Franken'. Mit recht bezweifelt Seemüller, dass aus den
sprachlichen eigentümlichkeiten allein diese abgrenzung sich
ergebe (Anz. fda. 19, 250). o für u in den praett, pl. si verlorn,
si erkorn, si flogen, si enlogen, si engolten ist nicht ostfränkiseh ;
umgekehrt fehlen die infinitive ohne n, die bei einem der
mundart einigen Spielraum gewährenden Verfasser nicht ge-
mangelt hätten.
Den in bruchstücken überlieferten roman von Blanschan-
din (hg. von J.Haupt, Germ. 14,68 ff.) sowie dessen hs. verweist
Rosenhagen (a. a. o. s. 44) ebenfalls nach Ostfranken. Aber im
gedichte passen dazu nicht die bindungen sere : teere 3, 27,
auch nicht in anbetracht der sonstigen genauigkeit der reime
riten : vermuten 3, 88. Die hs. vollends hat eine reihe vom ost-
fränkischen abweichender eigentümlichkeiten, so häufig d für /.
bit für mit, rittersehaf, gittern 3,98; ginhalb 3. 64 für jenem,
jenhalb, simeliehez 3, 107 für semelichez.
Als entstehungsgebiet von Herzog Ernst D nimmt Bartsch
(H. Ernst s. i.vii) die grenze zwischen Baiern und Mitteldeutsch-
land (etwa das heutige Mittelfranken) an, ebenso Ahlgrimm
(l'ntei-suchungen über die Gothaer hs. des 'H. Ernst', diss. von
Kiel 1890, s.32)'), Weinhold Ostfranken (Mhd. granun.' s. 106
') Die ausgesprochen rheinfränk. hs. zeigt nach Ahlgrimm 8. 23 'ein
niischuiigxverhältnis iimI. nml otxl. Dialektes, welches etwa auf das heutige
Alitteltrankeii hinweist, wo mil. nml olnl. Sprachgebiet znsainmenstosseii'!
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG. 337
und 135). Mitteldeutsche bestand teile sind allerdings vorhanden,
aber gerade deshalb ist die heimat des dichten nicht in den
drei bairischen Franken zu suchen. Freilich noch weniger in
Baiern, denn dafür kann der einzige in betracht kommende
reim ü : Ott in rum : zederboum, goum : rmn, goumen : rersumen
nicht massgebend sein, zumal die diphthongierung von ü : oh
gerade vor m am frühesten eingetreten zu sein scheint (s. oben
s. 272 f.).
Auch Otte's Eraclius gehört nicht nach Ostfranken, denn
das t der flexion in der 2. sg. praes. fehlt öfter und der
schwund des k ist ganz geläufig, auch neben consonanten (Gräf
s. 24 f. Herzfeld, Zu Otte's Eraclius, diss. von Heidelberg 1884,
s. 19 ff. E. Schröder, Gott, gel. anz. 1884, 565 anm.); umgekehrt
kommen infinitive ohne n nach Gräf nicht vor (oder doch nur
ganz vereinzelt?).
Holz verlegt die bearbeitung A des Rosengartens (s. xci
seiner ausgäbe) nach Ostfranken, Jänicke den Wolfdietrich
C nach bair. Mittelfranken (Berliner heldenbuch 4, s. xxvn f.).
Die reime geben für beide annahmen keine anhaltspunkte.
Der Trierer Aegidius zeigt nach Roediger 4md. Wil-
dungen', die von ihm Zs. f da. 21, 390' gesammelt sind; viele da-
von beweisen, dass das gedieht jedenfalls nicht ostfränkisch
Ist, wie Roediger ebda. s. 397 vermutet, Als heimat des
Schreibers des Trierer Silvester nimmt Kraus in seiner
ausgäbe, wo das mundartliche ausführlich behandelt ist, den
nördlichsten teil Ostfrankens an (s.43), wegen der form dit
für diz, die im benachbarten Hessen gebräuchlich ist. Es
scheint mir eher eine nördlichere gegend, also Thüringen, an-
zusetzen zu sein.
Der Stricker und Otte, der Verfasser des Blanschandin
sowie der Schreiber der hs., der dichter von Ernst D und der
des Trierer Aegidius haben ihre heimat in Rheinfranken.
Für Ott e werden daher die bestimmungen von Gräf und Herz-
feld geltung behalten. Er mag eher noch etwas südlicher als
in der Wetterau heimisch gewesen sein.
Umgekehrt sind ins ostfränkische zu verlegen:
Die erzählung Der vrouwen turnei (v. d. Hagen, GA. 1,
371—382) wegen der vielen »-losen infinitive (vgl. Grimm,
Gramm. 1 *, 849) bei abwesenheit strenger md. kennzeichen
Beitrüge *ur ge*chicht«< der deuUche» •pruche. XXII. JJj
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338
KHKISMANN
(der reim zwitraJit : werhaft v. 19 ist nicht dialektiscli, sondern
den unreinen reimen unvuogc : suone 57, armuot : not 199 zu-
zugesellen); und aus denselben gründen Des h und es not (vgL
Reissenberger s. 21; dass die 2. sg. praes. ind. im dialekt
des dichters auf -s ausgeht, ist nicht zu erweisen, da der reim
singe« : swinges 11 bloss von dem Schreiber eingeführt sein
kann). Die mundart in der Klage Adams und Evas (v. d.
Hagen, GA. 1,5—16. H. Fischer, (renn. 22, 316— 341, die reime
s. ebda. s. 333) ist auf das ostfränkische zu bescliranken.
Schliesslich noch eine bemerkung zum Mönch von Heils-
bronn. Die ungenauigkeit seiner reime erschwert eine sichere
Ortsbestimmung. Jedenfalls aber zeigen sich md. formen, vgl.
Wagner, QF. 15, 17 ff. (nachzutragen ist 2. sg. ind. praet
mehte im reim auf gehrehte und knehte im eingang und schluss
des Fronleichnam), gemäss welcher er unmöglich in bair. Mittel-
franken, wo das kloster Heilsbronn liegt, noch auch in Ost-
franken zu hause gewesen sein kann. Da nun sehr häufig
infinitive ohne n begegnen (ausserdem wird flexions-n nur nach
nasalisch endendem stamm unterdrückt in den park perl
vernomen : kom, drum : kumen, und in der 1. plur. tvir
lernen : stern, was als reimfreiheit aufzufassen ist), so nmss
die heimat des mönchs Thüringen gewesen sein. Dahin passt
auch die 3. praes. ind. set 'er sagt' im reim auf gebet
(Wagner s. 19. 21), vgl. H. Fischer, Zur gesch. des mhd. s. 29.
Er war also ein Thüringer, der in dem kloster Heilsbronn
lebte.1) Die spräche seiner Umgebung hatte einfluss auf ihn.
und aus der damit entstehenden uneinheitlichkeit mögen sich
viele der reimungenauigkeiten ergeben haben. — Auch die
von Wagner (s. 3) zum vergleich mit dem dialekt des mönchs
beigezogene Tristan-hs. aus Scheinsfeld (Kutschera, Zs. fda. 19.
70 ff.) ist zu sehr md. gefärbt, als dass sie dem ostfränkischen
entstammen könnte, und hat überdies keine apokopierten
infinitive.
Keine spuren ihrer ostfränkischen herkunft zeigen die
werke der guten zeit der mhd. dichtkunst. wie der Wigalois,
Winsbeke, oder die lieder des grafen von Hotenlouben. Erst
l) l'eber kdialektmi*ehuiig durch anfenthaltewechttl verursacht' *. Be-
brtghel. .Schriftsprache uud mundart 8. 29.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBFRO.
330
die bürgerlichen dichter wie Ruprecht von Würzburg und
Hugo von Trimberg nehmen die mundart auf, aber zunächst
mit Zurückhaltung. lTm die mitte des 14. jh.'s ist sogar ein
nachahmer der hofischen dichtung wie der Verfasser der Minne-
burg, nicht mehr im stände, sich dem einfluss der mundart
zu entziehen.
Anhang Ii.
In der hs. P schliessen sich unmittelbar an die prosaische
inhaltsangabe (s. oben s. 258) in nicht abgesetzten Zeilen drei
lyrische gedichte an, eingeleitet durch die worte md ditz tmeh
hebet sieh an mit dryn Uedem md spreehen also (bl. 84»— 8f>b):
1.
1 Die sinne wert an got ich wirdie brise,
wise, die er ftf minn «reichet hat.
ez hat sin rat
durch minne gunne uns schön nach im gebildet.
5 got uiildet sich gen Moyse durch minn hie vor mit spise.
Sin minn die wert hie her von anegenge
strenge, wau er nam au sich menschlich wat.
dar in er trat
durch menschlich kunue daz im daz was verwildet.
in gezildet hat er ane we uns zu der engel menge.
Hie got wol wert daz minne ist daz beste
wan er durch uns gar veste
an des kriuzes este
durch minne wart genegelt,
lj da mit uns wart verhegelt
der helle braune, ob siinden uns bevildet.
ez git der grise
sich uns zu spise
daz sin minne uf uns rise;
SO sin überlittzzic minnen runs gen uns ie minne gert.
1
1 Nie bezzerz wart wan daz man got dnrebsinuet.
ininnet. daz bringet ewiclichez heil,
so machet geil
5 cor hie hs. 10 gezildei — geeilt. 11 icert - 'bewährt', hs. iriti.
15 terhegeln 'umzäunen', bei Lexer nicht belegt, vgl. Schmeller-Fr. 1, 1007
cerhügen, rerhugen'. Schweizer, id. 2, 1073 f. lti bevildet = het ilt. 20 der
schwache gen. minnen ist hier wie 3 v. 12 beibehalten, denn er kann wol
dein original angehören, ebenso wurden 3 v. 18: vgl. oben s. 259.
22*
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340
KHKISMANN
«ler miliiie ginnt wo sie die herz enbrennet.
5 sie trennet sorgen baut enzwei wohin sie suoze rinnet.
Der niinne wart die machet truric herzen
scherzen und bint sie an der frönden seil,
gar sunder meil
sie sanfte tuot wo man sie reht erkennet.
10 sie bennet mort und jnmers schrei und wendet allen smerzen.
Die minn die wart ir dnrer vor nuteten,
in wirden orden treten
leret »ie ir steten
und macht sie eren giric,
15 ir fröude stet und wiric.
sie gibt dem muot der sie zu fron wen nennet,
die minn« bringet
daz den gelinget,
der muot nach ireiu willen ringet
20 ir lere snidet »am ein grat, sie hat ie mezzers art.
:i.
1 Sit minne leit so genzlich kau behftren.
trnren, für war daz wil ich varen lan,
wan ich mir hau
mit liebes bant ein liep in mich gestricket,
5 daz zwicket mir min sendez herz daz ich bi ir innoz trnren.
Min herz ie leit groz liei» uf sie gehiurc
tiure. daz ich der lieb niht abe gan.
gar »linder wan
ich nie derkant kein wip so schön geschicket.
10 sie blicket sam eiu valkenterz ftz heizer güete tiure.
Strit ich ie leit von mins gedanken witzen.
daz ich der minuen kritzeu
ir nie torst ergitzen,
die mich gar hat bekreizt
15 und bi mir ist erbeizt.
daz ich empfant min herz alsö zerbicket.
wer kan diu"chloben
ir wirden kloben
und onch ir lop daz unbestoben.
20 und kan durchwird daz süeze wip des lip wit sunne treit.
4 starker plnr. herzie), des versmawses wegen. 10 bennet] hs. wendet.
11 die minne bewahrt die ihr dauerhaft anhängenden vor Untaten.'
15 iririe 'dauerhaft', bei Lexer nur zweimal belegt. 12 kriUen, U be-
kreuzen, 10 terbicken, 17 durvhloben sind nur selten belegt. 13 ertjitzenf
19 unbestoben, 20 durchtrirtten bei Lexer gar nicht.
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DA8 MHD. GEDTCHT VON DER MINNEBÜRO. 341
Dass diese lieder in der tat von dem dichter der Minne-
burg verfasst sind, das beweist schon das sonst unbelegte
ergitzen in 3. 13, das auch in der Minneburg vorkommt und
zwar dreimal, v. 1174 und 4933 im reim auf witzen, v. 4103 auf
geritten; es ist — er-gichezen und bedeutet 'stammeln, stot-
tern', vgl. Schmeller-Fr. 1, 884 gigken, gigkezen. Ebenso ist den
Hedem und der Minneburg gemeinsam die phrase der minnen
kritzen lied 3,12 = Mbg. 3302 f. die dö der minnen kritzen
kerten wo sie wolten hin. Auch der schwülstige stil in den
liedern trägt ganz die art des Minneburgdichters: hier eben-
falls die besonders in den reimen angebrachten, gesuchten
Wörter, die in form von subst. mit Substantiv, genitiv aus-
gedrückten metaphern, deren mehrere in der Minneburg wider-
kehren. Die reime sind in den liedern verhältnismässig rein,
doch begegnen auch hier kürzen auf längen gebunden: 1, 2.
3.7,8 hat, rat, wät, trat, 2, 11. 12. 13 unteten, treten, steten.
Die mundart kommt zur geltung in den apokopierten infini-
tiven gunne 1, 4 und im versinnern in durchwird(c) 3, 20, wo
beide male schon die hs. richtig n weglässt. (iezilt, beeilt
werden des reimes wegen zu gezildet, bevildet 1, 10. 16 in folge
falscher auf ungenügender sprachkenntnis beruhender etymo-
logie nach dem muster von bint — bindet etc.
In den lj'rischen gedienten ist ein strenger rhythmus be-
sonders auch hinsichtlich der einsilbigkeit der Senkung regel.
Nun hersclit in diesen Strophen dieselbe freie behandlung des
schwachen e \\ie in der Minneburg. Die apokopierten formen
im reime mildet(r) 1. 5, herz(e) 3, 5 zeigen, dass es weggelassen
werden kann, takte wie dne yenge 1, 6, raren | Idn 3, 2, dass
es selbst nach mhd. kürze + nasal bez. liqu. als Senkung ver-
wendet werden darf. Darum wird z. b. die 3. sg. praes. ind.
sowol mit schwachem e gebraucht, wie machet 2, 3.6, als ohne
dasselbe, wie macht 2, 14. Die aus den freier gebauten verseil
der Minneburg erschlossene regel (s. 282) wird also durch diese
lieder bestätigt.
HEIDELBERG. GUSTAV EHRISMANX.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
In der Asmundar saga kappabana spricht der von dem
kämpfe mit Hildibrandr zurückkehrende Äsmundr zu der
königstochter vier Strophen, deren erste (Detters ausgäbe s. 99,
str. vi) lautet:
Litt varpi mik la#a poira.
at mik mannz «in-kis ofyrr kva*fti,
pas mik til kappa kum Hünmegir
atta sinnum fyr jofurs riki.
Es fragt sich, wer die z. 8 erwähnten Hünmcyir sind.
Die Hanmeyir haben Asmnndr til kappa, zum kämpfet*, ge-
wählt. Eine natürliche interpretation der zeile wird deshalb
die Hünmcyir als Äsmunds freunde auffassen, wie denn auch
die prosa erzählt, dass die Schwester der sächsischen herzöge
Äsmundr aufforderte, für die erhalt ung ihres reiches zu
kämpfen. Darauf habe Äsmundr mit den berserkern Hildi-
brands, welche die herzöge herausforderten, entweder einen
mann ihnen gegenüber zu stellen, oder ihren besitz preis zu
geben, gekämpft. Aehnlich ist die Vorstellung welche Saxo
von den dem kämpfe vorangehenden begebenheiten gibt.
Die Ht'tntneyir wählen Äsmundr zu kämpfen fyr jofurs
riki, d. h. für das reich ihres, des von Hildibrandr bedrängten
fürsten, nicht für das der feinde.
Wenn man unter den Hunmrgir Asmunds feinde verstehen
will, muss man kappt durch 'Widersacher' übersetzen. Doch
interpretiert man in diesem fall in die Strophe einen sinn
hinein, der der prosa widerspricht; denn in kjösa liegt doch
der begriff des wählens. und nicht die feinde haben Äsmundr
gewählt: sie wussten nicht einmal, dass er sich in der nähe
aufhielt.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
343
Noch grössere Schwierigkeiten bereitet uns in diesem
fall der ausdruck fyr jgfurs riki Kaum jemand wird im
ernst diese worte als eine selbständige bestimmung zu kuru
auffassen wollen und übersetzen: 'um das reich ihres fürsten
auszubreiten, wählten sie mich achtmal zum Widersacher;
Detter, der in den Hünmegir Asmunds feinde sieht, fasst den
jgfurr als Asmunds fürsten auf, so dass zu übersetzen wäre:
'sie wählten mich (das muss dann bedeuten: sie forderten mich
auf) achtmal, für das reich meines fürsten zu kämpfen'. Ab-
gesehen von der unnatürlichkeit, in dieser weise sich auszu-
drücken, ist noch zu bemerken, dass die fürsten für welche
Äsmundr ficht, weder in der saga noch bei Saxo Asmunds
fürsten sind. Äsmundr kommt als ein fremder, er leiht den
herzögen seinen beistand und reist wider ab. Dass die feinde
gesagt hätten: 'wehre das reich deines fürsten', wäre noch zu
verstehen; dass aber Äsmundr noch nach seiner rückkehr in
Dänemark die fremden herzöge 'mein fürst1 genannt habe, ist
nicht anzunehmen. Also kämpft Äsmundr für den fürsten der
Hünmegir, welche ihn dazu erwählt hatten.
Von der Voraussetzung ausgehend, die Hünmegir seien
Äsmunds feinde, emendiert nun Detter z. 2 und liest:
at menn einvigt* öfair kveridi,
d.h. in Zusammenhang mit z. 1: 'ich erwartete nicht solche
kampfregeln (vgl. die rikinyalyfj), dass mehrere leute (sc. einen)
zum Zweikampf auffordern würden'. Ferner schliesst Detter
aus dem umstände, dass Saxo den inhalt der z. 1. 2 mit der
handschriftlichen Überlieferung in Übereinstimmung, von seiner
emendation aber abweichend übersetzt, dass die verse schon
Saxo in einer sehr verderbten gestalt, derselben in der sie
die saga mitteilt, vorlagen.
Abgehen davon dass es ein wagnis ist, aus einer ziemlich
gewaltsamen conjectur so weitreichende Schlüsse zu ziehen,
abgesehen auch von dem nicht belegten Substantiv einvig an-
statt einvigi, verliert diese Interpretation der z. 2 ihre Voraus-
setzung durch die auffassung der Htmmeyir als Asmunds
freunde. Für die richtigkcit der handschriftlichen Überlieferung
sprechen ferner noch die folgenden gründe:
1. Äsmundr ist ausgezogen, um ruhmreiche taten zu voll-
bringen; bei Saxo erschlägt Haldanus, welcher dem Äsmundr
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344
BOER
der saga entspricht, schon beim beginn der reise zwölf puydes
der königstochter; es ist daher nicht wahrscheinlich, dass ein
kämpf mit mehreren berserkern ihm so gar unerwartet ge-
kommen sei.
2. Dass Saxo die stelle richtig verstanden hat, indem er
die verse auf die dem Haldanus durch die Verlobung seiner
braut zugefügte schmach bezog, beweist die antwort der (}yu-
ritha (der vEsa der saga), welche zweifelsohne wie Asmunds
worte auf alten Strophen beruht. In 16 verszeilen, welche die
Asmundar saga nicht kennt, entschuldigt Gyuritha ihre Ver-
lobung mit der mitteilung, sie sei zu dieser heirat genötigt
worden; in dem glauben. Haldanus sei vor Hildigerus gefallen,
habe sie dem fremden prinzen ihre hand zugesagt : ihre liebe
zu Haldanus sei aber dieselbe wie zuvor.
Diese verse setzen voraus, dass Haldanus auf eine gering-
schätzung angespielt hat. welche er von Seiten der Gyuritha
erfuhr in dem augenblicke wo er die Strophe sprach: die an-
spielung muss in z. 1. 2 der Strophe enthalten sein. Dem wider-
spricht nun ofyrr in z. 2. was auf eine früher erlittene schmach
zu deuten scheint, nicht, wenn man peira richtig übersetzt.
Ich fasse fieira in prägnanter bedeutung auf und übersetze
die halbstrophe auf folgende weise: 'wenig erwartete ich das-
selbe urteil (jetzt) zu vernehmen, wie damals wo mau mich
nichts wert achtete'.
Auf die frage, wann Äsmundr nichts wert geachtet wurde,
gibt die saga keine antwort. Aufschluss erhalten wir durch
Saxo. Dort heisst es s. 243, Hildigerus (der Hildibrandr der
saga), der wusste dass Haldanus sein bruder war, habe, als
dieser sich zum Zweikampf darbot, sich geweigert cum hominc
purum spvdato manum consrrturum; aus dem gründe habe er
andere athleten in den kämpf gesendet, bis Haldanus deren
so viele erschlagen hatte, dass dem Hildigerus kein vorwand,
sich dem Zweikampf zu entziehen, mehr übrig blieb.1)
') Die Strophe selbst teilt mit. dass Äsmnndr - Haldanns die «rering-
sehätzung:, auf weh-he z. 2 anspielt . damals erlitt als die Hi'mmeirir ihn
zum kämptVr wählten. Wenn das nieht der fall wäre, könnte z. 2 noch
auf zwei andere berichte Saxns bezogen werden. S. 241.28 heisst es: huius
(Drote) Borearique filius HaMtmus /m/7; ciu'uh iuuenie iniein stoliditalis
opiniow refertu f'uere, sequenn uero eins fulgattissimin opemm imignibm
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
345
Wir kehren nun zu der tatsache dass die Hünmegir
Asmunds freunde sind, zurück. Wir stossen also in der
strophe auf dieselbe Vorstellung' welche Saxo von dem Schau-
platz des kämpf es gibt, wo Haldanus nach Ruscia zieht, um
den bedrängten Rutheni hilfe zu leisten. Die localisation
Hünalands in Russland in altnordischen quellen ist eine be-
kannte tatsache, auf welche ich an dieser stelle nicht ein-
gehe (Arkiv 8, 108). Die richtige auffassung der strophe wurde
bisher erschwert durch die vierte strophe, welche Äsmundr
spricht, str. ix der ausgäbe, wo Hildibrandr, Asmunds gegner,
Hünakappi genannt wird. Wenn Hildibrandr der Hünakappi
war, lag es nahe, die Hünmegir als Hildibrauds freunde auf-
zufassen. Denn dass Hünmegir und Hünir innerhalb vier
zusammengehöriger Strophen einmal appellativum, das zweite
mal name eines Volkes sein sollte, ist nicht anzunehmen.
Daraus ergibt sich aber, dass str. ix nicht demselben gedichte
wie str. vi angehören kann und demnach zu streichen ist.
Wider stützt die Überlieferung Saxos. der die Strophen in
versform getreu widergibt, und sogar, wie Gyurithas antwort
beweist, das gedieht in vollständigerer gestalt kannte als der
Verfasser der saga, das auf anderem wege gewonnene resultat.
Denn Saxos verse enthalten nichts der str. ix entsprechendes:
er hat sie augenscheinlich nicht gekannt.
Damit verschwindet nun der name und die gestalt Hildi-
illiistris etutsit tmuimtsquc uitc ornainentis inclanit't. Also war Haldanus,
wie ho mancher hehl, in seiner juxend untüchtig. S. 242 f. wirft (»yu«
ritha dem mn sie werbenden Haldanus zunächst seine unedle ahkunft vor:
nee ffenerix obscuritatem e.rprobrasse contenta eciam am deform itaiem
hnproperat. Von dieser Unterredung weiss die saga. welche sie durch ein
andere« raotiv ersetzt, nichts: doch stimmt sie mit den übrigen berichten
von der geringschätzung welche Haldanus in seiner Jugend ertragen
musste, nur zu gut. Man wäre sogar geneigt, auf diese erzähluug z. 2 zu
beziehen, wenn nicht z. 3. 4 zu beweisen schienen, dass von Hildigerus'
Weigerung, mit Haldanus zu kämpfen, die rede ist. Wenn pa er in der
bedentung siJ)an aufzufassen erlaubt wäre, so dürfte die strophe eine an-
spielung auf Haldanus" frühere Unterredung mit (ivuritha enthalten, und
es wäre zu ühersetzen: 'seitdem die Hunnen mich achtmal zum kämpfer
gewählt haben, um für das reich ihres fürsten zu kämpfen, hätte ich nicht
erwartet da.sselhe urteil noch einmal zu vernehmeu wie damals, wo man
(d.h. du) mich ensh's ntnntic achtete. Poch wäre in dem fall z. 2 wol
kretdir zu lesen.
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346
BOER
brands aus dem Gedichte und entstellt die Vermutung:, dass
wir es nicht mit einer durch einfluss heimischer sagen um-
geformten Hildebrandssage, sondern mit einer dänischen sage
zu tun haben, welche züge aus der Hildebrandssage in sich
aufgenommen hat. Wie aber kam die gestalt Hildibrands
in die sage hinein? Saxo kennt sie noch nicht: bei ihm heisst
der gegner des Haldanus Hildigcrus. Doch findet sich bei
ihm schon ein ansatz zu der contamination mit der sage von
Hildebrand. Es sind die Zeilen s. 244, 34 — 38, welche str. Iii,
4 — 6, s. 99 der saga entsprechen und in demselben Zusammen-
hang wie hier mitgeteilt werden.1)
Dass str. in ursprünglich nicht ausgesehen haben kann
wie sie überliefert ist, bemerkt schon Detter (einleitung s. Llll);
er glaubt dass nach m, 3 etwa zwei zeilen verloren sind, ans
denen, falls sie überliefert wären, hervorgehen würde, dass in
dem alten gedieht« der tod von Hildibrands söhn nicht als
auf dem schilde gemalt vorgestellt, sondern in anderem Zu-
sammenhang mitgeteilt wurde.
Ich verstehe nicht, wie das möglich ist. Wenn die Äs-
mundar saga eine Hildebrandssage erzählt, welche unter dem
eiiiHusse dänischer sagen dergestalt umgebildet wurde dass
ein kindesmord durch einen brudermord ersetzt wurde, weil
die Vorstellung von einem brudermorde den Dänen vertrauter
war. und dass Hildebrand aus gründen welche die erzählung
forderte, statt des moniers zum gemordeten bruder wurde, so
kann ein dichter, für den diese Umformung ein fait arcompli
war. der Hildibrandr von seinem bruder getötet werden liess,
doch nicht zu gleicher zeit erzählt haben, Hildibrandr habe
seinen eigenen söhn getötet. Der Stellvertreter des sohnes
wäre eben Äsmundr. der noch lebt, und von dem Hildibrandr
selbst getötet wird. Hier kann doch von einer im laufe der zeit
umgebildeten sage, welche an frühere überlieferungsfonnen ein-
') Die atrophe lautet :
Stendr [raerj at hoffte Iii il" en hrotua.
» n» |>ar taloer titfir (/. ti^ar) ens ätta
manna Jvira. er at moroe varftk.
1'iWfr | | fnn svase sonr at hoffte,
«■ptreriingi es eiira sratk.
oviljande aldrs synjaöak.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
347
zelne reminiscenzen bewahrt hat. nicht die rede sein; zwei
ganz verschiedene, einander widersprechende formen der tra-
ditio]! würden an dieser stelle schroff und unversöhnt einander
gegenüber stehen: eine inconcinnität , welche geschaffen zu
haben man einem dichter altnordischer heldenpoesie um so
weiüger zutrauen kann, als er kein moderner philologe war,
der in dem ihm vorliegenden stoffe einen alten sagenkem
völlig abweichenden inhalts witterte. Die einzige erklärung
des Widerspruchs ist die, dass str. in, 4—6 interpoliert sind.
Der bericht der prosa s. 98, 18—20, Hildibrandr habe in einem
anfall von berserkerwut seinen söhn getötet, zeugt gewis eher
gegen als für die Zeilen; die ungeschickte weise in der der-
selbe angebracht ist, beweist, dass der sagaschreiber davon
auf grund lebendiger tradition nichts zu erzählen wusste; er
schob die kurze bemerkung nur aus dem gründe ein. damit
der leser doch nicht vollständig unvorbereitet auf die überaus
auffallende str. in, 4 — 0 stossen möchte; diese verszeilen sind
die einzige quelle der stelle. Ich glaube, es ist kein zweifei
darüber möglich, dass die drei Zeilen aus einem verlorenen
Hildebrandsliede in unser gedieht geraten sind. lud zwar
schon früh. Denn auch Saxo hat. wie gesagt, die verse schon
an dieser stelle gekannt.
Es ist in den meisten fällen nicht leicht, den grnnd für
die aufnähme fremder demente in ein gedieht mit Sicherheit
anzugeben, indem manchmal kein anderer grund als das be-
streben, herrenlose fragmente unterzubringen, vorhanden war.
Doch hat an dieser stelle ohne zweifei eine durchaus zufällige
lautliche ähnlichkeit mitgewirkt ; dieselbe ist so schlagend, dass
sie sogar zur erklärung des phänomens genügen würde. —
in, 1 lautet: stendr [mir] at hgföe hilf vn brotna; III, 4 (die
erste zeile der interpolation): liggr []>ar\ tun sram sonr at
hpföe. Es lag nahe, die drei Zeilen, deren erste eine Variation
von in, 1 zu sein schien, nachdem sie aus ihrem natürlichen
Zusammenhang geraten waren, als diesem gediente und zwar
dieser strophe zugehörig aufzufassen. Auf diese weise wurden
die verse welche der alte Hildibrandr bei der leiche seines
Sohnes sprach, zu einem berichte über die bemalung eines
Schildes. Die ursprüngliche vierte zeile der str. in ist verloren.
Durch die entfernung der str. in, 4 t> gewinnen wir für die
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348
BOEK
Untersuchung der Äsmundarsaga einen anhaltspunkt. Für die
Hildebrandssage ergibt sich, dass diese im skandinavischen
norden früh bekannt und besungen war, und zwar nicht in
einer nach heimischen Vorbildern umgebildeten, sondern in
einer dem alten Hildebrandsliede nahe stehenden gestalt. Drei
Zeilen von einem gediente welches Hildebrands klage enthielt
und also dem verlorenen teil des liedes entsprach, sind durch
einen glücklichen zufall auf uns gekommen.
Die aufnähme der Zeilen in, 4— 6 in das gedieht hat nun
eine weitere beeinflussung der sage durch die von Hildebrand
veranlasst. Bei Saxo hat dieselbe noch nicht stattgefunden.
In der saga begegneten wir ihr bis jetzt in dem namen Hild-
ibrandr, der an die stelle von Saxos Hildigerus tritt. Wir
verfolgen nun diese und andere damit zusammenhängende ein-
flüsse weiter, und richten zunächst unsere aufmerksamkeit auf
die Vorgeschichte. Es ist für die Untersuchung notwendig,
dieselbe, so wie sie in beiden quellen mitgeteilt wird, kurz zu
widerholen. Die saga erzählt sie auf die folgende weise:
'König Ilelgi, Hildibrands söhn aus Hünaland, kommt zum
könige BnÖli in Schweden und heiratet mit Buftlis Zustimmung
dessen tochter Hildr; der söhn heisst Hildibrandr; dieser wird
zu seinem grossvater in Hunaland geschickt; Helgi reist i hernad
und fällt (84. 21). König Älfr in Danmark hat eine tochter
Mm en fagra; sein kämpe heisst Abi. Älfr zieht nach Schwe-
den, um des alten Budli reich zu erobern; Buöli fällt. Älfr
nimmt die königstochter gefangen und gibt sie dem Aki. Der
söhn heisst Asmundr. Ein verwanter Hildibrands ist könig
Atli ( var. Lascinus). Ihm macht Hildibrandr zwei jarlar in
Saarland zinsbar. Dann reist er nach Dänemark und tötet
könig Älfr. Äsmundr wirbt um die königstochter, besteht
eine freierprobe, gelobt den tod des königs Älfr zu rächen,
zieht nach Saxland, das von Hildibrandr und Atli (Lascinus)
bedrängt wird, kämpft für die jarlar und besiegt Hildibrands
berserker und schliesslich ihn selbst. Nach Dänemark zurück-
gekehrt, heiratet er jJCsa en fagra, und tötet einen neben-
buhler, oh er sä eitji nef'ndr (doch wurde bei der freierprobe
ein nebenbuhler Eijvindr shinnholl, wol mit diesem identisch,
genannt).'
Saxo erzählt: -in Xorweyen regiert könig Regnaldus.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
Gunnarus, fortissimus Suetonmn besiegt ihn; er kommt um.
Gunnarus raubt Regnaldus* tochter Drota aus ilirem versteck
und zeugt mit ihr, ohne sie zu heiraten, einen söhn Hildigems.
Dieser ist von roher gemütsart; er geht in den dienst des
Sehwedenkönigs Alucrm. Alf der söhn des Danenkönigs
Üigarus, hatte einen kriegsgefährten Borcarus. Mit ihm
kämpft er wider seine geliebte Aluilda, welche er besiegt
und heiratet. Ihre freund in Gro wird dem Borcarus gegeben.
Die tochter Alfs und der Aluilda ist Gyuritha; der söhn des
Borcarus und der Gro ist Haraldus Hyldetan (dieser bericht
ist ein irrtum. dem auch Saxo selbst s. 24t> widerspricht, wo
Harald Hildetand ein kleinsohn des Borcarus ist).
Zur zeit als könig Regnaldus fiel, war Sigarus' geschlecht
schon untergegangen bis auf Alfs tochter Gyuritha; Borcarus
führt das regiment. Er tötet nun Gunnarus und heiratet
Drota, welche in ihm den rächer ihres vaters liebt (man
muss annehmen, dass Gro inzwischen gestorben war. was Saxo
nicht erzählt). Der söhn des Borcarus und der Drota heisst
Haldanus. Nachdem Borcarus im kämpfe gefallen, wirbt nun
Haldanus um Gyuritha. Diese wirft ihm seine unedle abkunft
und seinen mangel an Schönheit vor; er verspricht nicht eher
zurückzukehren, als bis beide fehler durch den rühm seiner
taten aufgewogen werden. Nachdem er die pugiles der Gyuritha
getötet, zieht er zu den Huthenen, welche von könig Ahlems
bedrängt werden. Ahlems hat ausgezeichnete berserker, deren
vorzüglichster Hildigems ist. Es folgt die beschreibung des
kampfes. Haldanus kehrt darauf nach Dänemark zurück; er
tötet einen nebenbuhler namens Siuarus aus Saxland und hei-
ratet die Gyuritha.'
Wenn man diese beiden erzählungen mit einander ver-
gleicht, fällt zunächst der mangel an Übereinstimmung in den
Personennamen auf. Die königstochter welche die beiden
brüder gebiert, heisst in der saga Hildr, bei Saxo Drott; ihr
vater in der saga BuÖli, bei Saxo Kegnaldus; der könig in
dessen dienst Hildibrandr- Hildigems geht, in der saga Atli
{Lascinus fasst Detter mit recht als eine änderung auf), bei
Saxo Altterus. Diese namen geben viel zu denken. Atli und
Buöli können von Hildibranilr schwerlich getrennt werden;
wo es nun feststeht, dass dieser erst später in die saga auf-
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^50 BOER
genommen ist, entstellt der gerechte verdacht, dass anch Atli
und Buöli, welche ja stets in Verbindung mit Hildibrandr ge-
dacht wurden, an die stelle anderer dieser saga ursprünglich
zugehörigen gestalten getreten sind. Dieselbe erklärung drängt
sich auf hinsichtlich Hildr, der tochter Buftiis; man denke an
die beiden töchter Mldr des königs BuAli der Volsunga saga
und der Egils saga ok Asmundar, welche mädchen als Bryn-
hildr und Bekkhildr unterschieden werden.
Was die Hildr betrifft, so liefert die saga selbst den be-
weis der oben aufgestellten hypothese, indem die mutter der
beiden beiden in str. i Droit genannt wird (i, 3 pik Droit of
bar af [1. i'VJ Danmorko). Das beweist aber in Zusammenhang
mit dem erörterten, dass auch Atli und Buöli der sage ur-
sprünglich fremd waren.1)
Daraus folgt ferner, dass str. n, wo die beiden Schwerter,
deren geschiente am anfang der saga erzählt wird, Buölanautar
heissen, nicht von demselben dichter herrühren wie str. i, wo
die köuigstochter Drott heisst — denn Droit und Rcynaldus
gehören zusammen wie Hildr und Buöli . sondern dass sie
derselben Schicht wie str. ix angehört, welche Hildibrandr
Hünakappi nennt. Entsprechende verse fehlen, was zu erwarten
war. bei Saxo. Man ersieht daraus, dass die verse der As-
mundar saga nicht nur mit fremden dementen interpoliert,
sondern auch in späterer zeit mit neugedichteten Zusätzen ver-
sehen sind.
Ein analogieschluss der viel Wahrscheinlichkeit für sich
hat, ist dieser, dass auch die übrigen personennamen welche
in den beiden Überlieferungen nicht übereinstimmen, bei Saxo
in ursprünglicherer form als in der saga überliefert sein
werden. Es sind zunächst Astnundr - Haldanus und Hetyi-
Gunnarus. Für die grössere ursprünglichkeit Saxos in bezug
auf diese beiden namen werde ich weiter unten noch gründe
') Die aupassun$r dieser namen an einen fremden -agenstofF int die
Ursache, dass Atli, welcher iu anderen quellen stets als Budlis sonn er-
scheint, hier in einem ganz fremden lande regiert. Die sage war vor der
aufnähme dieser namen im skandinavischen norden lokalisiert: so wurde
Buöli zu einem künure iu Schweden. Weil aber Hildibrandr Hitnalappi
heisst und auch Atli als Hunnenkönitf bekannt war, wurden diese beiden
gestalten von Buöli getrennt uud nach einem anderen land verlegt.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
351
anführen. Es bleibt dann nur noch übrig Akt- Horcarus, der
wol nicht allein eine ausnähme machen wird, um so weniger
als auch der name Aki der deutschen heldensage zu entstammen
scheint (vgl. den Aki orlungatrausti der Irioreks saga).
Dass die isländische Überlieferung könig Helgi an die
stelle des unbekannten (Tiinnarus (Gunnarus ist bei Saxo kein
könig) einsetzte, erkläre ich daraus dass die geschieht e des
Gunnarus mit dem des Skjoldungen Helgi mehrere berührungs-
punkte darbot. Gunnarus raubt ein mädchen, welches später
die gemahlin eines fremden fürsten wurde. So raubt und heiratet
Helgi die Yrsa, welche später die gemahlin Aöils' von Schweden
wird. Zwischen den beiden kindern der Drött entbrennt eine
feindschaft, welche damit endet dass der eine den tod des
anderen bewirkt: es ist Gunnarus söhn, der durch des bruders
band umkommt, Helgis söhn Hrölfr kraki wird durch seine
Schwester Skuld. die tochter des AiMls, und durch ihren gatten
Hjorvarör getötet. Die Ähnlichkeit der beiden sagen war
gross genug, um eine weitere beeinflussung der einen durch
die andere zu ermöglichen. Das ist denn auch in hohem
grade geschehen: die aufnähme der gestalt Helgis in die sage
war nur der erste schritt auf diesem wege.
Eine ziemlich bedeutende Änderung, welche partielle an-
gleichung an die Helgisage verrät, ist die dass die eroberung
des landes und die tötung des königs Regnaldus durch eine
friedliche Werbung ersetzt ist. Dadurch wurde keine voll-
ständige Übereinstimmung erreicht — in gewisser hinsieht ist
die neuerung sogar als eine abweichung von der Helgisage zu
betrachten, denn Yrsa wurde geraubt — . aber doch eine grössere
ähnlichkeit, denn auch Helgi nahm nur die frau mit sich, liess
aber das land in frieden, und noch mehrere jähre später lebte
die mutter, welche in jener sage die stelle des vaters vertritt.
Dass wirklich angleichung vorliegt, zeigt sich aber hauptsäch-
lich darin dass durch die friedliche Werbung für Borcarus-Aki
jeder grund, Gunnarus-Helgi zu töten, hin wegfällt, Die saga
lässt den Helgi, während der söhn im kindesalter ist. i hernaö
ziehen und irgendwo im unbekannten lande umkommen. Ganz
analog mit Helgi Hälfdans söhn (bei Arngrimr, Saxo, Ynglinga
saga). Dadurch fällt nun dem Borcarus-Aki die rolle des
räubers zu. Er tritt als solcher auf im gefolge des königs
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BOKH
Älfr, and dem jungen Hildigerus- Hildibrandr liegt die pflicht
ob, seinen grossvater vün matters seiten zu rächen. Das niotiv
lag ziemlich nahe, und mit gewisheit Hesse sich kaum behaupten,
dass es nicht aus den gegebenen dementen der sage sich selb-
ständig entwickelt haben könnte. Doch ist, seitdem einmal
contamination mit der Helgisage eine erwiesene tatsache Ist,
die Vermutung gewis nicht grundlos, dass auch dieser zug auf
einfluss der Helgisage (freilich nicht der sage von Helgi Hälf-
dans söhn, sondern der von Helgi Hjorvarös söhn, welche mit
dieser schon früh in Verbindung gebracht wurde) zurückzuführen
sein wird.') Wie es sich aber damit verhalten möge, dass es
zu der sage von Hildigerus und Haldanus ursprünglich nicht
gehörte, zeigt die Überlieferung noch klar genug. Denn sowol
die isländische wie die lateinische quelle heben hervor, und es
ist auch die pointe der erzähl ung, dass Äsmundr- Haldanus nicht
weiss, wer Hildibrandr- Hildigerus ist: er weiss den namen,
aber das zwischen ihnen bestehende verwantschaftsverhältnis
ist ihm unbekannt. Wenn aber die tochter des königs Älfr
den Äsmundr aufgefordert hätte, an Hildibrandr ihren vater
zu rächen, so wäre es ja unerhört, dass Äsmundr nicht wissen
sollte, was jedermann wusste, aus welchem gründe Hildibrandr
den Älfr getötet hätte, und die verwantschaft der brüder wäre
ihm kein geheimnis geblieben. Es kommt hinzu, dass wenn
Äsmundr-Haldanus ausgezogen wäre, um den kämpf mit Hil-
digerus-Hildibrandr zu suchen, er kaum den langen um weg.
sei es zu den Ruthenen, sei es nach Saxland gewählt hätte,
und wenn es galt, Hildibrandr selbst zu treffen, wäre die be-
gegnung mit den übrigen berserkern ein bedeutungsloser auf-
schub der räche. Das tragische der Situation besteht darin,
dass die brüder dadurch dass sie im feindlichen lager einander
gegenüber stehen, zum kämpfe genötigt werden. Dass Hal-
V) Tin nicht« zu übersehen, bemerke ich. dass auch der sage von Helgi
Halfdans »ohne das motiv nicht ganz fremd ist, obgleich es weniger in den
Vordergrund tritt. Denn Helgi war nicht nur Yrsas gemahl. sondern auch
ihr vater. Hrölf krakis räche an Aftils Uber Helgis tod (der nach der Über-
lieferung, welche in der Hrölfs saga kraka vorliegt, von Attila getötet wurde),
konnte also als die räche Uber seinen grossvater angesehen werden. Poch
i*t die sagenfonu welche Helgi durch AÖils umkommen lässt. schon etwas
jünger (vgl. unten): auch wird AÖils von Hrolfr nicht getötet, und über-
haupt scheint mir die ähulichkeit weniger schlagend.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE
353
danus den Hildigerus nicht kennt, erklärt sich gerade daraus,
dass dieser ein zwar durch seine taten berühmter, aber doch
in gewisser hinsieht, namentlich in bezug auf seine abkunft
unbekannter soldat in dem beere eines fremden königs Ist;
dass solches nicht einschliesst, dass auch Haldanus dem Hil-
digerus unbekannt sein musste, leuchtet ein.
Also wurde vor der Verbindung mit der Helgisage könig
Älfr von Hildigerus- Hildibrandr nicht getötet; Älfr und Bor-
carus-Aki waren demnach nicht die mörder des Regnaldus-
Buöli, sondern Saxo erzählt richtig, dass Gunnarus Regnaldus
tötete und darauf selbst von Borcarus erschlagen wurde.
Nicht ohne Zusammenhang mit den besprochenen Umfor-
mungen ist ein anderer wichtiger unterschied. In der saga
ziehen Älfr und Aki zusammen aus, um wider Budli krieg zu
führen; sie rauben zusammen die Hildr, welche der könig so-
dann seinem gefährten schenkt mit der ziemlich rohen bemer-
kung: vil eh gipta per Midi BuÖladöttur, pött hon eigi dÖr
bonda. Aki meint, sie sei darum nicht schlechter. Diese
Unterredung hat die deutliche tendenz zu erklären, dass der
könig die geraubte königstochter nicht für sich selbst be-
hielt, und lenkt gerade dadurch die aufmerksamkeit auf die
unwahrscheinlichkeit. Doch ist die bemerkung, ein anderer
habe sie zuvor besessen, eine dürftige erklärung. Eine bessere
erhalten wir durch Saxo. Als Borcarus den Gunnarus tötet,
ist Alf schon früher erschlagen; er nimmt also an dem kriegs-
zug keinen teil; früher aber ist Borcarus zusammen mit Alf
auf heerfahrten gewesen und hat auch einmal mit ihm und
für ihn in einer Schlacht ein weib erkämpft. Das war die
Aluilda, welche der könig nicht seinem kriegsfährten schenkte,
sondern selbst zum weibe nahm; Borcarus aber erhielt damals
Aluildas freundin Gro. Zwei abenteuer des Borcarus sind
also in der saga zu einem geworden. Dass auch hier das
Verhältnis der beiden quellen nicht das entgegengesetzte ist,
beweisen m. e. vollständig einerseits die oben erwähnte Unter-
redung des Älfr mit dem Aki, andererseits die erzählung von
Alt und Aluilda, welche eine der schönsten geschienten der
Siklingensage ist und sowol wegen ihres umfanges als wegen
ihres poetischen wertes und ihrer ähnlichkeit mit anderen
erzählungen desselben Sagenkreises unmöglich als ein durch
Beiträge sur gmehichte der deuUchen spräche. XXII. 23
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I
354 BOER
Spaltung entstandener zweig der in der Äsmundar saga mit-
geteilten erzählung von Alfr, Aki und Hildr aufgefasst werden
kann. Also verdient auch hier Saxos darstellung vor der der
saga den voi*zug.
Wenn aber Älfr bei der entführung der Drött nicht zu-
gegen war, so ist das ein weiterer beweis, dass auch Alfr den
Regnaldus-Buoli nicht erschlagen hat, und dass Hildigerus-
Hildibrandr keinen grossvater zu rächen hatte.
Die saga berichtet von einer freierprobe, welche Äsmundr
zu bestehen hat. Nachdem er den nebenbuhler besiegt hat,
stellt /Esa, ehe sie sein weib zu werden zustimmt, noch die
bedingung, dass er ihres vaters tod räche. Dieses motiv ist,
wie oben nachgewiesen wurde, an die stelle eines anderen ge-
treten, wo Haldanus auszieht, um so viel rühm zu erwerben,
dass die königstochter dadurch ihn als ihren ebenbürtigen freier
anzuerkennen genötigt werde. Mit dieser sagenform verträgt
sich das motiv der freierprobe, wenigstens so wie die sage es
erzählt, nicht. Denn wenn Haldanus die probe schon bestan-
den hätte, brauchte er nicht auszuziehen um rühm zu erwerben.
Das motiv wurzelt in dem berichte am Schlüsse der beiden
erzählungen von einem nebenbuhler, den der vom kämpfe mit
Hildigerus heimkehrende Haldanus am hofe der königstochter
trifft. Saxo erzählt davon ausführlich; die saga hat nur den
unverständlichen satz: en (Äsmundr) drap Jmnn er hennar
haf&i beöit, ok er sd eiyi nefndr. Derjenige der früher um die
königstochter geworben hat, kann nur der freier sein, von dem
vor Asmunds reise die rede war; das war aber kein grund
ihn zu töten; die saga weist somit auf eine quelle, in der
dieser nebenbuhler, wie bei Saxo, Asmunds abwesenheit be-
nutzt hatte, um einen versuch zu wagen sich der königstochter
zu bemächtigen. Dass dieser freier sie schon früher gebeten
hatte, kann ein alter zug sein; ich vermute dass in einer form
der sage welche den kämpf mit Hildibrandr noch nicht als
einen racheact vorstellte, gerade dieser kämpf die probe war,
durch welche Äsmundr sich als seinem nebenbuhler überlegen
erwies.1) Nachdem das rachemotiv an dieser stelle aufgenommen
') Die einzige abweichnng dieser von mir vorausgesetzten der isl.
Uberlieferung zu gründe liegenden sagenform von der erzählung Saxos
wäre, dass hier der nebenbuhler sich schon vor Asmunds abreise gemeldet
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
355
war, wurde eine neue freierprobe eingeschoben; das Verständnis
der Überlieferung wurde dadurch bis zu dem grade getrübt,
dass der Verfasser der Äsmundar saga sogar von zwei neben -
buhlern Äsmunds spricht und es beklagt, dass der zweite in
der quelle nicht genannt ist.
Der anfang der Asmundar saga enthält eine erzählung
von zwei fremden schmieden, welche dem könig Buöli das
verhängnisvolle schwert schmieden, mit dem Hildibrandr nach-
her erschlagen wird. Bei Saxo finden sich nur unklare renii-
niscenzen an die geschichte. Die Vorstellung der saga ist ziem-
lich verworren und einer näheren Untersuchung bedürftig.
Zwei fremde namens Olms und Alius kommen zu dem
könige und bitten um aufnähme. Auf des königs frage, welche
kunst sie verstehen, antworten sie, sie seien in der schmiede-
kunst erfahren; darauf werden sie gastlich aufgenommen.
Abends wird ein von den schmieden des königs angefertigtes
messer vorgezeigt. Alle loben es, ausgenommen Olius und
Alius; sie brechen von dem messer die spitze ab und ver-
sprechen, dass sie ein besseres schmieden werden. Darauf
schmieden sie ein messer welches jede probe besteht. Auf
befehl des königs schmieden sie nun einen goldenen ring (viel-
leicht eine später hinzugefügte reminiscenz an den Andvara-
nautr). Der könig sagt nun, sie sollen ihm zwei Schwerter
schmieden, welche so viel besser als andere Schwerter sind
wie pessi snrid ykkur die arbeit anderer schmiede übertreffen.
Olius droht, wenn sie zur arbeit gezwungen werden, so könne
das schlimme folgen haben; der könig lauscht der Warnung
nicht und befiehlt ihnen die Schwerter zu schmieden. Bald
darauf bringen sie dem könige zwei Schwerter. Zuerst wird
das schwert welches Olius geschmiedet hat, erprobt; es besteht
die probe schlecht (lagöiz sverdit litt). Dann nimmt der könig
Alius' schwert in die hand; es besteht jede probe. Sodann
lobt der könig beide Schwerter (!) und fragt, welches die natur
des zweiten Schwertes ist. Alius sagt dass mit seinem
Schwerte das andere besiegt werden kann. Der könig zer-
bricht Olius' schwert und befiehlt ihm, ein neues zu schmieden.
hätte. Nach beiden qnellen wäre er ausgezogen, um die köuigstoehter
durch ruhmreiche taten zu verdienen.
23*
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35G
BOEK
Das neue schwert besteht die probe wie das des Alius; Ölius
aber spricht eine Verwünschung aus: er sagt, das schwert
werde des königs beiden tochtersöhnen den tod bringen. Der
könig will Olius und Alius töten; während er nach Olius
schlägt, verschwinden beide (hier vernehmen wir, dass sie
brüder sind). Der könig lässt das schwert bei Agnafit in das
meer versenken.
Diese erzählung ist so ungereimt wie sich nur denken
lässt. Ich hebe das folgende hervor:
1. Olius droht dem könig, es werde schlimme folgen haben,
wenn er wider seinen willen zu schmieden genötigt werde.
Der könig nötigt ihn, und nun schmiedet Olius ein untüchtiges
schwert. Erst als er zum zweiten male genötigt wird, bringt
er dem könige ein verwünschtes schwert.
2. Die brüder Olius und Alius schmieden zusammen; das
gute messer ist ihre gemeinschaftliche arbeit; ebenso der ring
(falls dieser ursprünglich ist); jeder von ihnen aber schmiedet
ein schwert, und ein gewisser antagonismus tritt zu tag-e,
wenn Alius sagt, sein schwell werde das seines bruders be-
siegen. Dem widerspricht wider, dass der könig beide die
Verantwortlichkeit für den fluch tragen lässt, dass er beide
töten will und dass beide verschwinden.
3. Die Schwerter sollen so viel besser sein als andere
Schwerter, wie die kostbarkeiten welche die brüder früher ge-
schmiedet haben, besser sind als andere kleinode. Man würde
nun erwarten, dass ein anderes schwert, welches nicht die arbeit
der brüder war, zur vergleichung herbeigeholt werden sollte,
wie auch ihr messer dieselbe probe besteht, welche einem von
des königs schmieden angefertigten messer zu schwer war.
4. Nachdem sich Olius' schwert als untauglich erwiesen
hat, sagt der könig dennoch: ok er hvdrttveggja gott; und un-
mittelbar darauf zerbricht er das schwert und befiehlt Olius
ein anderes zu schmieden.
So widerspruchsvoll die Vorstellung sein mag, so glaube
ich doch dass das richtige wol herauszufinden ist, weil die
Widersprüche auf einen fehler der schriftlichen Überlieferung
zu beruhen scheinen. Ursprünglich haben zweifelsohne die
brüder Alius und Olius zusammen nur ein schwert geschmiedet,
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
357
während das andere schwer! die arbeit eines Schmiedes des
königs war. Das ist noch klar aus einer Olius in den mund
gelegten bemerkung, nachdem das schwert die probe nicht
bestanden hat, zu ersehen: smiÖrinn kvad ßat ofraun sverdinu,
ok let ]mt til hoggs büit en eigi til reistingar. Die person welche
das schwert geschmiedet hat, heisst hier smiÖrinn (vgl. 1, 14),
während Olius und Alius stets bei ihrem namen genannt
werden. Die worte ziemen auch besser einem einfachen
schmiede der sein bestes geleistet, aber weiss dass er nicht
alles vermag, als einem übermütigen menschen der absichtlich
ein schlechtes schwert geschmiedet hat. Die phrase aber be-
weist zu gleicher zeit, dass noch eine schriftliche quelle des
überlieferten textes den schmied des königs als concurrenten
der brüder kannte, woraus folgt, dass wir es hier nicht mit
einer Umformung der sage während der zeit der mündlichen
tradition, sondern einfach mit einem handschriftlichen fehler
zu tun haben.')
Die brüder schmieden also zusammen ein schwert welches sich
als vorzüglicher als das von des königs schmiede angefertigte
erweist. Alius sagt mit gerechtem stolze, wenn dieses schwert
dem anderen Schwerte welches zu gleicher zeit dem könig ge-
zeigt wird, im kämpfe begegne, so werde der träger seines
Schwertes den sieg dtrvontragen. Olius aber fügt eine ver-
') Die ursprüngliche form des textes kann mau noch mit ziemlicher
Genauigkeit widerherstelleu. Z. 14 stand ursprünglich konungs smidr oder
smiftrinn wie z. 19. Nachdem hier irrtümlich Olius geschrieben war, wurden
die folgenden änderungen notwendig. Z. 5 : tvau sverft fxtu statt werft fiat.
Z. 11 — 12: serhrdrr statt serhcärir. Z. 22. 25: Alius statt fieir brceftr. Diese
letzte Änderung braucht nicht einmal angenommen zu werden : es ist mög-
lich, dass der urtext schon Alius hatte, weil sehr gut einer der brüder
anstatt beider genannt werden konnte: auch ist es Alius der dem könige
das schwert überreicht und zuerst über dessen natur anfschluss gibt. —
Da nun Olius einen fluch ausspricht, der nur an einem vorzüglichen Schwerte
haften konnte, wurden z. 28— Zi.sidan— vandkviedis, wo der könig das schwert
zerbricht und Olius ein neues schmiedet, hinzugefügt. Z. 34 ist statt Hann
zu lesen (Mius. — Die worte des königs z. 25: ok er hraritreggja gott werden
durch diese besserung verständlich ; der könig lobt seinen schmied, der ge-
leistet was er vermochte, obgleich das schwert der brüder besser ist. Alius'
worte z. 28: ok mä fio kaUa kosti eina okjafna können ursprünglich sein ;
sie sind dann als eine höflichkeit dem fremden schmiede gegenüber auf-
zufassen.
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858
BOEB
wünschung hinzu: 'dieses schwert wird deinen beiden tochter-
söhnen den tod bringen'. Zusammen sind die brüder für die
eigensehaften des Schwertes verantwortlich, und der könig will
aus diesem gründe beide töten; beide aber verschwinden.
Durch diese interpretation wird ferner ein Widerspruch, der
Detter aufgefallen, gelöst, nämlich der dass Alius sagt, sein
schwert werde das seines bruders besiegen, während nachher
nicht Alius', sondern Olius' schwert sich als das siegreiche er-
weist. In der tat besiegt das schwert der brüder das von dem
schmiede des königs geschenkte schwert.
Aus dem angeführten geht hervor dass die oben s.350 schon
als jüngere zutat erkannte str.ii, in welcher die beiden Schwerter
BiuManautar genannt werden, aus der zeit der schriftlichen
Überlieferung stammt, denn sie erzählt dass die beiden Schwerter
von zwergen geschmiedet sind. Als machwerk erweist sie sich
ferner dadurch dass sie, um ein reim wort zu finden, von Aver gar
daudir spricht, obgleich zu der annähme, Olius und Alius seien
gestorben, gar kein grund vorhanden ist, und man aus ihrem
verschwinden vor des königs äugen eher schliessen würde, dass
sie heutzutage noch leben. Dass andererseits beide Schwerter,
obgleich nur eines die arbeit der mystischen brüder war, zu
dem älteren bestand der sage gehören, beweist die stelle bei
Saxo, wo beide — exquisita fabrorum opcra — genannt werden.
Dass übrigens bei Saxo die bedeutung der Schwerter vergessen
ist, bemerkt schon Detter.
Dass zwei zwerge zusammen auf befehl eines königs ein
schwert schmieden und dass einer von ihnen einen fluch hin-
zufügt, erzählt u. a. auch die Hervarar saga. Die geschieht e
hat mit der von Olius und Alius so viel ähnlichkeit, dass es
gewis kein wagnis ist, beide für Variationen einer und der-
selben erzählung anzusehen. Auch dort werden nidingsverk
und ausrottung des ganzen geschlechtes prophezeit und bruder-
mord damit begangen. Ohne mich hier auf eine in die tiefe
gehende vergleichung beider sagen einzulassen, constatiere ich
die ähnlichkeit der gestalten von Olius und Alius einer-, Dul-
ins und Dvalins anderseits, und glaube daher eher mit Detter
(einl. s. xlvii), dass Olius und Alius als zwerge aufzufassen
sind, als ich geneigt wäre, in ihnen nach Svend Grund tvigs
Vermutung (Udsigt over den nord. oldt. her. d. s. 58) einen
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ZUR DÄNI8CHEN HELDENSAGE.
359
nachklang des Bolwisus und Bilwisus') der sage von Hagbarör
zu suchen. Docli kann ich mich der ansieht Detters, dass in
Alius das lateinische zahlwort zu suchen und Olius dem Alius
angeglichen sei, nicht anschliessen. Eher dürften wol Olius
und Alius latinisierte formen von zwergennamen sein; etwa
Öinn (Öi?) und Ai (Sn. E. 1, 68. 66). Doch ist das für die oben
besprochenen fragen nebensächlich, und es bleibt ihre zwergen-
natur von ihrem namen, wenn dieser auf Schreiberpedanterie
beruhen sollte, unberührt.
Olius spricht, als das schwert dem könige überreicht wird,
den fluch aus, es werde des königs beiden tochtersöhnen veröa
at bana. Der fluch geht nicht in erftillung; nur Hildigerus-
Hildibrandr wird getötet. Wenn die zwergengeschichte ein
ursprüngliches dement der sage ist, so muss der ausgang des
Zweikampfes in einer älteren sagenform ein anderer gewesen
sein, und eine Überlieferung, nach der beide brüder im kämpfe
fallen, einmal existiert haben. Dass das tatsächlich der fall
war, scheinen die verse welche bei Saxo der sterbende Hildi-
gerus spricht, zu denen ich noch einmal zurückkelire, zu be-
weisen. Die verse beruhen wie schon gesagt auf Strophen,
deren einige in der Äsmundar saga bewahrt sind. Saxo scheint
hier wie bei den versen welche von Asmunds heimkehr han-
deln, noch Strophen benutzt zu haben welche dem Schreiber
der saga unbekannt geblieben sind. 8. 244, 38 — 245, 7 können
eine rhetorische ausmalung von str. v sein; ebenso liegt s. 244,
13 — 20 wol kaum mehr als str. i, 1— 2 zu gründe. Einen fremden
gedanken enthalten nur s. 244, 24 — 28. Die Zeilen lauten:
En pia progenie* trueibus coneurrere telis
au.sa perit; sudo pronati sanguine fratres
illata sibi cede munt, dum culmen aventes
tempore deficiuiit, seeptrique cupidine nacti
exiciale malnm socio Styga funere viuent.
Diese worte sagen unzweideutig aus, dass die brüder beide
umkommen; denn die deutung, Hildigerus habe sagen wollen
dass solches oft begegnet, während in dem vorliegenden fall
gerade das entgegengesetzte stattfindet, indem nur ein bruder
tödlich verwundet wird, der andere aber am leben bleibt,
') Von Bolwisns und Bilwisus wird unten noch die rede sein.
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360
BOER
würde dem Hildigerus eine durchaus leere phrase zumuten
und ist aus diesem grund unzulässig. Die verse sind zu in-
haltsschwer, um als eine Weitläufigkeit Saxos aufgefasst zu
werden. Also weisen sie auf die einstmalige existenz einer
oder mehrerer Strophen und somit einer sagenform, in der Hil-
digerus und Haldanus im Zweikampf fallen. Jene Strophen
können nicht demselben gedichte wie die übrigen angehört
haben, obgleich Saxo sie in diesem Zusammenhang kannte.
Sie gehören demselben Sagenkreise wie die übrigen Strophen
an, repräsentieren aber die entwicklungsstufe der sage, wo die
Weissagung der zwerge in erfüllung gieng. Die aufnähme des
liebesmotivs des Haldanus und der frvuritha durch die ver-
bindung mit dem Siklingengeschlechte hat die Umformung
bewirkt. Der name Haldanus deutet darauf, das» die sage
schon frühzeitig an die Skjoldunge, unter denen brudermord
eine charakteristische missetat war, geknüpft worden ist.1)
Zwei seitenstücke zu dem gegenseitigen brudermord bietet die
Ynglinga saga (l Tnger c. 28. 24). Es verdient beachtung, dass
die beiden bruderpaare Alrekr und Eirikr und Alreks söhne
Älfr und Yngvi zu den Skjojdungen in naher beziehung
standen, indem Yngvis tochter dem Dänenkönig Froöi friösami
vermählt und die matter des älteren Hälfdan Frööason wurde,
der im lauf dieser Untersuchung noch genannt werden wird.
Die entstehung der sage von Haldanus und Hildigems
aus der deutschen Hildebrandssage wurde oben entschieden
abgelehnt. Doch scheint eines ihrer motive seine entstehung
dem einflusse eines der deutschen heldensage zugehörigen, aber
weitverbreiteten sagenstoffes zu verdanken. Es ist die episode
vom berserkerkampfe. Eine grosse Ähnlichkeit mit der ge-
Bchichte Walthers von Aquitanien kann hier nicht geleugnet
werden. HaManus- Asmundr entspricht dem Walther, Hildi-
(fcrus-Hildibranär dem 1 fügen, Aluerns-Atli dem Gunther. Zwar
entführt Haldanus keine braut, doch hängt für ihn wie für
Walther der besitz der braut von dem ausgange des kampfes
ab. Gunther fordert alle seine kämpfer auf, mit Walther sich
zu messen, und nacheinander fallen alle; schliesslich bittet er
Hagen, der auf grund der alten freundschaft — nach mehreren
') Näheres über Haidamis unten s. 362 ff.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
361
quellen sind Hagen und Walther blutsbrüder — wider Walther
zu kämpfen sich sträubt, bis ihn die furcht vor der schände
zu dem Zweikampf bewegt; vgl. Saxo s. 245,9—11: (Hildigerus)
iccirco se silencio usion esse dicel/at, ne aut ptujnam detrectando
ignauus, aut oommittendo scelestus existimari jwsset. — Aller-
dings existieren auch unterschiede. Walther kämpft anfangs
jedesmal mit einem einzelnen kämpen, Äsmundr-Haldanus mit
einer zunehmenden anzahl; doch finden sich im Walthariliede
schon ausätze zu der auffassung der nordischen sage: auch
Walther wird schliesslich von vier feinden zu gleicher zeit
angegriffen. — In der Walthersage kämpft schliesslich auch
Gunther mit; doch ist dieser unterschied unwesentlich, weil
Gunther, und in weit höherem grade der könig in der nordi-
schen sage, nur nebenperson ist; dieser verschwindet sogar
gegen das ende der erzählung spurlos. Sodann wird Hagen
nicht getötet; er kommt, nachdem er ein auge und sechs
backenzähne eingebüsst, mit dem leben davon. Daneben stehen
aber andere fassungen derselben sage, in denen alle Verfolger
mitsammt ihrem anführer im kämpfe umkommen; ich verweise
auf die abgesehen von einer anspielung im Riterolf nur in der
nordischen piöreks saga überlieferte sage von Herburt und
Hilde. — Schlagenden Übereinstimmungen stehen also unbedeu-
tende unterschiede gegenüber. Ich stelle mir das Verhältnis
der beiden sagen so vor, dass die Ähnlichkeit des Stoffes —
kämpf zwischen brüdern (bez. blutsbrüdern) — vor der Spal-
tung der sage von Haldanus in eine isländische und eine
dänische Überlieferung, eine ausmalung der kampfscene dieser
sage nach dem vorbilde der über Nordeuropa verbreiteten
deutschen sage zur folge hatte. Dieser beeinflussung durch
die Walthersage verdanken wir die str. m vm und die ihnen
entsprechenden verse bei Saxo. Darauf ist wol auch die Vor-
stellung der saga, dass der kämpf am Rheine stattfand, zurück-
zuführen. Zwischen dem Hunnenlande und Saxland ist der
Rhein auf keinen fall zu suchen, wo man sich Hünaland auch
localisiert vorstellt; denn in allen quellen wo Hünaland nicht
Saxland ist, liegt es im osten. Der Schauplatz des kampfes
aber, wo Walther mit den ihn verfolgenden burgundischen
königen kämpft, ist gerade die Rheingegend. Saxo, der die
geschiente kurz erzählt, nennt den Rhein nicht; er hält sich
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802
BOER
an die gegend wo der bruderkampf unabhängig von der
Walthersage localisiert war.
Ans obiger Untersuchung ergeben sich die folgenden Stadien
für die ent Wicklungsgeschichte der sage von Haldanus' kämpf
mit Hildigerus:
1. Aelteste gestalt. Kin könig nötigt zwei zweige für
ihn ein seh wert zu schmieden. Als sie ihm das seh wert über-
reichen, prophezeien sie ihm den tod seiner beiden tochter-
söhne. Diese Prophezeiung geht später in erfüllung. Die
sage erscheint in ihrer ältesten gestalt an das geschlecht der
Skjoldunge geknüpft. Eine geringe Variation knüpft sich an
das geschlecht Heiöreks (Hervarar saga).
2. Anknüpfung an die Siklingensage. Borearus, Haldanus
vater, wird ein genösse des königs Alfr; Haldanus heiratet
Alfs tochter Gyuritha. Dadurch wird der ausgang des kam-
pfes umgestaltet. — Motiv der nebenbuhlerschaft am schliiSvSe
der erzählung.
;i Beeinflussung durch die sage von Walther von Aqui-
tanien. Ausbildung des motivs vom berserkerkampfe.
4. Interpolation dreier Zeilen aus einem verlorenen Hilde-
brand sliede. Diese Zeilen veranlassten
5. eine völlige Umgestaltung der sage und änderung der
nainen in der isländischen Überlieferung (Äsmundar saga).
(>. Wahrscheinlich gleichzeitig mit 5 auknüpfung an und
Umgestaltung der Vorgeschichte durch die Helgisage. Verdop-
pelung des motivs der iiebenbuhlei-schaft und der freierprobe
(gleichfalls nur in der isländischen Überlieferung).
7. Unrichtige auffassung der zwergensage zufolge eines
fehlere der schriftlichen tradition. Interpolation der neu hin-
zugedichteten str. n. ix.
Haldanus, der töter des Hildigerus, ist nach Saxos Vor-
stellung der Stammvater eines neuen geschlechtes; sein weib
Gyuritha ist die letzte der Siklinge. Das bedeutet bei Saxos
weise die königsgeschlechter chronologisch aneinander zu reihen,
dass die durch die Siklinge unterbrochene reihe der könige
aus dem Skjoldungengeschlechte bei Haldanus wider anliebt.
Dass dieser ein SkjoMung ist, deutet, wie oben s.3(50 gesagt,
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
363
schon der name an. Es fällt auf dass auch der letzte Skjoldung,
der vor den Siklingen auf dem dänwchfm throne sitzt, Haldanus
heisst, Mehrere gründe sprechen dafür, dass diese beiden
Haldani durch Spaltung aus einer gestalt entstanden sind;1)
die einreihung des Siklingengeschlechtes bewirkte die Spaltung.
Doch folgt daraus nicht, dass jene gestalt eines einzigen Hal-
danus nicht auf mehr als eine persönlichkeit zurückgehen kann.
Dass das tatsächlich der fall ist, hoffe ich nachzuweisen, nach-
dem ich zuerst die angedeutete Spaltung besprochen haben werde.
Wenn man das ISiklingengeschlecht ausscheidet, regieren
unmittelbar nacheinander zwei könige Haldanus, was an sich
schon auffällt. Die übrigen quellen kennen nirgends zwei
Halfdane nacheinander. Von beiden wird hervorgehoben, dass
sie eine Zeitlang kinderlos sind, später aber einen söhn er-
zeugen, der erstere Haldanus in ziemlich hohem alter (s. 224),')
der zweite nachdem das orakel befragt und dessen befehl be-
folgt worden ist. Beide erschlagen einmal eine schar berserker
mit einem knüppel (s. 222. 243)/*) Es kommt die folgende er-
wägung hinzu.
Dass Jfahkimts Borcari filius niemand anders ist als der
könig von Skäne Ildlfduu snjalli, wird wol niemand bezweifeln.
Sein söhn ist HaraUlus hyhh tan (s. 230 wird Haraldr hilditann
irrtümlich ein söhn des Borcarus genannt). Also ist aus Saxos
königsreihe harr viÖfadmi ausgefallen; seine taten sind zum
teil auf Haraldr übertragen. Auf die zeit des Halfdan snjalli
und Jvarr viöfaömi passt die beschreibung von dem zustande
des reiches bei Haldanus und Haraldus' regierungsantritt.
Halfdan regierte nur über Skane. obgleich das geschlecht
welches von den Skjoldung Hroarr abzustammen vorgab, wol
auf die herschaft über das ganze Dänenreich anspruch erhob.
Obgleich das alles Saxo unbekannt ist, geht doch auch bei
ihm die widereroberung des reiches von Skane aus; über dieses
') Ander» Olrik. Sakses oldhistorie 2. 81 ff., der den vor den Sildingen
regierenden Haldanu* als eine norwegische sageugestalt aufi'asst. Vgl. da-
gegen jetzt auch Steenstrup, Arkiv 13, 152.
') Doch stirbt er einige Zeilen weiter kindTrlos.
*) Wenn das ein beweis nordischer herkunft sein soll, wogegen auch
Steenstrup a. a. o. einspmch erhebt, so ist anch Haldanns Borcari filius ein
norwegischer sagenheld.
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364
BOER
land gewinnt Haraldns die herschaft dadurch dass er den
viking Wesetus tötet (doch wird nicht gesagt, dass Wesetus
könig in Skäne war). Später eroberte er Jutta und Lethra
(also Seeland), und wol auch Fünen. Dass Halfdan snjalli
gemeint ist, steht also fest. Doch hiess Hälfdans vater nach
anderen quellen (Amgrimr .Tönssons Oompendium, s. Axel Olrik,
Aarbeger 1894, s. 121) nicht Borcartis, sondern Haraklr (Har-
aldus antiquus bei Arngrimr). Diesen namen trägt bei Saxo
der vater des älteren Haldanus, der vor den Siklingen regiert,
was in Zusammenhang mit dem schon früher gesagten beweist,
dass in einer gestalt der Überlieferung welche älter war als
Saxos geschiente, diese beiden Haldani eine person waren,
deren vater Haraldus hiess. Doch zeigt das was wir ferner
über Haldanus Haraldi fllius vernehmen, dass der gestalt welche
bei Saxo in Haldanus Haraldi filius und Haldanus Borcari fllius
gespalten ist, ausser dem Hälfdan snjalli wenigstens noch eine
ältere persönlichkeit zu gründe liegt. Haldanus wird im Zu-
sammenhang mit Ingellus (Ingjaldr) und Frotho (FröÖi) ge-
nannt. Zwischen Ingjaldr und Froöi ist. abweichend von
anderen quellen, welche Froöi als Ingjalds söhn kennen, noch
ein könig Oleums eingeschoben, auf den ich an dieser stelle
nicht eingehe. In den alten quellen ist Hälfdan entweder ein
bruder Ingjalds (so bei Arngrim). oder ein bruder Froöis
(Hrolfs s.); einstimmig berichten sie, dass er durch bruderhand
umkommt. Saxos bericht steht der Vorstellung der zweiten
gruppe nahe. Indem aber die Überlieferung auf welcher Saxos
darstellung beruht, diesen Hälfdan mit Hälfdan snjalli zu einer
person macht, schiebt sie, wie schon bemerkt wurde, an dieser
stelle Harald, den vater des Hälfdan snjalli ein, und erzählt
nun, dass Haraldr durch seinen bruder Froöi getötet wird.
Haldanus vertritt nun die stelle des sohnes; so kommt es dass
bei Saxo von ihm und einem bruder Haraldus', den diese
Überlieferung ihm beilegt, erzählt wird was andere quellen,
namentlich die Hrolfs saga kraka, von den söhnen Hälfdans,
Hröarr und Helgi berichten. Die erzählung, wie Haldanus
und Haraldus von Regno versteckt und mit hundenamen be-
legt werden, und wie sie schliesslich Frotho töten, stimmt
im einzelnen bis auf geringe abweichungen mit der geschichte
von der räche Hroars und Helgis für ihren vater Hälfdan
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ZÜB DÄNISCHEN HELDENSAGE
365
genau überein. Hier ist also unter Haldanus Halfdan der
bruder Ingjalds bez. Frööis zu verstehen.
Noch ein dritter held scheint für die gestalt des Haldanus
Haraldi filius züge abgegeben zu haben. Es ist Hälfdan der
söhn des Froöi friösami und der Inga. Auf ihn können die
kriege des Haldanus mit dem Schwedenkönige Ericus — Ei-
rikr ist zwar nach Arngrimr und Snorri, welche freilich
auch unter einander hierin abweichen, kein Zeitgenosse Hälf-
dans, sondern etwas älter — zurückgehen, denn auch die
Ynglingasaga kennt ihn als eroberer Schwedens. Doch wird
es sich nachher zeigen, dass auch hier wie bei der erzählung
von der räche an Froöi Übertragung aus der sage von Helgi
wenigstens mit im spiele ist. Doch hat der bericht, dass Hal-
danus bruderlos stirbt, ohne zweifei in diesem Hälfdan seinen
grund (Yngl. s. c. 22). Weil Haldanus aber bei Saxo nicht nur
eroberer Schwedens, sondern auch könig in Dänemark ist —
was der alte Hälfdan nicht war — kommt bei seinem tod der
thron Dänemarks offen zu stehen. Somit war hier die geeig-
nete stelle, das Siklingengesclilecht, welches die sage schon
früher zu den Hälfdanen in ein freundschaftliches Verhältnis
gesetzt hatte, in die königsreihe einzuverleiben. Sie füllen
den Zeitraum aus, den in anderen quellen Hrölfr kraki und
seine nachfolger, von denen Saxo an anderer stelle berichtet,
einnehmen.
Ich widerhole kurz die züge der drei Hälfdane welche in
Saxos darstellung widerkehren:
1. Hälfdan Froöason friösama erobert Schweden und stirbt
kinderlos.
2. Hälfdan Ingjaldsson (oder Froöason fraegja) wird von
seinem bruder Froöi IV (bez. lngjaldr) getötet. Seine söhne
rächen ilin.
3. Hälfdan Haraldsson, der könig von Skane, ist der vater
des eroberers von Dänemark (Ivarr viöfaömi).
Aus diesen drei gestalten entsteht ein könig Haldanus,
dessen vater Harald us heisst (3), der zusammen mit seinem
bruder den vater rächt (2), Schweden erobert (1 oder 2, vgl.
unten), der lange kinderlos bleibt (1), der später dennoch vater
wird (2. 3), dessen söhn (Haraldr hilditann, indem Ivarr viö-
faömi übersprungen wird) von Skane aus Dänemark erobert
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ROER
Bei Saxo ist die gestalt wider gespalten. Haldanus I be-
hält den vater Haraldus, die räche über den vater, die erobe-
rung Schwedens. Haldanus II bekommt die vatei*schaft über
den eroberer Dänemarks. Der zug der kinderlosigkeit und
der späteren Vaterschaft1) geht auf beide über; doch tritt bei
Haldanus I die kinderlosigkeit, bei Haldanus II die Vaterschaft
in den Vordergrund. Daher denn nach Haldanus I die Siklinge
regieren.
Im grossen und ganzen vertritt also Saxos Haldanus
Haraldi filius die beiden älteren, Haldanus Borcari filius den
skänischen Halfdan, aber die züge sind verwischt und nur
durch gewissenhafte heranziehung der übrigen quellen ver-
mögen wir sie einigermassen zu unterscheiden. Saxo knüpft
die sage von dem kämpfe mit Hildigerus an den jüngeren,
also an Halfdan snjalli. Ob das auf alter tradition oder auf
gelehrter combination beruht, ist schwer zu entscheiden. Denn
es ist sehr leicht möglich, dass Saxo nur aus dem grund Half-
dan snjalli zu einem söhne des Borcarus gemacht hat, weil
seine quelle schon Hälfdans vater Haraldr auf den älteren
Hälfdan übertragen hatte, wodurch er sich genötigt sah, dem
Hälfdan snjalli einen neuen vater herbeizuschaffen. Da ihm
nun eine sage von einem Hälfdan, dessen vater Borcarus hiess,
bekannt war, könnte die identificierung mit Hälfdan snjalli
sein- wol seine arbeit sein. Es fragt sich aber, ob nicht die
übrigen quellen auf eine der beiden anderen Hälfdane als ur-
sprünglichen held der sage weisen. Von Hälfdan snjalli wie
von Hälfdan Frööason fra*gja (Ingjaldsson) wird erzählt, dass sie
durch ihren bruder ermordet wurden; bei beiden existiert die
Schwierigkeit, zu erklären, wie Saxo dazu kam Haldanus siegen
zu lassen. Diese Verwechslung wird wol ihren grund haben
in der einmal verbreiteten sagenfonn, von der ich oben spuren
nachwies, die beide brüder im kämpfe umkommen Hess. Dass
man dies von einem der beiden in betracht kommenden Hälf-
dane erzählt habe, geht aus den übrigen quellen nicht hervor.
Man kann nur Vermutungen aufstellen.
Wenn Hälfdan snjalli der ursprüngliche held der erzählung
ist, so könnte man sich vorstellen, dass die Vorstellung eines
') Damit widerspreche ich nicht Olriks anziehender Vermutung:, dass
Asnmndus der söhn des Haldauus I der bekannte Uuoöar-Äsmundr ist.
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ZUR DÄNISCHEN HELDEN8AGE.
367
gegenseitigen brudermordes seinen grund hätte in dem schnellen
tode. den der könig Gudreör in Skäne bald nach der ermordung
seines bruders durch die hand seiner gattin, derselben welche
ihn zum brudermord gereizt hatte, erlitt. Doch Hesse sich eine
solche hypothese schwerlich über den wert einer nicht un-
ansprechenden Vermutung erheben. Weit wahrscheinlicher
kommt es mir vor, dass die sage auf den älteren Hälfdan zu-
rückgeht, und zwar aus den folgenden gründen:
1. Die zwergengeschichte weist auf ein höheres alter der
sage, welche in ihren grundzügen kaum jünger als die Über-
lieferung von den kämpfen der älteren SkjoMungen sein kann.
2. Der tod des Halfdan Frööa- (Ingjalds-)son hat auch ab-
gesehen von dieser erzählung für die geschiente der dänischen
sage eine weit grössere bedeiitung als der des weit weniger
bekannten Hälfdan in Skäne. 3. Es existiert zwischen der er-
zählung von Haldanus und Hildigerus und der von Hälfdan
und seinem bruder Jngjaldr (Froöi) noch eine schlagende Über-
einstimmung darin, dass Hälfdan, wie der Haldanus-Asmundr
der sage, nur ein halbbruder seines feindes ist; er stammt
von einer aus Schweden geraubten matter, welche von dem
rater als coneubine behandelt wurde, während sein bruder
Ingjaldr nach Arngrimr ein filius legitimus war (Haldanus
und Hildigerus haben eine gemeinschaftliche mutter, doch ist
auch sie von schwedischer abkunft und wird einmal geraubt).
4. Hälfdan Froöason tritt bei Saxo auch im zweiten buch auf.
Er ist der vater des Helgo und Koe (Helgi und Hroarr).
Saxo erkennt ihn natürlich nicht als mit seinem Haldanus
Haraldi filius identisch wider. Hier hat dieselbe Verwandlung
der sage stattgefunden welche uns oben auffiel; hier ist Hal-
danus im gegensatz zu allen übrigen quellen, welche Hälfdan
durch seinen bruder getötet werden lassen, selbst der mörder
seiner brüder Scato und Roe. Also hat eine sagenform exi-
stiert, und Saxo kannte sie, nach welcher Hälfdan Froöa-
(Ingjalds-)son nicht von seinem bruder getötet wird, sondern
ihn tötet. Dieser tatsache lege ich vollständige beweiskraft
bei und schliesse also, dass der Haldanus der Hildigerus be-
siegt, den die saga Asmundr nennt, niemand anders ist als
Hälfdan Froöason fraegja (bez. Ingjaldsson), der bruder Ingjalds
(bez. FroAi des vierten). Die Übertragung auf Hälfdan snjalli
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368
HOEK
ist die arbeit Saxos, der die aus drei beiden zusammengeworfene
gestalt des Haldanus Haraldi filius der einreihung der Siklinge
in die reihe der könige zu liebe wider gespalten hat.
Wie die zwergengeschichte so gehört wol die zufällige
begegnung der brüder einem sagenkern an der über die
SkjQldunge hinausweist. In der Skj^ldungensage ist stets von
absichtlichem mord die rede.
Schon mehr als einmal berührten wir im vorhergehenden
die sage von Helgi Hälfdans söhn, dem Skjojdung, und es ist
nicht überflüssig, die vielbesprochene gestalt in diesem Zu-
sammenhang noch einmal revue passieren zu lassen.
Dass zwischen diesem Helgi und dem Hundingtöter ein
gewisser Zusammenhang besteht, ist allgemein anerkannt; so
viel ich weiss hat zuerst Sijmons (Beitr. 4, 177 ff.) die Ver-
mutung' ausgesprochen, auch Helgi Hundingsbani gehöre zu
den SkjoJdungen; die herschende ansieht dürfte wol die sein,
dass zwei sagengestalten gleichen namens, vielleicht sogar
demselben geschlechte angehörig, in den quellen contaminiert
sind, so dass taten des einen auf den andern übertragen sind,
wie z. b. Saxo Hundingr und Ho^broddr von Helgi, dem söhne
Hälfdans, getötet werden lässt, während eine dem Helgi Hund-
ingsbani im übrigen entsprechende figur ihm unbekannt ist.')
Ich glaube dass Helgi Hälfdans söhn und Helgi Hundingsbani
von haus aus identisch sind und erst durch die von Sijmons
nachgewiesene, in ihren anfangen schon in der Skjojdungen-
sage vorliegenden anknüpfung an die Siklingen- und die
Vojsungensage zu zwei verschiedenen gestalten sich entwickelt
haben. Diese identität wird m. e. durch einen den ganzen
lebenslauf beider beiden begleitenden parallelismus bewiesen.
Um denselben klar zu sehen ist es notwendig, sich zuvor über
den wert der verschiedenen Überlieferungen rechensebaft zu
geben. Wo eine prosaische und eine poetische Überlieferung
neben einander existieren, kommt es oft vor dass jene diese
benutzt hat. In einem solchen fall sind inconcinnitäten oft
') So z. b. ülrik, Skjoldiingasaga »• 1 «1 s (kong Heltes tilnavn »Hun-
dings ojf Hodbrod« baue« er laut fra en helt andeii sagnbelt: og nar kong
Ros banemand mevnes Hodbrod. ma riet efter al rimelighed have fortrsengl
et i Skoldungsagiiet bjeimiiehurende navu.'
ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
360
einem mangel des sagasehreibers an Verständnis für die alte
pocsie zuzuschreiben. Da in einem solchen fall die verse der
prosa weit vorzuziehen sind, ja die letztere sogar oft, wie z. b.
in vielen excursen zwischen den Strophen der Eddalieder, zu
dem wert eines dürftigen interpretationsvei'suehes hinabsinkt,
ist allmählich eine gewisse geringschätzung der prosaischen
tradition zur jnode geworden, und scheint eine hypothetisch
begründete Interpretation eines alten gedichtes in vielen fällen
das einzig mögliche mittel, die älteste form einer sage zu
reconstruieren. Wo aber eine prosaische erzählung nicht aus
bewahrten Hedem geschöpft ist, zumal wenn der Schreiber
nicht einmal wusste dass sein held mit dem helden eines Edda-
liedes von haus aus identisch war, ist das Verhältnis der quellen
auf eine ganz andere weise zu beurteilen. In einem solchen
fall hat die prosaerzählung, sei es dass sie auf verlorenen
Hedem oder auf lebendiger tradition beruht, immer den wert
einer selbständigen redaction der sage, und sie wird um so ver-
trauenswürdiger sein, je weniger ihr inhalt mit anderen sagen
verknüpft ist. Da nun die sage von Helgi dem Hundingstöter
mit zwei anderen sagencomplexen aufs innigste verwachsen ist,
während das von Helgi Hälfdans söhn nicht nachgewiesen ist,
tun wir gut, wenn wir bei der bevorstehenden Untersuchung
von Helgi Hälfdans söhn ausgehen.
Die namen in beiden sagen sind bis auf den helden ver-
schieden. Dass mehrere namen in der sage von Helgi Hund-
ingsbani unursprünglich sind, z. b. Sigmund); Sinßytli, welche
aus der Volsungen-, Siyarr, S 'ujrnn, welche aus der Siklingensage
stammen, ist eine anerkannte tatsache, welche ich nur wider-
hole, um darauf hinzuweisen, dass man aus dem mangel an Über-
einstimmung in den namen nicht auf verschiedenen Ursprung
der sagen schliessen kann. Ein beispiel dass in zwei fassungen
derselben sage nur der name einer einzigen nebenperson (könig
Älfr) derselbe ist, haben wir noch am anfang dieses aufsatzes
in der sage von Haldanus und Hildigerus gefunden. Wir gehen
jetzt zur Untersuchung der Überlieferung über.
In der geschiente von Helgi dem söhne Hälfdans, welche
wir aus der Hrölfs saga kraka, der erzählung 'Fra Hrölfi kraka'
in der Snorra Edda, der Ynglinga saga und Arngrimr Jönssons
compendium kennen, unterscheiden wir die folgenden episoden :
Ueltrige xnr geachichto der deutschen tpruchn. XXII. 24
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BOKR
I. Jugend und vaterrache (Hrolfs s., Arngrimr, Saxo, hier
übertragen auf Haldanus).
II. Rache für den hruder (Hrolfs s., 8axo zweimal, Arn-
grimr unvollständig).
III. Liebesgeschichte (Hrolfs s., Arngrimr, Saxo kurz.
Yngl. s.).
In der sage von Helgi Hundingsbani:
L Eine Strophe welche zur jugendgeschichte zu gehören
scheint; hier wird Hundingr genannt. Die tötung Hundings.
II. Tötung der (Tranmarssöhne.
III. Liebesgeschichte.
I. Die Hrolfs saga kraka berichtet ausführlich, was Arn-
grimr nur andeutet, wie Hröarr und Helgi, nachdem ihr vater
Halfdan durch ihren oheim Erödi ermordet war, heimlich bei
einem bauer namens Vifill aufwachsen, wo sie mit hundenamen
Hoppr und H6 genannt werden, bis der könig vernimmt, wo
sie sich aufhalten. Vergebens versucht er ihrer habhaft zu
werden; mit hilfe ihres pflegevaters Keginn entkommen sie zu
ihrem Schwager Sievill jarl, wo sie unter ziegen verkehren.
Einmal kommen sie zur halle des königs und werden entdeckt;
doch entkommen sie. Bald darauf zünden sie das haus, in dem
sich der könig befindet, an. Die geschieht« ist, wie schon ge-
sagt, bei Saxo auf Haldanus Haraldi filius und seinen bruder
Haraldus übertragen; die Varianten sind für unsern zweck
ohne bedeutung.
Das zweite Helgilied hebt mit einer Strophe an welche
bisher schlecht verstanden worden ist. Sie lautet:
St'K Ityuinge at Helge man,
livern i brynjo bragiiar feldo,
er nlf graan inne hot>oJ»,
}>ars Hamal hug)>e Hundingr konongr.
Wer Hemingr ist ist nicht leicht zu sagen. Die vorhergehende
prosa, welche mit ihm keinen rat weiss, macht ihn zu einem
söhne Hundings. Man würde in z. 4 denselben namen wie in
z. 1 erwarten. Aus diesem gründe liest auch Sijmons, Zs. fdph.
18.118 z. 4 Harmingr anstatt Hundingr. Er glaubt dass diese
Strophe, sowie die folgenden str.2 18 nicht auf Helgi Hundings-
bani bezogen werden müssen, sondern dass sie den verlorenen
Kdru/jöö angehören und also von Helgi Haddingjaskati handeln.
ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
871
Aus dem gründe liest er str. 13, 9 Hdlfdanar (anstatt Hayna)
mar, weil Kara Hdlfdanardöttir genannt wird. Ueber str. 2—4
und 5—13 wird im folgenden besonders gehandelt werden;
doch bemerke ich schon jetzt, dass es mir aus gründen welche
ich unten entwickeln werde, in hohem grade unwahrscheinlich
ist, dass str. 2 — 4 den Käruljoö angehört haben können. Nach
meiner ansieht beziehen sie sich nicht einmal auf einen beiden
der Helgi hiess. Darum glaube ich auch nicht dass str. 1 — 13
als ein gesonderter strophencomplex aufzufassen ist; ich trenne
vielmehr str. 2 — 4 von str. 1, welche Helgi nennt, beziehe diese
Strophe auf Helgi Hundingsbani und emendiere anstatt z. 4
z. 1, wo ich lese Srg HundingiS)
Helgi erinnert sich hvern i brynjo Itrayiiar fcldo. Diese
worte deuten nach meiner ansieht auf den tod von Helgis
vater, also dem Hälfdan der SkjQldungensage, den Helgi zu
rächen sich vorgenommen hat. Dann sagt Helgi mit einer
anspielung auf den geschlechtsnamen Ylfinyar: ihr (die feinde
Hundings) hattet in eurem hause einen grauen wolf — man
vergleiche dazu Hroars und Helgis besuch bei Frööi, wo sie
anfangs nicht erkannt wurden — ; Hundingr aber meinte es
sei Ilamall. Der gegensatz ulf grdan erfordert an dieser stelle
nicht den namen eines fremden menschen, sondern den eines
unschädlichen tieres. Freilich ist ein subst. hamall in dieser
bedeutung im altn. nicht bekannt; doch beweist das nicht dass
das wort nicht existiert haben kann; vielmehr setzt das nomen
proprium, welches der sammler der Eddalieder und die meisten
interpretatoren bis auf den heutigen tag in dem Substantiv
suchen, ein appellativum lhamaW voraus. Als solches fasse
ich das wort an dieser stelle auf. Ob die bedeutung voll-
ständig mit der des deutschen Wortes übereinstimmte, ist für
unsern zweck gleichgilt ig; jedenfalls hat das wort ein castriertes
tier angedeutet (vgl. hamla 'verstümmeln'); ich übersetze es
ohne rücksicht auf eine eventuelle geringe Variation der be-
deutung durch hammeil) Die Zeilen bedeuten demnach: ihr
l) Vielleicht ist Htemingi auf einen gchreibfehler in der quelle der
Sammlung zurückzuführen.
*) Ich bemerke hier, dass auch Detter (Zs. fda. 36, 15 ff.) in eiuera
anderen Zusammenhang die auffassnng des wertes humall in der bedeutung
Hammel verlieht, und dafür noch andere gründe anführt, welche zu widerholen
24*
372
BOEK
hattet einen grauen wolf (einen gefährlichen feind, einen Ylfing)
unter eurem dache; Hundingr aber glaubte es wäre ein hammel
(ein unschädlicher mensch). Die verse bestätigen also, was von
Hröarr und Helgi berichtet wird, dass sie sich unter ziegen
aufhielten; auch dass sie Hoppr und Hö genannt wurden, ge-
hört zu demselben vorstellungskreise. Diese auffassung der
str. 1 setzt voraus dass Helgi an Hundingr den vater rächt.
Das wird in dem sehr fragmentarischen liede nicht erzählt.
Die Volsungasaga berichtet abweichend, Helgi habe Hundingr
getötet, als Sigmundr noch lebte, Hundings söhn Lyngi aber
sei der töter Sigmunds. Auf den doppelten widersprach, dass
lange nachdem Helgi das ganze geschlecht Hundings aus-
gerottet hat, noch ein söhn Hundings am leben ist und sogar
als nebenbuhler Sigmunds auftritt, hat schon Sijmons (Beitr.
4, 188) hingewiesen. Dass der Verfasser der Volsungasaga hier
vergebens einen verständlichen Zusammenhang herzustellen ver-
sucht hat, ist anerkannt. Das vorhergehende aber zeigt m. e.
klar den grund des Widerspruchs, den der sagaschreiber nicht
zu lösen verstand: er hat nämlich hier wie an so mancher
stelle, namentlich in Sigurds geschieh te, abweichende sagen -
formen chronologisch aneinander gereiht. Ich bin da-
von überzeugt dass neben der sage welche Sigurör die räche
über Sigmundr vollziehen lässt, einmal eine Überlieferung exi-
stiert hat welche dasselbe von Helgi berichtete. Die mörder
waren Hundingr und seine söhne. Ob Sigmunds nebenbuhler
Hundingr oder Ljngi war kann dahingestellt bleiben; in
überflüssig ist. Mit recht vergleicht er auch den namen Hamr, den Helgi
in der Hrolfs saga bei Swvilljarl trügt, und führt ein im älteren dänischen
belegtes ham in derselben bedeutung an. Seine auffassung des namens
Jlemingr als ableitung von demselben stamme und die Übersetzung durch
Hümmling ist zwar an sich ansprechend, doch stimme ich ihm darin nicht
bei. Wenn Detter recht hat, ist Jlemingr Helgis broder, der bei Sievill
Hrani genannt wird, und die strophe enthielte in diesem fall eine hotschaft
an Hrourr. Dagegen spricht 1. dass Helgi sich selbst an dieser stelle mit
seinem rechten namen nennt und behauptet, JJamall sei ein beiname, 2. die
dritte zeile er ulf gräan inne hoffiop, welche beweist, da*s die strophe an
einen freund FroÖis resp. Hundings gerichtet ist; sie kann daher nur eine
botschaft an den bösen könitr enthalten. Somit bleibt die notwendigkeit
bestehen in z. 1 und z.4 denselben namen. entweder Jlemingr ( H<vmingr) oder
Hundingr zu lesen und den namen auf den monier von Helgis vater zu
beziehen.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
373
letzterem fall warb Hundingr für seinen söhn. Mir kommt
das erstere wahrscheinlicher vor. Hundingr tötete Sigmundr
und wurde darauf sammt seinen söhnen von Helgi getötet.
Weil aber nach einer anderen wol zur zeit der abfassung der
VQlsungasaga mehr verbreiteten ansieht Sigurdr der rächer
seines vaters war, wurde nun der grund. weshalb Helgi
Hundingr tötete, vergessen, und ein aus seinem grabe erstan-
dener söhn Hundings wurde Sigmunds nebenbuhler. Dass
Hundings tötung Helgis erste grosstat war, spricht ferner für
die richtigkeit der hier begründeten Vermutung.
Die erzählungen von Helgis und Sigurds vaterrache haben
einander im laufe der zeit in hohem grade beeinflusst. Man
könnte sie sogar für Variationen einer und derselben geschiente
ansehen. Zumal fällt die gestalt Regins auf. Wenn diese
ursprünglich zu der Volsungensage gehörte, was freilich nicht
feststeht, so würde sie beweisen, dass die Helgisage schon in der
gestalt, in der wir ihr in der Hrolfs saga kraka begegnen, an
die Volsungensage geknüpft war. Dass Reginn nicht erst in
dem relativ späteren Zeitalter der schriftlichen tradition, etwa
durch einen phantasierenden schreiber, dem die ähnlichkeit der
Situation auffiel, in die Helgisage gelangt ist, beweist Saxos lieyno
in der erzählung von Haldanus und Haraldus. Obgleich die er-
zählung hier an andere personell geknüpft ist, entspricht doch
Bcfftw vollständig dem Reginn der Hrolfs saga. Der name
scheint also aus der Helgisage in die Volsungensage gedrungen
zu sein und hat den Mime der deutschen Überlieferung ver-
drängt. Für frühe Verbindung mit der sage von den Volsungen
spricht auch die ähnlichkeit der mutter Hröars und Helgis Sigrior
mit der Signy der Volsungensage. Wie diese verbrennt Sigriör
mit ihrem gatten, den sie nicht liebt, obgleich sie sich über
die an ihm vollzogene räche freut. Auf grund obiger aus-
führungen würde ich geneigt sein anzunehmen, dass der name
Hundingr aus der Volsungensage in die Helgisage übertragen
und an die stelle Frööis (bez. Ingjalds) getreten ist, wenn nicht
dagegen spräche, dass die deutschen quellen von einer vater-
rache Sigurds nichts wissen. Aus dem gründe kommt es mir
wahrscheinlicher vor, dass Hundingr aus einem unbekannten
Sagenkreise in die Helgisage gedrungen und zusammen mit
dieser später mit den Volsungen verbunden ist. Man kann
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374
BOER
in anschluss an das vorhergehende die frage stellen, ob nicht
ein beträchtlicher teil der jugendgeschichte Sigurös, von dem
die deutsche Überlieferung so wenig weiss, auf Helgis jugend
zurückzuführen ist. Doch gehe ich auf diese frage nicht ein
und weise nur auf ihre bereehtigung hin.
H. Hu. II, 6 antwortet Helgi auf Sigrüns frage, wer er sei :
Humall totr fljöta fley viÖ bakka. Die zeile hat wahrscheinlich
nicht weniger als die unbekanntheit mit der sage, auf welche
str. 1 anspielt, die auffassung Hamals in str. 1 als n. pr. be-
wirkt. Dass Helgi statt sich selber einen genossen als führer
des heeres nennen würde, ist aber überaus auffällig; auch weist
nichts darauf, dass er von einem genossen begleitet ist. Ich
verstehe die zeile so, dass Helgi der seinen namen nicht nennt,
ironisch sich den namen beilegt den er in str. 1 als appella-
tivum benutzt; der gedanke ist dann: der führer ist jener
Hamall, von dem Hundingr zu erzählen weiss, wie ungefährlich
er ist (Helgi hat nämlich kurz vorher Hundingr getötet). Darauf
sind Sigrüns worte in str. 13 cn Hogna mcer Helga kcnnir —
eine sehr zutreffende antwort. Str. 6, 1 beweist auf jeden fall,
dass str. 6 — 13 zu demselben gedichte wie str. 1 gehören. In
bezug auf str. 2 —4 lässt sich aus dem angeführten nichts fol-
gern; über diese s. unten s. 381 ff.
II. Die Hrölfs saga kraka erzählt s. 24 ff., wie Hrökr, der
söhn Saevils und der Signy, also Helgis schwestersohn, Hröarr
tötet und dann von Helgi verstümmelt wird. Bei Arngrimr
töten Ingjalds söhne Hrörekr und Frööi den Hröarr. Da
Arngrims Ingjaldr dem Frööi der Hrölfs saga entspricht, ent-
sprechen Ingjalds söhne einem oder mehreren söhnen Frööis,
welche die saga nicht kennt, und an deren stelle Hrökr auf-
tritt. Weil die ermordung Hröars bei Arngrimr nach Helgis
tode erfolgt, wurde die räche wol von Hrölfr kraki vollzogen,
was Arngrimr nicht mitteilt, und zwar an Frööi, denn noch
nach Hrölfs tode lebt Hrörekr (Olrik, Skjoldungasaga s. 160).
Bei Saxo liegt die erzählung in zwei fassungen vor. Saxo, der
taten Helgis, u. a. die jugendgeschichte auf Haldanus Haraldi
filius überträgt, erzählt auch, wie Haldanus seinen bruder
Haraldus au dem Schwedenkönige Kricus rächt. Die andere
erzählung knüpft sich bei ihm an Helgi selbst; der Schweden-
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
375
könig Hothbrodus besiegt den könig Roe dreimal — wie Ericus
den Haraldus — und tötet ihn schliesslich; dann wird er von
Helgi besiegt und getötet.
Diese Überlieferungen stimmen alle darin mit einander
überein, dass Helgi den tod seines bruders rächt (nur Arn-
grinir erzählt die räche nicht); sie gehen darin aus einander,
dass der mörder bei Arngrimr und in der Hrolfs saga ein
verwanter der brüder, in den beiden erzählungen Saxos ein
fremder fürst, ein Schwedenkönig, ist. Dass Saxo den Hoth-
brodus der sage von Helgi Hundingsbani entlehnt, wird all-
gemein angenommen und steht auch in gewissem sinne fest.
Saxo hat nun einmal die beiden lange vor seiner zeit getrenn-
ten Helgigestalten wider zusammengeworfen, und wenn er in
demselben Zusammenhang von Hundingr spricht, so beweist
da« nur um so klarer, dass er taten des Hundingtöters auf
Helgi Hälfdans söhn überträgt. Der grund dieser Übertragung
muss aber in der ähnlichkeit beider gestalten gesucht werden,
welche ihrerseits wider auf deren ursprünglicher identität be-
ruht. Nun fällt es in hohem grade auf, dass die tötung des
Hothbrodus als ein racheact für Helgis bruder vorgestellt wird.
Man kann das freilich wider für eine willkürliche combination
erklären, und behaupten, Saxo habe der Skjoldungensage das
motiv der räche für den bruder, der sage von Helgi Hundings-
bani aber den namen Hothbrodus entnommen und aus diesen
dementen eine eigene sagenform geschaffen; wahrscheinlich
aber ist das schon auf grund der abweichung von der Über-
lieferung der Skjoldungensage (wo der mörder ein verwanter
ist) nicht. Eher haben wir es hier mit einer gestalt der sage
von Helgi Hundingsbani zu tun, welche das motiv der bruder-
rache noch kannte, bevor derselbe durch das der nebenbuhler-
schaft ersetzt wurde. Wenn diese auffassung richtig ist, so
ist Helgis kämpf mit Hoöbroddr nur eine Variation derselben
erzählung welche in der Hrolfs saga als Hrökrs Verstümme-
lung, bei Saxo als Haldaniis' kämpf mit Ericus erscheint.
Die Helgilieder tragen zur beurteilung der frage wenig
bei. Zufolge der anlehnung an die Siklingensage hat hier
das motiv der nebenbuhlei*schaft ein anderes ersetzt, und wel-
ches das andere war, kann aus der Überlieferung nicht mit
Sicherheit geschlossen werden. Detter (Arkiv 4, 07 ff.) hat in
376
BOEK
den beiden scheltgedichten (i, 32 — 46. n. 19 — 24) eine noch
nicht von der Siklingensage beeinflusste sagenform zu finden
geglaubt, und mir scheint es dass er recht hat. Sinfjotli wirft
dem Guömundr vor, Helgi habe das land der Granmarssöhne
erobert; der krieg scheint also nicht um den besitz eines
weibes, sondern um ein land geführt zu werden. Wenn aber
um ein land ein krieg geführt wird, so beweist das nicht, dass
dazu kein anderer grund als blosse eroberungssucht vorhanden
war; in den meisten fällen wird das entgegengesetzte der fall
sein. Nimmt man an dass Hoöbroddr einen bruder Helgis
erschlagen hatte, wol auch in der absieht sich seines landes
zu bemächtigen, so versteht es sich von selbst, dass Helgi,
der den bruder rächt, zu gleicher zeit H<>öbrodds land erobert.
Man kann also aus dem Vorwurf Sinfjotlis ebensowenig
schliessen, dass Helgi an Hoöbroddr einen bruder zu rächen
hatte als das entgegengesetzte. Doch beweist str. 24, 1 (Bugge)
iHjkkiat mir gööir Granmars synir, sowie die anspielungen auf
frühere schlachten (str. 20. 21. 24), dass von einem während
länge rer zeit fortgesetzten psychologisch motivierten kriege
die rede ist; und weil Hoöbroddr und Helgi einander nicht zu
kennen scheinen,1) ist anzunehmen dass in früheren kämpfen
ein verwanter Helgis dem Hoöbroddr gegenüber stand. Die
weise in der Helgi die schlacht bei Moinsheimar erwähnt,
scheint anzudeuten dass Hoöbroddr aus dieser siegreich her-
vorgieng. Detter (a. a. o. s. 75) vermutet dass es diese schlacht
war in der Hoöbroddr den Isungr erschlug, dessen tod i. 20
erwähnt wird. Da nun der Zusammenhang nötigt Isungr als
einen verwanten Helgis aufzufassen, glaube ich dass dieser
name ziemlich früh zufolge einer unbekannten combination an
die stelle eines andern getreten ist, und dass Isungr einen
bruder Helgis vertritt.
Der Verfasser der scheltgedichte und der strophe welche
Isungr nennt, hat nicht mehr gewusst wer Isungr war. Die
gediente bewahren an die schlacht bei Moinsheimar nur ver-
blasste erinnerungen. Und das ist ganz natürlich. Durch die
Verbindung mit der Volsungensage welche in diesen Uedem
') lütter a.a.o. s. 71 ; doch scheint mir diene «leutung der strophe nicht
unanfechtbar.
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ZUR DÄNISCHEN HELD
77
vorliegt, wurde Helgis bruder Hröarr durch Sinfjotli ersetzt,
von dem man wol wusste dass er nicht durch Hoobroddr um-
kam; er lebt noch während des kämpf es mit den Granmars-
söhnen, und das motiv der räche fttr den bruder verblasste,
bevor noch das neue motiv der nebenbuhlerschaft zur vollen
entfaltung gekommen war. Doch beweist grade die gestalt
des Sinfjotli, dass man sich Helgi von einem bruder begleitet
vorstellte, wie Helgi Hälfdans söhn jähre lang von seinem
bruder Hroarr begleitet war.
Den namen Hofibroddr erkläre ich als eine reminiscenz
an eine uralte form der sage. Wie die geschiente von der
vaterrache in der sage von Helgi Hundingsbani durch die an-
knüpfung an die Volsungensage bis zur Unkenntlichkeit um-
geformt wurde, so wurde in der Skjoldungensage die Über-
lieferung getrübt durch die widerholung des motivs vom ver-
wantenmord. In der Hrölfs saga und bei Arngrimr, welche beide
diese entwicklungsphase der sage repräsentieren, ist, wie schon
hervorgehoben wurde, der mörder Hröars ein naher verwanter
der brüder. Olrik hat gezeigt dass diese auffassung des Ver-
hältnisses der kämpfenden parteien in der dänischen königs-
sage verhältnismässig jung ist ; sie ist zwar in der isländischen
Überlieferung die gewöhnliche, aber mit ihr stehen ältere,
angelsächsische quellen im Widerspruch. So wenige spuren jener
älteren sagengestalt in der altnordischen literatur erhalten
sein mögen, so glaube ich doch in dem namen Hoöbroddr die
Heartobeardnas des Beowulf, welche unter den königen Fröda
und Inseid wider die Dänen kämpfen, widerzufinden. Das
ei-ste Zusammensetzungsglied der beiden namen ist vollständig
identisch; nur mit rücksicht auf das zweite glied sind ab-
weichende auffassungen möglich. Man könnte den gleichklang
an dieser stelle für zufällig halten; in diesem fall würde nur
das erste glied die Zusammengehörigkeit beider namen an-
deuten, und ihr Verhältnis wäre zu beurteilen wie etwa Signy,
Sigarr, SigriöT und der geschleehtsname Siklingar, welcher als
Sig-lingar erklärt wird. Man kann aber die frage aufwerten,
und ich glaube dass die antwort bejahend lauten wird, ob
nicht llgöbroddr eine ganz natürliche Umbildung des volks-
namens ist; die Umbildung hätte stattgefunden, nachdem das nicht
verstandene wort einmal als personenname aufgefasst worden
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378
BOER
war. Der name wäre in dem fall ursprünglich eine bezcichnung
Ingjalds oder Frööis als des königs der Haöubarden.1) Wie
der volksname im altn. gelautet hat, ist unsicher. Im zweiten
glied steckt wol nicht bard 'bart', sondera ein in der bedeu-
tung mit der ableitung baröa *beil ' übereinstimmendes sub-
stantivum. Neben dem schwachen subst. scheint das germa-
nische in dieser bedeutung bildungen auf -u gekannt zu haben
(Kluge, Ktym. wb. s.v. harte); aus germ. *barÖuz ergäbe sich
altn. *bordr; der lautgesetzliche name HgÖb^rÖr wäre aber
für ein späteres geschlecht, welches kein *bgrd'r 'beil' kannte,
durchaus unverständlich und musste wol notwendig zu HgÖ-
broddr umgedeutet werden. Mit bard ' hart' vertrug sich
weder die bedeutung des ersten noch das g des zweiten
gliedes; broddr gab einen verständlichen, der ursprünglichen
bedeutung des Wortes nahestehenden sinn; und die lautliche
Übereinstimmung war bis auf geringe abweichungen voll-
kommen. Vielleicht deutet noch Kaxos Schreibung Hothhrodus
mit einfachem d eine ausspräche an, welche der ursprünglichen
namensform näher stand.
Wenn Saxo den Hoöbroddr zu einem Schwedenkönige
macht, so beruht das auf einer combination, von der noch die
rede sein wird. Dass er ihn aber als einen fremden f Arsten
und zu gleicher zeit als Hr6ars morder darstellt, halte ich
nach dem gesagten für ursprünglich. Ks ist die sage von
Helgi Hundingsbani. welche hier züge bewahrt hat welche
die Überlieferung von dem söhne Halfdans vergessen hat.
III. Die liebesgeschiehtc der beiden beiden hat auf den
ersten blick wenig ähnlichkeit. Helgi Hälfdans söhn zieht
i riking; in Saxland bemächtigt er sich mit gewalt und list
der königin Olof; er hält sie drei tage und drei nächte als
geliebte bei sich; sie gebiert eine tochter, welche nach ihrem
hunde Vrsa genannt und wie die tochter einer dienstmagd
erzogen wird. Nach dreizehn jähren kommt Helgi wider nach
Saxland; er raubt das mädchen und heiratet sie. Ihr söhn
ist Hrolfr kraki. Helgi und Vrsa lieben einander sehr. Als
V) Aohnlich wird z. b. in den sognr ein bewnbner Islands oft mit dem
namen Islcmlnujr angeredet.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
379
Hrölfr drei jähre alt ist, kommt Olof nach Dänemark und ent-
hüllt das geheimnis; Yrsa reist mit ihr nach Saxland zurück;
später wird sie dem Schwedenkönige Aöils vermählt, Auf
diesen ereignissen beruhen zum teil die späteren feindsei ig-
keiten zwischen Hrolfr kraki und Aöils.
Nach den meisten quellen (Arngrimr, Saxo, Yngl. s.), zu
denen auch die oben besprochene Vorgeschichte der Äsmundar
saga zu zählen ist, zieht Helgi, nachdem Yrsa ihn verlassen,
wider t viking und fällt in unbekannten gegenden.
Die geschiente des Helgi Hundingsbani und der Sigrün
trägt ein ganz anderes gepräge. Sigrün ist valkyre; Helgi
heiratet sie wider den willen ihres vaters und tötet den vater
und den bräutigam; Sigrüns bruder vollzieht an Helgi die
räche. Das hauptmoment ist, wie von andern widerholt be-
tont wurde, die leidenschaftliche liebe des jungen paares,
die klage Sigrüns, die rückkehr Helgis. Dass hier anlehnung
an die Siklingensage vorliegt, ist eine bekannte tatsache, auch
dass ursprünglich die erzählung von Sigrün mit der tötung
Hoflbrodds nichts gemeinsam hatte. AVenn man diesen zug
ausscheidet, bleiben übrig: die entführung einer valkyre wider
den willen des vaters, die tötung des vaters, die räche durch
einen verwanten (sei es, wenn der kämpf mit dem vater ur-
sprünglich ist, für des vaters tod, sei es für die entführung,
wie in der sage von Hagbarör). die widerkehr des verstorbenen
beiden, welcher zug in der Vorstellung einer glühenden leiden-
schaft seinen grund hat.
Die liebesgeschichte des Helgi Halfdans söhn hat mit dieser
einige züge gemein, und in ihren verschiedenen fassungen
zeigt sich allmählich eine ent Wicklung in der rieht ung nach
der in den liedern vorliegenden sagenform. Man musa an-
nehmen dass ein jüngeres Zeitalter, welches an dem blut-
schänderischen Verhältnis des helden zu seiner eigenen tochter
anstoss nahm, dieses Verhältnis dadurch beseitigen konnte,
dass es die beiden geliebten Helgis als eine person auffasste.')
Aus den beiden entführungsgeschichten wurde also gleichfalls
') Auf «ähnliche weise wurden, wie ich Arkiv s, 11»; f. nachgewiesen habe,
die beiden geliebten des älteren .Starkaor Qgu und Älfhildr in Ingibjqrg
zu einer person.
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380
BOER
eine einzige, und ein vater trat, vielleicht unter dem einfluss
einer fremden sage, an die stelle der mutter, für welche nun
kein platz mehr übrig war. — Von Olof heisst es ferner (Hrolfs
saga s. 17), dass sie for med skjpld ok brynju ok gyrÖ sverÖi
ok hjälm d hoföi; sie war also valkyre wie Sigrün. Ihre heimat
ist im Süden (Saxland), wie die der Sigrün, welche Helgi
suÖran nennt. Von Helgi und Yrsa wird gesagt, dass sie
einander sehr lieb hatten, wie Helgi und Sigrün. In der
Hrolfs saga kraka findet sich zuerst die auffassung, dass
Helgis tod eine folge seines Verhältnisses zu Yrsa war; hier
tritt, abweichend von der älteren Überlieferung, die Helgi
auf einer heerfahrt umkommen lässt, Aöils als Helgis mörder
auf.») Aöils als Yrsas gatte ist darauf angewiesen den raub
zu rächen; in der sage von Sigrün, welche neben Helgi
keinen zweiten gatten kennt, ist er durch einen bruder ersetzt.
Und die vorwürfe welche Yrsa nach Helgis tod dem AÖils
macht (s. 34), sind der prototypus zu der Verwünschung Dags
durch Sigrün. Ferner findet sich schon in der sage von Helgi
Halfdans söhn ein anfang zu der in der sage von dem Hundings-
töter hergehenden Vorstellung, welche Helgis tod als eine folge
der tütung Hoöbrodds auffasst, indem eine jüngere quelle, Saxo.
den Athislus zu einem söhne des Hothbrodus macht, daher denn
auch Hothbrodus in Schweden regiert.
Noch muss bemerkt werden, dass auch die weitere aus-
führung des liebesmotivs, welche auf einfluss der Siklingensage
zu beruhen scheint, gerade dadurch auf Helgi Halfdans söhn
weist, denn gerade an derselben stelle, wo in der Skjoldungen-
genealogie Helgi eintritt, nach dem Hälfdan den Saxo irrtümlich
Haraldi filium nennt, der aber wie oben gezeigt wurde niemand
anders als Helgis vater ist, gerade an jener stelle ist auch die
sage von den Skjoldungen mit der Siklingensage verbunden.
Die Verbindung trägt hier einen friedlichen charakter, doch
konnte sie der ausgangspunkt für weitere berührungen werden.
Freilich gehört die poetische ausschmückuiig der erzähhmg
und die tiefere auffassung des liebesverhältnisses der dicht ung
von dem Hundingstöter allein an. Ich habe nur zeigen wollen,
') Kin ähnlicher bedanke liegt Saxos berieht s. 53. nach einiger mei-
nnng habe Helffi vor schäm über das Verhältnis zn Yrsa sich selbst das
leben genommen, zu gründe.
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ZUK DÄNISCHEN HELDENSAGE.
381
dass die meisten charakteristischen eigentümlichkeiten der er-
zählung von Helgis und Sigrüns liebe teilweise in der ältesten
gestalt der sage von Helgi und Ol of -Yrsa, teilweise in ihren
späteren entwicklungsphasen sich schon angedeutet finden.
Für die Helgi-Sigrunsage ergeben sich aus dem erörterten die
folgenden entwicklungsstufen:
1. Aelteste gestalt: Helgi raubt die valkyre Ötyf, später
ihre tochter Yrsa. Helgi und Yrsa lieben sich sehr. Yrsa
verlässt Helgi und heiratet Aöils. Helgi kommt im fremden
lande um.
2. Helgis tod wird als eine folge des raubes aufgefasst.
Aöils tötet Helgi (Hrölfs s. kr.).
3. Helgis tod wird zur tötung Hoöbrodds in beziehung
gesetzt (Saxo, wo Hoöbroddr Aöils vater ist).
4. Aus 2 und 3 folgt unmittelbar eine beziehung zwischen
der tötung Hoöbrodds und dem raube der Yrsa. Hoöbroddr
wird Helgis nebenbuhler. So in den Hedem.
5. Olof und Yi*sa werden zu einer person. Nur in den
Hedem. Dadurch wird Yrsas zweiter gatte eliminiert; ein
bruder vertritt die stelle.
6. Ausmalung des liebesmotivs unter dem einfluss der mit
der Skj^ldungensage schon verbundenen Siklingensage.
Nur das motiv der tötung des vaters ist in der älteren
sage nicht angedeutet. Doch lag die möglichkeit seines ent-
stehens in dem raub des mädchens. Ich verzichte darauf zu
entscheiden, wie wTeit es unter dem einfluss anderer sagen
ausgebildet ist; nur bemerke ich dass durch obenstehende
Untersuchung die möglichkeit fremder einfliisse nicht geleugnet
wird; oben wurde nur der same nachgewiesen aus dem m. e.
ein beträchtlicher teil der herrlichen Helgidichtung empor-
geblüht ist; doch folgt daraus nicht, dass alles was die dieh-
tung von Helgi dem Hundingstöter erzählt, notwendig in dem
söhne Hälfdans seinen grund hat. Solche einflüsse gehören
einer entwicklungsstufe der sage an welche zu verfolgen in
diesem Zusammenhang meine absieht nicht ist. Nichts hindert
z. b. daran, die tötung des vaters mit Sijmons (Zs. fdph. 18, 117)
auf die Hildesage oder einzelne züge Sigrüns auf die sage von
Helgi dem söhne Hjorvarfis zurückzuführen.
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382
BOEK
Das zweite gedieht von dem Hundingstöter enthält drei
Strophen, deren inhalt, wie es scheint vollständiger, in der
Hromundar saga Greipssonar mitgeteilt wird. Es sind die
schon gestreiften str. 2—4, wo Helgi in franenkleidern bei
Hagall versteckt ist. Sijmons hat zuerst (Beitr. 4, 194) die
Vermutung ausgesprochen, dass diese Strophen zu den ver-
lorenen KäruljöA gehören, und diese ansieht in seiner bespre-
chung des Corpus poetieum boreale (Zs. fdph. 18, 118 f.) weiter
entwickelt (vgl. oben s. 370). Diese Vermutung beruht auf
den folgenden tatsachen: 1. die schlussprosa der H. Hu. u
erwähnt die KäruljöA, welche von Helgi Haddingjaskati ge-
handelt haben sollen; 2. die Hromundar saga erzählt von
Helgi Haddingjaskati; 3. die Hromundar saga hat unsere
Strophen benutzt. Die folgerung, dass str. 2- 4, welche die
Hromundar saga in besserem Zusammenhang als das Helgilied
kennt, Strophen der KäruljoA sind, hat viel anziehendes. Doch
kann ich mich dieser auffassung nicht anschliessen.
Was den Ursprung des sagenmotivs betrifft, so vermutet
Sijmons mit recht auf grund des Baviss der saga, welcher
name eine Verderbnis von Bolviss ist, dass es aus der Siklingen-
sage, und zwar aus der sage von Hagbarör und Signy stammt.
Daraus würde noch nicht folgen, dass die Strophen nicht ge-
dichtet sein könnten, nachdem die Verbindung des motivs mit
der Helgisage vollzogen war, in welchem fall sie Strophen
eines Helgiliedes sein würden. Wenn sie auf Helgi Hundings-
bani zu beziehen wären, müsste man annehmen dass sie zu
der jugendgeschichte Helgis gehören, wie auch der summier
des gedichtes sie an den anfang stellt, und dass sie also eine
Variante der erzählung der Hrolfs saga kraka wären, wo
Frö<M Helgi und Hröarr vergebens bei Vifill, bei dem sie sich
unter hundenamen aufhalten, sucht. Die gestalt des Blindr
enn bolvisi wäre dann aus der Siklingensage in die Helgisage
aufgenommen und entspräche den begleiten! des königs; die
versuche Vihls, die knaben durch list zu erretten, wären durch
das motiv der Verkleidung ersetzt. Das wäre denkbar; doch
würden auch in diesem fall str. 2—4 nicht demselben gediente
wie str. 1 angehören können, wo Helgi durch den namen
Hamall auf die fassung der sage welche in der Hrolfs saga
vorliegt, anspielt; aus demselben gründe wären str. 2 — 4 von
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
383
str. 6 zu trennen. Da nun der inhalt der Strophen anderswo
in besserem Zusammenhang mitgeteilt wird, so ist es von
vornherein wahrscheinlich, dass sie ursprünglich zu einem
anderen liede gehört haben, und verhältnismässig spät zufolge
der ähnlichkeit der Situation in die Helgidiehtung aufgenommen
sind. Es ist in diesen Strophen von einem beiden der sich
vor einem feinde versteckt, die rede; auch Helgi wurde in
seiner jugend vor einem feinde versteckt; dass str. 1 davon
handelte, verstand der sammler noch, obgleich ihm die bedeu-
tung der strophe nicht klar war, und str. 2—4 wurden nach
str. 1 eingeschoben. Dazu mag die lautliche ähnlichkeit der
namen llamall und Hagall mitgewirkt haben; der Verfasser
der prosa von 2 scheut sich nicht, auf grund dieser ähnlichkeit
Haniall zu einem söhne Hagais zu machen.
Ich glaube dass diese Strophen das einzige bewahrte frag-
ment eines liedes von Hagbarör sind. Die zu gründe liegende
Überlieferung wäre von der erzählung. welche Saxo von Hag-
barör mitteilt, nicht sehr verschieden; bei Saxo und in den
dänischen liedern dringt Hagbarör in frauenkleidern in den
palast des königs und wird dort ergriffen; hier scheint eine
form der sage vorzuliegen, nach welcher Hagbarör die Signy
zu einem seiner freunde entführt, wo er, als die diener des
königs ihn suchen, sieh in frauenkleidern aufhält.')
Untersuchen wir nun den Zusammenhang in dem die den
Strophen entsprechende prosa in der Hrömundar saga Greips-
sonar mitgeteilt wird, so ergibt sich dass sie schwerlich als
paraphrase eines fragments der Käruljoö aufgefasst werden
kanu. Die Käruljoö handelten von Helgi Haddingjaskati und
seiner geliebten Kära. Die Hrömundar saga erzählt, wie Helgi
dadurch dass er ohne absieht die ihn schützende valkyre
tötet, seinen eigenen Untergang bewirkt. Wenn diese episode
') Str. 4, 5—7 wurden hinzugedichtet , nachdem die verse auf Helgi
bezogen waren. Auch wenn str. 2 4 einein Helgigedichte angehörten, so
könnte an dieser stelle noch von .S'/V/«rr und Ilotjni, deren bekanntschalt
Helgi erst später macht, nicht die rede sein. l»ie nrsprünglichkeit der
z. ti Hesse sich verfechten auf grund der tatsache. dass Sigarr auch eine
gestalt der Hagharössage ist: doch wäre es unverständlich, wie Hag-
barör, der vor Sigarr sich verbirgt, sich für eine sch wester Sigars ausgeben
könnte.
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384
BOER
auf versen beruht, so sind das zweifelsohne Strophen der
Käruljoö gewesen.
Aber die erzählung welche auf H. Hu. Ii, 2 — 4 und mehreren
verlorenen Strophen ähnlichen inhaltes beruht, ist in der saga
nicht an Helgi, sondern an Hromundr geknüpft. Man kann
nun annehmen dass der Verfasser der Hromundar saga die
Karuljoo zwar gekannt, aber sehr ungeschickt benutzt hat.
und dass er willkürlich einige strophen auf Helgi. andere auf
Hromundr bezog. Für des Verfassers Verständnis für die alte
poesie nehme ich es nicht an; doch spricht das was die saga
mehr von Hromundr erzählt, gegen diese annähme. Der inhalt
der saga beweist m. e. sonnenklar, dass der sagaschreiber mit
recht diese Strophen auf Hromundr bezogen hat.
Die Hromundar saga enthält nämlich nicht nur verblasste
reminiscenzen, sondern auch eine zwar verderbte und ein wenig
modernisierte, aber beinahe vollständige Überlieferung der
Hagbarftssage, welche an die person des Hromundr geknüpft
ist; dass der Verfasser mehrere liederfragmente gekannt hat,
steht fest.
Bisher wurden mit grösserer oder geringerer Sicherheit als
motive der HagbanVsage anerkannt : 1. die gestalt des Baviss.
2. das verkleidmotiv. Ich glaube beweisen zu können, dass
auch das wichtigste motiv der Hagbarössage, die liebes-
geschichte, in der Hromundar saga einen reflex gefunden hat.
Und die gestalt des Bolviss finde ich nicht nur in dem Baviss
der saga wider, sondern noch in einer andern Persönlichkeit,
deren auftreten dem des Bolwisus bei Saxo weit ähnlicher Ist
als das des Baviss. Eine nicht geringe Verwirrung ist ent-
standen durch die Verbindung zweier von haus aus verschie-
dener sagen, Hromunds liebesgeschichte und sein kämpf mit
Helgi Haddingjaskati. Es kommt hinzu, dass dem sagaschreiber
das richtige Verständnis für seinen stoff abgieng und dass er
sehr gedankenlos arbeitete. Ein beispiel genüge. S. 371 gibt
Hromundr einen ring einum mannt, peim er JIrokr hei. Dieser
JIrokr kann kaum jemand anders sein als Hromunds s. 365
genannter bruder; das hatte der Schreiber sechs seiten weiter
vergessen. Hrokr wird von Voli getötet; doch fallen später
auf den Vienisiss Hromunds sämmtliche acht brüder, also auch
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
385
Hrökr.1) Man muss also die berichte der saga mit vorsieht
aufnehmen. Gleichwol sind die zu gründe liegenden sagen noch
ziemlich klar zu unterscheiden.
Hrömundr Greipsson kommt zu einem könige Alfr; dieser
red fyrir Gyrdum i Banm^rk. Bei dem könige stehen zwei
böse männer, Bildr und VbU, in hohem ansehen. Helgi be-
siegt für den könig in einer Schlacht die brüder Hrongviör
und Helgi; jener kommt um, diesem wird das leben geschenkt.
Nachdem Hrömundr einem gespenste namens präinn ein schwert
abgewonnen hat, wird er sehr berühmt. Voli tötet nun Hrökr
(vgl. oben); der könig sagt dass er das später bestrafen werde,
was nicht geschieht (der bericht soll nur zeigen wie böse
Voli ist). Der könig hat zwei Schwestern, eine von ihnen,
Svanhvit, wird eine freundin Hrömunds. Dieser spricht wider-
holt mit ihr und fürchtet weder Voli noch Bildr; doch ver-
leumden diese ihn bis zu dem grade, dass er den hof verlassen
muss. Svanhvit verwünscht vergebens Voli und Bildr. — Die
Haddingjar (Haldingjar hat die ausg. und einige hss. fehler-
haft), zwei Schwedenkönige, in deren gefolge sich Helgi,
Hrongviös bruder, aufhält, fordern könig Öläfr zum kämpfe auf
dem eise des Wenersees auf. Nun will Hrömundr nicht mit
in den krieg fahren, tut es aber, von Svanhvit dazu aufgefor-
dert, dennoch. Kr kommt an, nachdem der kämpf schon be-
gonnen und seine acht brüder nebst Bildr getötet worden sind.
Er besiegt die könige, tötet Helgi (episode von Kara), wird
aber verwundet; dann begegnet er Voli, der an dem kämpf
nicht teilgenommen hat, und tötet ihn. Nun kommt Hrömundr
zu Hagall, wo Svanhvit ihn heilt. Aber ein mann namens
Blindr enn Uli (später BUndr er Bdriss het genannt) sagt dem
könig Haddingr, dass Hrömundr noch lebt; der könig sucht
Hrömundr zweimal vergebens bei Hagall; das zweite mal war
Hrömundr in der Verkleidung eines mädchens (also der inhalt
der H. Hu. II, 2—4). Im winter hat Blindr böse träume, welche
er dem könige mitteilt; bald darauf überfallen Öläfr und
Hrömundr könig Haddingr und Blindr er het Bäviss; Hadd-
') Zu den reminiscenzen an fremde sagen gehört auch die erzählung,
wie Hrömundr sein schwert, welches in den Wenersee gefallen ist, zurück
bekommt. Man vergleiche die gewinnung des bei Agnafit versenkten
Schwertes in der Asinundar saga kappabaua.
Beiträge lur geschieht« der deuteohon spräche. XXII. 25
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386
BOER
ingr wird totgeschlagen, Baviss gehängt, Hromundr heiratet
Svanhvit.
Diese wenig zusammenhängende geschichte muss inter-
pretiert werden wie ein fragmentarisches und zu gleicher zeit
mit zutaten versehenes gedieht. Offenbar hat der schreiber
von seinen quellen, welche schon nicht einheitlich waren, nichts
verstanden; nicht einmal einen namen der in einigermassen
abweichender gestalt an mehreren stellen widerkehrte, hat er
widerzuerkennen vermocht. Die folgenden Widersprüche sind
besonders zu betonen.
Der könig Haddingr wird auf dem eise des Wenersees
geschlagen; dennoch behauptet er, wie es scheint, das Schlacht-
feld und die macht über die gegend, denn er lässt Hromundr
suchen um ihn gefangen zu nehmen. Dass sich dieser aber
auf dem gebiete des königs Oläfr, und zwar ziemlich nahe bei
der königsstadt aufhält, geht daraus hervor dass die königs-
tochter ihn heilt.') Ferner entsprechen Voli und Bildr genau
dem Bolwisus und Bilwisus der Hagbarössage; die namen sind
augenscheinlich entstellungen dieser namen; wenn also Bol-
wisus später wider als Blindr er Baviss het auftritt, so be-
deutet das nur, dass dem schreiber der saga quellen zu geböte
standen, in denen der name auf verschiedene weise verderbt
war, so dass er Baviss für eine von Voli verschiedene gestalt
ansah. Weil er nun in seiner quelle Voli und Bildr später
nicht widerfand, lässt er sie beide in und nach der Schlacht
auf dem Vaenisiss umkommen. Es sind also Voli und Bildr,
oder einer von ihnen,2) welche Hromundr bei Hagall suchen;
Voli und Bildr aber sind Olafs, nicht Haddings männer. Das
stimmt zu der Vorstellung, dass Hromundr sich in Ölafs land
aufhält und von der königstochter geheilt wird. Das stimmt
') Wie Hromundr auf einmal von dem Wenersee nach Dänemark
kommt, bleibt unerklärt; die geographische Vorstellung' ist ganz verwirrt:
wenn Hromundr bei Hagall sein schwert. welches er auf dem see verloren,
zurückbekommt, so scheint er doch von dem Schauplatz des kämpfe« nicht
so fern zu sein. Die erwähnung des Wenersees ist aber wol eine reiuini-
scenz an die erzfihlnng von Adils* kämpfe mit Ali (Sn. E. lt 394).
*) Bildr ist entweder eine entstellung von Blindr oder von Bilciss.
Voti ist Boitins. Wenn Bildr — Blindr ist. so entsprächen Voli und Bildr
beide dem Bilciss.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE. 387
auch zu dem anfang der saga, wo gesagt wird, dass Voli und
Bildr den Hrömundr gerade wegen seines intimen Verhältnisses
zu der königstochter verleumden.
Wir gewinnen durch diese auffassung des Blindr er Baviss
hei als mit Voli und Bildr identisch eine sagenform, welche
genau mit der oben für die Hagbarösage vermuteten form
übereinstimmt:
Hromundr kommt zu dem könige Öläfr und kämpft zwei-
mal für ihn. Er knüpft mit der königstochter ein intimes
Verhältnis an; die bösen ratgeber verleumden ihn; der könig
jagt ihn fort. Die königstochter besucht Hrömundr, der sich
bei Hagall versteckt hat; der könig und die bösen ratgeber
suchen ihn dort; er hat frauenkleider angezogen und wird
nicht gefunden.
Auch von Hagbarör wird erzählt dass er anfangs ein
freund der Siklinge war, bis Bolwisus Unfrieden stiftete.')
Von hier an gehen die erzählungen auseinander, und es zeigt
sich die Überlieferung der Hrömundarsaga als die jüngere durch
den friedlichen ausgang. Hromundr heiratet die königstochter,
während Hagbarör gehängt wird. Die jüngere sagenform for-
dert dass Bolvtas gestraft wird. Der träum des Baviss scheint
eine poetische quelle zu haben; wenn das der fall ist, so kann
das gedieht kaum entstanden sein, bevor diese jüngere sagen-
form ausgebildet war;2) bei Saxo wird zwar die magd welche
geplaudert hat, aber nicht Bolwisus gestraft.
>) Dass Boliritm und Bilwiswi Ödinn sind, halte ich für ausgemacht.
Dafür spricht n. a. das folgende: 1. Ödinn heisst Bolrerkr, 2. er tritt auf
als Blhulr oder enn blindi: 3. er tritt mehrfach unter zwei correlativen
namen auf, von denen z. b. Bnleygr und Bileygr den Bolrhs und Bilriss
lautlich sehr nahe stehen. Man könnte sogar an vollständige identitftt
dieser namen denken, wenn man das zweite glied des Boltcisus als latei-
nische Übersetzung von -eygr aufzufassen wagte, wogegen aber die nordi-
schen formen Barium und enn bylcisi angeführt werden können; 4. Ödinn
stiftet stets Unfrieden unter den männern, wie Bolriss. Auch bei Saxo
tritt ÖÖinn oft als friedensBtürer auf, z. b. s. 255, 25. S. 248, 22 erscheint er
orbus oculo (wie oft in an. quellen; man denke an die Verpfandung von
ÖÖins ange), was dem Bolici*us luminibm captus genau entspricht. Auf
grund des angeführten trenne ich Bilwisus und Bolwisus vollständig von
den zwergengestalten Alins und Olius (s. oben s. 359).
') Doch könnte man sich vorstellen, dass dem gedichte von Bolviss'
träumen die erzählnng von det räche für HagbarÖs tod, welche Saxo s. 238 f.
25*
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388
BOER
Ich glaube bewiesen zu haben, dass die erzählung der
Hrömundar saga eine am Schlüsse modernisierte Variation der
Hagbarösage ist. welche auf Hromundr übertragen ist. Der
Verfasser benutzte fragmente eines liedes von Hagbarör. Drei
Strophen jenes gedientes sind im zweiten Helgiliede bewahrt.
Ich muss hier bemerken, dass durch meine erklärung der
Strophen der poetischen Überlieferung nicht mehr gewalt an-
getan wird als durch die annähme, dass str. 1 — 13 zu den
Käruljöo gehören. Zwar trenne ich str. 2—4 von str. 1 und
5—13; aber ich vereinige wenigstens stofflich str. 1. 5—13 mit
den folgenden Strophen, so dass nach meiner auffassung nur
3 Strophen der Helgidichtung von haus aus vollständig fremd
sind, während die andere auffassung 13 Strophen verurteilt.
Der prosaischen Überlieferung der Hrömundar saga aber wird
nur meine auffassung gerecht.
Da der sagaschreiber der erste war der den Bäviss zu
einem manne Haddings gemacht hat, ist er es wol auch der
hinzuphantasiert, dass Haddingr zusammen mit Baviss getötet
wird. Ursprünglich kam wol Haddingr mit Helgi auf dem
Yamisiss oder wo der kämpf sonst localisiert war, um. Doch
hebe ich ausdrücklich hervor, dass jene sage welche Helgi in
Zusammenhang mit könig Haddingr nennt, von der oben be-
sprochenen grundverschieden ist. Zwei sagen sind in der
Hrömundar saga mit einander verflochten.
Hrömunds kämpf mit Helgi ist ein letzter ausläufer der
sage von den Skjoldungen und den Haöbarden. Selbst das
motiv der räche für den tod des bruders fehlt hier nicht; es
ist aber auf die andere partei, welche diesmal den sieg davon-
trägt, übertragen. Hromundr rächt an Helgi seine brüder.
Einer dieser brüder heisst Hrokr, wie der töter Hroars in der
Hrölfs saga kraka. Nach den settartolur (Fiat. 1, 24) gehören
Hromundr und Hrokr zu demselben geschlechte wie Hoftbroddr.
den wir aber als Haöbarden erkannten. Wie die Siklinge in
nahem freundschaftlichen Verhältnis zu den Skjoldungen, so
berichtet, zw gründe liegt. Die schlecht bei Walbnmna raus» einst sehr
berühmt gewesen sein.
') Auch Helgi hat an Hromundr einen bmder Hrengviör zu rächen:
doch ist die Vorstellung hier sehr verwirrt. Gehört das abenteuer ursprüng-
lich zu dieser sage?
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ZUR DANISCHEN HELDEN8AGE.
889
erscheinen die feinde der Siklinge, das geschlecht zu dem
Hagbarör gehört, als mit den HaÖbarden befreundet und ver-
want schon dadurch, dass die Überlieferung eine erzählung
von Hagbardr auf Hrömundr überträgt. Dazu stimmt dass
der vater des Hrökr svarti, von dem Hrömundr stammt, Ha-
rn und r hiesw wie Hagbarös vater und bruder. Dass jener
Hamundr Horöajarl genannt wird, beweist nur die Überführung
des geschlechtes nach Norwegen.
Ich kann demnach Olrik, dessen aufsatz über die Skjold-
unga saga ich übrigens viel anregung verdanke, darin nicht
beistimmen, dass der gegensatz zwischen Skjoldungen und
Haöbarden in der norrönen Überlieferung bis auf geringe
spuren verwischt ist. Zwar gehören in der nordischen tradi-
tion Ingjaldr und Frööi zu den Skjoldungen, wie auch in
einigen quellen Hrökr zu einem Skjojdung geworden ist. Doch
stossen wir in zahlreichen quellen auf den alten gegensatz.
Auf der einen seite stehen die SkjoMunge, als deren haupt-
vertreter in der hier besprochenen Überlieferung Halfdan und
Helgi erscheinen,1) und die Siklinge: Sigarr und seine söhne;
auf der anderen seite die Haöbarden Hoöbroddr, Hrökr, Hro-
mundr und das ihnen nahe verwante geschlecht der söhne
Hamunds: Hagbarör und seine brüder.
Die geliebte des Helgi Haddingjaskati gibt sich durch den
namen des vaters (Halfdan) als ein glied des Skjohiungen-
geschlechtes zu erkennen.
| Nachschrift. Dieser aufsatz war geschrieben, als Bugges
bedeutende schrift 'Helge-digtene i den aeldre Edda' erschien,
welche einige der hier besprochenen fragen mit Bugges be-
kannter gelehrsamkeit und weit ausführlicher, als oben ge-
schehen, behandelt. Manches wird dort ähnlich wie oben be-
urteilt; namentlich verficht auch ßugge die identität des Helgi
Hundingsbani mit dem söhne Hälfdans. Doch habe ich diesen
aufsatz nicht zurückzuhalten für meine pflicht gehalten, einer-
seits weil er zum grossen teil über fragen handelt, auf welche
Bugge nicht eingeht, andererseits weil ich in manchen punkten
zu anderen resultaten gelangt bin. Wo, wie z. b. in der auf-
») Auch die Haddingjar gehören nach den jettartqlnr zu demselben ge-
schlechte.
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390
BOER, ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
fassung Hoftbrodds als HaAbarden, ein übereinstimmendes re-
sultat erreicht wurde, möge das für die richtigkeit jenes
resultates zeugen. Die reiche belehrung, welche jeder der sie
liest aus Bugges schritt schöpfen wird, habe ich hier nicht ver-
wertet, damit nicht die ursprünglichkeit dieser arbeit verloren
gehe: ich hätte dadurch das recht verloren, sie als eine selb-
ständige Untersuchung herauszugeben. Doch bin ich davon
überzeugt, dass wenn Bugges buch ein halbes jähr früher er-
schienen wäre, nicht nur einige Seiten dieser abhandlung als
überflüssig zurückgehalten wären, sondern auch andere dabei
gewonnen hätten.]
LEEUWARDEN, october 1896. R. C. BOER.
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SATZVERBINDENDE PARTIKELN BEI OTFRID
UND T ATI AN.
Vorliegende arbeit sucht festzustellen, welche wörtchen
im Otfrid und Tatian zur Verbindung gleichwertiger und un-
gleich wert iger sätze gebraucht werden; m. a. w. welche coordi-
nierenden und subordinierenden conjunctionen sie kennen, und
welche bedeutung diese haben. Dabei ist nicht nur rücksieht
genommen auf die reinen conjunctionen, sondern auch die
wörtchen sind in den kreis der betrachtung gezogen, die an
den einen stellen noch als adverbia nur einem satz angehören,
an andern stellen aber auch zur Verbindung mehrerer sätze
dienen. Die bedeutung dieser wörtchen ist aber noch nicht
überall fest ausgeprägt; die meisten weisen mehrere bedeutungen
auf, die häufig in einander übergehen.
Otfrid und Tatian stammen beide aus dem 9. jh. Tatian
ist höchst wahrscheinlich in der klosterschule zu Fulda ent-
standen, deren schüler Otfrid gewesen ist; beide werke sind
in fränkischer mundart geschrieben. So ergibt sich in dieser
Untersuchung naturgemäss in vielen punkten Übereinstimmung.
Aber Otfrid hat ein in versen geschriebenes, originaldeutsches
werk geliefert, der Tatian bietet in prosa die oft sklavische
widergabe einer lateinischen vorläge. Es haben sich darum
auch manche unterschiede aufweisen lassen. Zur vergleichung
wurden ausser andern ahd. denkmälern besonders der Isidor
herangezogen, weil auch er die Übersetzung einer lateinischen
vorläge ist.1)
') Von früheren arbeiteu ähnlicher art lagen mir vor: Erdmann,
(trundziige der deutschen »yntax. — (trimm, Deutsche grammatik 3 1 (<»r.).
— Koch, Die bildung der nebensätze, in Herrigs Archiv 14, 267 ff. —
Tobler, Conjunctionen mit mehrfacher bedeutung, Beitr. 5, 358 3S8.
Erdmann, Syntax Otfrids (E. S.), bd. 1. Ohly, Die Wortstellung bei
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392
SCHÖLTEN
§ L avur,
bei 0. häufig als adv. und conj., im T. als conj. sehr selten,
wird in beiden denkmälern gebraucht zur scharfen gegenüber-
stellung von personen und sachen, gleich unserem 'anderer-
seits, dagegen', z. b. 0. 2, 19, 3 ther wizzod gibot ... , ih avur
sagen tu; T. 174,4 thisu weralt gifihit, ir birut abur gitruobte
(vos autem). 0. verwendet avur ferner zu einfacher fortfiihrung
der erzähl ung = 'aber', z. b. 4,8,12 rietun thes ginuagi, tvio
man inan irsluagi: sie forahtun avur innan thes menigi thes
Hutes. Zuweilen hat avur auch die erläuternde nebenbedeutung
eines 'nämlich', z.b. 5, 12, 100 thia filu sconun wunna, Üuus heizit
avur minna! Verstärktes adversatives avur: 0. 1, 9, 27 avur
thara ingegini.
§2. er
hat im 0. bei positivem hauptsatz die bedeutung 'bevor, ehe',
z. b. 2, 7, 66 irkanta ih thino guati . . . , er er thih thes bati, thaz
. . nach negativem hauptsatz '(nicht) eher als bis', z.b. 4, 20, 25
er es er io nirwant, er er allaz thia lant gidruabta ... Im
T. wird in derselben bedeutung gebraucht er thanne, und zwar
L bei positivem hauptsatz — 1. antequam, priusquam, z. b.
131, 25 er thanne Abraham uuari, er bim ih (er ist hier als
Übersetzung von ante, prius eigentlich noch temporales adv.);
2. bei negativem hauptsatz = 1. donec, z.b. 158,2 ni izzu ih
iz mit iti, er thanne iz gifullit uuirdit. Nur je einmal hat O.
er thanne 3, 18, 62 (wo die alte bedeutung prius . . . quam noch
besonders lebendig ist) und T. er = antequam 5, 7.
Im übrigen ahd. lautet die conj. er. Is. hat 17, 4 aer, 47, 2
und 4 aer dtianne.
Otfrid. — Starker, Die Wortstellung der uachsätze in den ahd. Über-
setzungen des Matthänsevangeliums, des Isidor und Tatian. — Pitt mar,
Ueher die altdeutsche negation ne in abhängigen sätzen, Zs. fdph., erg.-bd.
1874, 183 ff. — Gering, Die cansalsätze und ihre partikeln bei den ahd.
Ubersetzern des 8. und 9. jh/s. — Mensing, Untersuchungen über die syntax
der concessivsätze im alt- und mhd. — Tobler, Ueber 'und', Germ. 13, 91 ff.
Frey, Die temporalconjunctionen der deutschen spräche in der Uber-
gangszeit vom mhd. zum nhd. — Löhn er, Die Wortstellung der relativ-
und abhängigen conjunctionalsätze in Notkers Boethius. — Hanno w, Der
satzbau des ahd. Isidor im Verhältnis zu seiner lateinischen vorläge (dazu
Tobler, Anz. fda. 16, 379). — Wunderlich, Beiträge zur syntax des
Notkerschen Boethius.
SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID Ü. TATIAN.
393
Der bei 0. nicht seltene hinweis auf den nebensatz durch
ein adverbiales er im vorangehenden hauptsatz, z. b. 4, 4, 3.
3, 2, 20, findet sich auch im T. 131, 25. Im folgenden hauptsatz
hat 0. ausserdem ein so 2, 1, 3. 13. 17.1)
§ 3. giuuesso,
das 'eine auffallende menge verschiedener conjunctionaler an-
Wendungen' in sich vereinigt,5) wird von 0. nie conjunctional
verwant. Im T. dagegen wird durch giuuesso (zweimal beim
Schreiber 6 und 6' in der form giuuisso, Sievers s. xlix) wider-
gegeben 1. etiam = 'auch'; z. b. 83, 2, ebenso Is. 5, 2; — 2. autem,
vero = 'aber, dagegen', z. b. 84,3. 226,3. Is. 5,8. 11,12; —
3. quidem = 'zwar', in der Verbindung quidem — autem (vero),
z. b. 141, 23. 181, 6. 172, 5; inti giuuesso = et quidem, z.b. 116,6,
hinter einem hervorzuhebenden wort, z.b. 91,4; — 4. itaque
'daher, deswegen', z. b. 100, 3. 129, 7; — 5. siquidem, quippe
= 'denn', z. b. 94, 1. 74, 8.*)
§ 4. ja
wird bei 0. dadurch dass es den gesammtinhalt eines satzes
hervorhebt, im Zusammenhang 1. causal, ja = 'denn — ja,
da — ja', z.b. 1,25,5 wio mag sin, ja bin ih smaher scalg
thin, thaz thih henti mine zi doufenne birine?; 1,6, 18; — 2. ad-
versativ ja — 'aber', 4,22,9 ja ist iu in thesa ziti zi giwona-
heiti .. est autem consuetudo robis. Neben arur 2, 8,51. 4)
Im T. kommt ja nicht in aussagesätzen, sondern (ausser
77, 5) stets in rhetorischen fragen an stelle lateinischer frage-
wörtchen vor.
§ 5. inti.
0. und T. gemeinsam ist der häufige gebrauch von inti
zur Verbindung coordinierter satzteile und sätze: inti =
'und', z.b. T.2,6 gifeho inti blidida = l et. 0. 1,27,55 after
mir so quimit er, inti allo ziti was er er, 0. 1, 1, 100. T. 3, 8.
') Per bau dieser nütze mit er und er thanne ist derselbe, vgl. Erd-
mann, tirundzüge 8 191, z.b. 0.4, 13,35. T. 101,4. 0.3,20,77. T. 14«, 3.
») Tobler 8. 3H7, vgl. (iraff 1,1110.
■) Das eansale so auh chiuuisso bei Is. (Rannow s. 123. Gering s. 43)
kommt im T. nicht vor.
*) Das« ja an diesen stellen aber noch adv., nicht conj. ist, wie auch
noch mhd., beweist die Wortfolge, die ja fordert: ja r s x (v — verbum,
s ss subject, x — jeder andere satzteil).
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394
SCHÖLTEN
Bei 0. ist diese Verbindung nicht immer rein copulativ,
sondern hat einen adversativen nebensinn: inti — 'und dennoch,
dagegen', z. b. 2, 8, 8 thaz si ist ckord eina, muater inti thiarna;
2, 14T 18 (ebenso im Ludwigslied v. 18); oder inti ist gleichzeitig
causal. etwa gleich 'und' mit folgendem 'doch', z. b. 4, 11,22
ist . . gilumplich, thaz thu nu wasges mih; inti ih bin eigan
scalk thin? Ganz vereinzelt dient inti zur einleitung einer
lebhaften frage: 5, 9, 23 inti thu ni hortos? = et non cognovisti?
Im T. wird inti — 1. et ausserdem gebraucht zur hervor-
hebung eines einzelnen begriffs in der bedeutung 'auch', z.b. 156,2
ob ih wuosc inutwre fuozzi inti ir sulut ... unasgan; 10G, 5.
Die Verbindung inti ouh ist bei 0. sehr häufig in der be
deutung des lateinischen et, z. b. 1, 17, 18 tcuntar filu hcbigaz
. . . inti ouh zcichan sin sconaz; 1, 10, 22 (auch im Is., z. b.
15,19. 21,29). Im T. ist sie sehr selten, und dann im sinne
von etiam (vgl. ouh). Andererseits hat der T. die Verbindung
inti — inti = L et — et 104, 8. 139, 0.«)
§ 6- joh,
bei 0. häufig, sehr selten im T., wird von 0. im allgemeinen
gebraucht wie inti zur Verbindung grammatisch coordinierter
satzteile und sätze. Wo ein negatives und positives glied durch
joh verbunden werden, können wir 'dagegen, sondern' brauchen,
z.b. 2,13,21 ther uvur ni ferit thanana joh quam fon himile
obana; 4,37,22. Logisch coordiniert brauchen die glieder nicht
zu sein: joh -= •und zwar', z.b. 1,17,42 mit in gistuant er
thingon joh filu halingon; 1,22,35.
Im T. steht joh der bedeutung 'auch' näher (=L etiam)
und dient zur hervorhebung einzelner Wörter, z. b. 07, 3 joh
(liuuala sint uns untarthiutite 1 etiam demonia\ 145,17.
Die Verbindung joh ouh ist 0. ganz geläufig, T. hat sie
nicht, joh — joh ~ 1. et — et braucht nur T. 170,0, nicht 0.
(vgl. Is. 21, 6 — 1. sive — sive, N. = tarn — quam, Gr. 3, 271.')
') Die Wortfolge nach inti ist meist n r j; vgl. E. S. 1, 8 72; doch scheint
den Übersetzern des T. die inversion auch ganz geläufig gewesen zu sein;
z.b. 2,5. 13,2. IS, 1; beule Stellungen neben einander 19,2 et ait — inti
qmid her; et fadOM — inti ih tuon. Die sonstigen von Tobler, (ienu. 13,
ill — 1 04 angeführten bedeutungeu haben O. und T. noch nicht.
*) Die Verbindung emlijoh Is. 7. 25 (Gr. 3, 273 f. (iraff 1, 3H2) begegnet
weder bei 0. noch im T.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID U. TAT1AN. 395
§ 7. min *
ist bei 0. nur adverbialer comparativ = 'weniger'. Die Ver-
bindung wi (thes) thiu min (z. b. 3,8,47. 5,23, 152) nähert .sich
an einigen stellen schon der adversativen bedeutung unseres
'nichtsdestoweniger, trotzdem', z. b. 5,7,12 ** iz al irsuachit
habeta; ni suahta siu thar thes thiu min ; 1,22,57.
Im T. kommt min öfter vor als finale, negative conj. =
]. ne 'damit nicht'1)? z.b. 74,6 iro ougun bisluzun, min sie mit
ougon sihuuanne gisehen — ne . . . videant; 107. 3. 147, 7. Meist
ist min mit odouuan verbunden zur Übersetzung des L forte,
z.b. 27,2. 39,7; = 1. ne 122,2; mm odo = L ne forte 110,4;
mm odouuan = 'dass, ob' 13,19 ist durch 1. ne forte hervor-
gerufen; 33,1?
§ 8. nt.
Graff 2, 973 belegt nt in den bedeutungen 'wenn nicht,
dass nicht, der nicht ' und erklärt, die conjunctionale bedeutung
liege nicht in ni, sondern im conjunctiv des verbs. Diese be-
merkung ist richtig für die conditionalen nebensät ze; in den
andern fällen steht ni einer conj. sehr nahe, denn 1. ist die
form dieser Sätze durchaus die des ncbensatzes;*) 2. steht ni
nicht, wie sonst stets, beim verb, sondern an der spitze des
satzes, wie jede subordinierende conj.
Dieser gebrauch von ni, der sich aber beschränkt auf die
consccutive ausführung von einfachen oder doppelten negationen,
ist im 0. beliebt, im T. ganz unbekannt.
Nach einfach negierten hauptsätzen braucht 0. dies ni =
'dass nicht' a) zur einleitung von inhaltssätzen, z.b. 4, 14,3
ni tctrd iz . . . ,ni wir fuarin mit ginuhtin; 1, 8, 21; auch 4, 14, 18
(gegen Erdmann, ausgäbe s. 448); — b) der satz mit ni gibt
den inhalt eines vorangehenden adjectivs mit so an; 1,22,40
ni was er io so mari, ni thiz bifora tvari; 1, 11, 10 (vgl. suntar
1,24,6); — c) der hauptsatz mit dem verb nist, ni ward dient
nur zur Verallgemeinerung der aussage des nebensatzes; vor
ni — 'dass nicht' ergänzen wir ein 'so gross, so weit' u. dgl.
und können, da das subject des hauptsatzes im nebensatz als
pronominales subject oder object widerkehrt oder zu ergänzen
') Ausser im T. noch in einigen interlinearversionen : Graff 2, 799.
*) D. h. modus: conjunctiv, subject am anfanjjf. verb möglichst dem ende
nahe. 23 mal von 44 stellen ganz am ende.
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396
SCHÖLTEN
ist, den nebensatz auch durch einen negativen relativsatz mit
'der nicht, das nicht' widergeben, z. b. 4, 26, 21 nist guates tciht
in worolti, ni er untar uns hiar icorahti; 1,23,31. 1,5,48.49.
Nach einer doppelten negation im hauptsatz steht ni 'pleo-
nastisch',1) für unser gefühl heisst hier ni 'dass'. Die zweite
negation des hauptsatzes ist meist ein negatives verb, z. b.
H. 153 ni lazet, ni ir gihugget joh mir ginada thigget ; 2,24,32;
selten anders, z. b. 5, 10,4. 1, 1, 116. — 3,7,59 muss man für
ruachent negative bedeutung annehmen.
Dies conjunctionale ni ist auch in andern ahd. quellen be-
kannt (ebenso im mhd.). Nur stellt es dort nicht an der spitze
des satzes. Gerade so wie 0. gebraucht es Is. 9, 17.*)
§ 9. ni si.
ni si ist ein formelhafter negativer bedingungssatz ohne
conj.: 'wenn es nicht der fall ist, es sei denn', der zu seiner
ergänzung eines inhaltsatzes mit thaz bedarf.1*) Ein solches
conditionales ni si thaz steht im T. - 1. nisi 25,7. 82,11; =
I. nisi forte 80, 4 (ebenso Hei. 121), z. b. 80, 11 ni si thaz ir
ezzet fleisc mannes suncs = nisi manducareritis ... 0. hat
nisi thaz 2,13,23. 2,17,9. 3, lü,24.<) Ks ist aber hier nicht
conditional, sondern leitet in der bedeutung 'ausser dass' einen
aussagesatz ein, wie auch T. 155,6 = 1. nisi ut und ni si ohne
thaz 0. 4, 8, 10; z. b. 2, 17, 9 zi tvihtu iz (ihaz salz) sid ni hitfit,
ni si thaz man iz firwirßt. Will dagegen 0. mit ni si einen
wirklichen bedingungssatz einleiten, so setzt er nicht thaz,
sondern die bedingende conj. oba hinzu: ni si oba: 3, 25, 10
alle these liuti giloubent . . ., ni si oba wir biginnen ... 5, 23, 94.5)
§ 10. noh
dient im 0. und T. zur negativen Verbindung von Satzteilen
und sätzen (im letzteren falle meist mit ni beim verb, im T.
1 Pitt mar a. a. o. s. 297.
») Ich nehme demnach hier nicht . wie Rannow a. a. o. s. 89, conjunc-
tionslose Verbindung des uebensatzes an, sondern sehe in ni die conj.
8) Vgl. Pittmar s. 197.
«) 1.2,52 halte ich thaz für das pron. rel. In der erklärung obiger
stellen weiche ich ah von E. S. 5< 2H4 nnd Dittmar s. 215.
») ni si = 'ausser' vor einzelnen worten, die einem teil des voran-
gegangeneu satzes parallel sind, findet sich oft bei 0., z. b. 2,4.10.98.
4, 9, 22; im T. nur 162, 3. 178, 4. 198, 4 = L nisi (also nur beim Schreiber £),
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TATIAN. 307
ohne lat. Vorbild). Es hebt nach vorangegangener negation
die gleichartigkeit hervor: 'und auch nicht, noch', z. b. 0.1,5,49
Inning nist in teorolti . . . noh keisor untar manne . . . ; 3, 18, 10.
T = 1. neque, z. b. 13, 22 uuaz toufist /Am, oba thu Christ ni bist
noh Helias noh uuizago?; 141,11; — 2,6 für et in negativem
satz. 36,1 = et (übt) non; 197, 3 = sed neque (vgl. Is. 31,20.
24 u.ö.; im übrigen ahd. nicht häufig). T. hat oft beim ersten
glied ein noh : noh — noh 'weder — noch* = 1. neque — neque,
z. b. 132,2 noh theser suntota noh sine eldiron; 36,1; bei 0.
nur 2,14,63. 3,7,40?')
Hinter einem positiven satz führt noh die erzählung weiter
in der bedeutung 'und nicht, aber nicht', z. b. 0.1,19,17 sin
fuart er, noh ni dualta, in lant, thaz ih nu zalta; 1,24,10.
T. = 1. nee, z. b. 60, 3, sed non 119, 4. Auch zur negativen her-
vorhebung einzelner Wörter dient noh: 'auch — nicht'; im 0. nur
3,17,57 noh ih firmonen thih; im T. öfter, z.b. 120,7. 152,8
— 1. neque; noch stärker hervorhebend: 'nicht einmal' nur T.
118,3 ther fimtatigo . . . ni uuolta noh ougun ei himile heuan ;
240,2. 0. 1,20,30?
Im T. allein, nicht bei 0., wird noh endlich gebraucht zur
widergabe von neque enim 'denn nicht': 104, 1 noh sine bruoder
giloubton in inan == neque enim fratres eins credebant in eunt ;
88, 7. 127, 3 (hier unmittelbar an noh — noh = 'weder — noch'
angereiht); = 1. non 168, 4 (ebenso Is. 33, 9).
Die Verbindung noh ouh 0. 3, 14, 1. 96. 92 u. ö. ist im T.
unbekannt.
§ 11. nu,
als conj. bei 0. häufig, im T. selten, hat auch als conj. die
beziehung auf die zeit meist bewahrt. 0. betont mit nu zu-
gleich den inneren gegensatz einer vorliegenden tatsache zu
einer andern: 'aber jetzt', z.b. 2,11,23 iz scoltu wesan betahus
. . . wm duent iz man gtnuagc zi seahero luage; 2, 7, 24; auch
ohne hinweis auf zeit und umstände: 'aber', z.b. 4,4,69. Oder
das zweite ereignis stellt sich dar als folge aus dem ersten:
'darum jetzt', z.b. 3,10,44; so besonders nach einem causal-
') Das 0. 4, 30. 13. 14 stehende (ni) tvedar — noh ist nicht unser 'weder
— noch', sondern das tcedur ist hier noch pronominal — 'kein« von beiden
und fasst die beiden folgenden glieder zusammen.
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998
SCHÖLTEN
satz. z.b. 2,6.47; und vor aufforderungen, z. b. 3,4,45; auch
2,0,26 tvant er nan hon joh firslant, nu buen ander az lant.
Ferner führt der satz mit nu ein ereignis an als erklärung-
oder grund für das eintreten eines anderen; nu vor haupt-
sätzen — 'denn jetzt' z. b. 2,7,45, 'denn' z.b. 5,7,3; nu vor
nebensätzen = 'weil, da (jetzt)', z.b. 1,27,45 ziu feristu inti
doufist, nu ihn thcr heilant ni bist? — 1. enim; 3, 13,31. 2, 14, 121.
Das causalc nu fasst gleichzeitig recapitulierend das vorher-
gehende zusammen: 'da also', 3,23,58. 5,24,15; öfter mit con-
seeutivem nu im folgenden satz, z.b. 3,23,50.60 nu er then
tod suachit ... nu simes garatce alle mit imo zi themo fatte.
Vor einem hauptsatz in der form einer rhetorischen frage gibt
der mit nu beginnende nebensatz die veranlassung oder berech-
tigung zu dieser frage an. nu leitet auch einen schluss a minore
ad maius ein; an den meisten stellen lag 0. ein bedingungs-
satz mit ni vor. nu = 1. si — 'wenn schon', z.b. 4, 11,47 nu
ih sulih thultu tvio harto mer zimit im ... , = si ergo; 2, 22, 37.
Schliesslich glaube ich nu coneessiv = 'obwol also' fassen zu
müssen 3,22,51 (T. hat hier 134,8 oba; vgl. Is. 3, 10 nu so =
'während doch').')
Im T. findet sich nu — 'jetzt aber' nur nach conditionalen
Perioden für nunc autem, nunc rero 5 mal, z. b. 131, 16. 195, 4
nu giuuesso = nunc autem. Oonsecutiv ist mm, ohne ent-
sprechende lateinische partikel, vielleicht 111,3 arstant nu
inti fair — surye, rade; 120,7 (im Is. ist consecutives nu da-
gegen häufiger). Für causales nu bietet T. auch keinen sicheren
beleg; denn 18, 5 und 182, 7 kann man besser temporal fassen,
obwol das Verhältnis der sätze causal ist, wie es 18, 5 das lat.
enim und 182, 7 im griechischen text ein yi'xv bezeugt.*) Für
concessives nu ist vielleicht 122, 2 anzuführen, wo nu ein con-
cessives oba - 1. etsi verstärkt.
§ 12. nub (0.), nibi (T.).
Diese conj. (bei T. auch in der form niba, nibu, noba ohne
deutlichen grund für den Wechsel) ist in beiden denkmälern
•) Rannow §22. Tonianetz, Anz. fda. 10, 3S:* : Tgl. (iraff 2, 978, der für
concessives nu keinen beleg bietet. Die von Mensing $ 109 ans Fragni.
theot. 7, 9 angezogene stelle braucht nicht concessiv gefasst zn werden.
•) Erdmann. (irnndziiere § 158 b kennt im T. kein cansales nu. Die
von (ieriutf sonst noch angeführten stellen durften wol nicht hierhergehören.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TATIAN. 399
oft belegt, aber in durchaus verschiedenen functionen. Das
got. niba(i) (< m iba[i\) entspricht griechischem ti ftt), iav fit}.
In gleicher weise wird nibi bei T. = 1. nisi gebraucht, nicht
bei 0. Doch nur 189,3 leitet es — mit folgendem ind. bei
positivem hauptsatz — eine gewöhnliche negative Bedingung
ein in der Bedeutung 'wenn nicht': nibi thaz com ...tot uuirdit,
thaz selba eino uuonet (ebenso Is. 9, 28. 31,14); ähnlich vor
irrealem Bedingungssatz 197.9.') Sonst führt nibi — mit fol-
gendem conj. bei negativem hauptsatz — die einzige Bedingung
an, deren erfüllung aber auch unbedingt notwendig ist, wenn
die allgemeine negative aussage des hauptsatzes, wie erwünscht
ist, in eine positive verwandelt werden kann: nibi = '(nicht)
ausser wenn, (nicht) es sei denn, dass, (nicht) ohne dass', z. b.
82,9 nioman mag qneman zi mir, nibi thie fater . . . ziohe inan;
82, 11». 62, 6. 119. 2. 3.*) (Is. 5, 12). Die negation im hauptsatz
wird hervorgehoben durch ein andcruuis 55,3.
nibi steht im T. ferner nach negativem hauptsatz — 1. nisi
in der Bedeutung 'ausser, sondern nur' vor Satzteilen und sätzen,
z. b. 78, 8 nioman iro gireinit uuard nibi Neman ther Syr;
57,2. — 78,6. 24,3. 108,7 (ebenso Is. 11,23. 19,9. 29, G).»)
Aus dieser Bedeutung entwickelt sich im T. die fähigkeit,
durch nibi einen gegensatz zu bezeichnen, nibi = 1. sed =
'aber' 80.4. 82, 7. nach negationen 'sondern'; z. b. 21,9 ther hei-
Jantni toufti, nitri sine iungiron\ 82,2.6. 118,3 (auch Is. 35, 24.
Der Boeth. hat für sed 16 mal nube, Will. 3 mal nobe.)*)
§ 13.
Ganz abweichend vom vorhergehenden heisst nibi 'dass
nicht ' T. 239. 4 ni quad imo ther heilant nibi her starbt, oh :
unilla thaz her unone unz ih quimu — non dixit Jhcsus: tum
moritur, sed ... Dieselbe Bedeutung*) gewinnt nibi nach den
') Soll habetos die gewisheit der behaiiptnng ausdrücken, oder ist
der ind. nur ein Schreibfehler für habet is'? Vgl. 0.4,23,41.
«) Vgl. Dittmar s. 220.
3) Rannow s. <J9.
*) Rannow s. 94. Ferner führt Gruna, Gr. 3, 273 f. je ein nieht ein —
mtbejoh nnd nieht ein nube ouh für non solum — sed etiam an. Aehnluh
Graff 1,77.
■) Vgl, Hei. 122. II. 14(5. 13 nebu = quin. Im Boeth. für taz nieht in
folgesätzen nube, Wnnderlich a. a. o.
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400 SCHÖLTEN
hauptsätzen nist 44, 17; uuelih {ist) 67, 12. 67, 14; uuer ist 69, 6.
Da aber das subject des hauptsatzes stets als pronominales
subject im nebensatz widerkehrt, so können wir die sätze mit
nibi auch als negative relativsatze widergeben: 'das nicht, der
nicht'. Dem entspricht sogar im lateinischen 44, 17 quod non:
niouuiht nist bithactes, noba iz inthekit Wierde — quod non
revelabitur (67, 12 steht in der vorläge eine vom deutschen
ganz abweichende satzform; 67,14 und 69,6 eine frage mit
nonne). Der hauptsatz nist, uuelih, uuer ist dient zur Verall-
gemeinerung der aussage des nebensatzes (wie bei ni).
Diesen letzten gebrauch finden wir auch für nub bei 0.
Doch lautet hier der hauptsatz stets nist, z. b. 5,2,11 nist
fiant kiar in riebe, nub er hiar fora intwiche; 2, 14, 106. 5, 19, 8.
5, 20, 24. 5, 23, 137. 138. 5, 16, 42; auch 1, 1, 186 (hinter gidrahte
ist zu ergänzen: 'mit ihnen zu fechten'; vgl. dagegen Erdmann,
ausgäbe O.'s s.341); auch 2,12,18? (vgl. E.S. 1, § 266. Piper,
Wörterbuch zu 0.).»)
Nur 0., nicht T., kennt sodann noch den gebrauch von
nub nach negierten negationen, nach denen die in nub steckende
negation 'pleonastisch' (wie bei ni) steht und nub also dem
nhd. 'dass' entspricht; es findet sich so meist nach negierten
negativen verben; z. b. 3,8,36 wiht ni dualta er es .vor, nub
er zi gönne in thrati sih fon thenio skife dati, S. 34. 5, 25, 13.
37 u. ö. Nach alleswio ni 5,9,36. Auch 5,19,17 (ingangan,
nub er = 'entgehen dem, dass er'). 2, 12.37 (ni teuntoro =
ni ßrhugne). 4, 13, 25. 26 (zu ergänzen ih ni gisniehn, vgl. E. S.
§266, ausgäbe s.447. Tat. 161,3). 2,14,38?
') Aehnliclie stellen für thaz, die durch positiven relativsatz übersetzt
werden kiinnen, b. 2, 17, 13. 1, 24 u. ü. An den stellen T. 62,6. S2,9.
21, 5. b2, 1 1 a. 119, 1. 129, 10 können wir auch den satz mit nibi durch einen
negativen relativsatz widergebe*». Doch ist 1. nibi hier conditional = 'wenn
nicht*. NIM*; 2. lautet der hauptsatz ni mag, nicht nist; II. enthält nicht der
nebeuaatz, sondern »1er hauptsatz die hauptaussage, die noch dazu durch
den nebensatz eingeschränkt wild. Die Übereinstimmung zwischen 0. und
T. im gebrauch dieser eonj. beschränkt sich also auf die anwendung, wie
sie sich 44,17 findet; und auch hier ist noch der unterschied zu beachteu,
dass das uomen neben nist bei O. stets ein subst. (oder ein zu ergänzendes
subst.) ist. T. 44. 17 dagegen ein adj. ; vgl. unter ni und E. S. § 265 ff.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTERID U. TATIAN.
401
§ 14. oba
ist wie in der ganzen alid. spräche auch bei 0. und T. die
gewöhnliche conditionale conj.: 'wenn, im fall dass', z. b. O.S.27.
2, 12, 59. T. 24, 2. 84, 7 Hinter oba blintemo leitidon forgibit,
bridae in gruobe uallent. Bei widerholten handlungen (stets
im ind. praet.) 'so oft als' nur bei 0. L. 21. 51. 5,20,77; vor *
einer selbstverständlichen Voraussetzung für die realisierung
des hauptsatzes, auch nur bei 0. 'wenn nur, wofern nur', z. b.
S. 33. 2, 22, 40. 2, 10, 2.«)
Anm. Negative bedingungen drückt 0. meist durch conjunctionslosen,
invertierten »atz aus, z. b. 2,12,31 nint iher in himilrichi qutme, ther geht
joh iriuar nan nirbere, T. 145, 16? T. hat statt dessen meist oba ni =
1. *i »ou, z.b. 34,7. 108,5. 170,4.5; bei 0. nur 1,11,60. 4,6,56. 4, 23,42.
(T. 197.9). 3,26,15. 0. gebraucht femer 2 mal m M oba, T. 2 mal tu si
ftar, vgl. im «; ausserdem T. allein nibi = 1. nisi (s.d.); Is. kennt auch
ni Im, N. Bo. hat einige male ane und ane tlaz = nisi.
Oft weist auf den satz mit oba eine demonstrative partikel
des hauptsatzes hin: thanne 15 mal bei 0., im T. in der mehr-
zahl der fälle; so 0. L. 21 (noch 4 mal). T. 121,3; nur bei 0.
so — thanne 5,10,31 (3 mal); um 2,4,29. 4,30,17; aar 3,18,5.
§ 15.
Der inhalt des hauptsatzes einer conditionalen periode wird
verwirklicht beim eintreten der bedingung. Dieses ist also
logisch der grund für jenes. Zuweilen ist dieser causale Zu-
sammenhang sehr deutlich, wo der nebensatz eine schon ver-
wirklichte tatsache enthält; oba bei folgendem nebensatz =
'da ja' nur 0. 3, 18, 13 was missiquedan wir, oba ther diufal
») Der conj. praes. steht nur bei imperativischem oder optativischem
hauptsatz; z.b. glr. (glr. - 'gegen lateinisches Vorbild' ; olr. — 'ohne lat.
Vorbild', = h. = 'gleich lat. Vorbild') 2, 4, 55. 73. 2, 21, 1. Im T. stets glr.,
z.b. 28,2. 15,3.4. 205,3. Doch steht bei imperativischem hauptsatz auch
der ind., z. b. 0. 1, 2, 19. 3, 2, 19. 2, 4, 29. T. = h. 27, 1. 145, 18. 91, 2: vgl.
E. S. § 181. Urundzüge 187. Der ind. praet. im T. (114, 2. 170, 2. 187, 5)
bezeichnet nicht die widerholung in der Vergangenheit, oba also nicht =
'so oft als'. Der conj. praet. steht nach oba in irrealen bedingungssfttzen,
■wo auch der hauptsatz conj. praet. hat (z. b. 0. 1, 19, 27. T. 138, 7), oder in
abhängiger rede, z.b. 0.2,6,7.8. T. 132, 13. Der ind. im hauptsatz dient
zur hervorhebung der aussage 0. 4, 17, 15. Bei optativischem oder impera-
tivischem hauptsatz ist conj. praet. H. 1 wol dem reim zu liebe gesetzt.
T. 221,4 nami für namirt
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402
SCHÖLTEN
ist in thir?, bei vorangehendem nebensatz 'wenn also, da also'
nur im T, = 1. si, z. b. 100,5; si ergo, z. b. 38,3. 184,5 ob ir
mih suphet, luzet thesc hina gangan si ergo me qtuTitis; 'da
aber' — si autem 88, 132. Aehnlich bei einem schluss a minore
ad maius, oba — ' wenn schon' 0.5,21,5 oba (her scal sin in
» beche thcr armen brot ni brecJie: waz ther man ubar thaz ni
Ii as haben sinazY; 5, 21, 9 (oba ouh). 11. T. = si 38, 5. 40, 7 u. ö,
meist vor rhetorischen fragen; vgl. dazu mm.
Die positive Wirklichkeit des nebensatzes ist ebenso klar,
wo oba — * während* zwei unbestrittene tatsachen vergleicht:
0. 2,7, 13 oba thaz thie liuti nerita joh hungeres biwerita, irretit
thiz mit worton thia worolt fon then sunton; T. 104,6. Der in-
halt des hauptsatzes kann sogar im gegensatz zu dem des neben-
satzes stehen, oba concessiv =- 'wenn auch, obgleich, selbst
wenn'; im hauptsatz steht ein thoh: 0.3,22,62 ob ih ni bin
iu thrati, giloubet thoh thera dati; ni thoh bithiu 3,22, 15; neben
oba ein ouh 5, 20, 107. 3, 18, 31». Keine partikel im Satz: 5, 7, 38.
3, 16, 47.') Die concessive function von oba scheint jedoch nicht
sehr kräftig gewesen zu sein, da die Übersetzer des T., ver-
anlasst durch die ebenfalls zusammengesetzte lat, conj., meist
eine verdeutlichende partikel hinzusetzen: oba nu etsi 122,2;
inii oba = etsi 161, 3. 40, 3; cisperi ob und zisperi oba = etiamsi
135, 15. 161,5; doch auch oba = etsi 134, 9: ob ir mir ni uuellet
gilouben, giloubet then uuercon — etsi mihi non vultis credere;
oba = si 134,8.
Vereinzelt steht, nicht bei 0., aber im T. oba = 1. si tem-
poral — 'dann, wann' 139, 8 ob ih erhalmn uuirdu fon erdu,
alliu thinsu zi mir sclbemo — si exaltatus fuero a terra, omnia
traham ad me ipsum, 162, 1.
§ 17.
In ganz anderer Verwendung steht oba bei 0. und T. zur
Einleitung von indirecten fragen = nhd. 'ob', im T. = si, je
einmal 1. si quidem, an; z. b. 0. 1,27,29. 3,4,20. T.67, 14.
69, 2.4 ih fragen iuuih, oba iz arloubit si = si licet, und oba
zu beginn eines Wunschsatzes — 'o wenn doch', bei 0. durch
thoh verstärkt 2,0,43. 5,7,39 olxi iaman thoh giquati, wara man
') (legen Erdniann, Urundz. § 1&4,2. Nach Mensing § 104 ist bei N,
concessives übe 'recht häufig'.
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8ATZVERB. PARTIKELN BEI OTKRID ü. TATIAN. 403
nan dati . .. , thaz ih... waz thionestes gidati themo lieben manne;
T. 166, 6 oba = si.
§ 18. odo
verbindet im 0. und T. in der bedeutung 'oder' coordinierte
Satzteile und sätze; z. b. 0. 1, 1, 20 ist iz prosun sfihti . . . , odo
metres kleini; 3,10,4. T. 25,4 thaz ih quami euua zi losenne
odo uuizagon; 44,0. Stellt odo zwischen zwei nebensätzen,
so lässt 0. das einleitende wort in dem zweiten satz aus, z. b.
5,9,12. L. 88, während es im T. 143,6 nach der lateinischen
vorläge widerholt wird.1)
Sehr häufig steht im T. odo = 1. an in doppelfragen; z. b.
147,9 quid is zi uns thesa paraltola oda zi allen?; 64,1. 195,2.
Im 0. nur, 1. an, 5, 21, 8. 4, 22, 12. 3, 16, 18. uuedar — odo
= utrum — an T. 104, 51) (Is. 23, 11) ist im 0. unbekannt, vgl.
3, 16, 18. Im T. steht schliesslich odo vor einfachen fragen,
die einen neuen gedanken lebhaft vorbringen, = 1. aut, z. b.
96, 5 odo uuelih uuib habet sehen dragmas . . . ; 40, 6 (Is. 9, 8) =
1. an 109, 3 (neben aut). 185, 5.
0. liebt die Verbindung odo ouh, odouh. odo — odo —
aut — aut 'entweder — oder' T. 37, 1. 62, 9, = et — et 'sowol
— als auch' 161,3 kennt er nicht.
§ 19. ouh
verbindet bei 0. gleichartiges: 'gleichfalls, ferner, ebenso auch'.
Es dient sehr häufig zur anfügung ganzer sätze, z. b. 1,2,4
fingar thinan dtta anan nmnd minan, theni ouh hant thina in
thia zungun mina (vgl. 3, 18, 30), oder zur hervorhebung ein-
zelner worte, z. b. 3, 22, 49, zuweilen = 'sogar', z. b. 4, 26, 18
ja wurtun tote man ouh les queke sines Wortes; an anderen
stellen ist ouh dagegen zu 'und' abgeschwächt, z. b. 1, 19, 15 er
') Der modus beider nebensätze ist meist der conjnnctiv ; nnr L. 88
und 2, 4, 22 der indicativ. Der erste nebensatz steht im ind., der zweite
im conj. 1,23,46. An einen negativen hauptsatz knüpft 0. mit odo einen
satz an, der den inhalt der negation steigert 2,4,106. 4,2,28. 5,12,87.
5, 20, 35. Diese angeknüpften nütze scheinen aber nicht als hanpt-, sondern
als nebensiitze empfunden worden zu sein; denn alle stehen im conj., und
die drei ersten stellen haben das verb ganz am ende. Umgekehrt wird
aus dem conj. im zweiten satz der iud. 5, 1,37.
») uuedar in seiner eigentlichen bedeutuug 'wer, was von beiden'
T. 141, 14. 15.
26*
404
SCHÖLTEN
fuar . . naJites, thaz iz ni tvurti mari . . . , ob ouh haz ingiangi . . .
I, 18, 32.
Die beiden glieder sind nicht immer logisch gleichwertig:
das zweite ist die folge des ersten, ouh =--- 'darum auch, infolge-
dessen' 1,8,27 er giheilit thiz lunt, heiz inan ouh hcilant (vgl.
3,7,7); oder das zweite dient zur erläuterung, begründung des
ersten gliedes, ouh 'nämlich, denn' 1,14,3 tho seoltun siu
... then wizod »füllen, ihm situ ouh ... 1,21,9; 'und zwar'
4, 35, 36.
Im T. steht satz verbindendes ouh in der bedeutung 'ferner'
nur 15,4 = 1. rursum: ouh ist giscrihan . . . , sonst findet sich
ouh nur — L et (im sinne von et tarn) bei hervorzuhebenden
Worten, z. b. 178,9 giheiUigon mih seVton, thaz sie seihon sin
ouh giheilagot et ipsi; 78, 4. Zuweilen steht für et in dem-
selben sinn inti — ouh 131, 23. 141, 25. 171, 2. 179, 4 (einmal
beim Schreiber f, dreimal bei £; vgl. Is. endi auh et 15,19.
17, 24; item 9, 13; quoque 17, 17. — 35, 32); tho ouh 125, 5; sama
ouh — similiter et 56, 5 (vgl. Is. 5, 10. 27, 19. 15, 30). In den
andern für 0. nachgewiesenen bedeutungen findet sich ouh im
T. nicht (während im Is. erläuterndes ouh nicht unbekannt ist:
— 1. enim 7,13; endi auh = 1. nam et 15,5; olv. 15,7; vgl.
s. 393 anm. 3).
Die im 0. so beliebten Verbindungen von copulativem
ouh mit joh, odo, noh kennt der T. nicht.
§ 20.
Während im T. ouh in der bedeutung 'ferner' nur einmal
zur Satzverbindung dient, führt ouh häufig in der adversativen
bedeutung 'aber' die erzählung weiter. Da dies ouh häufig in
der Schreibung oh auftritt, muss man vielleicht eine andere
grundfonn annehmen;1) z. b. T. meist = 1. sed 51,4 ih folgen
thir, ouh er luz mih fursagen then (hie in huse sint; 104,7.
174, 4; oh = sed et 107, 1. 226, 1 (Is. = 1. sed, z. b. 13. 5. 25,23.
— 1. autem 27, 1). Den gegensatz stärker betonend: 'trotz-
dem' Ised 60,2. 176,5 (vgl. Is. oh tarnen 9,27). Nach
negationen heisst ouh oft 'sondern', z. b. 90,2 fleisc inti hluot
') oh öfter beim Schreiber A und stets (bis auf 135. 7) bei C, vgl. Sievers*
s. i t. L eber die entsprechenden gotischen partikeln auk, ak, akei vgl. Gr.
3,277. Graff 1,119.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TATIAN. 405
ni gioffonata thir thaz, oh min fater, der in himile ist; 84,6
(Is. z.b. 7,24. 13,11).
Im 0. kann man an einigen stellen fortführendes ouh mit
'aber' übersetzen, z. b. 3,6,13 (= 1. autem). 1,11,2; doch be-
zeichnet es nur selten einen wirklichen gegensatz: 3,17,31
quuti er, man sia liazi quat er ouh bi noti, thaz . . .; 1, 10,24.
ouh = 'sondern' 3, 14, 86?
Ein eccorodo ni — ouh = non solum — sed etiam T. 88, 6,
wo ouh beide bedeutungen, sed und etiam, in sich vereinigt,
kommt, wie überhaupt im ahd., auch bei 0. nicht vor. Grimm
belegt Gr. 3, 273 dafür zweimal nicht ein — suntar joh, je ein-
mal mibe joh - mibe ouh.
§ 21. sid,
auch als temporales adv. 'seitdem, später' im T. ganz unbekannt,
wird von 0. noch gebraucht als temporale conj.: 'seitdem, nach-
dem'; z. b. 5, 17, 15 fuar . . zi sin selbes riche, sid er in tode
sigu nam, im hauptsatz mit zi erist 2, 8, 54, sidor 5, 12, 64. Die
beiden zeitlich auf einander folgenden ereignisse stehen logisch
in causalem Zusammenhang: sid — 'seitdem, weil'; das begrün-
dete ereignis folgt stets im hauptsatz, der stets ein auf den
Zusammenhang hinweisendes adv. enthält: sid 1, 26, 2. 3; so
1, 16, 5; nu 3, 26, 53: sid man nun ... gidotta . . . , nu birun fro
in muate. sid ist ohne beziehung auf die zeit rein causal
4, 29, 46. 47. Oder die beiden ereignisse stehen in concessivem
Verhältnis: sid = 'obwol, obgleich'; im folgenden hauptsatz ein
sid 5, 12, 11, im vorhergehenden ein thoh 3, 24, 30: so wer so in
mih giloubit, zi Hb er thoh biwirbit, sid er hiar irstirbit.
Ein concessives sid belegt Mensing § 100 auch für N. Bo.
4, 1 (227, 16). Im Is. kommt dieser gebrauch von sid so wenig
vor wie im T.
§ 22. so
steht in hauptsätzen 'so, dann' bei 0. sehr oft nach con-
ditionalen Vordersätzen jeder art, z. b. 2,21,42. 2,0,16. 1.3,30.
1,18,46. 5,16,34 und nach temporalen Vordersätzen jeder art,
z. b. 2, 1,5. 1, 23, 3. 1, 16, 6. 3, 20, 50. 1, 22, 8. 2, 8. 20. 1, 2, 40.
3, 26, 41; z. b. 2, 1,5 er se joh himil u nrti, . . . so ivas io ivort
zuweilen in den Verbindungen so — thanne, z. b. 2,4,74; so —
tho 2, 14, 13; so — sar 4, 4, 33. Im T. findet sich dieser gebrauch
verhältnismässig selten, doch stets in einer art, die beweist,
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406
SCHÖLTEN
dass er der spräche der Übersetzer ganz bekannt gewesen sein
muss, nämlich nach conditionalem imperativ olv.: 121,3 uuirph
thih in then seo, so uuirdit iz — iacta te in mare, fiet; den
ersten imp. glv. dem zweiten subordinierend, so — 1. et: 60,2
sezzi thina hant ubar sia, so lebet siu — inpone manum super
eam et vivit; 121,4. inti so = et 60,11; nach verallgemeinern-
dem relativsatz olv. 30,5. 79,5; nach temporalem so lango so
olv. 132, 3.
0., nicht T., gebraucht so = ' da. dann" sogar nach haupt-
sätzen zur einleitung eines folgenden hauptsatzes, z. b. I, 7, 24
was siu after thxu mit im sar thri manodo thar; so fuar si
zi iro selidon mit allen salidon: 2,11,4; mit sar 2,8,2; tho
2, 4, 4; ouh 3, 25, 15, parallel thanne 4, 7, 39, und im innern von
sätzen zur widerholung vorangegangener Satzglieder, z.b. 3, 14,82
allaz guat zi wäre so floz fon imo thare; 2,8,1.2.
Dem hauptsatz gehört so ferner noch -an bei 0. vor con-
secutiven nebensät zen, meist mit thaz — 'so ... , dass', z. b.
2, 18, 22. 1, 22, 53 waz ist so Iiebigaz, thaz ir mih s nah tut bi Ouiz?
Im T. steht so thaz ~ ita ut geschlossen an der spitze des
nebensatzes, z. b. 19, 7 gifultun beidu thiu skef so thaz siu suffun
= ita ut mergerentur; nur 119,9 ist so von thaz getrennt =
I. sie . . . , ut
Ein doppeltes so — so = 'so — wie, wie — so' ist 0. und
T. bekannt; z.b. 4,7,61 duet ir ouh so, so (her duit; 1,3,21.
T. 44, 16. 0.5,20.47. T.47,8 so thu gilouhtus, so si Our =
sicut vrvdidisti, fiat tibi. Das demonstrative .so kann auch fehlen,
z. b. 0. 3, 1, 7. 8. T. 168, 1, und der relativsatz verkürzt werden,
z.b. 0.4,12,61. T. 91,1. Das demonstrative so wird oft ver-
treten durch SU8, das relative verstärkt bei 0. durch «/, io,
so, selb, im T. durch so, sama, so selb (Is. so selb so 39, 1.
II, 27.30; so sama so 33,25 u. ö.).
Ebenfalls vergleichend vor comparativen gebrauchen beide
so — so — 'je — desto' 0. 3, 7, 81. 4, 36, 21. T. 86, 2 so her iz
mer uorbot, so sie iz mer predigotun — quanto — tanto.
§ 23.
Der gebrauch von so in andern nebensätzen weist bei O.
und T. viele unterschiede auf. 0. kennt so in der bedeutung
'als, nachdem' zum ausdruck der Vorzeitigkeit, 'als, indem'
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SATZ VERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TATIAN. 407
zum ausdruck der gleichzeitigkeit ; z. b. 4,20,9 sprah ther heri-
zoho zi in, so er uzgigiang ingegin in . . . ; 2, 9, 51 so er (Abra-
ham) thaz suert thenita, ther engil imo hareta; oft verbunden
mit tho; ferner in der bedeutung 'sobald als', z. b. 5,8,33 si
tum sar irkanta, so er then namon nanta, meist in den Ver-
bindungen so er ist und so sliumo, z. b. 1, 22, 49. 5, 10, 37, und
'wenn, wann', z. b. 3, 13,37 druhtin giltit, so er sin urdeili duit,
allen, so sie . . hiar giucrkotun. Neben so ein thanne 2, 8, 49.
Die temporale bedeutung geht über in die conditionale: 3,7,73
so ihn thaz thanne giduas, so uehsit thir thaz Krisles tnuas;
1,18,45, besonders in den Verbindungen selb so, sama so ==
•wie wenn' vor irrealen bedingungssätzen, die einen vergleich
anführen, 'in denen das zur vergleichung herbeigezogene er-
eignis als bloss vorgestellt angezogen wird';1) z. b. 5,10,3 tho
det er selb so er wollt joh rumor faran scolti; 5,8,31. Ferner
ist so concessiv = 'obwol, obgleich': 3,20,24 thaz kleibt er
imo, so er es ni bat, in thero ougono stat. Schliesslich hat so
vielleicht causale bedeutung 'da': 3, 17,7 si tliara tho in farun,
so sie ubilwillig warun.
Von diesem ausgedehnten gebrauch des so bei 0. findet
sich im T. öfter nur der zuerst angeführte, so = 1. ut c. ind.,
nur von 79,4— 82,3 = 1. cum c. conj. (Sievers2 lxxiii): 'als,
nachdem' stets mit tho, z. b. olv. 81, 4 so sie tho gistigun in skef,
bilan ther ttuint; 82,1; 'indem', z.b. 18,2 so er then buoh in-
teta, fant thie stat ... 184.3; mit tho olv. 79,13. 190,3; auch
soso, z.b. 80,8; für 'sobald als' steht nur einmal so sliumo so
4,4: so sliumo so thiu stemna uuard thincs heilizinnes in mitten
orun, gifaJi in gifehen kind ... - ut facta est; 'wie wenn'
sama so — quasi 108, 1 (vgl. Is. 47, 4). Die übrigen bedeu-
t ungen des so bei 0. sind im T. nicht belegt, dagegen die bei
0. nicht nachgewiesene, von Tobler s. 373 angeführte consecu-
tive bedeutung 'so dass': 92, 0 uuard samaso toter, soso mancge
quadun : toot ist her — factus est sicut mortuus, ita ut multi
dicerent.
Correspondierend mit dem temporalen so des nebensatzes
enthält der hauptsatz oft ein demonstratives tho, so, sar, sliumo
sar; im TM seltener als bei 0., nur tho, aber zuweilen olv.
19,6. 21, 10.
l) £. Ö. § 193.
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408
SCHÖLTEN
§ 24. sar,
das in hauptsätzen zu temporalem so oft erscheint, wird von
0. auch selber als temporale conjunction gebraucht zum aus-
druck der unmittelbaren aufeinanderfolge mehrerer ereignisse ;
zunächst noch in Verbindung mit so : sar so = * sobald als,
wenn', z. b. 1, 15. 37 er quimit mit giwelti, sar so ist woroltenti ;
2, 8, 19. Aber auch sar allein in derselben bedeutung, z. b.
5, 6, 33 iagilih sih kumit, sar sih thaz lierza rumit; 5, 15, 41; von
der Vergangenheit nur 1, 17, 55. Der hauptsatz enthält zu-
weilen ein so.
Im T. ist sar stets adv. == statim;. ebenso im Is.»); sar
so und sar kommen als conj. nur noch einige male in der
Benedictineregel und im Muspilli v.2 vor.
§ 25. suntar,
bei T. nur 108, 3 als adv. gebraucht, hat im 0. oft conjunc-
tionale bedeutung. Es steht coordinierend nach negationen =
'sondern', vor Satzteilen und Sätzen; z. b. 1,2,46 thaz nist bi
werkon minen, suntar ... bi thinero ginadu; 1,2,17. 2,12,79.
3,20,11. Subordinierend findet es sich wie ni, nub nach ne-
gierten negativen verben mit folgendem conjunctiv*) in der
bedeutung 'dass': 3,20,132 bimidan thu in wolles, suntar thu
imo folges; 1,11,38. 2,9,49. 2,12,39; und nach trist, wo der
satz mit suntar wider als negativer relativsatz übersetzt werden
kann: 1,5,63 nist wiht, suntar werde, in thiu iz got wolle;
1,23,54. 1,24,6.3)
§ 26. thanne.
Der gebrauch von thanne ist bei 0. und T. ungefähr der-
selbe. Es dient in der bedeutung 'sodann, ferner, und dann,
') Auch wol 31,27 gegen Rannows annähme s. 76.
*) Trotz de» folgenden conjunctivs ist suntar = 'sondern' 1, 20, 29. An
den stellen 3, 1,35. 5,7,32 ist m. e. der conj. statt des Ind. gesetzt unter
dem einfluss des reims. 5,25,64 gehört suntar nicht zu grubilu, sondern
zu ftnthit.
s) An den meisten stellen wo suntar mit folgendem conj. = 'das«'
ist, ist die Übersetzung mit ' sondern ' nicht unmöglich. Darum ist vielleicht
dieser gebrauch von suntar zu erklären aus der zusammenziehung zweier
nebensätze, von denen der erste negativ: ni C COflj., der zweite positiv:
suntar c. ind. gewesen wäre: (ni meid sih) ni si outjti + suntar si outjta
= suntar si ougti.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTKRID U. TATIAN.
409
und' zur Verbindung gleichwertiger Satzteile und sätze, z. b. 0.
1, 24, 18 so teer manno so sih buazit . . . , thaz thannc warlicho
duat; 1, 21, 16. 3, 13, 30 (parallel joh 5, 21, 16). T. = L et tunc:
39,6 aruuirph zi heristen baleon fon thinemo ougen, thannc
gisihis thu . . .; 42, 3 u. ö.; — 1. et 40, 2; ■- 1. partieip 40, 3; im 0.
zuweilen neben joh, ouh, noh; im T. neben inti = 1. c< tunc
und ef. noA thanne heisst aber im T. 'zu der zeit noch'.
Nicht selten hat thanne adversativen sinn: 'aber, dagegen': 0.
3,3,27. 4,4,68; T. = 1. autem 29,2 thanne ih quidu iu = ego
autem dico vobis; 77, 2 u. ö.; 'und — dennoch, und — nichtsdesto-
weniger' 0. 3, 23, 32 si farent thines ferehes . . . : nu suachist sie
afur thanne?-, 3, 18, 31. 3, 20, 164.») thanne steht auch causaler
bedeutung nahe, was Grimm, Gr. 3, 167 nur vermutet; so T.
44, 13 iu ist thanne yigeban in thero ziti = dabitur enim vobis
in illa hora. 88,2 = 1. enim (145, 14 thanne = 1. enim tunc?);
im 0. vielleicht H. 4. Im Is. ist dhanne einige male causal,
im Bo. oft*)
In hauptsätzen zu conditionalen Vordersätzen wird thanne
als demonstratives adv. in der bedeutung 'dann, in dem falle'
von 0. gegen 20 mal gebraucht, z. b. 2,4,73 oba thu sis gotes
sun, far thanne heimortsun. Auch so — thanne 2, 4, 74. 3, 7, 80.
Im T. findet es sich weit häufiger (z. b. olv. 36, 3 oba (hin ouga
aruuertit uuirdit, thanne ist al thin lihhamo finstar; 172.3), und
zwar um so Öfter, je selbständiger der Übersetzer die lateinische
vorläge widergibt; so auch statt des coordinierenden et 39, 2. 3.
47, 4 (vgl. so). Im T., nicht bei 0., steht ferner dies thanne
nach temporalen Vordersätzen, zuweilen — 1. tunc, z. b. 45, 7.
131,11; aber auch olv., z.b. 8,4. 152,5; = 1. et 113,1.
§ 27.
Als temporale conj. dient thanne an der spitze des neben-
satzes im T. zur angäbe eines einmaligen ereignisses der Ver-
gangenheit in der bedeutung 'damals als' - 1. quando; z. b.
233, 1 Thomas ni nuas mit in, thannc ther heilant quam; 116,3,
im 0. bei widerholung in der Vergangenheit 'dann, wann; wenn;
') 4, 22, 13 heisst thanne avur 'aber damals'. Dagegen hat Ih. dhanne
neben andern adversativen conj. zu deren Verstärkung: oh dhanne = autem
27, 1 ; olv. 23,
8) Rannow s. 53. 57. Löhner s. 210.
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410
SCHÖLTEN
so oft als', z. b. 4, 10,7 thanne ih lerta, iz thisu worolt horta;
1,11,45. T. hat in dieser letzteren bedeutung mitthiu thanne:
88, 2 mittiu danne ih quimu, ander eer mir nidarstigit; 96, 5.
Bei noch nicht vollendeten ereignissen ist thanne noch rein
temporal 'dann, wann' 0.3,24,24. T. = 1. cum 128,9 u. ö„
besonders wenn es sich im T. auf ein vorangehendes tempo-
rales Substantiv zurückbezieht, z. b. 132, 3 quimit naht, thanne
nioman matj uuirkan; 87, 5. 145, 1. 2. Es steht aber conditio-
naler bedeutung nahe; z. b. 2, 16, 35 thanne se zellent . . al nbil
anan iuih, thaz liegent sie al thuruh mih; 1,4,61. 3,2,11. Im
T. = 1. cum, z. b. 108, 2 ih utteiz uuaz tuon, thanne ih aruuorfan
uuirdu fon themo ambahte; 57, 6.
Der hauptsatz zu einem nebensatz mit thanne enthält oft
ein demonstratives tho, thanne, im T. = 1. tunc oder olv. Im
0. so 3, 26, 39.
Gemeinsam ist 0. und T. endlich der gebrauch von thanne
nach comparativen = 'denn, als', z. b. 2, 18, 6 ni cigut ir mcrun
guati, thanne thiz heroti; 2, 22, 8. 20. Nach ander 4,37,4. T. z. b.
13,17 niouuiht mcr, thanne iu gisezzit si, tuot ir ; 21.9. Im T.
auch nach guot ist 95,4,5; bitherbi ist 28,2,3. Ueber thanne
hinter er s. er.
Concessives thanne, das (nach Mensing § 109) im Is. und
N. vorkommt, kennen 0. und T. nicht.1)
§ 28. thar
wird von 0. gebraucht als temporale conj. 'als, während, in-
dem' (z. b. 3, 24, 48 mit zaharin si thie higoz, thar si then bruader
liobon roz; 5, 12, 61) und 'wenn, wann, so oft als', z. b. 5, 16, 39
dote man irquiket, thar ir zi mir es thigget; 1,23,16. Kine
consecutive bedeutung 'so dass' oder finale 'damit' braucht man
für die stellen 2.24,10. 3,6,37. 3, 16,61. 5,17,13 nicht anzu-
nehmen, wie Piper will, da an allen diesen stellen der satz
mit thar nur temporal oder modal die handlung des neben-
satzes begleitende umstände angibt ; z. b. 3,6,37 thaz Inrot
ivuah-s in alagahun thar sie alle zuasahun. Ebenso 4, 1, 8.
') thanne wird ferner noch gebraucht = 'doch' zur verstÄrknng eine»
imp. 0.3,13,21. 4,7,7, was im T. aber nicht vorkommt, und = 'denn
zur belebung einer frage, z. b. 0.4,19,74. T. 13, 21. Diese Verwendung
kenneu auch Is. und N, Tobler 8. 3H4. (iraff 5, 4«.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID U. TATIAN.
411
5, 12, 61 , wo es parallel temporalem tho steht. 2, 3, 52 hat P
thar, V und F tho. Adverbiales tho neben thar 4, 1,8. 3, 6, 40.
Im T. kommt conjunctionales thar nicht vor, was um so
auffälliger ist, als Is. es wol kennt und im Will, temporales
cum einmal mit dar übersetzt ist.1)
§ 29. thuz
wird, wie im ahd. überhaupt, auch bei 0. und T. gebraucht in
der bedeutung 'dass, damit, so dass' — 1. quin, quod, quoniam,
ut vor Substantiv- und adverbialsätzen; z.b. 0. 2, 14, 99 in quam
tho in githahti thaz man imo iz brahti. T. 78, 5 uuar quidu ih
tu, thaz nihein uuizago antphengi ist . . . ; besonders vor final-
und consecutivsätzen. Der hauptsatz enthält oft eine mit thaz
correspondierende partikel: so vor consecutivsätzen (s. so); 6t-
thiu, nur bei 0., vor finalsätzen, z. b. 4, 10, 3 thes muascs gerota
ih bithiu, thaz ih iz azi mit iu; 2.12,93. 4,7,59 (das bithiu
thaz T. 104, 6 ist auch wol trotz des lat. quia final zu fassen,
wie auch Is. 29, 16 bidhiu dhaz final ist), zi thiu vor final-
sätzen bei 0. und T., meist unmittelbar vor thaz, z.b. 1,4,45
thie unyiloubige gikerit er zi libe, zi thiu thaz er gigarawc thie
liuti uirdige. T. zi thiu thaz = 1. ut, z.b. 143,3 ni quam ih
zi thiu thaz ih duomti mittilgart. zi thiu thaz ni - 1. ne, z. b.
35,2. = 1. ut non 93,3. olv. 44,23; nur 195,6 zi thiu = 1. ad
hoc. zi thiu vor consecutiv- und andern adverbialsätzen nur
bei 0., hier nie unmittelbar vor thaz, z. b. L. 10 zi thiu due
stunta mino, theih scribe dati sino; 3,6,30. mitthiu vor einem
adverbialsatz 0.3,24,60. reber mitthiu thaz, ni si thaz, nibi
thaz in nebensätzen s. das erste wort.
An einigen stellen, meist nach verben des affects, gibt
thaz den inhalt des verbs an; es heisst dann 'dadurch, darüber
dass', oder, da in der angäbe des inhalts zugleich der grund
liegt für die im hauptsatz enthaltene tatsache: 'weil', z. b. 0.
3, 24, 92 thir thankon . . . , thaz thu . . . irfullis minan tvilton.
T. = 1. quod, z. b. 2, 10 vvuntorotun thaz her lazzeta in templo;
63,3; = 1. quia 119,7; rein causal 'weil' 0.3,20,9.
Dass thaz auch conditionalen sinn haben kann, wie Tobler
und Erdmann annehmen,2) glaube ich nicht, da an den von
•) Kannow ». 70 ff.
») Beitr. 5, 3Ü5. Uenu. VI, 25b. E. S. 1, § 1 1 1.
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412
SCHÖLTEN
ihnen angeführten stellen der Zusammenhang die gewöhnliche
auffassung nicht ausschliefst.
Thht, der casus instr. des pron. dem. thaz, dient in Verbin-
dung mit gewissen Präpositionen im 0. und T. häufig zur Ver-
bindung mehrerer sätze.
§ 30. öfter thiu
ist im T., nicht bei 0., bekannt als Übersetzung von postquam,
postcaquam 'nachdem', z. b. 7,2 after thiu gifulta uuarun taga
sinero subarnessi — postquam impleti sunt . . . ; 67, 13. Auch
Is. hat conjunctionales after dhiu olv. 5, 10; after thiu so =
postquam 35, 16.
§ 31. bi thiu
steht in der bedeutung 'darum, deswegen' im T. = 1. idco,
propterca zu anfang, im 0. auch inmitten des hauptsatzes,
insbesondere in hauptsätzen zu nebensätzen mit tcanta, z. b. 0.
2, 4, 28. 3, 5, 11. T. 74. 5. 131. 20. Im 0. auch bei finalen neben-
sätzen mit thaz (s. d.) und ohne thaz 4, 12, 10.
Im nebensatz kommt hithiu bei 0. nur selten vor; als
causale conj. = 'weil, denn' nur 2,12,85. 3,16,68; am ende
des vorhergehenden hauptsatzes thuruh thaz 3,8,4.
Im T. wird dagegen hithiu gerade so und ebenso häufig
gebraucht wie tcanta und hithiu tcanta (s. d.), also = 'weil,
denn' für 1. quia, quoniam, eo quod, nam; z. b. 71,3 hithiu
sie ni habetun vvurzalun, furthorretun; 84,2. 145,9. 19,8 =
1. rel. qui. Ferner — 'dass' für lat. quia statt des acc, c. inf..
z. b. 107,3 gihugi, hithiu thu intfiengi guotiu in thinenw libe;
68, 4; und = 1. quia — ort zur einleitung directer rede, z. b.
100, 5 ih quidu, hidiu so uuelih uorhizzit sina quenun . . . huo-
rot; 49, 5.
§ 32. fon thiu
ist 0. wie den meisten ahd. quellen unV>ekannt. T. hat es
einige male als demonstratives adv.. darunter 175, 3 -- 1. de hoc
•deswegen' vor folgendem tcanta. Im nebensatz steht es als
temporale conj. \. ex quo 'seitdem' 92,4 rvuo michil stnnta
ist fon thiu inw thaz giburita?; 102,2. In derselben bedeutung
steht T, 138, 12 fon thes ex quo.
§ 33. in thiu
ist dl e. bei 0, im wesentlichen nur conditional, während Erd-
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t
8ATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TATIAN. 413
mann S. § 251 conditionale, finale, causale und temporale be-
deutung annimmt. Es führt in der bedeutung 'wenn nur,
wofern nur' eine selbst verständliche Voraussetzung für das
eintreten des hauptsatzes an (wie an einigen stellen auch oba);
Z. b. 1, 5, 63 nist tviht, suntar werde, in thiu iß got wolle; 2, 4, 86.
Ebenso (nach Erdmann final) 1,7,12. 4,2,23.') Vielleicht ist
final 4, 20, 24. Zu temporaler bedeutung neigt in thiu 1, 20, 32.
0. 2, 7, 38 Ist in thiu = 'darin' (nach Erdmann causal). Auch
die Verbindung in thiu thaz ist conditional, 1, 2, 42; auch 3, 7, 78
(V F in thiu, P in thiu thaz).
An der einzigen stelle wo im T. in thiu conjunctional
gebraucht wird, 74,7, ist es causal, denn es übersetzt quin
und steht causalem bithiu parallel.
§ 34. mit thiu
kennt 0. nur als adv.;2) im T. steht es nur conjunctional. und
zwar sehr oft. Es bezieht sich auf die Vergangenheit: 'als,
indem, während' = 1. cm«/, z. b. 2, 3. 5, 7; - dum 136, 1. 151, 4;
oder 'als, nachdem' = cum, z. b. 48, 1 mit thiu thie heilant quam
in Petruses hus; 100,1; auf die gegen wart oder zukunft be-
züglich heisst es 'wenn, wann, zu der zeit wo, so oft' — 1. cum,
z. b. 44, 15 mit thiu sie iuuer ahtent in therro burgi, ftiohet in
andern; 133,7; = dum 27,2. 139,10. Es kommt dabei einer
bedingenden conj. sehr nahe, z. b. 22,16. 23,4; mit thiu thaz
— cum 44, 28. Im nebensatz steht neben mit thiu oft ein ad-
verbiales tho, z.b. 97,6. 124.6; auch thanne 88,2. 96,5. Sel-
tener enthält der hauptsatz ein demonstratives tho 116, 1 und
72,3 = tunc; olv. 84,8. 180,3; thanne olv. 124,4 = tunc
131,11 u. ö.
Wie lat. cum bezeichnet mit thiu neben der zeitlichen
auch die causale folge: 4da, weil (denn)', z. b. 120, 5 mit thiu
sie thuruhuuonetun inan fragente, . . . quad in = cum perseve-
rarent ...; — 1. nam 92.2; lat. particip 54,3. Wie cum
wird mit thiu endlich auch conccssiv gebraucht: 'während', z. b.
40, 7 it«7 thiu ir ubile bind, uuizut yuot zi yebanne iuuueren
kindon\ 104,4.
') In seiner ausgäbe fasst £. 1, 7, 12 ebenfalls conditional, nicht tin.il.
') E. S. 1, 253 faast einige stellen final.
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414
BCHOLTEH
§ 35. zi thiu
steht bei 0. und T. als adv. gern unmittelbar vor finalem tttaz.
0. setzt es auch vor conjunctionslosen finalsatz, von diesem
noch getrennt durch die cäsur 2,21,11; im selben halbvers
2, 6, 12 'gott Hess dem Adam freie Verfügung über das ganze
paradies', zi thiu er thiz (das eine verbot) gihialti. Hier scheint
zi thiu selber final zu sein: 'damit'.
§ 36. tho
weist als adv. ganz allgemein auf den zeitlichen Zusammen-
hang mehrerer ereignisse hin. So steht es oft in hauptsätzen
zu temporalen Vordersätzen, z. b. 1, 14, 2 so ther antdag sih
tlio ougta, ... tho scoltun siu ... then wizod ir füllen; 2,11.55.
T. olv. 7, 11. 84,8. Dieser Zusammenhang ist oft zugleich con-
secutiv, so dass tho etwa unserem 'darum, infolgedessen' ent-
spricht, z. b. 0. 2, 6, 27. T. 52, 7. Die temporale bedeutung kann
aber auch ganz schwinden und tho führt einfach die erzählung
weiter: 'da': T. 13, 20 tho fragetun sie inan = 1. interroya-
rerunt eum; 0. 1, 12, 5; 'und': O. 2, 14. 11 thie jungoron iro zi-
lotun, in koufe in muas tho holetun; T. 4, 1. 2; = L et 'aber',
z. b. 0. 4, 13, 17 iz was hurto egislih; tho betota ih selho bi thih.
T. 53, 7 — 1. at. Oft steht es neben andern fortführenden con-
junctionen. 0. bezeichnet ferner mit tho einen stärkeren gegen-
satz: 'dagegen', z. b. 1, 9, 5; 'dennoch, trotzdem': 2, 8, 56 er
ougta sina kraft joh sina guallichi; tho gilouhtun ekordi eine
thie junyoron sine. Im T. übersetzt es öfter eniw 'denn, näm-
lich': 43,4 vvuntarotun ... ubar sina lera; uuas her tho sie
lerenti soso giuualt habenter.
Auch wo tho subordinierende conjunction ist, ist die tem-
porale grundbedeutung meist erhalten, tho = 'als, nachdem',
im T. — eum, dum, ut, quando, z. b. 0. 2. 11, 53 tho er then (od
ubarwan, thes thritten tages thanan quam\ T. 7, 11; 'zu der zeit
wo, während', z. b. T. 5. 13 tho sie thar uuarun, r rurdun teuja
gifulte; 148,6. 0. 1, 11,55. 3, 14, 5i>b. Doch wird auch hier tho
causal 'da, weil', im T. = cum, quin, z. b. T. 149,7 ubü serric
inti lazzo, tho du uuestos ... serve male et piger, seiebas
0. 5, 23, 240.
§ 37. thoh,
bei 0. häufig, im T. verhältnismässig selten, führt bei 0. in
hauptsätzen die erzählung adversativ weiter: 'jedoch, aber.
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SATZ VERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TATIAN. 415
allein ', z. b. 4,11,28 = L autem: thaz ih nu meinu mit thiu,
unkund hatte ist iz tti; iz teirdit etheswanne thoh in zi tri-
zanne; 2, 14, 67 — 1. sed. ni thoh = 'jedoch nicht', allein-
stehend, dient im 0. zur abweisung einer an sich möglichen
Vorstellung, z. b. 1.4,57 sprah ther gotes boto tlio, ni thoh
irholgono . . . Bei gegenüberstellung von personen und Sachen
hebt es den gegensatz stärker hervor: 'dagegen, andererseits',
z. b. 3, 20, 148 ih sunnun er ni gisah, thoh scoutvot ir HU alle . . . ;
L. 71 ; 'dennoch, trotzdem', z. b. 1, 1, 36 nist si so gisungan, mit
regulu bithuungan, si habet thoh thia rihti . . .; 3, 26, 9 = ]. tarnen;
tu dieser bedeutung steht es besonders nach concessiven Vorder-
sätzen, 1. 18, 6. 3. 22, 15 u. ö.
Im T. steht thoh in der bedeutung 'aber' 1. autem 79,8;
= 1. tarnen 87, 7. Gewöhnlich ist es jedoch mit uuidaro ver-
bunden, thoh uuidaro 1. verumtamen 'aber', z. b. 32,8 thoh
uuidaro minnot iuuara fianta; 92, 1; 'dennoch' 1. tarnen, z. b.
220, 3 gisah thiu lininun lachan gilegitiu, ni gieng thoh uuidaro
in; 104,3; nach einem concessiven Vordersatz nur 122,2 —
1. tarnen. Das streben nach wörtlicher Übersetzung ist es wol,
das die widergabe von verumtamen durch uuar — thoh 65,3, thoh
uuar 65, 5, uuar thoh uuidaro 160, 3 veranlasst. Auch Is. gibt
tarnen meist durch dhoh dhiu huuedheru wider, z. b. 19, 10;
ebenso hat der Weissenburger katechismus thoh thiuuidero
(Braune, Ahd. lesebuch z. 93).1)
Nicht adversativ, sondern erklärend = 'denn' steht thoh
O. 2, 4, 46; wie nhd. 'doch' hinter dem den satz eröffnenden verb
3.10, 37.40 gismekent thoh (die hündlein) thia meina thera seltmn
aleiba . . . = L nenn; zu anfang des satzes 1, 5, 57. 2, 6, 53 ?2)
§ 38.
Auch in nebensätzen hat 0. thoh sehr häufig in der be-
deutung 'obwol, obgleich', z. b. 2,3, 25 &ie kundtun thar then
liutin, thoh si es tho ni ruahtin; 3,19,27; 'selbst wenn', z. b.
') Vgl. Meiling § 56. Gr. 8», 187.
r) 0. gebraucht thoh ferner noch in hauptsiitzen in der bedeutunir
'wenigsten«' znr hervorhebnng einzelner begriffe, z. b. 4,19,25. 2,17,10
<auch T. b2, 1 — 1. rel), bei imperativen, z. b. 1. 27, 29, und in Wunschsätzen,
z. b. 2, ti, 43; = 'doch' und 'doch bekanntlich' 4,33,10. 4, 35, o ? An ein-
zelnen stellen scheint eine Ubersetzung vou thoh uumüglich zu sein , z. b.
5, 25, 99 k
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416
SCHÖLTEN
nist man, thoh er wolle, thaz yumisyi al yizelle; 4,9,33. Ein-
zelne solcher stellen sind fast irreale bedingungssätze, 2, 3, 43.
5,23,267. Ein ouh neben thoh verdeutlicht dessen concessive
bedeutung 2.6,53. 5,23,267 (vgl. 'wenn — auch'). An der
stelle 3, 7, 69 dient dieses ouh zur hervorhebung des zweiten
concessivsatzes gegenüber dem eisten. Mit dem concessiven
thoh des nebensatzes correspondiert oft im hauptsatz ein de-
monstratives thoh, s. o.
Im T. steht nur 21, 9 ein concessives tltoh uuidaro —
1. quamquam : thoh uuidaro ther hcilant ni toufti, nihi sine
iunyiron, und vor verkürztem satz ein thoh tltoh — 1. licet 79,5.')
Anderen ahd. quellen ist concessives thoh wol bekannt, auch
Is., z. b. 9, 26. 27, 16.
§ 39. unz.
Hiermit führt 0. einen zustand an, während dessen ein
anderes ereignis eintritt: 'während', z. b. 3, 2. 25 unz er fuar ....
yayantun imo bilde thie holdun scalka sine, 2, 14, 100; oder einen
zustand, der eine tatsache von gleicher dauer bedingt oder
veranlasst: 'so lange als', z. b. 3,20,21 unz ih hin thiar in
worolti, so hin ih Höht heranti; 5, 10, 29; oder ein ereignis, durch
das ein zustand beendet wird: 'so lange bis, bis dass\ z.b. 1,19,5
in Aeyypto wis thu sar, unz ih thir zriyo aour thar . . .; 4, 17, 12.
Im T. ist unz meist in der letzten bedeutung gebräuchlich:
z.b. donec: 44,7 thar uuonet, unz ir uzfaret; 147,1; usquedum
8,15; quoadusque 244, 1 ; dum 151,2. In der ersten bedeutung
kommt es gar nicht vor, als 'so lange als' 132, 3 mih yilimphit
uuirkan unz iz tuy ist 1. donec; 139, 10 = 1. dum.
0. setzt neben unz öfter ein tho, z. b. 1, 11, 29.*) Der haupt-
satz enthält zuweilen ein tho, thar tho, so — tho, so. Im T. ist
an unz öfter ein suffix angehängt: unza 108, 7; unzan 5, 10;
unz az 80,7; unzin 96,5.
§ 40. uz, uzar, uzouh
werden im T. (aber nur vor 44,13 und nach 119,8: Sievers 1
s. 51) als adversative conjunctionen gebraucht, — 1. sed 'aber':
173, 1 noh nu hohen ih iu manayu zi quedanne, uz ir ni muyut
iz fortrayan; uzouh 24,1. 131,24; nach negationen 'sondern':
') Mensing § 57.
*) unz thaz 1,4,70 ist nicht conj., sondern heisst 'bis dahin'.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI 0TFR1P V. TATIAN. 417
uz 133.14. 168,4, uzar 4, 11; uzouh oft, z. b. 25,4 ni quam ih
zi losenne, uzouh zi fullenne; 31,8 (vgl. ouh)
Im 0. sind diese partikeln alle unbekannt; auch im übrigen
ahd. sind sie selten: uz kommt noch zweimal vor, uzar einmal,
uzouh Uberhaupt nicht.1)
§ 41. tcanta
ist in der ganzen ahd. spräche die causale conj. xar £$oxt}v;
so auch bei 0. und T. Es heisst 'denn, weil, da', z.b. 1,4,76
theru spraha er bilemit was, want er yiloubig ni was; T. 57, 4;
und ist oft mehr erklärend als begründend, besonders wenn es
sich auf ein wort des vorhergehenden bezieht, wie 0. 1, 14, 7
(hiazun MMN heilant), wanta er then Hut heilit; T. 13,8; oder
es erklärt, warum die aussage, frage u.s.w. des hauptsatzes
berechtigt ist, z. b. T. 87, 5 uuir betontes, daz uuir uuizzumes,
uuanta heilt fon Judeis ist; 0. 4, 18, 24.')
W enn der nebensatz mit wanta zwischen zwei zugehörigen
hauptsätzen steht, wird diese Zugehörigkeit von 0. in dem fol-
genden satz verdeutlicht durch nu II. 46. 1, 7,7; tho 4, 3, 5; bithiu
1, 3, 14 u. ö. Dies geschieht auch, wenn nur ein hauptsatz zu
wanta gehört und dieser folgt; er enthält dann an der spitze
ein nu, z. b. 2, 6, 26, bithiu 2, 4, 27 u. ö. Auch wenn der haupt-
satz vorangeht, wird ihm, aber verhältnismässig sehr selten,
eine solche partikel zugesetzt: thuruh thaz stets am ende, z.b.
2,4,102; bithiu, meist an der spitze, unmittelbar vor wanta
nur 3, 23, 52.
Auch T. hat dies bithiu, aber stets an der spitze des haupt-
satzes; = 1. ideo, propterea, z.b. 84,5. 131,20; fon thiu 1. de
hoc 174,3 (vgl. Is. 25,23. 37, 14). Am ende des vorangehenden
Hauptsatzes steht bithiu im T. zwar nicht (wie 0.3,23,52);
dass das jedoch der spräche nicht fremd war, ist aus dem zu
einem wort gewordenen bithiu uuanta herzuleiten, das gerade
so gebraucht wird wie uuanta allein;3) also 'weil, denn',
z. b. 23, 2 uue iu thie t/tar gisatote birut, bithiu uuanta ir hun-
*) Uraffl,434. [MSP. 23, 33t». E. S.]
*) Beachtenswert ist die Wortstellung nach wanta, nämlich teils die
des hauptsatzes, teils die des nebensatzes; im T. oft glv. wanta svx. 0.
1, 2, 21. T. 140, 1 ; wanta xvsx. 0. 2, 16, 3. T. 107, 4; — wanta sxv. 0. 1, 3, 42.
T. 164,3; wanta xsv. 0.3,16,40. T. 21,2; vgl. Rannow s. 13.
3) Vgl. Siever» Tat Uro1 s. 50.
Beitrag* znr genchicht« d«r deuUcban apraobe. XXII. 27
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418
SC&OLTEtt
geret; mit demonstrativem bithiu im folgenden hauptsatz 169,3.
T. 22, 17 und 79, 11 lautet die conj. uuanta bithiu in derselben
bedeutung.
Im übrigen ahd. ist causales bithiu uuanta auch bekannt,
besonders gebraucht es Is., z. b. 5,5. 5,11.
Auf diesen causalen gebrauch ist tcanta bei 0. beschränkt»)
Im T. steht uuanta und ebenso bithiu uuanta (wie thais) noch
zur Übersetzung des lat. quia, quoniam nach verb. dicendi statt
des richtigeren acc. c. inf., wir übersetzen also 'dass', z. b. 177, 5
nu forstuontun uuanta allu thiu du mir gabt fon thir sint
117, 3. Ferner dienen uuanta und bithiu uuanta zur Übersetzung
von quia und quoniam vor directer rede, wo wir sie ganz un-
tibersetzt lassen müssen, z. b. 133,9 uuar, uuar quidih t«, bi-
thiu uuanta ih bim duri scafo; 188,3; vgl. bithiu.
§ 42. uuarlihJw,
im 0. (und Will.) nur in der bedeutung vere belegt, wird im
T. auch conjunctional verwendet in der bedeutung 'aber' für
lat. vero 69,3. 172,5; au fem, z. b. 6,6 Maria uuarlihho gihklt
allu thisu wort ahtonti in ira herzen; 4, 9; mit stärkerer be-
tonung des gegensatzes: 'dagegen', z. b. 133, 11 ih bin guot
hirti. (her asni uuarliho fliuhit; 90, 1. Femer dient uuarlihho
zur widergabe von ergo = 'darum, also', z. b. 130,2 oba Dauid
uuarlihho in geiste ncmnit man truhtin, vvuo ist her sin sun?
= si ergo; 13,14; inti uuarlihho = et igitur 174,6. Schliess-
lich übersetzt e$ = 'denn' lat, enim, z. b. 236, 6 uuas uuarlicho
nackot = erat enim nudus; 2,6; itaque 184,1 'weil'?
Uebersicht
A. Partikeln der hauptsätze.
Otfrid: Tatian:
1. Copulative.
inti 'und'
(oft inti ouh)
— 'auch' (zur hervorhebmig)
(oft inti ouh)
— inti — inti — 'et — et '
joh 'und' (häufig) joh — (sehr selten)
„ 'und zwar' —
') Conceasiven sinn 1, 4, 67 mit Mensing § 109 anzunehmen ist man
nicht genötigt.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TAT1AN. 419
Otfrid: Tatian:
joh
— 'auch' (zur hervorhebung)
(oft joh omä)
— joh —joh -=- 'et— et'
noh 'und auch nicht, noch'
r 'und nicht, aber nicht'
„ 'auch — nicht' (zur hervorhebung)
— 'nicht einmal' (2m.)
noh — noh = 'weder — noch'
(2 m.) (oft)
ouh 'gleichfalls, ferner' 'ferner' (Im.)
„ 'auch, sogar' (zur hervorhebung)
„ 'und' -
inti, joh, odo, noh ouh inti oxüi
thanne 'sodann, femer, (und) dann, und'
joh, ouh, noh thanne inti thanne
tho 'da, und'
— giuuesso = 'etiam, auch' (Im.)
— odo — odo = 'et — et, sowol
— als auch'
so 'da, dann' —
2. Adversative.
arur 'andrerseits, dagegen'
(häufig) (selten)
. 'aber'
nu 'aber jetzt' (T. 5m.)
pi 'aber' —
ouh 'aber' (selten) ouh, oh 'aber' (sehr häufig)
— ' trotzdem '
— (Im.?) 'sondern'
— eccarodo ni — ouh = 'non soluui
— sed etiam '
thanne 'aber dagegen'
„ 'und dennoch' —
thoh 'jedoch, aber, allein'
(häufig) (selten, meist thoh uuidaro)
„ 'dennoch, trotzdem'
„ 'dagegen, andrerseits' —
tho 'aber'
n 'dagegen' -
„ 'dennoch' —
inti 'und dennoch, dagegen' —
joh ' dagegen, sondern ' —
ja 'aber' —
ni the» thiu min 'nichts* —
desto welliger '
27*
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SCHÖLTEN
Otfrid:
suntar ' sondem '
wauta
bithiu
dm.)
avur 'nämlich' (erläuternd)
.;' a ' denn — ja '
im ff 'und -- doch"
wm 'denn jetzt, denn'
ouh 'nämlich, denn'
thoh 'denn, — doch'
Tatian:
giuuesto = 'antein, vero;
aber, dagegen'
nibi = 'sed; aber, sondern '
uz, uzar, uz ouh = 'sed; aber.
sondern'
uuarlihho = 'vero, antem;
aber, dagegen'
3. Causale.
'denn'
'denn'
(oft)
- (?)
CO
bithiu
tho
uu 'darum jetzt'
ouh 'darum auch'
odo
(oft odo ouh)
g i u uenso = i siquidem, quippe :
denn '
noh — 'neque enini; denn
nicht '
thanne — 'enim: denn'
tho =■ 'enim; denn, nämlich'
uuarlihho = 'enim; denn'
4. Consecutive.
'darum, deswegen'
' darum, infolgedesseu '
(1 in.?)
fon thiu 'de hoc; deswegen'
giuuesso = 'itaque; daher,
deswegen '
uuarlihho = 'ergo: darum
also'
5. Disjunctive.
'oder'
odo - odo = 'aut — aut ; ent-
weder - oder'
6. Im hauptsatz stehende, auf einen nebensatz
hinweisende partikeln:
a) bei temporalem nebensatz:
ho (oft) so (selten)
tho tho
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TATIAN.
Otfrid: Tatian:
er (oft) er (1 m.)
sid
mr —
— thanne
b) bei causalem nebensatz:
bithiu bithiu
sid
80 —
thuruh thaz —
— fon thiu
c) bei finalem nebensatz:
8% thiu zi thiu
bithiu —
<1) bei consecuti vem nebensatz:
so so
zi thiu —
e) bei conditionalem nebensatz:
thanne thanne
so (seltener) so
nu} sar (vereinzelt) —
f) bei concessivem nebensatz:
thoh thoh (1 m.)
g) bei coraparativem relativsatz:
so, sus 80
B. Partikeln der nebensätze.
1. Temporale.
er 'bevor, ehe' er thanne = • antequam, prius-
quam'
tho 'als, nachdem'
»zu der zeit wo, während'
so 'als, indem'
„ 'als, nachdem' so tho 'als, nachdem*
„ 'sobald als' (meist so sliu- so sliumo so 'sobald als* (1 m.)
wo, so erist)
„ 'wenn, wann' —
thanne — thanne = ' quando ; damals als '
„ 'dann, wann, wenn, mitthiu thanne wann, wenn,
so oft als' so oft'
unz 'wäihrend' —
'so lange als' (T. 2m.)
422
SCHÖLTEN
um
Otfrid: Tatian:
'so lange bis, bis dam'
(öfter unz tho)
sid 'seitdem, nachdem '
sar (so) 'sobald als, wenn'
thar 'als, während; indem;
wenn, wann; so oft als*
(unza,
etc.)
uanta
bithiu
(selten)
tho
(Im.)
thaz
nu 'weil, da (jetzt), da
oba 'da ja' (1 m.)
sid 'seitdem, weil'
so «da* (Im.)
oba = 'si; dann, wann'
after thiu = 'postqnam;
fon thiu (fon thes) = 'ex quo;
seitdem '
mitthiu = 'cum, dum ; als, indem'
„ 'während'
„ 'als, nachdem'
n 'wenn, wann'
„ 'so oft als' (sehr oft)
mitthiu thaz (1 m.)
2. Causale.
'da, weil'
'weil'
(oft)
in thni wanta 'weil' (oft)
da, weil'
(öfter)
'dadurch das«, weil'
thaz
zi thiu 'damit'
in ttuu (1 m.)
also' — (?)
oba 'wenn, da also'
in thiu = 'quia; weil' (Im.)
mitthiu = 'cum; da, weil'
3. Finale,
'damit'
min = 'ne; damit nicht'
oba
bithiu thaz (1 m.?)
4. Comparative.
'wenn schon'
'während'
'wie — so, so — wie'
'je -desto'
ai, io, so, selb so so, so selb, sama so
tfumne 'denn, als' (nach comp.)
nu 'wenn schon' —
so — so
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8ATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TATIAN. 423
Otfrid: Tatian.
5. Conaecutive.
thaz «da»'
— 80 thaz = 'ita ut1
— soso = 'ita ut; ao daas'
6. Conditionale.
oba 'wenn, falls'
„ 'bo oft als' —
„ 'wenn, wofern nur' —
thanne '(wann), wenn'
**lh 80 ) 'wie wenn' mmaso = 'quasi' (Im.)
satna so J
so 'wenn' (selten)
in fAiu ' wenn nur, wofern nur' —
in thiu thaz
— nibi 'wenn nicht, ausser
es sei denn dasa'
ni •» oba 'wenn nicht'
— ni si thaz 'wenn nicht'
7. Concessive.
oba 'wenn auch, obgleich, selbst wenn1
oba ouh cisperi oba, inti oba = ' etsi,
etiamai '
thoh 'obgleich' (sehr oft) thoh uuidaro = 'quamquam'
thoh ouh (1 m.)
nu 'obwol alao' (Im.) oba nu = 'etai' (Im.)
sid 'obwol, obgleich' —
so 'obwol' (Im.) —
8. Partikeln zur einleitung von Substantiv-,
adverbial- oder inhaltsätzen.
thaz 'daaa'
oba 'ob'
nub 'daas nicht, (daas)' nibi 'daaa' (Im.)
ni 'dass nicht, (dasa)' —
suntar 'daas' —
— min = 'ne forte; daaa' (Im.)
— uuanta 'daaa'
— bithiu 'dass'
— bithiu uuanta 'daaa'
— uucdar — odo 'ob - oder*.
BARMEN. W. E. SCHÖLTEN.
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BEM ERKLINGEN ZUM HILDEHHANDSLIED.
I. v. 1 ff. Ik gihörta oat seggen oat sih urhettun kmioii muotin1)
Hiltibrant enti Haouhrant uiitar heriun tuem
sunufatarungo.
Die erste verszeile des gedichts ist hauptsächlich auf zwei
verschiedene weisen erklärt worden, deren hauptuuterschied
darin liegt , dass nach der einen urhettun verbuni und muotin
nomen, nach der anderen und jetzt wol allgemein angenom-
menen aber urhettun nomen und muotin verbum sein soll.
Nach meiner ansieht hat noch keine erklärung vollständig das
richtige getroffen. Die erstere erklärungsweise kommt aber
der Wahrheit bedeutend näher als die letztere.
Die erstere auffassung ist die ältere. Lachmann übersetzt
18:W (Kl. Schriften 1,417): 'ich hörte das sagen ... dass sich
herausforderten im Zweikampf Hiltibrant und Hadhubrant
zwischen zwei beeren.' Müllenhoff hält an dieser auffassung
noch in der zweiten ausgäbe (1878) seiner Denkmäler fest,
wo s. 200 gesagt wird: 'es bleibt daher dabei dass urhettun
verbum ist, und das schwach formige enön kann in Verbindung
mit muoti begegnung allerdings nur die gesteigerte bedeutung
von alleinig, singularis, solitarius haben/ Auch Möller steht
auf dieser seite, d. h. ihm ist urhettun verbum und muotin
nomen; s. z. b. a.a.O. s. 81, wo der anfang des liedes in der
älteren (von Möller erschlossenen) Schreibung der vorläge ge-
gegeben wird: Ik (gifhßorta Öat sih ttrhe'ttun aenöm mootim
Hiltibrant enti Hadubrant.
l) Betreffs der lange der ersten verszeile vgl. Müller, Zur ahd. allit-
terationspoesie lsss s. *>t; (= Möller) und Kanfftuann, Da* Hildebrandslied,
in den Philologischen Studien, frstgabe für E. Sievers 1&% s. 143 (= Kaufl-
niann).
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BEMERKUNGEN ZUM HILDEBKANDSUED.
425
Dem gegenüber hatte Grein schon 1858 in den erläute-
rungen seiner ausgäbe des Hildebrandsliedes s. 22 f. sieh gegen
die Lachmannsche deutnng von wnon muotin als 'certamen
singulare' ausgesprochen, und arnon als nom.plur. (soli), urhcttun
als nomen ('als herausforderer') erklärt. Zweifelnd verhält sicli
Braune; in der 2. aufl. (1875) seines Ahd. lesebuches hatte er
urhcttun als verbum, muotin als dat. plur. von niederd. muot,
möt f. (0 begegnung, concursus (zu got. motjan) erklärt. In
der 3. aufl. (1888) sagt er s. 213: '[mitogen] ahd. unbelegt; as.
mötian sw. v. I. begegnen . . . Hierher vielleicht muotin Hilde-
br. 2, das aber doch wol (Beitr. 7, 121) in muotun zu ändern
sein dürfte. Vgl. auch tnuoen, für welches das einfache t
spricht/ Dagegen vertritt Kögel mit- Bestimmtheit die firein-
sche auffassung sowol 1890 in Pauls Ornndr. 2a. 17« als 1804
in seiner (beschichte der deutschen lit. 1. Er übersetzt daselbst
s. 212: 'ich hörte das erzählen, dass sich als kämpfer (d.h. in
der schlacht) allein begegnet seien Hildebrand und Hadubrand
zwischen zwei beeren.' Auch Stcinrneyer in der von ihm be-
sorgten 3. aufl. der Denkmäler ist gänzlich mit dieser deutnng
einverstanden. 'Unter die wenigen zweifellosen fortschritte,
welche kritik und erklärung des Hildebrandsliedes seit dem
erscheinen der zweiten aufläge der Denkmäler gemacht, rechne
ich' — sagt er 2, 18 — 'die deutung des zweiten verses, wie
sie nach anderer Vorgang Paul, Beitr. 7, 121 anm. festgestellt
hat: urhvttun ist Substantiv, muotin cj. praet. des schwachen
verbs muotvn\ dass sich als herausforderer, kämpfer allein be-
gegneten; Der letzte der meines wissens die stelle behandelt
hat, ist Kauffmann in seiner sehr lehneichen arbeit über das
Hildebrandslied (s. oben s. 424 anin.). Obwol Kauffmanns an-
sichten über das lied im übrigen fast durchgehends in scharfem
gegensatz zu den bisher allgemein geltenden stehen,1) bleibt
') Es soll nicht geleugnet werden, dass die Müllenhoffsche theorie hin-
sichtlich der texteonstitntion — bei welcher ich bin auf weiteres bleibe —
an bedeutenden Schwierigkeiten leidet. Aber auch diejenige lüsung welche
neuerdings von Kauffmann in seiner scharfsinnigen schrift geboten, ent-
behrt solcher Schwierigkeiten keineswegs. So will mir z. b. die hypothese
welche Kauffmann s. 135 zur erklärung des t in urhettun, luttila, »Uten,
tuem, ti u. a. m. vorbringt , gar nicht einleuchten. Eine solche bewusste
fälschung von seiteu eines mittelalterlichen Schreibers ist mir im höchsten
grade unwahrscheinlich, t'ebrigens hat Kauffmann Müllenhoffs ansieht
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426
ERDMANN
er in diesem punkte beim alten: er fasst urhettun als nomen,
muotin als verbum (s. 144. 134). Es darf wol also diese erklä-
rungsweise als die zur zeit herschende betrachtet werden. Ich
glaube aber, sie lässt sich kaum aufrecht erhalten.
Meine gründe sind die folgenden. Bat sih . . muotin kann
nicht Mass sich . . . begegneten' bedeuten. Es kann dies nicht,
weil ahd. sih nur accusativ ist und muotin, wenn es verbum
wäre, das object im dativ erheischen würde. Es ist ja evident,
dass man nicht berechtigt ist, aus der vorliegenden stelle, deren
erklärung eben streitig ist, einen schluss betreffs der rection
des ahd. verbums zu ziehen, der allen gesicherten tatsachen
zuwider läuft. Als solche tatsachen, von denen man bei der
beurteilung der frage auszugehen hat, betrachte ich erstens
die rection des verbums mötean muotian im alteächsischen
und in anderen altgermanischen sprachen, zweitens die rection
des ahd. verbums gaganen nebst Zusammensetzungen, welches
im ahd. das anscheinend schon verloren gegangene *muozzen
vertritt. Das as. verbum regiert den dativ sowol im eigent-
lichen (that hie im thar an uuege muotta Hei. 5950 ed. Sievers)
als im übertragenen sinne (huuand it simbla motean scal erlo
gehuuilicomu sulic so he it odrumu gedod Hei. 1700). Ebenso im
mnd., s. moten schw. v. in Schiller-Lübbens Mnd. wb. 3, 126. An.
mopta schw. v. hat immer den dativ m. einum. Im afries. steht
metu 'begegnen1 mit dat. und (zweifellos jünger) acc. (s. Richt-
hofen, Afries. wb. s. 926). Die einzige ausnähme hinsichtlich der
rection dieses verbums macht unter den altgermanischen spra-
chen das altenglische, wo (ze)metan den accusativ regiert. Ueber
den grund dieser jüngeren rectionsveränderung s. unten.1) Da
teilweise mißverstanden. Er redet widerholentlich vom abschreiben einer
niederdeutschen vorläge, z. b. 8.134 oben: 'wie hätten denn die Schreiber,
wenn sie eine nd. vorläge mechanisch copiert haben, auf chind, chuning
u. 8. w. verfallen können?' vgl. auch s. 129 unten. MUllenhoff sagt Denk-
mäler* 8. vni: 'das Hildebrandslied, in Fulda aus dem gedächtnis auf-
gezeichnet, . . ' und s. ix: 'er (der aufzeichner) wollte oder sollte ein wesent-
lich niederdeutsches gedieht zur aufzeichnung bringen, aber nur an hoch-
deutsche schrift und rede gewöhnt, kam er in der widergabe der abweichen-
den laute und formen nicht über eine gewisse grenze hinaus.' Vgl. auch
Kauflfmann s. 131 mitte.
») Der grund ist die erweiterung der Wortbedeutung. Ae. (geymetan
bedeutet nicht nur 'begegnen, entgegen gehen', sondern auch 'finden,
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BEMERKUNGEN ZUM HILDEBRANDSLIED.
427
also einerseits das gemeingermanische verbum *motian in allen
altgermanischen sprachen, wo es wirklich vorkommt — mit
ausnähme des altenglischen (und teilweise des späten altfries.)
— den dativ regiert, und andrerseits sein äquivalent im ahd.
(mhd. nhd.), gaganen, begagmen u. a., bekanntlich keinen andern
casus des objects zulässt als den dativ, so muss man, scheint es
mir, den schluss ziehen, dass auch das unbelegte ahd. *muozzen,
wenn es wirklich auf hochdeutscher stufe fortlebte, den dativ
verlangt habe. Der niederdeutschen construction muotian c.dat.
eine sonst ganz unbekannte, nur aus der vorliegenden stelle
erschlossene, hochdeutsche construction *muo2zen*) (oder muoten
nach Kauffmann s.130) cacc. entgegenzustellen, ist daher metho- .
disch unberechtigt. Folglich darf schon aus diesem gründe öat
sih muotin nicht mit 'dass sich ... begegneten' übersetzt werden.
Aber muotin gibt ausserdem bei dieser auffassung anlass
zu zwei anderen bedenken, wie auch schon von anderen hervor-
gehoben worden. Erstens man erwartet doppelte tenuis, *muot-
tin, und zwar ebensowol wenn man bei der älteren ansieht
über die texteonstitution der Iis. bleibt, als wenn man sich der
von Kauffmann a. a. o. dargelegten anschliesst: jedenfalls sollte
das praeteritum von rechtswegen zwei t haben. Die Schreibung
mit einfachem t statt des doppelten steht im Hildebrandsliede
isoliert da. Die Vermutung, sie sei daraus zu erklären, dass
das wort in der hs. auf zwei Zeilen verteilt ist, scheint mir
nichtig; man würde sich auf diesen umstand ebenso gut oder
treffen, antreffen', und es ist deshalb die ältere construction des verbums
nach der analogie von findan umgebildet worden. Eine schlagende parallele
zu diesem Vorgang, welche noch im werden ist, bieten die ae. verben de«
folgen». Auch bei diesen, futtgän, fullgangan, folgian, fytigan, ist der
ältere casus des objects der dativ; nachdem sich aber neben der älteren
bedentung 'folgen' die jüngere 'vollführen, ausführen' entwickelt hat, wird
auch der accusativ gebraucht, wie bei fulhryrcan, geicyrcan u. dgl. (s. Wül-
fing, Syntax Alfreds des grossen s. 88).
') Wahrscheinlich war das wort im ahd. ausgestorben. Es ist erst
mhd. belegt, muoten (md. muten) 1) 'begegnen', mit dat., nur im md., im
Marienlob des bruders Hans vom Niederrhein, 14. jh. (s. Pauls Grundr. 2 a,
375); 2) in der rittersprache : 'feindlich entgegen, zum angriff sprengen',
mit dat. oder praep. an (zweifellos als lehnwort aus dem niederdeutschen,
wahrscheinlich flandrischen); entmuoten sw. v. 'feindlich entgegensprengen
muote st. f. 'die begegnung, bes. das begegnen im kämpfe, der angriff' (8.
Lexer 1,2243. 577. 2242).
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428
ERDMANN
besser berufen können, wenn es im gegenteil gälte, eintritt von
doppelschreibung statt eines etymologisch richtigen einfachen
consonanten zu erklären.1) Zweitens, der conjunctiv muotin
statt des indicativs *muotun (richtiger *muottun) ist auffallend
nach ik gihörta dat scggen. Zwar hat man versucht den conj.
zu rechtfertigen, indem man auf die ausführungen Behaghels,
Die modi im Heliand, 1876, § 23, hingewiesen, aber meines
ermessens nicht uberzeugend. Es handelt sich in diesem
Art- Satze um eine tatsache die dem erzähler und seinen Zu-
hörern wolbekaunt und sicher ist. Auch der fall von Müspilli
V. 37 f.: daz hör tili rahhön diu uueroltrehtuuison daz seuli der
antiehristo mit Eliase pägan, ist in dieser hinsieht sehr ver-
schieden. Wenn Braune sagt (s. oben s. 425), dass nmotin 'in
muotun zu ändern sein dürfte', so wäre er daher ganz im
rechte, vorausgesetzt dass muntin hier praet. eines verbums
wäre. Diese Voraussetzung ist aber unrichtig, muotin ist Sub-
stantiv, das verbum des satzes ist urhettun.
Urhettun ist praet. des denominativen verbums as. urhetian,
welches vom as. *urltcf, ahd. urheiz m. 'herausforderung, auf-
stand, empörung, kühnheit', ae. öret pugna, labor gebildet ist
(s. Lachmann a.a.O.; vgl. Grein a.a.O. Kieger.Germ. 0,308. Paul,
Beitr. 7, 121 anm. Kauffmann a.a.O. s. 144). In betreff der be-
dputung schliesst sich as. urhetian nahe an eine gewisse kate-
gorie von altgermanischen verben an, nämlich die verba der
bedeutung 'bitten, fordern, fragen', z. b. as. biddean, bedian
(zwingen), eskön, fergön, frdgön, thiggian; ahd. bitten, gabeiten,
eiseön, fergön^ f'rugen\ ae. biddian, jebßdan, ciscian, friegean.
Alle diese verben stimmen darin überein dass sie den acc.
pers. und den gen. rei regieren, z. b. so huues so thu mi bidis
Hei. 2756; tltöh thu mi thesaro heridömo halbaro fergös ib. 2757;
ef he ina bedid baluuuerko ib. 140(3; ni uuilliu ik is sie. thiggien
nu ib. 3535; saget mir iz al thes iuih eiseön hiar nu scal Otfrid
3,12,6; got ist alles thir gilos, so uues so thu nan fergös ib.
3,24,18; fraget inan es ib. 3. 20, 93 (s. auch Grimm, (Tramm. 4,
631 f. Winkler, German, casussyntax 1, 523. Wülfing, Syntax
Alfreds 1, 14 f.).
') Pas wort nach einer Vermutung Braunes (s. oben s. 425) von muoen
herzuleiten, 'für welches das einfache t spricht', ist schon wegen der be-
deutuug wenig ansprechend.
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BKMKKKUNflKX ZUM HILDKRRANDSMED.
420
Im anschluss an die construction dieser verben fasse ich
den vorliegenden passus des Hildebrandsliedes so auf, dass ich
sih als acc. pers. und muotin als gen. rei vom praet urhettun
abhängig mache, und also die worte sih urhettun wnon muotin
übersetze: 'sie forderten sich allein zum kämpf heraus, sie
forderten einander zum einzelkampf heraus.' Dass diese Über-
setzung sowol betreffs des sinnes als der grammatik befriedigt,
ist wol unbestreitbar. Und ausserdem bietet sie nach drei
Seiten hin bestimmte vorteile im vergleich mit den beiden
bisher vorgebrachten erklärungeil. Erstens, die veranlassung
zu irgend einer textesänderung fällt weg: muotin braucht
weder in *mmttin noch in *muotun oder *muottun geändert
zu werden. Die überlieferte form muotin ist ganz in der
Ordnung, da das wort gen. sing, des uomen actionis germ. *mö-
tini-, as. muoti vom schw. v. germ. *mötian, as. muotiun ist und
deshalb von rechtswegen einfaches / hat. Zweitens, man wird
von der syntaktischen Schwierigkeit befreit, welche noch bei
Lachmanns erklärung vorlag, muotin (oder gar ivnon muotin)
als dativ (sing, oder plur.) zu deuten; denn die Übersetzung
dieses dativs im kämpfe' war doch immer nur ein notbehelf,
ein solcher gebrauch des dativs ist sonstwo kaum zu belegen.
Drittens, das lied setzt mit einem viel kräftigeren tone ein.
muotin bedeutet hier nicht 'begegnung im allgemeinen', die
erst durch urhettun -als herausf orderer, kämpf er*, d.i. in der
Schlacht, präcisiert wird, sondern es bedeutet an sich 'feind-
liche begegnung, kämpf ', wie ae. gemeten* Heow. 2002, turne na
Semot /Kdelstan 50; mhd. muot, s. oben s. 427 anm. Der dichter
fängt also damit an, dass er sagt, er habe erzählen hören,
'dass vater und söhn sich zum einzelkampfe herausforderten',
nicht 'dass vater und söhn als kämpfer sich (zufällig) begeg-
neten'. Denn nur eine zufällige begegnung kann muotin als
verbum hier bezeichnen, sonst läge ein hysteron proteron vor,
was sich die altgerm. poesie bekanntlich nicht gern erlaubt:
den Vorbereitungen zum kämpfe würde die erwähnung des
kampfes selbst vorausgehen. Dagegen folgen bei meiner deu-
tung auf die herausforderung zum einzelkampfe die letzten
Vorbereitungen dazu ganz natürlich.
Die worte untar heriun tuem sind von alters her so ver-
standen worden dass man sich den einzelkampf Hildebrands
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430 ERDMANN
und Hadubrands als eine episode des allgemeinen kampfes
vorgestellt hat, welcher gleichzeitig zwischen den beiden
heeren Otachers und Theoderichs anfieng oder schon im gange
war. Kauffmann hat in seinem interessanten mehrmals er-
wähnten aufsatze eine andere und sehr ansprechende auffassung
dargelegt: 'er (Hildebrand) marschiert mit Dietrich zusammen
und bringt ein hunnisches heer mit ; der gotische heerbann
war aufgeboten und der hunnischen macht entgegen geschickt
worden. Aus beiden lagern giengen kundschafter ab: Hilde-
brand von den Hunnen, Hadubrand von den Goten; sie reiten
üf die tcart (nach mhd. Sprachgebrauch), und wenn man ver-
gleichen will, wird man nicht an Glaukos und Diomedes, son-
dern an Alphart und Witege erinnern, für die genau wie in
unserem fall das heer Dietrichs und das heer des kaisers von
Rom den hintergrund bilden. Das sind die Voraussetzungen,
unter denen das Hildebrandslied beginnt. Alphart bindet sich
den heim fest, als er Witege anreiten sieht, als der ältere
fragt Witege den partner nach seinem namen, die Unterredung
spitzt sich immer feindseliger zu bis diu vräge nam ein ende,
der rride wart üfgegeben — es ist von nutzen, an diesen ver-
lauf der dinge im Alphartlied zu erinnern, um der typischen
anläge solcher scenen inne zu werden.' Diese inscenierung
passt vielleicht besser zu der gewöhnlichen von K. aufgenom-
menen Übersetzung der beiden ersten Zeilen des liedes als zu
der oben von mir verteidigten. Das zufällige aufeinander-
stoßen von zwei kundschaftern würde passend durch das sih
muotin 'sie begegneten einander' bezeichnet sein. Dass auch
eine herausforderung zum einzelkampfe öfters die natürliche
folge eines solchen Zusammentreffens gewesen, mag zugegeben
werden. Aber man würde doch dabei ungern eine vorausgehende
erwähnung der ersten begegnung vermissen. Bei der Situation
aber, welche bisher allgemein als die dem geiste des Sängers
und der hörer des liedes vorschwebende gedacht wurde, der
nämlich, wonach der allgemeine kämpf der beiden heere ent-
weder im begriff stand zu beginnen oder schon einige zeit
gedauert hatte, brauchte es solcher vorbereitenden worte nicht ;
die allgemeine Situation ist der kämpf der heere, und dass
die beiden helden daran teilnehmen sollen und wollen ist selbst-
verständlich. Hier allein hervorzuheben ist die herausforderung
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BEMERKl'NGEN ZUM HILDEBRANDSLIED. 431
zum ein zel kämpfe. Und die gibt der text. Dass in den
.schlachten der alten Germanen — nicht nur in denen der
Griechen — solche herausforderungen vorkamen, wird man
a priori annehmen können, mit hinsieht auf die damalige
kämpf esart, welche in der regel ein handgemenge war. Es
liegt deshalb meines ermessens kein grund vor, die bisherige
auffassung in bezug auf die eröffnungssituation des liedes auf-
zugeben.
Ich will hier schliesslich nur an eine kampfesschilderung
erinnern, die bei aller Verschiedenheit mehrere anklänge an
die Vorgänge des Hildebrandsliedes darbietet. Die nordische
Saga PiÖreks konungs af Bern, die im 13. jh. nach mündlichem
bericht deutscher kaufleute aus Soest von einem Norweger auf-
gezeichnet ist, erzählt cap. 333 den einzelkampf pethers und
Viögas. pethers und piöreks bruder Erp ist eben in der
schlacht von Viöga erschlagen worden, und pether, der ihn zu
rächen trachtet, greift Viöga aufs schärfste an. Diesei wünscht
ihm auszuweichen, um nicht in die notlage zu kommen, auch
den zweiten bruder des königs zu töten; aber pether dringt
nur um so heftiger auf ihn ein: Nu mcelti ViÖga. ßat varit
guÖ med mer at ]>at geri ek nau&igr, ef ek drepr pik, firir sakir
Pins brodor Pi&reks kommt) af Bern. Bei einem erneuten
angriff pethers stürzt Yiögas pferd tot zu boden durch einen
hieb pethers: Nu nuelti ViÖga, J>ar sem han stendr a iordunni.
ßat vant hinn heelgi guÖ, at nu geri ek pat verk at vist hugÖa
ek at asigi skylda ek gera. oc sna mikil nauÖ harndir mik nu,
at nu verÖ ek lata mitt lif eÖa enn aörum kosti verÖ ek nu at
drepa pik. pether fällt.
II. V. 26. degano dechisto mit Deotriche.
Dechisto ist zuerst von Lachmann erläutert worden, wel-
cher sagt (Kl. Schriften 1, 427): 4 . . . dem hochdeutschen adjec-
tivum decchi entspricht das nordische peckr »lieb, angenehme'.
Dann hat Scherer (Zs. fda. 26, 378 f.) vorgeschlagen, dechisto in
denchisto zu emendieren. Die vorläge unserer hs. hat nach
Scherer dechisto gehabt oder jedenfalls gemeint, und 'die nächste
anknüpfung bietet das mhd. adjectivum in-denke «eingedenk«,
weiterhin mhd. an-denke »denkend an etwas« dar'. Dass
dechisto sehr leicht statt dechisto verschrieben sein könnte, ist
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432
KR DM ANN
gewis zuzugeben. Die etymologische deutung aber, nacli wel-
clier alid. dechisto und an. pekkr an die eben angeführten mhd.
adjectiva und an die spätahd. glosse indenchi rel liupi (Stein-
meyer-Sievers 2, 283. 15) angeknüpft werden, muss aber nach
meiner ansieht bestimmt abgelehnt werden (s. über ahd. indenchi
schon Graft' 5, 170 und 5. 107 in thanke (/rata, in danchv gratus,
auch von Scherer a. a. o. s. 378 angeführt). An Scherers auf-
fassung haben sich Möller (Zur ahd. allitt.-poesie s. 7(3) und
Heinzel (donatio denchisto, s. Wiener SB. 188V», bd. 119, s. 40)
angeschlossen. Zu derselben neigt sich auch Braune, Ahd.
leseb.s s. 182: 'dechisto? Hild. 20; nach Zs. fda. 20, 378 wol statt
denchisto zu denehi adj. (denkend), liebend, ergeben (vgl. an.
pekkr lieb, ergeben )'. Kögel dagegen vermutet, dechisto sei
in dehtisto zu bessern nach ahd. kidcht devotus H., gotedeht
N. Bo. 35» "gottergeben'. Kauffinann ist vollständig davon
überzeugt dass diese Vermutung richtig ist: kes ist kein zweifei,
dass Kögels scharfsinnige Vermutung dehtisto (ein speeifisch
hd. wort!) das richtige getroffen hat. Diese schlagende eon-
jeetur schien nur die hs. gegen sieh zu haben. Meines erachten«
deckt sie sich aber vollkommen mit ihr, wenn wir nur an-
nehmen, dass dechisto für dethisto verlesen ist'.
Ich glaube es ist an der überlieferten lesart nichts zu ändern.
Dechisto ist der Superlativ eines sonst im deutsehen verlorenen
adjeetivs ahd. deckt, decchi (über ch, eck s. Braune, Ahd. gr.
§ 144 anm. 3; Hild. v. 47 reecheo), das in form und bedeutung
völlig mit dem an. adjectiv pekkr übereinstimmt. Man hat
aber bisher, so viel mir bekannt, die etymologie dieses an.
Wortes unrichtig beurteilt. Ks gehört nicht zum germ. verbal-
stamme Jmnk-, got. pagkjan, ahd. denchen, denken, as. thenkian,
ae. peneean, an. pekkja, sondern zum germ. verbalstamme peg-
(J>eh-), ahd. diggen, as. thiggian, ae. piejean, an. fiiggja, dessen
grundbedeutung •empfangen, erhalten, annehmen' ist. Von
diesem stamme ist «las adjectiv mittelst des suf fixes ni ab-
geleitet, vorgerm. *tok-nt > germ. *pakki-, an. Jtekkr adj.; vgl.
ahd. fluechi (ndd.) 'flügge' zu ahd. fliogan, altuorthumbr. lycee
(Bosworth -Toller, Ags. diet. s. 050) 'lügnerisch' zu ae. leo^an
(s. Kluge, Stammbild. $ 220 f.).
Die funetion des suftixes ni war die, verbaladjective der
mögliehkeit oder not wendigkeit zu bilden; au. pekkr, nM.dechi
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Ii EM K K K 1" NO EN ZUM HILDEURANDSLIED.
433
(&s*thekki etc.?) also 'annehmbar, annehmlich, angenehm, lieb'.')
Von demselben verbalstamme bildet das altnordische mittelst
des gleichwertigen suffixes i das gleichbedeutende adj. jxegr <
*]nhji- (z. b. at fehler ok pcegiligr mim verÖa; gndi pwgr — pekkr)\
vgl. auch an. fahr 'annehmbar' zu taka.
Im westgermanischen ist das adjectiv mit ausnähme des
vorliegenden falles nicht zu belegen. Der umstand aber dass
das wort nur im Hildebrandsliede vorkommt, darf uns m. e.
nicht hindern die ahd. existenz desselben anzunehmen; denn
wir finden ja in diesem alten gediente mehrere sonst ahd.
unbelegte Wörter, z. b. snnufatarungo v.3. staimhort v. (34: Uebri-
gens würde derselbe einwand die nachgebesserte form denchisto
noch stärker treffen. Von einem ahd. adjectiv denchi mit der
bedeutung 'liebend, ergeben' gäbe es sonstwo kein beispiel,
weder im ahd. noch mutatis mutandis in den anderen altgerm.
sprachen; denn das spätahd. indenchi, mhd. indenke, später ro-
gedenke ist nach meiner ansieht als eine junge adjectivbildung
zu betrachten, die vielleicht auf ahd. in (gi)danke fusst; vgl.
Wilmanns. Deutsche gr. 2. s.540. Dagegen wird ahd. deehi vom
m.pekkr gestützt. Das zu dechi gehörige verbum lebt im west-
germanischen in ahd. diggen u. s. w. fort, ebensogut wie das
zu * denchi gehörige ahd. denchen u.s.w. Der grund weshalb
ahd. dechi (as. *thekki u. s. w.) verloren gieng, war wol die all-
mähliche Verdrängung desselben durch die gleichbedeutenden
bildungen vom germ. neman, adj. *nemi-, aM.ginämi 'angenehm'
u. s.w. Das an. hat beides bewahrt: pekkr, Pcegr"1) und ncernr.
Auch das verbum, ahd. diggen u. s. w., ist später aus den west-
germ. sprachen verschwunden,3) während es in den nordischen
fortlebt, z. b. schwed. tiggn.
Die Schreibung dethisto statt dehtisto hätte gewis nichts
auffallendes (s. Braune, Ahd. gr. $ 154 anm. 5). Aber es ist doch
') Das wort lebt nocli heute in den nord. sprachen fort, z. b. schwed.
täck ' hübsch, niedlich".
*) Formeller zusammenfall von zwei verben im an. pekkja 1. = got.
fiagkjan, 2. an. denominativ vom adj. fx>kkr\ das praet. des letzteren hat das
alte praet. des ersteren fast gänzlich verdrängt. Im ostnord. sind die verben
noch getrennt, z. b. schwed. tänka : tückas. Auch im an. jxrgija liegt zu-
sammenfall von zwei verschiedenen verben vor.
3) MengL thigge v. to ask as alms, to beg, schott. thigger s. ist wol
als skandinavisches lehnwort zu betrachten (s. Century dictionary 8. H289).
Beiträge snr geschieht« der deutschen ipraohe. XXII. 28
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434 ERDMANN. BEMERKUNGEN ZUM HILDEBRANDSLIED.
unbedingt vorzuziehen, die überlieferte lesung unverändert bei-
zubehalten, und dies sollte immer geschehen, wenn dieselbe
ohne zwang einen vollkommen befriedigenden sinn gibt. Man
könnte auch fragen: wenn die vorläge dethisto geboten hätte,
warum sollte der ags. Schreiber, der nach Kauffmanns meinung
(a.a.O. s. 135) sonst in so vielen Wörtern den buchstaben e in t
geändert hat, um 'die ihm geläufige Orthographie der betr.
Wörter durchzuführen', hier umgekehrt dethisto in dechisto ge-
ändert haben, da immerhin th einem Angelsachsen — wenn
er nicht gerade ein Xorthumbrier war — geläufiger sein musste
als ch.
Die bedeutung des an. adj./>fMr ist nur passiv 'angenehm,
lieb' (nicht auch activ 'liebend, ergeben'1)), und es liegt kein
grund vor, das ahd. adj. deckt anders als in demselben sinne
aufzufassen. Die 26. verszeile ist folglieh zu übersetzen: 'der
liebste von den mannen, die mit Theoderich waren', d.h. der-
jenige von Theoderichs mannen welcher ihm der liebste war.
S. F ritzner, Onlhog2, 1014. Scherer an der oben s. 431 angeführten
stelle hat Ckaaby-VigfÜHsons 4plial>le. tractable. obedicnt' misverstanden.
ÜPSALA. AXEL ERDMANN.
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*
ETYMOLOGIE VON HELM 'STEUERRUDER'.
Ags. hclma, an m. (ne. heim), das schon im OorpusgU 4 als
äquivalent von lat, clants belebt ist, hat. wie so manche andere
nautische ausdrücke, in älterer zeit nur auf nd. und nord. ge-
biet verwante: mnd. heim, heimholt Milder-, steuerholz*, nl. heim-
stock 1 griff des Steuerruders', an. hjalm f. 'Steuerruder*. Das
nhd. heim ist erst in junger zeit aus dem nd. eingedrungen.
'Wo im sächs. nord. Sprachgebiete', sagt Kluge (Et. wb.5 104),
kder term. techn. seine ursprüngliche heimat hat, lässt sich wie
bei den meisten andern nautischen ausdrücken nicht feststellen.'
In diesem falle glaube ich es wahrscheinlich machen zu können,
dass wir es mit einem erbst ück aus der indog. urzeit zu
tun haben. Die germ. gruppe stellt sich nämlich vortrefflich
zu der sippe von gr. xiXXat, xtlofiai, xiXtvco; lat. irllo, excrlh,
celcr u. s.w. Das gr.xtXXm wird vorzugsweise von der fort-
bewegung des Schiffes gebraucht, teils transitiv xtXXtir
vovp ' na vem appellere', teils intransitiv ^ 'appelli' oder auch
allgemein = 'schiffen, fahren'. Z. b. rfja ttiv ... IxtXoafUp;
xiXöac ix axraq vavxoQOvc; Evq'ixov dia ytv^taxon' xt'Xöaoa;
oiav txtXoctQ oöov u. s.w. (Steph. Thesaur. 4, 1426). Bei Homer
kommt das wort sogar nur in der Verbindung v?ja xiXoai vor
(Pape, Handwb. der gr. spr. s. v. xtXXot).
Dieselbe beziehung auf die Schiffahrt tritt auch in einigen
verwanten Wörtern noch deutlich hervor: xtXtj^, -t]tox, 6 'jacht,
schnellsegelndes schiff'; xsXtvortjq 'der mann der den ruderern
den takt angibt'; xiZtvopa 'der takt nach dem gerudert wird'.
Im lat. haben wir nur noch in dem worte ertox, -öcis, f. 'jacht'
eine spur dieser alten bedeutung, während -cello sonst durchweg
einen übertragenen sinn angenommen hat.
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436 hoops. HELM 'Steuerruder'. — ehrismann, zur kröne.
Aus der Übereinstimmung des germ., gr. und lat. scheint
sieh mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu ergeben, dass die indog.
wz. M- 'vorwärts treiben' ursprünglich der seemannsspraehe
angehörte, von wo aus sie früh auf andere beziehungen über-
tragen wurde. In ähnlicher weise werden sämmtliche wurzeln
von einer ganz eng begrenzten grundbedeutung aus ihre Sphäre
allmählich erweitert haben.
HEIDELBERG, 8. märz 1897. JOHANNES HOOPS.
ZUR KRONE.
Die von F. Sarau, Beitr. 22, IM gegebene Vermutung über
die verse 29:>8— 2988 der Krone sowie die angefügten text-
besserungen sind schon von Diemer, Wiener SB. 11. 249 und
Möllenhoff bei Niedner. Das deutsche turnier s. 10 — 18 auf-
gestellt worden, welche citate ich in einem von Sarau nicht
beachteten artikel Beitr. 21,68 angeführt habe. Auch für drei
v. 2985 ist schon eine, der Sarans vorzuziehende, conjectur ge-
macht worden, nämlich eroi, von Lichtenstein, Anz. fda. 8. 15.
HEIDELBERG. G. EHRISMANN.
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Verlag von Max Niemeyer in Halle a, S
Deutsches Wörterbuch
von
Hermann Paul.
rrofauor tler iti>ut«rtti<ti l»hlloloW'i.< ,m .Irr rniwe: .1 M
1897. Lex. 8. VT. 578 S. Mk. 8. . In Hnlblederbancl Mk.
Dieses Werk wendet sieh au alle (lebildeten, «Ii*.- ein Bedürft:
pfiuden. Uber ihre Muttersprache nachzudenken. Insbesi »ödere n U
Hilfsbueh fttr den Lehrer der deutschen Sprache sein, aus dem l
Raifl erholen und für den l.'uterrieht geeignetes Material entnehmen
In der Hinrichtung weicht es von allen bisher vorhandenen W
bUchern &b. Ks verzichtet auf eine vollständige Aufzählung - Ld
Worter und Wortbedeutungen, sowie auf überflüssige Erklärungen
mein Verständlichen. Hierdurch wird Kaum gewonnen lilr das, wt
Aufklärung zu erhalten ein wirkliches Bedürfnis besteht. Dahin 0
/unäehsl ili<' landschaftlichen Verschiedenheiten im Wortgcbraueh .
die nicht unerheblichen Abweichungen von der heutigen Sprache b
klassischen Schriftstellern des vorigen Jahrhunderts, sowie die no<
beträchtlicheren der Bibelsprache. Ferner war bei allen Wörtern, du
haupt eine Mannigfaltigkeit in der Verwendung zeigen, das Y< r
der verschiedenen Gebrauchsweisen zu einander darzulegen und d<
dunkelte Sinn traditioneller Verbindungen aufzudecken. Die ein
Wörter uiussten in ihren ctyinologisehen /usaiuuienhang eingereiht w
Laut form, Flexion, syntaktische Konstruktion hatten, soweit es i
Rahmen eines Wörterbuches möglich war. Berücksichtigung zu fun
Die ältere Sprache ist nur soweit behandelt, als es tiir d;i^ Versl
der Verhältnisse in der gegenwärtigen Schriftsprache, sowie der ra
zeichneten Abweichungen erforderlieh ist Fremde Sprachen sin
ausnahmsweise zur Vergleiehung herangezogen. Das Werk will IM
« tyinologiselien Wörterbuch von Kluge kein»- Konkurrenz machen, s«
verfolgt in der Hauptsache ganz andere /wecke. Khcnsowenig will
Dienste eines Fremdwörterbuches leisten. Der Verfasser ist bemj
w esen, soweit es die Form des Wörterbuches ermöglicht, den Zu<ai
hang hervortreten zu lassen, der zwischen den Lcdeiitungsentw ickel
der sinselnen Wörter besteht, den Grundsätzen gemäss, die er in
Abhandlung über die Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikod
(Sitzungsberichte der philosophisch - philologischen ('lasse der bairi
Akad. d. Wisseusch, ivl, S 53) ausgesproehen hat
i Ebi u ii .it Kai ie. Hall« .t S
u
BEITRÄGE
ZU Ii
I.
SCHH UTK DER UKI TS( 1LKN SPRACHE
IM) LITERATUR.
I N I I. K MI I W IKKl X<; VON
Ii ERSI INN PA1 I l NU WILHELM RRAFX1
II EK \ I 8G KCl KB EN
KIM A l( l> S1KV Kits.
xxii. uvm). :t. m i r.
HALLE a. s.
MAX NIEMEYER
> OK. RTRIN8TKAS8K
UfiM
en Mitarbeiter werden gebeten, zu ihren inanuseripten
5 (juartblätter zu verwenden, nur eine seite zu bc-
1 und einen breiten rund freizulassen.
Zur spräche <ifs I.ciilriu'r Williratn. Von YV. van Helten . . 4
\Vortges<&ichttiche beitrage. Von K. v. Bahder 520
Stymolognidiea. Von CC. Uhlenbecls . . 636
Zur latitgeKclrichte. Von demselben "»I-
(J. I >i tt Vertretung <ter labiovelaren media aapirata imanlaut:
s. .">-M. — - Nochmali hana -.hon - s.
Kiasseiisuftixi'. Von R. M.Meyer 54S
An. gabba, ags. i<tbbian. Von It. Klu Uinanu 564
Zum todeqjahr Wulfilas, Von W. Streitberg; 567
Antwort mit* »Im anfsatz KauffntaniH 1 1 >it arriiini^iiiu- des Wulfila '.
V«in 1*. Josten .'iT I
Nim Ii einmal gotisch alftr, V<»n K. Znpitza "» 7 1
Zur lierkuuft de« deutschen reimverses, Von K. huick . r>7«1
Es wird gebeten. alle auf die rcduetion der • Heiträge ' bezü
liehen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. K. sj,-\^
Zur nachrichi !
Ms wird gebeten, alle auf die redactioii der 'Beiti
liehen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr«
in Leipzig-Gohlis (Turnerstrasse 2t>) zu richten.
ZUR SRRAC1IE DES LEI DEN KR WILLIRAM
§ 1. Dass die spräche des sogenannten Leidener Williram
der mittelfränkischcn dialektgruppe angehört, ergibt sich mit
Sicherheit ans den neben z (für /) benennenden r (inlaut) : /*
(auslaut) dieses denkmals. Busch lässt den Verfasser desselben
(s. Zs.fdph. 10.173) ans dem nördlichsten Mittelfranken oder dem
südlichsten teile des (nördlichen) grenzdistrictes gebürtig sein;
Kögel denkt (s. Anz. fda. 1'.*, 220) an entstehung tles textes nahe
an der niederländischen grenze. Ob mit recht oder unrecht,
wird sich hoffentlich im laufe dieser Untersuchung herausstellen,
worin die grammatischen formen unsrer quelle, insbesondere
(wenn auch nicht ausschliesslich) insofern dieselben mit der
mundart und der jüngeren entwickelung der spräche des über-
lieferten textes in Zusammenhang stehen, zusammengestellt und,
wenn nötig, mehr oder weniger ausführlich erörtert werden
sollen.
Bekanntlich entfernt sich der Leidener Williram (LW) nicht
nur dialektisch von der grossen gruppe der Williramhss. (B — Ii
nach Seemüllers bezeichnung); er steht auch in anderen stücken
dieser gruppe gegenüber (s. 24, 14 und (Y.\ ff., sowie Zs. fdph.
10, 214 f.). Demnach sind die lesarten der vorläge vom LW
in lexikalischer hinsieht nur mit Wahrscheinlichkeit aus B. C
etc. zu ersch Hessen. Für die morphologie dieser vorläge aber
ist die spräche gedachter hss. im grossen und ganzen als mass-
gebend zu betrachten; denn dass der Umschreibung ein ostfrk.
und nicht etwa ein aus dem ostfrk. in irgendwelche nicht-ostfrk.
mundart umgeschriebener text zu gründe gelegen hat, ergibt
sich aus den aus der vorläge stehen gebliebenen formen f'ahcnt
2. pl. imp. 20, 10, vtende (s. unten § 39), diTitc (s. § 12), von denen
die erste nicht gerade für bairische, die zweite gegen rhein-
Itttrftf* rar geschieht« d.r deuUch.n »rech«. XXII. 29
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438
VAN HELTEN
frk.,1) die dritte gegen alem. und bair. vermittelung spricht.
Nur gilt dieses massgebende selbstredend nicht für einzelheiten.
weil ja die Möglichkeit dialektisch abweichender, der spräche
der vorläge eigentümlicher erscheinungen nicht ausgeschlos-
sen ist.
Für die ausscheidung etwaiger aus der vorläge in die
Umschreibung hineingeratener nicht -mt'rk. demente fehlt uns
also eine völlig sichere handhabe; wir müssen uns hier eben
mit dem überlieferten oder besser gesagt mit dem in Hoff-
manns und Seemüllers ausgaben vorhandenen, leider nicht
vollständigen handschriftlichen material und mit den in Graffs
wb. aus einigen hss. citierten lesarten behelfen. Indessen steht
diesem übelstand glücklicherweise als günstiger umstand die
tatsache gegenüber, dass der im LAY vorliegende text, sofern
sich uns die gelegenheit zur controle bietet, ganz entschieden
als eine Umschrift zu erkennen ist, deren consequenz nur
äusserst selten durch ein aus der vorläge stehen gebliebenes
nicht-mfrk. residuum durchbrochen wird, d.h. als eine Umschrift
die im allgemeinen sich durch Unabhängigkeit von der vorläge
kennzeichnet und mithin als eine zuverlässige quelle für die
erforsehung der mundart der Umschreibung zu gelten hat. Man
beachte die nahezu ausnahmslose Verwendung von d (= germ. d.
s. unten § 12), von an-, in- und auslautendem th (insofern es
nicht durch anlehnung mit s, t oder z zusammenstösst oder
ihm / oder n unmittelbar vorangeht, s. § 13), von dem nom.
acc. sg. ntr. des starken adjectivs ohne -az {-ez) (s. § 41). von
is als 3. sg. praes. ind. des verb. subst. (s. § 61), von unt- in
untfingast, -fahon 33, 16. 35, 23, untduo, -dade 41, 27. 43. 10. 24,
unttoichan 51, 10 (woneben die als residua zu fassenden m-, in-
in enquethen 20,24, in sl dpi um 70. 27 J); und die ausnahmslose
Verwendung von inlautendem v : auslautendem /' (s. § 6), von
dem nom. sg. masc. und fem. des starken adjectivs ohne -er (oder
-er), -u (-o) (s. § 41), von den pronominalformen himo, hine. -o,
hiro etc. (s. g 47).
') f xeml, fiettt (fujeud, -int) findet sich nach (irafl'H, 381 ff. nur in alem.
und bair. denkmäleru (H, N. Nm und Ps. 138) sowie in den Williranihss.
*) Sonst ersetzt die Umschreibung das verbale compositum durch in
stüpho 15, 19, an släphon 70, 12 (statt despart.) und slaaphe (simples) 23. 27.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 439
I. Die consonanten.
1. Die balbvooale.
§ 2. Formen mit germ. tcr im anlaut begegnen in unserer
quelle nicht. Mit / aus ul steht anluzza 19,20.28. Erhalten
ist w* in quellten, (jequelet, quekken, crquihto etc.
Inlautendes tc erscheint in geyarewet, garetca adv.. trütca,
nitcen, -az, in wem etc. und bo(u)west, -et, -ende (s. § 18 zu il),
routcon 'reue' (s. § 19 zu im); ausserdem als hiatusfüllender laut
(vgl. § 10 zu h im inlaut) in scüuest, -an 04. 8. 23, 13. (W1) seti-
hest, -an), bethüuan 'unterdrücken ' 25.20 (W Imlühan; LW 13, 17
steht behudan als Schreibfehler für das residuum aus der vor-
läge bedtihan).
Schwund von tc begegnet in iu(r)h (s. § 40; man beachte
gegenüber iuteera, -cm etc. die in iui(e)lt vorliegende Schreibung,
die zu der Vermutung führt, dass hier dieselbe form gemeint ist,
welche durch iit(c)h dargestellt wird, und das /' in -i(e)h also
nur noch einen rest der alten Orthographie repräsentiert), i eigen
•irgendwo', tef 'etwas' 10,20, iehi 'etwas, in etwa' 53,3. 55.27.
05.3, nkt nihil, non 7, 11. 8,7. 10. 21. 12,18. 15,27. 17,19.
20.2. 21, 20. 27,19. 30,2 etc., nicht 28,25. 30,20. 33,3. 58,0.
64.21. 60.7. 70.7. 73,8.28 (woneben ieweht, nie{u)tcehtes, s.
unten und vgl. noch § 9);
nach i und / in u ntre, -en piscinae. -is und zrie 'zweimal1
77, 03) (vgl. as. thritco 'dreimal' und s. wegen ic aus io § 19);
der ausfall ist mit rticksicht auf das in einigen ahd. quellen
erhaltene tc wol als eine dialektisch auftretende erscheinung
zu fassen; vgl. z. b. ttuiuuäri Tat. 88, 1.2, gihtuuenne Tat. 100,5,
hiuuisges Tat. 109,1.2. 113,1, himtiskes, -e Tat. 44,10. 72,4.
124,1.5.12. gi/tiuuent Tat. 127. 3. also bei schreib. / rf $ a u,
doch higisgi, -es Tat. 147,8. 10, higi Tat. 147. 1, bei schreib. C;
sowie in folge des durch den nom. sg. auf -o veranlassten
Übertritts des tea -Stammes in die schwache masc. flexion in
') Für die ohne beigefügte zahlen eitierten formen verweise ieh auf
Hoft'manns glossar, vermittelst dessen »ich die betreffenden belegstellcn
bequem finden lassen.
*) Mit W bezeichne ich die ostfrk. lesarten in Hoflmanns nnd See-
müllers ausgaben.
a) Vgl. das bei Lexer aus Pasa. citierte zu ics, zwts. In W steht zuiren.
29*
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440
VAN HELTEN
nachtscadan nom. pl. und scada dat. sg. zu (naght)seada nom.
sg. (wegen der endungen und wegen des acc. sg. scado 21, 14
s. § 30 und § 3 zu n).
Neben -o und -o- (aus -w, -w-) in salo sordidus 7, 20. 8. 8
und yaroda praet. 43, 15 stehen -a und -e in den prädicativ ver-
wanten gara n. sg. f. 57, 21, goldfare n. sg. m. 37, 19: durch die
Vorliebe für -a als endung des n. sg. f. bei Verwendung der
flectierten form des prädicativ stehenden adjectivs mit ja-stamm
(s. § 41) wurde der gebrauch von prädicativem gara im n. sg. f.
für unflectiertes *garo veranlasst; nach dem muster von prädi-
cativem scöna etc. n. sg. f., seöne etc. n. sg. m. entstand neben
*-fara (wie gara) n. sg. f. ein n. sg. m. -fare.
Auf entwickelung von u vor einfachem tv nach e und e
von ie (vgl. Braune, Ahd. gr. §114 anm. 3) ist zu schliessen aus
vreuwen, freuwe, gefreuweda, -et 7,9. 28,15. 12,6, freuwe 'freude*
27,28. 28,15, leuwon Möwen' 33,12, nieuwehtes 52,10 (33,26
steht die Schreibung lewon, 20, 17. 18 ieweht, 44, 13. 45, 18 nie-
wehtes).
Vor hellem voc. stehen g und i ( altem/) : getan 'jäten'
59,25, gesende 'gährender' 70,0, gitthewanne 'irgendwann' 21, 10,
gitthesurileharo (1. -welwharo mit rücksicht auf das constante we-
ll ch, -es, -e, -a unseres denkmals) 'irgendwelcher' 21, 17 (mit
gitthe(s)- als compromissbiUIung aus *etthe(s)- und neben iefthes-
ZU vermutendem *gifthes-\ vgl. ahd. etthes-,edde(s)- etc., Braunes
Ahd. gi\ § 107 anm. 10 und § 295 <1, und wegen des / in den Alt-
niederrhein, psalmen stehendes ifteswanne aliquando 3«, 12).
ieflheswär 'irgendwo' 38. 24. 20, iehent 9,17. Das / des zweit-
letzten citates neben g von gitthe(s)- berechtigt, im verein mit
dem § 8 zu erörternden laut wert von palatalspirans bezeich-
nendem /, die i und g obiger belege als gleichwertige zeichen
für palatalspirans zu fassen.
AYegen des intervocalischen j beachte hluoyent-, -ye, -ie (13.2U
blnoes als Schreibfehler oder als alte form ohne /?), -/luoiende
71,6, gruoient 35, 28, wütet, -ie. reion capreae, -is, winian, Jilia.
2. Die liquidae und nasale.
§ 3. Altem entsprechende laut Verbindungen (rij oder rr)
begegnen nicht; hesueron Lsg. praes. ind.. huren 3.pl. praes. opt.
20, 14 haben analogisches r.
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ZUR SPRACHE OES LEIDENER WILLIRAM. 441
Für ? 'ehe, bevor' W steht im LW immer er (eer\ für wä
•wo*, da 'da', da relativpartikel in \V hat LW war, thär, thar
(für da und das einmalige de x xvi 23 bei Hoffm., 52,21 bei
Seem. als relativpartikel auch mitunter das sonst in dieser func-
tion übliche und Williranischem der entsprechende (her 53, 19.
54. 10, 24. 55, 7 oder (hie 26. 23. 27. 5. 32. 9. vgl. § 49), mit aus-
nähme der residua wä 16,23, (ha, (ha 9,1. 17,3. 52,5; sä 'so-
gleich' W ist entweder ausgelassen, nämlich 27. 10, oder durch
so (sö?) ersetzt, 20, 14. 23, 1. 66. 28; die entsprechung von hie(r)
•hier' fehlt 17,26. 23,21. 27,28. 56,19 und 64,8 findet sich
statt dessen ie.
Metathesis begegnet nicht in forghtent, naghtrorghta, thurft;
demnach ist gewrocht 30, 28 entweder Schreibfehler oder aus
der feder des anfrk. copisten (vgl. § 1 1 zu luzzeron etc.) ge-
flossene form.
m wird nicht zu n vor ft: eumfllgh, samfto, -ero, unsemfte.
Für endungs-w steht ausnahmslos -n. Vgl. auch hin dat.
pl. und bin neben him, bim (s. § 47. 61).
Neben uns, unser, kunste, hundegan, runde, -ent etc., mundes,
ander, samfto etc. begegnet rusttgan 47, 23 als Schreibfehler und
süthene in süthenewind 39, 10. 16 als importierte form (vgl. das
bei Lexer verzeichnete stiden).
Wegen cunig 7,6 neben normalem kuning und cu-, kuning-
innan, euningllchero, phenningo vgl. Braune, Ahd. gr. § 128
anm. 2.
Wegen heyzewir 6, 14, wesewir 66, 15, helphcwir 74,8, dö-,
Stfr, ghiewir 66, 14. 16, duowir 74, 1. ophcnewir 74. 13 etc. neben
Umphemcer 7, 2, uougen- (1. uitogen-) wir 74. 4, manonwir 74,23,
wizzonwir 45, 24 etc. vgl. Zs. fdph. 20, 249.
Abfall von n im auslaut bieten die 3. pl. prt. opt. muga
27,12. 36,3. 52,25. 59,26. 70,6, wdra 73,16 (wegen -a für -e
aus -i vgl. § 57), kunne 22, 28 sowie die dat. acc. sg. m. wi-
themo 28. 12, boumgardo 36, 24 und llchamo 31, 5, mennisco 67, 5,
seado (s. § 2 zu w). deren relative häufigkeit die annähme von
schreib versehen verbietet. Vergleichung der erscheinung mit
der MSI). 2\ 392. Zs. fda. 8, 301. Zs. fdph. 7, 419 hervorgeho-
benen (wesentlich auf das ostfrk. beschränkten und) meist nur
beim inf. zu beobachtenden apokope des nasals ist ausgeschlossen.
Hingegen ist, was die verbalformen im LW betrifft, zu erinnern
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442
VAN HELTEN
an die bei Otfrid im reim begegnenden bildungen für die 3. pl.
prt. opt. mohti, wäri, giere fi, (n)irbarmeti (s. QF. 37. 0): es liegen
ja liier wie im LW alte, mit Kluges regel vom verklingen des
•h nach -i (s. Beitr. 12,380 ff.) in Zusammenhang stehende laut-
gesetzliche formen vor, für welche nach der Wirkung des er-
wähnten lautgesetzes die sonst üblichen, mit nach dem muster
der 3. pl. pl. praes. opt. hergestelltem -n gesprochenen bihlungen
eingetreten sind (vgl. auch im LW die 3. pl. prt. opt. dürren,
cunnen, -an, mugan, sulen, Würau, geirrcdan, moghtan, § 60.
50. 57).") Für die erwähnten schwachen dat. acc. sg. aber
sind die parallelen altostniederfränk. bildungen leimo, hfrro,
müno dat. sg. Ps. 68, 3. 55, 11. 71, 5, bogo, herro, namo etc. acc.
sg. (s.Cosijn, Oudnederl.ps. 11) zu vergleichen: hier wie im LW
-o für -on im acc. durch einwirkung des nom., im dat. nach
dem muster der im acc. neben einander stehenden -o und -<m.
8. Die labialen geräuschlaute.
§ 4. Altem p entspricht im anlaut ph oder p, im in- und
auslaut nach vocalen ph (/; ff), nach liquida ph (/'), nach nasal
ph; für altes pp steht ph (pf):
phenningo, phlanzene 77, 21, gephlanzet 39, 5, gephlanzot
8,28 (bei Hoffm. falsch mit p; ms. ph), üzphlanza 36, 11 —
palmon, palmboum, purdon, pimenton, plmentäre, pigmentären,
gepimentadon, parte, -an, -on, puzza;
doiiphe, louphen, riphon, driuphet, drephed, orerdrephent,
seephet haurit, geseaphc 66, 18. -o, -ot, -at, -eda, gesehkiphe,
seaphe, släpho, apheldera, aphalderbouma, ophan, -eno, -enent,
begriphan, nmbegnphet, gesJophan 42, 14, draph 'traf, rieph,
dronjth, begreiph, seaaph, Itoitjth 'häufen' 50.20, etc. etc.; selten
mit ff', uf 19, 6. 11. 21, 8. 27, uff'a 26, 14. -en 62, 3. 8. 12 (wo-
neben upho 11.12. 29,5, upha 25,28. 49,27, -e 74,3, uphon
36. 27, -en 64, 18. 22, uph und uph- passim), drofezent (aus der
Vorlage, vgl. § 58 am schluss), huft'ehm, -an 'wangen';
') Beachte auch bei Otfrid im reim die durch umgekehrte analojrie-
bildnng entstandenen 3. pl. praes. opt {hi)nm\ pxti» etc. und die nach diesen
3. pl. gebildeten 1. pl. fiivuigc, flehe (QF. 37, 8). Einmal steht auch im LW,
♦W). 15», für die 3. pl. praes. opt. bluoie; ob als aus der feder des umschreiben*
geflossene form oder als Schreibfehler, ist natürlich nicht zu entscheiden.
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ZUR SPRACHE DBS LEIDENER WILLIRAM
443
tverphan, -ent, worphe, helphetvir, helph imperat., helpha, -o
lfe', skarphe 'schärfe', scarph 44,28, clphondbeinc 49,15, el-
mdbeinin 49, 11, elphandln, -inimo 61, L. 3. 8, thorphon 66, 15;
mal mit f gctvorfan 30, 2;
bcthemphet 37,24;
naph 'napf, drophcdcn stillabant 43, 10 (oder mit ph aus p?
I. alid. tropf o, troffo, as. dropo), epheles, -a, -o, -ow, epholon pomi
. (oder mit aus p? vgl. ahd. ap/iit, a/^'O? und uupfela
ipfel' (L uuipfela); — wegen o/fer 32,27 (W o;>/cr) vgl. as.
ro», nicht ahd. opfarön; wegen geknuffe junctura 58,20 die
ich Graff 4. 583) im Trier, ms. W.'s belegte form gtcnuffe, nicht
\h)nupfe der anderen Williramhss.
Mit ph nach vocal ist selbstverständlich ff bez. f gemeint.
> zu dieser kategorie gehörend sei noch besonders erwähnt
ra labia 35,6. 48, 11 mit lephan dat. pl. 65,23 und lepphan
n. pl. 30, 6, dessen pph, wie in opphenent 31, 7 und wie das
in macche 72, 17, nur Schreibfehler sein kann; wegen der
m mit ff oder ph aus altem p vgl. das bei Seemüller aus G
;1 y verzeichnete leffa, -on.
Spirantische ausspräche hat auch zu gelten für ph nach
uida und zwar auf grund des belegs yeworfan.
Im anlaut und nach m stehendes ph sowie ph (für pp)
an nicht pf bezeichnen: affric^ta würde nicht stimmen zu
n aus /; — /* (— hd. b, s. § 6) zu erschliesseuden mfrk. cha-
vter unsrer mundart. und der annähme von aus der vorläge
nommenem ph (d. h. pf) widerspräche das oben § 1 hervor-
liobene consequeute verfahren bei der Umschreibung. Ks ist
linach das ph als eine (sehr wahrscheinlich auf veranlassung
* in der vorläge stehenden) zur darstellung von aspiriertem p
rwante Schreibung1) zu fassen. Nun lässt sich zwar solches
für das südmfrk. aus dem urkundenmaterial nur in anlau-
uler antevocalischer Stellung folgern (phant, phainhuj Isen-
rg, phaneerin, phünt, phantlose Bassenheim, phennyck, 1. -ynck,
yn, s. Höfer 2, 96. 157. 158); doch ist zu beachten: primo dass
h in einer aus Leiningen, also einem dem südmfrk. benach-
rten nordrheinfrk. Sprachgebiet stammenden Urkunde auch
l) We^en ähnlicher entlehnuug eines sehriftzeichens aus der vorläge
. § 19 zu ou.
444
VAN HELTEN
phleger findet (s. Höfer 2. 163»)): secundo dass, wie uns die bei
Heinzel, Niederfränk. geschäftssprache 8.317.350.371.308 und
Beitr. 1, 5 aus südmfrk. und nordrheinfrk. Urkunden citierten
belege lehren, die aspirierte ausspräche von im anlaut aspirier-
tem p in der regel in diesen quellen nicht bezeichnet wurde,
mithin die möglichkeit des gleichen Verfahrens bei der Schrei-
bung eines nordrheinfrk. vor conson., nach m stehenden bez.
gedehnten aspirierten p ins auge zu fassen ist; tertio dass es
ganz gut begreiflich sein dürfte, wenn in einem dialekte, der,
wie wir unten § 11 sehen werden, in die südliche grenzzone
des mfi'k. Sprachgebietes zu verlegen ist, also in einer sich mit
dem nordrheinfrk. berührenden mundart dem nicht zu pf ver-
schobenen p auch noch sonst als in anlautender antevocalischer
Stellung aspirierte ausspräche von p eigen war (uuipfda ist
natürlich aus der vorläge stehen geblieben).
Ob nun aus diesem lautwert für das p von palmboum, porta
etc. nicht aspirierte ausspräche zu folgern ist? Bei entlehnung
der fremd Wörter vor entstehung der aspirierten ausspräche
hätte sich auch in diesen ph entwickeln müssen, Lud bei
späterer entlehnung wäre ebenfalls nur phahnboum etc. mög-
lich gewesen, denn es Hesse sich kaum denken, dass behufs
dieser fremd Wörter eine nicht einheimische ausspräche des p
eingeführt wäre. Die abweichende Schreibung aber erklärt
sich unschwer aus dem umstand, dass der umschreiber in seiner
vorläge phmningo etc., jedoch palmboum etc. vorfand.
§ 5. Mit bb findet sich cribbon 16, 9. 10, stubbe 24,8. 42. 22.
Ob der conson. indessen als reine media und nicht vielmehr als
media fortis zu fassen sei, möchte ich bezweifeln (vgl. Tijdschrift
voor nederl. lett. 15, 153).
§ 6. Im inlaut steht r, im auslaut f — hd. b: havon, -an,
grava fossae, ravon 'rabe', hindkalvo, navalo, hurda, ~e 'hüger
16,3. 32,24, bitherre, levon, over, ara 43.23. ovaz, gescriven,
ltres,salva, sclro, rcron 'reben\ irtm etc. etc.; salfwvrz (1. -mnz),
lief] u iif, aff of ob, wcnn\ sturf, verdreif, seif (s. Anz. fda. 19, 222
anm.), hf 1 wenn' 9,25. 10,1. 22,22, hafda 14,5. Mit rücksieht
auf die noch jetzt im südfrk. herschende bilabiale ausspräche
') Hoinzel citiort ((Jescliäft.Hspr. 398) noch phltgen aus Höfer 2, 179; ich
finde den beleg aber daselbst nicht.
ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 445
eses f ist dieselbe auch für die ältere periode anzusetzen,
i kann mithin die offenbar zur bezeichnung verschiedener
itqualität vom umschreiber verwante verschiedene Schreibung
3 letzteren f und des auf p zurückgehenden Spiranten nicht
! Unterscheidung' von labiodentaler und bilabialer consonanz
weckt haben, und es bleibt demnach nur die möglichkeit,
» besagte zweierlei Schreibung mit ungleicher engenbildung
m sprechen der fricativgeräusche in Zusammenhang stand,
t. w. dass die aus der Verschiebung des p hervorgegangene
ans ihrer entstehung gemäss mit stärkerer hemmung des
Stromes und infolgedessen mit grösserer geräuschstärke, der
ere reibelaut mit schwächerer hemmung und geringerer
iuschstärke hervorgebracht wurde. Die vereinzelten f statt
lind also als ungenaue Schreibungen zu fassen (das zeichen ph ,
elbstverständlich nachbildung des Zeichens eh für den aus k
ehobenen laut, vgl. § 7).
Das b von arbeyd 23, 10 etc. bildet keine ausnähme zur
en regel: der erste teil der Zusammensetzung (aslov. robu
ergleichender «-stamm, vgl. Kluges Et, wb. i. v.) sowie von
itnfrk. arbeit, -de etc. (s. Tijdschr. voor nederl. lett. 15, 160
). mnl. arbeid, as. (Mon. Cott.) arbed, arbid, -i, mnd. arbeit
zum compositionselement von aonfrk. arrithi, -on, arvit
s. Tijdschr. a.a.O.), as. (Cott.) arbed, -/', arabit, ags. earfod,
wie ahd. rabo, ehnabo etc. zu rappo, ehnappo etc. (vgl.
.9, 166 f. 12, 520 ff.).
[in anlaut ist v germ. /* die regel ausser vor /, r und u:
i, verid, rard, rahs, reld, raste 75, 5. ran(e), -a, -o,
( s. £j 15), rrnstron, eesfo 19. 5, gerestenent, rers, anaringed
!, rindan, -et, rund, naghtvorghta, riand, ver-, rol, vol(le)-,
»räp. oderadv. 17, 16. 10,21. 26,9. 31,13. 47, 21. 61,13.22!
. t ore- 18.24, vure adv. 17,14. 19,13. 39,4. 42,7, rare- 11,9.
24, 2. 35,4. 10, t ito, rortheron 'eifern', rortheret, -ent, -oda,
och auch faran 73,1, gefaran 51,9, ferit, overfähent 38,7,
" 42, 27, fand 45, 2, femoman 18, 10, forghtenf, fierer, für,
tre 50, 14, goldfare und fragan, freuwe 'freude' 27,28.
f/ef 'renn et 12, 6. frühe, iuncfromva, friunt, -din{n)a, friund-
e, gefremet, frumigheide, fruo (aiusnahmsweise rreuwen 7, 9),
78, 5, ftiezent, -ende, fiUan, flu, -eeh, -lieher, erfloigat 57 '.5,
• 72,8, tvereldfureston, rerfuulet 26,13, verfallene 50,23,
446
VAN HELTEN
geßhtet, fundan 22,1. 68,22, fuoze, -en, fure adv. 17,25. 18,2.
68.24. 74,24, fure- 18,17. 43.2. 55.14. 65.25.28. 71,23 (wo-
nebcn jedoch auch rure(-\ s. oben, uogat 'fügt' 31,4, uornjcmcir,
1. uuogenuir 74, 4, vuchtu, -an 8, 16. 18). Dem / vor u mag" wol
nur das bestreben, einer Verwechslung mit uu, dem zeichen für
uu, vorzubeugen, zu gründe liegen. Das nahezu constante f
vor l und r weist jedoch auf eine härtere ausspräche der Spi-
rans vor liquida hin. üb der durch v und f dargestellte laut
labiodental oder bilabial war. mag ich nicht entscheiden.
Sicher als bilabial anzusetzen sind aber: das v (=germ. f)
in diuvel (mit rücksicht auf die Behl*. 1,25 hervorgehobenen
bildungen grebe, nebe, briebe, höbe mit b, d. h. w, für aus /'
erweichtes bilabiales r), tavelon, getavela und avor 'aber, wi-
derum'') ( ahd. afttr, avur? doch könnte die form auch ahd.
abur entsprechen; herige 73. 12 ist keine einheimische form, wie
aus der sonstigen Verwendung von hang 16, 14, houch 50. 13,
haogh 55,20, hough 71,8 hcbig, herig W zu schliessen);
das in zuiflan, -eda 43. 8. 1 gesprochene /', das sich zu den
eben erwähnten r verhält wie die /* von tviif, salf- etc. zu v in
utro, salra etc.;
sowie (auf grund der Schreibung) (ge)seripht(e\ -a 10. 27.
32,19. 38,28. 23,1) das /* in geserifte, -an 61,7. 45.3, -hafHig)
in slothaft, eerhaft, ernesthafto, sjnnihaft, liutnhaftig(h). heftent,
after, traft, -o, erefte, thurft, slaftheyde 41,8. slafto 'erschlaffe'
39.27, samfto, -ero, unsemfte, iefteswür (s. § 2 zu j).
Aus /'/ entwickeltes ht begegnet in unsrem denkmal nicht.
Ein mst für mft gewähren ternumst, euomst (s. § 17), woneben
jedoch rumftigh.
4. Die gutturalen geräuschlaute.
§ 7. Altem entspricht im anlaut k (c) oder eh (kh\
im in- und auslaut nach vocalen eh (h, gh), nach liquida und
nasal k (e) oder eh; für altes kk steht kk (ec, ek), k (im auslaut)
oder ech (keh, eh):
wmkelnere 14,0, kevese, bekennan, -o, -es, -ettt 22. 14. 17.
62.28. 7,3. 0,26. 20,13, (be)keran, -et, -cd, -e, heisere, hindkalres,
-e, kind, rerkiusest, euman, -e etc., cornelino, eoronan, (ge)köse,
') \V hat statt dessen uho, -c, -er.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIKAM. 447
kündet, -e, -ent etc., kuning, kunnen, kan etc., kunste, citsse,
clagon, -ost, cleyna, bccnuodclet, craft, -o, crefte, er istinen, krild
etc. und beehennent, -ed 47, 4. 46, 6, cJiela 50, 18. 05, 8, khizze
60,15 (woneben kizze 31, 28, rehkizzon 32.5. 60,18);
machon, -ost etc., miehol, sprechet, gesprochan, ceyehenes,
wehehes, -e, ruochest, biieh, ouch. sprach, gelieh, sangleieh, -lieh,
ich, mich, thich, sich, ansieh, iueh etc. etc.; mit relativ höchst
seltener Schreibung h,gh nhduom, -es 30.1. 73.25, mih 14,27.
42.18, riA 37,12, iuh 41,12. 45,10. 13. 51,3.4, /mV* 70, 24, utisih
49. 10. 57, 25. 66. 20, thigh 39, 9, spragh 22, 3. wcreldUgh 28, 3,
ough 23,20 und sogar fluoghe 72,8;
«towit, -e 7, 3. 18,28. 34,23.35,8 etc. und stauche* (38,4. 18,
stinehende, -ene, -et, -ent 6,6. 11,14. 12,7. 13,6. 39,11. 67,15,
drank 40, 7, verdrank 10, 16, drinkan, -et 47, 15. 41, 2, drunkan
41,3 und dranehe 61,19, drinchenes, -e 59,6.18. 65,22, drtw-
f/iai» 68, 7, gedrenchet 59, 24, drenchent 64, 15. 65, 3, skenkan
69, 18 und schenchene 59, 8, gethanko. -ka, -kon, -eon, unthankes,
theneon 14,6, -Äe 71.24, thancan, uerkan, -on 12,15.17 und
werch, wercho, -on 20, 5. 8. 28, 22. 35. 21. 37, 9. 43, 14. 20. 49, 5.
10. 50,22. 52.21. 54,8. 56,2. 58,14. 69,26. 72,26, werchman
49,1, wirche, -et -ont 49,1. 74,19,21. 53.26, starc 72, 5. 19. 27.
74.11, gestarcode 19,1 und ges tarchen t 20, 15. gesterehent 67,2,
merchene 23, 21;
sniekkest 63,25. smecket 65.8, jmaÄ: 65,15 und smecehent
50,21. lukkon 'lücken' 52,23 und /mcc/«w 56,5. roÄ-cÄe 42.14,
(gr)locchet,-cda3SA. 65.12. 67.18. 48.3. wecvhttn 23. 28. 70,23,
weched 15, 12. anazucchont 9, 15, umbestecehet 59. 23, //f/w> 6, 2.
40, 4. 9, tt/cfrttf 19, 15. qnckken, -on, -estan 38. 22. 43, 12. 48, 12,
quekkeut 35,27, erquekkeda 49,23, akker, lokka, -o 42,1. 30,14;
beachte noch besonders doych(e)ne mysterium oder -a 10,27. 31,7.
61, 51) mit kk (vgl. doickene, toiekene nach (»raff 5,376 im Stuttg.
ms. von Will.; in den andern hss. steht toigene, tougene), wie in
den Beitr.9, 178 verzeichneten bildungen, und naehan, getiaachat
ebeufalls mit kk (? s. § 9).
Selbstverständlich bezeichnet eh in machon etc. (wegen
der Schreibungen h, gh s. §9) und buch etc. die spirans; sonst
>) doyvhene steht auch 2t, 18, hier «her dnreh ein versehen des um-
schreiben!, der boycheue der vorläge für Joychene ansah.
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448
VAH HELTEN
aber, sowie auch kch, die aspirierte tenuis1) (man vergleiche
wegen solches ch in südmfrk. Urkunden Erchanfrida neben Er-
kanfrida Trier a. 853. s. Beyer, Urkb. 1, 83, Chuonrfulo und Folch-
Unde Coblenz a. 1092, Beyer 1,387. hoJzmarchcn Laach oder Treis
a. 1 103 und Trier im anfang des 13. jh., Beyer 1. G40. 2. s. 438.
tnanewerch terram dominicalem, Trier a. 1100. Lac. 1.400. meys-
uerhc, spurcehcerhc, buchyeshildei) Prüm a. 1222. Beyer 1. 153.
184, chunt, chind(er), chomen, urchunde Isenburg a. 1325, march
Bassenheim a. 1332. s. Höfer 2, 00 und 157; beachte noch Beitr. 0.
383 ff.). Nach stanches, uercho, smecchcnt etc. und bechcnnent
etc.. khizze ist somit auch das k (c) von stank, werka, yethanko,
snwechest, thieco etc. und bekennan, kevese, kind etc. als zeichen
für aspirata zu fassen. Das fehlen von ch vor liquida und nasal
weist auf nicht aspiriertes k vor diesen consonanten hin (vgl.
auch Beitr. 9, 385 anm.). Und die nämliche folgerung ist für
unsern dialekt geboten betreffs des im anlaut vor dunklem
betonten vocal stehenden k (c) trotz Chuonrädo, chunt, chomen,
urchunde der oben citierten Urkunden.
Ausnahmsweise findet sich c oder k für postvocalisches ch
in (ye)wehe 10.7. 45.20, yeliic 10,4. ic 23.2, scandlikes 10,20.
haveko 19,21. beken 47, 8, deren beurteilung schwierig ist,
Liegen hier vereinzelte reste von un verschobenem k vor (vgl.
Tijdschrift voor nederl. lett. 15, 154 ff.) oder hat hier der nieder-
frk. copist (s. unten § 11 zu luzzeron) die hand im spiele ge-
habt oder stehen am ende die c ganz oder teilweise durch
schreibversehen für ch?
Sch und sc, sk stehen abwechselnd vor hellem vocal oder
daraus hervorgegangenem laut: geeischedon, schildc, -en, dische,
•es und diskes, yetnisket, friundsehephe, yeselskiphe, yescheythan
und underskeithet, skeythe, schenchene, yeschihe, yeschehan, schein,
sch in et und skinet, scheyne und skeynet, beschirman und beskir-
man, Schinna 31, 23 und skinn, sehephet, enzuischan (vgl.
§ 23), wasche etc. Hingegen erscheint kein sch vor dunklem
vocal oder consonanten: scone, -a, -on, seorenon, -en, scouteest,
senndieh, scundont, seuohe, sctlivest, -an, scule, -en, -et, zeltscara,
scames, -ent, scandlichcs, scadu, -o, nacht-, nayhtscada(n), yesiTtren,
l) Also da.s zeichen ch in zweifacher funetion, wie ph (vgl. § 4).
*) Die stelle lantet: duas pelles de curduano, qui burhricshüde appel-
luntur.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
449
geseriphte etc. Hieraus folgt, dass die afficierung von sk zu
s + spiraus nur der Stellung vor hellem vocal zukam; dass
also das seh in mennischon 35, 1 (woneben mennisco, -sko, scon)
aus der fleetierten form auf -en (vgl. § 36) stammen muss; in
icascha auf anlehnung an wasche (vgl. § 32), in gesehaphot, -at
(woneben yescaphe, -o, -eda, s. § 57, mit sc = sch oder sk?) auf
anlehnung an *schephan, schephet etc. beruhen muss. Für disk
ist wol nach dischcs, -e afficierte ausspräche anzusetzen. In
erleschan, -scan, l(i)cskct (vgl. § 53 zum sg. praes. ind.) war dem
ersten beleg zufolge die xc//- ausspräche auch vor dunklen
endungsvocal eingedrungen. Teber den lautwert von sc in
erthisean, -eseo(n) lässt sich nichts entscheiden.
§ 8. Anlautendem, vor hellem vocal stehendem g ist der
einige male für die Schreibung // eintretenden bezeichnung mit
i, gi oder ghi zufolge (iegen 'gegen' 21, 13, i cgi ran 25, 12, te
gievene 47, 12, ghicwir 'gehen wir' 00, 14) palatale qualität bei-
zumessen.
Inlautend vor hellem vocal stehendes spirantisches g wird
z. t. durch g, z. t. durch gh dargestellt: geargerent, mugen 75. 12,
gelinge, -et, steigerent, sage 9, 4, wenige 75, 25. morghmld, eyne-
gemo 17. 18, einege 70,25, tvdlegero 20,25, besigelad, -at 35.26,
36,7, dugetha 35,27 etc. und höghe subst. 10,21, höghen adj.
10.22, säghet 'sähet* 22,4, lighe't 20,14 (bei Hoffmann falsch
lighit), hghent 'flammen' 73, 7, eineghe 74, 9. 18. cundeghe 78, 10,
insighela 72, 18, dughethen, -e 15, 10. 70. 10. Aus der Schreibung
gh ist unbedingt auf nicht -palatale ausspräche zu schliessen
(die übrigens auch ohnehin aus der §§ 21. 22. 24. 20. 27 er-
wähnten afficierung von -e(-) durch vorangehenden tönenden
guttural hervorgeht).
Zur bezeichnung des in den auslaut tretenden spirantischen
(inlautendem // gemäss ebenfalls als nicht -palatal zu fassen-
den) g wird g oder gh oder auch, aber viel seltener, eh verwant :
hough 'hoch' 71,8, hoogh 55,20 (hierher?), houg 10,14. hauch
10,28. 50,13'), magh passim, mag 19,21, mach 20,2. lagh 20, 1,
hurgh 44,22. 01,26, bürg 21,28. 31,21, burgteachtero, bergh
x) hou<j(h), hnueh = agutn hauyr (varl. Noreen. Abriss 151): die oben
eitierten höyhe. -en mit aus jener form entnommener consonanz: hoogh ent-
weder zu höghe, -en tfehüriir oder mit regelrechter eonsonanz. wie höhe
subst. 32,8. 38,8- «0,21, höhen adj. 33,11. 78, 20.
450
VAN HEIZTEN
62,21, druog 'trug', dagh 32,1.20. dach 9,6. 20,21, honlgh
35, 7. 15, wlghüs, uightväphane, liumhaftig(h) 37, 9. 39, 18, ge-
mamghfaldet 45, 5, armstrangigh , getvaldlgh, unbärigh, thur-
gnaJittgh, ädeligh 76, 23, eoUlghheho, städeghheid, tveinigh 73, 27.
einigh, -egh 26.20. 37,21. 54,21.22, äntgh 59, 18, ewcc/* 22.22.
49, 1. 56, 28, änieh 59, 7, werthuh 8, 2, sälich, ztdceh, ftizech,
ungenäthelieh, gehörsamegheyd 22, 25, eynraldiyheyd, frumty-
beide, bithcrccgheyd, mamgslaehtagan 13,7, ses-, a#/*/-, zehan-
zogh etc. Das war von haus aus natürlich etymologische
Schreibung, wie g, doch hatte es in der periode, woraus
unsere hs. stammt, diesen charakter eingebüsst: gegenüber
relativ seltenem gh im inlaut (vgl. oben) steht häufiges gh im
auslaut, und zwar infolge des umstandes, dass gh auch als
zeichen für eine mit verhältnismässig schwacher geräuschstärke
gesprochene stimmlose gutturalspirans aufgekommen war (s.
unten § 9). Wegen der Schreibung eh s. a.a.O.
Ent Wickelung von i aus g vor d begegnet in gebreyde p.
prt. 11,5 (vgl. as. breydun 'flechten'), das die stelle von W.'s
yebroihta * gebogen' vertritt1) (s. noch § 54).
Die Verbindung ny wird im auslaut meist etymologisch
geschrieben: kuniny, cuninghch, gang, sangleieh, iungfromcan,
-oft etc., doch auch iunefrouwan, -on 6,6. 27,23. 50,28. 70,21.
Wegen des wahrscheinlich als media fortis zu fassenden gg in
heggehohran, -on 19. 8. 20 vgl. Tijdschr. voor nederl. lett. 15. 153.
§ 9. Altem h entsprechende Spirans bezeichnen im auslaut
sowie vor / die Schreibungen h, eh und gh (die letztere als die
üblichste): gescagh 'geschah' 28, 14. nogh passim, noh(-) 33, 7.
21. 02,23, noeh 15,12. 22,1. thogh passim. (hoch 16,15.26.27.
21,13.16. 22,13. 34. 15. 51,21.23. 54.24.26, douch 37,18; die
imperative sg. fliugh 'fliehe', zieh 'ziehe';
hght, -es lux, -eis, Uhtfaz (oder tight, lihtfaz? s. § 19), liugh-
tent, llghto leviter, Itht levis (vgl. § 18), naghtrorghta, forghtent,
naght, -es, naghtseada, -drophon, naehtscadan, thurg{h)nahtigh.
veghtan, -ande, vuchta{n), waghtara, bargwaehtero, doghter, doch-
teran, dohter, drohten, -es, geslightat, Ineghta, knehto, -flught 53.2,
') Beachte zu dem ahd. verb. noch (jebrohta, brouhia, -broihta 'beugte1
W (XI, 15 bei Hoffm., 19. 3 bei Seeiu.; ein paar ins», habeu hier die auch iui
LW erscheinende lesart gtbrachta) und vgl. mnl. brocken 'beugen* (Mnl.
wb. lf 1454).
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 451
suoghta 22,2. 23.1. 44,15, moghta, -e etc. und mochte, wollte
(s. § 00), machtu 2.sg. 10,4 (zweimal mit etymologischer Schrei-
bung mögt 10, 22. 25), waghtiga, an, slaghta, -o, -e 24, 8. 19.
31, 25. 46, 22. 76, 5. slahta, -e, -o 35, 27. 28. 36, 13. 23. 24. 20, 28.
08,11, slachta, -en. -o 11,18. 19,3. 31,2. 43,8. 49,24, wanig-
slachtagan 13, 7, äalaslaghta 56, 11, bräghta 23. 15, -bräht 18. 17,
gebrächta 11.15, crquihto 71.19, gethruhian 'gedrückt' 09,20,
rahta ' reckte' 42. 20, recht, -e, geri{c)htan, rihtich 43. 14, züchte,
gefühtet, ambeehtent, geübte etc.
Das normale ch als zeichen für die aus k verschobene
Spirans (s. § 7) und die behufs darstellung von altem h im ver-
gleich zu ch weit häufiger verwanten sehriftzeichen gh und h
erinnern an ph und /' als zeichen bez. für die aus p verscho-
bene spirans und altes f. Auch bei den gutturalen stimm-
losen Spiranten muss die verschiedene Schreibung mit verschie-
dener artieulierung der laute in Zusammenhang stehen: ch
normales zeichen für den mit stärkerer hemmung des luft-
stroms und grösserer geräuschstärke gesprochenen reibelaut;
für einen mit schwächerer hemmung und geringerer geräusch-
stärke hervorgebrachten fricativlaut hingegen in der regel h,
das alte hergebrachte schriftzeichen, oder gh, das zunächst
durch Schreibertradition die tönende vor hellem vocal stehende
spirans darstellte (vgl. Kögel, Anz.fda. 19.223 f. und s. oben § 8),
dann aber, indem es graphisch mit ch in Verbindung gebracht
wurde, auch für die bezeichnung einer in der energie der hem-
mung und in der geräuschstärke dem durch ch dargestellten
laut nachstehenden tonlosen Spirans Verwendung fand. Die
seltenen // und gh statt normaler ch (s. § 7) und die seltenen
ch statt normaler gh und // sind demnach als ungenaue Schrei-
bungen zu fassen (dasselbe gilt auch für die seltenen zur
bezeichnung von in den auslaut tretendem g verwanten ch,
s. § 8).
Anmerkung. Auffällig ist neben normalem thuryhi-) stehendes thury(-)
11,15.23. 12,5.27. 14,20. 15,19. 16, 7. 8. 21,9. 22,5. 23.1. 83, 18 f nie hin-
gegen thurh(-) oder lhunh(-)\, dessen Schreibung tj naeh dem muster des
im auslaut mit yh wechselnden, ebenfalls den mit geringerer geräuseh-
stärke gesprochenen tonlosen Spiranten bezeichnenden g (s. § 8) in
schwang kam.
Verklingen der spirans vor t in tonloser oder schwach
betonter silbe ist zu ersehliessen aus iet, niet nihil, non (s. § 2
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452
VAN HELTKK
zu tv), woneben ieht, nicht, ietceht, nie(u)tvchtes, deren ht nur
auf erinnerung an die alte. darstellende Schreibung beruhen
kann (bei nocli herschender ausspräche // mUssten neben nieht
etc. auch nieght und weckt erscheinen).
Vor s steht nur //: vahs, tvahs cera. Der buchstabe rührt
aber nur aus der alten Orthographie her, denn aus thre~x-, thräx-
lere 49. 1. 59, 12 (s. § 18) ergibt sich für die alte Verbindung
hs eine ausspräche ks. — Neben eesewa dextra. getrasduom
03. 20, seszogh finden sich mit ebenfalls vor zweifacher conso-
nanz (im flectierten p. prt. *gitvassn- für *gitcah.sn-) assimilier-
tem h (vgl. Beitr. 7, 193 ff.) wasset, -m{t) creseit, -unt, gruassrn
p. prt. (auf die Verallgemeinerung der formen ohne h wirkte
wol auch das abstraetum (jje)wasduom ein).
(Gedehntes h steht in den neben nehein nullus 25. 2. 29, 9.
37,18. 39,5. 43,20. 44,5. 40,13 etc. und nein 70.18 begeg-
nenden neghein 23. 12. 27.10. 28,3. 33,2 mit gh zur bezeich-
nung von altem hh (vgl. Braune, Ahd.gr. § 154 anm.O), neckein
33,7. 30.5, woneben mit schwand von tu- (vgl. Beitr. 0, 559
anm.) auch ehein 27, 7. 33, 0. 04, 8. 71, 1 ') (dessen ch als zeichen
für spirantisches h auf eine ungewöhnlich häufige Verwendung
der ungenauen Schreibung neckein schliessen lässt. die wol
dadurch veranlasst wurde, dass die meist vorkommende ge-
dehnte Spirans, d.h. die aus k hervorgegangene, der durch eh
zu bezeichnende laut war). Zweideutig sind näe/tan 32,25,
genaachat 44. 2: entweder mit eh als ungenauer Schreibung
für gedehntes h (vgl. nahhitun M, Braunes Ahd.gr. § 154 anm.O)
oder mit eh als zeichen für aspiriertes k (vgl. md. neken mit kk,
Beitr. 9, 179. und beachte oben §7).
') Für das k des in mfrk. Urkunden des U.jh.'s auftretenden kein
(».u.a. Zs. fdph. 10, 310) ist selbstredend weder oberdeutsche beeintlussung
uoeli die Beitr. 0. 559 für oberdeutsches kein vorgeschlagene deutung geltend
zu machen. Die abnornialitüt eine» im anlaut stehenden tonlosen guttural*
Spiranten führte die ersetznng des lautes dnreh verwantea aspiriertes k
(vgl. § 7) herbei.
Fassung von neghein als — negein (vgl. (hegein, neieinn im Trier, eapit.
und in sudmfrk. Urkunden begegnend«« geint Zs.fdph. 10,316) wäre unratsam:
erstens wegen der eonstanten Schreibung gh (es wechselte gh als zeichen
für tönende Spirans mit g. s. $ bi: zweitens weil es nicht wahrscheinlich
ist, dass derselbe dialekt dreierlei bildungen, mit hh, mit g und mit Aspi-
rata h, gekannt hätte.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLI RAM.
453
§ 10. Anlautendes h vor liquida. nasal und tv ist aus-
nahmslos geschwunden: gelathod, liumunt, raron *rabc\ reinen,
naph 'napf. neggtt, teanda, uelich, wehes etc.
Der antevocalische Hauchlaut fehlt anlautend nur in uoräre
moechus 25, 17.
Im inlaut stehen neben zweimaligem seent (d. h. se-ent)
vident 8. 10. 11 und reion capreae. -is siho, -es, -et, gesihest, rcr-
sehent, (i/e)sühon, iehent, ihihent, gesehihe. rohon vulpes, höhe,
-en (s. § 8 fussn.), orerfahent etc.; doch ist das h nur rest alter
Orthographie, denn aus sciltean, -est, bethüwan (s. § 2) geht das
gänzliche verklingen der aspirata hervor. Beachte noch berele,
•volan.
Auslautende, für die Spirans eingetretene (in der über-
lieferten periode noch zum teil schriftlich erhaltene) aspirata
haben täroches, -e, tenoehhuvele 32, 24 (durch anlehnung an
*ielhan\ eine deutung aus m-hroeh vertrüge sich nicht mit der
den composita zukommenden Silbentrennung) und ioh 'auch,
sogar, und' lo\ 14. 18,20.21. 29,11. 33,4.19. 55,10. 62.17. 67,
2. 8 etc., nah 'nach' 7,2. 9,27. 17,1.5. 21.4. 23, 1. 28, 10. 30,2.
36,17.19. 39,28. 56,2. 63,11. 66,18 etc., woneben ausnahms-
weise mit spirans ioffh 22,24. 23.13. 53,17, ioeh 32, 4. 71,14,
nüyh 22.23, muh 18,25. 22,5 (auf die hier vorgetragene fassung
führt berücksichtigung des umstandes. dass, wo es sich um die
darstellung der spirans handelt, das zeichen h numerisch be-
deutend hinter gh zurücksteht; der hauchlaut entstand in der
proklitischeu Verbindung von ioh und nah mit formen, die mit
vocal. liquida, nasal oder te anlauteten; man beachte die auf
gleichem wege entstandenen ahd. thur, dure, dar, mhd. ro, nä,
as. thur(n), mnd. dar, na. mnl. dore, na und na, no nec). Auch
der imp. sih ist als (durch sihen, -est etc. entstandenes) si zu
fassen; vgl. durch anlehnung an diesen imp. für sfi- verwantes
«- in sino ecce (gut. sai nu, ahd. sc nu) und beachte auch die
Schreibung eh, gh in flrugh, ztch (s. $ 9). Mit reh- in rekkizxon
32,5.60,18 könnte re% gemeint sein, wahrscheinlicher aber
ist wegen des beide male verwanten schriftzeichens h anleh-
nung an ein aus relies, -e entstandenes simplex reh.
Beiträge aur geschieht« der deutschen iprache. XXII. ;:u
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454
VAN HELTEN
5. Die dentalen geräuschlaute.
§ 11. Altem t entspricht mit ausnähme der bekannten
Verbindungen (truwa, bitteremo, lüttere, traft etc.) z, zz (z wird
in der regel nach eonson., langem voc. oder diphthong, zz nach
kurzem betonten voc. gesell rieben; selten üzzen 69, 19, gehiezzer
0,1, heizza 8,9. -faze 73, 9; einige male steht zh mit h nach
dem muster von th: aghtzhogh 53, 8, unzhin 32, 20, gezhelt 7.22);
auch in den passim begegnenden pronominalformen hiz, tlutz,
thiz, was, alliz, deren z (vgl. Beitr. 1. 10 f. Zs. fdph. 10, 318). in-
dem es keinesfalls als residuum aus einer vorläge zu fassen
ist (s. oben § 1), für die mundart unsrer Umschreibung auf die
hart an das rheinfränkische grenzende zone des (in § 4 aus
rph, Iph < rp, Ip und der aspirierten ausspräche von p und A*
erschlossenen) südmfrk. Sprachgebietes hinweist, d. h. auf den
von Lothringen bis zum Westerwald sich erstreckenden, die
landst riebe, in denen heutiges tages die drei auslautsverschie-
bungen von was, korb, bleib divergieren, enthaltenden grenz-
district (vgl. Anz. fda. 21, 282. 207. 19,97), in den wir demnach
gelegentlich sich vorfindende übcrgangsdialckte mit einerseits
nicht zu w entwickeltem v: f (vgl. § 6), andrerseits zu z ver-
schobenem suffix des nom. acc. sg. ntr. zu verlegen berechtigt
sind. Dreimal findet sich that 6,16. 23.21. 27,10, sei es als
dem ursprünglichen text der Umschreibung angehörender, aus
der zwischen that und thaz schwankenden periode herrührender
nachzügler. sei es als durch den gleich unten zu erwähnenden
niederfrk. copisten in die überlieferte hs. hineingebrachte nfrk.
form. Fürs übrige beachte man saztan, gesezzet, gegrnozet,
enzuisehan (nicht satton etc. vgl. Beitr. 1. 6 und Tijdschrift
voor nederl. lett. 15, 12)!
Turtul- in turtuldiivan, puuenton etc. mit plmentdre etc.,
*arziit in arzätwurze, gearzätant 68,9, und tarelon, getareta
sind natürlich spät aufgenommene lehnwörter. üb das t von
parte, -an, on sich aber aus jüngerer ent lehnung des Wortes
herschreibt, dürfte fraglich sein mit rücksicht auf ostfrk. phorta
Tat. und puzza Will., pueza Rb3172, aus welch letzterem her-
vorgeht, dass in den anlautendes p verschiebenden dialekten
die entwickelung von z aus t jüngeren datums ist als die ent-
stehung von pf aus p (man vgl. auch wegen der relativ jungen
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
455
Verschiebung von t MSI)* s.xm). Die sache verhält sieh viel-
mehr so. dass r folgendes tautosyllabisches t ebenso vor Ver-
schiebung schützte wie in der anlautenden Verbindung tr: also
Ursprünglich *port bez. *pfort nom. sg.. tlect. *porza, *pforza
etc., sowie Hurt, flect. *kurze.s etc. (vgl. curt, churt etc. neben
ehurz, kurz, Braunes Ahd. gr. § 159 anm. I).1)
Neben lüttere 32. 18, gehdtered 14, 11 erscheinen auch luz-
zeron 47,20, lutzer 26, 16, die, wie nietzemer 26, 12 (neben
niet(t)nner, s. § 13), für die tiberlieferte (der bibliothek des Kg-
monder klosters einverleibte!) hs. auf einen niederfrk. ab-
schreiber schliessen lassen, der in folge der von ihm beobach-
teten durchgängigen eorrespondenz zwischen den z (zz) seiner
mfrk. vorläge und den / der eigenen mundart einige male ein
t seiner vorläge in z änderte. Mit rücksicht hierauf wäre es
sogar denkbar, dass der ui^sprüngliche text der Umschreibung,
wenn demselben in der tat die soeben erwähnten that an-
gehören, noch mehr thtit-f ormen enthalten hätte. Dass übrigens
solchem abschreiber andrerseits mitunter eine nfrk. form aus
der feder schlüpfen konnte, liegt auf der band; und wir
werden ausser dem oben erwähnten that und gewrocht, (ge)-
n elic etc. (?) (s. § 3 und 7) im laufe dieser Untersuchung noch
mehreren formen begegnen, für die eine solche möglichkeit ins
auge zu fassen ist.
Wegen tt in lüttere s. oben. Die in Braunes Ahd. gr. § 16
anm. 3. 4. 5. 6 besprochenen ei^scheinungen begegnen in unserer
quelle nicht: kein hl etc. für ht etc.. kein dr für tr, keine
Schreibung htt, (tt, kein abfall von / in ht etc.
Synkope von / bietet lussam (auch in W; wegen anderer
belege für diese form s. (1 raff 2, 286).
§ 12. Altem d entspricht d: dagh, deil, dohfvr, overdrcphet,
dugetha, drinlan, drohtm, duon, gebreydet, behaldon, lando,
handc 'bände', uunda, u tde, Hude, muoder, node, rido, gebndan,
getredan, -da und -d- der präteritalbildungen (s. § 54. 57 ff.),
-ende im p. praes., ulngardon, tvordo, -an, antwarde etc. (nicht
mit rt, vgl. Sievers, Oxforder benedictinerregel s. xvi ff. und
Braunes Ahd. gr. § 163 anm. 1) und bedde, biddvn, midden, midde-
löthe (wegen deren dd man Tijdschrift voor nederl. lett. 15, 153
') So begreift sich aueh das USD. 1\ 240 erwähnte purce.
*30
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VAN HELTEN
vergleiche); besonders zu beachten ist durch enklise des pron.
tr in den silbenanlaut tretendes d von machodir 39, 19, mugadir
39,17, sculedir 41,7.9, bechennedir 40,6. Der conson. ist mit
rücksicht auf den § 4 und 11 erschlossenen südmittelfrk. Cha-
rakter unserer mundart und die in anderen südmfrk. quellen
neben (/ begegnenden / (s. Tijdsehrift voor nederl. lett. 15, 152
und vgl. auch Jlovestete neben Jlovestcde bei Lacombl. 1, 252.
278) als media fortis zu fassen.
Als ausnahmen finden sich jedoch corter, -äre grex 29, 5.
7. 12, getan 4 jäten' 59,25 und drnte amico 45,21.22. 52,3. 65,22
zu drüt 45, 20. 22. 50,26. 51, 18. 52,6. 71,7 (vgl. auch drüt amica
10,4, wo W trütin hat). Corter, -äre weist sich durch hcrd-
nisse, -en 9,8.22.27. 10,7 (wo W cortäron, -äre, -er hat) als
der mundart des umschreiben* fremdes wort aus, dem kein
mfrk. reflex mit d entsprach. Für das einmalige getan wäre
durch nachlässigkeit des umschreibers aus der vorläge stehen
gebliebenes / möglich zu erachten. Für drilte, drüt hingegen,
statt deren man nach dräden amica im Arnst. Marl. 226 und
drilde im mfrk. Legendär 38 (s. Zs. fdph. 10, 135) drnde, dnuJ
(drüt) erwarten dürfte, ist natürlich eine solche fassung aus-
geschlossen; ebenso aber wäre hier mit rücksicht auf das im
Isid., dem Ludw. und anderen rheinfrk. quellen belegte material
(vgl. Braunes Ahd. gr. § 163 anm. 1 und Pietsch, Zs. fdph. 7. 408)
entlehnung einer form mit tonlosem inlautendem dental aus dem
benachbarten rheinfrk. undenkbar; es bleibt demnach m. e. nur
einer annähme räum, nach welcher das nomen als ein in der
mundart der Umschreibung nicht übliches wort aus der vor-
läge ungeändert in den umgeschriebenen text eingetragen
wäre (wegen der hier postulierten ostfrk. formen vgl. dritte,
drüt in der Trierer hs. des \\ llliram, s. Graft 5, 472).
Für in den auslaut tretendes (/ wird meist die etymolo-
gische, selten die phonetische Schreibung (t) verwant: krüd,
morginröd, ziid, stad, read, -heyd (s. § 19), word, hoyted Caput,
stand imp., gcwald, wcreldllehe, hindkalvo, herdnisse, seand-
tikes, stüdlicho, aädstank etc.; doch got 11, 14 (auch gott 27,20,
Wie quiitt 26, 22, iss 1 ist' 24.9.21, wiss 'sei' 21,6). linmunt,
t/ulsent, stuont 43,9, uoledät 51, 27, gezhelt 7,22, hintkalro u.a.:
bei den personalendungen bilden aber -et, -ot 3. sg. und 2. pl. und
beim suffix des p. prt. -et, -ot die regel, -ed, -od die ausnähme
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 457
(verthrüzed 15.1, ligml 11,25, Wertked 14,28. griphed 14, 27,
rirephed 15,14, berid 13, 12, ifctf 24, 11, getvared 20, 27. rouferf
15, 18, anavinged 14T 22 u. ä., geelred 11, 1, ungeerid 13, 11,
lathod 10,11, eruarmed 44,12 u. ä., vgl. noch § 54. 57. 58);
ebenso meist m/7, seltener mit/ (s. § 13); in der 3. pl immer
sint, -et»/, -an/, -oh/; ebenso stets im/- (s. § 1).
Synkope von d begegnet in anluzza 19, 26. 28, woneben
nndivarde praesentia, *andwurde responsa (s. § 30) und geant-
f'ristet 'erklärt' 31, 10 (wahrscheinlich dem umschreiber fremdes
wort; an der andern stelle, wo W das verbum hat, 12,4, bietet
LW eine lücke).
§ 13. Altes th bleibt (bez. als tonloser und tönender con-
son.) erhalten im an-, in- und auslaut, ausser nach /, n, wo es zu
d bez. im auslaut / wird (hier jedoch immer etymologisch durch
d dargestellt), und bei enklitischer Verbindung nach s, t und z,
wo es als / erscheint: ther, thanne, thancan, bethemphet, thenke,
thih'nt, thin, thich, thorphon, thurfl, gethrät, thicco, uinthriivo,
thuinget, cthele, bilethe, leythes, genätha, beithe, iveythe, tcither,
icerthin, erthesco, -on, -iscan, skeythe, bitlicrve, lithan, gesithele,
other, vorther on, niith, dooth, leith 'leid' und 'litt', sneith
'schnitt', etc.;
hold, -cm, hulde, veld, veldbluome, tvaldholz, gold, -e, tvildes-
httd 7, 25, wundes, fand, kündet, -i nt, cundeghe, -an 78, 10. 14,
ander, künde opt. prt., begunda, begonda, -an, nendet, mendet,
-ent (in rund, rindan ist das d zweideutig);
lemostu 09. 10, leystestu, {gejsihestu etc. (vgl. auch -st 2.sg.),
thcste 11,15. 12,27. 27,20. 39,11. 41,22 etc. (mit etymologi-
scher Schreibung auch sihes thu 17,3, thes the 11.23. 45,27),
bist(t)u, macktu (mit etymol. Schreibung magt thu 19. 22, scalt
thu), (n)ict{t)cmer 13, 18. 55,26. 56,20. 59, 14. 60,3. 73,8 (wegen
nietzemer 26, 12 vgl. oben § 11), thojs tu 68,25 (nach spirans h
bleibt th, no(g)hthanne 22, 11. 62,23). .
Zweimal ist d aus der vorläge stehen geblieben, nämlich
in behüdan (Schreibfehler für bedühan, s. § 2) und drahent
'duften' 48, 7 (mhd. drahen), in letzterem vielleicht (wie das /
in cor täte, -er und dratv, drut, vgl. § 12) in folge des umstandes,
dass dieses wort dem dialekt des nmschreibers fremd war.
Von den formen mit th beanspruchen besondere erwäh-
nung:
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VAN HELTEN
lampreijthe muraenae (s. § 27 anm.) und Davithes, 30. 27.
31,9.10. über deren auf rom.-lat. ff zurückgehendem th mau
Zs. frph. 20, 322 vergleiche.
iväthelich formosa 7. 21 mit wäthltcho subst. 8, 2, iväthe-
llckeyt 10, 2 und umvatheluhv deformes 7. 25 mit ursprünglicher
consonanz (?) gegenüber den an ivat angelehnten (?) ahd. bil-
dungen (un)uattich (s. Graff 1, 743 und beachte iväthlich im W
mss. H y nach Seemüller 9, 2 var. sowie unwahtlth Gh. 3, un-
wadlth gl. K, Ka); die neben mid 11, 1. 6. 8. 14, IG. 17. 25. 15, 4.
17, 18, mit 6, 10. 17. 13, 7. 26, 7. 28, 15. 31, 16. 32, 3. 15. 34? 20.
39,15.16 etc., mide 11,18. 20,6. 27,26. 30,10. 39,17. 54.4
begegnenden müh 7,26.27. 8,13. 9,9.20. 11,16. 12,6. 13.6.
16, 18. 19, 23. 24, 16. 19 etc. (auch in mit themo, mit then, th^ro,
mit Mm«w 6, 1.6. 11. 7,4. 35,18. 38,19. 45,2. 74,7 mit t th =
th th?), mithe 38, 15, mithewiste, -wäre, -ivura 52, 10. 14. 19 (vgl.
wegen solcher doppelformen aofries. mithi, -e, mith neben selte-
neren mit, mi t, Aofries. gr. s. 97).
Gedehntes, der Schreibung tth gemäss als tonlos zu fassen-
des th steht in mitthon 78, 16 (vgl. Braunes Ahd. gl*. § 167 anm. 10)
und gitthetvanne, gitthesivilcharo (s. § 2 zu j).
Synkope von /// findet sich in qtut, quiit 6, 8. 7, 13. 10. 3.
16,5.18. 18,15. 19,5 etc. (daneben quithes 7,14. 12,21 und
wirihet, werthet. -ed, s. § 53).
§ 14. In betreff des g sind nur r für * in den pronominal-
formen thirro (vgl. Hraunes Ahd. gr. § 288 anm. 1 und s. unten
§ 50) und die Schreibung z statt s in vorv thcz 17, 16 und vor-
kuze (s. § 28) zu erwähnen.
II. Die vocale und diphthonge der Stammsilben.
1. Dio kurzen vocale.
§ 15. Altes nicht zu « gewordenes o ( indog. o, vgl. IF.
3,277. 5, 182) bieten ioh, togh, ioch (s. § 10, got.jah) und vom
24, 7. 8. 29, 8. 27. 30, 23. 32, 8. 35, 28. 37, 19. 38,23. 39,5. 41, 19.
43, 27. 45, 16. 17. 20, 23. 46, 2. 6. 53, 1 und noch passim bis zum
ende des denkmals, von 27, 14,23. 48,6. 54,10.11. 55,25.59,24.
26. 73,18. 75.3. 78,15 (woneben rane 7,4.20. 10.5. 14,11.
17,12. 22,6.9, vana 14,6, vano 6, 14. 15. 8,26, van passim von
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 459
s. 6— 25, von da an mir noch 44, 11. 51, 12). [Auffällig ist die
Verteilung dieser van etc. und von etc. über unsere quelle.
Vgl. auch das Verhältnis von suester, -a 34, 3. 6. 16. 35, 25.
40,5. 41,27. 42,2. 40,26 zu suster 73,27. 74,5, von sielan
6, 16. 14, 20. 15, 14. 27, 15. 28. 45, 13 zu sela, -an 44, 9. 50, 28.
53,14. 70,24, von vano, a, van, vone thiu 6,15. 14,6. 16,20.
30,4. 32,8. 35,28. 37,19 und rane then 7,4 zu von(e) thannon
27, 14. 60, 21, von(e) thannon 46, 20. 53, 24. 57, 9. 58, 16. 61, 7.
63,16. 64,9. 76,15. 78,14, vone (Hannen 75,13 (in W überall,
mit ausnähme von vone diu 6, 15, von(c) dannan, -en). M. e.
dürfte man hieraus auf die arbeit zweier umschreiber schliessen,
von denen der eine, der die erste hälfte der transscription bis
nach 45, 13 (sielan) in Hoffmanns ausgäbe (etwa bis § 85 incl.)
verfasste, seinem Sprachgebrauch gemäss suester, sielan, van
etc. neben von(e) schrieb und von(e) dannan, -en seiner vor-
läge durch vano etc. thiu ersetzte [sela 44, 9, von thannon 27, 14
wären dann als residua aus der vorläge zu fassen), der andere
als Verfasser des übrigen teils ebenfalls seinem Sprachgebrauch
gemäss die formen suster, selan, von{e)f von(e) thannon, -on, -en
verwante (suester 46, 26 residuum, van 51, 12 Schreibfehler oder
aus der feder des nfrk. copisten, vgl. § 11 zu luzzeron etc.)].1)
Der umlaut von a fehlt:
in gegarewet p. prt. (vgl. Braunes Ahd. gr. § 27 anm. 2a;
natürlich auch im synkopierten prt, garoda); in skarphe
•strenge', andwarde praesentia (*-bildung), harde unflect. form
des adj. 73,3, verwardet corrupta 71,20 (vgl. W verwartit und
verwertit, Graff 1, 958). thurghnahtiga, maghtlga, -an niit asso-
ciativer entwickelung (harde durch compromiss aus *hard und
*herde — ahd. hart, herti; verwardet durch beeinflussung von
seilen der synkopierten form *-ward, vgl. unferwarte etc. bei
Graff a.a.o.) und martero mit auf späte, nach der umlauts-
wirkung erfolgte entlehnung hinweisendem a; wegen un-
gestörten umlauts vor r- Verbindung und eht beachte riuchgerda
24, 7, gesterchent trans., geverda 50, 7, ambeehtent, -ant\
') Denkbar wäre es indessen auch, das« sieh die arbeit des ernten
umschreiben noch weiter, bis irgendwo vor 50, 28 (wo »Hau steht), erstreckt
hätte, in welchem fall vone thannan 4tf, 20, nicht aber suester 4»>, 20 aus
der vorläge stammen müsste.
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•100
VAN IIELTKN
in eynvaldlghcyrf, gewaldlgh, linmhaftig(h), armstrangigh
manu fortis 31.11 (vgl. sträng 72, 21), getavela und gegaihema
(s. § 30) durch anlehnung; auch in taste (? vgl. § 41 zum nom.
sg. fem.);
in maniga, -er etc. und gcmamghfatdet, mantgslaehtagan mit
-!#(-) für -c//(-) (s. § 27; daneben das abstractum meniga, -e
mit -f<y- für -ig-);
in samftero (s. § 44 am schluss);
im durchstehenden anr/c 'und' (W mw<c, unde), wo die ton-
lose ausspräche den umlaut verhinderte.
Wegen ganga, wände, hande etc. lieben crefte; dragat, teasset
neben verid etc. s. § 33. 34. 53.
Remerkenswert ist noch der adverbialcompar. bez 52. 11
mit associativ gebildetem umlaut, wie bet des Monac. und mnl.
mud. bet. Wegen enw in nennen etc. s. § 2 zu w.
§ 1(3. In der en- bez. proklise entstandenes e aus t be-
gegnet in den pronominalbildungen her (neben hiz), -es, herip)
gen. pl. (neben hiro), wer (neben mir, thir) (*. § 40. 47 und vgl.
§ 18 zu t). den Präpositionen ze (nie zi\ he in bethiu 8,2. 10.21
(woneben bi then, thero) und der negativen partikel ne (wo-
neben selteneres ni 10.4. 26, 13. 20, 17. 27, 17. 18. 28, 10. 36,5.
47,0. 59,0. 12. 14. 01.22. 72,0 etc.). Ebenfalls durch schwachen
ton entwickeltes e haben ieweht, nie(u)wehtes, woneben mit Syn-
kope ieht, nieht, iet, niet (s. § 2).
Neben stimma 18, 10. 77, 20. 20. 28 findet sich stemmu 10,25.
15,20. 19,26. 31,9. 41. 20. 01,4.
Durch anlehnong entwickeltes c erscheint in erquekkeda
(s. § 54) und ungewedere 18,2 (woneben gewidere 18,5). herdon
(1. herdo, 8. § 30) pastorum (nach *herda Bierde', vgl. herdnissc,
-en, § 32), ertheseo, -on, -iscan, werthwh 8.2 (neben tvirthegaro);
vgl. wejren phonetischer erhalt ung von / vor r irre adj.. (ge)-
irren, -e, -cd, -edan, wirehe, -et, -ont, wirthet (s. § 53), skirm,
sehirmo, beskirman, -ent. Neben letzteren formen stellt beskier-
mes 0, 12 mit ie als vereinzelter bezeichnung des vor rm zu ic
gebrochenen lautes.
Durch anlehnung entstandenes /' haben rieht 64,3 und ana-
sihen, ergirun IL s.w. (s. $ 53).
Durch anlehnung an warn 'wohin' 51.0.10.14 und thare
'dahin1 21,21 entstand harn 'hierher' 11,4. 50,1 für *hera
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ZUR SPRACHE DER LEIDENER WILLIRAM. 461
(vgl. das bei Graff 4,694 aus Notker, Tat. und Rc. citierte
hara, -e).
Wegen suster (mit m durch *icn aus *«•/; beachte auch
suster in den jüngeren mfrk. quellen. Weinhold, Mhd. gr. § 50)
und suester ist § 15 zu vergleichen.
Wegen lc(u)won s. § 2 zu u\
§ 17. Zu u und o weise ich im vorübergehen auf thor-
nlna, -an, forghUnt, tcunot 11,22, begonda, -an und begunda,
kimile opt. prt., worphe (s. § 53) und drohtin, -es (vgl. IF. 5, 187 ;
oder liegt hier sowie in ahd. trohtin, as. drohtin nach Kluges
Vermutung eine form mit o aus au vor?) Sonst ist noch zu
achten auf neben gold, -e 37, 20. 46, 17. 21, goldfazc 37, 19, hold,
■vn vorkommendes guold 26, 10, dessen uo auf gebrochene, aus-
nahmsweise in der schritt dargestellte ausspräche von o vor Id
hinweist; auf neben cumftigh, ecrnumst erscheinendes cuomst
6, 2, mit wo als residuum aus der vorläge (vgl. c(h)iwnß nach
Graff 4. 675 in der Bresl., Ebersb., Kremsmünst. und Stuttg. hs.)
oder als bezeichnung von einheimischer brechung vor mst (und
mft?)] auf neben normalem thogh, (hoch (s. § 8) begegnendes
thach 7, 27. 8, 2, das auf rechnung des nfrk. abschreibei-s (vgl.
§ 11 zu luzzeron etc.) zu stellen ist (beachte das vereinzelt in
mnl. denkmälern begegnende dach, Mnl. wb. 2, 12).
Für W's sineucHlc) 'rund" hat LW 48,27. 40,8 sinowoldc
(flect.) als verbaladj. nach art von zoraht, tcunt etc. (s. Kluge,
Nomin. stammbild. § 222 f. und vgl. bei Lexer aus Diefenbachs
Gloss. citiertes nd. sin-, scnewolt). Ob das o des inf. bcwollan
•beflecken' 42, 16 Schreibfehler ist oder wirkliches o aus t;
repräsentiert, mag ich nicht entscheiden.
Zur bezeichnung von m begegnet / in gcknisvdon collisa
38.20 (auch in der Ebersb. hs. geknisiton nach Hoffmanns glossar
und Graff 4, 574), p. prt. zu *knussan, und thinkct 'dünkt' 55,21
(sonst m in thunket 55, 23. 56, 1. 3. scandont, scundich, tviroch-
hutrle 32, 24, verfullvnv, gelinget, hulde etc.).
2. Die langem vocale.
§ 18. Die länge des vocals wird durch doppelschreibung
bezeichnet: seaaph 9.5, gemaazot 10,11. daaden 17.22, raadu
30,2, meer 11, 14. 12,27, verlieh 12. 21. geet 20. 5, geent 29, 18,
sii 15,10, ßigboum 18,17, wida 12,26, geliivhon 15,18, nood
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462
VAN HELTEN
8,9, scoomi 17,10.12, verloosda 10,14, suule 25,28, verfuulel
26, 18 etc.
Kürzung der langen Quantität zur halblangen (die ich
durch w bezeichne) in UM levis, IfgMo adv., bräghia etc., ge-
ßhtct ist zu folgern aus threjclere (s. unten zu «).
Aus durch die Schreibung oy erwiesenem umlaut von ou
(s. § 19) ergibt sich, dass auch bei langem vocal sich der-
selbe process vollzogen hatte. Bezeichnet wird solche afficie-
rung von a jedoch nicht: maara 'rede(n)' dat. sg. und acc. pL,
maara fama, sälieh 9,11. tgon, -igosta(n), änieh, -igh 59,7.18,
unbangh, stüdeghhcid (vgl. § 27). mürthc (s. § 81), gesprüche,
gebare, gethrätenaph (s. § 41 zum nom. sg. dl), thradc, -a, -on
'schnell', mitheware, -a 'sanft'.
Doch findet sich auch threxlere 49, 1 (s. § 9 zu hs\ die en-
dung des nomens geht zurück auf das doppelsuffix -il~ari\ vgl.
n\id. drähsel, trähsil Drechsler '); aber eben aus der Schreibung
mit e folgt , dass hier der vor j? (hs) stehende vocal seine alte
quantität eingebüsst hatte und zu einem sich dem e aus a
nähernden halblangen laute geworden war, der übrigens wegen
solcher Quantität ebensogut noch durch die alte Schreibung a
in thraxlvre 59, 12 dargestellt werden konnte (also thrfix-, thräx-
lere). Nicht zu bestimmen ist der lautwert von a in trade
(s. § 34 zum gen. pl.), wig{g)ewaphene (regelrechtes ä oder ä
durch anlehnung an *wüphan?). geweidet (s. g 58 am schluss),
waie, -et (etwa mit ä aus den /-losen formen?), wäre, -a, -an
und dade, -a opt. (s. § 5b". Ol), teanda prt. (regelrechte« ä oder ä
durch aulehnung an *wänen?). W egen -däda, -e s. § 34. Nächan
inf. und genaaehat (s. § 9 am schluss) sind mit a anzusetzen,
das, wenn eh k ist, aus den synkopierten flexionsbildungen
stammt, wenn eh gedehnte Spirans bezeichnet, auf die rech-
nung von* umlauthindernder einwirkung dieser consonanz zu
stellen ist.
Altes r2 erscheint als ie: f lerer, gehiez, gieng, ziere adj.
52,15. 03,19.21, gezieret 33, 10. 04,11 (woneben gejfired, -et
11,1. 27,20. 59,2, ziret,-ent 35,20. 13,8, htdsziretha, -c mit /
= dem vocal von as. ags. tir honor).
Neben wir (aus *wir) und ir (aus *ir für *jiz statt *juz
— got.jus) stehen durch Schwächung entstandene wer, er (s. § 46
und vgl. mer, ij 10).
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 463
Aussprache von ? als / -h nachschlagendem überkurzem e
vor heterosyllabischem ch ist zu folgern aus der sporadischen
Schreibung ie in wiechet, -e, cn cedit, -at, -aut 32,21 und 2.
20, 22, woneben wichan 51, 10 und richon divitibus, himclrichc,
liichcnt, misliiche, hcho, geliichon 15, 18. 70, 26, bcsuichct 25, 25
mit i, ii zur bezeichnung des nämlichen lautes.
Statt des normalen uo (in zuo, stuol, bluoyes, -e, blttoth
'blute', muozan, ruom, muode animo, bluodes, -e sanguinis, -e,
yruoicnt 35. 28, bruothera, wunder, stuont, buochon libris, suona,
suonerc etc.) stehen oo, o in röwcs ' ruhest * 9. 5 (neben ruotvan
20,1, yeruowet 12,26, ruowon, -an 'ruhe'), yebloonud 'geblümt'
12,25 (neben bluome etc., s. §37 am schluss), döt imp. 27,24,
döwir (neben duowir, dünn, duost etc., s. § 62), behoodan 'be-
hüten' 8, 24, hoodere 'hüter' 8, 22, mürhödelii 'mauerhüter' 44,23
(neben (be)huoden, -et, -ent 44, 27. 76, 16. 27. 77, 8 und hbdan
10, 6 mit b als zeichen für tio, wie in moder 23, 14 und rbd,
s. §10zuö), goodan 14,21, gödero 31,26. 37,9 (neben yuod,
y uode$, -e, -en, -ero passim, yuod, -es subst.), und zwar als ge-
legentliche Schreibungen zur darstellung von unter bestimmter
bedingung (in offener silbe?) aus uo entwickeltem geschlos-
senen ö (vielleicht mit nachschlagendem überkurzen o« oder
ähnlichem laute; wegen der ent Wickelung von uo zu der-
artigem laute im mfrk. vgl. Wcinhokl. Mhd. gr. § 141 ff.). In-
wiefern die überlieferten uo (den geschlossener silbe eigentlich
zukommenden) diphthong bezeichnen sollen oder nur noch reste
der alten Orthographie sind, lässt sich natürlich nicht er-
mitteln. Mit suör schwur' 17, 16 kann selbstredend sieuor
gemeint sein.
In der proklise gekürztes o hat ausser tho •als' auch zo
•zu' 24,16. 26,18.
Der nach hoyved etc. (s. § 19) anzunehmende umlaut von
uo wird in der schrift nicht bezeichnet: suoze, -en etc., suoze
subst., yemuozcyan, -at (vgl. § 27), muothe 'müde', muotheda
•wurde müde', yruonent, beenuodelet •ertönt', woste 'wüste1 (mit
wo als Schreibung für wuo), yefuore. Nicht ermittelbar ist
demnach der lautwert von uo in n(u)oyat, -en 'fügt, fügen'
(mit u[u]o für ruo, vgl. § 6), geyruozet, suochun, •en, -ent etc.,
machest (mit regelrechtem oder mit aus dem prt. und [flectier-
temj p. prt. entlehnten laute?) für huoden etc., s. oben, ist wegen
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VAN HELTEN
behoodan etc. letzteres als feststehend zu. betrachten), bluoyent
etc.. -flnoiende, gruoient (s. § 2 und vgl. oben zu träte, -et).
Aussprache von ti als ti nachschlagendem überkurzem o
vor m ergibt sich aus der Schreibung uo in ruom 4 räum' 28. 3.
Vor ic wird « zu (vgl. auch rouwon 4 reue', § 19 zu in) in
bo(u)west, -et habitas. -at 27, 24. 77, 18, botrunde (1. bo wende,
s. g 55 zum p. praes.): annähme von diphthongierung vor vocal
wird verboten durch das t in viande, -an, und es ist demnach
das w dieser formen nicht als hiatusfüllender, sondern als im
verbum purum zwischen wurzel- und endungsvocal entstan-
dener laut zu fassen. Sonst findet sich ü oder uu: back, ge-
bruchan, uighüs, -e, milra, leinthrüro, brad, verfuulet (wegen
drtit, -e s. g 12).
Umlaut von ü liegt sicher vor in crüee, -es, gecrilciget,
dragon siccis 49,24 (vgl. ags. drfae); möglicherweise auch in
hüscro domuum, suule, -cm, uildcshuda 7, 25, verthriteed, -et
(s. § 58), bethauan (s. g 2 zu w), gefühtet 36, 4 (wegen ti vgl.
am anfang dieses g), thusent, -endon (ii durch *-int, vgl. § 22
zu oder u aus der nebenform *thüsunt?).
Gekürzten vocal haben lüttere, geluttered etc. (s. g 11).
3. Die diphthonge.
§ 19. Für ei steht c in ädeltgh * verlustig' 76,23 (W tf/e/-
-te), heyderhed 18,3; vgl. auch noch smvtheliehon blan-
dientibus 39, 15 (W smehltehen und smcichltchcn), das wahr-
scheinlich aus smeeheltehon verderbt ist. »Sonst findet sich ei:
tfetf, -A^yrfe 10, 2. 28. 1 1, 23. 12, 5. 27. 14, 22. 20, 25. 25, 9.
71, 14. 73, 19, steigerent (W stegerent), eygene, breyd, leynrt,
neyget, nrigande 71,7, meihi, geregnet, reychenes etc. Speciell
zu beachten ist weintgh, weynega, -a, -az, -on (nie mit c).
Wegen seh, -an und sielan s. g 15 und vgl. Beitr. 20, 508.
Neben er, era, eerlteh, eeront, leret, lerda, lera, heran, -et, ge-,
bekeret etc., seredan, geseeret begegnendes bekierent 34, 1 weist
auf eine (in der regel nicht schriftlich dargestellte) afficierung
von e vor r hin (vgl. gelierot in den amfrk. Ps. 2, 10 und be-
achte die in Weinholds Mhd. gr. g 99 aufgeführten belege für
i vor r aus c).
Statt ö (aus au) begegnet uo in gruoz 'gross' 64, 4 und
ruod, -en, -ero, -e, -on 'rot' 26,28. 30,17. 36,12. 37,28. 66,19.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
465
69,20, rbd 40,2 (wegen 6 vgl. § 18 zu uo), ntode 'röte' 36, 18,
woneben röda, -on adj. 30, 7. 50, 13, m/c subst. 30. 9. 24, mor-
ginröd 55, 15 und döden, -on adj. 38, 14. 49,23, nöde neeessitati
22. 23 ((Hier mit ü'?); hieraus Iftsst sich auf ent Wickelung von
wo bez. erhaltung von ö vor d (/) und z schliefen (ob uo vor
tauto-, o vor heterosyllabiseher consonanz oder umgekehrt, ist
nicht zu ermitteln). Sonst ö in dooth, -es, a, sldphlöson, öron,
lönes, nood.
rmgelauteter vocal ist anzunehmen für bröthe fragilitatis.
genödo (s. § 32), sröne adj., seöne subst.; möglich ist derselbe
zu erachten für boosliches (man beachte aber aofries. häs, mnl.
boos, die auf einen « stamm hinweisen, s. Aofries. gr. $ 295b),
(ge)kose (doch könnte hier auch anlehnung an *köson ahd.
kösön vorliegen), hoghe und hohe subst. (vgl. § 32), loosm, er-,
rerloosda, -et, nöde (s. oben); für das /-abstractum rüde ist
wegen ruode (s. oben) nichtumgelauteter vocal für wahrschein-
lich zu halten.
Im gegensatz zu den ostfrk. Williramhss., die oi nicht
nur in hoibet, toigene secreta, erfloiget 'erschreckt', oige, ent
'zeige, -en'. oigte 'zeigte', zoige 'zeige', geloibon, -an recedo,
-ere (s. W und Graff i. voce), sondern auch in gcloihen ridis, -i,
troif 'stillavit, toiwes ? roris, oigen, -on * äugen', uiroiehes, toi Jon
curremus (s. W und ( i raff) bieten, findet sich im L\V diese
Schreibung nur in den formen mit altem / oder j in der en-
dung; hogved, -e, doyeh{e)ne (s. § 7), erfhigat. zogga 19.20. Die
hieraus hervorgehende folgerung liegt auf der band: das nach
den W.-hss. auch für die vorläge der Umschreibung anzuneh-
mende zeichen oi fand in letzterer Verwendung1), jedoch nur
behufs darstellung von umgelautet ein ou: sonst wurde on ge-
schrieben in (gt)touran, -on subst. (s. § 30), drouph stillavit
48.24, douwes, louphemrer. houph 'häufen' 59.22. sowie auch
in den verben geloruon (1. gelouron) recedo 8. 12, helouran re-
cedere 42,24, ougant 01,5, erougmle 'zeigte' 44,18, rerlouican
'erlaubt' (verschrieben für verlouved) 39, 23, denen also aus
dem prt. und fleetierten p. p. entnommener nicht umgelauteter
diphthoDg beizumessen ist, und douphe, -a (s. § 32) durch an-
') Wegen ähnlicher entlehuung eines schriftzeicheiiH aus iler vorläge
vgl. § 4.
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400
VAN HKLTEN
lehnung an das verb. *douphan mit om, wie in gelouvon, be-
louran.
Wegen des ou in houg(h), hauch s. § 8 fussnote. Buomgardo
30, 12 ist Schreibfehler; vgl. boumyardo 30, 24, boumehn und
häufiges (-)bouni, -a. In ulroehes, -e und ut rochhur cle 35,1». 19.
32, 24 liegt eine form mit altem n vor; vgl. tnro(h)ches -e in
Wüliramhss. und u iro(c)h in anderen ahd. quellen (Graff 2. 437).
Erhaltung von für /o (aus e«, a/tr, ?-o, c-o) ist die norm:
dier, lief 'lieb', fliezent, -ende, siechon adj. 38,20, sieeheduotn
45, 15 ( in 49, 24 Schreibfehler sieheduom), nie, ie, nie mit ietnan,
ieyelieh, nienian etc. (wegen nie\u\tvehtes s. $ 2 zu w), zrie
(a.a.O.). rieph etc. Contraction zu i begegnet aber vor tauto-
syllabiseher tonloser gutturaler Spirans und vor -e(-) der endung:
laßt, -es lux, -eis 73, 9. 55, 27, Uhtfaz 73, 0 (oder mit f. wenn
die § 18 zu a erörterte kürzung jüngeren datums ist als die
contraction). zieh 'ziehe' 7, 2, zihen, -ent 'ziehen' 17.22. 00,10.
05, 2 (wegen h als zeichen für Silbentrennung s. g 10; daneben
ziehent 32,3 mit ie durch anlehnung an *zieho(n) 1. sg. praes.
ind. und einen inf. *zichan), thihe femori 25, 3. 9 (woneben regel-
rechtes thieho femorum 58,20).
Durch anlehnung entstandenes ie hat yelievan eommendare
52, 8 (W yehüban).
Wegen in als regel (nur einmal ui in luide 10. 26 durch
schreibversehen oder einfluss der vorläge, für die nach W tu
als norm zu vermuten ist) vgl. yebiudest, verkittest, driuphet,
fliuyh (s. § 53), Uuyhtent 73, 11, diuren, -er, -esto, diuvel, liu-
munt, liumhaftigß), ansiune, unyestiuro (s. § 30), Und, -es, -e, -en
(s. S 33), stiured 14,21, friund, fiur 73, 17 etc.; beachte speeiell
niudest superl. 20. 28 mit regelrechtem tu vor altem -ist (W nie-
testa). niud subst. 57, 25 (vgl. as. /-stamm niud gegenüber ahd.
«-stamm niot, niet) und hieran angelehntes niudsamere 45, 27
(doch nied, nietsam 34,17. 48.5. 50.19.23 sowie niedet freut1
14.4; in riuchyerda virgula fumi 24.0 kann tu schwerlich
etwas anderes sein als Schreibfehler für ou; eine form mit
ablaut in ist meines wissens nirgendwo bezeugt). Hingegen
steht tl vor alter aspiration (wofür in überlieferter periode
hiatusfüllendes w, s. § 2) und organischem tc: scüuest, -an
(vgl. a. a. o. und beachte wegen der nämlichen ei-scheinung im
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
407
alem. (/>-), pizuhit gl. K und Ra, s. Kögel s. 22 '), trüwa 'treue'
33,21. 52,3.9; jedoch mit den ausnahmen iuuera, -es etc. poss.,
iu{i)(c)h (s. S 2 zu w) und niwen, -a(z) 'neuen, -es' 05, 16. 68. 11,
von denen sich die erste erklärt als die folge von anlehnung
an iu, die letzte auf neutralisierung der einwirkung von ir
durch i und j der endung hinweist. Das a von scüwest, -an
kann umgelauteten oder aus dem praet. und flectierten p. p.
entnommenen nicht umgelauteten vocal repräsentieren: denn
contraction von altem iu in den vorliegenden formen zu //,
nicht zu ü, ist zu folgern aus rouwon *reue' 42. 23 (in der hs.
verschrieben ruowon), dessen ou, wie in bowemle etc. (s. § 18
zu ii), auf n zurückgehen und also die fortsetzung eines vor tc
aus in entstandenen R sein muss (in trüwa erhielt sich der
vocal durch anlehnung an das verb. *tnton oder *truon). Dass
die Verwendung des schriftzeichens iu in den obigen belegen
mit diphthongischer ausspräche in Zusammenhang steht, ist zu
erschliessen aus der nichtVerwendung dieses Zeichens für um-
gelautetes n (vgl. § 18 zu n und beachte in W geluiteret, yt-
fuihtet, huisero neben gvbuitest, verhusest, truiffet, fluich, luih-
tvnt etc.); in wiefern hier aber iu oder iü (vgl. Hehaghel,
Uenn. 34. 247. 370) vorliegt, ist kaum zu entscheiden.
III. Die vocale der end- und mittelsilben und präfixe.
§ 20. Der erörterung der Schicksale der end- und mittel-
silben ist die bemerkung vorauszuschicken, dass unser dialekt
in ähnlicher weise, wie die aus später zeit überlieferten ahd.
mundarten, vielfach eine durch anlehnung, analogie-
bildung oder Übertragung entstandene Verwilderung
des alten declinations- und conjugationssystems
aufweist und dass demnach die phonetische ent Wickelung der
end im gs vocale sich manchmal nur aus den formen ersehen
lässt, die in folge ihrer isolierung einer solchen alterierung
nicht ausgesetzt waren.
*) Auch W hat scühcst, -an; doch berechtigt dieses ü nicht unbedingt
7A\ einer folgerung, weil ü iu den Williranihss. mitunter statt in als
zeichen für den aus iu entwickelten laut verwant wird; vgl. anaaüne, tü-
resto, türer, stuirt.
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468
VAN HELTEN
L Die vocale der ungedeckten endsilben.
§ 21. Altes -a (— ahd. -a; ich gehe liier und im folgenden
von dem alten ahd. lautstande aus) wird zu -<■ nach kurzer
(unbetonter) paenultima der endung und nach kurzer (schwach-
toniger) paenultima pro- oder enklitischer formen: ere aus
*-era in der starken adjeetivflexion (s. § 41. 48 zum gen. dat.
sg. fem. und gen.pl.), -r/v nom. sg. ntr. des comparativs (wo-
neben -era nom. sg. ntr. fem. durch systemzwang, s. § 4:'»). ihvre
gen. pl. aus *thera (§ 49). -edv 57; wegen analogisch gebil-
deter -de, -te, -odv s. § 57. 59. CO. (Vi), orvnv 'oberhalb' 17.3. 30,28
(wegen *-vna vgl. ahd. innvna Pa, üzzvna Pa. Graff 1,296. 586;
doch innvna 14.28. 39, 26. 57,0 durch anlehnung an orana, tri-
t h (Inn, s. unten), ane praep. 5(5. 15, vanet ronv (s. § 15; doch vana,
ana praep. 7,9. 15,16, sowie ara 43,23 mit -a, das ursprüng-
lich nicht-proklitisch stehender form zukam), hinv 'hin' 73,21,
tharv 'dahin' 21,21 («loch trara 'wohin' 51.9. 10, 14. hara 'hier-
her', s. § 16. mit -a des betonten adverbs). rote, forv praep.
und adv. (s. § 6; dem adv. kam eigentlich eine form mit -a zu),
teolv 12,25. 25,2. 48.5. 52.16.22. 55,17.24. 70.4.6 (doch auch
uoh 14,11. 20,25.26. 35.24. 39.26. 41,5. 57.8.24. 66,8;
ersten» form entstand in der adverbialen proklise), hinv euin
(woneben auch ursprünglich in die betonte Stellung hinein-
gehörendes Itina, s. § 47). W egen der ausnahmen hu reut etc.
und aphvldera etc. s. § 29 und 37. Dass dieses -v als zu
fassen ist, geht hervor aus anv, ranv, thare: ent Wickelung von
alten ana, vana, thata zu ana-, ramv, tharw in oder nach der
Periode in der -v ( -iv) nach a der Vorsilbe zu -a wurde
(s. unten), wäre undenkbar; vor besagter pcriode entstandene
ame, ramv, tharas hätten bei eintritt gedachter afticierung ana,
vana, (hara ergeben.
Nach hochtoniger silbe und nach langer (nebentoniger)
paenultima der endung bez. pro- oder enklitischer Partikeln
behauptet der vocal seine qualität : -a nom. acc. sg. der o-sub-
stantiva (s. §31), acc. sg. fem. des starken adjeetivs und des
possessivs (s. § 41. 48; über durch anlehnung gebildetes -v für -a
s. daselbst), nom. acc. pl. masc. der n-substantiva (s. § 29). nom.
sg. f. und nom. acc. sg. ntr. der schwachen declination (s. § 37.
38. 42). -da, -ta, vda (aus *-vdu), -oda (s. § 57. 59. 60. 63; wegen
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ZUK SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 409
analogisch gebildeter -eda der 1. klasse s. § 57), mna, ana etc.
(s. oben), ana adv. oder postpositum 8,11. 12,1. 14,22. 30,22.
31, 18. 44,17 und in dem häufigen allizana 'immer', oväna 'ober-
halb' 60,6. 64,4 und nithäna 17,4. 60,6. 64,3, aana 'ohne'
28.21.26. 29,1.15. 30.17, uff'a, upha (s. §4), wanda 'denn'
passim. Neben letzteren formen ausnahmsweise uplw 74, 3,
wände 49,2. 01,22. 63,7, entweder mit aus der vorläge ent-
nommenem -e (W hat öfters uff'c, wante) oder mit -e für -a
nach dem muster der vielen Partikeln mit -c und -a. Sonst
noch atme 'an' 29,23. 66, 14. 68,16. 17.27. 71,4 und hinne in
hinne fure 'hinfort' 68,23 (woneben regelrechtes hiuna vure
39,4) mit -e nach analogie von ane, hine.
Altes -e (= ahd. -c) bleibt -e: -e dat. sg. der a-declination
(s. § 29), nom. acc. pL der starken adjectiva und possessiva
(s. § 41. 48), 1. 3. sg. praes. opt. (s. § 55), imp. sg. nach 3. schw.
conjugation (s. § 59), m-t newanne, sotvanne, yittheteannc (s. § 2
zu j). thanne (das einmalige thanna 26, 12 kann nur Schreib-
fehler sein), uze 42,13, inne 10,16. 19,22. 53,10. 69,9.
Altes (= ahd. -/) wird zu ~e: die -e der ^'a-declination
(s. § 30 und 41 zum nom. sg. m. f. und am schluss; beachte auch
unflect. suoze 30, 7. 14, muothe 26, 23, scöne 12, 20), der ?-stämme
(s. § 33. 34), im imp. sg. 1. schwacher klasse (s. § 55), der 1. 3.
sg. prt. opt. (s. § 56. 60), sowie unze 'bis' 20,20. 32, 1. 34,20
(vgl. ahd. unzi B, M, gl. K, Ra), andc 'und' (s. § 15), mhle, mithe
(s. g 13), teithere 21, 5. 42, 15. 57, 16, 17 (ahd. witJiri), vure, fure
adv. (s. § 6).
Altes -o (— ahd. -o) begegnet als -o: die -o und -ero des
gen. pl. (s. § 29. 33. 34. 41. 48), des schw. nom. sg. m. (s. § 36.
42), der 1. 3. sg. praes. opt. (nur belegt in minno, s. § 59), der
adverbia (s. §[44), in upho praep. (s. g 4) und withero 'zurück'
22, 10. 23, 16. 42, 25, deren endung sich dem -o von got, aftarö,
undarö, ttfarö vergleiclit.
Altes -w (- - ahd. -m) ei*scheint als -o: die -o des alten in-
strumentals (s. § 29), des gen. und dat. sg. der ö-substantiva
(s. § 31), der «-declination (s. § 35), der pronominalen suffixe
•emo, -ero (gen. dat. sg.) (s. § 41. 48), des nom. acc. pl. der starken
adject. und possess. (s. § 41. 48), der 1. sg. praes. ind. der starken
und 1. schwachen flexion (s. § 55); hierzu gehört auch sino ecce
(vgl. § 10 am schluss).
Beiträge Mi gwchicbU der deutschen tprsche. XXII 31
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470
VAN HELTEN
Altem -i (= ahd. -i) entspricht , wie die endungeu der
/-feminina lehren (s. § 32), -e. Ob -de im opt. prt, (s. g 57.
59. 60) auf -di (= Notkers -ti) oder auf -di zurückgeht, ist also
nicht zu entscheiden. Weil aber die kürzung von langem
ungedecktem vocal feststeht, ist für den nom. acc. pL der ö-sub-
stantiva (s. g 31), auch wenn die endung hier dem Notkerschen
-a entsprechen sollte, -a (nicht -ä) anzusetzen.
Aus -i entstandenem -c wurde in der überlieferten periode
als en oder -a« gesprochen; vgl. duyatha'tf, 1, seönwQS, 10 (bei
Hoffmann falsch scone). Hieraus ist die nämliche qnalität für
auf -i zurückgehendes -e zu folgern. Dass aber auch -e =
altem -e denselben lautwert hatte, geht hervor aus dein um-
stand, dass diese drei -e nach tönendem guttural und
nach a oder d + einfacher oder gedehnter consonanz
in -a übergehen (s. wegen der belege für diese erscheinungen
und der gelegentlich durch systemzwang hervorgerufenen aus-
nahmen § 29 zum dat. sg., 30. 32. 33 zum nom. acc. pl., 34. 40. 41
zum acc. sg. f. und nom. acc. pl., 55 zum opt,- und imp. sg., 59
zum opt. praes. und imp. sg., 60 zum opt, praes.). Wegen des
chronologischen Verhältnisses zwischen den beiden afficierungen
s. das g 24 zu duyatiia bemerkte. Nach paenultima der endung
wird -e zu -o: milocho (s. g 34) und vielleicht auch himolo (s. g 30).
t'eber -er (-ar) statt -vre (-are) und über elision von -o
der l. sg. praes. ind. und des endungsvocals von -da, -ta (oder -de,
-te) vgl. g 41. 48. 49. 55. 57. 60.
2. Die kurzen vocale gedeckter endsilben.
g 22. Gedecktes -a ( - ahd. organischem oder anorgani-
schem -a) wird -e (d. h. -j, vgl. g 21) vor r und /: under, hinder,
other 'oder', akker, uiweher, urinier, öfter, wazzer 39, 1 (wazzar
38, 27 nach den flectierten formen, s. g 24), sundtr, tvither 8, 16.
18. 33, 24. 36, 2. 39, 13. 44, 27. 61, 10, silrer, aus maheldaga zu
folgerndes mahel (das nicht an mahcl angelehnte compositum
hätte mahaldaya gelautet, vgl. g 26). Vor anderen consonanten
bleibt a erhalten: -an acc. sg. masc, pronominaler flexion (s. g 41.
48), -an inf. starker und 1. schwacher flexion (s. g 55; daneben
-en aus *-jan), -an p. prt. (woneben -en aus den flectierten casus,
s. g 56), lachan, ophan, regan, voran 23, 20 (as. foran), inyegan
(s. unten), ovae 36,24. 56,^ 10. 64,20. 68, 11, magath (s. g 40).
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ZÜK SPUACHK DES LKIDKNKK WILUKAM.
471
(»edecktes -e alid. -**) bleibt in der regel -e: ander, after
(vgl Heitr. 0,247), over 18, 4. 71, 7. 72, 18, sucster, steter (s. ij 15),
muoder, die endung -es gen. sg., -en in der schwachen declina-
tion (s. § 42), -et, -ent 2. 3. pl. praes. ind. und imp. pl. starker
und 1. schwacher flexion (s. § 55), -ey (s. § 27), noven 'sondern'
22, 24. 28, 10. 55, 28 (aus nove = ahd. nube und angelehnter
negation; vgl. anfrk. noran aiLs nova ahd. nobu). Zwei-
deutig ist -er in ni-, neuether (s. § 52 und beachte Beitr. 0, 247).
(Gedecktes -i (= ahd. -i) wird in der regel zu -<•: thnsent
(vgl. Beitr. 0, 287), iergen 'irgendwo', iegen 21, 13, angegen 73,22,
(in)gegen 02, 13. 72,20.21.27. 73,1. 75,20, KM**] 15,13.22.
07,14. 00,0. 70,23 (ahd. unzin B, Tat. 00, 5. 98,4. 102,2; um-
hin, vgl. § 11, mit erhaltenem vocal durch anlehnung an in), -en
dat. pl. der ja- und /-Stämme (s. § 30. 33. 34), grindel, koler nom.
pl. ntr. (s. S 30), sitozer etc. und fhzlieher etc. (s. $ 43. 44), luzzel,
die endungen -eMj), -et, -eil 2. 3. praes. ind. starker unjd 1. schw.
flexion (s. § 55), -et, -ed p. prt. 1. schwacher flexion (s. £ 57), -est
(woneben -ist, s. §20 zu -/'-), hoyred, -et (vgl. § 10 zu au).1)
Wegen der ausnahmen -list, -rid, -r/7 nach umlaut e s. § 55
zur 2. 3. sg. praes. ind. und § 57 zum p. prt. W egen cuning,
-ig und drohtin s. § 26.
Mit ungedecktem -e ( -e und aus und -/) übereinstim-
mend (&§21 am Bchluss) wird gedecktes (= -e und aus -/)
nach tönendem guttural und nach // oder a + einfacher
oder gedehnter consonanz zu -a (vgl. wegen der belege
und der durch systemzwang hervorgerufenen ausnahmen § 20
und 30 zum gen. sg., 33 zum dat. pl., 34. 41 zum gen. sg. f. acc.
sg. m. und gen. dat. pl., 42. 55 zum sg. und zur 3. pl. praes. ind.,
zum opt. und imp. pl., 5(5 zu -ast und -et, 57 zum p. prt., 60 zum
opt, prae*.). Auf eine phonetische ausnähme der regel, auf er-
haltung der /e-qualität nach umlaut e + g ist zu schliessen
aus iegen, an-, (in)gegen (s. oben; das einmalige ingegan 02,4
ist compromissbildung aus ingegen und *ingagan, wie amfrk.
gaien-, s. Tijdschrift voor nederl. lett. 15, 100, aus *gegin- und
*gagan). [Belege für hiernach zu erwartende formen mit sol-
chem eg -f auslautendem e fehlen; doch beachte man als
') In oley 6,13 itammt -<•- wol aus den flektierten formen, denn in
*olij (vgl. anfrk. oliy) musste tautosyllabisehes j das -i- vor Übergang in
-e- schützen.
31*
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472
VAN HEIZTEN
übereinstimmende ausnähme der § 24 erwähnten afficierun°r
von mittelsilbigem -ge- aus egeslich zu folgerndes egeso und
vgl. auch das §25 zu Hegge- bemerkte.]
Gedecktes -u (= ahd. -u) wird -o: avor 'aber, widerum*
(ausnahmslos für W's abo, -a, -er), legor 'lager' 33, 12, tniloch,
ernost 7S, 17, michol 8,9. 11,25. 63,22, r«ro» 'rabe' 46, 19
(vgl. Beitr. 6, 241.245), seszogh, aghtzhogh, zehenzogh, die -on
im dat. pL der «-substantiva (s. g 29), im acc, (dat. gen.) sg.
masc. ntr. und nom. acc. pl. masc. der schwachen flexion (s. § 36.
42), die -on, -ot des pL prt ind. (s. § 56. 57. 59). Wegen liumuni
s. § 26.
Wegen der synkope von -t- von altem iuteich s. g 2 zu tr.
3. Die langen vooale gedeckter endsilben.
§ 23. Gedecktes -ä (= ahd. -ä) begegnet als -a (die kürze
ist aus der behandlung der anderen gedeckten langen endungs-
vocale zu erschliessen): hinan 17, 24. 20,22. 30,1. 32,2.22.
33, 27. 43, 24. 45, 7. 53, 2 etc.. teanan 8, 14, wannan 71, 25,
thanan 43, 25, von(e) thannan (s. g 15). Demnach ist für die
endung von innen 70, 10, fiz(z)en 48, 15. 69, 19, uphen, uffen
(s. g 4) anlehnung an innena, ovene (s. g 21 zu -a) u. ft. anzu-
nehmen. Die -on und -en in r«we thannon, -en 60,21. 75,13
begreifen sich im hinblick auf -on und -en neben -an im dat.
pL (s. § 41): vorangehendes ron(e) konnte ja die fassung von
-an als casussuffix veranlassen. In uphon 36, 27 liegt Schreib-
fehler vor oder die form steht als compromissbildung aus upho
(s. g 21 zu -o) und uphen.
Die behandlung von altem -e (= ahd. -e) vor nasal
ergibt sich aus dem isolierten enzuischan 11, 21.24.
Mit rücksicht hierauf sind die -an des dat. pL pronominaler
flexion, des praes. opt., des inf. der tT-klasse und die -ant letz-
terer conjugation sowie die daneben erscheinenden -et*, -ent
und -en der 1. pl. praes. ind. starker und 1. schwacher conju-
gation (s. g 41. 48. 55. 59) zu beurteilen.
Vor anderen consonanten steht -e für altes -e: unser (s. g 48),
-es im opt, praes. (s. g 55. 59), -es(0» "et m der 2. 3. sg. praes.
ind. und -cd, -et im p. prt. der «'-flexion (s. g 58. 59). Durch die
mit der behandlung von ungedecktem und gedecktem -e (= altem
-e, -i, -i, s. g 21 am schluss und g 22) übereinstimmende afficie-
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ZUK SPRACHE DE8 LEIDENER WILLIRAM. 473
rung dieses endungsvocals nach tönendem guttural
und a oder ä + einfachem oder gedehntem conson.
(s. die belege sowie die durch systemzwang veranlassten aus-
nahmen § 59) wird die kürze des nicht afficierten endungs-
vocals erwiesen.
Gedecktes -i (= ahd. -i) erscheint als -e in -ed, -et, -en
des prt. opt. (s. § 56. 60) und -en im gen. dat. pL der i-decli-
nation (s. § 32). Wegen der ableitungsendungen -in und -eg, -ig
vgl. § 27.
Gedecktes -ö (= ahd. -ö) wird -o (die kürze ist aus ge-
deckten -a, -e, -o für -e~, -i, -tt zu erschliessen): -on im gen. dat.
pl. der o-stämme und der schwachen declination (s. § 31. 36. 37.
38. 42), -or, -ost der adverbialen comparative und Superlative
(s. § 44), -on, -os(t), -ot, -od, -ont der 2. schwachen conjugation
(s. § 59). Demnach kann der endungsvocal von okkeret 'nur'
nicht auf -ö- zurückgehen.
Gedecktes -a (= ahd. -a) wird -o: -on im gen. dat. sg. fem.,
nom. acc. pl. fem. ntr. der schwachen declination (s. § 37. 38. 42).
4. Die kurzen vocale offener mittelsilben.
§ 24. Altes -a- (= ahd. -a-) bleibt erhalten nach a der
Wurzelsilbe: tuivalo, reydewaganon, wazzaro, -e, -on 38, 22. 73. 13.
47, 10 {tcazzcron 47, 20 durch anlehnung an mtzzer, s. § 22 zu -a),
wighwäpJiane 31,2 (die ausnahmen gemaheki, s. §36, tarelon
haben -c-, d. h. -j- bez. -m-, durch anlehnung an *mahel 'ehe-
vertrag', vgl. § 22, und getavela, s. unten zu -/-). Ueber die
behandlung von -a- nach anderen lauten lässt sich nichts be-
stimmtes sagen: stirere, bittera, -cremo, veychenes, zcseiva (mit
-w- = altem -e- oder mit -o-, vgl. § 21, aus -a-, wie in der com-
positionsfuge? vgl. § 25); ovaze 65, 16 kann an ovaz (s. g 22)
angelehnt sein, wie magathe (s. g 40) an magath.
Altes ■€- ( ahd. -e-) bleibt in der regel erhalten: andere,
-en, iuweres, -en, unseren, ophetw adv., o(p)phenent, eygenm,
die endungen -mm, -enon, -me des p. prt. (s. g 56), innena
ovene (s. § 21 zu -«), ze samene, -a (s. § 29), eynega, -c, -ar, -an
-amo 15,18.22. 27,17. 43,3. 70,25. 74,9.18. 75,18, tceinega,
-on 36, 13. 16, 20, ovezo, -es, die endungen -enw, -ere, -ero der
pronominalen flexion (s. § 41. 48). Nach mittelsilbe -in- wird
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VAN HELTEN
-e- zu wie -en (dat. pl. des starken adjectivs für -an, s. § 41)
zu -in: elphandlnimo 61,8, ccdrJnin 74,5.
Altes -i- (— ahd. -?-) wird -c-: rf/iefe, bilethe, gewidere, un-
gewedere, gezimbere, getavela (vgl. § 30), Atirefa 16, 3, luzzelon,
mürhödela, uvelo, -en, wetjthenent, bezeychenent, wlg{g)ctcäphene,
die endungen -ero, -eron, -eran gen. dat. pl. ntr. (s. § 29), -era
etc. des comparativs (s. § 43), -etile (aus *-ithi, s. § 31), -cd- der
L schw achen conjugation (s. § 54), etc. In friundina (s. § 31)
erhielt sich -i- durch anlehnung an die bildungen auf -inna.
Beide -e- werden zu -a- nach tönendem guttural,
wenn die folgende silbe kein -c(-) hat: wirthegaro, stadi-
gare 39, 18 (mit -9 für -a, s. § 21 zu -a), eyne-, cynagamo (s. § 41),
doch gcaryerent, steigerent, dughethe gen. sg. oder pl., -en dat. pl.
(s. § 34), iugethet i verjüngt' 0, 10. In vynegemo, willvgero dat.
sg. (s. § 41) steht das zweite -e- durch systemzwang; in gehu-
gega 7, 10 durch anlehnung an das -eg- von eynega, ueynvga
etc. In ringera nom. pl. und erougade opt. (s. § 57) stammen
die mittelvocale aus den flexionsformen mit regelrechtem -c-
(*vingcres, -e) bez. -a- (*erougad<>, -on). Tn dugatha? nom. pl.,
-a>n gen. pl., -en dat. pl. (s. § 34) beruht -a- auf anlehnung an
*dugath für *dugeth aus *dugith (vgl. § 22). Zweideutig ist
der mittelvocal in dugetha nom. pl., -athan dat. pl. und insighvla
dat. sg. (s. § 30), weil die analogisch entwickelten endungen
älteren oder jüngeren da t ums als die entstehung von -a- aus
-e- sein können; duyatha nom. pl. Hesse sogar (vgl. $ 34) noch
eine dritte deutung zu. [Instructiv für das ehronologisehe
Verhältnis zwischen den beiden § 21 am sehluss und § 22 er-
wähnten -a(-) aus -t'(-) ist der gen. sg. dugatha mit -a- durch
anlehnung an *dugath und durch dieses -a- hervorgerufenem
(i für -v. Dazu stimmt auch mamgara nom.pl. (s. § 43) mit
-am aus *-are und -a- aus den flexionsbildungen mit regel-
rechtem -ga-. Im p. prt. zu *bcsigelen konnte nach dem oben
beobachteten kein -ga- aus -gc- entstehen; wenn sich dennoch
die nach § 22 durch ihr -ad, -at auf *bcsigalad hinweisenden
formen bvsigelad, -at 35, 20. 30.7 (mit -e- durch anlehnung an
*bcsiyehn, -cs(t), -et, -ait etc.) und hesigaladen 30,4 (vgl. §27
anm. 1) finden, dann ist hier das nach g stehende -a- als die
folge von anlehnung an ein prt. *besigalda (— ahd. pisigalta,
s. (iraff 0, 145) zu fassen.] Eine phonetische ausnähme der
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
475
erwähnten afficierung bietet ans egeslich zu folgerndes cgeso
(s. 26 am schluss) mit -ge- nach umlaiit e (vgl. die § 22 hervor-
gehobene ausnähme iegen etc.).
Altes -o (= ahd. -o) erscheint als -o in marmorine.
Altes -u (-- ahd. -u) wird zu -o: himole, -o (s. § 29), epholon
14, 6, .?« santone (woneben ze samenef -a, s. § 29 und vgl. Beitr.
6, 241).
Gelegentliche assimilierung begegnet in manigslachtagan
13, 7, eynagatno 15, 28 und steynlochoran (neben -locheron, -ho-
leron, -an, s. § 29).
Bezüglich der synkope bez. erhaltung von mittelvocal sei
im vorbeigehen auf die § 30 und 54 verzeichneten derivata auf
-(e)the und präteritalbildungen mit -(c)d- sowie auf hirzon cervis
und winstra hingewiesen;
hervorgehoben seien aber unsermo, m'inro, thlnro (s. § 48),
thirro gen. dat. sg. f., andero gen. pl. (s. §50 und 41; auch unser
für unsere aus unserem? s. §48), in denen zwischen zwei r
stehendes -c- ausfiel (vgl. Beitr. 12, 552. Zs. fdph. 7, 443. MSD.
23, 324), heilsamo dat. sg. 61, 19 (auch in W) mit Schwund des
zwischen zwei m stehenden -e- (Vereinfachung von rr, mm nach
schwachbetonter silbe, vgl. Braunes Ahd. gr. § 93 anm. 1).
Hinsichtlich der vocalentfaltung erwähne ich gegareuet,
garewa, zesewa, sinowolde (s. § 17) und thurg(h), forghtent, naght-
vorghta, thurft, starc, arbeid etc.
5. Die vooale in der compositionsfuge.
§ 25. Der behandlung der im vorigen § zur spräche ge-
brachten vocale entspricht die behandlung der in der compo-
sitionsfuge stehenden laute:
anaginna 20, 15. 37, 2, analigad, anattemct, anasihen, ana-
ringed, anazucchont (doch anegcduon 42, 15, auneseJuin 69, 18
durch anlehnung an anc, anne, s. § 21 zu -«), dalaslughta 56, 11;
hingegen lituberga, -an, dischesitfieUs, siecheduom 45, 12. 49, 24,
smUhescirethe 10, 23. 28, mirrcbergo, vollekuman, cume, -cuman,
-bringan 34, 20, -volgon, -wardon, -wunderan, woledäda, -e, -an
(doch woladäda mit anlehnung an wola, s. § 21 zu ■<*), wole-,
uelelusten (s. § 34), vorecundent 18,24, silthenewind 39, 10. 16;
in scameltclie, ungenäthelich erklärt sich das -e- als analogie-
bildung nach den composita mit regelrechtem -c-;
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VAN HELTEN
reydctcaganon (vgl. anfrk. reidiwagon), hereberga, -on, erve-
guodtt, 26, listellchc 73,15 und heggeholcron, -an, minnelicho
26, 4, wunnedisehe (mit -e-, d. h. ce, aus -i- des i-stammes oder
mit -c-, d. Ii. -3-, aus für -i- eingetretenem -a-, vgl. ahd. /«?Ma-
gruoba, -wlzi, -grünt neben helligraopa, -wxzi, -rilna, Grimms
Gr. 2, 458 ; das -e- von eventuellem /<eo<r/e- aus heggi- wäre nach
dem § 22 zu iegen etc. als phonetischer ausnähme bemerkten
zu beurteilen), vure-, fure- (s. § 6), mithcwäre, -a 52, 14. 19, w#**-
thcwiste 52, 10, umbegent, -grlphed, -leged, -stecchet, gethrädcnapk
(s. § 41 zum nom. sg. m.).
6. Die kurzen voeale in geschlossener mittelsilbe.
§ 26. Altes -a- (= ahd. -a ) bleibt erhalten: vlandc, -an
(s. noch unten; wegen vlende vgl. § 39), elphandm, inimo 61, 1. 3
(wo -inin als Schreibfehler steht für -In). 8 (s. noch unten),
aphalderbouma 71, 18 (in apheldera 13, 23. 24 muss demnach
-el- auf anlehnung an ein adject. *apheld(i)rin mit umlant von
-a- beruhen).
In bezug auf -e- sei bemerkt, dass umlaut von -a- in ge-
schlossener mittelsilbe regel ist: -ende im p. praes. und -enc
im gerund, starker und 1. schwacher flexion (s. § 55; dass hier
neben -e- aus -ja- auch -e- aus -a- vorliegt, geht hervor aus
durchstellenden -ende, -ene neben -an, -cn des inf.), tverelde
(und hieran angelehntes wereld). [Nach tönendem guttural
wird dieses -e- zu -a-, wie in der endsilbe; vgl. § 22 und
beachte ncigande, woneben stigcno durch systemzwang, s. § 55.]
Die ausnähme elphandm etc. begreift sich als die folge von
anlehnung an *elphand; für viande (s. § 39) sind zwei factoren
in anschlag zu bringen, entweder die /-flexion des nomens
entstand nach der umlautswirkuug oder der plur. Ist an den
sg. angelehnt.
Die derivata auf altes 4sh erscheinen mit -i- und -e- in
der mittelsilbe, die superlativa auf altes -ist mit -i- und -e- in
der mittel- und der endsilbe: erthiscan 73,23, -esw(n) 42,22.
54. 9, mennisc{h)o, -on, criste 23, 21, fnreston 62, 15, heresta,
-en, diuresto, lieveston, bezzesta, -en, quekhestan, -on etc., trist,
minnist, crest, thickest, niudest etc. Im hinblick auf die be-
handlung von gedecktem -i in der endsilbe (s. § 22) ist -t- als
eigentlich der mittel-, -e- als eigentlich der endsilbe zukommender
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ZUR 8PRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
477
laut zu fassen. Vgl. auch -nisse, -es (s. § 30. 32), friundinna,
Jeu-, cuninginnan, meystrinnan (s. §31), warningan 31, 23, phcn-
ningo, cuninges, -a (hiernach ä*m-, cuning mit -ing für -eng,
vgl. § 22, es sei denn dass in folge von conservativer ein Wir-
kung von ng das -i- auch der endsilbe eigentlich zukam;
cunig 7. 6 mit durch anlehnung an cuning; auch für droh-
tines, drohtin, wegen dessen endungsvocals man IF. 5, 187 be-
achte und Notkers truhten vergleiche, ist erhaltung des alten
durch einwirkung von cuning(-) zu vermuten), mdiclw, -o
(woneben mileche durch anlehnung an *milech, s. § 34). Thu-
sendon nach thusent (s. § 22 zu -*).
Diesen : -e- gemäss hat -h- als der eigentlich geschlos-
sener mittel-, -o- als der eigentlich geschlossener endsilbe zu-
kommende laut zu gelten; vgl. manungo. Es muss also das
-o- von milocho, -e (s. § 34) aus der unflectierten, das -u- von
liumunt aus den flectierten formen stammen.
Die nämliche behandlung (von -a- etc.) ist zu erwarten
für den in geschlossener silbe stehenden vocal der endsilbe
eines ersten compositionscomponenten. Und es begegnen in
der tat dementsprechend cristanheyd, bilithlich 65,27 (gegen-
über bilethe), morginröd (gegenüber nach § 22 zu -/ anzusetzen-
dem morgen), turtuldttvan sowie zehenzogh, emesthafto (ernest-
mit -e- im ablaut zu -u- in *emust, woraus ernost, s. § 22 zu -m),
cuninghchero. Doch findet hier auch oft die an das simplex
angelehnte form Verwendung: inaheldaga (s. § 21 zu -a), sunder-
liche, -o, witherdrivan 31, 20, nithergegnngnn, undcrleged, -skei-
thet, -tcindan, egeslich 52, 15. 22. 50, 4 (nach dem § 24 zu -a-
aus -e- erwähnten egcso, dessen einwirkung auch die nicht-
afficierung von -e- nach g erklärt), himolriche, vlphondbeintn,
-beinc 49, 11. 14 (das hieraus zu erschliessende elphond ist wol
neben aus elphandin, s. oben, zu folgerndem elpJutnd entstanden
nach dem muster von *wisand neben *tvisond — ahd. wi-
sant, -unt).
7. Die langen vocalo der mittelsilben.
§ 27. Aus der Verwendung von a zur darstellung von
umgelautetem a der paenultima in den personennamen auf
altes -äri (s. § 30 und vgl. wegen der umlautung das unten
zu middelöthe bemerkte) ist zu schliessen, dass hier in der
mittelsilbe alte länge nicht zum kurzen vocal geworden war
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VAN HELTEN
(vgl. § 18 zu ff). Aus mit der behandlung von kurzem -e- nach
tonlosem guttural (s. § 24) übereinstimmender afficierung des
mittelsilbenvocals in frügadot, gethrangada, -an (s. § 50) ') er-
gibt sich kurzes -e- und -o- für altes in der mittelsilbe stehen-
des -e-, -ö- in der 2. und 3. schwachen conjugation. Indem
nun für diese kürzung die annähme von analogiebildung auf
der band liegt (s. a. a. o.), ist aus -ärc zu folgern: alte länge
der mittelsilbe hat sich in der überlieferten periode unserer
mundart nicht auf phonetischem wege zum kurzen voeal ent-
wickelt. [Mit der nicht-lautgesetzlichen entstehung von mittel-
silbigem -c- in der 3. conjugation steht die erhaltung der
e-qualität vor nasal im p. praes. und gerund, dieser verbalklasse
(s. § 59) in Zusammenhang; antenasalisches -a aus -e, s. § 23,
entstand nur bei regelrechter kürzung.]
Mit rücksicht auf das oben erörterte begreift sich die
erhaltung der alten qualität von in der mittelsilbe stehendem
vocal der diminutivendung und des adjectivsuffixes -in in cor-
nelino, cristinen 8.18, cedrinin 74,5, elphandinimo 61,8, gul-
d'tnen, silrerlne, -en, -cro, marmorine, thorninan, -a 28, 5. 7
(aus den flectiertcn formen wurde die endsilbe -in entnommen,
statt deren nach § 23 bei regelrechter entwickelung -en zu
erwarten wäre: boumclin, gebundetin, cedrin 13,2, clphandln
61, 1, dphondbeinln 49, 11, guldin 26,2. 19. 48, 27 (wo Hoffmann
falsch gülden las). 49,8, silrcrin, cypressin); beachte auch gc-
ordinedon 48, 2 (aus einem protot ypus mit wäre gcordenedon
hervorgegangen). Tnd ebenso erklärt sich das t- in cu(n)-
stigan, tcilligo, eiviga, -an, viniga sola, maghliga, -an, hvyliga,
•an, -an, sahgon, -osta(n), maniga, -er, -ar, -ara (und hieran
angelehntem abstractum mvntga. -e, s. § 15), in denen jedoch
nur zum teil auf altes -ig zurückgehendes suffix vorliegt
(vgl. ahd. keilac, -eg-, manae-, maneg-, Beitr. 6, 230 ff.): offen-
bar waren ja die adjectiva auf altes (in der überlieferten
periode sowol im aus- als im inlaut verwantes) -cg(-) 2) mit
') l*eber maneda und »las p. gescaphcda ist nichts sicherem zu sajjeu
(-c- regelrecht oder regelwidrig, wie in bnraret etc.? vgl. § 59): fiir mittel-
silbiges -n- aus -e- nach n der Vorsilbe gibt es keinen zuverlässigen beleg,
denn bcsignladai (s. 4j 24) kann auf anlebnung an *hesig<dad beruhen.
*) Von allem -ag und -ag- findet sich in unserer quelle keine spur,
denn in den $ 24 am schluss verzeichneten formen mit -ag- ist der vocal
nicht als altes -a- zu fassen.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
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denen auf altes -ig- in berührung gekommen, indem regelrecht
aus altem -ig geflossenes -eg mit -eg der anderen bildungen
zusammenfiel (daher auch aus den flectierten bildungen ent-
nommenes -igh, -ich nicht nur in den derivata mit altem -ig
ucrthich 8, 2, gcu aldigh, sälich 9, 11, cumftigh, cinigh sola 54, 21.
22, etc., sondern auch in gemanighfaldet, manigsluchtagan, einigh
ullum 37, 21 (neben eynega, -ar etc., s. § 24 zu -e-), weinigh
73, 27 (neben weinega, -on, s. a. a. o.), deren suffix nach ahd.
mancg-, eincg-, wcneg-, s. Beitr. 6, 230 ff., auf -eg zurückgeht,
und umgekehrt ilego, giregan, willegero, wirthegaro, etvegan 76,22,
gemuozegan, -at, amdeghe, -gan 78, 10. 14 mit ursprünglichem
-eg- statt -ig-1); in den -7<7-bildungen flizech, zidech ist -e- laut-
gesetzlich, wie in einegh, -eck Ullas, -um 22,22. 20,20. 49,1.
50,28; für bitherccghcyd, stddeghhcid, gchörsamcghcyd 20,25 ist
anlehnung an ein simplex mit -eg(h) anzunehmen; nach dem
muster dieser unter sich wechselnden -ig{-) und -eg(-) entstand
honlg, -a für honeg, -a).
Wie -ig- (und -ig) ist auch das häufige -liehe, -es, -o etc.
(und -lieh) zu beurteilen. Schwächung zu -e- weist nur sulechc
11,6. 41,20 auf (mit -e- aus unflectiertem *sulech)J woneben
suliehemo 14,25 und weliches, -e, -a 33,21 {icelich, gewelich),
irgelichan (iegelich s. § 52).
Wegen -ä- vgl. noch uvana, nithäna (s. § 21 zu -«). Langer
und (nach dem § 26 über den Umlaut von vocal in langer
mittelsilbe bemerkten) umgelauteter vocal ist anzusetzen in
middelothe. In sähgostu(n) 55,6 liegt vielleicht durch anleh-
nung an -ost (vgl. § 23) gekürzter vocal vor.
Zu den mittelvocalen, für die entwickelung zum kurzen
laut zu leugnen ist, sei bemerkt, dass hier die Möglichkeit von
entwickelung der alten Quantität zur halblangen nicht zu über-
sehen ist. Ausdrücklich betone ich deshalb, dass die in dieser
Untersuchung angewante längebezeichnung der mittelvocale mit
rücksicht auf diesen vorbehält aufzufassen ist.
Anmerkung. Das eg von lamprtythe (s. § 13) hat nicht als mittel-
vocal zu gelten, denn die entlehnnng des Wortes ans dem afranz. (man
beaehte nach Meyer -Liibke, Rom. gr. S, 170.172 und Zs. frnh. 20, 322 ff. als
Zwischenstufe zwischen lamprfda, nfranz. hmproie anzusetzendes Ittmpreide)
lässt auf betonnng vorletzter silbe schliessen.
') Für gekugega 7, 10 kann ich den prototynns des suftixes nicht ermitteln.
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VAN HELTEN
8. Die vooale der präflxe.
§ 28. Es stehen ausnahmslos be- (W- natürlich in bitherve,
-ere etc.), er-, ge- (ic-, s. § 8) und ver- (der Schreibfehler vorkuze
contemnat t58, 24 kann nicht als beleg für vor- dienen; es ist
verkieze zu lesen mit z für s, s. § 14) neben zc- in zebrcident,
zcgeet auch *• in zueyvct dispergite 20, 15 (W hat gewerfet);
wegen unt- und en-, in- s. § 1.
IV. Declination der substantiva.
L Die '/-declination.
§ 20. Als suffix für den gen. sg. m. ntr. steht neben nor-
malem -es zweimal -as durch phonetische entwickelung aus -es
(s. § 22) in thingas 44, 26, bcrgas 50, 11; daneben cuningcs durch
systemzwang. In Davithis 31,9 liegt wol durch vorangehendes i
veranlasster Schreibfehler vor.
Für den dat. sg. m. ntr. steht in der regel -e, seltener -a
oder -o:
dranche 61, 19, stänke 7, 3. 13, 6, (tische 27, 9. 12. 19, wtroche
24, 7, sciwhe 58, 10, hoyvede 42, 12. 47, 1. 70, 9, -hohe 50, 16,
lande 17,26. 18,11, ovaze 65,16, himole 11,14. 16,8. 21,12.
26,9, cusse 6,1, stuole 11,13, tityftftte 31,10.16. 62,8, bluode
27,1. 56,12. Miotfic (Memo) 'blute' 20,13. 56,12. 66.18, bede
'gebete' 29,17, halse 42,27, /cu^re 42,28, ovcrthruze 45,17,
glasfazc 73,9, etc.;
tcer/a 7,5. 22,2, <?ar/a 27,27. 28,11.14, honlga 40, 7, Mm/ja
37.6, </r«m 16, 11. 12, raada 30,2, Aoym/a 14,26, -holza 13,24,
•bouma 71,18, f/oo//ia 26,7. 28,16.17. 75,27; beachte auch ze
samcna 74,4 neben rc* samcnc 31,4. 51,21. 62,23. 63,10 und
zc samone 30, 13;
himolo 16, 12, ürczo 36, 13, hind-, hintkalvo 16, 13. 21, 7.
78.7, /vcrr/o 21,15. 29,6. 32,24. 62,27, släpho 15,19. 17,13.
19, 12 (in 70, 12 auch an släphon, dessen n wol durch den
schlussconsonanten des part. der vorläge veranlasster Schreib-
fehler ist, vgl. oben s. 438 fussnote 2), schirmo 31, 23, angripho
42,28, haveko 19,21.
Wegen -a nach g, ng und in grava, raada vgl. § 21 am
schluss') (daneben durch systemzwang ovaze, gUisfazv).
x) Da« -a nach g, ng erinnert an die im Monacensi» beobachtete vor
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
um
481
In hoyveda etc. beruht die endung auf analogiebildung nach
den formen mit phonetisch entwickeltem -«. Das -o ist die
auch in ahd. quellen begegnende alte instrumentalendung (vgl.
MSD. 2S, 94. 449); es steht meist, aber nicht ausschliesslich bei
präpositionaler Verbindung des nomens (vgl. wegen reiner dativ-
verwendung die belegstellen für hind-, hintkaho und beachte
übrigens gkoto liebosta Vom heiligen Georg 4, wo die MSI).
2 -\ 94 vorgeschlagene Änderung von -o in -e nicht geboten ist).
In himolo könnte -o auch auf -e zurückgehen (vgl. § 21 am
schluss; himok 11, 14. 10, 8. 21, 12. 20, 10, samone mit -e durch
systemzwang).
Wegen in{ne) hüs 09, 10. 15 vgl. Beitr. 12, 553. Für den
dat. diuvel 30, 2. Gl, 10 ist anschluss an den dat. *viand nicht
zu verkennen.
Im nom. acc. pl. -a (thorna, kneghta, bouma, lokka, cunhtga
etc. und hurelu 16, 3, diuvela, miirhödela, ringera mit -a durch
systemzwang für lautgesetzliches -e, vgl. §21 zu -a; in der
mischconstruction Ihme thüsent phenningo 77, 5 steht das subst,
im gen.).
Einmal -c in keysere 33, 22, entweder residuum aus der vor-
läge (vgl. keiserc in der Trierer und Bresl. hs., s. Graff 4, 527)
oder, wie die ostfrk. form, analogiebildung nach dem n. a. pl.
auf -äre (d. h. -äre) und *-ere (s. § 30; man beachte auch bruo-
tlwre nom. pl. § 39).
Im nom. acc. pl. ntr. holer und bein, waldhole, kind, krild,
scaaph 9, 5. 21, thing, uerch, word 20, 7. 48, 13. 50, 21. tciif, ge-
zhelt, legor 33, 12, Wttfae 73, 0; sowie gebode 69, 11, dicre 10, 21,
tvighwäphane 31, 2, wazzare 73, 13 und wercho 35, 21 mit aus
der starken adjectivflexion entnommenem (vgl. § 41) der endungs-
losen form angehängten suftix (toc7,24 Schreibfehler für hüser?
vgl. hilsero gen. pl.).
Im gen.pl. -o als norm (knehto, lokko, gezeldo, icerclw,wordof
bergo etc. und hüsero); ausserdem auch uira 51, 9 (neben wlvo
9,26. 45,21. 55,5), dala 13,11 mit -a für -o nach dem muster
liebe für -a statt -e nach guttural (vgl. Schlüters Untersuch. 213 ff', und
Beitr. 21, 488); nur war die einwirknng im mfrk. dialekt, wie aus ilranehe,
dische etc. hervorgeht, auf stimmhafte consonanz beschränkt (es wäre dem-
nach für den dat. sg. -a des Mon. neben altem -a auch -a ans -e anzu-
nehmen).
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•182
VAN HELTEN
des dat. pl, -an neben -on (s. unten); und spare 22, 22, golde
40,17 (bei Hoffniann falscli golda), scäphe 10, t> (neben seäpho
29, 8), entweder residua aus der vorläge (vgl. worte gen. pl. in
der Trierer hs., s. (iraff 1, 1021) oder, wie diese ostfrk. form,
analogiebildungen nach dem gen. pl. der /-Stämme mit -e und -o
(vgl. § 33).
Im dat. pl. neben bergan IG, 2. 50, 14. 00, 24. Werdum 43,
14. 20. 50, 22. 09, 26. 72, 20, wardon 48, 15. 19, venstron, hirzon.
dagan, dieran, wazzaran etc., steynlocheron 19, 20, heggeho-
leron 19,21 auch bergan 32,11, tverkan 12,15, wordan 28,24.
45,3, thoman 13, 15, seaphan 29, 37, buochan 23,2, steinlochoran
(s. § 24 am schluss), heggeholeran 19, 9 nach dem muster der
feminina mit -«n neben -on (s. § 81; bei den masculinen auch
durch anlehnung an -a des nom. acc. pl.); sonst noch werelien
28, 22, zeyehnen 24, 18, entweder residua aus der vorläge (vgl.
werken, bergen in der Trierer hs. nach Graft 1,904. 3, 184) oder,
wie diese ostfrk. formen, analogiebildungen nach dem dat. pl.
der ja- und /-stamme mit -en und -on (vgl. § 80. 33).
2. Die ja- und wa- Stämme.
§ 30. Auf altes schwanken zwischen -ari und -üri (s. Zs.
fdph. 7, 340) weisen hin die nom. acc. sg. threr-, thrdrlere (vgl.
§18), suanere 75, 23, wlnkelnere 14,9, uorare moechus 25,7.
der dat. sg. hoodere 8, 22, die nom. acc. pl. burgiraeJttero, u-agh-
tära etc. (s. unten) und die dat. pl. pigmentaren 47, 24, innren
piscinis 61, 16 (wegen des lautwei tes von ä in -fire s. § 27).
Gemäss der einwirkung von tönendem guttural auf -e
(s. § 21 am schluss) findet sich im nom. acc. sg. ntr. der ja-
stämme neben normalem -c (Ledde, [ge]köse, geknuffe, gereidc,
gernate, gesithele, gesnuthe, hilethe, middelöthe, stubbe, hinwl-
rirhe, ungeuedere) gethinga 19,23. 27, 10. 59, 10. woneben durch
systemzwang gethinge 28. 1; ausserdem mit analogiebildung
nach dem nom. acc. pl. auf a und -c (s. unten) geverda 50, 7,
anag'mna 37, 2 (anluzza nom. sg. 19, 20. 28 ist fem., vgl. (hin
anluzza (is) seöna).
Im gen. sg. gethinges mit -es durch systemzwang (vgl. § 22).
gelichnisses 12, 19, der einzige beleg für ein ntr. auf -nisse.
Im dat. sg., wie bei den a- stammen (s. § 29), neben hoo-
dere, hilethe, geteidere, stubbe, gesprüehe, bedde 14, 25. 51, 19
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
483
auch anaginna 20, 15. insighela 72, 18, maara 'rede' (mit suo-
zemo) 48, 4 ( a ist liier wegen des ä der Wurzelsilbe nicht als
die folge von phonetischer ent Wickelung- zu fassen, vgl § 18
zu ä und §21 am schluss) und beddo 21,24, ungestiuro 'un-
gestüm' 17, 18 (abstractbildung nach art der in Kluges Nomin.
stammbild. §111 erörterten ja-derivata).
Der nom. acc. pL m. der ja-stamme endet auf -a, -e oder -o:
wauhtära 44, 21 und pimeutäre 48, 7, u ntre piscinae 61, 12. 22
(wegen der erhaltung von -e vgl. das oben zu maara bemerkte),
spttne (zaene) 'brüste' 0,5. 31,27. 34, 10.22. 60, 14 und spanne
03,27. 07,5. 68,21. 75,3.8 (wegen n neben »ff vgl. Beitr. 16,
278 und 21,475')), burgwaehtvro 22,3. Das -e steht für -a
(wie im ostfrk., vgl. wahtdre, pimmtare, wiare, spanne in W)
neben en dat. pl. nach dem muster von -e nom. acc. pL neben
-en in der i-declination (oder vielleicht schon *-t für -a neben
*-w nach *-t neben *-w). Das -o entwickelte sich, wie im
nom. pl. des /-Stammes ephelo (s. § 33), neben -c nach dem
muster des gen. pl. mit neugebildetem -c (s. unten) und altem *-ö.
Im nom. acc. pl. ntr. findet sich neben normalem -e (ge-
smithe 46,22, das auch sg. sein kann, gesperre, gezimbere, ge-
fuore 54,9, wigewäphene, 1. wigge-, 31,25, wurebedde, andwarde,
1. amiwurde f responsa 44, 28, zaey k\h)izze 'zwei Zicklein' 31, 28.
60, 15 2)) auch -a durch analogiebildung nach dem nom. acc.
pl. masc. auf -c und -a: getarela 13.2, gegathema 'gemacher'
7, 7. 22, 11, maara (Um) acc. 4(5,5 (vgl. das oben zum dat. sg.
maara bemerkte).
Der gen. pl. sjmne (thinero) 7, 10, spunnc (ther) 73, 28 ent-
stand, wie in der i-declination (s. § 33; auch W hat dmero,
der spanne). Herdon pastorum 10, 1 kann nur Schreibfehler
sein für herdo.
Im dat. pl. begegnen neben pigmentüren, u ntren (s. oben
und vgl. Braunes Ahd. gr. § 11*8 anm. 6) gebergon 21,7, rehkizzon
32, 5. 60, 18.
') Die formen mit mi begegnen zu oft um als residna ans der vor-
lade gelten zu können (\Y hat immer Hputtiie, h. auch (iraffli, 344).
") Indem die diminutiva der fränkischen regel gemäss auch in unserer
limndart -ffl haben (buumehn, gebttndelin, cornclmo) ist dieses nomen nieht
alt» oi-, solidem als j«-stamm zu fassen (vgl. bei ütfrid endi 'stirn' neben
Honstigem endi, andine, -um, Braunes Ahd. gr. § 196 anm. 3). Auch W hat
kizze (s. Hoffmanns gloss. i. v. zikkiu).
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484
VAN HELTEN
Der einzige beleg für wa-stamm ist douwes 42, 1. Wegen
des wYi-stamnies seado s. § 2 zu w und § 36.
3. Die ö-deolination.
§ 31. Im nom. acc. sg. ist -a die norm (stemma, stimma,
salra, rinda, Jure-, lineberga, eera, naghteorghta etc., -genta,
sunda, minna etc.). Dreimal jedoch im nom. -o nach dem
muster der im gen. dat. sg. mit -a wechselnden -o: genätho
7, 11 k (neben genütha 6,10. 27,9. 57,21. 64,20), wambo 42,28
(neben wamba 59, 22), weitho paseuum 60, 23. Bemerkenswert
ist die häufig begegnende nominativform friundma 12,13. 13, 16.
17,9.10. 19,6.9. 28,19. 33,1. 41,27. 42,3. 52,14.17 etc. mit
altem -in + a (also nicht die aus dem acc. entlehnte form);
daneben einmal friundinna 10,11 (residuum aus der vorläge?
W hat die form auf -in, s. auch Uraff 3, 786).
Im gen. sg. -a und -o: slachta, sla{g)hta 11,18. 24,19. 35.
27.28. 36,23.24.26. 46,22. 49,24. 68,11, stimma 77,28 und
sla(g)hto, slachto 24,8. 31,2. 36,13, minno 14,17, tivo 7, lö,
martere 30, 21, Uro 31, 26.
Im dat. ebenfalls: hizza 21,15, minna 14,20, Um 33,27.
45,24 und hclpho 23,15, güvo 59,4, manungo 44,12.
Der nom. sg. mürthe ' berühmt heit' 65, 9 ist f-stamm (wegen
ahd. -idi- s. Kluge, Nomin. stammbild. § 125); vgl. auch smithe-
särethe nom. sg. oder pl. 10,23.28, halszirethc acc. sg. oder pL
11,3. Nach dem muster dieses -the entstanden weithe nom. acc,
sg. 29,23. 32,11 (neben weitho nom., s. oben) und lampreythe
'lamprete' gen. sg. 11,4. Die jö-stiimme helle nom. sg. 72,21,
wnnne nom. sg. 26, 10, gen. sg. 27, 19 (neben wunna nom. sg.
26, 15) stehen in einer linie mit ahd. brunnt, redt, ewi, minm,
wunni (vgl. Beitr. 7, 108 f. 21, 474 und Braunes Ahd. gr. § 210
anm. 2). Von den suffixlosen nomina der ö-klasse finden sich
wlse dat. sg. 11, 4 und mme stunde 78, 17 (neben sume stund
17, 20.21. 39,24. 74,22, alle Wik 66, 15 (neben mme wila 12, 26,
eine, thie wiila 41, 20. 20, 27), ersteres mit aus der flexion der
fem. ?-stämme entlehntem dativsuffix, die anderen bildungen
als pluralia mit aus gedachter declination entlehnter endung
des acc. pl. (demnach könnte auch in sume stund, vgl. thrie
stund 33, 17, und sume wila ein plur. stecken). Wegen des gen.
sg. sla(g)hte, slaehten s. § 34. Residua aus der vorläge sind
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 485
möglicherweise der neben wara 8, 8. 20, 13. 27, 24. 56, 11. 06, 17
begegnende acc. sg. wäre 56, 26 und der dat. sg. porte 61, 13
(W hat an derselben stelle wäre aus *warl? sonst wara; in
der Trierer hs. steht nach Graff 3, 350 ebenfalls der dat. sg.
porte vermutlich mit aus der /-declination entnommener endung
zu *port, das als alter suffixloser nom. sg. der tf- flexion dem
mnl. poert, s. meine Mnl. gr. s. 370, entsprechen würde). Für
rinde acc. sg. 37, 28 ist (durch voranstehendes ruode veran-
lasstes) schreibversehen zu vermuten.
Uebertritt in die schwache flexion (vgl. § 37) ist zu beob-
achten in den gen. sg. minnon 72, 27, ewon 34, 26, genäthan
57, 19, den dat. sg. cribbon 16, 10, uambon 16,9, minnon 45, 16.
73,22, palmon 63,26. 64,3, meystrinnan 8,25, erthan 11,15,
warningan 31,23, portan 61,22 und dem acc. sg. cribbon 16,9;
rouwon 'rem1 (s. § 19 zu tu), minnon 14,24. 15,1.28. 45,12.
73,6.18, eron 55,9, genäthan 20,24, -on 11,26 können gen.
sg. oder pL, ruowan 26,26, minnon 27,11, genäthan 27,18.
41.19. 55,26, -on 75,19 dat. sg. oder pl, rttowon 41,20 acc.
sg. oder pl. sein.
Der nom. acc. pl. hat -a oder mit übertritt in die schwache
flexion -on, -an: eera 27, 3 (vgl. § 41 am schluss). zeltseara 52, 23,
Hzphlanza 36, 11, leffa 35,6. 48, 11 und lepphan 30,6, hereberga
52,25, -cm 7, 25, aha 'wässer'73, 14, genätha 7, 7. 20,22. 21,10.
33,21. 52,4.10 (oder sg.?), salvon 38,17, cuninginnan 55,6,
huffehm 10, 19. 30, 16, -«» 47,22, plmenton 39, 12, Stefan 6, 16.
14.20. 15,14. 27,15.28. 45,13, selan 50, 28. 53,14. 70,24,
icundan 34, 9. Sonst noch //ine fffattd und vielleicht auch sume
stund (s. oben und vgl. Braunes Ahd. gr. § 281).
Der gen. pl. hat -on oder auch, wie in der schwachen flexion
(s. § 37), -an : salvon 7, 3. 34, 23, ptmenton 24, 9, wundon 19, 16,
kuninghinan 53, 8, sorgan 42, 17.
Der dat. pl. ebenfalls: salvon 6,6. 38,10.19, stunden 75, 4,
7>orfon67, 16, Unebergon 16,26.17,3, pfmenton 40,6, /ki/cow
36, 1, genäthan 7, 5, herebergan 9, 28, sfrfcwin 21, 28, sor^iw
44.21. fep&afl 65,23.
4. Die femlnina abstracto auf
§ 32. Diesen nomina kommt als norm für die casus des
Singulars -e zu (vgl. § 21): nom. acc. bitherve, sitoze, slcarphe,
Beitrage zur g»Mhioht« dar deutseben »pruabe. XXII. 32
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486
VAN HELTEN
gebare (wegen der erhaltung von -e in dieser form vgl. das
§ 30 zum dat. sg. maara bemerkte), woste, were, röde und ruode
(vgl. § 18), andwarde (vgl. $ 15), tiumsternisse 20, 27, herdnisse
9,22. 10,7 und marthe (s. § 31); gen. f renn e, ansiune, bröthe
' Zerbrechlichkeit' und wunne (s. § 31); dat. höhe 32.8. 38, 8.
60,21, wereldthimstre 32, 17, ansiune, grimme, were, tcoste, röde.
Für eine form mit vor der endung stehendem tönendem guttural
ist nach § 21 am schluss -a zu erwarten: memga nora. acc. sg.
29. 11. 30, \4, gen. sg. öl, 14; daneben durch systemzwang auch
menige acc. sg. 75.25 und liöghe dat. sg. 16,21 (auch durch
ein Wirkung von höhe, s. oben; wegen gh vgl. s. 449 anm.)-
Sröna nom. sg. 29, 1 (neben scöne acc. dat. sg. 13, 27. 38, 8),
thiu maara 34, 28 (vgl. das § 30 zum dat. sg. maara bemerkte)
und doupha dat. sg. 6,17. 16,11 (neben douphe dat. sg. 12,10.
16. 12. 33, 16) können auf analogiebildung nach memga beruhen
oder in einer linie stehen mit den ahd. bildungen toufa, resta
etc. neben touft, restt etc. (vgl. Braunes Ahd. gl*. § 213 anm. 2;
der übertritt dieser nomina erfolgte durch analogie nach wunna,
minna etc. nebei icunnl, minm etc.). Sicher sind als die
folgen solcher Übersiedelung zu fassen vesto 19, 15 als nom.,
wäthlieho (s. § 13) als acc. sg. (vgl. wegen -o § 31 im anfang),
reyno 15,15 und genödo 33,3 als dat. sg. (vgl. W gnöte und
note in der Stuttg. hs. nach Graff 2, 1045; beachte noch Notkers
gnöti summa, gnött individuitate, Graff a. a. o.). Schwierig Ist
die beurteilung von wasche lavacro 29,28 und waseha eben-
falls dat. sg. 29,8: in W steht waske, doch hat Otfrid 3. 20. 26
einen dat. wasgu; also im L\V wasche residuum aus der vor-
läge und waseha die der mundart des umsehreibers zukom-
mende fonii nach der ö-declination? oder wasche als mfrk.
/-stamm und waseha mit -a, wie in donj>ha?
Ein nom. acc. pl. kann vorliegen in smlthesclrethe, Itals-
zirethe (s. § 31) sowie in were 74,3, doych(e)ne 10,27. 31,7.
61, 6 (die aber auch als sg. zu fassen wären); ander the herd-
nisse 9, 8 (mit ander c. acc.) entspricht unter den corteron in
W, könnte aber doch sg. sein (wegen the acc. sg. f. s. § 49).
Scöna acc. pl. 8, 10 (als pl. zu fassen wegen des begleitenden
mino, vgl. § 48) gehört zur kategorie vesto; dasselbe gilt für
den nom. pl. halsziretha 58, 21, es sei denn dass hier wirklicher
ö-stamm vorläge. Der gen. pl. herdnissen 9, 27 hat -en (aus
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILURAM. 487
*-m für *-tno, wie -on aus *ön für *öno, vgl. § 23 und 31).
Die endung des dat. pl., die -en (aus *-w, vgl. § 23) lauten
musste, ist indirect belegt durch bluomen (s. § 37 am schluss).
5. Die masculinen und neutralen t- Stämme.
§ 33. Von langsilbigen masculinen der i-declination ist
der gen. sg. belegt durch epheles, der dat. durch sinne. Liudes,
-e können zum masc. gehören (vgl. die unten belegten linde
acc. pL, -en dat. pl.) oder zum ntr. (vgl. vore ander Uud 31. 13
und sin Uud acc. sg. 57. 13).
Von den kurzsilbigen masculinen findet sich nur wine und
zwar in den folgenden formen des sg.: nom. wine 9, 4. 11, 20. 26.
12,20. 13.22. 16,1. 39,20. 66,14. 68,12. 78,6 und wino 16,12.
17,7. 20,19. 21,6. 42,26. 44,8. 46,2. 51,9.10. 52, 4, gen. wine»,
dat. wine 43, 23. 66, 5 und wino 43, 10, winon 14, 25, acc. wine
22, 4. 23. 2 und wino 21, 25. 22, 8. 45, 11. Das -o des nom. acc.
beruht auf Übertragung aus der ti-flexion der kurzsilbigen, für
deren nom. acc. sg. nach den belegten acc. fritfie 75, 4 und sido
21, 13 die beiden endungen -o und -e anzusetzen sind {frühe,
*side neben *fritho, sido durch einwirkung von *frithest -e,
*sides, -e und nach dem muster von wine mit wines, -e). Im
dat. winon liegt durch den nom. wino veranlasster übertritt
in die schwache flexion vor; der dat. wino steht entweder
neben diesem winon wie wühemo, boumgardo neben den nor-
malen ow-bildungen (vgl. § 3 zu w), oder er hat aus der a-decli-
nation (vgl. § 29) entlehntes -o.
Das genus von mere acc. sg. 49. 24 (vgl. Braunes Ahd. gr.
§ 202 anm. 1) ist nicht zu ermitteln.
Im nom.acc.pl. steht neben -e auch -a: linde 76,6, sinne
32,18 (vgL W sinne), Schilde 31,1.22, zene 29,6, fuozc 42, 15,
stank-, arzätwurze 34, 24. 67,15. 78,22 und gangabS, 9, sprunga
16, 7 mit phonetisch entstandenem -a (s. § 21 am schluss). sowie
ephela 13. 26. 56, 13 durch analogiebildung nach ganga etc.
oder mit übertritt in die a- flexion (vgl. ahd. winta, kruoga
etc. neben winti, kruagi etc.. Braunes Ahd.gr. §216 anm. 3).
Sonst noch epMo nom. 66, 19 mit -o, wie in burgwaehtero
(s. § 30 zum nom. acc. pl.).
Für den gen. pl. begegnen -o und -e, letzteres durch ein-
wirkung des dat. pl. auf -en und nach dem muster von -o gen.
32*
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488
VAN HELTEN
pl. lieben -on dat.pl. der «-declinatioii: epfe&>36,12. 05,8.11, stanc-
würze 78, 8, iachande 48. 28. 49, 9, wurme 11, 5 (vgl. für gleich-
gebildete genitive warnte W und nach Graff 1, 1044 auch in
der Palat. und in der Stuttg. hs., iechante, epfele nach Graff
1, 594. 173 in der Trierer hs. des W, sowie die im Wiener Notker
begegnenden formen liuti, zaiuiri, tturmi, s. Heinzeis citate in
den Wiener sitzungsber. 81, 216. 386).
Für den dat. pl. gelten -en und aus der a-flexion entlehntes
-on: Huden 13,22, Schilden 31,24, fuozen 49,25.28, beken 47,8,
sprungen 16. 2 (mit -en durch systemzwang) und ephoton, -elon
14,60. 69,20.
6. Die femininen /-Stämme.
§ 34. Die langsilbigen enden im gen. dat. sg. normal auf
-e: werelde 14,23. 28, 15. 19. 45, 17. 62, 16. 64,28. 70,26, mühe-
wiste 52, 10, frumhjheide 71, 13, dure 43, 23 (daneben als ö-stamm
dura nom. acc. sg. 74, 3.4), sla(g)hte 31,25. 36,28. 76,5 (oder pl.?
s. unten zum gen. pl.; daneben sla(jg)hta, -o, slaclita, -o generis,
s. § 30; wegen eines «-Stammes slaght genus vgl. den in Willi-
ramhss. passim begegnenden gen. sg. slahte, Graff 6, 780) und
werelde 33,22. 44,18. 53,3.6. 64,28, nöde, liste, kttnste, züchte,
wiisheyde 22,17, slaßheyde 41,8, arbeide 38,27 (oder zunr ntr.
arbeid gehörend? vgl. neghein, michol arbeyd acc. sg. 23, 12.
63, 22), wände 16, 24. Daneben dugatlia gen. 39, 18. woledäda
dat. 31, 15, mit phonetischem -a für -e (s. § 21 am schluss; wok-
däde 24,20 mit -e durch systemzwang) und daJaslaghta con-
valli 56, 10 mit analogischer endung; sowie milocho dat. 47, 9
mit assimiliertem -o für -e (neben miliche, -eche 74, 8. 34, 19)
und milicho 40,9 durch compromiss aus -ocho und -iche (auch
miloche 35, 18 durch systemzwang). Wegen der suffixlosen
formen gen. wereld 25, 6. 26, 25, eristunheyd 10, 28, dat. gewtdd
28, 17, gehörsamegheyd 20, 25 vgl. Braunes Ahd. gr. § 218 anm.2
und Beitr. 15, 487.
Die belege für kurzsilbige Stämme sind stad nom. sg., ge-
seUkiphe gen. sg., stede, friundsehephe, geselskiphe dat. sg.
Der nom. acc. pl. endet auf -e (-ce) oder auf aus der ö-decli-
nation entlehntes -a: säte 25, 28. 49,27, kerese, gelüste, dugatfue
37. 1 (mit -rt? durch systemzwrang) ; dugetha 35, 27, gescriphta
33,1, wildeshuda 7.25; in dugatha 19,3. 36,23 und woladäda
27, 17 kann das -a auch phonetisch entstanden sein.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
489
Im gen. pL steht neben -o aus der masc. i'-declination ent-
lehntes -e: crafto 21.28, geize 20,5.12, kerese 53,9 und viel-
leicht (die übrigens auch als gen. sg. zu fassenden) sla(g)hte
(s. oben und vgl. das unten zu erwähnende slachten), gescriftr,
(ge)scriphte 10, 27. 32, 19. 61, 7, dugliethe 76, 16, crefte 38, 4,
arbeide 26,25 (vgl. arbeito in « nach Seemüller 52.23), wüde
35,9 (mit -e durch systemzwang, es sei denn dass hier um-
gelautetes ä vorliegt, vgl. das § 30 zum dat. sg. niaara be-
merkte); [wegen gleichgebildeter genitive vgl. geize, kebese in
W und die aus dem Wiener Notker von Heinzel, Wiener sitzungs-
ber. 81, 216. 274. 336 citierten formen arbeite, geuurhti, dieti, -c,
giscrifte, giluste, ketäti; sodann in den Altnfrk. psalmen crefte
virtutum 67, 13. 68. 7, fluodi fluctuum 64, 8.] Als die folgen
neuer analogiebildung finden sich ferner in diesem casus duga-
tham (bei Hoffmann falsch -en) 37, 2. manlger slachten 19, 3
(und diesem plur. nachgebildetes einegar slachten 43,8')): -en
für -e neben -en dat. pl. nach dem muster von -on gen. pl. zu
-on dat. pl. der ö- Stämme (einwirkung des neben -en dat. pl.
stehenden -en gen. pl. der i-stämme, s. § 32, ist wegen der sel-
tenen Verwendung solcher pluralia nicht wahrscheinlich).
Der dat. pl. hat -en oder als aus der ö-flexion entlehnte
suffixe -on, -an (vgl. § 31): sillen, wole-, tvelelusten 71,6. 63,20,
dugathcn 33, 19, dughethen 15, 16 und dugathan 19, 4. 24, 16,
brüsten 11,22, -an 11,25, daaden 17,22 und u oledadan 29, 17,
crafton 9, 9, gescriftan 45, 3.
Wegen des /-Stammes bluom vgl. § 37 am schluss.
7. Die tt-declination.
§ 35. l'eber sido, frühe s. § 33. Vilo begegnet als 'mul-
tunV im nom. acc. Sun findet sich nur im nom. sg.
Wegen luind dat. sg. 58, 22, liandc nom. pl., hande gen. pl.
59. 4 (oder gen. sg.?), handon dat. pl. beachte das § 34 über die
/-feminina erörterte.
8. Die schwache declination.
§ 36. Die masculine flexion hat -o und -on (auch im gen.
dat. sg.):
') Vjjl. mnl. ene-, eemcen-en (». 498 fasoi. meiner Mnl. gramm.) nach
ttce-, driewerven.
490
VAN HELTEN
nom. sg. navalo, mäno, tclnthravo, mennisco, namo, heyl-
brttnno;
gen. sg. lichamon, gethancon 42, 23, wtngardon;
dat. sg. gardon 35, 28. 38, 9. 51, 19, heerron;
acc. sg. (nuz)gardon 39, 11. 21. 40, 5. 56,9, wtngardon 8, 23.
75, 24. 76, 25, lichamon 35, 20;
nom. acc, pL gesellon, wtngardon, lewon, lichamon, menni-
schon, wereldfureston, thrüvo (1. thmvon) 12, 2;
gen. pl. gesellon, lettwon, pardon, menniskon 35, 20 (67, 5
mennisco, 1. -on), naghtdrophon;
dat. pl. (tcln)gardon, menniskon, wtnthmvon, revon (oder
fem.?), vortheron, gethankon (oder zu dem im acc. pl. gethanka
62,25 belegtem a- stamm; wegen des schwachen Stammes be-
achte obiges gethancon gen. sg. und die unten zu erwähnenden
nom. sg. gethanko, -a).
Wegen der dative und accusative sg. auf -o s. § 3 zu n. Die
vereinzelten dat. sg. brtinnen 36, 5, garden 36, 25 sind entweder
reste der alten flexion (wegen -cn in der schwachen adject.
declination vgl. § 42) oder residua ans der vorläge.
Statt -o und -on begegnen nicht grade selten aus der femi-
ninen flexion (s. § 37) entlehnte -a und (fast nur im sg.) -an:
nom. sg. wmgarda 56,12 (neben wmgardo 20,12. 66,17), ge-
thanka 57,4 (neben gethanko 53,6), naghtseada 'nachtschatten*
32, 2. 22 (s. g 2 zu w); gen. sg. gelouan (1. gelouran) 18, 4 (neben
gelouron 73, 19); dat. sg. (ge)louran 22, 19. 23, 15. 16. 29, 16,
willan 28,11. 56,2, scada -schatten' 14,3 (Schreibfehler für
scadan oder M-lose form, wie withetno, boumgardo, s. g 3 zu »);
lu-v.sg.gcthingan 23.13, willan 12,7. 16,7. 23.10. 26, 24. 28,8.
34,8. 43,8.13.28. 50.22. 60.9. 70.27. 72, 28 (neben willon
11,15. 15,19. 21,9. 39,13); nom.pl. nachtscadan 20.21 (s. g 2
zu w). Wie aus diesen belegen hervorgeht, zeigen einige no-
mina Vorliebe für die endungen -a, -an.
g 37. Die feminina haben -a im nom. sg., in den anderen
casus -on (vgl. g 23) und mitunter an das -a des nom. an-
gelehntes an:
nom. sg. sunna, dura, chela, binda, meila macula (oder
stark?) und apheldera, lilia, (ge)malwla 19.6. 25.16. 33,8.13.
34, 3. 7. 35, 6 mit a durch systemzwang für lautgesetzliches -e
(d. h. -9, vgl. § 21 zu -«);
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 401
gen. sg. rdon capreae 21,13. 31,28. 60,15, mirron 11,21
43,11.12 und (turtul)dRvan 12.14. 18,10. 28,20.27. 47,7, co-
ronan 27. 25. 28, 6, herzan (miner) 43, 3 (das nomen steht meist
als ntr., s. § 38);
dat. sg. reion 16. 3. 21,6. 78,7, spizzon, mirron 24,7, zungon
(wegen durch zufall nicht belegter endung -am vgl. meystrinnan
etc., § 31);
acc. sg. mirron 48, 12 und mirran 40, 6, lüian 13, 17, corotmn,
uinian;
nom. acc. pl. bluomon 17,25, ftgon, vohon, iunc-, iungfrouwon
15,10. 27,23. 50,28, -an 6,16. 26,5. 45,10. 70,21, lilion 48,
12.13, -Oft 51, 21, lukkon 'lücken' 52, 23 und lueehan 56,5,
(turtufylüvan 10,19. 47,19, zigan 9,28, thiernan 55,4;
gen.pl. thiernan 53,9;
dat. pl. reion 15, 11, tavelon 74, 5, W/cm 20, 20. 32,1. 59,23,
-cm 32, 18. 52, 5, gazzan 21, 28.
Auch hier ist Vorliebe einiger nomina für -an zu beobachten.
Auffällig sind die neben bluomon nom. pl. begegnenden
bluom nom. sg. f. 18, 27, veldbluome nom. sg., bluomen dat. und
acc. pl. 14, 16. 13, 12: aus bluom, -en dat. pl. ist auf die existenz
eines i- Stammes zu schliessen; dieser dat. bluomen und der
zugehörige nom. acc. pl. *bluome, deren endungen mit denen
der i-stämme (s. § 32) zusammenfielen, konnten die fassung des
nomens als / -stamm herbeiführen, woher die neubildung -bluome
nom. sg.; bluomen acc. pl. ist Schreibfehler oder gelegentliche
compromissbildung aus *bluome und bluomon.
§ 38. Im nom. acc. sg. ntr. steht neben -a auch -o nach
dem muster der masculina auf -ci und -o (s. § 36): herza 21,21.
37,6. 72,18 (der nom. nun herzu 41,18 kann auch fem. sein,
vgl. § 48), herzo 34, 3. 4.
Für die anderen casus gilt neben -an auch, wie in der
fem. declination, an das -a des nom. acc. sg. angelehntes -an:
gen. sg. herzan 41,23; dat. sg. Iierzon 43,27, -cm 11,24; nom.
acc.pl. ougon 41, 23. 53,1. 61,12, -an 12,14. 15,28. 20,21.27.
47,7; gen.pl. ougan 34,5; dat.pl. öron 19,27, ougan 28,23,
herzan 9, 12. 59,26. 73, 11 (das an den beiden letzteren stellen
auch dat. sg. sein kann).
Wegen herzen dat. sg. 44,12 vgl. die § 36 erwähnten
brunnen, garden.
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492
VAN HELTEN
9. Die conaonantische declination.
§ 39. Zu den raasculinen ist zu bemerken:
im nom. acc. pl. stehen bruothera 46, 25 und bruoflwre 14. 2,
letzteres mit -e für -a nach dem muster der personennamen mit
-äre und -ära (d. h. -dre, ■«>«), *-ere und *-era im nom. acc. pl.
(s. § 30 und vgl. auch heisere nom. pl., § 20); neben friund 77, 10
auch friunde 41, 2. 4. 77, 27 und viande 9, 16, vlende 52, 26
(-end- ist angesichts viande und vlandan 39, 24 wol als aus der
vorläge stammend zu fassen), deren -e auf *-i zurückgehen
muss, das durch analogiebildung nach den fem. consonant-
stämmen entstanden war: wenn einerseits die endung des nom.
acc.pl. der a- stamme auf den suffixlosen nom.acc.pl. über-
tragen wurde (vgl. ahd. frlunta, fianta neben friunt, f'tant,
north, friondas, fiondas), konnten andrerseits ebensogut die
einer bestimmten älteren periode angehörenden nom. acc. pl.
*idisi und *idis, *burgi und *burg etc. die entstehung von
*friundi, *fkmdi neben friund, *fland veranlassen (vgl. auch
das in einigen Williramhss. vorkommende viende, Seemüller
13, 11 var., und in der Trierer Iis. begegnendes friunte, Graff
3,784); sonst noch man nom.pl.;
im dat. pl. vlandan (s. oben) mit -an für -on nach der
a-flexion (s. § 29).
§ 40. Von den femininen consonantstämmen sind zu ver-
zeichnen:
muoder gen. sg., nuujath dat. sg. 13, 13 und magathe gen.
sg. 16, 9 (mit -e durch systemzwang, vgl. g 34 zum gen. dat. sg.),
bürg dat. sg. 21,28. 31,21 und wercldburga dat. sg. (wegen -a
vgl. § 21 am schluss); wegen miloeho etc. s. ebda.);
sucstera acc. pL 46,26, dochteran dat.pl. 13,17 mit -an für
-on nach der ö-flexion (s. § 31); wegen brüsten, an s. g 34.
V. Declination der adjectiva (partieipia und indefinita).
1. Die starke declination.
§ 41. Paradigma:
manc.
«Olli. Sg. —
gen. — es
dat. — emo
acc. — en
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fem. ntr. cooim. gen.
pl. —e
— (to — cs — ero
-emo -£}
— e - e
ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
403
Belege und ausnahmen:
nom. sg. m. guod liumunt 19, 5, negheyn wereldligh strepitus
28, 3, ein ravon 46, 19, slozhaß gardo 35, 25. ander einech tverch-
man 49, 1, all her, her all 50, 18. 23 (wegen al min iämer 45, 4,
al (hin gethanko s. unten zum nom. sg. fem.) und scönc teinbluoth
19,5, ethele winthrävo 11,27; in gethräde naph crater tornatilis
59,6 (W gedräter naph), das wegen ther gethräde naph 59,17
nicht für Schreibfehler zu halten ist, liegt nicht adjectiv +
Substantiv vor, sondern appositionelle composition mit gethräde
= ahd. gidräti tornatura (opus torno factum; vgl. auch ge-
dräte naph in der Einsiedler Williramhs. nach Seemüllers aus-
gäbe 113, 1 var.);
nom. sg. fem. michol nood 8, 9, nehein zala 53, 9, nehein
virtus 37,18, neghein meila ' kein flecken' 33,2, ein stad 12.2,
eyn riuehgerda 24, 6 (al furo icoledät 51, 27, al mlna scönheyd
12,22, al sin operatio 49,3 ist nicht beweisend, vgl. Grimms
Gr. 1,476); daneben auch eine binda 30,7, alle thiu genätha
64, 20, vaste müra 75, 5 (zu einem mit as. fast, ags. fmst zu
vergleichenden *vast, es sei denn dass wir es hier mit vaste,
compromissbildung aus *rast und *vesti = ahd. festi zu tun
hätten) und gethrangada zdtscara 52, 16 (W wolegedrangetiu
zdtscara) mit aus dem acc. sg. entlehnter endung (in eyn cleyna
riuehgerda 24, 6, eine röda binda 30, 7 kann -a endung des
schwachen adjectivs sein, vgl. § 42); recht häutig findet sich
letzteres suffix bei prädicativer Verwendung eines ja-stammes,
vgl. seöna 12, 13. 14. 15. 21. 19, 28. 28, 1*9. 20. 22. 24. 33, 1. 3. 52,
14. 17. 55, 16. 24 (neben seöiuv, -e 63, 19. 20), suoza 19, 28 (neben
suoze 50,18. 65,11.26), mithewära 52,15 (neben -wäre 52, 19,
unsemße 38,28, ziere 52,15. 63,19.21, bitherve 12,27, harde
73,3 und die partieipia veghtande 63,22, -fhtoiende, neigande
71,6.7 (vgl. auch über gara, goldfare oben § 2);
nom. acc. sg. ntr. azgegozzen oley 6, 13, ander ivaldholz, lind
13,25. 31,34, negheyn arbeyd, gethinga 23,12. 27,16, eynegh,
nehein ander gesmithe 26, 20. 37, 21, zldech, ald (ovaz) 64, 19.
68,12, nein deil 76,18, elphandln tvlghüs 61,1; ueynegaz bou-
meUn 38, 1 hat demnach als residuum aus der vorläge zu gelten
(auch in niwa [ovaz] steht das adj. vielleicht als Schreibfehler
für solches nhvaz)\ dem dialekt der Umschreibung gehören je-
doch an allaz, -iz in tliaz allaz 30, 24, thiz alliz 64, 12, thaz
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404
VAN HELTEN
atf->28, 10, alte thaz geverda 50,7, alteana 'immerfort' neben
al in ouer al(T) 57, 14. 78, 14 (wegen des durch anlehnung an thiz
entstandenen alte vgl. die nämliche in W passim erscheinende
form; wegen albus, -iz gegenüber üzgegozzen, ander etc. beachte
mnd. mnl. allet; wegen al in al thaz geruste 31,26, al thln
dcsidcrinm 52, 21, aü sin guod 73, 21, al thaz 60, 8 vgl. Grimms
Gr. 1,476; als adverb. steht natürlich al);
gen. sg. fem. gödero Uro 31,26, michelero dignitatis 38, 11,
manlicliero dughethe 76, 16 (oder pl.? vgl. § 34 zum gen. pl.),
wirthegaro routcon (oder pl.? vgl. § 31) mit regelrechtem -a-
(s. § 24); neben dieser unursprünglichen endung auch aus *-cra
geflossene -ere, -are (vgl. § 21 zu -a) in michelere crefte 38. 3
(oder pl.?), stadi gare du gut ha 39. 18; sodann mit synkope von
-e (vgl. die anm. zu § 48) in den Verbindungen, worin das
ad jectiv gewissermassen als compositionsteil steht, aller sla(g)hta,
slachto 46,22. 68,11. 31,2. 35,27.28. 36,23.24, sla(g)hte (oder
pl.? vgl. g 84) 31,25. 36,28. 76.5 (woneben allero sla(ß)hta, -o
24,8. 36,13.26), und manigar slaghta 24,19, einegar slachten
(vgl. § 34 zum gen. pl.), allar slaehta 49, 24 mit phonetisch bez.
analogisch entwickeltem (vgl. § 22);
im dat. sg. masc. ntr. steht neben häufigem -emo einmal
-hno in elphandlnimo (s. § 24 zu -c ); zweimal -amo in eyne-
gamo, -agamo 15, 22. 28 mit regelrechtem -a- für -e- (s. §24:
daneben cgnegenio 17, 18 durch systemzwang); wegen heilsamo
vgl. § 24 am schluss; anderen in therro ther ein ze anderen . . .
eo/uurent 36,21 ist wol als ein durch die vorläge veranlasster
dat. pl. zu fassen (die W.-hss. haben nach Seemüller 68, 9 die
der ze einanderen oder zeinen anderen . . . eohaerent; vgl. wegen
dieser offenbar dem umschreibe!* nicht geläufigen construction
Grimms Gr. 3, 83); ob allen in in allen themo binde 17,26 der
mundart der Umschreibung zukam oder residuum aus der vor-
läge ist (die Einsiedler und die Kaisersheimer hss. haben nach
Seemüller 39. 2 var. ebenfalls allen), lässt sich schwerlich ent-
scheiden, rätselhaft ist die form aber im einen wie im andern
fall (vgl. noch zi allen dinemo dionosti Otl. 18. woneben in alle
dinemo dionosti Gtl. 8, wie in alle demo lante an der parallel-
stelle vom LW 17,26 in der Hresl. und Ebersb. Iis.);
im dat. sg. fem. zuinelero züchte 29, 9. allero avulitate 54, 13,
allero thero icereble 64, 28, eynero nöde 22,23, sowie willegero
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ZUR SPRACHE DE8 LEIDENER WILLIRAM. 495
gehörsameglieyd 20, 25 mit regelwidrigem -e- (vgl. § 24); sonst
noch mit analogischem -aro (nach *-garo) gitthestvilcharo doy-
chene 21, 18 (s. § 2 zu j und s. 447 anm.) und einer genödo 33, 3
(vgl. oben zum gen. sg. f.);
im acc. sg. masc. midden dach 9,6, suozen stanc 18,28. 48,6,
allen (wercldllchen) rl(c)Muom 30, 1. 76, 21, iuiccre(n) uvelcn
willon 39, 13, necheinen fructum 36, 5, neheinen favorem 43, 20,
anderen then populum 75, 15, einen 34, 10. 12 mit -en für -an
durch anlehnung an -es, -emo und then; daneben mit alter
endung eynan disk, ruom 25,27. 26,9. 28,3, einen iegclichan
34, 10. 12 (oder schwach? vgl. § 42) und (speciell) die prädicativ
verwanten gethruhtan 69. 20, giregan 73, 25 (oder mit -gan aus
■gen? vgl. § 22); sodann auch wereldliehon ruom 54. 8, gcptmen-
tadon win 69, 19, einon 75, 23, allen wercldUclwn richduom 76,21
(oder schwach? vgl. § 42) durch entlehnung der endung aus
dem schwachen acc. sg. masc, der nach den für die schwachen
gen. und dat. sg. masc. ntr. belegten -en, -an, -on (s. § 42) mit
eben denselben suffixen anzusetzen ist (vgl. auch mtnon acc.
sg. masc. § 48);
im acc. sg. fem. sunderltcJie scöne 13, 27, suleche arbeyd
41, 20, necheyne rugam 33, 7, neheine renumerationem, fortitu-
dinem 59, 15. 60, 2, eine ecclesiam 75, 28. alle contradictionem
43, 25, ruode rinde 37, 28, unbetcollene (prädic.) 52, 19 (sume
stund, sume u ila, tvellchc halszirethe, silverine tvere können sg.
oder pl. sein, vgl. § 31 und 32) mit -e für -a durch anlehnung
an -en acc. sg. masc. für -an; daneben auch mit alter endung
thräda vart 39, 1 (weltcha genätha 33, 21 kann sg. oder pl. sein,
vgl. § 31), scöna (prädic.) 33, 14 und mit alter endung oder -a
statt -e (vgl. g 21 am schluss) eynega gcliiclion 15, 18 (doch
einege gelichon 70,25 durch systemzwang); wegen al thie we-
reld 18,4. 57, 12. 58, 12, al thie iciila 20, 27 vgl. (Trimms Gr. 1, 476;
im nom. acc. pl. masc. fem. ntr. steht neben häufigem -e
der alten masculinen endung mitunter -a, das nach anderer
consonanz als tönender guttural die ursprünglich dem fem. zu-
kommende endung repräsent iert, nach tönendem guttural zwei-
deutig ist (vgl. § 21 am schluss), und von haus aus dem ntr.
zukommendes -o; masc, bitherva kneghta 24, 27, andern 7, 5, alla
fideles 62, 28, thie alla 29, 9, gescapheda (prädic.) 56, 13. maniga
gardon 36, 14, gehugcga (prädic.) 7, 10, gcnuoga 61, 28 (doch
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496
VAN HELTEN
eineghe 74, 9. 18 durch systemzwang) und andern tvereldfureston
33,23; fem. sina bittera flgnn 18. 18, sie alla 54,8. tvcltcha ge-
nätha (? s. zum acc. sg. fem.), gcthrangada zcltscara 52, 22, hey-
liga sielan (srtari) 14, 20. 50, 28, eynega wnledäda 27, 17, maniga
vi rt utes 57,25 und ethelo revon 12, 1 (oder masc.?); ntr. andern
dnna 15, 4, 70, 14, allu tverch 49. 5. 10. 58, 14, alla thiu of'ficia
68,26, maniga incrementa 36, 16, junga (subst. verwant) 19.22,
maghtiga (prädic.) 49, 5 (doch hevige wazzare 73, 12 durch system-
zwang) und allo word, werch 20, 7. 8, starkn Ihing 43, 6, crthcsco
gefunre 54,9;
im gen. pl. neben häufigem -ern (wegen andern 8, 25. 22, 15
s. § 24 am schluss) auch auf *-era zurückgehendes -ere (s. § 21
zu -«) in bithervere knehtn 31, 25 (s. noch oben zum gen. sg. f.);
sonst noch, wie im gen. sg. f., manlger slachten (s. § 34 zum gen.
pl.) mit regelwidrigem -e- (vgl. § 22), aller sla(g)hte (oder sg.?),
allerthiekest, gernnst, frest, niudest und (mit aus diesen Verbin-
dungen entlehntem aller) aller tvirn seönesta, sälignsta(n) 45,
21. 55, 6; endlich mit elision aller egelich (1. iegellcJi) 22, 6 (neben
allern iegeheh 24, 28);
im dat. pl. neben regelwidrigem, durch anlehnung an then
hergestelltem -en und aus dem schwachen dat. pl., der auf -en
und -nn endete (s. § 42), entlehntem nn auch mitunter noch
regelrechtes -au (für *-en aus *-c», s. § 23); vgl. guldinen fuozen
49,28, anderen hedtgnn, bergnn 50, 13. 14, then allen, allen then
38,4. 77,24. 78.10, allen then hnrtis, salmn 39,5. 38,10, an-
deren dnehteran, woledädan, mennisenn, Huden 13, 16. 29, 17.
50, 15. 13,22, silrennen süh n 26, 14. allen halrnn 36, 1, gunrlen
werehnn, trerkan 50,22. 12,15 und drugnn funzen 49,25, thrädon
terrnribns 39, 14, allan then enntinentibus 33, 5, ruodon ephelon
69.20, andernn heyltgnn 23,6, mamgon thüsendan 46,3. armon
vnrthernn 16, 17, allan crafton 9,9, allnn, guodnn iverehnn 43,20.
69, 26, smethel'tchon (1. smeeh- oder smeieh-, s. § 19 zu ei) blandi-
mentis 39, 15, sowie enzuischan (s. § 23), iuwan gnndun bilethen
14.21, reynan gethankon 12,16, allan, gundan werkon 12,17.
43,14 und maghtigan (adv.) 25,3, mamgshahtagan virtutibus
13, 8, einegan uteri tis 75, 18, deren -an übrigens zweideutig ist
(vgl. § 22; beachte noch manigen zeyehnen 24, 13 mit -en durch
systemzwang); wegen eedrinin tavelon vgl. § 24 zu -e-.
Starke declination nach pronomen oder bestimmtem artikel
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
407
begegnet nicht selten: tlwr fließende brttnno 38, 25, ther uphgende
morginröd 55, 15, ther gesende most 70, 7, ther suoze stank 65, IG
(in diesem casus, wie sich aus den belegen ergibt, nur bei ja-
stammen); thiu muoderliche suoze 34, 25, thise wereldlichc thim-
sternisse 20,27; thaz eriste vers 23,21, thaz brinnende fiever
37,23; thes guodes stanches 38,18; thirro wer eidlichere thim-
stemisse 21,5, thero cuninglichero purpurae 03,7; thie thormna
coronan 28, 7; thie lüttere, scöna sinne 32, 18; thie guode, ethele
siehn 27. 15. 53, 13, thie bittera figon 18, 24, thie meysto eera
27,3 (acc. pl.).
Anmerkung. Dem mitdalh, bei allo omnino in W entspricht im
LW mit ulla 33, 1. Die endung erinnert an -« in fan weije rechte der
Amfrk. psalraen 2. 12 und an arvithi mina der Anfrk. psalmen 65, 14: sie
dürfte die auf ablativisches *-et zurückgehende instrumentalendung seiu,
die sich anderswo als dat. widerfindet (vgl. Beitr. 21, 47$).')
2. Die schwache flexion.
§ 42. Zu beachten ist die gelegentliche Verwendung von
schwacher declination nach indefinita und possessiva.
Im nom. sg. masc. stimmt das schwache adj. mit dem
schwachen subst. (vgl. § 36): ther uvelo (Hoffmann las falsch
uvele) uorare 25, 17, ther diuresto, ivurzedo win 65,9.26. 69,27
und ther thln weint ga gardo 36, 13.
Ebenso im nom. sg. fem. und im nom. acc. sg. ntr. (vgl.
§ 37.38): scoona 17,10.12. 41,28. 42,5, scCmcsta 9,26. 45,21.
50, 10, erweleda 55, 1, ein'tga 54, 28, thurghnahtiga 54, 22, winstra,
zesewa, ich eina 71, 15, thiu heizza summ 8,9, eyn cleyna gerda
und eine röda binda (? vgl. § 41 zum nom. sg. fem.), thiu gethran-
yoda, thiu wole gescapheda zeltscara 55,17. 56,4; aller golde
(s. § 29 zum gen. pl.) bezzesta 46, 17, thaz branda silver 26, 16,
thaz ewhja erveguod 53, 26, hiro lerenda corpus 38, 12, thaz
heresta gesithele 27, 3. Wegen thaz eino 23, 20 vgl. § 38.
In den anderen casus unterscheidet sich die adjectivische
declination von der substantivischen nach zweierlei richtung
hin: erstens hat sie die alte endung -en nicht nur nicht zurück-
') Das rein instrumentale -a im LW verbietet die in der Tijdschrift voor
nederl. lett. 15, 170 vorgeschlagene annähme eines amfrk. aus der substan-
tivischen declination entlehnten dativsnffixes ; ob das oben citierte imna
residuum aus der amfrk. vorläge ist, wird mithin fraglich.
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498
VAN HELTKN
oder etwa gänzlich verdrängt (vgl. § 36. 38), sondern sogar
nach dem muster der im gen. dat. sg. masc. ntr. neben einander
geltenden -en, -on (und -an) in andere casus neben -on (und -an)
eingeführt (nur für den dat. sg. fem. und gen. sg. fem., acc. sg.
masc. ist die existenz von -en nicht bez. nicht sicher bezeugt);
zweitens findet sich im plur. des adjectivs neben -on, -en nur
äusserst selten und zwar grade beim masc. durch anlehnung ent-
wickeltes -an (im gegensatz zu -on und einmaligem -an im
masc, -on und -an im fem. ntr. pl. des Substantivs, s. § 37. 38),
d.h. es ist hier -an, das den gedachten ausnahmen mit -an
zufolge ehemals dem fem. und ntr. pl. zukam (vgl. das a.a.O.
über die entstehnng von -an im masc. erörterte) und auch im
masc. pl. mehr oder weniger üblich gewesen sein muss, durch
-on und -en zurückgedrängt. Belege:
gen. sg. masc. ntr. thes ruoden ephcles 30, 17, thes reinen
gebcdes 32,28, sines eigenen ovezes 39,22; thes heiligan gelou-
\v)an 18, 4, thes ewtgan lires 26, 10. 29, 24. 30, 15. 59, 16, thes
ewtgan rihduomes 73, 25, aInes heiligan bluodes 28, 13 mit
doppeldeutigem -an (vgl. § 22); alles erthisean guodes 73,24;
thes ertheseon gethancon 42, 22 ;
gen. sg. fem. thero mieholen genäthon 11, 26 (oder pl.? vgl.
§ 31); thero heiligan sciiphtc 32, 19 (oder pl.? vgl. § 34) mit
doppeldeutiger endung; therm quekkestan mirron 43, 12; therro
aUlon eteon 34,26;
dat. sg. masc. ntr. themo suozen slapho 19, 12, themo besi-
galaden brunnen 36, 4, themo nitven oraze 65, 16, themo alden
tnwc65, 17; themo eteigan dootha 28, 17 mit zweideutigem suffix;
themo seönan genidere 18,5; eynegamo (-agamo), eheinemo ive-
reldlkhon strepitu 15.22. 16,1. 71,1;
dat. sg. fem. (oder ntr.?) ze aller irlvo saligosta (1. -an) 55,6;
acc. sg. masc. nunon eygeneti tvlngardon 8. 23 (oder stark?);
einen ieqeliehan und allen teereldliehon riehduom (oder stark?
vgl. 8 41);
acc. sg. fem. thie höghen maiestatem 16,23 mit -en durch
systemzwang; thitt erestan eeelesiam 8. 28; geliiehon 15, 18.
70.26, the quekkeston mirron 48,12;
nom. acc. pl. thie scöuen, suozen ephela 13,26, thie döden
Uchamon 38, 14, thie ruoden ephelo (1. -ela) 66, 19, thie diuren
stancwurze 78, 22, thie rechte (1. -en) 7, 16, thie suozen figon
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 400
mm
18,25, thie diuren salvon 38, 17, thie meyston thrüio (1. -on)
12,2, /Ate rödon ephäa 56,13, (Ate yeknisedon (vgl. § 17), s/e-
c/kw Uchamon 38,20, /Ate yeordinedon wurzbedde 48,5, /Ate
hzzelon rolwn 20, 10, /Ate r^>Aott /h/om 18, 24, Ate yethran-
gadon hereberya 52,25, heyltyon 16,3, mrne liereston 41,3.4,
Ate släphloson 67,28, (Zöcfon 40,23, Ate ettfOfl 48,8;
gen. pl. therro quekken wazzaro 38, 22, thero höhen bvryo
33, 1 1, {her suozen ephelo 65, 8 (s. auch oben zum gen. sg. fem.),
hohlen 40,11. 51,25; thero scorenon scäpho 20,8, arwow 27, 5;
und wereldwiisan 22. 16, /Acro bithervestan (kneyhto) 24, 18;
dat. pl. /Aen hohen beryon 78, 20, /Am zuintltn rehkizzon
32,5, /Äe« rinnenden beken 47, 8, /Am bezzesten, heresten, guoden
salvon 6, 6. 38, 10. 10, /Am scorenen SCäphan 20, 27, criattnen
8,18, Ao/r/en 26,0. 47,12. 73,17; /Am ms/i>m (Leuns/-) pt>
mentarm 47,23 mit -Oft aus -en (s. § 22); /Am weyneyon, mi-
chelon dieron 16,20.21, /Am luzzeron wazzeron 47,20, /Am
richon wazzeron 47, 10, /Am zuinclon rehkizzon 60, 18, /Am
einon 72, 6, /Am süligon 50, 20, /Am arwow 60, 8, heyltyon
20. 28. 23, 6. 50, 13. 78, 10; beachte auch das neben normalem
samo (s. § 44) adverbial verwante samon similiter 13, 23. 26.
14, 15.
8. Die comparativo und Superlative.
§ 43. Die comparative haben z. t. schwache, z. t. starke
flexion: bezzera nom. sg. fem. (prädic.) 6, 7, niudsamerc nom. sg.
ntr. (prädic.) 45, 27 und natürlich thiu üzera rinda 68, 6 (wegen
-ere und -era s. § 21 zu -«);
manlyara mennischon . . . exercitia 35, 1. 3 mit -ya- für -«/e-
(s. § 24; das beide male verwante -a ist angesichts der son-
stigen Seltenheit von -a, vgl. § 41, als die phonetisch aus -c
entwickelte endung zu fassen, vgl. § 21 am schluss), scöner,
suozer, holder, bezzer nom. sg. fem. (prädic.) 7, 12. 11,23. 34,24.
63, 1, diurer nom. sg. ntr. (prädic.) 26, 10. 37, 20, bezzere nom.
nom. pl. m. (prädic.) 6,4. 34, 22, nurre nom. pl. f. (prädic.) 20, 12;
in ze meeron ruotvan 26,26 ist das adj. zweideutig, weil
das subst. pl. oder sg. sein kann.
Der Superlativ erscheint in unserem denkmal meist mit
voranstehendem pron. (bestimmtem artikel) oder in substanti-
vischer Verwendung (s. die belege § 42). Wegen starker flexion
beachte man jedoch thaz himo aller niudest is 20,28 und
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VAN HELTEN
thaz minnist 73, 23 (vgl. § 41 am schluss; auch W hat hier
dez minnist).
Neben -est(-\ -ist{-) (s. $ 26) einmal -ost- in säliqosta(n) 55. 6
(s. § 27).
4. Die adjoctiv-adverbia.
§ 44. Regel ist -o: ilego, hardo, opheno, thrädo, grrno,
veno, Itghto, geieisso, wärltelio, samfto etc.; beachte auch samo
similiter, tarn quam, wie die gleiche bei Will, und in Notkers
Schriften erscheinende form, mit -o nach dem muster der ad-
verbia für *sama = der in den anderen ahd. quellen verwanten
schwachen accusativbildung. Selten erscheint -e oder -a: Wide
6, 13. 13, 5, suozc 12, 7, inllehe 28, 21 >) und gare.ua 70, 6, un-
bequäma 58,2; die endungen beruhen auf anlehnung an die
neben fiUtlichor 11, 16, verror 27,20 (vgl. § 23) stehenden com-
parativformen flizhcher 41, 22, thrädcr 39, 11, verrar 35, 1
\-e und -a zu -er, -ar, wie -o zu -or). Wegen bez s. § 15. Neben
normalem vilo begegnendes vile 14,11 stammt aus der vorläge
(W hat hier vile sowie lx, 16 --^ 128, 1 bei Seem.) oder es ist ein-
heimische, dem rätselhaften Williramschen und Notkerschen vile
(s. Graff 3, 473) entsprechende bildung.
1 )ie comparative auf -er (s. ausser den obigen belegen noch
leyiher 0,17, stth er 19, 2) und -ar entstanden durch anlehnung
an die ad jecti vischen comparative mit -er- und ar- (-ar also
zunächst in bildungen mit vor der endung stehendem tönenden
guttural, vgl. §43. dann auch in verrar u. ä.). Eine merk-
würdige bildung begegnet im adv. samftero 49, 1, d. h. samfter
(für *samffor) mit angehängtem adverbialem -o.
Von den superlativadverbien steht neben erist, -est {ze,
zaller erist), thiekest auch gernost (vgl. § 26 und 23).
VI. Die Zahlwörter.
§ 45. Zu den numeralia ist nur zu bemerken, dass die
in der starken adjectivdeclination übliche Verwendung der
masculinen form im nom. acc. pl. fem. ntr. (s. § 41) auch hier
zu beobachten Ist: tkrie stunt (s. § 31 zum nom. acc. pl.), beithe
') W hat hier inhichenes (vgl. mhd. iviachtns, Lexer i. v.), sowie auch
xxix, 2. xxx, IS, wo »1er umschreiber aus der ostfrk. und der mfrk. form eine
ini»ehbildiuig ihluhenes fabrieierte.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
501
nom. pl. fem. 48, 28, nom. pl. ntr. 50, 2 und in adverbialer Ver-
wendung passim (nur einmal mit alter endung beitho 01,9).
Für 'zwei' jedoch zu€ne masc, zucy ntr. Wegen hin beithon
CO, 12 vgl. § 41 zum dat. pl. Thrin 33, 10 mit -n wie sonst
im dat. pl. Sonst noch thasrndon dat. pl.
VII. Pronomina.
1. Ungeschlechtige pronomina.
§ 46. Neben mm 7,8. 19,15. 21,18.19. 44,16, Min 17, 14
steht im gen. thmes 9,25 in der Verbindung mit sclves (vgl.
noch § 51). Der gen. plur. ist belegt durch unser 27, 5.
Neben normalen mir, wir, ir begegnen in tonloser Stellung
entwickelte »wer 7,6. 8.16. 11,27. 12,22. 14,6. 17,7. 19,26.
20, 7. 19. 21, 5. 10, 11. 22, 6. 8. 28. 23, 8. wer 7. 2. 8, er 27, 23. 28
(2 m.). 28,1.2.4 (kein ther neben thir wol durch zufall).
Charakteristisch ist die Verwendung von accusativtbrmen
im dat. und umgekehrt: neben normalem dat. mir (mer)y thir
im gleichen casus auch mich 15,2. 70, 12, thich 7,9. 11,6. 12,22.
69,9.16.19; neben normalem acc. mi(c)h im selben casus auch
mir 7,27. 69,16 (2 m.), wer 7,6. 14,6 (kein thir im acc); sich
auch in dat. 35,2. 52,1. 65,12; uns dat. 7,9. 16,15. 17,1.
20,10. 27,9. 45,26. 48,17 etc. und acc. 7,9. 27,6; iu dat.
39, 13. 46. 5. 52, 6. 7. 9, nicht im acc; unsi(c)h acc. 16, 17.
45,22.27. 49,10. 57,25 und dat. 66,20; iui(c)h und iu(c)h
(vgl. § 2 zu tv) acc. 28, 3. 9. 70, 21 und 15, 10. 14. 41, 12. 45, 10.
13. 52,8. 70,21.24, doch dat. 28,2 und 15,16. 51,3.4. Mit
rücksicht auf die vereinzelt auch in ahd. quellen zu beobach-
tende Verwechslung von uns, in und ttnsih, iuwih (s. Braunes
Ahd. gr. § 282 anm. 5) ist für unsere mfrk. mundart als ent-
wickelungsgang anzusetzen: zunächst Verwirrung im plur.,
dann im sg. Der acc. thi 10, 17 ist entweder Schreibfehler
oder er rührt von der band des nfrk. abschreiben? des tiber-
lieferten codex her (vgl. s. 455 zu luzzeron etc.).
2. Geschlechtiges pronomen der 3. person.
§ 47. Es findet sich neben «-stamm kein sondern aus-
nahmslos //»-stamm (demnach sind gehiezzer 6, 1 und Wistes 57, 4
auf ychiez her und wista [-e] hes zurückzuführen).
Beitrüge cur geschichte der deutschen spräche. XXII. 33
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VAN HELTEN
Im nom. sg. her (nie hir), gm (das einmalige sie 65, 14
residmim aus der vorläge? W hat sie, wie übrigens noch an
einer anderen stelle, s. Hoffm. lxv 11 und Seem. 123,3; doch
vgl. man im L\V thie nom. sg. f. § 49); im nom. acc. hiz
(nie hes);
im gen. sg. in possessiver function hiro fem. (für das masc.
ntr. wird das possessiv verwant), in anderer function sin masc.
21.2(1 22.1.44,15. 76,27, *hes ntr. in Wistes (s. oben);
im dat. sg. himo passim (reflex. verwant 25, 20. 27. 28, 12.
55, 27), hiro 39, 13. 17 (reflex. 55, 25. 65, 15);
im acc. sg. Am 27,26. 44,15. 45,23. 51,11. 61,18.20 (him
14.12 ist wol Schreibfehler), him 14,10, hine 21,26.27. 22,2.
23, 5. 8. 9. 42, 14. 46, 6. 52, 7 und 22,21 (wo Hoffmann unrichtig
hino las) (wegen -a und -e s. § 21 zu -a), hino 22, 8. 9 (2 m.).
18.26 mit -o nach himo; sie 23,24, se (mit vorangehendem sie)
23. 28 (vgl. Braunes Ahd. gr. § 283 anm. 2c);
im nom. acc. pl. masc. sie passim, se (mit vorangehendem
sie) 8,18. 65,4. 75,11 (vgl. Braune a. a. o.), hm. sie (nom.) 20,
12.15, ntr. siu 49,5 und sie 35,22.23. 50,22 (siu masc. 25,1
ist natürlich Schreibfehler);
im gen. pl. in possessiver function hiro passim, hero 54, 8,
zweimal him (s. § 48) und hires 27, 1 in der Verbindung mit
selves (vgl. Ihmes sei res § 51); in partitiver function hiro 9,21.
30.5. 39, 27. 40, 13, hiro allero 10, 6. hero 25, 2, hero allero 40,26
und mit elision her allero 24, 28 (wegen des e von her[o] s. § 16);
im dat. pl. him 8,1. 10.8. 23,14. 32,20. 36,18 (reflex.
13, 18. 27,17.21), hin 17,5. 26,16. 60,12. 61,15 (reflex. 48,6.
70. 6. 74, 23) und aus dem sg. entlehntes himo 30, 23 (reflex.
27. 15. 47,5).
3. Possessivpronomina.
§ 48. Die declination der possessiva stimmt im allgemeinen
zur starken flexion (s. §41). Also im nom. sg. f. min etc. als
norm, mina 12,22; im gen. sg. fem. mtnero etc. als norm, mt-
nere, t Innere 6, 7. 8, 12; im dat. sg. sg. masc. ntr. mtnemo etc.
(14, 25 steht minon, 42. 14 minen als Schreibfehler oder aus
dem plur. entlehnte form; vgl. then dat. sg. ntr. § 49 und be-
achte himo dat. pl. § 47). einmal mit synkope unsrrmo; im dat.
sg. fem. mtnero etc. als norm; im acc. sg. masc. minen, -an etc.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 503
passim, »»»oh 8,23. 11,15. 14,25. 15.10. 76,25; im acc. sg.
fem. mine etc. als norm, sina 42,26, iuwera 15,18. 70,26 (mit
■a durch systemzwang, vgl. § 21 -a) und vielleicht mma min na,
emi 20, 7. 28,26 (wo auch ein plur. vorliegen könnte; thm in
thin anluzza [wegen des subst. vgl. § 30] ist durch din ant-
luzze oder anttutte der vorläge veranlasster lapsus des um-
schreibers);
im nom. acc. pl. comm. gen. mine etc. als norm, sina masc.
16,7, fem. 18.17, ntr. 15,4. 44,2, Mino fem. 8, 10, mino, thmo
ntr. 20, 7. 8. 60, 18 (das einmalige thin in thin ougan 12, 14 ist
wahrscheinlich residuum aus der vorläge); im gen. pl. rninero
etc. als norm, zweimal mit synkope thinro, sinro 21, 18. 22,22,
sonst noch thinere 7, 3. 10. 9,8; im dat. pl. minen etc. als norm,
minon 19,27, minan etc. 7,4. 11, 21.25. 12,17. 17,22. 20,28.
28, 23. 24. 29, 10. 39, 23. 24. 43, 4.
Speciell zu beachten sind die nicht grade selten begeg-
nenden, aus der proklitisehen Verbindung des possessivums mit
folgendem Substantiv zu erklärenden synkopierten formen miner
etc. im gen. sg. fem. 8,15. 43,3.22. 72,27 {siner minnon 15,
1.28 kann sg. oder pl. sein), dat. sg. fem. 35,8. 44,12. 73,22
(wegen unser s. unten), gen. pl. siner 15, 1. 28 (?) und unser
(s. unten); vgl. § 41 zum gen. dat. sg. fem. und gen. pl.1).
Die pluralpossessiva begegnen in verkürzter und nicht
verkürzter form: unser nom. sg. masc. 17,5. 20,12, nom. sg. f.
51,16 (vgl. § 41), iuweres 28,5, unsermo 18,11, iuweren acc.
sg. m. 28, 8 (auch innere, 1. -en, 39, 12), iuwera acc. sg. f. (s. oben),
unseren dat.pl. 67,16; und unse nom. sg. f. 73,27. 74,5, nom.
sg. ntr. 12, 25 mit -e für -a durch anlehnung an -es, -tro, -emo
etc., Unsen dat. pl. 13,4, iuwan dat. pl. 14,21; der dat. sg. f.
und gen. pl. unser 16, 24. 13, 2 ist zweideutig (entweder die
verkürzte form mit -er oder auf ^unserer zurückgehend, vgl.
§ 24 am schluss).
Bemerkenswert sind die für hiro, hero eintretenden hiron,
-an, heran vor im dat. pl. stehendem subst.: hiron ivordan,
yescriftan 45, 3, hiron dopmatibus, auditoribus, successoribus
20,16. 30,22. 35,10. 61,8. 67,17, hiran herzan 9, 11, hiran
') Ich führe die .synkopierte endung auf -ere (aus *-era) zurück, weil
man bei annähme der entxtehung von -er aus -ero auch für m'memo etc.
vereinzelt auftretendes mumn etc. erwarten müsste.
33*
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VAN HELTEN
huoehan 23, 2, heran lande (L -on) 8, 19; hiron = äi>o f durch
einwirkung des folgenden Substantivs angehängtem n; hiran
{heran) für hiron (*heron) nach dem muster von /«im«« etc.
neben minon. Durch anlehnung an solches hiran entstand
der gen. pl. hira für hiro: müh hira doctrina 13,5, in hira
conventicula 9, 18.
4. Demonstrativpronomina.
§ 49. Die normale flexion des demonstrative (das auch
als relativ fungiert, und zwar ohne oder mit angelehnter Par-
tikel ther, tha oder thie •), vgl. § 3) ist :
mntc. fem. ntr.
nom. 8g. ther thiu ihaz pl. thie ra. f. thiu ntr.
gen. thes thero thes thero
dat. themo thero themo then
acc. then thie thaz wie im nom.
Im nom. sg. masc. mitunter auch the 25,28. 26,7. 53,19.
54, 10. 06, 17 (vgl. Braunes Ahd. gr. § 287 anm. la);
im nom. sg. fem. auch aus dem acc. entlehntes thie 8, 28.
18,27. 19,19. 21,10.11. 63,1.2 (vgl. auch relatives the 7.7.
vermutlich verschrieben für thie);
im nom. acc. sg. ntr. auch that (s. § 11);
im gen. sg. fem. auch ther in ther minnon 73, 6 (oder pl.?)
und therro 34,26. 43,12. 55,19 mit aus thirro (§50) ent-
lehntem rr;
im dat. sg. ntr. einmal then 16, 11 (Schreibfehler oder aus
dem pl. entlehnte form? vgl. minon, -en als dat. sg. §48);
im dat. sg. fem. einige male therro 22,21. 53,6. 55,22.
57, 13, wie im gen. sg. f.;
im acc. sg. masc. einmal thene 25, 10 (Schreibfehler oder
aus der nfrk. feder, vgl. § 11 zu luzzeron etc., geflossene form?);
im acc. sg. fem. neben thie nicht selten the 7, 7. 9, 1. 10,27
(oder pl.? vgl. doychne § 32). 12,5. 16,9. 21,10. 25.9. 44.26.
48,12 (vgl. Beitr. 21, 459 f.) und ein paar male aus dem nom.
eingedrungenes thiu 8,27. 11,23;
im nom. acc. pl. masc. fem. mitunter the 7,24. 9, 10. 11.
10, 6. 9. 10. 13, 17. 20, 11 und 6, 15. 16. 9, 8. 10, 27 (oder an
den beiden letzteren stellen acc. sg., vgl. § 32 am schluss ;
») thie = as. aonfrk. thia (s. Beitr. 21, 458 anm. 2).
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505
schluss; thiu nom. pl. f. 47, 19 ist wol Schreibfehler?); im ntr.
neben thiu auch thie 16,21. 18,25. 19,18. 31,22.23. 47,22.
50, 2. 52, 26. 57, 7. 75, 16 und the 48, 7 (the, nicht ihe, wegen
then im dat. pl.!); tliei n. pl. ntr. 44,28 entspricht ahd. dei
(wenn es nicht am ende nur schreib verseilen ist für thie);
im gen. pL pl. auch therc 9,27 (aus proklitischem *thera,
dem eigentlichen gen. sg. f., vgl. § 21 zu -a), ther 65, 8. 73, 6
(? s. oben zum gen. sg. f.). 15 (für therc, wie miner für mlnere,
s. §48) und therro 13,11. 19,1. 25.18. 36,21. 37,1. 38,22.
42,1.8. 60,7.8 74,25 mit rr, wie in therro gen. dat. sg.;
für den dat. pl. ist then (nicht then) anzusetzen mit rück-
sicht auf die einwirkung dieser pronominalform auf die endung
des dat. pl. starker adjectivischer flexion (vgl. § 41); die kürze
entstand, wie in the nom. acc. pl., durch anschluss an die nu-
merisch überwiegenden flexionsformen mit the-.
Wegen thiu instr. s. die belege in § 15 und 16 sowie 9, 13.
27, 12. 45, 8; wegen the und te vor comparativ vgl. § 13 und
Beitr. 16, 294 f.
§ 50. Von dem pron. 'dieser sind zu belegen: nom.sg.f. thisa
55, 14 (mit aus altem *-sö des acc. herrührendem -so?), thisc20,27
(mit -<', wie in unse nom. sg. f., s. §48), thiusa 24,5. 71,5
(vgl. wegen mfrk. bildungen mit im die in Wcinholds Mhd. gr.
§ 485—487 gesammelten mfrk. belege dtise, eme, -en etc. sowie
düsir, -e Höfer 2, 36, düsem, -en Günther 3, 346); nom. acc. sg.
ntr. thiz 15,26. 64.12; thirro gen. sg. f. 25,6. 45,17. 62,15
und dat. sg. f. 21,4. 32,17. 33,2. 44,17. 53,3 (thiro 26,25
Schreibfehler oder mit /• nach dem muster von thero? vgl. therro
§ 49; wegen thirro vgl. § 24 am schluss).
§ 51. ipse' hat schwache und starke flexion; erstere
im nom. sg. her, ther sponsus, ich (m.) seho 6, 3. 16, 17. 24. 17,
18.22. 50,11. 65,27. 76,19. 77,1, siu, ich (f.) sclra 15,13.22.
23, 28. 75, 2, im acc. sg. fem. mich schon 14, 15, im acc. pl.
sich schon 53,17; letztere im nom. sg. siu seif 70,23. 71,2
(vgl. § 41), im gen. fem. thines sches (s. § 46), im dat. sg. hhno,
mir selvemo 25, 20. 27. 28, 12. 55, 27. 56, 16, hiro schero 55, 25.
65, 15, im gen. pl. hircs sehes (s. § 47); nicht zu unterscheiden
sind die beiden flexionen im acc, sg. him (1. hin), mich, sicfi
selron masc. 14, 12. 21, 3. 73, 2, im dat. pl. him, hin, uns, iuich,
iueh sch on 27, 17. 21. 74, 23. 7, 9. 28, 2. 15, 16 und himo schon
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VAN HELTEN
27, 15. 47,5 (vgl. § 47). Als adv. = 'sogar, selbst' stehen seif
66, 24. 67, 9. 72, 28 und selro 55, 10.
Mit artikel und in der bedeutung 'idem' finden sich: ther
selvo numerus, naph 53, 24. 59, 17, thiu selva genälha, wuntui
6, 10. 26, 14. 57,21, (hat selva vcrs 23, 19, then selvan wisduom
11,8, thie selvon auditores 64,14, the selvo (1. sei von) doctores
10, 28, then selvon wordon 48, 15 und thero sclvero zungon,
siede 35, 15. 71, 28.
5. Interrogativa und indefinita.
§ 52. Belegt sind:
von den interrogativa wer, waz; welich nom. sg. m. f., welle
(s. § 7), weliches, -e und wellcha acc. sg. oder pl. fem. 33,21
(s. § 41);
von den indefinita so wer (so) 26, 24. 73, 10, .so wen so
73, 23, so wether so 35, 21 [keine form mit s für so, vgl. auch
so wie so, so war (so), so wanne (so)\; gittheswihharo (1. wc-
hrh- und s. § 2 zu/); newether acc. sg. ntr. 39,27, newetheretno
39, 17 (niwether conj. 13, 19. 16,4); nehein, nein,neghein, nechein,
chein (s. § 9); getvelwh 9,21 (gewelic, s. § 7); iegelich, -an 22,6.
24, 28. 25, 15. 18. 34, 10. 12 (wegen der flexion vorstehender Pro-
nomina s. § 41); iet, nict, ieht, nieht, nie(u)wehtcs (s. oben s. 439):
(n)ieman mit nienmnne dat.
VIII. Conjugation.
1. Floxionsformon der starken verba und der schwachen
1. klasse.
§ 53. Betreffs der präteritalbildung und der Stammsilben
starker verba ist folgendes zu verzeichnen:
die praeterita wurthan 24, 17. 36, 16. 43, 11, qväthan 72, 8?
(ge)sahon 48, 3. 55, 5, besähe 56, 10 (woneben säghet 22, 4 als
dem dialekt der Umschreibung zukommende oder aus der feder
des nfrk. copisten, vgl. § 11 zu luzzeron etc., geflossene form?),
die partieipia worthan 11,27. 12,10. 33,15. 56,11. 70,10. ge-
schehan 57,19. 71,25;
he (j unda, begonda, -an (kein began, begunnon);
vuehtan (s. § 56) und worphe opt. 45,7 mit unursprünglichem
o für ü\
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507
neben gescagh 28, 14, geschthan begegnendes geskiedc 28, 11,
das mit rücksicht auf das fehlen von südmfrk. belegen für
letztere form (s. Zs. fdph. 4, 258 ff. 10,322) auf die rechnung
des nfrk. abschreibers zu stellen ist;
stuont 43, 9;
gieng 49, 25. 56, 9 neben untfingast 33, 16, anaringed 14, 22;
die participia ohne präfix fundan, runden, worthan, drun-
chan 68. 7, cuman (nie mit ge-), scorenon, -en 29. 7. 27 (sonst
ge- in gescriven, geboran, gebundan, geschehan etc.);
die singularia praes. ind. gebiudest 78, 9, verzinsest 77, 9,
driuphet 48,15 [rerthrüzed, -et piget 14,23. 15,1. 25,14 gehört
nicht zu einem verbum mit ie, denn es wäre für den fall nacli
dem § 19 über im erörterten rerthriuzed, -et zu erwarten (be-
achte auch in W, das den aus in contrahierten laut meist
durch wt, selten durch u darstellt, bedruz(z)et, -it an allen drei
parallelstellen); es ist hier demnach an eine dialektische form
mit a nach art von sufan etc. zu denken]; (jje)siho, -es(t), -et,
geligon, liget, -ad, gtvo(n), -et, liset, qnitJw, -es, qmt(t) (s. § 13),
zimet, bired 13. 26 (13, 12 steht berid als verschreibung für
bircd), doch spreehet 17, 7, -nemet 24, 20; gebristet, ivirtho, -est,
-et 64,26. 78,12. 27,4. 31,10. 37,13. 54,17. 63,11. 64,10.21.
27. 67. 8. 69, 22 neben u erthe 1. sg. praes. ind. (vgl. § 55), -cs(t)
33, 9. 69, 12, -ed, -et 14, 28. 25, 12. 27, 18. 39, 26, lesket 37, 23
(woneben liesket 37, 22 als durch die existenz von doppelformen
mit i und e veranlasste verschreibung); ferit 24, 5. 57, 12. 71, 5,
verid 16,2. 17,27, doch dragat (vgl. § 55), wasset 29,21;
mit durch ausgleichung entwickeltem i anasihen inf. 57, 18
(neben häufigen sehan, -ene, -e, -ent), ergivon inf. 69, 14, givon
3. pl. praes. opt. 60, 8, iegivan und geghon p. p. 25, 12. 37, 13
(neben gievene 47, 12), geschihe 53, 11 (neben geschehen), wirthe
63, 13, -ent 38, 20. 64, 28. 65, 3 (neben häufigen werthan, -e, -es,
-en etc.), gebristent 38, 1 ;
die imperative sg. fliugh 78,6 und zicti (s. § 19 zu ib); sih
33,21 (s. § 10), m<w(s) 21,6. 78,6, vernim 11,2 und helph 7,4;
der nach renn tu gebildete imper. pl. ecrnimet 8, 14 neben rer-
nemet 46,5, ezzet, uerthet.
§ 54. Hinsichtlich der präteritalbildung der schwachen
verba ist zu achten:
auf die einfache consonanz in under-, umbeleged imper. 14,
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VAN HELTEN
15. 1*5, gehuget 2. pl. praes. opt. 28, 4 und dem inf. gehugan
11, 25, erhugon 00, 1 (vgl. Braunes Ahd. gr. § 358 anm. 1) und
die gedehnte consonanz in umbcstecchet 'umsteckt' 59,23 (vgl
die nämliche form in W und kestecchit fixa bei Xotk.);
auf die bindevocallosen praeterita und partieipia saldon,
zaldon, sazta, -on (woneben gesezzet). rahta 'reckte', erquihto
71, 19 (neben erquekkeda 49, 23 mit e durch anlehnung an
quek, quekken etc.), gethruhtan 'gedrückt' 69,20 und gctcrovht
(s. § 3), bräghta, gebrächta, furebräht (vgl. § 18). suoghta; wegen
verwardet s. g 15;
auf die praeterita Üeda, -e, skeyncdc, erquekkeda, zuifhda,
hungredo, heileda, scredan, gcirredan 17, 17, geherdcdet 14. 23.
erougade (vgl. § 19 zu ou und 24) neben u tsda 10, 10. 14, 9. er-,
verlösda 57, 13. 71, 2(5. 10. 14. 30, 10, wünda, hrda, thursta, <ja-
roda, riht ich, muhelda und dereda 72,(5, gefrvuueda, geburede 8. 15;
auf die partieipia geleredes, wurzedo 09, 27, besigaladen (vgl.
§ 24) und gethrät 48, 28 neben branda ustum 2(5. 10, gebreydet,
geheded 38, 20, bezcych{e)net , gcßlttet (vgl. § 18), giiniskct, ver-
looset 28, 1(5, etc., gcslightat etc. (s. § 57) und geleget, genezzet,
gequelct, gef renn et, crwelet, ungecrid (s. g 57). erweleda, gekni-
sedon (vgl. § 17; W hat ausser geknisiton auch gekniaton zu
husten collidere und gechnusten, s. Seem. 70, 10); vgl. noch ge-
breyde 'geflochten' mit übertritt des durch die entwiekelung
von eg zu ei (s. § 8) aus dem rahmen der ablautenden verba
herausgetretenen und formell mit breydun 'breit machen' zu-
sammengefallenen verbums (vgl. as. brugdun, ags. breydan,
brwgd, brogden);
auf die präfixlosen partieipia wurzedo, branda (s. oben).
§ 55. Wegen der endungen der präsensformen nach starker
flexion und schwacher l.klasse ist zu bemerken:
in der 1. sg. ind. stehen mit -on und seltnerem -o Uthon,
bvsueron, biddon 45,13, bchaldon, geuinnon, untfähun 35,23,
gegriphon, släphon, geligon, givon 29, 4. 07, 4 und giro 1 1. 6,
quitho, siho, wirtho, laazo, (fure)bringon 22, 10. (55, 25, henyon,
skeinon, gelouvon, theneon 14,0 und bekenno 7,3, meino 21.20.
04,23. 75,24. 70,3, leisto 52,3, scundich 7,5 mit synkope; sonst
noch ausnahmsweise bidden 9, 0. 13, rüden 52, 7, loosen 10. 17
(vielleicht auch für iverthe 32,21 zu lesendes iverthen, doch
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM
500
könnte hier natürlich auch Schreibfehler für teertho vorliegen)
mit durch das -e- der anderen indicativfonnen beeinflusster
endung und yestiiyan 04,22, rolbrinyan 10,18 mit nach tönen-
dem guttural für -e- eingetretenem -a- (vgl. § 22) oder mit -a-
für -o- durch einwirkung von regelrechtem -a- für -e- der
anderen indicativbildungen '). sowie sfankan 00.18 mit ana-
logischer endung;
in der 2. sg. ind. begegnen mit -est und seltnerem -es ye-
bindest, verkiusest, teirthest, teerthest (s. § 53), ruoehest, bau est
etc. und sihes 17. 3. /«Uro (mit regelwidrigem -e-, vgl. § 22),
quithes (s. § IM), (itph)ri(e)lites, teerthes 00, 12. bekrnnes, bluors
13,20 (mit enklise {ge)Mhestu etc.); sodann noch meitwst \S?\ 21
(neben nuynest 28. 25), behaldost 52. 10. yeuinnostu 58. 21
(s. unten zur 3. sg.; belege für -«4*] nach tönendem guttural,
vgl. § 22. fehlen); in 70,27 stellt der endungsvocal in
einer linie mit dem von ferit (s. zur 3. sg.);
in der 3. sg. ind. erscheint -cd, H als norm; ad, -at nach
tönendem guttural und ä -f nicht -mehrfacher eonsonanz (vgl.
§22) bieten draytd 10,24. 31.8.0. 01.3.4, liyad, «t 11.25.
45,10. uoyat 'fügt' 31, 4. Insat 25. 3. 50.5 (daneben //>/(// W
20, 142). 70.8. thuinget $0,13, sprinyet 10,3, «r////r/ 17, 1. 5
durch systemzwang); -<7 behauptet sich (wie -/a7, s. oben) nach
liquida mit vorangehendem umlaut in ferit, verid 21.5. 57, 12.
71.5. 10,2. 17.27 (man beachte daneben bind, & § 54, ttrei
35,20, leeret 28.28, bttret 20,21; frm7 08.20.25.28 hat -et
durch systemzwang; vgl. noch £ 57 zum p. prt.): in yewinnot
72, 14 sowie in den oben erwähnten bildungen auf -»st. in ye-
Winnont 3. pl. 53, 15. 54, 5. 77, 14, behaldont 53. 22, brinnont
') Per umstand, dass mit ausnahm«' von irrrthtin'i) im LW -f» an
eben denselben stellen steht, wo auch W -en für oder -« hat. berech-
tiut nicht zur annahmt; von im LW aus der vorlade stehen gebliebenem
-en, denn die endung -an (die in W nicht begegnet) weist, mag sie auf
die eine oder die andere der erwähnten weisen entstanden sein, auf in dem
dialekt der Umschreibung vorhandene beeinfiussung des suftixes der t. sg.
durch die eudnngen der anderen iiriisensformen hin. I>ie hervorgehobene
Übereinstimmung kann also nur auf eine in den gedachten lesarten mit
W übereinstimmende vorläge sehlicssen hissen, deren -en in der Umschrei-
bung nicht geändert wurde, weil eben auch die mundart des transscriptors
solche endung kannte.
■) Wo Hoffmaun falsch lüjhit las.
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510
VAN HEIZTEN
73,11, scundont 49,10, wirchont 53,26, anuzuccJiont 9,15, in
den Optativen bringos 69,16, givon 60,8, behaldon 47,14 und
in den inf. er givon 69, 14, erhugon 60, 1 (woneben gehugan 11,25)
liegt gelegentlicher, durch das nebeneinander der -o(-) und
suffixe bei den schwachen verba 2. und 3. klasse (vgl. § 58)
veranlasster übertritt in die o-flexion vor (mit dem -e- der
starken und 1, schwachen conjugation war ja das -e- aus ~e~
der 3. schwachen klasse, vgl. § 59, zusammengefallen; vgl.
wegen einer gleichen ostfrk. entwiekelung die in W erschei-
nenden formen behaltont, guinnont Hoffm. xxxvm 12. 13. lxxvh
14, Seem. 70, 4. 5. 146, 8, werdon opt. H. XLVU 17,^ bringon inf.
H. xi 9, seroton, geserot H. xuv 23. xlv 4, Seem." 84, 2. 11, ge-
zierot H. xi 1, Seem. 17, 6);
in der 1. pl. ind. stehen mit aus dem opt. entlehntem suffix
(vgl. Braunes Ahd. gr. § 307 anm. 5 und beachte unten zum opt.)
louphm, vreuwen, suochen, heizewir (vgl. § 3 zu n);
in der 2. pl. ind. mit -cd, -et vinded, -et, drephet; wegen
bechennedir s. § 12;
in der 3. pl. ind. mit -ent und ziemlich seltenem, nach dem
muster der anderen für die 3. pl. geltenden endungen entstan-
denem -en werthent, drephent, sizzent, cument, wassent 12, 3,
suochen t, heftent, bluoyent, forghtent etc. und werthen 8,4. 10,8.
37, 9, wassen 12, 1, schtnen 36, 28; sonst noch mit nach tönendem
guttural entwickeltem -a- (vgl. § 22) ougant ostendunt 61, 15
(doch sftgent 21,. 15, bringent 32, 18 mit -e- durch systemzwang),
mit nach dem muster von -an(t) und -en{t) der 3. schwachen
flexion (s. § 59) verwantem -an(t) ambechtant 61, 5 (neben am-
bechtent 10, 26. 31, 6), hbdan 10, 6 und mit -ont (s. oben zur 3.sg.)
behaldont, brinnont, scundont, wirchont (woneben behaldent 38,
12. 13, brinnet, -ent 30, 11. 73, 7, -ende 37, 23, tvircJiet 49, 1 und
die unten zu verzeichnenden optativformen mit -c etc.);
im opt. erscheinen mit eigentlich dem sg. und der 2. pl.
zukommendem -t(-) beginne, lese, geschihe, slaaphe 23,27 (mit
regelwidrigem -e, vgl. § 21 am schluss), sizze, irre, bluoye 13, 18.
56, 27. 66, 17, cusse etc., bluoes 13, 20, werthes, heizes, beskiermes,
ivesewir, helphewir (s. § 3 zu n), tviecfien 20, 22, sezzen 74, 24,
besuochen 39, 24, buren 20, 14, läsen 9, 10, huoden 76, 27, 'den
67, 19, werthen 47, 17, vuogen (-e- regelwidrig, vgl. § 22) und
behaldent 74, 28, werthent 67, 3, gesterchent (-nt durch wechsel-
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLTRAM. 511
Wirkung aus der 3. pl. ind.), irred, -et 15,21. 71, 1. vindet 45, 11,
kündet 45,12.15, we(c)hed, -et 15,12. 70,23, genüget 28,4 (-e-
rcgelwidrig) und mit eigentlich der 1. und 3. pl. zukommendem
-a(-) (vgl. § 23) nemo, 64,20, curna 26,21 (neben cume, kume
6, 3. 9, 14. 20, 21. 26, 26. 39, 20), wertha 9, 20 (neben trerthe, -es
passim und uirthe 63, 13), skella 19, 27. meynas 20, 6, volleenman
67, 14, teecchan 23, 28, bekeran 66, 25; beachte auch bringet 14,7.
23,16. 66, l, -an 34,21, mit zweideutigem endungsvocal; sonst
noch mit -o- (s. oben zur 3. sg.) bringos, givon, hehaldon (wo-
neben bringa, -an, behaldes 33, 15, -ent, 8. oben, sowie wirche
76, 19, wirehewir 74, 2); wegen bluoie (?) 3. pL vgl. oben s. 442
fussnote;
für den schwachen imperat. sg. steht neben normalem -e
(wende, künde, lle etc.) phonetisches bez. analogisches -a in
soyga ostende 19,26, yehuga 19,18. 72,24 (doch genüge 19,14.16)
und skeyna 21, 19 (neben skeyne 21, 17);
für den imperat. pl. -et, -ed, wie für die 2. pl. ind., in ver-
nimet, ezzet, stiured, umbe-, underleged (letzteres mit nach dem
§ 22 zu xegen etc. als phonetischer ausnähme bemerkten zu
beurteilendem -e-) etc.; ftlhent capite 20, 10 ist residuum aus
der vorläge;
im Inf. begegnen mit normalem -an ettman, teerthan, sehan,
vergezzan, bekennan, snoehan, zuiflan, setitvan etc., mit seltnerem,
aus der schwachen flexion stammendem en teerthen 16, 16.
46,13, sprechen 17, 4, enquethen 20, 24, rinden 52,7, zihen 19,22
(vgl. § 19 zu io), anasihen 57, 18, suochen 21, 27, geirren 13, 19;
sonst noch ergivon, erhugon (s. oben zur 3. sg.; jedoch bringan
11,9. 36,6); im gerund, drinchenes, rernemene, drinchene, mer-
chene, verfallene, sehenehene etc. (vgl. wegen -e- § 26 und be-
achte das ausnahmslose, nach nebentoniger silbe vereinfachte n,
wozu Braunes Ahd. gr. § 93 anm. 1 zu vergleichen ist); in stt-
geno 64, 19 steht -o als Schreibfehler oder es bezeichnet eine
nach dem muster der dative auf -o und -e (s. § 29) für -e ein-
getretene endung (wegen -ge- vgl. § 26);
im part. stinchende, fliezende, oeerfluoiende etc. (vgl. § 26),
woneben neigande 71, 7 mit -a- aus -e- (s. a.a.O.) und reghtande
63,22 mit analogischem -«-; in bowunde 'wohnend' 77,24 ist u
(durch folgendes künde veranlasster) Schreibfehler.
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512
VAN HELTEN
§ 50. Betreffs der endungen der starken präterital-
bildungen ist zu achten:
auf antfingast 33, 10 mit -(ist aus *-c.v/ (§22), d.h. -e
( ahd. -/) mit angehängtem st;
auf die in der 3. pl. ind. neben (ye)sähon 48. 3. 55, 5, tväron
18, 10. 40. 16. 44, 28. 40, 5. 0. 05, 5 (vgl. § 22 zu -w) begegnen-
den wOran 26, 1, quäthan 72, 8, gehiezan 57, 22, skinan 19. 3,
ruchtan 8, 16 (s. auch 8, 18, wo ruchta als Schreibfehler steht),
fundan 22, 2. 44,21, tcurthan 24, 17. 36,16.43.11, r/rtra» 44, 27,
naman 44,23, sluogan 44, 22 und netten 45, 6, drircn 8,10 mit
aus dem schwachen praet. (vgl. § 57. 50) entlehnten suffixen ;
für die 1. und 2. pl. gibt es keine belege;
auf die optativformen ivorphe 45, 7, besähe 56, 10. wäre
2, 7. 17. 51, 2. 58, 6, anaringed 14,22, sw/äc< (s. § 53; wegen de*
an dieser belegstelle verwanten dubitativen Optativs vgl. an
der parallelstelle in \V stehendes sähet) mit -e, -et aus -i, ~U
(s. § 23; -vinged, säghet mit -et durch systemzwang, vgl. § 22)
und wära 3. sg. 20, 7. 52, 6. 50, 11, wäran 56, 13. 73, 15. 74, 10,
tvära 3. pl. (s. § 3 zu n) mit in folge des Zusammenfalls der
-e, -es, -et im praet. und praes. opt. aus letzterem tenipus (vgl.
§ 55) entlehntem -a(-) [der annähme von -«(-) für -c(-) nach a
(vgl. § 18. 21. 23) widersetzt sich der opt. geirredan, § 57];
auf die neben normalen cuman, benoman, besuichan, ge-
th itagan, gefaran etc., flect, seorenen, -an, unhewollene ( vgl. Beitr.
6, 230 ff.), vorkommenden partieipia gelassen 18,5. 36,25.27,
nzgegozzen 0, 13, runden 30, 23 (doch fundan 22, 1. 40, 23), ge-
scriven 27,10, gebunden 02,23. 03,11, gehalden 77,0 mit aus
den flectierten formen entnommenem suffix und gegiron 37, 13
(doch iegiean 25,12), gehaldon 00,13. 08,12. 77,7.11 (doch
gehalden, s. ob.), gewunnon 75, 20 mit -an für -en in anschluss
an die Vorliebe dieser verba (s. § 55 zur 3. sg. ind.) für -ost,
•ot, -ont statt -est, -et, ent (auch \V hat neben sonstigen -an
gehalton 120,2 bei Seem., wie in behaltont, s. §55 a.a.O.).
§ 57. In beziig auf die endungen der schwachen präte-
ritalbildungen ist folgendes zu bemerken:
nach dem § 21 über -e (-.') aus -a erörterten wären für
die 1. und 3. sg. praet. ind. bei ungestörter eiitwickelung thursta
etc. und Üede etc. zu erwarten; doch finden sich als die nor-
malen formen nicht nur thursta, uisda, sazta etc. (s. § 54),
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
513
sondern auch im anschluss an die letzteren bildungen und an
•oda, -eda der 2. und 3. klasse erquekkeda, zutfleda etc. (s. a.a.O.);
nur ausnahmsweise begegnen ilede 24, 12 (neben iteda 71,11),
sleynede 17,22; ebenfalls selten sind die durch anlehnung an
den plur. entstandenen erquihto 71,10, hungredo 49,21; mit
synkope steht rihtich 43, 14;
für die 3. pl. ind. stehen sazton, saldon, zaldon und mit
anlehnung an -da auch begondan und seredan (vgl. noch § 59);
für die 1. und 2. pl. fehlen die belege;
wegen der Optative erougade 44, 18, geburedc 8, 15, geher-
dedet 14,23, geirredan 17, 17 vgl. § 56 zum opt. prt.;
die participia enden in der regel auf -et, -ed, -cd- (s. die
belege § 54); das -t- von ungcerid 13, 11 vergleicht sich dem
-t- der 2. 3. sg. praes. ind. ferit, verid (s. § 55; beachte daneben
die partt. gezired, -et 11,1. 27,26. 59,2, gezieret 33,10. 64,11
und geseret 34,2.4. 45,4; in erweht liegt systemzwang vor
und anlehnung an flectiertes erurleda); in erfloigat 'erschreckt'
57, 5, besigelad, -at und bcsigaladen steht lautgesetzliches -a-
für -e- (s. § 24 und 22); ebenfalls in genaachat (vgl. § 9. 18
und 22); geslightat 27, 11 hat analogisches -«-; wegen gelegei
ist der imper. -leged (s. § 55) zu vergleichen.
2. Die schwachen verba 2. und 3. klasse.
§ 58. Charakteristisch für den LW sowie für W ist die
Vermischung der beiden klassen nicht nur bei den verben. die
sich in ahd. denkmälern mit zweifacher flexion finden (vgl.
Braunes Ahd.gr. § 369 anm. 1, Kelle in den Wiener sitzungs-
ber. 109, 260 f. Zs. f da. 30, 298. 319), sondern auch bei denen,
die sonst (mit ausnähme von W) mit constantem -ö- (-o) oder
-e- (-<) begegnen (die Übereinstimmung zwischen LW und W
ist selbstredend mit rücksieht auf die normale Unabhängigkeit
der Umschreibung nicht auf entlehnung aus der vorläge zurück-
zuführen')). Ich gebe hier ein Verzeichnis der im LW er-
scheinenden verben und zwar nach den folgenden kategorien
geordnet: 1. derjenigen die beiderlei flexion haben, indem sie
auch anderswo mit -ö- (-o) und -e- (-e) vorkommen (wegen der
l) Die Beitr. 13, 46!s ff. fiir mhd. (alem.) machen etc. : muchon vor-
geschlagene deutung wäre hier unbedingt abzuweisen, weil die -e{-) des
LW keine sind (vgl. § 21 - 27).
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514
VAN HELTEN
ahd. belege s. ausser der oben erwähnten literatur Graff i. voce;
wegen der belege in W s. Hoffmanns und Seemüllers glossare),
2. derer welche der alten e- oder der alten ö-conjugation mehr
oder weniger untreu geworden sind und auch in W die näm-
liche anomalie aufweisen (wegen der belege für W s. die
glossare), 3. derer die im LW, nicht aber in W Vermischung
zeigen, 4. derer für die aus LW keine Übersiedlung in die
andere klasse zu belegen ist, 5. derjenigen deren ursprüng-
liche flexion nicht zu ermitteln ist, indem sie nur aus LW
und W oder nur aus LW zu belegen sind.
1. (ge)bilethen inf. 41,8, an 70,4, -ene 63,8. 74,24, -et 55.2,
-ent 32, 12, -eden 36, 19 und ot 56, 2, -ont 60, 25 frägan inf.
22, 27, fnlgudot 52, 5 und -odot, -odet (oder -edot? s. § 59 zum
praet.) 46,4. 51,1, radfrägoda 44,25 — geran inf. 53,2 und
gero 1. sg. ind. 39, 2, -ost 40, 9, -oda 14, 3 — leydoda 14, 8,
geleidos praes. opt. 69, 17 und leydede 7, 0 — manonivir 74, 23
und maneda 23, 24 - gescapho 33, 22, geschaphot 31, 23 und
gescaphe opt. 66, 19, geschaphat 19, 19. 77, 2, gescaphedu p. p.
56,4 — wison ich 40,10 und -est 67,6, -et 51,25, -eda 43,3,
getetset 40,10 — roUewurdon Lsg. 69,14 und wurdet 16.25,
-eda 46, 16.
2. Von alten ^-Verben hures 45, 23, -est 21, 19. 66,20. 77,20,
Itueestu 34,2.4, Itaret, -cd 3. sg. 8,9. 9,22. 10,7. 12,6. 13,26.
14, 12. 65, 16 et€., -et 2. pl. ind. 15, 16. 28, 1. 41,5, -ent 3. pl.
11,7. 27,2. 33,6. 50,22. 53,1. 60,9. 28. 69,21, -ant 30, 14, an
7, 24. 11, 16. 32, 16, -e 1. 3. sg. opt. 76, 20. 26. 77, 1. 2, -es 2. sg.
opt. 68,27, gehaee imper. 10,5, haru imper. 21,13, huren inf.
60,4.61,20. (be)hurun 10,2. 23,14. 46,26. 64,7 und haron
1. sg. 19, 19. 22, 1. 23, 5. 33, 17. 35, 28. 40, 16. 17. 19. 41, 19.
43,26. 52,6 etc., haro Lsg. 8,1. 10,10. 13,3. 20,26. 31,23.
42, 17.22, -ost 21, 10, wir huron praes. 51, 12, hehuroti inf. 9,1
— lerendu 38, 12 und ich leron ti, 11 — Hielten t 20, 7, tttisliichc
opt. 28,24 und mslteho opt. 10,21 — suge imper. 9, 4, u im-
per. 45,26. 51,10.14, gesagan inf. 22,7.28, rersagut p.p. 27,
10. 19 und sagon 1. sg. praes. 46, 6. 51, 4, sagode 51, 3, -on 48, 8,
gesugot 52,6 — gestarchent 'stark werden' 20,15 und gestar-
code 19,1 — H'ucJtot 3. sg. praes. 41, 18;
von alten ö-verben geurgerent 'zu schänden machen' 20, 11
— heydet 7, 8 — gebloomed 'geblümt' 12,25 — gerestenont
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ZUR SPRACHE DES LEIDKNER WILLIRAM
515
37.6 und -ent 13,5 — vor-, fortheroda 21,25. 44,17 und vor-
theret 59,18, -ent 59. 14 — guodlichant 30, 21 — gvcrüriget
49,22 — (ge)Iocchet 35,1. 65,12. 67,18 und hrcheda 48,3 —
machon ich 8,5, -ost 6,11, -o/ 18,27. 67,28. 68,7. 73,24.25,
machonwir 11, 5, machodir 39, 19 (vgl. § 12), machont 63, 3.
68, 2. 10, -05/ opt. 9, 12, -on opt. 66, 27, -oda 25, 26, gemachot
31,17. 75,27. 78,1 und ma(c)che iiuper. 66,23. 72,17 — ge-
nieret 3. sg. 61,27 - mtimott Lsg. 69,24, -o 9,9, -ot 7, 16,
-on 3. pl. ind. 6, 15. 7, 16, -ont 27, 20, -o opt, 7, 18 und -e opt.
14,12.14, an inf. 14,10 — niedet 'freut' 14,4 ophencuir
opt. 74,13, o(/>)^ewenM0, 27. 31,7. 61,6, geophenet 64, 28 —
gephlanzot 8,28 und -cf 39,5, phlanzene 77,21 — geordmedon
p. p. 48,5 — gethrangoda p. p. 4 gedrängte' 55, 17 und gethran-
gada, -on 52,16.23.25 — salrado praet. 11,19 (oder Schreib-
fehler für salroda?) — skeythe im per. 10, 4. 78, 14, underskeithet
49,12 (vgl. ahd. sceidön ; das starke verbum erscheint im p.p.
geschcythan 23, 6) — scouwest 56, 15 — besuürmt gravant
42,12 — heuaret 25,16, -ent 25,6. 62,15, -et p.p. 36,1, -an
inf. 47, 21 — tveithenot 60, 20 und -et 20, 20. 32, 7. 52, 5, -e»f
9,21. 32,1, -en ind. 32,17, -cä, -e opt. 9,5. 51,20, -p imper.
9, 28 — geuertheda dignatus est 46, 25 — tvunderon 1. sg.
57,9, -ost 56, 14. 57, 19. 71, 21, -ot 55,9 und wunderan inf.
55,20 (geantfristet ist vermutlich residuum aus der vorläge,
vgl. § 12).
3. (ge)lemes 10, 8, -ent 18, 12, -«« opt. 47, 15. 19 und ler-
nostu 69, 10, lernon 64, 12, -ont 61, 20 (in 18, 12 und an den
drei letzteren belegstellen steht das verbum in der bedeutung
'docere') — (jemamghfaidrt 45, 5 — gesamenet 54,25 — wunot
4 wohnt' 11,22.
4. Von den verben mit -ö(-) und -e(-) im ahd. arnodan
meriti sunt 27,2 — eeront 55,11 — geeinoda 43,13, geeinot
64,18 — geeiachedon 48,4 — clagon Lsg. 7,27, -ost 58,2 —
yekithot 24, 14. 33, 17 (W geladot und -et) — lot enden (1. -eden)
'lobten1 55,7 — siechon Lsg. 14,18. 45,12 — scames 10,20,
-ent 30,20 — gesmithot 58,21 — Maw«m inf. 11,16 — ich
vollevolgon 69, 9;
von alten e7-verben erhereda 42, 28 — verfaulet 26, 13 —
gruonent 47, 3 — hangcnt 31, 1, -r» 3. pl. ind. 31, 21 — muo-
ihest 63,23, -eda 49,21 — quekkent 'lebendig werden' 35,27
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516
VAN IIEI/TEN
— sneret,-entM, 12. 61.13.22. 62.24 — thobt 70, 7. -cn/39.4,
-eda 41, 22, -c<7o 34, 8. -c</c/j 39, 3, -an inf. 15.27 — erwarmed
44, 12;
von alten ö-verben yebathot 47, 0 (W gebadet) — yemaazot
10.11 — gethingon Lsg. 68,16. 69,15.
5. hörechent 77,19.27 — geblachmälad 'mit eingegrabener
arbeit verziert' 11,5 (W -öf) — gennwzegan vacare inf. 78, 11.
-at p. p, 42, 17 (\V -et, doeb nach Graff 2,909 in der Stnttg. hs.
-ot) — gepimentadon p. p. 69, 19 — röwes 2. sg. opt. 9,5. ruowan
inf. 20, 1, geruowet p. p. 12, 26;
gearzÜtant 68, 9 - dropkeden stillabant 43, 10 — geyrädet
'gestuft' 26,4 — iugethet - verjüngt' 6, 16 — cundeghe Lsg. opt.
78,10, gan inf. 78, 14 — loghent1 brennen' 73,7 (W bat /<>/*<■-
*ent, wie 43. 10 troff ezoton - dropkeden LW; dies verleiht
grund zur Vermutung, dass der mundart der Umschreibung
verba auf -ezen aus -atjan nicht geläufig waren; in drofezent
48. 12 wäre demnach -ezent als residuum aus der vorläge zu
fassen) — nistclcs, -ot 19,7.20 — slafto 'erschlaffe' Lsg. ind.
39.27 — gewared 'währt' 20,27.
Zum schluss sei noch bemerkt, dass zur kategorie 2 auch
gehören können gereinont 61, 18 und -ent 21,21, gcreynet 12, 10.
gewäilet 'gekleidet' 6, 17; doch ist im hinblick auf ahd. gereinen
und -ff», wäitan und wütön die möglichkeit mittelfränkischer
wechselformen nach 1. und 2. klasse nicht zu übersehen.
§ 59. Bezüglich der endungen der sehwachen 2. und
3. klasse sei noch folgendes bemerkt:
antenasalisches a- aus -e- für -e- (s. § 23) findet sich als
regel im inf. (gebiletkan, frägan, genin, (be)karan, gesagan.
nrinnan, bewaran, wunderan, tkanean, tholan. genmozegan,
ruowan, eundegan). woneben als ausnähme durch anlehnung
entstandenes -en (bilethen, haven); in der 3. pL praes. ind. sind
hingegen durch einwirkung von -e- der anderen formen dieses
tempus regelwidriges -ent bez. -en die norm geworden und
steht nur ausnahmsweise -ant oder -an (luiran(t), guodlhkant,
gearzdtant); im p. praes. und gerund, stehen nach g 27 -ende,
-ene (ferenda, bib tkene, phlanzene; wegen -n- vgl. 55 zum
ger.); wegen der formen für den opt. praes. beachte minne,
weitkene, -es, röwes (s. § 18 zu uo), opkrnewtr, doch lernan 3. pl.
und vgl. § 55 zum opt. praes.;
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLI RAM. 517
-a(-) nach tönendem guttural und nach a oder ä der Vor-
silbe (s. § 27. 21 am schluss und 23) steht im prt fragadot,
in den p. prt. gesc{h)aphat, versagat, gemuozegat, gebhichmälud,
ytthrangadu, -on und den impp. hava, saga; analogisch ent-
wickeltes -a- bieten salvado (? s. § 58 zu* 2.) und gepimcntadon
(sonst im p. prt -cd, -et, -ed-); in folge von sj-stemzwang be-
gegnen aber die p. bewaret, gecruciget, die impp. gehave, sage,
cundeghe, der int', hären, die formen des praes. ind. hares(t),
scames, huret, -ed, bewaret, gewured, harent, bcuarent, besuärent,
Moment, )t<mgen(t), loghent, sowie des opt. gescaphe, hare, -es;
wegen gescapheda, maneda vgl. g 27;
aus -a- für -e- in geschlossener ultima und in der paen-
ultima geht kürze des stammvocals -e- an denselben stellen
hervor, was auch zur ansetzung von -on (-o), -os{f), -ot, -ont,
-od, -ot, -oda berechtigt (die Kürzung entstand in vorletzter
silbe durch analogie. vgl. § 27);
für die 1. sg. praes. ind. tritt neben -on kein -an (aus *-en)
oder durch anlehnung entstandenes -en auf; mitunter statt -on
erscheinendes -o (gero, gescapho, haro, shifto) entstand nach
dem muster des -o neben -on in der starken und 1. schwachen
conjugation (s. § 55);
die 2. sg. praes. ind. hat neben -est, -ost auch -es in hur es,
gelernes, scames, nisteles; im opt. steht neben geleidos, hares
etc. auch machost;
wegen -n für -nt der 3. pl. ind. hangen, weythenen, haran,
minnon vgl. § 55;
neben normalen rüdfrügodu, geroda, leydoda, erbereda (Hoff-
mann hat falsches -de) etc. stehen mit analogisch gebildetem
-de sagode, gestarcode (vgl. § 57 und s. noch § 00); wegen tho-
ledo und salvado (?) vgl. erquihto, hungredo (g 57); wegen neben
sayodon, gceischedon, frägodot, -adot vorkommender arnodun,
biletheden, lore(n)den, tholeden, dropheden, frugodet (oder ver-
schrieben für frügedot?) vgl. begondun, seredan, moghtan, woldun
(g 57. 00 und 03) und scoldcn (g 60; die häufigkeit von eden
weist auf bevorzugung von -en, d.h. -m, nach -e- hin);
Optative prt. sind nicht belegt mit ausnähme von hadde
44, 2 mit assimilierung des v (neben hafda ind. 14, 5 mit er-
Bei träge cur getchiobU der deutschen spräche. XXII. 34
518
VAN HELTEN
haltung der durch f dargestellten tönenden Spirans durch be-
einflussung der präsensbildungen).
Das präfix des p. prt. fehlt in iugethct G. IG (vgl. § 57).
3. UnrogolmiiBsigo verba.
§ 60. Von den flexionsformen der practeritopraesentia sind
hervorzuheben ;
die im i)lur. praes. ind. neben irizzon, hunnon, seulon 25. 23
begegnenden, durch analogiebildung nach den praeterita auf
•an und -rn (§ 50) entstandenen sculan 24, 1. 25, 7. 8. 11, sculen
02,28. 04,12, mugenlh, 12 [mugan 13, 17. 19. 10,4.3*3,6. 50.19.
00,4. 73, 18 kann opt. sein, vgl. die an den betreffenden stellen
in Hoffnianns und Seemüllers text, bez. in den varr. zu 35,0.
07,9 ( xvi 4. xxxvi 9 bei Hoffni.) stehenden optativfonneii;
auch mugan 47, 0 und sulen 18. 8, denen in W mugon, sculott
entsprechen. Hessen sich als opt. fassen];
die nach § 56 (zum opt.), § 4 (zur apokope von n) und
§ 21. 22 (zur behandlung von -e und -e- nach tönendem guttural)
zu beurteilenden Optative Lsg. sule 14,10, sculc 43,7, htnne
15,5, cunna 70,10, muoze 08, 23, muga 22. 22. 44, 10, muye
78, 10. 2. sg. uizzest 33. 18, mugas 53, 4, -est 77, 25. 3. sg. muoze
70,14, muga 25,18. 27,8. 31,20. 1. pl. muozen 57,18, 2. pl.
sculed, -et 41,8. 52,8, sculedir 41. 7. 9 (vgl. g 12), wizzet 50,27
(in imperativer Verwendung), mugat 52, 7, mugadir 39, 17, 3. pL
dürren 70. 4, eunnen 74. 10. -an 25, 10, kunne, mugan 21, 21.
50, G. 03, 15. 74, 17 (s. auch oben), muga, sulen 18.25 und 18,8
(? s. oben);
die praeterita ind. moghta 22,20. 44,18. 46,13, mit sj*n-
kope moghtich 22, 17, Wistes (s. § 47). und moe(h)te 8. 23. 9. 1.
18, 23, triste 57. 8, seolde 71. 15 mit analogisch gebildetem -e (vgl.
§ 57). moghtun 73, 13. 10 (vgl. g 57), scolden 72,3 (vgl. § 59);
die praeterita opt. seolde 43. 2. 48, 9, muoste 44, 19, moghte
44, 3, künde 22, 7 und moghta 45, 9, -an 20, 0 (vgl. § 50. 57. 59).
g Gl. Für das verb. substantivum gelten im praes. ind.
neben häufigem Mm einige male bin 7,21. 11.22. 19,15. 59,4,
bist (nie Ms), is (nur zweimal und wol aus der vorläge stam-
mend ist 10,23. 53,22), aus dem opt. entlehnte siin 1. pl. 27,5,
siit 2. pl. 27, 28 (sint 14, 20 kann nur Schreibfehler sein), und
tfr*3.pi. 7,24. 10,19. 18,5. 58,9. 75,3 woneben normales sint;
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ZUR SPRACHE HKS LEIDKNKR WILLIRAM.
519
im praes. opt. si, sis(t\ si, sin 3. pl. (sii l. pl. 27,9 Schreib-
fehler); im inf. sin (neben teesan); ein p. praes. ist nicht belegt;
für den imper. stellt wis(s).
§ 62. Von duon, gän, stän sind belegt:
duon Lsg., duost, duot, duont; duo Lsg. opt., duotcir 1. pl.
opt. 74, 1, döwir 00. 16 (oder opt? wegen ö vgl. § 18); duo und
duot imper. (auch e/öf, s. § 18); duon inf.; däde 1. 3. opt.
35, 5. 43, 10. 24 und -a 56, 11 (s. § 56 zum opt.); gcdaan,
thurgdftn:
v erstem Lsg., geet, steed 3. sg., geent; ge 3. sg. opt., gewir,
ghiewir (s. $ 8), stewir; geet imper.; gende; gen 9,7. 20,3. 24,2,
goan 26, 28, sten inf.: r erstem p, p. 20, 26 (doch gegangan).
§ 63. Das verbum 'wollen' begegnet in willo Lsg. 21,27.
22,21. 23,9. 32,25 (= ahd. willu), woneben teillon 1 1, 16. 12,20.
20,24. 21,20. 22,20. 23,8. 50,21.22 (vgl. § 55 zur 1. sg. ind.),
witte 11, 25. 43, 21, -a 32, 23 (vgl. Braunes Ahd. gr. § 385 anm. 1)
und welle 9, 19 mit aus dem alten plur. *well- entnommenem
stammsilbenvocal, thu teilt \ her teile 00,9 (— ahd. teilt), -a 17,4.
00,8 mit nach dem muster der im opt. praet. neben einander
geltenden -a -e (s. § 50) für -e verwanter endung, her teela
15,27 mit e wie in der Lsg. teelle, wir teillon 7,11 mit i für
e oder o durch ein Wirkung des präsens und -on nach dem
muster von wizzon etc., wollent 00, 1. 74, 11 (vgl. Braunes Ahd.
gr. S 385 anm. 4); in den optativformen willes 10,2. -an 11,3,
-ant 00, 9 mit i wie in wir teillon (wegen -a und -nt vgl. § 55),
wolle 15,13. 20,22. 70,24.27. 71,2, -a 23,28;
in wolda, wählest ind. 20, 1 mit -e- (d. Ii. -J-) durch anleh-
nung an -e der 1. 3. sg. *wolde (vgl. mochte etc. § 00), woldan
ind. 18,20. 19,2. 22,17 (vgl. § 57).
[& 441, 8 v. u. 1. § 56. - 455, 8 v. u. und 461, 10 v. o. 1.
(Irohtin. — 462, 14 v. u. 1. § 50. 62.J
Ii KONINGEN. W. VAN HELTEN.
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WORTGKSCHICHTLTCHK BEITRÄGE.
1. aar.
Kluge hatte in seinem aufsatze 'Aar und adler' Zs. fdph.
24. all f. als resultat seiner nachforschungen über den gebrauch
dieser beiden Wörter es ausgesprochen, dass von einem poeti-
schen aar im 16. 17. jh. nichts zu verspüren sei. Dagegen hat
sich Jeitteles in derselben zs. 29, 177 f. gewallt und durch
einige belege den nach weis zu erbringen versucht, dass das
ganze 10. jh. hindurch bis über die grenze desselben ar, am
'im Sprachgebrauch fortlebte, und zwar keineswegs bloss in
der ungebundenen rede, sondern, was Kluge bezweifelt, auch
in der dichtung anwendung fand'. Diese tatsache hatte indes
auch Kluge nicht rundweg bestritten, er betonte nur, und
unzweifelhaft mit recht, dass damals aar nicht wie in der
neueren spräche seit mitte des vorigen jh.'s ein specitisch
poetisches wort gewesen sei. Allerdings wird aar im 16. jh.
nicht ganz so selten gebraucht wie Kluge annahm; immerhin
ist sein zurücktreten hinter adler nicht zu bestreiten und nur
die composita wie fischaar, hühneraar u.s. w. zeigen es noch
bei vollem leben. Dabei kommt aber noch ein umstand in
bet rächt, der weder von Kluge noch von Jeitteles berücksich-
tigt worden ist. Ar, am wird allerdings wie adler gebraucht,
so in den von Jeitteles angeführten stellen aus Burkard Waldis.
ferner z. b. auch bei Mathesius. Sarepta (Nürnberg 1571) 88 1>:
oh nun schon das Keiserthumh bifsweilen eben schwach oder
federlofs aestanden {denn es habens die Hämischen fischer zu
iren federangeln eben hart berupfl'ct vnd wer es vermocht hat
davon (je zw acht), dennoch ist noch der Adler bliben bifs au ff
dise stunde. Es hat wol mancher yemeinet, er wolt dem Ahr
zun haupten wachsen. Aber wen Oott erhöhet, den kan niemand
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WORTGESCHICHTLICHE BEITRÄGE.
521
durch eigen krafft nidrigen, wie alle Historien bezeugen. Feber-
wiegend aber bedeutet damals ar nicht 'aquila', wofür sich
adler festsetzte, sondern bezeichnet einen kleineren raubvogel.
Nach Diefenbachs Gloss. latinogerm. gibt zwar ar, arn öfter
aquila (44»), mehrfach aber auch milvus (361 »>) wider; vgl.
auch im Voc, theut. (Nürnberg 1482) nn6*> weg oder ar milvus,
in einem anderen von Diefenbach unter milrus angeführten
glossar aer oder geyer. In der von .Teitteles angeführten stelle
aus Seb. Francks Sprichwörtern heisst es: arn oder wyhen vier
die kennen ziehen. Daran schliesst sich die eine der meines
Wissens beiden einzigen stellen, an der ar bei Hans Sachs vor-
kommt, Fastnachtsspiele (ed. Götze) 27,247: sinds drauff wie
ein aer auff einr Hennen (dagegen ein großer ar — adler in
Gödekes ausg. 1, 91). Auch Aventin, der ar öfter gebraucht,
scheint es von adler zu unterscheiden, vgl. Bair. chron. (ed.
Lexer) 1,294,28: wen ainer nur etwan ainen adler, ainen am
oder dergleichen vogel fiedrauchen sach. Dass bei ar die mhd.
bedeutung 'adler' jetzt mehr zurücktritt, erklärt sich aus dem
einfluss der composita hünerar, meusar, bussar u. s. w., bei denen
ar einen kleineren raubvogel bezeichnet. Der etymologische
Zusammenhang zwischen ar und adler (adelar) wurde freilich
nie ganz vergessen, und so hat es nichts auffallendes, dass im
17. jh. mehrfach ar = adler angegeben wird (Kluge s. 314),
woraus indes keineswegs hervorgeht, dass man, wie Kluge
s. 312 will, diese Wörter damals allgemein für gleichbedeutend
angesehen habe. Die Wörterbücher setzen überwiegend ar in
anderer bedeutung als adler an; so heisst es bei Schottel (1004)
Aar vultur, aeeipiter, bei Stieler (1691) Ahr, arn aesalo, species
aeeipitris vel vulturis, bei Dentzler (1709) Ahm aesalon, bei
Rädlein (1711) Aar epervier, bei Steinbach (1734) Aar vultur.
Dass in allen diesen fällen ar nur aus den compositis abstra-
hiert worden sei, ist man schwerlich berechtigt anzunehmen;
das fast völlige fehlen des Wortes in der literatur (doch vgl.
man den von Kluge s. 313 erwähnten, angeblichen Opitzischen
vers) ist freilich auffallend, wird aber erklärlich, wenn wir
annehmen, dass das wort wenigstens hochdeutsch — nur
zur bezeichnung einer art weihe wirklieh üblich war. Das
ändert sich dann um die mitte des 18. jh.'s. Schon Frisch
(1741) hat Aar ; jeder grosse raubvogel, besonders adler' und
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522
VON BAHDER
wenig später beginnt die Verwendung des Wortes = 'adler'
in der literatur. Dass diese widerbelebung von aar in der
alten bedeutung von den nd. mundarten ausgegangen ist, wie
Kluge vermutet, erscheint mir sehr wahrscheinlich, obgleich
ich meinerseits nichts zur begründung dieser ansieht vorzu-
bringen weiss.
2. abschach.
Bekanntlich kommt dies wort in Leasings Nathan (2. aufzug
1. auftritt) vor.
Sittah. So bleibt es? Nun dann : schach und doppelt schach !
Saladin. Nun freylieh ; dieses abschach hab ich nicht
gesehn, das nieine königin zugleich
mit niederwirft.
Von den erklärungen des Wortes kann die im DWb. 1, 94
gegebene 'ab dem schach sein' ausser bet rächt bleiben, da sie
offenbar nur der etymologie ihr dasein verdankt und durchaus
unpassend ist, denn nach dem folgenden kann abschach nur
ein zug sein, durch den Sittah ihren mitspieler bedroht hat.
Auch Düntzer trifft nicht das richtige, wenn er in seinen
erläuterungen zu Lessings Nathan s. 97 abschach erklärt als
'der zug. welchen man unmittelbar nach einem dem gegner
gebotenen schach tut, gleichsam der rückzug aus dem angrei-
fenden schach, der aber ein neues schach sein kann'. Was
man sich unter dem rückzug aus dem angreifenden schach
unmittelbar nach dem schachbieten vorstellen soll, ist mir nicht
recht klar, jedenfalls bleibt bei dieser erklärung der Zusammen-
hang, in dem an unserer stelle das abschach doch offenbar mit
dem doppelten schach steht, ganz im dunkeln. Wenn v. Itöht-
lingk vor kurzem in den IF. 7, 270 abschach als ; schach der
künigin' erklärt hat, so wird er ebenfalls dem klaren Wortlaut
unserer stelle nicht gerecht. Meistens wird abschach als gleich-
bedeutend mit doppelschach genommen und als 'schach dem
könig und zugleich der königin' erklärt (so auch bei Sanders
2, 870). Nun ist aber, wie merkwürdigerweise allen erklärern
der stelle unbekannt geblieben zu sein scheint, auch schon im
mhd. abschach belegt. In Heinrichs von Freiberg Tristan wird
eine Schachpartie zwischen Marke und Isolde geschildert, es
heisst v. 4155 f.:
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WORTGESCHICHTLICHE BEITRÄGE.
523
inredes der kUnic sprach
zu der küniginne: 'schach!'
mIä schach !' sprach die küuigin.
'hie buoz mit dem ritter min,
abschach ! ' sprach der küuic sän.
sie gedahte: 'ahschach wirt in getan:
mich dunket, er si aber kumen.
von dem mir sorge wirt benuraen.'
Die letzten worte beziehen sich darauf, dass Tinas als
böte Tristans anwesend ist und Isolde darum ihren freund in
der nähe vermutet. Der herausgeber Bechstein hat (wie schon
vor ihm Wackernagel in der abhandlung Das deutsche Schach-
spiel im mittelalter, Kl. sehr. 1, 112) die stelle insofern nicht
ganz richtig aufgefasst, als er v. 4158 der königin zuweist.
Inioz möchte er als imp. = büeze oder biiezet nehmen. Die
königin würde also den könig, dem sie schach gesagt hat,
auffordern, dieses schach mit ihrem eigenen ritter abzuwehren:
eine völlige Sinnlosigkeit, Das überlieferte buoz ') ist offenbar
als ausruf (mit zu ergänzendem ich tuon) zu nehmen. Man
könnte den vers nun wol auch der königin als antwort auf
des königs schachsagen (zugleich mit anspielung auf Tristan?)
in den mund legen, doch würde er seltsam nachhinken, nach-
dem sie vorher schon selbst schach gesagt hat. Viel näher
liegt es die worte Marke zuzuweisen: ihm ist schach gesagt,
er schiebt den ritter zur deckung des königs vor und durch
wegrücken dieses steines wird er nun selbst in die läge ver-
setzt schach sagen zu können. Abschach ist nämlich nichts
anderes als abzugsschach. Selenus, Das schach- oder könig-
spiel (Leipzig 1616) sagt s. 111, nachdem er vorher vom schach-
geben gehandelt hat: Geschieht.? aber nicht öffentlich, besondern
nuhr durch Entdeckung eines Steines, nun nemlich derselbe
Stein, welcher zwischen einem König und einem Stein, der
sonsten, wan die Ii nie zu dem Könige frey und offen wehre,
Schach geben könte, eingestanden, fortgerucket wird und also
den andern auf den König, daß Er ihm Schach gibt, entdecket,
so heisset mans einen Ab- Schach. Wan aber der weggerückte
') des svhäches buoz tuon oder büezen muss technischer ansdruek des
mittelalterlichen Schachspiels gewesen sein, vgl. Walther 31, 32 mm biiezet
mir des gustes, duz iu got des sch/iches büeze und schnelles buoz bei Scherz
2, 1308. '
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524
VON BAHPER
Stein zween Steine auf den König dergestalt entblöset — so
hasset mans einen doppelten Ab- Schach. Wan aber mit dem
Steine, welcher gcruckct worden und den Ab-Schach vom andern
Steine zu ivege gebracht, zugleich auch Schach gegeben wird,
so nennet mans einen doppelten Schach oder SchacJi und Ab-
Schach. Durch diese deutliche beschreibung wird auch die
Situation im Nathan vollkommen klar. Sittah zieht eine ihrer
figuren weg und kann dann schach (d. i. abschach) sagen,
ausserdem sagt sie aber auch mit dem weggerückten steine
selbst schach (also doppelschach) und bedroht dadurch zugleich
auch die königin. Es fragt sich ob Lessing den ausdrtick
abschach aus der damaligen spräche des Schachspiels oder aus
einer älteren quelle entnommen hat. Wackernagel sagt zwar
a. a. o., der ausdruck sei jetzt noch geläufig, stützt sich aber
dabei vielleicht nur auf die stelle im Nathan. Von sach-
kundiger seite wird mir versichert, dass der ausdruck jetzt
nicht mehr üblich sei. Er kommt auch, soweit mir bekannt,
in keinem Wörterbuch des 18. jh.'s vor; ebensowenig habe ich
ihn in schachbüchern aus dieser zeit gefunden.
Was die entstehung des wortes abschach betrifft, so geht
schon aus dem vorhergehenden hervor, dass Bechstein nicht
das richtige trifft, wenn er es aus aberschach (wie die hs. O
auch hat) 'abermals schach, doppelschach, die überbietung des
einfachen schach' erklärt. Von doppelschach ist an der Tristan-
stelle nicht die rede. Es ist auch nicht stichhaltig, wenn B.
weiter bemerkt: 'die kürzung von aber in ab ist bekannt und
sie zeigt sich auch sonst in Zusammensetzungen'. Allerdings
steht hier häufig abe-, ab- neben aber-, niemals aber sind die
kürzeren formen aus der längeren entstanden, sondern abe-
und aber- sind in ihrer entwicklung zusammengefallen und
können das gleiche ausdrücken. Die Lesart von 0 für das
ursprüngliche anzusehen, liegt kein grund vor, dies aberschach
wird vielmehr nachher als jüngere bildung seine erklärung
finden. Auf der anderen seite kann ab- hier auch kaum in
seiner ursprünglichen bedeutung genommen werden; an *rück-
zug aus dem schach' ist ja nicht zu denken und abschach
einfach als 'abzugsschach, wegrücken eines steines zum zwecke
des schaches' zu deuten trage ich bedenken, da ich nicht eine
einzige entsprechende bildung anzuführen wüsste. Vielmehr
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WORTGESCHICHTLICHE BEITRAGE.
525
scheint es mir sicher, dass v. Böhtlingk, obgleich er das wesen
des abschach nicht richtig bestimmt hat, doch auf dem rechten
wege war, wenn er das abschach als ein geringeres, minder-
wertiges schach gedeutet hat. Als solches galt es, da es nicht
durch vorrücken eines angreifenden Steines, sondern nur durch
wegrücken eines steines erreicht wurde, ab- findet sich zur
bezeichnung des verkehrten, minderwertigen, negativen (Wil-
manns, Deutsche gr. 2 § 422. 1) schon ahd. in abgot, vereinzelt
auch in abkezzal oblivione (Gl. 1, 221) für gewöhnliches ägezzali,
und mhd. breitet sich dieses ab- weiter aus, indem es vielfach
an stelle eines älteren ä- tritt So steht mhd. abegunst mis-
gimst neben ägunst, äbunst, abekust Schlechtigkeit neben dkust,
abköscn (Gramm. 2, 707) delirare neben äkösen, spät mhd. abucg
avia neben äuicke, vgl. auch mnd. afname beiname neben mhd.
äname; aftcise torheit (bei Hans Sachs abweis) neben weise.
Sonst zeigt ab- in dieser bedeutung noch mhd. abebü Vernach-
lässigung des baues, abeburt abortus, abeschiht mangel, abetcort
misgünstiges wort (nicht 'gegenwort'), abort, mnd. afort ent-
legener ort, mnd. afhoste, aflegede kleinzehente, von adjectiven
spätmhd. abholt, abheilig, ablütig absonus, abschätzig u. a. Im
nhd. tritt dann noch abglaube, abkraft, abgeschmack, abart auf.
Diesen bildungen könnte sich abschach als 'geringeres schach'
recht wol anreihen.
Wie durch ab- das ältere ä- eingeschränkt und später
ganz verdrängt wird, so tritt an stelle dieses ab- später aber-.
Damit gewinnen wir eine erklärung des in hs. 0 überlieferten
aberschach. Auch in der neueren spräche scheint aberschach
vorzukommen, da es von Sanders neben abschach angesetzt
wird. Dies aber- ist nicht aus ab-, abe- entwickelt (etwa unter
einfluss von ober-), sondern nur in seiner entwicklung mit dem
negierenden ab- zusammengetroffen und wird dann als die
deutlichere form vielfach bevorzugt. Die bedeutungsent Wick-
lung dieses präfixes aber- ist von Wilmanns a. a. o. 2 im wesent-
lichen richtig dargestellt. Nur möchte ich die bemerkung,
dass aber- im ahd. in der doppelten bedeutung von 'widerum'
und 'gegen' erscheine nicht so aufgefasst wissen, als wenn eine
völlige trennung dieser beiden bedeutungen eingetreten wäre.
Bei den Wörtern, die für 'gegen' angeführt werden, ist auch ganz
gut von 'widerum' auszugehen: eigentlich kommt nur avarhdeco
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526
VON BAHDER
in betracht, das zunächst 'widerholter haken1 sein wird (das
von W. noch angeführte avur minna bei Otfrid 5, 12, 100 ist kein
compositum). Die bedeutung ' widerholt' hat sich bis ins nhd.
erhalten. Aus dieser bedeutung sind folgende andere hervor-
gegangen: 1. eine steigernde (wie bei an. afar-) in mhd. aberähte
(dies wort aus dem mnd. overahtc abzuleiten liegt kein genügen-
der grund vor), dem sich das erst im 16. jh. belegte aberban
anschliesst, wol auch in aberlist (Liedersaal 3, 519 möchte ich
nicht mit Lexer die bedeutung 'unklugheit' annehmen); 2. die
des entsprechenden in aberziel, wofür im Schweiz, id. 1. 41 die
bedeutung korrespondierendes grenzzeichen' gegeben wird, aus
den belegen im DWb. 1,35 ergibt sich etwa die bedeutung
4 ziel nach dem man sich zu richten hat',1) in abermal bei
Keisersberg, aber zeichen bei Murner, Xarrenbeschw. 84,58 (; war-
zeichen des zieles' nach Spanier); 3. die von 'nach hinten, zu-
rück' in abervater grossvater (bei Luther), abereni (bei Goldast),
abereitem (Schweiz, id. 1,41), ferner in mhd. aberwette hinter-
legtes pfand, wol auch in nhd. aberktoue ungula posterior:
andererseits in aberwandel 'rückgang', aberwank (16. jh.); 4. die
des minderwertigen, verkehrten. Diese bedeutung mit Wilmanns
von der in der alten spräche nicht einmal sicher bezeugten
'gegen' ableiten zu wollen, ist gewis nicht richtig, da man
dann dies aber' von den gleichbedeutenden abe-, öfter* seiner
entstehung nach trennen müsste; sie ist vielmehr aus der 3.
hervorgegangen, also ursprünglich 'zurückstehend' (ähnlich wie
abe- ursprünglich -ferner liegend'), woraus sich allerdings die
bezeich nung eines gegensatzes entwickeln konnte. Diese be-
deutung dürfte vor der mitte des 15. jh.'s nicht nachzuweisen
sein ; mehrfach — bei den nachher mit * versehenen Worten —
steht aber- neben älterem ab-. Zu den ältesten belegen gehört
abvrschanze ungünstige chance,'J) zweimal bei H.v. Sachsenheim,
*abvr witzc in Diefenbachs voc. v. 1470, *ahergUiuhci) im Voc
') abirzil kommt auch .schon bei Herrn, v. Sachsenheim, Mörin -1450.
Jesus der arzt 103 vor. Martin nimmt hier — kaum mit recht — die be-
dentllllg 'falsches ziel' au.
3) Durch ein komisches misverständnis gibt (trimm für dies wort «He
bedeutung 'der hintere* an.
3) Lexer citiert auch Hpt. II. lied zu 95. 13. Das wort ist hier von
später hand am rande der hs. bemerkt.
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WORTGESCHICHTLICHE BEITRÄGE.
527
praed. (Strasburg 1486 d 7*), bei Brand. Narr. 38, 37 u. ö., auch
Layenspiegel J lb, dann bei Luther (neben abglaube), weiter im
16. jh. nach DWb. 1, 32 f. Frisch 4 c. 5« aber geistlicher, *abergott,
*abergnnst, *aberhold, aberkeiser, aberknoblauch, aberkönig, *abcr-
kosen, *abername, aberpabst, aberreden, abersinn, *abcrweg u. a.,
wozu dann noch die umgedeuteten abercsche, aberraute kommen.
Für dies aber- kommt nun, wie in der 3., so auch in der 4.
bedeutung auch after- vor, so dass auch dies präfix in den
kreis der negierenden gezogen wird; vgl. neben mhd. afterhake,
afterwette, afterkosen die auch schon spätmhd. aftergluube (auch
bei Luther), afterwan verkehrte meinung (Schindler- Fr. 1, 46),
nhd. afterklaue, afterkönig u.s.w. Dies after- ist jetzt allein
noch in der besprochenen bedeutung produetiv1) und hat die
anderen formen bis auf einzelne reste verdrängt. Man vgl.
die Stufenleiter äu-itze, abewitze, abertvitze, afterwitz.
3. fant.
Kluge, Et. wb.5 99 bemerkt über den Ursprung des wort es:
'nd. form (vgl. ndl. vent kerl) für mhd. ranz m. schalk, noch in
alfanz eigentlich hergelaufener2) schalk\ Heyne in seinem DWb.
1,865 knüpft ebenfalls an mhd. vanz an, meint aber, dass die
umprägung des Wortes nach form und bedeutung wol unter
einfluss des it. fante 'knabe, knecht, fusssoldat' erfolgt sei.
Auf dies it. fante war schon J. Grimm, DWb. 3. 1318 zurück-
gegangen, und auch Paul, DWb. 134 spricht sich für diesen
Ursprung des wortes aus, indem er beziehung zu fanz leugnet.
Andere wider haben an mhd. vende 'bauer im Schachspiel' (im
12. jh. auch noch in der ursprünglichen bedeutung 'krieger zu
fuss') angeknüpft, eine ableitung die ich auf sich beruhen lassen
kann, da sie weder von seiten der lautform noch der bedeutung
etwas für sich hat. Dagegen möchte ich das Verhältnis zu
mhd. vanz und it. fante etwas näher untersuchen, und es wird
sich dabei zugleich ergeben, dass als die eigentliche grundlage
unseres wortes, in dem allerdings verschiedene bildungen zu-
') Vereinzelte neubildnngen mit aber- sind auch in neuerer zeit vor-
gekommen, vgl. im DWb. aherkhuj (Götter), abencei*c (Goethe), abeririUe
(Hirzel).
a) Etwas abweichend unter ulfunzerei, wo ah mit dem in albei n ent-
haltenen wort verglichen wird.
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528
VON BAHDER
sammengefallen sind, ein drittes wort von ganz verschiedenem
Ursprung anzusehen ist.
Was das Verhältnis unseres Wortes zu fanz betrifft, so ist
zunächst hervorzuheben, dass dies wort fast nie schlechtweg die
bedeutung 'junger bursch' hat, die fant zeigt, allerdings meist
mit dem nebenbegriff des unreifen, leichtsinnigen, eitlen, der
indes keineswegs notwendig ist (vgl. Sanders 1, 411). Dagegen
ist fanz zunächst 'possenreisser'; dass das wort germanisch ist
zeigt an. fantr 'gaukler, vagabund', dän. fante Hör, narr', norw.
auch 'bettler, zigeuner', norw. fenta * landstreicherin ?. Im älteren
deutsch ist das wort nicht häufig belegt. Es begegnet ahd.
ganavenzön cavillari, mhd. das dim. vänzehn, 'bastard', eig.
wol 'närrchen' (vgl. gouch 'narr' und 'bastard'). An das daraus
zu erschliessende ranz 'schalk, narr' bloss angelehnt sind ale-
vanz und forlefanz, die sicher auf romanische worte zurück-
gehen. Zugegeben ist das bei flrlefanz (auch firlefci), zunächst
'eine art tanz', das auf afrz. virelai zurückgeht, und zugleich
an firl 'kreisel' (vgl. Hertel, Thüringer Sprachschatz 95 forte
'kreisel', farlig 'zwirbelnd', ferlefiks 'flinker mensch') angelehnt
worden ist. Aber auch alafanz, alefanz, alfanz kann nicht
deutschen Ursprungs sein; gegen die deutung 'aus der fremde
gekommener schalk' spricht ausser der lautform schon, dass
das wort ganz überwiegend und in den ältesten belegen als
abstraft um in der bedeutung 'betrug, betrügerischer gewinn,
schalkheit' erscheint, die persönliche Verwendung 'be trüger,
schalk' erfolgte (wie auch später bei frlefanz) unter einfluss
von fanz (das umgekehrt in neueren mundarten auch abstract
gebraucht wird, vielleicht unter einfluss von alfanz). Sehmeiler
(Fr. 1,55) sah richtig, dass it. all' avanzo 'zum vorteil, zum
gewinn' zu gründe liegt, den alefanz slahen (it. wettere alV
aeanzo?) wird zunächst irgend eine betrügerische manipulation
beim handel bezeichnet haben. Krst in der neueren spräche
fällt alfanz in der bedeutung mit firfefanz zusammen. — Da«
einfache fanz kommt im 10. jh. vor (die schönen fangen =
'narren' in Wurstisens Basler clironik), fenzhj 'geputzt, niedlich1
bei Hans Sachs u. a. Die sippe ist jetzt im ober- und mittele!,
zu finden, vgl. Schweiz, id. 1,877 fanz 'mutwilliger toller ein-
fall. possenmacher, mutwilliger mensch', fänzcle» 'spotten', fdnziy
'zierlich, niedlich, wunderlich geputzt, nichtig, lustig, neckisch',
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WOBTGESCH ICHTL1CHE BEITRÄGE.
520
Schmid 15G fänz machen 'prahlen, wind machen', Birlinger 153
fanz 'kerl. bursche', Sehmeller-Fr. 1. 785 fanz 'nebulo, nequam',
fänziy 'galant, artig, munter', 736 fenzeln 'zum besten haben',
yefenz, Schöpf 119 fanziy, y fanziy 'galant, sauber'. 131 fernen,
feanzen 'foppen, auslachen', Höf er 197 fanzen 'kindisch tun',
Vilmar 99 fanzen 'possen treiben, irre reden'. Hertel 92 fanzen
'possen treiben, spielen, bes. mit feuer'. (je fanz, fanzenei, fanzen
(pl.) 'possen. torheiten'.
In den nd. idiotiken sucht man entsprechende formen ver-
gebens,1) das macht die annähme, dass unser fant nichts an-
deres als ein nd. fanz sei, von vornherein unwahrscheinlich,
auch wenn fant nicht als obd. dialektwort nachgewiesen wäre
(s. u.). Dagegen findet man das lautlich und in der bedeutung
anklingende fent in der vorwiegenden bedeutung 'junger bursche',
vgl. Woeste 286 fänte 'bursch. knabe, junger windiger leicht-
sinniger bursch', Brem. wb. 1, 370 mit 'ein jüngling, ein unver-
heirateter junger mann, oft auch junger leichtsinniger mensch',
Doornkaat-Koolmann 1.438 fent 'bursche. bes. junger mensch von
unmännlichem aussehen und wesen. laffe'. Danneil 50 fent,
fentken 'fant', Dähnert 116» fent 'junger bursche. mehrenteils
als Schimpfname'. Im mnd. ist rcnt. reute 'knabe. junge' (ohne
üblen nebensinn), auch oft im dim. veniken. Diesen nd. formen
entspricht nun nl. mit 'bursche' (dim. retitje), das mit rennoot
'genösse, gesellschafter' eig. identisch ist: zngnmde liegt mnl.
reinoot, entstanden aus reemnoot, reimnoot, reimyenoot (nl. rem
ist 'genossenschaft', während bei mnd. veme sich nur die ein-
geschränkte bedeutung 'heimliches gerieht' nachweisen lässt),
die bedeutungsent Wicklung ist wie bei barsch, yeseUe ( 'junger
mensch'), vgl. Franck, Et. wb. 1065. Hei Kilian 1599 findet sich
s. 579 reyn oder reynt (als fris.) 'rusticus. operai ius, agricola;
adolescens, juvenis caelebs: socius, sodalis'. reynoot, reynnoot,
rennoot, eeynynoot (als hol. zeland. fland.) 'socius; collega. so-
cius in magist ra tu aut publico munere', s. 581 vent oder reyn
'juvenis, adolescens. puer'. Die neuere spräche hat mit und
rennoot in der bedeutung ganz geschieden.
Dies nl. nd. mit ist nun nicht, wie Franck a. a. o. will.
') Doch vgl. Brem. wb. 1, 376 fenteln ' täudelu, nichtswürdige dinge
tun oder sagen \
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VON BAH DBB
von unserem fänt zu trennen, sondern bildet vielmehr die
hauptgrundlage dieses Wortes. Das nd. wort ist auch ins md.
eingedrungen und erscheint im 14. 15. jh. im thüringischen, vgl.
(bei Lexer unter rende): ein jung rent im Apollonius. einen
jungen renden im Mühlhauser ratsbuch.') Aus einem hessischen
drama von 1507 führt Vilmar. Id. 101 reute 'junger mensch,
knabe. söhn' an und bemerkt zugleich, dass fent jetzt im hes-
sischen sehr üblich sei (I »fister s. 310 gibt an. dass das von ihm
rende geschriebene wort in Oberhessen einen jungen zwischen
14 und 18 jähren bezeichne). Die fcnten begegnet auch bei
dem Thüringer Filidor (s. Vilmar und DWb.). Aus seinem Thü-
ringer dialekt gibt nun auch Stieler 459 das wort fante und
fente -juvenis adolescens; ein junger fent ievis inconsideratus
juvenis*. Fante hatte schon Henisch angeführt, aber nicht als
deutsches wort, wie Heyne in seinem Wb. annimmt, sondern
als grundwort des it. fanteria. Auch Stieler wird durch das
italienische zu der form fante geführt worden sein (2297 wird
fent mit trabant und infanteri zusammengebracht.1) In der lite-
ratur erscheint fant geraume zeit hindurch noch nicht, sondern
nur fent (oft fänt geschrieben), namentlich im dim. fentehen,
fäntehen, das im DWb. aus Weise, Hölty, Kl. Schmidt belegt
wird. Die Wörterbücher haben das wort meist nicht, erst Frisch
führt ein junger fänt 'junger landmann, bauernknecht' als nsächs.
an, ebenso bezeichnet Kindleben (Idiotikon 1781) fäntehen als
nsächs. und Adelung bemerkt, dass dies dim. nur in einigen
gegenden bekannt sei und einen jungen menschen zwischen
dem knaben- und jünglingsalter bezeichne. Fent wird noch
von Voss verwendet (Sanders 1. 411). Der erste der fant ge-
brauchte, war Wieland; er erklärte es im glossar zum Oberuu
als jüngling oder knappe: 4 in Xiedersachsen, wo es so viel als
knecht ist. wird es fent ausgesprochen; im isländischen lautet
es fant. Das italiän. fante ist damit vielleicht einerley Ur-
sprungs. Auch die bauern (pions) im Schauspiele werden in
einigen gegenden fant oder fänt genannt.' Aus der letzten
bemcrkung ergibt sich jedenfalls, dass fant nicht etwa nur
falsch von Wieland aus fäntehen erschlossen ist. sondern dass
•) raufen in Alpharts tod 150.1 gehört nicht hierher und ist wahr-
scheinlich entstellt.
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WORTGESCHICHTMCHE HEITRAGE.
531
ihm diese form, die er mit dem nd. fent zusammenwarf, aus
mundarten bekannt war. Sie ist auch im obd. verbreitet, vgl.
.Schweiz, id. 1,874 fant 'possenreisser, geck', fante" (pl.) 'possen,
mutwillige grillen, spässe', fante» 'possen treiben, schnurren
vorbringen', Sehmid 176 fantc 'geck', fandet 'bursehe'. Schmeller-
Fr. 1,734 fant, fantel 'junger mensch, junge' fantlicht 'nach art
eines jungen menschen unbedachtsam', 735 fantcn * grillen,
possen', Castelli 124 fantl 'leichtsinniger junger mensch'. Dass
überall it. fantc 'knabe, bursche, bube im kartenspiel, gerie-
bener mensch' zu gründe liegt, wird durch bair. spadifantl
(auch entstellt zu spar i fantl, sparifankl u.s.w.) eig. il fantc di
spada 'piquebube'. dann 'der teuf el T sicher gestellt. Durch
die ent Wicklung der bedeutung 'possenreisser' und den au-
stragen gebrauch des Wortes 'possen'1) nähert sich das wort
in der bedeutung dem mhd. ranz allerdings sehr an. Durch
Wieland ist das wort schriftsprachlich geworden und erscheint
seit Campe in den Wörterbüchern.
Als resultat dieser etwas verwickelten Untersuchung wäre
anzusehen, dass in unserm fant ein nl. nd. vcnt eig. 'sucius',
dann 'adolescens', vielfach auch 'nebulo' zusammengekommen
ist mit einem obd. auf it. fantc beruhenden fant, bei dem
sich auch die bedeutung 'nebulo' entwickeln konnte. Dagegen
ist das hd. fang nebst alfanz und fnicfanz fern zu halten.
4. yötze.
Die geschickte dieses Wortes bietet noch manche punkte,
die der aufhellung bedürftig sind. Auch die etymologie ist
keineswegs gesichert. Heyne hat sich in seinem IMYb. die
ältere ansieht angeeignet, nach der von yi essen auszugehen
ist; er sagt, ißtze urspr. gussbild gehöre etwa so zu (jicssen,
wie schütze zu schiessen. Dies 'etwa' zeigt schon die schwache
seite der ableitung an: eine zu (jicssen gehörige ja- bildung
könnte nur giitze lauten. Kluge und Paul äussern darum
zweifei an dieser etymologie, und ersterer meint, yötze könnte
vielleicht kurzform zu ybtterbild sein. Diese Vermutung trifft
zwar nicht ganz das richtige, da yöttcrbUd ein junges wort
') Mau vgl. dass auch tlas im obd. verbreitete fantast, das wol auf
fant eingewirkt haben könnte, im alem. abstract gebraucht wird als 'toller
einfall. mutwille. Vorstellung*. Schweiz, id. 1,875.
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532
VON BAU PKK
ist. schlägt aber insofern den rechten weg ein, als sie an dem
Zusammenhang von götze und yott, den schon J. Grimm ver-
trat, festhält. Nur macht es Schwierigkeiten die verschiedenen
bedeutungen, die das wort namentlich in der älteren spräche
zeigt, von gott aus zu gewinnen. Es mag erst über diese das
nötige bemerkt werden.
Erst seit Luther lässt sich götze in der bestimmten be-
deutung *bild eines abgotts' und "abgotf selbst nachweisen.
Vorher bezeichnet es entweder ein bildwerk oder einen dummen
unbeholfenen menschen. Der erste beleg begegnet in dem nach
Michels, Studien über die ältesten deutschen fastnachtsspiele
s. 1G3 f. Kosenblüt angehörigen schwank 'Der maier von Wirz-
burg\ Keller, Fastnachtsp. 3, 1181, und diese stelle hat Lexer
veranlasst, als bedeutung ' gottesdienstliche bildsäule' anzu-
setzen. Er hat aber, wie mir scheint, mehr hinter dem worte
gesucht als erlaubt ist. Götze wechselt in dem gedieht mit
lüde; allerdings ist an aus holz geschnitzte crueifixe oder
heiligenbilder zu denken, also 'gottesdienstliche bild werke',
aber götze bezeichnet das an sich nicht, ist vielmehr bilde
gegenüber der weniger edle ausdruck. So sagt die frau zum
probst : so stet ir zu den andern goezen da. und der maier ruft,
als das angebliche bilde ihm entlaufen ist: die göczen laufen
mir alsampt wegk.x) Götze ist also nichts anderes als 'aus
holz geschnitztes bildwerk' (dass die heiligenbilder hier schon
im Lutherischen sinne als 'götzen' bezeichnet sind, wird niemand
annehmen). Auch später fehlt diese bedeutung, auch ohne jede
beziehung auf abgotter, nicht. Wenn Dasypodius (1537) 345
angibt: götz oder bild. Idolum, tat ine simulachrum inuigo, so
scheint das schon auf eine weitere bedeutung des wortes hin-
zudeuten. Mehrfach muss sie bei Frisius angenommen werden,
vgl. 252 1> eolossica onera, gross vnd schwer lest rnd bürdinen
') In dem zu gründe liegenden älteren gedieht Genn. 18, 43 heisst es:
habt «/'. mir lauft min bilde hin, du; ist mir unrersunnen ron dem kruce
entrannen. Michels sagt s. 1ÖS: an die stelle des Christusbildes ist in
der bearbeituiij: ein Götzenbild getreten' und will das aus dem einfluss der
antike und der kirchlichen gesinnung Rosetiblüts erklären. An ein Götzen-
bild kann aber nach dem Zusammenhang unmöglich gedacht werden, vgl.
so kleben die fraicen yr wachsliecht daran; ein pild — ich tcolts morgen
verkauften u. s.w.
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WORTGESCHICHTLICHE BEITRÄGE.
533
wie ein blochyötz, 343 b crejmndia, alhrley diny damit die kind
hirtz weißend als toeken schallen krüyle bilder vnd yötzle rnd
deryleychen, 935 b oscilla klein bildle oder yötzle so die alten
dem Saturno für jr vnd der jren sünd aufopffertend. Auch
Maler bestimmt sehr allgemein: götz, ein bild oder yleichnuss
eines dinys. Idolum und yötz oder bild etncr zimlichen y rosse.
Amplitudinc modica simulachrum. AVenn später ybtze auf ab-
göttische bilder beschränkt wird, so ist das auf den einfluss
Luthers zurückzuführen, der seit 1520 ybtze in dieser bedeutung,
namentlich auch in beziehung auf heiligenbilder, gebraucht,
nach ihm Zwingli und viele andere.
Ebenfalls zurückgetreten, wenn auch nicht völlig ver-
schwunden, ist die andere bedeutung, die yötze in der älteren
spräche hat, die von 'dummer mensch'. Im Narrenschiff 40, 14
heisst es: der ist ein nar rnd doreht yötz. Im Prompt uarium
des Trochus G3b findet sich stultus etc. ein leffcl yansz yotze
äffe hundemeleker. Aus der bedeutung 'dummkopf konnte sich
leicht die von 'Schwächling' entwickeln. Diefenbach, Glösa,
latino-germ. 195« führt aus einem glossar des 15. jh. an: effe-
minare yoezezen, effeminatus weych von fleisslichcr kranckeit l
(josse,*) 52(5« aus demselben semirir yocze. Hans Sachs, der
yötze in dem Lutherischen sinn gebraucht (z. b. Keller 15, 284),
kennt doch auch noch die bedeutung 'dummkopf, z. b. Fabeln
(ed. Götze) 185,112 von einem dummen Dauern: jdieb darnach
der yöcz wie vorhin, Keller 13, 121 als scheltende anrede: alles
y ätzen! und Fastnachtsspiele (ed. Götze) 8, 17 du alter yötz!
Luther selbst ist diese bedeutung nicht unbekannt, vgl. Jenaer
ausgäbe 8, 319 a weil jr yötzen da jm ampt sitzet vnd könnet
nichts von yottes wort.
Man könnte daran denken, yötze in dieser bedeutung ganz
von yötze 'bild werk' zu trennen und es von dem namen Gotfrit
herzuleiten; dagegen spricht aber, dass ölyötze auch beide be-
deutungen vereinigt und dass hier jedenfalls von der letzteren
auszugehen ist. Ueber das vielbesprochene wort hat R. Hilde-
brand in der Zs. f. d. d. Unterricht 5, 202 f. in anregender weise
') Für (joze'i Poch vgl. Diutiska 2, S9 (von einem banem) der arm
yos (:yestos), wofür es aber Liedersaal 3.413 der arm gros: heisst. Jeden-
falls darf nicht, w ie es im Mhd. wb. geschieht, an mhd. göz 'gtissbild' an-
geknüpft werden.
Beitrüge iur xeachichte der deutschen spräche. XX 11. 35
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534
VON BAHDER
gehandelt und es m. e. sicher gestellt, dass Ölgötze ursprünglich
eine menschenähnliche flgur bezeichnet hat. die das licht (die
lampe) trägt, götze selbst erklärt H. als 'hausgeist, kobold*.
dann 'abbild eines kobolds' und meint, der ausdruck rühre
wol von den christlichen bekehrern her. die die Verehrung: der
hausgötter nicht auszurotten vermochten. Diese auffassung
von götzc scheint mir zutreffend, nur über den Ursprung des
Wortes urteilt H. nicht richtig, da er sich von der ansieht
leiten lässt. dass von der bedeutung 'abgott' ausgegangen
werden müsse, götze ist aber nichts anderes als diminutiv
von gott1) und ist als vertrauliche benennung anzusehen. Diese
ansieht ist freilich durchaus nicht neu (schon Adelung deutet
sie an), .T. Grimm, Gramm. 8, 694 glaubte aber wie Kluge in
götzc eine verkürzte form sehen zu müssen, und da fand sich
kein compositum, das als grundlage angesehen werden konnte
(Grimm wollte an goteshüs denken), götze kann aber ganz
gut von gott gebildet sein, wie spatz von mhd. spar, wie petz
von bar. götze ist also gleichwertig mit götelin, gütel, das
auch in entsprechender weise gebraucht wird, vgl. Wolfdietrich
B 578, 2 din got ist ein gütel Ueber gütel, gü tiein als name
von kobolden s. Grimm, Myth. 34, 139 (dazu güttgen 'cobalus'
Schmeller-Fr. 1, 963) und vgl. Hans Sachs (Keller) 4, 357 ei-
nlach t wol ein schein, sprach sie, als ob er heiss der gütle und
12,218 kombt er zum beutet umb das wunschhütel so wird ich
heissm nicht der gütel.2) Die ursprüngliche bedeutung von
götze zeigt sich wol noch in dem von Heyne angeführten Volks-
lied (Uliland 754), in dem der hauskobold götze genannt wird,
noch ganz naiv als der traute hausgott.
Die weitere bedeutungsentwicklung macht keine Schwierig-
keit, Da die bilder der hausgötter gewis meist sehr roh ge-
schnitzt waren, konnte sich leicht die bedeutung 'geringes bild-
werk* einstellen. Das starre und fratzenhafte dieser bilder konnte
weiter zur bedeutung 'dummer, nnbeholfener mensch' führen,
die ja noch jetzt bei ölgötz lebendig ist. Oder sollte diese
') Da kobolde sehr häufig mit menschlichen namen bezeichnet werden
(Myth.« 1,417. 3, 145), könnte götze = 'kobold' vielleicht auch auf Gotfrit
zurückgeführt werden.
2) Zn diesen nicht völlig klareu redensarteu vgl. noch Henisch 1717
hat ein jedes kind sein rechten namen, so heist du nicht Peter götz.
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WORTGESCHICHTLICHE BEITRÄGE.
535
bedeutung sich direct aus der von 'kobold' entwickelt haben?
An analogien dazu würde es nicht fehlen. Ich erinnere nur
an mhd. trolle, ferner an das schon in den älteren Nürnberger
fastnachtsspielen häufige diltapp 'dummkopf, das kaum etwas
anderes sein kann als der auf der diele tappende d. i. polter-
geist (vgl. Myth. I4 418). Ebenso erklärt sich wol das gleich-
bedeutende dilman, tilman: Hildebrand a.a.O. verglich diesen
ausdruck allerdings mit Ölgötze = 'Hchtträger' (nach Franck,
Sprichw. du st (ist als ein klotz, ölgötz, Tilman, lüchter), aber da
nur formen mit t oder ie vorkommen, nie solche mit ü, ist es
nicht erlaubt an tülle 'lampenröhre' anzuknüpfen. — Zu rech-
tem leben hat erst Luther dem Worte gbtze verholfen, indem
er es für 'abgott' gebrauchte, eine bedeutung, die zwar schon
nach dem Ursprung des Wortes nicht fern lag, die aber doch
erst von Luther in entscheidender weise ausgeprägt worden ist.
LEIPZIG. K. VON BAHDER.
35*
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ETYMOLOGISCHES.')
1. elo.
Das germ. und baltoslav. haben eine ganze menge von
adjectiven mit einander gemeinsam, und mehrere darunter sind
bisher ausschliesslich in diesen beiden Sprachgruppen gefunden,
so z. b. ags. Mut, ahd. bleiz, aksl. bledü 'bleich'; ahd. slaf, nl.
slaj), aksl. slabu 'schwach, schlaff'; got. halts, an. haltr, ags.
heult, ahd. halz, russ. hold- 'hinkend' (s. Et. wb. der got. spräche
s. 68); ags. rot, aksl. radti 'froh'; ahd. muntar, lit. mandrUs
'munter', aksl. tnadru 'weise'; ags. ferse, ahd. frisc, lit. preskas,
aksl. prestnü 'frisch, ungesäuert'; ags. pystre, peostre, and. thius-
tri, russ. tusklyj 'finster* (ein anderes wort für 'finster, dunkel;
nämlich ags. deorc, engl, dark, vgl. lit. daryiis 'regnicht' und
ddrgana 'rcgnichtes wetter', findet sich auch im keltischen, s.
Stokes, Urkelt. Sprachschatz 149). Auch ist daran zu erinnern,
dass die farbennamen mit suffix -uo- nicht nur im germ. und
it., sondern auch im baltoslav. keineswegs selten sind. Mir
sind folgende Übereinstimmungen zwischen dem baltoslav. und
dem germ. bekannt : an. fylr, ags. fealu, ahd. falo, lit. pälras
'falb', aksl. phivü 'weiss' (weitere verwante bei Kluge5 96);
an. solr, ags. saht, ahd. sah, aksl. slaro- 'glaucus' (s. Beitr. 20, 564);
ags. geolo, ahd. geh, lit. zelvas 'grünlich' (Zubaty, Arch. f. slav.
phil. 16, 420; auch lat. hehus). Diesen drei fällen möchte ich
noch einen vierten anreihen.
Ahd. elo 'gelb' braucht nicht aus lat, helvus (elms) ent-
lehnt zu sein, denn es lässt sich ungezwungen mit einem
litauischen worte verbinden. Kurschat kennt nämlich ein plur.
tantum elvfjtos, das 'die birkenen seitenstangen einer Schaukel'
bedeutet, also urspr. wol ein wort für 'birkenzweige' gewesen
ist. Deshalb vermute ich, dass es dereinst einen birkennamen
') Als ich diesen aufnatz einsante, war mir E. Zupitza, Die geruian.
gutturale uoch nicht in die bände gekommen. Ueber hocken vgl. Zupitza
s. 121, über höcker ebda. 11. [Correcturnote].
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ETYMOLOGISCHES.
537
*elvas oder *clr{/s gegeben hat (vgl. zclvifs 'ein grünender
stamm 1 : zelvas). Nun gehört bekanntlich hd. birke, lit. bcrzas,
aksl. brcza, osset. bärz, aind. bhürja- zur indog. wz. *bherg-
'glänzen, weiss sein', was auch für lit. *clrjjs eine ähnliche
grundbedeutung vermuten lässt. Aber dann liegt es nahe an
ahd. elo anzuknüpfen und anzunehmen, dass elvtjtos, *clr$s auf
einem adj. *clvas beruhen, das 'hell, weiss' oder dgl. bedeutete.
Feiner dürfte auch aksl. olovo 'blei', russ. ölovo 'zinn', apr.
altcis 'blei', lit. ahas 'zinn' als 4 das weisse metall' hierher
gehören (die urslav. form war olovo und die balt. Wörter sind
wahrscheinlich aus dem slav. entlehnt, s. Brückner, Die slav.
fremdwörter im litauischen 67. 167. 191) und wir hätten dem-
nach einen ablaut *olo- : *el- anzunehmen. Ueber das zinn
und das blei vgl. man Schräder. Sprach vergl. und Urgeschichte2
310 ff.
Auf grund des gesagten sind fälle wie ahd. gelo, lat. helvus
nicht mehr als eine besondere Übereinstimmung zwischen dem
gemi. und it.. sondern als altes erbgut zu betrachten, denn
der umstand, dass in wenigstens drei Sprachgruppen eine ka-
tegorie von farbennamen mit suffix -uo- vorhanden ist, lässt
sich kaum anders erklären. Auch dem keltischen sind solche
bildungen nicht fremd (kelt. *bläro- — lat. flavus, Stokes. l'r-
kelt. Sprachschatz 187, und eymr. sähe — ahd. sah, Stokes
a.a.O. 291) und jedenfalls eine findet sich selbst im äussersten
osten unseres Sprachgebietes (aind. etjaeä- 'dunkelbraun', vgl.
aksl. sh% apr. sywan 'grau'). Ich brauche wol kaum hervor-
zuheben, dass Hirts anregender aufsatz über partielle Überein-
stimmungen zwischen dem germ. und dem it. (Zs.fdph.2D. 280 ff.)
mich zu dieser erörterung veranlasst hat. Wahrscheinlich wird
die zahl der sonderentsprechungen bei sorgfältigerer durch-
forschung der indog. sprachen immer mehr hinschwinden. So
ist lat. combretum, lit. szrendrai 'schilf nicht ausschliesslich
lat. und lit., sondern auch germ. (an. hronn, s. Noreen, Urgerm.
lautl. 173) und lat. vacillo, aind. vdneati ist kein ital.-indisches
wort, sondern mit got. -trnhs verwant (s. mein Et. wb. der got.
spraclie s.v. unwähs, teagyarvis). Demnach sind diese beiden
fälle aus Kretschmers listen (Kinl. in die gesch. der griechischen
spräche 148. 134) zu streichen. Auch unter den win tern, welche
als ausschliesslich germ.-baltoslav. betrachtet werden, gibt es
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538
UHLENBECK
einige, welche auch sonst nicht unbekannt sind, und mehrere
dieser art sind schon von Hirt erledigt worden. Ich füge
noch hinzu, dass ahd. chiuwu, aksl. zivq (Kluge, Pauls Grundr.
1,320) sich in pers. dzavidan widerfindet (Hübschmann, Pers.
Studien 49) und verweise für got. guip, aksl. zlato, lett. zelte
und got. galga, lit. zalgä (Kretschmer a. a. o. 108) auf mein Et.
wb. der got. spräche.
2. fuhs.
Ahd. fuhs, mhd. vuhs, nhd. fuchs, ags. engl, fox, nl. vos
und got. faühö, an. föa, ahd. foha, mhd. vohe werden meistens
als 'geschweiftes tier' aufgefasst und mit &m<\.j)uccha- 1 schwänz,
schweif verbunden, wobei man annehmen muss, dass püccha-
auf indog. *puksk(h)o- zurückgeht. Ich halte dieses für richtig
(mit der Hesychischen glosse yovai * aXmxe xsq, worauf Schräder,
BB. 15, 135 f. hinweist, ist nichts anzufangen), umsomehr weil
es noch im slavischen eine ganze Wortfamilie gibt, welche sich
sowol mit fuhs wie mit püccha- verbinden lässt. Dort finden
wir nämlich eine wurzel puch-, pych-, puch- (Miklosich 268),
welche 'blasen, aufblasen, anschwellen, aufgedunsen sein, dicht
und wollig sein' u. dgl. bedeutet und deren ch auf indog. ks
(= ahd. Iis in fuhs) zurückgehen kann: neben *puks- steht eine
kürzere wurzelform in got. faühö. Auf grund der folgenden
russischen Wörter und ausdrücke glaube ich diese combination
für zwingend halten zu müssen: puch ' flaumfcdern, daunen,
milchhaar, feines wolliges haar an tieren', pusistyj 'wollig,
dicht, buschig', pusistyj chvost (oder in der Jägersprache pu-
sistaja trubd) 'wolliger, buschiger schwänz' (insbesondere vom
fuchs gesagt, s. Tolstoj, Sämmtliche werke 6, 355), raspusitt
vitrost (trubu) 'den schwänz ausbreiten' (ebenfalls vom fuchs,
s. Tolstoj, a.a.O.), pusnoj tovär 'pelzwerk' u.a.m.
Ks sei noch daran erinnert, dass Franck (Notgedrungene
beitrage 22 ff.) den germ. fuchsnamen gern als 'faucher, fauch-
tier' erklären möchte. Auf grund von russ. puch, pusistyj u.s. w.
ziehe ich es vor 'geschweiftes tier' als grundbedeutung anzu-
setzen; falls man aber den Grimmschen gedanken bevorzugt
und mit Franck von dem begriffe des fauchens und schnaubens
ausgehen will, dann darf man an eben dieselbe slavische Wort-
sippe anknüpfen, denn russ. pychäti, pysut), pychnutt bedeuten
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ETYMOLOGISCHES.
539
'stark blasen, atmen' (pychte'tt 'keuchen', ;>ytfti#y 'aufgedunsen,
üppig, prächtig' u.s.w.).
3. hocken.
Hd. hocken gehört mit mhd. buchen, mnd. hflken, nl. hniken,
m.hüka (part. hokinn) zusammen (Kluge5 170, Franck 389).
Ausserhalb des germ. sind zu vergleichen poln. kuezec 'hocken',
serb. eucati, slow öueeti 'hocken, kauern' (s. Miklosich 37),
welche auf eine wurzel *keuk- hinweisen und deshalb zu an.
hüka — hokinn nicht recht stimmen. Man bedenke aber, dass
das k in hüka nach langem vocale aus kk vereinfacht sein kann
und dass hokinn sein k statt des zu erwartenden g von hüka
beziehen konnte. Germ. *hukk-, *hiik(k)-, *kug- würde, wenn
die slav. Wörter wirklich verwant sind, auf vorgerm. *ktikn-,
*kakn-, *ktik- zurückgehen. Andere verbalstämmc, welche bis
jetzt nur im germ. und baltoslav. nachgewiesen sind, findet
man in meinem Et. wb. der got, spräche s. v. bairgan, blandan,
glitnmnjan, greipan, hüpan, lisan, swers; bei Kluge5 s.v. dre-
schen, klafter, kneipen, kneten, krähen, lahm, qual, schwül,
zergen\ bei Franck s. v. delven (nur zu aksl. dliiba und seinen
baltoslav. verwanten), schrapen, »makken. Vgl. ferner z. b.
Beitr. 16, 563 (drabbe), 21, 105 (sluikcn). 22, 193 (tvöpjan), 22. 199
(smuylen) und unten (ztvecchön). Neuerdings hat Bugge (Beitr.
21,425) noch norw. tira mit lit. dyre'ti verbunden.
4. höcker.
Hd. höcker, mhd. hocker, hogger, hoffer (mit urgerm. kk :
lässt sich nicht, wie Kluge5 170 will, mit aind. kubjd- ver-
einigen, wol aber mit bulg. serb. kuka 'haken', serb. kuka
'windung eines flusses', aksl. hiko-nosü 'krumnmasig', welche
ich früher (Aich. f. slav. phil. 15, 488) unrichtig beurteilt habe.
Vielleicht dürfen wir auch an die sippe von got. hauhs an-
knüpfen.
Es sei mir bei dieser gelegenheit gestattet auf andere
substantiva aufmerksam zu machen, welche nur im germ. und
baltoslav. gefunden sind. An erster stelle nenne ich ein synonym
von höcker, nämlich ahd. hocar, lit. kuprd. Dann ahd. harti
'Schulterblatt', russ. dial. kortyski 'schultern'; ahd. fast, aksl.
pestf', ahd. rippi, aksl. rebro; nl. speen, lit. sphij/s; got. hairjrra,
aksl. cresla; ahd. snabul, lit. snajias; nl. stront 'faeces', aksl.
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540
UHLKXRECK
tradu 'art krankheit', vodo-irqdovitü lvdtQtmv\ slov. tröd 'n£ka
bolecina v örevih', poln. trad 'aussatz'; ahd. ilgi, aksl. alüct,
alca, lit. \sz-alkis 'hunger'. An tiernamen habe ich nur fol-
gende aufzufinden vermocht: ahd. harmo, lit. szarm{kx)\ ags. #>/-
/Ww, ahd. elbiz, aksl. te&e<fr; ags. lecuc, ahd. fafo, russ. poln.
lososh lit. fttem, lasziszd; got. wa/tf, an. wofr, aksl. motiT; agps.
irifel, ahd. urifttl, lit. väbaJas. Unsicher sind ahd. hrind, apr.
klentc, clynth; alid. im/ki 'raupe', aksl. ri/ba ' fisch ? (Pogodin.
s. IF. Anz. 7, 161); ahd. habuh, poln. Jcobiec 'lerchenfalke', russ.
ÄeJfoc 'falco apivorus' (Pogodin a.a.O.; ich halte *koblct für
ein lehn wort, vgl. Miklosich 122 s. v. kobuzü). Vgl. noch Et.
wb. der got. spräche s. v. swein und Beitr. 22. 199 (carken). Lit.
eäszkas und aksl. voskü stimmen trefflich zu ahd. wahs, s. aber
Kluge5 392. Der pflanzennamen gibt es nur sehr wenige, welche
ausschliesslich germ. und baltoslav. sind: ahd. aspa, ags. msp,
an. gsp, poln. osa, russ. osina, apr. abse, lit. apuszis; ags. bearu
'Wäldchen', aksl. borü 'pinus', bulg. bor 'tanne', serb. bor ;föhre\
czech. bor 'kieferwald', poln. bor 1 flehten wahr, russ. bor 'nadel-
wahT; ahd. hemera 'nieswurz', aksl. fernen 'gift', eemerica 'helle-
borus'. Slov. dren, serb. drjen, russ. rfcren 'cornus mascula*
sind wol nicht urverwant mit ahd. Hm- und ahd. rocko, lit.
r*9ffSf a^sl. ritzt ist auch thrakisch. Ganz unsicher ist die
Zugehörigkeit von mnl. sporkcl 'februar' zu lit. spurgas 'pflanzen-
auge\ das übrigens auch in andern sprachen verwante hat.
Sonstiges aus der natur findet man bei Kluge5 s. v. tceüe.
wetter, Kt. wb. der got. Sprache s. v. asans (die Zugehörigkeit
von lat. annöna ist sehr zweifelhaft), fön, mabmt, stafs, st «ins,
peihtvö, waggs: einiges darunter ist aber ziemlich unsicher
(vgl. noch an. tujglnir, night, aksl. mlunija). Dann mehrere
Wörter welche sich auf die menschen, ihre gesellschaft und
Wirtschaft beziehen: s. Et. wb. der got. spräche s.v. liudan (ahd.
Hut, liitti, lett. Ijaudis, aksl. ljudu, Ijudi), ferner s. v. barn, driu-
gan, Pius, dann s.v. gards, hahns, Franck s.v. grendel, teegge;
Kluge5 s. v. wasche. Ahd. zarga "Umzäunung' ist mit lit. därz'as
•garten' verwant und in demselben Verhältnis durfte ahd. scalm
zu aksl. clünu (d. i. *clinu) 'kahn' stehen (weniger sicher ist
ahd. /arm, slav. *pormü, s. Miklosich 259). Die waffennamen
lasse ich vorsätzlich zur seite, weil hier der verdacht der
l) Vgl. jedoch Meyer-Lübke, IF. anz. 7, 7G.
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ETYMOLOGISCH KS.
541
entlehnung sehr nahe liegt (wol aber weise icli hin auf ahd.
gerta, aksl. zrudT, Beitr. 10. 510 f.). Ausschliesslich germ.-balto-
slav. Viehzucht ausdrücke findet man im Et. wb. der got. spräche
s. v. hairda, hairdcis und bei Kluge5 s. v. stufe. Namen von
speisen und getränken sind kaum aufzutreiben, denn aksl. olu
'sicera', apr. alu 'mct\ lit. alits 'hausbier' (vgl. ags. ealu iL s.w.)
sind der entlehnung verdächtig. An abstracten begriffen sind
hervorzuheben: an. hrös iob, rühm', aksl. krasa 'Schönheit';
hd. nutzen, lit. naudä; hd. harm, aksl. sramü * schände'; ags.
gleo, glcam, an. gly, glaumr, lit. glaudas 'kurzweil'; s. noch Et.
wb. der got. spräche s. v. dails, gaidic, naups, lists. Endlich sei
noch auf einige vereinzelte Wörter hingewiesen: ahd. hing,
aksl. krqgu; nl. romp (s. Franck s. v.), aksl. rqbu, rqbiti (s. Mi-
klosich 281); an. ags. söt 'russ', aksl. sazda, lit. sudis.
5. hugi.
Ahd. as. hugi, ags. hyzc, an. hugr, got. hugs 'sinn' darf
natürlich nicht zu lat. cupio gestellt werden, das vielmehr mit
aind. küpyati 'wallt, zürnt' und aksl. kypeti 'wallen' auf einer
wz. *keup- beruht, und ebensowenig ansprechend ist eine an-
dere etj'mologie, welche zwar die lautgesetze nicht vernach-
lässigt, aber semasiologisch nicht die mindeste Wahrscheinlich-
keit für sich hat, welche nämlich an aind. vöeati 'leuchtet,
glüht, brennt, trauert' anknüpft. Der grundbegriff von hugi
ist nicht 'glut, quäl, schmerz, kummer' (bedeutungen von aind.
cöka-), sondern 'wallung, geistige erregung, begehren, freude,
hoffnung', wie man aus Franck 307 ersehen kann, der das
wort mit den meisten etymologen zu rocati stellt. Es ist be-
kannt, dass hd. berühren, nl. beroeren, ontroeren und aind.
mathndti (hrdayäny ämamantha, sampramathya indriyagramam,
HR., vgl. auch man-matha- 'liebe') oft vom geiste gebraucht
werden, dass gr. ffvuoc ursprünglich ein wort für ' Wallung,
heftige bewegung' gewesen ist und die bedeutungen 'erregung,
jgemüt. zorn' angenommen hat, dass russ. retivoje, eig. das
'unruhige' (vgl. gr. (toftoj:). in dichterischer Volkssprache ein-
fach 'herz, gemüt' bedeutet, und somit dürfte es kaum Wider-
spruch erregen, wenn wir hugi auf eine wurzel mit der sinn-
lichen bedeutung 'rühren' oder dgl. zurückführen wollten.
Darum gebe ich zur er wägung hugi mit gr. xvxam 'rühre ein',
542
UHLENBECK
xvxtaiv ' mischt rank', xvxtj&Qov 'rührkelle' zu verbinden, wozu
»auch aksl. kyciti 'stolz machen' gehören kann.
6. sübar.
Ahd. sübar, sübiri, as. sübri, SLgs.syfre 'sauber, rein, schön'
wird von Pedersen (IF. 5, 64) zweifelnd mit aksl. chubavü 'pul-
cher', chubostl 'pulchritudo' auf eine wurzel mit anlautendem
ks zurückgeführt. Dieses ist aber wenig empfehlenswert, denn
das südslav. *chubü scheint vielmehr ein lehnwort aus dem
iranischen zu sein, vgl. pers. chüb 'gut, schön', worüber Horn
(Grundr. der neupers. etym. 111) und Hübschmann (Pers. Stu-
dien 57) nachzuschlagen sind. Andere iranische lehnwörter im
aslav. sind süto 'hundert' (aus iran. sata-), Cosa 'becher' (aus
iran. *casa-, worüber Hübschmann a. a. o. 51), vielleicht bogü
'gott' (aus iran. baga-).
An Zusammenhang von sübar mit aind. cöbhate 'glänzt'
dürfen wir aus phonetischen rücksichten kaum mehr denken,
und deshalb mag es wol gerechtfertigt sein, dass ich mich
nach einer anderen erklärung umsehe. Am nächsten liegt es
sabar, sabiri für eine ableitung von lat, super, gr. vjttQ zu
halten, dessen comparativ superior 'trefflicher' bedeutet: so
könnte auch sabar erst 'obenanstehend', dann 'hoch, edel, treff-
lich' und zuletzt erst 'sauber, rein, schön' bedeutet haben.
Kür mehr als eine Vermutung gebe ich diesen erklärungs-
versuch natürlich nicht aus.
7. zwecchön.
Kluge (Beitr. 9. 171) sagt: 'das aus ahd. stecchal steil«
erschlossene stikkö- steigen* darf an ksl. stignati seilen« und
skr. stighmti er schreitet- angeschlossen werden.' In dem-
selben aufsatz erwähnt er 'ae. twiccian, ahd. zwecchön carpere,
vollere neben ahd. zwigon1 ohne an eine aussergerm. Wortsippe
anzuknüpfen (a. a. o. 103, vgl. sein Et. wb.5 s.v. zweck, zwick,
zwicken). Ich vermute, dass zwecchön — twiccian trotz hd.
zwacken, dessen ablautsform ja leicht unursprünglich sein kann,
auf einer /-wurzel beruht, und vgl. aksl. dvignati, dvigati,
drizati "heben, in bewegung bringen'. Das kk von germ. *twikk-
entspricht dem gn von dvignati.
AMSTERDAM, januar 1897.
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ZUR LAUTGESCHICHTE.
543
ZUR LAUTGESCHICHTE.
1. Die Vertretung der labiovelaren media aspirata
im anlaut.
In seinem wertvollen buche über Die germ. gutturale (Berlin
1896) nimmt Ernst Zupitza an, dass die anlautende labiovelare
media aspirata, gerade wie Osthoff (IF. 4, 268 ff.) es für das
keltische wahrscheinlich gemacht hat, im germanischen durch-
aus seine labialisation aufgegeben habe und ausschliesslich
durch g vertreten sei. Ich glaube, mit unrecht. Fassen wir
seine belege (97 f.) näher ins auge.
Norw. gand 'pflock', an. gondoll 'virga virilis' : aind. hänti,
gr. ötlvco, (povoq u. s. w. Gegen diese gleichung ist aber fol-
gendes zu bemerken: 1. gand lässt sich kaum als eine ableitung
von einer auf n auslautenden wurzel begreifen, denn ein indog.
dh- (oder t-) suffix mit instrumentalbedeutung ist nicht nach-
gewiesen; 2. Wadstein (IF. 5, 30 f.) hat gand mit grosser Wahr-
scheinlichkeit aus *£a-wand- gedeutet und zu tvindan gestellt
(ob got. wandus hierher gehört, ist zweifelhaft : s. Beitr. 22, 192).
In an. gunnr, ags. guö, ahd. gundea 'kämpf, welche natürlich
nicht von aind. hatyä und hänti zu trennen sind, hat das an-
lautende gw, ehe es durch Sievers1 gesetz zu w werden konnte,
vor u seine labialisation eingebüsst: vgl. das folgende.
Got. -gildan, an. gjalda, ags. gicldan, ahd. geltem : gr.
tiX&o*; 'abgäbe' u. s. w. Diese gleichung wird richtig sein,
kann aber nichts für Zupitza beweisen. Osthoff (I F. 4, 269)
sagt schon das folgende: 'und kann in got. fra-gildan, aisl.
gjalda u.s.w. das anlautende an sich ein früheres gw- =
indog. jh- vertreten? Wo nicht, so wäre hier ... der einfluss
der schwachstufigen formen got. guldum, -guldans heranzu-
ziehen, um $i:ld-, zdd-, so auch in den nominell got. gild
gilsir ... zu erklären.' Diese andeutung Osthoffs trifft gewis
das richtige und demnach sind -guldum, -guldans wie an.
gunnr, ags. jud, ahd. gundea zu beurteilen.
Nnd. goske, nhd. gusehe 'niund' : aind. ghoshati ; verkündet,
ruft aus', gr. jrufavoxo) 'lasse leuchten, gebe kund, zeige an,
gebe zu verstehen'. Mir scheint es geraten, das griechische
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544
UHLENBKCK
wort aus dem spiele zu lassen, doch selbst wenn es hierher
gehört und das g in gusehe als indog. gh erweist, so haben
wir nur einen weiteren beleg für den frühzeitigen Verlust der
labialisation vor u.
Mlid. gumpcn, gampen 'springen1 u.s.w. : gr. afapßowfa*
dxoXaarau ovöa. Falls diese combination richtig wäre, könnte
man das g in gumpcn als lautgesetzlich betrachten: von dort
aus wäre es auf gampen übertragen. Aber dfrefißovoa ist
kaum von dxefißo) zu trennen, das sicher einen ursprünglichen
dental hat (s. J. Schmidt. Kritik der sonantentheorie 65, vgl.
Bartholomae, TF. 7. 93). l'ebrigens zieht Zupitza noch gr. q-afp
1 wilde taube' heran, das aber wol besser erklärt werden könnte
(in den meisten sprachen heisst die taube nach ihrer färbe:
got. -dabo, aksl. golabt, aind. hapota-, gr. jthXtia u.s.w.).
An. grunr 'verdacht', gruna 'bezweifeln' : gr. VQt'jv, tppordw,
(pQovxiq u. s. w. Für ganz sicher darf dieses nicht gelten, denn
grunr, gruna lassen noch eine andere erklärung zu (aus Ma-
rtin-, Wadstein, TF. 5, 28). Bestenfalls kann grunr nur dasjenige
beweisen, was von vornherein wahrscheinlich ist, nämlich dass
die labialisation des anlautenden gw auch vor consonanz ver-
loren gieng, und folglich ist es für Zupitza's hypothese nicht
zu verwerten.
An. gcÖ Leidenschaft, gemüt' : gr. jtofhoc. Diese com-
bination ist schon darum unsicher, weil *o#oc sich mit dem-
selben rechte zu aind. bddhatc, got. btdjan stellen Hesse. Kann
geö nicht mit der sippe von got. göds, gadiliggs, aksl. godü,
goditi verwant sein? Für das slavische geht Miklosich Gl
von der grundbedeutung des erwarten» und wünschens aus,
wovon •leidenschaft' nicht zu weit abliegen dürfte.
l'elier an. gciga 'schwanken' : lit. zeaigineju brauche ich
nicht zu sprechen, denn lit. zv weist auf indog. g(h)u.
Im gegensatz mit Zupitza nehme ich auf grund der fol-
genden drei gleichungen an, dass indog. $h im anlaut durch
germ. w vertreten wird, ausgenommen vor u und consonanz
(s. oben).
Ahd. warm, an. varmr u.s.w. : aind. gharmd-, lat. formus,
air. gönn, apr. gönne (dazu mit e gl*. 0-fQfios, armen, dzertn).
Es scheint mir nicht empfehlenswert, warm von gharmd- und
sippe zu trennen und es mit aksl. vre'ti, lit. tftrH 'kochen', aksl.
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ZUR LAUTGESCHICHTE.
545
ntrü 'glut', variti 'kochen', armen, rarem 'zünde an* zu ver-
binden (mit apr. tcarmun, uorniyan, urminan 'rot' und klein-
russ. vermjanyj ist nicht viel anzufangen, vgl. aber Zubaty,
IF. 0, 156).
Got. wamba, an. vgmb u.s.w. : aind. gabhd- 4vulva' (Pe-
dersen, BB. 20, 238). gdmbhan-, gambhära-, ga(m)bhird-, slav.
*gtba (s. Beitr. 22. 192).
Got. wöpeis, ags. tvide u. s.w. : gl*, (proitov jtQooqiltQ,
t)öv (Hoffmann, BB. 18. 288). Zupitza 34 identificiert r/conov
mit ir. bdid 'süss', indem er anzunehmen seheint, dass <pa'mov
für *(fajöiop verschrieben sei. Ist es aber nicht besser qvhiov
zu lassen, wie es uns überliefert ist? Dann stimmt es zwar
nicht zu ir. bdid, wol aber zu got. tcöpeis.
Ich glaube, dass durch diese erörterung der annähme einer
germ. entlabialisierung des anlautenden *h der boden ent-
zogen ist.
2. Nochmals hana : hön.
Ein beispiel von secundärer vrddhi, das sich in allen hill-
sichten mit as. hon : got, hana vergleichen lässt (s. Beitr. 22,
189 f.). ist baltoslav. *uörnä 'krähe', lit. vdrna, russ. vorona,
serb. rruna zu baltoslav. *%orno- *rabe\ lit. rfirnas, russ. voran,
serb. nun (s. über die vocal- und accentverhältnisse Hirt, Der
indog. akzent 133). l'rsprünglich wird *uörna 'die zum rabeii
gehörige, die rabenhafte oder rabenähnliche' bedeutet haben.
Aehnlich ist das Verhältnis von lit, Jcdrwe, russ. koröra, serb.
hrava 'kllb' zu lat. ccrrus (vgl. Hirt a.a.O. 136).
Auch aksl. klada 'block, balken', russ. koloda, serb. kltida
aus *köldä (s. Hirt a. a. o. 137) dürfte trotz seiner bedeiitung
eine vrddhi-ableitung von ahd. höh sein ('block' als 'hölzernes'),
was mich auf den gedanken bringt, auch aind. daru auf diese
weise zu erklären.
In seiner jetzigen fassung kann Brugmanns gesctz über
die Vertretung des mit e ablautenden o in offener silbe durch
indoiran. a nicht richtig sein. Das beweisen sichere etymo-
logien wie aind. ddma-, gr. öofiog, lat. domus, aksl. domü zu
gT. dtum; aind. ghand-, gr. <p6voq zu aind. hdnmi, gr. Mva
u. s. w. : s. neuestens Meillet (Mein, de la soc. de ling. 9, 142 ff.),
der alles was gegen Brugmanns gesetz spricht oder zu sprechen
546
UHLENBECK
scheint, kritisch durchgemustert hat. Audi die einschränkung
des gesetzes, welche Osthoff (MF. 4, 303 anni.) vorschläft, näm-
lich dass die regel nur für hochbetontes o gelte, befriedigt
nicht, weil ddma-, hhdra-, tdra- u.s.w. damit in unlösbarem
widersprach stehen. Dennoch inuss die proportion jiaTtQa :
to(ta = pitdram : svdsäram (Streitberg, IF. 3, 304) uns die
Überzeugung aufdringen, dass das Brugmannsche gesetz, wenn
nicht ganz, doch wenigstens zum teile wahr sein muss.
Ich formuliere das gesetz folgendermassen: das mit e ab-
lautende o wurde im arischen zu ä in offener, unmittelbar
nachtoniger silbe, oder in anderen Worten in offener
Silbe mit abhängigem svarita. So erklären sich sofort
< » , » «
die accusative svdsäram, ndptäram, kdrtäram, dätäram, rdja-
nam, dvmünam, sdkhüyam und ebenso die pluralischen noini-
native wie srdsüras und die dualformen wie svdsürüu, weiter
die verbalformen bhdrümas, kupyümas, vartdyümas und bhdrävas,
kupyävas, vartdyüvas. Die accusative mit /I im stamm wie
dütüram, ütmünam, püdam, väcum, ushäsam (neben ushdsam =
rjoa) — so auch datäras, dätürau u. s. w. — müssen es auf ana-
logischem wege erhalten haben, und dasselbe gilt von dem ä
in limpämas, limpdvas, das sich leicht durch den einfluss der
anderen themavocalischen präsensklassen erklären lässt. Auch
aind. jajäna neben jajdna fügt sich unserer fonnulierung am
besten, wenn wir nur annehmen wollen, dass jajdna ursprüng-
lich die orthotonierte form, jajüna dagegen enklitisch war.
Natürlich wurde in einer zwei-, drei- oder mehrsilbigen verbal-
form, auch wenn man sie enklitisch gebrauchte, eine silbe am
meisten accentuiert und gr. ytyovt wie auch die analogie der
aind. vocativbetonung (s. Hirt a.a.o. 181) macht es wahrschein-
lich, dass es die anfangssilbe war. Aber aus *ye'yöne ergibt
sich lautgesetzlich jajünal
Sind die obigen ausführungen richtig — und ich glaube,
dass ihnen keine tatsachen entgegen stehen, welche sich nicht
anders deuten Hessen — , so hat man nicht das recht aind.
däru unmittelbar mit gr. dö>> gleichzusetzen. Aber warum
kann däru, das doch vor allem den collectiven begriff 'holz'
repräsentiert, keine vrddhi-ableitung von einem indog. *dönt
oder *deru 'bäum' sein? Eine ähnliche erklärung ist auch für
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ZUR LAUTGESCHICHTE.
547
jdnu möglich, wenn man nämlich annimmt, dass in der Ur-
sprache neben *yenu 'knie' ein collectivum *gonu 'die beiden
knie' vorhanden war.
Ich zweifle nicht, dass manches was bis jetzt nicht mit
Streitbergs dehnungsgesetz in einklang zu bringen war, seine
erklärung durch die unumgängliche annähme dynamischer
Steigerung in ausgedehntem masse finden wird (das gilt z. b.
wol von der dehnstufe der causativa wie aind. rrdvuyati, plä-
vdyali, grähdyati, rardyati, svüpüyati, aksl. slariti, plariti, yra-
tritt, valitt, lat. söpire). Denn dass das dehnungsgesetz den
kern der Bache getroffen hat, ist durch Hirts aufsatz über die
dehnung im serbischen (1 F. 7. 135 ff.) um vieles wahrschein-
licher geworden.
AMSTERDAM, febr. 1897. C. C. UHLENBECK.
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KLASSENSUFFIXE.
H. Pauls wichtiger Vortrag M'eber die aufgaben der wort-
bildungslehre' (Sitzungsberichte der philosophisch-philolog. und
histor. klasse d. k. b. akademie d. wissensch., 1896, lieft 4, 092 f.)
gibt mir anlass, eine von mir grossenteils im colleg seit jähren
vorgetragene theorie der beurteilung der fachgenossen zu unter-
breiten.
Paul wendet sich a.a.O. (s. 693 f.) gegen die übliche Gleich-
stellung von wortbildungs- und flexionslehre. Sie entsprechen
sich, lehrt er, nur insoweit, als die wortbildungslehre bloss
morphologie ist. So weit aber ihre nähere bearbeitung eine
mehr individualisierende behandlung auf grund der bedeutung
erfordert, stehe die wortbildungslehre auf einer ganz andern
Ünie als die flexionslehre.
Ich meine nun, dass der von Paul klar und scharf hervor-
gehobene unterschied dennoch nur ein gradueller ist und dass
von der einen kategorie zu der andern sich ein allmählicher
Übergang nachweisen lässt.
In den von der flexionslehre behandelten fällen dienen die
suffixe dazu, regelmässig aus wurzeln oder Stämmen einzelne
worte zu bilden, die (bei primären Suffixen) zu der betreffenden
wurzel oder (bei secundären suffixen) zu dem betreffenden
stamm in einer bestimmten beziehung stehen. In den von
der wortbildungslehre behandelten fällen dienen die suffixe
dazu, facultativ aus (selten wurzeln, zumeist aber) Stämmen
neue stämme zu bilden, die zu dem betreffenden mutterstamm
(oder der wurzel) in einer schwankenden beziehung stehen.
Daraus folgt: in der ersten kategorie sind mindestens der
theorie nach alle flexionsformen möglich; obwol tatsächlich
gewisse casus eines einzelnen nomens (seltener auch gewisse
personal formen und tempore eines einzelnen verbs) nie gebildet
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KLASSENSUFFIXE.
549
werden. Vor allem fehlen häufig ganze numeri und nur die
erfahrung kann uns über solche singularia oder pluralia tantum
belehren oder uns berichten, welche stamme gewisse ihnen der
regel nach zukommende endungen tatsächlich nicht gebrauchen.
Immerhin bleibt für die ungeheure überzahl der fälle die regel
bestehen, dass jede theoretisch mögliche flexionsform auch wirk-
lich vorkommt. — Dagegen gibt es überhaupt keinen einzigen
fall, in dem ein stamm alle an sich möglichen bildungen der
zweiten kategorie tatsächlich annimmt; und ebensowenig gilt
auch nur für die allerhäufigsten stammbildungssuffixe — wie
indog. -a, mhd. -cere, nhd. -ung — dass sie von allen stammen,
die sie der theorie nach annehmen könnten, wirklich auch
angenommen werden. Vielmehr muss es in jedem einzelnen
fall aus der praxis festgestellt werden, welche ableitungen zu
den verschiedenen nominal- und verbalstämmen vorkommen.
Vollständige nachweise hierüber wären sehr erwünscht; denn
die Wörterbücher geben fast niemals eine erschöpfende auf-
zählung. Und ganz ebenso muss immer erst aus dem gebrauch
ermittelt werden, an welche Stämme die einzelnen wortbildungs-
suffixe antreten; worüber wir in der stammbildungslehre Kluges,
Wilmanns Deutscher grammatik, 2. abt. und ähnlichen arbeiten
mindestens für die selteneren suffixe annähernd vollständige
Verzeichnisse besitzen.
Beispiele zu diesen allgemein bekannten tatsachen anzu-
führen ist überflüssig.
Zweitens aber folgt aus der oben von uns vorgenommenen
gegenüberstellung der flexivischen und wortbildenden suffixe
der nicht minder wichtige umstand, dass das Verhältnis der
mit einer beliebigen 'endung' gebildeten form zu der Stamm-
form oder den anderen abgleiteten formen ohne weiteres dem
sinn und inhalt nach völlig klar ist. Fügen wir an einen
nominalstamm das suffix des genetiv singularis, an einen verbal-
stamm das suffix der 3. person pluralis, so hat die neu ent-
standene form genau dieselbe bedeutung wie jeder andere gen.
Sfifi Je(le andere 3. pl. Angenommen, es wäre zufällig der
genetiv irgend eines bestimmten nomens seit dem Ursprung
der spräche noch niemals gebildet wrorden, so würde allen,
die ihn heute zum ersten mal hören würden, sofort klar sein
was er bedeutet. Ganz im gegensatz dazu ist das inhaltliche
Beitrage «ur getchichte der deutschen ipr»ctae. XXII. 3(J
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550
MEYER
Verhältnis einer neuen wortableitung zu ihrem stamm und zu
ihresgleichen — wie eben grade Paul a. a. o. näher nachweist
— keineswegs von vornherein genau bestimmt. Die gleiche
ableitung kann beim antritt an zwei verschiedene Stämme zwei
worte von ganz verschiedener bedeutung ergeben. Ein fehler
(a. a. o. 8. 697) ist ganz etwas anderes als ein führet; obwol
das eine wort genau so von fehlen, wie das andere von führen
abgeleitet ist. Auch sind solche abweichungen keineswegs
immer erst historisch entstanden — was zwar principiell gar
keinen unterschied macht — , sondern die Verbindung des
gleichen wortbildungssuffixes mit zwei verschiedenen stammen
kann von der ältesten zeit her zwei abweichende bedeutungen
ergeben haben.
Wir sehen also: beide kategorien unterscheiden sich durch
die viel stärkere freiheit der zweiten. Man kann jede flexions-
form bilden, und jede hat sofort einen vorher genau bestimmten
sinn. Dagegen kann man nie vorher wissen, welche ableitung
von irgend einem stamm zu einer bestimmten epoche, in einer
bestimmten spräche oder einem dialekt vorkommt, und eben-
sowenig, welche der verschiedenen an sich möglichen bedeu-
tungen die einzelne ableitung tatsächlich besitzt.
So schroff nun aber die Verschiedenheit scheint — nach
Schillers terminologie würde man sagen: im reich der flexion
herscht der zwang der natur, im gebiet der Wortbildung die
freiheit — , es liegen doch deutlich vermittelnd Übergänge
zwischen beiden suffixkategorien.
Zwischen den flexi vischen 'endungen' und den wortbilden-
den 'ableitungen' stehen suffixe mitten inne. die ich klassen-
bildende suffixe oder klassensuffixe nenne. Sie teilen
mit den flexivischen die eigenschaft, dass die neu entstandene
ableitung in ihrem sinn fest und unzweideutig bestimmt ist.
Sie teilen mit den wortbildenden die eigenschaft, dass die ab-
leitung keineswegs von jedem stamm, bei dein sie an sich
möglich wäre, tatsächlich vorkommt. Ob an einen stamm ein
bestimmtes klassensuffix tritt, kann nur die erfahrung lehren;
tritt es aber an, so ist die Verbindung inhaltlich so unzwei-
deutig bestimmt wie ein casus oder eine verbalform.
Dabei ist es noch besonders wichtig und lehrreich, dass
diese klassensuffixe auch unter sich selbst eine abstuf ung von
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KLASSENSUFFIXE.
551
der strengen regelung der flexion zu der beweglichen freiheit
der Wortbildung zeigen. —
Am nächsten stehen den flexivischen suffixen die der
comparation, die man denn auch vielfältig direct diesen
zuzählt. Aber wir finden von der ältesten zeit her ein neben-
einander von zwei comparativ- und zwei Superlativsuffixen.
Die comparativsuffixe scheinen zwar principiell geschieden,
indem -j[esf -ijles primär, -ero, -tero secundär ist; aber nun tritt
bei beiden widerum eine doppelform auf, die nicht ohne wei-
teres eine reinliche Scheidung ermöglicht. Noch weniger ge-
lingt diese bei den beiden Superlativsuffixen. Wol gibt Brug-
mann an (Grund r. 1, 156) dass -mo in Wörtern die zahl, rang,
räumliche und zeitliche anordnung u.dgl. bezeichnen, und -is, -to
bei dem primären comparativsuffix 4§ (ebda. s. 228) auftritt;
man sieht aber, wie schwankend diese Scheidung ist. Dazu
wird sie gekreuzt durch allerlei coinbinationen: Superlativ von
der wurzel oder vom comparativ, wechselnder bindevocal, sogar
doppelte Steigerung. Das ergebnis ist, dass man tatsächlich
keineswegs mit der gleichen Sicherheit die comparativsuffixe
eines bestimmten Stammes vorher bestimmen kann wie die
endungen. Die abweichungen tragen auch nicht etwa wie
der vereinzelte Übergang eines nomens oder verbs in eine
neue flexion den Charakter späterer Zerrüttung, sondern von
ältester zeit her stehen verschiedene bildungen in mehreren
sprachen oder sogar in ein und derselben spräche neben-
einander. Noch in mhd. zeit finden wir mehrere Spielarten
in gleichzeitigem gebrauch: vorderist und vorileröst u.dgl.
Femer aber wird diese relative unbestimmbarkeit noch
gesteigert durch die von der urzeit her vorhandenen fälle, in
denen die comparation durch suffix überhaupt ausgeschlossen
ist und in denen zwei oder drei etymologisch völlig unverwante
Stämme zusammentreten, um eine steigerungsreihe zu bilden.
Dass bestimmte positive (wie z. b. die farbenbezeichnungen)
überhaupt keine comparation zulassen, lässt sich wol allen-
falls a priori begreifen; ob wol gerade hier ausnahmen wie
das volkstümliche weisser als der sehnee, schwärzer als die kohle
u. dgl. die Unzulänglichkeit solcher Voraussetzungen dartun.
Dass aber gut und böse, klein und gross ihre Steigerungsformen
von fremden Stämmen entlehnen, ist schlechterdings nur aus
36*
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MEYER
der erfahrung zu entnehmen. Und doch ist nicht zu bezwei-
feln, dass ihre Verbindung mit comparativsuffixen — die im
verlauf der sprachlichen normalisierung sich ja vielfach durch-
gesetzt hat — in der urzeit absolut ausgeschlossen war.
Sobald aber nun durch ein oder das andere suffix, durch
anleihen bei Worten von ursprünglich eomparativischer oder
superlativischer bedeutung oder wie sonst die reihe hergestellt
ist, läuft sie jeder andern aufs genaueste parallel und hesser
steht zu gut genau so wie schöner zu schön. —
Der flexion sehr nahe steht zweitens die adverbial-
bildung. Für spätere epochen nimmt sie fast völlig den
Charakter der flexion an: schon mhd. kann z. b. fast von jedem
adjectiv auf regelmässige weise ein adverb gebildet werden;
wobei immerhin die ausnahmslosigkeit der eigentlichen flexion
nicht erreicht wird. Für die älteren zeiten ist die unbestimm-
barkeit ungleich grösser. Es ist nicht die rede davon, dass zn
jedem adjectiv (oder jeder wurzel einer bestimmten bedeutungs-
gruppe) ein adverb gebildet werden könnte; vielmehr treten
ganz überwiegend hilfsformen ein: erstarrte casus, alte avya-
j'ibhäva-compositionen wie postridie, avfrfj/jtQoi', hhwht, uUv&s.
In der ältesten geschichte überwiegt die bewahrung alter, sonst
abgestorbener casussuffixe, in der jüngeren die hypostasierung
noch lebendiger obliquer casus. Daneben tritt eine reihe
eigentlicher adverbialsuffixe auf, die zwar selbst nur nach-
bildung alter casussuffixe Bind, nun aber auch (wie es scheint)
neu an adjectivstämme treten können, ohne continuität der
alten flexion des adjectivs. Sie bringen es zu immer grösserem
ansehn und schliesslich kommt es wenigstens so weit, dass
principiell mindestens jedes adjectiv (mit verschwindenden aus-
nahmen) sein adverb bildet. Aber bis in die gegenwart reicht,
wie bei der comparation, daneben die Verwendung alter adverbia
von eigenem stamm: wie gut sein besser und best neben sich
hat, so leiht es sich auch ein erst jetzt absterbendes icol zum
adverbialgebrauch.
Besonders merkwürdig ist nun aber, dass inmitten dieser
der ungebundenheit in der Wortbildung nahe kommenden klasse
die älteste zeit für eine kleine gruppe eine adverbialbildung
von fast flexivischer festigkeit besass. Die ort s adverbia bilden
zu jedem pronominalstamm eine vollständige reihe von 4corre-
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KLASSENSUFFIXE.
553
lativis': a Weitungen mit der bedeutung der ruhe, der nähern-
den und der entfernenden bewegung lassen sieh ursprünglich
von jedem dieser stamme bilden. Die zeitadverbia nähern sich
dem einigermassen; die präpositionaladverbia haben mindestens
die eigenschaft, dass zu fast jeder alten präposition ihrer eine
existiert, auch mit ähnliehen bildungen (vocalische Verlänge-
rungen), aber doch nicht mit einem einheitlichen suffix.
Nun ist freilich die ganze bildung von adverbien zu ad-
jectiven, wie schon erwähnt, eine verhältnismässig junge er-
scheinung, die in der indog. epoche erst vorbereitet war —
vorbereitet eben durch die bildung von adverbien aus prono-
ininalstämmen. Sie hat sieh aber doch allmählich in allen
indog. sprachen zu einer regelmässigen ableitungsform aus-
gewachsen und gerade die langsamkeit dieser entwickelang
lässt den gang deutlich übersehen. Sind wir docli gerade jetzt
wider im begriff, ein neues adverbialsuffix, das vorerst noch
facultative -weise, zum allgemein verwendbaren ableitungs-
mittel zu machen, sei es noch in syntaktischer form (in fried-
licher weise), sei es als composition (unbegreiflicher weise, nur
durch die Schreibung von bildungen wie frz. agreablemcnt
verschieden). —
Die dritte und bei weitem die wunderbarste gruppe der
klassensuffixe bilden die der Zählung. Und zwar handelt es
sich hier um zwei verschiedene erscheinungen: einmal um das
System der cardinalzahlen, das skelett des ganzen zählwesens,
und zweitens um die ableitung der übrigen zahlworte aus
(wurzel oder) stamm der cardinalia. Uebrigens umfasst die
formenbildung dieser gruppe in sich selbst eine so grosse
mannigfaltigkeit, dass sie allein schon die scheinbar kaum zu
überbrückende kluft zwischen flexion und Wortbildung aus-
füllen könnte.
Die reihe der cardinalzahlen bildet eine der merkwürdig-
sten erscheinungen im ganzen gebiet der spräche. Welche
ungeheuere leistung der menschlichen abstractionskraft das
zählen überhaupt ist, hat man oft mit nachdruck hervor-
gehoben. Wie compliciert aber das hierzu dienende Werkzeug,
eben das system der cardinalia, ist, und zugleich doch wie
genial concipiert (wenn man sich so ausdrücken darf), das hat
meines vvissens noch niemand mit genügender schärfe hervor-
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MEYKK
gehoben. Man rechne es mir nicht als anmassung, wenn ich
eine (meines wissens, mnss ich immer hinzusetzen) neue auf-
fassung dieser einrieb tung vortrage; mir scheinen aber gewisse
merkwürdige eigenheiten der zahlworte ohne sie schlechter-
dings unbegreiflich. Was für gewöhnlich einfach als com Po-
sition aufgefasst wird, glaube ich hier als eine art flexion
bezeichnen zu müssen.
Man pflegt die cardinalia als eine reihe lose nebeneinander
stehender einzelworte anzusehen, etwa wie die benennungen
der körperteile, der eigenschaften oder (um ein moderneres,
aber dafür genauer zutreffendes analogon zu wählen, wie die
titel einer geistlichen, militärischen oder sonstigen hierarcliie:
worte, die vom verstand zu einer bestimmten Vollständigkeit
geordnet sind, von vornherein aber keinerlei beziehungen zu
einander haben. Wir sagen seconddieutenant, premierlieutenant,
Hauptmann; als man aber in Bayern noch sagte unlerlieutenant,
obcrlieutvnant, Hauptmann war es ganz dasselbe, und würde
morgen die benennung capitän für Hauptmann wider ein-
geführt, so würde das genau so gut die betreffende stelle des
Systems ausfüllen. Gegen diese gleichstellung der Zahlenreihe mit
irgend einer andern wortreihe der spräche protestiert aber vor
allem eine eigenheit der cardinalia. Dass sie sich gegenseitig
stark beeinflussen, ist zwar zu beachten, kommt aber auch
bei andern begriffsgruppen (z. b. den tages- und jahreszeiten)
vor. Auch die überall rasch eintretende bildung besonderer
zeichen für die zahlworte hat eine zwar nicht geringe, aber
doch keine ausschlaggebende bedeutung. Völlig einzig ist da-
gegen die erscheinung, dass es in der reihe der cardinalia
keine synonyma gibt. Flexivische unterschiede, auf die
man ja sogar indog. urdialekte oder urälteste völkerscheidnngen
gründet, kommen natürlich nicht in bet rächt. Beide aber ist
nicht etwa synonymum zu zwei, sondern bedeutet ganz etwas
anderes: es heisst (wie z. b. gr. und mhd. noch schön deutlich
zu erkennen) 'nicht nur — sondern auch' und ist ein verein-
zelter dual, der in die reihe der echten cardinalia so wenig
gehört wie sclbander, sclbdritf, selbviert oder anderthalb, dritt-
halb u.s.w.
Diese merkwürdige und uralte erscheinung ist nun aber
m. e. nur zu erklären, wenn die ganze Zahlenreihe von voru-
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KLASSENSUFFIXE.
555
herein als eine einheit gefasst wurde. 'Von vornherein' heisst
natürlich nicht im anfang aller dinge ; es gab eine zeit wo es
nur ein paar zahlen gab und keine weitreichende reihe. Da-
mals gab es sicher auch synonyma, damals gab es auch gewis
noch kein bewusstsein von der Zusammengehörigkeit dieser
begriffe. Aber in der ältesten nns erreichbaren schient, in der
frühesten indog. urzeit, die für uns erfassbar ist, war die
Zahlenreihe bereits eine geschlossene einheit. Nicht nur in
begrifflicher hinsieht — worüber Pott.s ' Zählmet hoden' zu ver-
gleichen sondern vor allem auch in grammatikalischer hin-
sieht, tTm aber ihr wesen zu begreifen, muss man sich von
zwei uns fast unvermeidlichen anschauungen auf einen augen-
blick freimachen. Wir müssen von derjenigen Ordnung der
Zahlenreihe, die uns selbstverständlich ist, absehen und ebenso
von der Vorstellung, als gebe es überhaupt nur drei numeri:
sg., du., pl.; haben doch tatsächlich manche sprachen für weiter-
gehende Zählung noch eigene flexion.
Nachdem sich also das bewusstsein von der Zusammen-
gehörigkeit einer lückenlosen reihe' von zahl Worten heraus-
gebildet hatte, finden wir folgendes system. Wir besitzen die
zehn (bez. zwölf) grundworte, die zu einer geschlossenen folge
verbunden sind wie etwa später die namen der Wochentage
oder monate. Sie sind überwiegend der flexion im gewöhn-
lichen sinn unteilhaftig, und waren ursprünglich vielleicht
sogar sämmtlich iudeclinabel; die ersteh zahlworte hätten
dann später bruchstücke der declination von andern pronomi-
nibus — etwa durch Vermittlung von halbzahl Wörtern wie
beide — entlehnt. Dagegen aber flectieren unsere zehn grund-
worte in ihrer eigenen art, d.h. indem sie so viel numeri
bilden, wie zehner in dem decimalsystem vorhanden sind.
Zwei fleetiert also, indem es einen numerus 2 -f 10, einen
2 -f 20, einen 2 + 30 bildet. Diese numeri der grundzahlen
sind denen des nomens völlig gleichartig, nur eben in der
Zählung genauer. Väter heisst vermutlich ursprünglich nichts
anderes als etwa 'vater und mehrere', zweiundzwanzuj heisst
'zwei und zwei zehner'. Die grundform bleibt stamm der neu-
bildung hier wie dort. Die neubildung selbst aber geschieht
ganz einfach auf dem gleichen wege, auf dem nach der her-
schenden ansieht alle flexion geschieht: durch Verschmelzung
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MEYER
ursprünglich selbständiger Wörter. Vierzehn ist im princip
nicht anders gebildet als got. nasi-da- (falls das s\v. praet.
wirklich mit dem hilfsverbuin tun gebildet ist). Noch stärker
tritt aber die analogie zu der üblichen flexion da hervor, wo
statt der addierenden die multiplicative zahlbildung angewant
wird. Von der grenzzahl wird ein abstractum gebildet: die
zehmahl; ursprünglich gewis ganz concret gefasst wie unser
eine handroll; lässt doch noch Herodot den Xerxes sein beer
durch hürden zählen, in die immer eine bestimmte menschen-
zahl hineingetrieben wird. Nun wird neben den dvandva-
compositis 12, 22, 32 eine reihe von tatpurushas gebildet 20,
30, 40; oder vielmehr jene setzen diese ja schon voraus, wenn
auch nicht notwendig als feste composita. Hier erhält nun der
stehende zweite teil zehnteil völlig den Charakter des suffixes
und aus vierzig hört zwar jeder die vier, aber nur der sprach-
lich geschulte die zehn heraus.
Wir haben also ein von 1 — 99 reichendes system, durch
copulative und suffigierende ableitung entstanden. Im sinn der
urzeit müssten wir nicht 1 — 2 — 3—4 ordnen, sondern 1 — 11 —
21 — 31 u.s.w.; 2—22—32 u.s.w.; wie noch unser eiumaleins
von den grundzahlen (und grundworten) ausgeht. Das gleiche
system wird dann weiter auf grösseren rahmen gespannt, zehn
zchnheiten, das grosshundert kommen dazu; aber in der art
der numeralen flexion macht dies keinen unterschied.
Betrachten wir nun diese einrichtung vom gesichtspunkt
der morphologie. Die numerischen ableitungen von den grund-
zahlen stehen den flexi vischen insofern ganz nahe, als sie un-
bedingt jedesmal gebildet werden können. Dagegen sind sie
den wortbildenden darin verwant, dass nirgends ein bestimmtes
ableitungsmittel zur alleinigen herschaft gelangt ist. Wol gilt
überall dasselbe princip: das der copulation zweier zahlbegriffe,
wie es durch den numerischen wert der gesuchten neuen zahl
gegeben ist. Aber bei der addition finden wir Schwankungen
in der Wortstellung: neben dem gewis ältesten system, das die
grundzahl voranstellt, ein jüngeres, das ihr den zweiten platz
anweist; finden wir Schwankungen in der form der Verbindung:
neben der gewis älteren einfachen juxtaposition die Verschmel-
zung durch eine conjunction. Noch heut nach allen normali-
sierungen haben wir nebeneinander vierzehn und vierundzuanzifj.
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557
Dazu kommt eine reihe einzelner sonderbildungen bei den
anfangs- und Schlusszahlen jeder zehnschaft: statt der addieren-
den compositum subtrahierende (untkriijinti); ja sogar völlige
aufgäbe dos princips, die neue zahl aus zwei alten aufzubauen:
ainlif, ttealif. — Bei der mnltiplicativen neubildung hat sich
zwar für 30—60 indog. ein festes prineip durchgesetzt; aber
bei 20 weicht sogar innerhalb des germanischen die westgerm.
büdung mit hypostasiertem dativ von der ostgerm. ab, und
für 70 — 100 finden wir indog. schwanken, germ. neuschöpfungen.
Die freiheit der eigentlichen Wortbildung wird also in
bezug auf die wähl der ableitnngsmittel zwar nicht erreicht, die
strenge der eigentlichen flexion aber noch viel weniger. Denken
wir uns einen nominalstamm, der über sg. du. pl. heraus noch
sechs weitere numeri hätte, so würde uns (ohne Verdeutlichung
von aussen her) die bedentungen der verschiedenen endungen
nur dann klar sein, wenn eine ganze reihe anderer stamme
mit genau denselben endungen für ersten, zweiten, dritten
plural neben ihm ständen. Die zahlworte können sich da-
gegen den luxus auf engem räum mannigfach wechselnder
bildungen gestatten, weil sie in folge ihrer besonderen natur
jedenfalls unzweideutige nenbildungen schaffen. Die addieren-
den, subtrahierenden, multiplicierenden zahlworte sind nämlich
deshalb unbedingt verständlich, weil sie streng symbolisch sind.
Das compositum ahmt genau die wirkliche Handlung des zählens
nach, indem es 3 zu 20 legt, viermal zehn nimmt, eins von
zwanzig abzieht. Dadurch allein ward es möglich, dass eine
begriffsgruppe, die von vornherein eine strengere einheit des
ausdrucks zu fordern scheint als irgend eine andere, tatsächlich
sich eine Willkür der ableitung gewahrt hat, wie sie sich sonst
nirgends der uniformierung späterer perioden gegenüber be-
haupten konnte.
Dies also ist die erste form, unter der das klassenbildende
suffix bei der Zählung erscheint: die verschiedenen zahlabstracta
der grundzahlen selbst treten als ableitnngsmittel der cardinalia
auf, lassen aber verschiedene möglichkeiten der anordnung und
der Verbindung neben einander bestehen. Dasselbe wort, das
in zweiundzwamiif eine art suffix ist, tritt in riyinti duo als
eine art präfix auf; wie ja auch beim verb neben der suffigie-
rung die präfigierung (in augmenttemporibusj ableitend wirkt.
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558
MEYER
Tnd hier ist denn noch einmal darauf aufmerksam zu machen,
dass diese technik der spräche, die wir hier als 'numerische
flexion* bezeichneten, so befremdend sie auf den ersten blick
wirkt, keineswegs principiell von andern methoden der ableitung
verschieden ist. Die bildung der abgeleiteten zahl wort e ist
eben nichts anderes als eine reduplication (vgl. über redupli-
cation bei zahlworten allgemein Pott, Doppelung s. 150. Zähl-
Dietbode s. 20). Wie man mit ich halte ein tempus bildete ich
halte halle, so bildete man von drei eine zahl drei — drei
zehnheiten; wie dort das eine glied bis aus blosser andeutung
verkürzt ward, so hier: in vierz'aj ist gerade wie in haihald
nur noch der eine factor der combination kenntlich.
Zweitens aber finden die klassensuffixe innerhalb der Zäh-
lung noch anwendung bei der ableitung anderer zahlwort-
kategorien von den cardinalien. Vor allem bei den cardinal-
zahlen. deren bildung so stark an die Steigerung erinnert und
mit ihr die willkür der suffixe teilt: dixaxaq neben decinms.
In der tat ist das verfahren der benennung hier ganz dasselbe
wie bei der Steigerung: ein einzelnes glied wird aus einer
kette gleichartiger glieder herausgehoben. Er ist der mäch-
tiijste könig ist braehylogie für die drei sätze: 'es gibt viele
könige; alle sind mächtig; dieser ist aber sehr mächtig*.
Und gerade so ist es eine Verkürzung, wenn wir sagen dies
ist der dritte türm; das bedeutet: iiier stehen mehrere türme;
an zweien sind wir schon vorbeigegangen; nun sind wir bei
diesem hier'. Aber selbst abgesehen von dem Wechsel der
suffixe finden wir ein schwanken in der bildung der ordinalia.
Die Ordinalzahl der einzahl ist überall eine jüngere ergänzung:
der erste ist eben von vornherein der zählende selbst, der kein
Zahlwort braucht. Aber auch weiter finden wir nebeneinander
in uraltem tausch ableitung von der wurzel und von der car-
dinalzahl, und bei den zusammengesetzten Ordinalzahlen haben
wir neben der wol ursprünglichen juxtaposition der ordinalien
(tertius deeimus) die tendenz auf die bildung einheitlicher
worte. die dann schliesslich zur ableitung vom zusammen-
gesetzten ordinale führt: der dreizehnte. Immerhin ist die
ableitung der Ordinalzahlen im ganzen die strengste, die wir
bisher auf unserm boden trafen, und bei den zusammengesetzten
zahlworten insbesondere ist einesteils in der urzeit, anderer-
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KLASSENSITFFIXE
559
seits in späten historischen cpoehen wol überall ein princip
der ableitung zu ausschliesslicher geltung gelangt. Die bilduug
von Ordinalzahlen ist so streng obligatorisch wie die von no-
minal- oder verbalendungen; die einzige ausnähme, die einzahl,
innsste sich der uniformierenden regel in allen indog. sprachen
fügen.
Eine ganze reihe weiterer zahlworte haben im schroffen
gegensatz hierzu grosse freiheit. Wie viele zahlen multipli-
eativer adverbien mit indog. -s oder welche ersatzmittel dafür
angewant werden (z. b. ahd. -staut, mhd. -werbe, nhd. -mal), das
lässt sieh lediglieh aus der praxis erlernen; erst nhd. ist das
suffiz -mal zu der regelmässigkeit eines flexivischen ableitungs-
mittels gelangt, Dasselbe gilt für die multiplicativen adjectiva
und für die distributiva. Bis zur vierzahl scheint indog. die
ableitungsform einheitlich und die ableitung obligatorisch ge-
wesen zu sein; darüber hinaus beginnt überall ein willkürliches
schaffen mit den mittein der Wortbildung. Ja sogar für die
uralten zahlabstracta hat das mächtige beispiel der zehnheit
nicht die durchführung eines gleichen suffixes für alle zahlen
durchsetzen können; obwol immerhin die bildung hier, wie
bei den ordinalicn, der regelmässigkeit flexivischer ablei hingen
sehr nahe kommt — freilich immer nur für die einfachen
zahlen. Nie hat man in älteren perioden nach dem muster der
achtheit etwa eine zauilfzahl gebildet; hier erlahmte das von
der freiheit der Wortbildung zu der strenge der flexion fort-
strebende suffix. —
Blicken wir zurück, so sehen wir in der Zählung schon
auf germ. boden allein fast alle möglichkeiten vertreten, die
zwischen den beiden extremen liegen. Immer widerholten sich
aber doch, nur in verschiedenen Schattierungen, die beiden
kennzeichcn unserer suffixkategoric: facultative ableitungs-
fähigkeit, genau bestimmte bedeutung. Beides treffen wir
endlich noch in einer vierten gruppe, die völlig zur Wort-
bildung Überführt: bei der modification. Der eigentümliche
Charakter dieser gruppe ist nie beachtet worden, so dass man
die hierher gehörigen büdungen lediglich unter der Wortbildung
behandelt, wie die comparatiou unter der flexion. Aber unser
kriterium, die genaue bestimmbarkeit der bedeutung, scheidet
Jie modification von anderen Zusammensetzungen mit präfixen
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MEYER
ab. Wie wir nämlich schon bei der Zählung präfix neben
suffix trafen, so begegnet uns hier das präfix ausschliesslich.
Modifiz ierende präfixe sind nun freilich in allen indog. sprachen
massenhaft vorhanden: es sind die an das verb anwachsenden
Partikeln, vor allem die prä Positionen. Diesen aber mangelt
die genaue bestimmbarkeit. Verbinden wir dasselbe präfix
ver- mit sprechen oder mit hauen, so gibt es dem simplex in
versprechen eine ganz andere richtung als in verlmum. Nur
allein die klassensuffixe der modification verändern den sinn
des simplex in unzweideutiger und unwandelbarer weise.
Diese präfixe treten vor adjectiva und sind durch ihre
gebundenheit an diese bestimmte Wortklasse den steigernden
und adverbbildenden suf fixen vergleichbar; sie sind aber erheh-
lich seltener und zum teil auch absolut selten. Sie stellen
eine uralte, schon indog. composition her (Kluge in Pauls Grundr.
1,399), die aber wenigstens bei der wichtigsten modification
in den einzelsprachen noch sehr stark weiter wuchert.
Hierher gehören
a) die negation mit dem indog. suffix n. Sie ist sehr
weit verbreitet, immerhin doch nicht so, dass man ohne empi-
rische feststellung wissen könnte, welches adjectiv in be-
stimmten sprachen und perioden das negierende präfix an-
nimmt. Selbst heut, wo wir es sogar auf substantiva in masse
anwenden (unkunst), gibt es fälle, in denen es sprachwidrig
bleibt: wir können unkräftig (von unkraft) sagen, nicht unstark.
nicht unuuehtig u.s. w. Nicht einmal das kriterium genügt,
die negation trete an das adjectiv nur da, wo kein wider-
sprechendes adjectiv sie erspart: wir bilden neben leicht
unschwer, neben verstimmt oder traurig — unfroh, aber nicht
neben arm ein unreich, neben dünn ein undick, obwol es un-
dicht gibt, u.s.w.
b) Die minderung mit dem indog. präfix das-. Ich wähle
die benennung 'minderung', weil dies für den späteren gebrauch
die häufigste bedeutung ist; ursprünglich aber liegt in dem
präfix lediglich eine färbung des simplex, der zusatz 'in nialam
partem'. So got. tuz-verjan -schwergläubig sein', eig. 'sich
im Übeln sinn mit dem gewissen, mit dem sicheren zu tun
machen'; oder gr. öv^xkt/^ 'der einen namen hat, aber einen
schlechten'. Später nimmt allerdings diese bedeutung ver-
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KLASSENSUFFIXE.
501
schiedene nuancen — meist eben die der minderling — an;
aber in indog. zeit, für die allerdings ein so breiter gebrauch
wie gr. ind. nicht vorausgesetzt werden darf, scheint die be-
deutung völlig fest und unzweideutig.
c) Die Verstärkung mit dem indog. präfiz su-, germ.
(ausser in Su-gamlm) geschwunden, einsetzt durch das verwante
sri- in got. sic/kunps u.a.; aber auch durch andere präfixe
wie in ahd. bora-lang, filu-tcis; wie das vorige gr. und ind.
besonders beliebt. Ursprünglich waren beides vielleicht halb-
religiöse, liturgische begleitworte: 'es sei mit gutem omen ge-
sagt', 'es sei zu seiner schände gesagt', und die starke Ver-
wendung mag mit besonderen abergläubischen gewohnheiten
jener beiden Völker zusammenhängen.
d) Die klage mit dem urgerm. präfix in- wie in alt resall,
der 'minderung' nahe verwant, nur mit klagender färbung statt
der tadelnden.
In all diesen fällen der modification, denen möglicherweise
noch einige andere beizugesellen sind, verleiht das präfix dem
simplex eine ganz bestimmte unzweideutige färbung. 1 )ass das
gleiche in der urzeit mit den untrennbaren Partikeln der fall
war, ist unwahrscheinlich: diese präfixe, überhaupt lediglich
zur näheren bestimmung des verbs verwant, mussten wol von
anfang an vielerlei begriff snuancen darbieten. Unsere modi-
fizierenden klassensuffixe dagegen verdanken ihre ursprüngliche
unzweideutigkeit ihrer alten syntaktischen Selbständigkeit:
Partikeln der Verneinung, des euphemismus und schlimmen
auguriums, der klage sind nur einer deutung fähig, ob sie nun
lose im satz oder proklitisch beim adjectiv stehen.
Es fällt auch ohne weiteres ins auge, wie nahe diese
modificationssuffixe andern klassen derselben kategorie benach-
bart sind. Die Verstärkung steht den steigerungsgraden sehr
nahe, vor allem dem elativisch gebrauchten Superlativ (homo
optimus 'ein sehr guter mann'); die minderung und die nega-
tion aber bilden gleichsam als absteigende stufen zu den auf-
steigenden stufen der comparation ein selteneres gegenstück.
Wird ja doch auch der wirkliche comparativ mindernd ge-
braucht: eine ältere frau ist nicht so alt wie eine alte frau
(der comparativ bedeutet dann eben nur entfernung vom po-
sitiv und älter kann so gut 'nicht so gut' als 'in höherem
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MEYER
grade alt' bedeuten, gerade wie dasselbe wort lat. altus 'hoch'
und 'tief oder dieselbe composition 'gestern' und 'morgen'
heissen kann).
Wir glauben somit nachgewiesen zu haben, dass von der
flexion zur Wortbildung zahlreiche Übergangsformen überleiten
und dass unter diesen insbesondere eine grosse kategorie deut-
lich charakteristisch ist: die der klassensuffixe. Ihre gemein-
schaftliche eigenheit ist, wie wir widerholt hervorhoben, dass
sie die facultative bildung mit den wortbildenden, die unzwei-
deutige bestimmung mit den flexivischen suffixen teilen. Auf
der letzteren eigenschaft beruht es, dass sie 'klassenbildend'
wirken: jedes suffix der comparation, der adverbialbildung.
der Zählung, der moditication stellt die neue bildung in klarer
weise mit allen anderen steigerungsgraden, adverbien, zahl-
worten, negierten u.s.w. adjectiven auf dieselbe stufe. Dies
ist mit anderen suffixen nicht der fall, welche sich von der
freien Wortbildung her unserer kategorie nähern. Allerdings
zeigen wol alle sprachen die neigung. bestimmte suffixe (be-
sonders für appellativa) einem speciellen gebrauch zuzueignen ;
so hat Kluge in seiner Stammbildungslehre in dankenswerter
weise ableitungsmittel für baumnamen, färben, körperteile,
krankheiten, münznamen, vogel- und völkernamen, sogar für
korbbenennungen zusammengestellt. Diese fälle sind sehr
bedeutsam, weil sie einen wichtigen beleg mehr für die be-
ständige Strömung von der Willkür der Wortbildung zu der
strenge der flexion geben; aber die bedeutungsfestigkeit
unserer klassensuffixe wird überall nur eben angestrebt, nicht
erreicht. Nicht einmal die patronymica und die diminutiva
zwei eng verwante gruppen — haben es zu dieser ge-
nauigkeit in der modification der simplicia gebracht ; die grund-
bedeutung ist zwar überall die eines kleineren von einem
grösseren abgelösten gliedes — das kind wird als teil des
vaters aufgefasst — , aber diese grundbedeutung schimmert
doch in so viel nuancen, dass die nötige unzweideutigkeit
nicht erreicht wird. Man beachte aber, wie auch hier dieselben
modiflcationen widerkehren: das diminutiv steht zu seinem Sim-
plex wie das geminderte adjectiv zu dem seinen, und viele
sprachen besitzen ja auch für substantiva entsprechende ver-
grösser ungssuf fixe: it. brigantonc ist der comparativ zu briyante.
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Sogar in unserer uniformierenden epocbe liaben die pro-
ductiven suffixe keine völlige bedeutungsfest igkeit erlangt.
Unser -erei wird fast nur in tadelndem sinne gebraucht und
modificiert den sinn der abgeleiteten worte also ähnlich wie
indog. dus-; aber das junge büeherei steht zu biicher in ganz
anderem Verhältnis als etwa hinderet zu kimler. Dabei hat es
aber auch nicht den sinn der älteren suffixcombination -er, -ei:
bücJwrei ist nicht wie bächerei der ort wo gebucht wird, sondern
der wo viele bücher stehen (nach dem älteren gebrauch würde
allerdings büeherei zu got. böhareis gehören und besser zur
Verdeutschung von 'bureaif und 'comptoir', als zum ersatz für
'bibliothek' dienen). Freilich liegt bei diesem nicht eben glück-
lichen neologismus eine 'gelehrte' neubildung vor; deren blosse
möglichkeit beweist aber, wie entfernt unsere wortbildenden
suffixe auch heute noch von der unzweideutigkeit der endungen
und der klassensuffixe bleiben.
Ich gebe gleiehwol nochmals die möglichkeit zu, dass den
vier hier aufgestellten gruppen von klassensuffixen sich weitere
zur seile stellen lassen. Sie würden ja unsere behauptung von
dem fliessenden Übergang zwischen flexion und Wortbildung
auch nur noch weiter erhärten. Dass aber etwa alle wort-
bildenden suffixe an diesen eigenheiten teil hätten oder auch
nur eine verhältnismässig grosse anzahl, wird nach Pauls aus-
einandersetzungen weniger noch als sonst behauptet werden
können.
Praktisch wird man deshalb doch am besten fortfahren,
die suffixe wie bisher anzuordnen, insbesondere also die Stei-
gerung bei der adjectivflexion, die modification bei der Wort-
bildung zu behandeln. Theoretisch aber ist es für die be-
urteilung der Wechselbeziehungen zwischen form und sinn,
inorphologie und bedeutungslehre von grosser Wichtigkeit,
diese Übergangsformen auf der lüde von flexion zu Wort-
bildung in ihrer eigenart zu würdigen.
BERLIN, 9. juni 1897. RICHARD M. MEYER.
AN. GABBA, AGS. GABBJAN.
Zu den an. und ags. belegen dieser Wortsippe, die Uhlen-
beck, Beitr. 22, 108 besprochen hat, kommen, wie ich Beitr.
20,47 wahrscheinlich gemacht zu haben glaube, auch ober-
deutsche, nämlich gaffel ' plaudert asche', gaff ein 'schwätzen*.
gefele 'klappermaul, vorlauter mund'; ferner noch engl, iogdbble
'schwatzen', nl. gabbercn 'spotten' (Franck, Et. wb. s. v.), afries.
gabbia 'verklagen, peinlich verfolgen' (v. Richthofen, Afries. wb.
s. v.). und die romanischen entlehnungen it. gabbo 'scherz, scherz-
rede', verb. gabbare, afrz. gab, gaber u.s. w. In der bedeutung
kommen hauptsächlich zwei nuancen zurgeltung: 1. 'schwätzen'
(in ags. gaf, gegafsprcee, engl, to gabble, obd. gaffel, gaff ein. ge-
fele\ 2. 'verspotten, höhnen' (in an. gabb, gabixt, ags. gabbian.
gabbung, gaffettan. gaffctung, nl. gabberen). Anknüpfungspunkte
dieser Wortsippe an andere indog. bez. germ. Wörter sind noch
nicht gefunden. Ich glaube, dass hier ursprünglich eine schall-
nachahmende wurzel vorliegt. Es gibt im germ. zwillings-
wurzeln onomatopoetischen Ursprungs, die einerseits mit labialen,
andererseits mit gutturalen consonanten schliessen (Variationen
mit anderen schlussconsonanten kommen für den vorliegenden
deutungsversuch nicht in betracht). Beispiele: knacken, knacksen;
der knack, der knacks; schallwort knack, knacks, engl, knack.
isl. knakkr u. a. (DWb. 5, 1327 ff. Kluge, Et, wb. unter knacken)
gegenüber knappen, knapsen, schallwort knapp, knaps, engl.
to hnap, schwed. knäppa, dän. kneppe u.a. (DWb. 5, 1338 ff.);
— - klaeken. klotzen, klatschen (— kluckczen); der klack, der
klacks; schallwort klack, klacks (DWb. 5, 880 ff.) gegenüber
klaffen, klapfcn, klappen, klappern; der klapf, der klapp, schall-
wort klapp (DWb. 5, 802 ff. Franck, Et, wb unter Map); - - ahd.
kloekön gegenüber klopfon 'klopfen' (Kluge unter klopfen); —
blecken 'blöken' gegenüber blaffen 'bellen', blappcrn 'plappern'
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an. GABBA u.s.w.
505
(DWh 2, 60. 88 und 7, 1890 f. Wackernagel, Voces variae animan-
tium s. 02. 66. 93 f. Kluge unter plappern); mhd. ruckezm 'gurren,
girren' gegenüber roffczen 'rülpsen' (Waekernagel s. 59. 70. 81 f.
DWb. 8, 1375. 1109). Auch im indog. wurzelschatz sind solche
Variationen reichlich zu belegen, wofür viele beispiele beiPersson,
Studien zur lehre von der Wurzelerweiterung an verschiedenen
orten.
In derselben weise steht neben der onomatopoetischen sippe
von obd. gacken, gaken, gackern (DWb. 4, 1, 1127 ff. Kluge unter
gackern) mit schliessendem guttural die gruppe gabba u.s.w.
mit schliessendem labial. Hinsichtlich ihrer lautlichen form
können also gacken und gabba in etymologischen Zusammenhang
gebracht werden. Auch begrifflich finden sich bei beiden
gruppen Übereinstimmungen :
Im an. bedeutet nach Oleasby-Vigfusson gagg 'geheul des
fuchses', gagga 'heulen wie ein fuchs' und 'über einen spotten',
gagarr 'hund'; nach Fritzner l2, 536 gaga 'spotten, sich lustig
machen', und daselbst ist auf den nämlichen bedeutungswandel
von der naturlautbezeichnung des hundes zu dem übertragenen
sinne 'verspotten, verhöhnen' in gegja 'bellen' und 'verspotten',
goögd 'gotteslästerung' hingewiesen. Vgl. auch deutsch klaffen
'bellen, vom hund', dann 'schwätzen', und kläffein 'von hohn-
reden und fopperei' (DWb. 5, 894. 898).
Ks ist also in bezug auf den wortinhalt bei den beiden
gruppen gabba und gaden die nämliche bedeutungsvcrschiebung
anzutreffen ('schwatzen' — 'verspotten'), es ist ferner bezüg-
lich der lautlichen form oben durch die paare knacken — knuffen
u. s. w. nachgewiesen worden, dass onomatopoetische wurzeln
mit schliessendem guttural und labial parallel gehen: so wird
man auch für gabba, wie für gacken, schallnachahmenden Ur-
sprung annehmen und beide gruppen als etymologisch zusammen-
gehörig betrachten dürfen. Jedoch ist zu bemerken, dass die
gruppe gacken vielfache berührung mit einer anderen, lautlich
zum teil gleichen, etymologisch aber gesonderten gruppe hat,
nämlich mit gagein 'sich närrisch benehmen', DWb. 4, 1, 1124 ff.,
(fackelicht 'närrisch', schwäb. gagg 'einfaltspinsel', steir. gaek
'tölpel', ebda. sp. 1128, ferner mit geck, mhd. giege u. a. (Kluge
unter 'geck', 'gaukler'. DWb. 4, 1, 1914 ff.). Von diesen Wörtern
aus können unbewusste einwirkungen durch ideenassociation
Beitrage zur geaobichte der denticheu spräche. XX1L 37
56(3 EHRISMANN, AN. OABBA U.8.W.
auf die ausbildung des begriff es von ' spotten' - - 'zum narren
haben' bei dem ersten (jachen u.s.w. und dann bei gäbba u.s. w.
ausgeübt worden sein.
Die etymologie von gabba bei Fiek, Vergl. wb. 3» 101 und
demnach Zusammenhang mit mhd. gampel ist lautlich unmög-
lich. Auch entlehnung der germanischen Wörter aus dem kel-
tischen (vgl. Diefenbach, Vergl. wb. 1. 169 f.; ir. gop 'mund.
Schnabel, schnauze', Stokes, ürkelt. Sprachschatz s. 114) ist
ausgeschlossen, doch kann in gewissen gegenden gegenseitige
beeinflussung beider sprachen stattgefunden haben. Umgekehrt
sind die lit. gabldti 'necken', gahlifs 'neckcr', poln. gabac 'reizen,
necken' (Zupitza, Die germ. gutturale s. 170) wol aus dem genn.
entlehnt.
Im afries. ist gabbia zu einem ausdruck der rechtssprache
geworden — 'verklagen, peinlich verfolgen'. Dieselbe juris-
tische Verwendung findet der begriff 'höhnen' in afries. hdna
'kläger. verklagter', hanethc 'anklage; mnd. hon 'höhn, rechts-
kränkung' (vgl. van Helten. Altostfries, gramm. § 23a).
HEIDELBEKG. G. EHRLSMANN.
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ZUM TODESJAHR WULFILAS.
In den randbemerkungen zu den acten des concils von
Aquileia (3. September 381), die uns in der hs. Lat. 5809 der
nationalbibliothek zu Paris überliefert sind, heisst es bekannt-
lich gegen schluss: unde et cum sancto Hulfila eeterisque con-
sortibus ad alium eomitatum Constantinopolim venissent ibique
etiam et imperatores adissent adque ein })romissum fnisset con-
cilium, ut sanctus Auxentius exposuit, agnita promissione prefati
prepositi heretici otnnibus viribus institerunt, ut lex datetur
quae concilium prohiberet sed nec privatim in domo nec in
publica vel in quolibet loco disputatio de fide haberetur. statt
fextus indicat legis. Hieran schliesst sich der Wortlaut zweier
gesetze, deren erstes aus dem jähre 388 stammt (vgl. Codex
Theodosianus 16, 4, 2), während das zweite dem jähre 386 an-
gehört (Cod. Theod. 16, 4, 1).
Dass diese angaben auf einem irrtum des Schreibers be-
ruhen, hat Bessell, Ueber das leben des Ulfilas s. 17 ff. zur
evidenz nachgewiesen. Er selber sucht mit nicht geringem
Scharfsinn darzutun, dass es sich um den erlass vom 10. januar
381 handle (vgl. Cod. Theod. 16,5,6). Seine annähme hat
allgemeine Zustimmung gefunden. Der glaube daran ist selbst
dann nicht erschüttert worden, als Sievers in Pauls Grundr.
2, 1, 68 und in diesen Beitr. 20, 302 ff. den zwingenden beweis
führte, dass Wulfila im jähre 383, nicht, wie man bisher an-
zunehmen pflegte, schon im jähre 381 gestorben sei. Freilich
war durch diese Verschiebung des todesjahres der Zusammen-
hang zwischen jenem erlass und dem concil, auf dem Wulfila
gestorben ist. unmöglich geworden. Aber Sievers wusste eine
neue beziehung herzustellen, indem er von der berufung Wul-
filas zum concil des jahres 383 eine bittreise trennte, die er
im winter 38o 81 gemeinsam mit den illyrischen bischöfen
37*
508
STREIT BERG
Palladius und Secundianus nach Constantinopel unternommen
habe, um vom kaiser ein concil zu erlangen. Dem gesuch
der bittsteiler sei anfänglich zwar entsprochen worden, aber
den Umtrieben der orthodoxen partei sei es gelungen, das
verheissene concil zu vereiteln und obendrein noch das edict
vom 10. januar 381 durchzusetzen.
In ein neues Stadium trat die frage durch den aufsatz
von Jost es, Beitr. 22, 158 ff. Dieser erbrachte den, wie mir
mir scheint, überzeugenden nachweis, dass die bittreise mit
der berufungsreise identisch sein müsse. Denn es handle sich
in den Worten unde et cum sancto Htdfila etc., wie schon die
grammatische construction zeige, gar nicht um eine action
Wulfilas, sondern um einen recurs der vom concil zu Aquileia
verurteilten bischöfe Palladius und Secundianus bei Theodosius.
Nur bei dieser auffassung seien die worte ad alt um comitatum
verständlich; denn Palladius habe vor dem concil schon eine
audienz bei Gratian gehabt.
Da nun aber das concil von Aquileia erst am 3. September
381 stattgefunden hat, ist es unmöglich, dass die durch seine
entscheidung veranlasste bittreise des Palladius und Secundianus
schon in den winter 380/81 falle; damit ist aber zugleich auch
die Unmöglichkeit dargetan, dass ein kaiserlicher erlass, den
jene randbemerkungen unmittelbar an die bittreise der beiden
illyrischen bischöfe anknüpfen, mit dem edict vom 10. januar
381 identisch sein könne.
Für jeden, der die bewcisführung von Jostes anerkennt
(und ich wüsste nichts, was man gegen sie einwenden könnte),
erliebt sieh nun von neuem die frage, die man seit Bessell
endgiltig erledigt wähnte: auf welches kaiserliche edict können
sich die andeutungen der randbemerkungen beziehen? Ich
glaube, dass sich hierauf eine völlig befriedigende antwort
geben lässt.
Ks existieren nämlich aus dem jähre 383 zwei kaiserliche
erlasse, die aufs genaueste der kurzen inhaltsangabe entsprechen,
wie sie uns in den randbemerkungen überliefert ist. Dabei
muss natürlich beachtet werden, dass wir nicht erwarten
dürfen den satz ut lex darvtur quac concilium prohiberet
durch ein edict irgendwie bestätigt zu finden: warum dies
nicht der fall sein kann, hat Sievers, Beitr. 20, 307 f. aufs
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ZUM TODESJAHR WULFILA&
560
treffendste ausgeführt. Es wird sich daher lediglich um die
fortsetzung: nec privatim in domo nec in jmblico vcl in quolibet
loco disputatio de fide haberetur handeln müssen.
Die beiden edicte sind an den praef. praet. Postumianus
gerichtet; das erste ist vom 25. juli, das zweite vom 3. Sep-
tember 383 datiert.
Ihr Wortlaut ist folgender:
1) Omnes omnino, quoscttnquc diversarum haeresum error
exagitat, id est Ennomiani, Ariani, Macedoniani, Pncumato-
machi, Manichaei, Encratitae, Apotactitae, Saccophori, Hydro-
parastatae, nullis circulis coeant, nttllam colligant multitudinem,
nulluni ad se populum trahant, nec ad imaginem ecclesiartim
parietes privatos ostendant, nihil vel jwblice rel privatim, quod
catholicae sanctitati officere possit, exerceant. Ac si qui exsti-
terit qui tarn evidenter vetita transscendat, permissa omnibus
factdtate, quos rectae observantiae cultus et pulchritudo delectat,
communi omnium bonorum conspiratione pellatur. Dat. VIII.
Kai. Aug. Constantinopoli, Merobaude II. et Saturnino Coss.
(Cod. Theod. 16, 5,11).
2) Vitiorum institutio deo atque hominibus exosa, Euno-
miana scilicet, Ariana, Macedoniana, Apollinariana ceterarumque
scctarum, quas verae religio» is venerabili ctdtu catholicae ob-
servantiae fides sincera condemnat, neque publicis, neque privatis
aditionibtts intra urbium, atque agrorum ac villarum loca aut
colligcndarum congregationum aut constituendarum ecclesiarum
copiam pracsumat, nec celebritatcm perfidiac suac vcl solcnni-
tatcm dirae communionis cxerccat, neque ullas crcaudorum
sttccrdotum usurpct atque habeat ordinationcs. Eacdcm quoquc
domus, scu in urbibus seu in quibuscunquc locis passim turbac
professorum ac ministrorum talium colligcntur, fisci nostri
domitlio iuriquc subdantur, ita ut lit, qui vcl doctrinam vcl
mysteria convcntionum talium cxerccre consucvcrunt, perquisiti
ib omnibus urbibus ac locis propositac legis vigorc constricti
xpellantur a coctifms, et ad proprio*, undc oriundi sunt,
\erra8 redire iuheantur, nc quis corum aut commeandi ad
fuaelibet dUa loca aut evagandi ad urbes habeat potestatem.
\hiod si negligentius ea, quac serenitas nostra constituit, im-
»lenntnr. et officia provincialium iudicum et principales urbium,
n quibus coitio vetitae congregationis reperta monstrabitur,
570 STREITBKR«. ZUM TODKSJAHR WULFTLAS.
sententiae damnationique subdantur. Dat. III. Noh. Sepi.
Constantinopoli, Merobaude II. et Saturnino Coss. (Cod. Theod.
10, 5, 12).
Dieses zweite edict bezeichnet zweifellos das ende des
Constantinopeler eoneils, dessen unmittelbare folge es nach
Sozonienos 7, 12 gewesen ist. Der umstand, da.ss die Apollina-
risten zum erstenmal in diesem gesetz unter den irrlehrern
genannt werden, sowie die bestimmung, dass die lehrer und
priester der Häretiker ausserhalb ihrer heimat weder umher-
schweifen noch ihr amt ausüben dürfen, deutet darauf hin.
dass der erlass der anregung Gregors von Xazianz seine ent-
stehung verdankt; denn dieser hat in seinem 125. briefe an
den Statthalter Olympios von Kappadokien diese beiden punkte
berührt.
Welches der beiden gesetze die lex sei, die der Schreiber
der randnotiz im auge gehabt hat, lässt sich natürlich nicht
bestimmen; aus dem umstand, dass trotz des Singulars Ux
nachher zwei erlasse (wrenn auch durch versehen nicht die
richtigen) angeführt werden, darf man vielleicht schliessea
dass dem Schreiber die beiden edicte vom jähre 383 vor-
schwebten.
Es braucht wol nicht besonders hervorgehoben zu werden,
dass durch den nachweis dieser beiden erlasse die Sievers'sche
datierung von Wulfilas todesjahr aufs neue glänzend bestä-
tigt wird.
FREIBVRCj (Schweiz). WILHELM STREITBERG.
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ANTWORT AUF DEN AUFSATZ KAUFFMAXNS
'DER ARRIANISMUS DES WULFILA \
Im neuesten hefte der Zs. fdph. (MO. 93 ff.) wendet sicli Kauff-
mann scharf gegen meine oben 158 ff. mitgeteilten ansiebten
über die Stellung des Ulfilas zu den kirchlichen parteien seiner
zeit. Wenn er glaubt, meine arbeit leide an 'Unklarheit und
Unbestimmtheit', so mag er recht haben: unrecht ist es aber,
diesen Vorwurf gegen die meinige allein zu erheben: er trifft
alle anderen über denselben gegenständ ebenso und vielleicht
noch mehr — seine eigene nicht ausgenommen. Es liegt das
nicht so sehr an den Verfassern als an den verworrenen Ver-
hältnissen des 4. jh.'s. dessen männer sich mit ihren ansichten
und empfindungen nicht so leichter band in bestimmte rubriken
glatt unterbringen lassen: wer das zu können vermeint, ist
sicher von der Wahrheit am weitesten entfernt Wenn aber
K. den titel meiner arbeit etwas mehr beachtet hätte, dann
wäre es nicht so schwer gewesen, einen richtigeren Standpunkt
für die beurteilung derselben zu gewinnen, von dem aus ihm
lie dinge vielleicht auch weniger unklar und verschwommen
^schienen wären. Denn der titel drückt es deutlich genug
uis, dass es sich für mich zunächst und vor allem um die
>estimmung der zeit handelte, zu welcher die Goten den
irianismus angenommen haben, und erst in zweiter linie um
lie kirchliche Stellung des Ulfilas. reber diese lässt sich
ii. e. niemals einige Sicherheit gewinnen, ohne dass der über-
ritt der Goten zum arianismus zeitlich festgelegt ist. AVenn
leiner arbeit überhaupt irgendwelche bedeutung zukommt,
ann ist sie darin zu erblicken, dass sie die zeitgenössischen
achrichten über das kirchentum der Goten mehr in ihrer
edeutung würdigte als das bisher geschehen war. Und hier
rade wird jede weitere fördernde arbeit über den gegenständ
572
JOSTBS
einzusetzen haben: ich werde solche freudig begrüssen, mag
ich nun recht behalten oder nicht. Kauffmann aber setzt
sich grade über diesen punkt leichten fusses hinweg, vertieft
sich dafür um so mehr in die schwierigsten theologischen
Probleme, von denen er — trotz der weisen belehrungen, die
er mir zu teil werden lässt — doch nicht viel mehr versteht
als ich — und das ist bei weitem nicht genug. Wenn ich dem
'testamentunr des Ulfilas das symbolum des Basilius gegen-
über stellte, so hatte das lediglich einen negativen zweck,
nämlich zu zeigen, dass man aus dem stücke viel zu viel
wesens gemacht habe.
Kauffmann gibt sich hinsichtlich der brauchbarkeit seines
dogmatischen materials ganz gewaltigen illusionen hin: das
wird nächstens auch den auf diesem gebiete nicht bewanderten
klar genug werden, wenn er nämlich den versprochenen beweis
für den wultilanischen bez. gotischen Ursprung des Opus im-
perfectum antritt. Er setzt ihn indes jetzt schon als aus-
gemacht voraus und zieht ihn sogar hier in die beweisfuhrung
hinein, indem er schreibt: 'ich darf wol behaupten, dass durch
meine entdeckung eines gotischen, vermutlich von Wulfila
stammenden Matthäiiscommentars (vgl. beilage zur Allg. zeit.
1897 no. 44) die ganze Streitfrage — namentlich auch mit
bezug auf die ausführungen von .Tostes auf s. 182. 188 seiner
arbeit — erledigt ist'. (!) Diese petitio principii muss erst zu
etwas anderm werden, d. h. K. muss seine beweise für die —
übrigens schon bejahrte und keineswegs von K. entdeckte —
hypothese vorgebracht haben, bevor ihm zu antworten ist.
Grade an dieser seiner entdeckung wird sich zeigen lassen,
wie es mit der Solidität seiner ganzen beweisfuhrung steht.
K. hält sich keineswegs immer zur sache, und bisweilen
scheint es sogar, als setze er bei mir motive voraus, die ausser-
halb der grenzen wissenschaftlicher forschung liegen: das wäre
weder schön noch recht! Ich führe hier nur ein beispiel an:
'ich möchte gern wissen', schreibt K. s. 102, 'weshalb Jostes
diesen satz [in dem symbolum des Basilius ( : öt? Iv aQxh »/»'
jiqo^ ror &tov)\ ausgelassen hat, Mit dem Wortlaut des wul-
filanischen formulars (deum solum unujenitum) ist er jeden-
falls (!) nicht in einklang zu bringen'. Was ich damals in
jedem speciellen falle gedacht habe, weiss ich nicht mehr: im
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ANTWORT
573
allgemeinen habe ich mit den Streichungen nur bezweckt, die
entsprechenden Sätze der beiden symbola sicli örtlich möglichst
gegenüber zu stellen, und nichts anderes. Nicht für mich ist
die auslassung charakteristisch, wol aber für Kauffmann der
anstoss den er an ihr nimmt, und zwar sehr charakteristisch:
denn er beweist, dass er sich ohne hinreichende kenntnis.
selbst in den elementarsten dingen, an die lösung der schwie-
rigsten aufgaben macht: die ausgelassenen worte sind nämlich
aus dem evangelium des Johannes 1, 2 genommen. Sapienti sat !
Weiteres werde ich vielleicht antworten, sobald Kauffmann
das Opus imperfectum dem Germanentum wissenschaftlich zu-
zuweisen versuchen wird. Da einmal etwas angetönt ist, will
ich übrigens ausdrücklich noch bemerken, dass ich aus guten
^runden meine Untersuchung wenigstens vorläufig nicht ver-
öffentlicht haben würde: nicht ich trage daran die schuld,
dass es geschehen ist, sondern — Sievers, und der wird von
all dem verdachte frei sein, der gegen mich schon auf-
gestiegen ist.
FREI BURG (Schweiz). FRANZ JOSTES.
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-
NOCH EINMAL GOTISCH ALEW.
Much hat Beitr. 17, 34 einen nenen weg zur erklärung
des sonderbaren gotischen aletr eingeschlagen. Nach ihm wäre
es das auf dem um weg* über das keltische entlehnte altlateinische
*oleivom. Ebenso urteilen mit geringfügiger abweichung Solm-
sen. IF.5, 344 f.. Uhlenbeek, Etym. wb. d. got. spr. 9 und Kretseh-
mer, Einleitung in die gesch. d. griech. spr. 112. Die frage ist
wichtig genug, um hier noch einmal auf sie zurückzukommen.
In der debatte war zwar viel vom keltischen die rede, aber
immer in einer weise, als handle es sich um eine spurlos unter-
gegangene spräche. Sehen wir daher einmal nach, was tat-
sächlich vorliegt. 'Ol' heisst air. ola (der älteste beleg ist ind-
olachruinn olivae Würzb. cod. 5b.2C>), neynir. oleir, nbret. oleo(u).
Schon in der Grammatica celtica (s. 57) wird gerade got. aleir
neben die keltischen worte gestellt. Indess muss die frage,
ob sie eine grundform *olero- vertragen, verneint werden. Wie
diese sich entwickelt haben würde, lässt das wort für gott.
urkelt. *(h'vo$ erkennen: dieses lautet (vom irischen sehe ich
ab) neymr. Dwv (aber meudwy 'eremit' — ir. mug De), nbret.
Do(u)e. Ungezwungen können olew oh o{u) nur auf ein *olero-
zurückgeführt werden, auch ir. ola stimmt dazu. Ein *oievotn
ist im altlateinischen ebenso wie im spät(vulgär-)lateinischen
einfach unerhört. Das klassische oleum hat zur nächsten Vor-
stufe *oleium gehabt, die romanischen sprachen bezeugen eine
vulgäre ausspräche *oljum. Das r von ola olew ist daher
etymologisch wertlos, es ist ein im keltischen munde entstan-
dener gleitlaut. ola olew verhalten sich zu lat. oleum gerade
wie cuithe — cymr. pydew 'grübe' zu lat. puteus (siehe dazu
Loth. Revue celtique 17,425). Im gallischen wird das öl aller
Wahrscheinlichkeit *olcron geheissen haben. Kann das die
quelle von alew sein? Ich denke nicht. Weniger weil dann
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ZUPITZA, NOCH EINMAL GOT. ALEW.
575
gotisch e einem gallischen e entspräche. Dasselbe ist ja wo]
in krlikn ^xvqjog, dvajyaiov' der fall, denn gallisch celicnon
(vgl. zum suffix patronymica wie Dritt icnos, Toutissicnos,
Oppianiaws, Taranucnos , irische diminutiva wie duinm
'menschlein') gehört so gut wie sicher zu lat. cclsus, columna
iL s.w. Aber das a von aletc wäre bei so später entlehnung
sehr auffällig. Allen diesen betrachtungen lässt sich freilich
sehr leicht der boden entziehen. Man behauptet einfach, das
gallische habe das lateinische wort für öl eben schon früher
übernommen als die übrigen keltischen dialekte. Das lässt
sich natürlich ebensowenig widerlegen wie beweisen. Ihm
widerspricht aber alles, was wir über gallisch -irische und
gallisch -britannische handelsbeziehungen wissen oder doch
vermuten dürfen. Die Gallier waren die naturgemässen ver-
mittler zwischen Italien und ihren entfernter wohnenden
stammesgenossen. Ein directer handelsverkehr zwischen
Pallien und Irland ergibt sich, wenn man die angaben des
Tacitus Agricola 24 mit der tatsache combiniert, dass der Ire
mit Gall den fremdling überhaupt bezeichnet (vgl. Zimmer,
Zs. fda. 32. 236 anm.l, Ueber d. frühesten berührungen d. Iren
mit d. Xordgermanen s. 2 anm. 1). Hätten die Gallier ein *olevon
besessen, so hätten sie nicht verfehlt, es ihren stammesgenossen
in Britannien und Irland zu übermitteln. Dann lag aber für
diese kein triftiger grund vor, später eine directe anleihe beim
lateinischen zu machen. Unmöglich, widerhole ich, ist Muchs
hypothese nicht, und ich kann keine bessere an ihre stelle
setzen. Es trägt jedoch zur klärung der anschauungen bei,
wenn man sich der Schwierigkeiten vollauf bewusst wird.
BERLIN. K. ZUPITZA.
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ZlTK HERKUNFT DES DEUTSCHEN
REIMVERSES.1)
In den vor kurzem erschienenen Philologischen Studien
(Festgrabe für Eduard Sievers zum 1. october 18%. Halle 18PC>)
hat Saran in seinem aufsatze 'Zur metrik Otfi ids von Weissen-
burg' auch über die herkunft des Otfridischen verses gehandelt
und ist dabei zur annähme gelangt, er sei eine Weiterbildung
des verses des altgermanischen lieds, also derselben form, von
der sich in vorhistorischer zeit der alliterationsvers abgelöst
hat, die aber nie ganz ausgestorben sein kann (s. 201 ff.). Möge
es mir gestattet sein, darauf hinzuweisen, dass ich wesentlich
dieselbe annähme bereits vor vier jähren ausgesprochen habe,
in Pauls Grundr. 2a. 9971 Der weg auf dem ich zu ihr ge-
langte, war allerdings ein ganz anderer. Die auffallenden
Übereinstimmungen zwischen dem englischen nationalen, d.h.
von romanischen ein Wirkungen freien reimvers mit dem deut-
schen Hessen mich, da eine unmittelbare ent lehnung aus-
geschlossen ist, auf eine gemeinsame urform schliessen. und
als solche ergab sich ungezwungen der vorhistorische alt-
germanische gesangsvers. den Sievers als Vorstufe des über-
lieferten alliterationsverses reconstruiert hat. Saran hat
offenbar meine ausführungen nicht gekannt; um so erfreu-
licher ist das zusammentreffen im ergebnis. Vielleicht darf
ich aber bei dieser gelegenheit die aufmerksamkeit der ger-
manisten auf die mittelenglische metrik überhaupt lenken,
deren mannigfaltigkeit in folge des Zusammentreffens sehr
verschiedenartiger Strömungen und einflüsse mir auch für den
nichtanglisten sehr lehrreich scheint.
GRAZ, 17. februar 1897. KARL LUIC&
[') In folgp Pinns vprst liPiis der rp<l;\ction vpr*i>iitpt zum abdruck ge-
langt. E. S.l
Halle m. S. Druck von Khrhardt Karra«.
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Verlag von Max Niemeyer in Halle a. S.
Beneze, K., Sagen und Litttrarhist«»risrlu- llntersnchungen.
Heft 1 2. 1897. 8. Ji 5,20
I. Dag Traummotiv in der mittelhochdeutschen Dichtung
l>U L250 und in alten deutschen Volksliedern. Jt 2,40
IL Grendel, Wilhelm von Örense und Robert der
Teufet Eine Studie /ur deutschen und französischen
Sagengeschiohte. • 2»80
Blnnckenhui ^ , ('.. Studien Uber die Sprache Abrahame a
S. Clara. Bin Beitrag zur Geschichte der deutschen Druck-
spräche im 17. und IS. Jahrhundert. 1897. & .''2.4<>
Braune, W.. Althochdeutsches Lesebuch zusammengestellt und
mit Glossar versehen. 4. Auflage, l*'.^. irr. 8. Jt 4.."><i
Kister, K.. Priuzipien der Littcraturwissenschuft. Bd. 1. 1807.
S. .n 9,00
Fürst, 1!., Die Vorläufer der modernen Novelle im achtzehnten
Jahrhundert. Hin Beitrag zur vergleichenden Literatur-
geschichte. is«»t. 8. Jf
(iothein, M.. John Keats. Lehen and Werke. 2 Bde. LÖ97.
kl. 8. M 10,00
Meier, .1.. Aeltere deutsehe Grammatiken in Neudrucken.
IV. Die deutsche Grammatik des Albert Oelinger, heraus-
gegeben von Willy Scheel. 1**.*7. kl. 8, Jt ."».""
Jaeob, A.. Die Glossen des Cod. S. Pauli. D/82. Dissertation.
18*»7. 8. ^ 1.2"
Kluge, F.. Angelsächsisches Lesebueb zusammengestellt und
mit Glossar versehen. Zweite verbesserte und vermehrte
Auflage. 18D7. p;r. 8. 5,00
Holz, G.. Laurin uud der kh in<' Kosengarten. 18'.»7. H. .ü 7,00
Altnordische Sairahililiotliek, herausgegeben von Gustaf
Gedersehiöld, Hugo Gering und Bugen Mogk.
VI. Eyrbyggja Saga, herausgegeben \<m Hugo Gering.
1897, 8. A 8,00
Braune, W.. Sammlung kurzer Grammatiken germanischer
Dialekte.
\ III. Altnordische I Grammatik II. AltschwediHchc Grammatik
mit ßinschlnss des Altgntuischeu von Adolf Xoreen
Brate Lieferung. 1897. 8. .4 3,60
BEITRÄGE
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR.
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD BIETERS.
XXIII. BAND.
HALLE a. S.
MAX NIEMEYER
77/78 GR.
1898
INHALT.
Seite
Ueber Hart mann von Aue. Von F. Saran 1
Anglosaxonica. IV. Von P. J. Cosijn 109
Die dehnung der mhd. kurzen stammsilbenvocale in den volks-
mundarten des hochdeutschen Sprachgebiets auf grund der
vorhandenen dialektliteratur. Von A. Ritzert 131
Kleine beitrage zur deutschen Wortforschung. Von B. Liebich 223
Zur altwestfriesischen lexikologie. Von W. van Helten . . . 232
Zu Beitr. 22, 543 ff. Von E. Zupitza 237
Ootes. Eine bemerkung zur altdeutschen Wortstellung. Von
I. Harczyk 240
Zum Narrenschiff. Von A. Goetze 245
Brunhildenbett. Von W. Braune 246
Aprikose. Von W. Horn 254
Zu den labialisierten gutturalen. Von Th. Siebs 255
Ueber die ausgäbe der Bevers saga. Von O. Cederschiöld. . 257
Grammatisches und etymologisches. Von H. Hirt 288
(I. Zum ablaut der se^- wurzeln: s. 288. — II. Zur Vertretung
der labiovelare: s. 312. — m. Zu den t-praesentien: s. 315.
— IV. Zur Chronologie germanischer lautgesetze: s. 317. —
V. Zum Spirantenwechsel im gotischen: s. 323. — VI. Zu den
germ. lehn Wörtern im sla vischen und baltischen: s. 330. —
VTI. Etymologien: s. 351)
Studien zu Reinfried von Braunschweig. Von P. Gereke . . 358
Der a-umlaut und der Wechsel der endvocale a : t(e) in den alt-
nord. sprachen. Von A. Kock 484
(I. Der Wechsel der endvocale a : i(e): s. 484 [Excursl:
Der Wechsel u : o im part. pass. der ostnord. sprachen : s. 503.
— Excurs 2: Zur frage nach dem palatalumlaut : s. 506]. —
II. Zur frage nach dem a-umlaut von « in den altnord.
INHALT.
sprachen: s. 5M'[Excurs>-Die behandlung des genn. diphthongs
tu und der Wechsel ?ö : tö in den altnord. sprachen: s. 532].
m. Zur frage nach dem a-umlänt von i in den altnord.
sprachen: 's. 544)
Die Chronologie des Übergangs von germ. € zu t vor v -f- k, g, %.
Von K. Heini* . • .»'/. 556
Meerrettich. Von J. Hoope 559
Werwolf. Von A. S. Napier 571
Zum Opus imperfectum. Von W. Streit berg 574
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Ausgegeben den 9. Februar 1898
BEITRÄGE
ZUK
GESCHICHTE DER PEITSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR7.
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN I'AIL INI» WIEHELM BKAl NK
H ER A LS Ii Ei; EBEN
VON
EDUARD SIEVERS.
XXIII. BAND. I. HEFT.
HALLE a. S.
MAX NIEMEYER
TT Trt GR. STEINSTRASSK
1898
Die Herren mitarbeiten werden gebeten, zu ihren nianuscripten
nur lose quartblätter zu verwenden, nur eine seite zu be-
treiben und einen breiten rand freizulassen.
INHALT.
Seite
Ueber Hartmann von Aue. Von F. Saran 1
Anglosaxonica. IV. Von P. J. Cosijn 10«
Die dehnimg der mhd. kurzen staiumsilbenvocale in den volks-
uiundarten des hochdeutschen Sprachgebiets auf grund der
vorhandenen dialektliteratur. Von A. Ritzert 131
Kleine beitrage zur deutschen Wortforschung. Von B. Liebich 223
Zur altwestfriesischen lexikologie. Von W. van Helten . . . 232
Zu Beitr. 22, 543 ff. Von E. Zupitza . . 237
Gates. Eine bemerkung zur altdeutschen Worteteilung. Von
I. Harczyk 240
Zum Narrenschi ff. Von A. Goetze 245
Brunhildenbett. Von W. Braune 246
Aprikose. Von W. Horn 254
Zu den labialisierten gutturalen. Von Th. Siebs 255
Zur nachricht!
Ks wird gebeten, alle auf die redaction der 'Beiträge' bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Turnerstrasse 26) zu richten.
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Die ergebnisse meiner dissertation 'Hartmann von Aue als
lyriker' (Halle 1889) sind in den letzten jähren von verschie-
denen seiten her angefochten worden. F. Vogt hat in einer
eingehenden besprechung (Zs.fdph.24,237) mancherlei bedenken
erhoben. Andere machte dann E. Henrici im Jahresber. f.
germ. phil. 13,263 geltend, und neuerdings hat noch A. Schim-
bach in seinen Untersuchungen über Hartmann von Aue (bes.
s. 343 ff.) meine arbeit einer scharfen kritik unterzogen.
Obwol ich trotzdem nach wie vor überzeugt bin, dass die
resultate meines buches in allem wesentlichen unerschüttert
stehen, so wiegt doch nicht weniges von dem was jene gelehrten
beibringen, schwer. Es sind von ihnen, besonders von Vogt,
in der tat mängel meiner beweisführung bloss gelegt worden,
so dass eine ergänzung am platze ist, wenn anders die ergeb-
nisse der arbeit bestehen bleiben sollen.
Aus anderen gründen empfiehlt es sich, die Untersuchung
überhaupt noch einmal aufzunehmen, wenigstens zum teil.
Diese gründe sind vorzugsweise rhythmischer natur. Ich
stand 1889 in dieser beziehung auf einem Standpunkt, den ich
jetzt nach mehrjährigem Studium der musikalischen und
poetischen rhythmik als ungenügend erkannt und darum ver-
lassen habe. Aendert sich auch — wie ich vorweg bemerken
will — bei der neuen, richtigeren betrachtung an dem schluss-
resultat nichts von belang, so ist es doch notwendig, bei
besserer einsieht das frühere nachzuprüfen.
Ich habe in meiner schrift von 1889 nachzuweisen ver-
sucht, erstens eine Chronologie der lieder Hartmanns und des
ersten büchleins (H.'s klage), zweitens die unechtheit des so-
genannten zweiten büchleins, des künstlichen Schlusses des
ersten und weniger lieder, die schon andere vor mir beanstandet
Beitrüge zur geschieht« der deuUchen spräche. XXIII. 1
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SARAN
haben. Diese ergebnisse zu sichern werde ich im folgenden
meine frühere Untersuchung ergänzen, wo es nötig ist, und
verteidigen, wo ich gegenüber Vogt, Henrici und Schönbach
im recht zu sein glaube.
Die lieder.
I. Zur kritik und erklärung.
Vogt tadelt a.a.O. s. 241 die weitgehende Zerlegung, die
ich mit den Hedem Hartmanns vorgenommen habe. In der
tat ist das was ich H. v. A. s. 5 ff. darüber vortrage, einzu-
schränken und zu berichtigen.
Schou Lachmann hat zu Walther 53,33 und 74,20 da-
rauf hingewiesen, wie schwer es ist, aus den strophenreihen
die die handschriften überliefern, lieder mit einleuchtendem
gedankenfortschritt herzustellen. Dann hat besonders Wil-
ma uns, Zs. fda. 13, 229 ff. auf diesen punkt geachtet: er zerlegt
einige der lieder Walthers, die Lachmaun angenommen, wider
in einzelne von einander unabhängige Strophen. In seiner
ausgäbe des dichters (2. aufl.) s. Ol sagt er darüber: 'freilich
stehen zuweilen einzelne Strophen mit anderen desselben
tones nicht in unmittelbarem, engeren Zusammenhang, aber
sie können doch zugleich mit diesen entstanden und vor-
getragen sein. Der fall, dass zwei selbständige in sich ab-
geschlossene lieder nach derselben weise gehen, begegnet nur
einmal: 63,8 und 112, 17'. Nur zuweilen also fehlt nach Wil-
manns der Zusammenhang. Dies und der umstand, dass es
Lachmann öfters für nötig hält die überlieferten Strophen
gegen alle handschriftliche autorität, rein nach eigenem er-
messen anzuordnen, und dass dann Wilmanns mehrfach solche
lieder Lachmanns wider zerschlagen muss, beweist, dass beide,
Lachmann sowol als Wilmanns, au die reihe der überlieferten
Strophen eines tones zunächst den massstab dessen anlegen
was man heutzutage unter einem liede versteht. Andernfalls
hätten versuche sie zu ordnen keinen zweck. Offenbar fordert
Lachmann für die Strophen eines tones inneren Zusammenhang
und gedankenfortschritt. Wo sich ein solcher aus der über-
lieferten folge nicht ergibt, sucht er durch Umstellung nach-
zuhelfen. Erst wenn auch dies mittel versagt, entechliesst er
sich, solche Strophen von den andern zu trennen. Diese fälle
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UEHER HARTMANN VON AUE.
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werden im druck durch breiten Zwischenraum kenntlich ge-
macht.
Er und Haupt verfahren in MF. ganz ebenso. Ich glaube
nicht dass man beider absiebten verkennt, wenn man annimmt :
die Strophen eines tones welche im druck eng an einander
geschlossen sind, soll der leser als einheitliches lied mit be-
stimmtem gedankenf ortschritt ansehen, wenn dieser auch oft
schwer zu erkennen sein mag. Nur diejenigen Strophen stehen
ausserhalb des Zusammenhanges, welche auch im text isoliert
bleiben. Vgl. Hartm. 206, 10. 208, 32. 210, 35—211, 8.
So fassen auch diejenigen die Sachlage auf, die im anschluss
an MF. Untersuchungen angestellt haben. Denn die zahlreichen
Vorschläge, hier die Strophenordnung zu verändern, dort eine
oder mehrere Strophen selbständig zu machen, haben doch nur
dann einen sinn, wenn ihre Urheber von eben den Voraus-
setzungen ausgehen, die ich oben betreffs der ausgäbe an-
genommen habe.
Gerade diese tatsache nun, dass so häufig anlass ist> über
umfang und gedankengang von minneliedern zu schwanken,
lehrt, dass Lachmanns und Haupts ansätze nicht überall über-
zeugen, dass nicht immer ein gedankenfortschritt in den
Strophen aufgefunden werden kann, die der text von MF. in
der weise eines liedes zusammenstellt. Diese erkenntnis hat
Paul zu der ansieht geführt, die er Beitr. 2, 510 ff. ausspricht,
Er macht hier den mangel an innerem gedankenfortschritt
geradezu zum prineip der mhd. lyrik. 'Die lieder Reinmars
wie die der meisten minnesinger haben in der regel keine
durchgeführte gedankenentwickelung. Ein logischer Zusammen-
hang zwischen den einzelnen Strophen ist sehr oft kaum oder
gar nicht zu bemerken, jede Strophe könnte für sich ein ganzes
bilden, woher es auch kommt, dass die hss. in der strophen-
ordnung so oft von einander abweichen.« Wenn wir überall
da, wo der Zusammenhang fehlt, teilen wollten, so würden wir
noch eine menge einstrophiger lieder bekommen. Aber schwer-
lich würde dies verfahren richtig sein. Wir müssen vielmehr
annehmen, dass auch solche eines inneren Zusammen-
hanges entbehrende Strophen doch äusserlich zu
einem liede aneinandergereiht waren, d.h. zusammen
vorgetragen wurden. Ueber den umfang und die grenzen
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eines solchen liedes in jedem einzelnen falle zu entscheiden,
haben wir kein mittel mehr.'
Das was die Strophen zu Hedem zusammenhält, ist also
nach Pauls ansieht mehr der äussere umstand dass sie zu-
sammen vorgetragen wurden, als das band des gedankens.
Die gleichheit in strophenbau und melodie hat seiner meinung
nach mindestens eben so grosse bedeutung für das verketten
einzelner Strophen zu einem ganzen wie der inhalt. Vgl. auch
Paul, Waltherausgabe2, einl. s. 24. iSehönbaeb, Untersuchungen
s. 357 stimmt ihm darin bei. Folgerechter weise hätten unter
diesen umständen anordnungsversuche nur sehr bedingten wert.
Wie weit Pauls ansieht richtig ist, kann nur die durch-
arbeitung eines grossen materiales ergeben. Jeder minnesinger
muss einzeln darauf hin geprüft werden. Für Hartmann bin
ich jedenfalls in der annähme von völlig selbständigen einzel-
strophen zu weit gegangen. Ich glaube jetzt, dass Zusammen-
hang von Strophen eines tones beabsichtigt sein kann, auch
wenn ein eigentlich logisch greifbarer fort schritt der ge-
danken nicht zu finden ist. Ich halte es darum nicht für richtig,
dass Bech in der dritten aufläge seines zweiten bandes meinem
Vorgang öfters genau folgt und die Verbindung in mehreren
tönen auch äusserlich gänzlich löst. Er versieht Strophen die
ich abgesondert habe, mit besonderen nummern und einleitungen
(z. b. 211, 2 ff. 206, 19 ff. 205, 1 ff. 209, 25 ff.) und verleiht ihnen
dadurch grössere Selbständigkeit als der dichter wirklich
gewollt.
Dass die weitgehende Zerlegung der töne von MF. zu
anwahrscheinlichen consequenzen füliren würde, habe ich
übrigens selbst schon während des druckes meiner arbeit er-
kannt und darum die im text vorgetragene ansieht nach-
träglich in einer anmerkung etwas verändert (H. v. A. s. 13
unten). Ich schlage .dort für strophenreihen, deren glieder
sich im inhalt folgerichtig aneinander anschliessen, gegen
einander also unselbständig sind, den namen strophenkette
vor. Solehe deren glieder, wenigstens gegen einander, selb-
ständig sind und nur durch die beziehung auf ein gemeinsames
theina zusammen hängen, nenne ich strophenkreis. Die
Zusammengehörigkeit muss in allen fällen kenntlich gemacht
werden; zum besseren Verständnis würde es aber dienen, wenn
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UEBER HARTMANN VON AUE.
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sich ein nicht zu auffallendes mittel finden Hesse, fügungen
der zweiten art auch im druck anzudeuten. Der leser bleibt
dann über den mangel streng logischer folge keinen augen-
blick im zweifei und verliert seine zeit nicht mit unnützen
constructionen.
Es ist zweckmässig, einmal rein theoretisch die Verhält-
nisse aufzustellen, welche im inhalt zwischen den Strophen
eines tones obwralten können. Wie viele von diesen logischen
möglichkeiten wirklich praktische bedeutung haben, kann nur
die einzelforschung ermitteln. Es sind folgende.
L Die Strophen eines tones enthalten einen durch-
laufenden gedankengang (strophenketten).
a) Die gedanken schreiten streng an einander geschlossen
vorwärts, eiue Strophe nimmt den gedanken da auf, wo ihn
die vorausgehende hat fallen lassen. So MF. 218. 5 oder Waith.
39, 11. Jede einzelne Strophe ist also in hohem grade unselb-
ständig.
b) Die Strophen geben gleichsam nur die hauptmomente
Arier handlung, eines gedankenganges oder stimmungs verlauf es.
Das dazwischen liegende ist als minder wesentlich fort-
gelassen, kann aber bei aufmerksamer lectüre ergänzt werden.
\uch hier ist ein regelmässiger f ortschritt vorhanden, nur dass
»r nicht continuierlich, sondern sprungweise erfolgt,
Die Strophen solcher reihen sind gegen einander minder
inselbständig, sie können sogar, isoliert betrachtet, oft ab-
schlössen scheinen.
Zu dieser kategorie gehören z. b. Wechsel wie MF. 4, 17.
,1 — 9, 29. Beispiele bei Hartmann werde ich unten erörtern.
c) Formen die sich aus a) und b) mischen. Hier sind
ombinationen verschiedener art denkbar.
I. Die Strophen eines liedes enthalten keinen durch-
laufenden gedankengang (strophenkreise).
a) Die Strophen sind ihrem inhalt nach völlig unabhängig
on einander. Jede hat ein besonderes thema. Dass fälle
leser art vorkommen, ist mir etwas zweifelhaft. Schwerlich
5Lt je ein minnesinger Strophen von ganz heterogenem inhalt
i ein lied zusammengepfercht.
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b) Die Strophen sind völlig selbständig und abgeschlossen,
entspringen aber insgesammt demselben ereignis oder derselben
Stimmung. Im übrigen ist der inhalt verschieden, ein gemein-
sames thema nicht nachweisbar. Strophenreihen des Schemas
a) und b) könnte man 'aggregate' nennen.
c) Die Strophen sind formell völlig selbständig und ab-
gerundet, behandeln aber alle denselben grundgedanken. Sie
sind gleichsam variationeu über ein bestimmtes thema. Diese
art ist mit Ib nicht zu verwechseln: dort bilden die inhalte
der Strophen eine fortlaufende reihe, nur dass die vermittelnden
gedanken nicht ausgedrückt werden; hier in IIc bilden sie
keine reihe und gibt es keine gedankenvermittlung zwischen
ihnen. Theoretisch wäre ihre anordnung gleichgiltig, nur dass
sich in solchen tönen gewisse Strophen besser zur einleitung,
andere besser zum abschluss eignen. Trotz innerer Unabhängig-
keit braucht also doch die Stellung der einzelnen Strophe nicht
willkürlich zu sein. Beispiele für diesen fall sind häufig.
Einige auch bei Hartmann.
d) Mischformen; z. b. von drei Strophen hängen 1 und 2
nach c zusammen, no. 3 ist selbständiger, 2 : 3 dabei nach
a oder b.
III. Kreuzungen von I und II.
Ich zähle nur einige fälle auf:
a) Von 3 (5) Strophen können 1 — 2 (1—4) nach Ia oder
Ib logisch zusammenhängen, no. 3 (5) ist loser damit nach IIa,
b oder c verknüpft.
b) Von G Strophen können 1 — 3, 4 — 6 oder 1 — i, 5 — (j
nach I oder II in sich als zwei gruppen zusammenhängen, in
dem ton aber als kleine ganze doch nach IIa, b oder c aus-
einanderfalten u. s. w.
Ueber die art des Zusammenhangs kann zunächst nur die
schärfste textin terpretation auskunft geben. Die reihen -
folge in den hss. ist immer mit vorsieht aufzunehmen. Es
gibt aber doch noch eine reihe von kennzeichen, die das ge-
schäft der Strophenordnung sehr erleichtern können. Hierher
gehört die erscheinung der responsion, auf die Er. Schmidt,
Reinm. v. Hag. s. 6 ff. und dann mit nachdruck Burdach, Reinm.
u. Waith, s. 84 ff. hinweist. Vgl. H. v. A. s. 6 ff. Ferner die
Strophenverkettung, über die Giske, Zs. fdph. 20, 189 ff.
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UEBER HARTMANN VON AUE.
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handelt. Es kommen rein formale kriterien dazu. Körner
weist Giske Zs. fdph. 18, 57 ff. nach. Refrain findet sich ge-
legentlich. Auf analyse des inhalts und der gedankenent-
wicklung darf aber nie verzichtet werden, wie das z. b. Giske
allzu sehr tut.
Auch die anzahl der in einem ton vereinigten Strophen
scheint keineswegs gleichgiltig zu sein. Es ist schon oft ge-
sagt worden, dass in der späteren zeit des deutschen minne-
sangs mit Vorliebe lieder von 3, 5 oder 7 Strophen gedichtet
seien, eine regel die nach Wackernagel aus der frz. kunstlyrik
übernommen sein soll (Wackernagel, Lit.-gesch. I2, 298. Afrz.
lieder und leiche 124. 224). v. d. Hagen bemerkt darüber MS. 1,
einl. s. 33, meister Konrad habe fast lauter gedritte lieder,
Nifen und Wintersteten fast ebenso viel gefünfte, Lichtenstein
meist gefünfte und gesiebente. 'Manchmal vervollständigen sich
die zahlen durch vergleichung der hss., und die manessische
lässt häufig gerade so viel räum für das fehlende'. Auch die
meistersänger bevorzugen lieder von drei und fünf Strophen.
Vgl. J. Grimm, Meistergesang s. 46. 47.
Die gewohnheit der manessischen hs., platz zu lassen, wo
ein ton weniger als fünf oder drei Strophen umfasst, hat man
bereits benutzt, um an der Überlieferung kritik zu üben. Vgl.
Haupt, vorrede zu Nifen. W. Uhl, Unechtes bei Neifen, Gott,
diss. 1888. Vgl. darüber rec, Vogt, Zs. fdph. 24, 247 ff. Mir ist
nur so viel wahrscheinlich, dass die Schreiber der hs. C der
meinung waren, drei oder fünf Strophen sei der reguläre um-
fang eines liedes. Da sie aus erfahrung wussten, wie weit
einzelne Strophen solcher lieder im laufe der zeit versprengt
werden konnten, so Hessen sie hinter tönen von geringerem
umfang platz für künftige nachtrage, gewis oft mit unrecht,
oft mit recht. Jene regel werden sie aus der poetischen
tradition geschöpft haben, und ihre bedeutung scheint in der
tat grösser gewesen zu sein als man jetzt meint, nicht nur
für die späteren minnesinger, sondern auch für die früheren.
In Walthers minneliedern (vgl. Pauls ausg. abt. 1) z. b. über-
wiegen die lieder von drei, fünf und sechs (:i -f- 3, 4 + 2?)
Strophen entschieden. Wie es scheint auch bei Keinmar. Man
wird auch an Scherers fünfergruppen beim anonymus Spervogel
denken. Ich bin überzeugt, dass man bei benutzung aller dieser
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mittel noch zu bestimmten Grundsätzen hinsichtlich der Strophen-
folge kommen wird. Es scheint — die folgende Untersuchung
wird das bestätigen — gewisse typen für die weise des strophen-
zusammenhanges im lied zu geben, die es im einzelnen nach-
zuweisen gilt. Natürlich muss die Untersuchung für jeden
sänger besonders geführt werden. Für Hartmann möge sie
hier folgen.
M. e. enthalten folgende lieder Hartmanns sicher einen
wirklich folgerechten gedankengang: MF. 209, 5 (2 stroplien).
212,37 (3). 214,12 (2). 216,1 (4). 216,29 (3). 217,14 (3). 218.5 (3).
Diese sieben töne wären also Strophenketten. Man beachte,
dass davon die mehrzahl, nämlich vier, dreistrophig ist. Von
allen anderen strophenreihen habe ich in meinem buch be-
hauptet, dass sie keinen erkennbaren gedankenfortschritt auf-
wiesen. Vogt widerspricht dem und bespricht zunächst aus-
führlich ton III (207, 11 ff.): H. v. A. s. 11 ff.
Die Strophen dieses tones werden in folgender Ordnung
von den hss. überliefert:
c
B
A
MF.
5
3
208,8
6
4
7
207, 71
7
5
207, 35
6
10
208, 32
9
r»
8
207, 23
10
9
9
208, 20
Vogt erkennt an, dass die reiheufolge in MF. nicht befriedigt
und stellt eine neue her, in der er logischen gedankenfort-
schritt findet. Er ordnet MF. 207,11. 207,35. 208,8. 207,23.
208,20. 208,32. Aber schon 207,11 und 207,35 lassen sich
auf keinen fall verbinden.
In jener Strophe nimmt der dichter ein früher gegebenes
versprechen zurück, seiner dame immer leben zu wollen. Er
hat, wie er versichert, sein herz von ihr genommen; jenes ver-
sprechen bezeichnet er nun als tumhcn antheie, den er noch
rechtzeitig aufgegeben, ehe ihm das vergebliche werben siner
jcirc, d. i. wol seiner jugendjahre (Schönbach s. 284) gänzlich
beraubt habe. Von nun an will er einer andern seinen dienst
zuwenden.
Stimmung und gedanken dieser worte kann man unmög-
lich anders verstehen, als dass sich Hartmann soeben {für tiisc
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UEBER HARTMANN VON AUE.
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sU\ 207, 21) von seiner dame losgesagt hat. Ob er es wirklich
und namentlich offenkundig getan, ob er nur in augenblicklicher
erregung für sich den entschluss gefasst, ob er alles nur fin-
giert, ist eine andere frage.
Die Verbindung der Strophe mit 207, 35 stellt nun Vogt
folgendermassen her: 'man darf mich deshalb nicht treulos
schelten'. Den inhalt der letzteren umschreibt er mit den
Worten: 'untreue war mir stets verhasst; lediglich meine treue
hat mich nicht schon eher, so viel ich auch zu leiden hatte,
aus ihrem dienste scheiden lassen. Jetzt schmerzt mich, dass
sie mich ohne lohn lassen will'. Vogt legt Hartmann damit
den etwas spitzfindigen gedanken in den mund: 'ich bin des-
wegen nicht untreu: im gegenteil, ich bin sehr treu, denn
sonst hätte ich ihr schon längst den dienst gekündigt'. Ich
bezweifle aber, dass dies der sinn der Strophe ist, Zunächst
ist e v. 38 nicht überliefert, sondern zusatz von MF. Der
sinn fordert die partikel keineswegs, und darum hat man es
wider zu streichen. Ich tibersetze: 'ich bin der untreue immer
feind gewesen (sc. und bin es noch). Und doch würde mir
untreue, wollte ich untreu sein, weit mehr vorteil bringen als
der umstand, dass mich meine treue, die mir befohlen in ihrem
dienst zu verharren, nicht hat von ihr scheiden lassen'. D.h.
untreue würde mir nützlicher sein als meine beständigkeit in
ihrem dienst. Es folgt der grund. 'Es bringt mir nämlich
nun schmerz, dass sie mir nicht lohnen will'. 'Aber trotzdem',
fährt er fort, 'werde ich bloss gutes von ihr sagen'.
So kann doch nur einer sprechen, der seiner dame seit
langem — wenn auch ohne lohn — treu und ergeben dient
und der das einseitige minneverhältnis trotz trüber erfalirungen
weiter fortsetzen will. Was bedeutet v. 38 ff. anders als die
behauptung unwandelbar treu geblieben zu sein? Nun hat
sich aber der dichter von 207, 11 soeben von der dame los-
gesagt, wenigstens in diesem poetischen erguss. Also ist es
unmöglich, mit Vogt in 207,35 die unmittelbare und genaue
fortsetzung von 207, 11 zu sehen. Beide Strophen sind zudem
n der Stimmung ganz verschieden. Die erste ärgerlich und
Fast grob, diese resignierend und sentimental.
Auch die erklärung die Vogt von 208, 20 ff. gibt, kann
ch mir nicht aneignen. Er schreibt 208,23 gegen die über-
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lieferung (A tröstet, BC troestet) tröste. Aber die Änderung ist
nur für den nötig, der alle Strophen dieses tones zu einer
strophenkette von enger bindung vereinigt und sie mit einer
aufktindigung beginnen lässt. Für den sinn der Strophe an
sich ist sie überflüssig. Diese schildert, wie 207, 35, eine
gegenwärtige Stimmung. Ich übersetze also: 'mir sind die
jähre die ich ihr gewidmet habe, durchaus nicht verloren.
Denn ist mir auch minnelohn von ihr bis jetzt nicht zu teil
geworden, so gibt mir doch angenehme hoffnung darauf trost.
(Daran kann ich mir genügen lassen.) Ja auch meine wünsche
würden sich sogar nicht höher versteigen als dazu dass ich
sie nach wie vor als meine dame bezeichnen, d. i. als dass ich
mich nach wie vor als ihren diener betrachten dürfte. Ks
stirbt ja mancher mann, ohne dass ihm je erhörung zu teil
wird, nur immer hoffend, es werde doch noch geschehen —
und diese hoffnung genügt ihn froh zu machen'. Die zeilen
24—26 enthalten einen gedanken, der den von 23 noch über-
bieten soll. Zu als v ( so wie früher) ist nicht mit Heinzel
s. 127 anm., Vogt und H. v. A. s. 12 anm. 1 'wider' sondern
'jetzt' zu ergänzen. Bei jener auffassung wäre das Verhältnis
gelöst und alsdann hätte v. 23 keinen sinn: lieber wän wäre
dann eben ausgeschlossen. Auch würde diese lesart voraus-
setzen, dass dem dichter das Verhältnis aufgesagt ist. Davon
steht aber in dem ganzen ton kein wort: im gegenteil, überall
wird vorausgesetzt, dass aufhören oder fortsetzen des dienstes
im belieben des dichter« liegt (207, 11 ff. 208, 32 ff.) und dass
die dame den dienst hinnimmt (208, 12 ff.), ohne freilich gnade
zu üben.
Bei meiner erklär ung der beiden Strophen ist der dichter
von seinem in 207, 11 kund gegebenen entschluss längst zurück-
gekommen. Man kann nicht bescheidener wünschen als es
der dichter in 208, 24 ff. tut. Damit ist nun aber wider die
strophe 208, 32 ff., in welcher jene erste ausdrücklich wider-
rufen wird, für einen genauen gedankenzusammenhaug nicht
passend. 208, 20 würde offenbar besser dahinter als davor stehen.
Somit scheint mir diese neue auordnung und erklärung
Vogts ebenso wenig haltbar als die zahlreichen andern, die
vorgebracht sind. Gleichwol enthält der sehr ansprechende
gedanke den Vogt seiner darlegung zu gründe legt, einen
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UEBER HARTMANN VON AUE. 11
berechtigten kern. Vogt meint nämlich, Hartmann schildere in
diesem ton, wie er — freilich nur in gedanken — von der
aufkündigung aus durch eine Stufenleiter versöhnlicher betrach-
tungen hindurch zur förmlichen zurücknähme jener aufsage
geführt sei.
Die sechs Strophen darf man nämlich nicht, wie ich früher
getan, schlechthin isolieren, sondern sie ordnen sich, wie ich
jetzt glaube, dem inhalt nach in zwei gruppen von je drei.
Die erste gruppe umfasst MF. 207,11. 208,32. 208.20, die
andere 208, 8. 207, 35. 207, 23.
Die Strophenordnung in der ersteren dürfte so wie ich
sie gegeben, sicher sein. 207,11 fällt sicher vor 208, 32, weil
sich diese auf jene bezieht (207,22 : 209,4). Auch sonst
nimmt die zweite strophe auf die erste bezug. Dort wird als
grund dafür dass der dichter sich von der dame abgewendet
hat, angegeben: ein so vergebliches werben raube dem mann
seine besten jähre:
der läze in (sc den tnmben antheiz) e der tage
§ in der strit
beronbe slner järe gar.
Hier wird dies ausdrücklich zurückgenommen und dabei das
gegenteil behauptet:
208, 37 ff. swer von der siner strebet,
der habe im daz:
in betraget silier järe vil (*o die has.),
d.h. wer von seiner dame loszukommen trachtet, der mag es
tun; seine Jugendjahre werden ihm sehr freudlos dahinfliessen.
Wahren genuss seines lebens hat man eben nur im minne-
dienst. Vgl. 2. Büchl. 65 ff. Uebrigens erklärt Naumann s. 47
den vers 208, 30 nicht richtig. Vgl. dazu 205, 26. Die dame
lebt so, dass sie nur auf ihren guten ruf bedacht ist. Sie will
sich nur nicht compromittieren und darum allein versagt sie
dem dichter ihre gunst.
Die gedanken dieser strophe 208, 32 kehren nun in 208, 20
wider. So
208.20 mir sint diu jär vil unverlorn
din ich an si gewendet hän,
d. h. meine jähre, die ich im minnedienst wenn auch vergeblich
verbracht habe, sind nicht unnütz angewendet. Auch ich habe
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die freude, die sich ein mann wünscht, wenn auch nur als trän
und gedinge. 208, 24 ff. weist auf 208, 32 f. zurück, wo in v. 33
die zu betonen ist: 'ihr und keiner anderen zu ehren'.
Diese drei Strophen lassen sich nun in der tat als ein lied
(strophenkette Ib) auffassen, durch welches sich der gedanke
hinzieht, den Vogt als thema des ganzen tones angibt. Drei
hauptmomente eines Stimmungsverlaufs werden herausgehoben
und dargestellt, die verbindenden mittelglieder fehlen. 207, 11 ff.:
irgend etwas erregt den dichter, er widerruft im zorn sein
versprechen 4 ihr' immer zu dienen, er nimmt sein herz zurück,
das er ihr geschenkt hat. Der dienst scheint ihm eine torheit
die dem jüngling seine schönsten jähre kostet. Von nun an
will er einer anderen dienen. Diese Stimmung hält nicht
lange an. Er sieht ein, dass die dame nicht anders handeln
kann, wenn sie ihren ruf nicht aufs spiel setzen will, dass sie
ihn nicht hasst, sondern sich bloss nicht compromittieren will.
Nun widerruft er. 208,32: nicht einer anderen (amlerstcar)
will er dienen, sondern eben der der er bisher gedient hat.
Er ist nun überzeugt, dass sie nicht launisch handelt, sondern
nicht anders kann. Nun ist der dienst nicht mehr eine tor-
heit die die jugend raubt, sondern es wird im einklang mit
den andern minnesingern behauptet, nur im minnedienst
könne der mann seiner jugend froh werden. Es ist nicht
mehr klugheit, solchen gelübdes sich zu entledigen (207, 15 ff.),
sondern falschheit (209, 1 ff.): so kommt er zu der erklärung
209, 4 von ir ich niemer komm wil (vgl. 207, 11).
Man sieht, beide Strophen sind in ihren gedanken einander fast
genau entgegengesetzt.
Die letzte 208, 20 begründet nun den neuen entschluss
und geht schwärmerisch ebenso weit über das rechte hinaus,
als die erste ärgerlich dahinter zurückgeblieben war. Die
Jugendjahre, deren Verlust 207,18 beklagt wurde, sind nicht
verloren. Hat der dichter auch keinen lohn von der geliebten
empfangen, so hat er doch als tröstliche freude noch immer
die angenehme aussieht auf erhörung, in der ihn der dienst
erhält, Damit erklärt er alle seine wünsche für erfüllt, ja
er würde, wenn man ihm einen wünsch freistellte, nichts
weiter begehren als eben die fortdauer dieses schon lange
bestehenden Verhältnisses. Gehe es doch auch vielen anderen
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UEBER HARTMANN VON AUE
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nicht besser, als dass sie nur wahnfreude genössen — und
doch wären sie befriedigt.
Dieser gruppe stellt die der übrigen drei Strophen ganz
selbständig gegenüber. Die hss. lassen sie in der Ordnung
208,8. 207,35. 207,23 folgen und es ist nicht nötig dieselbe
zn ändern. Denn die drei Strophen gleichen sich im inhalt
so sehr, dass ich wenigstens darin keinen logischen gedanken-
fortschritt erkenne. Sie bilden m. e. einen Strophenkreis (11c,
)bens.6). Das thema, da« dreimal variiert wird, lautet: ob-
,vol sie mir lohn versagt und mir dadurch leid antut , will
ch ihr nicht böses mit bösem vergelten. Die beiden ersten
trophen bringen es negativ, die letzte wendet es positiv.
Besonders ähnlich sind 208,8 und 207,35. Sie enthalten
ie gedanken
208,8—11 vgl. 208,4: ich werde nichts böses von ihr
ausbringen.
208, 12—15 vgl. 207,38—208,3: ich diene ihr treu, aber
sie lohnt mir nicht.
208, 16—19 vgl. 208,5—7: die schuld ist mein,
»ie dritte Strophe enthält den letzten gedanken nicht. Ihre
eiden ersten Zeilen (207,23.24) fassen den zweiten kurz zu-
immen, aller nachdruck liegt auf der positiven Versicherung :
Ii werde böses mit gutem vergelten. So schliesst die Strophe
it einem heileswunsch für die geliebte und ist darum zum
)schluss der gruppe sehr geeignet.
Es enthält also meiner ansieht nach ton III eine strophen-
ttte und einen strophenkreis. Jede dieser gruppen besteht
:s drei gliedern, von denen wider die beiden ersten durch
rallelismus oder contrastierung der gedanken enger zu-
rnmenhängen, also nach dem Schema (1 -f 2) + 3 oder 1, 2. 3.
Was ich über abweichende Voraussetzungen in den ein-
Inen Strophen des tones II (206, 19 ff.) H. v. A. s. 9 f. vor-
inge, hält Vogt für unzutreffend, ohne freilich sein urteil
begründen. Ich habe in der tat die Situation der Strophe
L>, 29 unrichtig aufgefasst, wenn ich sage: 'in ihr wird bei
r dame, von der der dichter wol durch merkure fern gehalten
j-de, ein gewisses wol wollen vorausgesetzt'. Dies liegt nicht
den worten. Die Strophe schildert nur die besondere art,
i der dichter der dame seine gedanken offenbaren niuss.
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14
SA RAN
Er muss sieb, wenn er ihr sein leid klagen will, des liedes
bedienen, da ibm persönliche ausspräche nicht möglich ist.
Was diese verhindert, wird nicht gesagt, aber v. 32 'nun ist
mir das glück nicht so hold, dass ich ihr meine gesinnung
selbst darlegen könnte' kann sich verbunden mit v. 35 ff. wol
nur auf räumliche trennung beziehen, die vielleicht rein
äussere gründe hat. Von merkern wird nichts berichtet. Man
übersetze also: 'könnte ich der schönen, was ich empfinde, so
wie ich wünsche d.i. persönlich sagen, so Hesse ich meinen
sang. Nun aber ist mein glück nicht so gut: darum bin ich
genötigt ihr im ge sänge meine leiden zu klagen. (Das tue
ich auch, denn) wenn ich ihr auch noch so fern bin, so schicke
ich ihr doch diesen boten, mein lied, zu, den sie gar wol hören
wird und doch nicht sieht. Der wird mich dort (wo meine
dame weilt) nicht verraten'.
Den inhalt dieser Strophe setzt 207, 1 ff. passend fort.
Gleich zeile 1 nimmt bezug auf 206, 33. 34. Die leiden werden
übrigens für die geliebte 'erneuert', weil sie der dichter
gleichsam von neuem durchmacht, indem er sie dem liede
anvertraut. Vgl. MF. 187, 32. Bechs Übersetzung scheint mir
den sinn nicht genau zu treffen. Es liegt nicht in den Worten,
dass der dichter schon öfter lieder gesant hat. Also: 'das
lied nun, in dem ich der edeln meinen schmerz kund tue,
ist eine klage und nicht ein gesang'. V. 207, 4—6 führt genau
aus, was 206, 34 nur andeutet : ich bitte sie um erhörung und
sie versagt; diese schwere zeit dauert schon allzu lange (als
dass ich noch fröhlichen sang ertönen lassen könnte)'. Aus
dieser trüben Stimmung ergibt sich von selbst der leise wünsch,
der in den versen 7—10 beschlossen liegt: 'wem es möglich
wäre, solchen kämpf (solche bemühungen), der kummer und
nie freude gibt, aufzugeben — mir ist es aber nicht möglich
(Mhd. wb. 1, 806 b) — der wäre ein glücklicher mensch'.
Die beiden Strophen hängen also sehr gut zusammen.
Die noch übrige ist freilich mit ihnen nur lose verknüpft.
MF. stellt sie mit AC an den anfang. Dahin passt sie aber
keinesfalls, wenn man den ton mit MF. als eine Strophenkette
betrachtet. Denn die Zeilen 206, 27 und 28 bilden einen ent-
schiedenen schluss. Nun steht der inhalt dieser schlusszeileu
doch wol mit 207,7—10 in beziehung: der leise wünsch, den
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UEBER HARTMANN VON AUE.
15
diese verse enthalten, wenn er auch mit einem des ich niene
kan sofort unterdrückt wird, dieser leise wünsch wird 206,
27. 28 ausdrücklich ins gegenteil gewendet und der inhalt von
207,4—6 (auch der ausdriuk gnaden biten) kehrt wider in
206, 24—26. Wir werden also in 206, 19 den abschluss des
Strophenpaares 206, 29 und 207, 1 erblicken dürfen; sie bringt
eine art palinodie für den schluss der zweiten von ihnen.
Freilich muss man festhalten, dass diese Strophe den gedanken
nicht scharf aufnimmt und folgerichtig weiter führt: sie kommt
nach einer besonderen allgemeinen erwägung (206, 19— 2Ü), in
der v. 20 ein neues motiv anschlägt, zu ihrem endresultat.
Doch wird auch hier das unglückliche liebesverhältnis voraus-
gesetzt, von dem str. 1 und 2 eine besondere Situation ausmalten.
Dafür dass die Strophe 206, 19 den schluss des kreises
bildet, spricht auch der umstand, dass die erste zeile von
ton III 207, 11 direct an sie anknüpft: die pointe des ganzen
tones II wird darin zunächst negiert. Man sieht ferner leicht,
dass sich dieser ton II im inhalt mit der strophenkette aus III
<ehr nahe berührt. Abgesehen von der eben erwähnten, un-
mittelbaren hindeutung von III auf II ist das in rede stehende
ied nichts anderes als eine widerholung des wesentlichen in-
nilts von II, nur in stärkerer potenz: der wünsch von 207, 7 ff.
.vird in 207,11 wenigstens vorübergehend zum entschluss. In
>eiden die neigung den dienst aufzugeben, in beiden der wider-
uf. Beide lieder sind darum wol zeitlich benachbart.
In dem fünfstrophigen ton 205, 1 ff. haben die heraus-
eber von MF. die letzte Strophe abgesondert: mit recht. Sie
3t mit dem was vorausgeht zwar verwant, weil auch sie
oraussetzt, dass der dichter mit seinem werben bei der dame
ein glück hat, sie löst sich aber ab, weil sie als neues motiv
en tod des dienstherren mit aufnimmt. Die hss. überliefern
)lgende reihe: (, ß MF
1 1 205, l
2 2 205, 10
3 — 20G, 10
4 — 206, 8
*11 — 205,19.
ie letzte Strophe ist durch ein verweisungszeichen hinter C 2
ig-ebracht. Sie wird in einem der von C benutzten lieder-
16
SA RAN
bücher vermutlich hinter 205, 10 gestanden haben. Oder hat
der Schreiber über den gedankengang nachgedacht? In der
tat lässt sich, was ich früher nicht erkannt habe, ein solcher
nachweisen, wenn man 205, 19 nicht mit C hinter 205. 10,
sondern an die zweite stelle, also hinter 205, 1 rückt. Die
vier Strophen bilden dann, ganz ähnlich wie es in ton III der
fall ist, die hauptmomente eines Stimmungsverlaufs, der mit
fast zorniger erregung gegen die dame einsetzt und damit
endet, dass der dichter ihre handlungsweise als die einzig
mögliche anerkennt und schliesslich nicht die dame, sondern
sich selbst tadelnd zurecht weist. Es ist ein winterlied.
205,1. Meine treue bringt mir keine freude, denn ich
habe meiner dame leben und dienst vergeblich gewidmet und
lange vergeblich gehofft. Ich müsste ihr darum eigentlich
fluchen, doch will ich meinem zorn keinen andern ausdruck
verleihen als den: 'sie hat nicht schön an mir gehandelt'.
Würde der dichter seiner erregung nachgeben, so würde er
ihr einen fluch wegen ihrer untreue zuschleudern.
205, 19. Bald kommt ihm das törichte solches zornes zum
bewusstsein. Er macht sich den einwurf: 'damals als ich ihr
diente, ohne dass es auf sie eindruck machte (d. h. den sonimer
durch), schien es mir aber doch ganz angemessen, dass sie die
edle sich mir versagte, und dieser ihr entschluss ist in der
tat ganz berechtigt gewesen. Zürne ich nun, so wird sie
darüber spotten und mich macht es (vorzeitig) alt. (Nein, ihre
Zurückhaltung verdient meinen zorn nicht.) Sie hat sich vor
den vielen mängeln, die mir anhaften, gescheut und sich von
mir zurückgezogen, mehr um dem gerede zu entgehen als weil
sie mir übel wollte. Sie meint offenbar, sie werde sich so ihren
ruf besser wahren'. V. 205, 23 nimmt 205, 8. 9 zurück. Vgl.
auch v. 19 und 7, 19—22 und 6—7.
205, 10. Die person die meinen zorn verdient, ist also
nicht meine dame, vielmehr: 'wollte ich den hassen der mir
leid zufügt, so hätte ich guten grund mein eigener feind zu
sein. Viel ist an meinem äusseren und meinem geist (bildung?)
zu tadeln: das hat eben mein Unglück offenbart, Dass also
meine dame nichts von mir wissen will, davon ist die schuld
mein. Denn da nur lebensklugheit den mann glücklich macht,
torheit aber nie ein dauerhaftes glück erlangt, so bin ich daran,
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UKBKIi HARTMANS1 VON AUE.
17
falls ich wirklich nicht mit verstand zu dienen weiss, eben
ganz allein schuld'. V. 18 da — an geht auf v. 14. Die Strophe
gibt zugleich genauer an, was unter wandet zu verstehen ist.
Es fehlt dem dichter offenbar an äusserer gewantheit und
Sicherheit im auftreten, wie an innerer reife. Er ist wol etwas
ungeschickt und harmlos, jedenfalls noch recht jung. Die
dame die seinen dienst annähme und ihm dadurch ohne wei-
teres ihren werden Up als belohnung in aussieht stellte, würde
sieb dem aussetzen, dass sie der jugendliche liebhaber gelegent-
lich einmal durch irgend eine Ungeschicklichkeit in das gerede
brächte (205, 26. 27). Nur weil er im minnedienst noch zu
inerfahren ist, findet er mit seiner Werbung kein gehör.
206,1. Also darf ich nicht zürnen oder mich auch nur
iber mein misgeschick verwundern: ich muss sogar ganz zu-
rieden sein. 'Sie hatte mich nur oberflächlich gekannt, als
ie sich zuerst meinen dienst gefallen Hess: dadurch dass sie
päter an mir so viel zu tadeln fand, haben mich dann meine
ehler und ihre einsieht wider fortgestossen. Sie hat wirklich
rfüllt, was sie mir in aussieht gestellt hat. alles was sie mir
•huldig gewesen ist, habe ich auch bekommen — : ein tor,
er etwas anderes (sc. als das ihm zukommende) verlangt!
ie hat mir gelohnt dem wert entsprechend, den sie mir bei-
•gte: mich trifft nichts anderes als mein eigen seh wert'.
tsheit ist wol kenntnis höfischen lebens und wesens, lebensart.
hiez (206, 5) setzt kein bestimmtes versprechen voraus. Die
ime die sich einen dienst gefallen lässt oder gar ausdrück-
•h annimmt, stellt damit ohne weiteres lohn in aussieht. Zur
tdeutung vgl. Trist. 1405. Hinter 206, 5 ziehe ich einen punkt
r. Vgl. die Stellung des fünften verses in den andern Strophen.
Von den vier Strophen hängen 1 und 2 enger zusammen:
ide beschäftigen sich mit dem zorn des dichters (v. 205,8
(i 205, 23). Ebenso 3 und 4, in denen über wert und unwert
ner person gehandelt wird (205, 12. 206, 3).
Der Gedankengang ist also kurz der. In der ersten Strophe
rd die erregung des dichters geschildert und ihr grund: er
t am ende des sommei-s den gehofften lohn, den werden Up
• dame nicht genossen. In der zweiten erkennt er das
iehte und grundlose seines zornes: die handlungsweise der
ne wird milder beurteilt. In der dritten sieht er ein, dass
iloi trüge zur guichfchte der deutschen spräche. XXIII. 2
18
SAR AN
die Ursache ihrer abneigung in ihm selbst liegt, er also selber
die schuld an seinem Unglück trägt. Die vierte kommt sogar
zu dem ergebnis, dass er alles von der dame erlangt habe,
was er habe vernünftigerweise fordern können: 206,5 nimmt
205,9 zurück.
Wir haben also in diesem ton eine Strophenkette und eine
mehr selbständige sehlussstrophe, nach dem schema (1 + 2) +
(3 + 4). 5.
Ich habe nun H. v. A. s. 30 nach dem Vorgang Becks und
anderer angenommen, die Strophen dieses tones I setzten die
förmliche aufgäbe des minnedienstes voraus, von dem sie
handeln. Ich habe die Wendung 206, 10 genäde widersei t so
verstanden, als verbitte sich damit die dame förmlich den dienst
des dichtere, den sie sich bis dahin gefallen lassen. Diese
auffassung ist aber nicht richtig. Schon Heinzel hat Zs. fda.
15, 130 darauf hingewiesen, dass jene worte nichts von einem
plötzlichen brach oder gar von einer 'aufkündigung' melden.
Genride widersagen bedeutet 'jemandem eine gunst, um die er
bittet, nicht gewähren'. Vgl. Iw. 5654. Es bedeutet nicht,
'ihm ein wolwollen, dessen er sich bis dahin erfreut hat. ent-
ziehen \ Die stelle besagt also nur, dass Hartmann seiner ver-
ehrten einmal eine bitte vorgetragen hat und abschlägig be-
schieden ist, Die worte meinen etwa dasselbe wie v. 205. 14
min rromee gert min niht (— will nichts von mir wissen).
Es ist darum ganz wol möglich, dass Hart mann
auch nach diesem liede, trotz jenes abschlägigen be-
scheides, üf genäde weiter dient, wie er es vorher
getan. Die Situation von ton I ist darum nickt wesentlich
verschieden von der welche ton III schildert, nur dass jenes
lied auf einen speziellen Vorfall hindeutet, da die versagimg
und der tod der herren als zwei historiseke facta neben
einander erwähnt werden. Wann der Vorfall sich ereignete,
ist eine zweite frage. Er kann längere zeit zurückliegen.
Man wird kaum fehl gehen, wenn man den Inhalt des
ersten büchleins hierher bezieht. Jenes ereignis von ton I
dürfte dasselbe gewesen sein, was zur Klage anlass ward.
Hartmann liebt eine dame und
H. Klage 99 ff.
unz ich si ralnen mnot versweic gein ir gruoze ich dicke neic
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UJBBBR I1A11TMANN VON AUK.
19
und het mich du als einen man
dem ein wip ir Luide gan.
dd wände ich bessern min heil :
do greviel mir duz wirser teil.
Ich wände mich ir na«hte
«wenn ich si innen bnehte
daz ich uz al der werk ein wip
ze frowen über miuen lip
tür 8i ha«te niht erkora:
da mite han ich si verlom.
Dazu vgl. ebda.:
14 du si im des niht gunde
daz er ir waere nndertan
(si sprach er solte si erlan),
doch versuoehte erz zaller zit.
Y. 99— 102 gibt die realen grundlagen zu MF. 205,5— 7. V. 103 ff.
erläutert recht gut 205. 14 min rrouire gert min niht (vgl. auch
BttchL v. 10). Die gedanken 205, 15—18 und 205, 24 ff. bilden
n breiter ausführung den inhalt von 003 ff. 1281 ff. Trotz der
mfänglichen misstimmung wird der dienst nachher wider auf-
genommen.
Jedenfalls steht wol so viel fest, dass das minneverhältnis,
vorin wir Hartmann in ton I finden, einseitig war, und dass
Iso von einer 'aufkündigung' seitens der dame keine rede
ein kann. Durch den tod des herrn und den kreuzzug schloss
iese episode im leben Hartmanns von selbst ab.
Die sechs Strophen des tones V (209,25) sind in der
)lge überliefert, in welcher sie MF. bringt. Sie sind da auf
vvei Lieder verteilt: 1-4, 5 -f 6. Dass die Strophen ihrem
ihalt nach in dieser weise nicht zusammen passen, habe ich
hon H. v. A s. 19 erkannt und halte an dieser ansieht fest,
leicliwol sind sie nicht, wie ich dort getan, zu isolieren, son-
»rn es gehören, wie ich jetzt glaube, immer je drei zusammen,
dass der ton aus zwei Strophenkreisen besteht.
Der erste kreis umfasst 209,25. 210,11. 210,35. Zu-
eilst einiges zur texterklärung. 209, 25 ist kriuze natürlich
s kreuzeszeichen, das symbol dafür dass sich sein träger
tt geweiht hat, das symbol der heiligung. Schönbach (s. 157)
ft dem wort hier die bedeutung 'kreuzfahrt' bei, aber dies
irde der Strophe gerade die anschaulichkeit rauben, die sie
szeiehnet. Der eigentliche sinn ist durchaus gewahrt. Vgl.
33— 80. — Die lesart von 210, 15 ist bekanntlich strittig,
e hss. haben C der imechen, B her hucchen und stellen
vserdem 210, 15—18 vor 210, 11—14. Die überlieferte lesart
20
SA HAN
zu halten habe ich mich H. v. A. s. 18 einer Vermutung Höfers
angeschlossen, der wie MSH. 4, 263 in hacchcn den namen eines
dämonischen wesens vermutet. Dagegen polemisiert Schönbach
s. 159. und seine bemerktffigen treffen durchaus zu. Ich lasse
also die annähme fallen. Schönbach selbst kehrt zu der Haupt-
schen deutung (MF. anm. z. st.) 'hacken d. i. angelhaken der
weit' zurück, eine deutung die auch Bech nur etwas anders
gewendet (hacken dat. plur. ioekungen') festhält. Was aber
Schönbach sie zu stützen vorbringt, ist keineswegs beweisend.
Ob man unter dem haken einen angelhaken oder einen fang-
haken für raubtiere versteht, ist wirklich ganz gleich: das
manegen tac nach loufen passt zu keiner von beiden bedeu-
tungen. Denn in der Vorstellung des nachlaufens liegt hier
doch inbegriffen, dass sich der gegenständ dem der dichter
nachläuft, vor ihm her bewegt: das trifft aber bei keinem
haken zu. Wenn ferner auch der teufel kurzweg hatnus heisst.
so bezweifle ich sehr, dass die sinnliche bedeutung des Wortes
schon ganz verschwunden ist. Mir scheint, dass sich der stelle
durch ein einfaches mittel aufhelfen lässt. Man behalte die
Umstellung der Stollen mit MF. bei und lese statt der hacchen
der lachen, d.i. deren (der weit) lächeln bin ich nachgelaufen.
V. 15 würde alsdann passend auf den gedanken von v. 11 zu-
rückweisen. — V. 17 dfi — mae ist nur eine Umschreibung für
'weit'; statte nimmt das triegent v. 11 wider auf und bedeutet
also einfach die Unbeständigkeit der weit, die anders lohnt als
sie verspricht. Schönbach versteht darunter (s. 160) die reli-
giöse tilgend der perseverantia: aber diese tilgend kann man
doch unmöglich an der weit vermissen. Zu v. 19 ff. vgl. Schön-
bach s. 160. 161.
210, 35 ist froide die fröhliche teilnähme an dem was die
weit, besonders das ritterlich-höfische treiben in der schönen
jahreszeit angenehmes bietet, und die daraus entspringende
Stimmung. Während Hartmann sich der weltfreude hingibt,
ist er innerlich nicht wirklich ruhig und froh: die sorge um
das Seelenheil (v. 35) mischt sich stets ein und stört den vollen
genuss. Reine freude und ungetrübte heiterkeit des gemütes
geniesst er erst jetzt, wo er sich zur annähme des kreuzes-
zeichens bez. der kreuzeszeichen (Schönb. s. 163) entschlossen
hat und sie nun auf seinem gewande erblickt.
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UEBEK HARTMANN VON AUE.
21
Die sorgen des verses 35 sind also gewis nicht weltliche,
wie Schönbach s. 164 ans v. 211, 14 vermutet. Das würde nicht
passen. Der hinweis auf eine Sommerzeit, die in jeder be-
ziehung (yar) eine weide der äugen sein wird und der aus-
dmck Kristes bluomen (37), die solchen sommer voraus-
verkünden, zeigen m. e. deutlich, dass diesen versen die
sinnliche anschauung einer frühjahrssituation zum hintergrunde
dient. Der dichter denkt bei den oben hervorgehobenen Worten
an die bescheidenen blumen des frühlings, die den reicheren,
schöneren blütenschmuck des sommers vorausdeutend anzeigen.
Tax diesen blumen des frühlings stellt der dichter die blumen
'hristi, d.i. die kreuzeszeichen, in gegensatz: zwischen beiden
bat er seine wähl treffen müssen (kos v. 37). Kristes (v. 210,37)
st zu betonen. Die beiden arten von blumen sind natürlich
im* symbole. Mit blumen schmückten sich herren und damen
)ei den geselligen Unterhaltungen und schmückte man die
lallen bei festen. Das aufspriessen der blumen im frühjahr
»edeutete somit für jene zeit die widerkunft des fröhlichen
reibens, dem man sich nur im sommer wirklich hingeben
onnte und an dem der dichter auch schon oft teilgenommen.
Hese blumen verkünden also eine fröhliche und schöne sommer-
eit. Aber dieser sommer kann dem dichter doch nicht wahre,
olle freude geben, sondern nur eine gemischte, eine freude,
ie von sorge um das Seelenheil getrübt wird (210,35). Jene
die freude vermag nur der paradiesessommer zu spenden, der
'so yar in süezvr ouyenwchle lit. Die Vorboten dieses sommers
nd die blumen Christi, die zu der zeit im lande aufspriessen,
s die kreuzpredigt ertönt. Wer nun die blumen der natur
iihlt, der folgt dem heiteren ruf der weit: blumen sind ja
nibole ihrer geselligen freuden. Wer Christi blumen wählt
Igt dem ruf gottes und entsagt der weit: das kreuz ist das
mbol der entsagung.
Da nun also der dichter seine lossagung von der weit und
ne Hinwendung zu gott unter dem bild einer überlegten
ihl (kos 210, 37) zwischen den blumen des frühlings und denen
risti darstellt, so ist doch klar, dass sich ihm die blüten
• natur und das kreuz zu gleicher zeit zur wähl dargeboten
>en, dass also die kreuznahme (und damit wol auch die
assung der Strophe) in einen frühling fällt, wo Hartmann
22
HAKAN
wirklich zwischen blnmenkranz und kreuz, zwischen weit und
gott wählen konnte. Die angehende sommerlust hätte ihm
dann das schöne motiv an die hand gegeben. Andernfalls
wäre das ganze nur ein witziges gedankenspiel. Wenn also
Schönbach tadelnd anmerkt (s. 163), ich zöge meinen schluss
auf die datierung 'nicht aus den genau verstandenen Worten
des dichters, sondern aus meiner eignen Umschreibung der-
selben', so kann ich das nicht gelten lassen. Ausserdem habe
ich TT. v. A. s. 21 diesen schluss keineswegs als sicher hin-
gestellt. — Das u hs v. 211,3 will Schönbach s. 163 auf die
guten menschen überhaupt, die in v. 7 erwähnt werden, be-
ziehen. Das scheint mir wenig passend, überhaupt ist mir
der sinn seiner einwendung nicht recht deutlich. Ich ziehe
meine frühere erklärung (H. v. A. s. 10) noch immer vor.
211, 7 dient mit 5. 6 nur zur näheren beschreibung des zehnten
chores: es steht statt eines relativsatzes (Paul, Mhd. gr.4 § 346).
Wafcist gleich 'mir und euch, die ihr mein lied hört; Da nun
HartnufiH^unter dem frischen eindruck der krenznahme dichtet
und auf daiSfcreuz an seinem gewande hinweist, so denkt man
bei den zuhörern^ch zunächst an eine Versammlung von
kreuzrittern. Sicher ist dasjiatürlich nicht, Hartmann kann
auch an seinem hofe gesungen haben.
Die eben besprochenen Strophen 20^ 25. 210, 11 und 210, 35
haben das gemein, dass in jeder von ihnfcuauf das kreuz an
des dichters gewand hingewiesen wird. Ygl/i?00.35. 210,22.38.
Sodann wird darin ganz -deutlich die Stimmung unmittelbar
nach der krenznahme geselnfrtwrt Denn es Rändelt sich in
allen dreien um die sittlichen Wirkungen die von dem
zeichen des kreuzes ausgehen bez. um die sittlichen
pflichten die seinem träger erwachsen. , Dies thema
wird in bezug auf den dichter durchgeführt /und zwar so,
dass sich ein fortschritt der gedanken nicht verkennen lässt.
Hartmann beginnt mit einem allgemeinen getyankeu. 'Das
kreuzeszeichen verlangt lauteren sinn und entsa&vmg: mir so
kann man dadurch die Seligkeit und alles gute w<t.s es ver-
heisst (Schönbach s. 157) erwerben.' .letzt kommt eiue spe-
cielle an Wendung, um die beziehung auf den jungen dichter
vorzubereiten. 'Dadurch ist es auch ein nicht geringer halt
für den jüngling, der sich nicht selbst zu zügeln weiss, l/
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UEBER HARTMANN VON AUE.
23
will nicht, dass der mit ihm bezeichnete nach seinem belieben
handle. Er soll entsagung üben, denn was nützt es auf dem
kleid, wenn nicht gleichsam auch das herz damit bezeichnet ist ?'
210. 11 zieht nun der dichter daraus die folgerungen, die
sich für ihn ergeben. Er hat das kreuz genommen und will
nun auch diesem zeichen gemäss leben, er will nun auch seine
weltlust zügeln. Aber das ist schwer, und darum erbittet er
Christi hilfe, seinen entschluss auszuführen. 'Die weit lächelt
mich truglich an und winkt mir. Nun bin ich ihr zwar bis
jetzt, wie das ein junger mensch eben tut (vgl. 209, 30), ge-
folgt. Ihrem lächeln bin ich manchen tag nachgelaufen, ihr,
der wankelmütigen, unbeständigen nachgeeilt. (Jetzt aber in
diesem entscheidenden inoment. wo sich die weltfreude wider
ankündigt, will ich ihr nicht wider folgen), nun hilf mir, herr
Christus, dass ich mich durch das kreuzeszeichen hier auf
meinem gewande vom teufel losmache'.
Str. 210, 11 zeigt also den mit dem kreuz bezeichneten
dichter noch schwankend zwischen der weit, die ihm wider
einmal lockend erscheint, und Christo, der von seinem christ-
lichen beiden hilfe verlangt. Die absage an die weit wird
ihm, dem lebenslustigen jüngling, schwer. Darum ruft er
Christum selbst in seiner bedrängnis an. Sehen wir Hartmann
hier noch zwischen der nachfolge der frau Welt und der nach-
folge Christi schwanken, so verkündet die letzte Strophe, dass
der dichter den sieg über seine weltlust errungen hat: der
jüngling hat sich für Christum entschieden. Das bild von der
wähl zwischen weit und Christus wird beibehalten: nur treten
statt der personell der zweiten strophe (teilt v. 11; Kristin) ihre
symbole ein: blumen und kreuzeszeichen. Cebrigens hängt die
strophe loser an der zweiten, als diese an der ersten. Das
schema ist (1 + 2). 3.
Auf das kreuz wird mit denselben Worten wie in v. 22
hingewiesen (v. 38). Seine Wirkungen machen sich bereits
geltend. Das kurze gebet in 211, 3 ff., worin die anwesenden
mit eingeschlossen werden, gibt einen vortrefflichen abschluss
des ganzen.
Das eben zusammengestellte lied zeigt den dichter trotz
der kreuzesnahme noch im streit mit seiner weltlust: er macht
sich vor unsern äugen von der weit los, er entscheidet sich
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24
SAH AN
eben erst für das kreuz und entsagt den blumen. In den noch
übrigen drei ist der kämpf von vorn herein entschieden. War
dort das thema 'kreuzeszeichen und weltleben \ so lautet es
hier 'rittertaten und kreuzfahrt', 'weltdienst — gottesdienst'.
Am besten rundet sich der Strophenkreis, wenn man ordnet:
200, 37. 210,28. 211.8.
In allen dreien wird auf die kreuzfahrt selbst hingewiesen:
210, 8 daz er da ivol gevert
210, 32 min vart die ich hän genomen
211, 18. 19 steenn ich in Kristes schar
mit fröidcn wünnecliclum var.
Ferner wird überall das thema hervorgehoben:
weit und gott: 210,3 und 5. 211,8 und 12,
weltfremde und Seelenheil: 210,10. 210, 25 und 20,
Hartmanns völlige abkehr von der weit: 210,25. 211,8.
Dass 210, 23 ff. sich gut an 210, 11 ff. anschlösse, wie Schön-
bach s. 101 meint, finde ich nicht. Hier genügt der tod des
herrn, Hartmann die weit zu verleiden, dort entsagt er ihr
unter schweren kämpfen, weil es das kreuzeszeichen verlangt.
Dass ferner die sorge, von der Hartmann 211, 14 spricht, nicht
mit Schönbach mit der sorge in 210. 35 zusammenzustellen ist,
habe ich schon oben angedeutet. Die beziehung auf Friedrichs
Verordnung, die ich H. v. A. s. 23 annehme, gebe ich nach Schön-
bachs einwendungen s. 1(55 auf. Aber warum übersetzt dieser
211,18.10 'wann immer (also nicht gerade jetzt) ich in der
heerschar Christi mit wonne und in freuden ausfahre'? Die
verse deuten doch ohne zweifei auf die künftige abreise, und
swenne kann bei ereignissen, die in der Zukunft liegen, ganz
wol auch bei einmaligen handlungen verwendet werden: Paul,
Mhd.gr.' § 348.2. Also 'wenn ich dahin reisen werde'. Sorge
steht ganz allgemein, man denke einfach an wirtschaftliche
nöte, die manchen in der heimat zurückhielten. leber die
schwache flexion vgl. Lm. z. Iw. 1534.
Auch in dieser Strophengruppe hängen die ersten zwei
glieder eng zusammen. Hart mann beginnt mit der allgemeinen
aufforderung an die ritter, indem er die kreuzfahrt empfiehlt.
Sie brauchten bei der kreuzfahrt auf der Werlte top nicht zu
verzichten, und der si-h heil sei ihnen sicher. 210, 23 stellt
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LEBER HARTMANN VON AUE.
25
er an Werlte (v. 10) anknüpfend diesem gedanken seine persön-
liche Stellung gegenüber: 'wie es auch mit der weit (ist zu
betonen) nach dem tode meines herren stellen mag, ist mir
freilich gleichgilt ig. Dieser hat den besten teil meiner freude
mit dahingenommen\ Der iverlte lop kann und will er nicht
mehr erwerben, aber der sele heil, darum will er sich nun
kümmern. Der inhalt der Strophe wendet deutlich die ge-
danken von 210, 10 auf den besonderen fall des dichten an.
Dagegen nimmt die dritte Strophe die begriffe icerlt und got
aus 210, 3 und 5 wider auf. Sie hängt loser an der zweiten.
Das schema wäre (1 -h 2). 3.
Ton VII (211, 27) enthält drei Strophen, von denen zwei,
nämlich 211,35 und 212,5, gut zusammenhängen. 211,27 ist
selbständiger, wenn sie auch in Stimmung und gedanken den
andern nicht fremd ist. Es sind beziehungen zu 212,5 er-
kennbar: vgl. 211,28 und 32 mit 212,8. Vielleicht stellt man
darum am besten die in MF. vorausgesetzte Strophe an dritte
stelle. Man gewönne damit wider das schema (1 + 2). 3, das
schon öfter ermittelt worden ist.
Ton VII (212,13) sind wider drei Strophen. 1 und 2
haben dieselbe Situation (trennung von der geliebten) zur
Voraussetzung und hängen dadurch etwas enger zusammen.
Die dritte steht allein: schema 1. 2. 3.
Ton IX (212.37) halte ich jetzt für unzweifelhaft echt.
Dies resultat ergab sich mir schon H. v. A. s. 70 als wahr-
scheinlich.
Ton X (213, 29) sind zwei unzusammenhängende Strophen.
Sollte eine in der mitte fehlen und das ganze alsdann zu be-
urteilen sein wie die strophenkette von ton III?
Den sinn der verse MF. 34 ff. verstehe ich nicht. Ich
setze hinter v. 34 ein komma, hinter 35 einen punkt und
hinter 38 ein komma. Statt ze v. 35 1. es, d. h. meine an-
wesenheit bei ihr. Die stelle v. 30 — 39 ist nach Paul, Mhd.
gr.4 § 338 und 360 anm. 1 zu beurteilen. 214, 10 1. mit Bech
nach in verderben.
Ton XI (214, 12) schlägt Becker, Altheim, minnesang
s. 139 für z. 25. 20 vor: von friunde ... In der. Das fehlen des
artikels wäre zu begreifen: Paul. Mhd.gr.4 §223,1.7. Die
besserung scheint mir in der tat nötig wegen v. 33.
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26
SARAN
Ton XII (215, 14). Es gehören 215, 14 und 215,30 eng
zusammen. Str. 215,22 steht für sich und hat auch in den
hss. die letzte stelle. Vgl. H. v. A. s.17. Sie ist aber in Stim-
mung und inhalt den vorausgehenden verwant, Also wider
das schema (1 + 2). 3.
Ton XVI (218, 5). Die zweite der bedeutungen, die ich
H.v.A. s. 26 für minne in anspruch nehme, verwirft Schön-
bach s. 166. Seine bedenken sind berechtigt : ich nehme jene
auffassung zurück. In 218, 27 und 28 stehen sich nicht sowol
die gegenstände der liebe gegenüber, als vielmehr die arten
des liebeswerbens: ihr liebt unglücklich, ich glücklich. Die
von mir unter no. 3 angesetzte bedeutnng minne — Caritas
(liebe gottes zum menschen) bezeichnet Schönbach als nicht
katholisch. Es sei vielmehr die liebe des menschen zu gott.
Darin wird er ohne zweifei recht haben. Dadurch wird der
gedankengang auch klarer, da nun überall minne als liebe
des dichten zu jemandem gefasst werden kann. Somit spielt
Hartmann hier mit folgenden bedeutungen des Wortes : 1) minne
zur geliebten, 2) minne zu dem verstorbenen herrn, 3) minne
zu gott. In str. 1 denkt der hörer zunächst an die erste be-
deutung, der dichter hat natürlich auch 2) und 3) dabei im
sinn. In str. 2 tritt die zweite heraus. Hartmann hat ja nach
210,31 ff. nicht nur für sein Seelenheil, sondern auch für das
seines herrn den kreuzzug gelobt. Darauf spielt er hier v. 17 ff.
an. 'Seht wie die minne (zu meinem herrn) mich über das
meer fühlt. Und doch: lebte mein herr noch, so würde mich
keine macht der erde aus dem abendlande fortbringen.' Hier
steht für den dichter von den drei bedeutungen die zweite im
Vordergrunde. Den hörer, der immer noch an die minne in
erster bedeutung denkt, muss die erklärung der Zeilen 19 und
20 überraschen, und das ist auch der zweck des geistreichen
Spieles. Die letzte Strophe spitzt sich auf die dritte bedeu-
tung zu.
An der Schreibung lebte min herre, Salatin . . . muss ich
trotz Schönbachs Widerspruch s. 361 festhalten. Min her Sa-
latin = monsieur S. ist für Hart mann unmöglich, weil bei
ihm das min nie seine eigentliche bedeutung verliert, wie ich
H. v. A. s. 25 gezeigt habe, l'nd selbst wenn man es als mög-
lich erweisen könnte, so wäre es hier nicht stilgemäss. Das
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UEBKR HAUTMANN VON AUE.
27
einfache Salatin ist unter allen umstünden das einzig stil-
gerechte. So lange man diese beiden gründe, den grammatischen
und stilistischen nicht widerlegt, nützen alle Umschreibungen
und deutungen der stelle im anschluss an MF. gar nichts.
Auch Vogt hätte s. 238 darauf eingehen sollen, denn wesent-
lich diese beiden gründe und nicht die vergleichende heran-
ziehung der historischen literatur ist für mich bei der datie-
rung des liedes ausschlaggebend gewesen. Vranken erkläre
ich jetzt mit Martin als bezeichnung des abendlandes.
Was den umfang der lieder Hartmanns anbetrifft, so haben
meine betrachtungen zu folgendem ergebnis geführt:
eiustrophig: ton VI 211,20 (nicht vollständig)
zweistrophig: ., IV 209, 5 + 15 (strophenkette)
X 213,29. 214, 1
„ XI 214, 12 + 23 (strophenkette)
dreistrophig: „ II 206,29 + 207, 1. 206, 19 (strophenkreis)
„ m1 207. 11 + 208, 32 4- 208, 20 (strophenkette)
„ IIP 208,8. 207,35. 207,23 (strophenkreis)
„ V 209. 25 4- 210. 11 + 210, 35 (strophenkette)
„ X* 209,37 + 210,23. 211,8 (strophenkreis)
„ VII 211, 35 4- 212, 5. 211, 27 (desgl.)
r VIII 212.13; 212,21. 212,29 (desgl.)
„ IX 212. 37 + 213, 9 + 213, 19 (strophenkette)
u XII 215, 14 -f 215, 30. 215, 22 (strophenkreis)
„ XIV 216. 29 + 216, 37 + 217, 6 (strophenkette)
„ XV 217. 14 + 217, 24 + 217, 34 (desgl.)
„ XVI 218. 5 + 218, 13 -f- 218, 21 (desgl.)
vierstrophig: „ XI II 216, 1 4- 216, 8 4- 210. 15 + 216,22 (str.-kette)
fünfstrophig: „ J 205. 1 4- 205, 19 + 205, 10 4- 306, 1. 206, 10
(strophenkreis),
d. h. von 18 Uedem, die sich aus der betrachtung des metrums
und inhaltes ergeben, sind
dreist rophig 12
fünfstrophig 1
vierstrophig 1
zweistrophig 3
[einstrophig 1 1.
Da nun das einstrophige Med sicher unvollständig ist, so
stehen 13 drei- und fünfstrophige lieder gegen vier zwei- bez.
vierstrophige. Es sind also die gruppen mit ungerader strophen-
anzahl weitaus in der majorität.
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28
SARAN
Was nun die composition der lieder anbetrifft, so sind
von den zwei- und vierstrophigen drei ketten und nur eins
(ton X) ein kreis, wenn man bei zwei Strophen so sagen darf.
Sehr möglich dass dies unvollständig auf uns gekommen ist
(vgl. oben s. 25). Von den 13 drei- und fünfstrophigen sind
6 ketten, 2 (nämlich III2 und VIII) reine Strophenkreise nach
der oben gegebenen definition. Die übrigen 5 sind 4 misch-
formen \ d. h. sie sind nach dem Schema (1 + 2). 3 oder (1 4- 2)
-f (3 + 4). 5 gebaut. Von den beiden reinen Strophenkreisen
gilt aber auch, dass ihre beiden anfangsstrophen einander
näher stehen als der dritten. Wenn man also die liedertypen
Hartmanns angeben will, so wird man sich, glaube ich, auf
zwei beschränken dürfen:
1) reine Strophenketten von 2, 3 und 4,
2) Strophenkreise von 3 und 5 gliedern, wobei ich auch
die Schemata (1 + 2). 3 und (1+2) + (3 + 4). 5 einstweilen
schlechthin mit diesem namen belegen will.
Es ist sehr möglich, dass dieser 'mischtypus' der eigentlich
berechtigte ist, während die 'reinen' strophenkreise secundär
entwickelt sind. Darüber kann nur eine umfangreiche Unter-
suchung lieht verbreiten.
Mit dem was hier rein durch analyse des liedinhalts er-
mittelt ist, stimmen nun sehr auffällig gewisse beobachtungen
Giskes. Aus dessen arbeit über die körner ergibt sich, dass
in drei- und fünfstrophigen Uedem entweder alle Strophen
durch körner gebunden sind (s.59— ü'l), oder aber die Grup-
pierung (1 -f 2). 3 bez. (1 + 2 + 3 -f 4). 5 vorliegt. Letztere ist
besonders beliebt (s. Gl ff.). Ganz ähnliches beobachtet Giske
bei der strophenverkettung. Auch hier (Zs. fdph. 20, 191 ff.) die
Schemata 1 -f 2 + 3 bez. (1 + 2). 3. Entsprechend s. 197 ff.
(2 -f 2). 1 oder 4. 1. Allerdings kommen noch andere typen
vor, aber jene scheinen ganz besonders beliebt zu sein. Wie
weit übrigens jene anderen formen berechtigt sind, wäre zu
untersuchen. Auf den inhalt geht Giske leider nicht ein.
Aus dieser Übereinstimmung meiner resultate mit denen Giskes
ergibt sich mindestens so viel mit Sicherheit, dass die von mir
am inhalt nachgewiesene typische Strophenordnung nicht zu-
fällig ist.
Wenn nun der typus von drei oder fünf Strophen mit
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UEBKK IIARTMANN VON AUK.
29
lose angehängter letzten nicht zufällig, sondern beabsichtigt
ist — und daran kann man nicht wo! zweifeln — . so ergibt
sich ein interessanter ausblick auf das problem. mit dem sich
Uhl bei Nifen beschäftigt, l'hl nimmt als richtschnnr für
seine liederkritik die regel (s. 17): 'dann aber müssen wir, wie
überall, so besonders gegen das ende der fünfstrophigen lieder
den fortgang der gedanken aufs schärfste verfolgen und da,
wo sich ans eine logische schwäche, ein abirren vom thema
zu zeigen scheint, ohne rücksicht das kritische messer an-
setzen'. Auf grund dieser regel werden dann die fünften
Strophen vieler lieder Xifens für unecht erklärt. Aber etwas
mehr rücksicht auf die Überlieferung wäre doch angebracht.
Warum sollte Nifen nicht wie Hartmann in ton I den typus
4. 1 bez. (2 f- 2). 1 gebraucht haben? Dann wäre die Sonder-
stellung der schlosastrophe nicht auffallend und metrische
freiheiten in ihr nicht ohne weiteres als kriterien für die un-
echtheit zu verwerten. Der grund der Sonderstellung der
fünften bez. dritten strophe kann melodisch -rhythmisch sein.
Vgl. strophe — antistrophe, epode in der antiken chorpoesie.
n. Chronologie. Kritik ihrer prinoipien.
Literntnr.
W. Wilmanns, Zu Hartmaniis von Aue liedern und bilehlein, Zs. fda.
14, 144. — F. Bech, Iwein1 1 SliS (*1873. s1888) einl. s. vi ff. R. Heinzel,
Leber die lieder Hartmanns von Aue, Zs. fda. 15. 125 ff. — Schreyer, Unter-
suchungen überleben und dichten Hart mann» von Aue, Progr., Pforta 1874.
— L. Schm id. Des minnesängers II. v. A. stand, heimat und geschlecht 1874
(s. 53 ff.). - Lüngen. War II. v. A. ein franke oder schwabe? Piss., Jena
1S76. — H.Paul. Beitr. 1,535. 2. 47« ff. - Naumann. Ueber die roihen-
folge der werke H.'sv. A.. Zs. fda. 22. 25 ff. — Jacob, Pas U büchlein ein
Hartniannisches. Piss., Leipzig 1S71». CJreve, Leben u. werke H.'sv. A.,
Progr., Fellin 187(.». — K au ff mann, Leber H.'s Lyrik, Piss., Leipzig 1!>n4.
— Ree. von Burdach, Anz. fda. 12. 18U ff. F. Sarau, H. v. A. als lyriker.
Halle 188«. — Ree. von Vogt, Zs. fdph. 24, 237. A. Schönbach, Leber
H. v. A., (Vraz 1894, 8. 355. — P. Piper, Höfische epik II. II. v. A. und seine
nachahmer, 1S94 (». 1« ff.).
Hartmanns lieder ihrer Zeitfolge nach zu ordnen hat man
die verschiedensten inethoden teils angewendet, teils vor-
geschlagen. Der welcher die arbeit zuerst in angriff nahm,
war Wilma uns. Er gieng rein vom inhalt der lieder aus.
Er versuchte aus den andeiitungen des dichten die tatsäch-
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30
SA RAN
liehen Grundlagen seines licbeslebens zu erschliessen, das er-
mittelte mit einander in beziehung zu setzen und so den
historischen verlauf festzustellen. Auf diesem wege gelangte
er dazu, zwei minne Verhältnisse anzunehmen, eines, welches
noch vor der kreuzesnahme gelöst, ein anderes, welches bald
nach ihr begonnen wurde. Eine gewähr für diese teilung
schien ihm auch die Überlieferung zu bieten. Denn von den
liederbüchern, die er aus ihr herausschälte, umfasst no. 1 lieder
die sich auf das erste, no. 3 solche die sich auf das zweite
beziehen. No. 2 enthält wesentlich werke der übergangsi>eriode.
no. 4 Strophen aus verschiedenen Zeiten. Das I. büchlein fällt
zum ei-sten, das 1 1. zum anderen Verhältnis. Wilmanns' ergeb-
nisse wären in übersichtlicher Zusammenstellung:
Erstes Verhältnis:
ton 205,1. 206,19. 207,11. 200.5. 213,29. I. büchlein.
Uebergangszeit:
ton 216,29. 209,25. 211,20 (kreuznahme 1195).
Zweites Verhältnis:
214,34. 215,14. 212,13. 216,1. 217,14. 218,5. 214,12.
II. büchlein.
211,27 ist ein gedankenspiel und ohne realen hintergrund.
Ogen die annähme mehrerer minneverhält nisse und gegen
das prineip, die handschriftliche Überlieferung für chronologische
zwecke zu benutzen, sprach sieh alsbald Hech aus (a.a.o. s. x f.).
Er für seine person meint, Hartmann habe seine lieder nur
einer dame gewidmet. Die Ordnung der Strophen in den hss.
ist nach seiner ansieht für das problem der chrunologie schwer-
lich von bedeutung.
Anders als Wilmanns geht Heinzel vor. Er legt wert
darauf, dass in A zwei auch innerlich zusammenhängende
lieder in der richtigen reihenfolge stehen, während BC ab-
weichen. Diese zwei lieder (206, 19. 207, 11) sind seiner Über-
zeugung nach der kern eines liederbuches, woran sich später
noch andere töne angeschlossen hätten. Die gediente des
liederbuches beziehen sich auf ein langjähriges erstes minne-
verhältnis, was dann vor der kreuznahme gelöst wird (s. 130).
Dieser zeit rechnet Heinzel zu die töne 205, 1. 206, 19. 207, 11.
209,5. 209,25. 211,20. 213,29. 214,12. 215,14.216,1. ILbüchl.
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DEBEB HAKTMANN VON AUK.
31
217,14. I. büchl. Darauf entspann sich ein zweites Verhältnis,
und dieser periode gehören an: 210.:;:). 214,34. 212,13. 212,37.
211,27. 218,5. Dies Verhältnis fällt nach dem kreuzzag von
1197. 212,9 deutet möglicherweise auf ein drittes Verhältnis.
216, 29 wird eben dahin gestellt (s. 136). Heinzel geht also,
umgekehrt wie Wilmanns, von der Überlieferung aus. Er zer-
legt sie in liederbücher und findet dann, dass diese lieder ent-
halten die auch inhaltlich zusammengehören.
Dagegen polemisiert Schreyer von einem Standpunkt aus,
welcher dem Bechs nahe liegt. Hart mann lebte nur einer
dame. Die lieder die er in ihrem dienst dichtete, fallen vor
und nach dem kreuzzug von 1197. Das princip wonach Schl eyer
verfährt, ist lediglich Betrachtung des inhaltes. Auf die Ord-
nung in den hss. legt er keinen wert.
Schmid glaubt, Hartmann habe zwei kreuzzüge mit-
gemacht, den von 1189 (auf ihn gehe 209, 25 und 211, 20) und
den von 1197 (auf ihn 218,5). Er trennt also die kreuzlieder
von einander. Dies billigt Lungen, der wider zwei minne-
verhältnisse annimmt. Die liederbüchertheorie misbilligt er
mit Schreyer und Bech.
Seit Pauls einschneidender kritik ist diese nicht mehr
für die feststellung der Chronologie benutzt worden. Die Über-
zeugung, dass allein innere gründe für die anordnung mass-
gebend sein können, ist seitdem wol allgemein durchgedrungen.
Von denen die sich weiterhin mit dem problem beschäf-
tigt haben, bringen weder Naumann (s. 7:5). noch Jacob (s. 25),
noch Kauffmann (s. 42 f.) etwas neues. Sie combinieren die
angaben die Hartmann über seine liebe macht, und entscheiden
sich bald für ein, bald für zwei Verhältnisse.
Unter hin weis auf sein buch 'Reinmar der alte und Wal-
ther von der Vogelweide' sprach nun Burdach in seiner reecn-
sion von Kauffmanns schritt nachdrücklich die ansieht aus,
dass die prineipien, auf denen die bisher besprochenen arbeiten
beruhen, unrichtig seien. Die biographische ausdeutung der
minnelieder sei mit wenigen ausnahmen unfruchtbar, ebenso
nütze es fast nie etwas, die handschriftliche Überlieferung zu
berücksichtigen. Es sei zunächst allein von der künstlerischen
gestaltung des inhaltes auszugehen. Aus dieser müsse man
eine Chronologie gewinnen, indem man genau und kritisch
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32
HAKAN
analysiere, was der dichter darstelle und wie er das tue. Man
habe sich also an die wähl der motive und an die technik
zu halten.
Wie subjectiv die aufstellungen der gelehrten sind die
wesentlich vom inhalt der Strophen ausgehen, ist auch mir
nicht verborgen geblieben. Ich habe darum a. a. o. versucht,
eine Chronologie auf ganz objectiven kriterien aufzubauen.
Abgesehen von den historischen anspielungen welche die ge-
dichte biete», und den sicheren beziehungen worin einige von
ihnen zu einander stehen, verwende ich statistisch dargelegte
beobachtungen über die entwicklung der rhythmik Hartmanns.
Die richtigkeit dieser methode wird nicht im prineip, wol
aber im einzelnen von Vogt bestritten.
Die neuste einschlägige arbeit ist die von Schönbach.
Kr erkennt durchaus die richtigkeit der bemerkungen an, die
ßurdach gemacht hat. Trotzdem zieht er es vor — meinen
versuch berücksichtigt er überhaupt nicht — zu dem älteren
verfahren zurückzukehren, nicht ohne dass er besorgt, man
werde es vielleicht 'brutal' nennen (s. 365). Er gruppiert die
gediente, von denen die kreuzlieder zunächst ausgeschlossen
bleiben, nach der beschaffenheit der minneverhältnisse, auf die
sie sich beziehen und die nach seiner meinung einige deutliche
kennzeichen besitzen (s. 357). Worin diese bestehen wird nicht
angegeben; die lieder werden, wie dies zuerst Wilmanns getan,
schlechthin nach den andeutungen geordnet die Hartmann über
sein minneleben gibt. Das resultat ist folgendes. Hartmann
sind zwei minneverhältnisse nachzuweisen. Zum ersten ge-
hören die folgenden töne, etwa in der Ordnung wie sie auf-
gezählt werden: 200,19. I. buchlein. 213,20. 215,14. 207,11.
205,1, auch 209,5. Hartmann ist noch nicht ritter. Vor der
kreuznahme (für den zug von 1189) wird das Verhältnis gelöst.
Ks folgen zwei kreuztöne: 209,25. 211,20. Dem zweiten Ver-
hältnis entspringen die lieder: 214, 12. 212,3. 212,37. II. büeh-
lein. 216,1. [216,29?]. Hartmann ist ritter. Nicht sicher ein-
zuordnen sind: 214,34 (.Schönbach hält es für echt). 211,27.
210, 29 (dies vielleicht zum zweiten Verhältnis gehörend). 217, 14.
218,5 (geht auf den kreuzzug von 1197).
Mir scheint, dass Schönbach bei seiner Verteilung der
lieder auf zwei minneverhältnisse etwas von dem gedanken
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U KHK Ii HAUTMANN VON AUK.
3:?
beeinflusst worden ist , jedem der büchlein entspreche ein be-
sonderes Verhältnis und diese müssten sich auch in den Uedem
widerspiegeln. Wenigstens hat er manche gedanken erst aus
dem zweiten büchlein in die lieder hineingelegt, gedanken die
nicht darin zu finden sind, wenn man den text rein für sich
betrachtet. Denn dass Hartmann ritter sei kann aus keinem
einzigen seiner lieder bewiesen werden. 214,34 ist von Paul
und mir als unecht nachgewiesen, wird übrigens auch von
Schönbach nicht zur construction verwendet. Darüber dass er
durch huote von der geliebten fern gehalten werde, klagt der
dichter nie in den Hedem. Nur das II. büchlein kennt diese
Situation. Hartmann braucht das wort huote in seiner Lyrik
bloss einmal: 215,25, in einem liede das Schönbach jedoch zum
ersten Verhältnis rechnet; klagen über die hüte bringt er
nirgends. Es wäre doch sonderbar, wenn sich der dichter
dies beliebte und fruchtbare motiv hätte entgehen lassen, falls
es ihm die Wirklichkeit an die hand gab.
Auch die gründe halten nicht stich mit denen Schönbach
die oben aufgezählten töne dem andern Verhältnis zuweist.
Unzweifelhaft, sagt er s. 359, müsse 214, 12 einem zweiten
minnedienst zugehören, denn es werde im zweiten büchlein,
der reifen, poetischen frucht dieses zweiten Verhältnisses citiert.
Warum soll denn aber der dichter dieses büchleins, wenn es
Hartmann war, nicht ein lied aus seiner früheren zeit citiert
haben? Und mit welchem recht bezeichnet Schönbach das
II. büchlein als eine frucht des zweiten Verhältnisses? Ausser-
dem enthalten die Voraussetzungen jenes liedes 214, 12 nichts
von huote: eine t rennung irgend welcher art ist sein anlass,
mehr wird nicht angedeutet. Warum soll ferner Hartmann,
so lange er im gedankengang des I. büchleins lebte, unfähig
gewesen sein, 216,29 zu dichten (s. 360)? Das büchlein be-
ginnt ja gerade damit, dass der leib seine unlust am minne-
dienst ausdrückt. Und wer, wie Schönbach annimmt, zu jener
zeit 207,11 dichten kann, der kann gleichzeitig, meine ich,
auch 216,29 singen. Auch die Verteilung der kreuzlieder auf
zwei kreuzzüge, nämlich 209,25. 210,35 auf 1189 und 218,5
auf einen späteren (1197?), ist doch wenig glaublich (s. 361).
Ich vermag mich mit Schönbachs anordnung ebenso wenig
zu befreunden wie mit den anderen die nach demselben prineip
Beiträge zur geschieht« der deutschen spräche. XXIII. 3
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34
SA RAN
hergestellt sind, und glaube nicht, dass durch sie die lösung
des problems wirklich gefördert ist. Wenn Schönbach betont
(s. 361 unten), er sei im ganzen zu gleichen resultaten gelangt,
wie Wilmanns und Heinzel, so trifft das weder zu. noch wäre
es. wenn es zuträfe, ein beweis für die richtigkeit seiner Chro-
nologie. Heinzel rechnet die töne 216, 1. 214. 12 nebst dem
II. büehlein zum ersten Verhältnis, weist also beide btichlein
einer epoche zu (s. 135. 130, besonders s. 139 oben). Schön-
bach verteilt sie auf beide: dies ist ein wichtiger unterschied.
Andererseits ist zu bedenken, dass Wilmanns und Heinzel
im wesentlichen dasselbe princip der anordnung wie Schönbach
angewendet haben, dass also von vornherein Übereinstimmung
der resultate erwartet werden muss. Wenn nun trotzdem
die anwendung dieses princips bei Schönbach wider zu einer
neuen, z. t, sehr abweichenden Ordnung führt, so scheint
mir das eher ein beweis gegen als für seine brauchbarkeit
zu sein.
Ich sehe also keinen grund, warum ich den Standpunkt
verlassen sollte, den Burdach a. a. o. einnimmt und auf den
ich mich seiner zeit auch gestellt habe. Ich halte es im
gegenteil für notwendig, alle die consequenzen solcher be-
traehtungsweise zu ziehen. Es ist mir natürlich nicht zweifel-
haft, dass die lyriker jener zeit — wie die aller Zeiten — die
Stimmungen welche sie überzeugend darzustellen vermögen,
auch alle durchlebt und durchempfunden haben. Aber der
inhalt der Situationen die sie zur künstlerischen darstel-
lung solcher Stimmungen benutzen, braucht im einzelnen falle
nicht die mindeste realität gehabt zu haben. Diese Situationen
gehören, wie die metra, die formein, auf anderem gebiet die
dramatischen fabeln u. ä. zu den mittein des poetischen aus-
drucks, die nicht zum kleinsten teil traditionell waren, und
die sich dem dichter zunächst darboten, wenn er für seine
eigenen inneren erlebnisse nach ausdruck rang. 'Diese kunst
des dichters können wir auch bei Hart mann objectiv erkennen . . ..
seine person. sein leben, seine Intentionen — all dies liegt im
nebel, und wenn im glücklichen fall einzelne umrisse hindurch-
scheinen, so werden sie immer schwankend und schwer fixierbar
bleibeir (Burdach a.a.O. s. 191). Ein versuch, die lieder
Hartmanns zu ordnen, muss darum von ihrer kunst-
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rKBER If ARTMANN VON Al'E.
35
form ausgehen: eine Chronologie die sich wesentlich oder
ausschliesslich auf die biographische Verwendung des inhaltes
beschränkt, ist nach meiner Überzeugung von vornherein
verfehlt
Aus dem ganzen minneleben Hartmanns ist durch die lieder
wol nur dies eine bezeugt, dass ihm eine dame, die er umworben,
wirklich ihre huld versagt. Dies wird in 20G, 16 mir hat ein
wip genäde widerseit, der ich gedicnct hau mit stcetekeit . . .
ausdrücklich gesagt, und da der dichter kurz vorher auch den
tod seines herm beklagt, so wird wie dies Unglück so auch
jenes eine tatsache sein. Denn man kann doch kaum an-
nehmen, dass hier ein historisch wirkliches mit rein fingiertem
verbunden sei.
Will man darüber hinaus über die art dieses Verhältnisses
etwas erfahren, so empfiehlt es sich Welleicht, mehr nach dem
zu forschen was der dichter nicht sagt, als die positiven an-
gaben die er scheinbar macht, zu pressen.
Aus dem was oben über das Verhältnis von H. kl. (I.büchl.)
zu ton I gesagt ist, würde folgen, dass die dame zunächst von
Hartmanns 'dienst' nichts wusste. Ebensowenig natürlich
andere leute. Als er sie schliesslich bittet, sich seinen dienst
gefallen zu lassen, weist sie ihn ab. Ich glaube die Wirklich-
keit wird dem entsprochen haben. Denn hätte sie um seine
neigung gewusst, hätte sie ihn hingehalten und dann schliess-
lich doch abgewiesen, so würde sich der dichter dies stärkere
poetische inotiv gewis nicht haben entgehen lassen.
Ebensowenig hat Hartmann gewagt, sich seiner dame in
irgend einer weise zu nähern die nicht der Bitte entsprach.
Denn wenn er nie über huote klagt (215, 25 ist keine klage),
so hat er wol auch nie von der huote wirklich zu leiden ge-
habt. Das wäre aber nicht ausgeblieben, wenn er mit oder
gegen den willen seiner dame versucht hätte, zu ihr zu dringen.
Dies passt ganz zu der läge, in der die einleitung des 1. büch-
leins den dichter zeigt: hier ist für den neid der merker kein
räum, und darum ertont dies motiv auch nicht in den liedern.
Alles andere liegt im dunkeln. Es ist sehr möglich, dass
Hartmanns ganze minnelyrik oder wenigstens fast die ganze
aus diesem einzigen, wirklich beglaubigten noch dazu ganz
einseitigen liebesverhältnis geflossen ist. Ich halte es sogar
3*
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36
SA KAI?
für wahrscheinlich, weil ich grund habe anzunelimen, dass die
lieder dieses dichter« sich in ganz wenige jähre zusammen-
drängen (vgl. unten). Warum soll auch Hartmann nicht
Strophen wie 211, 27 ff. 213, 29 ff. 216, 29 ff. gedichtet haben,
wenn ihm die dame minder freundlich schien als sonst, oder
warum soll er nicht trüben Stimmungen bei reiferer kunst in
Hedem wie 212, 37 ff. ausdruck verliehen haben? Ich halte
es geradezu für unzulässig, aus einer strophe wie 212, 5 ff.
auf eine untreue Hartmanns zu schliessen. Das gedieht ist
ein Stimmungsbild mit humoristischem anflug, dessen reale
Ursache nicht erkennbar ist — wenn es überhaupt eine solche
hat. Selbst verstand lieh darf man andeutungen eines miune-
sängers über liebeserlebnisse nicht vernachlässigen, aber sie
kommen, wie Hurdach mit recht betont, erst in zweiter linie.
Ks sind momente von secundärer beweiskraft, deren wert ei*st
gesichert werden muss.
Unter den kriterien nach denen man beurteilen kann, wie
weit ein dichter bereits in seiner entwickelung zu höherem
können fortgeschritten ist, steht in vorderster reihe die metrik.
Namentlich in einer zeit des aufblühens ist es von hohem wert
und nicht schwer, zu beobachten, wie die kunst zu immer
vollkommneren formen fortschreitet. Hier heben sich die
verschiedenen stufen deutlicher von einander ab, als wenn die
entwickelung bis zur Vollendung gediehen ist. Ich habe darum
den nachdruck auf die betrachtung der metrischen technik
Hartmanns gelegt und die Chronologie seiner lieder auf eine
Statistik ihrer auftaktverhältnisse gegründet. Die berechtigung
so zu verfahren wurde vorher nachgewiesen, indem zunächst
rein aus dem inhalt mehrerer töne und aus deutlichen be-
ziehungen zwischen ihnen eine kleine reihe ermittelt wurde,
die als chronologisch ziemlich sicher angesehen werden darf
(H. v. A. s. 29 ff.). Das resultat ist von Bech in vollem umfang
angenommen und in seiner ausgäbe (3.aufl.) verwendet. Paul
erkennt Grundr. 2', 1, 937 wenigstens das prineip als richtig
an. Ebenso Vogt (s. 240).
Ich habe schon in meiner Schrift betont und widerhole es
hier, dass ich die reihenfolge die ich gewonnen, keineswegs
für sicher und bis ins einzelne genau ausgeben will (H. v. A.
s.31 anm. s.39 oben). Ich habe das prineip nur darum streng
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URBER HARTMANN VON AUE.
37
durchgeführt, um zu sehen, ob sich dabei Widersprüche er-
gäben. Dies ist nicht der fall gewesen, im gegenteil. Eben
in diesem erfolg sehe ich eine bürgschaft für die richtigkeit
der methode.
H. v. A. s. 35 gebe ich folgende anordnung der töne:
Das ergebnis bestätigt, dass die drei kreuztöne einander
zeitlich nahe stehen und gewis nicht auf zwei kreuzzüge ver-
teilt werden dürfen. Dass dies zugleich das wahrscheinlichste
ist, wird niemand bezweifeln. Aus der tabelle folgt weiterhin,
dass die töne I, II, III zusammenzustellen sind. Auch dies
bestreitet niemand: sie werden stets ein und demselben minne-
verhältnis zugewiesen. Ihre Ordnung bestimmt Schönbach
überdies genau so wie ich getan, nur dass er zwischen II und
III. I noch einige andere gediente einschiebt. Dass sie vor
bez. kurz vor die kreuznahme fallen, wird auch allgemein
angenommen. Drittens ergibt mein prineip einen neuen grund
für die unechtheit von MF. 318, an der wol niemand ernstlich
zweifelt, und für die von 214,34, welche wenigstens von Paul
nachdrücklich verfochten wird. AVenn also meine Chronologie
dem nicht widerspricht was man aus gründen des inhalts und
des stiles, jedenfalls aus rein objectiven gründen annimmt,
sondern dies im gegenteil bestätigt, wenn sie hingegen nur
mit dem streitet was man unter biographischer ausdeutung der
lieder combiniert hat, so sehe ich darin keinen grund, sie für
unrichtig zu halten und ihr prineip zu verwerfen. Ich finde
darin nur einen beweis für die richtigkeit des Standpunktes
den ich nach Vorgang Burdachs eingenommen habe.
Mag man auch über die einzelheiten abweichender ansieht
sein — vollkommene genauigkeit steht natürlich nicht zu er-
warten — , so viel glaube ich doch nachgewiesen zu haben,
dass in den Hedem Hartmanns eine starke tendenz zur
auftaktregulierung waltet, mithin die lieder welche darin
X 213,29
xni 2ir», l
VIII 212, 13
VII 211,27
XIV 216,29
IV 209,5
XV 217,14
IX 212.37
XI 214, 12
II 20«, 19
HI 207,11
I 205, 1
V 209,25
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38
KAR AN
am regelmässig^ en sind, auch als die letzten lyrischen erzeug-
nisse des dichters zu gelten haben.
Freilich gebe ich ohne weiteres zu, dass meine alte be-
weisführung in H. v. A. manche niängel hat. Zum teil weist
schon Vogt auf sie hin, zum andern teil sind sie mir selbst
bei meinen Untersuchungen über musikalische und poetische
rhythmik sichtbar geworden.
Das schwerste bedenken welches Vogt erhoben hat, näm-
lich das gegen die ansetzung so vieler Strophen als einzel-
strophen, ist von mir, wie ich hoffe, im ersten abschnitt
dieser Untersuchung beseitigt worden, im sinne meiner H. v. A.
s. 12 eingefügten anmerkung und im sinne Pauls und Vogts.
Es hat sich herausgestellt, dass in den tönen der Zusammen-
hang der Strophen verhältnismässig eng ist, enger als ich
früher zugestanden.
Die einbeziehung von ton 211,20 in die Statistik ist
nicht zu billigen, weniger aus dem gründe den Vogt s. 238
vorbringt als deshalb, weil das lied offenbar nicht vollständig
auf uns gekommen ist. Sein inhalt macht aber die einordnung
nicht zweifelhaft.
Wie weit mehrsilbige Senkungen anerkannt werden
müssen, lasse ich dahingestellt. Lachmann und Haupt haben
ihre anzahl zu beschränken gesucht: im gegensatz zu ihnen
hat Paul für Walther viele der beseitigten wider auf-
genommen. Die entscheidung dieser für die herausgäbe mlid.
texte sehr wichtigen frage kann nur eine genaue metrisch-
statistische Untersuchung eines grossen materiales geben, die
ebenso sehr die gesetze der systematischen wie historischen
rhvthmik zu berücksichtigen hat. Mir scheint, dass die
herausgeber von MF. die grenzen zu eng gezogen haben.
Aber auf die autorität der hss. in diesem punkte zu bauen,
halte ich entschieden für unzulässig. Auch über die möglich-
keit von 'kürzungen' denke ich anders als Paul (Beitr.8. 181 ff.),
da ich von der existenz einer mhd. dicht ersprache überzeugt bin.
Man hat vor allem streng zu scheiden zwischen gesungenen
Uedem (vocaltexten) und gesagten gedieht en. Der rhythmus
folgt, wie ich anderswo schon oft hervorgehoben habe, in
beiden gattungeu ganz verschiedenartigen gesetzen: dort denen
der musik, hier denen der poesie. Diese arbeitet mit den
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UEBKR HART MANN VON ATE.
39
mittein welche ihr der sprachton an die hand gibt, jene mit
zeit Verhältnissen die dem lebendigen wort fremd sind und es
bis zu einem gewissen grade sogar vergewaltigen. Wo also
zur erreichung einer bestimmten Wirkung in der poesie eine,
zwei oder mehr Senkungen vielleicht nötig sind, können sie im
gesang überflüssig sein, ja stören — und umgekehrt. Gesang
und poesie sind auf jeden fall gesondert zu behandeln.
Im gesang ist nun eine zweisilbige Senkung (arsis) an
sich weder schön noch hässlich. Der eindruck den man beim
lesen von minnesängertexten empfängt, ist natürlich für die
ästhetische beurteilung ihres rhythmus in keiner weise mass-
gebend: diese werke sind eben nicht zum lesen bestimmt,
Metrisch sind zweisilbige Senkungen an sich ebenfalls gänzlich
unauffällig: statt L _ steht einfach L ww Im reihenauftakt
sind sogar drei silben möglich Ob freilich und wie
weit die sänger von diesen möglichkeiten gebrauch gemacht
haben, ist eine andere frage. Sie ist nicht mit theoretischen
erörterungen, sondern allein auf dem wege der Statistik zu
lösen. Eine solche aber wird zweckmässig nur mit grösserem
material unternommen und so dass man dabei die sprach- und
Schreibgewohnheiten der hss. berücksichtigt. Ich muss hier
darauf verzichten. Dass sich für die Chronologie der Hart-
mannischen lieder daraus ein kriterium ergeben werde, glaube
ich nicht. Darin ist die regelung doch schon zu weit durch-
geführt.
Innere zusammenziehung (thesis -f- arsis = JL; nach
Westphal \synkope der Senkung') nehmen die herausgeber von
MF. in Hartmanns Uedem nirgends an, meiner Überzeugung
nach mit recht. Wo sie überliefert ist, lässt sie sich durch
ganz leichte und unbedenkliche änderungen beseitigen. So
205.3 sanesüle (so die hss.), MF. ohne zweifei richtig: emüle.
205.4 duz selbe tuot auch, MF. duz selbe duz ttiot oueh, wo
vielleicht Bechs emendation duz selbe tuot auch drr min s. m.
vorzuziehen ist. 210,11 lese ich mit Haupt. Nimmt man an
der Umstellung anstoss, so könnte man auch an werelt denken,
eine zweisilbige form, die in älteren liedertexten aufzunehmen
sich zuweilen empfiehlt. Für den leser ist Haupts besserung
entschieden gefälliger, die musikalische rhythmik würde da-
gegen keinen anlass haben, zweisilbige arsis hinter der zweiten
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40
SAU AN
thesis des Vordersatzes (_J ww— - .-L ) zu tadeln, da
sie gerade an dieser stelle öfters vorkommt und rhythmisch
begründet ist. Vgl. abschnitt III. Entscheiden kann wider
nur die Statistik. Von bedeutung für die Chronologie Hartmanns
ist also auch die erscheinung der zusammenziehung nicht.
Den ausschlag gibt die beobachtung der auftakt-
verhältnisse. Die bedenken welche Vogt dagegen erhebt,
dass ich die auftaktfrequenz in procentzahlen umgerechnet für
die Chronologie verwerte, kann ich nicht teilen. Denn wenn
in den 45 versen des tones 205, 1 der auftakt einmal fehlt, in
den 24 von 215, 14 aber auch nur einmal, so ist das doch ein
grosser unterschied. Da jenes lied fast doppelt so viel verse
hat als dieses, so fehlt der auftakt dort natürlich um die
hälft e seltener als hier. Umrechnung in procente ist darum
keineswegs ein 'aufbauschen' (Vogt s. 239): im gegenteil wäre
es falsch die Ziffern direct mit einander zu vergleichen. Man
würde in diesem fall ihre bedeutung verschleiern und von den
wirklichen Verhältnissen ein ganz schiefes bild erhalten. Dass
ich den abstand von 205, 1 und 214. 12 H. v. A. s. 36 für be-
deutsamer gehalten als er wirklich ist, leugne ich nicht, um
so mehr als ich jetzt das 'daktylische' lied dort einstelle.
Der oder die verlornen leiche Hartmanns sind wol kreuzleiche
gewesen. Sie würden, wenn dieses richtig ist, unter die kreuz-
lieder einzureihen sein.
S. 230 bemerkt Vogt: 'der Verfasser hat bei der aufstellung
seiner tabelle entweder ganz vergessen, dass dieselbe die fort-
schreitende regelung des auftaktes veranschaulichen soll oder
er sieht diese regelung ausschliesslich in dem gleichmässigen
setzen, nicht auch in dem gleichmässigen fehlen des auftaktes
und ebensowenig in dem bestimmten Wechsel von versen mit
und ohne auftakt; denn nach seiner Übersicht steigen unter-
schiedslos mit der zahl der auftaktlosen verse eines tones auch
jene procentzahlen, deren allmähliches anwachsen nur immer
weiter zurück auf die stufen geringerer kunstfertigkeit des
dicht eis führen soll; die denkbar niedrigste stufe derselben
würden wir demnach mit der denkbar höchsten procentzahl
erreichen, d.h. in einem eonsequent ganz ohne auftakt gebauten
gedieht! Ein solches findet sich nun allerdings bei Hartmann
nicht, wol aber gebraucht er Strophenschemata welche das
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UKHF.R HARTH ANN VON AUE.
41
fehlen des auftaktes an bestimmter stelle erheischen'. Die
gerügte vergesslichkeit wird mir Vogt hoffentlich nicht im
ernst zutrauen. Von den beiden Möglichkeiten die er offen
lässt, ist die zweite richtig. Ich habe mit bewusstsein nur
ein princip in der auftaktregulierung anerkannt und halte
auch jetzt daran fest, dass das von mir ermittelte durchaus
die entwickelung beherscht. Neben ihm kommt kein anderes
wirklich zur geltung. Gleichwol hat Vogt richtig gesehen,
dass meine ausführungen an dieser stelle der ergänzung be-
dürfen. In einigen Hedem fehlt allerdings der auftakt ent-
schieden nicht ohne absieht. Doch widerspricht dies, wie sich
zeigen wird, meinem princip keineswegs, fügt sich ihm vielmehr
auf das beste. Vgl. abschnitt VI.
Auf einen mangel meiner Statistik muss ich selbst auf-
merksam machen, da ihn niemand bemerkt hat. Er liegt auf
rein rhythmischem gebiet und zwar in der kolotomie. Die
mhd. liedertexte werden so gedruckt, dass im allgemeinen eine
reimzeile auch eine druckzeile ausfüllt. Dass damit der bau
der Strophen nur unvollkommen widergegeben werde, haben
sich die herausgeber von MF. nie verhehlt. In den meisten
fällen ist nun die reimzeile gleich einer rhythmischen reihe,
oft aber beträgt sie weniger (bei binnenreim u. s. w ), oft mehr
(bei waise und reihenverschleifung). Der rhythmische wert
einer druckzeile in MF. kann somit im einzelnen falle drei-
fach sein: 1) reihe. 2) reihenabschnitt, 3) zwei oder mehr reihen
bez. eine ganze periode. Als erstrebenswert muss ein druck-
schema bezeichnet werden, worin jede zeile den wert einer
rhythmischen reihe hat, und worin die anfange der perioden
durch grosse buchstaben deutlich gekennzeichnet sind. Alles
andere ergibt sich daraus dem kundigen leser von selbst.
Entwirft man nun nach dem princip. das ich verwendet,
eine statistische tabelle der auftakte, so muss man vor allem
die funetionen genau scheiden. Man darf also nur die auftakte
am reihenanfang mit einander vergleichen, man muss sich da-
gegen hüten •binnenauftakte' mit in die rechnung einzubeziehen.
Ferner hat man, um wirklich genaue zahlen zu bekommen,
die anzahl der kola einer Strophe rhythmisch zu bestimmen
und darf sich nicht nach den unrichtigen schematen der drucke
richten. So habe ich z. b. MF. 211,27 im anschluss an den
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42 SA RAN
»
text als eine Strophe von 8 reihen angesehen und die proeente
auf diese zahl berechnet. Dies ist falsch, denn die Zeilen 211. 28
und 30 sind notwendiger weise in je zwei kola zu zerlegen,
während 211,32. 33 ebenso notwendig in eines zusammengezogen
werden müssen. Die Strophe bestellt also nicht aus 8, sondern
aus 0 reihen und damit ändert sich auch der statistische wert
der auftaktziffer etwas. Ferner fällt damit der auftakt von
211,33 ausser betracht, denn er ist nicht die erste arsis einer
reihe, sondern nur erste arsis eines abschnitt es (reihenteiles),
also vom Standpunkt deskolons aus gesehen ein 'binnenauftakt*.
Ks bedarf also meine frühere arbeit vorzugsweise im punkte
der rhythmik einer revision. Denn die grundlage einer Unter-
suchung, wie die ist welche ich geführt habe, muss vor allem
eine genaue kolotomie sein. Ich will diese kolotomie und
überhaupt die rhythmisierung der lieder, so weit sie für meinen
unmittelbaren zweck von nöten ist, hier nachholen.
III. Zur rhythmik von MF.
Was einem wirklichen Verständnis der lyrik der minne-
singer bisher im wege gestanden hat und noch immer im wege
steht, ist der umstand, dass man die überlieferten denkmäler
dieses kunstzweiges nicht als das behandelt was sie sind und
allein sein sollen: vocal texte. Man nimmt sie für poetische
welke, für gedichte und beurteilt sie im wesentlichen ebenso,
wie man es mit gedichten moderner lyriker tut. Man vergisst,
dass sie nur mit der melodie zusammen wahrhaft lebten, daxs
also beim lesen ein grosser teil ihrer ästhetischen Wirkungen
sehwinden muss. Eine erotische deutsche buchlyrik gab es
damals nicht. Es gab keine gedichte, sondern nur lieder.
Macht sich dieser fehler der betracht ung schon bei der
literarischen beurteilung oft recht störend geltend, so noch
mehr bei der rhythmischen. Man stellt hier die Strophen
dieser sänger auf eine stufe mit den reimdichtungen der er-
zähler, man überträgt beobachtuugen die man an sprechversen
gemacht, auf gcsangsverse, kurzum man lässt den grossen
unterschied ausser acht, der tatsächlich zwischen musikalischen
und poetischen rhythmen besteht. Dadurch wird eine befrie-
digende auffassung der minnelieder unmöglich.
Es ist für die metrik der minnesinger unbedingt festzu-
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UBBI'R II AUTMANN VON AUE.
43
halten: das für den ästhetischen eindruck massgebende, das
formende dement ist der musikalische rhythmus. Dessen
formen hat sich der text sowol im accent wie in der gliederung
anzubequemen. Diese musikalisch -rhythmischen formen sind
aber ihrem wesen und ihrer entstehung nach von der spräche
und ihren accent Verhältnissen als solchen gänzlich unabhängig,
sie können z. b. in der instrumentalmusik eine existenz ohne
sprachtext führen. Weil sich nun aber der text dem musika-
lischen rhythmus fügen muss, weil er von diesem geformt wird,
soweit es die natur der spräche nicht hindert, so wird er da
wo die melodie nicht erhalten ist, die möglichkeit bieten, den
rhythmus zu erkennen den er begleitet. Aus den eindrücken
die der rhythmus im text hinterlassen, kann man also um-
gekehrt seine form reconstruieren. Aber dies ist nur dann
möglich, wenn man sich über wesen und gesetze des musika-
lischen rhythmus unterrichtet hat: ohne kenntnis dessen was
in musikalischen rhythmen möglich ist. kann die rhythmi-
sierung der texte nicht gelingen. Denn der text spiegelt
eben nicht alle Wirkungen des rhythmus ab, sondern nur einige.
Ja selbst dann, wenn uns die melodien der alten minnelieder
erhalten wären, würde aus text und melodie allein die rhyth-
mische form nicht construiert werden können. Denn die notie-
rung alter melodien jener epoche bedarf, wie mich ein kenner
der mittelalterlichen notenschrift, H. Kiemann, versichert, selbst
erst der rhythmischen deutung auf grund des text es.
Die einzige möglichkeit in das wesen der alten kirnst
einzudringen ist also die. dass man an modernen musikstücken
verwanter art, d.h. an einfachen Hedem, die formen und ge-
setze des musikalischen rhythmus studiert, danach die erhal-
tenen texte rhythmisiert und dann die resultate durch statis-
tische vergleichung corrigiert. Man wird so, wie ich überzeugt
bin, wenn nicht völlig, so doch hinreichend genauen aufschluss
erlangen, zumal die Sache verhältnismässig recht einfach liegt.
Ich werde im folgenden nach dieser methode verfahren. Die
grundsätze die ich im einzelnen befolge, werde ich vorher an-
geben. Ich muss dies in dogmatischer form tun. erhebe aber
hier nicht den anspruch darauf, etwas endgiltiges zu geben.
Doch möchte ich bemerken, dass meine art der behandlung
und die folgende kurze rhythmische Übersicht sich auf die
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44
BARAK
dureharbeitung eines reichen materiales stützt. Ich habe tau-
sende von musikalischen compositionen aller gattungen und
grossen analysiert und die gewonnenen regeln an sämmtlichen
Hedem aus MF., den meisten Walthers und zahlreichen späterer
sänger erprobt und als stichhaltig erfunden. Ich glaube ihnen
darum einigen wert beilegen zu dürfen. Im einzelnen hoffe
ich meine grundsätze bald in einer systematischen darstellung
der allgemeinen musikalischen rhythmik rechtfertigen zu können.
Einstweilen verweise ich auf R. Westphals 'Allgemeine theorie
der musikalischen rhythmik seit Bach' und ebendessen 'Aristo-
xenos' bd. 1 (von mir bearbeitet und herausgegeben), wo sich in
den prolegomena ein abriss der musikalischen rhythmik findet.
Heide Schriften zusammen genügen im ganzen zur rhythmisie-
rung der minnelieder, so viel verfehltes auch darin enthalten
ist. Will man sich die Schemata der minnelieder beleben, so
nehme man dazu choralmelodien. Deren rhythmik steht —
von dem feierlichen tempo natürlich abgesehen — ungefähr
auf dem Standpunkt der lieder in MF. Von der heranziehung
der kinderlieder sieht man am besten ab, da diese eine Sonder-
stellung einnehmen.
Die rhythmik der minnelieder in MF.
1. Per rhythmns und seine faotoren.
§ 1. Lässt man ein monodisches oder unisones (ev. be-
gleitetes) lied auf sich wirken, z. b. das bekannte 'Frisch auf,
kameraden, aufs pferd, aufs pferd' und zwar gesungen so wie
es an seiner stelle sinn- und stilgemäss gesungen werden muss,
so findet man dabei im bewusstsein — wenn man einmal von
andern Wirkungen absieht — die Vorstellung einer gewissen
zeitlichen gliederung, die zugleich als angenehm gefühlt wird.
Dies ist der rhythmus des liedes, die ästhetisch wolgefällige
zeitform des akustischen Vorgangs.
§ 2. Analysiert man nun diesen inhalt des bewusstseins,
so enthüllt er sieh als die Wahrnehmung eines Systems von
Zeitbeziehungen, das die tonreihe in uns entstehen lässt. und
zwar eines Systems, das sich in mehreren Ordnungen aufbaut,
die so zu sagen über einander stehen. Sie folgen diesem
schema:
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UKBKK IIAUTMANN VON AUE.
45
4. |t
:i. r : r
und dann auf jeder seite weiter:
3. r :
2. ii a
1. f : f f : f
0. s : s s:.s 8 : s s:s 8 : h »:s b : s 8:8
D. h. diese tonreihe ist so beschaffen, dass ihre teile, nachdem
sie ins bewusstsein getreten sind, nicht vereinzelt bleiben, son-
dern nach dem mitgeteilten Schema auf einander bezogen, also
vom geist zu gruppen vereinigt werden, von denen eine immer
die nächst niederen einschliesst.
$ 3. Jede einzelne rhythmopöie ist also in rhythmische
gruppen verschiedener Ordnungen zerlegbar. Diese sind von
unten nach oben gerechnet:
1) der fuss (f) bestehend aus zwei schlagen (s), die arsis
und thesis (aufschlag und niederschlage) heissen,
2) der abschnitt (a).
3) die reihe (r).
4) die periode (p);
eventuell kommen hinzu
0) der absatz,
6) die Strophe.
Jede gruppe höherer Ordnung zerlegt sich zuerst in die der
nächst niederen und dann so fort. Die folge der schlage, diese
ohne beziehung zu einander gedacht, heisse das rhythmische
niveau (im Schema mit 0 angedeutet).
§ 4. Dies wolgefällige Zeitensystem ist psychologisch be-
trachtet eine leistung des bewusstseins. Die mittel die die seele
anregen, es zu erzeugen, d. h. die factoren des rhythmus sind
1) das metrum, d.h. alle die festen Verhältnisse worin
die dauerwei te der einander beigeordneten töne und tongruppen
in den verschiedenen Ordnungen stehen. Metrum ist also der
Inbegriff der mathematisch festgestellten dauerverhält nisse in
der tonbewegung. Mit 4 rhythmus ' darf der begriff nicht ver-
wechselt werden.
2) die dynamik, d.h. der inbegriff der stärkeabstufungeu,
die in einer tonreihe bemerkt werden,
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40
HAKAN
3) das tempo,
4) die agogik, d.h. kleine dehnungen oder kürzungen
die die normaldauer eines wertes erleidet, ohne dass die grund-
proportion für das bewusstsein gestört wird.
5) die tonarticulation (lcgato, staccato u.s.w.),
6) die tote pause, d.h. irrationale leere Zeiten, die als
grenzen gebraucht werden,
7) die melodie mit ihren bedeutungsvollen intervall-
schritten und Schlüssen,
8) der text, der durch syntaktische gliederung und den
Wechsel accentuierter und nicht accentuierter silben die rhyth-
mische gruppenbildung wesentlich fördert,
9) das euphonische des text es, z. b. reim, alliteration
u.dgl., was ebenfalls den rhythmus stützt.
$ 5. Nur das zusammenwirken aller oder doch der meisten
dieser factoren erzeugt den rhythmus. Es brauchen aber nicht
alle in gleicher rieht ung zu wirken. Einige können wider-
streben, die dann durch stärkere Wirkung anderer in ihrer
tätigkeit compensiert werden. In solchen fällen — und es sind
wol alle — ist das ideale rhythmische System mehr oder weniger
verschl eiert. (Gerade in der feinen Verwendung der gegensätze
in den factoren besteht die kunst der rhythmischen arbeit.
2. Die Grundformen der rhythmischen ^nippen.
Es folge nun eine kurze Charakteristik der einzelnen rhyth-
mischen gruppen, soweit sie für meinen zweck nötig ist.
§ 6. Der fuss. Für den minnesang, soweit dessen texte
in MF. vorliegen, kommen nur vier in betracht:
_ ' anapäst«) (J | J) | daktylus')(| JJ)
v^JL jambus (J*| 0) | iw trochäus (| JJ').
Die füsse kennen also entweder das gerade (1:1) oder das
ungerade (1:2, 2: 1) Verhältnis. Analysiert man eine rhythmo-
pöie nach takten, d.h. von thesis (hebung) zu thesis ohne rück-
sicht auf das fusssystem, so erhält man für MF. natürlich nur
zwei einfache takt formen: den geraden | _L__ | = | JJ | und
den ungeraden - = | JJ*|. Bei anapästen und jamben heisst
dann die erste arsis der reihe • auf takt'.
') It h brauche diesen uamen in etwas anderem sinn als die antike.
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URB RR HARTMANN VON AUR.
47
8 7. Die reihe. Ks gibt in der musikalischen rhythmik
überhaupt nur fünf reihen formen: den zwei-, drei-, vier-, fünf-
und sechsfiisser (bez. -takter, wenn man nach takten zählt).
Es empfiehlt sich die neutralen namen 'zweier, dreier, vierer,
funfcr und sechser zu benutzen, die schon das 18. jh. brauchte.
Meist sagt man: dipodie, tripodie. tetrapodie. pentapodie. hexa-
podie. Von diesen reihen kennt MF. nur drei:
1. den vierer (tetrapodie), weitaus die beliebteste und
häufigste; z. b.
2. den sechser (hexapodie), nächst dem vierer die belieb-
teste reihe und auch sehr häufig: z. b.
3. den zweier (dipodie), selten und vielleicht nirgends
anzuerkennen. Durch Verbindung mit nachbarzeilen kann er
wol immer vermieden werden. Dieser reihentypus ist überhaupt
in der musikalischen rhythmik einer der seltensten.
Dreier und fünfer sind in MF. nicht anzunehmen, weil
man ohne sie glatt auskommt und diese reihen jederzeit sehr
selten gewesen sind. Man darf sie nur da ansetzen, wo sie
positiv nachgewiesen werden können.
Am schluss jeder reihe steht eine cäsur, die durch die
Verwendung der rhythmischen factoren in sehr verschiedener
weise zum bewusstsein gebracht werden kann. In der vocal-
musik pflegt des atmens wegen tote pause mit ihr verbunden
zu sein.
$ 8. Oer abschnitt. Jede reihe, der zweier ausgenommen,
zerfällt in zwei rhythmische abschnitte, die sich mehr oder
weniger von einander abheben. Bei deutlicher Scheidung steht
binnencäsur, die ich im schema durch ein Semikolon bezeichne.
Der vierer zerlegt sich so: der sechser
entweder - -"- --- oder .
d.h. nach dem reihenverhältnis 1:2 oder 2:1, nie nach dem
Verhältnis 1:1, also nie L- _1; . Solche bü-
dungen sind nicht reihen, sondern zweigliedrige perioden!
Da der sechser rhythmisch eine enge Verbindung des
zweiers und Vierers ist, so enthält sein langer teil (der vier-
vierer.
• (anap. sechser),
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48
SA RAN
füssige abschnitt) zwei Unterabschnitte, die zuweilen aucli
durch untercäsur deutlich getrennt werden.
' . . " _ . i
Man hat also haupt- und Unterabschnitte zu scheiden.
Von den zwei typen des sechsers ist der nach v = 2 : 1
(also mit dem langen teil voran) stets der seltenere, darum
nur dann anzusetzen, wenn dazu positive veranlassung ist.
Die normalen binnencäsuren der reihen sind die zwischen
den abschnitten; doch sind sie meist verdeckt, besonders im
vierer, so dass sie nicht ins bewusstsein fallen.
Anm. 1. Ich bemerke hier, dass vierer und sechser mit anapästischeu
füssen ( — '-) der germanischen rhythmik von alters her eignen. Auf den
ersten gehen, wie ich gezeigt habe (vgl. Sievers, Altgerm, metrik cap. VII).
die 'normalverse' der altgermanischen alliterationspoesie zurück. Auf den
sechser (die hexapodie) anapUstiseher form dagegen weisen, wie ich hier nur
mitteilen will, die ' schwell verse' hin. Deren einzelne formen lassen sich
aus dem sechser in ganz analoger weise ableiten wie die normalverse aus
dem vierer, l'nd zwar geht der westgerm. schwellvers auf die fonn zweier
-4- vierer (v— 1:2) zurück, also auf den sechser mit schliessendem langen
teil. Der nordische schwellvers im dröttkvjett aber ist aus der form vierer
+ zweier (v— 2:1) entwickelt. Auch die langzeile des ljooahattr gehört
hierher. Luieks complicierte theorie ist unmöglich. Die formanalyse des
textes die Sievers zuerst gegeben, entspricht durchaus dem genetischen
Sachverhalt. Wie der ursprünglich vierhebige musikalische vierer in folge
seiner deutlich dipodischen struetur zum wesentlich zw ei liebigen poetischen
normalvers umgewertet wird, so der musikalisch sechshebige rhythmus zum
dreihebigen schwellvers. Die von Sievers festgestellte gliederung in ein
X — + normalvers oder normalvers 4- —X uichts weiter als der letzte
Widerschein der musikalischen gruppiernng nach 1 : 2 oder 2:1. Die regeln
über die 'Senkungen' und eventuelle ' nebentöne ' im schwellvers können
denen des uormalverses aualog entwickelt werden.
$ 9. Die periode. Ks ist eine für das Verständnis von
rhythmopöien höchst wichtige tatsache, dass in der musik der
cultur Völker, jedenfalls in der des abendlandes von der wir
etwas wissen, reihen für sich allein nicht vorkommen, ver-
schwindend geringe ausnahmen abgerechnet. Es müssen immer
mindestens zwei zu einer gruppe höherer Ordnung, der periode
zusammentreten. Isoliert kommen reihen nach meinen beob-
achtungen nur als signale u. ä. vor. Die kunst kennt sie nur
da wo sie solche signale nachahmt. Die reihe als bestandstück
der periode heisst glied (kolon).
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l'KHKK 1IAKTMANN VON AVK.
49
jj 10. Die ursprungliche fomi der periode Ist die zwei-
gliedrige. Sie besteht aus Vordersatz (a) und nachsatz (b).
Sind mehr glieder vorhanden, so haben sie entweder (in MF.
immer!) die function von Vordersätzen (a', a" u.s.w.) oder aber
die von nachsätzen (V, b" u.s.w.). Letztere tragen den Cha-
rakter von schlusswiderholungen und Schlussbekräftigungen.
Es ergeben sich also folgende Schemata:
dreigliedrige periode: a — a' — b oder a — b — b',
viergliedrige periode: a — a' — a" — b, a — a' — b — b'
a — b — b' — b" u. s. w.
Die periodenglieder werden durch die cäsuren getrennt. Hier
ist im text der hiatus stets erlaubt.
§11. Für die gliederfolge gilt die specialregel: zwei
dipodien können nie in der function von reihen aufeinander
folgen. Wo dies scheinbar der fall ist, hat man es mit einem
vierer zu tun, dessen binnencäsur scharf ausgeprägt ist. Die
zweier sind in solchen fällen also abschnitte, nicht glieder.
§ 12. Hinter der periode ist ein starker rhythmischer
einschnitt, den ich diäresis nennen will. Zeichen: || (doppel-
strich).
§ 13. Wie die reihen zur periode zusammentreten müssen,
so können sich wenigstens die perioden zu absätzen ver-
einigen.
§ 14. Die absätze, wo solche vorhanden sind, andernfalls
die perioden unmittelbar, treten zu Strophen zusammen. Auch
eine periode kann schon strophische function tibernehmen (z. b.
im lied 'Es zogen drei burschen'. Periode = a — b — b' =
strophe). Als Strophenteile heissen die absätze im minnesang
aufgesang und abgesang, die strophe ist also ev. zweiteilig
zu analysieren, nicht dreiteilig.
3. Die rhythmischen sprossformen.
Die unter no. 2 aufgestellten grundformen können nun
modificiert werden durch rhythmische Veränderungen. Ich führe
nur die wichtigsten davon an.
$ 15. Auflösung. Jede normale thesis (L) kann in zwei
Mlften gespalten werden: L = Z~ ( J = J*J*)« Eine halbe,
reine thesis heisst schlechtweg kürze' (more). Ebenso kann
Beitrüg« zur geschickte der deutschen »pmche. XXIII. 4
50
SAKAN
eine arsis gespalten werden, wenn sie von der dauer einer
thesis (L) ist: _ = ^ ( J = jsJ). Die zeit der reinen thesis,
dann auch die einer gleich langen arsis, nennt man gewöhn-
lich schlechtweg eine länge. Daher die bekannte regel: eine
länge ist gleich zwei kürzen.
§ 16. Eine arsis von dem wert « (J*), also die arsis der
jamben und troehäen, darf im minnesang nicht gespalten werden.
Die kürze ist also wie im griech. und lat. die kleinste mög-
liche rhythmische zeit (xq6vo<; jtQcötog, mora, masszeit).
Es gilt also auch für MF. die regel von der Unteil-
barkeit der kürze (der masszeit, mz.).
§17. Die füsse können in MF. darum nur in folgenden
artformen auftreten:
anapäst: _ -
daktylus: JL-
jambus: ^1
trochäus: lw
Es gibt also in MF. höchstens viersilbige takte. Füllen vier
silben den takt, so müssen die beiden ersten (die thetischen
silben) 4 verschleif bar' sein, d.h. sprachlich die form ^x haben.
Anm. 2. Für die moderne musik gilt diese regel nicht mehr. Nur
der gemeindechoral befolgt sie noch.
Anm. 3. Die stellen wo auflösung stattfindet, sind nicht schlechthin
willkürlich. Die rhythmische grappierung kann durch sie bedeutend ge-
fördert werden. Darum ist auflösung beliebt im uuftakt', z. b. ^,-1— -
— * , um den reiheneingang zu markieren. Im inneren der reihe steht
sie gern auf der dritten arsis (anfang des zweiten abschnitte«), z. b. _ — — --
ww - — • , bes. passend für die hexapodie ^> — ^- — — ' • .
Ferner steht sie gern auf ' nebenhebungen da durch auflösung die kraft
des ictus gebrochen wird : _ - ^ _ L _ i^.
§ 18. Zusammenziehung. Die zeit einer thesis kann mit
der der arsis die unmittelbar folgt, vereinigt werden. Dann
entstehen überlängen, vier- bez. dreizeitige takte.
Die rhythmischen Symbole sind: L (J) = 4 w = 1 -f _ (J J)
Durch diese zusammenziehung fallen arsen (ohne Zeitverlust)
aus. Westphal nannte den Vorgang unzweckmässig 'synkope
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UEBER HARTMANN VON AUE. 51
der Senkung'. Reihen mit zusammenziehung lieissen 'asynar-
tetiscV, solche oline zusammenziehung <synartetisch\
An in. 4. Die znsammenziehung dient wie die auflösung anch zur
fürderung der rhythmischen gruppierung. Sie dient dazu, den schluss der
reihen IQ markieren, findet sich darum besonders um die letzte areis
(katalexis):
analog ^ — w " ^> - : und — w : w '-w:.
Sie ist femer ein gutes mittel haupticten zu verstarken. Belieht sind darum
in MF. formen wie _ L • _ L : ; bei typus C (Sievers) — _ — L L — L oder
— — — 2i 1. — . Entsprechend im kurzen und langen teil der hexapodie i
_JL : ; - L • u.s.w.
§ 19. Verschiebung der einschnitte. Am ende jedes gliedes
oder jeder periode ist normalerweise cäsur Q) bez. diäresis (||):
_1_ • | b -L L_ ■ ||
2.« _1_-„__L_ • | b -L-^-L-- ||.
Die cäsur und diärese kann aber verschoben werden um eine
stelle nach vorwärts (so oft in MF.) oder um eine zurück. Ein
komma zeigt die neue cäsurstelle, punktierte striche die alte
an. Im Schema:
1. » _ JL_ • 1 \ b .1 _ •_ _ _L _ _,
2. » ------ | 1 -L-^-L-- ||
bez.
,, , ,
2. • j ' _ • _!__ • | _!__
Der zweite fall ist überhaupt seltener, weil dadurch die zahl
der thesen und damit der grundcharakter der glieder verändert
wird. Der erste fall ist beliebt. Dadurch bekommen die
glieder am schluss 'überschlagende arsen', d. h. sie werden
hyperkatalek tisch, entsprechend werden andere dadurch
auf taktlos.
Anm. 5. Tritt auflösung dazu, »o complicieren sich die Verhältnisse,
z. b. aus -l-i-i-vA. | v^-- '- --, — . |
» ' i ' *
wird gern z. b.
| llZ^-lZl ||.
Bei zurücktreten der cäsur und diäresis entsteht z. b.
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52 SA RAN
i ■ * ' h ' '
1. — — w , w »_/ ;
O » w _L _ _ _L _ |b -1 _ ■ _ '
also dreiwertige auftakte! Pie sebliessenden kürzen von 1.» mid b .sind dann
der agogischen delmung zugänglich, treten im text darum als kaneeps'
M auf.
§ 20. Aehnlich steht es mit der binnencäsur. Deren
normale Stellung, soweit überhaupt binnencäsur beabsichtigt
ist, befindet sich zwischen den abschnitten. Also im vierer
nach der zweiten thesis (bei absteigenden füssen: arsis) z. b.
oder L
im sechser ebenso:
Sie rückt nun entweder eine stelle nach vorwärts: z. b.
' ' bez ' • " ' -
oder zurück: z. b.
, — UCtl. j — — — — — •
Das letztere ist minder häutig.
Anm. & Combinationen mit arsenaunosung kommen oft vor, z. b.
^ _ - ^. ^ »
Im secbser z. b.
--L-j-w; ^ _ 1 _ ang _• ; : j
§ 21. Verdeckung der einschnitte. (Glieder-, periodenver-
BChleifung). Der normale zustand ist. dass cäsur und diärese
deutlich ins bewusstsein tritt. Besondere Wirkungen werden
dadurch erzielt, dass über die einschnitte hinweggegangen wird.
In solchen fällen pflegt einschnitt (wortschluss) im text zu
fehlen; z.b. ,
$ 22. Perioden- und absatzbrechung. Das normale ist, dass
die diäresis stärker ist als die cäsur und der endfall des ab-
satzes stärker ist als der nach der Vorderperiode. Besondere
Wirkungen werden erzielt, wenn das Verhältnis umgekehrt
wird. Dann bekommt die periode und der absatz eine neigung
auseinander zu fallen. Die bewegung wird freier, prosa-
ähnlicher. Sparsame Verwendung dieses kunstinittels ist für
das lied wesentlich, da andernfalls das rhythmische system
zerrüttet würde. Im Sologesang, der ohnehin freiere bewegung
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ÜEBZB HARTMANN VON AUE.
53
verträgt-, ist die erscheinung leichter zu ertragen als im
chorlied.
Anm. 7. Die poesie, die auf die gesetze de» musikalischen rhythmu§
nicht zu achten braucht, liebt es in gewissen stilarten (bes. erzählender
dichung), die strophenbrechnng durchzuführen. Sie schreitet oft bis zur
periodenbrechung fort. Vgl. Saran, Z. metr. Otfr. v. Weissenburg s. 103 ff.).
§ 23. Rhythmische pause. Das normale ist, dass eine
rhythmopöie ihre rhythmen alle mit tönendem stoff erfüllt.
Es können aber auch rhythmische werte ihrem inhalt nach aus-
fallen und durch eine leere zeit von gleicher dauer ersetzt
werden. Diese 'leeren zeiten' sind die pausen, die 'rhythmisch'
heissen, weil ihre Zeitdauer wesentlicher bestandteil des rhyth-
mischen Systems ist, weil sie tönenden werten gleich stehen
und als solche teile rhythmischer gruppen, glieder metrischer
Verhältnisse sind. Sie sind nicht zu verwechseln mit den
'toten pausen', die nur die bedeutung von grenzen, nicht von
inhalten haben (§ 4). Das symbol der rhythmischen pause
ist A (wert = ~), der toten p. Je nach dem wert, den sie ver-
treten, sind die pausen ferner zweizeitig (a), dreizeitig (/\),
vierzeitig Q\). Andere kommen in MF. nicht vor.
Anm. 8. Auch die pausen künnen zur Verdeutlichung des rhyth-
mischen Systems dienen. Sie werden besonders am reihenschluss ge-
braucht, mit ähnlicher Wirkung wie die zusammenziehung. Z. b.
----
(scheinbar ansfall eines ganzen fusses = brachykatalexis); ferner
.1—1- I-^A
fpausenkatalexis). Dann im Innern:
' • X« ' • ä
(mittelpause zur markierung der binneucäsur) und am anfang:
Ä ---- --- -
(pause statt des auftaktes zum verstärken des reiheneinsatzes).
4. Regeln für die rhythmisierung von minneliedern.
Hat man die aufgäbe, ein lied modernen Ursprungs, etwa
aus dem 18. oder 19. jh., rhythmisch zu analysieren, so ist das
nicht schwer. Aus der notierung im verein mit der betrach-
tung des textes kann ein musikalischer mensch im wesent-
lichen die absiebten des componisten erkennen, kann er sich
das bild das diesem vorschwebte, sinn- und stilgemiiss recon-
struieren und rhythmisch betrachten. Das problem ist sodann,
54
SAH AN
die rhythmische form des Werkes zu bestimmen, und aufzu-
zeigen, wie die rhythmusfactoren jeder für sich zur gesammt-
wirkung beitragen.
In dem fall der uns vorliegt, steht es weit ungünstiger.
Von dem ganzen kunstwerk des minneliedes haben wir nichts
weiter als den text zur reconstruction der form, es fehlt die
melodie und das was man heute vortragsan Weisung, taktein-
teilung und taktvorzeichnung nennt. Von den neun factoren
des rhythmischen eindruckes entziehen sich also mindestens
sechs (metrum, tempo, agogik, tonarticulation, tote pause, me-
lodie) der beobachtung. Es bleiben textgliederung (durch
accent und syntaktischen Zusammenhang) und das euphonische.
Bis zu einem gewissen grade auch die dynamik, da diese im
deutschen sich einigermassen an den sprachaccent anschliessen
muss. Im französischen fällt auch sie aus. Vgl. abschn. V.
Es ist mithin unsere aufgäbe, aus der beobachtung der
textgliederung, des euphonischen (reim) und der gegebenen
dynamischen punkte (wortaccente) die rhythmische form zu
ersehliessen, die das kunstwerk beherscht.
Wie weit hat nun der rhythmus im text des minneliedes
seine spuren hinterlassen?
Wollte man rein aus dem texte von motetten z.b. des
Palestrina, Orlando di Lasso oder aus den texten von Otts
Liederbuch den rhythmus des ganzen herstellen, so würde man
weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben. Auch in der voeal-
musik unserer zeit würde der wirkliche rhythmus nicht rein
aus dem text ermittelt werden können. Denn in der moderneu
musik höheren stils ist die melodie und die rhythmische form
ihre eigenen wege gewandelt und schaltet mit der sprachlichen
form des textes sehr frei. Melodie und rhythmus herschen
über den text: jene sind die hauptsache, dieser nur das substrat.
Auch bei R. Wagner ist das nicht anders, nur dass dieser aus
hier nicht zu erörternden gründen, wie überhaupt die neuesten
componisten, das wort mehr schont als die früheren. Man
kann also sagen: da wo die melodie die hauptsache ist, der
text i. w. nur als ihr träger und dolmetscher wert hat, ist
eine reconstruction des musikalischen rhythmus im einzelnen
aussichtslos. Hier kann nur die kenntnis der genau notierten
melodie helfen.
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ÜEBER HART MANN VON AUE.
55
Anders liegt aber die sache da wo der Schwerpunkt im
textinhalt liegt und die melodie nicht zweck, sondern — wie
Aristoteles sagt — mehr ein rjdvöfta des Wortes ist. So war
es in der antiken musik etwa bis zur hellenistischen zeit, so
war es offenbar auch in den ältesten Zeiten des minnesangs,
also mindestens bis in den anfang des 13. jh.'s. Wir können
das daraus mit Sicherheit schliessen, dass die texte der ältesten
minnesänger. die uns besonders MF. bietet, an sich wertvoll
und lesbar sind. Fehlt auch den liedern des Kürenbergers,
Hausens, Reinmars eine gewisse sprödigkeit, teilweise trocken-
heit der form nicht, die jedem echten und guten voealtext
eigen ist, so sind es doch immerhin an sich geistreiche und
gehaltvolle dichtungen. Das ist nur so zu verstehen, dass die
alten dichtercomponisten den nachdruck auf das wort legten
und ihm die weise unterordneten, wie es die antiken dichter
auch getan. Sie konnten es, weil gleich Wertigkeit von wort
und weise, dichter und comi>onist als eine person vorausgesetzt,
überflüssig, ja unmöglich ist; sie mussten es, weil die musik
damals noch auf primitiver stufe stand und die ausdrucks-
fähigkeit des Wortes bei weitem nicht erreicht hatte.
Das Verhältnis von wort und weise wird sich aber bald
geändert haben. Das zeigt eine betrachtung der liedertexte
des 13.jh/s. Diese sind formell z. t. so künstlich, inhaltlich
so dürftig und leer (Nifen, Konrad von Würzburg) , dass man
annehmen muss, dass hier bereits die musik anfängt zur haupt-
sache zu werden und der text zurücktritt. Denn die behaup-
tung vom fortgesetzten 'verfall' des minnesangs ist angesichts
der glänzenden technik dieser lieder wenig glaublich. Offenbar
verschiebt sich nur der Schwerpunkt in das musikalische.
AVenn also, wie nicht zweifelhaft ist, im alten minnesang
das wort über die weise herschte, so muss sich auch der
rhythmus der spräche möglichst angepasst haben: Verrenkungen
und Zerrungen der wortform werden nur so weit erlaubt sein,
als sie das ohr nicht beleidigen. Rhythmische und sprach-
liche form müssen sich so weit nur möglich durch-
drungen haben: diese muss jene, so weit es überhaupt
angeht, spiegeln. Dass dies der fall ist, liegt auf der band:
die technik des minnesangs ist nach der sprachlichen seite
bin schon um 1190 fast tadellos. Ueberall die feinste abwägung
56
8ARAN
der silben. überall die peinlichste rttcksicht anf die spräche.
Eben darum sind die üblichen scansionen der sogenannten
'daktylen' unmöglich: sie Verstössen gegen dies vornehmste
gesetz der mhd. liedkunst.
Wir dürfen also an die texte von MF. mit der Voraus-
setzung herantreten, dass sie, so weit dies möglich ist,
den rhythmus des ganzen widerspiegeln.
Prüft man von diesem Standpunkt aus die überlieferten
texte, so wird man bald merken, dass sich aus den reim-
beziehungen. syntaktischen gliederungen und dem accent,
namentlich wenn man alle Strophen eines tones vergleicht,
ziemlich leicht ein grappensystem ermitteln lässt, das man
allen grund hat als reflex des rhythmischen anzusehen.
Gleichwol beantwortet die textanalyse nicht alle fragen.
Ja blosse textbetrachtung ergibt ein völlig schiefes bild von
der rhythmischen structur der lieder, weil sie zu formen führt,
die rhythmisch unmöglich sind. Derart sind z. b. die sieben-,
acht- und mehrhebigen 'verse', die man ansetzt. Solche gibt
es nicht, wenn man 'reihen' damit meint. Also die reihen-
abteilung (kolotomie) kann auf grund des textes allein nicht
überall mit Sicherheit vorgenommen werden. Ebensowenig
kann man bloss aus dem text heraus den rh3rthmischen wert
der einzelnen reimzeilen bestimmen. MF. 209, 21 ja möhte tc/i
ckstcar ist sprachlich x - x - x ' > ab«r rhythmisch ist es kein
dreif üsser _ L _ L l | , sondern ein brachykatalektischer vierer
Zur textanalyse und reimbetrachtuiig muss also kenntnis
der allgemeinen musikalischen rhythmik hinzukommen, wenn
die rhythmisierung gelingen soll. Was etwa davon für den
vorliegenden fall von nöten ist, gibt der obige kurze abriss.
Um nun die rhythmisierung von minneliedertexten zu er-
leichtern, stelle ich hier in form von praktischen regeln die
grundsätze zusammen, die dabei zu beobachten sind. Sie folgen
aus der anwendung der gesetze der allgemeinen rhythmik auf
die überlieferten texte von MF.
1. Taktart. Sind in einem ton die binnensenkungen des
textes streng einsilbig, die reihenauftakte höchstens zweisilbig,
so ist nicht zu entscheiden, ob der takt gerade oder
ungerade ( L ^) ist. Zweisilbige Senkung und dreisilbiger auftakt
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UEBF.R HARTMANN VON AUE.
57
beweisen dagegen für geraden takt. Dies folgt aus Rhythm.
§ 17. Vgl. auch Sarau, Otfr. v. Weissenb. s. 181 ff.
2. Reihe. Der regel nach ist jede reimzeile eine reihe,
der reim markiert also eine cäsur. Aber:
a) Reimzeilen die mehr als sechs hebungen haben, müssen
geteilt werden, da sechs füsse oder takte der grösste umfang
ist, den eine reihe haben kann. Im allgemeinen ist 5 ^ die
längste textreihe die MF. kennt: 6 ist seltener.
b) 2 zweier hinter einander müssen zum vierer vereinigt
werden; Oberhaupt ist die alleinstehende dipodie möglichst zu
vermeiden. Rh. § 7. 11.
c) Vierer und sechser sind die reihen die — von un-
sicheren fällen der zweier abgesehen — allein in MF. vor-
kommen. Sie sind also durch annähme von dehnungen (§ 18),
rhythmischen pausen 2^) und durch geeignete teilung von
überlangen reimzeilen überall herzustellen. Dreifüsser und
fünfer gibt es in MF. nicht. Rh. § 7.
d) Sechser mit binnencäsur nach der dritten thesis gibt
es nicht. Rh. § 8. 20.
e) Die reihe hat meist keine binnencäsur, aber sie wird
stets von einer cäsur abgegrenzt. Auf dieser ist hiatus er-
laubt; hiatus ist also gelegentlich ein mittel, die reihenteilung
zu sichern.
f) Verdeckung der cäsur und diäresis ist selten. Im text
fehlt dann der einschnitt. Man muss aber erwägen, dass durch
eintreten der anderen rhythmusfactoren trotzdem der reihen-
schluss deutlich gemacht werden kann.
g) Eine reihe darf nie isoliert stehen: mindestens zwei
müssen zur periode zusammentreten (Rh. $ 9). Widcrholung
der nachsätze (V, b") kommt in MF. nicht vor (Rh. § 10).
3. Die periode ist nach reim und bes. starkem syntak-
tischen einschnitt meist leicht abzugrenzen. Die diäresis ist
immer stärker als die cäsur, mindestens ebenso stark. Aus-
nahmen (Rh. § 22) sind selten.
4. Die Strophe umfasst durchschnittlich drei bis vier
Perioden. In MF. kommen Strophen = einer periode (Rh. § 14),
so viel ich sehe, nicht vor. Strophen zu zwei und fünf, auch
mehr sind dagegen nachzuweisen.
58
SA RAN
5. Die rhythmische entsprechung der Strophen
erstreckt sich nicht bis ins einzelne, wie in der griechischen
chorlj-rik. Grundform, auflösung, zusammenziehung, wechseln
im takt. doch ist bei jüngeren dichtem das bestreben sichtbar,
genaue responsion durchzuführen. Auch die syntaktische glie-
derung der Strophen, darum auch die interpunction, pflegt im
ganzen und grossen zu entsprechen. Abweichungen scheinen
wenigstens z. t. mit den in abschnitt I (s. 29) besprochenen
Strophenzusammenhängen in Verbindung zu stehen. Ebenso
rhy t hmische f reiheit en.
Hiernach werde ich nun die lieder Hartmanns rhythmi-
sieren. Ich wähle durchweg die gerade taktart, da sich der
beweis für die ungerade in MF. nicht führen lässt. Für meinen
besonderen zweck kommt auch auf die entscheidung dieses
Problems nichts an.
IV. Die rhythmik der lieder Hartmanns.
Für das Verständnis der folgenden Schemata bemerke ich:
schematisiert wird jedesmal nur die erste Strophe jedes tones
in MF. Vorkommendenfalls sind für die andern die nötigen
änderungen vorzunehmen. Die perioden der Strophe werden
mit arabischen ziffeni numeriert und so weit als möglich auf
eine zeile gesetzt. Die absätze bleiben unbezeichnet ; sie ergeben
sich von selbst, — Die accente sollen nicht die wirkliche
ietenabstufung bezeichnen, sondern dienen nur zur bequemeren
Orientierung über den wert der reihe. Die wirkliche icten-
abstufung (z.b. nach Sievers'schen typen beim Kürenberger u.a.)
lasse ich hier ganz aus dem spiel, da für meinen zweck nichts
darauf ankommt. Ich werde später im Zusammenhang darauf
zurückgreifen.
Der text der den strophenschematen zu gründe liegt, ist
genau der von MF.: abweichungen davon werden jedesmal
angemerkt. Die kritischen bemerkungen zu Strophen die nicht
anfänge von tönen bilden, sollen nur die aufmerksamkeit auf
das Verhältnis von rhythmus und text lenken, sie machen
keineswegs den anspruch darauf, endgiltige entscheidungen zu
sein. Einige Sicherheit in der behandlung der zweisilbigen
arsen u. ä. kann nur durcharbeit ung eines grossen materials
und statistische bearbeitung desselben geben. Ueberhaupt
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LEBER IIA HTM ANN VON AUE.
59
bitte ich die constructionen dieses abschnittes nur als einen
versuch anzusehen, der mehr fragen auf werfen als definitiv
beantworten soll.
Für den druck von minneliedern nmss als regel gelten:
jede druckzeile darf nur eine reihe enthalten. Der reihen-
anfang wird durch kleinen, der periodenanfang durch grossen
buchstaben bezeichnet. Auf- und abgesang, wo so zu scheiden
ist, ergibt sich daraus von selbst. Für ton VII und XVI wird
je eine Strophe als bcispiel abgedruckt werden.
Ton I (MF. 205. 1 ff.).
i i- ------ fAi-7— -~- -;x
' 2. — — . — - — — f\ | — — A
I s. _i_ i xi-- — -" — -x
-- — ^ — ^-x
I 4. _i • — ix I — -— ~-X
Reim.schema: a — b
a - 1» .
b — c — c
c — c
Die reihe 3 a ist stets durch starke interpunction begrenzt.
So setzt der abgesang immer deutlich und kräftig ein. 3a ist
gleichsam der höhepunkt jeder Strophe. Str. 5 steht wie oben
gezeigt dem inhalt nach allein. Mit dieser Sonderstellung
hängt vielleicht die freilich im auftakt von 206.11 zusammen.
205,7 schreibt MF. dienst (so auch die hss.), 205,19 und
209,5 ist dienest überliefert und notwendig. An der ersten
stelle wäre die Schreibung dienest immerhin in bet rächt zu
ziehen, weil die dadurch entstehende zweisilbige Senkung auf
die dritte arsis fallen würde. Vgl. Rh. § 17 anm.3. V. 205, 13
würde durch Streichung des entbehrlichen norden weit besser
werden: daz ist an minem (so BC) ungelücke sehin.
Dass in diesem liede nicht fünfer, sondern sechser mit
pause angesetzt werden dürfen, folgt schon aus dem gehal-
tenen, wenn auch erregten ton des ganzen. Die atemlose
hast der pentapodie würde hier gar nicht möglich sein.
Feberdics weisen die starken sinneseinschnitte hin auf ent-
sprechende pausen (die z. t. auch durch Überdehnung aus-
gefüllt werden können; das ist natürlich nicht auszumachen).
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SARAN
Ton II (206, 19 ff.).
1. | .i — j.x I -- — -X
2. _J. JL__ | .1 IX I -X
8—- — ;-- — — — I-- — - — ^-Xl-- ^~X
Reimschema: a — b - c
a - h — c .
<J 4- d — e — e
Die syntaktische gliederung von str.206.29 und 207,1 entspricht
dem rhythmischen System ganz genau. Die erste, hier analy-
sierte strophe weicht ab. Denn v. 24 : 25 + 26 findet sich
periodenbrechnng (Kh. § 22). Man beachte dazu, dass 206, 19
die schlussstrophe des liedes bilden muss (s. 14) und nur lose
an den vorausgehenden hängt.
Ton III (207, 11 ff.).
1 ' ' I ' '
1. <^w |
2 1 I II ,
• S_/>w> | — . \_/-^
3. ww a | -_ -~ A I i - -
Reimschema : a — b
a — b .
c — c — 6 + e
f-f-d+e
Die anfangsstrophen der lieder III« und III2 (207, 11 und 208, 8)
zeigen das System rein. Periodenbrechung: 208, 33 : 34. 35 : 36.
207, 26 : 27. 207, 38 : 30. 208, 27 : 28. Sogar reihenbreehung: 208,
26. 38. Ks fragt sich aber, ob man die sechser von 3 und 4 nicht
doch in einen zweier und einen vierer zerlegen soll. Möglich
ist es in fällen wie dieser. 208,39 ist zu lesen in betraget
sinn- jure ril. Die zweisilbige arsis also bei hexapodie nach
der binnencäsur (_ L _ jl ; ^ " - -), bei tetrapodie im
auftakt. 208,27 ABC manic, also dieselbe erscheinung.
Ton IV (209, 5 ff.).
1. -i L | -L i-
2. ä! L | _1 L-
3. _ _L_ , — ,; - -'--w | - ^ A I - A
Reimschema: a b
a — b .
S 4- c-d — d
e — w — e
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l'RHKK HARTMANN VON AUE.
Öl
n t . t
,
209,9 + 10 vgl. Rh. § 7. 209. 7 str. trän. 209,14 icochc mit
elision des -e. 209, 15 mit HC tele si? Die zweisilbige Senkung
stände dann auf der binnencäsur. Periodenbrechung 2o9. 12 : 13.
Ist diese Strophe schlussstrophe des liedes und fehlt die erste?
Ton V (209,25 ff.).
1. , |
2. _i i. ; | -.1'.
8. _i___iX I ----- -X
4. .:— ix I -—
Reimschema : a -f b — a -f 1»
e — e
f-f
209, 25 und 37, die anfangsstrophen der beiden lieder von V.
prägen das Schema am klarsten aus. Die beiden schlussstrophen
weichen ab: reihenbrechung 211, 2 : 3; 9:10; 15 : 1«>. Perioden-
brechung 211. 5 : 6. V. 210, 22 mit BC zeichen das ich . . . , d. h.
zweisilbige arsis nach der zweiten thesis? Rh. § 17 anm.3.
Ton VI (211, 20 ff.).
1. | _1 1„
2. _1 L | _1 !„
3. _A | _1 I__ | _I 1
Reimschema : a b
a — b .
c w r
211,20 1. mit HC sendet ir. Die zweisilbige arsis nach der
zweiten thesis! Periodenbrechung 211,23:24. Der ton ist
sicher unvollständig: wol mindestens eine Strophe muss wegen
v.21 voraus gehen. Also ist diese Strophe gewis nicht die
anfangsstrophe.
Ton VII (211, 27 ff.).
1. -L L | _Z L- | Ä '- 1__
2. _1 L | _i i_ | A 1 L
8. Ts - «!^ /\ | T. — - ; _ L _ v , |
— A
Reimsihema: a w — b
a — w — b .
c — <J + d — c
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62
SARAH
211.28 und 30 müssen in 2 vierer zerlegt werden. Man kann
die glieder durch pause trennen, wie icli getan (dadurch hebt
sich die strophe von den andern beiden ab), oder verschleifen
also: 1 a' + b _ ' _ ^l~LL- • • . Dies muss in den
andern beiden Strophen geschehen. Der reihenschluss kann
durch niodulation sehr wol benierklich gemacht werden. In
noten würden sich die vcrschleiften glieder so darstellen:
JIJJI JJIJIJI JJI JJ I JJIJ-
Periodenbrechung 211,38:212,1, hier in der anfangsstrophe
des liedes. Denn 211,27 bildet doch wol den schluss (vgl.
§ 25). Im druck würde z. b. Strophe 211,35 so zu ordnen sein:
Swer anders gibt, der misseseit.
wan daz man st;etiu wip mit
stetekeit erwerben muoz.
Des bat mir min mistaetekeit
ein stietez wip verlorn, diu
bot mir alse schienen grwoz
l>az si mir erougte lieben wan.
dö si erkös micb stietelös,
du miiüse oueh diu genade ein ende ban.
Ton VIII (212, 13 ff.).
1. Ä L
2. Ä -
it
i
3. ä - - 1 | -L ü L
4. — IL- L
ii
Keimsehema : a — b
a — b .
c — c
d-d.
Ton IX (2 12, 37 ff.).
1. _1___L | _ L
2. Ä 1— |
3. _ i L | _
4. „1 1 | -L
5. - L JL__ | Al i_
Keimsebema: a — b
a — b .
c — d
c-d
c-d
Hinter 212,38 setze ich punkt, hinter 213,1 komma.
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URBER HARTMANN VON AUE.
63
Ton X (213, 29 ff.).
1. Äl 1__ | AI 1-
2. Ä— 1 — | 7\ 1 1 .
3. A - 1— ; | Al_ — 1-_
4. Äl 1 | _ ' i.- | AI lw-
N_/ V_/W
Reimsoheiiia: a — b
a b .
g + c — c
d — e — e — d
213, 34 hinter ein komma. V. 35 1. ///•/ «r n«, dahinter punkt.
Hinter verjashe (v. 38) komma. V. 37 1. r/a j /r/i si (Iis. das «
mit ausfall von tcA durch einfluss der folgenden zeile). 214, 10
1. mit Bech nach in verderben. — Reihe 4«" Ist hyperkatalek-
tisch. Vgl. Rh. § 19 anm. 5.
Ton XI (214, 12 ff.).
1. Äl | _1
2. 1 1 | _ 1 1_ • w
3 ^ ' r j ^ _ ^
4. Ii L | _T 1
5. _ 1 1 | _1 1__ | _1 1__
Reimschema : a — b
a — b .
c — c
d — e
d — e — e
lb, 2b sind hyperkatalektisch. In 214,24 ist swcere wegen des
auftaktes von v. 25 als 1^ zu messen.
Ton XIa (214, 34 ff.).
1.
2.
3. _1 1 1 | 1
4. _1 I„ | _1 1__
Reimschema: a — b
a — b .
c — c
w - d - d
Die Strophen sind nicht von Hartmann.
t t i f r
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64
SAKAN
L
2.
3.
Ton XII (215. 14 ff.) vgl. abschnitt V. ende.
Ton XIII (210.1 ff.).
. |
_ | — — I A -
Reimschenia: a — b
a — b .
c — c — c .
210, 1 zweisilbige Senkung nach der zweiten thesis.
Ton XIV (210,29 ff.).
1. 7\ v^w | - _
2. A — JL_ | Ä 1 L-
3. _ i 1 | _ I 1-
4. _ I 1__ | _ 1 I_
Periodenbrechung in der Bchlussstrophe 217,11:12
Ton XV (217, 14 ff.).
Reimscbema:
a-b
a — b .
c — c
c — c
1. _
2. _
3. 7\ — .2 l/\ | -L 1__
4. _
5. _
Reimschema: a — b
a — b.
c-d
c — d
e — e
Periodenbrechung 217, 17 : 18. 27 : 28. 39 : 218, 1.
Ton XVI (218. 5 ff.).
2. '
5.
1 II
1
1 II
1
1 1
1 1
1 II
1
4. '
' A
" -X
II
Reimscbema: a — b
a — b .
w — c
W — ll
d — c
3. 4 perioden mit verdeckter cäsur (reihenverschleifung, Kh.§21).
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LIEBER HARTMANN VON ALTE.
Die letzte Strophe dieses liedes wäre so zu drucken:
21 Ir niinnesingser, iu muoz ofte miaselingen:
daz iu den schaden tuot daz ist der wän.
Icli wil mich rüenien, ich mac wol von rainne Hingen,
sit mich diu minne hat und ich si hau.
25 Daz ich da wil. seht daz wil al-
ae gerne haben mich:
So müezt ab ir Verliesen an-
der wilen w&ne« vil.
Ir ringent nmbe liep daz iuwer niht enwil:
30 wan mtiget ir armen minnen solhe minne als ich?
•
V. Die daktylen im deutschen minnesang, nebst, einem
versuch über die grundlagen der romanischen rhythmik.
Die analyse des tones XII (215, 14 ff.) bietet ganz beson-
dere Schwierigkeiten. Seine rhythmen gehören zu einer gruppe
für die die mhd. Verslehre noch keine befriedigende erklärung
gefunden hat. Auch ich bin noch nicht im stände, das problem
endgiltig zu lösen. Was ich hier bringe, soll darum mehr auf
gewisse tatsachen hinweisen, die man bisher teils übersehen,
teils nicht richtig gewürdigt hat, als eine volle lösung geben.
Notwendig ist es, um meinen Standpunkt zu rechtfertigen, auf
Jie theorie der provenzalisch -französischen verse einzugehen,
lie freilich m. e. noch ganz im argen liegt. Was man roma-
lisclie rhythmik nennt, ist tatsächlich keine, namentlich fehlt
*s noch ganz an der erkenntnis der fundamentalen wahr-
ieiten, die eine musikalische und poetische rhythmik des
omanischen erst möglich machen. Gerade darauf werde ich
lso besonders hinweisen.
Es ist natürlich nicht meine absieht, der romanischen
hythmik hiermit eine völlig zureichende grundlage zu geben,
ras ich biete, soll nur meine behandlung der mhd. sog. 'dak-
rleiT rechtfertigen. Immerhin ist es vielleicht geeignet, dem
)manisten eine andere art der rhythmischen arbeit nahe zu
gen. Ich bemerke, dass sich die ansieht über die romanischen
M-se, die ich hier entwickle, auf die analyse zahlreicher franzö-
scher vocalcompositionen älterer und neuerer zeit — darunter
ler melodien zu Berangers liedern — gründet. Dazu habe ich
i Gelegenheit eines längeren aufenthaltes in Paris gelegen-
it gehabt, die moderne Vortragsweise des alexandriners zu
Beitrüge sur geschieht« der denUohen spräche. XXIII. 5
SARAN
beobachten und mir durch Unterricht bei einem recitator ein-
zuprägen. Also auch da kann ich aus erfahrung sprechen.
Die gruppe von mhd. rhythmen die hier untersucht werden
soll, pflegt man 'daktylen' zu nennen. Der name soll das
rhythmische formprincip andeuten, das zu gründe liegt- Denn
während sich die takte der übrigen reihen im regelmässigen
Wechsel von hebung und Senkung — die fälle der zusammen-
ziehung ausgenommen — bewegen, ist hier dies princip durch-
brochen. Die form _ ^ soll die norm des taktes sein. Ks
wären also verse, in denen zweisilbige Senkung beabsichtigt
ist, während sie sonst nur geduldet erscheint. Spondeus für
daktylus wird zugestanden.
Woher stammen nun diese rhythmen?
Man dachte zunächst an Ursprung aus der lateinischen
poesie. Diese kennt daktylische tetrapodien. Dann aber wurde
durch K. Bartsch eine andere ansieht verbreitet. Er meinte,
die betr. verse seien nachahmungen das romanischen zehn-
silblers (mit männlichem oder weiblichem schluss), und wie in
den romanischen metren, so sei auch in diesen versen das
princip der silbenzählung herschend. Der eigentliche dakty-
lische rhythmus erkläre sich aus der natur des romanischen
Vorbildes: dieses habe öfter einen daktylisch geflügelten
rhythmus gehabt, während es gewöhnlich 'jambisch' gegangen
sei. Eben jenen daktylischen rhythmus hätten die Deutschen
in ihren daktylen nachgeahmt (Zs. fda. 11, 101). Pfaff führte
die ansieht von Hartseh weiter. Er sagt, die minnesinger
hätten beabsichtigt, mit dem romanischen vers auch dessen
silbenzählung (ohne berüeksichtigung des wort t uns) zu über-
nehmen. Da aber dies bald unstatthaft erschienen, so seien
sie zu dem grundsatz zurückgekehrt, dass die versbetonung
sich nach dem wort ton richten müsse. Das aber habe sie
gezwungen, den romanischen zelinsilbler teils als vierhebig-dak-
tylisch oder fünfliebig-iambisch nachzubilden (Zs. fda. 18, 52 f.).
Auf dem gleichen Standpunkt steht Weissenfeis (Der dak-
tylische rhythmus s.2 f.). Er meint, ursprünglich seien die Vor-
bilder ohne bestimmten rhythmus nachgeahmt (nach dem
princip der silbenzählung), die rhythmuslosigkeit habe sich
dann zum daktylischen rhythmus entwickelt, bis dieser eud-
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t'EBEK HARTMANN VON ^JE. 67
lieh ganz rein ausgeprägt worden sei. Aciinlich Wilmanns,
Beitr. z. gesell, d. ält. deutschen lit. 4. s. 28 ff.
Aber alle diese construetionen schweben in der luft, weil
sie es unterlassen, die nötige grundlage zu schaffen, nämlich
festzustellen, was denn eigentlich der romanische zehnsilbler
in der prov.-frz. troubadourpoesie für einen rhythmus hat.
Im anschluss an die französische schultradition ist die
anschauung verbreitet, als sei die silbenzahl für den roma-
nischen vers was etwa die zahl der hebungen für den deut-
schen, nämlich bildungsprincip. Der rhythmus sei frei bez.
indifferent und hänge von der silbenzahl ab. 1 >iese anschauung
ist ganz unrichtig. Silbenzählung ist nie rhythmisches princip,
sie ist immer nur festhalten einer begleiterscheinung. Silben-
zählung ergibt sich überall da als ein äusserliehes, bequemes
mittel, verse zu benennen und zu unterscheiden, wo es eine
kunst zu festen reihentypen gebracht hat, die als solche
rhythmisch starr und unveränderlich sind. So hatte sich die
technik der lesbischen lyrik entwickelt : der sapphisehe elf-
silbler ' ^ ' w ' ^ ' w ' ^, der alcäische elfsilbler wlul^
'ww.'w'i der alcäische zehnsilbler ' ' w-v ' ^, der ado-
nius ' ^ ' w sind solche unveränderliche, feste typen, die man
nun äusserlich, ohne über ihren rhythmischen wert auch nur
das geringste auszusagen, nach der silbenzahl benannte. Die
reihen der tragischen chorlyrik der Griechen hat niemand
lach der silbenzahl benannt, weil die üblichen formen durch
mflösung, zusammenziehung, cäsurverschiebung u. ä. immer in
ler anzahl ihrer silben wechselten. Man kann mit Sicherheit
agen: wo eine kunsttradition die verse nach der silbenzahl
»eneniit, muss zu der zeit wo dieser gebrauch in aufnahmt'
ekommen ist, der formenschatz aus wenigen, fest bestimmten
eihentypen bestanden haben. Aus der silbenzahl folgt jedoch
ir den rhythmischen wert der verse nicht das geringste, denn
ine reihe von z. b. acht silben kann in vielen rhythmischen
»rmen auftreten. Z. b.:
! _ ' __ daktylischer vierer
_1___L__L._1 anapästischer vierer
- ~ - - ders. asynartetisch
_ .1 /. _ 1 ^ ders. hyperkatalektisch u.s.w.
> gilt darum vor allem den rhythmischen wert solcher leeren
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i
<'
68 8ARAN
I
namen wie acht-, V,ehnsilbler festzustellen. Das ist die vor-
nehmste aufgäbe <u^r romanischen rhythmik.
Welche weg£ und mittel hat sie, diese aufgäbe zu lösen?
Zunächst dieselben wie die deutsche: textbetrachtung und
die gesetze der allgemeinen musikalischen rhythmik. Dazu
kommen noch die reste der technischen Überlieferung aus der
alten zeit (z. b. die Leys d'amors), die betrachtung von mlid.
Uedem, die im inhalt und der form nachweislich romanische
dichtungen nachahmen, und die analyse moderner romanischer
chansons. Ob die betrachtung der überlieferten noten der trou-
badours weiter hilft, vermag ich nicht zu beurteilen. Vermut-
lich ebensowenig wie in der deutschen niinnepoesie.
Die Hauptfrage ist: welche silben des textes tragen
thesen (hebungen), welche arsen (Senkungen)? Für die
beantwortung dieser frage ist zuerst zu beachten: die alte
prov.-frz. troubadourlyrik ist liederpoesie, also gesang. Die
überlieferten verse sind gesangsverse, keine Sprechverse.
Es ist darum ein verhängnisvoller irrt um, die rhythmen
die Becq de Fouquieres und Lubarsch für die frz. verse auf-
stellen, als die rhythmen der romanischen verse schlechthin
zu betrachten. Abgesehen davon dass die ansieht dieser ge-
lehrten nicht zu billigen ist (vgl. Wulff. Scand.archiv bd. 1, s..')39),
so würden ihre typen, auch wenn sie richtig wären, nur fin-
den gesprochenen vers gelten. Für den gesungenen gelten
sie nachweislich nicht, wie man aus der vergleichung z. b. der
melodierhvthmen bei Beranger mit den rhythmen die nach
Becq und Lubarsch zu erwarten wären, ohne weiteres sieht.
Die Becq- Lubarsclf sehen alexandrinerrhythiueii, die man in
französischen theatern allerdings hört, nur beiweitem nicht in
der menge und grundsätzlich, wie jene beiden metriker an-
nehmen: diese formen sind produete, deren factoren ein alter
in der modernen recitation noch durchaus vorwaltender sechs-
hebiger rhythmus und gewisse forderungen des sprachaccentes
sind (Vermeidung von betonungen wie p'ae, aiment, merreille
u.s.w., ausfall des stummen -c im anschluss an die moderne
spräche). Ks sind Umwertungen >) des alten sechshebigen
') S. verf., Zur metrik Otfrid» von WeistJenburg, in den Philol. «tudieu,
festg. f. E. Sievers, Halle ISOfi, g. 195 f.
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IKBER II AUTMANN VON AUE.
69
rhythnius unter dem zwang des accents, auf die hier nicht ein-
gegangen zu werden braucht.
Wenn sielt also Weissenfeis § 47 auf Lubarschs scansionen
beruft, um den rhythnius des zehnsilblers zu bestimmen, wenn
er im anschluss an den typus (bei Lubarsch)
trrrc fremis tTaUeyretse et de erainte
- XX - XX- XX - X
auch den zehnsilblern der troubadours solchen 'springenden
Charakter' zuweisen will, so geht er fehl. Diese und die
andern formen bei Lubarsch sind moderne Sprech formen, die
weder für die moderne noch gar für die alte musik irgend
welche bedeutung haben. Also die ansieht von der rhyth-
mischen indifferenz des zehnsilblers, die es erlaube aus ihm
vierhebig-daktylische oder fünfhebig-iambische reihen zu ent-
wickeln, ist ganz und gar unrichtig. Die romanischen gesangs-
verse sind genau so rhythmisch wie die deutschen, nur dass
das Verhältnis von rhythnius und sprachtext darin minder
durchsichtig ist als hier, also die bestimmung des hinter dem
text stehenden rhythmus mehr Schwierigkeiten macht. Auf
Becq- Lubarschs construetionen ist für die musikalische roma-
nische rhythmik durchaus zu verzichten.
Wo liegen nun aber die thesen der musikalischen roma-
nischen reihen? Man findet sie, wenn man von der oder den
festen 'tonsilben' der verse an rückwärts Senkung und hebung
wechseln lässt. Die alten romanischen rhythmen beruhen
nämlich nicht auf dem wortaeeent, sondern auf dem regel-
mässigen Wechsel von thesis und arsis, der nur in besonderen
fällen durchbrochen werden darf. Sie kennen ursprünglich
auflösung gar nicht und zusammenziehung nur an ge-
wissen typischen stellen. Die moderne französische vocal-
musik hat dies prineip freilich aufgegegeben, aber die formen
der gesprochenen poesie beruhen noch völlig darauf. Vor
allem die der lyrik, aber auch der dramatische alexandriner,
trotz des oben berührten zerrüttenden einflusses des accentes.
Die .prov.-frz. liederdicht ung steht also in ihren rhythmischen
formprineipien fast genau auf dem Standpunkt den die mhd.
minnelyrik im 13. jh. erreicht hat. Eben durch den einfluss
jener hat sich ja die ältere technik eines Kürenbergers und
anonymus Spervogel zur modernen eines Walther umgebildet
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70
SAKAN
und sehen wir an Hausen, Reinmar, Hart mann die ent Wicke-
lung vorschreiten.
Dass die prov.-frz. kunst dies wichtigste gesetz von dem
Wechsel der arsis und thesis ausgebildet hat und dabei den
wortaccent vernachlässigte, liegt mit an der natur der spräche.
Diese hat den hauptton auf der letzten oder vorletzten silbe
des wortes: würden nun im rhythmus die accentsilben zugleich
träger der thesen, so würde die reihe fast stets in aufsteigende
gruppen mit thetischem schluss auseinander fallen : z. b. out, je
riens | dans son tömple \ adorer \ Veternel | und der vers da-
durch ein auf die dauer unerträglich lärmendes und heftiges
wesen bekommen. Das prov.-frz. vermeidet diesen übelstand
dadurch, dass es den wortaccent stark vernachlässigt: nur so
wird eine feinere rhythmische arbeit möglich. Denn die rhyth-
mik verlangt, dass normalerweise thesis -h arsis gebunden werde,
nicht arsis -f thesis, einschnittstellen natürlich ausgenommen.
Wesentliches mittel der rhythmischen bindung ist nun der text :
daher die norm, durch syntaktische phrasierung oder Unter-
bringung in einem wort die arsische silbe möglichst mit der
vorausgehenden thetischen zu verketten.
In der harmonie waltet ein ganz ähnliches gesetz, das
H. Riemann im Katechismus der compositionslehre 1, s. 41 ff.
bespricht. Es lautet nach seiner formulierung: die zeit-
momente, auf welche vorzugsweise neue harmonien eintreten,
sind die Schwerpunkte der motive, gruppen und halbsätze
(d. h. die thesen), oder m. a. w.: die arsis setzt in der harmonie
der vorausgehenden thesis ein. Riemann bemerkt sehr richtig,
dass einbeziehung des auftaktes in die neue harmonie (schema
'arsis thesis' statt 'thesis + arsis') sehr aufregend wirke.
Besonders seit Schumann sei diese art der harmonischen bin-
dung üblich geworden.
Genau so aufregend und lärmend wie diese harmonischen
gruppen bei Schumann (nach dem schema 'arsis -f thesis')
wirken die entsprechenden rhythmischen. Sie sind darum als
mittel, gelegentlich solche Wirkungen hervorzubringen, sehr
brauchbar: als typische elemente des rhythmus wären sie
höchst unerfreulich.
Uebrigens ist der Wechsel von thesis und arsis bez. Ver-
meidung der auflösung und inneren zusammenziehung für
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IEBER n ARTMANN VON AUE.
71
jede rhythmik der älteste zustand, der erst später verlassen
wird. Man darf darum nicht eigentlich, wie ich oben getan,
sagen, das prov.-frz. habe diesen zustand 'ausgebildet'; man
muss vielmehr sagen: es hat ihn durch besondere gründe ge-
zwungen festgehalten, während z. b. das deutsche zu mannig-
facheren bildungen fortgeschritten ist. Eine armut der kirnst
wird durch dies gesetz natürlich nicht bedingt, da der mangel
auf anderen gebieten des ästhetischen eindrucks völlig aus-
geglichen werden kann.
Dass das gesetz in der tat für die prov.-frz. troubadour-
poesie galt, zeigen nachahmungen romanischer lieder durch
mhd. dichter nach inhalt, reimgebäude und taktzahl. Nur
bilden diese deutschen Sänger die reihen principiell auftaktig,
da die deutsche rhythmik von haus aus nur anapästische
reihen (_i.__ 1) kennt. Die folge davon ist, dass z. b.
daktylische') romanische reihen im mhd. anapästisch1) auf-
treten. Z. b. Fenis MF. 84, 10 Peire Vidal (Bartsch, Prov.
ehrest.« 108,33):
i * > * *
X. — w j
2. ^±_____ |
3. _ 1_ | _-L--___-
A ' . ' ' ' I ' . ' '
**. — — _ | — v>*m» — — | — —
L 84, 12 gewalte, ISgröstn yctcalt (schwebender Vortrag), 18 gewalt
Peire Vidal:
1. ±_^_1_JL _ | __J__1_J. 7\
2. ä | -- ■ ■ -
3. _L__._l._v ä | _____• Ä
4. l_j._i._j A | \_ • ___.-. A | __-_-'__^A
Peire Vidals rhythmen sind daktylische vierer (' u.s.w.)
ikatalektiseh oder katalektiseh (Rh. § 23 a.8). Fenis macht
lie reihen durch auftakle im schematisehen sinn anapästisch
' ). Dadurch werden natürlich die akatalektischen dakty-
ischen reihen Peires anapästisch-hyperkatalektisch, die kata-
ektisch-daktylisehen akatalektisch-anapästisch.
Gemeinsam ist beiden alles übrige.
') Vgl. Khythm. § (i, oben s. 40.
72
SAKAN
.1 ,
Das reimgebäude ist a - b
b — a.
c-rl
d — e — d .
Ein französisches beispiel: Horheiin 112, 1 ff. = Chrestien
v. Troyes (Bartsch, Afrz. ehrest. 158, 12):
Horheim:
1. _ L _ ■ • | •
2. _ L _ • | _1_ •
4. _1 - ■ |
Chrestien:
L _I_ • | ■
2. 1 _ • _ _L _ • | _ JL _ • _ 1 _ •
3. | _!_ • _1_ • | _1_ • _±_ •
4. _1_ _1_ • | •
Pas reimgebände ist: a — b
a — b.
b — a — a
b — a .
Besonders interessant wegen der rhythmischen mannigfaltigkeit
ist Hansen 45, 37 ff. = Folquet v. Marseille (Bartsch, Prov. ehrest.
121,26). Hier sind die reihen gleich, nur dass Hausen nach
deutscher gepflogenheit im auftakt auch pause und überhaupt
auflösung zulässt.
Hausen:
1. ä L-jl-L-jl | •
2. _±_ • _^_^._^X I I ---- • ----
4: ziz .ii'iiiix i :ri~_»:~:ix~~~
Folquet:
1. -L • _ _!_ _ • | 1 _ ^
2. • „IX I --- - I --------
3. __L_ • • I --- • I
4. | • -ix
Die reimstelluiig ist : a — a
b-b-c
c-d-d
e — e .
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UEBEK HARTMANN VON AUE.
73
Die Strophen unterscheiden sich nur in der behandlung des
auftaktes und der auflösung. Die dipodie habe ich der Selb-
ständigkeit des inhalts wegen als reihe genommen. Zieht man
2a' und 2\ ebenso 3»' und 3*> zusammen, so werden die perioden
2—4 rhythmisch gleich, jede gleich zwei sechsern. Die ent-
scheidung kann nur durcharbeitung eines grösseren materials
geben.
Diese beispiele zeigen, dass die prov. und frz. lieder nicht
anders behandelt werden dürfen als die deutschen. Die regel
vom Wechsel der hebung und Senkung, sowie die oben mit-
geteilten gesetze der allgemeinen musikalischen rhythmik
reichen offenbar hin, um die texte im ganzen richtig zu
rhythmisieren. Z. b. Bartsch, Rom. u. past. 106, 1 ff.:
1. 1--L-
-- A Ä I---
-L L A
2. i_ • .
-'Aä 1
-JL L A
3. 1 _ • .
--AÄ 1 I-i
— - A
4. • _
--AÄ 1
-S. • A
5. ' •
t
6. ' •
-' • r -
7. ' •
» ! »
8. ' •
i *
Sind vielleicht 1—4 lauter tripodien:
Dies ist nur durch vergleichung auszumachen. Der text duldet
beide messungen. Oder wurde die pause durch einen mf aus-
gefüllt? Vgl. das folgende beispiel ebda, 235, 1 ff.:
L • _ | 1_ ■ -L ■ A
2. _L_ • __L_ _ | J. ! A
3. 1_ • _; 1_ • _ |:_ _-Ä
4. 1_ • _; _L_ ■ _ | I_ • _^ • A
5. A_ ; _ JL _ • _ JL _ i A
6. _L_ • ; _1_ , _ I_ - _1_ : A
7. [NB.]
8. _|1_,_1aA
9. ä | 1_ -_1Xä
In 5—7 Verschiebung der cäsur nach rückwärts.
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74
SA RAN
Reimsrliema: a — 1»
a — b .
S + c — b
<f +rl - b.
f + e — e
*+f-f
Y + 1 — e
W - h .
Durch solche rhythmisierung ganzer Strophen wird man un-
schwer die wahren werte für die nichtssagenden namen 6. 7.
8. 9. 10 u.s.w. -silbler ermitteln können. Man wird dann auch
die wirkliche rhythmische verwantschaft der verse entdecken,
die durch die äusserüche nomenclatur verhüllt wird. So ge-
hören zusammen
I
_1_^_.L 6
_1_ • _ 8
(hyperkatalektiscb)
1_ 7
1_-._.L_^A 7
JL_j _L • A 5 |
•silbler = anap. vierer
-silbler = dakt. vierer
11. s. w.
Die taktart (1 _ oder I w) kann aus dem text romanischer
lieder natürlich noch weniger erschlossen werden als aus
dem mhd.
Aus dem gesagten ist wol klar, dass auch die prov.-
frz. reihen einen klaren und scharfen rhythmus hatten.
Nach den mitgeteilten regeln ist es nicht schwer den
rhythmus des zehnsilblers festzustellen.
Einen fünfer „ L _ - _ " _ _ _ 1 darf man nicht darin
suchen, da diese reihenform überaus selten ist (Rh. § 7). Also
kann es nur ein sechser sein, dessen letzter fuss durch pause
oder durch zusammenziehung gefüllt wird, der also brachy-
katalektisch oder katalektisch ist. Der zehnsilbler hätte also
den rhythmus _1_ • ; _ -~/\ (männlich)
oder _ L _ • (weiblich).
Dass diese form wirklich vorkommt, beweist die vergleichung
der strophe Hausens mit der Folquets. Der sechser ist darin
für das provenzalische an vier stellen gesichert.
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UEBER HARTMANN VON AUE.
75
Danach wäre z. b. Folquet bei Bartsch, Pro v. ehrest. 123.7
so zu analysieren:
1. _1'_^_-LX I ---- —
2. -L± | _ -2- • -1ä
3 " • J • j .ü _ • _ ^
A IIT ;_^_:._1X I -1- -Li-
Keimschema: a — b
b-a.
c — c
W-c
\V — ■ waise, die im verlauf des tones aber als korn auftritt.
Ebenso die chanson pieuse, Bartsch, Afrz. ehrest. 147, 19 ff.:
1. -JL_ • ; | _1_ |
2. — l'-.-l- | ä ----IX
Reimaebema : a — a — a .
^+ w — b.
Nun wird aber das gesetz von der regelmässigen folge der
hebungen und Senkungen gerade im zehnsilbler, wie es scheint,
durchbrochen.
Die romanze bei Bartsch (Rom. u. past. 3, 1 ff.) enthält verse
wie qtw Franc de France repairent de rot cort (vgl. auch 3, 3.
9. 11. 17 u.ö.). Hier würde hinter der vierten silbe (2. thesis)
zweisilbige arsis angesetzt werden müssen:
' " . ' v
V , /\,
damit also auflösung für den zehnsilbler erwiesen sein. Aber
diese annähme ist nicht nötig. Wie sie zu vermeiden ist, lehrt
eine neuerdings erschienene arbeit von Eickhoff, Der Ursprung
des roman.-germanischen elf- und zehnsilblers (des fünfftissigen
jambus), 1895.
Eickhoff zeigt durch Untersuchung zahlreicher alter und
neuer melodien, dass es im französischen seit jahrhunderten
einen scharf ausgeprägten rhythmus gibt, der im text als zehn-
silbler erscheint und folgende form zeigt:
I JJJIJ.JI JJJJU ['/,?•] i
» » » »
Rhythmisch geschrieben wäre er L w 1 ; ^ ^ ^ L. Ich selbst
bin vor jähren zu demselben ergebnis gelangt: die lieder Be-
rangers, deren melodien ich, wie bemerkt, sämmtlich rhythmisch
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76
SA RAN
durchgearbeitet habe, zeigen, soweit sie aus zehnsilblern be-
stehen, alle diesen charakteristischen rhythmus, der freilich
durch die entwickelung manche z. t. beträchtliche modificationen
erlitten hat. Ich will diese typische von Kickhoff beobachtete
rhythmische fonn schlechtweg •dekasyllabon' nennen.
Dies dekasyllabon tritt nun in vier formen auf. Es ist
seiner natur nach eine daktylische tetrapodie mit scharfer
binnencäsur, und kommt vor: katalektisch (mit pause) oder
akatalek tisch, ferner mit dem wert L — J. vor der binnen-
cäsur oder statt dessen J J — JL^. Sein Schema ist also:
I «'JJ I J. 1 1 J I JJ jJ I J Up-j I = -~ ± ; 1 1 ~: — - ä
I JJJIJJII JIJJJJN J l ---- (U~~ i-
Dieses schema des dekasyllabons macht nun alle die formen
der text-zehnsilbler ohne weiteres verständlich, in denen hinter
der binnencäsur (die romanisten nennen sie nicht correct 'cäsur')
eine ' überschlagende weibliche gilbe1 stehen oder fehlen kann.
Die romanze bei Bartsch 1,1 wäre dann so zu analysieren:
1' t • ' ' T I ' ' * -TT I
• >^\_y > — 1 V V_/\-> ^J\~J / \ | W ) V W f\ \
Reimsehema : a - a — b .
a — b — W .
Der refrain ist entweder = 1 j. _JL 7\ X 0(^er aher, was ich
wegen des Zusammenhangs mit dem dekasyllabon vermute,
_ L v T\ . Doch ist letzteres nicht wahrscheinlich.
Wie ist nun dieses dekasyllabon entstanden? Eickhoff
glaubt, im anschluss an eine beliebte ansieht der französischen
tradition, es habe sich aus dem Horazischen versus sapphicus
entwickelt. Für die musikalische rhythmik ist diese ansieht
Eickhoffs überhaupt nicht discutabel. Der sapphicus ist nach
dem zeugnis der grammatiker eine logaödische pentapodie, das
dekasyllabon ist aber eine tetrapodie, genetischer Zusammen-
hang damit ausgeschlossen. Etwas anderes ist die anuahme,
dass man im mittelalter sapphische öden auf dekasyllaben ge-
sungen habe: dagegen ist nichts einzuwenden. Das zusammen-
passen ist durch den text vermittelt und zufällig.
Der Ursprung des dekasyllabon wird in Frankreich
liegen. Dann ist auffällig, dass dieser rhythmus auflüsung
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ÜEWER HARTMANN VON AUE.
77
der arsis und tliesis typisch durchführt, während die roma-
nische metrik sie wenigstens im silbenschema nie ausprägt,
also mindestens meidet (ligaturen sind möglich). Denn
iwiw; w ^ , fL 7\ scheint zunächst durch auflösungen und
Verschiebung der binnencäsur aus der grundform 1 _ _; L _ • ä
hervorgesprosst zu sein. Nun fällt aber an der reihe dreierlei
auf: erstens die fülle und schwere der melodie, die sich von
der der aufgelösten vierer ganz charakteristisch unterscheidet.
Zweitens die eigentümliche binnencäsur. Denn l ; ist die regel,
-Lw; die man nach Rh. § 20 anm.6 als norm erwartet, die aus-
nähme, und 1 , , L _ ; oder 1, , L ; _ ^ , die weitaus zunächst
lägen, kommen nur höchst selten, sichtlich ganz secundär vor.
Endlich ist auffallend, dass überhaupt eine so überaus starke
binnencäsur vorhanden ist. Denn die reihe besteht normaler-
weise ohne oder doch nur mit leicht angedeuteter binnencäsur,
im dekasyllabon aber ist sie so stark wie sonst die cäsur (z. b.
im alexandriner . L—L—L |
Alle diese Eigenschaften des dekasyllabons werden sofort
erklärlich, wenn man es zu einer klasse von rhythmen rechnet,
die ich 'pressrhythmen' nennen will und über die ich später
im Zusammenhang einer allgemeinen musikalischen rhythmik
handeln werde. Pressrhythmen sind rhythmen die einer art
zusammenpressung ihr dasein verdanken. Eine periode von
acht füssen bez. takten
t t t » | t i > i
kann durch Veränderung der stärkegrade, lebhafteres tempo
und andere führung der melodie so vorgetragen werden, dass
sie nur die function einer reihe hat: aus den acht einfachen
takten werden vier einfache, indem eine thesis um die andere
ausfällt, d.h. zur arsis degradiert wird, also
tt n ti "I
, | .
Dann wird natürlich die alte cäsur zur binnencäsur und die
alte diärese zur cäsur. Solche pressreihen aber machen be-
greiflicherweise immer einen volleren, schwereren eindruck
als nicht gepresste und verraten sich dadurch meist.
Da nun die rhythmische Schreibung von der thesenbestim-
niung abhängt, so darf man solche pressreihen nicht wie oben,
sondern so übertragen: ^w^; ^ ||, wobei der
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78
SA RAN
schein von lauter auflösungen erweckt wird, obwol tatsächlich
keine vorliegen.
Diese gepressten reihen sind in der modernen musik, so-
weit sie instrumental ist oder instrumentalen Charakter trägt,
die normalen: für eine kunststufe, auf der die vocalmusik
herscht. sind sie nur vereinzelt vorauszusetzen.
Es können nun zu solchen reihen perioden jeder art ver-
arbeitet werden. Z. b.
oder
* ä ----- • | _1_ • |
oder
>:^a; w^^iä | .
Die letzten sind die formen des normalen dekasyllabons. Dies
ist also entstanden aus einer alten, achttaktigen periode, die
auf der ersten thesis zusammenziehung hatte und deren glieder
katalektisch bez. brachykatalektisch waren.
Es folgt daraus, dass das dekasyllabon ein seitenverwanter
des alexandriners ist, der sich allerdings in neuer richtung
weiter entwickelt hat. Die wurzel beider rhyt Innen liegt im
anapästischen tetrameter
A | _ 1 _ • _ _1 _ ■ .
Dessen beide reihen sind im alexandriner im innern synarte-
tisch und am schluss katalektisch bez. brachykatalektisch:
Die periodische urform des normalen dekasyllabons ist:
Sicher ist nur der nachsatz synartetisch, der Vordersatz asyn-
artetisch.
Diese formen des dekas}ilabons sind die normalen. Es
kann noch vorkommen:
I -r-
— A
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UEHER HARTMANN VON AUE.
79
z. b. et a Lengres servie malbaillis (Tobler, Versb.1 85). In
modernen nielodien habe ich auch gefunden:
I — — A | /\ >» v> , w — /\ «
Es würden also alle möglichkeiten mit zwei und mehr über-
längen im erster glied der alten periode zu belegen sein, nur
dass die form < * A" - - - -1 ~ | . . . weitaus die häufigste ist.
Die tatsache, dass das dekasyllabon im gegensatz zum son-
stigen Charakter der romanischen metra auf einen asynarte-
tischen ersten teil zurückweist, beweist sein hohes alter. Ist
die form vielleicht in Nordfrankreich entwickelt, da sie ja der
rhythmus der chansons de geste ist? Weist die binnen-
zusammenziehung der urform auf germanischen (fränkischen)
Ursprung oder wenigstens germanischen einfluss hin? Denn
zusammenziehung war ein kunstmittel, das der Charakter der
germanischen spräche empfahl, die romanischen sprachen da-
gegen nicht nahe legten (vgl. Sarau, Zur metrik Otfrids von
Weissenburg s. 108).
Aus diesen bet rächt ungen ergibt sich, wie ich glaube, mit
Sicherheit, dass sieh unter dem 'zehnsilbler' der roma-
nischen metrik zwei grundverschiedene rhythmen
verbergen und vermutlich von alters her verborgen
laben:
1) der anapästische sechser _ _L _ ; _ • - (Dez- --)?
2) der daktylische vierer (pressreihe) ,L\ w . - Ä
(bez. L ) [norm ].
Welcher ist nun im einzelnen falle gemeint? Hier kann
UT eine umfassende Untersuchung licht schaffen. Einiges
lerke ich an, um die arbeit zu erleichtern. Sicher hat man
s mit dem dekasyllabon zu tun, wo hinter der dritten oder
ierten (betonten) silbe. vor der binnencäsur eine 'weibliche,
bersclilagende1 silbe erscheint Also stets im frz. epos, in
kr frz. lyrik öfters (Tobler, Versbau2 s. 85). Im übrigen
irfte höchstens die beobachtung der biimencäsur weiterhelfen.
Die binnencäsur des sechsers ist nämlich als echte binnen-
sur nach der zweiten thesis (vierten silbe) ihrer natur nach
hwächer als die des dekasyllabons, die ehedem eine cäsur war.
e ist mehr ein wortschluss als wirklicher einschnitt, Darum
lieint sie auch Verschiebung zu leiden, wenigstens sind fälle,
80
SARAX
wie sie Tobler s. 80 bringt, leicht so zu deuten: queneor ne die
je ma desirance = _ L _ _; L _ j - l
Aus dem dekasyllabon kann man dergleichen nur mit
Schwierigkeit ableiten. Cäsurlose sechser, wie man sie nach
Tobler s. 86 f. ansetzen kann, haben kein bedenken, dekasyllaben
ohne binnencäsur sind im gesang kaum zu verteidigen, im
Sprech vers nur als ausnähme zuzulassen. Man beachte, dass
auch Hausen in seiner nachahmung die sechser ohne binnen-
cäsur, nur gelegentlich mit syntaktischem einschnitt an den
betr. stellen bildet.
Mit dem zehnsilbler, der immer eine reihe ist, darf nicht
die aus zwei fünf silbern zusammengesetzte periode verwechselt
werden (vgl. bei Tobler s. 89). Rom. und past. 1, no. 33 ist zu
analysieren:
1. 1_ • _J_X K I ------ 7\
2. JL_ ' -- A Ä I • * ä
3. L-i _:xä |:_'_i-ä
5. :_-.:xä i L- -Li ä
6. i. • _^a^ I -- • • Ä-
Oder sind es tripodien: A | __L_?
Man darf nicht vergessen, dass ein sechser nur nach v. = 1 : 2
oder = 2:1, nie aber v. = 1 : 1 geteilt werden kann. Ist der
Vordersatz weiblich (Tobler s. 89), so ist die form katalektisch
(!__^Ä).
Wenn nun Pio Rajna (Gröbers Grundr. 2, 26) und Eickhoff
behaupten, dass der französische zehnsilbler das Vorbild für
den aller anderen Romanen abgegeben habe, so ist das so aus-
gedrückt schwerlich richtig. ^Wahrscheinlich ist es aber für
die eine der formen, die sich unter dem text- zehnsilbler ver-
bergen, für das dekasyllabon. Denn dies weist — wie mir
wenigstens aus dem s. 79 mitgeteilten gründe wahrscheinlich
ist — auf Nord f rankreich als wsprungsland, auf einen boden,
wo sich Germanen und Romanen mischten. Der sechser ist
gewis den Provenzalen ebensogut eigen gewesen wie er es
den Franzosen und Germanen war. Diese form bietet nichts
besonders charakteristisches dar. Der italienische endecasillabo
kann wegen der schwachen binnencäsur nur der sechser sein.
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UEBEK HA KT MANN VON AUE.
81
Ebenso die entsprechenden verse in Spanien und Portugal.
Wir haben also in allen romanischen ländern den sechser.
Dazu kommt von Frankreich her das dekasyllabon, dessen
Verbreitung aber erst noch im einzelnen nachzuweisen wäre:
dass es überall in gebrauch gewesen, darf man nicht ohne
weiteres annehmen. —
Wenn man nun behauptet, die deutschen minnesinger
hätten den zehnsilbler nachgebildet, so ist damit zunächst gar
lichts gesagt. Man hat zu bestimmen, ob sie den sechser oder
len vierer nachahmen, die einfache reihe oder die gepresste.
Nun ist klar, dass die nachahmung des sechsers nicht die
nindeste Schwierigkeit machen konnte. Er war schon von
Hers der germanischen vocalmusik eigen (vgl. die streckverse
er alliterationspoesie, die Schlussglieder der strophe des ano-
3'mus Spervogel). Wir sehen auch, dass Hausen bei der nach-
Innung Folquets die sechser wol gelingen. Also kann es sich
n mhd. höchstens um die nachahmung des dekasyllabons han-
ein, dessen charakteristischer rhythmus Schwierigkeiten be-
bten mochte. Denn pressreihen kannten die mhd. sänger in
sr alt einheimischen kunst nicht.
Setzen wir nun den fall, die mhd. minnesinger hätten
irklich beabsichtigt, das dekasyllabon nachzuahmen, setzen
ir zugleich voraus, dass es auch im provenzalischen wie im
i. bekannt gewesen, dann müsste man doch erwarten, das
streben zu sehen, den typus
j_ *_ .
ft v_/ — ~7\ (bez. — )
— w — vi
chzubilden.
Es müsste also der erste takt als daktylus mit aufgelöster
us (L v ,) erscheinen, die binnencäsur nach einer thesis ein-
ten (selten nach der arsis) und im zweiten teil des verses,
texte wenigstens, hebung und Senkung wechseln. Man
•d dabei voraussetzen dürfen, dass die deutschen minnesinger
reihe mit auftakt versahen und diesen nach heimischer weise
andelten.
Untersucht man nun — ohne Voraussetzungen — den
rlieferten text der betr. lieder, so kommt man zu sehr
iiitümlichen ergebnissen. Ich schliesse mich dabei an
mamis' gründliche und vorsichtige arbeit an (Beiträge zur
ei trägt» *ur geschieht« der deutschen sprach«. XXIII. Q
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82
SARAN
gesch. d. ält. deutsch, litt, lieft 4: Unteres, z. mhd. metrik no. 1).
Nach Wilmanns 8 1 ff . haben die voll ent wickelten daktylischen
reihen (NB. der zehnsilbler ist nicht wie Wilmanns § 2 be-
hauptet ein langvers, d. h. eine periode, sondern eine reihe. Er
hat keine cäsur, sondern nur feste binnencäsur) folgende
eigenschaften: 1) meist weibliche binnencäsur (das dekasylla-
bon fast nur männliche), 2) diese 'plussilbe' kann oft zum
zweiten teil der reihe geschlagen werden (so nie im text des
dekasyllabons), 3) im zweiten teil der reihe steht auch ein
daktylus (nie im dekasyllabon), 4) der 'daktylus' im zweiten
reihenabschnitt ist durch die structur des textes weit besser
gesichert als der im ersten (ebda. § 9). Ferner bemerkt Weissen-
fels § 46, dass der rhythmus bis zur binnencäsur meist ganz
wol ' trochäisch 1 aufgefasst werden könne, erst auf der binnen-
cäsur und im vorletzten takt trete der daktylische rhythmus
deutlich heraus.
Construiert man aus diesen angaben den mhd. normal-
typus, so würde er sein:
Dagegen halte man die normalform des roman. dekasyllabons:
"Ä ' ' • ' ' TT
Welche beziehungen haben diese reihen? Ausser der vier-
hebigkeit keine. Eine ist beinahe das genaue gegenteil der
andern. An eine nachahmung des dekasyllabons ist also nicht
zu denken.
Daraus folgt, dass die behauptung, die minnesinger hätten
den zehnsilbler der Romanen nachgebildet, nicht zu beweisen
ist. Weder der romanische sechser noch der gepresste vierer
kann in den 'daktylen' stecken. Will jemand behaupten, es
könnten ja die minnesinger eine dritte, von mir nicht gefundene
form des zehnsilblers nachgeahmt haben, so fällt ihm der
beweis zu, dass es eine solche gegeben. So lange dieser nicht
geführt wird, so lange schweben solche annahmen in der luft.
Was ist nun eigentlich der grund gewesen, der zur an-
nähme romanischen Ursprungs der daktylen geführt hat? Vor
allem die tatsache, dass die 'daktylen' erst bei denjenigen
minnesingern auftreten, die nachweislich oder wahrscheinlich
unmittelbar oder mittelbar vom romanischen minnesang beein-
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UEBEK HARTMANN VON AUE.
83
flusst worden sind. Vor allem Fenis und Hausen. Es kommt
hinzu, dass für den inhalt verschiedener 'daktylischer lieder'
die romanischen originale nachgewiesen sind, ja directe be-
ziehungen der form vorliegen, z. b. für Fenis 80,9 = Folquet,
Bartsch, Pro v. ehrest. 123, 9.
Nun folgt aus alledem noch keineswegs, dass die minne-
singer wirklich romanische rhythmen haben nachahmen wollen.
Die citierte Strophe Folquets enthält höchst wahrscheinlich
hexapodien (vgl. oben s. 74). Solche kannte auch das deutsche
seit alters. Wenn also Fenis dies lied nach inhalt, strophen-
form und ev. melodie hätte ganz nachahmen wollen, so konnte
ihm das keine Schwierigkeiten machen. Nun weicht die be-
schaffenheit der reihen völlig ab. Daraus folgt, dass er eben
das original nicht bis ins einzelne nachahmte, sondern nur
verändernd benutzte. Wer sagt uns, dass er es völlig habe
nachbilden wollen? Um so mehr als dasselbe lied noch den
inhalt eines formell abweichenden liedes von Folquet verwertet,
also contaminiert. Das einzige was man auf grund jener be-
ziehung mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen darf, ist, dass man
in den reihen des mhd. liedes zunächst sechser suchen muss.
Ueber deren form lässt sich nur auf gruud des deutschen
textes urteilen.
Will man die 'daktylenfrage' mit aussieht auf erfolg be-
handeln, so hat man folgendes zu erwägen:
1) Es treten im minnesang neben den bekannten und ge-
wohnten rhythmen andere auf, die der analyse Schwierigkeiten
machen. Ueber ihre form wissen wir nichts. Wenn man
sie mit lateinischen 'daktylen' oder romanischen versen zu-
sammenbringt, so ist das eine annähme, deren richtigkeit erst
zu beweisen ist. Die beweise die man versucht hat, sind mis-
lungen. Wir stehen der Überlieferung also völlig ratlos gegen-
über. Es erhebt sich die frage: welches sind die rhythmischen
formen die in den texten stecken?
2) Es ist eine verfrühte annähme, wenn man glaubt, die
verse die wir nicht rhythmisieren können, müssten eine
gattung bilden. Es können sich sehr verschiedene rhythmen
in ihnen verbergen. Darum ist zunächst jedes lied für sich
zu bearbeiten.
3) Die herausgeber von MF. und andere, die sich ihnen
6*
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84
SAKAN
anschlössen, haben die Überlieferung stark angegriffen, um
die Strophen zu ordnen. Da sie aber die richtigkeit ihrer
rhythmischen theorie nicht erwiesen haben, so ist ihre text-
herstellung nicht verbindlich.
4) Da wir über die rhythnük der fraglichen Strophen
nichts wissen, so ist zunächst nur ein text herzustellen, der
den anforderungen des sinnes und der grainmatik entspricht:
jede änderung metri causa ist so lange verwerflich, als nicht
das metrum mit einiger Sicherheit erkannt ist.
5) Der augenschein lehrt, dass die minnesinger bei ihren
liedern den sprachaecent nach möglichkeit schonten. Rhythmus
und spräche durchdringen sich bei ihnen in fast vollendeter
weise. Darum ist von vornherein jede rhythniisierung der
nach no. 4 hergestellten texte unwahrscheinlich, die den sprach-
aecent stärker antastet, als es der rhvthmus in den anderen
Hedem tut. Schonung des accentes ist die erste f orderung.
die man an eine rhythmische construetion dieser töne zu
machen hat.
6) Für die rhythniisierung sind allein textanalyse und die
gesetze der allgemeinen rhythmik von bedeutung. Es ist also
z. b. nicht im mindesten nötig, dass die zu ermitteln-
den rhythmen lesbar seien: sie müssen nur, dies aber
auf jeden fall, singbar sein.
Tritt man mit diesen anschauungen an die 'daktylen'
heran, die Weissenfeis in seinem buche zusammengestellt hat,
so ist nicht schwer zu sehen, dass unter den besprochenen
liedern gruppen zu sondern sind.
A. Eists tagelied (MF. 39, 18) ist durch den reichlichen
gebrauch aufgelöster arsen (_ = ^) merkwürdig. Sie
stehen vor allem im ersten takt, einmal im zweiten der hexa-
podie, wo sie rhythmisch leicht erklärbar sind (v. 25 sweus du
(jebiutest, daz leist ich firiundtn min).
Sl&fest du, friedel ziere?
wan wecket uns leider sehiere
Ein vogellin so wol getan:
daz ist der linden au daz zwi gegan.
-A
Reimscbeina: a — a
b-b.
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l'EBER HARTMANN VON AUE.
85
Der text von C ist im ganzen beizubehalten, nur v. 27 hinne
zu streichen. V. 29 ist wol zu lesen tce, du füerest mine fröide
sdment dir. V. 25 vgl. oben.
Ausserdem gibt es noch andere lieder, wo der 'daktylische'
eindruck des gelesenen textes durch arsenauflösung bewirkt wird.
So Lichtenstein, Lm. s. 134 (x. weise):
i » . * t ,
X. w . \s — va> — «^»j w v>sy >
4. v-/ i w
— w . W I
, | A — — w I w — >^v_/ —
Reimschema: a + a — b
Ebd. 394, no. xii : 6 + d - f + e ~ f + e •
| T ' " ) . I T ' • 91 • t
O T ' . . ' . ' . ' '
«• /\ — W , — , \S 1 ~ — J V-A^> — V-/ J «w> U)
Reimschema: a + b — a + b
ß + c — Z + ß + il — S + b.
Die Zeilenschreibung Lachmanns ist zu ändern.
B. In einer anderen gruppe von Uedem wird der 'dakty-
lische rhythmus' durch grundsätzliche anwendung der
zusammenzieh ung erzeugt. Hierher gehören töne der thü-
ringischen dichter Morungen und Hezbolt.
Morungen MF. 129, 14 ff.:
1. AI | I a L - X
2. ä L &_ | ä:-:_ I A IX
3. — '. L Ä vLv-/ w_
4. ä — — l~ i i Ai — ix
Reimschema: a — a — b
c — c — b .
W — d
d-d-b.
In den zusammenziehungen stimmen alle drei Strophen überein:
nur 129,33 diu liebejmd diu lüde fällt aus der responsion heraus.
130, 7 1. sian. Die accente von MF. sind entsprechend zu ändern.
Hezbolt ahmt MSH. 2, no. 74. vi Morungens rhythmus nach.
No. vn ist zu rhythmisieren:
1. L L ■ A | ■ Ä | 1 - - ^ X
2. la j L--L • A |i__i.X
3. ■ A | L JLX
- — - ■ a 1 1 — IX
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86
SA RAN
Die übrigen Strophen entsprechen nicht immer genan; eben
das bürgt für die richtigkeit der obigen rhythmisierung. Den
rhythmus des liedes kann man sich leicht zu gehör bringen,
wenn man es — mit den nötigen änderungen — auf die me-
lodie 'Ach wie ist's möglich dann' zu singen versucht,
C. Eine dritte klasse der 'daktylischen' rhythmen ergibt
sich, wenn zweisilbige arsis und zusammenziehung
typisch verwendet wird. Hierher ist ein lied Morungens zu
stellen, das in MF. sowol im text wie im metrum nicht richtig
behandelt ist. Ich gebe eine herstellung, die die lesarten
von A mehr heranzieht, ohne damit etwas endgiltiges bieten
zu wollen. Es kommt hier nur auf den rhythmus an.
MF. 127, 1 ff.:
1. Wist ich obe ez möhte wol verewigen sin
ich lieze inch se'u") rafne lieben fronwen.
Der enzw£i breche mir das herze min,
der möhte sie schöne drinne schonwen.
Sie kam her dur din ganzen ongen min (frorw)
snnder tür gegangen:
Ouw£, solt ich von ir reinen minnen sin
also werdecllche enpfangen.
1. Ä - " | -L—l !-
2. ä:_: | jl_
3. -1 1 IX I Äl 1-
4. XI Ä-- — ---iX
2. Der alsö vil geriefe in einen touben walt,
ez antworte ime dar uz £teswenne.
Nu ist der schäl dicke vor ir raanicvalt
von miner not, wil »i die bekennen?
Doch klagete ich ir manigen knmber min (körn)
vil dicke mit gesange:
Owfe j& hat si geslafen allez her
oder geswigen alze lange.
») Diese thür. form darf man wol ohne weiteres einführen. Vgl. MF.
122,8. 126,8.9.33 u. ö. — Ich weise hier noch einmal auf das hin was ich
im anfang von abschnitt IV (s. 58) gesagt habe. Die accente in den
schematen dienen nur zur schnellen Orientierung über den
rhythmischen wert der reihen. .Sie sagen über die wirkliche
gegenseitige abstufung der icten gar nichts ans. Dasselbe gilt
für die accente in abschnitt III.
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UEBER II ARTMANN VON AUE.
87
l _ n f_ |
2. _JL_" L | _1___L' ~ L _
3. _1 IX I -- ^-
4. _ — — /\ [ 7\ vlw ^ — - /\
Zusammenziehung und zweisilbige arsis (diese vor dem langen
teil des Sechsers in 4 a, vgl. Rh. § 17 anm. 3) entsprechen genau,
mit ausnähme von lb, wo in str. 1 die zusammenziehung auf
der zweiten, in str. 2 auf der dritten thesis steht.
3. \V>r ein sitich oder ein star, die mchten sit
gelernet h£n daz si sprachen 'minne'. (vgl 132,0).
Ich h&n ir gedienet her yü lange zit:
raac si sich doch miner rede versinnen?
Nein, sin entüot, got enwelle ein wunder sin (korn)
vil verre an ir erzeigen.
J& möhte ich baz einen b6nm mit miner bete
sunder wafen nider geneigen.
1. 1 | -1 1
2. AI 1- L | _.L„l'_^_..i_
3. _:_.w»„_.:x I -L—-.L-
• — ■ — v V_y — /\ I /\ — V^W /\
Die nachsätze stimmen zu str. 1. In 2a fehlt zusammenziehung;
in 3 a steht zweisilbige Senkung zur einführung des langen
teiles im sechser. Die tendenz im ton scheint, die Vordersätze
synartetisch zu bilden. Im lied Morungen 129, 14 bildeten die
asynarteten die mittelglieder. Das eigentümlich abfallende
Schlussglied der Strophen ist rhythmisch äusserst charakte-
ristisch für rhythmische endfälle: vgl. die entsprechenden
Schlüsse der vierer beim Kürenberger, z. b. 7, 20. 22 n. ö. Das
zu gründe liegende reimschema ist:
a-b
a-h.
K-c
W — c .
In 4a setzt Morungen also regelmässig, unverkennbar zur
Charakteristik der schlussperiode, zweisilbige Senkung. Nur
einmal taucht diese in 3 a (strophe 3) auf.
Wenn nun zweisilbige Senkung vor dem langen teil des
Sechsers mit zusammenziehung auf der dritten thesis combiniert
wird, so entstehen formen wie
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SAR AN
». — — < — A
oder mit zusammenziehung auf der vierten thesis:
b j . v , ^
- A
Nun können nach den regeln über die Verschiebung der binnen-
cäsur Rh. § 20 die zwei silben hinter der zweiten these ver-
schieden verteilt werden, entweder nach dem Schema
' . . " nrtpr ' • • "
- \ — ... VUW w 7 W • • •
d.h. die binnencäsur, wenn solche überhaupt beabsichtigt ist
kann vor beide kürzen oder zwischen sie fallen. Das letztere
ist rhythmisch gefälliger, weil dadurch die reihe weniger aus-
einander gerissen wird.
Es ist ohne weiteres klar, dass die form a im text, d.h.
für den lesenden in folgender gestalt erscheinen muss:
x-x'xx -XX-00 0-8. w.
Mit andern Worten: gelesen werden solche verse vierhebig
scheinen und zwar mit bevorzugung 'zweisilbiger Senkung'
hinter der zweiten und gesetzmässigem gebrauch nach der
dritten liebung. Da sich ferner in dem ersten 'daktylus' eine
aufgelöste arsis (^), in dem zweiten dagegen eine zusammen-
ziehung nebst folgendem vollen takt (l also zwei thesen
verbergen, so werden die textsilben des ersten dreisilbigen
taktes die form -xx haben, die des andern aber nach dem
accentschema ^xX streben, d.h. auf der ersten 'senkungs-
silbe' nebenton suchen. Man vergleiche nun damit die all-
gemeine beschreibung des vierhebigen 'daktylischen' verses,
die Wilmanns § 2 ff . gibt. 1) § 7: Wörter der accentform
-XX (fdncstiete) stehen weitaus in den meisten fällen im
dritten, selten im ersten, nicht im zweiten takt; 2) der dak-
tylische rhythmus ist im stück bis zur binnencäsur durch
den wortaccent sehr schlecht bezeugt, weit besser im zweiten
abschnitt (§ 15); 3) die binnencäsur ist normaler weise
weiblich und übt auf die länge des längeren abschnitts ver-
kürzenden einfluss aus (§ 3); 4) die 'daktylischen' verse
bilden in den Strophen den 'fünfhebig iambischen' gegenüber
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UEBER HARTMANN VON AUE.
80
die minderzahl , wenn man rohe betonungen meidet (§ 16).
Man sieht, die beschreibung passt ganz vortrefflich zur text-
gestalt des auf s. 87 unter a mitgeteilten rhythmus. Darum
liegt der schluss sehr nahe: unter vielen sog. daktylen verbirgt
sich die form ,n-_L-
in den verschiedenen arten, die durch zweisilbige arsis, auf-
lösung der zweizeitigen thesen, pause im auftakt und akata-
lektischen bez. brachykatalektischen schluss möglich sind. Dass
neben der form a noch andere von gleicher eigenschaft stehen,
ist sehr wahrscheinlich. Der schein daktylischer vierer wird
also durch combination von arsischer auflösung und von zu-
sammenziehung erweckt, eine ganze zahl der sog. daktylen
enthüllt sich so als rhythmen in denen zweisilbige arsis
und zusammenziehnng gesucht wird, freilich unter be-
vorzugung gewisser, rhythmisch besonders wolgefälliger typen
(bes. a, vgl. oben). Diese reihen wären dann sechser, keine
vierer. Zu beachten ist, dass der sechser mit zusammenziehung
auf der dritten thesis schon vom anonymus Spervogel alsschluss-
£lied typisch verwendet wird; z. b. MF. 25. 20 und niki vor den
t'rt n verspurte K L . • _ » • _i i . Vgl. 25, 33. 20, 26. 33.
27, 5. 19 u. ö.
Aus den beispielen bei Höningen und Hezbolt hat sich
ergeben, dass eine tendenz zu genauer rhythmischer respon-
sion in den Strophen bemerkbar, aber noch nicht völlig zum
ziel gelangt ist. Wir werden darum, je älter die dichtungen
sind, um so weniger Strophenentsprechung erwarten dürfen:
eine gewisse regellosigkeit ist vorauszusetzen.
In der tat hat mich nun die durcharbeit ung der texte
von MF. überzeugt, dass mit den verschiedenen formen des
sechsers bei den meisten 'daktylen' wirklich durchzukommen
ist. Man kann auf diese weise nicht nur harte betonungen
vermeiden, sondern vor allem die Überlieferung sehr conser-
vativ behandeln. Von der gestalt die MF. den Uedem gegeben,
ist dabei abzusehen, da die herausgeber den überlieferten text
stark haben verändern müssen, um ihr vorausgesetztes dak-
tylisches versmass durchführen zu können.
Ich gebe einige beispiele dieser rhythmengattung, ohne
auch hier irgendwie darauf anspruch zu machen, einen
endgiltigen text zu liefern.
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90
SAU AN
Die abweichungen von MF. bedeuten meist rückkehr zur
Überlieferung. MF. 43, 28 (Hausen).
1. An der genaden al min fröide stat,
da enmäc mir gewerren hüote" noch nit.
Mich enhilfet dienst noch miner friunde rat,
und dnz si mir ist liep alsam min selbes lip.
Mir erwendet ir hulde nieman wan si selbe,
si tuot mir aleine den kumber den ich trage:
Wes sohle ich dan von den merk&ren klagen,
nu ich ir hnote also lützel engelde?
i. A I « — ' — — A
9 ' " 'VI' " ' V
a I k^ — A
3 t n , I t ii ' V
. — .-. — | wv — w^» A
II
*. v_/w — A
Reimschema: a — b
a — b .
c-d
d — c .
2. Mangen herzen ist von der huote w£,
und jeheut ez si in ein angesliehiu not:
So engerte daz mine aller nchheit niht m£
wan miles ez si Hden unz an minen tot,
Wer mühte hän gröze fröide ane kumber?
nach solher swa?re sö rang ich alle zit.
Done maht ich leider niht komeu in deu nit :
f
des hat gelücke getan an mir wunder.
1 Ä ' " ' /\ I " ' A
2' ».'VI7" " ' V
. v^-x., — v_^_/ w A I — — wv> /\
•i ' , . i I ' " ' V
' '• — — t— I — | — ww /\
4 ' " ' *7C* t ' » '
3. Einer grözen swsere ich leider »nie bin,
die doch erfurhtet vil mänic saelic man.
Unbetwüngen von huote so ist daz herze min;
mir ist l£it von ir, daz ich d6n fride ie gewan.
Wand ich die not wold iemer guetlich liden,
het ich von schulden verdienet den haz.
Nit ümb ir minne daz t«et£ mir baz
danne ich si beide süs muoz lan beliben.
1. v — ,L ~A I — - — -A
9 ' " 'VI ' " ' V
«• y~^> — >-»w - A I A
3. _1 » 1_ I -1 • _^-A
4. - _1aI ---------
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ÜEBER HARTMANN VON AUE.
91
Mit sechsern kommt man bei Gutenburg 77, 36 ff. aus.
Er liebt die form _ ' _ ^ " . L-, auflösung öfters auch
vor der fünften thesis, d. h. auf der stelle nach der untercäsur
des langen abschnitts, wenn sie ausgeprägt wäre.
Dass diese rhythmisierung berechtigt ist , kann m. e. aus
dem ersten lied des Neuenburgers (80, 1 ff.) gefolgert werden.
Es ahmt in reimstellung, z. t. auch im inhalt ein lied Folquets
nach, das oben s. 74 analysiert worden ist. Folquets rhythmen
sind sechser (brachykat. und katal.), und eben denselben rhyth-
nms ergibt die unbefangene betrachtung der Überlieferung, von
der sich freilich der text von MF. sehr entfernt. Ich gebe
meinen text zur vergleichung — auch hier unter vorbehält.
1. Gewan ich ze Minnen ie guoten wän,
nu hän ich von ir weder troat noch gedingen,
Wan ich enweiz wie mir BÜle gelingen,
sit ich »i mac weder laz6n noch hän.
Mir ist alse d£m der üf den bonm da stiget
und niht höher mac und da mitten belibet
Und ouch mit nihte widerkomen kan
und älsü die zit mit sorgen hine vertribet.
i tt t
V_XY_y <
i.
3 j_ v t L
' tt t
4 t n 'VI " t
2. Mir ist alse deine der da hat gewant
Hiueu muot an ein spil und er da mite verliuset
Unde erz verswert: ze späte erz doch verkiuset.
also hän ich mich ze späte erkant
Der grözen liste die Minne wider mich häte.
mit schoeneu gebärden si mich zuo ir blähte
Und leitet mich älse der boese geltsere tuot
der wöl geheizet und geltes nie gedähte.
» « ,__L.
1t tt ry
• - - — A
2. _1 1 L- | Ä 1_ • -1- • -_A
AI II 'Vi' "
*• — ww» — /\ | -
" I _
t
3. Min vrouwe solde län nu den gewin
daz ich ir diene: ich mac es niht miden.
tedoch bite ich sie däz siz gerüoche liden:
so wirret mir niht diu not die ich lidende bin.
92
SARAN
WÜ aber si mich von ir vertriben,
ir «wacher grnoz der scheidet mich von ir libe.
Noch dannoch fürhte ich m(?re . . .
daz »I mich von minen freuden vertribe.
1. -L 1 IX I -- "
3. __L | _'_ >L-
A ' , I ' ,, ,
» — ^ — | — ^- —
Dies lied des Fenis ist also eine nachahmung auch der reihen
Folquets, nur dass hier nicht die gewöhnliche rhythmengattung
mit regelmässigem Wechsel von arsis und thesis, sondern eine
andere mit mannigfacher Senkungsbehandlung gebraucht ist.
Der prüfstein jeder 'daktylentheorie' dürften die lieder
kaiser Heinrichs sein. Ihre metrik spottete bisher aller
versuche. Es sind nach ausweis des metrums wol zwei ver-
schiedene töne; im reimgebäude ist nur der unterschied, dass
der erste ton vor dem schliessenden reim eine waise hat.
Erster ton: 5, 16—29.
1. Ich griieze mit gesange die sttezen
die ich vermidcn niht wfl noch eninac.
Daz ich sie von munde rehte mohte gruezen,
ach leides, des ist manic tac.
Swer disiu liet nn1) singe vor ir,
der ich so gar unsenftecliche enbir,
ez 8i wip oder man,
der habe sie gegrtiezet von mir.
1. -L »--L- | -1 1
2. 1 L- | Ä — — IX
3. _1 ^__1X I -A I
A^_^_'__ | -L ^--X
2. Mir eint diu ri'che und diu lant ündertan
swenne ich bi der minneclichen bin,
Unde swenne ich gesch6id6 von dan,
so ist mir al min gewalt und min richtüom da hin.
Wau genden kuraber den zel ich mir danne ze habe
sus kau ich an vröuden stigen ui und*) abe
und bringe den wehsei
als ich warne durch ir Ueb6 ze grabe.
») C swer nu d. I.
») C und ouch. Das ouch ist dem sinn zuwider.
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DBBER HARTMANN VON AUE.
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2. A — > > — 1 /\ | wv — ^/ — > t '— [\
3, n 'VI' " ' V I
• ^/v^v^y VA/w/\ I v^w v_/\_/ /\ I
_a__a_Tw1~:
Zweiter ton: 5,30—6,4.
1. Daz ich si so herzeelichen minne
unde si ane weuken trage
Beide in herzen und in sinn»-
imderwilent mit vil maniger klage:
Waz git mir darum Im? diu liebe ze löne?
da blutet n mirz so rehte schöne,
e ich mich ir verzige, ich verzige mich e der kröne.
1 — ' " t I TT ' " 'V
1 . A — - | A , /\
2. 7\ ~ w -'- - | Ä — - _ ^ /(
3 _ y /_< n £ _ | ^ _^ ^ _ |
2. Er sündet sich swer des niht gelonbet,
ich mühte geleben manigen lieben tac,
Ob joh niemer kröne ka.*ine üf min houbet,
des ich mich äne si niht vermezzen eumac.
Verlüre ich si, wäz bete ich danne?
da töhte ich ze vröuden noch wibe noch manne
und wäre min bester trost1) ze ahte ünde ze banne.
A
3. _ 1 _ _ " | _!_ , » ^ _ j
2.
Man sieht, wie ohne erhebliche abweichung von der Über-
lieferung durch anwendung der hexapodie die vermisste rhyth-
mische regelmässigkeit hergestellt wird. Zugleich ist zu
bemerken, dass hier akatalektische, katalektische und brachy-
katalektische reihen correspondieren, wie z. b. beim Kürenberg.
Man wird daraus schliessen dürfen, dass diese reihen mit ab-
sichtlich gesetzter zweisilbiger arsis und mit zusammenziehung
(deutlich an typischen stellen), also die sogenannten 'daktylen',
>) BC beidiu ze ahte. An sich ist auch diese lesart möglich. Aber
der vere wird durch Streichung von beidiu weit besser, so dass sie wol
zweckmässig ist. Den zusatz des geläufigen Wortes anzunehmen ist un-
bedenklich.
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SARAN
nicht der romanischen kunst, sondern aus der weiterentwicke-
lung heimischer formen entsprossen sind.
Ob noch andere rhythmengattungen in den 'daktylen'
verborgen liegen, lasse ich daliingestellt. Es ist mir wahr-
scheinlich. So möchte ich im leich des von Kolmas 'press-
rhythmen' sehen; vgl. s. 77 ff.. Auch ist an sich nicht unmög-
lich, dass das frz. dekasyllabon gelegentlich nachgeahmt ist,
wenn ich auch kein beispiel dafür zur band habe.
Man sieht leicht aus dem hier erörterten, dass die ganze
daktylenfrage lediglich aus der annähme Üiesst, die mhd. minne-
singer hätten einsilbigkeit der Senkung als norm aufgestellt,
zweisilbigkeit und zusammenziehung principiell vermieden. Die
texte geben zu dieser annähme keinen anlass, vielmehr ist
zweisilbigkeit der Senkung und zusammenziehung oft gesucht
worden. Die mhd. Verslehre hat also nicht die aufgäbe, diese
art der arsenbehandlung möglichst zu beschränken oder zu
verschleiern, sondern festzustellen, unter welchen bedingungen
sie stattfindet. Eine betrachtung der verschiedenen stilarten
der rhythmik der minnesinger ist m. e. das ziel dem zu-
gestrebt werden muss. Die grundsätze die Lachmann und
Haupt aufgestellt haben, sind dabei principiell aufzugeben:
die textherstellung der minnelieder hat auf einer neuen rhyth-
mischen basis zu erfolgen, zu der ich im vorausgehenden
wenigstens das programin aufgestellt haben möchte. Ich
widerhole hier aber nochmals, dass ich nicht etwas endgültiges
damit geben, sondern einstweilen nur meine behandlung der
Hartmannischen lieder rechtfertigen will.
Nach dem gesagten glaube ich mich berechtigt, den ro-
manischen Ursprung der 'daktylen' schlechtweg zu leugnen.
Ihr wesen widerspricht dem der romanischen rhythmen durch-
aus. Also müssen sie specifisch deutsche formen sein. Warum
tauchen sie nun aber erst im minnesang auf, als der romanische
einfluss merkbar ist? Warum kommt man nicht in die Ver-
suchung, die lieder des Kürenbergers daktylisch zu nehmen?
Ich glaube, dass die ganze technik dieser 'daktylen' eben
erst durch den gegensatz der alten und der neuen richtung
des minnesangs möglich wurde. Die alte, ritterliche lyrik,
diejenige die vom 'minnedienst' noch nichts weiss, braucht
zusammenziehung und zweisilbige Senkung durchaus (letztere
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UEBER HARTMANN VON AUE.
95
meist bei 'verschleif baren' silben. aber auch bei andern, wenn-
gleich selten): gewisse typen der reihen (_ L _ L - , _ L _ j_ .'_
_1_ • - iL : --L- u.a.) sind dabei nicht zu verkennen.
Die neue, aus Frankreich eingeführte, verlangt grundsätzlich
den regelmässigen Wechsel von arsis und thesis, d.h. die ein-
silbigkeit aller rhythmischen werte. Damit sind ohne weiteres
zwei stilarten der rhythmik gegeben, die nun teils neben einan-
der hergehen, teils sich durchdringen. Der minnesänger versucht
zunächst, die neuen formen nachzubilden. Dabei geht er von
der heimischen technik aus und das resultat sind verse wie
wir sie z. b. bei Hartmaun finden, verse die dem neuen form-
ideal zustreben, aber noch manches (z. b. freiheit der silbenzahl)
ron der alten technik haben. Der sänger versucht aber auch,
ich die kunstmittel der alten technik (zusammenziehung und
uiflösung) zu erhalten und den neuen formenschatz durch ihre
rrundsätzliche Verwendung noch zu bereichern. So entstehen
»roduete, die in geist und Stimmung modern sind, in der
echnik aber auch die älteren kunstmittel nicht verschmähen.
1s ist die gruppe der 'daktylen'. Das moderne prägt sich be-
anders darin aus, dass die zweisilbigkeit der Senkung un-
eschränkt ist, dass also die engeren regeln der alten zeit
ufgegeben werden. Je nach der dichterpersönlichkeit neigt
BT eine mehr zum neuen (romanische technik): z. b. Hart-
ann, Eeinmar, Walther, andere zum älteren: Morungen und
e Thüringer.
Somit sind also unter den rhythmen in MF. mindestens
ei stilarten strengstens zu scheiden: 1) der strenge alt-
tterliche st il : Kürenberg, anonymus Spervogel u. a.; 2) der
renge neuhöfische stil (minnelied) und die formen die ihm
chstreben, wenn auch noch nicht gleich erreichen (z. b.
irtmanns meisten gediente); 3) der gemischte neuhöfische
L Darin etwa drei Unterarten: a) reihen mit absichtlich
rwendeter zweisilbigkeit der arsis; b) reihen mit absicht-
h verwendeter zusammenziehung; c) reihen, wo auflösung
r arsis und zusammenziehung combiniert sind. Vielleicht
mmt hinzu: 4) die pressreihen: Kolmas, Walthers elegie (?).
Wie weit dieselben dichter sich mehrerer stilarten neben
ander bedient haben, wäre in jedem falle zu untersuchen,
mentlich in der zeit wo die romanische kunst eingang
06
8ARAN
fand, wird man einem und demselben dichter Übergang vom
altritterlichen zum neuböfischen stil zutrauen dürfen. Auch
Goethe hat nicht gleich die schönen gediente der letzten Frank-
furter und der Weimarer zeit geschrieben: er hat auch das
Leipziger liederbuch gedichtet.
Solchen Übergang finden wir z. b. beim kaiser Heinrich
4, 17 ff. : 5, 16 ff. Er braucht stil 1 und 3, wobei die neuhöfi-
schen gediente gerade dieses hohen herrn in der behandlung
der reihenschlüsse noch ihren Ursprung aus der alten kunst
verraten (oben s. 03). Wie weit auch bei andern dichtem von
MF. zwei Stile nebeneinander liegen, bedarf stets besonderer
prüfung. No. 2 und 3 nebeneinander ist ganz geläufig: Hausen
und auch Hartmann. Die echtheitsfragen werden dadurch
schwieriger, als man bisher annahm.
Dass für die Scheidung der stilarten die weise zu beachten
ist, wie die dichter den vers mit wortinhalt füllen, möge noch
betont werden. Sievers hat ausdrücklich auf diesen umstand
hingewiesen. Man hat stets zu erwägen, wie weit sich die
icten nach den Sievers'schen typen abstufen ('dipodisch' ver-
teilt sind) oder diese alte aeeent Verteilung fallen lassen (;mo-
nopodisclf folgen). Es muss dabei bedacht werden, dass der
gegensatz von 'monopodisch' und 'dipodisch' auch rein als
mittel des ausdrucks, also stilistisch (Sievers weist Festgabe
für R. Hildebrand, Leipzig 1804, s. 14 f. auf die einleitung des
Tristan hin) verwendet werden kann und darum den drei arten
des mischstiles no.3 vielleicht noch eine neue: *d) reihen mit ab-
sichtlich »dipodischer« ictenabstufung' hinzugefügt werden muss.
Das lied Hartmanns, um dessentwillen dieser excurs nötig
war, ist nun einfach hexapodisch.
215, 14:
2. _±
3. _1
4. äJ
n
V. 15 1. ereste.
215, 22:
1.
2.
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DBBER HARTMANN VON AUE.
97
3. _1__^__1XI-- -A
» • UV/ — V^w» I — — ' | — — — . — ■ I— ■
V. 28 1. duz enpfie (0). str. so (mit C). 29 mit C und muoz inner.
215, 30:
1. _ ' »- | _
2. I _I
3 ' " 'VI' " 'V
U. VA/ /\| - ■ w /\
4 ^ " ^ _ «_ £
V. 33 L al. 37 1. der Up und ere ir behücte. So ist der vers
weit besser als in der — an sich ebenfalls möglichen — Über-
lieferung: got si der ir Up und ere behüete. —
Für Hartmanns rhythmische technik ergibt sich also nach
den Untersuchungen des abschnitts IV und V folgendes:
1) Hartmann braucht nur vierer und sechser. Zweier sind
nicht anzuerkennen, da sie sich ohne Schwierigkeit durch Ver-
einigung mit nachbarzeilen vermeiden lassen.
2) Die reihen Hartmanns schliessen mit der thesis und
zwar akatalektisch, katalektisch oder brachykatalektisch. Es
finden sich bei ihm im ganzen nur 12 reihen die mit einer
tirsis (senkung) enden; diese sind aber keineswegs daktylisch
[L L _), sondern erweisen sich aus dem strophenzusammen-
lang als hyperkatalektische anapästische glieder (_ 1 L _).
Bs sind 214, 13. 15 _1 L \„ (ebenso 24. 26), also am
»eriodenschluss. Dann 218, 5. 7 _ 1 " — lv> (ebenso
3. 15. 21. 23) und 213, 38 X L 1 ! w (ebenso 214, 10).
3) Es fangen weitaus die meisten reihen mit auftakt an,
er auch zweisilbig (nie dreisilbig) auftritt. Wo in einer Strophe
er auftakt fehlt, wird er meist in den andern desselben tones
esetzt, so dass über die auffassung der reihen kein zweifei
b walten kaun.
Demnach kennt Hartmann nur anapästische reihen
-1 ... _1) in ihren verschiedenen modificationen: reihen die
rnndsätzlich thetisch beginnen, hat er nicht. Hartmann steht
dieser beziehung also noch auf dem boden der hergebrachten
itionalen kunstübung, die keine andern als anapästische, d.h.
etisch schliessende formen braucht. Es ist für die Würdigung
s folgenden abschnittes wichtig, das festzuhalten. Denn wenn
irtmann, wie gezeigt werden wird, allmählich alle unregel-
Beiträge zur geschieht« der deatwhen tpracbe. XXIII. 7
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08
SARAN
mässigkeiten im auftakt vermeiden lernt und ihn schliesslich
regelmässig und einsilbig setzt, so bedeutet das nichts anderes,
als dass er sich bestrebt, die von ihm gebrauchten anapäs-
tischen reihen auch wirklich ganz zu füllen, dass er es meidet,
durch pause werte ausfallen zu lassen. Das gesetz von der
auftaktregelung bedeutet also (ebenso wie das von der Ver-
meidung der zusammenziehung) ein streben nach grösserem
tonreichtum. Zugleich nähert sich die rhythmik Hartmanns
damit der der Romanen immer mehr, die ja auf dem regel-
mässigen Wechsel von arsis und thesis beruht. Darum wird diese
tendenz zur regulierung Wirkung der romanischen technik sein.
VI. Die Chronologie der lieder.
Beziehen sich die lieder eines sängers eins auf das andere
oder enthalten sie historische anspielungen, die gedeutet werden
können, so ist dies von grösstem wert für die aufstellung einer
Chronologie. Fehlen solche beziehungen. so muss man seine
aufmcrksamkeit der kunstform zuwenden und seine Schlüsse
aus ihr ziehen. Die reihenfolge, die die hss. den Hedem geben,
und die biographische ausdeutung ist für dies problem ohne
wert. Das war das ergebnis der erörterungen im abschnitt II:
darnach muss auf das strengste verfahren werden.
Es ist von vornherein am wahrscheinlichsten, dass die
drei kreuztöne Hartmanns zeitlich zusammen gehören, mag
man sie auf einen kreuzzng beziehen, den man will. Der letzte
derselben ist gewis ton XVI (218, 5), vorher liegen V (209, 25)
und VI (211,20). Es ist ganz unwahrscheinlich, sie auf zwei
kreuzzüge zu verteilen, obendrein, weil die töne V und XVI
durch die erwähnung des todes von Hartmann« dienstherrn
zusammen gehalten werden (210,24. 218,19).
Allgemein ist anerkannt, dass die töne I. II. III einander
nahe stehen. II muss vor III fallen, weil 20(3.28 in 207, 11
widerrufen wird. Von den zwei in III vereinigten liedern
dürfte III» (207,11. 208,32. 208.20) dem andern III2 voraus-
gehen, eben wegen jener beziehung. III ist gewis älter als I:
das folgt aus dem inhalt (H. v. A. s. 30 — 32). So ergibt sich
die reihe II. III. I. Diese hält neuerdings auch Schönbach
für richtig.
Hierher stellt Schönbach auch XII (215, 14). Wegen der
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UKBBR HARTMANN VON AUE.
beziehung von 215, 20 zu 206, 18 scheint mir das richtig. Nach
inhalt und Stimmung wäre es vor II zu verlegen.
Dass nun diese zweite gruppe vor die erste, die kreuz-
lieder fällt, bestreitet auch niemand. Das folgt aus der ver-
gleichung von 210,23 und 218,19 mit 206,14 (H. v. A. 8.30).
Dass auch XII vor dem tod des herrn anzusetzen ist, lehrt
ein vergleich von 210. 11 ff. 35 ff. 211,8 ff. und 215. 19 ff. Die
reihe XU IL HL I. V. VI. XVI
dürfte mithin so gut wie sicher sein.
Ich habe nun in meinem buch gezeigt, dass dieser Zu-
sammengehörigkeit nach dem inhalt auch eine in der form
aufs beste entspricht: jene töne sind eben die, in deren gliedern
mit wenigen ausnahmen durchweg der auftakt steht. In XVI
fehlt er nie, in V« auch nicht, in V* einmal (210,29), in I
einmal (206,11), in III' nie, III2 einmal (207,38), in II nie,
in XII wie ich jetzt hinzufügen kann — einmal (215, 20).
Da nun die andern lieder den auftakt weit freier behan-
deln, so habe ich daraus auf ein bestreben des dichtere ge-
schlossen, den anfangs ganz freien, bald vorhandenen, bald
fehlenden, oft zweisilbigen auftakt zu regulieren, bis endlich
mit gelegentlichen Schwankungen das ziel: einsilbigkeit und
regelmässigkeit erreicht wird (H. v. A. s. 33). Darum habe ich
ton XVI als das letzte uns von Hartmann bekannte lied be-
zeichnet und seine auftakttechnik als das erstrebte ziel an-
gesehen.
Vogt bezweifelt, dass das richtig sei. Er meint, die Ver-
vollkommnung der technik könne nicht bloss in dem gleich-
mässigen setzen, sondern ebensogut in dem gleichmässigen
fehlen des auftaktes und in dem regelmässigen Wechsel von
versen mit und ohne auftakt bestehen. Dies wäre au sich
wol möglich. Für Hartmann könnten sich also im lauf der ent-
wickelung drei idealformen des tones herausbilden: 1) Strophen,
wo jede reihe, 2) Strophen, wo keine reihe auftakt hat, 3) Stro-
phen, wo die auftakte nach bestimmter regel stehen und fehlen.
Will man die lieder ordnen, so muss jedes an dem idealschenm
gemessen werden, dem es zustrebt.
Prüft man die auftakt Verhältnisse der Strophen, so ist
zunächst zweifellos, dass unter ihnen die folgenden dem ersten
ideal — regelmässig auftakt — zustreben: I (~ 206, 11). IT. III
7*
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100
SAR AN
(A 207, 38). V(a 210,29). IX (^ 213, 1. 8. 15). XI (214, 12. 14).
Xn (7\ 215, 20). XIV (ä 216, 31. 32. 217, 2). XVI. Von 16 tönen
waltet also in 9 die tendenz von no. 1.
Betrachten wir vorerst diese gruppe allein. Procentualiter
ergibt sich folgende reihe:
n/o
n. III«. (VI)- V XVI 0,0 XII (215, 14 ff.) . . . 4,10
I (205,1) 2,2 XI (214, 12 ff.) ... 0
HI» (208, 8 ff.) ... 3.3 IX (212, 37 ff.) ... 10
V« (209, 37 ff.) . . . 4,16 XIV (210, 29 ff.) . . . 10,00.
Nimmt man die lieder von III und V zusammen, so ergibt sich
die reihe: XVI. (VI). II (0,0 o/„). m (1,66). V (2,1). I (2,2).
XII (4,16). Diese weicht von jener etwas ab, doch verschlägt
das nichts, da eine solche Statistik nie bis ins einzelne genau sein
wird, sondern nur anzeigt, welche lieder einander näher stehen.
Prüfen wir nun die sieben töne, die noch übrig sind. In
der tat hat Vogt, wie ich gern zugebe, richtig gesehen, dass
Hartmann den auftakt zuweilen mit absieht an bestimmten
stellen fehlen lässt. Man sieht das klar, wenn man die auf-
taktstellen in bezug auf das rhythmische system der Strophen,
wie es abschnitt IV und V aufgestellt, betrachtet.
In ton IV fehlt der auftakt in beiden Strophen im anfang
der letzten periode. 209, 23 erhält dadurch das du eine be-
tonung, die seiner bedeutung ganz angemessen ist (Rh. § 23
anm. 8). Ebenso in 209, 13, wenn auch weniger evident. Da-
gegen ist das fehlen des auftaktes in 209, 7 entschieden un-
beabsichtigt. Die entsprechende reihe der andern Strophe
setzt ihn.
In ton VH fehlt der auftakt in allen drei Strophen wider
wie in IV am anfang der schlussperiode 211, 81. 212,1.9, doch
wol mit absieht. Dagegen ist nach ausweis von str. 2 und 8
(212,2.10) im zweiten Vordersatz von periode 3 (d.h. in 3a')
auftakt nötig: 211,32 ist also unregelmässig.
In VIII fehlt der auftakt regelmässig in la (212, 13.21.29),
in 2 a (212, 15. 23. 31), also allemal im periodenanfang. offenbar
um den einsatz kräftiger zu machen. In 3a fehlt er nur zwei-
mal (212,17.25), 212,33 steht er. Dass das fehlen im auf-
gesang beabsichtigt ist, kann man annehmen: aber auch im
abgesang? Nehmen wir an, es sei beabsichtigt, so haben wir
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ÜEBER HARTMANN VON AUE.
101
jedenfalls in 212, 33 einen Verstoss gegen das idealschema,
einen zweiten in 34 (gegenüber 18 und 20), also nicht bloss
eine Unregelmässigkeit, wie Vogt s. 240 meint, sondern zwei.
Das fehlen des auftaktes ist meist durch gründe der declama-
tion bedingt.
Di ton X (213, 29) fehlt der auftakt in den meisten reihen.
— Das idealschema wäre: periode 1 — 3 durchweg auf taktlos,
4 a ohne, 4 a', a", b mit auftakt, Gegen dies schema finden sich
drei Verstösse: 213,38. 214,5.9. Legt man ein anderes zu
gründe, so bleibt diese zahl doch als minimum bestehen. In
procenten 15.
In XIII ist fehlen möglicherweise in 3 b (216,7.14.28)
beabsichtigt. Im übrigen erkennt man kein princip. Setzung
ist offenbar das ideale. Gegen das idealschema hätten wir also
neun Verstösse.
In XV soll der auftakt offenbar fehlen in 3 a (217, 18.28.
38), d. h. im periodenanfang. Das fehlen hat hier für den sinn
bedeutung, denn alle die hinter der pause stehenden pronomina
bedürfen der hervorhebung, die ihnen auch durch das fehlen
des auftaktes zu teil wird. 217,30 ist aber Verstoss.
Berechnet man die procente der Verstösse gegen das jedes-
malige idealschema, so ergibt sich folgende zweite reihe:
/©
XV (217,14) .... 3,3
VII (211,27) .... 3,3
IV (209, 5) .... 5,0
VIII (212, 13) ... 8,3
X (213,29) .... 15,0
XHI (216, 1) . . . . 32,1
Vergleicht man diese reihe mit meiner früheren (H. v. A.
s. 35), so ergibt sich, dass diese töne in ihr fast in gleicher
relativer Ordnung folgen. Dort war die folge: XV. IV. VII.
VIII. XIII. X (rückwärts).
Die töne beider gruppen würden, gesondert und genau nach
ihren auftaktverhältnissen geordnet, folgende reihen bilden:
1) II. III1. V». (VI). XVI 0,0
I (205, 1) . . . , . 2.2
in» (208, 8) . . . . 3,3
o
2)
XV (217, 14) \
VII (211,27) J * ' ' '
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102
SARAN
V (209, 37) | '
VIT /«M* ll\ I ' ' " 4»lh i
XII (215, 14) \
XI (214, 12) .... 9,1
IX (212,37) .... 10,0
IV (209,5) 5,0
VIII (212. 13) . . . 8,3
XIV (210,29). . . . 10,00
X (213,29) .... 15,0
Xm (210,1). ... 32, 1
Folgte man nun den Grundsätzen die Vogt für die Chro-
nologie Hartmanns aufstellt, so müsste man die beiden reihen
auf grund der procentzahlen zusammenschieben und hätte
dann eine reihe, in der die lieder tatsächlich darnach auf-
träten, inwieweit eine auftaktregulierung erfolgt ist. 213, 29
(X) und 214, 12 (XI) würden sich dann zwar nicht, wie Vogt
will, gleich verhalten (s. 239), aber docli einander weit näher
rücken müssen als in meiner ersten tabelle (H. v. A. s. 35).
Diese combinierte tabelle würde aber den wahren Sach-
verhalt nicht darstellen, sondern geradezu verkehren. Man
vergleiche, um sich das klar zu machen, die auftaktbehand-
handlung unter berücksichtiguug der rhythmischen orter, wo
auftakt fehlt. Man unterscheide Vordersatz (a), zweiter (bez.
dritter) Vordersatz (a', a") und nachsatz (b). Dann ergibt sich
für reihe 1) folgende tabelle, in der s die summe aller reihen
der Strophe, a' (a") + b die summe aller der glieder bedeutet
die nicht im periodenanfang stehen. Das Verhältnis der anzahl
vorhandener stellen zu den auftaktpausen ist danach:
Absolute zahlen der reihe 1:
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UEBER HA HTM ANN VON AUE. 103
In procente umgerechnet gibt die tabelle an wie oft der
auftakt fehlt im Verhältnis zur gesammtzahl der auftaktstellen
jeder der (durch a; a', a"; b; s; a', a" + b unterschiedenen) arten.
Procentzahlen der reihe 1:
XIV
IX
XI
xn
V"
m»
I
n
III»
V
XVI
(III)
(V?
(VI)
a
25
13,33
20
8,33
0.0
0,0
0,0
0.0
0,0
0,0
0,0
0,0
0.0
0,0
a', a"
0,0
0.0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0.0
b
8,33
6,66
0,0
0,0
8,33
8,33
5
0,0
0,0
0,0
0,0
4,16
4,16
0.0
1
10
9,1
4.16
4.16
3.33
2,22
0,0
0,0
0,0
0,0
1 ,66
2,1
0,0
a\ a" + b
8,33
6,66
0.0
ii.O
8.33
5,55
4,0
0,0
0,0
0,0
0,0
2,77
4,16
0,0
Ton VI unvollständig.
Aus diesen tabellen sieht man, dass in den Hedem der
gruppe 1 auftaktpause zunächst und gleich von vornherein sehr
energisch im innern der periode, d.h. an den stellen a', a" und b
vermieden wird: kein ton hat hier mehr als einmal auftakt-
pause. In sechs von den elf lietlern findet sich überhaupt
keine. Am periodenanfang (a) fehlt auftakt häufiger, doch ist
die tendenz ihn zu setzen dafür auch um so lebhafter und
führt schon in V- zum ideal.
Man betrachte nun auch die zweite gruppe von demselben
Standpunkt aus, d. h. man berechne wie oft überhaupt im Ver-
hältnis zu den verschiedenen stellen auftakt fehlt.
Tabelle der absoluten zahlen
für reihe 2:
XIII
X
VIII
IV
VII
XV
a
a', a"
12:5
4:1
12:7
8:7
4:2
8:6
j
12:8
12 : 1
t
8:3
4 : U
8:0
9:3
U : 1
9:o
15:4
15:0
s
a', a" + b
28:13
16:8
20:15
12:8
1 i
24 • ö
12: 1
2»: 3
12:0
»
i
27:4
18: 1
i
30:4
15:0
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104 8AKAN
Procentzahlen der reihe 2:
xin
X
vin
IV
VII
XV
a
a', a"
b
41t66
25,00
58,33
87,5
50,00
75,00
g%g% £*£*
!>O,0O
8,33
37,5
0,0
0,0
33,33
11.11
0,0
26,66
0,0
8
a', a" + b
46,42
50,00
75,00
75,00
37,5
8,33
15
0,0
14,81
5,55
13,33
0,0
Auf den ersten blick ist klar, auch diese lieder durchzieht
das streben, zunächst die auf takt pause im innern der perioden
zu beseitigen. Mit VIII steht die gruppe in dieser beziehung
sclion auf der höhe, die in der ersten no. XIV einnimmt. Das
folgt aus betrachtung der rubriken a', a", b und a', a" + b.
Aber selir energisch ist auch in dieser reihe das streben,
die auftaktpause von a zu beseitigen (rubrik a). Sieht man von
XIII ab, so ist die Ordnung, die rein aus betrachtung der
auftaktregulierung in a folgt, dieselbe wie die die ich oben
durch beurteilung nach dem jedesmaligen idealschema gewonnen
habe. Beide weisen der betrachtung ergeben also dasselbe
resultat.
Man mag also Hartmanns lieder behandeln wie mau will,
immer ergibt sich, dass eine starke tendenz zur Vermeidung
der auftaktpause da ist, die sich zunächst im periodeninnern,
dann am periodenanfang lebhaft betätigt. Je jünger in beiden
reihen das lied, um so seltener die auftaktpause.
Da also offenbar beide gruppen die ich unterschieden,
von demselben streben beherscht werden, da ferner zwar die
gruppe 1 zu Hedem gelangt, die das zugehörige idealschema
wirklich erreichen, nicht aber gruppe 2, und da drittens die
lieder von gruppe 2 zu den früheren erzeugnissen Hartmanns
gehören, mag man sie mit Vogt nach der tabelle oben s. 101 f.
oder nach den eben aufgestellten beurteilen, so muss geschlossen
werden: das princip, überall die auftaktpause zu vermeiden,
ist durchaus das herschende. Die regelung des auftaktes im
sinne der gruppe 2 ist nicht, wie Vogt will, ein zweites princip,
das dem ersten gleich mächtig gegenüber träte, sondern es ist
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UEBER HARTMANN VON AUE.
105
nur eine art, das erste princip durchzuführen, sie ist
nur ein specialfall des ersten princips. Wir werden an-
nehmen dürfen, dass der dichter die ganze regelung unbewusst
aus dem rhythmischen gefühl heraus unternahm, nicht auf grund
einer theorie* Daher auch gelegentlich die schwanklingen.
Das gesetz von der auftaktregulierung bei Hartmann
deute ich also folgendermassen. Dem rhythmischen gefühl
Hartmanns, das schon wesentlich durch die alternierenden
rhythmen der neuhöfischen minnepoesie, vielleicht geradezu
durch französische lyrik bestimmt war, sagte die freiheit
nicht zu, mit der die einheimische technik die anapästischen
reihen (_!..._!) behandelte. Er beginnt — zunächst wol
unbewusst — nach regelmässigkeit zu streben. Die auftakt-
pause wird darum allmählich auf stellen beschränkt, wo sie
die declamation unterstützt, wo sie also dazu dient, einen
kräftigen reiheneinsatz zu bewirken. Feiner wird nach re-
sponsion im ganzen ton getrachtet. Die reihe 2 bringt diese
versuche statistisch zum ausdruck. Vor allem wird auftakt-
pause im periodeninnern gemieden. Das ist rhythmisch sehr
begreiflich. Denn durch solche inneren pausen wird die periode
immer auseinander gerissen: innerer continuierlicher Zusammen-
hang ist aber für sie wünschenswert. Durch pause am perioden-
anfang heben sich dagegen die perioden von einander ab, die
ohnehin einander relativ selbständig gegenüberstehen.
Ton XIII erweist sich, von diesem Standpunkt aus be-
trachtet, als eins der frühsten lieder Hartmanns. Hier wird
periodenanfang und -inneres gleich behandelt, und ob im zu-
lassen der auftaktpause wirklich princip ist und nicht der zufall
waltet, ist unklar. Das fehlen des auftakts am beginn des
schlussgliedes der Strophe ist sachlich nicht zu begründen.
Auf grund dieser erwägungen glaube ich nicht, dass Vogt
recht hat, wenn er annimmt, ton IV (5 °/u) gehöre eng mit XII
(4,16 •/„), VIII (8,3 %) und XI (9,1 %) zusammen. Für die
technik dieser töne ist, wie das eben erörterte lehrt, weniger
von bedeutung, dass das entsprechende idealschema mit 5, 4,16
8,3 und 9 °/0 Unregelmässigkeiten erreicht ist. als vielmehr die
tatsache, dass in IV der auftakt fehlt für s — 15, in XII für
s = 4,16, in VIII für s = 37,5 und XI für s = 9,1 fällen auf
hundert.
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106
HAKAN
Wenn man also eine Chronologie der lieder Hartmanns
sucht, so hat man sich an das leitende, von mir schon früher
richtig erkannte princip zn halten: eine anordnung im sinne
Vogts ist nicht möglich, ohne den tatsachen unrecht zu tun.
Man kann sich im einzelnen mehr an die procentzahlen für s
(so ich früher) oder an die von a halten: das ergebnis ist in
beiden fällen wesentlich gleich.
Man gewinnt auf grund der s- zahlen folgende endgiltige
Chronologie, in der die inhaltsbeziehungen der lieder mit ver-
wendet sind:
XVI (218,5) .
%
. 0,0
XI (214, 12) . .
%
9,1
VI (211,20) .
IX (212, 37). .
10.0
V« (209, 25) .
. 0,0
XV (217, 14) .
13,33
V* (209,37) .
4,18
VII (211,27) .
14,81
I (205, 1) . .
. 2,22
IV (209,5) . .
15,00
III* (208, 8) .
. 3,33
XIV (216,29) .
16,06
in» (207, 11) .
. 0.00
VITT (212, 13) .
37,50
II (200, 19) .
. 0.00
XIII (210, 11 .
46,42
XII (215, 14)
. 4.10
X (213,29) . .
75,00
Diese Ordnung weicht etwas von der ab die ich H. v. A.
s. 35 gegeben habe. Das erklärt sich aus der neuen kolotomie,
die ich erst in dieser arbeit geben konnte. Daraus erklären
sich auch die zahlen die gelegentlich von den früheren in
H. v. A. abweichen.
Ich bemerke, dass diese reihenfolge nicht die zeit-
beziehungen der lieder bis einzelne darstellen soll. Schon die
abweichungen der inhaltsehronologie von der rhythmischen in
den jüngsten werken lassen eine solche annähme nicht zu.
Die reihe soll nur im grossen und ganzen gelten. Man wird
der Wahrheit am nächsten kommen, wenn man gruppen von
Hedem aufstellt, die einander zeitlich besonders nahe stehen.
Ich würde folgende vorschlagen:
1) V V« VI XVI kreuzlieder.
2) XIV. IV. VII; XV IX XI; XII II III' IIP I liebes-
glück und liebesnot (im anschluss an das nachweisbare
Verhältnis, das auch die 'Klage' behandelt).
Das — übrigens einseitige — minneverhältnis wird nicht förm-
lich gelöst, sondern hört durch Hartmanns kreuzzug wol von
selbst auf. Man kann in dieser gruppe wider Untergruppen
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UEBKK HARTMANN VON AUE.
107
erkennen: XIV IV VII sehr flott, mit einer gewissen Opposition
gegen den minnedienst, der ja der älteren ritterlichen zeit
unbekannt war. Solche oppositionslustigen gedanken begegnen
später seltener: EU1 wo der widerruf schnell folgt, XV IX XI
sind schon H. v. A. s. 102 als eng zusammengehörig erkannt
worden. Formell haben sie gemein, dass es neben XVI die
einzigen Strophen bei Hartmann sind, die fünf perioden um-
fassen. Der dichter verbindet meist nur 8 und 4. XII II hoff-
nungsvollere Stimmung, III I resignation.
3) X XIII VIII. Ks sind die frühesten lieder, vor und
während der reise Hartmanns nach Xordfrankreich. VIII geht
doch wol auf diese. XIII ist reine nachahmung Hausens.
Die Klage (das I.büchl.) dürfte mein" ans ende von gruppe 2
fallen. Doch wäre auch möglich, dass es in die mitte fiele.
Das ist nicht auszumachen.
Wie weit es nun nötig ist. die lieder unter no. 2 auf das-
selbe Verhältnis zu beziehen, kann nicht entschieden werden.
Ich habe H. v. A. mehr erlebtes in den Uedem gesucht als ich
jetzt tue. Es ist wol möglich, dass manche töne reine phan-
tasiestücke sind, ohne specielle beziehung.
Mag man nun meine Chronologie billigen oder nicht, eines
geht aus ihr, glaube ich, mit Sicherheit hervor: die lieder der
gruppe 1 sind die letzten, die uns von Hartmann überliefert
sind. Die der gruppen 2 und 3 liegen vor ihnen. Hartmanns
lyrik schliesst mit der kreuzzugspoesie, also 1189 ab.
Daraus folgt: wer etwa Hartmann zwei oder mehr minne-
verhältnisse zuschreibt, darf keines davon nach der gruppe 1
(nach 1189) ansetzen und muss die töne III und I als solche
des letzten Verhältnisses ansehen. Andernfalls hat er die
pflicht, meine beobachtungen über die auftaktent Wickelung als
falsch nachzuweisen. Deswegen ist auch Schönbachs versuch
abzulehnen, weil er meine ergebnisse weder widerlegt noch
überhaupt beachtet.
Ks folgt weiter: wer wie Wilmanns und Heinzel da«
I.büchl. mit dem Verhältnis zusammenbringt, das den tönen
III und I zu gründe liegt, darf das II. büchl. nun nicht mehr
mit irgend welchen Hedem Hartmanns in Verbindung bringen
— er müsste es denn vor das ei-ste setzen. Das hat aber
noch niemand versucht. Somit fällt auch das was Schönbach
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108
SA RAN, ÜEBER HARTMANN VON AUE.
(s. 350. 368 ff.) über das zweite btichlein und seine beziehungen
zu Hartmanns Hedem sagt.
Endlich: ist die gesammte liebeslyrik dem I. büchlein un-
gefähr gleichzeitig, so fällt sie in ihrer gesammtheit in des
dichters jugend, wol seine knappenzeit. Denn dass jenes
büchlein sehr früh anzusetzen ist, habe ich schon H. v. A. s. 52
nachgewiesen, dass es von Hartmann vielleicht im alter von
18 — 21 jähren verfasst ist, hat Schönbach wahrscheinlich ge-
macht. So drängt sich die ganze lyrik Hartmanns in wenige
jähre zusammen, denn im allgemeinen stehen sich die lieder
formell ziemlich nahe. Wenn man 1187 und 1188 annimmt,
dürfte man das rechte so ziemlich treffen.
Nach alle dem rnuss ich meine ansieht, die ich in H. v. A.
über des dichters lyrik ausgesprochen habe, gegen die polemik
Schönbachs und z. t. auch Vogts, wenigstens in ihren haupt-
ergebnissen aufrecht erhalten.
HALLE a. S. FRANZ SARAN.
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ANGLOS AXONICA IV.
Crist.
14a. Die nämliche construction unten v. .'55a.
26. Hier sclieint mir ein vers ausgefallen, wie Udad in
hendum + halbvers: vgl. v. 147.
40. 1. mit Grein gemcmmg, vgl. v. 75 und Blickl. hom.
143,24: p(et he bodi&e bis godeundncsse d'° hire gevacnunge.
(Gerade diese geracnung war das dtgol dryhtnes geryne von v. 41.
42. geondspreot (eo va) v. -sprutaii, nl. spruitcn.
69. genedde ist unsinn: 1. mit Grein gencdde.
73. sundhumd ein poetisches fabrikat wie ftcodbücnd 616.
1173 und 1372. um einmal eorÖbuend, foldbuend, grundbüend,
landbuend zu variieren und ganz bequem mit s zu alliterieren.
Es bedeutet nicht maris uccolae und hat mit nl. de zee boutven
nichts zu tun.
97. forpynded. Vgl. Sievers, Beitr. 11, 351 und Blickl. hom.
7, 14: Peer uces Euan tvöp üte betyned purh peere d clmian
fdemnan (blisse?).
153. Sie vers' unzweifelhaft richtige besserung for ofer-
fiearfum findet man. wie seine übrigen besserungen und be-
merkungen grammatischer oder metrischer art? bloss in der
fussnote. wenn ihrer überhaupt erwähnt wird. Man vgl. weiter
El. 521 und Beow. 2226; nur setze man is se'o bot gclong eal
(et J>e dnum in parenthese. denn for ofvrpearfum gehört zu
wope foreymenum, bitrum brynetearum. Anders, aber m. e.
weniger überzeugend, I F. 4,384.
167. Die einteilung des dialogs ist nicht in Ordnung. Erst
mit vala, ftkmne geong v. 175 fängt Josephs rede (bis v. 195)
an und darum ist v. 169 for p(> in for py und v. 175 feasceaftne
in ftasceafte zu bessern. Auch lese man v. 169 mit Thorpe
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110 C08IJN
worda. Ein schluss eala fcemne xeonx, mcegö Maria ist un-
möglich, und gerade dies (alu weist uns hier den weg.
188. L pe Iddijan 'dich reinigen' läpan sprdece 'dessen
was man dir vorwirft'; vgl. C. past. 308, 7.
189. purh ndthtvylccs sc. scyld oder ein ähnliches wort.
241. Aehnlich Kä. 2, 1.
257. Wie Beow. 160 der Grendel, so wird hier lupus qui
rapit et disperyit oves (.Toh. 10, 12) deorc deaÖsctia 'tenebrae et
umbra mortis' genannt.
264. sc wites (i. e. helle) bona passt hier wol nicht so gut
wie se wittes bona - gdstbona; vgl. Grein, Gloss. 2, 722.
270. L fortrah tf' fortyhte; hl ist aus ht verlesen.
304. 1. mit Thorpe pder, welche partikel bei verba movendi
öfters vorkommt ; s. Grein, Gloss. 2. 564. Ein beispiel anderer
an v.307.
364. 1. het(o)lan hclsceapa(n). Hetol ist ein gebräuchliches
epitheton des teufels: Beda- Wheloc s. 309. Saint» 3, 406, und s.
weiter Toller s. v.
377. zepeon. Das praet. pvodon El. 403 (hs. peoden).
421. Dies md statt Sievers' nidra charakterisiert diese
ausgäbe.
469. wttgcna uord ist object zu Juvfde gefylled, also nach
sungon komma! $eond woruld innan bilden drei worte, wie
Panther v. 4, wo richtig abgeteilt ist.
471. 1. h'oftvendnc, vgl. v. 400 lofiad Uoflicnc. Die Ver-
wechslung von lofian und lufian kommt auch sonst vor, z. b.
Beda-Miller 212, 7 var.; v. 504 steht richtig heredun, lofedun.
490. gehwäre] die richtige lcsart natürlich in der fuss-
note. An anderen stellen ist der nämliche fehler mit diesem
pronomen gemacht: das weiter zu bemerken halte ich für
überflüssig; vgl. Sievers, Beitr. 10, 485.
494. 1. Cyning up geivdt. Was aber purh pws tcmples
hröf bedeuten muss, weiss ich nicht: ofer hröfas v. 528 ist ver-
ständlich. Vgl. aber v. 535.
511. on htveurfte 1. on hwearfe on preate.
519. jcdryt nach dem richtigen gedryht v. 515! Fussnute:
gedryht.
564 wiperbrogan. Was sind 'widerschrecken'? Ich lese
wiperbreoctm , welche auch aus GuJ>lac 265 bekannt sind (s.
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{
ANGLOSAXONICA. 111
weiter Grein, Gloss. i. v.) und noch in den Blickl. hom. 175, 7
vorkommen. Brecan (denn wiöerbrcca ist synonym mit and-
saca) bedeutet hier 'streiten', got. brikan, brakja dftXtiv, jtähj.
587. hals, nein hülr, hdlorl Zu eft, das man mir nicht
vorwerfe, vgl. v. G14.
621. Lies docli mit Rieger of statt ofer, wie die antithese
to pcere ilcun scealt eft geweordan v. 624 deutlich beweist.
625. tcyrmum äweaüen. VgL jElfric, Horn. 1,86: J)wt his
gcsceapu maöan wvollon und 472: sua Jxet htm wcollon maöan
geond ealne Öonc Itchuman. Vgl. auch an. rclla.
644. Hier hätte der herausgeber Früchts mislicu (vgl.
Jul.263) in den text aufnehmen sollen (Fr. s. 78): wonig mislic
ist metrischer fehler.
679. stcblgnc, L staglnc; wenigstens dünkt mich die meta-
these verdächtig, denn die volle form ist stcegil. Man erwartet
stcapne = lu'anne.
704. afyUendra fasse ich auf als gen. subj., also fyllun —
fellun, vgl. El. 1040 gedwolan fyldc, unrihte w; vgl. auch unten
v. 709. wo bU'tdgyte worhtan (708) einzuklammern ist.
769. bordgeldc, lindgeldc, lindptcga bedeuten einfach 'streit',
eigentlich geldc (plega) bord-, lindhwbbendru. Ich verwerfe
Greins deutung 'clypeorum impugnatio'.
784. Ich lese sua we us tvidefeorh wcorcum hlodun, weil
das object zu hladan mir unentbehrlich scheint.
804. Ich constatiere hier bloss, dass über Sievers' aufsatz
Anglia 13,1 kein wort gesagt wird; s. 246 teilt uns Assmann
bloss mit, dass S. a.a.O. 'über die rätsel' gehandelt hat. Aber
Gollancz' autorität scheint so schwer zu wiegen, dass sogar
seine schiefe Übersetzung (v. 806 ür 'long since'!) citiert wird;
was dieser aber über ur s. 181 mitteilt, wird verschwiegen.
Die feststellung der bedeutung der rune uynn in Sievers'
' notable article' war doch bei Gollancz s. 180 zu finden; und
dass die Anglia gewissen deutschen anglisten eine terra in-
cognita ist, darf man doch nicht annehmen?
828. Zur abwechslung wird im text ein nicht allite-
rierender vers mit falscher interpunction geboten, während
Greins besserung in der fussnote zu finden ist (hatte das
original bchofiad, wie gehöht für geolu Erf. 1064 u.s.w.?). So
bilden die uoten einen katalog von richtigen, evidenten und
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112
CQSIJN
falschen, antiquierten lesarten, was sich allerdings zum teil
entschuldigen oder verteidigen Hesse, wenn wir es mit einem
diplomatisch genauen textabdrucke zu tun hätten. Dies ist
aber nicht der fall, denn öfters wird gebessert (oder ver-
schlimmert), wo man es nicht erwartet. Eine emendation die
von dem herrn herausgeber selbst herrührte, habe ich noch
nicht angetroffen.
830. ctvdriiendra cirm soll ein vers sein. Aber langsilbig'e
schwache verba der 2. und 3. klasse bilden regelmässig partt.
praes. ohne i: mit i sind sie metrisch unbrauchbar. [In den
nachtragen ist Früchts besserung, wie ich jetzt sehe, auf-
genommen.]
843. ])cer biö . . . leofra (nsn.), wie GuJ>lac 1294 Jtcer tctes
(knlicra <(- uynsumra etc. Ebenso sojtra Gupl. 1096 und bei-
spiele für die weibliche endung -a sind swcerra C.'rist 1490,
heardra 1489, leohtra 1652, sylfa GuJ>l. 964, bdncopa 998 (?).
Darf man dies alles ändern? Was die bedeutung unsrer stelle
betrifft, vgl. Sal. 30: ftontic htm bid Uofre ]>onne eall Ptos Wohle
gesceaft . . . gif he cefre fiws organcs oiviht cuöe\ Beow. 2651
steht })iet, was aber mit gif synonym ist , wie mit pcer, wes-
halb Ettmüllers änderung v. 844 unnötig ist.
853. Komma hinter sundhengestum, denn fergan ist trans-
itiv. Aber tilge das Semikolon nach holmas v. 856; aber nach
geldd stark interpungieren.
867. Lies mit Ettmüller ]>d he to heofonum ästdg, wie
v. 737 (vgl. auch El. 188) vorkommt,
870. 1. bihlwmmeö, denn das mm ist organisch, s. Walfisch
61 und 76 und vgl. weiter hlimman, hlemm, got, Mamma u.s.w.
884. und tungla gong (hlydaö), wie sprecan wiö — con-
struiert: = wiö songende fangt, i. e. tviÖ heofones tceard.
889. 1. egeslice.
901. Süpan castan, vgl. Gen. 668 und Beitr. 19, 447. Darf
man letztere stelle sachlich mit dieser vergleichen?
934. trume 4h torhte beziehe ich auf heofonas; vgl. v. 969.
Also nach torhte komma.
961. Gyn gehört zum folgenden verse, wie auch die hs.
andeutet. Welcher metrik folgt Assmann?
976. u oruld mid ealle 'die ganze weit'. Vgl. Saints 6, 285:
Ins ueUras tcäron äivlcette mid ealle.
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ANGLOSAXONICA.
113
980. sceMun ist ein unding, scehtun (kenticismus für
scyhtun) sinnlos. Also ist die 'Vermutung' sceldun = scildun
nicht abzuweisen, weil hier ein verbum mit der bedeutung
'schützen' stehen muss.
999. gc hreow? Man vgl. 1148.
1046. 1. on e\a)cne (= eacenne) eard, denn das e beruht
auf palatalumlaut: vgl. Beow. 1621 cacne eardas. Opene weorpad
u.s.w. illustrieren pd opene Hd v. 1571.
1048. hord 'das verborgene', denn schätze verbirgt man:
warum aber immer diese 'schätze' in den Übersetzungen an-
gebracht?
1074 a. Vgl. Blickl. hom. 95, 19.
1084. 1. eallptodum, wie 1337, = yrmenpiodum; besser
noch vergleicht sich ealwihte.
1144. egsan tnyrred? aber der ausdruck ist unbelegt.
1155. Man folge Grein.
1185. cüpen 'haberent'; vgl. Gen. 357.
1266. Aedenra gehört zu synne, ist aber von tu fela atol-
earfoöa attrahiert.
1273. 1. earfede.
1301. 1. on pd.
1302. 1. beahddsda, denn der plural wird hier gefordert
und gescomian regiert einen genetiv.
1308. he i. e. se scriß; bi&ckd 'nachgeht' kommt sonst nur
vor in Jone cecer bejdn (Toller), plantan, impan begdn C. past.
381, 17.
1313. Eula u.s.w. Interpungiert man wie Assmann, dann
bedeutet pder hier 'utinam', wie El. 979. Jul 570 und Seel. 141
(vgl. got. ip wissedeis d tyvcoq Luc. 19, 42). Aber dann muss
utile v. 1318 in scyle geändert werden: sonst wäre pdsr hypo-
thetisch zu fassen, nach ingcponcas komma zu setzen und würde
v. 1317 in prosa lauten: pcet bid unäsecgendlic. Aber Assmanns
text bietet (mit ausnähme von wüte) wol hier das richtige,
wie auch t'ald wahrscheinlich macht.
1320. forö adolian. Lächerlich: weder ein äpolian 'to
endure' noch ein ahd. 'adaljan' hilft uns hier aus der not;
ford ist ferÖ (vgl. v. 1361 und Rä. 74,5) und adolian, das man-
chem den köpf irre machte, hat selbst den köpf verloren und
Beiträge zur geschieht« der deutschen spräche. XXIII. g
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114
COSIJN
ist verstümmelt aus staöolian: ferö st. ist bekannt genug. Aber
vor ferö komma!
1321. Pwcan zweisilbig, Jtrean einsilbig ist merkwürdig.
1323. Pe her lifes sy. Vgl. Beda-Miller 462, 7 (v, 20) patl
he lifes wces. Später he lifon be'on Thorpe An. 2 112; mehr bei-
s])iele bei Toller.
1348. hivonnc gehört zu gearo.
1361. forö ist ferö, vgl. oben v. 1320.
1429. Der punkt hinter wonn, also Ncbs ('es war nicht')
neuer satz, macht den vers fast unverständlich. Aendere den
punkt in komma und lies , nas mi for mode 'und nicht meinet-
wegen aus Übermut'; vgl. v. 1442 ic part sdr for de Jturh vaö-
mvdu call gepolade.
1436. Ein anwldta citiert Toller 1,46 aus Leechd. 1, 356;
es kann dem Zusammenhang nach nur n -loser acc. plur. sein.
Einen nom. sg. and(u)lata 'antlitz' nach dem Liber scint. hier
anzunehmen hilft nichts.
1444. heardcwide ändere man in hearmcwide.
1483. fidc synne muss acc. plur sein, regiert von purh;
also lese man firenlusta.
1506. cexhwms v. 1505 steht nicht attributiv; also hinter
hyxe komma.
1563. L fyrena äfylled = firenfuU.
1584. Wie sonst tioht — ivortdd, Ist hier icoruld = Ivoht;
darum steht sctnan.
1593. L weorpad.
1601. hwwt gehört zum folgenden vers und leitet den von
giman abhängigen indirecten fragesatz ein; auf man muss ein
verbum wie fremmaö (doaö?) folgen.
1607 b. L synna tö wrace, vgl. 1602 und 1623.
1632. äbidan ist 'bleiben', folglich hinter sinnehte komma.
Das verbum ist nie transitiv.
1653. 1. entweder ende oder mit Sievers (dem wol Mu-
spilli 14 Up dno töd vorschwebte) deade. IAf bütan endedtpge,
das einem sofort einfällt, ist metrisch verwerflich und wird
nicht gestützt durch die zweite vershälfte in 1654. 1655. 1656.
1657. 1658. 1659.
1665. Hier endet der domdoeges abschnitt, der v. 779 ein-
geleitet mit v. 868 anhebt. Was folgt ist ein selbständiges
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ANGLOSAXONICA.
115
stück über das Schicksal der frommen seele, welche die irdische
herrlichkeit, pds eorpan wynne, verlässt: dass dieser ausdruck
nach dem weltbrande sinnlos ist, leuchtet ein: die begnadigten
am letzten tage werden en masse selig (v. 1635): hier wird
nur eine fromme seele von ihrem Schutzengel himmelwärts
geführt. In der Schilderung der himmlischen wonne stimmen
beide stücke überein: vgl. v. 1640 Jmt is se tpel und v. 1683
Öcet sind pd getimbru. Lächerlich scheint es mir, ein umfang-
reiches gedieht OjTiewulfs v. 1694 mit einem fragezeichen en-
digen zu lassen; ganz verwerflich ist Gollancz' meinung, dass
der Guj?lae v. 1666 anfängt, statt mit dem feierlichen Manige
sindon, wie der Heleand mit tnanega wären und der Panther
mit demselben verse.
1674. Udfara. Vielleicht Uöa fara(n), oder, weil U{g)da
c. gen. construiert wird: Ufa farc; aber to pdm hdlgan kam
passt besser bei einem infinitiv.
1682 und 1685. Cyninga cyning ohne ealra als erster halb-
vers und hitsel, während die besserungen in den fussnoten
paradieren, charakterisieren diese ausgäbe. Ich hebe hervor,
dass die lesart hu sei von mir schon längst vor Gollancz vor-
geschlagen ist. Dietrichs 'abendmalsjugend' widerspricht nicht
nur dem metrum!
Guf>lac.
1. Derselbe vers Panther 1.
2. Die einleitung bietet viele Schwierigkeiten. Hddas
übersetzt Grein mit 'stände', interpretiert es aber im glossar
mit 'personae': es wird hier aber wol 'geistliche orden' be-
deuten (vgl. v. 31); dann aber ist pd pe o% und nicht pd pe
in h ol$; auch braucht man dann nicht ürisaö in ärised zu
ändern. Ich glaube dass der satz bloss diesen sinn hat: 'es
gibt auf erden viele orden welche ein heiliges leben führen',
und verweise auf v. 462. Vielleicht verstehe ich den dichter
hier nicht; jedenfalls bleibt mir der sinn von v. 5 dunkel.
Auch die gödra Uda v. 7 contrastieren merkwürdig mit v. 20
ofer pd nipas Pe ive nü dreogaÖ.
19. he = heo.
22. he, i. e. der dryhten, welcher erst v. 25 genannt wird!
75. sceolde, 'it is said' Gollancz. Besser 'sollte', nämlich
8*
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1 16 C08IJN
durch weltliche gelüste (wotulde icynnum) dazu gebracht. Die
ags. prosa lautet s. 12 pd gemunde he pd strangan d&da ]>dra
unmanna (lies iumanna 'priscorum heroum') etc.
81. frecnessa fcla 1 viele gefährliche abenteuer'; vgl. v. 99
fturh nepinge.
132. pröwer -e ist. wie martyre, nicht im strengsten sinne
'blutzeuge', sondern im sinne von v. 443 und 485 'confessor'.
140. Pegan i. e. peogan 'servire'; nebenform peowan: Peo-
wad v. 62, peou de v. 712. Aber v. 432 widerum pigad, was
freilich auch als pihad gedeutet werden kann. Sonst erscheint
nur öeowian, ganz regelmässig nach der d-klasse: alles reste
der dritten klasse von Sievers (got. -piwan nur transitiv).
149 b. Vielleicht bloss ausgefallen waldendes tdcn; Grein
vermutet pd he waldendes beacen. Es ist natürlich Cristes
rode tarn hier gemeint,
154b. 1. eac dryhtne cennaÖ 'nächst gott\
158. 1. cefwstne.
206. Man lese doch deaöyeddl nach v. 936 1 Scheidung
durch den tod' oder ein tautologisches compositum; deaöa als
gen. sg., rest eines u- Stammes, begegnet uns nirgends und der
gen. plur ist unsinnig: auch würde dies gerade das gegenteil
ausdrücken.
239. in selimpe. Vgl. C. past, 39, 14 for his gelimpe <for
Iiis success, prosperity' und Saints 16,251 cegÖer ge on gelimpe
je on ungelimpe. Das glück macht übermütig.
271. widor. Vgl. Beitr. 10, 453 und Beow. 1340 (feor).
279. earda \ lies doch earfoda mit Grein oder earmtia nach 41 8.
288. sealdun, vgl. C. past. 342, 15 seklun. Es bedeutet hier
wie an. sjaldan VoL 30, 3 'niemals'.
294. sua mödgade erinnert an siva bealdode Beow. 2178.
322. weredon i. e. wearedon, waredon.
342. tviÖ pds Icenan gesceafl, zu der auch mein körper ge"
hört; vgl. v. 344 swa Pe'os eoröe und 352. Was Gollancz sagen
will, verstehe ich nicht: 'in face of all this frail creation'l
Gvdälan wid ist 'trennen von'.
345. fyrcs tvylme; vgl. Öd söna wfter pon he geseah eall
his hüs mid fyre äfylled, aber erst in dem sechsten capitel der
ags. prosa (s. 42), während die cap. 5 geschilderten quälen in
unserm gediente erst v.383 folgen.
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ANGLOSAXONICA.
117
348. sdrum forsecan auch El. 933. Für m statt e vgl.
biscece v. 188.
353. par he fcegran. Aber solche vershälften mit allite-
ration in der vierten hebung (s. Sievers' Metrik2 § 19,2) sind
selten und — verdächtig: vgl. Rä. 4, 30 und 56,14. Greins
fcegerran (vgl. v. 720 b hwylc wces fcegerra) bringt alles ins
reine: der himmel wird ßisses beorges setle entgegengestellt.
362. woö öperne taugt nicht, weil woö weiblich ist; also
muss ne zum folgenden vers gezogen werden: ne lythtvön, vgl.
coröre ne lytle Crist 578. Gollancz ergänzt pder nach öper,
wol richtig. Leodode ist also ächt und die erste vershälfte
ein D-typus mit eingangssenkung (vgl. v. 197 a). S. weiter
Sievers, Beitr. 10, 304.
382. <£ pwt friS ist in ac pcet ferÖ zu ändern und lyfde
bis mosten einzuklammern. Vgl. 407 und 412.
430. Ich verstehe hier weder Grein noch Gollancz und
wage es dies myrcels (= tuen 'zeichen' Blickl. hom. 87, 16) auf
die tonsur zu beziehen, die das zeichen des edlen freien mannes,
da« wallende haupthaar, entfernt hat, Also deute ich pc
v. 429 als Py (vgl. v. 472) und fasse den folgenden vers (431) so
auf: 'mit diesem äussern leben manche welche jedoch sündigen'.
446. eaUlfconda, füge hinzu feto.
449. fbrscddene. Die bedeutungen der C. past. 134, 16 und
469, 11 passen hier nicht. 'Abgeschieden' von der himmlischen
Seligkeit?
471. wtwist ist hier ' wesen*.
481. gestalum nicht 'in theft', denn die teufel haben nichts
zu stehlen, sondern mit Grein 'in hinterhalten', vgl. v. 1113
und 505.
483. Paläographisch möglich wäre me(c)ponne scildcp, scüfit
avinn on tveg, aber unglaublich.
577. Pcawum dt hepaticum findet man Gen. 2413. Thorpes
jepeahtum empfiehlt sich weniger als gepohtum, denn 'consiliis'
ist hier weniger passend als 'cogitationibus'.
585. leoht, sonst 'weit', bezeichnet hier den himmel, wie
Crist v. 1464 und in Ufes leoht fruma v. 581, wenn dies nicht
eine tautologie ist, da leoht auch mit lif synonym ist.
586. Vielleicht on deaöe oder deaÖ i. e. sdwle deaÖ, wie
v. 607.
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118
rosuN
580. L hebban: herenisse hebban ist lof hebban.
592. L lofian, parallel mit weorpian im vorigen verse.
596. kise bisencte (vgl. flöde b. Crist 1169) sc. in Jxzt siisl,
vgl. v. 639.
622. mtne, wol mirce 'schwarze', vgl. sivearte v. 597 und 623.
Vgl. v. 881, wo statt minne ebenfalls mirce zu lesen ist. Auch
die Aethiopier heissen ealmyrce. Endlich vergleiche man Andr.
1315 und Ps. 120,6 (minne L mirce?).
643. Die einfachste besserung ist weergnysse.
656. duguÖ d' drohtaÖ i. e. drohtaÖ on wuldre. Weder
Grein noch Gollancz stimme ich bei.
664. ofermwcga muss bis auf weiteres stehen bleiben,
aber die Vermutung drängt sich auf, dass ofermmgne das ur-
sprüngliche ist. Wenigstens vermisst man hier ungern eine
adverbiale bestimmung bei spra»c, als gegenstück von dwghluttre
bei scdn.
683. 1. fore (efestum metri causa.
706. Ich lese monigra mcegtvlita mraglum reordum trco-
fu$la tuddor, dahinter komma. Es muss ein fehler vorliegen ;
die erklärung 'tiere von mancherlei aussehen' ist gewis falsch:
es sind hier nur vögel (vgl. auch v. 888) gemeint und der copist
hat den nom. eingesetzt um ein subject zu bletsadon zu schaffen.
708. cetc. Man muss Bugge recht geben, wenn er aus an. dt
(Beitr. 12, 108) auf das sächliche geschlecht des ags. Wortes
schliesst. Für das männliche kenne ich keinen beleg, und das
fem. nimmt man nur liier und Dan. 506 an. Vgl. aber Ps. 103, 25
hete syddan htm bismere brdde heaklan, wo die nämliche con-
struction von healdan vorliegt, so dass nichts uns nötigt an
unsrer stelle einen andern casus als den instrumental sg. an-
zunehmen.
713. tö wildrum (so zu lesen), also mit inbegriff der vögel,
welche Dan. 513 den andern tieren entgegengesetzt sind.
716. war, das neue jähr, also den frühling.
781a, Vgl. Beow.1758.
791. Hier fängt Gul>lac II an. Warum keine neue ab-
teilung? Man vgl. besonders v. 706 und 888 ff. Die beiden
stücke behandeln die leiden, wunder und taten des heiligen G.,
hier wird aber der tod ausführlich geschildert.
807. (elda ist hier = eldo, gen. sg. von ehl 'scnectus*;
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ANGL08AX0NICA.
119
ylde Hd 'senectus' liest man Ps. 70, 8. Was sich Grein und
Gollancz in ihren Übersetzungen bei dieser stelle gedacht haben,
ist mir nicht recht deutlich.
808. fcerestan ist jedenfalls als spätere ws. form der be-
achtung wert. Durch das aufgeben der cursiven buchstaben,
welche bei Wülker die abweichungen von der handschriftlichen
lesung getreu angeben, erschwert Assmann die lectüre dem
kritischen leser.
824. udgenge. Das nämliche wort, aber verstümmelt,
Blickl. hom. 185, 14.
832. synwrcece fasse ich auf als sinwrcece 'ewige strafe'.
Ich construiere: godscyldge mcegd c(- mcecgas sceoldon sipßan
purh gdestgeddl ongyldan (leiden) gym pcere synwrcece morpres
(den schmerz der fortwährenden strafe für ihre sünde); deopra
firena — morpres.
845. pcer hi, ot? vgl. Pcer Rä. 5,9: se — pcer, is qui; auch
Gen. 2837? aber das bezweifle ich doch, weil Öcer sonst
nur nach se pe (se pe pcer, o;; vgl. Cura past, 75, 13. 425,22),
nach pcer {pcer Pcer, Pcer par 'ubi' 0. past. 220,24. Boeth.-Fox
56,11. /Elfr. Hom. 1, 86, 21 u.s.w., wie pdpd 'quum') und swä
(swä der Ps. 36, 19) steht. Also lese ich v. 845 Pe hi.
859. of sidwegum (nicht mit öl) auch El. 282.
895. Note. Grein hat in seinem glossar die 'Vermutung'
für dum zurückgenommen.
923. pä se celmihtga let his Iwnd cuman u.s.w. Vgl. die
ags. prosaXX: he söna ongeat pcer him ivces godes hand tö
sended (s. 78).
944. Wenn nur fylUtn die bedeutung des afries. fella hätte!
Nach sceolde kein komma, wol nach cyme v. 945.
998. Weder Ettmüllers 'ossium morbus' noch 'erysipelas'
sind hier am platz.
1007. pces ist hier Zeitbestimmung und swiee sdwlgeddles
bedeutet hier das ausbleiben des todes; also nach swice kein
komma. Vgl. dces yrnb lytel fcec, dces on mergen, ful raöe
dces etc.
1011. on pisse . . . dwg scripende ist instrumental, s. Sievers'
Gr.* § 237 anm. 2. § 305 und § 338 anm. 3.
1015. gingra; vgl. Phoenix 624. Crä, 2 und für die bedeu-
tung ahd. iucundlih 'jucundis, dulcis' Graft 1, 608. Der acc.
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COSIJN
bei folgian ist selten; ist lomhcr der lautgesetzliche dativ (statt
lember)?
1030. 1. wce(ri)gdropan nach hleordropan v.1315? aber 1314
steht teagor yöum weol.
1045. sccohn 'die teufel', durch {acnes frumbearn v. 1044
vertreten, wie sonstwo.
1061. Auch fast wörtlich in Andr. 294 efne tö pdm lande
pcer pe lust myned to gesecanne. Ein drittes beispiel von mynian,
got. munan, -aida (also Sievers jo-, o/-klasse) in den Engl. stud.
18, 332, 7 menige in kentischer form. Das von Grein angesetzte
gemynian existiert nicht, weil die drei im Gloss. 1, 433 an-
geführten beispiele conjunctive von gemunan sind.
1070. nihtrim, d. h. höchstens feower niht (v. 1107) der
vorher v. 1008 und später 1114 genannten seofon niht. Also
bedeutet swdmode nicht 'grew dark', sondern 'wälzte sich':
vgl. mhd. sweimen 'sich schwingen', and. stvennen 'schweben',
an. sveima 'to soar'. Das compositum äsirdmian 'weichen,
schwinden' nur in der as. Genesis; äswdeman a>t—, fram —
'weichen von, fortgehen' (abgewiesen werden) Blickl.hom.41,34.
Wulfstan 185,8 und 258,2; und Saintsl7,203 se sceocca sceall
äswceman cet üs. Endlich äswceman = ponan hueorfan unten
v. 1326. Man hat das wort mis verstanden.
1075. onwald, weder 'potens' (Grein) noch 'omnipotent'
(Gollancz), sondern 'princeps' wie Or. 254, 22 (C anweakki) und
284, 20.
1121. unwvnne von unwvne (nicht unwen) 'hoffnungslos,
dem tode rettungslos nahe'. Vgl. Saints 6, 103 vft he gchaldc
on oÖrc stowe dnre wydewan sunu Pe unwvne da l<rg. Die
volle form unwvne Iiis Ufes M\h\ Horn. 2, 514. Also unwvne
= (feorcs) orwena.
1125. Vgl. Beitr. 21, 13 zu v. 848.
1127. Vgl. Wulfstan 214, 13 mid dvofles strMum awcccen,
wie 225, 5. Weiter unten v. 1260.
1153. on longne weg, vgl. up mine lanyhe vaert Reinaert
1, 2205 und on longne siö Phoenix 555.
1168. in pvosUrcofan. Ebenso El. 833: also nicht = on
pd prüh der prosa, sondern = in sondhofe 'im grabe'. Aehn-
lich heolstorcofa Phoenix 49.
1214. On pone eefteran verbinde man nicht, wie Grein,
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ANGLOSAXONICA.
121
mit anseid, weil seid neutrum ist. Auch Gollancz tibersetzt
* tliis second hermitage', aber davon ist nichts bekannt. Die
prosa s. 86 beweist dass das alles falsch ist: Öan ceßeran gearc
Pe ic Jri& westen eardode; also gehören on fione cefteran und
geargemearces zusammen: man erinnere sich dass gear auch
männlich ist
1305. ofer burgsalo, bei der Seereise! und das gehlcestcd
v. 1307! curios!
1313. htm, dativ bei gemonian wie C. past. 370, 11. Aber
an beiden stellen sind wol Schreibfehler anzunehmen.
1320b. Vgl. rtist 623. Beow. 1424. Auch v. 1323 a und
1333 erinnern an den Beowulf.
Phoenix.
4. nis mongum 'ist nicht manchem' (Grein). Unrichtig:
litotes für 'ist keinem'. Die herrliche gegend denkt sich der
dichter mit anschluss an Lactantius v. 15—20 bewohnt, vgl.
v. 1 1 eadgum und v. 50—60.
25. Vgl. Beitr. 10, 502. Aber 6 (oo) gibt keinen genügenden
sinn; öwer ist hier das passende wort; vielleicht bedeutet hlco-
tuid hier 'senkt sich'.
47. bideö, wie seomaÖ v. 19. Vgl. Altsächs. Gen. 323.
62. lyfte gebysgad i. e. winde gefysed. Lyß 'wind' auch
Crist 991 und Rä. 11,9.
72. wo — 6, 1. ne — ö.
77. ofett 1. ofete (vorläge: ofeti). Falsch Grein, Gloss. 1, 112.
Das komma nach gehladcnc ist zu streichen.
103. ofer sidne sce, nach der altgermanischen Vorstellung
(vgl. auch v. 115), aber hier der läge des berglandes nicht ent-
sprechend. Vgl. besonders Sievers, Anglia 1, 578 und El. 972.
121. se haswa fugel, v. 153 liaswigfedra; das ist der
Phoenix aber nur, wenn er widergeboren ist, in seiner erneuten
jugend. Erwachsen ist er bunt genug (v. 291—313) und wird
mit einem pfau verglichen; bei Lactantius v. 74 heisst er pur-
pur eus.
136. Tilge das komma hinter dem genitiv organan. Uebri-
gens ist Assmanns abteilung besser als die von mir Beitr. 21, 25
übernommene.
148. bigenga isl »-loser dativ.
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122 COBIJN
151. püsende, l püscnd nach dem mitte annos von Lac-
tantius v. 59. Vgl. weiter unten v. 364.
170. Die Pelden' sind hier die vögel, denen der Phoenix
entfloh.
179. bitres wiht, aber bei Lactantius ganz verständlich
noccns animal. Scyldum v. 180 kann nur auf ein wiht afs
lebendiges 'wesen' sich beziehen.' Es muss ein Verderbnis
vorliegen: ndn bitter wiht klingt aber zu fremdartig.
191. purh gewittcs wylm 'durch witzes wallen' (Grein),
also durch feurigen instinct? Bright bringt auch nichts be-
friedigendes. Das steht aber fest, dass wylm hier im eigent-
lichen sinne 'brand' bedeuten muss, denn nur durch Verbren-
nung erneut sich der Phoenix (bildlich se wiclm Öws mödes
C. past. 163, 24). Also 'brand, durch seine Vernunft, d. h. ver-
nünftig, klug gestiftet'?
233. Man erwartet cejes gen. sg. zu scyUe. Ein alter gen.
cegeres wäre hier hochinteressant ; vgl. lomber Gllfl. 1015. Alade
ist hier intransitiv wie v.251 (178).
240. brdsd = fldesc v. 259.
258. edniwe möchte ich als instrum. auf flcescc beziehen.
266. feprum deal, V. 86 feprum Strong, v. 347 feprum snel
Deal ist aber synonym mit wlone oder mödij und wol ein nur
halb verstandenes erbstück der agerm. poesie. Eine bedeutung
'schön, passend' taugt hier nicht: weder das dalidun des Steines
von Tune noch mhd. geteUe beweisen etwas für die bedeutung
des ags. Wortes.
284. In gottes namen komma hinter forpylmdel denn ascan
td eacan gehört zu bdn gebrinxed, vgl. v. 271. Nur ausnahms-
weise, wo es unerlässlich ist, führe ich interpunctionsfehler an.
Auch Grein verstand unsre stelle nicht.
301. gt'byrd i. e. gecynde; v. 360 in sexueller bedeutung.
302. stdne 'hyacintho', das auch in der C. past. nicht über-
setzt ist.
304. biseted 'eingesetzt'; der eine waffe zierende stein
erscheint als banden, scarobunden (Kä. 21, 3 swylce beorht seomaö
wir ymb pone wad^im pe me wählend xeaf).
306. brt'Ädt n als branden part. perf. pass. von brejdan ist
unglaublich. Lies brogden : der copist Hess sich durch swylce
täuschen und setzte einen conj. praes. ein.
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ANOL08AXONICA. 123
322. swa i. e. sona stca, ponne; vgl. v. 41 und Or. 116,27
he ... pdem twdm ddelum bebead, swa hie feohtan angunncn,
pmt hie wiÖ his fingen.
330. ofcr nach dem comparativ auch Or. 34, 1 glcawra ofer
hi ealle; 0. past. 75, 3 Pees biscepcs tceorc sceolon bion ofer
oÖra tnonna tceorc sua micle bete ran sua etc.
331. Lies doch on gcwritum und vgl. Lactantius v. 154.
Auch v. 425? Ueber ond i. e. on hat Sweet (C. past. s. 486 zu
277, 15) gehandelt.
343. wildne vgl. 201, 466 und 529: er ist ein dnhaga
(v. 87, 346).
364. urnen 1. äurnen.
373. edgeong tcesepl vgl. edgeong icesan v. 435. Ich ketme
bloss wesap 'erunt' ßlickl. hom. 153, 11.
390b. Vgl. 450b, was wol auf die anfechtung des teufels
deutet.
512. 1. byrgennum mit Beitr. 10, 462.
581. pdr, zu allgemein gefasst. Lies pder htm.
613. Vgl. Rä. 44, 3.
624. geongra gyfhia; s. oben zu Gu)>l. 1015.
647. Eine andere deutung gibt .Elfric in seiner Gr. 70, 12
(Xapier).
Julian*.
27. fyricct 1 Ungeduld', vgl. v. 40.
33. tcyrd 'wie sich die sache verhielt', 'factum'; nicht
'geschick'.
44. dehte 1. dhtv.
90. yreptceorh ist eine vox nihili: pwcorh bildet keine com-
posita als zweites glied, und yre kann unmöglich yrrc sein,
weil dies unmittelbar folgt, livpc zu vermuten liegt nahe, aber
erklärt die handschriftliche lesart nicht : ein zweiter hauptstab
wol mit vocalischem anlaut wird gefordert.
91. 1. glcedmöde; denn wer yrre gebolgen ist, kann nicht
glwdmöd heissen.
104. e'ce eadlufan wird mit moderner Sentimentalität durch
'ewigdauernde liebe', iasting love' erklärt. Aber der vater
sucht nur einen steinreichen, vornehmen eidam; er denkt nur
an das iiebe geld\
126. pingrceden = pingung (Beda -Miller 170,23) = btn,
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124
CORI.TN
welche man mittelst einer andern person an jemand richtet.
Grein erklärt es frei, aber sinngemäss mit 'braut Werbung'.
133. Ii mc lifeendre; vgl. Schmid, Gesetze be lifietidre pdere
bei lebzeiten derselben' yEthered 6, 5 § 1. Tilge das komma
hinter lifeendre.
160. in ceringe, die lat. vita hat diluculo. Vgl. Mc. 1, 35
on dering, Rushw. on dringe i diluculo'.
190. Der lateinische text lautet ecce prtncipium quaestionis.
202. dohvillen, eig. ein adjectiv wie druncenwillen 'ebriosus'
C. past. 401, 29, hier aber substantiviertes neutrum.
204. 1. on pe />d grimmestan etc.
255. 1. sigortifr, denn onsecgan ist transitiv.
302. 1. nedde und biswdc, wie im vor. verse mit Sievers drys.
309. on heanne beam i. e. on galgan (v. 310); vgl. Schicks,
v. 16—22.
313. Bessere das nichtswürdige asengan in äsecgan, wie
in der note angegeben ist.
352. Lies mit Sievers eaöe tna>g (vgl. z. b. Rä. 56, 7) und
natürlich v. 353 gecxjöan.
358. Glaubt Assmann wirklich an die existenz von geponcg?
467. py, 1. pe, das relativum, womit es Grein auch übersetzt.
474. Ich übersetze ;so dass sich (dort) ihre letzte spur
zeigte', denn der brynv vernichtete sie. Gesyne wces oder tcearp
steht absolut, wie Beowulf 2947 und 1403. Anders Grein.
479. Bessere mit Frucht (s. nachtrage und vgl. Rä. 34, 1)
mfter wcegc = cefter wdgum.
482. Vgl. Heleand 4155 drörag sterban.
492. peak ic. Unsinn; 1. pe ic. Die vorläge hatte vielleicht
Pe i/i (" pe ie), was zur Schreibung und einfügung von ic ver-
anlasste.
505. Hinter swa (v. 504) komma, denn mircast mdnweorca
ist in dieser rührenden teufelsbeichte apposition.
521. min. Nur drei beispiele davon in Greins Glossar
2,252! Mm?
560. Dass Holthausens aufsatz IF. 4, 385 in diesem bände
nicht erwähnt wird, begreift sich leicht. Er substituiert ueorc,
metrisch vortrefflich. Belegt ist nur nach hdlig von einsilbigen
worten bloss word, und das passt hier recht gut, weil es sich
auf Julianas predigt bezieht.
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ANGL0SA KONICA.
125
570. pcer, vgl. Crist 1313 oben und El. 979 und ändere
nichts! Vgl. meine Aanteekeningen op den Beowulf v. 32.
Also meahte mit ausrufungszeichen.
678. XXX. In der note : Ettm. Prittig. Merkwürdige Va-
riante! Vgl. Ra. 23, 1 'LX, Ettm. sixttf; 23,4 «IUI, Ettm.
feower1 u.s.w.
Bi monna craftum.
7. 1. onfoan (Beitr. 10, 476), was für das alter unseres
gedientes nicht indifferent ist. Man vergleiche weiter die
Übereinstimmungen mit dem Crißt: ( \ (5(33 seow, Crä. tosdiveÖ 1 10;
C. Sänger und redner 667. Crä. 35 b, 36 und 41—43; C. harfner
008. Crä. 49; C. schriftkenner 670. Crä. 94; C. Schreiber 672.
Crä. 95 b. 96; C. kriegsmann 674. Crä. 39a. 40; C. Schiffer 676.
Crä. 53b— 58; C. gymnast 678. Crä. 82— 84 a; C. Waffenschmied
179. Crä. 61—66. Bloss der astronom Crist 671 und geograph
>ist 680b fehlen hier. Endlich vergleiche man Crist 6cS4 pty
des kirn x'telp seeppe mit Crä. 24 ]ty Ides he for wlence u.s.w.
18. eft, ebenso C. past. 87, 11.
29. leopoerceftas. Aber das erste beispiel cehte ist unglück-
ich gewählt, sonst sind die gliedermässig verteilten fähigkeiten
nd künste ziemlich geschickt angeführt.
61. 1. tvcepenprwce — tvige to nytte.
65. Tilge das komma hinter rond und lies v. 66 gefiged.
Bi manna möde.
10. 1. se pe hine ne Ideted.
25. 1. nnjemete, adv.
28. böd, aber Liber scint. (Rhodes) 152, 2 se pe hyne bögad
ui se jactat', wahrscheinlich eine falsche form aus bögian
t =j) gebildet. Das wort ist auch lelfredisch, aber corrupt
>erliefert: Boeth. 66, 29 (Cardale 102) forpdmhe hine stva or-
üicc upahof dt böde (Cod. bodode) ö<vs piet he udtvita udere.
48. frdete\ vgl. Zs. fda. 31, 21 freetc fedus (obscenus, turpis).
55. 1. nedsipum; vgl. nvdfaru OET.
O.'i. beryfan, wol berypan,got.bir(inpjan, Saints3,444'spoliare\
Bi manna wyrdum.
7. fergad in der bedeutung von beruö befremdet; freogaö?
43. Man lasse jedenfalls as. äpenyian aus dem spiele; äpeccan
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126
COSIJN
ist möglich nach peccan 'consumere', s. v.47. Beow. 3015. Phoenix
216 und 365.
55. dryhtbealo nach folc-, peodbealo?
56. sylfcwala im sinne von seif bona ßio&avarog erscheint
in Logemans New Aldhelm glosses, Anglia 13, 33 no. 142. Hier
begegnet ein sylfcwalu 'selbsmord'; für nemnan to s.Boeth. 120,21
und Ps. 67, 4.
63. Nach geliealdan ausrufungszeichen.
73. goldsmtp ist an. yuttsmid 'goldschmiedkunst'. Bedeutet
hier geanvad 'beschenkt' (s. Grein, Gloss. unter gcgearwian),
so lese man sum: sumutn ist dann wol durch sume boceras
beeinflusst.
90. dcedum sc. his frean?
93 b. 1. weoroda nagend und vgl. folca nervend Crist 426.
Wunder der Schöpfung.
69. 1. on h'a(h)pe? onheapo 'in mare' (Beitr. 21, 10) taugt
hier, auch aus metrischen gründen, nicht und on heape ist
sinnlos.
77. sped 'power' Blickl. hom. 179, 9.
Walfisch.
— Vgl. Zs.fda.9, 422 a baUmatn, ran, diabolum.
8. hreofum stdne, aber steine sind weder schorfig noch
lepros. Lies hreowum,
10. sceryric wird mit ahd. rörahi 'arundinetum' verglichen.
Aber ein ags. reor — got. raus existiert nicht, und von reor
kann eine collectivbildung auf -ic (vgl. nl. esterik von estere
'stoppen'; wenigstens nach Verdam, Tijdschr. 16, 8) nur reoric
lauten. Dass auzö zu eure ward, nicht zu eore, liegt an der
silbenteilung ea-re. Man erwartet hier eher eine bildung von
seewdr: die walfischbarten haben damit einige ähnlichkeit.
22. aled, und dann celeö, worauf lueled folgt, erregt den
verdacht, dass das zweite d>leÖ aus wcalleÖ verdorben ist. Das
ist, wie ich hoffe, kein majestätsverbrechen gegen die unver-
letzbare doppelte alliteration.
28. midpd nöphlöpe 'mit der wagehalsigen schar'? Gewis
eine wagehalsige conjectur!
39. je/iM-y/c, nein hwylc 'einer', nicht 'jeder'!
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ANGLOSAXONK'A.
127
40. nn his hrhige. Aber der walfisch ist gerade dem mit
einem sunnan klinge gezierten Phoenix entgegengesetzt; 1. on
his hricge: sie setzen sich auf seinen rücken.
Bi dömes dwge.
114. Ein interessantes oncicedan erscheint Anglia 2. 373
(von Wülker citiert): omni* inuocans cujnt audiri, clipiendm
gehtryle wnlde Jjast kirn mon onac&de.
»
Höllenfahrt.
1. Hirn ist fehlerhaft ; es sollte hie sein, weil gierwan
transitiv ist. Vielleicht aber rührt es wirklich vom dichter
her, der bei gierwan tö gonge an gongan dachte: denn ongunnan
him gongan ist correct.
2. Cremers und Trautmans deutung ist gekünstelt (s. Anglia
19,159); das subject von iviston muss a?fielcunde mcegÖ sein (vgl.
auch v. 16 a). Nach gutncna gemot ist wol ein ganzer vers aus-
gefallen — oder gemot ist verdorben.
6. Richtig bessert man re'onge; vgl. auch El. 1083, wo es
mit reotan verbunden ist, Acolad andre man nicht in das
sinnlose gedclad; die lagerstätte ' das bett1 des toten war acolad
wie das lic selbst (Seel. 125).
17. ac bedeutet in nicht -west sächsischen stücken auch
'denn'. Vgl. Rä. 6, 7 u.s.w. Passim im Beowulf.
22. mo?genprymme? doch vgl. 74b.
35. forbygan 'niederwerfen', denn bygan ist hier das cau-
sativ von bugan 'fallen'.
Gl. So geraten metrisch falsche ergänzungen in den text.
Vgl. weiter Anglia 19, 163 und IF. 4, 384.
69. 1. dre gelyfad, vgl. v. 114 und Beowulf 1272.
71. end. Wer an end glaubt, kann darüber auch Scherer,
ZGdDS.105 (erste ausgäbe) nachlesen: seine berufung auf Otfrid
5,8,55 taugt nicht, weil dort enti 'lebensende' bedeutet.
105. nales. Die ergänzung ist falsch; Sievers, der auch
v. 78 snottor gebessert hat, warnte uns davor. Lies, ohne er-
gänzung, naldes i.e. noldcs statt nales, denn nur ein A-typus
ist hier brauchbar.
106. mostan, 1. ne möstan und v. 115 ymbfoan und trenne
v. 124 ymb und stondaÖ.
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128
C08IJN
135. git Joluinnis d. h. 'du und ich, Johannes'. Warum
darf der Sprecher sich selbst nicht nennen?
Bitsei.
II, 10. holme, nein helme:, heim heisst die ' Corona' eines
baumes.
II, 11. 1. wrecen.
III, 4. 1. fdmge ivealcan. Also doch wider ein beispiel dieses
seltsamen Wortes; vgl. Beitr. 21, 19 zu Andr. 1524. Für fdmig
vgl. Rä. 4, 19.
IV, 5. Vielleicht hceste (on enge) = ]mrh hebst Rä. 16, 28.
Wenn wir einen alemannischen text vor uns hätten, würde heorö
einen trefflichen sinn geben; lies aber jetzt heard.
IV, 41. seeo 1. seeor und vgl. Andr. 512.
IV, 62 a. Vgl. Panther 7?
IX, 8. 1. sittaö sttigende.
IX, 9. Der sceawend ist der sceawere 'scurra' Wr.-Wü. 519, 3;
die scierenige ist in seierniege zu ändern: seeriege 'mima' Shrine
140, seeareege Lye.
X, 4. Nicht nur die interpunetion, sondern auch die rich-
tige trennung der worte ändert oft den sinn. Man lese tcel
hold mege uedum ]>ecciin; der vogel welcher den kukuk ver-
sorgt, ist dessen mege, denn beide gehören zum fugoleynne:
nur ihm gesibb ist er nicht (v. 8), weil er eben kein kukuk
ist. Vgl. dnre mdgan Rä. 44, 14.
X, 6. 1. sue drlice (cod. snearlice).
X, 10. Hs. tetddor, im text wülor, aber Rä. 61, 17 hs. und
text beide tviddor. Ebenso bleiben bisweilen nach der laune
des herausgebers anglische i ungeändert, dann wider liest man
ein de im texte, während die fussnote das ursprüngliche e ent-
hält. Varietas delectat.
XII, 6. möde bestohtie, vgl. Gen. 1579 ferhöe forstolen.
XII, 9. bringeÖ 1. pringeÖ. Jlorda deorast ist die sonne.
XIII, 11. deorcum nihtum, opp. feegre. Vgl. fegre 'dilueulo'
Luc. 24, 1 Rushw.
XIV, 1. ealra 4 im ganzen'; die raufe hat also 6 + 4 füsse.
XI V, 6. 1. ne siÖ ]ty sdrra.
XVI, 4. 1. her sivylce suge.
XVI, 11. htm, auf geogudcnosle bezogen? Sonst wäre die
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ANOliOSAXONICA.
129
flucht des dachses ganz unmotiviert: erst später fühlt er sich
sicher.
XVI, 15. Entweder hine breost beraÖ — oder etwas anderes;
keinesfalls was der text bietet.
XVI, 24. Die in den text gesetzte besserung gif se ist
vortrefflich und gifre metrisch falsch. Der alte Thorpe hatte
bisweilen vortreffliche gedanken. Hinter secep v. 25 komma.
XVIII, 11. Zwischen men und gemunan fehlt ein wort,
z. b. oft oder pcet,
XX, 5. rdd ist der runenname, der mit de und gifit den
gär bezeichnet.
XX, 6. eh und wynn können, wenn ein B-typus vorliegt,
stehen bleiben; die alliteration ruht dann, wie mehrfach in
den rätseln, auf der zweiten liebung. Aber besser scheint mir
die Umstellung in tcynneh, weil damit das ross bezeichnet wird,
der wtdldst ferede etc.
XXII, 3. hdr holte* fe'ond, eine vortreffliche kenning für
las eisen, das in der form eines beiles den bäum anfeindet;
rier bezeichnet sie das pflugeisen.
XXII, 4. Weder Sievers' on wöh, noch seine besserungen
!4,9 aror; 29,12 hycgan; 40,22 seegan u.s.w. finden wir auf-
renommen; überhaupt sind keine seiner grammatischen und
metrischen entdeckungen benutzt. Auch ein system!
XXn, 5. Natürlich py(h)eö wie 13, 8 und tyheö (teheö) 35, 4.
8, 6, wie pe\o)he 45, 1.
XXII, 15. hindeweardre. Genau nimmt der dichter das
eschlecht des zu ratenden gegenständes (liier Ödere sylh) in
cht. Abweichungen sind verdächtig; lies darum 24, 7 lengra;
5, 7 bezieht sich aber glado nicht direct auf den higoran,
»ndern auf wiht von v. L
XXV, 9. Vor oder nach heegl d' is fehlt ein stab; vgl. auch
unenverse 20,5 a und 65,2 a, wo dt einzufügen ist.
XXX, 5. Walde scheint im ags. nicht zu existieren: wir
iden es hier in wolde 'gebessert'! Auch 49,1 und 50,11 wie
. 4 wird fer in for geändert!
XXXII, 4. L nohweedre statt no ; vgl. v. 8.
XXXIV, 7. Man erwartet onbond nach Beow. 501.
XXXVII, 9. 1. foldwegas.
XLII1,7. bec 'buchstaben', wie Dan. 735 (Beitr. 20, 115)?
BeitrEu« «ur g«tcbiobte der deutschen spräche. XX1U. 9
130
C08IJN, ANOliOSAXONICA.
Aber der Schreiber schrieb den text seiner rätsei gewis nicht
in runen, nur die zu erratenden Wörter.
XLIV, 4. 1. yldo ne ddl gif htm drlice und v. 5 esne penad
sc pe he dgan sceal. Die eingeschalteten halbverse tilge man.
Se pe = ponc pe.
LH, 4. 1. fieog i. e. fleag an hjfte. wie Rä. 74. 3 lehrt. Vor
fh'-oÄ semikolon.
LIII, 6. Die Wedlas heissen stcearte, wie die Wale 18.8
wonfeax. Lies also hier ttonf(e)aks.
LVI, 15. 1. onmede 'sich vermesse'. Vgl. onmedla und
geanmettan im Orosius.
LVIIL3. rotve statt r6fe? Vgl. C. past. 71, 19.
LX, 14. 1. ungefuUodra, gen. plur.
LXXIV, 5. L ferÖ cwicu; vgl. feorh etcico 11. G und 14.3:
endlich Crist 1320 ford - ■ ferö.
LEIDEN. 12. juli 1897. P. J. OOSIJN.
•
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DIE DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMM-
SILBEN VOCALK IN DEN VOLKSMUNDARTEN
DES HOCHDEUTSCHEN SPRACHGEBIETS AUF
GRUND DER VORHANDENEN DIALEKT-
LITERATUR.
Einleitung.
Die Untersuchungen über die frage nach der entstehung
und den grundlagen der nhd. Schriftsprache erstrecken sich
natürlicher weise auch auf die in ihr geltenden quantitäts-
verhältnisse der stammsilbenvocale. Eine der wichtigsten
hierher gehörigen fragen ist nun die, festzustellen, auf welcher
mundart oder welchen mundarten die quantitäten des nhd.
beruhen. Ausser der grundlegenden arbeit Pauls, Vocaldehnung
und vocalkürzung 9, 101 ff. befasst sich K. v. Bahder mit dem
einen teile dieser frage: der erhaltung der vocalkürzen in
seinen Grundlagen des nhd. lautsystems, Strassburg 1890, 85 ff.
Die frage ist aber erst dann vollständig zu lösen, wenn wir
uns über die quantitätsverhältnisse der hochdeutschen dialekte
ausreichend zu unterrichten vermögen. Bis jetzt hat es jedoch
an einer zusammenfassenden darstellung gefehlt; nur für ein-
zelne grössere gebiete haben wir die notwendigen nachweise,
am vollständigsten für das schwäbische in H. Fischers Geo-
graphie der schwäb. ma., Tübingen 1895. Einige zusammen-
fassende bemerkungen gibt Behaghel in seiner Gesch. d. d. spr.
§22 (Pauls Grundr. 1,558).
Meine arbeit will nun versuchen, das material in dieser
hinsieht aus der vorliegenden dialektliteratur zu sammeln, und
zwar soll ausschliesslich festgestellt werden, in welchem um-
fange die mhd. kurzen stammsilbenvocale in den einzelnen
dialekten gedehnt worden sind. Dies unternehmen scheint auf
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132
HITZKRT
den ersten blick nicht allzn schwierig, und wäre es auch nicht
wenn unsere dialektliteratur in dieser beziehung ausgiebiger
wäre. Jedoch lassen uns die meisten dialektarbeiten hier im
stiche; nur wenige, darunter einige schweizerische, geben in
zusammenfassenden gesetzen vollständigen aufschluss. Dazu
kommt, dass erst die neueren, nach Pauls aufsatz erschienenen
arbeiten mehr unser thema berücksichtigen; aber auch von
diesen stellen nur wenige die dehnungserscheinungen zusammen-
hängend dar (vgl. die recensionen im Lit-bL, im Anz. fda. etc.).
So ist mir nichts anderes übrig geblieben, als zunächst selbst
die dehnungsgcsetze für die untermundarten — soweit sie lite-
rarisch behandelt sind — zu construieren. Zieht man aber
einerseits die mangelhafte phonetische Schreibweise, besonders
älterer erscheinungen , und andererseits die vielfach spärliche
und gleichgiltige auswahl der beispiele in betracht, so ist gewis
ersichtlich, dass das vordringen zu einigermassen reinlichen
resultaten nicht immer einfach war. Ich kann indessen die
Versicherung geben, dass ich alles was sich mir auch hinsicht-
lich meines themas geboten hat, gewissenhaft geprüft habe.
Manches, z. t. solches das ich erst auf umwegen erhalten hatte,
musste ich ohne gewinn wider aus der band legen; für man-
chen dialekt wäre es mir lieber gewesen, wenn die quellen
reichlicher geflossen wären.
Wie sich aus den unten mitgeteilten quellen ergibt, habe
ich auch dialekt Wörterbücher und -dichtungen benützt, aller-
dings nur solche, deren Schreibweise zweifellosen aufschluss
geben konnte. Die zahl dieser ist freilich nicht gross: einige
haben mir aber gute dienste getan. Manchmal habe ich zu
Firmenichs Germaniens Völkerstimmen gegriffen, und zwar
besonders dann, wenn ich über den einen oder anderen punkt
einer dialektarbeit zweifei hegen musste. Grossen nutzen
haben mir F. Wredes berichte über G. Wenkers Sprachatlas
im Anz. fda. 18 ff. gewährt ; ich habe sie treulich benützt, nament-
lich zur bestimmung der geographischen ausbreitung mancher
einzelheiten.
Was speciell das rheinfränkische betrifft, so habe ich auch
meine eigenen Sammlungen, die sich auf mehrere orte beziehen,
verwertet; anders hätte ich manche erscheinung dieses dialekts
nicht genügend erörtern können (ich verweise auf die erhaltung
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMM8ILBENV0CALE. 133
der kürze vor t, die dehnung vor r, n + dental), zumal ausser
einer abhandlung über eine rheinfr.-ostfr. misch mundart nicht
eine einzige der hierher gehörigen, übrigens wenigen litera-
rischen erscheinungen die gesetze über vocaldehnung zusammen-
hängend behandelt. Letzteres gilt auch vom mittelfränkischen,
die arbeit von Baldes über die Birkenfelder ma. abgerechnet;
doch sind hier die arbeiten an zahl reicher.
Bei der grossen Verschiedenheit unserer dialektliteratur
an innerem werte konnte es nicht ausbleiben, dass mir viele
Unrichtigkeiten und schiefe aufstellungen begegnet sind: wollte
ich jede derselben beleuchten und richtig stellen, so würde
meine arbeit zu sehr in die breite geraten. Ich beschränke
mich deshalb lediglich darauf, die tatsachen zusammenzustellen.
Nur an wenigen stellen weiche ich hiervon ab. namentlich
dann, wenn es neuere arbeiten betrifft.
Wo ich dazu in den stand gesetzt bin. gebe ich für meine
aufstellungen die Seiten- (manchmal auch, und das ist danu
besonders bemerkt, die £-) zahl meiner quellen. Oft. sehr oft.
ist dies unmöglich: wo mir die literatur nur beispiele bot, aus
denen ich die gesetze zu abstrahieren hatte, musste ich von
diesem verfahren abstehen.
Für die gruppierung des Stoffes benütze ich die übliche
teilung nach den hauptdialekten des hochd. Sprachgebiets: hin-
sichtlich des thüringischen bin ich L. Hertel, des ost fränkischen,
obersächsischen und schlesischen C. Franke gefolgt. Die ergeb-
nisse rechtfertigen dies verfahren. Ks zeigt sich nämlich, dass,
wenn auch für das ganze hochd. Sprachgebiet mit ausnähme
des hochalemannischen das gesetz der dehnung der mhd. vocal-
kürzen vor einfacher consonanz giltigkeit hat, bestimmte aus-
nahmen vorkommen, deren ausbreitung mit der gewöhnlichen
dialektbegrenzung zusammenfällt: ebenso ist ein zweite*
dehnungsgesetz. die vocallängung in ursprünglich einsilbigen
Wörtern, auf ganz bestimmte dialekte beschränkt: fernerzeigt
die aller orten vorkommende dehnung in folge consonantischer
einwirkung ganz bestimmte dialektische färbungen. Auch dann
wenn ich eine dehnungserscheinung nach der anderen als ganzes
zur darstellung bringen wollte, bliebe mir nichts anderes übrig,
als von dialekt zu dialekt zu wandern, um die besonderen
charakterist ica zu zeichnen. Manche erseheimmg spottet freilich
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134
RITZERT
der dialektischen begreuzung: dies betrifft aber nur dinge ge-
ringeren umfangs, einzelheiten. Freilich ist zu beachten, dass
die dehnung der mhd. kürzen eine verhältnismässig junge er-
scheinung ist und es deshalb nicht ausbleiben kann, dass, ;da
die ursprünglichen Stammesgrenzen in den wenigsten fällen
Verkehrsgrenzen geblieben sind', an den grenzen benachbarter
dialekte ein beständiger kämpf der vocalqnantitäten herscht
und die Vorposten des einen in die bezirke des andern dringen.
C. Franke besonders weist in Bayerns maa. 1, 20 auf die tat-
sache hin, 'dass es übergangsmaa. gibt, die sich in annähernd
ebenso vielen punkten zu dem einen wie zu dem anderen
hauptdialekte stellen'.
Dass die stadtmaa. wie in anderen dingen so auch in der
behandlung der vocalquantität eine ausnähme von der reinen
ma. machen, bedarf nur des hinweisen
Ueberblicke ich das ganze mir zu geböte stehende material.
so kann ich mich selbstredend der erkenntnis nicht verschliefen,
dass es von allen Seiten her ergänzt und bereichert werden
kann. Das ist bei allen diesen arbeiten der fall. Jedoch
glaube ich, dass die ergebnisse im wesentlichen dieselben
bleiben werden. Dass manche einzelheiten auf grund völlig
ausreichenden materials genauer bestimmt werden können,
liegt auf der band. Dieses kanu aber erst dann geschehen,
wenn die dialektarbeiten mehr als bisher ihr augenmerk auch
auf den quantitativen lautwandel und nicht — wie bis jetzt
so häufig — ausschliesslich oder doch fast ausschliesslich auf
die qualitativen laut Verhältnisse richten und wenn ferner beide
reinlich getrennt behandelt werden, wie es in unseren besseren
dialektarbeiten geschehen ist.
Gerade auch in dieser beziehung dürfte es an der zeit
gewesen sein, dass die vorliegende arbeit gemacht wurde. Sie
könnte vielleicht manche Verfasser von dialektgrammatiken
veranlassen, diesem gebiete mehr aufmerksamkeit zu widmen,
sei es zur berichtigung oder ergänzung des hier gebotenen.
Dies ist auch deshalb notwendig, weil die quantitäten in
den dialekten mehr und mehr dem schriftsprachlichen gebrauche
zu weichen beginnen. Diese erscheinung wird häufig con-
statiert. Anstatt vieler citiere ich Wolff, der in seinem Con-
sonantismus s. 77 sagt: -aus hundert canälen dringen sprach-
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 135
einflüsse in mancher gestalt auf unsere maa. ein und langsam
bröckelt ein Stückchen von dem uralten bau nach dem andern
ab Grosser erfolge haben sich natürlich die für das nhd.
arbeitenden kräfte zu rühmen und ihre eroberungen wachsen
von jähr zu jähr. Seine besten bundesgenossen hat das hoch-
deutsche von heute am katheder, an kanzel und presse.' Nament-
lich wird durch die gründlichere allgemeine Schulbildung der
phonetische sinn für kürze und länge der vocale gestört; dazu
kommen die autorität der städte, die gesteigerte industrie, der
regere handel und verkehr, der bedeutende einiluss unseres
militärs. Auch H. Fischer erkennt in seiner Geogr. d. schwäb.
ma. § 7 den einfluss der Schriftsprache an, will ihn aber
nicht in principiellen dingen gelten lassen; er sei nur auf den
Wortschatz beschränkt. Ich muss aber bekennen — und dies
wird von vielen forschern bestätigt — , dass hinsichtlich der
vocalquantität die schriftsprachliche beeinflussung doch weiter
geht. Häufig finde ich angegeben, dass das jüngere geschlecht
die mundartliche quantität nicht beachtet (beispiele unten).
Auch aus der ma. meiner heimat (Bischofsheim an der Main-
mündung) kann ich beispiele hierzu anführen und zwar aus
den letzten beiden decennien. So lächelt dort jetzt das heran-
wachsende geschlecht über die vocallänge in den Worten fettig
und satt, und doch war sie vor zwanzig jähren noch allgemein
gebräuchlich. — Am ehesten gleicht sich die quantität in der
halbma., 'dem compromiss zwischen Schriftsprache und ma.', aus,
und von da rückt die ausgleichung in die ma. selbst, - Wenn
es so häufig scheint, als ob eine ma. eine regel nicht eonsequent
durchführe, so haben wir öfters die autorität der Schriftsprache
als veranlassung anzusehen, die löcher in die einheitlichen ge-
setze reisst.
An wenigen platzen ist unter bestimmten Verhältnissen
die mhd. kürze erst bis zur halblänge gedehnt; ich bemerke
dies unten besonders.
In den allermeisten fällen sind in meinen quellen diphthonge
und lange vocale gleichgesetzt; vereinzelt kommen diphthonge
vor, deren quantität der von kurzen vocalen entspricht. Zur
Charakterisierung setze ich über dieselben das kürzezeichen - ,
das sonst nur vereinzelt anwendung findet, da die kürze durch
unbezeiehnetc vocale gekennzeichnet ist. Im übrigen bin ich bei
der ani ührung von belegen der Schreibweise meiner quellen gefolgt.
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136
RITZERT
I. teil.
Die dehnungaeracheinungen in den einzelnen dialekten.
1. Hochalemannisch.
Quellen: A. Birlinger, Die alemannische spräche rechte des Rhein»
seit dem 13. jh. Berlin 1868. — H. Blattner, Ueber die maa. de* cantons
Aargau. Vocalismus der Schinznacherma. Leipzig, diss. 1890. — H.Fischer,
Geographie der schwäb. ma. Tübingen 1S95. — Chr. Hanser, Die ;t Um ma-
nische ma. in GaltUr (im Paznaunthal , einem seitenthale des oberen Inn)
in: Rechterheinisches Alamannien etc. von A. Birlinger 1890 (Forschungen
zur deutschen landes- und Volkskunde 4. 369 ff.)*> — J- Hunziker, Aar-
gauer wb. in der lautform der Leerauer ma. Aarau 1877 (mit einleitung,
die in einen phonetischen und etymologischen teil zerfällt). — J. Meyer.
Da« gedehnte a in nordostalemannischen maa., Schweiz. Schulzeitung 1872.
no. 18 u. 19: in no. 44— 47 das gedehnte q. — .1. Meyer, Das gedehnte e
in nordostalem. maa., Frommanns maa. 7,177. — V. Perathoner, Ueber
den vocalismus einiger maa. Vorarlbergs. Feldkircher programm 1S83. —
P.Schild, Brienzer ma. 1. teil: die allgem. lautgesetze u. vocalismus.
Uöttinger diss. 1891 : 2. teil : consonantnmius, Beitr. 18. 301 ff. — Schweizer-
Sidler, Kecension von Weinböhla Grammatik, Zs. f. vgl. sprach!. 1 3, 373 ff.
— F. J. Stalder, D. landessprachen d. Schweiz. Aarau 1819. — Fr. Staub.
Ein schweizerisch-alemannisches lantgesetz, Frommauns ma. 7, 18 ff. 191 ff.
393 ff. — Fr. Staub n. L. Tob ler, Schweizerisches idiotikon. Sbde. Frauen-
feld 1881. 60. 92. — H. Stickelberger (1), Lautlehre der lebenden ma.
der Stadt Schaffhansen. Leipziger diss. 1861. — H. Stickelberger (2),
( ousonautismus der ma. von Schaffhausen, Beitr. 14,381 ff. — K. Wein-
hold. Alemannische grammatik. Berlin 1863. J. Winteler, Die Ke-
renzer ma. des cantons Glarns. Leipzig-Heidelberg 1876.
§ l. Während im nhd. rnlid. kurzer vocal in offener silbe
gedehnt ist, gilt für das hochalem. gebiet das gesetz, dass die
vocale der Stammsilben, verglichen mit denen des mhd., keine
wesentlichen Veränderungen aufweisen: alte kürzen sind gröss-
tenteils gewahrt (Wint. 120. Stick. 2, 410. Schild l, § 11. Per.
30. 37. Hauser 370. Birl. 45. 58. 68. 73. Weinh. § 81—87. Fischer
§ 13 u. karte 1. Blattn. 66 ff.).
Dieses gesetz gilt wie vom links- so auch vom rechts-
rheinischen Alemannien. 'So rein, so echt wie unser rechtsrh.
gebiet diese quantitätische messung einhält, findet man sie selbst
linksrheinisch nicht'. Birl. 45.
') Die altgaltürer ma. wird jetzt nur noch von einigen hochbetagten
leuten gesprochen, während vor fünfzig jähren noch allgemein alemannisch
gesprochen wurde.
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSHiBENVOCALE. 137
Die grenze im N und NO für diesen 'rest mittelalterlicher
quantität' (wie Rapp bei Frommann 2. 477 sagt) hat Fischer
in karte 1 seines Sprachatlas gegeben. Der nördlichste punkt
für sägen, lügen, igel, ofen, htisen, hösen ist Epfingen am oberen
Neckar; von hier bildet die nordwest grenze eine nach SW
ziehende linie. welche die Donauquelle gerade noch freilässt.
Die nordostgrenze verläuft von Epfingen in südöstlicher rich-
tung, die Donau unterhalb Fridingen und den Schüssen ober-
halb Ravensburg überschreitend, bis auf das linke ufer des
Schüssen; hier wendet sich die grenzlinie dann nach S und
bildet somit den abschluss gegen 0. Bei allen sechs Wörtern
läuft die grenze 'im selben sinne, aber mit grösseren und
kleineren ab weichungen im einzelnen'. So hat Ravensburg
länge in sagen und legen; für letzteres wort zieht die grenze
vom Schüssen unterhalb Ravensburg weiter nach 0 bis nahe
an die Hier und wendet sich dann erst südwärts, doch so. dass
Iiier- und Lechquellen noch eingeschlossen werden. Weiter
nördlich verläuft die grenze für zrhn; s. u. § 23.
§ 2. Fast allgemein aber, in Brienz nur selten, ist in der
alem. ma, dehnung des a in offener silbe vor r eingetreten:
färc, bewäre. Nur der canton Ularus hat kürze (Schweiz, id.
1.888. Wint. 77. Birl.47. Fischer 21. Schild 1,53. 2,370. Per. 8).
— Der Kerenzerbezirk im canton Glarus hat aber einige mal
auch länge; so steht neben fune er-fane; gedehnt ist in K.
der vocal ausserdem noch in xfa te zu ahd. karon, bcri got. bust,
<iri 'ähre' und s<Pne 'lärmen'.
Meistens, im canton Glarus jedoch nicht und in Brienz
nur vereinzelt, sind auch die übrigen vocale vor r gedehnt
(Wint. 78 [fürToggenburg]. Hunz. cvi. Schild 1, 50. 60. 68. 2.370.
Per. 16.27. Stick. § 13. Birl. 73. Wreinh. §33. 38. 40. 48). Diese
fassung schliesst es schon in sich, dass überall ausnahmen vor-
kommen.
Wo die laut Verbindungen /• + cons. svarabhakti vocal ent-
wickelt haben, tritt ebenfalls dehnung ein. da ja der vorvocal
in offene silbe zu stehen kommt. Auch Kerenzen hat, obwol
es eine ausnähme von unserer ei*seheinung macht, in einigen
solchen fällen dehnung. wie <hrm (dazu comp, ennvr) und einige
andere: aber tarem *darm\ sturem etc. Vielfach ist sogar vor
altem inlautendem rr, das in der ma. vereinfacht wird, ver-
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K1TZERT
längerung des vorprellenden vocals eingetreten (vgl. Wint. 79.
Stick. 2, 388 anm. Hunz.cvi. Blattn.68. Per. 16. 21).
§ 3. Eine ausnähme von obigem gesetze (§ 1) macht die
Fricktaler ma. (das Fricktal ist der nordwestliche teil des
cantons Aargau); hier sind die vocale gedehnt, die in den
übrigen Aargauer maa. als kürzen erhalten sind (Blattn. 30:
b<Y(lf, wdrse i wesen', rö"gel < rogel. Nach Blattn. 38 wird im
Fr. langer vocal in starker silbe fast immer — wenn mit
emphatischem accent belastet stets — mit zweigipfeliger ex-
spiration gesprochen (zeichen ' ). — P'erner neigt die Züricher
ma. zur dehnung; s. Schweiz. - Sidler 374. 375. 378. 379: grabe,
labe, nere, zerc etc., aber äbc, rät er, ehegel, i glbe, tölc < doln etc.
Schaffhausen dehnt den vocal in offener silbe vielfach vor
liquiden und nasalen: s. Stick. 2, § 13. 14 smeUr comp., brems
< bre'me, spilor plur. v. spil, fand < ranc; aber verb. spild, nanu
'name*. woiw •wohnen' etc. — Die wenigen fälle wo in Brienz
vor inlautender lenis dehnung eingetreten ist, lassen sich auf
analogiewirkungen oder nhd. einfluss zurückführen; s. Schild
1, § 111 und 2,377.
Zahlreicher sind die Verlängerungen in zweisilbigen Wör-
tern in Leerau (canton Aargau). Hier wird ausser vor in-
lautendem r die alte kürze gedehnt vor n, jedoch nicht immer:
Hunz. xcv, vor / ausnahmsweise, xeix, und vor m nur in zwei
fällen, lxxiii: brämi < brem und rdme < rem. Letzteres ge-
hört also eigentlich nicht hierher, da es sich um ursprünglich
auslautendes m handelt (s. u.). Weiter haben in L. eine anzalü
nomina und verba mit inlautendem g, d, b und auch vereinzelt
mit länge eines vorhergehenden a und r, nur ganz selten
eines andern vocals: säge ' sagen", mager (auch mit kurzem a),
lese 'lesen', wage < wegen, rebe < rebe. näse, globe < geloben;
in den flexionsformen auf st und / der verba grabe, lade, zage
etc. erscheint der vocal wider kurz; s. Hunz. xxiv ff.
In (Taltür ist in offener silbe mhd. e öfter gedehnt: fäder<*
< vettere, Idsd < lesen etc. Von den Vorarlberger maa., 'in
denen der hochton die alte kürze nur in beschränktem masse
zu verdrängen vermochte', nimmt der Bregenzer wald und
besonders der Innerwald desselben eine Sonderstellung ein. da
er die unechten längen in bedeutendem umfange begünstigt:
s. Per. 30: Idda < luden, haha < V'ben (regelmässig ist e ver-
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMM8I LBEN VOC ALE. 139
treten durch ea), hbso < hose, kügol 'kugel', stübo 'stube' etc.;
aber kurz bleiben legen, segen 'sagen' (sega im Bregenzer wald),
zella < zeljan, gegen, kegel u. a.
Anm. Die dehnnng des mhd. /* erstreckt sich hier noch Uber den
umfang der dehnung im schriftdentschen : schtrod * schritt schleoz 'schlitz',
breoeht 'bricht', fisch, yenehier, ren'era; ebenso rol, rbs 'ros*'; bus 'besser*.
Das Walserthal duldet wie der Innerwald kurzes a im
allgemeinen fast nur da wo es auch nhd. erhalten ist. Mon-
tavon dehnt a in offener silbe ausser vor r auch vqr l: zäla,
tcdla, aber nicht immer; dasselbe gilt für den Walgau. nur
dass hier auch e regelmässig ea wird: seagas < segense, auch
vor eh: leacha < lecken: 'ausnahmen wie epper < et wer stehen
ganz vereinzelt da.' Im Walgau und Montavon wird 'dann
und wann, hier und da, auch in anderen Wörtern mit a länge
gehört' (s. Per. 12, anm. 4).
§ 4. Für alle die schweizerischen dialekte welche voeal-
kürze im inlaut bewahrt haben, gilt das gesetz, dass in ein-
silbigen Substantiven und adjectiven mit stammauslautender
nasaler und liquider lenis der vocal gedehnt wird (Wint. 68 (2)
und 76. Blattn. 66. Hunz. xxiv. lxxiii. Stick. 2, 410. Birl. 47.
Per. 10, 11 ff.; s. auch Heusler, Konsonantismus von Baselstadt
s. 14). Ks ist hierbei gleichgültig, ob die lenis ursprünglich
auslautete oder erst durch abstossung eines vocals auslautend
geworden ist (Wint. 82. Hunz. lxxiii). Der gedehnte vocal
behält seine quantität in der flexion und in den ableitungen.
Blattn. hol 'hohl', holi f.; begdr < bvger, bigrirc; sbU, aber
sbiler, sbtle; Wint. fil, aber filixt; law 'lahm', lemi (in Leerau
aber der comp, lemer); täl, aber pL fefer.,
Anstatt der Verlängerung des vocals tritt in einigen Wör-
tern Verdoppelung der liquida ein; in Kerenzen xell n. 'kehl-
stück'; in Toggenburg auch fill 'viel', tromm < ahd. drum "end-
stück des fadens', daneben trömli dim., tili neben til m. < ahd.
dilo; Wint, 69. In T. haben ferner die betonten dative imm,
icemm, demm = ihm, wem, dem, kurzen vocal (Wint. 70; vgl.
hierzu Heusler, Beiträge zum consonantismus s. 13).
Wenn auch eine fast durchgehende regelmässigkeit in
bezug auf das bestehenbleiben der vocallänge in der flexion
herscht, so stösst man in der ableitung und Zusammensetzung
doch oft auf wort formen die der regel widersprechen. Nament-
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140
RITZE RT
lieh hat sich in Zusammensetzungen, deren bestandteile nicht
mehr klar erkannt werden, die alte kürze erhalten, wo sie
dem einfachen werte abhanden gekommen ist: Sctr-wb^br —
aber sär 'schar', mm — aber mmr. In dieser beziehung ent-
scheidet alter und herkunft: vgl. Wint. 68: was ans der zeit
vor der dehnung stammt oder mit anlehnung an erhaltene
kürzen gebildet ist. hat die kürze bewahrt; was von bereits
gedehnten formen gebildet ist, zeigt die dehnung; ebenso Blattn.
68 und 69. der darauf hinweist, dass analogiebildungen und
aeeent Verhältnisse — auch tonische: es kommt darauf an, ob
ein wort im satzanfang oder aber im satzausgang zu stehen
pflegt in jedem einzelnen falle den ausschlag geben. Für
die Schinznacher ma. kommt zudem der einfluss der zur deh-
nung neigenden Fricktaler ma. in betracht.
In Brienz ist vor auslautender sonorlenis hauptsächlich
nur a gelängt, doch nicht durchgängig: dehnung des c findet
sich sehr selten (Schild 1,85). l'ebrigens tritt diese dehnung:
fast nur vor auslautendem /• ein (Schild 2, 867. 870); wenn sich
ganz vereinzelte fälle vor / und n finden, so beruhen diese
auf nhd. einflusse (Schild 2. 866. 876). Kinzelne ausnahmen
kommen überhaupt an jedem orte vor.
In der (Taltürer ma. tritt die dehnung in einsilbigen Wol -
tern besonders dann ein, wenn der stamm auf r oder l schliesst.
Auf verbalformen hat das gesetz der dehnung vor aus-
lautender einfacher liquider oder nasaler lenis keine anwendung
(Wint. 60. Hunz. lxxiii. xcvi. r. Stick. 2, 412. 418. Blattn. 66).
Da in Leerau nach Hunz. cvn auslautendes r in betonter
silbe aber 'ausnahmslos' dehnung der vorangegangenen kürze
bewirkt, so also auch in diesen formen.
§ 5. Aus der neigung der alem. ma.. den vocal vor aus-
lautender lenis zu dehnen, erklärt es sich, dass in einer nicht
grossen anzahl von Wörtern auch alte liquide und nasale fortis
wie lenis behandelt wird: s. auch § 2 am schluss. Diese eigen-
heit überträgt sich ebenfalls auf den inlaut, doch nicht immer:
Wint. 70. 76 fdl - fall'. fH, pl. frier: Mm, pl.sVrfvwp; mä 'mann*,
aber pl. mannt?; st in 'Poggenburg, aber sinn in Kerenzen (vgl.
femer Stick. 2, 385, 886. Blattn. 67. 68. Hunz. xcv. c. CVU. BW.
47. 59. Schild 2. 866. 870. 871). — Am seltensten wird der vocal
vor altem mm gelängt: mit der dehnung vor nn ist schwund
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DEHNUNG DER Mlll). KUKZKN 8TAMMSILUENVOCALE.
141
desselben verbunden, ebenso wie vor einfachem h; die kürze
bleibt, wenn nn bleibt. — Dass vor inlautender liquider und
nasaler fortis, parallel zu rr, Verlängerung eintritt, kommt auch
vor, jedoch sehr selten; vgl. Hunz. xcix lale •lallen', xcv päne
bannen'. Im rechtsrheinischen Alemannien werden die alten
7 (//) in den schw. verben scharf gesprochen, so dass e alte
üirze zeigt: schella 'schälen' (Birl. 52).
S 6, Auch Wörter auf andere (als liquide und nasale)
infache lenis dehnen in einsilbigen formen den stammvocal.
m gegensatze zu § 4 zeigen sie die kürze meist in den mehr-
ilbigen flexionsformen, ferner in enger Verbindung mit anderen
örtern. sei es in Zusammensetzungen oder stereotypen wen-
ungen. Die dazu gehörigen ableitungen haben teils kurzen,
ils langen vocal. Beispiele: (pab plgreber; smid pl. stnid);
'dff 'klage', aber verb. xlag* (in Schinznach mit langem a)
id xXtger m.; glas pl. gkser, dim. glesli\ höf, dim. höfli (in
Denzen mit langem vocale) etc.
Für die Brienzer ma. gilt, was Schild 1, 85 sagt: 'die ma.
hört zu der kleinen Sprachsippe, welche den vocal vor aus-
itstellung der geräuschlenis nicht gedehnt hat.
In Kerenzen haben mehrere Wörter auch in der flexion
lehnten vocal (\Yint. 82). In Leerau tritt nach Hunz. xxiv
in dehnung im einsilbigen worte ein. wenn es am ende des
zes steht oder doch den hauptaccent im satze hat; die kürze
cheint 'häufig' wider beim antritt weiterer silben durch
ammensetzung, ableitung oder flexion, ja schon das 8 im
itive. — In Schaffliausen finden wir diese erscheinung vor-
sweise in Wörtern mit a und e, seltener in solchen mit
ei-en vocalen und zwar durchgängig nur in pausastellung
Wortes, während im Satzzusammenhänge und in zusammen-
lingen die ui*sprüngliche quantität erscheint (Stick. 2, 414
16). — In der Schinznacher ma. erleidet unser gesetz vor
osiver lenis nur sehr wenige ausnahmen, dagegen ist vor
in t ischer lenis die dehnung nur in wenigen Wört ern ein-
eten: höv 'hof etc. (Blattn. 67. 68).
Im AValgau und besonders in Montavon begegnet ebenfalls
e in einsilbigen Wörtern, wenngleich nicht allgemein, da-
n wider die kürze in den fällen wie oben (Per. 10 f.). Für
rechtsrhein. Alemannien stellt Birl. 45. 52. 58. 68. 74 das
142
KITZ K KT
gesetz auf, dass sich in einsilbigen Wörtern nur selten 'spuren-
weise' die kürze erhalten hat ; vgl. auch Wrede, Anz.fda. 22.324:
einige orte am nordwestrande des Bodensees haben kürze in
ho f. Ebenso ist nach Fischer s. 19 die formel - gegen » — * : i sag
aber sägd für jene gegend gesichert. Wenn Fischer s. 19, anm. 1
sagt, dass öfters auch sag, käs 'hase' angegeben sei und femer
hinzusetzt: 'wie weit das richtig ist, kann ich nicht consta-
tieren', so finden wir die erklärung bei Stick. 2, 414 — 416 (s. o.).
Schliesslich sei noch bemerkt, dass Stammheim im canton
Zürich bei den hierher fallenden Wörtern durchweg auch in
der einsilbigen form die alte kürze bewahrt (Wint. 82).
§ 7. Bis jetzt haben wir den einfluss auslautender lenis
auf den vorvocal verfolgt, der für die hochalem. maa. klar vor
äugen liegt. Durch ihn werden moderne dehnungen geschaffen,
die wir als ausnahmen von dem hauptgesetze zu fassen haben,
dass die organischen quantitätsverhältnisse dort noch die des
ahd. und mhd. sind. W eiterhin wirken aber auch gewisse
consonantengruppen, in erster linie liquid- und nasalverbin-
dungen, verlängernd auf den vorhergehenden vocal ein.
§ 8. Wir wenden uns zunächst zu den r - Verbindungen,
deren dehnender eigenschaft wir im ganzen gebiete begegnen,
freilich nicht überall im gleichen umfange. In der Schinz-
nacher ma. ist die dehnung vor r -f consonanz 'fast immer'
eingetreten; s. Blattn. (58, der auch die nicht zahlreichen aus-
nahmen verzeichnet, an denen alle vocale und fast alle » -Ver-
bindungen beteiligt sind.
Hunz. cvi und cvn unterscheidet, ob die r- Verbindung in-
oder auslautend ist, obwol für beide fälle die regel gilt, dass
der vorvocal häufig gedehnt wird, fast ebenso häufig aber
nicht. Im einzelnen gilt für Leerau folgendes: vor in- wie
auslautendem rch erscheint nur die kürze mit ausnähme von
iverch < w'erc; vor inlautendem rtsch, rst, rpf, rdl, rdn und rbl
erscheinen nur lange, vor rsch und rf nur kurze vocale; vor
anderen r- Verbindungen schwankt die quantität: vor auslauten-
dem ry, rst, rz, rsch (scJi = scharfes sch), rd, rs, rpf gilt nur
länge, vor rn unterbleibt die dehnung mehrfach, ebenso in
herpst, und schwankend ist die quantität vor rt, rb, rm, rf,
rgy, rsch. Wo in folge der flexion, ableitung oder Zusammen-
setzung die auf r -f cons. auslautende silbe aufhört die letzte
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DEHNUNG DEtt MH1>. KURZEN STAMMSILBEN VOC ALE. 143
zu sein, auch in alten formelhaften redensarten. erscheint häufig
wider die alte kürze: herd, aber herdöpfel, zart, aber gerter,
schwärz (auch kurz), aber schwerzer.
In der Brienzer ma. werden mit einziger ausnähme von
maryän — mane o und ö durchweg gelängt (besonderes cha-
rakteristicum der ma.); a, dessen umlaut ä, sowie e sind ge-
dehnt worden, doch nicht durchgängig; u und i erfahren
dagegen vor r- Verbindungen niemals dehnung (Schild 1, 85.
2, 371 ff.). Nicht ist aber gedehnt der vocal vor rw (Schild 2, 373).
In Kerenzen veranlasst r + cons. •häufig' dehnung des
voraufgehenden kurzen vocals und in 'Poggenburg noch häufiger;
so bietet T. vor rm und m durchaus dehnung; vgl. Wint. 79:
•dabei gehören die betreffenden dehnungen in T. zu der kate-
gorie derjenigen langvocale, die eben den ersten schritt über
die kürze hinaus zur dehnung getan haben und nicht immer
leicht von dieser zu unterscheiden sind.' • Manche einzelfälle ',
sagt Wint. 80, 'welche aber wider nicht zu andern stimmen,
legen die Vermutung nahe, dass die erhalt ung der kürze in
den betr. fällen durch einen frühern hilfsvocal zwischen dem /
und dem ihm folgenden consonanten bedingt gewesen sei' (s.o.
§ 2). Wint. führt s. 81 auch einige fälle an, wo r vor cons.
geschwunden ist; von diesen hat nur f&k Berkel' dehnung.
Bei der dehnung vor r + cons. kommen in Schaffhausen
nach Stick. 2, 389 ff. abweichend von den meisten andern
Schweizer maa. nur die vocale ti. e (sei dies durch umlaut oder
brechung entstanden, nicht aber <•), h (nicht aber 6) und dessen
umlaut ö in betracht. Ein striktes gesetz über diese Verlänge-
rung lässt sich nicht feststellen- doch gilt als regel, dass der
umlaut in ein und demselben worte die gleiche Quantität hat
wie sein grund vocal, abgesehen von dem umlaut c des a;
lautet a in c um, so hat das grundwort länge, das umgelautete
kürze: surft — scrpr. Dasselbe Verhältnis waltet beim ablaut
ob: tärft — törffd. Fast durchgängig werden a, h vor r -f nasal
gedehnt, während in der Verbindung om, wo die meisten
Schweizer maa. gedehnten vocal haben, kürze herscht; doch
heisst es tsom izorn\ mom neben morg9 und hrninn Ordnung'.
Auch andere consonanzen bewirken in Verbindung mit r deh-
nung von vocalen, ohne dass sich indes gemeinsame gruppen
herausfinden lassen. Stick, gibt deshalb a.a.O. 392 ff. in er-
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144 RITZBKT
mangelung fester gesetze in tabellen ein bild des Verhaltens
der vocale.
Für das rechtsrhein. Alemannien gilt das gesetz, dass a
vor r -f cons. regelmässig verlängert wird (Birl. 47. Fischer 21).
Auch andere vocale erscheinen gedehnt, aber keineswegs immer
(Birl. 52. 53. 59. 60. 69. 76). Häufig fällt r aus: hüt 'hurde\
wit 'wirf. — In den Vorarlberger maa. zeigt sich das be-
streben den vocal zu dehnen, ' freilich ohne strenge consequenz'
(Per. 8. 11. 15. 21. 27. 29. 30). In betracht kommen hier die
Verbindungen rb, rch, rf, ry, rk, rm, rn, rst, rt, rtc, rz. Am
weitesten geht auch hier der Bregenzer wald (bes. der innere),
in welchem r regelmässig schwindet (Per. 11).
Auch für die Galtürer ma. gibt Hauser beispiele mit und
ohne dehnung; das material ist aber nicht umfangreich genug,
um besondere gruppen zusammenstellen zu können.
§ 9. Nunmehr erörtere ich eine dehnungserscheinung, über
die Staub bei Frommann 7 gehandelt hat und die er s. 377 in
folgenden Worten zusammenfasse 4 im hochalem. Sprachgebiete
verschwindet der nasal (n, auch m und ») vor den Spiranten
f, s, sch, ch und ihren verwanten lauten, immerhin so, dass
die vocalisierung vor der gutturalspirans ch vorzugsweise von
den sog. burgundischen Alemannen (Bern, Freiburg, Wallis
und teilw. Bündten) gepflegt wird. Dem verschwinden des
nasals ist dehnung des vocals durch denselben vorausgegangen
und zwar werden a, ä, e, e hier zu ä, ä, e, dort zu au und ei.
Auch aus i, u, ü ersprossen in einem beschränkten geographi-
schen gebiete, in dem nordwestlichen vierteile, diphthonge;
dagegen hält die Gebirgsschweiz namentlich an altertümlicher
einfachheit fest, in einzelnen maa. sind die lautverhältnisse
complicierter. Unser lautprocess kommt nicht in activität
vor s der declination und nicht in den nebensilben; in der
composition nur dann, falls diese ihren ursprünglichen Cha-
rakter aufgibt und den schein der ableitung annimmt. Auch
übt später eingeschobener (unorganischer) nasal die geschil-
derte Wirkung auf den vorangehenden vocal nicht aus' (s. auch
Wint. 73 (2) und 123. Schild 2, 378 ff. Hunz. lii ff.). Beispiele:
häf oder häuf 'hanf', pfl&pr oder pfcistcr 'fenster', hest oder
hcist 'hengsf, trixän 'trinken'.
In der stadtma. des cantons Aargau gilt obiges gesetz
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 145
nicht (Blattn. 40). — Die Leerauer ma. verwandelt die gruppe
-tmf regelmässig in -umf: fernumft.
Für das rechtsrhein. Alemannien hat unser gesetz ebenfalls
giltigkeit, nur finden wir hier den gedehnten vocal nasaliert,
während die Schweizer maa. mit ausnähme von Simmental,
Inner-Rhoden mit einem teile des Rheintales die nasalierung
nicht kennen (vgl. Staub 366. 367. Fischer 22. BirL 48. 59. 70.
Per. 8. 9. 17.22.31. Häuser).
Durch diese nasalierung berührt sich das rechtsrheinische
Alemannien mit dem schwäbischen; es ist aber scharf geschieden
von ihm durch den umstand, dass ersteres einfache länge, letz-
teres aber mit ausnähme des NO diphthongierung hat. Cha-
rakteristisch ist, dass die grenze dieser erscheinung mit der
grenzlinie für sägen (§ 1) im selben sinne verläuft (vgl. Fischers
karten 1 und 5). Auch hier ist Epfingen am oberen Neckar
der nördlicliste paukt für die einfache alem. länge; von hier
zieht die grenze einerseits nach kürzerem rein westlichen ver-
laufe nach S\Y und andererseits nach SO. Zwischen Donau
und oberem Schüssen zeigen die einzelnen beispiele einzelne ab-
weichungen. Erwähnt sei noch, dass die grenzen für hip und
eis so zu sagen ganz zusammenfallen, abweichungen von wenigen
kilometein an einzelnen punkten abgerechnet.
Nach Fischers karte 5 können wir den abschluss unserer
dehnungserscheinung im 0 zum grossen teile feststellen; für
sls läuft die grenze bis nahe an die Iiier (südwestlich von
Kempten); hier bricht sie direct nach S ab. Für die übrigen
beispiele bildet der Lech die grenze; östlich von ihm, sein
quellgebiet bis zu dem knie abgerechnet, von welchem ab er
nach N fliesst, findet sich diese Verlängerung nicht,
Eine ausnähme macht im rechtsrhein. Alemannien a vor
n + spir.: das Rheintal mit Schaffhaiisen (s. auch Stick. 2, 402),
Vorarlberg, quellgebiet von Iiier und Lech haben hierbei nicht
'ersatzdehnung', dagegen aber der Oberlauf der Loisach, also
ein gebiet, das sich am Oberläufe des Lech, quelle ausgeschlossen,
östlich von ihm bis an die obere Isar erstreckt.
Ferner findet das gesetz in Schaffhausen keine anwendung
bei e vor n + spir.: also ßnstor, und ebenso nicht vor n +
gutturaler Spirans, da diese nach n nicht vorkommt (Stick.
2,402). Dagegen wird hier « vor n -f- flexions-.v gedehnt:
Beitrüge »ur gesohichto der deutsches spräche. XXIII. 1(J
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146
RITSERT
/äst 'kannst', was aber neubildung zur 1. sing, yä sein kann
(Staub a.a.O. 347). Nach Stick. 2. 403 hat Buch im schaff -
hauserischen Hegau dehnung vor ss: tc liste 'wünschen".
An in. Für die Vorarlberger maa. sagt Per. 11, anm. 4: *vor s ist
schwund des n gewöhnlich'; beispiele, wo es nach a schwindet: ktiii
'kannst', Wim 'danse' (= milchbutte): Hauser gibt freilich die form fanstrr
neben fßii>r (/' = nasales i). In Galtür und Vorarlberg wird * im Gegen-
sätze zu Schaff hausen aspiriert: deichn 'denken' (Per.), trhhj 'trinken"
(Hanser).
Ein teil des seegebiet es, nämlich' am Schüssen bis ober-
halb Ravensburg, und der dem Bodensee nächstliegende teil
des Ostens (aber Lindau nicht) hat gmgs oder gangs 'gans*
(Fischer karte 4. Birl. 59). In Hittisau, östlich vom Bodensee,
erscheint zinys 'zins', ebenso in Ringgen weiler; Albersfeld hat
hrunyst 'brunst* (die beiden letzteren orte liegen westlich von
Ravensburg).
Nach Schild 2, 379 findet sich der Schwund des nasals vor
gutturaler Spirans nur ganz localisiert; 'er vereinigt maa.
unter sich, die nicht nur in formeller beziehung, sondern auch
mit rücksicht auf ihre lexikalischen schätze zu einer näheren
verwantschaft sich zusammenschliessen. Es sind dies die maa.
des südlichen teils des cantons Bern, des Wallis, sowie des
Graubündnerlandes'. Im Lit,-bl. 10, 89 gibt Schild noch die
vereinzelten orte der Schweiz an, wo vor gutturaler Spirans
schwund des nasals statt hat: Davos, Schanfiggthal, hinteres
Prättigau, südlich von ( hur in Malix, rhurwalden und Parpan.
§ 10. Im anschlösse hieran betrachte ich nun einige fälle,
wo der nasal auch vor anderen consonanten als der Spirans sich
voealisiert.
Im Vorderwald des Bregenzerwaldes (Hittisau) vei*schwindet
n Vor d, t. k und m vor pf\ der vorhergehende vocal wird
diphthongiert (s. Staub 380 und das genauere bei Per. 9. 18.21):
sau'd 'sand', deika 'denken', deipfa < dampfen, da upf' dampf.
Nach i schwindet n gewöhnlich nur in nd: bl'toud 'blind*. —
Aus dem Berner Oberland (j'sieid 'klug'; Staub 381.
Im Innerwald hinter den Stieglen (Schnepfau, Au, Schon-
pernau) wird in diesen Verbindungen a zu äu gedehnt, ohne
dass der nasal schwindet : mthmtol 'manteP, daumpf (Per. 9).
Nach Fischers karte 4 schliesst die 'eisatzdehnung' vor k
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 147
im X mit Hittisau ab. Ein weiteres gebiet befindet sich in
der Baar und an der oberen Donau (Birl. 51. 70). Das nähere
hierüber s. u. § 28. Das gebiet zwischen oberem Xeckar und
der Donau von Tuttlingen abwärts hat häd 'hand' wie das
schwäbische (Fischer, karte 1).
In gewissen gegenden ist n vor tr vocalisiert und gedehnt,
so in Luzern: tbel < Inwyl; um Zurzach bäumt < bannwart ;
im canton Zürich: Heu el < honteil 'Hohenwil' (Staub 381).
§11. Dehnung vor l -f- consonant findet sich nur in be-
grenztem umfange. Am weitesten verbreitet ist die Verlänge-
rung vor / und dentalverschluss. Fischers karte 20 hat die
beispiele bald und bhält? westlich vom Bodensee bis über die
Thür und nördlich vom Rhein bis zum oberen Xeckar (s. auch
Birl. 47. Fischer 21 und anm.2, Meyer, Schw.-schulz.l42ff. 149ff.).
Wrede gibt im Anz. 10. 102 für salz an: am Bodeusee und west-
lich von ihm.
Für die Brienzer ma. (Schild 2, 366) kommt hauptsächlich
a und dessen umlaut in betracht. In Schaffhausen gilt dasselbe
(doch nur für umlaut v, nicht für c), s. Stick. 2. 387. 388: mild
und pl. wehbr. alt, aber comp, cltor; Sch. macht scharfen unter-
schied zwischen Its und fe; vor letzterem wird a (e) nicht
gedehnt.
An m. In Sch. wird a auch vor Im gedehnt: almöse.
In den Vorarlberger maa. mit ausnähme vom Walsertal,
vom Innerwald vor den Stieglen wird a vor / -f d, t, gedehnt,
im Walgau und in Montavon 'freilich ohne strenge consequenz';
im Innerwald wird a zu du: bduld, saute. Galtür dehnt auch
mhd. e vor / f- verschlusslaut: fäld < velt; nach Hauser findet
auch vor Ich dehnung statt : lafalcto, mälcho < melken. — Im
Vorderwald schwindet das / nach allen vocalen in den Verbin-
dungen Id, It, Iz, während der vocal diphthongiert wird: auf
'alt', schmeiza 'schmelzen', goud 'gold', höitele 'hölzlein' (Per.
9. 10. 21. 28). Vor l + d, z : <föld, hölz wird nach Fischers karte 1
o in einem grösseren gebiete im SO des Bodensees gedehnt;
im W berührt das gebiet nicht den Rhein, im 0 schliefst es
iiier- und Lechquelle noch ein.
Eine ähnliche erscheinung findet sich in der Westschweiz
zwischen Reuss und Jura. Dort wird nämlich / vor conso-
nanten (und im auslaut) so 'gequetscht', dass es einem w ähn-
lu*
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148 RtTZKRT
lieb wird und dadurch dem vorangehenden vocale eine halb
diphthongische beimischung verleiht (Staub 384). Die Leerauer
ma. bildet nach Hunz.cn in dieser hinsieht den Übergang
zwischen Ost- und West Schweiz.
§ 12. Nur für das rechtsrheinische Alemannien gilt die
vocalverlängerung vor cht uud chs.
Dehnung des a vor cht hat der 0 und X des Bodensees
und das gebiet zwischen Rhein und Donau (Fischers karte 1
und Birl. 47). Kurz vor dem ausflusse des Rheins aus dem
Bodensee wendet sich die grenzlinie westnordwestlich, so dass
ein breiter streifen des Rheintals keine dehnnng hat. Der
östliche teil des gebiete mit vocallänge hat -fit, und zwar bildet
eine linie, die von Tuttlingen nach S auf obige linie zieht,
die scheide; von Tuttlingen zieht die linie zur Xeckarquelle
und begleitet dann den Xeckar bis Epfingen, von wo sie nach
80 verläuft; sie überschreitet die Donau einige kilometer
unterhalb der linie für stuj.t, lässt am Schüssen nur dessen
quelle frei und umfasst den osten des Bodensees in einem
bogen. Ebenso fällt ch nach a auf dem Schwarzwald und
Heuberg aus (Birl. 118). Fast ganz mit diesem -«/-gebiete
fällt das zusammen, in welchem ch nach e und i ausfällt,
doch erstreckt sich auf dem linken Illerufer (die Iiier selbst
nicht berührend) noch ein breiterer streifen nach X bis west-
lich von Unterdettingen. Xach Birl. 120 wird alsdann e häufig
diphthongiert zu ea\ für i vor ausgefallenem ch gibt schon
Birl. die bestimmung von Schwarzwald bis Bregenzerwald
(s. 120). Das gebiet für gedehntes o mit ausfall des ch ist
räumlich begrenzter: die westgrenze fällt mit ät zusammen,
die ostgrenze bildet der Schüssen; ferner bleibt die nord- wie
südgrenze teils mehr teils weniger von der -«/-linie entfernt
(s. auch Birl. 74 und 121, wo freilich, wie oft, die genauere be-
stimmung fehlt). Verlängerung des u findet sich am oberen
Xeckar und an der Donau. Von Mühlingen (südwestlich von
Sigmaringen) verläuft die grenzlinie einerseits rein westlich
zum Schwarzwald und andererseits südöstlich zum Bodensee,
den sie in Schnetzenhausen berührt; hierauf zieht sie auf dem
rechten Schussenufer, ihn selbst nicht berührend, nach X bis
zu dessen quelle und dann zur Iiier. die sie unterhalb Tnter-
dettingen trifft. Zwei bezirke in diesem gebiete haben ausfall
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STA M MSI LBEN VOCALE. 149
des eh: der eine zwischen oberem Neckar und oberer Donau
(grenzorte: Epfingen, Tuttlingen, Irrendorf a. d. Donau), der
andere westlich von Ravensburg (grenzorte: Schnetzenhausen
im S und Königseggwald im N); s. auch Birl. 68 und 121. —
Für den Bregenzerwald bestätigt Per. 22 die vocaldehnung
nach ausfall von ch.
§ 13. Dehnung vor ursprünglichem hs ist durchaus mit
schwund der gutturalspirans verbunden. Diese erscheinung
die auch der ganze SW des schwäbischen hat (Fischer 21),
finden wir für a im 0 und N des Bodensees (Lindau aber aus-
genommen), an der oberen Donau und am oberen Neckar.
Die betr. linie wendet sich kurz vor dem ausflusse des Rheins
aus dem Bodensee west nordwestlich, so dass auch hierbei auf
dem rechten Rheinufer ein breiter streifen ohne Verlänge-
rung bleibt.
Wie weit auch andere vocale vor ausgefallener guttural-
spirans im rechtsrheinischen Alemannien gedehnt werden,
vermag ich nicht anzugeben: nach Fischers karte 20 findet
sich dort weder 6s 'ochs' noch bis 'büchse'. Birlingers angaben
s. 120 f. sind zu unbestimmt; er bezeichnet zwar össnerin 'un-
trächtige kulf als alemannisch, bezeugt aber össnen 'nach dem
stier begehren' für den mittleren Neckar, also schwäbisch (s.u.
§ 29); ausdrücklich bemerkt er aber s. 121: 'heute fus »fuchs«
nicht mehr bekannt'; ferner sagt er s. 120: 'echt alem. wiassla';
ob hier länge oder kürze gemeint ist, bleibt unbestimmt.
Für den Bregenzerwald gilt die dehnung auch für andere
vocale: büs 'büchse', dcsol < dehsel 'hacke' (Per. 22); für Galtür
sind nur belege für d angegeben.
§ 11. Ks bleibt nur noch übrig, einige einzelheiten zu
erwähnen.
Wo am ende eines Wortes der consonant abfällt, ist Ver-
längerung des vorangehenden vocals eingetreten (s. o. § 5: mä,
ü- un- etc.); besonders kommt dies häufig bei ch vor (Birl. 124.
Fischer 18. 19 und karte 1. Per. 11. 22. 28). Der osten des
Bodensees vom Schüssen bis zum Lech hat länge in dach, loch,
das gebiet westlich vom Schüssen mit ausnähme des rechten
ufers kürze. — In Leerau fällt ch nicht ab, aber trotzdem
findet sich öfter dehnung des vocals (Hunz. xxxi. xxxiv. xlii.
xl vi. iL. cxvi): gmdch n., aber (/mach adj., stich 'stich', blech
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150
KITZE KT
u.a. Auch // erscheint hier 'bisweilen' zu /'geschwächt: so
sch'if neben scluf 'schiff', gr'if neben griff u. a.; ferner Ms <
kröpfe < hupfe, bäs < £»a.?, r'/.s < r/>. Hunz. führt ausser-
dem noch das eine und andere wort mit dehnung vor doppel-
consonanz an; auch an den anderen genannten orten finden
sich solche, aber immer ganz vereinzelt. Es würde viel zu
weit führen, diese einzelfälle aufzuzählen; dass solche überall
vorkommen, sei ein für allemal gesagt.
2. Niederalemannisch-elsässisch.
Quellen: 0. Heilig, Zum vocalismus des alemannischen in der ma.
von Forbach im Murgthal, Alemannia 24. 17 ff. — K. Heimburger. Gram-
matische darstelluug derma, von Ottenheim, Beitr. 13, 21 1 ff. — Andr.
Heusler, Beitrag zum consonantismus derma, von Ballstädt. Freiburger
diss. 1 — Ed. Hoff mann. Der mundartliche vocalismus von Baselstadt.
Baseler diss. 1890. — \V. Kahl, Ma. und Schriftsprache im Elsass. Zabera
1893. — J. F. Kräuter, Untersuchungen zur Eliisst-r grammatik, Alemannia
5, 186 ff. — H.Lienhart, Die ma. des mittleren Zornthaies (Zabera bis
Brumath), Jahrbuch für gesch., spr. n. lit. Els.-Lothr. 2. 1 12 ff. 3, 23 ff. 4. 18 ff.
(Lienh. 1). — H.Lienhart, Laut- und flexionslehre der ma. des mittleren
Zornthaies, Alsat. Studien. 1. lieft. Strassburg 1891 (Lienh. 2). — W. Mankel.
Die ma. des Münsterthaies, Strassb. studien 2, 113 ff. <M. 1). — W. Mankel.
Laut- und flexionslehre der ma. des Münsterthaies. Strassburger diss. 188»;
(M. 2). - H. Menges. Volksina. und Volksschule im Elsass. (iebweiler 1893.
— Charles Schmidt, Wörterbuch der Strassburger ma. Strassburg 1896.
— J. Spieger, Zillinger sprachproben, .lahrbuch für gesch.. spr. u. lit. Els.-
Lothr. 5, 133 ff. — .1. Spieser, Mundartl. sprachproben aus den dörfem
Wiebcrsweiler etc., ebda. 8, 143 ff. - .T. Spieser, Sprichwörter in Wald-
hambacher ma., ebda. 9, 93 ff. - .1. Spieser, Münsterthiiler sprachproben.
Sprichwörter, ebda. 2, lo(i ff. 9. 144 ff. — .1. Spieser, Münsterthiiler anek-
doten, ebda. 9, 87 ff. 10, 243 ff. — Ad. Sütterlin, Laut- und flexionslehre
der strassbnrger ma. in Arnolds Pfingstmontag, Alsat. Studien 2. Strassburg
1892. — K. Weinhold. Alemannische grammatik. Berlin 1893.
§ 15. Im niederalemannisch-elsässischcn ist im allgemeinen
vocaldehnung in offener silbe eingetreten ( Heusler 87. Hoffm. SO.
Heimb. 228. Lienh. 2, 25. Mankel 2,25. Sütt. 25. Weinhold § 115.
120. 122). Die übrigen oben angeführten arbeiten bestätigen
durch ihre beispiele das gesagte.
Nach Heusler 37 hat Haselland diese dehnung gleichfalls
mitgemacht.
In Baselstadt sind dieser dehnung einzelne als interjec-
tionen gebrauchte wörtchen wie apä 'ach was!', je lebhaftes
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 151
•ja' entgangen; Heusler 37 sieht die Veranlassung hierzu in dem
stets mit diesen verbundenen energischen accent. Dagegen
erfährt der vocal in uidmo 'widmen', höfmd 1 Hoffmann ' etc.
stets dehnung, da die consonantengruppe dm, fm zur folgenden
gruppe gezogen wird.
§ IG. Scheinbare ausnahmen von unserem gesetze liegen
bei den Wörtern auf -el, -er, -em, en vor, doch herscht in dieser
hinsieht keine Übereinstimmung.
Im ganzen gebiete bleibt die kürze in den Wörtern, in
welchen n, m vor l, r, m, n stand: himl, semz 'schämen', tuirna
< name, flectiert namen. Die als /, ;\ m, n gesprochenen end-
silben konnten bei folgendem vocal in der flexion und im Satz-
zusammenhang als nicht silbenbildend erscheinen, wodurch
der stammhafte sonoreonsonant vor ihnen in silbenauslaut zu
stehen kam und die dehnung des vocals, da in geschlossener
silbe stehend, unterblieb, z. b. der him(e)l ist < him-l ist.
Hierher gehören auch die fälle wie tsjmljg, nfnUjg etc. (s.
hierzu Heusler 38. 39. Heimb. 230).
Anw. In Baselstadt wurde der sonoreonsonant zur fortis (d.i. ge-
dehnt): himm^i für das elsässische ist jede spatere mitlanterdehnnng als
unbewiesen zu betrachten' (Kräuter 194).
Während in Basel bei nicht sonorem stammauslaut diese
endungen nie (schärf ung zur fortis und) erhaltung der kürze
veranlassen, so dass es immer (mit lenis) lautet: fädt < radem,
näyl, däfaU und auch nicht tvidder, troddcl etc.. was sich ein-
fach daraus erklärt, dass, wenn jene endungen consonantisch
fungieren, die gruppen dm, gl, fl naturgemäss zur folgenden
silbe fallen und nicht silbe schliessen (Heusler 39. 46), ist in
Ottenheim auch in den meisten Wörtern auf -bei uud -bor die
dehnung nicht eingetreten (Heimb. 229. 230); ferner haben hier
von den Wörtern mit g diejenigen auf -igel : kürze be-
wahrt; ausserdem noch wydr 4 wider' und odr 'oder'.
Aus den für Forbach (nahe der rheinfr. grenze) ge-
gebenen beispielen ergibt sich, dass häufig die dehnung auch
dann unterblieben ist, wenn der stamm ausser auf ///, n auf
media oder Spirans ausgeht: dsedl 'fettel', Jogi und pl. fegl,
fedu -feder', efi> -öfeu', husj 'hosen' u.v.a.; doch gleesu 'gläser',
-greeiv» m. 'gräber', schlaagj 'schlagen', schweefl 'schwefel* u. a.
Auch diese fälle finden ihre erklärung darin, dass einmal
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KITZERT
doppelformen mit kürze und länge nebeneinander bestanden
haben, je nachdem die endungen /. r, m, n ihr vocalisches
element bewahrten oder nicht, und dass bald die eine, bald
die andere durch ausgleichung beseitigt ist (vgl. Paul. Beitr.
9,118). Hierher gehören auch folgende fälle aus Forbach:
kinik 'könig', fcvMiedig' u.a., deren kürze aus den synkopierten
formen der obliquen casus stammt.
Die elsässischen maa. zeigen unter allen diesen Verhält-
nissen in ausgedehntem masse die ursprüngliche kürze (Lienh.
2,25. Mankel 2, 25. Sütt. 25. HO. 31. Kahl 10. 11. 12. MengeslS.
Weinhold § 115. 120). Obwol diese fälle sehr zahlreich vor-
kommen, so lässt sich, die unten (§ 17. 18) zu besprechenden
ausnahmen hinzugerechnet, doch nicht mit Sütt. 25. 27 behaup-
ten, dass die mhd. qoantitätsverhältnisse im allgemeinen die-
selben geblieben und vorkommende dehnungen als ausnahmen
zu betrachten seien (s. auch Mankel 2. 25).
Auf frühzeitige vocalsynkope in suffixen und flexiomssilben
gründet sich die im ganzen gebiete vorkommende kürze in
folgenden fällen:
a) joyd, magd, voyt. übst, maysame, lebkuehen etc.;
b) in der verbalflexion und im satzsandhi: heps, -t 2. und 3.
pers. praes. zu hfiht 'halten ', k ept part. praet.: hepti 'halte dich',
heps 'halte es', neben Iwbm/ 'halt mich' und hibm 'halt ihn';
ebenso de rcts, or ret zu rkh 'reden'; i saktor 'ich sage dir',
aber / säym 'ich sage ihm' (Heusler 42); ähnliche belege in
den übrigen quellen. — In diesen fällen kann freilich auch
kürzung einer secundären länge vorliegen. — Für das Münster-
tal s. Mankel 2, 31.
§ 17. Im alem.-els. gebiete ist vor altem einfachen / die
(lehnung nicht eingetreten, da dasselbe als geminata behandelt
wird (Heusler 46. 49. Hoffm. 30. Heimb. 230. Kahl 12. Lienh.
2,28. Mankel 2, 10. 11. Sütt. 27, 30. Kräuter 190). Beispiele: bot
m.. beten, gebet, waten etc. Nach Lienh. 2, 28 heisst es in den
evangelischen orten des Zorntales paU 'beten', in den katho-
lischen pato.
In den maa. des Elsass erstreckt sich obige ausnähme
häufig auch auf Wörter mit d: freto < mde, ret m. -rüde*, wet
< wide, ret 'rede' u. s. f.: in Wiebersweiler und Waldhambach
heisst es klet 'glied', rat 'rad', in Rosteig aber klit, rät. In
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DEHNUNO DER MHD. KUKZEN STAMMSILBEN VOC ALE. 153
anderen Wörtern erscheint die regelrechte dehnung: so haben
z. b. im Zorntal die auf -ade, -aden und einige auf gen.
•ades länge des vocals: sah 'schaden'. pföt 'pfad'; ebenso in
Strassburg, Zillingen und im Münstertal.
Im niederalemannischen werden Wörter wie rfid < rat
nicht von obiger ausnahmeregel betroffen: es muss deshalb
mit Hoffm. 30 eine verschiedene ausspräche des / in mhd. rat
und trit angenommen werden.')
§ 18. a) In den elsässischen maa. und ebenso in Otten-
heim ist ferner die kürze erhalten in den meisten Wörtern auf
m und n (s. die Zusammenstellung bei Kahl 12: lamm 'lahm'
etc.; Lienh. 2. 26); doch heisst es allgemein im Elsass tsdm
•zahm' (Heimb. 230). Auch Basel hat kürze in / nimm u. a,
(Heusl. 38. 30). Für Forbach gibt Heilig wem, bin < bune
'Speicher', aber yroom 'gram', loom 'lahm' (über die zwei-
silbigen mit m und n s. oben § 16).
b) In folge energischer betonung ist bisweilen die kürze
erhalten, so in *wek 'weg' < vntvcc im ganzen gebiete; für
Basel gilt ferner yjp (nicht imp., sondern ausruf); jn troll (be-
kräftigender ausruf) steht sonstigem wol gegenüber: eine Wir-
kung des verschiedenen accents (s. hierzu Heusl. 13. 23).
c) Die genannten Wörter haben keine flectierten formen
lieben sich : in anderen hat die quantität der unflectierten form
den sieg davongetragen trotz der danebenstehenden flectierten
formen, in denen der stammvocal in offener silbe steht; so in
ril 'vieF (Elsass), yras -gras' (Münstertal, Forbach), sdnp
4stube' und grop (Elsass, Forbach, Ottenheim), hof (Elsass,
Ottenheim: im Elsass findet sich südlich des 48. breitegrades
einzelne höf, Wrede, Anz. 22, 324), sep 'sieb' (Zorntal, Strass-
biu*g) und einzelnen andeni. — Einige mal zeigt sich die kürze
selbst in den flectierten fermen; so heisst es in Ottenheim
sdutre 'stuben', yrour 'grober'.
§ 10. Ich erörtere nunmehr die dehiiungserscheinungeii,
die durch benachbarte consonanten verursacht werden.
') Bisweilen erscheinen unter den belegen für die dehnung in offener
silhe die einsilbigen nominative, in denen also der vocal in geschlossener
silbe steht und stand. Es ist natürlich daran festzuhalten, dass in diesen
fällen die ausgleichung nach den obliquen casus analog dem schriftsprach-
lichen gebrauche bereits vollzogen ist.
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154
RITZERT
Vocaldehnenden einfluss haben im niederalem.-els. zunächst
die Verbindungen /• consonant. Obenan steht Basel, wo vor
r -f consonant ausnahmslos längung eintritt (Heusl. 41. Hoffm.
.SO). — Ottenheim hat dehnung vor r + t, </, z, s, st: hgrt
'hirt \ dürst 'durst' etc. Doch kommen hier auch ausnahmen
vor, so in den isolierten formen dert 'dort', fürt -fort': ferner
in hert 'hart', swards, hwrds 'herz'. Schwankungen, wie in
kürds — kurds, ort — ort u. a. schreibt Heimb. 232 dem einflusse
der schule zu; 'es zieht die ältere generation die länge, die
jüngere die kürze vor'. Ferner erscheint in 0. länge vor rl
in Karl, <>rlo, fori, also mit svarabhaktient Wickelung und dem-
gemäss offener silbe; dagegen aber Iccerl 'kerl'; ebenso äri
'arg'. Vor den übrigen / -Verbindungen ist in 0. durchweg
kürze erhalten.
Für Forbach sind nur wenige belege angegeben: wand* \
'warten', gcuub 'garten', auch iveendik 'Werktag' (also mit
assimilation des k).
Im Zorntal ist vor rt und gelegentlich auch vor rs, rst
und zwar in Wörtern mit mhd. stammvocal a und e dehnung
eingetreten (Lienh. 2, 26). In Zusammensetzungen tritt vielfach
die alte kürze wider ein: Art 'erde', aber aper 'erdbeere*.
Sonstige vocale werden vor den betreffenden Verbindungen
nicht gedehnt: hert (< herte), hert 'hirV.
In den Zillinger (bei Pfalzburg) sprach proben finde ich
einzelne Wörter auf rtn, m mit länge; vor rt hat nur hart
•Jierde' dehnung. nicht karte 'garten', zart etc. Waldhambach
hat länge des a und e vor rt, ferner in markt, gern, Wiebers-
weiler auch in tsör 'zorn'. Strassburg hat nach Sütt. 29 und
Ch. Schmidt dehnung des a und t vor r + tt d: warte etc.;
auch ars ist angegeben.
Im grossen und ganzen haben also die Klsässer maa. a
und v vor r -f /, d prt*läng"t . aber nicht consequent, vereinzelt
auch vor rs und ganz vereinzelt vor anderen /-Verbindungen.
§ 20. a) Dehnung vor l -f ('onsonant findet sich nach
Wrede 21,275 (alte) vereinzelt im Klsass. Nach meinen quellen
ist dieselbe nur für das Münstertal (Mauke) 2, 38) und für
das Zorntal in juil < halde und hat < haldc (Lienh. 2, 37) an-
gegeben. Im Münstertal fällt in den Ortschaften Mühlbach,
Breitenbach, Metzerai und Sandernach in der Verbindung l
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 155
und ebenso m, n + verschlusslaut dieser ab und die ursprünglich
kurzen vocale werden diphthongiert. Dieser Vorgang tritt in
der regel nur dann ein. wenn l -f vei-schlusslaut im inlaut
stellen: haü < halde, weil < wilde (eine ausnähme macht fail
'feld'); päin 'bände', khimor < kumber, wüin 'wunde*.
b) Ebenfalls auf das Münstertal ist die erseheinung be-
schränkt, dass vor nasal + Spirans vocaldehnung mit Schwund
des ersteren eintritt (Mankel 2, 37. 38): rai'f *ranft', fai'stor
Fenster', wiu's 'wünsch'. — Auch die Spieserschen sprachproben
des Münstertales bieten belege für diese erseheinung: nach
denselben wird in Mühlbach der vocal vor den genannten
consonantengruppen wol gedehnt, aber meistens, namentlich a,
nicht diphthongiert
§ 21. Vor ursprünglicher liquid- und nasalgeminata ist
in folgenden fällen vocaldehnung erfolgt:
a) Vor rr ist in Basel regelmässig der vocal gelängt
(Heusl.41. Hoffm.30): nur 1 narr \ dir 'dürr'.
b) Ferner ist in Basel in ein paar vereinzelten fällen vor
auslautendem // dehnung eingetreten: fdl 'fall' (pl. fei. aber
falb): stdl 'stall', doch auch dim. stell u.a. — Ottenheim hat
ywrdl. das auch für Basel und Elsass gilt. Das Münstertal
hat Kwai 'wallen* sieden machen, Strassburg bual (frz. h
bat) und traal 'festungswall' (aber ballr 'spielball', wall 'auf-
wallen des wassers'). Für das Zorntal bezeugt Lienh. 2. 7
dehnung in all
c) Für Ottenheim rinde ich vor mm aus mhd. mb in einigen
fällen dehnung bezeugt: ymos < imbiz, ijm < imbe u. a.; in an-
deren ist kürze erhalten: dum < tump, dsijme- < zimber- etc.
(Heimb.230. $ Ol). — Für das Münstertal s. obeu § 20, a.
d) Vor auslautendem nn ist in einem teile des niederale-
mannischen dehnung eingetreten (Heusl. 15 und Wrede. Anz.
10.201: mann). Für Basel betrifft dies die Wörter mä 'mann',
aber pl, niennzr; 1c d "kann*, dazu auch 2.pers. tidss; bdn 'bann'.
Von letzterem abgesehen schwindet also nn und der vocal
(nur «?) tritt in offene silbe. V\ rede gibt a. a. o. die grenz-
linie für den abfall des nn in mann, mit welchem «in der regel
dehnung des stammvocals verbunden ist'. Die hauptorte dieser
linie sind: Hüningen, Lörrach, Schönau, Todtnau (Freiburg),
• Vöhrenbach, Triberg, Hornberg, Hausach, Freudenstadt,
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II I TZ K KT
Leonberg. Bönnigheim. Hottwar, Murrhardt. Buchen und dann
die grenze des ostfränkischen. Das gebiet im 80 dieser linie
hat vocaldehnung.
§ 22. Dehnung' vor ursprünglichem ht und Jus. a) Mit
ausnähme von Basel findet sich an allen oben angeführten
oilen dehnung vor ursprünglichem ht, aber in verschiedenem
umfang. Ottenheim hat bei allen vocalen dehnung. einzelne
fremdwörter ausgenommen wie bracJtt *praeht\ pacht, weht
(doch daneben auch weht, Heimb. 231 ). Für Forbach sind nmuht
und fjneccf 'knecht' (c =- palat. ch) gegeben.
Im Zorntal zeigt sich nach Lienh. 2, 29 vor cht dehnung
des a und e: ä/t num. card., ßx^ < cehten; neben rexti 'richten*
kommt auch reyt<> vor. — Das Münstertal kennt ausserdem
auch dehnung des u: fr tut -frucht' (Mankel2,25. 37). — Strass-
burg hat ausser a und c auch o gedehnt: doochder 'tochter';
dazu pl. deechder und dim. deechderk (Sütt. 20). - Ferner
geben die sprachproben Spiesens beispiele dieser art ; in Hirsch-
land sind die formen nät 'nacht' und Unat 'knecht' veraltet;
dort wird jetzt kürze gesprochen; in nacht hat auch Rosteig
kurzen vocal.
Was speciell die dehnung des c vor ht betrifft, so ist
hiermit zu vergleichen, was Wrede im Anz. 19, 162 unter rechte
sagt: Mm nördlichen und mittleren Elsass ist dehnung desselben
häufig'.
b) Vor ursprünglichem hs hat in manchen fällen a dehnung
erfahren, wobei die gutturalspirans geschwunden ist. Wrede
gibt im Anz. 21. 261 unter wachsen für diese erscheinung die
geographische begrenzung. Zunächst hat das gebiet, das süd-
östlich folgender linie liegt, vocaldehnung: Thengen, Löffingen,
Neustadt, (Freiburg), Klzach, Schiltach, (Wolfach), obere Murg;
ferner haben drei orte zwischen Rastatt und Seltz gedehntes a
in wachsen, dann die gegend inmitten Bischweiler, Hagenau,
Ingweiler, Zabern, Maursmünster, Wasselnheim, Molsheim,
Mutzig, Rosheim, Ob.-Ehnheim, Erst ein, Strassburg, Kehl,
Renchen, Achern, die aber alle ausserhalb des gebiets bleiben,
und endlich fünf orte westlich von Münster. 8. hierzu auch
Lienh. 2, 23 für das Zorntal und Maukel 2, 26 für das
Münstertal.
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DEHNUNG DER MHP. KÜRZEN STAMMSILBENVOCALE. 157
3. Schwäbisch.
Quelle: l'eber die dehnungserscheinungen im schwäbischen haben wir
tzt eine zusammenfassende darstellung in H.Fischers Geographie der
hwäbisehen ma. mit atlas von 28 karten. Tübingen 1695. Fischer behan-
lt mmr tliema in den § 13—17: in betracht kommen die karten 1. 4. 5.
18. 20. 23. — In erster linie fnssen Fischers resultatc auf dem materiale
n fragebogen aus gegen anderthalbtausend Ortschaften ; andererseits sind
eh die arbeiten anderer herbeigezogen, so Schindlers Maa. des könig-
kfcl Bayern. Weiuholds grammatiken, Kauftmanns Geschichte d. schwftb.
u, Bohneubergers Gesch. der schwftb. ma. im 15. jh., Bopps Vocalismus
l sehwäb. in der ma. von Münsingen, Wagners Gegen w. lautbestand des
iwäb. in der ma. von Reutlingen, und Wredes Berichte über den sprach-
as. Das gebiet ist so weit gewählt. Mass es über das, was heutzutage,
•h im weitesten sinne, schwäbisch genannt wird, nach allen Seiten hinans-
•hf; zugleich sollte für das jetzige Württemberg eine vollständige
achgeographie gegeben werden. Wir finden deshalb ausser Württemberg
d Hohenzollern) auch die angrenzenden teile Baierns, Badens, der
weiz und Vorarll>erg8 in den kreis der bet rächt ung gezogen.
Auf «liese weise hat Fischer einen grossen teil des ostfränkischeu mit
andelt, nämlich dessen ganzen SW: das hohenlohische am Kocher und
st, den Taubergrund und das ansbachische am oberlaufe der Wörnitz,
uühl und friink. Rezat und den südwestlichen teil des oberpfälzischeii
iler mittleren Altmühl; ferner das ganze nordostalemaunische (nördlich
östlich vom Bodensee): weiter vom rheinfrftnkischen die maa. an der
und am Neckar von der mündnng der Enz bis zu der von Kocher und
it; schliesslich den westlichen streifen des bairischen.
Die ergebnisse von Fischers arbeit verwerte ich bei der besprechung
einzelnen dialekte. Was das eigentlich schwäbische betrifft, so gelten
r die folgenden gesetze (ich führe sie der Vollständigkeit halber an;
inzelnen verweise ich auf den atlas).
§ 23. 'Vor einfacher consonanz ist im allgemeinen ver-
;erung eingetreten (F. § 13). Vereinzelte ausnahmen kommen
I beschränkt oder allgemeiner vor: weg 'fort' neben w(g
himl 'himmel' (im SW; vgl. Kanffmann, Gesch. d. schw.
s. 158), anderswo html; besonders vor /: bot 'böte', got 'gott'
ich göt), fahr (im NO fahr), böte 'geboten'. Bohnenberger
Aleni. 24, 28 zu dieser hauptsächlichsten ausnähme vor /
secundär entstandenes ph <b + h (dem an dieser stelle
esproclienen wünsche B.'s nach einer karte über die gebiete
kürze bez. länge vor t schliesse ich mich ganz an). Con-
mt ist die Verlängerung eingetreten, wo ein von haus aus
später einsilbiges wort zufolge abfalls consonantischeu
158
RITZ K KT
auslauts vocalisch endigt: ä 'ab', sä 'sage' (dasselbe gilt auch
bei abfall von doppelter consonaiiz).
'Wo nun innerhalb eines paradigmas ein- und mehrsilbige
form wechseln, ist gleichheit beider eingetreten: sag, säg»,
M, böto.
Fischer erklärt die entstehung der 'aus dem NO gekom-
menen' dehnung vor einfacher consonanz in den zweisilbigen
formen durch Übertragung aus den einsilbigen: in diesen sei
im ganzen gebiete zuerst Verlängerung alter kürze erfolgt
(im NO des gebiets - da näher dem Ursprung — auch vor
doppelter consonanz; s. unten § 25). Gegen diese annähme
müssen wir front machen: die dehnung ist vielmehr zuerst in
zweisilbigen Wörtern (mit obigen ausnahmen) eingetreten, in
denen der vocal in ungedeckter silbe stand, und aus diesen
ist sie auf die einsilbigen übergegangen. Es ist keineswegs
mit F. annehmbar, dass die für das alemannische giltige deh-
nung einsilbiger Wörter mit auslautender lenis und die unten
zu besprechende dehnung einsilbiger Wörter mit doppelconso-
nanz im NO des schwäbischen unter einen hut gebracht werden
können. Dort haben wir den klar vor äugen liegenden einfluss
der folgenden bestimmten einfachen consonanz, hier Verlänge-
rung vor jeglicher doppelconsonanz, zwischen beiden aber ein
breites gebiet, in dem alteinsilbiges wort vor doppelconsonanz
die kürze bewahrt, einige wenige ausnahmen abgerechnet,
Von der Wirkung eines einheitlichen gesetzes kann somit hier
absolut keine rede sein (s. hierzu Bohnen berger, Alem. 24. 29 f..
der derselben ansieht ist).
1 )ie grenze für die nordostalemannische formel - gegen > — - :
/ siuj, aber s<u/,f, ist in § 1 gegeben; weiter nach N erstreckt
sich das gebiet von tsfle 'zählen', 'so dass es sich fragen kann,
ob hier nicht die kürze aus altem zdlcn abzuleiten sei'; mir
erscheint dies als das einzig mögliche (s. auch Heusler, Con-
sonantismus etc. 39). Die grenze für tsvU geht von der oberen
Kinzig über Ostdorf in südöstlicher richtung an iSigma ringen
vorbei, hierauf in ziemlich östlicher richtung bis rnterdettiugen
an der Iiier, dann nach S bis über Memmingen, worauf sie
bald ostwärts bis zum Lech verläuft.
§ 24. a) 'Vor doppelter consonanz ist alt- oder neu-ein-
silbiges wort laug geworden, sobald der consouantische anslaut
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 159
abgefallen ist: mä 'manu', da 'dach' (aber dax, wo x erhalten
ist)' (F. § 14); ebenso bei dem südlichen pl. mä, mä < altem
pl. man. — Die Verlängerung musste in diesen fällen eintreten,
da der vocal in offene silbe zu stehen kam; principiell gehört
deshalb diese erscheinung zu dem vorhergehenden paragraphen.
Ueber das gebiet des abfalls von -nn im schwäb. s. § 21, c.
b) 'Sonst ist bei alt-einsilbiger form kürze im SW, länge
im NO des gebiets, so dass im SW das ganze paradigma
kürze, im NO gesetzmässigen Wechsel hat: SW köpf, köpf,
NO köpf, köpf auch nom. köpf, dat. köpf < köpfe? Die ein-
zelnen paradigmen haben wol abweichungen im verlaufe ihrer
grenzen, doch sind dieselben so gering, dass die einheit des
gesetzes erkannt werden kann. Die grenze läuft von N her
kommend ca. 10 — 15 kilometer östlich vom Neckar in südlicher
richtung über Jagst, Kocher. Rems und Fils bis Bissingen,
dann in südöstlicher richtung die Donau etwas oberhalb Ulm
überschreitend und auf ca. 30 kilometer der Hier entlang bis
Unterdettingen, hierauf nach 0 bis zur Wertach und dann
südöstlich über den Lech. Mit dieser linie stimmen auch 'dach'
und 'loch', nur dass im S durch ausfall des ch notwendig Ver-
längerung eingetreten ist; auch 'gold' und 'holz' stimmen,
ausser im S. — Nach F. bewahrt der dativ köpf die kürze;
leider fehlt die angäbe, wie weit sich diese erhaltung der
kürze trotz apokope des endungs-e erstreckt; für die dative
tisch, laß (überwiegend) und fehl wenigstens gilt auch im
schwäbischen NO vocaldehnung (Wredc, Anz.22,325. 10,278.285).
Zwischen einer linie, die im grossen und ganzen zu der
von köpf stimmt, einerseits und Altmühl, Lech, Ammersee und
oberer Ammer andererseits ist in den Wörtern mit r -f- nasal:
auch -Im svarabhakti eingetreten und der auslautende
nasal abgefallen. Ich stelle diese fälle hierher, da die alt-
zweisilbigen formen kurz sind: horner, ärm. Fischer hält den
Zusammenhang für zweifelhaft. Freilich könnte es nahe liegen,
die länge in ivurs < wurm aus der zweisilbigkeit zu erklären,
wodurch die tonsilbe eine offene wurde. Da aber an der Rezat
und mittleren Altmühl (vgl. § 45) die altzweisilbigen formen
trotz svarabhakti kurz geblieben sind, im gegensatze zu den
alteinsilbigen, so möchte ich annehmen, dsuss wie dort —
auch in unserem falle die alte formel wurm : würmj vorliegt
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160
RITZKKT
und dass sich erst nach entwickelung dieses Unterschiedes
wurm > tvürd gebildet hat.
§ 25. Principiell wie bei köpf : köpf liegt der fall in den
Wörtern auf nd und cht (s. F. 19 und karte 1); auch hier sind
die altzweisilbigen formen kurz, also häd (händ), aber hmd
(was im NO tind^ in der mitte auch für nom. und acc. mit-
gebraucht ist), wld (wind) : wind; nacht (nät)y frücht (f'rüt).
Aber wir finden ein viel grösseres Verbreitungsgebiet als dort ;
'die grosse abweichung kann nur auf rechnung der consonanz
kommen'.
Das gebiet dieser dehnungserscheinung ist folgendes:
ausser dem 0 der linie köpf : köpf hat ganz Württemberg länge
in häd (händ) mit ausnähme der maa. an der Enz und auf
beiden ufern des Neckars von Pleidelsheim abwärts; kürze
findet sich ausserdem im SW an dem oberlaufe der Kinzig
und Donau bis Tuttlingen. Auf dem rechten ufer der letz-
teren besteht ein grösserer dehnungsbezirk: von Riedlingen
an der Donau läuft die betr. linie südöstlich bis Hummerts-
ried und dann nördlich bis zur liier. — An der Verlängerung
wld (wind) nehmen nicht teil die maa. an der Kuz und am
unteren Neckar, an der Nagold, am oberlaufe des Neckars
(bis einige kilometer oberhalb Tübingen) und der Donau bis
Zwiefaltendorf ; auf dem rechten ufer derselben findet sich hier
nur ein kleines gebiet mit vocallänge. — Die grenzlinie für
häd (hünd) entfernt sich nicht erheblich von der linie köpf :
köpf; sie berührt nur zweimal den Neckar ohne ihn zu über-
schreiten (vgl. hierzu auch Wrede, Anz. 19, 104 pfund, 107 Hund,
111 kind).
In nacht dehnen die maa. am unteren Neckar nicht (bei
frucht schon von der Remsmündung ab nicht) und ein gebiet
von grösserem umfange auf beiden ufern der liier bis Unter-
dettingen: sonst das ganze schwäbische. Die linie für frucht
(früt) geht nicht so weit südlich als die für nacht, welche den
ganzen 0 des Bodensees umfasst, ohne jedoch bis zur liier zu
gehen (vgl. oben § 12).
§ 26. 'Ein einfluss von Verbindungen r f- dental auf Ver-
längerung des vorausgehenden vocals ist zwar nicht zu leugnen,
aber auch nicht gesetzmässig zu fassen. Nur a wird hier regel-
mässig verlängert: hart, khärto, garn* (s. F. 20 und karte 18).
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN 8TAMM8ILBENV0CALE. 161
Verlängerung vor r + dental ohne unterschied zwischen
ein- und zweisilbiger form zeigt das grosse hauptgebiet mit
ausnähme des oberen Neckars (bis Irslingen), der oberen Donau
(bis Irrendorf) und eines gebietes, das sich in einer breite von
ca. 30 — 45 Kilometern im NW von Ulm bis zur Rems erstreckt:
unrty kirsch, schüre. Im S der Donau, von Sigmaringen bis
Donaustetten auch auf ihrem linken ufer, also an Schüssen,
Iiier, Wertach und Lech, findet sich die svarabhaktiform wiart,
die F. aus dem spiele lässt, 'weil sie weder für kürze noch
für länge beweist'. Ebenso sind die fälle wg»rt 'wort' und
fezrs 'vers' zweifelhaft; 'ob diese kurz oder lang seien, ist
schwer zu erkennen und würde lauter sehr genaue beobaehter
erfordern'.
Zwischen schüre und Jcirsch besteht ein unterschied im N
des gebiet«; die grenze für ersteres zieht von der Enzmündung
an den Kocher (etwas unterhalb von Hall), dann nach 0 bis
zur mittleren Altmühl und hierauf den Lech hinauf, von dem
sie zum Ammersee abbiegt; dann zieht sie von Wessobrunn
in westlicher richtung, Kempten in einem bogen umschliessend,
zur Schussenquelle und endlich nach NW über Epfendorf bis
zur oberen Kinzig. Dagegen verläuft die grenze für kirsch
(altzweisilbig) vom unterlaufe der Enz östlich, schliesst Kocher-
und Jagstquelle ein, wendet sich nordöstlich nach der oberen
Wörnitz, von wo sie, auf dem rechten ufer derselben bleibend,
zum Lech zieht; im S tritt die form 'kriese' ein.
In arm hat auch der SW gebiete mit länge.
§ 27. 'Die lautverbindung n + Spirans hat im schwäbischen
länge des vocals mit vertust des n bewirkt. Im schwäbischen
hauptgebiet (zwischen Schwarzwald, Welzheimer wald, Wörnitz
und Lech) herscht die formel gäs : gh u. s. f. ohne unterschied
von sing, und pL, hier also Verlängerung durch n + spirans
bei ein- und mehrsilbiger form' (F. 22 und karte 4). Noch
deutlicher ist dies bei den beispielen in karte 5: eins, fünf,
brunst, uns — eis, fif etc.; hier zeigt sich das hauptgebiet im
W, N und 0 von kurzvocalischen formen umgeben, und zwar
sind die grenzen, vom NO abgesehen, auch wie bei gans.
§ 28. Dehnung vor n + verschlusslaut findet nur im W
des hauptgebiets statt (F. 23 und karte 4. 6). Das gebiet für
en + verschlusslaut: it 'ente', im äussersten SW ält, ist am
Beiträge «ur geechlchU der deuUcheo ipraohe XXIII. H
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162
KITZE KT
umfassendsten: ausser der Enzma. nimmt nur noch das obere
Donaugebiet bis Tuttlingen nicht daran teil. Die grenze im
0 bildet eine linie, die von der Remsmündung zur Donau zieht .
auf dem rechten Donauufer haben nur zwei kleine gebiete
länge, das eine bei Tuttlingen und das andere etwas unterhalb
Sigmaringen. — Die grenzlinie für dekd 4 denken', im äussersten
S\V dätka, reicht im W, N und 0 nicht ganz so weit. — Ver-
längerung in mitsch 'mensch' findet sich zwischen oberem
Neckar und der Donau von Tuttlingen abwärts (zwischen
Neckarquelle und Donau mältsch). 'Fast immer ist ls, nicht
blos ä angegeben; ein »mensch* würde sich wie *gänse* ent-
wickelt haben; der einschub des t muss also alt sein' (F. 23.
anm. 8). In tvinhr erscheint Verlängerung zu witer in einem
kleinen gebiete zwischen Tuttlingen, Donau- und Neckarquelle
und zu waiter in einem kleinen bezirke zwischen dem ober-
laufe der Donau und des Neckars, der Ostdorf, Bitz, Mess-
stetten und Ensingen als grenzorte hat (s. auch Birl.51. Bohnen-
berger, Alem. 24, 28).
§ 29. Dehnung vor chs mit ausfall der gutturalspirans
(F. 21 und karte 20). 'Soweit urspr. hs zu 5 geworden ist ist
der vocal ohne unterschied ein- oder mehrsilbiger form ver-
längert: fläs 'flachs', ös 'ochs', bis 'büchse'. Das gebiet dieser
Verlängerung ist dem von köpf geographisch gerade entgegen-
gesetzt. Daraus geht hervor, dass die einwirkung der conso-
nanz von jenem allgemeinen prosodischen gesetz verschieden
— und mit um so grösserer Sicherheit, dass sie wirklich vor-
handen ist.'
Am kleinsten ist das gebiet für ös: es umfasst den Ober-
lauf von Murg, Kinzig und Nagold und das gebiet zwischen
letzterer und Enz. Ausgedehnter ist die Verlängerung bis:
quellgebiet der Murg, Kinzig und Nagold und beide ufer des
Neckars von Wittershausen bis Kirchentellinsfurt (unterhalb
Tübingen). Am verbreitetsten ist die länge wäsd: von der
oberen Murg zieht die grenze über die untere Nagold, südlich
an Stuttgart vorbei, übersehreitet den Neckar bei Mittelstadt,
läuft von Zwiefaltendorf die Donau aufwärts, überschreitet sie
unterhalb Sigmaringen und wendet sich dann nach SO, den 0
des Bodensees umfassend.
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DBHHUNG DBH MHI). KURZKN RTAMMSlLHKNVOCAliE.
168
4. Bairisch-öster reichisch.
Quellen: Aug. Hartmann, Volksschauspiele. In Baiern und Oester-
eich-Ungarn gesammelt. Mit glossar. Leipzig 1880. — M. Himmelstoss,
us dem Bairischen wald, Bayerns raundarten 1,61 ff. 239 ff. 362 ff. 2, IIS ff.
13 ff. 445 ff. — Val. Hintner, Beitrage zur tirolischen dialektforschung.
er Deferegger dialekt. Wien 1878. — Joh. Krassnig, Versuch einer
utlehre des oberkärntischen dialekts. Progr. Ton Villach 1870 (Kr. hat
Hein die ma. des mittleren Gailtales im auge'). — M. Lex er, Kärnti-
hea wörterbnch. Leipzig 1862 (s. vm— xiv giht L. einen 'überblick der
utverhältnisse'.) — R. v. Muth, Die bairisch-österreichische ma. Progr.
n Krems 1873. — Seb. Mutzl, Die bairische ma., Bavaria 1,339—363.
lachen 1860. — H. W. Nagl, Grammatische analyse des niederösterreichi-
ien dialektes im anschluss an den 6. gesang des Roanad. Wien 1686. —
K. Noe, Beiträge zur kenntnis der ma. der Stadt Iglau, Frommanns maa.
SOI ff. 310 ff. 459 ff. — A. Prinzinger, Die baierisch- österreichische
kssprache und die Salzburger maa., Mitteil. d. gesellsch. f. salzb. landesk.
(1882), 178 ff. — J.Schatz, Die ma. von linst. Strassburg 1897. —
L. Schmeller, Ueber die quantität im bairischen und andern deutschen
ekten, Abhandl. d. bair. acad. 1830. — J. A. Sc hm e Her, Die maa. Bayerns
mmatisch dargestellt. München 1821. — J. B. Schöpf , Ueber die deutsche
;sma. in Tirol. Progr. von Bozen 1852—53. (Schöpf 1). — J. B. Schöpf,
lantlehre des oberdeutschen in der bairisch-österr. volksma. von Tirol,
nmannsmaa. 3, 15 ff. 89 ff. — J.B. Schöpf, Tirolisches idiotikon. Nach
en tode vollendet von A. J. Hofer. Innsbruck 1866. — K. Weinhold,
fache grammatik. Berlin 1867.
§ 30. Mhd. kurzer vocal in offener silbe wird im bair.-
rr. dialekt stets gedehnt: göd 'gott', Mder 'butter', sthner
imer'; s. Schmeller § 672. Mutzl 343. Schöpf 2, 89 ff. Noe 206.
ssnig 12. Schatz 109 ff. Weinhold § 7. 36. 43. 48. 51. 55. 57.
41; ferner sehr zahlreiche belege bei Hartmann im glossar,
I, Lexer vm— xiv und in den übrigen angeführten werken;
Jen Bair. wald s. auch die einleitung zu Himmelstoss von
-enner in Bayerns maa. 1, 61—64; für den vorderen teil des
auntales gibt Hauser in den Forsch, z. d. land- u. volksk.
t— 386 belege.
§ 31. Durch vocalsynkope in suffixen und flexionssilben
gte ausnahmen kommen allenthalben vor, am häufigsten
rol und Kärnten; Tirol: Hammel, nepl 'nebel', doch auch
Kärnten: nägl 'nagel', ösl 'esel', künik 'kömg'; die für
im Oberinntale Tirols geltenden kürzen s. bei Schatz 114.
ahlreich sind daneben die fälle, in denen der regelrecht
nte vocal erscheint: stifl, igl, höftmsr 'hammer' etc.
n*
164
SITZEST
Im hauptgebiete sind diese (scheinbaren) ausnahmen sehr
selten; vgl. Weinh. 50: 'die zahl der heute erhaltenen kurzen a
vor einfachen consonanten ist sehr gering'; hierher zu zählen
sind vater, Immer, kavier, in denen nach Schmeller 1, 755 die
Quantität schwankt. Kürze in vater finde ich ausser in Tirol
und Kärnten (s. unten § 33) nur noch bei Muth 16; bei Xagl
und Schmeller 2, § 672 hat das wort gedehnten vocal. — Nach
Weinh. s. 60 erhält sich vor m zuweilen die kürze e: nemmtn,
hemmen (= 'nehmen, kommen'); für beide worte ist aber als
quelle nur Luterotti, Gedichte im Tiroler dialekt (Innsbruck
1848) gegeben, während Weinhold s. 65 selbst als allgemein
für den bair. dialekt geltend: gnomen, körnen anführt. Be-
stätigt und ergänzt werden diese angaben durch eine der
neuesten dialektarbeiten; nach Schatz 114 haben beide Wörter
in Imst in allen formen die kürze, in der Umgebung aber ist
die dehnung durchgeführt. Auch die Salzburger ma. hat nach
Prinz. 193 bökemma, doch süma 'sommer'; ferner gibt Hart m. 583
kemnUT. Kurzes i findet sich nach Weinh. 61 in zimlicli, wider
adv.; leider fehlt genauere Ortsbestimmung.
Mutzl 343 hat als kürzen nur gettä 'götter', blddl dim.
zu bläd 'blatt', wetta 'wetter'; auch bei Noe* findet sich nur
sehr selten kürze: scJiättn, gleppn 'kleben', gibbl u. a. Im
Bair. wald finden sich nach Bayerns maa. 1, 62 neben einander:
breddr und brtdof 'bretter', wedor und wedor 'wetter'.
Wenn in einzelnen fällen mit stammhaftem / allgemeiner
die kürze erscheint wie in bc'tn 'beten', schmitn, schütn, noten
pl. 'noten', dretn 'treten' (vgl. zu letzterem Schatz 112), so
gehören diese ebenfalls zu diesem capitel. Vgl. Weinh. s. 293
und 311. Schatz 112.
In der verbalflexion begegnet uns die alte kürze häufig.
Im ganzen gebiete findet bei Stämmen auf d oder t in der
3. sing, und 2. pl. praes. und bei den schw. verben in der 1.
und 3. sing, und 2. pL praet. und im part. praet. stets synkope
des flexionssilbenvocals statt, wodurch gemination mit kürzung
des vormals entsteht (Weinh. 290. 308). Nach p (b) und g
und k fällt in der 3. sing, und 2. pl. praes. t regelmässig ab,
der stammauslaut wird verschärft, der stamm vocal gekürzt
(Weinh. 147. 290. 308; s. ferner Schmeller 2, § 675.678. Mutzl 361.
Lexer xiv. Xagl 26. Noe 319. 321. Schöpf 2, 102. Prinz. 191).
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN 8TAMM8ÜLBENVOCALE. 165
Für die 2. sing, praes. sagt Weinh. 289: 1 der endvocal
uuterliegt der sjukope'. Mit dieser erscheinung ist nach Nagl
s. 10 (§ 3. 4) kürze des stammvocals verbunden. Schöpf fasst
(2,102) alles hierher gehörige in den allgemeinen satz: 'tritt
in der flexion zu dem einfachen consonanten ein anderer, so
bleibt die kürze: » säg, aber du sägst, er sägt (und söt), gesagt
(g'satt, gsöt).
§ 32. Die erhaltung der kürze des vorhergehenden vocals
findet im bair.-österr. gebiete auch dann statt, wenn in der
composition oder im satzzusammenhange zwei verwante con-
sonanten sich anziehen und wechselseitig verstärken; s. Nagl
s. 27: glös 'glas', aber glöffüus. Nagl hat hierüber sehr aus-
führlich in dem ungemein interessanten capitel 'assimilation'
gehandelt und den satz aufgestellt (s. 10, § 3. 4), dass die in-
tensivität der consonantenaussprache mit der länge des vorher-
gehenden vocals in verkehrter proportion steht. Während die
assimilation im worte stets kürze bedingt, da die die assimi-
lation hervorrufenden consonanten nie von einander getrennt
werden: sah aus sögt, gip aus gibt, leipa (mit kurzem diphthong)
aus leiw-ta 'lebtag1 — , hört man im satze überall auch die
nicht assimilierte form sprechen, trotzdem diese assimilationsart
im ganzen gebiete des bajuwarischen dialekts gebräuchlich ist
(a. a. o. s. 26) — Zu dieser durch assimilation hervorgerufenen
lautlichen Veränderung gehört es, wenn v. Muth 16 sagt, der
bair.-österr. dialekt habe den hang, die im hochdeutschen lange
Stammsilbe zu verkürzen, und Weinhold 112, im bair. werden
(alle im gemeinen deutsch geschärften Stammsilben gedehnt,
und umgekehrt) die gedehnten geschärft ; unser gesetz von der
dehnung in offener silbe wird durch diese assimilation nicht
alteriert
§ 33. Wirkliche ausnahmen von obigem gesetze begegnen
uns in den maa. von Tirol und Kärnten. Von Tirol gilt, was
Schöpf 1,8 sagt: 'einzelne ursprüngl. lautverhältnisse, manche
kürzen hat die ma. bewahrt'; ferner s.516: 'Oberinntal, besonders
aber Paznaun hat unverkennbar viel schweizerische demente;
die ma. im Lechtal scheint den Übergang zum alem. zu bilden'.
Kürze vor t habe zahlreiche Wörter in Tirol: brett und dim.
brittl, statt, ttitt 4sitte' (an der oberen Etsch und Kisack slt\
glätt, gesotten u. a.; neben krott'n steht bot 'kröte'; andere
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166
KITZEKT
haben nur länge: bot 'böte' u. a. (s. die beispiele bei Schöpf
und Hintner) ; nach Weinh. 65 kommt im bair. auch bott und
botten vor: ich finde die kürze in diesen nirgends belegt.
In der erklärung der Verschiedenheit der quantitat vor t
stimme ich Schatz 111 f. zu: das t war in inlautenden formen
zur zeit der dehnung anlaut der schwachtonigen silbe, so dass
der stammvocal schwachgeschnittenen accent hatte, die Vor-
bedingung der nhd. dehnung (Paul, Beitr. 9, 102). Der kleinere
teil der Wörter mit auslautendem t hat nun die dehnung aus
dem inlaut übernommen; grösstenteils aber wurde die aus-
lautende kürze in den inlaut übertragen: got 'gott', mit 'mit\
srit 'schritt', glot 'glatt' etc. Die ma. (Imst) dehnte vor aus-
lautender verschlussfortis den vocal nicht, während vor aus-
lautender lenis die dehnung — m. e. in folge Übertragung aus
dem inlaut — eingetreten ist; vor auslautendem t aber wurde
der schwachgeschnittene accent gesetzmässig durch den stark-
geschnittenen ersetzt, wie die überzahl der beispiele beweist.
Oestlich von Imst erscheint die länge: mit, srit, ebenso im
Unterinntale von Telfs abwärts. S. auch Sievers, Phonetik4.
§ 792.
Auch in Kärnten erscheint nicht selten vor t kürze: göte
= 'pate', statt, mda (nur in Unter-K.) u. a.; im kämt. Möll-
tale, wo dehnung in weiterem umfange als im übrigen K.
stattfindet, aber blät 'blatt' u.s.w. (Lexer vm).
In Tirol und Kärnten erscheint auch einige mal vor d
kürze: T.: y statt 'gestade', jud 'jude', röd neben red 'rede':
K.: Ut, aber Vidi 'glied', pal 'bad', wäde und wädi 'wade' u. a.
Anm. 1. Die Salzh. ma. (Pinzgau, Zillertal, Pongan, Brixental)
kennt kiirze vor t nicht: rauda 'vater', gada 'gatter', schrid 'schritt'
(Prinz. 187 ff.).
Ausserdem ist in Tirol und Kärnten in manchen ein-
silbigen Wörtern die kürze erhalten; T.: Min < büne, toll
'tüchtig', mäll 'mühle' u.a. (Schöpf 1, 11. Erklärung bei Heusler,
Oonson. 18). — Für K. sind bei Lexer mehr hierher gehörige
fälle zu finden; in manchen tritt in den flectierten formen
die gesetzmässige länge ein: täk 'tag', aber pl. Ulge-, grass
'gras', aber dim. gräsrl, tnel 'mehr und mUwih 'mehlig', hoff'
•hof neben houf u. a.
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMM8ILBENV0CALE. 167
Anm. 2. Nach Schmeller 1, 755 ist die quantität schwankend in ml,
tai, schtcan, bind, glas, gras; es fehlt zwar die angäbe, wo in diesen Wörtern
die kürze erscheint, doch hatte Schra. jedenfalls die eben genannten gebiete
im ange.
§ 34. Als zweites hauptdehnungsgesetz gilt für unseren
dialekt mit ausnähme des südlichen Tirols und Kärntens, dass
der vocal in mhd. einsilbigen Wörtern vor doppelconsonanz
gedehnt wird. In der ableitung und flexion erscheint wider
die alte kürze; 'die consonantenverstärkung (und die damit ver-
bundene schärfung des vorvocals) tritt ein, wenn eine endsilbe
folgt, selbst wenn sie aus einem unausgesprochen bleibenden
vocal bestünde' (Schmeller 2, § 403). Hiermit stimmt folgende
tatsache des Wenkerschen Sprachatlas: südlich der linie Lech-
mündung, Donau, Ingolstadt, Neumarkt, Eger hat der dativ
sing, tisch kurzen vocal, nördlich gedehnten (Wrede, Anz. 22,
325); ferner gibt Brenner in Baj'erns maa. 1,62 hrös 'ross',
aber dat. hros; weitere beispiele tis, pl. tis; truzm., aber trutzeg;
stüy 'stück', pl. ebenfalls stmj, da auf mhd. einsilbige neben-
form zurückgehend (s. Schmeller 2, §691; ferner § 111.115.
116. 422. 453. 457. 508. 617. 640. 665—667. 690. Weinhold § 7.
36. 43. 48. 51. 55. 57. 61. Mutzl 343. 345. 351. Noe 208. Nagl
442 (§ 10. 12). 358. Bayerns maa. 1, 62 ff.; ferner zahlreiche bei-
spiele bei Hartmann). Wie weit die Salzburger ma. beteiligt
ist, vermag ich nicht genau zu bestimmen; Prinz, hat wol
wünscht 'wurst', schautz 'schätz', sauk 'sack' u.a., aber rock,
köpf u. a.
In Tirol zeigt das gesetz erst von Telfs abwärts nach Hall
und um Innsbruck seine Wirkung (Schöpf 2, 90 ff.); doch hat
die Imster ma. in einer reihe von Wörtern mit auslautender
spirans-fortis den kurzen vocal gedehnt: <yri/* 'griff', pis 'biss',
stix 'stich' u. a. (Schatz 109 f.). Nach karte 1 in Fischers atlas
setzt sich die linie für köpf : köpf, die bei Epfach den Lech
überschreitet, in südöstlicher richtung fort bis Ohlstadt an
der Loisach (der weitere verlauf ist nicht mehr zu sehen):
der Oberlauf der Loisach hat also keinen anteil. Für wind
Ist die grenzlinie bis zur Isar verzeichnet: im S der linie
Epfach, Wessobrunn, Loisaehmündung gilt kürze. — Von den
maa. Kärntens gehört das Mölltal hierher: h/md 'hand'. nit
'nicht'; Lexer vm.
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108
KITZERT
§ 35. Ausnahmen des vorstehenden gesetzes finden sicli
bei bestimmten consonantengruppen:
a) Fast allgemein unterbleibt die dehnung vor urspr. hs
= ks : flachs, fuchs; Schindler 2, § 423; auch Nagl gibt bei-
spiele dieser art; s. ferner Bayerns maa. 1, 62.
b) Zuweilen lautet im ostlechischen dialekte am ende
gewisser nicht flectierten formen fs wie ff : liaff nuff (Schm.
2, § 648. 194).
c) Nach Schm. 2, § 666 bewahrt sch in einigen unflectierten
formen den scharfen laut: falfch, hirfch.
d) In Niederösterreich tritt vor nz nur in wenigen fällen
dehnung ein: schwäimz, pl. schwänz; 1 die dehnung wird durch
consonantenverhärtung, die hier durch consonantenhäufung be-
dingt ist, verhindert'; 'ntf ist von dauernder inhärierender
schärfe'.
Am ii. !. In NiederöKterreieh bleiben nomina auf ad nnd elid 'am
liebsten' anch im pl. ungeschärft: fpechd, pl. fpechdn; löad, phlösdn, aber
niisd, pl. nei/'da; doch behalten diejenigen, die ein historisches e verloren
haben, scharfes -fl : griß 'gerttste' (Nagl 195), wie Überhaupt alle mhd. nicht
einsilbigen Wörter kurz bleiben, wenn sie auch im dialekte einsilbig er-
scheinen (Nagl 442, $ 12).
Anm. 2. Hin und wider kommt es vor, dass die quautität des noni.
sing, in flectierte formen eindringt; s. Schmeller 2, § 640: gtcis 'gewiss' und
zuweilen auch f gwitu, fn gwim; Bayerns maa. 1, 62 für den Bair. wald:
khrefdn 'kraft nnd kräfte', khrefdig.
§ 36. Kinen weitgehenden dehnenden einfluss auf den
vorausgehenden vocal haben im bair.-österr. dialekte die li-
quiden /, r und die nasale m, n, v (s. Schmeller § 542. 627. 555.
568. 613. Nagl 27. 442). Nach beiden forschern sind diese laute
einer Verstärkung fast nicht fähig, so dass meistens die gemi-
naten II etc. wie einfache laute ausgesprochen werden 'und
also den vorhergehenden vocal nicht schärfen' (Schm. 2, § 111).
Beispiele: fällen; tälla sing, und pl. 'teller'; pfwträ 'pfarrer',
pl. pfära; law 4lamm'; khaü'l 'kännlein'; pfainiv 'pfennig'.
Belege zu dieser erscheinung geben auch die übrigen quellen.
Schm. macht in den citierten Paragraphen die bemerkung,
dass diese 'eigenheit' von eingeborenen auch auf die ausspräche
des schriftdeutschen übertragen wird.
In der Imster ma. ist nur in der lautgruppe -br vocal-
dehnung eingetreten: hro 'irren', kshr 'geschirr' (Schatz 114);
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DEHNUNG DER MHD. KUBZEN ST AMM8I LBEN VOC ALE. 169
ausserdem noch in möü 'mann', feal 'feil' (auch im pl. fahr)
und kxroüm 'krampf (mhd. kram, gen. krummes); s. Schatz 113.
§ 37. Für die niederösterreichische ma. haben auch die
Verbindungen liquida und nasal -f consonant dehnenden ein-
fluss, besonders v vor k und l vor dental- und palatalmuten
(s. Nagl 358): gedäukä pl. 'gedanken', zaumhölldn ' zusammen-
halten', kholldar comp, zu khölld; aber böllg 'balg', pl. bdllk u.a.
Die hierher gehörigen Verbindungen r + consonant be-
wirken fast regelmässig vocaldehnung: khdiiw 'korb', pl. kheaw;
steam 'sterben'; guadn 'garten' — nicht aber gewöhnlich r + k
(Nagl 112) und r f- spirans (Xagl 358): stoak 'stark', schmeaz
'schmerz'; in Wien auch nicht die Verbindung rt (Nagl 71),
während der Neunkircher dialekt vor rt nur selten kürze hat
wie in gdtn 'gerte'; neben ftadi 'fertig' steht fmdi, das die
jetzt gebräuchlichste form ist (Nagl 81).
Dagegen hat in Niederüsterreich nd die neigung zur
härtung im miaute (Nagl 419), d. h. nur im pl. der auf -nd
auslautenden Substantive und in allen formen der starken
verba (Nagl 358): sind 'sünde', aber pl. sintn; fintn 'finden';
eine anzahl hat aber auch in mehrsilbigen dehnung: baünd und
pl. banda, länd und dim. ländl (s. hierzu Nagl 421).
Anm. Das bairische südlich der Donau, ferner im Bair. wald und am
oberen Regen, vereinzelt an der AltmUhl, hat mouillierung des /: solz 'salz'.
Die grenze dieser erscheinnng im W bildet der untere Lech und dann eine
linie, die nördlich an Augsburg vorbei nach SO zieht zwischen Aramer-
and Würnisee durch, um westlich von Mittenwald die reichsgrenze zu
treffen; s. Wrede, Anz. fda. 19, 102. Schmeller § 523—525.
Ob die durch die Verbindungen von liqu. oder nasal -f
cons. bewirkten längungen für weitere gebiete giltigkeit haben,
vermag ich nicht zu entscheiden, da aus den vereinzelten bei-
spielen der mir vorliegenden arbeiten sichere Schlüsse nicht
zu ziehen sind. Nur was die Verbindungen von r + eons. be-
trifft, lässt sich noch folgendes sagen.
Die wortsammlung aus dem Bair. wald in Bayerns maa. 1
und 2 von Himmelstoss hat sehr zahlreiche beispiele mit länge
vor r + cons.: dfom» 'türmer', fdrln 'ferkel werfen', fiorsn
, ferse' u. a.; selten ist der vocal kurz: gart -gerte', meorkj'
'merken'.
In Tirol und Kärnten findet häufig vor r + n vocaldehnung
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RITZERT
statt: gärn, tum 'türm' und pl. tirn u. a.: vor r + t, d haben
in Tirol die meisten Wörter kürze, nur einige auf mhd. a und e
sind gedehnt: ärt 1 geschlecht ' und ärtlich, crd'n 'erde', herd <
hört m.; allgemein icear 'werde'; auch oart 'ort' und pl. earter,
woart und dim. wertl.
Für Imst gilt dehnung des s vor r -f dental, cons., des e
vor r -f- dentaler lenis und des o vor r -f dental; vereinzelt
sind (>rf 'art', tsfrt 'zart ', fQrt (aber ßrtiy), $rs, 1e$irt& 'kerze*.
tnöirts, kföirt 4 f ahrzeug', gepürt 'geburt' (s. Schatz 114 f.). Die
maa. westlich von Imst haben e und t auch vor r + lab. und
gutt. cons. gedehnt (s. Schatz § 40. 43).
Die dehnung vor r -f consonant ist mithin nach den ein-
zelnen vocalen und consonanten in der einzelma. wie unter
den verschiedenen maa. Tirols eine verschiedene; ebenso ist
es in Kärnten. Im kärntischen Gail- und Drautal erscheint
vor r + cons. aber häufiger die länge (s. Lexer ix); ebenso im
Mölltal; im Lavanttal wird r und der ihm vorausgehende vocal
gedehnt gesprochen (s. Lexer xn).
§ 38. Als einzelheiten erwähne ich noch folgendes:
a) In Niederösterreich ist vocaldehnung vor ck eingetreten
in bu(ß 'buckel', wogin 'wackeln', süga 'zucker' u.a.; ferner
vor tz in mtzn 'mütze' und Uczn schw. m. = 'gedörrte obst-
spalte'. Vereinzelt kommen diese fälle auch sonst vor; so hat
Kärnten spotze und dim. spätz-l 'spatz'; für Iglau gibt Noe bükt.
b) Vor doppelspiranten ist in der kärntischen Gnesau
dehnung eingetreten; vgl. Lexer in s. überblick: gscss'n, essrn,
trefn. Nach Prinz. 182 findet sich diese erscheinung auch iu
einem 'teil von Kärnten' und in dem Salzb. Lungau: ccsn
'essen', waasa 'wasser'.
In diesen fällen lag bei eintritt der dehnung keine gemi-
nation mehr vor, so dass der vocal im silbenauslaut stand;
dieselben sind deshalb principiell wie die in § 30.
5. Ostfränkisch.
Quellen : 11. Bauer, Der ostfränkische dialekt zu Künzelsau, im Wir-
temberg. Franken, Zs. d. bist. ver. f. d. Wirt Franken 6, 3 (1864), 309 ff. —
0. Felsberg, Die Kobnrger nia.. Mitteilungen «1er geogr. gesellschaft zu
Jena 6 (\bbb), 127 ff. E. Fentsch, Die ofaerpflUiische ina., Bavaria 2.
abt. 1 (München 1SC.3), 193—217.. ('.Franke. Die unterschiede de» ost-
fränkiseh-oberpfalzischen u. obersächsischen dialekt, Bayerns maa. 1 , 19-36,
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMM8ILBENV0CALE. 171
261—290. 874— 389 und 2,73—93. 317—343. — G. K. Frommann. Gram-
matischer abriss der Nürnberger ma., in J. W. Weikerts Ausgew. gedichten
(Nürnberg 1872), 289 ff. — G. K. Frommann, Kurze graminatik der Nürn-
berger ma. und Glossar zu Grtibels sämtlichen werken (Nttrnb. 1873), 221 ff.
(ich citiere letztere arbeit, da sie die ausführlichere ist). — E. Göpfert,
Die ma. des sächs. Erzgebirges. Leipzig 1878. — H. Gradl, Die maa. West-
böhmens, Bayerns maa. 1, 81—111. 401-444. 2,95-117. 207-242. 364-383,
auch sep. München 1895 (Gradl hat ausser zahlreichen beantwortnngen von
umfassenden fragebogen in seiner arbeit die literarischen erscheinungeu
benutzt, die die maa. Westbbhmens betreffen; es sind dies u.a.: Ig. Petiers,
Bemerkungen über deutsche dialektforsch, in Böhmen, Prag 1862, und An-
deutungen zu einer Stoffsammlung in d. deutsch, maa. Böhmens, Prag 1864;
J. Nasal, Die laute d. Tepler ma., 18M; R Manul, Die spr. d. ehem. her-
schaft Theusing, Pilsen 1886; ./. Neubauer, Ein beitrag z. erforsch, d. Eger-
länder ma., 1SS9; Jos. Kö fei l, Der polit. bezirk Tachau, 1890; ferner seine
eigenen abhandlungen in der Zh. f. vgl. sprachf. 17. 18 [Znm ostfr. vocalis-
musj, 19 [Der ostfr. dialekt in Bhm.] und 17. 19. 20 [Zur künde deutscher
maa. (ostfränkisch)], sein Egerländisches Wörterbuch, 1S83, u.a.: s. Bay.
maa. 1, 108). — Haupt, Die ma. der drei Frauken, Bavaria .'1. abt. 1, 191 ff.
— R. Hedrich, Die laute der ma. von Sehöneek im Vogtlande. Leisniger
Progr. 1891. — O. Heilig, Beitrage zu einem Wörterbuch der ostfr. ina.
des Tanbergrundes. Heidelberger progr. 1894 (ausserdem habe ich von herm
prof. O. H., der demnächst eine graminatik der maa. d. T. herausgibt, brief-
liche mitteilungen über d. dehnungserscheinungen seiner ma.). — L.Hertel,
Die Greizer ma., Mitteilungen der geogr. gesellsch. zu Jena 5 (1887), 132 ff.
— 0. Hertel, Die Pfersdorfer ma. (bei Hildburghausen; mannscript). —
E. Reichhardt, E. Koch und Th. Storch, Die Wasunger ma., in den
Schriften des Vereins für meiningische geschichte u. landeskuude, lieft 17
(Mein. 1895). — J. B. Sartorius, Die ma. der Stadt Würzburg. Würzburg
1862. — Aug. Schleicher, Volkstümliches aus Sonneberg im Mein. Ober-
lande. Weimar 1858. — A.Stengel. Beitrag zur kenntnis der ma. an d.
schwäb. Rezat und mittl. Altmühl, Frommanns maa. 7, 389 ff. — B. Spiess,
Die fränkisch-hennebergische ma. Wien 1873. — Für da« württemb. und
bair. Ostfranken wurden ferner benutzt : H.Fischer, Geographie d. schwäb.
ma. und J. A. Schmeller, Maa. Bayerns. München 1821.
§ 39. Mhd. kurzer vocal in offener silbe wird im ostfr.
stets gedehnt: schliten, kete 'kette', geUten, hämer 'hammer
(s. Fentsch 193. Frommann § 29. 30. 32. 34. 49. Heilig, briefl.
mitt. O.Hertel 32. Haupt 252. Gradl in Bay. maa. 2,209. Hed-
rich 11. L.Hertel 136. Felsberg 128. Schleicher 25. Uöpfert 19.
20. Fischer § 13. Schmeller § 111). In den übrigen genannten
quellen sind die belege zerstreut ; im bes. verweise ich auf
Franke, der in Bay. maa. 1. 28 ff. zahlreiche beispiele aus dem
ganzen gebiete gibt.
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RITZE RT
Wo durch abfall der endconsonanz der vocal auslautend
wurde, ist lautgesetzlich dehnung eingetreten; dieses gilt
namentlich für -n fast im ganzen gebiete: bi 'bin' (im Vogtl.
bin, bei Gradl und Schleicher aber bin); kt 'kinn' im Henne-
berg; dt 'denn' im Erzgeb.; 6 'ab': Rhön, Würzburg, Ebrach,
Bamberg, Vogtland; ü- = un- u. a. (s. Franke 34 — 36. Gradl
210. L. Hertel 143. Felsberg 140).
In manchen fällen ist auch vor urspr. doppelconsonanz
der vocal in offener silbe gelängt; dieses war aber erst mög-
lich, als durch consonantenausfall einfache oonsonanz entstanden
oder die geminata vereinfacht war, so dass hier derselbe fall
vorliegt wie oben. Hierher gehört wuner 'wunder' in Ochsen-
furt in Unterfr. und in Eger, Hmln 4 schimmeln' in Theusing
< ahd. scimbalön (aber schon mhd. schimelen): risl 'rüssel' in
Welletschin (Böhmen); bügl 'buckel' in der Tepler ma.; wögein
im Erzgeß.; ferner vor z (tz) allgemein in den maa. West-
böhmens in ädsn ;zu essen geben', stridsl 'gebäck', hüdsl (< hu-
tzele), ätidsn (< stütze) 'traggefäss' (s. Gradl 211). Vor tz er-
scheint vocallänge auch sonst in vereinzelten fällen; s. die-
selben bei Franke 29 ff. Hedrich. Spiess.
§ 40. Die vorkommenden abweichunge'n sind mit aus-
nähme eines falles nur scheinbare. Dieser fall betrifft einige
Wörter mit Z, die im hennebergischen, in Sonneberg (Schleicher
s. 26), Bamberg, Schöneck und teilweise in Westböhmen (Gradl
8.212) kürze haben: fil 'viel', spil 'spiele' und dazu spiler
suln -sohle', dol 'toll*; in Henneberg auch in koln 'kohle', rüt-
tele -rotkehlchen' u. a.; für Schöneck ist es ausserdem bezeugt
in huln 'holen', kätuln 'gestohlen', wul 'wol'; für das Erzgebirge
finde ich huln belegt, — Fast ausschliesslich haben wir es
also in diesen fällen mit kurzem i und o zu tun; femer ist
beachtenswert, dass nur der nördliche teil des gebiets die-
selben kennt.
Vereinzelt erscheint die kürze in einsilbigen Wörtern, so
öfter in gott 'gott' (schriftsprachlicher einfluss); ferner sind
bezeugt für das Erzgebirge bin sg. und pl. 'biene', grub 'grob',
stod ' stadt'; für Schöneck per 'birne' (auch in Greiz), hänv
'halnT, mal 'matt' u.a. Gradl gibt für Westböhmen matt,
trup (< trupe). In Künzelsau erscheint hier häufiger die kürze
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN RTAMM8ILBENV0CALE. 173
''böte', satt, red neben rvkl 'rede', grab 'rabe' u. a.; s. Hauer
{96: 'manche einsilbige werden geschärft'.
Das adverb weg, das wie in allen dialekten auch in Ost-
nken wegen des stets mit ihm verbundenen energischen
entes vocalkürze hat, erscheint in Triebel und Schönbrunn
Vogtland mit langem e (Franke 31).
§ 41. Die oben erwähnten scheinbaren ausnahmen nun
reffen eine nicht grosse anzahl mehrsilbiger Wörter auf
und -er, seltener auf -en oder andere suffixe, in denen
h erfolgter vocalsynkope in den endungen der stammsilben-
al nicht in den silbenauslaut zu stehen kam. In einigen
i. ist die zahl dieser 'ausnahmen' sehr gering, wie z. b. in
«rtbohmen, wo die kürze nur in fättar 'vater' (städtisch),
r 'adler' (Theusing), hejfm 'hefe' (Eger, aber anderwärts
%\ nbnma 'nehmen' (fast allgemein), klebbm 'kleben', summa r,
nl, khummad (< komat) erscheint (in den drei letzten wör-
nimmt Gradl vordringen schriftsprachlichen gebrauches an);
so selten sind die 'ausnahmen' im Erzgebirge, in Sonne-
, Pfersdorf, Henneberg, Nürnberg (Fromm. § 8. 30a. 32. 45).
Im W des gebietes treten diese kürzen wol etwas zahl-
ter auf (s. Bauer 374 und 396; auch Heilig bestätigt es),
bleiben sie in der minderheit gegenüber den regelrechten
in ; zudem zeigt sich, dem wesen dieser analogiebildungen
>rechend, ein schwanken der quantität in der ma. wie in
barmaa.; nach prüf. Heiligs mitteilungen heisst im Tauber-
1 das participium gr'nU 'geritten', flectiert aber hat es
»s i; gridtnor; in Künzelsau stehen wider imd zuwider
i einander, im Erzgebirge öwr und oicr u. a.
»Venn die stadtmaa. häufiger kürze haben und zwar vor-
lich in solchen Wörtern, die auch im nhd. dieselbe zeigen,
n sattel, Sommer, donner, so muss sicher schriftsprachliche
Sussung angenommen werden; beispiele bei Sartorius,
rtel, Felsberg, Hedrich.
T nterblieben ist die dehnung ferner im ganzen gebiete,
erst durch vocalsynkope entstandenen geminaten bei
-rben auf t und d und ebenso vor den auf gleiche weise
ndenen doppelconsonanzen bei den verben, deren stamm
rschlusslaut ausgeht (s. Gradl 212. Stengel 394. Felsberg
[edricll 12, /. Schleicher 57. 58. Güpfert 80. 81. 85. Fromm.
174
KITZKKT
§ 24 29. 30a. 33). Beispiele: rct 'redet, redete'; gtrct 'geredet',
retn 'redeten1, retst 'redest, redetest'.
§ 42. Im gesammten ostfränkischen gebiete ist in mhd.
einsilbigen Wörtern vor doppelconsonanz dehnung eingetreten.
Bei antritt einer flexionssilbe oder ableitung tritt die alte
kürze wider ein, s. Gradl 210. Spiess 14. 15. Hedrich 11. Haupt
252. Felsberg 129. 132. Fentsch 193. Stengel 390. Schleicher 25.
Göpfert 20. Schmeller § 111. 117. Fischer § 14. Fromm. § 18.
30. 32. 34. 40. 43. 44. Bauer 396. Noe" 208. 311. 0. Hertel und
0. Heilig bestätigen das gesetz für ihre maa. Franke gibt in
Bay. maa. 1. 29 ff. sehr zahlreiche beispiele aus dem gesammt-
gebiete. Sartorius hat nur wenige beispiele: einmal bietet er
in seiner Sammlung wesentlich 'städtische ausdrücke' und dann
bezeichnet er auch die quantität nur selten. Vgl. ferner die
grenzbestimmung für vocaldehnung in mann bei Wrede, Anz.
fda. 19,201; dieselbe stimmt im wesentlichen mit der für das
ostfränkische (gegen das thüringische und obersächsische) von
Hertel und Franke gegebenen grenze überein.
Anm. In solchen wtirtern, die erst durch Unterdrückung eines älteren e
einsilbig geworden sind, ist die dehnung unterblieben: kost < koste, bett
< bette; hierher SO zählen sind auch die dialektischen nominativfonuen,
die urepr. gen. dat. sg. waren: hent 4hand\ benk 'bank'.
§ 43. Während dieses gesetz im hauptgebiete fast aus-
nahmslos wirkt, gilt es für die nördlichen maa. Henneberg.
Pfersdorf, Koburg, Sonneberg, Schöneck, Erzgebirge wol auch
als regel, doch finden sich hier nicht selten ausnahmen (in
Greiz am nördlichen rande des ostfränkischen wirkt es über-
haupt nicht; hier ist nach L.Hertel 'kurzer vocal vor doppel-
consonanz erhalten'). Beispielsweise hat Henneberg kürze vor
rm und rn; ferner vor cht (aber knächt), ft und in anderen
Wörtern; in Sonneberg steht ort, horn u.a. neben tcirt, htm;
auch in Westböhmen steht vor chs, cht, ft, st und ähnlichen
harten consonanten Verbindungen 'häufig auch' kurzer vocal
(Gradl 212). Vor chs bleibt die kürze ausserdem in Henne-
berg, Sonneberg (hier hat allein flooas 'flachs' länge), an Rezat
und Altmühl und im Taubergrund; doch haben verschiedene
nachbarmaa. des letzteren langen vocal: &g& 'dachs', flbgs
•flachs' (nach Heilig).
In der rege! sind ausnahmen im hauptgebiete sehr selten
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DEHNUNG DKU HUI). KURZEN STAMMSILHENVOCAIjE. 175
und erklären sich dadurch, dass die betr. Wörter nicht urspr.
mundartlich sind, oder dass die Quantität der flectierenden
formen den sieg davon getragen hat (wie z. b. auch in swam
im Taubergrund), oder aber, dass das wort in Verbindungen
erscheint, in denen es nicht den hauptton trägt: -fach; femer
■lach in Ortsnamen u. a.
§ 44. Ursprünglich hatte der dativ obiger Wörter (§ 42),
trotzdem er frühzeitig einsilbig war, die kürze bewahrt. So
ist es noch im westböhmischen, wo kürze 'in allen flexions-
formen' gilt (Gradl 211). Im grössten teile des gebietes hat
jedoch jetzt auch der dativ gelängten vocal. Ein schwanken
zeigt sich in der Wasunger ma.; heute ist aber die gedehnte
form vorwiegend im gebrauche; die ursprüngliche kurze ist im
absterben (s. Reichardt 110); doppelte formen haben in Wa-
sungen u. a. such, griff, knöpf) kämm, wald. Auch bei Spiess
finde ich nur drei beispiele mit kurzem vocal: tcall dat. zu
'wald', fass neben fäss, (hä) desch ('bei) tische' (a.a.O. 50).
Wie mir ferner prof. Heilig mitteilt, gilt die kürze im dativ
für den Taubergrund nur für stall, wall 'wald' und fall.
Die übrigen ostfränkischen dialektarbeiten haben weiteres
hierher gehöriges niaterial nicht angegeben, doch leistet Wen-
kers Sprachatlas willkommene hilf e : s. die berichte Wredes
über die dative von tisch (Anz. 22, 325), luft (Anz. 19, 278) und
feld (Anz. 19, 285). Hiernach gilt im dat. tisch langer vocal
in einem grossen mittel- und oberdeutschen bezirke, den man
ganz ungefähr abgrenzen mag gegen NW durch die linie
Wasungen, Meiningen, Fladungen, Nordheim, Tann, Fulda,
Schlüchtern, Brückenau, Steinau, Salmünster, Orb; gegen W
durch die Verbindungslinie Orb, Eberbach a. N., Löwenstein,
Weilheim, Ehingen, Füssen; gegen 0 durch den Lech, die Donau
bis Ingolstadt und etwa Ingolstadt, Neumarkt, Eger; gegen NO
durch Thüringerwald und Frankenwald, von dessen südostende
aus * noch die reich sgrenze längs den abhängen des Erz-
gebirges begleitet. Ausser dem NO des schwäbischen dialekts
hat also auch der grösste teil des ostfränkischen im dat. tisch
langen vocal. — Für dat. luft wird gedehnter vocal seltner
von der oberen Pegnitz bis zum Fichtelgebirge, häufiger zwi-
schen diesem und dem Erzgebirge überliefert; dann aber über-
wiegt luft im grossen schwäbisch-fränkischen gebiete, das gegen
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176
KITZKKT
S zwischen den unterlaufen von Hier und Lech beginnt, gegen
NO von Donauwörth bis zum Mittelmain, gegen SW von Ulm bis
Stuttgart, Adelsheim, Miltenberg sich ausdehnt; endlich ist am
Frankenwald louft bezeugt. — Gedehntes e im dat. feld findet
sich namentlich östlich der Rhön, im meiningischen, sowie im
länglichen streifen vom Spessart südöstlich auf die Lech-
mündung zu.
Aus diesen belegen ergibt sich, dass die dehnung im dativ
nicht auf die oben genannten orte beschränkt geblieben ist
Es darf aus ihnen und den oben gegebenen tatsachen ge-
schlossen werden, dass der ganze Singular der einsilbigen nonüna
auf doppelconsonanz im grössten teile des ostfränkischen ge-
dehnten vocal hat
Wie weit damit Gradl (s. oben) in Übereinstimmung zu
bringen ist, vermag ich nicht zu entscheiden; Gradl spricht
ausdrücklich 'von allen flexionsformen'; immerhin ist auffallend,
dass in den nhd. Übersetzungen der dialektformen mit kurzem
vocale so weit ersichtlich nur der plural angegeben ist: napf
'näpfe', niemals der dativ.
Wenn übrigens die herausgeber der Wasunger ma. ver-
muten, dass die vocaldehnung im dativ dadurch veranlasst
sei, dass das flexions-e hier eher abgefallen sei als bei den
pluralformen, so liegt gar kein grund zu dieser annähme vor:
wir haben es einfach mit einer ausgleichung nach der nom.-
acc.-form zu tun.
§ 45. Vereinzelt kommt auch in flectierten formen der
Wörter auf r -f cons. dehnung vor, jedoch so selten, dass im
ostfränkischen von einem dehnenden einflusse dieser lautver-
bindungen keine rede sein kann. In den wenigen fällen dieser
art haben wir es mit ausgleichungen nach dem nom. zu tun.
Prof. Heilig gibt zwei beispiele: dsÖ9rdar 'zarter' und btrdt
'arten'. Reichardt und Spiess: bdrt 'bärte' und dim. bärdU,
aber bfärU, dim. zu bfar 'pferd'. Dehnung findet sich ferner
in ferse an mehreren orten, im Taubergrund auch in dozrst
'salatstengel'; Heilig setzt für beide mhd. *veresen und *torese
an: liegt aber nicht vielleicht analogiebildung nach den ein-
silbigen auf -rs oder aber beeinflussung des nahen rheinfr. (s.
unten § 51) vor? — Auch in der Wasunger ma. erscheinen
einige zweisilbige Wörter mit rs mit langem vocale: nrihrül
'mörser' u. a.. aber gä'rsdd 'gerste' u. a.
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DEHNUNO DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 177
Nicht selten sind im ostfränkischen einsilbige Wörter durch
svarabhaktivocal zweisilbig geworden. Es Hesse sich die deh-
nung in diesen also auch auf grund der hierdurch entstandenen
offenen silbe erklären. Heilig lässt die frage offen: ich ver-
neine sie, da einmal in anderen ostfränkischen maa. (Stengel
s. 390) der plural trotz svarabhakti kürze behalten hat: bölich
'balg' und pl. bdlich, är,im 'arm' und pl. drdm, und anderer-
seits in anderen ostfränkischen maa. in bestimmten Wörtern
trotz svarabhakti auch der Singular keine dehnung erfahren
hat: Schleicher 26: bolich 'balg', kolich 'kalk'; Spiess: wolef
'wolf u. a.; auch Stengel hat wurm sing., sturom sing. Beide
fälle ergeben also, dass die svarabhaktientwickelung jünger ist
als die vocaldehnung.
§ 46. Als vereinzelt auftretende dehnungserscheinungen
sind folgende zu nennen:
a) Dehnung vor nasal Verbindungen, die sich auf alle
flexionsformen erstreckt, kommt an der Werra vor; beispiele
bei Spiess und Reichhaidt; das nähere s. unten § 75.
b) Ebenfalls an der Werra kommt — wie im angrenzen-
den südwestthüringischen — dehnung vor altem -st vor: bei-
spiele bei Spiess und Reichhardt: äst 'ast' und pl. est, dim.
esdh; fast 'fasten' u. a.; aber Idst 'last', bdst 'beste' u. a.
c) Ferner wird hier a vor lz auch in mehrsilbigen Wörtern
gedehnt: sdlzh, dim. zu salz u. a.
d) In den maa. Westböhmens tritt vor U, rr regelmässig
in ein- und, wenn die zweite silbe ein altes e (nicht aber
andere vocale) barg, auch in zweisilbigen vocaldehnung ein:
«/'alle', sdl 'schall' und saln 'schallen'; bei rr tritt der Über-
gang eines oder beider r in a ein: iar 'irre', saqrn 'scharren'
(Gradl 210). — Nach Haupt hat auch Weischenfeld in Ober-
franken ndr < narre, die Oberpfalz erfült; für das Erzgebirge
verzeichnet Göpfert 20 u. a. Jcräln subst. und verb.; Franke
gibt a.a.O. 30 ff. verschiedene beispiele dieser art von ver-
schiedenen orten Ostfrankens.
6. Rhein fränkisch.
Quellen: E. David, Die Wortbildung der ma. von Krofdorf (bei
Gi essen), Germ. 37, 377 ff. — E. Dittmar, Die Blankenheimer (bei Bebra)
ma., Jenaer diss. 1891. — K.Hessel, Kreiznach is tromp! Localschwank.
Beitrige zur geachichte der deutschen »praohe. XXIII. ] 2
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178
RITZE KT
Mit einer ahhandlnng über Kreuznacher art und ma. n. einem Wörterbuch.
Kreuznach 1692. — J. Kehrein, Volkssprache u. volkssitte in Nassau.
3 bde. Bonn 1872. — ,1. Leidolf, Die Naunheimer ina. (bei Wetzlar).
Jenaer diss. 1S1>1. — Ph. Lenz, Der Handschuhsheimer dialekt. 1. Kon-
stanz 1SS7. Nachtrag (2). Darmstadt 1692. — J. Salzmann, Die Hersfelder
ma. Marburger diss. 1888. L. Schandein, Gedichte in Westricher ma.
Stuttgart 1854. — L. Schandein, Ma. der Rheinpfalz, Bavaria 4. 2. abt..
21" ff. — W. Victor, Die rheinfr. Umgangssprache in und um Nassau.
Wiesbaden 1875. — A. Vilmar, Idiotikon von Knrhessen. Marburg un«l
Leipzig 1 SM. — v. I'fister, Mundartliche und stammheitliche nachtrage
zum idiotikon von Hessen. Marburg 1681». — v. Pf ister, Ergänzungshefte
zum idiotikon von Hessen. Marburg 1 889 und 1694. — G.Volk, Auf der
ofenbank. Erzählungen in Odenwälder ma. Offen bach 1892. — H. Breunig,
Die laute der ma. von Buchen. Progr. von Tanberbischofsheim 1891.
A n m. Die maa. der orte Bischofsheim bei Mainz und Eberstadt bei
Dannstadt sind mir genau bekannt. Ich habe sie deshalb mit zur ver-
gleichung herangezogen und citiere sie mit Bisch, und Eh.; ferner habe
ich auf erkundigungen bei bekannten hiu zuverlässige angaben aus den
Ortschaften dos kreises Homberg (bez. Cassel), aus Merxhausen (bei Fritzlar).
Ershausen im kreise Rotenburg (Fulda) und Rod (bei Weilburg) erhalten,
die ich ebenfalls mit verwerte.
§ 47. Im rheinfränkischen ist im allgemeinen mhd. kurzer
vocal in offener silbe gedehnt worden.
Da in keinem der genannten werke ausser bei Breunig
(s. unten § 55 e) der quantitative lautwandel zum gegenständ
einer besonderen betrachtung gemacht worden ist, vermag ich
nicht auf beweissteilen hinzuweisen; zahlreiche beispiele aus
allen rheinfr. maa., wie folgende aus Handschuhsheim: fand
'fahne', lära m. 'laden', wtm 'weben', säg9 'sagen' u.v.a.
ergeben die richtigkeit des obigen satzes, der auch für die
mischmundart von Buchen gilt trotz Breunig 25.
§ 48. Zahlreich sind in Rheinfranken die scheinbaren
ausnahmen, die durch vocals}*nkope in suffixen verursacht
werden, vornehmlich im S (s. Lenz 1, 11. Hessel 65. Schmeller,
Die maa. Baierns § 439 [für die Rheinpfalz], Schandein 2, 234 ff.).
Mit wenigen ausnahmen erscheint der vocal kurz, wenn der
stamm auf m, n schliesst: nems 'nehmen', hämo 'hammer* etc.;
ferner vor liquiden, Spiranten und medien: hob 'holen', wetcv
' weber', heivl 'hebel', ofo 'ofen', swefl ' Schwefel', besam 'besen'.
glesv pl. zu glas, wagd 'wagen', gewd 'geben', glirv pl. zu gltd
u. v. a. Im Westrich (der grösseren gebirgigen hälfte der
Rheinpfalz) begegnet die kürze seltener (Schandein 2, 2.33) :
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 179
reifen' u.a.; dasselbe gilt für die maa. von Bisch, und Eb.;
mierhin sind die fälle mit kürze liier noch zahlreich. Auch
r N hat häufig die ursprüngliche kürze, doch wider seltner
ä die mitte des gebiets; so haben Homberg, Hersfeld, Blanken-
im, Merxhausen, Erxliausen, Naunheim und Rod wol html,
w/.>r, sonur u. a. auf m, aber hätmr, hü mal, danuirn (Rod in
zterem kurzen vocal). Für das schwanken der quantität
den fällen dieser art seien nur einige beispiele angeführt,
rze in nabd, geben, nehmen hat der länge finde ich be-
igt für Blankenheim, Erxhausen, Merxhausen, Homberg,
rsfeld (in beiden letzteren doch nicht in nehmen); ziemlich
, so viel ich finde, nur in Erxhausen langen vocal; die
tt. geblieben, geschrieben u. a. haben in Bisch, und Eb. kürze,
X länge; gedehnten vocal hat krebs in Homberg und Rod,
4 kurzen, dagegen erscheint magd und obst stets mit länge;
ig erscheint in Blankenheim als huvk, in Naunheim als
•, sonst wie im nhd. Diese beispiele Hessen sich ins un-
iche vermehren; sie beweisen zur genüge, dass wir es
mit verschiedenartiger ausgleichung zu tun haben (s. Paul,
r.9,118).
A n m. In Buchen haben öfters pl. und ableitung von solchen Wörtern
kürze, die im sing, die regelrechte länge zeigen: Wfi, pl. aber ift/f;
'boden', dim. aber hedimh; nam», aber nemU u. a.
In der verbalflexion kommt die kürze in folge synkope
lexionssilbenvocals nur vereinzelt vor; aus der mir ge-
ren ma. von BLsch. kenne ich sie nur in den verbal-
en von sdr3 'schaden' : sad 'schadet' und gdsad part.; aber
badet' und part. g9bäd; in Eb. auch in ligd 3. sg. praes.
iegen' und in legd und gdlegd zu 'legen'. Vietor führt
ir Nassau ausser ersterem an in liehst, licht 'liegst, liegt'
fachst, sacht, gesacht 'sagst' etc.; letzteres auch im S. —
:ürze in dem für alle drei orte giltigen a in sad, gssad
?.her durch den umstand bedingt, dass diese formen häufig
ime zu bach < baten sw. v., das kurzen stammvocal hat
teil § 49), gebraucht werden.
49. Eine ausnähme von unserem gesetze machen im
n g-ebiete die meisten Wörter auf t, welche die alte
bewahrt haben. Während aber in den alem. maa. hierbei
irze durchweg erscheint, zeigt sich im rheinfränkischen
12*
180
KITZKKT
ein mehr oder minder grosses schwanken. Fast überall haben
kürze gott, pate, matt, quitt, schnitt, kette, gevatter, wetter,
dotter, sattel, schatten, gesotten, geritten, bettet, tritt subst. und
3. sg. von treten u. a.; gedehnten vocal haben blatt (= bldd),
hrett, satt, gebet n., beten, treten, kneten. Was die übrigen
betrifft, so finden wir mannigfache Schwankungen: stadt, glatt,
vater, kater haben kürze im S (s. Lenz 1, 11. 12. 26 etc.), länge
in Naunheim, Homberg, Merxhausen, Erxhausen, Blankenheim.
Hersfeld (doch hat letzteres fatdr 'vater'). Bisch., das meistens
wie der S kürze vor t hat, kennt dieselbe ausser obigen nicht
in der 3. sg. praes. von treten, nicht in Schlitten, schnitte; Rod
dehnt ausnahmsweise in schatten — auch Eb. hat sard — ,
gesotten, verboten; böte erscheint im N mit langem vocal, doch
hat Erxhausen hier übereinstimmend mit dem S kürze, wie
Merxhausen in getreten. Hersfeld hat länge in kette, bettet,
wettet, gelitten, aber kürze in ungewitter; in Homberg haben
pfote, gote, verboten, geboten kurzen vocal, doch glad 'glatt'
u. a.; schritt und tritt haben langes i in Erxhausen; in Blanken-
heim erscheint in ersterein länge und kürze neben einander.
Der pL von blatt, brett ist meistens kurz, doch gibt es auch
hierbei Schwankungen; so hat Erxhausen länge in blätter, und
Rod in breiter. Die mischma. von Buchen und Umgebung hat
vor t einige mal kürze bewahrt: bod 'böte', gzbodd 'geboten',
gesodo 'gesotten', grod 'kröte', i bed 'bete' neben bed; aber
grich 'geritten', glido 'gelitten', brid 'brett' u.a. — Wie gross
auch dieses schwanken zwischen den einzelnen maa. sein mag,
so zeigt sich doch im ganzen gebiete das starke bestreben,
t als geminata und darum silbeschliessend zu behandeln; nur
im äussersten NO überwiegt die regelrechte dehnung. Für die
Rheinpfalz vgl. Schindler § 671 und Schandein 241.
Auch vor d ist nicht selten kürze erhalten: smid 'schmied',
red 'rede' und rcd{r)d 'reden', jud und pl. jwb (jutv) 'jude',
doch gltd 'glied' u. a.; ebenso in zweisilbigen: leder, feder u. a.;
doch lässt sich die kürze hier durch ausgleichung nach syn-
kopierten formen erklären. Für die Rheinpfalz s. Schmeller
§ 439. Buchen hat jüt 'jude', pöto 'boden' etc.
§ 50. Ausserdem begegnen uns im rheinfränkischen einige
wenige Wörter (meist in einsilbiger form) mit erhaltenem
kurzen stammvocal. Erklärung bei Heimburger (Beitr. 13,
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l)EHXUN(i DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE.
181
11 ff.) §57. Es sind dies: sdub (im N Mowj) 'stube' und
I. sduwd; mb < scJmp; grob, flectiert grotvr (in Rod gröwr);
is (im N iceso und in Hersfeld tces) 'wiese'; ferner fromm,
tm, toll, weg (adv.); vereinzelt kommen vor: sib 'sieb' in
aunheim; äsug 'zug' und dim. dsügdlyo in Eb. und Rod; nach
hmeller § 645 lautet s an der Queich in einzelnen Wörtern
ie ff: glaff 'glas', graff 'gras'.
Vor / zeigt sich einige mal kurzes t und o; so in Rod: ml
iel', mil 'mühle', dil 'diele'; Blankenheim: mel 'mühle'; Hers-
el: fil, mel, khol < hol, feU 'füllen'; kürze in kohle findet
Ii auch im kreise Homberg.
§ 51. Von der Qualität benachbarter consonantengruppen
id die dehnungserscheinungen verursacht, die ich in den
genden paragraphen erörtere.
Vor r-verbindungen und zwar hauptsächlich vor r + dental,
rden mhd. a, e gedehnt und nur vereinzelt auch andere vo-
e. Hinsichtlich der einzelnen Verbindungen dieser art be-
llt aber keine gleichmässigkeit des dehnenden einflusses.
Durchweg ist a, e vor r + t, d in einsilbigen Wörtern ge-
gt: bärd 'b&rV, tvcrd 'wert'; auch särd 'scharte; «erscheint
h in zweisilbigen gedehnt mit ausnähme Nassaus: gärdc
ten', jedoch hat auch Naunheim gomh 'garten', ico*adj
rten'. Länge in werden hat Handschuhsheim. Blankenheim,
nberg: wer; sonst (Rheinpfalz [s. Schandein 241J, Nassau,
•h., Eb. u. a.) gilt kurzer vocal, aber erdj 'erde'. Ver-
elt, so in Rod, Krofdorf, Bisch., Eb., erscheint dehnung in
•rd 'geburt'.
Xov rz ist nur a gelängt : hurds *harz' u. a., aber stcards
warz' (Buchen mit a)\ Handschuhsheim hat auch j)(»tsl
zeV (doch auch kurz), ste'nts (< sterz), stöntsz (< sturzel).
!er Enz wird u in schürf gedehnt ; s. Fischers atlas, karte 18.
Vor rs und rsd ist immer dehnung von a, e eingetreten:
l 'karst', gersd 'gerste', im 8 kdsd, gemd\ Handschuhsh.
auch p(>vst 'bi'u-ste' (aber nur bei älteren leuten), toost
\t\ tön so (< torse): auch Bisch, hat föosd 'forst, als name
gemarkungsteiles, der früher wald war; diese einzelfälle
□ den schluss zu, dass sich in früherer zeit die dehnung
rs auch auf andere vocale erstreckte. Für die Enzma.
igt Fischers karte 18 kirs 'kirsche'.
182
KITZKRT
Vor rn sind a und e sehr häufig gedehnt: gä(r)n 'gara',
gern (geon) 'gern' u. a., doch heisst es überall warnen; ander-
wärts tritt vor rn die längung nur in einzelnen Wörtern ein,
so in Hersfeld, Blankenh., Erxh. Rod und Naunh. haben
(ausser gdan 'garn') vor rn stets kürze. Das linksrheinische
gebiet entwickelt svarabhakti: gen 'gern'; hier ist auch Kärzl
'Karl' üblich, wol in folge dieser erscheinung.
Dehnung des a und e vor r + labial und guttural ist
häufig zu constatieren, aber nicht allgemein; hierher gehört
dehnung des a vor rm in arm subst. und adj., ärmut, warnt:
wol überall; öfter ist länge in darm und erbarmen angegeben,
dagegen niemals in ärmel, wärme. Handschuhsh. und das
linksrheinische gebiet entwickeln in rm svarabhaktivocal :
tcärdtn; ebenso in ärix 'arg', das sonst — mit ausnähme von
Krofdorf — kurz ist.
Vor rb erscheint mhd. e gelängt in sterben in Bisch., Eb.,
Homberg, Hersfeld, Blankenheim; in den beiden ersten orten
auch k-Qüb f. 'kerbe', (owo 'erben', aber gasdorwa 'gestorben',
seob ' scherbe' etc. In Bisch, und Eb. heisst es auch (owJtl
'arbeit', wie im linksrh. gebiete ärwdd neben arweit; Hersfeld
hat erwds < erweiz.
Mhd. e ist vor rg im ganzen gebiete — mit ausnähme
des 8 auf beiden Rheinufern — gedehnt in berg, werg; die
häufig vorkommende länge in wqn-ddg 'Werktag' ist entstanden
nachdem k sich dem t assimiliert hatte; Hersfeld hat auch
m$rk 'mark' und sdörg 'storch'.
§ 52. Dehnung vor l + t, d wird im rheinfränkischen für
a bezeugt und zwar für das gebiet östlich und nördlich der
linie, die von Weilburg über Idstein, Mainz, Dreieichenhain.
Babenhausen, Seligenstadt weiter nach Lohr zieht, (die cursiv
gedruckten orte haben vocalkürze); s. Wrede, Anz. 21, 275: alte.
Hierbei fällt der dentale verschlusslaut in der regel aus, so
dass a (sofern es sich um zweisilbige formen dreht) in offene
silbe zu stehen kommt. In dem bogen zwischen der ge-
nannten linie und der, die von Weilburg über Herborn, Staufen-
berg, Schweinsberg, Kirtorf. Neustadt, Alsfeld, Herbstein,
Schotten, Wenings, Büdingen nach Windecken zieht, kommen
alt und dl neben einander vor. Mit alte stimmt kalte (s. Anz.
21, 279) im grossen und ganzen überein. Vereinzelte ausnahmen
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DEHNUNO DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 183
kommen hin und wider vor; allgemein aber bleibt der umlant
von a kurz : hei f. 'kälte'.
Die orte Bisch, und Eb., die im S an obige linie grenzen,
haben nur in häh 'halten1 und bäl 'bald' gedehnten vocal;
dasselbe gilt für den Odenwald.
Länge des a vor Its (s. Wrede, Anz. 19, 102: sah) findet
sich in wesentlich demselben gebiete wie vor It: die westgrenze
zieht von Hilchenbach über Haiger, Braunfels nach König-
stein, die südgrenze bildet der Main. Femer findet sich ein
kleineres gebiet mit länge östlich und südlich vom Odenwald
mit Miltenberg, Waldürn, Adelsheim.
In Blankenh. ist auch e in ßld gedehnt; doch heisst es
geld. Hersfeld hat in beiden Wörtern länge, aber nicht im
pl.. ferner in smrlds 'schmelzen'; andere Wörter mit mhd. e
zeigen kürze: sekh 'selten', meld 'melden'.
§ 53. a) Vor der lautgruppe nasal -f vei-schlusslaut wird
im NO des gebiets der vocal häufig gedehnt. Das nähere
hierüber ist beim thüringischen erörtert; s. unten § 75.
b) Dehnung vor n + Spirans mit schwund des nasals findet
sich nach Kehrein 22 (§ 160) 'hier und da' am Taunus. Nach
Wrede. Anz. 18, 406 hat ferner die Lahngegend um Driedorf,
Weilburg, Staufenberg, Giessen, Nidda, bad Nauheim, Wetzlar
geis für den pl. gänse. Für Naunheim gibt Leidolf einige
hierher gehörige beispiele, wie hraU 'kränz'; doch pl. krente,
kant&l 'kanzel'.
An in. Für Naunheim #ilt auch Ä«*</ 'band', firMa'd; doch land,
wund etc.
Die für das schwäbische charakteristische 'ersatzdehnuug'
mit nasalierung des vocals vor n + Spirans erstreckt ihre aus-
länfer an die Enz. Verlängerung des a findet sich auf beiden
ufern derselben und in einem schmalen streifen auf dem linken
Neckarufer nördlich der Enzmündung; auch i wird an der Enz
vor u + spir. gelängt; sein gebiet erstreckt sich jedoch nicht
so weit westlich als das für ä und zwar f'ff wider nicht so
weit als zi's. Die linie für ü*s 'uns' bleibt einige kilometer
von der Enz entfernt und geht erst kurz vor ihrer quelle
auf das linke ufer; noch weiter entlernt bleibt die linie für
die dehnung in brunst; s. Fischers karten 4 und 5.
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184
KITZEKT
§ 54. Vor urspr. ht ist mhd. a und e ausser dem links-
rhein. teil im ganzen gebiete gedehnt; nur wenige Wörter sind
davon ausgenommen, wie acht num. (das aber im N länge hat
gegenüber achtzig) und fechten; auch specht hat hin und wider
vocalkürze. Das fremd wort ^a<7< < hat t eils langen, teils kurzen
vocal; echt und pracht haben stets kürze.
Nach Wredes bericht im Anz. 21, 162 zieht die grenze der
vocaldehnung in recht den Neckar abwärts, weiter den Rhein
entlang bis Bingen und dann der Nahe und Glan aufwärts.
Wie weit damit Riehls angäbe (Die Pfälzer, Stuttg. 1858.
s. 277), gedehnte ausspräche des e in schledit sei ein charak-
teristicum des Pfälzer dialekts, in einklang gebracht werden
kann, vermag ich nicht zu beurteilen; für das Westrich gilt
vocalkürze, und ebenso, nach meiner erfahrung, für die hes-
sische Rheinpfalz.
In Blankenh. und im kreise Homberg ist auch i gedehnt
in trichter. Für die Enzma. ergibt Fischers karte 1 länge in
frucht.
§ 55. Nur für kleinere bezirke, und zwar in erster linie
für grenzgebiete, gelten folgende dehnungserscheinungen:
a) Vor urspr. hs ist a in einem gebiete nördlich des Mains
gedehnt; dabei schwindet die gutturalspirans. Von Ems (cursiv
gedruckte orte auf der .r-seite) zieht — nach Wrede, Anz. 21,
2(51: wachsen — die südgrenze desselben über Runkel, Com-
herg, Usingen, Homburg, Windecken bis Hanau; von hier bildet
den abschluss gegen 0 und N die linie Büdingen, Ortenberg,
Wenings, Schotten, Herbstein, Lauterbach, Homberg a. d. Ohm,
Kirtorf, Schweinsberg, Kirchhain, Marburg, Biedenkopf, Dillen-
burg, Haiger, Ederkopf; vgl. unten § 67. Rod, das an der
grenze des genannten gebiets liegt, hat länge nur in wachsen
und flachs, aber nicht in wachs, dachs, achsel.
Ferner ist an der Enz in Übereinstimmung mit dem schwäb.
a vor hs gedehnt (s. Fischers karte 20); auf ihrem linken ufer
aber hat nur am unterlaufe ein kleiner bezirk länge (die
grenzlinie für 6s 'ochs' reicht nicht bis an die Enz).
Mhd. e ist nur ganz vereinzelt vor hs gedehnt: Naunh.
hat we*asdn ; wechseln' und Krofdorf w('DsjI 'Wechsel'.
Dehnung des o vor hs ist nach Wrede, Anz. 21, 264 eben-
falls für das gebiet nördlich des Mains bezeugt, nur zieht die
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DEHNUNG DER MHD. KÜRZEN 8TAMMSILBENV0CALE. 185
südgrenze in einem kleinen abstand nördlich von der für
wachsen gegebenen linie bis Hofheim, von wo sie mit der-
selben zusammenfällt; ausgenommen bleibt ferner an der Lahn
die weite halbinsel Weilburg, Braunfels, Herborn, Biedenkopf,
Marburg, Rauschenberg.
b) In Hersfeld und Blankenh. ist wie in Westthüringen o
und e vor st gedehnt (vgl. § 78, a): swc'scUr ' Schwester', kysih
'kästen'. In Hersfeld heisst es ferner fösbdr 'vesper'. Länge
in tust hat auch Homberg.
c) Das pronomen ich hat in Handschuhsh. und in der
Glan- und Donnersberggegend (Schändern 252) langen vocal;
ferner in einem grösseren gebiete an der Lahn und in der
Wetterau bis Herborn, Biedenkopf, Rauschenberg im N, Taunus
und Main im S, Herbstein und Gelnhausen im 0, Westerburg
und Nassau im W: hier wechselt aich mit ich, betonte und
unbetonte form; s. Wrede, Anz. 18,308.
d) Vor II erscheint einige mal länge des a, so häufiger
(Bisch., Eb., Rheinpfalz, Odenwald) in überall, in der Pfalz
auch in ball = frz. le bal; Handschuhsh. hat auch wal 'auf-
kochen' < tcal, -lies.
e) Buchen auf der grenze zwischen Rhein- und Ostfranken
dehnt wie letzteres den vocal in mhd. einsilbigem worte vor
doppelconsonanz (s. Breunig 16 ff.). Hiermit erklärt sich die
unbestimmte angäbe bei Breunig 25: 'das von Paul aufgestellte
gesetz, dass in geschlossener silbe die kürze bleibt, in offener
dagegen dehnung eintritt, hat in unserem dialekt nicht un-
bedingt statt' (in offener silbe hat Buchen mit ganz wenigen
ausnahmen — vor t — dehnung; vgl. Br. 16; auch sonst hat
Br. zahlreiche hierher gehörige belege).
7. Mittelfränkisch.
Quellen: Bahlen, Die Birkenfelder ma. Vocalismns. Birkenfelder
progT. 1805. — Th. Bneseh, Ober den Eifeldialekt. Ein beitrag zur
kenntnis des mittelfr. Progr. von Malmedy 1888. — F. M. Follmann,
Die ma. der Deutsch-Lothringer und Luxemburger. 1. Consonantismus.
Metzer progr. 1880. 2. Vocalismus. Metzer progr. 1890. — M.Hardt,
Vocalisnius der Sauerma. Echternacher progr. 1843. — J. Heinzerling,
l*eber den vocalismus und consonantismus der Siegerländer ma. Marburger
Ana. 1871. — F. Honig. Wörterbuch der Kölner ma. Köln 1877 (dazu
einleitung: Ueber die laute der kölnischen ma. und deren bezeichnung von
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186
KITZEKT
W. Wahlen berg). — Heckiug, Die Eifel in ihrer ma. Prüm 1890. —
A. Jardon, Grammatik der Aachener ma. Laut- und formenlehre. Aachen
1891. — G. Keiutzel, Lautlehre der maa. von Bistritz und Sächsisch-
Regen, Archiv d. ver. f. iiebenb. lande.sk. N. f. 26 (1894), 133 ff. — J. Kehr-
ein, Volkssprache und volkssitte in Nassau. Bonn 1872. — Kisch, Die
Bistritzer ma. verglichen mit der moselfränkischen, Beitr. 17, 347 ff. —
Ph. Laven, Gedichte in Trierischer ma. Trier 1858 (mit lautübersicht u.
glossar). — Rott mann, Gedichte in Hunsrticker ma. Kreuznaeh 1874. —
A. Scheiner, Die Mediascher ma., Beitr. 12, 113 ff. — B.Schmidt. Der
voealismus der Siegerländer ma. Halle 1894. — K. Chr. L. Schmidt,
Westerwaldisches idiotikon. Hadamar und Herborn 1S00. — J. Wegeier,
Cobleuz in seiner ma. und seinen hervorragenden persönlichkeiten. Coblenz
1 876. — J. Wolff, Der consonautisinus des siebeubürgisch - sächsischen.
Mühlbacher progr. 1873 (1). — J. Wolff, Ueber die natur der vocale im
siebenb.-sächs. dialekt, Mühlbacher progr. 1875 (2).
§ 56. Im mittelfr. ist mhd. kurzer vocal in offener silbe
stets gedehnt worden; in den nördlichen maa. (Köln, Aachen)
jedoch nur im allgemeinen (s. Baldes 7. Buesch 8. Jardon 15.
Hardt 4. Laven ix. Follm.2,23f. B. Schmidt 16. 31. 43. Kehrein
[für den Westerwald] 3 und § 12; für Siebenbürgen s. Wolff 2,60).
Zahlreiche belege sind in allen genannten arbeiten zu finden;
ich führe an: hämdr, tsdsämd 'zusammen', bQstäto = 'sich mit
einer statte versehen, daher heiraten', bdU < baten, kateti
'kette'.
Wo altes p = hochd. ff' erhalten ist. findet sich lautgesetz-
lich länge des vorhergehenden vocals: dp, pl. äpe 'äffe'; in
diesem worte hat der nördliche teil des mittelfr. auf beiden
Rheinufern un verschobenes p; die genaue grenze dafür gibt
Wrede im Anz. 20, 324.
§ 57. Von weitgehendem schützenden einflusse für die
erhaltung der urspr. vocalkürze sind auch im mfr. die suffixe
-el, -er, -et», -en und ferner -ig, -et u. a.; hierzu vgl. § 16. Die
Wirkung dieses einflusses ist nicht allerorts die gleiche. Obenan
steht die kölnische ma., wo unter den angegebenen Verhält-
nissen fast ausnahmslos die kürze erscheint, mag der stamm
auf nasal, liquida. spirans oder media ausgehen: tcone 'wohnen',
hamel, hole 'holen', küning 'könig', wevcer 'weber', iget, heitern,
ledder 'leder', faddem 'faden'. In der Kifelma. ist die kürze
'regelmässig' erhalten, wenn die Stammsilbe auf liquida oder
nasal schliesst: faren 'fahren', jestolen 'gestohlen' (s. Buesch 9);
aber auch vor anderen consonanten bleibt die kürze häufig:
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOC ALE. 187
disen 'dieser', je zogen, botdem u.a.; aber ja fei 'gabel', hadern
'besen', kaiel 'kegel', bldtel ' flache schüsser IL a. Ebenso
haben die maa. Siebenbürgens in sehr zahlreichen fällen die
kürze bewahrt, so fast regelmässig, wenn die Stammsilbe auf
nasal, und sehr häufig, wenn sie auf stimmhaften verschlusslaut
ausgeht (s. Keintzel 145. 159. 150. 153. 157).
Bei weitem nicht in demselben umfange, aber immerhin
noch häufig erscheint vocalkürze in folge vocalsynkope in den
suffixen in den übrigen maa. Aus den an den angeführten
orten verzeichneten beispielen ergibt sich die tatsache, dass
sich die kürze am häufigsten dann erhält, wenn der stamm
auf im, n, w < b, und nicht selten, wenn er auf g, d ausgeht.
Im Siegerland bleibt z. b. die kürze vor dem aus g nach i
erweichten.; in re)7 'riegel'. Vgl. B.Schmidt 39, der hier Verkür-
zung aus sehr früh eingetretenem i annimmt; zu /cjf( heisst
aber der sg. /'p<s ( ' vogel', also mit erhaltener kürze. Es liegt
deshalb m. e. viel näher, jene durchgangsstufe überhaupt nicht
anzunehmen. Bemerkt sei noch, dass in Siegen a vor m +
suffix stets gedehnt wird: zosänw etc., die übrigen vocale aber
meist nicht: nämc 'nehmen', hhnel, sotner: doch kiml 'kümmel';
auch donner hat kürze. Ferner hat Aachen kämer, zesämc
neben schömel 'schimmel', nenie 'nehmen' etc.; doch auch hamel.
Hin und wider, so in der Eifel, kommt es vor, dass in
den flexionsformen der verben auf dentalexplosiv, in denen
durch ausfall des e der flexionssilbe geminata entsteht, die alte
kürze zum Vorschein kommt: sat, bat = 3. sg. praes. zu säden,
baden. Leider sind die quellen zur ausreichenden behandlung
dieser erscheinung nicht genügend.
§ 58. Erhalten ist die kürze vor altem einfachen t fast
ausnahmslos in Köln: gcbctt 'gebet', bott 'böte', patt 'pate' etc.;
länge vor t finde ich in der Wörtersammlung bei Hönig nur
in plaat 'platte', plaate verb., aber blatt, pL blatte r und verb.
bläddere\ bäte (< baten); Staats (< an-stete); gäder 'gattertüre'
und in hrat 'kröte'; neben letzterem aber krott 'kleiner junge';
neben vatter kommt väder und rar vor.
Ebenso ist liier vor d kürze bewahrt: ratt 'rad' und pl.
rädder, glidd n., redd f. 'rede', patt 'pfad' und üim. pättehe etc.
Von einer beeinflussung des kölnischen als einer stadtma.
durch die Schriftsprache kann also hierbei keine rede sein.
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188
RITZE KT
In Aachen steht nach Jardon die kürze namentlich vor
auslautendem dentalexplosiv: sat 'satt', j'lat 'glatt', blat 'blatt \
aber pl. blär, bö* 'böte' etc.; ferner rat 'rad', aber pl rar, bat
n. 'bad', aber verb. bade. Vgl. hierzu § 33.
In den maa. Siebenbürgens erscheint ebenfalls nicht selten
kürze vor t und d (belege bei Keintzel; s. ferner Scheiner 126.
127. 128. 132).
In den übrigen mfr. maa. findet sich vor t nur selten
kürze; in der Eifel kommt putt 'pfote,' vor1, in Siegen baddj
(< baten, s. B.Schmidt 13, aber auch 31); in Birkenfeld haben
einige Wörter kurzen vocal zur Unterscheidung von gleich-
lautenden, so u. a. blad f. ' platte' neben bläd n. 'blatt', sadj
(< schate) neben sädo m. 'schaden'; s. Baldes 11.
Kürze vor d begegnet in wenigen fällen auch an anderen
als den vorhin genannten orten; fast durchweg erscheint sie
in ret f. 'rede', jut m. 'jude', smit m., glit n.; in einigen maa.
besteht daneben gedehnter vocal.
B. Schmidt 47 vermutet, dass in jut sehr früh dehnung
eingetreten und dann ü gesetzmässig zu u verkürzt worden
sei (nach s. 75 a. a. o.). Die sache verhält sich m. e. aber um-
gekehrt. Das kurze u blieb und analog dazu wurden auch
lange ti vor t kurz wie in brutt aus brüt. Ganz dasselbe liegt
vor in sitt 'sieht' und yesitt 'geschieht' (a. a. o. 40).
§ 59. Erhaltene kürze in folge Verallgemeinerung der
quantität der unflectierten formen hat eine anzahl einsilbiger
Wörter in fast allen oben angeführten maa. des mfr.; dasselbe
gilt auch für Siebenbürgen ; ausgenommen ist der Hunsrück.
Es betrifft dies zunächst die auf liquida auslautenden
Wörter mit /, o, ü: stil 'stiel', spil m. 'spiel', tnäl f. 'mühle",
hol f. 'kohle', bol f. 'bohle' etc. Aachen und Siegerland haben
hier länge, doch hat letzteres bol 'bohle'. Auf r: bir (<bir,
pirus), dir (< tür; Köln jedoch beer, aber pl. birre) etc.; so auch
bei Wolff, Keintzel, Kisch, Scheiner.
Kürze vor auslautendem nasal zeigt sich meist in from
•fromm", tsin n. 'zinn', schin oder schm 'Schienbein', son und
pl. sön m. 'söhn', in der Elzma. auch in bun f. 'bahn; bei
Keintzel: wun 'wohnen', lum 'lahm' tsum 'zahm'; doch (jräm,
fin f. 'fahne'.
Von sonstigen Wörtern haben kürze: eicech (<enwec)\
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DEHNUNG DER Ml 1 1). KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 189
emcec); ferner mehrere auf f und s: hof lief f. 'liefe', arof
ob', stuf f. 'stube', sef 'sieb', hos f. 'hose', tcis f. 'wiese';
Hardt auch ris m. 'riese'. Hin und wider findet sich in
1 einen oder andern auch vocal länge.
In der Aachener ma. zeigt sich im pl. oft die alte kürze
zwar durchaus bei solchen, die plural-c verloren haben:
h m. 'tag', aber pl. dach. .Tardon sagt a.a. o. s.32: 'das i
pluralendung (der t-decl.) ist überall geschwunden, der
um vocal womöglich gekürzt,' Ebenso wird in der compara-
des adj. 'der stammhafte vocal meist gekürzt' (s. Jardon 34).
§ 60. Viel häufiger als in anderen dialekten bewirken
nfr. doppelconsonanzen dehnung mhd. kurzer vocale.
Von gesetzmässigem dehnenden einflusse auf den voraus-
nden vocal sind hier zunächst die Verbindungen r + con-
nt; in mehreren der oben angeführten maa. wirkt dies
tz fast ausnahmslos; so in Luxemburg und Deutschloth-
m (s. Follm. 1, 17. 2, 10. 11. 13); ferner zahlreiche belege
fardt; auch Birkenfeld gehört hierher (s. Baldes 7). Auch
ten hat meistens länge (Jardon 3. 28. 29). Vor r -f dental:
z, n, s, sch, l, dehnen Köln (s. Hönig 30), Trier (s. Laven
Coblenz und die Eifel. Stadtmaa. aber haben öfters
kürze. Wo sonst in durchaus dehnenden maa. fälle mit
;ni vocale vorhanden sind, ist schriftsprachliche beein-
ng zu constatieren oder das betr. wort ist aus dem nhd.
int. Für ersteres gibt Baldes einen treffenden beleg:
• Birkenfelder ma. erscheint die kürze in fiad 'hart', swads
arz', hcdds n. 'herz', pheol f. 'perle'; hierzu bemerkt B. 11:
auch hier, wenigstens in suads, die länge vorhanden war,
iigt die ausspräche des Ortsnamens Schwarzenbach, der
inde der Birkenfelder swadsobax lautet.' Ein beleg für
weiten fall bei Hardt 21: bor seht 'bursche' und »ior.se/*
morsch' 'sind beide aus dem hochd. entlehnt.'
ür die maa. Deutschlothringens und Luxemburgs sagt
inii, dass nur selten und zwar nur an der Mosel vor
u r- Verbindungen kürze vorkommt: berrecii 'berg', lierrebst
t\ dorre f dorf. An der Mosel scheint also dehnung nur
jr dental zu gelten.
uesch und Hecking geben für die Eifelma. die kürzen
'sorgen', dazu sor<eh l 'sorge'; für f. 'furche'; ary\
190
RITZE RT
barg = porcus; daneben aber die längen mar 'morgen; tcärjc
(< werch und werk).
Während auf dem Westerwald die kürze nur ausnahms-
weise erscheint, werden in der Siegerländer ma. vor r-verbin-
dungen nur a (doch nicht dessen umlaut) und c < e gelängt
und zwar fast durchgängig. Schmidt IG f. nimmt mit Heinzer-
ling 14 als Ursache dieser dehnungserscheinung die entwicke-
lung eines svarabhaktivocals an, 'wodurch der vorhergehende
vocal gewissermassen in offene silbe zu stehen kam.' Wenn
auch ein solcher oft noch deutlich fühlbar ist und in orte*
' arg' klar zu tage tritt, so muss es doch auffallend erscheinen,
dass sich derselbe nicht wie z. b. im schwäb. und ostfr. auch
da entwickelt hat, wo dem r ein umlauts-e, i, o, u vorausgeht.
Im siebenbürgischen sind die Verhältnisse vor r -f cons.
weniger einfach. Doch gilt hier, was Wolff 2, 28 sagt: 'wo die
kürze der hochtonigen silbe nicht geschützt war durch Posi-
tion, da war sie in den meisten fällen unrettbar verloren';
ferner: 'kurzes a bleibt aber in den Verbindungen r -f cons.
fortis.' — Die Verbindungen rsch und rscht dehnen den voraus-
gehenden vocal fast regelmässig (s. Wolff 1, 20). In der Bi-
stritzer ma. ist o, sein umlaut, e vor r + cons. gedehnt, jedoch
nicht immer; ferner tritt oft dehnung ein in mundartlich ein-
silbigen Wörtern mit i, mitunter auch mit u: hirt, hurt; ferner
ist vor rd und rn fast durchweg o gelängt, während nach Wolff
1,20 andererseits in der gruppe m das r oft geminirt wird.
Keintzel hat für Bistritz und Regen auch die beispiele; girkti
'gürten', girfol m. 'gürtel', irt = rechnung.
Mit Bistritz stimmt Mediasch im wesentlichen überein: a
und sein umlaut sind gedehnt vor rn, rd, rs, rm (vor letzterem
der umlaut nicht); e ist gedehnt vor rs und r§t und einige
mal vor rt, so in &>rt f. 'erde'; o ist gedehnt vor rn, rd, doch
ist der umlaut mitunter kurz; i erscheint einige mal gelängt
in mundartlich einsilbigen Wörtern.
§ 61. lieber vocaldehnung vor l + consonant im mfr. gilt
folgendes. Vor It (d) wird a nördlich einer linie gedehnt, die
etwas westlich parallel der Nied über Merzig, Saarburg, den
Hochwald, Bernkastel und dann etwa Mosel und Lahn entlang
zieht (vgl. Wrede, Anz.21, 275 ff.: alte). Hierbei assimiliert sich
immer das / dem so dass a bei zweisilbigen formen in offene
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DEHNUNG DER MHD. KÜRZEN 8TAMMSILBENV0CALE. 191
silbe zu stehen kam. In den Wörtern in denen / (d) geblieben
ist, bleibt auch die kürze; *es finden sich deren mehrere im
Siegerland und auch sonst : tadd, gewalt, ferner öfters die ein-
silbigen formen der Wörter, die in zweisilbigen gedehnt er-
scheinen: alt, aber die 'alt'; halt imp., aber hole 'halten' (s.
Heinzerling 110). Die kürze bleibt auch dann, wenn das ver-
längerte a umgelautet ist: äl 'alt', aber comp, aller. Für die
Kifelma. östlich von Prüm gibt Buesch auch kalt und alt: also
erhaltenes t.
Im NW des gebiets besteht übrigens nach Wrede, Anz. 21,
275 ff. 279 ein schmaler streifen längs der belgischen und hol-
ländischen grenze mit erhaltenem -ß-, dessen südgrenze für
alte von Malmedy ostwärts nicht ganz bis Blankenheim und
dessen ostscheide von hier gegen N östlich vorbei an Schleiden,
Gemünd, Stolberg über Linnich und Erkelenz weiter zieht,
Für das beispiel kalte ist das gebiet der -//-formen noch weiter
ausgedehnt, so dass man die grenze bis Erkelenz ganz ungefähr
ersetzen mag durch St. Vith, Daun, Remagen, Erkelenz. 'Doch
beweisen noch zahlreiche Äd/-ausnahmen die Priorität der alte-
linie.' Ausgenommen ist für beide Wörter der grenzsaum von
Eupen bis Straelen, wo der dental schwindet und l vocalisiert
ist; für kalte schliesst der saum im S noch Comelimünster ein,
in seinem südzipfel ist öfters alt bezeugt. Für Aachen be-
stätigen Jardons beispiele das gesagte: att"e 'alte', fau'e 'fal-
ten'; in einsilbigen formen bleibt der dental ÖH 'alt'.
In den maa. Deutschlothringens, Luxemburgs und der Eifel
wird auch e vor It gedehnt: seien 'selten', gelen 'gelten'; Wrede
gibt im Anz. 19,285: fal dat. sg. 'felde' um Prüm und Witlich.
Bei Finnenich 1, 502 finde ich für den kreis Prüm auch schould
'schuld' neben schölligkeet, jähld n. 'geld' neben weit.
Für den Westerwald gibt K. Chr. Schmidt goold n. 'gold'.
Vor -Its wird a gedehnt in einem streifen zu beiden Seiten
des Rheins von Düren über Köln bis zur lautverschiebungs-
linie, sowie häufiger nördlich der Mosel im westlichen teile
der Eifel. Vocalisation des l erscheint auch hier im west-
lichsten teile der Rheinprovinz mit Gangelt und Waldfeucht
(s. Wrede, Anz. 19, 102). Auch Buesch gibt salz. Firmenich hat
ferner hahls für die Eifel (1, 503). Ebenso hat der Westerwald
saalz (aber salzborjer) und schmaalz.
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192 BITZERT
Allgemeiner ist vor l -f cons. in Aachen und auch in
Siebenbürgen Verlängerung eingetreten; in A. ist in einer an-
zahl von fällen l ausgefallen und der vocal diphthongiert:
A-pM/^kalb'; oft findet sich nach l svarabhakti vocal: käl'k 'kalk',
jäl'm 'qualm', meVch 'milch' und verb. m^l'ke; oft nicht: pflz,
Mit 'bild'. Von den maa. Siebenbürgens dehnt Mediasch con-
sequent den vocal vor /-Verbindungen (s. Scheiner 131). Bistritz
und Regen dehnen a und in der regel e; einige mal ist in
Regen auch o gedehnt: httlts n. 'holz', fülk 'volk' etc. Nach
Wolff 2, 16 findet sich in den dorfmaa. Siebenbürgens vor U
sehr häufig diphthongierung: ault 'alt', houlz 'holz', foulk 'volk',
neben alt, hülz, fülk; anderwärts hat doppelconsonanz in S.
eine dehnung des vocals nicht zugelassen. Im nösnischen ist
t (d) nach / häufiger verloren: schälen 'schelten'.
§ 62. a) Verlängerung vor nasal -f cons. findet sich im
W des mfrk. In Aachen tritt vor den Verbindungen mp, nk,
nts, ns und in einigen fällen vor nt (d), das selbst aber wegen
des wandels zu nk nur sporadisch vorkommt, vocaldehnung ein:
wempel 'wimpel', lank 'lang', blenk 'blind', 6ns 'uns', mi[nz
'minze', schwänz (aber pl. schwe.nz), zqnke 'zanken'. Der plural
zeigt meistens wider die kürze.
In der Eifelma. wird nur a vor nt, nk und mp gedehnt.
'Bei hinzutritt einer flexionsendung sträubt sich die spräche
gegen eine Vermehrung der laut- und tonmasse', so dass meistens
der urspr. kurze vocal wider hervortritt (s. Buesch 9). Die an-
geführten beispiele wie lamp 'lamm', pl. lammer, länk, flectiert
lanye, sdnt, dat. sann, zeigen aber, dass in den flectiert en
formen die consonanz sich ändert. Ich sehe deshalb hierin
die Ursache der quantitätsveränderung in der flectierten form.
In den Wörtern, die jetzt a für mhd. i haben, ist die deh-
nung unterblieben: hont 'kind', want 'wind'. Hecking und
Firmenich haben ebenfalls hierher gehörige beispiele.
Für die Trierer ma. sagt Laven vrn und xxv: 'in vielen
Worten ist die ausspräche von m und n (auch l und teilweise r)
eine gedehnte und der diesen lauten vorausgehende vocal wird
schwebend, d.h. etwas gedehnt, ausgesprochen.'
In der Sauerma. steht e vor der Vereinfachung des m, n
aus mp(b) und nt(d): Uner pl. von lant; also offene silbe.
Honig gibt für die Kölner ma. beispiele mit vocaldehnung
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCAIjE. 193
vor nz: fraanzbrüdche 'milchbrötchen', krenzele 'sich zieren',
krönzel 'Stachelbeeren', doch Franz nom. pi% ans.
Für Siebenbürgen sagt Wolff 1, 28: 'vor nä, nt, nz wird a
häufig gedehnt'; s. auch Scheiner 124.
In Regen wird ausser a auch c vor n -f </, sowie vor u
gedehnt: letzteres gilt auch für Bistritz (s. Keintzel 143. 149);
vor » wird in beiden orten auch u gelängt (s. Keintzel 162).
In Mediasch wird u vor nt, ml, nk, ng gedehnt, sein umlaut
aber nicht.
Anm. Zu § 60. 61. 62, a vgl. E. Maunnann, Die laute der ma. von
Mülheim (Marhurger disw. 1SS9) § 137 und 145; in dessen niederfr, an das
mfr. grenzenden ma. »ind die kurzen vocale vor r + alveolar, vor hl und
// und vor mb, mp, nd, nt gedehnt worden.
b) Vereinzelt tritt im mfr. der fall ein, dass n vor der
Spirans s oder /' schwindet, wodurch der vorausgehende vocal
gedehnt wird. Für die Sauerma. erwähnt Hardt nur is 'uns'.
Füll mann constatiert diese dehnung in einigen fällen: spdsei
'Spannseil', dasen ' geschwind laufen', gas 'gans' und pl. geis
(hierzu vgl. Wrede, Anz. 18, 406: 'in der nordwestlichsten ecke
von Lothringen', femer überall, mit ausnähme der Elzma,, eis
[c's, is] 'uns'.
Hecking bezeugt für die Eifel luifel 'haudvoll', heischen
'handschuh', olisen 'der unsrige'; Buesch auch möfel •mund-
voll', saß 'sanft'. Bei Rottmann linde ich sähft 'sanft', tths
'uns', fiester 'fenster' (daneben finsterglas). Auch auf dem
Westerwald und im Siegerland begegnen wir dieser erschei-
nung; Kehrein 22: its 'uns', gas 'gans', sehn äs 'schwänz', lise
'linse', saß 'sanft', Wrede a.a.O.: 'um Driedorf findet sich
dehnung in gänse mit ausfall der Spirans. Im Siegerland ver-
liert sich unsere erscheinung im laufe der zeit: kost f. 'kunst'
ist der name eines alten Wasserwerks bei Siegen, doch sonst
heisst das wort im heutigen gebrauche immer konzt; ferner
neben gas, pl. gaese schon ganz, ganze.
Für Siebenbürgen sagt Wölfl 1,28: 4 vor ns wird n gewöhn-
lich synkopiert und der vorausgehende vocal zum ersatz ge-
dehnt: käst 'kannst', güs 'gans', doch kernt 'kennst', konst f.
'kunst'. Bei Keintzel 156. 162, Kisch und Scheiner 131. 134
erscheinen i und t« nach Schwund eines n (») vor s, f gelängt;
Keintzel gibt auch haist m. 'hengst'. In manchen Ortschaften
Beitrage zur geiohichte der deutschen spräche. XXIII. 13
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194
RITZERT
fällt n nicht aus, so z. b. in Klein -Bistritz: tsents 'zins\
fenzf 'fünf.
§ 63. Auch vor urspr. geminaten von liquiden und nasalen
findet sich hin und wider dehnung des vocals. Die Ursache
dieser erscheinung liegt darin, dass dieselben nicht als gemi-
naten behandelt werden. Im einzelnen gilt hierüber folgendes :
In den maa. Deutschlothr., Luxemburgs, Triers, also im SW
des mfrk., wird rr 'stets aufgelöst' (Follmann 1. 15) und der
vorausgehende vocal gedehnt: geschir 'geschirr', nor 'narr'.
Selten finden sich ausnahmen. Jedenfalls erstreckt sich das
gebiet dieser erscheinung viel weiter, da auch aus anderen
linksrhein. maa. mit ausnähme des 8 vereinzelte belege vor-
liegen; so bei Bnesch hör f. 'karre', schären 'scharren'; bei
Hecking kahr 'karre': bei Jardon jcschiär 'geschirr', auch Hönig
hat kür, aber geschürt- \ in der Koblenzer ma. erscheint fahre-
schwänz zu mhd. rar, -ms.
Vor II findet sich dehnung des a in Trier, Luxemburg.
Lothringen: schM m. 'schall', nalen 'wallen': vgl. Hardt 11,
der auch gesel m. 'geselle' gibt. In Bistritz und Regen wird
a vor urspr. auslautender doppelliquida gedehnt; umlauts-e
erscheint vor bald lang, bald kurz in Bistritz. in Regen
immer lang; kurz bleiben aber die übrigen vocale. In der
ma. von Mediaseh sind vor // alle vocale ausser a gedehnt.
Für den Hunsrück gibt Rottmann itveräl 'überall'.
Vor mm und nn hat Luxemburg und Lothringen nach
Follmann und Hardt länge von a und dessen umlaut e. In
der Sauerma. sind 'vor geminationen nur wenige a und e kurz
geblieben' (s. Hardt 11, 16); ferner Wrede, Anz. 19.201: man
wird gehört in einem grösseren gebiete, das südwärts etwa
durch Mosel von Trier bis Cochem begrenzt wird und nord-
wärts noch Prüm, Blankenheim, Ahrweiler, Adenau, Daun
umfasst, das aber seine unsicheren südausläufer längs der
reichsgrenze noch bis 1 Jedenhofen und Busendorf vorschickt:
ausserdem gilt man für die umgegend von Hachenburg, wäh-
rend östlich davon ein streifen landes, der den Westerwald
durchkreuzt und von Hilchenbach über Siegen und Wester-
burg bis Montabaur- Hadamar reicht, ma hat. Von Siebenbürger
maa. dehnen Bistritz und Regen a vor urspr. auslautendem
doppeluasal; in Regen wird auch umlauts-f vor nn stets, in
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DETTNFNO DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 105
Bistritz nur in vereinzelten fällen gedehnt, durchweg aber
vor mm (in- und auslaut). In Mediasch erfährt a vor mm
dehnung, doch nicht sein umlaut (s. Scheiner 124).
§ 64. Vor den genünaten pp, //, kk ist an der Mosel und
in der Kifel a. e, o gedehnt worden. Da im mfr. p in der
gemination ganz ohne Verschiebung bleibt und ebenso k, so
findet sich diese erscheinung in zahlreichen beispielen (s. die-
selben bei Follmann, Hardt 11. Hecking, Buesch, Laven): apel
'apfel' (Trier hat im pl. aber äbbel, dim. äbbelchen), säk 'sack',
geuat 'gewettet', dop 4 topf, rök 'rock', wehen 'wecken', drök,
bei Buesch dreck. Bei Wegeier finde ich nur geschääkt 'ge-
scheckt': Laven gibt als kölnisch an: sfrecekcn 'stricken' und
fleccken 'flicken'; Honig selbst aber hat diese beispiele nicht.
Die bei letzterem angeführten Wörter haben durchweg kürze:
appel, droppe m. 'tropfen', sack, klock etc.
Mit dem moselfr. stimmen die maa. Siebenbürgens überein;
nur bleibt mhd. a hier kurz. Der umlaut von a zeigt wie e, o
und dessen umlaut dehnung (s. Keintzel 141. 147. 152. 158. 159;
ferner belege bei Kisch, Scheiner, Wolff); also apel, qkdrn
'ackern', aber kläpdr (< klepfel), bat (< bette), ak (< ecke) etc.
Mitunter kommen auch ausnahmen vor. so heisst es in Bistritz
klopm 'klopfen', in Bistritz und Regen bok 'bock', fnssok f.
'socke', opfern,, letzteres 'wahrscheinlich' aus dem nhd. entlehnt.
Rechtsrheinisch wird unsere erscheinung für den Wester-
wald (besonders im amte Hachenburg und Rennerod) und den
nassauischen Unterrhein (besonders im amte St, Goarshausen)
bezeugt (s. Kehrein 8); die hier angeführten belege sind aus
K. Ctlr. Schmidt: zehten 'zetten', spehk m. 'speck', drehk 'dreck',
haag f. 'hacke'; doch hat Schmidt latt f. iatte' und krabbeln.
§ 65. Charakteristisch für den grösseren nördlichen teil
des mfr. ist die längung vor doppelspiranten und Spiranten-
Verbindungen. Die räumliche ausdehnung dieser erscheinung
ist bei den einzelnen vocalen nicht die gleiche; i und u werden
nur ganz vereinzelt gelängt. Weitere Verschiedenheiten er-
geben sich ferner durch die art der spirantischen consonanz
(s. Kehrein 12. Follmann 1,28 und 2,5. 7. 8. 11. Hardt 11. 14.
16. 21). In den übrigen arbeiten sind die belege zerstreut
Beispiele: mäcJien, dazu 3. sg. praes. maickt, stäclien 'stechen',
Irnich und loch und pl. löücher (lecher); nds 'nass', esen (eisen)
13*
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m
RITSERT
'essen', schlos und pl. schlöüser (schleser); kläfe 'klaffen', lefel
und laifcl 'löffel', schtouf m. 'stoff'; waischen 'waschen', drai-
schen 'dreschen', fro(ai)sch m. 'frosch' und pl. frc(öii)scJ^e);
raisten 'rasten', rö(on)st m. 'rost', neist 'liest' und pl. neister;
haß, haspelt waispel f. 'wespe', kätz 'katze', kaotzen 'kotzen',
sähen 'setzen' etc. Ausnahmen finden sich überall.
Für einzelne hierher gehörige fälle gibt Wenkers Sprach-
atlas die genauere begrenzung. Vocaldehnung in machen (s.
Wrede, Anz. 20, 207) wird im 0 und S durch eine linie be-
grenzt, die von Freudenberg südwärts zieht auf Driedorf am
Westerwald und von hier westlich auf Linz, den Rhein auf-
wärts und dann südwestlich etwa dem Hunsrück, Idarwald
und Hochwald folgt. Die grenze für gedehnten vocal in ge-
hrochen (Anz. 22, 98 f.) ist im S ungefähr einzuengen bis Linz-
Adenau-Trarbach-Merzig-Luxemburg. Gedehntes a in teasser
ist nach Anz. 19, 283 zu erwähnen für das linke Rheinland von
Remagen-Montjoie nordwärts und besonders consequent für die
beiden Moselufer aufwärts bis zur Schneeeifel einerseits, dem
Hoch- und Idarwald andererseits, erstreckt sich also keines-
wegs so weit als ä vor ch. Dehnung in besser findet sich
nach Anz. 20, 329 im ripuarischen linksrheinisch durchgängig,
rechtsrheinisch fast nur in der nähe des flusses; so hat nach
Firmenich Stieldorf am Siebengebirge freissen 'fressen', ver-
geissen und Buscherhof bei Waldbröl vergasen. Nach Kehrein 3
hat der Westerwald und nassauische Unterrhein pehz m. 'petz',
trehf m. 'treff.
In den maa. Siebenbürgens begegnet uns diese dehnungs-
erscheinung ebenfalls, jedoch bleibt ausser /. u auch altes a
kurz bis auf vereinzelte ausnahmen: uaszr, plqts, sojc 'Sache',
af 'äffe', gast etc.; doch rufst z. b. in Bistritz, flöstw u. a. in
Bistritz und Regen; ferner hat Bistritz häx und däx. Regen
moxz 'machen', 16 j . döx. In Mediasch wird aber a vor ch
gedehnt (s. Scheiner 125. 128. 131). Der umlaut des a, ferner
e, o und dessen umlaut erfahren dehnung: gast (<gcsti)y kräßix.
käsjl m. 'kessel', gaster * gestern*, slds n. 'schloss', löx 'loch*
und pl. le/jr, 6fn 'offen7, klotz m. 'klotz* etc. (s. Keintzel 141.
142. 147. 152. 158. 159; ferner belege bei Kisch, Scheiner, Wolff).
In Aachen erscheint auch list f. iist', meis m. 'mist', mu*t
•musste". aber ke.s(t) f. 'kiste', le.st 'lust* etc. Der pl. zu kraß
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DEHNUNG DER MUT). KURZEN STAMMSILBENVOCALE.
107
heisst hier kreftc; ebenso ist in der Sanerma. der umlaut des
ä vor ft in einigen fällen kurz: kreftech, seftech, doch auch
säftedi.
Aus den beispielen bei Laven ergibt sich für die Trierer
ma,, dass a vor allen oben angeführten Spiranten und spiranten-
verbindungeu gedehnt wird; in den wenigen ausnahmen liegt
sicher nhd. einfluss vor wie in kass f. 'kasse' etc.; vor ch und
88 ist auch e gedehnt, o jedoch nur in loch, pl. Icicher, dim.
laehehhen ; auch spiehziy ist verzeichnet, jedoch in übertragener
bedeutung 'schmal aussehend'. Zu den letzteren fällen ist zu
vergleichen, was Laven xix sagt : 'die Trierer ma. bietet nicht
selten den fall, dass ein wort mehrere formen hat. Je nach
dem jedesmaligen Charakter des gedichts ist bald die eine,
bald die andere form gebraucht. Von diesen formen ist ge-
wöhnlich die eine die plattere, welche in der nähe von Trier
unter der ländlichen bevölkerung angetroffen wird'. Jeden-
falls darf daraus der schluss gezogen werden, dass die ma. bei
Trier in Übereinstimmung mit der benachbarten Sauer- und
Moselma. Luxemburgs auch o dehnt.
In der ma. von Köln erstreckt sich die besprochene deh-
nungserscheinung nur auf a; ausnahmen sind auch hier zu
finden. Nach Wrede. Anz. 22, 325 erscheint im dat. sg. tisclw
im Roergebiete eircumfleetiertes oder diphthongiertes öe, öi, öü,
im südlich sich anschliessenden e- gebiete bis Montjoie- Sinzig
weniger oft e, doch ebenso oft ei, et.
Vocallänge in ich findet sich zu beiden seiten der Mosel
bis Saarlouis, St. Wendel, Kusel. Wolfstein, Sobernheim, Sim-
mern, Zell; dieses gebiet wechselt bunt zwischen diphthon-
gierten formen und ich, eck, öch\ nördlich von der linie Prüm,
Daun, Cochem, Hoppard findet keine dehnung statt (s. Wrede,
Anz. 18, 308). Auch in Siebenbürgen sagt man mitunter aix,
mm'x etc.. aber nur dann, wenn auf diese pronomina ein be-
sonderer nachdruck gelegt wird (s. Keintzel 154). Vgl. hierzu
Maurmann § 14«, der für Mülheim dehnung vor den stimmlosen
reibelauten ff) j, ss, s constatiert.
Die Birkenfelder ma. dehnt den vocal in seltenen fällen
vor st (s. Baldes 7).
§ 66. Vocal Verlängerung vor urspr. ht und hs.
Im hauptgebiete des mfr. wird mhd. kurzer vocal fast
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RITZE KT
durchgehend vor altem ht gedehnt. Ausnahmen sind zwar
allerorts zu constatieren, doch nirgends zahlreich; namentlich
erscheinen acht num. card. und fechten ohne gedehnten vocal.
sicherlich in folge nhd. einflusses. Für Trier hat Laven die
'plattere' form nöhchden, pl. zu nöhchd, neben kurzem n«c/«7.
Wredes beispiele recht im Anz. 21. 1(52 und schlecht, ebenda 164.
bestätigen obiges gesetz; ferner lucht *luft\ Anz. 10. 278. Für
nichts folge hier, was Wrede, Anz. 10. 205 gibt: innerhalb des
folgenden wesentlich mfr. gebiets lassen sich die hellsehenden
dialektformen zurückführen auf urspr. *nüst; wir finden dort
die diphthonge eu, ei, ferner ü und i: Eupen, Aachen (orte
mit */V* cureiv gedruckt), Düren, Lechenich, Brühl, Köln. Mül-
heim, GladbacJi, Wipperfürth, Blankenberg, Altenkirchen. Unkel,
Remagen, Linz, Sinzig, der Rhein von Andernach bis Bacha-
rach, Simmern, Stromberg, Gemünden, Sobernheim, Kusel,
St. Wendel, Ottweiler, Saarlouis, Forbach, St. Arold, Saaralbeu
(s. auch Hardt 23).
Nicht allgemein, aber immerlün 'häufig' tritt dehnung vor
ht in der Birkenfelder ma. ein (s. Baldes 7). Im Sieger land
sind im wesentlichen nur a und e gedehnt; doch findet sich
auch dö'chder neben gafoduU. In Siebenbürgen werden mu-
ri, v, o gedehnt (s. Keintzel 144. 147. 151 [hier auch einige bei-
spiele mit kurzem e in Bistritz]. 158). Auch Kisch, Scheiner
und Wulff haben keine fälle mit langem i und tt.
§ 67. Dehnung vor altem hs mit schwund der guttural-
spirans gilt für das ganze Mittelfranken und ebenso für Sieben-
bürgen (jedoch mit ausnähme des i und »); in Aachen tritt
sie nur teilweise ein, da sich hier ch (h) vor s 'meist' zu k
verhärtet (s. Jardon 25). Auf dem Hunsrück findet sich die
erscheinung selten; fläs (< clahs), die mfr. form, herscht noch
in der ländlichen Umgebung Birkenfelds, während die durch
das hd. hervorgerufene form flags in der Stadt selbst in der
jüngsten zeit die alte form fast verdi*äugt hat. Dieser um-
stand hat an mehreren orten ausnahmen verursacht, was deut-
lich daraus hervorgeht, dass alte und neue formen neben
einander bestehen. Wenn aber fast durchweg die formen
fuks (< vuhs), seks (< sehs) und biks (< bühse) erscheinen, so
muss mit Heinzerling schriftsprachliche beeinflussnng an-
genommen werden. Keintzel hat für Bistritz zes (< sehs\
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DEHNUNG DER MHI). KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 199
aber zcsIsj und zestsix 10 iiud 20; hier liegt ein Wirkung der
gehäuften consonanz vor; Regen hat zisstsa:.
Die grenzlinien für einige hierher gehörige beispiele er-
geben sich aus Wenkers Sprachatlas; für wachsen (s. Wrede,
Ans. 21, 261) zieht die südgrenze der vocaldehnimg von Saar-
ijvnuind (orte mit ks < hs und vocalkürze cursiv) über Saar-
louis, OUweiler, St. Wendel, Oberstein, Kirn, Obcrwesel, Mayen,
Andernach, Bendorf nach Ems und setzt sich im rheinfr. fort.
Die ostgrenze zieht von Gummersbach über Hilchenbach und
wendet sich dann südwärts über den Ederkopf und Haiger in
rheinfränkisches gebiet. Die quautität des Stammsilben vocals
in ochsen (s. Wrede, Anz. 21, 264) ist im grossen und ganzen
der von wachsen analog; die südgrenze beginnt hier westlich
von Trier und zieht zwischen Bitburg, Prüm, Gerolstein, Cochem
weiterhin in einem kleinen abstand nördlich der für wachsen
gegebenen linie (s. auch Follmann 1,15. Hardt 2.')).
8. Thüringisch.
Quellen: E. Brand in, Zur lautlehre der Erfurter ma. 1 . Yocalisinus.
2. Consonantismns. Programm von Erfurt 1892 f. — R.Flex, Beiträge z.
erforschung der Eisenacher ma. Progr. von Eisenaeh 1893. — B. Haus-
halter, Vocalismus der Rndolstädter ma. Rudolstadt 1882. — L.Hertel,
Die Salzunger ma. Wim. von Jena 1888. — L.Hertel, Thüringer Sprach-
schatz. Weimar 1895. — Herwig. Idiotismen aus Thüringen. Progr. von
Eisleben 1893 (eigenwörter ans der Vogtei, südöstlich von Mühlhausen). —
R. Jecht, Wörterbuch der Mansf eider ma. Görlitz 1888. — S. Klee manu,
Beitrage zu einem nordthür. idiotikon. Progr. von Quedlinburg 1882. —
Fr. Liesen berg, Die Stieger ma., ein idiom des Unterharzes. Diss. von
Göttingen 1890. — K. Regel. Die Ruhlaer ma. Weimar 1868. —
M. Schultze. Idiotikon der nordthür. ma. (grafschaft Hohnstein uud stadt
Nordhausen). Nordhausen 1874. K. Schöppe, Naumburgs ma. Naum-
burg 1893. — O.Weise, Die Altenburger ma., Mitteilungen des gesch.- u.
altertumsforachenden Vereins zu Eisenberg, 4. heft (1889).
§ 68. Im thüringischen wird mhd. kurzer vocal in offener
silbe, einzelne abweichungen abgerechnet, durchaus gedehnt
(s. Brandis 5. ti. 13. Flex 8. Hertel 1,11. Liesenberg 37); weitere
belege in allen genannten quellen ; s. auch Regel 6. 38. Kpiess
14 f.). Beispiele: sledn 'Schlitten', gläd 'glatt', dazu comp, gläder,
hdmel 'hammel', ketncl 'kümmel' etc. Die fast durchweg er-
scheinenden formen krepel 'krüppel', rebe (rewe) 'rippe' gehen
auf mhd. krüpel (nbf. zu krüppel) und ribe (nbf. zu rippe) zu-
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RITZBKT
rück, cge auf mhd. egedc. Häufig erscheint der vocäI in dem
worte 'höckerin' gedehnt: Hägen, hcken, koken frau; dies ist
eingetreten, nachdem ch nicht mehr als geminata behandelt
wurde; dasselbe liegt in einigen anderen fällen wie sjhU
'spass' vor.
§ 69. Kürze des stammvocals findet sich in den maa. .Süd-
westthüringens einige mal vor l (s. Hertel 13): metle 'niuhle\
vUl 'viel', sbill 'plaudern*. Ruhla hat sollen f. -sohle', motten
'mühle', gestollen 'gestohlen' u. a. (s. Regel 3). Kürze in mähic,
kohle, sohle begegnet nicht selten auch in den übrigen maa.
Thür.; in Stiege ausserdem in wol (mangel an flectierteii
formen) neben feie 'viel', hol adj.; für Rudolstadt ist nur in
hol kürze angegeben.
Ebenso erscheint fast überall kürze in stube und häufig
in sehne (doch schon mhd. senne neben senetec) und scJriene,
in letzterem besonders in dem compositum Schienbein und zwar
auch da wo die form schienehein erhalten ist. Altenburg hat
stöbe, aber (nach erfolgter Umwandlung der offenen in ge-
schlossene silbe) stummdaere; Naumburg hat auch im compos.
länge, ferner in schihnebehn, daneben aber schimmbehn.
Da, den SW abgerechnet, in anderen als den obigen schw.
Substantiven auf l die gesetzmäßige länge erscheint, so liegt
es nahe, die Ursache der kürze in den obliquen casus zu suchen
mit annähme von vocalsynkope in der endung und hierdurch
entstandener einsilbigkeit: solen > soln\ dies liegt um so näher,
als jene Substantive häufig im nom. in der form der obl. casus
erscheinen: Icoln, soln, auch stttbn (sdomm); hinzuzuzählen wäre
dann das ebenfalls häufig vorkommende rödden, redde 'rfide\
Kürze vor t kommt vereinzelt vor; sieht man aber von
fällen ab, in denen sie auf rechnung der voealsj'nkope in
suffixen kommt, wie z. b. ka'tl 'kittel', batlman 'bettelmann'
in der Yogtei und auch sonst, so gehören nur ganz wenige
fälle aus dem mansfeldischen und Naumburg hierher, wie brätt
'brett\ schatte, kette. Nordthüringen hat wol statt i Stadt ', aber
steetc pl.; jebotten, jesotten sind zu erklären \x\e jescJiobben 'ge-
schoben\ ^(//raW^n 'geschrieben'. .Stiege kennt kürze in. sät
-satt' und jlät ' glatt', aber pöde 'böte', prät 'brett' etc.; ferner
im pl, praet. und part. praet. der starken verba der ersten
— D igiti^ e^byö OCgTvi
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 201
a blaut st eine, deren stamm auf /, d ausgeht: ItiVn, 4 litten \jdedn
•gelitten'; me\Vn ' mieden ', jcmed'n •gemieden'.
§ 70. Manche einsilbige nomina bewahren, trotzdem sie
flectierte formen neben sich haben, in denen der vocal in
offene silbe zu stehen kam. aucli im thür. die alte kürze; es
sind dies u. a. im mansfeldischen hoff' 'hof (aber gen. höwes\
schmedd i schmied' (verb. aber Schmiden); ebenso am Unter-
harz, wo aber das verb. schmvden mit langem und kurzen
vocal erscheint; hier auch jrob, comp, jrower. Xordhausen hat
kürze in glas, rad, htd (pl. mit länge), söb n. *sieb' (pL mit L;
am Unterharz scp), fann 'fahne', glid 'glied', srhmid. Nach
Kleemann kommt hier neben ivvd (< tvidc) auch tcvtt vor
(immer in lanywöft 'verbindungsstange am wagen'; nebenton).
Vereinzelte fälle erscheinen auch sonst, so manchmal schtnid.
Wenn durchweg gott und fromm kurzen vocal haben, so liegt
sicher schriftsprachlicher einfluss vor. Der dehnung nicht
unterworfen ist fast im ganzen gebiete der imp. der 2. sing,
der verben, deren stamm auf verschlusslaut ausgeht, als iso-
lierte form (s. Schultze 12. Schöppe 28); ferner das adv. (?)wäk,
in Xordthüringen auch die Partikeln hin und für.
Aura. Für den l'uterharz sagt zwar Lie*enberg 4. Ii. 8: das urspr. *
ist im ganzen in demselben umfange wie im mhd. erhalten - hierdurch
steht die ma. näher dem ndd. und in auffallendem gegensatze zu der im
thür. so stark verbreiteten neignng. das / durch dehnung zu i zu verändem
— auch bei u zeigt sich im ganzen wider im gegensatze zum thür. eine
grossere Vorliebe für erhaltung des urspr. «', doch ergeben nicht wenige
beispiele: jir 'gier", resc riese\ frede friede', flüge dat. 'ftugv'Jugent u.a.
die geltung des gesetzes der vocaldehnuug in offener silbe auch Ar den
fnterbarz. Die vorhandenen zahlreichen ausnahmen finden ihre erklämng
im folgenden paragraphen.
§ 71. Auch im thür. zeigt sich die erscheinung, dass
durch vocalsynkope in Suffixen (meistens betrifft sie -et. -er,
-em, -en) der vocal der Stammsilbe nicht in den silbenauslaut
treten konnte, wodurch denn die urspr. kürze bewahrt worden
ist. Die Verteilung der fälle dieser art ist in unserem gebiete
verschieden. Am seltensten begegnen sie im S und SW. In
der Salzunger ma. betrifft es nur eine geringe anzahl solcher
Wörter, deren stamm auf 6, d. t schliesst: seu ive 'sieben', ge-
cadder, ewwet'hbeV, aber grätce, öicc, bödm, nawel (s. Hertel
1,13). Mit Salzungen stimmt Ruhla fast ganz überein; doch
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202
KITZE KT
haben hier beispielsweise auch bodcn und dünner kürze (s.
Kegel 3). Rudolstadt hat kürze in weder conj., wider praep.,
zusammen, dagegen länge in aber, oder, Wer 'über'.
In den niaa. des mittleren gebiet« (Vogtei, Eisenach, Er-
furt, Altenburg) erscheinen schon mehr kürzen. Damit kann
und soll aber nicht gesagt sein, dass an den einzelnen orten
die fälle dieselben seien. Manche kürzen sind zwar an fast
allen orten zu constatieren wie in fiddcl, lädder, bodden, fluidem,
wädder 'wider', ewwel, stüwwel ' Stiefel', geradder (vater erscheint
dagegen nur ausnahmsweise mit kurzem vocale) u. a. In an-
deren aber schwankt die Quantität, was eben das wesen dieser
analogiebildungen dartut; äwr aber in Erfurt neben atcr ist
sicher schriftsprachlich.
Der N des gebiet« hat zahlreiche hierher gehörige fälle,
doch stehen ebenso zahlreiche mit regelrechter dehnung da-
neben; kurz ist z. b. der vocal in feder, edel, scJiäbbcr 'schiefer',
jaueV gabel', kammer, uöseel 'wiesel'; also vor media, Spirans
und nasal. Häufig sind im N die plurale der neutra rad, glied,
glas, gras kurzvocalisch, doch hat das mansfeldische rode neben
redder, der Unterharz jrcser neben j raset; jleser pl. zu jläs,
aber dim. jläsel; hier auch pleiter, pl. von pldt. In der von
.Schmidt geschilderten ma, haben nicht selten die partt. praet,
kürze, so jestolUn. be füllen, jenummen, jeschobben (auch im
mansf.), jeschräbben u. a,, aber jebooren, jezoogen, jefloogen. In
den nfirdl. maa. hat honig durchweg kürze, die auch für Eise-
nach bezeugt ist. Kurzen vocal in Jcönig finde ich bei Schnitze
und Kleemann; letzterer gibt auch hafitcJi 'habicht'. Der Unter-
harz hat ledig und nämlich, aber cimlich, Mansfeld vocht (<voget),
aber jächd 'jagd'. Fälle letzterer art finde ich auch sonst:
sibzeh ' siebzig', aber $(m 'sieben', und räddcJi 'rettig' in Er-
furt, bräteht f. 'predigt' in der Vogtei, mar radelt, 'merrettig'
mid nilche 'lilie' in Altenburg; barbs 'barfuss' hat ausser im
SW überall kurzen vocal.
In der verbalflexion ist vor den durch synkope entstan-
denen geminaten und doppelconsonanzen im thür. sehr häufig
kürze zu constatieren (s. Schultze 11. Schuppe 27. 28). Beispiele:
batt 'betet' in Altenburg; schadde 'schadete' in Erfurt, aber
bwda 'betete', gehet 'gebetet', jeschott part. zu scheten 'schütten'
im mansf. etc.; weitere belege geben die genannten quellen.
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DEHNUNG DEK MHD. KURZEN 8TAMMSILHENV0CALE. 203
Regel und Hertel unterscheiden für das praes. hiernach beson-
dere Grundformen (s. K. 100 und H. 115).
§ 72. Vocaldehnung vor doppelconsonanz gilt für das thür.
in folgenden fällen.
In den dem ostfr. benachbarten maa. Kuhla und Salzuugen
ist 'das streben weitgreifend ' mhd. einsilbige nomina mit
doppelconsonanz zu dehnen. Bei antritt der tlexionsendung
tritt die urspr. kürze wider ein (s. Hertel 11. Regel 38 ff.).
Beispiele: wäld, aber dat. wall und pl. wäller; füsch, aber
dat. füsch und pl. fbsch; zupf, aber dat. zapf und pl. zapf; alt,
aber dar all man 'der alte mann', de allen männcr etc. Aus-
nahmen: gefd 'gift'. fruchd, werd m. 'wirf, dorn, arm u. a.
(s. Hertel 13. 14. 98. Kegel 37: 'vor positionalem /• pflegt das
ruhlaische die alte kürze a rein zu bewahren).
§ 73. Vor r -f dental ist im thür. a und e gedehnt ; gegen-
über dem schriftsprachlichen gebrauche haben auch die zwei-
silbigen auf -art- dehnung: gärten, warten, doch findet sich im
N nach Kleemann Worten 'warten' und Bartel nom. propr.; auch
Hertel 11 gibt für Salzungen gärde, schwank: Vor rz ist nur
a gelängt, jedoch nicht in schwarz; neu entstandenes dialek-
tisches a bleibt aber kurz: warze f. 'würze' (Altenburg);
Schultze gibt auch stanz 'hinterteil des vogels', aber (wie
sonst) herze, schmerz. Vor rs wird der vocal auch in mersel
'mörser', hirsen 'hirse', bersen 'börse' (bei Schultze und Brandis)
und in bersch 'wirsing' gedehnt; kurz ist der vocal in karst
im X und in Erfurt (der famüienname Karst hat aber in E.
langen vocal), in forsch 'vers' im N und in jerschte 'gerate'
am Unterharz. Dehnung vor rn findet sich ausser in göm
'garn', gäm 'gerne' (in Rudolstadt aber gdrnc u.a.); ferner
in dam 'dorn' und sbüm 'sporn'; dagegen heisst es harner
'hönier'; kürze hat auch larn 'lernen'. Das mansf eidische
hat teils aren, teils ä'rnt f. 'ernte1, ferner arenst m. 'ernst',
aber ärenstJiaftig adj.
Vor rm ist ausschliesslich a gedehnt in der Vogtei, Eise-
nach und am Unterharz; vor rl haben Mansf eld und Altenburg
vocalläuge in Karl. Eisenach hat länge in stiert 'sarg' und
stuerk 'storch' und die Vogtei in haark 'berg'.
Aura. Die dehnunir vor r -f anderer consonanz im SW gehört zw «1er
genannten dehnnng mhd. einfilbiper worter mit doppelconsonanz: duirf
'dorf, aber pl. dörfer etc.
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204 , RITZE KT
§ 74. Vor / f /, d wird im grössten teile des gebiets a
gedehnt, nur der 80 hat kürze; dabei schwindet der dental-
explosiv. Beispiele in allen angeführten arbeiten ausser bei
Sehöppe. Für Stiege s. Liesenberg 37. Weise sagt zwar s. 8:
'es scheint, als ob die liquiden längende kraft haben', doch
fehlen genügende belege hierfür; er gibt nur vi nie *muldc\
säl 'sollte' und wal 'wollte' (doch erscheinen die beiden prae-
terita auch als sali und wall). Das fehlen weiterer belege
deckt sich mit dem ergebnis des Wenkerschen Sprachatlas;
nach Wrede, Anz. 21. 275 ist nämlich nur westlich der folgenden
linie vocaldehnung in alt- eingetreten: (Suhl), Ilmenau (cursiv
gedruckte orte haben vocalkürze), Gehren, Saalfeld, Blanken-
burg, lludolstadt, Remda, Tannroda, Kranichfeld, Weimar,
llastenbery, Wiehe. Nebra, Laucha, Naumburg. Im SW ist
in den einsilbigen- auf U dehnung vorhanden, die flectierten
formen aber haben kürze. Damit stimmt Wredes bericht:
'zwischen Waltershausen, dem Rennstieg einer- und der Fulda,
Hersfeld andererseits macht für alte ein gebiet mit all- eine
ausnähme '.
Für vocaldehnung in sah (s. Wrede, Anz. 19, 102) bildet
folgende, im grossen und ganzen wie obige verlaufende linie
die grenze: (Hildburghausen), Blankenburg. Berka, Sömmerda,
Cölleda, Wiehe, Querfurt, Schafstädt (und weiterhin südost-
wärts ins obersächsische); dieselbe erstreckt sich also im 0
nicht ganz so weit als ä in alt,
Ausnahmen finden sich nur selten; so z. b. older n. 'alter'
und oUem verb. bei Liesenberg, aber *n older m. 'ein alter',
speien 'spalten' bei Jecht und Kleemann. Der umlaut de* «
bleibt auch im thür. kurz.
Im W des gebiets erstreckt sich die dehnung vor l 4-
dentalexplosiv auch auf andere vocale: für Eisenach ist sie
bezeugt in gfrld und fteld, für die Vogtei ausserdem in saiU-
saam 'seltsam'. hwU -holz', schtäilz 'stolz', schhilz 'schulze',
Schmialzen flurname.
§ 75. Charakteristisch für das westthfir. ist vocaldehnung
vor nasalverbindungen. Wie schon § 46. a und 53, a erwähnt,
gilt diese auch für das ostfr. an der Weira und den NO des
rheinfr. Ich erörtere diese erseheinung deshalb hier im zu-
sammenhange.
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 205
Die in betracht kommenden lautgruppen sind n + U d, *
und m + p, pf. also nasal -f verschlusslaut (s. Hertel 12. Regel
15. 37). Beispiele: hdnd, keind 'kind', treinter ' Winter', hoind
'hund', roinzel Hunzel', loumbe 1 lumpen', jeunpfer ' Jungfer*.
Hertel bemerkt zu seinen beispielen mit nd s. 67: 'diese formen,
auf den dörfern bei Salzungen einzig üblich, werden in der
stadt allmählich von den gemeindeutschen aufgezehrt'.
An tu. Inlautend wird nd in Salzungen stets zu ntj oder im mit kürze
des vorvocals: hannel Handel heiiger« mhd. hinder), aber tiutndel «mhd.
inantet).
Für die Vogtei gibt Herwig viele belege; weiterhin be-
zeugt Flex diese erscheinung für Eisenach. Für das nordöst-
liche Rheinfranken finden sich zahlreiche belege bei Salzmann
und Dittmar; während aber im thür. 'eine beachtenswerte
regelmässigkeit' unserer erscheinung vorliegt, gilt sie hier nur
'häufig'. Nach W hin nimmt sie an umfang ab: in stadt und
kreis Homberg zeigt sich ihre Wirkung nur in der gruppe an
-f verschlusslaut: länd und dat. ländj, dändson 'tanzen', gänds
gans', aber pl. gendsa, änko (< anke) 'geniek'. Wie weit die
vocallängung noch weiter nach W reicht, vermag ich nicht
gänzlich zu constatieren; für Merxhausen bei Fritzlar wurde
mir ante bezeugt: weiteres konnte nicht angegeben werden.
Doch ist folgendes bei Wrede, Anz. 19, 111 zu vergleichen: für
kind ist eigentümlich ein kleiner neun Ortschaften umfassender
bezirk im S\Y von Cassel mit keind (in Grossenritte bei K..
Besse bei Fritzlar etc.).
Für das ostfr. s. die belege bei Spiess 14 f. und Reichard t
33. 35. In Henneberg begegnen nicht selten ausnahmen; so
hat hier namentlich der pl. öfters wider die alte kürze: dang,
aber pl. dang; neben pflanze und ivänze erscheinen lange und
schanze (in Pfersdorf heisst es aber tfintsd f. 'schanze'); doch
dank m.: geddnke, pl. gedänkene, verb. bedanke u. a.
Anm. In Sonneberg (s. Schleieher 30) und Coburg (s. Felsberg 141 >
hat der sg. der hierher geliörigeu Wörter dehnung unter Schwund des na-
sal«; die flectierten formen und ableitungen zeigen aber vocalkürze. sodass
wir es hier mit dehnuug nach § 72 zu tun haben.
Für einige Wörter mit uasalverbindungen gibt der Sprach-
atlas die genauere geographische Verbreitung der vocaldehnung.
Auch aus diesem material ergibt sich, dass die Wirkung des
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RITZE RT
dehnenden einflusses der nasalverbindung für die einzelnen
vocale verschieden ist; ja, es zeigt sich nicht einmal bei einem
und demselben vocale in verschiedenen Wörtern völlige Über-
einstimmung. So zieht die grenze der dehnung in pfund nach
Anz. 19. 103 im W von der Fuldaquelle bis Vacha, lässt Lengs-
feld und Salzungen gerade noch nordwärts liegen, verläuft
weiter im NO mit dem Rennstieg und schliesst gegen SO
Zella, Wasungen und Fladungen ein, Suhl, Meiningen und
Ostheim aus. Um Treffurt und Mühlhausen findet sich pfuind,
nördlich von Hersfeld peund. südlich paund, ferner bei Bischofs-
heim in der Rhön pfaund. Dagegen geht hoind (Wrede, Anz.
19, 107: hund) mit pfo'md nur gegen NO bis zum Rennstieg
zusammen, hingegen gegen W und N beträchtlich weiter, so
dass es auch für Fulda, Hünfeld, Hersfeld, Vacha, Lengsfeld,
Salzungen noch gilt; bei Grebenau (südwestlich von Hersfeld)
findet sich haund.
Das zerstreute auftreten von pfoind ausserhalb der obigen
enclave lässt den schluss zu. dass die läugung früher verbrei-
teter war, jedoch durch den gebrauch des Wortes als marktwort
einbusse erlitten hat, worauf auch Wrede mit recht hinweist.
Für winter bemerkt Wrede, Anz. 19, 108: wenn hess.-thür.
hoind sich weiter ausdehnte als p(f)oind, so geht entsprechendes
weinter noch über jenes hinaus bis in das nordthür.; grenzorte:
Sontra, Kreuzburg, Treffurt, Wanfried, Mühlhausen, Dingel-
stedt, Schlotheim, Tennstedt, Gebesee, Gotha, Ohrdruf, Plaue,
Schmalkalden, Zella, Suhl, Wasungen, Meiningen, Meirichstadt,
Ostheim, Fulda, Herbstein, Lauterbach, Grebenau, Alsfeld,
Hersfeld, Rotenburg.
Vocaldehnung in kind erstreckt sich im N bis Treffurt,
im S reicht sie aber etwas weiter als für winter: Meirichstadt,
Ostheim, Bischofsheim (Rhön). Neustadt, Brückenau, Schlüchtern.
Hierbei ist zu beachten, dass im ostfr. die dehnung in lind
gemäss dem gesetze der dehnung einsilbiger nomina mit doppel-
consonanz erfolgt; in diesem sinne ist auch zu verstehen, was
Wrede a.a.O. 111 sagt: 'die bei winter fehlende, bei pfund und
hund aber vorhandene vocaldehnung nordwärts vom schwäb.
nasalierungsgebiete bis Spessart und Rhön gilt auch für kind.
Ebenso haben die pfound und hound ihre fremd- entsprechung
im Franken wald'.
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NO DER MUH. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 207
Vereinzelt tritt obige erscheinung auch sonst auf; so gilt
für Altenburg dnde f. 'ente' und gänsert m. 'gänserich'; letz-
teres auch für Erfurt; für den linterharz jäntcr, während
Mansfeld jdnert hat.
§ 76. Vocaldehnung vor cht ist zu erwähnen für mhd. e
im W des gebiets. Belege bei Hertel, Regel. Flex. Vgl. hierzu
W rede, Anz. 21, 162: 'die grenze des grossen westdeutschen
complexes mit dehnung des c in recht zieht von Heiligenstadt
über Hainich den Thüringerwald entlang und wendet sich
dann ostwärts zum Erzgebirge. Dehnung des a vor cht gilt
für Nordthüringen; Kleemann gibt nacht und Schnitze auch
aachte num. und saachte 'sachte'.
§ 77. Vor chs bezeugt nur Schultze für Nordthüringen
dehnung des a: waak.sc 'wachsen', waaks n. 'wachs'; dieselbe
ist aber verbreiteter, wie sich aus A\ 'redes bericht, Anz. 21. 261,
ergibt: vocaldehnuug vor ~x- in wachsen ist thüringisch zwischen
der s/.* -grenze (die von Eisenach, Kreuzburg. Treffurt. Mühl-
hausen, I Hngelstedt, Worbis, Bleicherode, Sachsa, Beneckenstein,
Quedlinburg, Cochstädt, Stassfurt weiter nach Magdeburg zieht)
und etwa Beneckenstein — Kindelbrück — Gräfenthal (südlich von
Saalfeld): im nördlichen drittel (etwa bis Mühl hausen— Kindel-
brück) vorwiegend -wdx~ (s. auch Schultze), im mittleren (etwa
bis Waltershausen— Erfurt) woax-, im südlichen wuax-.
§ 78. Dehnungserscheinungen geringeren umfangs sind
ferner folgende: a) vor -st (mit altem *) tritt im 8W vocal-
dehnung ein: yted und pl. yesd, flhsder 'pflaster u. a.; aber
läst 'last ' von laden; brüst, last n. a. (s. Hertel 11). Ebenso in
Ruhla. Für Eisenach ist nur kfiesdn 'kästen' angegeben, für
Erfurt nwst'nesV, aber flasder-, auch Schultze hat naest, Lie-
senberg daneben pldster.
b) In der lautgruppe vocal + nf fällt im SW des gebiets
n aus mit 'ersatzdehnung' des vocals. Ruhla: raf't m. 'rand',
fäufzen 'fünfzehn'; Salzungen: säfd 'sanft' und comp, saefder
und sdfder, sup. sdfdsd.
Auch der NO des rheinfr. kennt diese erscheinung; so
Blankenheim: rdfd. In Hersfeld tritt dehnung mit erhaltung
des nasals ein: rdmfd und dim. rtmfdjp.
c) In Ruhla tritt 'ersatzdehnung' ein auch in der gruppe
•alb: käb 'kalb', hab 'halb'.
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RITZERT
d) Vor U ist in Altenburg einige mal dehnung eingetreten :
iltberdl 'überall', hol m. 'ball' und verb. bdle 'ballen'.
9. Obersächsisch.
Quellen: K. AI brecht . Die Leipziger ina. Leipz. 1881. — C. Franke.
Der obersachsische dialekt. Programm von Leisnig 1884 (citiert Fr. 1). —
C. Franke, Grundziige der scliriftspraehe Luther». Görlitz 1888 (Fr. 2».
( '. F r a n k e . Die unterschiede de» ostfränkisch-obeq)fUlzischen und obersächsi-
ichen dialekt« etc., Bayerns inaa. 1. 2. — F. Weidling, Ober Johannen
Clajus' Deutsche grammatik. Freiburger dißs. 1894.
§ 79. Das obersächsische delint im allgemeinen mhd. kurzen
vocal in offener silbe (s. Franke 1, 36). Beispiele: rede, hVdy
'ledig', öbsd (< obez), rtl 'viel' (jedoch ril in dem grösseren
nördlichen teile des Osterlandes). Nach Bay. maa. 1, 29 haben
auch krüppel und egge langen vocal; auf die md. nebenform
t(d)rugc weist drfye (drceiye) 'trocken1. Ferner haben sjxitz
und schmntz vocallänge, in Leipzig auch mäsche, ele 'eile' (< mhd.
de) und zuweilen die bildungssilbe -sam.
§ 80. Scheinbare ausnahmen, die nicht gegen obiges gesetz
Verstössen (s. § 16), liegen in den Wörtern auf -el,
vor; es haben nun nicht allein diejenigen, in denen auf den
stamm vocal m, n folgen, die kürze (wie in der Schriftsprache),
sondern auch solche, deren stamm auf w (< h,f) und d, einige
mal auf s und % (<//) auslautet. Zu den ersteren gehören:
sceml 'semmel', hintl, hamjr, donr; ferner auch jenr u. a. Da
Franke bei der aufzählung der abweichungen der quantitaten
des obers. vom schriftdeutschen keine von diesem abweichenden,
hierher gehörigen beispiele (ausser den genannten) gibt, so
miLss einschlössen werden, dass unser dialekt hierin mit dem
nhd. zusammenfällt; die in Bay. maa. 1,29 ff. genannten fälle
stehen dem nicht entgegen. Mit der schriftspr. hat das obers.
kürze auch in zappeln und krabbeln (s. Bay. maa. 1, 31. 32);
über dieselbe hinaus aber ist die kürze vor den übrigen ge-
nannten consonanten erhalten: schdiwl (schdcwel) 'Stiefel', ntuff
•hinüber' (neben niwa>r), drim 'drüben', geschrim 'geschrieben*
etc.; bei Albrecht auch aur 'aber', gabl, ewncl u. a. I^änge
haben hüwl 'nobel', ihn 'eben' u. a. Auf </, s, x: wirf;- 'wider'
(daneben mit t); bei Albrecht feder, Uder, neder 'nieder' (ander-
wärts nidf), edeUteene, tadel m., fidel f. (auch mit i), zedel m.
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DEHNUNG DEK MHD. KURZEN STAMM8ILBENV0CALE. 209
DL a.; haselnüsse, uisel; reyl m. 'riegel', mexn 'mögen'; doch btjesn
'besen', dsögn 'zogen', ßchVxogeV u.a. (s. Fr. 1,36).
Ferner gehören folgende beispiele nüt erhaltener kürze
hierher: sibdsn 'siebzehn', sibds%, aber sibti ; lceivamd% 'lebendig';
zuweilen begraibnis, auch hab% 'habe ich' und einige andere;
aber redlich, bred^d f. ' predigt ' etc.
Schliesslich bleibt urspr. kurzer vocal in der Verbalflexion
in den formen der schw. verben auf d, t, in denen durch Syn-
kope in der flexionssilbe gemination entstanden ist: schmal
'schmiedet', gcbed 'gebetet'; zuweilen auch schlwd 'schlägt'.
Auch die präsensformen mit t der verben geben und sehen
haben kürze (s. Franke 2,26); ebenso Usd 'liesest, liest'.
§81. Eine wirkliche ausnähme liegt vor in Wörtern mit
altem t: in den meisten derselben bleibt, wie im nhd., die
urspr. Quantität erhalten. S. hierzu Franke 1, 36, wo als ab-
weichungen von der schriftsprachlichen quantität nur brtPd
'brett' und schd<hle 'Städte' angegeben sind. Hiermit stimmen
auch die beispiele überein, die Franke in Bay. maa. 1, 29—35
gibt; 'dieselben werden im obers. der schriftsprachlichen regel
entsprechend nur mit kurzem vocal gesprochen: schritt, tritt in..
blatt, satt, glatt, Stadt, statt, gott, kette, büttcl, bettel, wetten,
gcratter, Sattel, Schlitten, gesotten, geritten, gelitten, geschnitten,
gestritten. Bei Albrecht ist auch für geboten kurzer vocal
angegeben. Länge vor t findet sich also in den fällen wie im
schrift deutschen: fader 'vater' etc.
Vor d ist die kürze mir in schmid und pl. schmide erhalten
(s. Franke 2, 26).
In einigen einsilbigen Wörtern hat die quantität des nomi-
nativs den sieg davongetragen: dsug 'zug' (und dat. dsuclte),
beschM, grob; zuweilen in dal: 'tag'; ferner allgemein in kar-
(freidäch); nach Albrecht auch in hof, grab n.. schmal (nur in
der 'bauernsprache'). Kürze haben ferner ivol, mag praet.-
praes., wvec 'weg' adv. und (nach Albrecht) staivtve 'stube';
Franke gibt, als für das ganze gebiet geltend, schdumdir
'stubentiir'.
§ 82. Von doppelconsonanzen haben im obers. die Verbin-
dungen r + cons. und / -f dentalexplosiv vocaldehnenden einfluss.
Vor r + (/, /, ts wird übereinstimmend mit dem nhd. a und e
gelängt: erde, iahe 'werde', harz etc.; über die Schriftsprache
Beitrüge iur gMchichte der deutschen »praene XXJII. \±
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KITZ K KT
Iiinaus zeigt sich dehnung in gebart, gärten und nach Albrecht
$ 1 in Leipzig auch in warten. Vor rs hat allgemein herschr
dehnung, während gerate, wurst etc. kurzen vocal haben.
Ferner tritt häufig vor rm, rb, rf, rg, rch dehnung ein.
In seinem programm s. 35 sagt Franke, dass durch einwirkung
des r besonders bei gaumenvocalen eine niedere Stellung der
zunge eintrete und i, ü, e, b\ namentlich wenn diese kurz sind,
regelrecht zu w werden und dass diese w jetzt 'vielfach ' zu ä>
werden. Die dehnung vor den genannten r -Verbindungen bleibt
aber nicht auf dieses w beschränkt, wie die folgenden beispiele
zeigen:
rm: arm und pl. irrme, iPrmlo, norm 'wurm' und p], trtPnner,
dorm 'türm', scherm 'schirm'.
rb: tPrbd 'arbeit', körb.
rf: darf und pl. dfhrfer; darf, dü'rfsd, dth fn, d<Prfd 'darf.
darfst, dürfen, dürft'; wforft 'wirft'.
rg: barg 'berg', sarg.
rch: ethye 'kirche', ffPr/dn 'fürchten', yefür/d 'gefürchtet',
börx 'bürg' und bdr/er m., föryd 'furcht', dar/ 'durch'.
mür/ti 'morgen', gebwr/e 'gebirge'.
§ 83. Dehnung des a vor l + t, d mit schwund des dental-
explosivlautes findet sich in dl « alt), flectiert die; Ml, flec-
tiert hdle; habt 'halten', veruäln 'verwalten', bdle 'bald'; aber
tcald (s. Franke, Kay. maa. 1, 34). Auch Albrecht constatiert
diese erscheinung, beschränkt sie aber auf die 'bauernsprache'.
Nach Wrede, Anz. 21,275 bildet die linie Naumburg a. 8. bis
(Heising (südlich von Dresden an der reichsgrenze) die süd-
grenze der vocaldehnung in alte: dasselbe gilt für halte] s.
Anz. 21, 279.
Auch vor Iz wird a im obers. gelängt, jedoch nicht im S;
s. Wrede, Anz. 10, 102: die südgrenze für die dehnung in mh
bildet die etwaige linie Schafstädt, Frohburg, Dresden, Schandau'.
10. Schlesisch-lausitzisch.
Quellen: Kietiling, Blicke in die ma. der .südliehen Oberlansitx.
ZsrliD]»]»an 1SS3. — A.KlfHse, Znr Grammatik de« in der gjafschaft (ilatx
gesprochenen deutschen dialekts, Vierteljahrsschrift f. gesch. u. heimatsktle.
der grafseh. Cilatz. :i. beft (1883/84), 148—159. — P. Knpka. Die ma. de*
kreise« Guben, Niederlaus, mitteil. 3, 275- 282 (vocalismus) und 367 -377
Konsonantismus). — K. Michel. Die ma. von Seif heunersdorf (an der sttd-
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMKILHENVOCALE. 211
grenze der sächs. Oberlausitz), Bcitr. 15, 1 ff. II. Rückert, Zur Charak-
teristik der deutschen maa. in Schlesien, Z». fdph. 1, 19U. 4, 322. 5, 125 ff. —
(i. Waniek, Zum vocalisinus der schles. nia. (W. behandelt hier die ma.
an der Biala im üstl. teile des fteterr. Schlesiens und westl. Galiziens). Bie-
litz 1SS0. — K. Weinhold, l>b. deutsche dialektforechung. Die laut- und
Wortbildung und die formen der schles. ma. Wien 1S53. — K.Wein hold,
Die Verbreitung und die herkunft d. Deutschen in Schlesien, Forschungen z.
d. land- u. volkskde. 2, 214 ff.
§ 84. Im schles.-laus. wird mhd. kurzer vocal in offener
silbe stets gedehnt (s. Weinh. 1, 88. 39(1). Waniek 21. Michel 25.
Kupka377. Kiesslingö). Beispiele: göt und gaut 'gott', stät
und stuoadt 1 Stadt ', nim imp. zu 'nehmen', wätr 'wetter', mt
und suoat 'satt', kitel ' kittel hite 'bütte', nider und neider
'nieder' u. a. (die an zweiter stelle angeführten formen sind
niederschlesisch ; das charakteristische des 'Xeiderlandes' ist
seine neigung zu ei und au; s. Weinh. 20). Laus.: toutä 'dotter',
iväta ' wetter', chqti- 'kette', sitn 'sitte'.
§ 85. Ausnahmen kommen nur selten vor. Erhalten ist
die kürze in den unflectierten formen einiger einsilbigen Wörter:
fluk 'Aug', Zill- 'zug', gras, sik 'sieg', frumm 'fromm'; aber tag
(bei Weinh. und Waniek), grob etc. Birlingers angäbe, Rechts-
rhein. Alemannien 45 f. (fussnote): 'das schles. behält die mhd.
quantität ganz rein, bloss in einsilbigen aber nicht in mehr-
silbigen Wörtern', ist also nicht stichhaltig. Die ma. an der
Biala hat schwanken zwischen kürze und halblänge in glott,
blott; aber brat 'brett' u. a. In Seifhennersdorf ist vil 'viel'
stets kurz, meist auch mak praet.-praes.; ferner die 'fremdlinge'
mqt, clqt 'glatt', kot 'gott'; für letzteres ist das gesetzmässige
erhalten in kouprhitjl 'gott behüt euch!' (in den benachbarten
böhm. maa. ist kout die übliche form, geschützt durch die po-
litische grenze; Michel 26). Ooschen und Wellmitz im kreise
Guben haben seff 'sieb', Stargardt hat triff; ferner erscheint
dort schtot 'Stadt'.
§ 86. Sonstige abweichungen von unserem gesetze sind
nicht eigentliche ausnahmen; sie führen sich auf den ausfall
des vocals in Suffixen zurück. Ihre zahl ist gering; s. Weinh.
1, 88: 'einige alte kürzen haben sich gerettet, die aber in der
spräche der gebildeten weichen mussten'. l'ebrigens zeigt sich
auch hier, dem wesen dieser verschiedenen ausgleichung eines
älteren wechseis zwischen formen mit und ohne länge ent-
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RTTZEKT
sprechend, keine einheitlichkeit; 4 der schles. dialekt schwankt
fortwährend nicht nur im allgemeinen, sondern auch in den
localmaa.' (Rückert, Entwurf einer System, darstellung der schles.
ma. im mittelalter, hg. von Pietsch, Paderborn 1878, s. 177). Die
hierher gehörigen beispiele sind meist solche mit m oder t im
stamme: himmel, hämmer, kämmer, summer, schammel 'schemel*.
aber näm 'nehmen'; batteln 'betteln', geritten, sottet, vatter
(nur in manchen gegenden; an der Biala nur in Städten), retter
und einige andere. In der Bielitzer ma. schwankt kürze und
halblänge in zusohnma, ko2mmer; länge haben hohner 'hammer',
sämel ' semmel'; halblänge liegt vor in gesnetta 'geschnitten',
srett m. 'schritt', lufmmcl und Kemel 'himmel', während nur
batteln entschiedene kürze hat, Sonst kommen u. a. noch vor:
dunner, tu fei 'tafel', zwippel, weder 'wider', oder. Für Seif-
hennersdorf ist zu erwähnen tunä (nach gen. dunres) neben
tounä (nach nom. acc. donar); ferner ceritn 'geritten', cHmtn
'geschnitten', neben eezoutn 'gesotten' etc.
In der verbalflexion ist die kürze erhalten, wo durch Syn-
kope des tonlosen flexions-e geminata oder doppelconsonanz
entstanden ist; bei Weinhold scliatt 'schadet'; gitt 'gibt', gatt
•gebt', gehatt 'gehabt' (s. auch Kupka371. Michel § 58 e und
s. 20. Weinhold 1, 78).
§ 87. Als zweites dehnungsgesetz gilt für das schles.-
laus., dass in der regel der vocal in mhd. einsilbigen Wörtern
mit doppelconsonanz gedehnt wird; bei antritt einer flexions-
silbe oder ableitting erscheint wider die alte kürze. Diese
erscheinung darf wol mit als beweis gelten für die verwant-
schaft des schles. mit dem ostfr., die VVeinhold 2, 214 f. betont.
Belege zu unserem gesetze bieten die angeführten quellen;
im bes. verweise ich auf Michel § 59. 09. Kiessling 6 1 Waniek
25. 31,5. 34, a. 38,2. 41, § 22, 3. 44, 3. Klessel49f. Weinhold
26,3. 27,5. 28,2. 29,1. 36^9. 37,3. 42,2. 45,7. 46,8. 48. 51,2.
59, 5. 00, 9. 61. 5. 64, 8. Belege für die erhaltung der kürze in
der flexion und ableitung bei Weinh. 23. 32, 5. 33, 12 f. 59. 5.
Waniek 25. 42, § 23, 1.
Ausnahmen finden sich local beschränkt und allgemein:
s. Weinh. 23, 4. 25, 1. 31,4. 49,2. 52,2: 'neben den längen auf o:
kop 'köpf, ^oÄ-'bock', loch, sehlös 'schloss' etc. kommt im ge-
meinschlesischen an denselbeu orten das kurze m (s. Weinh. 56)
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMRILBENVOCALE. 213
vor nach einem Wechsel, der gesetzlos erscheint'. An der Biala
zeigt sich in manchen einsilbigen Wörtern nur halblänge (s.
Waniek34.b. 38,3); in anderen bleibt die kürze (s. Waniek
31,6. 34,4. 5. 37 [§ 20, 1]).
§ 88. Ausserhalb des rahinens des zweiten dehnungs-
gesetzes stehen die dehnungserscheinungen, die durch die
natur benachbarter consonanten bedingt sind.
In erster linie haben im schles.-laus. r-verbindungen deh-
nenden einfluss. In Schlesien wird nach Rückert, Zs. fdph.
4,331 der vocal vor jeder Verbindung von r mit muten und
Spiranten gedehnt; für die Bielitzer ma. sagt Waniek 21,3
dasselbe.
Nach den von Weinhold mitgeteilten belegen hat diese
erscheinung jedoch nicht in dieser allgemeinheit giltigkeit;
ich verweise auf 23.4. 24,5. 25,1. 30,2.3. 31,4. 32,5. 33,8.
39,3. 49,2. 56,8. 57,11. 58,4. An der Biala kommen aus-
nahmen allerdings nur vereinzelt vor, zum teile nur an be-
stimmten orten; so in we'h'fa •werfen', stuo^rcJi 'storch', buolrtta,
surao\rz (die lautverbindung uo ist vor mehrfacher consonanz
prägnant kurz nach Waniek 39), yebürt u. a. Halblänge liegt
vor in harz iierz' und hnar2 * schmerz'. Beispiele für dehnung
vor r + cons.: gärten, gdrte f. *gerte', borte f., börschtc f.,
yärschte u. a.
In der Bielitzer ma. tritt nicht selten auch vor r +- w, m, n
dehnung ein: Mrua Scherbe', wurm (pl. wirmer), kam 'kern'
u. a.: doch sc^rm 'schirm', duom 'dorn' und dim. die2mla u. a.
In der Oberlausitz ist dagegen nur vor r -f d, t, $, z deh-
nung eingetreten und zwar in nur wenig mehr Wörtern als in
der schrift spräche; s. Michel § 67: kharte 'karte', kqrtn 'garten',
kärste 'gerste', ccbürt 'geburt' (aber cebyrtj), wart 'wort'. Art
'ort', cp-te f. 'gerte'. m(rzl 'mörser', pfrzl 'schöpf lurze 'hirse\
§ 89. Vor der lautgruppe l -f- t, d, z wird im schles.-laus.
a gedehnt (s. Weinhold 27. 65. Rückert, Zs. fdph. 4, 331. Waniek
21 f. 38. Kupka 375. Michel § 65. Wrede, Anz. 21. 275). Im
grössten teile des gebiets auf dem linken Oderufer schwindet
der dentalexplosiv; erhalten ist er nach Wenkers atlas in einem
gebiete, das im W etwa durch die linie Golssen — Ruhland,
gegen X ganz ungefähr durch die ik j ich - lüde begrenzt ist;
im S umfasst die grenze die Wendei, zieht weiter von Muskau
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214
RITZERT
Uber Sommerfeld nach Grimberg und dann ungefähr der Oder
aufwärts. Oestlich der Oder längs der W- grenze gilt in
schmalem säume dl Hiermit stimmt Waniek 21 und Kupka
s. 375 überein, die beide für ihre maa. erhaltung des explosivs
bestätigen; letzterer fügt hinzu, dass in dem benachbarten
Sorauer kreise aber derselbe schwindet; ebenso im Sprach-
atlas. Auch Seifhennersdorf hat erhaltenes /, d; Michel con-
statiert, dass die dehnung des a vor l -f d, t völlig durch-
gedrungen ist; nicht von der dehnung wird das a betroffen,
das westgerm. e oder den späteren umlaut von a vertritt:
falt 'feld' etc.; ferner in fremdwörtern: altä 'altar', salta ;post-
schalter'. Kürze in salz ist erhalten in einer enklave im süd-
lichen Schlesien mit Schweidnitz, Zobten. Reichenbach. Wartha.
Ottmachau, s. Wrede, Anz. 19. 102.
Dem nordschles. ist dehnung des c vor l + t eigen. Wein-
hold 45, 6. 7: (jceild 'geld', sd'ilten 'selten'. Vereinzelt trifft man
diese erscheinung auch im gebirge. Manchmal wird auch ein
anderer vocal gedehnt; ich finde als hierher gehörige beispiele:
schauldr 'schulter', schatdd 'schuld', ycdauld; im Kuhländehen
bei Oderau in Mähren auch gould 'gold\
§ 90. Dehnung vor nasal Verbindungen, besonders vor n -f
verschlusslaut, ist dem N eigen; vereinzelt findet sie sich aucb
in der gebirgsmundart , besonders im Kuhläudchen. Diese
dehnungserscheinung betrifft e und seltner i (s. ^'einhold 69.
Kupka Ii75). Heispiele: cindc 'ende', mcinsch 'meusch*, svinzt
\sense'. Vgl. auch Wrede, Anz. 19, 108: 'gedehntes / in teinter
wird bezeugt für Schlesien'.
§ 91. a) Vor cht wird nach Wrede, Anz. 21, 1(52 v gedehnt
innerhalb des dreiecks Bautzen — Schwiebus — Hirschberg a. R:
ferner um Ohlau und Falkenberg und an der obersten Glatzer
Neisse; s. auch Weinhold 27, 5. 45, b\ 7.
An der Biala erscheint < nur halblang; so in kwteht etc.:
hier ist auch a vor urspr. ht gedehnt in nacht, weinaciUa.
Auch Seifliennersdorf hat dehnung des e vor cht', rdjt
'recht', ndjtn 'gestern abend' etc.; aber fajtn 'fechten'; s.
Michel § 66.
b) Vor hs < hs wird an der Biala a gedehnt: ivdksa
'wachsen', äksel, wäks u. a.; nah' sein 'wechseln' und suk's haben
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN 8TAMM8ILBENV0CALE. 215
halblangen vocal (s. Waniek 34. 38). Nach Wrede, Anz. 18, 413
zeigt sich in sechs diphthongierung im Odergebiete von Frank-
furt bis Beuthen.
n. teil.
Zusammenfassung der dehnungserscheinungen
und vergleiohung mit den quantitätsverhältnissen der
Schriftsprache.
Nachdem ich im vorhergehenden den quantitativen laut-
wandel in den hauptdialekten des hochd. Sprachgebiets nach
seiner hauptseite: der dehnung der mhd. kurzen stammsilben-
vocale, zur darstellung gebracht habe, will ich im folgenden
versuchen, die resultate zusammen zu fassen. Dabei werde
ich gleichzeitig die entsprechenden quantitätsverhältnisse der
Schriftsprache zur vergleichung heranziehen und die frage er-
örtern, auf welchem dialekte die schriftsprachlichen quanti-
täten beruhen. Mein augenmerk habe ich, gemäss den obigen
ergebnissen, dabei nach zwei seiten zu richten: wo ist die
dehnung spontan entstanden und wo durch benachbarte con-
sonanten bedingt?
1. Dehnung in offener silbe.
Spontan ist die dehnung mhd. kurzer stammsilbenvocale
in urspr. offener silbe eingetreten. Sehen wir vom hochale-
mannischen ab, in welchem im grossen und ganzen die urspr.
Verhältnisse bewahrt sind (vgl. § 1) und, wenige zur nhd.
dehnung neigende gegenden (s. § 3) abgerechnet, vocaldehnung
in offener silbe nur dann eingetreten ist, wenn die folgende
silbe mit r anlautet ('s. § 2), so finden wir dieses gesetz für
alle dialekte gütig; s. § 15. 23. 30. 39. 47. 56. 68. 79. 84.
Paul hat Beitr. 9, 102 nachgewiesen, dass diese quantitäts-
veränderung mhd. kurzer vocale mit dem silbenaccente, und
zwar mit einer bestimmten form desselben, dem schwach-
geschnittenen, zusammenhängt; s. auch Sie vers, Grundzüge der
phonetik« § 790.
Die frage, weshalb nun die mhd. kurzen vocale mit schwach-
geschnittenem accente der dehnung unterworfen waren, ist
gewiss keine müssige. Mich hat sie immer interessiert. Ihre
beantwortung findet sie m. e. in der für so viele fälle zu-
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216 RITZEBT
treffenden annähme des natürlichen strebens, mit möglichst
wenig muskelanstrengung und atemaufwand denselben zweck
zn erreichen wie mit viel (Max Müller); s. Kussmaul, Die
Störungen der spräche 243.
Auch J. Wolff betont in seiner vortrefflichen abhandlung
Ueber die natur der vocale etc. (progr. von Mühlbach 1875).
s. 63 das bestreben nach physischer erleichterung der arbeit,
welches auch auf sprachlichem gebiete mehr und mehr zur
geltung gekommen ist. Dies ist zweifellos richtig; dagegen
aber nicht, was Wolff über die ausspräche der langen vocale
sagt, und damit komme ich zur begründung meiner ansieht.
Wolff meint nämlich a. a. o., dass die anhaltende muskelaction,
mit welcher die ausspräche langer vocale verbunden ist, eine
grössere physische anstrengung erfordere als die bildung eines
kurzen vocals.
Die erfahrungen beim Sprachunterrichte taubstummer
sprechen direct dagegen. Das gedehnte sprechen der vocale
fällt dem sprechschüler leicht, keineswegs aber die ausspräche
der betonten vocalkürzen. Das üben der letzteren bedarf
unendlich mehr zeit, und noch lange nach absolvierung des
ersten sprechunterrichts tritt die neigung auf, die kurzen vocale
gedehnt zu sprechen. Für die technischen Sprechübungen der
späteren Schuljahre bildet deshalb das üben der kurzen vocal-
aussprache ein stehendes capitel.
1 >icse tatsache bildet für mich den grund zu der annähme,
die in den dialekten wie in der Schriftsprache eingetretene
delinung der alten kurzn vocale mit der physisch leichteren
gedehnten ausspräche zu erklären.
Häufiger kommt es vor, dass urspr. liquid- und nasal-
geminaten als einfache laute behandelt werden, so dass der
vocal vor denselben in den silbenauslaut zu stehen kommt;
s. § 2 (am Schlüsse). 5. 21. 36. 47, d. 55, d. 63. 78, a.
Dieselbe erscheinung begegnet uns vor explosivgeminaten
im mfr. (s. § 64) und vereinzelt auch sonst (s. § 38, a).
Das gesetz der vocaldehnung in offener silbe erleidet nun
nach zwei seiten hin abweichungen, die aber nur eine schein-
bare willkür bedeuten und ihre erklärung in der 'annähme
einer verschiedenen ausgleichung eines älteren Wechsels'
linden.
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSIT.BENVOCALE. 217
Einmal betrifft dies solche Wörter, in denen auf den stamm
noch ein suffix folgt, meistens -el, -er, -em, -en; dann auch -et,
•ig u. a. Unter diesen Verhältnissen zeigt sich nun in allen
dialekten die neigung, die urspr. kürze zu bewahren (erklärung
s. § 16), und zwar besonders dann, wenn der stamm auf nasal
ausgeht (s. § 16. 23. 31. 41. 48. 57. 71. 80. 86).
Auch die Schriftsprache hat in den meisten fällen vor m
in zweisilbigen Wörtern auf -en, -el, -er die kürze erhalten:
ausgenommen sind nur nehmen, schämen, ziemen, name (flect.
nameri), schemel; mit n steht douner dem part. geschienen
gegenüber. K. v. Bahder führt dies auf den einfluss südwest-
deutscher dialekte zurück (Grundlagen des nhd. lautsystems
s. 88). Es ist jedoch gar nicht nötig, so weit zu gehen. Wol
zeigen die alemannischen maa, vor m + suffix consequent die
alte kürze; doch steht beispielsweise der grösste teil des
rheinfr. der Schriftsprache nicht nach; nur der X desselben
dehnt hier a, aber nicht die übrigen vocale. Ebenso liegt es
im mfr. Ganz besonders aber muss die Übereinstimmung des
obersächsischen mit der Schriftsprache in dieser hinsieht hervor-
gehoben werden (s. oben § 80).
Gegen den schriftsprachlichen gebrauch, wo wir fast aus-
nahmslos länge finden, zeigt sich bewahrung der kürze in
vielen dialekten öfters auch dann, wenn der stamm auf liquida,
einfache Spirans oder media ausgeht. Ich verweise auf die
vorhin genannten Paragraphen. Die mehrzahl dieser maa.
zeigt nun nicht allein den anderen gegenüber, sondern auch
in den einzemen fällen die grössten schwanklingen. Viele
maa. haben aber in der regel länge oder doch in den meisten
fällen; zu ersteren gehören Basel, zu letzteren die ostschwäbi-
schen, bairischen, ostfränkischen, südthüringischen, schlesischen
und besonders auch die obersächsischen; wenn nach Albrecht
Leipzig auch zahlreiche kürzen erscheinen lässt^ so gilt für das
ganze obersächsische gebiet doch die regel, dass die kürze nur
'zuweilen' bewahrt ist (vgl. Franke, Der obers. dialekt 36).
Gegenüber dem mundartlichen schwanken in den einzelnen
fällen behandelt die Schriftsprache diese Wörter aber con-
sequent.
Während die Schriftsprache in der verbaltiexion auch in
den formen, in welchen durch synkope des flexions-e geminatea
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218
RITZERT
oder doppelconsonanzen entstanden sind, in Übereinstimmung
mit den übrigen formen die länge durchgeführt hat (aus-
genommen sind nur die 2. und 3. sg. praes. von nehmen und
treten), zeigen viele maa. hier die kürze (s. § 16. 31. 41. 48. 57.
71. 80. 86). Zur zeit des eintritts der dehnung stand also der
stammsilbenvocal in folge der vorausgegangenen vocalsynkope
nicht mehr in offener silbe.
Die zweite abweichung von unserem gesetze zeigt sich bei
vielen dialekten in manchen einsilbigen nominibus und im imp.
sing. In der Schriftsprache ist auch in diesen dehnung ein-
getreten, indem die vocaldauer der flectierten casus in die-
selben eingedrungen ist; sie zeigt also stets die fertigen er-
gebnisse der ehemaligen ausgleichung. In den dialekten
dagegen erscheinen mitunter solche fälle, in denen die aus-
gleichung noch nicht erfolgt ist, zuweilen hat sogar die Quan-
tität der unflectierten casus den sieg davon getragen in dem
ganzen paradigma (s. § 17. 33, b. 40. 50. 59. 70. 81. 85).
Häufiger kommt es hierbei vor. dass die kürze bewahrt
wird, wenn der stamm auf liquida (besonders Z) oder nasal
schliesst; s. § 18. 33. 40. 55. 59. 69. 85. Vgl. hierzu Heusler,
Beitrag zum consonantismus etc. 13.
Aus der Schriftsprache gehören hierher fromm (< vrom,
rritm), ginn (< ff») und toll (< toi); letzteres kommt freilich
mild, auch schon als toll vor.
Während das unterbleiben der ausgleichung (wie in sik
m. 'sieg', aber flectiert siye im schles.) in den hochd. dialekten
nur in seltenen fällen zu constatieren ist. bildet es für das
niederdeutsche mit ausnähme derjenigen einsilbigen Wörter, die
auf / und /• endigen, die regel: weg, aber weges; nemen, aber
näm. In der niederfränk. ma. von Mülheim a. d. Ruhr, in der
die kurzen vocale in offener silbe stets gedehnt worden sind,
tritt auch bei den kurzsilbigen, die auf urspr. p, t, k, sowie
auf /, m, n, r ausgehen, der gedehnte vocal aus den obliquen
casus in den nominativ (s. Maurmann, Die laute der ma. von
M. § 128).
Ausgenommen von der dehnung sind in der Schriftsprache
mit wenigen ausnahmen die Wörter mit sowol ein- wie zwei-
silbige: Matt, Schlitten. Die erklärung dieser erscheinung s.
bei Sievers, Phonetik4 § 792. Bahder sieht auch hierin einfluss
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 219
alemannisch-schwäbischer maa. (Grundlagen s. 88), jedoch nicht
mit recht. Es stehen nämlich die alem. maa. (s. oben § 17.23)
in der erhaltung der kürze vor t nicht allein; wir finden die-
selbe erscheinung im rheinfr. (§ 49), im X des mfr. (§ 58), im
gebiete des südbair. dialekts (g 33) und, abgesehen von ver-
einzeltem auftreten, vor allem wider im obersächsischen (§ 81).
Gegenüber den Schwankungen des rheinfr. zeigt letzteres nahezu
vollständige Übereinstimmung mit dem schriftdeutschen: nur in
breit und städte (pL) weicht es ab. Für die erhaltung der
kürze vor t im obers. vgl. auch die reimtafel bei J. P. Titz,
Zwei bücher von der kunst hochd. verse zu machen 1, cap. xin,
mitgeteilt von V. Bahder a.a.O. s. 99. Nimmt man mit v. Bahder
einfluss des alemannischen mit seiner consequenten kürzeerhal-
tung vor t an, so bleibt unverständlich, aus welchem gründe
trotzdem in einigen Wörtern dehnung eingetreten ist und zwar
in solchen, die auch sonst in vielen maa. die alte kürze be-
wahren, wie in rater, pate, böte. Noch eher wäre an eine
beeinflussung seitens des rheinfr. zu denken, das. wie oben
gesagt, in den meisten fällen die dehnung nicht kennt, in
anderen aber dehnt; jedoch stimmen die einzelnen fälle nicht
mit dem schriftdeutschen, was aber im obers. der fall ist.
Aus diesem und dem obigen zusammentreffen der Schrift-
sprache mit dem obers. glaube ich den schluss ziehen zu müssen,
dass die Quantitäten des nhd. auf diesem dialekte beruhen. Ich
befinde mich also im gegensatze zu v. Bahder und stimme Paul
zu, der a.a.O. 103 allgemein sagt, dass unsere Schriftsprache
doch nicht so sehr eine mischung aus verschiedenen maa. ist,
dass sie nicht im wesentlichen auf einer einheitlichen grund-
lage ruht.
Die annähme dieses Verhältnisses zwischen Schriftsprache
und obersächsischem dialekte ist um so wahrscheinlicher, als
die spräche Luthers, in der die meissnischen (obers.) demente
dominierten und welche die grundlage der nhd. Schriftsprache
ist, in dieser beziehung vorbildlich wurde und zwar in der
form, die sie in seinen gedruckten Schriften, namentlich der
bibelübersetzung, erhalten hat (über das vorkommen der kürze
vor / in der Bibel von 1545 vgl. v. Bahder a.a.O. s. 90, und
über den gebrauch von tt gemäss Luthers Vorbild in anderen
denkmälern a. a, o. s. 99).
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220
RITZERT
2. Dehnung in geschlossener silbe.
a) Vocaldehnung in geschlossener silbe haben in allen
dialekten, wie in der Schriftsprache diejenigen Wörter, die auf
r auslauten: er, der etc., aber nur dann, wenn sie betont sind;
unter dem einflusse der accentlosigkeit zeigen sie kürze. Da
diese keine flectierten formen neben sich haben, in denen die
länge lautgesetzlich eintreten konnte, substituiert Paul a. a. o.
s. 110 deshalb für den wortauslaut das ende eines satztaktes
im satzzusammenhange. Für meinen heimatsdialekt liegt die
sache einfacher; da r hier durch einen kurzen a-laut (= v)
ersetzt wird, bleibt die silbe nicht mehr geschlossen, und es
muss lautgesetzlich dehnung eintreten: g»wä < fpwao = 'ge-
wahr'. Dasselbe gilt auch für andere dialekte, so für Hand-
schuhsheim. Seifhennersdorf: hä 'er' u.a. Für die alemannischen
maa. fällt die dehnung vor r unter das capitel des dehnenden
einflusses auslautender lenk
b) In einem grossen teile des hochd. Sprachgebiets tritt
ausserdem in allen schon mhd. einsilbigen Wörtern mit doppel-
consonanz dehnung ein; es betrifft dies das ostschwäbische
(§ 25), bairisch-östeiTeichische (§ 34), ostfränkische (§ 42), das
an letzteres grenzende südwestthüringische (§ 72) und schle-
sische (§ 87). Die alte kürze kommt wider bei antritt einer
weiteren silbe zum Vorschein; im ostschwäb. und ostfr. hat
auch der dat. sg. dieser Wörter gedehnten vocal (s. § 24 b. 44),
im bairisch-österr. und südwestthür. aber kurze (s. § 34. 72).
Ueber die erklärung dieser erscheinung vgl. Kauffmann,
Geschichte der schwäb. ma. § 127. Fischer, Geographie der schw.
ma. § 12. 0. Brenner. IF. 3, 207 ff. Streitberg, ebda. 305 ff. Bohnen-
berger, Alemannia 24, 20 und besonders Zs. fdph. 28, 515 ff. Mit
Kauffmann, Fischer und Bohnenberger ist daran festzuhalten,
dass die Stellung in tonsilbe, zumal in pausa, zur Verlängerung
des vocals führt. Dagegen scheint es auch mir nicht wahr-
scheinlich, dass die dehnung ein ersatz für den vertust der
germanischen nominativendungssilbe sei, wie Brenner glaubt.
3. Dehnung in folge consonantischen einflusses.
Von den durch die Qualität der dem vocale folgenden
consonanz bedingten längungen sind zunächst die im hoch-
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 221
alem. vorkommenden vor lenis zu erwähnen (s. § 4. 6). Kauf-
mann, der dehnung auf conto folgender consonanz zu setzen
überhaupt nicht für annehmbar hält (a.a.O. 155,anm.2), erklärt
auch diese hochalem. erscheinung durch die Stellung in satz-
pause (so auch Fischer). Für Schaffhausen tritt nach Stickel-
berger, Beitr. 14, 414 ff. dehnung vor spirantischer und explo-
siver lenis freilich nur in pause ein (vor liquider und nasaler
aber immer); das verfahren der masse der hochalem. maa.
bleibt davon aber unberührt; dasselbe lässt sich nur durch
die dehnende Wirkung der folgenden auslautenden lenis er-
klären.
Allgemeiner verbreitet sind die dehnungserscheinungen,
die durch den einfluss von liquida oder nasal + consonant (in
den weitaus meisten fällen dentalexplosiv) verursacht werden.
Gegen Kauffmann a. a. o. 155 muss diese consonan tische be-
einflussung besonders betont werden, denn anders lassen sich
die betreffenden längungen nicht erklären.
Am häufigsten wird a vor den genannten eonsonanten-
gruppen gedehnt, dann e (mhd. e) und seltener die übrigen
vocale. Im übrigen verweise ich auf das obige material und
füge die betr. paragraphenzahlen an.
a) Dehnung vor r -Verbindungen: § 8. 19. 2G. 37. 51. 00.
73. 82. 88. Für das ostschwäbische, bairische, ostfränkische
kommt zudem in betracht, dass in allen mhd. einsilbigen Wör-
tern auf r + consonant dehnung eingetreten ist. Die schrift-
sprachliche dehnung von a und e vor r -f cons. (die einzige
dehnungserscheinung vor doppelconsonanz, s. Paul, Grundriss
1, 559) hat also ihre entsprech ungen im ganzen hochdeutschen
Sprachgebiete. Allerdings gehen nahezu alle dialekte weiter
als die Schriftsprache.
b) Dehnung vor / + cons. (meist in der gruppe a + / -f
dentalverschluss mit fast regelmässigem Schwunde des letz-
teren): § 11. 20, a. 37. 46, c. 52. 61. 74. 83. 89.
c) Dehnung vor nasal + verschlusslaut: § 10. 20, a. 25. 28.
37. 46. 53, a. 62, a. 75. 90;
ferner vor nasal + spirans mit Schwund des ersteren : § 9.
20, b. 27. 53, b. 62, b. 78, b.
Von dehnendem einflusse sind ferner urspr. ht und im;
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222 RITZERT, DEHNUNG DRK MHD. KURZEN 8TAMM8ILBENVOCALE.
für die dehnung vor ht s. § 12, 22, a. 25. 54. 00. 70. 91 und
vor hsf wobei die gutturalspirans ausfällt: § 13. 22, b. 29. 55. a.
07. 77. 91, b.
Dehnung vor doppelspiranten und Spirantenverbindungen
begegnet uns im nifrk. (s. § 05); ausserdem vor ersteren in
einem beschränkten gebiete in Kärnten (s. § 38, b) und vor st
in einem mitteldeutschen bezirke an der Weira (s. § 40. b.
55, b. 78, a).
HOMBERG (bez. Cassel). A. RITZERT.
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KLEINE BEITRÄGE ZUR DEUTSCHEN
WORTFORSCHUNG.
L abgemergelt, ausgemergelt
ziehen Kluge, Heyne und Paul übereinstimmend zu mark n.,
wobei sie an bildliche redensarten wie einem das mark aus-
saugen anknüpfen. Hierbei bleiben lautliche Schwierigkeiten;
wenn sich auch das g des Stammes aus der älteren wortform
zur genüge erklärt, so bleibt das ?-suffix auffällig; man würde
* -morgen erwarten. Dass der nächstliegenden ableitung von
mergel 'argilla', mergeln 'mit mergel düngen' von den genannten
forschem und ihren Vorgängern ausgewichen wurde, beruht
wol auf der er wägung, dass eine düngung Verbesserung des
bodens bedeute, also grade das gegenteil von dem was man
bei abgemergelt, ausgemergelt empfindet. Dennoch ist hier das
nächstliegende zugleich das richtige. Jeder landwirt weiss,
dass mergeldüngung eine reihe vortrefflicher ernten ergibt,
dass aber schliesslich der boden davon schlechter wird als er
vorher war; die bauernregel: mergeln macht reiche väter und
arme söhne drückt das Verhältnis zutreffend aus. Der grund
davon liegt in dem kalkgehalt des mergels, der den boden
energisch aufschließt und die pflanzen veranlasst, alle im
boden irgend vorhandenen nahrungsstoffe herauszuziehen, wo-
durch natürlich ein an sich armer boden bald genug gründlich
erschöpft wird. Vgl. noch das von Heyne unter ausnutzen
angeführte citat aus Maaler (1561): auszuätzen, ein crdtrich
auszmürglen und ersaugen.
2. ammer f. 1)
'ein Singvogel', spätahd. amcro, mhd. amer (Heyne). Die von
Kluge und Heyne zweifelnd gegebene ableitung von ahd. amar
'sommerdinkel', die lautlich tadellos ist, scheint mir auch in
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224
T.IKBICH
hinsieht auf die lebensweise des vogels und auf andere vogel-
nanien wie distelfinJc, hänfling annehmbar. Das von Heyne
auch angeführte synonym ämmerling ist sogar eine genaue
parallelform zu hänfling. Der mlat. und zoologische name
emberiza ist nur widergabe eines anderen synonyms, des jetzt
veralteten deutschen emmeritz, das Kluge unter Stieglitz auf-
führt. Hinzuzufügen wäre nur, dass auch ahd. amar heute
noch fortlebt, als ammer in der Schweiz und Hessen, emer,
emmer im schwäbischen IL S.w.; vgl. Pritzel und Jessen, Die
deutschen volksnamen der pflanzen (1882). Die butaniker
nennen die pflanze triticum dicocciim.
3. ammer f. 2)
'eine kirschenart' (Heyne). Es ist die Sauerkirsche, prunus
cerasus, die in Mittel- und Niederdeutschland auch amarelle.
marille etc. heisst , v namen, die alle auf das von Hevne an-
geführte mlat. amareüum zurückgehen; und zwar stellen sich
ammer und marille ebenso gegenüber wie oberd. ampel und
nd. pulle, die beide aus ampulla, diminutivum von amphora
stammen. Mlat. amareüum selbst aber ist wol nicht entstellung
aus armeniacum, wie Heyne u. a. vermuten, sondern nach dem
gleichbedeutenden it. amaraseo, amaraschino (davon unser
marasehino, eig. kirschenliqueur) zu schliessen, ableitung von
lat. amarus. Die Verbreitung des Wortes durch die mundarten
und seine Übertragung auf die aprikose im südöstlichen gebiet
verdiente wol eine genauere darstellung.
4. ausversehämt
stammt aus dem plattdeutschen oder ist vielmehr nur eine
Übertragung des .plattd. utverschamt; eine dem hd. 'unver-
schämt' genau entsprechende negierende bildung gibt es im
plattdeutschen nicht.
5. baekbord, steuerbord
— 'linke, rechte seite des schiff es'. Die begriffe 'links' und
'rechts1 werden mit Vorliebe durch concretere bezeichnungen
ersetzt, die gewöhnlich sehr gut gewählt sind. Warum da*
rechte wagenpferd handpferd, das linke sattelpferd heisst, be-
greift man sofort: wenn der kutscher reitet, so legt er den
sattel stets auf das pferd zur linken, um den andern gaul mit
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KL. BEITRÄGE ZUK DEUTSCHEN WORTFORSCHUNG. 225
der rechten band regieren zu können. Schwerer ist es zu
verstehen, warum unsere seeleute die obigen bezeichnungen
gewählt haben, und sie selbst wissen keinen grund dafür an-
zugeben.
Fragen wir unsere Wörterbücher um rat, so suchen wir
steuerbord vergebens. Zu hackbord bemerkt Hejrne: 'aus dem
niederdeutschen aufgenommener Schifferausdruck, linke hinter-
seite des schiff es; eigentlicli seite, die der Steuermann im
rücken (niederd. engl, back) hat'; Kluge: 'eig. der rand, die
seite, welche dem mit der rechten band das Steuer lenkenden
Steuermann links im rücken liegt, die linke hinterseite des
schiffes'; Paul: 'aus nl. bacboord, linke hinterseite des Schiffes,
eig. rand, der dem Steuermann im rücken liegt'.
Was die von Paul allein angenommene entlehnung aus
dem niederländischen anlangt, so ist diese abzulehnen wegen
des hohen alters der betr. worte, die, wie unten gezeigt wird,
schon lange im gebrauch waren, bevor sich das nl. als eigne
spräche vom mnd. ablöste. Zu dem allen dreien gemeinsamen
teil der erklärung ist zweierlei zu bemerken: erstens ist back-
bord nicht die linke hinterseite, sondern die ganze linke seite
des schiffes, und zweitens sitzt oder steht der Steuermann gar
nicht schräg, sondern wie bekannt mit dem gesiebt nach vorn.
Für das von mir behauptete hohe alter der beiden worte
spricht zunächst ihre weite Verbreitung in den heutigen germ.
und rom. sprachen, die aus folgender Zusammenstellung her-
vorgeht:
nl. bakboord — xtuurboord
dän. bagbord — styrbord
8ch\ved. babord — styrbord
engl. — starboard *
franz. babord — tribord
span. babor — estribor
portug. babordo — estibordo
it. babordo — tribordo.
Die reihe ist vollständig bis auf das englische, in dem heute
nur das zweite der beiden worte fortlebt, aber grade hier tritt
das angelsächsische mit bcecbord und steorbord in die lücke
und beweist uns zugleich, dass beide Wörter schon vor einem
jahrtausend auf germanischen meeren in gebrauch waren. Auf
noch höheres alter weist die form der entlehnung in den
Beitrag zur tfetcblckte der deutschen spräche. XXIII. 15
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226
LI KHK II
romanisclien sprachen, da tribord etc. sich nur aus einer nicht
überlieferten, aber auch für das germanische vorauszusetzenden
älteren form *stiuribord oder *styribord befriedigend herleiten
lassen, unter Verschiebung des accentes auf das zweite glied
der Zusammensetzung. Damit sind wir schon bis in die
wikingerzeit gelangt, und wenn wir deren reste betrachten,
so löst sich das rätsei in überraschender weise: sowol das alt-
sächsische boot in Kiel (zeit 2. — 4. jh. n. Chr.) als das wikinger-
schiff in Christiania (aus dem 9. jh.) haben das Steuer nicht
wie unsere heutigen schiffe am hinterste ven, sondern an der
rechten seite. und dieselbe construction zeigen sehr alte dar-
stellungen von schiffen in Skandinavien (vgl. Boehmer, Pre-
historic naval architecture. Smithsonian report 1891, fig. 112
— 115). Das steiler hieng freischwebend in einem lederringe
und musste mit beiden händen geführt werden, wodurch der
Steuermann genötigt war, so zu sitzen, dass er der linken
seite des schiffes den rücken zukehrte. Für ihn konnte es
also keine näher liegende bezeichnungsart der beiden Seiten
geben, und da die ämter des Steuermanns und capitäns ur-
sprünglich wol in einer person vereinigt waren, so teilten sich
durch seine commandos diese namen auch der übrigen mann-
schaft mit. Die einmal eingeführten bezeichnungen aber
pflanzten sich von einer generation auf die andere fort and
überdauern die einrichtung, der sie ihren Ursprung verdanken.1)
6. bugsirren,
nl. boegseeren, ist nicht eine verdunkelte Zusammensetzung mit
bug, wie Heyne vermutet, sondern entlehnt aus portug. ptuan
•ziehen, schleppen1 (Klnyver, Tijdsehr. v. ned. taal- en letterk.
13 (1894), 158. Da dieses selbst aber - lat, pulsart ist, so ist
bugsieren am nächsten mit unserem puls verwant.
7. drüse, drusc f.
Kluge unterscheidet (ebenso Heyne und Paul):
druse* 'verwittertes erz', nur nhd.; dunkler abkunft;
I1) Vgl. hierzu jetzt auch Reinh. Werner. Gfltt. gel. auz. 1897. 3«1 (vom
28. mai 1897): 'der name steuerbord für die rechte seite de« schiffe* dürfte
mit jrrösster Wahrscheinlichkeit wol daher stammen, das* alle antiken
schiffe bis zu der flotte Wilhelms des eroberers das Steuerruder an der
rechten seite des schiffes aufgehängt hatten E. S.j
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KL. BEITRAGE ZUR DEUTSCHEN WORTFORSCHUNG. 227
druse'1 'eine krankheit des pferdes', nhd.; identisch mit drüse,
druse aus mhd. drüese, druose (daher nhd. die nebenform druse2,
nur mit specialisierter bedeutung).
Die doppelformen driisc — druse, mhd. driiese — druose,
sind nur mundartliche doubletten wie säule und saule, und
zwar ist die form mit umlaut oberdeutsch, die ohne umlaut
mitteldeutsch (vgl. Weinhold, Mhd. gramm.2 s. 140). Noch heute
sind drüse und druse begrifflich nicht überall geschieden; im
allgemeinen spricht man von drusen als krankheit bei den
pferden, von driisen bei den menschen (in beiden fällen han-
delt es sich um eine Schwellung der lymphdrüsen); doch hörte
ich in der Niederlausitz auch die skrofelkrankheit der kinder
als drusen bezeichnen.
Als grundbegriff des Wortes ergibt sich aus den ahd. und
mhd. belegen: ansch wellung am körper, gewöhnlich krank-
hafter art, mit flüssigem inhalt. Heute bezeichnen die ana-
tomen als driise alle sackartigen secernierenden ausbuchtungen
im tierischea körper und sprechen nicht nur von lymphdrüsen,
Speicheldrüsen, tränendriisen, sondern fassen selbst die leber,
die milz, die lunge als grosse drüsen auf (vgl. Ranke, Der
mensch 1 \ 42). Die botaniker sprechen von drüsenhaaren, haaren
mit kolbig erweiterter spitze, die eine flüssigkeit ausscheiden,
wie beim Sonnentau (drosera), aber auch von drüsenschuppen,
driisenzotten etc. Unter diesen umständen scheint es mir nicht
gerechtfertigt, druse im mineralogischen sinne für ein anderes
wort anzusehen, zumal die definition 'verwittertes erz' sehr
unzulänglich ist: drusen sind blase nf örmige h ohlräume in
plutonischen gesteinen, die gewöhnlich reichlich krystalle ent-
halten. Die wähl der namensform ohne umlaut erklärt sich
zur genüge daraus, dass die deutschen mittelgebirge, in denen
sich der bergbau entwickelte, im bereich der mitteldeutschen
mundarten liegen.
8. kiel* m. (Kluge).
Als älteste überlieferte form führen die Wörterbücher and.
und ahd. kiol auf, während Kluge als mutmassliche altgerma-
nische form *kiula- ansetzt. Diese von ihm auf grund der
lautgesetze erschlossene form ist aber überliefert und das
Sternchen daher zu streichen. Vgl. Gildas ed. San-Marte (1844)
15*
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228
LIEBICH
s. 132: qualiter gern Scuronica cum tribus kyulis Britanniam
appulerit; ebda. s. 151 (— Mommsen s. 38): tribus, ut lingua
(jus (i. e. Saxonis) exprimitur, cyulis, nostra lingua longis
navibus (die zweite stelle schon bei Ducange unter ceola); vgl.
femer die entsprechende stelle bei Nennius ed. San-Marte s. 47
(= Mommsen s. 171): interea venerunt tres ciulae a Germania
expulsae in exilio u. s. w. Eine noch ältere lautstufe liegt vor
in finnisch keula Steven'.
0. lügen und trügen.
Von 23 starken verben der w-reihe, die Wilmanns fürs
nhd. aufzählt, zeigen nur diese beiden im praesens ü gegenüber
dem ie von bieten, biegen u. s.w. Fragen wir, wie das ge-
kommen ist, so lautet die antwort für trügen: i durch anleh-
nung an trug und an lügen, womit es oft formelhaft verbunden
wird' (Paul); für lügen: 4 durch anlehnung an lug und lüge\
Beides ist zweifellos richtig: aus den historischen angaben bei
Heyne erfahren wir, dass lügen für liegen schon im 17. jh.
emporkommt, um 1770 allgemein angenommen ist. während
trügen noch von Adelung zurückgewiesen und erst von Campe
(1707) durchgeführt wird. Der process ist also von lügen
ausgegangen. Auch die anlehnung an lug, lüge liegt auf der
band, und es bleibt nur noch die frage offen, warum die gleiche
erscheinung sich nicht auch bei anderen verben dieser klasse
gezeigt hat , warum man z. b. nicht auch nach flug * 'fingen
und nach Schub *schüben bildet.
Ich denke mir den hergang folgendermassen: durch das
monophthongierungsgesetz wurde aus mhd. liegen Ilgen, durch
das nhd. dehnungsgesetz aus mhd. ligen 'jacere' ebenfalls Ilgen.
Es trafen also von verschiedenen Seiten kommend gewisser-
massen zwei parteien auf einem punkte zusammen, und es
begann ein kämpf, der wie überall mit der Verdrängung des
schwächeren teiles endete. Ilgen 'mentiri' war schwächer, weil
Ilgen 'jacere' nicht nur selbst häufiger gebraucht, sondern auch
durch eine zahlreiche verwantschaft (läge, lager, legen etc.)
gehalten wurde. Bei diesem kämpfe gieng das praesens von
ligen 'mentiri' fast zu gründe; am längsten hielten sich noch
die formen du leugst, er leugt, die mit den entsprechenden von
Ilgen ' jacere' lautlich nicht zusammenfallen: Lessing gebraucht
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KL. BEITRÄGE ZUR DEUTSCHEN WORTFORSCHUNG. 220
noch gelegentlich und im schlesischen gebirge kann man
heut« noch hören. Sonst kam an seiner stelle eine jüngere
bildung auf, die auch von der alten wurzel abstammte und
veränderten Verhältnissen besser angepasst war.
Ist diese erklärung richtig, so liefert sie uns den Schlüssel
das Verständnis einer ganzen reihe ähnlicher fälle. Es ver-
t jedenfalls beachtung, dass wir so oft, wo wir ein wort
inbar ohne grund absterben sehen, ein anderes gleich-
endes nachweisen können, das ihm überlegene concurrenz
aachen scheint. Hier noch einige beispiele:
aue 'schafmutter', indog. ovis, zurückgehend neben aue
serland';
ahd. pilidüri 'bilder', noch in Schillers glocke gebraucht,
i etwa noch in Zusammensetzungen wie essigbilder, sah-
sonst gewichen vor bildner, mhd. bildendere, da jenes im
mit der mehrzahl von bild zusammenfällt;
mkell) 'fussknöchel' und enkel2) 'kindeskind' schliessen
in der mundartlichen Verbreitung gegenseitig aus (vgl.
0;
•ot, filhan, ahd. felahan, heute noch in befehlen, empfehlen,
it als simplex gewichen zu sein vor dem im mhd. ein-
ngenen fehlen = fr. faillir\
ciscl f. ist in den östlichen mundarten verdrängt durch
ivische peitsdie, vielleicht wegen geisel 'kriegsgefangener'.
irm geissei, historisch unberechtigt, würde dann einen
1 differenzierungsversuch darstellen. Dagegen scheint
f. auf das geschlecht von geisel 'kriegsgefangener' störend
gewirkt zu haben, das im ahd. und mhd. nur m. oder n.,
r. ist;
lid. giht 'geständnis', gichtig 'geständig' (bis ins 17. jh.),
gangen wegen gicht 'arthritis', gichtig 'paralytieus';
us 4 schutt' hat die eigentlich hd. form grauss nahezu ver-
weil dieses mit graus 4 schreck' lautlich zusammenfällt;
iber, der gemeineurop. name des Ziegenbocks, an. hafr,
er, gr. x/tJiQOG, neben haber, hufer 'avena'; nhd. noch in
i&s, n. einer schnepfenart, die zur begattungszeit einen
nden ton liören lässt, huberbari 'tragopogon. geissbart',
ilehe 'prunus insititia, bocksschlehe' (nach der bock-
iii liehen gestalt der früchte) u. a.;
230
MBB1CR,
warum hat bei hart 'durus' die adverbiale form die adjec-
tivisehe (mhd. herte) verdrängt, im gegensatz zu fest, schön,
süss iL a.? Zwei umstände dürften damit in Zusammenhang
stehen: einerseits die besondere Verwendung der adverbia fast,
schon, andererseits dass als abstractum dort nur härte in ge-
brauch ist, während hier in nicht gehobener rede nur fest ig-
hcit, Schönheit, süssigheit gebraucht werden;
and. mhd. hunt 'centum' neben hunt 'canis'; neben jenem
kommt am ende der ahd. zeit das compositum hundert auf.
das heute allein den platz behauptet ;
heller 'cellarius' verdrängt durch Kellner 'cellenarius\ zur
Unterscheidung von heller 'cellarinu'; bei letzterem schon im
ahd. geschlecht s Wechsel (vgl. geisel);
nhd. hissen n. gegen mhd. hüssen, nl. küssen aus mlat.
cussinus. Das mundartliche t für ü hat in die hochsprach e
eingang gefunden, weil man dadurch eine Unterscheidung von
dem verbum hüssen 'oscularf gewann;
lechen 'mit dem fuss ausschlagen' bei Luther neben lecken
'lambere'; die im vorigen jh. eingeführte Schreibung mit un-
organischem ö ist für die erhaltung ohne einfluss geblieben.
Ein drittes lechen 'undicht werden' ist nur nd.;
mhd. Ut, im nhd. durch glied ersetzt, weil hier mit mhd.
lief ' zusammenfallend ;
ahd. mund f. 'band' neben mund m. 'mund', nhd. nnr noch
in mündig, mündet, rormund, mund tut; keine von diesen bil-
dungen hat eine entsprechende von dem m. mund neben sich:
säule •ahle', nhd. noch in pinsel2) (vgl. den nach weis bei
Heyne) und in mundarten, aber zurückgehend, neben säule
'columna';
*i räche (engl, drahe) 'männliche ente'. nur noch in entrieh
ahd. antrchho für anut-trehho, neben drachc, ahd. tratiho,
aus gr. ÖQäxwr; im engl., wo letzteres dragon lautet, fällt
diese concurrenz weg;
ahd. tvdian 'kämpfen' neben wlhan •weihen', nhd. nur noch
in getceihy tceigand, weigern und vielen eigennamen.
Man wird nun vielleicht einwenden, dass es noch heute
homonyme gibt, die ruhig neben einander fortbestehen, ohne
dass eines von ihnen spuren des Verfalls zeigte, wie malen
und mahlen, weide 'futter' und weide 'salix'. Ich glaube, dass
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KL. BEITRÄGE ZUR DEUTSCHEN WORTFORSCHUNG. 231
i dieser einwand durch die betrachtung entkräften lässt,
s in einer lebenden spräche ebensowenig als in der natur
bewegung zum abschluss gekommen ist. Auch handelt es
i hier nicht um einfache, gleichmäßige Vorgänge, sondern
das zusammenwirken mehrerer factoren, die für jeden fall
verschiedenem werte sind, häufigkeit des gebrauchs, vor-
rl ensein eines ersatzes u. a. So bildet mau ein nomen
ltis auf -er 'nur von mahn, nicht von mahlen, weil sich
das fremdwort molinarius — müller als ersatz bot. Auch
Unterscheidbarkeit durch die schritt wird einen gewissen
ervierenden einfluss ausüben.
So einschneidende lautgesetze, wie sie den Übergang vom
zum nhd. kennzeichnen, haben für tausende von Wörtern
Verhältnisse geschaffen, die die spräche seither in stiller
it mit einander in einklang zu setzen sucht. Neu auf-
mmene Wörter, aus den mundarten wie aus der fremde,
len ständig am Wettbewerb teil, verursachen aber nur
ere Störungen. Tnd noch ehe die nivellierenden und aus-
len kräfte ihr werk beendet haben, werden neue laut-
ze neue revolutionen bewirken, worauf dann das alte spiel
orn beginnen wird.
Natürlich beruht die erseheinung nicht auf einem mysti-
. selbständigen leben der spräche. Diese ist nur das
e abbild des denkeus, das selbst nur eine function der
blichen seele ist. Vielmehr werden wir den grund in
mehr oder weniger unbewussten auslese von seiten des
enden zu suchen haben. Dieser wünscht in erster linie
nden zu werden, und wenn er die wähl hat zwischen
tusdrüeken, so wird er den bevorzugen, der bei dem
i sicher den gewünschten begriff hervorruft und keine
rage zur folge hat. Aber es ist doch von hohem inter-
1 beobachten, wie sich selbst in diesen äusseren abbildern
en gesetze widerspiegeln, denen alles lebende ohne aus-
unterworfen ist.
iESLAU, 16. mai 1897. B. LIEBICH.
> vervollständigt am 17. dec.)
ZUR ALT WESTFRIESISCHEN LEXIKOLOGIE.
Siebs hat im Literatnrblatt für germ. und rom. phil. 1897.
s. 219 ff. einigen in meiner schritt Zur lexikologie des altwest-
f riesischen vorgeschlagenen fassungen eine abweichende deutung
gegenüber gestellt.') Ob mit recht oder unrecht, möchte ich
hier in der kürze untersuchen.
S. weist für statt regelrechtes tvrhW stehendes urhtftten
'berüchtigt' auf nwfries. bretn 'gebraten' hin, eine compromiss-
bildung aus regelrechtem *breden (nwfries. brudn) und nach
analogie von *blft etc. (p. praet, zu bUda 'bluten' etc.) gebil-
detem *brH (nwfries. bret); es sei in ähnlicher weise auch
-Mitten entstanden aus -hUt und nach analogie von *breden
etc. (p. praet. zu *hr?da 'braten' etc.) gebildetem *-hledcn (nwfries.
hludn). Diese fassung ist gewis plausibler zu nennen als die
von mir vorgeschlagene: wrhWtten für wrhUt durch einfluss
von *irrhlrdcn gravatus. — Nach S. soll herne in Hueerso ecn
tvedue manneth and se da bem to baclmond sette, so nyme hio
dat herne and dal laepldnd häljf witha bem nicht subst. =
'ernte', sondern pron. poss. fem. sein ('so nehme sie das ihrige*)
und das bv der parallelstellen nicht 'ernte' (= as. beo). son-
dern 'unbewegliche habe' (= ags. ba 'wohuung') bedeuten
(dass Zur lexik. s. 5 z. 13 Umbewegliche habe' druckfehler ist
für 'bewegliche habe', leuchtet dem leser des artikels Be so-
fort ein). Er vergisst dabei: 1. dass kerne, das (nicht öfters,
wie S. behauptet, sondern nur einmal) im ms. Roorda bezeugt
ist, an der belegstelh* als acc. sg. masc. steht (dat di fader
aeyh syne dochter neen män to jaen irr herne icilla), also -nt
') Nach anlas* von Siebs' bedauern, dass Zur lexikologie an nicht leicht
zugänglichem orte erschienen sei, bemerke ich, dass alle die im auftrage
der Koninklijke akademie van wetensehappen erseheinenden werke im
handel sind.
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ZITU AT /TW EST FR! KS. 1.KXIK0L00IK.
als suffix des erwähnten casus enthält (vgl. auch hirres erwen-
schips Ag')160, om herre bedc wille Ag. 104, hiärer sted gen.
8ch 772, etc.); 2. dass bc als 'unbewegliche habe' sich an den
belegstellen nicht mit der Zur lex. s. 5 ausdrücklich hervor-
gehobenen rechtsregel reimen Hesse. — Biferdia wäre, wie S.
meint, schon von v. Richthofen, Wb. 750 richtig als 'fredus
zahlen' erklärt. Aus der Verwendung des Wortes an der frag-
lichen stelle Als dy frucht (die durch ein tier beschädigte
feldfrucht) byferdeth tvirth myt acht ponden fan dis riüchtes
wegena, d. h. aus den hinzugefügten Worten fan dis riüehtes
wegena ergibt sich jedoch zur genüge, dass hier nur eine
Übersetzung durch 'mit fredus belegen' am platze ist. — Mit
berewed schip soll nach S.'s ansieht vielleicht 'ein aufgetakeltes,
fahrt bereites schiff' gemeint sein, indem das p. p. mit plattd.
bereven, ndl. reef in Zusammenhang stände. Die bedeutung
von reef 'Vorrichtung zur Verkürzung des segels' spricht in-
dessen keineswegs zu gunsten solcher annähme: und dass
übrigens berewed schip 'mit waaren geladenes schiff' und
nichts anderes bedeutet, geht ganz klar aus der betreffenden
belegstelle hervor: Hivaeso fuert ti ene bireteeda schipe . . .
aldcer di män leyt omme ribchta ncringha ende nimth
htm zyn goed of} deer hi sculde zyn lyf fan feda etc. —
Formen wie westfries. bedlc neben bidle, bedlinze F neben bir-
lenze, bimze lassen bei S. [der auch eine Schreibung (?) wie
iccrnsdei für *tvedcnesdei vergleicht] keinen zweifei aufkommen
an der Verbindung von birlenze, bimze 'aussteuer' mit ttlbedla
'aussteuern*. Wie lautet aber, möchte man fragen, ein hierher
gehöriges gesetz für r aus d vor l? Wie Hesse sich diese
lautent Wickelung gegenüber der sonstigen erhalt ung von d
vor l erklären? Die von S. ins feld geführten saterl. beUin
aus bern, badnp aus *bamia (?) können hier ja schwerlich
dienen. Und ausserdem sollte das auf assibilierung hinweisende
z von birlcnze, bimze ausdrücklich vor dei* annähme einer form
mit (i- bez. j-losem) suffix inga warnen. — Für dretve in ief
hi sine bannenu wey naet icirtza (reparieren) neUe ende Uyt
drewe Ute teer ende dey will S. statt an. drei fr 'zerstreut'
as. dröbi heranziehen und beruft sich dabei auf nwestfläm.
l) Wegen der hier verwauten sigelu s. Beitr. Ii», 345 aum.
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234
VAN HELTE*
droere kost, droef werk, eenc drocve woniny, een drocf huis mit
drocf 'elend* (man vgl. auch mnl. droeve Unglückselig, elend').
Liegt es aber nicht näher, für unsere stelle an einen 'lockeren,
unfesten' als an einen 'elenden' weg zu denken? — Für dzie
oder dzie 'ja' glaubt 8. (der die quantität des vocals unent-
schieden läset) an die möglichkeit einer entstehung aus jeje
oder aus t (aus thet) + sie 'sei' oder skie 'geschehe' oder aus
je + sie bez. skie; ent Wickelung von dzie aus dz (für des gen.
sg. ntr. des dem.) und je lehnt er ab mit rücksicht auf die
Schreibung dzye (Jurispr. Fris. 63, 7), deren y auf eine compo-
sition mit sie oder skie als zweitem element hinweisen soll.
Hier drängen sich uns eine reihe fragen auf. Was berechtigt
zur annähme eines in folge starker aspiration aus j entstan-
denen dzj? Wie soll die Schreibung dzye auf eine ausspräche
dzye hinweisen, wo doch bekanntlich in der hs. der Jurispr.
y auf schritt und tritt als zeichen für unsilbischen halbvocal
begegnet (vgl. blyiiiva, dryüwen, foerlyoest, foerlyCsi, byftla,
syaende, syücht, hyaere etc. etc.)? Wie wäre wol die ansetzung
von optativformen sie, skie statt der unzweideutig durch die
tatsachen erwiesenen tjfa skie zu begründen? Wie Hesse sich
in eventuellem, aus t -f sie oder skie hervorgegangenem dzie
der stimmhafte anlaut begreifen? Kurzum keine von Siebs"
möglichkeiten ist aus phonetischen gründen für möglich zu
halten. Hingegen ist die (durch mnl. jaes, s. Mnl. wb. 3, 975 f..
gestützte) deutung aus des -{-je lautgesetzlich unanfechtbar.
— Das nomen eederseip vergleicht S. nicht mit an. (extra,
sondern mit ahd. atar 'sagax. celer' und erklärt es als 'un-
gestüm, fahrlässigkeit'; die von mir vorgeschlagene (und be-
gründete) Übersetzung durch 'furcht' soll keinen sinn geben.
Für die letztere behauptung vermisst man eine begründung;
für die erstere wäre deutung der sonderbaren begriffsentwicke-
lung ('scharf sinnig' : 'ungestüm' : 'fahrlässig') erwünscht —
l'nrichtig ist ferner Siebs' behauptung, dass die erklärung von
awfries. gare schon in Schiller-Lübbens Wb. 2, 13 gegeben sei.
— Für gette 'machte übereinstimmend' setzt Siebs nicht ein
erschlossenes *gedda (zu ahd. gvgat ' übereinstimmend') au.
sondern ein mit ahd. guaten, mhd. güeten zu vergleichendes
*geda aus *gödjan (einem factitiv zu yadia). Mit welchem
recht? Doch wol nicht auf grund von ahd. giguatm {sih)
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ZUR A LT VV E ST FK I KS. LEXIKOLOGIE.
235
'sicli als gut bewähren', mhd. giieten 'gut machen, als gut er-
weisen' etc.? — Für to, te uctande 'eidlich zu beanspruchen,
gerichtlich zu entscheiden' beansprucht 8. eine herkunft aus
waitjan (wol causativ zu w'itan 'strafen', vgl. Heck, Die alt-
friesische gerichtsverfassung s. 427). Wenn aber to, te wetandc
gleichbedeutend ist mit dem praeteritopraes. wita, -andc etc.
'eidlich beanspruchen, gerichtlich entscheiden u. s. w.' (s. Zur
lexik. s. 24 anm. 2) und der Wechsel von e und i hier auch
grade keine Schwierigkeit bietet, so dürfte es wol geboten sein,
wetandc mit witande etc. zu identificieren, zumal wo die be-
deutungen ''eidlich beanspruchen, gerichtlich entscheiden' sich
nicht so leicht mit einer gedachtem waitjan eventuell beizu-
messenden factitiven bedeutung in einklang bringen Hessen.
— Ob die meinung, dass für regelrechtes gumead in folge einer
durch quäd veranlassten accentverschiebung gelegentlich eine
ausspräche guc^d eingetreten wäre, so sonderbar ist, dass sich
nach S. wol schwerlich jemand dazu bekehren möchte, sei dem
urteil anderer überlassen. Sicher ist es, dass 8., als er die
worte lGweed ist statt des häufigen gued (vgl. fuet 'fuss') nur
in Ro bezeugt und darf durch Unkenntnis des Schreibers er-
klärt werden' niederschrieb, weder genügend das überaus
häufige ue von gued gegenüber sonstigem nur selten mit ue
oder u(it) wechselndem o (oo) oder oe für aus germ. o ent-
wickelten laut (vgl. Beitr. 19. 397 anm.) beachtet, noch auch
der tatsache rechnung getragen hat, dass, indem w -f Wort-
zeichen eine gewöhnliche awfries. Schreibung ist für diphthong
mit unsilbischem u als erstem element, das häufige gwe(e)d
unbedingt auf einen diphthong mit solchem componenten hin-
weist. — Die fassung von clesie (-cliszie) als -brutzeit' soll
nach S. sachlich unmöglich sein, weil an der betreffenden
belegstelle die erwähnung eines festen termins erforderlich
wäre. Man beachte jedoch, dass aus der am schluss des
artikels clesie citierten bestimmung ausdrücklich die not-
wendigkeit hervorgeht, in dem ausdruck die bezeichnung eines
ungefähren termins zu erblicken. Wenn S. sich aber unter
berufung von thet l'ulsc des Apographons gegen die anknüpt'ung
von clesie, thocliszic an an. klekja 'eier legen, brüten* ausspricht
und meint, jenes ds weise eher auf assibilierung der media
als der tenuis hin, so sei bemerkt, dass eine offenbar verderbte
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236 TAN HELTEN. ZUR ALTWESTFRIES. LEXIKOLOGIE.
lesart hier schwerlich ins gewicht fallen kann. — Das ej»i-
theton des septuagesima-sonntags sangwyand, dem die bedeutung
'den sang sistierend' beizumessen ist (s. Zur lexik. s. 40), habe
ich in sangswyand 'den sang zum schweigen bringend' ge-
ändert: S. erachtet diese einschaltung von s eine 'sehr gewalt-
same' änderung und glaubt, dieselbe hätte sich dadurch ver-
meiden lassen, dass ein afries. *wia 'conficere' = mhd. tctften
angenommen wäre. \Yas wäre hier aber mit einem verbum
anzufangen, das nach mhd. erwihen 'erschöpfen, schwächen'
bedeuten miisste? — Für wängcde in Htceerso een wyff her kpnd
myt wänhoed off' myt wängcde ... naet habbe bywareth will
S. die bedeutung 'Schlechtigkeit' gelten lassen; ob hier aber
neben fahrlässigkeit (wänhoed) Schlechtigkeit als factor für
mangelhaften schütz am platze wäre, dürfte fraglich sein.
Wenn das subst. wirklich auf *-gödi zurückzuführen ist (und
die berechtigung dazu möchte ich jetzt nicht mehr bestreiten),
dann verdient wol eine Übersetzung durch 'ungeschicktheit
(zur gewährung des mütterlichen Schutzes)' den Vorzug. —
Für das schlusswort von alle da XL nachte, deer God mit
Moyse uppa (auf dem berg) bögade (wohnte) ende hem alle
riüchte leerde ende wegade zieht S. statt an. weigr 'stütze'
ahd. wegem heran. Diesem Vorschlag ist m. e. beizupflichten,
nicht aber indem man mit S. für dieses verb. eine bedeutung
'den weg weisen' annimmt (Otfr. 1, 7, 26 tÜuu si, d.h. Maria,
uns allo worolti .s*/ ziru nunc wegöntV steht st wegönti be-
kanntlich — 'sich verwende für'), sondern insofern man dem
ahd. Zeitwort die für das mini, belegte bedeutung 'beistehen'
neben bezeugten 'intercedere (interpellare). adhinnire' beilegt.
— Zum Schlüsse behauptet S., in Worten wie ziele 'seele*. hälff
'halb', riüchl 'recht', byhöt 'behütet', wallende 'wallend' Hessen
sich die längen nicht stützen. Hier möchte ich bitten Beitr.
20. 510 f. zu beachten und die Schreibungen haelf (Zur lexik.
s. \V1\ rjuecht ( Beitr. 19, 389), faelle, fach 'falle' Ag 102. 160.
faelt 'fällt* Sch055. 709. 715, to falen gerund. Sch 612 zu be-
rücksichtigen. Nur für das p. p. zu bihoedu wäre vielleicht
nach dem Beitr. 19, 409 erörterten byhöt anzusetzen.
(iRC)NlN(iFN. W. VAN HELTEN.
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ZU BEITR. 22, 543 ff.
An dem angegebenen orte sucht Uhlenbeck nachzuweisen,
dass die labiovelare media aspirata im germanischen anlautend
durch w vertreten wird, ausgenommen vor u und consonanz.
Ich würde es als erster mit freude begrüssen, wenn es ihm
gelungen wäre, klarheit in die sache zu bringen, mochte sich
auch meine ansieht nicht bewähren. Ich finde aber denn doch,
dass auch nach Uhlenbeck von einer sicheren entscheidung,
zumal in seinem sinne, noch keine rede ist. Für got. fragildan
und aisl. ged will ich keine lanze brechen; der Zusammenhang
des ersteren mit gr. rtXd-og ist wegen riiog so unsicher wie
nur möglich, und wenn jemand gr. xo&og lieber mit lit. bädas
'hunger' identifiziert als mit ged, so ist er nicht wol daran zu
hindern. Auch der gleichung mhd. gampen : gr. d&tfjßovoa
wohnt nur eine minimale beweiskraft inne, wenn auch das
griechische wort gewis nichts mit dttfjßco zu tun hat. Aber
aisl. gandr und gondoll hat Uhlenbeck nicht beseitigt. Ihr d
braucht kein suffix mit instrumentalbedeutung zu sein, es
findet sich ausser in ir. geinn 'keil', bret. genn 'coin de bois
ou de fer pour fendre le bois ou la pierre*, genna 'faire entrer
un coin etc.' (man erinnere sich der bedeutung, des aisl. ggndoll
Fritzner la, 671 und des aind. ähanti gabhe pasah VS.) in lat.
offendo, ist also vermutlich verbalen Ursprungs.
Uhlenbeck führt drei gegenbeispiele an: ahd. warm, got.
ivamba, got. wöpeis. Von diesen ist das älteste, warm, auch
das beste. Wenn man aus anderen beispielen sicher wüsste,
dass germ. w = anlautendem gvh ist, würde man keinen moment
zögern, wann = aind. gharmd- u.s.w. zu setzen. Selbst diese
lautentsprechung beweisen kann es nicht. Wir müssen stets
darauf gefasst sein, neben wurzeln mit anlautendem labiovelar
solche mit v zu finden. Wie das kommt, wissen wir noch nicht,
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2:58
ZUlMi'ZA
die tatsache steht fest. Derartige doppelheiten sind: aind.
kr uii- : lat. vcrutis; gr. i&tXco, (f aZiCti : got. wiljan; aind. yä-
yate ' singt', lit. gedoti, got. qainön : gr. aeiöco, ahd. tcintiöti.
ir. fuid, kymr. gwacdd 'schrei'; aengl. ctcinan 'hinschwinden*,
aind. jinäti 'altert' : ahd. stvtnan, swintan 'schwinden', abgr.
-vfnqti, 'Svpiqti 'welken', lit. uy.sti; got. qijtan : kymr. dyiccdyd
'sprechen'; lit. yaliu 'kann', kymr. gallaf : lat. valeo; gr. jroioz
'achse', abg. kolo 'rad', okolo 'ringsum', ir. timmcJicU 'umkreis" :
aind. vdlutc 'wendet sich', ralita- 'gebogen', valaya- 'annband,
umkreis', ir. fillim 'drehe, wende', kymr. chtvdyd 'wenden*
(*svel-), ir. fail 'ring', fdl 'zäun'; got. qairrus : kymr. gtcar
'sanft'; aengl. civdan 'sterben', cwalu 'tod' : lit. tvelys 'ver-
storbener', aisl. valr 'leichen auf dem schlachtfelde'; gr. ifo=6i
'zugespitzt* : ahd. wahs u.s. w. So liegt neben *y»her- ein
*rer- (lit. werdu, abg. varü), und zu diesem gehört vermutlich
warm (vgl. auch Brugmann l2, § 680 anm.). Ob man apr.
ivarmun, urminan, klr. venujdnyj 'rot' vergleichen darf, ist
nach Zubatys ausführungen freilich unsicher; Welleicht ist
aber Grünaus warutun doch in Ordnung und slav. rumcnü 'rot'
nach Brugmann, Grundr. 1* § 279,2 zu beurteilen, wodurch
Zubatys deutung hinfällig würde. Es sei wenigstens darauf
hingewiesen, dass in einer anderen ableitung von *rer- der
begriff 'rot* deutlich zu tage tritt, ich meine kjmr. gicrido
'erröten', wozu aind. mdyati 'schämt sich' (eigentlich 'wird
schamrot') gehören wird (es steht [halb] prakritisch für *rrU-.
vgl. padi = prati; anders, mir unwahrscheinlich, Johansson.
IF.2, 49, anm. 2).
Was got. ivauiba betrifft, so lässt sich kein grund bei-
bringen, weshalb es nicht zu altkymr. gumbelauc 'uterus', bret.
gwamm mit indog. /; gehören sollte. Aind. gabhd- 'vulva' ge-
hört zu einer ganz anderen Wortsippe. Es wird im Peters-
burger Wörterbuch richtig zu aind. gdbhasti- 'gabel, deichsel'
gestellt, gehört somit des weiteren zu ahd. gabala, aengl. geaful,
ir. gabul 'gabel', kymr. gafl 'feminum pars inferior'. Ich ziehe
ferner hierher lit. gdbals 'verhältnismässig grosses stück fleisch,
brot o. dgl.', lett. gabals 'abteilung. stück' (Thomsen, Beroringer
mellem de finske og de baltiske sprog 73. 170 hält die worte
für möglicherweise entlehnt aus liv. kabäl: sein grund [etymo-
logische isoliertheit] ist aber nicht stichhaltig), ir. yabait (dual)
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ZU HKITK. 22. 543 ff.
239
'zwei stücke' (häufig in kampfschilderungen, z.b. Ir. t. 2,1. z.962
co tarat bulle do chlaidib do, co ndernai da gabait de 'er ver-
setzte ihm einen schlag mit dem Schwerte, dass er zwei stücke
aus ihm machte'), gaibti pl. (z. b. LL. 72 a 30). Kin primäres
verbum mit der bedeutung 'spalten' scheint zu fehlen.
So bleibt got. tcöpeis : gr. (pwztov. Das letzteres für
*<p<6diov verschrieben sei, brauchen wir gar nicht anzunehmen,
um den von mir bevorzugten vergleich mit ir. bdid (wol zu
unterscheiden von air. bdith, mir. bdeth, nir. baoth 'einfältig,
närrisch'; neuir. wird das wort bdidh geschrieben, bä gesprochen,
td bdidh agam lat bedeutet 'ich habe dich lieb') zu ermöglichen.
(fxoxtov steht für *(pcofrtov wie qxxxvi] für *<p(tfrvT} (vgl. xafrvrj),
es hat ein umspringen der aspiration stattgefunden, wie in
ytxmv : xifrcov, Ogr/xoq : TOiy'/oq u. s. w., vgl. G. Meyer, Gr.
gr. § 209.
Einreissen ist leichter als aufbauen. Die lehre, dass (ßh
auch vor anderen vocalen als m zu g geworden sei, stützt sich
vorläufig nur auf aisl. gandr. Wir müssen hier auf die zukunft
hoffen. Vor allen dingen wäre zu wünschen, dass die be-
dingungen, unter welchen gh der palatalen und velaren reihe
durch lat. /' vertreten wird, völlig aufgeklärt würden. Zweierlei
steht fest: gh erscheint als /' vor m und m (ferus, fundo) und
dialektisch (sab. fircus, auch alat. folus u. s. w.). Aber weshalb
heisst es fei : yolrj, fauces : yaoq, x«€*'o-*? Vorläufig können
wir daher die gleichung mhd. garst : lat. fastidium noch nicht
mit voller Zuversicht ins treffen führen.
BERLIN. E. ZUPITZA.
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GOTES.
EINE ANMERKUNG ZUR ALTDEUTSCHEN WORTSTELLUNG.
Müllenhoff hat in den Denkmälern XXXVIII im 40. vers
des Arnsteiner Marienieichs das handschriftliche du godes craft
ohne weitere bemerkung in die craft godes geändert. Er hielt
also eine Verbesserung der Wortstellung für unanstössig und
selbstverständlich geboten, und zwar aus einem metrischen
gründe; denn offenbar sollte das daktylische versmass durch
van tme sal sie die craft godes entfän richtig und hörbarer
zum ausdruck gelangen und durch die ictuszeichen verdeutlicht
werden.
Nun braucht man nicht so weit wie Paul zu gehen, der
in dem ganzen gedieht nur die gewöhnlichen unregelmässigen
Zeilen sieht (Grundr. 2, 1, 939 in.); man kann nach gewöhnlicher
annähme in den etwa sechzig ersten zeilen ausätze eines dak-
tylisierenden metrums anerkennen und braucht doch nicht
Müllenhof fs änderung für nötig oder richtig zu halten. Man
kann wol, ohne gegen die rohe versart des gedientes zu Ver-
stössen, bequemlich lesen : rdn ime sdl sie die godes craft entfun.
Ich meine, dies könnte genügen, um die an sich geringfügig
scheinende änderung des textes zurückzuweisen. Aber es gibt
auch einen tiefern innern grund, aus dem jene vermeintliche
besserung fast unmöglich wird. Zum beweise dieser behaup-
tung muss ich etwas weiter ausgreifen.
Bei dem religiösen inhalt eines grossen teils der altdeut-
schen literatur ist es nicht auffällig, dass der genitiv gotes
wol das am häufigsten vorkommende wort ist, dessen Stellung
im satze ein systematisch arbeitender herausgeber nicht aus
den äugen lassen kann. So setzt Sievers im Heliand 1977
gegen Cotton. und Monac. for ogon godes, far ogun godes statt
des überlieferten godes ogon: also wird auch hier der abhängige
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QOTKS.
241
genitiv hinter den regierenden casus gestellt. Ein gleiches
geschieht v. 2309, wo godes barn des Monacensis in das vom
Cottonianus gegebene barn yodes umgewandelt wird. Um-
gekehrt nimmt Sievers v. 5730 statt des überlieferten barn
godes in den text godes barn auf. Im Heliand nun sind diese
änderungen unbedingt richtig und von zwingender notwendig-
keit, und wenn Sievers v. 5738 barn godes statt des allein
richtigen godes barn im text stehen Hess, so ist das nur ein
versehen, das in den anmerkungen wider gut gemacht ist
(man vergleiche auch v. 2290 das irrige drohtines sunu des
Monac). Im Heliand steht godes mehrere hundert mal hinter
und nur ein viertel oder fünftel der fälle vor dem regierenden
worte. Aber von einer Willkür kann da nirgends die rede
sein: der genitiv godes steht im unlöslich festen bann des
ausnahmslos wirkenden stabreimgesetzes. Nur wo godes
alliteriert, muss es voranstehen, andernfalls muss es nach-
folgen. Nach diesem unverbrüchlichen grundsatz, der die
Riegersche regel durchweg bestätigt, hat Sievers an jenen
stellen ändern müssen, und ich weiss nicht, warum Hejne in
der dritten aufläge anders verfahren ist.
Für die hochdeutsche reimdichtung gibt es keinen so
zuverlässigen anhält, nach dem die Stellung von gotes un-
bedenklich fest bestimmt werden könnte. Hier ist das Ver-
hältnis weniger einfach und muss für jedes denkmal von fall
zu fall untersucht werden; aber eine richtschnur lässt sich
doch finden.
Nehmen wir z. b. den Otfrid, so zeigt sich, dass an den
etwa 170 stellen, wo gotes vorkommt, es überall voransteht,
mit der fast verschwindenden ausnähme von nur zwei Versen,
die dazu noch ganz nahe bei einander, in einem capitel stehen:
3, 4. 11 Engil goHs guato und v. 45 ginada gotes thigita. Natür-
lich geben diese vereinzelten erscheinungen zu denken, und
mancherlei Vermutungen Hessen sich leicht aufstellen, aber doch
wol schwer begründen. Gegen die mehrfache, sichere Über-
lieferung zu ändern, ist hier doch nicht gut möglich. Metrisch
wäre gotes engil guato freilich anstandslos, wenn sich auch
gotes engil bei Otfrid sonst nicht finden sollte. An der zweiten
stelle wäre gotes ginada thigita rhythmisch auch nicht unmög-
lich, wenn man es vergleicht mit 4, 12, 47 iSume fh namun iz
Beitrag« zur geschieht* der dtmtsoheu t)>r»cbe XXIII. \(j
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242
HARCZYK
■in thaz; 3, 26, 34 thuruh thcn sinan einun fal; 4, 30. 27 oba thu
unser kuning sis; 4, Ii*, 47 thuruh then himilisgen got u. a.
Nicht unerwähnt darf ich lassen, obwol es nicht ausschlag"-
gebend ist, dass Otfrid gotes ginada sonst nicht aufweist, wol
aber druhtines ginada. — Unter diesen umständen vermag ich
für die zwei regelwidrigen erscheinungen keine stichhaltige
erklärung zu geben und kann sie nur als höchst auffällige
abnormitäten betrachten, die die sonst ausnahmslose beobach-
tung der voranstellung von gotcs bei Otfrid unangenehm
durchbrechen. — Dass aber die voranstellung von gotes
durchaus nicht eine nur dichterische eigenart ist, zeigen auch
die prosadenkmäler.
Im Tatian findet sich gotcs über hundert mal vor dem
regierenden wort, während die nachstellung sich auf wenige
fälle beschränkt, die sich ausserdem grossenteils leicht erklären
lassen: 4, 18 thuruh innuovilu miltida unsares gotes = per
viscera miseiicordiae dei nostri; hier sind die genitive gehäuft
und gotes noch mit einem zusatz versehen; vgl. 53,6 sun thes
hohisten gotes — fili dei altissitni; 90, 2 sun gotes lebentigcs
----- filius dei vivi. — Im 82. capitel, das zu einem auch sonst
eigentümlichen abschnitt gehört, treffen wir v. 6 und 9 brot
gotes = panis cnim dei; lirige gotcs = docibilcs dei (gen. obj.).
Sonst aber kommt in der umf angleichen, von verschiedenen
übei*setzern herrührenden schrift nachgestelltes gotes nur ganz
am ende vor, wenige Zeilen vor dem schluss, 244, 2 in ceso
gotes = a dextris dei, wobei zu erinnern ist, dass diese formel
sehr beliebt, aber nicht notwendig war; Notker wenigstens
schreibt ze gotes zeseuuun, des almahtigen fatei\ Hiermit
wären die wenigen ausnahmefälle im Tatian abgetan, die, wie
man sieht, gegen die sonstige regel nicht schwer ins gewicht
fallen. — Das in der ersten Tatianausgabe von Sievers zu
205, 2 aus B erwähnte tempal gotes für einfaches tentpal G be-
ruht sichtlich auf einer modernen ergänzung durch Fr. Junius.
Im ältern Isidorus liegt das Verhältnis wesentlich anders:
gotes kommt hier einige dreissig mal vor und davon sechs mal
mit oachsetzung des genitivs, ohne dass die veranlassung immer
deutlich erkennbar wäre.
In MSD. sind fälle des nachgestellten gotes äusserst selten.
Erst in uo. XXXIV, Summa theologiae, zeigen sie sich: 12.0
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GOTES.
243
sun gotis\ 12 b, 4 gwidi gotis; 21,8 di gnadi gotis. Diesen drei
stellen gegenüber tritt in dem stücke fünfzehn mal Vorstellung
ein. — Das nächste nachgesetzte gotes taucht erst auf in
XL III, 3, 1 diu vorhte des obristen gotes, wo die beifügung des
eigenschaftswortes die Stellung erklärlich macht; sonst nämlich
enthält das gedieht zwölf mal vorangestelltes gotes. In den
poetischen stücken von MSD. kommen andere fälle von nach-
gesetztem gotes nicht vor. Auch in den prosaischen stücken
ist es sehr dünn gesät. Wir stossen darauf nur in no. LVI
und LVII, wo es sich in der schon oben erwähnten formel
ci cesuun gotes fateres ulmahtiges drei mal zeigt, aber ausser-
dem noch in rieht gotes und lamp gotes = agnus dei auftritt.
Damit wären aber auch alle fälle aufgezählt, die sich in dieser
umfangreichen, mehrere Jahrhunderte umfassenden Sammlung
finden lassen. Grammatisch sorgfältige und streng geschulte
Schriftsteller, wie Notker, scheinen die nachstellung von gotes
zu meiden. Das lehrt ein vergleich seiner psalmenübersetzung,
auch nach der Wiener handschrift.
Das ergebnis meiner beobachtungen glaube ich ohne be-
deutenden irrtum folgendermassen zusammenstellen zu können:
L Die gotische bibel stellt den abhängigen genitiv be-
kanntlich gern liinter das regierende wort; s. Wilmanns, Gr.
2,517; aber der gebrauch ist nicht in allen teilen der Über-
setzung gleichmässig. Die evangelien haften am urtext fester
als die episteln an ihrer in gedanken und form schwierigem
vorläge. Dies scheint sich auch bei der Stellung des genitivs
zu zeigen. Wenn aber in den gotischen episteln die genitive
öfter voranstehen als in den evangelien, so ist zu beachten,
dass dieses schon durch den griechischen text gegeben war;
z. b. Rom. 10, 3 gups garaihtein; 13,2 g. garaideinai; 13,4 g.
andbahts; 13, 14 leikis mtm; 1. Cor. 1, 24 gups maht jah gups
handugein; 2. Cor. 1, 19 g. sunus; 11, 2 g. aljana; 11, 7 g. aiwag-
geljon; Eph. 2, 8 gußs giba; 3,2 gups anstais. Um so inter-
essanter sind alsdann die seltenen fälle der abweichungen,
Zusätze und Umschreibungen, aus denen hervorgeht, dass auch
im gotischen die Voranstellung des abhängigen genitivs in allen
einfachen Verbindungen dem sprachgeiste durchaus gemäss war:
Mrc. 11, 18 gudjane auhumistuns = dg^it^iU. 12, 28 allaizo
anabusne frumista = noanq xdvrmv tvxoh)\ Joh. 9, lü sabbate
16*
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244
HARCZYK
daga = ro odßßazop; Rom. 9, 4 uritodis garaideins = vofio-
&eola; 1. Cor. 8, 10 in galiuge Stada = Iv fldwlelm; 9,21 uritodis
laus = ävouog; — Xva ^corjv alwvtov xZt)qovo/i?}ö(d wird drei-
mal Mrc. 10, 17. Luc. 10, 25. 18,18 widergegeben mit ei libainais
aiweinons arbja wairpau; Mt. 26, 75 faur hanins hruk = xq\v
aXixxoQa ipmvrjöai.
Die annähme, dass die Voranstellung des abhängigen
genitivs der ungezwungenen gotischen spräche eigen war, wird
durch die Skeireins gestützt, die im gegensatz zur bibelüber-
setzung mehr vor- als nachsetzungen aufweisen; allerdings
stehen auch hier dem du gups kunfja 43 b gegenüber sechs
stellen 37b. 38c. 39a. 40c. 46d. 52c. — Der beste beweis
für die im gotischen gewöhnliche voranstellung liegt jedenfalls
in den substantivischen compositis, deren erster teil, in appel-
lativen und eigennamen, genitivische function hat.
II. Wenn auch die altsächsische dichtung godes meist
voranstellt, so folgt daraus nicht, dass dies auch in ungebun-
dener rede geschah; denn die kleinen prosadenkmäler setzen
das wort voran, während in der dichtung die Wortstellung sich
nach dem Stabreim richten musste.
III. Im althochdeutschen überwiegt seit dem neunten
jahrhundert in dichtung und prosa die voranstellung so stark,
dass eine ausnähme wirklich eine rara avis vorstellt.
IV. Je mehr sich das mittelhochdeutsche herausbildet,
desto seltener hat man gelegenheit, gotes nachgestellt zu sehen.
In der blütezeit der klassiker herscht unbedingt und ohne
einschränkung die voranstellung. Abweichungen sind anzeichen
der noch rohen, ungelenken oder bereits verrohenden Sprech-
kunst; z. b. Orendel 578 in dem namen gottes; daz reht gotes
Bücher Mosis bei Diemer 72, 27; der minsten knehte gotes einer
Wolfdietrich DVD, 38,3; die minne godes Marienlieder 12216:
reimnot zwingt mitunter zur ungewöhnlichen Umstellung. —
Andere beispiele liefern die mystiker, die kirchenlieder und
die altdeutschen predigten bei Roth (besondern in neuern hss.),
Leyser und Schönbach. Bei dem letztem wird man z.b. im
zweiten bände auf den ersten 75 Seiten über achtzig mal voran-
gesetztes gotes lesen, nachgestelltes jedoch über dreissig mal.
aber nur da, wo gotes noch einen zusatz bei sich hat, wie
70,31 ze der minn des almcehtigen gotes.
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G0TE8.
245
Eine von mir übersehene stelle treffe ich im Mhd. wb. ein
armiu dierne gotes Mai 76, 35.
Dass die Stellung des genitivs in der höhern kritik be-
rücksichtigung verdient, ist schon oben beim Tatian angedeutet
worden. Zu einem völlig einwandsfreien zeugnis wird sie dort
im cap. 77. Die Übersetzung ist ja auch sonst einfach, recht
und schlecht; aber nur ein unbehilflicher anfänger und arm-
seliger stümper, der sich von den andern mitarbeitern, nicht
zu seinem vorteile, unverkennbar abhebt, konnte vier mal
hinter einander rihhi himilo leisten.
Wenn ich nun auf den ausgangspunkt dieser bemerkungen
zurückgehend schliesslich hinzufüge, dass im Arnsteiner Marien-
ieich zehn mal vorangestelltes godes handschriftlich feststeht,
so wird wol kein zweifei mehr möglich sein, dass in v. 40 die
änderung von MSD. unerlaubt und unmöglich ist.
bemerkt Zarncke im commentar: 'hier und namentlich beim
folgenden verse muss Braut eine bestimmte stelle der bibel
im auge haben, die ich nicht kenne'. Auch Bobertag bemüht
sich in seiner ausgäbe des Narrenschiffs (Kürschners national-
litteratur 16, 33), bibelstellen beizubringen, nach denen Moses
andre so lieb gehabt haben soll als sich selbst.
Vielmehr wird geUch hier wie auch Narrenschiff 111, 17
'entsprechend, genügend' bedeuten und Moysi etwa mit 'dem
gesetz, der Vorschrift des Moses' zu umschreiben sein. Unsere
stelle bezieht sich dann auf 3. Mos. 19, 18: dtliges amicum
tmim sicuf de ipsum. Darauf führen auch die vorausgehenden
BRESLAU.
IGNAZ HARCZYK.
ZUM NARRENSCHIFF.
Zu Brants Narrenschiff 10,21
Kein fyndt man Moysi jetz gelich
Der andre lieb hab, als selbst sich
verse 17 f.
Keiner so lieb syn nechsten hat
Als dan jm gsatz geschriben stat.
LEIPZIG.
ALFRED GOETZE.
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BRUNHILDEN BETT.
In seiner jüngst veröffentlichten antrittsvorlesung- über
die germanische heldendichtung hat E. Mogk') sich auf den
von Golther eingenommenen Standpunkt gestellt, dass die 8ieg-
fried-Brunhildsage der Edda im wesentlichen nordische weiter-
dichtung sei, und hat die echteren gestalten des Siegfried und
der Brunhild in der deutschen Überlieferung des Nibelungen-
liedes und der Thidrekssaga finden wollen. Danach soll
mythisches in der sage nicht vorhanden und die gestalt der
Brunhild von haus aus die kampfesfrohe menschliche königs-
tochter sein, nicht aber die göttliche walküre, die auf dem
felsen von Siegfried aus dem schlafe erweckt wird.
Nun will ich nicht leugnen, dass ich die skeptische be-
trachtung der eddischen Überlieferung für einen fortschritt
halte gegenüber der früher herschenden tendenz, alles ohne
weiteres als urgermanisches eigentum liinzunehmen. Aber
wenn es feststeht, dass die nordische Siegfriedsage auf einer
deutschen form beruht, die um mindestens vier jahrhunderte
älter ist als Nibelungenlied und Thidrekssaga, also einer zeit
entstammt, in der die germanische götterweit auch in Deutsch-
land noch im volksbewusstsein lebte, so muss es von vorn-
herein als möglich zugegeben werden, dass die nach dem norden
gewanderte sage mythische demente enthalten hat. Es wird
jetzt niemand mehr die gesammte nordische mythologie der
eddischen dichtungen unbesehen auch für Deutschland in
anspruch nehmen. Aber dass es in Deutschland mehr mytho-
logie gegeben hat , als unsere spärlichen, zufällig erhaltenen
deutschen Zeugnisse direct beweisen, und dass manches nur
aus dem nordischen belegte auch bei uns vorhanden gewesen
') Neue jahrbüeher hg. von Ilberg und Richter 1 , HS ff.
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BRUNHILDENBETT.
247
sein kann, das wird doch auch niemand leugnen wollen.
Schon wenn die Merseburger Zaubersprüche nicht zu tage
gekommen wären, wäre des sicher belegten viel weniger, selbst
wenn man vom Balder absieht, dessen deutsche existenz hat
weggedeutet werden sollen — mit unrecht wie ich glaube.
Für die Siegfriedsage haben wir ja nun leider keine deutsche
fassung aus dem 8. jh., und man muss den Standpunkt des-
jenigen welcher nur das direct belegte als deutsch gelten
lassen will, als methodisch berechtigt anerkennen. Aber damit
iit doch nicht bewiesen, dass es ein mehreres nicht gegeben
haben könne. Es kann sehr wol vieles von der eddischen
Siegfriedsage nordische zudichtung und ausschmückung sein.
So macht es Mogk s. 76 recht wahrscheinlich, dass die i waber-
lohe ' im norden zu hause ist. Aber deswegen kann doch
immer noch die deutsche Brunhild eine walküre sein,1) auch
in der deutschen sage kann sie auf einem felsen im schlafe
liegend von Siegfried erweckt worden sein. Man wird diese
möglichkeit schon an sich zugeben müssen. Wenn aber noch
ein directes zeugnis aus alter zeit auf diese sagenform deut-
lich hinweist, so wird man sich dagegen nicht weiter sträuben
dürfen. Das zeugnis, welches ich hier meine, ist nun freilich
längst bekannt, es ist sogar gegen Golthers auffassung schon
einmal von Henning (I). lit.-ztg. 1890, s. 229) beiläufig angezogen
worden. Aber man hat es doch seiner bedeutung nach bisher
nicht recht gewürdigt oder ganz verkannt. Es ist dies das
B r u n h i 1 d e n b e 1 1 auf dem grossen Feldberg im Taunus. Aensser-
lich gehört dieses zeugnis zusammen mit einer reihe von orts-
bezeichnungen wie Brunhildenstein, Brunhildenstuhl u. dgl.2)
') Die walküreii sieht jetzt freilich Mogk mit Golther auch für rein
skandinavisch an, während er in der ersten aufläge von Pauls Grundr. 1.
s. 1014 noch anders urteilte. Aber das in ags. glossen des 8. jh.'s als name
göttlicher wesen bezeugte walcyrge als entlehnung aus dem nordischen zu
betrachten ist doch reine willkür. Mit dem gleichen rechte könnte man
alle mythologischen namen des 2. Merseburger sprnchs als nordische ent-
lehnnngen abtun wollen. Ich unterschreibe vollständig, was gegen Golther
hierüber Kögel GGA 1897, s. 651 f. bemerkt und meine, dass das ags. zeugnis
hinreicht, um die Walküren als westgermanische und deutsche gottheiten
zu erweisen.
>) S. hierüber schon \Y. Grimm, Heldensage s. 155. Weitere literatur-
nachweise bei W. Müller, Mythologie der deutschen heldensage s. 85.
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248
BRAUNE
Und Mogk verwahrt sich in seiner Vorbemerkung ausdrücklich
dagegen, dass man den 1 Brunhildenstuhr eine rolle spielen
lasse: 'alles das ist von mir widerholt geprüft, aber nicht aus
seinem geschichtlichen zusammenhange herausgerissen und des-
halb für die mythische grundlage unserer heldensage als gehalt-
loses material erfunden worden'. Nun gebe ich Mogk gern die-
jenigen Zeugnisse preis, die jünger als unser Nibelungenlied sind,
sie mag man immerhin den verschiedenen Siegfriedsbrünnlein
beirechnen, die sich jetzt im Odenwald um die ehre streiten,
Schauplatz der ermordung Siegfrieds gewesen zu sein. Bs
könnte möglicherweise nach unserem Nibelungenliede in älterer
oder jüngerer zeit eine örtlichkeit Brunhildenstein oder Brun-
hildenstuhl benannt worden sein.1) Aber die älteren Zeugnisse
sind doch anders zu beurteilen. Selbst wenn man mit W.Grimm
a.a.O. zugibt, dass örtlichkeiten mit 'Siegfried', ja selbst ein
Sivrides hnmno, bei der häufigkeit des namens Siegfried auch
nach irgend einem Siegfried benannt sein können,2) so trifft
das gleiche doch nicht bei Zusammensetzungen mit dem viel
seltneren namen Brunhild zu, besonders wenn das zweite glied
so bezeichnend ist wie in 'Brunhildstein', wo eine bezieh ung
auf die Brunhild der heldensage nicht abzuweisen ist. Denn
dass an verschiedenen orten schon in alter zeit gerade felsen
mit dem namen der Brunhild belegt worden sind, kann doch
nur aus der sagenhaften rolle derselben erklärt werden.')
Das wird auch Mogk nicht in abrede stellen wollen, sondern
zugeben, dass auch in der deutschen sagenform die kämpf es-
jungfrau Brunhild ihre wohnung auf einer felsenburg gehabt
haben möge, wie ja noch im Nibelungenliede Isenstein als ihr
sitz genannt wird. Aber weiteres noch beweist das Brunhilden-
bett auf dem Feldberg.
Das zeugnis stammt aus dem jähre 1043 und findet sich
in einer Urkunde des erzbischofs Bardo von Mainz,4) welche
') Vgl. hierzu Henning, Anz. fda. 4. 74 f.
a) Für »icher möchte ich diese auffassung erklären bei namen wie den
von F. Cirimme, Germ. 32, <•!• beigebrachten Sitjefrulexroth, Sifrithustm etc.
3) Die alten urkundlichen Zeugnisse hierfür hat zuletzt .John Meier.
Beitr. 1«, 81 f. zusammengestellt.
\) Vgl. Boehmer. Kegesta ai-chie^c. Maguntinensium 1, 172 f. Sauer.
Cod. diplom. Nassoii us 1, t;o ff. Die Originalurkunde befindet sich jetzt hier
in Heidelberg im besitz der Universitätsbibliothek.
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BRUNHILDENBETT.
249
grenzen des sprengeis der kirche in Brunnon (Schlossborn
Königstein i. T.) festsetzt. In dieser grenzbeschreibung
!it die bekannte stelle: et inde in medium montem veltberc
eum lapidem qui vulgo dicitu r lectulus Brunihilde.
aus geht also mit voller Sicherheit hervor, dass dieser fels
ler mitte des 11. jh.'s im volksmunde 'das bett der Brun-
' hiess.1) Was beweist das nun für die geschiente der
j? AVer an der alten auffassung der Brunhild festhält,
I ohne weiteres folgern, dass die auf einem felsen schlafende
küre, welche die nordische sagenform kennt, auch in der
sehen sage vorhanden gewesen sei. Wer auf dem stund-
ete von'Golther und Mogk steht, wird versuchen müssen,
» zeugnis zu entkräften. W.Müller ist hierin vorangegangen:
teint a. a. o. s. 85, dass der fels anf dem Feldberge nichts
iise, da an ihn sich keine sagen knüpfen: — ein wunder-
r einwurf. da die Brunhildsage jetzt freilich im volks-
isstsein geschwunden ist, während jenes alte zeugnis doch
) Ein spätere» zeugnis dafür gibt es nicht. Denn weun nach W. Grinini
Meier a. a. o. dieser felsen in einer Urkunde des jahres 1221 als Brune-
ein vorkommen soll, so ist das ein irrtum. Diese Urkunde (hg. am besten
mer, Cod. dipl. Nass. 1, s. 265 ff.; vgl. dazu Schliephake, Gesch. von
1, 406 ff.) beschreibt die grenze der gemarkung von Sonnenberg und
id t (NO von Wiesbaden). Die grenze geht von Wiesbaden nordwärts
n Taunus und es heisst da postea ad ciain quae ducit Brunehilde-
>ostea Vneehinhagin ad aqttutn. Letzteres ist das heutige Eugen-
en. 10 km nordlich Wiesbaden). Der Brunhildenstein ist danach süd-
ti Engenhahn auf der höhe des Taunus zu suchen. Das ist aber der-
lsen, welcher in einer Urkunde des klosters Bleidenstadt (bei Langen-
ich) vorkommt. Die Urkunde (hg. von Sauer, Cod. dipl. Nass. 1,
ist allerdings mir in einer abschritt des 16. jh.'s erhalten, in welcher
liographie der namen teilweise modernisiert ist. Die fassung der
! stammt jedoch ans der zeit des Willegis (975 — 1011), und der die
:<hreibung enthaltende teil derselben führt sogar auf die Stiftung
ters im jähre 812 zurück. Vgl. Sauer a. a. o. und besonders Schliep-
! 1 4 ff. Darin heisst es inde ad Brunhildenstein und die läge des-
timmt zu den angaben der Urkunde von 1221. Schon v. Preuschen,
•mlenzblatt d. deutschen gesehiehts-u.altertumsvereine 4 (1856) s. 123
ort dieses Brunhildensteins die jetzige 'Hohe kanzel' (596 m) SO
oi bahn erkannt und Schliephake a. a. o. s. 119 ff. hat dies ausführ-
tert und festgestellt. Den auf der Hohen kanzel zu tage tretenden
.■schreibt Schliephake s. 121. Aus späterer zeit als 1221 ist der
inihiMonstein für denselben nicht mehr überliefert.
250
BRAUK!
unzweifelhaft die damals daran geknüpfte sage erweist. Femer
sncht Müller das wort -bett' umzudeuten, indem er anführt.
Grimm habe DWb. 1, 1722 gezeigt, dass bett früher auch
'altar' bedeutete. Und allerdings führt Grimm daselbst
'altar' als erste bedeutung von bett auf unter berufung auf
ags. iveohbed\ ahd. kotapetti; und diese bedeutung sei auch in
Brunhildebett erhalten. Aber dass bett je die bedeutung 'altar*
gehabt habe, ist absolut unrichtig. Es ist zwar für das wort eine
glaubhafte indogermanische sippe nicht gefunden.1) Aber die
Übereinstimmung aller altgermanischen dialekte vom gotischen
an beweist, dass die grundbedeutung nur Mager, lagerstatt.
sitzstatt' gewesen ist. Diese bedeutung hat sich schon in
alter zeit besonders in der richtung 'polsterlager, polster ent-
wickelt.1) Aus der bedeutung Mager, lagerstatt, sitzstatt' ist
denn auch im westgermanischen die schon im ahd. und ags.
vorhandene bedeutung 'Standplatz von pflanzen, gartenbeet'
hervorgegangen, wie sie im nhd. beet, engl, bed noch heute
vorliegt:3) sie konnte zunächst nur in compositis vorkommen.
') Vgl. Uhlenbeck, Etyra. wb. d. got. spr. s. 20.
*) Got. badi ~ xoaßßutoi 'ruhebett', einmal auch = xktviSiov; an.
bedr (poetisch = prosaisch swina) 'polsterlager', ags.&«M 'bett*, in ahd. glossen
betti meist entsprechnng von lat. Stratum, ciUcita, cubile, aber auch einmal
von thron us.
3) Es ist nicht richtig, wenn Kluge im Etym. wb. (s.v. beet und bett)
wegen des gartenbeets bett zu fodio 'graben' stellt. Die altwestgerm.
bedeutung 'beet' ist entschieden eine abgeleitete. Zwar ist im ahd. betti
'beet' (das G raff 3, 51 fälschlich von betti 'bett' trennt) auch als simples
schon in glossen als Übersetzung des lat. areola belegt, neben dem demin
pettili und dem bei Will, vorkommenden irurzbette. Aber die bedeutung
areola muss neu sein, so neu wie die gartencultnr überhaupt bei den
Deutschen. Denn betti bedeutet nicht etwa ein stück gegrabenes, abgeteilte«
ackerland überhaupt, sondern ist eben nur technischer ausdruck für den
neuen begriff eines gartenbeets, lat. areola. Dass es für diesen neuen
cnlturbegriff angewant werden konnte, geht aus seiner eigentlichen bedeu-
tung 'Standquartier, lager. Standplatz' hervor. Das ist noch deutlich er-
kennbar aus dem ags. gebrauch. Im ags. (vgl. Bosworth-Toller 72) wird
es in dieser bedeutung nur in den compositis tnjrtbed, hreodbed, riscbed
gebraucht. Von diesen entspricht xcyrtbed dem ahd. wurzbette 'pflanzen-
standplatz*, kann also vielleicht schon den culturbegriff bezeichnen. Da-
gegen hreodbed (noch ne. rcedbed) heisst 'rohrdickicht', also ein platz, wo
rohr, ried beisammen steht; ebenso ist riscbed ein Standplatz von binsen.
Da haben wir noch die alte bedeutung, mit welcher eine herleitung von
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BKrNTTTLDRNHETT.
251
m erster teil einen pflanzennamen enthielt (s. unten die anm.)
gieng erst daraus auf das simplex über. Ganz ähnlich
t es nun mit den compositis, aus denen Grimm für das
t betti die bedeutung 'altar' erschliesst. Auch in ihnen
st betti nur 'lager, rahebett, sitz' und nur durch die com-
tion hätte allenfalls die bedeutung 'altar' zu stände kommen
len. Das ist ganz klar bei ahd. gotopctti. Das wort kommt
en Prudentiusglossen vor, wo es an zwei verschiedenen
en das lat. pulvinar P. Vinc. 179 und pulvinarium P. Rom.
übersetzt. Das bedeutet aber nicht 'altar', sondern
ter', auf welche von den Römern die götterbilder bei
n lectisternium gesetzt wurden. Wenn dafür ahd. gotopctti
zt wird (Ahd. gl. 2, 428, 21. 468,60. 476,49. 480,10; 455,1.
19), so ist es selbstverständlich, dass pctti hier eben nur
bett, polster' bedeutet und von Grimm daraus die bedeu-
1 altar' nicht hätte entnommen werden sollen. Da dieses
nar von den niederd. Prudentiusglossen (2, 584, 13) mit
i godo rastun übersetzt wird, so könnte man mit dem-
n rechte schliessen, dass auch rasta 'altar' heisse! Es
t sonach für Grimms behauptung nur noch das ags.
W, wcofod etc., welches in der tat 'altar' heisst. Ist
; wirklich mit -bed zusammengesetzt, so könnte die
bedeutung auch nur 'ruheplatz, sitz der götter' sein,
diese Zusammensetzung ist nicht einmal sicher: Kluge,
8, 527 (vgl. Sievers, Ags. gr.2 s. 17) hat das wort viel
cheinlicher als *wih-bcod 'tempeltisch' gedeutet.
lit der von Grimm angesetzten 'heidnischen' bedeutung
tti 'altar' ist es also nichts. Es kann daher auch in
Udcnbctt kein altar verborgen stecken, ganz abgesehen
dass einerseits altäre der Brunhilde mythologisch höchst
i-scheinlich wären und dass andererseits das deutsche
;riffe des grabens ganz unvereinbar ist. Von da ans wurde erst bett
von der gartencnltnr künstlich geschaffenen gruppeu weisen stand-
rewisser pflanzen, wie sie die partenbeete sind, übertragen. Man
d nicht diese alte technische anwendnng des wortes bett znm ans-
nkt der etymologie machen, ebensowenig wie man etwa dem hen-
orst technischen Schonung (ans vollständigerem fichtenschonuny,
'/tonung etc.) die grnndbedentnng *pflanzung' beilegen und daraus
lologie des verbums schonen gewinnen könnte.
252
BRAUNE
wort 'bett' hier nicht einmal überliefert ist, sondern nur das
unmisverständliche lat. lectulus. Man könnte nun bett, welches
doch ohne zweifei die deutsche grundlage des lectulus gewesen
ist, als Lagerplatz, sitz' fassen wollen und es dann — ebenso
wie den Brunhild stein — als wohnsitz der Br. deuten.
Aber es ist schon unwahrscheinlich, dass betti jemals für
'wohnsitz' gebraucht worden sei, wenn es auch in der bedeu-
* tung eines gelegentlichen sitzes oder lagerplatzes angewant
worden sein mag. Dass aber der felsen auf dem Feldberge
nichts anderes als 'bett' im gewöhnlichen sinne des Wortes,
Lagerstätte eines liegenden' bedeuten kann, das ergibt am
deutlichsten der augenschein.
Ich glaube nicht, dass dies jemand leugnen wird, der
selbst auf dem Feldberge gewesen ist und die merkwürdige
felsbildung betrachtet hat. Der Feldberg, der höchste berg
des Taunus (880 m) ist bis obenhin mit schönem hochwald
bestanden. Nur der gipfel selbst ist frei und bildet eine
prächtige, geräumige und ebene kreisfläche, die mit gras be-
wachsen ist. Von dieser fläche hat offenbar auch der berg
seinen namen.1) Aus dem grasplateau erhebt sich nun nahe
dem nördlichen rande desselben eine etwa 4 m hohe felsbildung
von eigentümlicher form, welche schon von weitem das auge
auf sich lenkt und den vergleich mit einem ruhelager unwill-
kürlich wachruft. Die nebenstehende abbildung, welche nach
einer Photographie gefertigt ist, wird dies genügend verdeut-
lichen.
Auch die Rheinfranken vor 1000 jähren haben diesen
vergleich gezogen und in dein felsen ein riesenbett gesehen.
Der im jähre 1043 als volkstümliche bezeichnung bezeugte
name lectulus Brunihilde wird natürlich schon lange gegolten
haben. Und wenn das volk ein riesenhaftes felsbett auf der
spitze eines hohen berges als 'bett der Brunhild' bezeichnete.
») Das lob des Feldbergs verkündet Erasmus Alberas in seiner
25. fabel: speriell vom ^ipfelplatean sagt er (v. 7fiff.): Und auff dem Fehlt-
berg hoch dort oben, Wann man nicht höher kommen kan. Da steht ein
grosser ireiter plan, Der hat ein solchen breiten raunt, (Wann ichs nicht
wist, so glaubt ichs kaum) Ein grosse Stadt kündt droben stahn, Als
Franckfurdt, ist kein zweivel an, Und auff dem selben breiten plan, Siht
man schier bisz gen Cüln hinan etc.
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BRUNHILDENBETT.
253
so kann dies meines erachtens nicht anders erklärt werden,
als dass man glaubte. Brnnhild habe auf einem hohen berge
geschlafen. Es wird also dadurch vollkommen sicher gestellt,
dass damals am Rhein eine form der Brunhildsage lebte, welche
der nordischen fassung in diesem wichtigen punkte entsprach.
Dass die Brunhildsage bei den alten Rheinfranken des
Taunusgebiets lebendig war, dafür ist nun auch der Brun-
hildenstein auf der Hohen kanzel (s. oben s. 249 anm.) ein
weiterer beweis. Die Hohe kanzel, welche vom Feldberg in
der luftlinie ca. 17 km entfernt ist. liegt auf dem kämme des
Taunus, ca. 8 km nördlich von Wiesbaden. Sie gleicht dem
Feldberg darin, dass sie die höchste erhebung in weitem um-
kreise ist. Wenn die Franken der Frankfurter gegend den
schlaf der Brunhild auf dem Feldberge localisierten, so wählten
die der Wiesbadener gegend den höchsten berg ihrer Umgebung
zu diesem zwecke. Sie hatten dabei freilich nicht den vor-
teil, einen so bettähnlichen felsen zu besitzen und begnügten
sich daher mit dem namen Brunhildenstein, wählend jene
sogar von einem bett der Brunhilde reden konnten.
HEIDELBERG.
WILHELM BRAUNE.
APRIKOSE.
Franz. abricot ist durch niederländische vermittelung (nl.
abrikoos) zu uns gekommen. J. Franck sagt in bezug auf die
auffällige lautform des nl. wortes (s für franz. 0 in seinem Et.
woordenboek der nederlandsche taal: 'De nl. en hd. vormen
komen het fra. abricot het meest nabij en kunnen zelfs recht-
streeks daarvan gevormd zijn, indien men mag aannemen, dat
de wijziging der laatste lettergreep op misverstand (misscliien
wel van geleerden) berust.'
Ich möchte dieser erklärung gegenüber, die wol wenig
anspruch auf Wahrscheinlichkeit machen kann, die Vermutung
aussprechen, dass ein altfranzösischer nominativ abricote, bez.
abricos (älteres ts wird im franz. regelrecht zu s), die quelle
des nl. wortes ist.
Das weibliche geschlecht von nhd. aprikose, nl. abrikoos,
woneben im nl. auch männliches geschlecht in Übereinstimmung
mit dem franz. gebräuchlich ist, beruht auf Übertragung aus
dem plural : vgl. nhd. die träne < der trahen, die zähre < der
zäher, Schweiz, die frösch — der froscJi, elsäss. hess. mfrk. die
rab = der rabe, ahd. bira aus dem rom. plural pira (vgl. franz.
la poire) u. s. w. Einfluss des plurals zeigt sich auch in dem
e von aprikose: das nhd. wort ist eine neue singularbildung
aus der pluralform.
Der scheinbare wandel von t > s findet sich auch in
matrose, nl. matroos = franz. matelot. Auch hier ist von einer
franz. nominativform auf •$ auszugehen. Das wort flectiert
im deutschen schwach nach analogie der vielen schwachen
masculina mit persönlicher bedeutung; der nom. matrose ist
gebildet nach dem muster von böte : boten.
Dem mnd. banros, mnl. bavnrootse, baenrits liegt franz.
banneret + s zu gründe.
GIESSEN. 1. no v. 1897. WILHELM HORN.
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ZU DEN L ABI ALISI ERTEN GUTTURALEN.
Zur entscheidung der frage nach der ent Wickelung reiner
labiale aus labialisierten gutturalen sind natürlich die
seltenen fälle die den anlaut betreffen, die wichtigsten; und
unter ihnen hat das nebeneinander von aengl. hweol u.s.w.
und afries. fial 'rad' ganz besondere Schwierigkeiten gemacht.
Kluge, der Beitr. 11,5(51 kurzweg 'fries. fial aus grundform
*peqlo für *qeqlo- — skr. eakra-' erklärt hatte, erwähnt das
wort in der zweiten aufläge von Pauls Grundr. (s. 375) nicht.
Vielleicht hat ihn der zweifei Noreens dazu bewogen, der
(Urgerni. lautlehre s. 149) nach angäbe von 'aengl. hweohl
(*kehlo-), aisl. hiol (Vve^ule-) : afries. fial (zunächst aus *feul-)J
fragt, ob die worte etwa unverwant seien. E. Zupitza (Die
germ. gutturale s. 6) trifft ganz das richtige, wenn er eine so
verschiedene entwickelung bei gleichen bedingungen nicht
gelten lassen will; aber auch er kann sich nicht entschliessen,
die verwantschaft der beiden formen aufzugeben und sucht
sich mit der gewagten annähme einer contamination zu helfen.
In afries. fial soll ein germ. *heula- = cakra- vermischt sein
mit germ. *fefla- bez. *fihla- aus indog. *peplo- bez. *peplö-, zu
dessen ansetzuug lat. poples 4kniekehle\ gr. xtltui$<o 'schwin-
gen' berechtigen sollen. Ich gebe zu, dass Zupitza in feiner
weise die bedeutungsent Wickelung von 4 rad' zu 'knie' durch
hin weis auf ahd. knivrado, span. rodilla, lett. skremelis an-
nähernd plausibel gemacht hat; aber die laut Verhältnisse
widersprechen durchaus. Afries. *htcel und seine neufries.
entsprechungen (wanger. wdil, saterld. w&l, harling. ueyhl,
uayl Cadovius; nordfries. wel [Amrum-Föhr tvül\; westfries.
u'U) weisen keineswegs auf germ. *kmtla-7 sondern allem
anscheine nach auf *hegla- zurück; und aus einem germ. *f'efla-,
*fetla- wäre afries. *f'efl bez. *ßvel, niemals aber fial abzuleiten.
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256
SIEBS, ZU DEN LABIALISIERTEN GUTTURALEN.
Die reguläre weiteren twickelung dieses afries. fial lieg"! in
saterld. jöl (harling. fiauhl Cadovius), nordfries. fil, fit vor (so
auf dem festlande; auf den inseln ist das wort unbekannt):
wanger. ftülbäint 'radgebeint, krummbeinig' setzt gern;. *feuü-
voraus. Pass nun dieses fial vollkommen von *huel zu
trennen ist, wird durch das westfries. erwiesen. Hiel-
tst afries. *thial, a westfries. tial anzusetzen. In der Hand-
schrift Jus municipale s.86b (ed. Hettema s. 148) lese ich so
aeghma htm tvtor dike toe ferane ende deer cn boem toe ferane,
en tial toe bremjane, deer eer oen wayne ne kome, h m deer
op ti settane, hi zyn eynde deerop ti nymane; im manuser.
Roorda (Hettema, Jurisprud. frisiea 2, 182): so aegh ma ht/mt
buta dyck to feren, ende aen baem myt hem ende een tyel
aldeer op to sitten, deer eer in neen wayn kaern ende hynt
aldeer op to selten. Neuwestfries, tjille s. Halbertsma, Lex.
fris. s. 652, vgl. tsiol, ts'jil Siebs, Engl.-fries. spr. s. 300. Wir
haben also eine doppelheit germ. *pcula- neben *feula-
anzunehmen und damit einen weiteren jener fälle gewonnen,
die durch an. fei : pel 'feile', an. file : pile * diele', hochd. fiemen :
nd. diemen 'häufen', ahd. finstar : dinstar u.a.m. belegt sind,
vgl. Noreen, Urgerm. lautlehre s. 197. Letzteres setzt ja sicher-
lich indog. t (*temsrös) voraus; zu diemen : fiemen (ahd. fima)
vergleiche ich lit. styma 'hauten, schwärm von fischen'. Und
ebenso darf man wol germ. *peula-, *feula- aus indog. *tetilo- zu
gr. TvXtj -wulst' stellen, vgl. rvXicaw 'aufrollen*.
(tREIFSWALI), 6. november 1897.
THEODOR SIEBS.
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Verlag vt'» MAX NIEMEYER in Hallt- a.S
Soeben erschien :
Die
Gesetze der Angelsachsen.
Herausgegeben
iiu Auftrage der Savigny-Stiftnng
von
F. Liebennami.
Hand I. Lief. 1.
4. 191 8. J6 SM.
Früher erschienen von demselben Herausgeber:
Quadripartitus,
ein englisches Rechtsbuch von 1114.-
naehgewiesen und. soweit bisher angedruckt,
herausgegeben
von
F. Liebermann.
1891. gr. 8. M 4.4<>.
Consiliatio Cnuti,
eine Uebertragung angelsächsischer Gesetze aus dem zwölften
Jahrhundert.
Zum ersten Male herausgegeben
von
F. Licbermann.
1893. gr. 8. J6 1,20.
Ueber die
Leges Anglorum
Stecnlo XIII. Iueuute
London iis eollectae
von
F. Liebermann.
1894. gr. 8. fc*3,00.
Ueber
Pseudo-Cnuts
Constitutiones de Foresta
von
F. Liebermann.
1894. gr. 8. .Ä 1,80.
Ueber die
Leges Edwardi Confessoria.
Von
F. Liebermann.
1890. gr. 8. Jk 3,00.
Aullgegeben den 12. Oktober 1898.
BEIT1
iSCHICHTE DER DE
PRACHE
UND LITERATUR.
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEVERS.
XXIII. RANI). 2. n. 8. HEFT.
HALLE a. S.
MAX NIEMEYER
77 78 GK. STEINSTKASSE
1898
herren mitarbeite.* werden gebeten, zu ihren manuscripten
lose q nartblätter zu verwenden, nur eine seite zu be-
eiben und einen breiten rand freizulassen.
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INHALT
Seite
Uebcr die ausgäbe der Revers saga. Von G. Cederschiöld . . 257
Grammatische* und etymologisches. Von H. Hirt 2Ss
(I. Zum aldaut der set -wurzeln: s. 2SS. — II. Zur Vertretung
der labiovelare: s. 312. HI. Zu den t - praesentien : s. 315.
— IV. Zur Chronologie gennaniseher lantgesetze: s. 317. —
V. Zum Spirantenwechsel im gotischen: s. 323. — VI. Zu den
germ. lehnworteru im slavischen und baltischen: s. 330. —
Vit Etymologien: s. 351)
Studien zu Reinfried von Braunschweig. Von P. Gereke . . 35s
Der o-umlaut und der Wechsel der endvocale a : i(e) in den alt-
nord. sprachen. Von A. Koek 4S4
(L Der Wechsel der endvocale <t : i(e): s. 4S4 [Excurs 1:
Der Wechsel u : o im part. pass. der ostnord. sprachen : s. 503.
— Excurs 2: Zur frage nach dem palatalnmlaut : s. 500]. —
II. Zur frage nach dem n-umlaut von v in den altnord.
sprachen : s. 51 1 | Excurs: Die behandlung des germ. diphthongs
eu uud der Wechsel iu : i» in den altnord. sprachen: s. 532).
III. Zur frage nach dem n-umlaut von i in den altnord.
sprachen: s. i,44)
Die Chronologie des Übergangs von germ. e zu i vor u -f k, g, y.
Von K. Helm 550
Meerrettich. Von .1. Hoope 55V»
Werwolf. Von A. S. Napier 571
Zum Opus inperfectum. Vou W. Streitberg 574
Zur nachricht!
Es wird gebeten, alle auf die mlaetion der 'Beiträge' bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Siovers
in Leipzig-Gohlis (Turnerstrasse 26) zu richten.
UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA.
In dieser Zeitschrift bd. 19, 1 ff. veröffentlichte prof. E. Kol-
bing im herbst 1894 einen aufsatz, betitelt 'Studien zur Bevis
saga', der von der art ist, dass er meinerseits eine antwort
erheischt Wenn diese antwort auch zum grossen teile als
Verteidigung oder detailkritik auftreten muss, wird sie doch
auch principielle fragen von allgemeinerem interesse berühren.
Diese antwort soll im folgenden gegeben werden. Dass
ich nicht früher mit der erwiderung fertig geworden, beruht
teils auf andren arbeiten, die keinen aufschub duldeten (haupt-
sächlich in Verbindung mit einem neuangetretenen amte), teils
auf einer schweren augenerkrankung, die meine arbeitskraft
sehr herabsetzte.
Dieser aufschub') dürfte jedoch, wie ich hoffe, keine grös-
seren unzuträglichkeiten mit sich führen. Nur wenige leute
interessieren sich für fragen dieser art — die textkritik der
romantischen isländischen sqgur — , und diese wenigen spe-
cialisten sind nicht gewohnt, dass äusserungen in diesen fragen
rasch auf einander folgen.
Auch Kolbings Untersuchungen über die betreffende saga
(= Bev.) sind sehr lange nach meinen arbeiten auf diesem
felde erschienen.
Wie gross der zeitliche abstand ist, hat eine gewisse
bedeutung für die gerechte beurteilung der frage, und ich
muss deshalb zunächst einige worte darüber sagen.
Im jähre 1878 bereitete ich den text der Bev. saga zur
herausgäbe vor. Im . sommer desselben jahres unternahm ich
*) Die Schwierigkeit, hier in Gotenburg mein schwedisches mannscript
ins deutsche Ubersetzt zu bekommen, hat die Veröffentlichung des aufsatzes
wider um ein jähr verspätet [geschrieben im januar 1898].
Beitriffe bot genohioht« der deutschen ipracbe. XXIII. 1 7
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258
CEDERSCHIÖLD
eine reise ins ausländ, während der ich auf bibliotheken und
durch Unterredung mit fachleuten mir auskunft über die aus-
ländische literatur zu verschaffen suchte, die sich auf die
isländischen SQgur bezog, mit denen ich mich damals beschäf-
tigte.«) Im jähre 1879 gab ich in den Acta üniversitatis Lun-
densis den text der Bev. s. heraus. Das manuscript der ein-
leitung zu den FSS. schloss ich im januar 1884 ab. Seit dem
jähre 1882 hatte ich mich hier in Gotenburg aufgehalten, wo
es zu der zeit sehr schwierig war, sich kenntnis von neu-
erschienener philologischer fachliteratur zu verschaffen. Ich
führe dies an, weil mich K. scharf tadelt, dass ich in den FSS.
nicht mit allem innerhalb des jahres 1884 erschienenen bekannt
gewesen; in der tat hatte ich nach dem sommer 1878 nur in
einzelnen fällen meine kenntnis der ausländischen fachliteratur
vervollständigen können.
Der lange Zeitraum, der zwischen meiner arbeit an der
Bev. s. und K.'s Studien auf demselben gebiete liegt, hat es
mir, wie ich zeigen werde, unbequemer gemacht, die dis-
cussion aufzunehmen, während derselbe K. seine besten waffen
lieferte.
Was mich betriff^ so habe ich mich nach der herausgäbe
der FSS. fast gar nicht mit den romantischen sqgur beschäf-
tigen können, sondern habe ganz andre aufgaben übernommen,
die meine ungeteilte arbeitskraft erforderten. Auch jetzt kann
ich K.'s aufsatz keine so umfassende prüfung angedeihen lassen,
wie ich getan hätte, wenn er erschienen wäre, während ich
noch mit dem Studium der romantischen s<jgur beschäftigt war.
In dem einen oder andern fraglichen falle dürfte ich wol auch
vergessen haben, welche gründe mich besonders bewogen, bei
der redaction'der FSS. so oder so zu verfahren.')
») Ausser den in den Fornajgur Suörlanda (= FSS.) aufgenommenen
auch die Erex saga und die Clarus saga. Ich untersuchte natürlich auch
die wenigen in ausländischen bibliotheken (besonders auf dem Britischen
museum) befindlichen isländischen hss., die meinem damaligen Arbeitsgebiete
angehörten, u. a. eine hs. der Lijja. Vgl. Kolbing, Stud. s. 39, note 2.
*) Es mag im übrigen tu entschuldigen sein, dass man vergisst, was
man selber geschrieben. So etwas passiert auch K.: in demselben augen-
blick, wo er (s. 39) mir vorwirft, dass ich eine kurte noti* über die Bev. s.,
die er in einer abhaudlung über die Elia saga (Beitrage zur vergl. gesch.
d. rom. poesie etc.) mitgeteilt hat, tibersehen (richtiger wäre vergessen),
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UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 250
Was K. betrifft, so haben die jähre, die seit meiner aus-
gäbe der Bev. s. verflossen sind, ihm einige vortreffliche waffen
geliefert. Er hat durch seine ausgäbe des Sir Beues of Hara-
toun für die Early English Text Society veranlassung gehabt,
die englischen redactionen des sagenstoffes bis in die kleinsten
einzelheiten kennen zu lernen. Im Zusammenhang mit dieser
arbeit hat er die gälische redaction studiert. Und schliess-
lich — was für die beurteilung der isländischen texte das
allerwichtigste ist — , hat er durch das entgegenkommen
von prof. Stimming in Göttingen dessen mit emenda-
tionen versehenen copien der altfranz. hss. benutzen
können, deren text dem original der altisl. saga sehr
nahe steht
Besonders dieser zuletzt genannte umstand muss stärker
betont werden, als K. es getan hat (er erwähnt ihn nur ganz
kurz am ende seines aufsatzes). Denn durch das neben-
einanderlegen dieser beiden copien mit den nordischen texten
hat K. einen unvergleichlich sichreren ausgangspunkt als ich
für die beurteilung der ursprünglichkeit der verschiedenen
handschriftlichen lesarten gehabt. Ich dürfte wol nicht fehl-
greifen, wenn ich gerade in dem entleihen dieser copien den
eigentlichen entstehungsgrund von K.'s strenger kritik meiner
ausgäbe erblicke.1) Und ich kann nicht umhin, seine art,
sich über meine ausgäbe zu äussern, mit der übermütigen
kritik zu vergleichen, die ein schüler mit hülfe des in seine
hände gelangten schlüsseis des lehrers an der von einem mit-
schtiler ohne dieses unschätzbare hülfsmittel angefertigten
Übersetzung übt.
Wäre der Übermut das einzige gewesen, das mich in
K.'s Studien zur Bevis saga verletzte, so hätte ich nicht
genügende veranlassung gehabt, zu antworten. Aber K. gibt
eine in der hauptsache tendenziöse und schiefe darstellung
in demselben angenblicke erzählt er (anm. 1 s. 39), dass er selbst in seiner
ausgäbe des Sir Beues diese notiz vergessen nnd Pio Rajna daa verdienst
der entdecknng zugeschrieben habe.
') Denn dass K., ehe die franz. texte in seine hände gelangt waren
(nnd während er sich also in keiner besseren läge befand ala ich), meine
ausgäbe auf eine weit wolwollendere weise beurteilte, geht aus seiner
anzeige in der Deutschen lit.-ztg. 1885 hervor.
17*
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260
CEDfcRSCHIÖLD
von der beschaffenheit meiner ausgäbe und bringt eine menge
unrichtiger detailangaben vor. Das verlangt eine antwort.
Für den der ohne vorgefasste meinung K.'s aufsatz liest,
dürfte seine absieht, meine ausgäbe als vollkommen wertlos
hinzustellen, deutlich hervortreten.
Dagegen bedarf es einer genaueren Untersuchung der tat-
sachen, um einzusehen, dass K. zur erreichung seiner absieht
verschiedenes verschweigt, was ich in der einleitung zu den
FSS. geäussert, und mir ansprüche zuschreibt, die ich niemals
gemacht habe; dass er weiter grundsätze aufstellt, deren
richtigkeit teilweise recht zweifelhaft ist, und dass er schliess-
lich einzelheiten vorbringt, die auf irrtum oder Unkenntnis
beruhen.
Was K verschweigt, ist vor allem der grundsatz, nach
welchem alle in die FSS. aufgenommenen s<?gur (mit ausnähme
von Fl.) veröffentlicht worden sind und worüber ich in der
einleitung s. lxii — v ausführliche rechenschaft abgelegt habe.
An der genannten stelle habe ich (mit motivierung) als
meinen hauptzweck hingestellt, von jeder saga bloss eine ein-
zige redaction mitzuteilen,1) obgleich ich in ein paar fällen
es für zweckmässig gehalten habe, etwas weiter zu gehen.
Die beschränkung des Variantenapparates, die sich aus
diesem meinem prineip ergab, wurde von K. in seiner recen-
sion der FSS. (Deutsche lit.-ztg. no. 3, sp.82) mit folgenden
worten erwähnt: 'dies verfahren befördert unzweifelhaft die
Übersichtlichkeit und wird von vielen fachgenossen gebilligt
werden'; und obwol er seinerseits bemerkt, dass der Varianten-
apparat vollständiger gewesen sein könnte, liegt es ihm doch
so fern, deswegen ein Verdammungsurteil auszusprechen (ähn-
lich dem das er in dem vorliegenden aufsatz fällt), dass er
statt dessen seine bemerkung mit den Worten einleitet: 'das
im folgenden ausgesprochene bedenken soll in erster linie nur
mein warmes interesse an dem wertvollen2) und mit auf-
wendung jahrelanger mühen hergestellten buche bekunden.'
Und er schliesst seine besprechung mit den worten: 'wir
\) Dass einige worte K.'s auf s. 37 keineswegs eine genügende auf-
klärung hierüber geben, soll weiter unten gezeigt werden.
") Von mir gesperrt.
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UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA.
261
können zum schlösse nur wünschen, dass es herrn C. auch
weiterhin vergönnt sein möge, in so fruchtbarer weise')
im dienst« der nordischen philologie zu wirken.'
So urteilte K. im jähre 1885, als er schon eine langjährige
bekanntschaft mit den romantischen sQgur hatte. Aber 1894
erklärt er das was er neun jähre vorher gerühmt hatte, für
untauglich. Er erwähnt2) nicht einmal, dass die herausgäbe
einer einzigen redaction als ziel aufgestellt werden könne (und
von mir im vorliegenden falle tatsächlich aufgestellt worden
ist). Die einzig zulässige art, auf die eine solche isL saga,
welche Übersetzung oder bearbeitung eines ausländischen ori-
ginales ist oder sein dürfte, ist nach seiner meinung (s. 4 f.) die
folgende: '[die ausgäbe muss] das [handschriftliche] material
so vollständig wie irgend möglich vorlegen, also keine einzige
sachliche Variante irgend einer hs. von selbständiger bedeutung
unerwähnt lassen'; — denn der letzte zweck der herausgäbe
einer solchen altisl. Übersetzung (oder bearbeitung) soll nämlich
der sein, zur textkritik des ausländischen originales beizutragen.
Wie K. seinen grundsatz in anwendung bringt, werden
wir gleich sehen. Aber zuerst müssen wir bei dem grundsatz
selbst etwas verweilen.
Obgleich K. ausser betracht lässt, dass auch von roman-
tischen (übersetzten) SQgur verschiedene redactionen existieren
können, ist dies eine tatsache, die nicht verneint werden kann.
Um nur bei der publication zu bleiben, von der die Bev. s.
ein teil ist, so enthält die einleitung zu den FSS. reichhaltige
beiträge zur beleuchtung der freiheit, womit die isländischen
Schreiber bei der behandlung der übersetzten SQgur verfuhren;
s. besonders cap. I, spec s. xiv ff., sowie cap. VI (Om Flovents
saga). — K. selbst hat in seinen älteren arbeiten das vor-
kommen verschiedener isl. redactionen der nämlichen roman-
tischen sagaübersetzung nicht verkannt; s. z. b. Elis s. (Heilbr.
1881) s. xxv, wo er hervorhebt, dass die gemeinsame vorläge
der hss. C und B der El. s. 'eine stellenweise durch einen Is-
länder stark überarbeitete redaction der saga' repräsentiere,
und wo auch die hs. D eine 'vielfach gekürzte und durch die
') Von mir gesperrt.
■) Bezüglich seiner äusserungen auf s. 37 s. weiter unten.
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262
CEDERSCHIÖLD
hand eines Isländers stark veränderte und verschlechterte be-
arbeitung einer alten hs.' sein soll (vgl. s. xxxvm a. a. o.), und
s. xl sagt er wider, dass wir 'in C B und D nicht sowol andere
liss. der saga vor uns haben, als vielmehr andere, stark über-
arbeitete Versionen*.
Auch nur durch das verschweigen der von mir beabsich-
tigten beschränkung auf eine gewisse redaction (nämlich der
durch die hs. B repräsentierten) kann K. (s. 6) zwei meiner
bemerkungen zum Variantenapparat in der Bev. s. als einander
widersprechend bezeichnen, was sie freilich auch, aus ihrem
Zusammenhang gerissen, scheinen können. Für den der den
ganzen Zusammenhang an beiden stellen liest, dürfte es nicht
schwierig sein, meine meinung zu erkennen; ich habe die von
der hs. B repräsentierte redaction so vollständig wie nur mög-
lich mitteilen wollen;1) dahin gehört, dass ich aus anderen hss.
(bes. der red. C) solche lesarten aufgenommen habe, die mir
geeignet schienen, versehen in der red. B zu berichtigen (vgl.
FSS. s. lxiv). Aber da ich fand, dass die hs. C an und für
sich von grossem werte war und meinem textcodex B relativ
nahe stand, habe ich bezüglich der Bev. s. (wie auch der
Konr. s.) die angegebene beschränkung meiner aufgäbe über-
schritten und eine hauptsächlich vom nordisch -philologischen
Standpunkte aus einigermassen vollständige Sammlung der
abweichenden lesarten der hs. C (ev. yd) sowie auch — was
die Bev. s. betrifft — der fragmente A und D zu geben ge-
') Eine consequenz dieser meiner absieht und zugleich ein äusserer
beweis derselben ist, dass ich den namen der hauptperson in der von der
hs. B (und zugleich von dem norweg. diplom; vgl. FSS. s. ccxxxvm) ge-
gebenen form Beters beibehalten habe, obgleich ich wol einsah, dass die
form Bevis der hs. C ursprünglicher war, was ich auch ausdrücklich FSS.
8. CCXLi gesagt habe. Dies hätte K. also nicht zu widerholen brauchen
(s. 67). — Hätte ich gleich K. die form widerherzustellen gesucht, die am
ehesten dem ursprünglichen (norw. oder) isl. texte angehört haben dürfte,
so würde ich mich kaum mit der form Bevis begnügt, sondern mich eher
für die form Beves entschieden haben. Für diese form spricht nämlich,
teils dass sie den franz. formen näher steht, teils dass man gerade aus ihr
alle die formen ableiten kann, die in den isl. hss. vorkommen. Die ent-
wickelung wäre also: 1) Beves > Bef{u)es D, 2) Beves > Bevis C, 3) Beves
> Bevess > Bevers B, N. Dipl. (vgl. pess > pers, ßessi > ßersi u.s. w.),
4) Beves > Bevus {Befus) > Bievw (Biefus) papierhss.
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UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS 8AGA.
263
sucht.1) Und da es auch von diesem gesichtspunkt ans nicht
eben leicht war, die richtige grenze zwischen dem wichtigen
und minder wichtigen zu ziehen, so äusserte ich s. ccxl in
der anmerkung, dass ich vielleicht noch etwas ausführlicher
hätte sein können.
Beim citieren meiner änsserung an der letztgenannten
stelle sucht K. einen widersprach mit s. lxiv dadurch herbei-
zuführen, dass er die worte: 'also nur diese' einschiebt; dies
ist nicht berechtigt, wenn ich mich auch lieber ausführlicher
und ohne die möglichkeit einer misdeutung hätte ausdrücken
sollen. ')
Doch die hier zuletzt berührten Verhältnisse können wol
von allzu privater natur scheinen, um ausführlicher hier be-
handelt zu werden. Ich gehe daher zu fragen von allgemeiner
bedeutung über.
Wie soll man bei der Veröffentlichung einer ins (norwe-
gische oder) isländische übersetzten saga verfahren, wenn
diese in mehreren redactionen (handschriftklassen) vorliegt^
von denen keine der eigene text des Übersetzers ist, sondern
wo alle mehr oder weniger überarbeitet sind?
Meinerseits gebe ich gern zu, dass das von K. s. 3—5
skizzierte verfahren principiellfürdas beste gehalten werden
kann. Aber ich behaupte, dass auch ein anderes verfahren
erlaubt und nützlich sein kann, und ich behaupte ferner, dass
die art und weise, wie K. selbst von seinem princip gebrauch
macht, viel zu wünschen übrig lässt.
Es dürfte wol für selbstverständlich gelten, dass das
») Da« ganze material zu bieten, das möglicherweise zur vergleichung
mit den franz. texten nötig werden könnte, hatte ich weder beabsichtigt,
noch versprochen.
') In Verbindung hiermit möchte ich bemerken, dass K. auch sonst
nicht immer ganz loyal citiert; so z. b. vertauscht er ohne weiteres in der
anm. zu 8.6 die worte: 'die unwesentlichsten ' (also einen relativen aus-
druckt mit 'ganz unwesentlich' (also einem absoluten ausdruck); — 8.61
übersetzt er meinen ausdruck (s. coxxxix) 'ganska (= ziemlich) noggrant
afskrifna' mit 'ganz genaue abschriften ' ; — weniger bedeutend ist es,
das« K. s.6 z. 7 mit den worten 'im werke selbst' meine worte t yälfva
verket (= in der tat) widergibt ; vgl. unmittelbar vorher (s. 5 anm.), wo K.
versichert hat, dass er die ei täte aus meinem schwed. texte 'in mög-
lichst genauer Übersetzung' gebe.
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204
CEDERSCHIÖLD
herausgeben sich ziemlich versclüeden gestaltet, je nachdem
das ausländische original der (norweg.-)isl. saga für den heraus-
geber vorhanden ist oder nicht. Der ausdruck 'original' wird
dabei nicht ganz wörtlich genommen. Denn natürlich kann
es kaum vorkommen, dass eben die ausländische (z. b. afranz.)
hs., die dem nordischen Übersetzer vorgelegen hat, oder eine
mit dieser hs. ganz übereinstimmende noch vorhanden ist; aber
man kann doch behaupten, dass man das 'original' besitzt,
wenn dieses durch eine oder mehrere nahestehende hss. in
derselben spräche repräsentiert wird. Alte Übersetzungen oder
bearbeitungen in anderen sprachen können auch einigennassen
das original repräsentieren, sind aber natürlich an und für
sich weniger zuverlässige zeugen.1)
Also: besitzt man das fremde original einigennassen wol
repräsentiert, so wird die kritische behandlung der nord. Über-
setzung in hohem masse erleichtert. Man ist dann im stände —
wie auch K. in seinem aufsatze getan — in einer menge von
fällen zu entscheiden, was in den nord. texten ursprünglich
ist oder nicht, wo ein redactor etwas hinzugefügt, ausgelassen
oder umgestaltet hat, und man kann ein sichereres urteil über
den verschiedenen grad von Zuverlässigkeit der einzelnen
redactionen fällen. Auf der anderen seite können dann auch
die nord. texte einen beitrag zur textkritik des ausländischen
originales liefern. Mit einem wort: man hat dann mittel zur
hand, um zu entscheiden, welche Varianten der nord. redac-
tionen von wert für die textkritik der Übersetzung und des
originales sind und welche nicht.
Aber wie viele soll man dann in den Variantenapparat
seiner ausgäbe aufnehmen? Vielleicht bloss die welche man
als für die textkritik wichtig befunden hat, mit hinzufügung
derjenigen die von nordisch -philologischem gesichtspunkt aus
wirklichen wert haben? Oder alle?
Herr IC, der das grosse wort führt, dürfte wol durch seine
behandlung der Bev. s. uns ein muster geben, wie die sache
zu machen ist. Wir wollen daher sein verfahren untersuchen.
') Die engl, bearbeitungen von Sir Bevis, die mir 1878 im druck zu-
gänglich waren, zeigten allzu viel abstand von den isl. texten, um allein
bei der beurteilung der hss.-verhältnisse von besonderem nutzen zu sein;
vgl. meine äusserung darüber FSS. s. ccxvi.
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UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS 8AGA.
205
Folgende zahlen müssen vorausgeschickt werden. In meiner
ausgäbe werden in den fussnoten ungefähr 600 vom texte ab-
weichende lesarten verschiedener hss. (besonders von C und den
diesem sehr nahestehenden / ö) angeführt. Zu diesen fügt K.
(s. 7 — 37) eine liste von solchen, die er ausserdem für nötig
hält (wolgemerkt auch jetzt noch, nachdem das franz. original
verglichen ist); diese liste bringt ungefähr 3000 Varianten.
Aber von diesen 3000 sind es nach K.'s eigener berechnung
(vgl. s. 52) nur 131 , die K. auf grund der vergleichung mit
den ausländischen texten (besonders den afranz.) für ursprüng-
licher als die entsprechenden lesarten in meinem texte hält.1)
Nun, diese ungefähr 3000 ab weichungen von dem ge-
druckten texte, die ich nach K.'s meinung mit unrecht aus
meinem Variantenapparat ausgelassen habe, nennt er s. 7
'sachliche ab weichungen'. Hierzu stimmt schlecht, was er
s. 37 behauptet, nämlich: 'hier (d.h. bez. der Bev. s.) handelt
es sich nicht um verschiedene bearbeitungen,2) sondern nur um
verschiedene von einander unabhängige hss. desselben textes.'
Ich kann nur annehmen, dass hier ein Widerspruch vor-
liegt. Wenn nun 'sachliche ab weichungen' zwischen den hss.
B und C (bez. yd) *) an so vielen stellen existieren, und man
trotzdem nicht berechtigt sein sollte, von verschiedenen redac-
tionen zu sprechen, so müsste man ja schliessen, dass un-
freiwillige Verderbnis des textes an allen diesen stellen
in einer der hss. vorliegt; willkürliche und absichtliche
abweichungen von der vorläge könnten es ja nicht sein, denn
es sind ja eben solche, die (wenigstens wenn sie qualitativ
*) Die zahl 131 dürfte in Wirklichkeit allzu hoch gegriffen sein, wie
unten gezeigt werden wird. In welchem umfange übrigens K. richtig ge-
rechnet hat, habe ich nicht nachgeprüft. Zufällig habe ich bemerkt, dass
K. b. 48 no. 157 eine Variante als in meiner ausgäbe fehlend bezeichnet
hat, die sich dort wirklich findet.
*) Dies ist die einzige stelle, die ich in K.'s aufsatz gefunden habe,
die auf meine in den FSS. offen ausgesprochene absieht, mich auf eiue ge-
wisse redaction zu beschränken, bezogen werden kann. Aber K.'s äusserung
ist hier nicht gegen meine in den FSS. dargelegten prineipien, die conse-
quent verschwiegen werden, sondern gegen einige worte Heinzeis (im Anz.
fda. 11, 130) gerichtet
a) Die mehrzahl sowol der 600 wie der 3000 betrifft eben das Ver-
hältnis zwischen diesen hss.
»
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200
CKDEKSCHIÖLD
oder quantitativ bedeutend sind) eine besondere redaction
constituieren.
Aber man braucht die unterschiede zwischen B und C
nicht lange zu mustern um zu begreifen, dass die grosse
mehrzahl eben willkürlich und absichtlich ist. Und schon
quantitativ scheinen sie mir hinlänglich bedeutend, um mein
in den FSS. s. lxiv abgegebenes urteil zii begründen, nämlich
dass C, obgleich B nahestehend, nicht als derselben redaction
wie B angehörig bezeichnet werden kann.
Der qualitative wert der abweichungen ist indessen im
allgemeinen gering,') zum teil so gering, dass es mir höchst
merkwürdig scheint, dass K. so viel gewicht auf deren mit-
teilung gelegt hat. Der leser mag selbst über den wert der
folgenden 'sachlichen abweichungen* urteilen, die ich aus
K/s nachträgen gesammelt habe; ich habe es nicht für nötig
gehalten mehr als ein paar kleine stücke im anfang der saga
und ein paar aus den schlusspartien zu untersuchen, im ganzen
ungefähr ein zehntel des ganzen textes.
Den wichtigsten unterschied zwischen B und C (bez. y d),
nämlich bezüglich des titels, der Bevers' Stiefvater beigelegt
wird, habe ich ausdrücklich hervorgehoben in FSS. ccxl und
habe dabei mitgeteilt, dass der unterschied consequent durch-
geführt wird. Nichtsdestoweniger notiert K. gewissenhaft jede
stelle, wo die abweichung vorkommt (z. b. zu s. 209, 16. 20. 37.
40. 210, 6. 10. 14. 15 u. s. w.). Wozu dies sonst dienen soll, als
um das Verzeichnis desto länger zu machen und mein angeb-
liches verschulden desto schwärzer hervortreten zu lassen,
dürfte schwer zu begreifen sein.
Aber sonst ist es ziemlich selten, dass die unterschiede
zwischen den hss. solche sind, die verschiedene bedeutungen
mit sich führen (wie man aus K.'s ausdruck 'sachliche ab-
weichungen' schliessen sollte); besonders in K's nachträgen
bilden diese eine verschwindende minderzahl.
') Wichtigere abweichungen , wie z. b. absichtliche kUrznngen nnd
Veränderungen mit bezug auf den inhalt, fehlen keineswegs (wie man aus
den noten in FSS. und ans K.'s darstellungen ersehen kann), und sind
natürlich in erster reihe von bedeutung, wenn es gilt, verschiedene
redactionen festzustellen; aber sie sind verhältnismässig gering an zahl.
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CEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 267
Was K. hauptsächlich zu meinem Variantenverzeichnis
hinzuzufügen hat, besteht in solchen ausdrücken, die mit dem
gedruckten texte gleichbedeutend sind.
Wenn eine person (bez. ein pferd, schwert u.s.w.), über
dessen identität der Zusammenhang nicht den mindesten zweifei
erlaubt, entweder mit 1. namen oder 2. titel (bez. anderer
appellativer bezeichnung) oder 3. sowol namen wie titel (bez.
anderer appellativer bezeichnung) oder 4. nur pronomen be-
zeichnet wird, so nimmt K. in seinen nachtragen die wechseln-
den bezeichnungen auf; s. z. b. zu s. 209, 11. 18. 210, 2. 16. 44.
52. 211,27. 216,27 u.s.w. Fortgesetzte vergleichungen zwischen
den isl. und den ausländischen texten haben K. schliesslich
darüber belehrt, dass, wie er am schluss von s.60 zuzugeben
genötigt ist, in dergleichen fällen 'auf das schwanken . . .
wenig gewicht zu legen ist' — und das hätte K. wol im voraus
wissen können, nachdem er sich so viele jähre lang mit isL
hss. beschäftigt hatte. Aber wenn er in diesem Zusammenhang
(s. 60) behauptet, solche stellen in seinen nachträgen nicht auf-
genommen zu haben, so ist dies nicht richtig; nicht genug
damit, dass solche Varianten (wie wir eben gesehen) in der
grossen Variantenliste (s. 7—37) besonders zahlreich sind,1)
selbst unter den 131 stellen, 'wo die lesart von C oder yd,
bez. D oder A, sich durch vergleich mit den anderen Versionen
als dem archetypus angehörig erweisen liess,' die aber von
mir nicht verzeichnet waren, sondern erst von K. hinzugefügt
worden sind (vgl. K. s. 52), — selbst unter diesen stellen, wo-
rauf K. so viel gewicht legt, finden sich mehrere, die gerade
der eben erwähnten kategorie angehören, s. z. b. die anmer-
kungen 8. 66. 99. 114. 129. 136. 158. 166 auf s. 40 tt, vgl.
ausserdem 79. 172.
Von der grossen anzahl übriger gleichbedeutender, aber
in bezug auf den ausdruck mehr oder weniger abweichender
lesarten, die K. als 'sachliche abweichungen' anführen zu
müssen glaubt, will ich nur auf die folgenden hinweisen.1)
') In dieser liste dürften Varianten der genannten art sich bis auf
ein oder mehrere hundert belaufen.
a) Bei der anftthrung isländischer textstellen normalisiere ich nach
demselben princip, das K. 8.7 anm. befolgt zu haben behauptet, nämlich
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268
CEDEKSCHIÖLD
Die synonymen ausdrücke Jtestr und ess werden in Bev.
(wie sonst) promiscue angewant; K. hat sich die mühe gemacht,
an einer menge stellen den Wechsel zu notieren; so z. b. die
nachtragsliste zu s. 257— 260.
Den Wechsel zwischen den ganz gleichbedeutenden sem
und er notiert K. s. 209, 24. 210.4. 215,59 u.s.w., zwischen er
und at s. 209,29.36.38. 210,2 u.s.w., zwischen Enn und Oh
(einen neuen satz einleitend) s. 215, 41, zwischen den adverbien
fyrri und fyrr s. 209, 18, zwischen den verneinenden adverbien
eiyi und ckki s. 215, 43, zwischen eöa und eör s. 214, 51. 257, 31.
258,13'); der Wechsel zwischen meÖal, milli, d tnilli, i milli
wird s. 259, 13, zwischen möti und i mot s. 260, 13, zwischen
peima und pessum s. 215, 46, zwischen den masc. nom.-formen
einyinn und cinyi s. 215,35, zwischen der umgelauteten form
kjgptinn und der unumgelauteten kjaptinn 8.216, 7, zwischen
dem altertümlichen (ek) mwtta und dem jüngeren (ck) mcetti
s. 216, 18 angemerkt, u.s.w.2)
Angesichts solcher beispiele drängt sich einem die frage
auf: wenn K. diese und ähnliche für 'sachliche ab weichungen'
hält, was versteht er dann unter formellen? Vielleicht nur
die rein orthographischen? — Aber wir fahren fort.
Abwechslungen in der Wortstellung, sogar die allergewöhn-
lichsten, werden von K. angemerkt. So z. b. die Stellung des
attributs vor oder nach seinem subst.: hest sinn oder sinn hest
s. 216, 4 f., UÖ mikit oder mikit UÖ s. 216,52, tvd riddara oder
riddara tvd s. 214, 21 f., hans hest oder hest hans s. 260, 24, vgl.
s. 214, 41. 58. 215, 31. 216, 5. 260, 15. 24 u.s. w.»)
'in der allgemein üblichen weise'; mein resultat wird zwar demjenigen K s
recht unähnlich — aber das ist nicht meine schuld.
') An diesen stellen, und wahrscheinlich an vielen anderen, hat K. es
sich angelegen sein lassen, dem leser die tatsache mitzuteilen, dass die
jüngeren hss. (y, 6, D) die formen tbr haben, während mein nach der älteren
membrane B gedruckter text eda hat; nur schade, dass er nicht zugleich
mitgeteilt hat, dass das wort in membranen gewöhnlich abgekürzt ge-
schrieben wird ('«.').
3) Dass die relativpartikeln er oder at (gemäss dem jüngeren Sprach-
gebrauch) in den jungen papierhss. yS fehlen, wird zu s. 212, 35. 213,25
angemerkt, ebenso zu s. 211,45, dass yö die jüngere form kvinnu haben,
während B die ältere konu hat.
3) Aber zu s. 209, 19 unterlässt es K. darauf hinzuweisen, dass der
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ÜEBER DIE AÜ8GABE DER BEVERS SAGA. 260
Die Stellung des subj. vor oder nach dem praed. wird an-
gemerkt 8. 214, 58: er heitir II umtun oder er Hamtün heitir,
s. 257, 42 f.: Hann för nü oder För kann nü; die wechselnde
Stellung des praed. und des adv. wird angemerkt s. 215, 26:
Nü UÖa (svd fram stundir) oder LiÖa nü; vgl. 8. 209, 8 f. (wo
zwei adv. die Stellung miteinander tauschen), s. 215, 10 u.s.w.
Manche der lesarten, die K. in seinen nachtragen auf-
genommen hat, geht bloss darauf aus zu zeigen, wie weit das
eine oder andere, gewöhnlich so gut wie bedeutungslose wört-
chen sich in der einen oder andern hs. vorfindet. So z. b. wird
s.212,31.39. 213,62. 214,63.64. 215,11. 260,19 u.s.w. ver-
zeichnet, ob der nachsatz (apodosis) mit pd eingeleitet wird
oder nicht.
Eine andere grosse gruppe Varianten erhält K. dadurch,
dass er verzeichnet, wie weit im erzählenden Stile das praet.
oder das praes. histor. angewant wird, z. b. s. 210, 2. 49. 57.
211,3. 212,31. 214,28. 216,29. 257,28. 260,8.9 u.8.w.
Ein jeder der sich nur ein wenig mit isl. sagas (sei es
originalen oder übersetzten) beschäftigt hat, weiss ganz genau,
dass der in rede stehende tempuswechsel zu den allergewöhn-
lichsten erscheinungen gehört, und versteht, dass dergleichen
'Varianten' für solche von minimalem werte angesehen werden
können. Aber noch unnötiger sind die 'Varianten' in folgendem
fall: in meinem abdruck von B habe ich (wie ich ausdrück-
lich in den FSS. s. lxxii gesagt) die in der hs. regelmässig
vorkommenden zweideutigen abkürzungen fv. und f. mit
praesensformen (in der regel sing., also entweder svarar oder
segir) widergegeben; wenn nun zufällig eine der andern hss.
ein ausgeschriebenes praeteritum hat, so wird dies von K.
vermerkt, z.b. bei s. 211, 1. 18. 215,8. 258,10 u.s.w.»)
Wenn eines unter den am häufigsten vorkommenden Sub-
stantiven (z. b. Jiöngr,jarl) in einer von den hss. irgendwo sich
in bezug auf das Vorhandensein oder fehlen des angehängten
artikels von den andern hss. unterscheidet, hat K. auch diese
erscheinung verzeichnen zu müssen geglaubt. Irgend welche
lesart von B: döttur sma ein sina dottur in yö entspricht, zu 8. 214,5b,
das« auch D die Wortstellung mo&ir min hat.
«) Dass A auf ». 257,41 sog&i schreibt, hat K. jedoch zu notieren
vergessen.
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270
CEDERSCHTÖTiD
anleitung zur bestimmung des ursprünglichen textes liefern
indessen diese 'sachlichen ab weichungen' nicht, denn in den
älteren hss. wurden diese und ähnliche Wörter sehr oft durch
eine abkürzung angegeben, die nicht angab, ob eine form mit
oder ohne artikel beabsichtigt war; vgl. FSS. s. lxxiii— v, wo
ich auch mein eignes verfahren bei der widergabe derartiger
abkürzungen auseinandergesetzt habe. K. hat wahrscheinlich
die genannten seiten meiner einleitnng nicht gelesen, sonst
hätte er wol kaum seine liste mit solchen bemerkungen wie
z.b. s. 210,59. 211,1. 3 vermehrt, dass die papierhss. yö jarl
schreiben; mein text hat zwar an diesen stellen jarlinn, aber
da ich s. lxxiv anm. 3 bemerkt, dass die hs. B an den ge-
nannten stellen (und vielen andern) die abkürzung j. zeigt,
dürfen wol hier die abweichungen eher graphisch als sach-
lich genannt werden.
Wozu soll nun das aufzählen dieser und derartiger Varianten
eigentlich dienen?
Von wert für die reconstruction des ursprünglichen saga-
textes und für die kritik der franz. texte könnten ja, gemäss
K.'s eigener meinung, bloss eine geringe anzahl sein.1)
Aber auch für die beurteilung des Verhältnisses zwischen
den isl. hss. untereinander müssen ähnliche abwechslungen, wie
die hier oben angeführten, mit der grössten vorsieht behandelt
werden. Von der mehrzahl derselben gilt ohne zweifei, was
K. selbst in seiner vorrede zur Elis saga (s. xxvii— vm) über
'abweichungen' äusserte, 'auf die die betr. abschreiber sehr
leicht selbst gekommen sein können'; dahin gehören:
a) abweichungen in der Wortfolge ...*); b) hinzufügung
oder weglassung des artikels . . c) anwendung verschiedener
tempora . . .; d) schwanken zwischen sing, und plur. . . .; e) kleine
Änderungen in der construetion . . .; f) Wechsel zwischen ge-
bräuchlichen synonymen ...; g) hinzufügung von dem sinne
nach naheliegenden worten
») Das« K. bei der berechnnng dieser anzahl recht optimistisch ge-
wesen, haben wir z. t. bereits gesehen nnd werden wir weiter unten noch
in einigen andern fällen nachweisen.
») Ich lasse K.'s beispiele aus; jeder der es wünscht, kann sich davon
überzeugen, dass sie gleichartig mit denjenigen sind, die ich hier oben
angeführt habe.
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ÜEBEB DIE AUSGAUE DER BEVERS SAGA. 271
Hierauf gibt K. folgendes gesammturteil: 'es darf mit ent-
schiedenheit behauptet werden, dass alle derartigen Varianten
unser urteil über das handschriftenverhältnis in keiner weise
beeinflussen können.'
Aus speciell nordisch-philologischem interesse hat K. offen-
bar eine solche masse Varianten nicht aufnehmen wollen. Wie
ein nordispher philologe in derartigen fragen denkt, dürfte
wol im allgemeinen bekannt sein; aber für den fall, dass ein
zeuge verlangt wird, will ich einen herausgeber citieren, dessen
autorität nicht leicht verworfen werden dürfte, den docenten
Finnur Jönsson.
In der vorrede zu seiner kritischen ausgäbe der Egils
saga Skallagrimssonar (Kebenhavn 1886 — 88) s. xxvi, sagt
dieser: ' jeg [harj ikke eller meget sjselden . . . taget hensyn
til sadanne varianter, der kun bestär i, at ordene i en saetning
er ordnede pä en forskellig m&de uden nogen sserlig syntak-
tisk interesse (f. ex. för kann f. hann för og lign.). Den slags
varianter har sjaelden nogen videre betydning, og for Egilssagas
vedkommende, savidt jeg har kunnet skönne, slet ingen . . .
Heller ikke har jeg taget hensyn til sädanne varianter, som
kun bestar i, at et ganske almindeligt ord stär for et ligesä
almindeligt (f. ex. för f. feröadiz el. gekk og lign.).'
Und es ist zu bemerken, dass die Egils saga von nordisch-
philologischem gesichtspunkt weit grössere bedeutung besitzt
und in viel älteren hss. bewahrt ist als die Bev. 8.
Nun kann man zwar sagen: 'man kann nicht im voraus
wissen, zur lösung welcher fragen eine zukünftige forschung
material aus den hss. zu schöpfen gezwungen sein wird; denn
diese hss. können leicht abhanden kommen oder zerstört werden;
oder äussere Verhältnisse können, auch während sie noch vor-
handen sind, viele forscher verhindern, sie direct zu benutzen.
Es ist daher notwendig, dass, wenn eine saga (oder ein anderes
literaturdenkmal) veröffentlicht wird, die lesarten der hss.
(oder wenigstens der von einander unabhängigen hss.) so voll-
ständig wie möglich veröffentlicht werden.'
Dies raisonnement lautet ja sehr vernünftig, aber wir
können es doch nicht ohne weiteres acceptieren. Will man
wirklich all das material liefern, das zukünftige forscher für
verschiedene (vielleicht noch nicht geahnte) zwecke möglicher-
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272
CEDERSCHIÖLD
weise gebrauchen können, so muss man natürlich auch für die
Vorführung aller orthographischen und graphischen
Varianten sorgen (denn diese können für einige zwecke wich-
tiger werden als 'sachliche abweichungen'), und da findet sich
kein anderer ausweg als der, möglichst genaue photographische
abbildungen von allen betreffenden hss. zu liefern. Aber
nicht einmal dies wäre ausreichend. Eine von den am sorg-
fältigsten ausgeführten photograpliischen abbildungen, die wir
von nordischen hss. haben, dürfte wol die abbildung der
grossen Eddahs. sein, die Wimmer und F. Jönsson i. j. 1891
veröffentlicht haben; am schluss ihrer einleitung (s. lxxv)
heben die herausgeber hervor, dass ihre lange beschäftigung
mit der arbeit sie gelehrt habe, dass keine widergabe je-
mals das original vollständig wird ersetzen können.
Der grund ist, dass die subjective auffassung des herausgebers
immer einigermassen auf die beschaffenheit der abbildung ein-
wirkt.1) Selbst in dem falle dass die hss. Photographien
werden, bleibt der leser von der genauigkeit, der einsieht und
dem urteil des herausgebers abhängig.
Gerade diese eigenschaften eines herausgebers sind am
unentbehrlichsten bei jeder art von herausgäbe. Und diese
eigenschaften zeigen sich nicht am wenigsten in dem ver-
mögen des herausgebers, sich klar und bewusst zu beschrän-
ken; er muss verstehen das wesentliche von dem unwesent-
lichen zu unterscheiden; er muss nichts mit aufnehmen was
für seine speciellen zwecke unnötig ist; er darf nicht das
unnütze das nützliche verdecken lassen. So z. b. hat die eben-
genannte Photographie der Eddahs. verschiedene zufällige flecke
oder wegen der dünnheit des pergaments durch dieses sicht-
bare buchstaben etc. nicht aufgenommen, die beim lesen
störend wirken würden.2)
Nun muss wol auch K. einen speciellen zweck mit
seinem aufsatz über die Bevers saga gehabt haben, denn
nach allen Seiten über die hss. bescheid gegeben zu haben
kann er nicht beanspruchen — : dazu fehlt allzu viel. Dass
>) Vgl. Arkiv für nordisk filologi 8, 190 ff.
«) Dass Bie im comiuentar notiert werden, ist etwas anderes; dort
tun sie keinen schaden.
UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA.
273
es sein specieller zweck war. polemisch gegen meine ausgäbe
aufzutreten, wird er wol nicht einräumen wollen, und das
wird wol auch nicht der fall sein, wenn es auch zuweilen so
aussieht. Dagegen dürfte man K. nicht unrecht tun, wenn
man aus seiner früheren Wirksamkeit, aus dem wertvollsten
im vorliegenden aufsatz und vor allem aus der Zusammen-
fassung, die K. selbst gegen ende der abhandlung s. 127 ff.
macht, den schluss zieht, dass sein eigentlicher und spe-
cieller zweck gewesen ist, das Verhältnis zwischen
den isl. texten (bez. dem norw. — oder möglicherweise isl.
— text, von dem sie abstammen) auf der einen seite, und
den ausländischen (bes. den franz.) texten auf der andern
seite zu beleuchten. Aber welche massen von für diesen
zweck nutzlosem, ja geradezu hinderlichem stoff häuft er nicht
zusammen!
Für mich konnte natürlich der zweck nicht derselbe sein
wie für K., da mir ja die franz. texte nicht zugänglich waren.
Ich hätte daher unmöglich die beschränkung des Stoffes durch-
führen können, die für K. leicht und ungesucht gewesen wäre,
obgleich er es verschmäht hat sie anzuwenden. Und da ich
meine ausgäbe nicht mit einer masse solcher unnützer, will-
kürlicher kleinigkeiten belasten wollte, die in der regel völlig
bedeutungslos zu sein pflegen, befolgte ich (worauf ich sowol
hier oben als schon in den FSS. hinwies) den plan, die redac-
tion der ältesten erhaltenen hs. herauszugeben und erweiterte
den plan insofern, als ich aus den andern redactionen (vor
allem aus Cs) die abweichungen hinzufügte, die ich von meinem
Standpunkt aus als 'sachliche' betrachtete.
Nun meint K. (s. 4), dass ich unter solchen Verhältnissen
(da die franz. texte mir nicht zugänglich waren) mich gar
nicht mit der herausgäbe von Bev. hätte befassen sollen; und
an mehreren stellen in seinem aufsatz bemüht er sich zu be-
weisen, dass meine ausgäbe — wegen der beschränkung, die
ich hinsichtlich des Variantenapparates beobachtet habe —
gänzlich wertlos sei.
Hierüber mögen andere urteilen! Ich fürchte nicht, dass
unparteiische und vollauf competente beurteiler ein so hartes
urteil fällen. Meinesteils will ich nur, ehe ich zur nach-
weisung verschiedener fehlerhafter und irreführender angaben
Beiträge rar geechichte der deutschen aprache. XXIII.
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274 CKDERSClIIÖIiD
in K.'s aufsatz übergebe (angaben, auf die er zum teil sein
urteil über meine ausgäbe stützt), an einige Verhältnisse all-
gemeinerer art erinnern.
Zunächst ist es klar, dass, wenn die herausgäbe der
Bev. s. aufgeschoben wäre, bis die franz. texte durch prof.
Stimmings arbeit zugänglich geworden waren, Fritzner für
die ausarbeit ung der zweiten aufläge seines Wörterbuchs (deren
Veröffentlichung bereits i. j. 1883 begann) schwerlich den text
dieser saga auf eine solche weise hätte ausbeuten können, wie
dies jetzt der fall gewesen ist. Durch vergleichung der ersten
und zweiten aufläge des Wörterbuchs findet man leicht, dass F.
für die erste bloss eine geringe anzahl excerpte aus den
hss. B und 6 zur Verfügung hatte, dass er dagegen in seiner
zweiten aufläge an einer grossen menge von stellen meinen
text citiert.1) In briefen an mich (citiert FSS. lxxix) äusserte
im übrigen Fr. selbst, dass er besonders viel für sein Wörter-
buch aus den texten in den FSS. habe schöpfen können.
Weiter: aus K.'s eignem aufsatz geht hervor, dass meine
ausgäbe der Bev. s. und die einleitung zu den FSS. nicht ohne
wert als Vorarbeit für K.'s eigne Untersuchungen gewesen ist.
K. sagt (s. 64, an in. 1): 4 die hs. B habe ich nicht nach-
verglichen.' Er hat somit nicht geglaubt auf die hs. zurück-
gehen zu müssen, sondern meinen abdruck für völlig zuverlässig
gehalten und der bequemlichkeit halber diesen an stelle der
alten, teilweise etwas schwer lesbaren membran benutzt. Wenn
nun meine ausgäbe in erster reihe gerade den zweck hatte,
die redaction mitzuteilen, die durch die hs. B vertreten wird,
so hat K. also indirect zugegeben, dass mir dies gelungen ist.
Aber anstatt dankbar den vorteil anzuerkennen, den er von
meiner ausgäbe gehabt, weiss er nur unfreundliches darüber
zu sagen.
W'eiter: K. muss meine ausführungen (FSS. s. ccxxxvm f.)
über die vier hss. AM. 179 und 181, fol., Rask 31, 4», Stockholm
chart. 46, fol., gebilligt haben, denn, soweit ich habe finden
können, sagt er in seinem aufsatz kein wort über deren
') K.'s In Häuptling (s. 63), dass meine ausgäbe für lexikographen unzu-
reichend sei, wird weiter unten nach ihrem richtigen gehalt beleuchtet
werden ; ich werde an derselben stelle etwas auf K.'s Behauptung (s. US f.)
von der Unzulänglichkeit fttr grammatiker zu antworten haben.
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ÜEBKR DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 275
beschaffenheit. Es muss doch, wenigstens einigermassen, eine
erleichterung für K. gewesen sein, über diese hss. nicht zu
berichten zn brauchen.
Bloss in einer hinsieht hat K. (s. 64) anerkennen wollen,
dass ich in meiner ausgäbe eine Vorarbeit zur bestimmung des
*verhalten[s] des sagaschreibers zu seiner vorläge' geliefert habe,
nämlich durch die in der einleitung zu den FSS. (s. vn— xxxm)
gemachte Zusammenstellung von formelhaften Wendungen,
Schilderungen u. dergl., entnommen aus romantischen sagas
(Übersetzungen oder freieren bearbeitungen von ausländischen
originalen). — Aber ich muss mich dagegen verwahren, dass
K. (s. 64) sagt, diese Sammlung sei 'nur einer kleineren aus-
wahl von texten entnommen'. Wie man aus FSS. s. rv anm.2
sieht, ist die Sammlung nach sechszehn romantischen sagas
gearbeitet, darunter der ganzen Karlamagnus saga: die ge-
sammte Seitenzahl des (norw.-) isl. textes in diesen sagas be-
trägt 1443. Eine besonders grosse Vermehrung der quellen
hat K durch diejenigen nicht zu stände gebracht, die er s. 64
anm. 2 (vgl. s. 65) als von ihm weiter excerpiert anfuhrt. »)
Weiter hat K. (s. 128) nicht umhin können, die folgerung
über das alter der Bev. s. anzuerkennen, die ich aus meinen
Untersuchungen über die stereotypen gezogen habe. Auch den
Zusammenhang, den ich zwischen der Bev. s. und der erzählung
von Olif und Landres nachgewiesen habe, erkennt K. s. 128
an, wenn er auch, durch das Studium der franz. texte belehrt,
über diesen Zusammenhang etwas mehr zu sagen weiss.2)
*) In seine liste ist die pjalar-Jöns saga aufgenommen, die aber
als 'lygisaga' (vgl. FSS. s. clxvi) wol kaum verglichen zu werden verdient
hatte; dasselbe gilt wahrscheinlich von der Samsonar saga fagra (vgl.
Versions nordiques etc. s. 90 f. ; was die Islenzk »ventyn betrifft (die un-
gefähr gleichzeitig mit cap. 1 der einleitung der FS8. veröffentlicht wurden),
so ist nur ein kleinerer teil dieser texte im stil mit den romantischen
sagas zu vergleichen. £. hat im übrigen seine ergänznngsliste dadurch
vervollständigt, dass er vier nummern aufgenommen hat, die bereits zu
meiner liste gehörten: Möttuls saga, Olif ok Landres (als teil der Karla-
magnus s.), Partalopa saga, Valvers pättr.
*) Meine Vermutung (FSS. ccxvif.), dass Bev. aus dem französischen
übersetzt sei, hat sich seit dem zugänglichwerden der franz. hss. als richtig
erwiesen. Indessen will K. (s. 113 f.) den versuch nicht anerkennen, den
ich (a. a. o.) gemacht habe , das vorkommen des wortes Franzmar in der
18*
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276
CEDERSCHIÖLD
FaciU est in v cutis addere ist jedoch eine sentenz, deren
berechtigung K. einigermassen hätte anerkennen sollen. Auch
einer anderen sentenz humanen inhalts: miskunnar mun hverr
d sinu malt Purfa, hätte sich K. erinnern können, zumal er
(s.63f.) sich anstrengt zu beweisen, dass meine ausgäbe von
Bev. wissenschaftlichen lesern keineswegs genfige leisten
könne. Denn genau genommen dürfte auch K.'s aufsatz den
ansprächen der Wissenschaft nicht genügen. Hier wie in
seinen früheren arbeiten ist K. nämlich zu sehr geneigt zu
übersehen, dass wissenschaftlichkeit Zuverlässigkeit und ge-
nauigkeit — oder wie IC es selbst etwas spöttisch nennt:
akribie — erfordert. Obgleich sich meine Untersuchung nur
auf einen kleineren teil der angaben K.'s bezieht, habe ich
doch eine verhältnismässig grosse anzahl fehler in seinem
aufsatz entdeckt.
saga s. 263, 20. 24 psychologisch zu erklären. Gegen K.'s eigene erklärungs-
weise will ich bemerken, dass während meine erklärnng aus einer Hypo-
these bestand, K.'s aus dreien besteht, von denen jede folgende mit der
vorausgehenden fällt. Ich will meine bedenken gegen eine jede derselben
vorbringen: 1) dass Virile ss Sevilla, ist zwar nicht unmöglich, aber durch-
aus nicht gewiss (vgl. 'sicherlich' K.); die geographie ist ja sonst in der
erzählung sehr phantastisch ; 2) auch wenn Virile — Sevilla, so ist es des-
halb noch nicht wahrscheinlich, dass die bewohner dieser Stadt und ihrer
umgegend von dem Verfasser der erzählung (ca. 1250?) für Franzosen
gehalten worden und so genannt wären; wenigstens erscheint Virile con-
sequent als ein selbständiges reich, welches von einer 'jungfrau' regiert
wird und in keiner Verbindung mit Frankreich steht. Ob wirklich, wie K.
(s.113 f.) annimmt, das vorkommen von Frangois in dem franz. gedieht
v. 3158 einen tatsächlichen beleg für seine hypothese bildet, kann ich nicht
beurteilen, da ich die franz. stelle nicht im Zusammenhang gesehen habe
(dass ich nicht die ' hülfstruppen ' aus Civile, wie K. s. 114 sagt, 'vergesse',
zeigen meine eigenen worte die K. Ubersetzt); 3) auch wenn die 15000
mann aus Civile welche unter der anführung Terris am kämpfe gegen die
heiden teilnahmen, vom Verfasser als Franzosen betrachtet worden wären,
so handelt es sich doch s. 263, 20. 24 keineswegs um Terri und seine leute;
imgegenteil wird in diesem Zusammenhang der junge könig von Ägypten
Guion (z. 14) erwähnt und gleich darauf sein vater, Bevers selbst, der min-
destens sieben jähre (s. 258, 34) bei dem söhne in Ägypten geweilt hat. Es
erscheint mir demnach immer noch als das wahrscheinlichste, dass der Ver-
fasser bei den kämpfen zwischen Christen und heiden (= Mnhammedanern)
im orient die Christen ohne weiteres mit den Franzosen ('Franken') iden-
tificiert. Reminiscenzen aus den berichten über die historischen kreuzzilge
konnten dieser Verwechslung ja auch eine gewisse berechtigung geben.
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UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA.
277
Ich will nun einige einzelbemerkungen gegen K.'s aufsatz
machen und bekomme so zugleich gelegenheit einiges auf diesen
oder jenen der von K. gegen mich gerichteten angriffe zu ent-
gegnen. Aber ich betone ausdrücklich, dass ich es weder für
nötig noch geeignet halte, in diesen meinen bemerkungen Voll-
ständigkeit anzustreben.1)
Sollte es sich als wünschenswert oder notwendig erweisen,
so kann ich oder ein anderer ohne Schwierigkeit eine ebenso
grosse (oder eher noch grössere) liste von fehlem aufstellen.
Zuerst muss ich auf einige mängel in der von K. angefer-
tigten liste von Zusätzen zu meinem Variantenapparat hinweisen.
Nur etwa den zehnten teil dieser liste habe ich mit den
hss. verglichen; die anzahl stellen jedoch, wo K. entweder
falsch gelesen oder die angaben incorrect formuliert
oder solche ausgelassen hat, die er, um consequent zu sein,
hätte mitberücksichtigen sollen, ist nicht so ganz gering.2)
209,4 yd sollen nach K.'s angäbe die lesart haben kann
hafdi undir unnit oh lagt; tatsächlich haben yd kann hafdi
undir sik unnit ok lagt. 6 riddari om. yd (von K. nicht ver-
merkt). 36 d hat wahrscheinlich nicht nü (wie K. angibt),
sondern mjgk (geschrieben mt'c). 213, 60 skuld D (von K. nicht
vermerkt). 65 hann D (nicht hans, wie K. behauptet). 214, 19
skuld D (von K. nicht vermerkt). 26 kcerni ('kicemi') D (nicht
kcemiz, wie K. vorgibt). 42 K.'s angäbe, dass D en htm hin-
zufüge (zu B.'s Worten er bdöi var), ist fehlerhaft; D hat en
hun var b<BÖi. 45 mcer add. D (nach K.'s formulierung der
lesart von D erhält man die bestimmte angäbe, dass mcer fehlt).
') Besonders muss ich noch darauf hinweisen, dass die einzelbemer-
kungen welche K. gegen meine ausgäbe gemacht hat, von mir deswegen
durchaus nicht als ganz oder teilweise begründet anerkannt werden, weil
ich hier nichts zu ihrer entgegnung anführe. Wie ich schon am anfang
dieses meines aufsatzes angedeutet habe, fehlte es mir an zeit, den ganzen
stoff durchzunehmen (es ist dies nur mit einem kleinen teil geschehen);
ausserdem würde die erörterung verschiedener einzelfragen in dieser zs.
mehr räum erfordern als ich beanspruchen kann. Ich muss mich hier auf
beispiele beschränken.
*) Einige derartige fehler, die von mir schon oben in einem andern
Zusammenhang vermerkt worden sind, übergehe ich hier.
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CEDERSCHIÖLD
215,4 Hl om. y6 D (nach K: om. yd B).>) 13 borin om. D
(von K. nicht vermerkt). 14 yövart D (von K. nicht vermerkt).
31 % kongs hirö om. D (von K. nicht vermerkt). 36 C hat
nicht, wie K. angibt, nur at purfli, sondern at Purfli at.
39 land D (von K. nicht vermerkt). 216, 16 hvat D (von K.
nicht vermerkt), kempa D (nicht skepna, wie K. behauptet).
17 t\ Ok D (von K. nicht vermerkt). 28 ok add. D (= C;
von K. nicht vermerkt). 31 pat add. D (= C; von K. nicht
vermerkt). 39 sd C (nicht sau, wie K behauptet). 43 fd]
nd D (von K. nicht vermerkt). 257, 51 ok] Hann A (von K.
nicht vermerkt). 258, 1 varö] nü mjok add. A (nicht nur mjok,
wie K. angibt). 10 i sundr add. A (von K. nicht vermerkt).
26 i brottu om. A (von K. nicht vermerkt). 27 segir kann
om. A (von K. nicht vermerkt). 32 Munkbrank A (von K.
nicht vermerkt). 259, 7 sjd] hestinn add. A (von K. nicht ver-
merkt). (18 pd] ok A, aber undeutlich; K. liest peir.) (19 huerr
hvat manna A, aber undeutlich; K. liest hvat manni.) 25 hann
köngrinn A (von K. nicht vermerkt). 26 svd reidr, at A (nicht
svd reidr, svd at, wie es nach K.'s angäbe sein müsste). 34 Nu
tök hann A (von K. nicht vermerkt). 37 pd nött] nöttina A
(von K. nicht vermerkt). 43 Ok einn A (= yd; nicht Einn,
wie K. behauptet). (261, 1 f. K.'s angäbe betreffs der lesart
in A scheint nicht richtig zu sein; statt hinn dr[epa], wie
K. angibt, lese ich: hinum [illt?] gera.) — Dies ist doch eine
nicht ganz kurze liste, besonders wenn es sich nur um ein
zehntel des textes handelt.
Die von K vergessenen Varianten, die ich hier oben auf-
gezählt habe, gehören zwar zu denjenigen welche für mich
keinen wert haben, aber von seinem Standpunkte hätte K.
diese ebensogut anführen sollen, wie er es mit hunderten von
anderen derselben art getan hat. Schlimmer ist schon, wenn er
(wie bei s.209,4. 213,65. 214,26. 42. 45. 215,36. 258,1. 259,26. 43)
den leser durch fehlerhafte oder falsch formulierte mitteilungen
irreleitet; am schlimmsten aber ist der fehler bei s. 216, 16, wo
er behauptet, dass die schlechte lesart in C skepna (übrigens
in C undeutlich geschrieben) auch D angehören solle.
>) Gewiss ein handgreiflicher d nick fehler, aber X. (s. 64 anm. 1) ver-
merkt auch einen solchen (peir statt pier).
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ÜEBEE DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 279
Andrerseits geht K. in seinem eifer bisweilen so weit,
dass er in seiner zusatzliste Varianten aufnimmt, die in meinen
fnssnoten schon angeführt worden waren. So hätte er z. b.
s. 259, 13 nicht zu bemerken brauchen, dass die lesart priksta--
finn in yö vorkommt; das habe ich schon in anm. 7 (zu s.259)
mitgeteilt, und ich bin insofern exacter als K. gewesen, als ich
die Schreibweise in y, welche vielleicht als pikstaßnn gedeutet
werden kann, angegeben habe.
K. sagt (s. 37), er habe umsonst nach bestimmten kritischen
grundsätzen für aufnähme oder verschweigung der einzelnen
Varianten in meiner ausgäbe gesucht Ich bezweifle nun keines-
wegs, dass es anderen nicht an der fähigkeit (oder dem guten
willen) gebricht, meine grundsätze in dieser beziehung zu er-
kennen. Aber besondere aufmerksamkeit verdienen doch teil-
weise die beispiele, mit denen K. seine behauptung be-
legen will.
Da sich, wie bekannt, mit völliger Sicherheit von den
Varianten keine aus wähl treffen lässt und die grenzen immer
einigermassen fliessend bleiben müssen, so scheint es, als ob
K., wenn er seinen lesern die sache mit einigen wenigen bei-
spielen beleuchten wollte, leichtes spiel haben müsste. Aber
wenn K's tendenz auch aus seiner beispielsammlung erhellt
(denn er hält sich am liebsten an die grenzgebiete) und er
auch seine beispiele natürlich durchaus nicht s o gewählt hat,
wie ich oder ein wol wollender beurteiler sie wählen würde,
um meine grundsätze am besten zu beleuchten, so verrät er
doch bei der wähl einiger beispiele eine Unkenntnis des (nor-
wegischen und) isländischen Sprachgebrauchs, die bemerkt
werden muss, da sie sonst irreführen könnte.
Eine so gleichgiltige und unbedeutende abwechslung ganz
gewöhnlicher synonyme wie drla] snemma, haröla] störliga,
hestr] ess hält K. für ebenso wichtig wie z. b. folgendes:
231,64 hat mein textcodex (B) forreÖ; der gebrauch des
verbs forrdöa ist in einer so alten isländischen hs. beson-
ders auffallend (vgl. Fritzners Wörterbuch, Vigfussons Dict);
entweder stammt es aus einem norwegischen archetypus,
oder auch, wenn es als isländisch zu gelten hat (zuerst ge-
braucht von dem Schreiber von B oder sogar von seiner
nächsten vorläge), ist die stelle merkwürdig als ältester beleg
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CEDERSCHIÖLD
für das vorkommen des Wortes im isländischen; jedenfalls lag
mir daran darauf hinzuweisen, dass forred in der hs. C nicht
vorkommt, sondern dass diese hs. das gewöhnliche isl. wort
sveik hat. 232, 53 hat B Bibilant, broÖir yövarr, var ßar
(d.h. i kastalanutn Abilant) inni kestr ok allt hatis folk; inni
leesa bedeutet hier 'cernieren', ein gebrauch des verbs, wie
ich ihn an keiner anderen stelle gefunden habe; und da B
an der entsprechenden stelle vorher (232, 31) luktr hat, d. h.
den ausdruck den man am ehesten auch 232, 53 erwartet hätte,
so dient der hin weis darauf, dass luktr die lesart von 0 an
der letzteren stelle ist, dazu, die autorität der überraschenden
lesart leestr zu schwächen.1)
Auch in anderen fällen ist K. mit seinen beweisen für
meine vermeintliche principienlosigkeit weniger glücklich. Ob-
gleich er (s. 38) erwähnt, dass ich für den abschnitt, wo auch
A zur Verfügung steht (s. 257—60), erheblich reichere Varianten
mitteile [natürlich weil das fragment A das älteste ist, was
vom hss.-material der saga aufbewahrt geblieben ist], so wun-
dert er sich doch kurz vorher (s. 37) darüber, dass ich gerade
auf den genannten Seiten solche Varianten anführe, die ich
sonst tibergehe. — Und wenn es sich darum handelt, ob Ivo-
rius 15 oder 12 Unterkönige hatte und ob das gefolge Bran-
damons aus 300 oder 4000 mann bestand, so dürften das doch
wol Varianten von grösserer bedeutung sein, als bei der frage
darnach, ob Bevers 11 oder 12 ritter angriffen.
K. führt (s. 38) drei stellen in meiner ausgäbe an, wo ich
durch zu grosse knappheit (oder unvollständige formulierung)
in meinem Variantenapparat 4 den arglosen benutzer irreführe'.
Ich bedaure diese irrttimer sehr und brauche zu meiner ent-
schuldigung wol nur anzuführen, dass sich solche irrtümer
leicht einschleichen können. In dem zehntel der zusatzliste
K/s, welches ich soeben untersucht habe, habe ich neun solcher
>) Was den Wechsel von järnvi&jum] järnrekendum betrifft, sei daran
erinnert, dass beide Wörter von besonderem interesse sind — järnviQjar
eigentlich eine katachresis, järnrehendr durch flexion — und dass keines
von diesen beiden worten so allgemein vorkommt, dass der hinweis auf
ihren synonymen gebrauch unnötig erscheinen könnte. Die anführung der
Variante pdlmari von pilagrimr ist offenbar dadurch motiviert, dass pa/mari
weniger in dieser bedeutung vorkommt.
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UEBER DIE AU8GABE DER BEVERS SAGA. 281
fehler nachgewiesen. Lächerlich ist es aber, dass K. betreffs
einer der drei stellen, bei denen er meine nachlässigkeit tadelt,
selbst den nämlichen fehler begeht. Nach meiner angäbe in
anm. 14 zu s. 257 hätten Ayö die Wortfolge: sem sjdlfr vüt pü
hafa; und K. behauptet, dass A/d die Wortfolge haben: sem
pü vilt sjdlfr hafa. Tatsache ist aber, dass wir beide verall-
gemeinert haben: die von mir angegebene Wortfolge gehört
wirklich der alten pergamenths. A an, die von K. angeführte
dagegen den jüngeren papierhss. yd. Sein befremden über
'die bemerkenswerte Wortstellung', welche A hier bietet, mag
K. also selbst verantworten; wenn er das citat aus der Tröju-
mannasaga, welches er in seinem aufsatz s. 117 anführt (svd
miht fe, sem sjdlfr kann WH), verglichen hätte, so wäre sein
befremden vielleicht geringer gewesen.
K.'s listen (s.40— 60) der stellen wo diese oder jene hs.
mit den franz. (bez. engl, oder celt.) texten näher überein-
stimmt^ würden wahrscheinlich bedeutend modificiert werden,
wenn sie einer gründlichen revision unterzogen würden. Schon
oben habe ich darauf hingewiesen, dass K. (trotz seines Vor-
behaltes auf s.60) 4 das schwanken zwischen eigennamen bez.
titeln ... und personalpronominibus der dritten person oder
sonstigen allgemeinen bezeichnungen' oft als beweiskräftig
anführt. Aber der leser findet leicht, dass auch andere ziem-
lich unwesentliche Wechsel zwischen den isl. hss. (abweichungen,
wie sie sich jeder Schreiber in älterer zeit zu erlauben pflegte)
als beweise gelten dürfen; daher wird einem der wert von
bemerkungen wie z. b. auf s. 40 ff. no. 2. 6. 9. 23. 26. 45. 89.
134. 137. 142. 144. 150. 162. 171. 205. 206 recht zweifelhaft.
Völlig verunglückt durften K.'s 'beweise' aber in folgenden
fällen sein.
No. 20 behauptet K., dass die lesart dylja yö dem ccler
des französischen textes besser entspricht als synja B; er hat
übersehen, dass die beiden isl. verben in der hier angewanten
construction (mit object-nebensatz) ganz synonym sind (vgl.
z. b. Fritzner). — No. 25 sagt K. von der lesart in D: hals-
hoggva, sie sei 'eine genaue Übersetzung vom franz. v. 324
decoler; die anderen hss. haben das seltene wort in verschie-
dener weise geändert'. B hat jedoch hgggva, was eine ebenso
'genaue Übersetzung' ist, wie halshgggva, wenn es die hier
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232
CEDERSCHIÖLD
vorkommende construction (blosses personalobject im acc.) hat ;
vgl. Fritzner 2 2, 176. — No. 73. Wenn K. behauptet, dass
draga üt sveröit dem franz. trere le braune besser entspricht
als bregöa stnu sveröi B, so muss er wol (weil er zugleich das
engl, is swerd out take citiert) meinen, dass draga üt besser
als bregöa dem trere (= take out) entspreche. Weiss K. denn
nicht, dass draga üt und bregöa völlig synonym sind? Der
unterschied ist nur der, dass bregöa der allgemeinere und
ältere ausdruck ist. — No. 76. Wenn sich K. vorstellt, dass
pinnar C dem franz. pikes besser entspricht als püur B, so
kommt das wol daher, dass er nur von Vigfussons (unvoll-
ständigen) angaben über ptia kenntnis genommen, aber nicht
bei Fritzner2 oder in J6n Dorkelssons Suppl. 2 nachgesehen
hat; dass er vom gebrauch auf die bedeutung schliessen könne,
wie es diese beiden lexikographen getan haben, wäre wol zu
viel verlangt.
Ob einige der bei K. s. 52—60 vorkommenden bemerkungen
(wie die hier oben von s. 41 und 44 angeführten) von seiner
ungenügenden kenntnis des (norwegisch-) isländischen stammen,
habe ich nicht untersucht.
Ich komme nun zu K.'s versuch (s. 63), zu beweisen, dass
meine ausgäbe für lexikalische zwecke nicht hinreiche ml
sei. ' Der lexikograph', sagt K., 'hat Ursache, sich zu beklagen,
dem der herausgeber u.a. folgende äxag leyofitra oder wenig-
stens sonst selten vorkommende worte in C verschwiegen hat',
und dann folgt eine liste von 12 Wörtern.
Diese behauptung K.'s und sein beweismaterial sind in
hohem grade beachtenswert; es ist wirklich der mühe wert
dieselben zu untersuchen.
Zunächst findet man durch vergleich mit K.'s eigner zusatz-
liste, dass von den 12 Wörtern nicht weniger als 8») gar nicht
der hs. C, sondern vielmehr den papierhss. yd (einer oder
beiden) entnommen sind. Dies ist ja schlimm genug — aber
vielleicht ist in K.'s aufsatz 'in C nur ein druckfehler statt
'in y, 6 oder C?
Und wie verhält es sich mit der grossen Seltenheit der
') einvirbüiga, f'pöurarfr, hjartanliga, nctrkUxbi, smänarligr, ükvän-
gaÖr, capnagangr, veegdarlaws.
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UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA.
283
von IC aufgezählten 12 Wörter? Von vornherein muss man
ja staunen über die ausserordentliche gelehrsarakeit, auf welche
K ansprach machen muss, um eine solche behauptung wagen
zu dürfen. Sonst ist noch kein nordischer philologe im stände
gewesen, eine so positive angäbe zu machen, eine so grosse
anzahl Wörter, welche so jungen prosatexten entnommen, und
ausserdem (so gut wie alle) Zusammensetzungen oder ableitungen
von ganz gewöhnlichen einfachen Wörtern sind, seien 'curag
leyo/jEva oder wenigstens selten vorkommend'.
Zur beurteilung solcher Verhältnisse reichen natürlich, wie
jeder nordische philologe weiss, die Wörterbücher nicht aus;
dieselben sind ja schon in bezug auf die gedruckte literatur
sehr unvollständig und nehmen nur ausnahmsweise auf die
vielen isl. texte rücksicht, welche noch ungedruckt sind;
ebensowenig hat man recht zu behaupten, dass unsere Wörter-
bücher die Wörter des heutigen isländischen aufnehmen, welche
aus alter zeit stammen, obgleich sie zufällig nicht gedruckt
oder geschrieben auftreten.
So eine ganz ausserordentliche kenntnis der gedruckten
und ungedruckten quellen, sowie des heutigen isländischen, die
erforderlich wäre, um die Wörterbücher vervollständigen zu
können — besitzt K wirklich eine solche? 0 nein, er hat es,
wie wir sehen werden, nicht einmal verstanden, von allen an-
gaben der Wörterbücher vollständig kenntnis zu nehmen. Und
er hat eine so geringe erfahrung im gebrauch der Wörter-
bücher, dass er z. b. drottinsvihi und fQÖurarfr als 'selten' an-
führt, obgleich er selbst von beiden sagt, sie seien vorher schon
'viermal belegt'! Diese beiden Wörter sind ja zusammengesetzt
aus wolbekannten bestandteilen, deren bedeutung völlig klar
und ohne Wechsel ist; unter solchen umständen pflegt weder
Fritzner noch Vigfusson mehr als ein paar belegstellen anzu-
führen; wer glaubt, dadurch sei bewiesen, dass das wort in
der literatur nicht öfter vorkomme, der zeigt nur seine eigene
Unwissenheit.1)
Von besonders grossem interesse wäre es, zu erfahren,
welche von diesen Wörtern K. als äxag Xtyoptva betrachtet
») Das wort dröttinsviki kommt z. b. vor F8S. 47, 16. 68, 36 (vgl.
anm. 23).
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284
CEDERSCHIÖLD
hat; nach seinen einleitenden Worten erwartet man, dass die
mehrzahl der Wörter, die er anführt, axag Xtyofjfva sein sollten,
d. h. dass manches von ihnen vorher ganz unbekannt sein solle
und nur an der stelle in hs. C [oder richtiger: (\y,ö] zu treffen
sei, welche er citiert.
Man ist daher erstaunt, zu finden, dass er sich gleich selbst
widerlegt, da er sie offenbar in den Wörterbüchern alle auf-
gefunden hat ausser einem — hjartanliga — welches sich
übrigens nicht in C, sondern in yd findet. Und leider kann
K. auch diesem einzigen nicht das teure recht vindicieren,
äxa§ Xtyofitvov zu sein: Jön porkelsson, Suppl. 2, führt zwei
belegstellen an aus den jähren 1599 und 1601 (also ältere als
yd); derselbe Verfasser hat im Suppl. 3 drei beispiele für das
wort aus neuester zeit; ferner treffen wir das wort an bei
Gislason (dänisch -isländisches Wörterbuch unter hjertelig), bei
Erik Jonsson, sowie sogar bei Vigfusson.
Das wort ükvdngadr scheint K. (zwar nicht als ein cur.
Xty., aber) als ein dlg Xty. hinstellen zu wollen, da er zu ver-
stehen gibt, dass sich das wort ausser in Bev. (yd, nicht C)
nur einmal nachweisen lasse: 'bei Vigf. einmal belegt'. Jedem,
welcher einige isländische sagas gelesen hat, kommt die an-
gäbe, ükvdngadr solle so äusserst selten sein, ohne zweifei sehr
überraschend. Aber weshalb verschweigt K. das wort welches
Vigf. unmittelbar nach der belegstelle hinzufügt: 'passim'?
Wenn K. die sache auch besser beurteilen zu können glaubt,
als Vigf., so hätte er die äusserung Vigfussons doch loyaler-
weise mitteilen müssen. Uebrigens hätte K. das wort bei L.
Larsson, Ordförradet i de älsta isL hss. zweimal aus dem Stock-
holmer Homilienbuch citiert finden können.
Ueber die anderen acht Wörter werde ich mich kürzer
fassen.
hrdöligr, vgl. Erik Jonsson. — einvir&iliga oder einvirdu-
Uga, vgl. Björn Halldörsson, Erik Jonsson, Vigfusson, Isl. aeven-
tyri (Glossar), dürfte 262, 6 {yd) nicht bedeuten 'im einzelnen,
besonders', sondern 'mit fleiss, genau' (= vandliga B); vgl.
übrigens innviröiliga (-Ötil-). — hreystiverk, vgl. Björn Halldörss..
Erik Jonsson. — nasrkldedi (yd) ist wahrscheinlich eine corruptel
der vorläge (vgl. var kkedi BC); oder hält es K. für wahrschein-
lich, dass Bevers dem gesanten der prinzessin seine unter-
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UKBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA.
285
kleider geben und dieser sie dann (vgl. 221, 3— 5) der Prin-
zessin vorzeigen würde? NcerkkeÖi ist übrigens nicht 'nur bei
B.Halldörss. erwähnt', vgl. Erik Jonsson; Jon!)orkelsson,Suppl.3.
— skadligr, vgl. Björn Halldörs., Erik Jonsson; vgl. auch ska-
Öaligr. — smdnarligr (yd), vgl. Jon porkelsson, Suppl. 2 (zwei-
mal vom jähre 1599 belegt). Suppl. 3. — väpnagangr (yd);
ausserdem zweimal belegt bei Fritzner2; vgl. auch FSS. 188, 1 ;
K.'s Übersetzung 'waff engeklirr ' dürfte kaum richtig sein, eher
wörtlich: ' Waffenbewegung'. — vcegöarlauss (yd) kann nicht
gut 'selten' genannt werden: es wird, um von Egilssons poeti-
schen beispielen zu geschweigen, bei Fritzner5 und Vigt als
adj. vier- (oder fünf-) mal belegt, und ausserdem wenigstens
viermal im neutr. als adv.
Auf wie nichtige gründe K. seine Behauptungen von dem
vermeintlichen verlust des lexikographen gebaut hat, wird
durch das vorstehende einigermassen dargetan sein.
Etwas unklar ist K/s Standpunkt, wenn er (s. 63 f.) mich
deshalb tadelt, dass ich an vier stellen wo B 'merkwürdige
satzfügungen' bietet, nicht die entsprechenden lesarten aus C
oder yö vorgelegt habe, die in grammatischer (syntaktischer)
hinsieht ganz regelmässig sind. Nach dem was K. an andrer
stelle (s. 106) über eine dieser stellen (s. 248, 34 f.) äussert —
'die ganz unmögliche satzconstruetion' — scheint er mit 'merk-
würdigen satzfügungen' solche zu meinen, die nur von lapsus
calami herrühren und also hätten corrigiert werden müssen.
Diese 'merkwürdigen satzfügungen' sind folgender art:
S. 214, 13. Der nachsatz wird mit oh (statt pd) eingeleitet;
s. 73 scheint K. diesen gebrauch des oh schon etwas weniger
'merkwürdig' zu finden.1)
S. 265, 40. Anakoluthie: nach dem conjunctionalsatze steht
im hauptsatze das verbum nach dem subject.
S. 248, 34 f. Unvermittelter Wechsel der subjecte in drei
aufeinander folgenden Sätzen (A — B — A); honum — kann — ho-
num bezeichnen dabei dieselbe person.
S. 256, 49 f. Partitive apposition; vgl. K. s. 116.
K. hätte in demselben Zusammenhang s. 216, 39 erwähnen
') Eine gute beispielsamiulung für diesen Sprachgebrauch findet sich
bei Fritzner 2», 886.
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286
CEDERSCTIIÖLD
können, wo die lesart in B eine etwas ungenaue anwendung
des pronomens ]>eir enthält, das hier nicht alle die vorher-
genannten (ritter) bezeichnet, sondern gleichbedeutend ist mit
peir IUI, er eptir UfÖu CD. Die lesart in B nennt K. s. 42,
no. 20 'sinnlos'.
Dass solche lesarten keineswegs unbedingt corruptelen in
B zuzuschreiben sind, hätte K. z. b. aus s. 216, 32 f. ersehen
können: hier hat nicht nur B, sondern auch C und D Jtessir
ßMr menn — 'vier von diesen männern'. Auch diese stelle
nennt K. (s. 75) 'ganz unverständlich'.
K. hat offenbar nicht genügend bedacht, dass der altislän-
dische prosastil nicht an der modernen, schulgerechten, logischen
und correcten ausdrucksweise gemessen werden darf, sondern
dass er sich eng an die freie und ungezwungene, ja zuweilen
nachlässige Umgangssprache anschliesst. ») Wenn von zwei hss.
mit gleichem text die eine den logisch correcteren ausdruck
hat, so darf man sie doch nicht eo ipso für die ursprüng-
lichere halten.
Was besonders die fälle von incongruenz (partitive appo-
sition u.dgl.) betrifft, welche in den von K. getadelten fällen
vorkommen, so kann man vergleichen: Lund, Oldn. ordf. § 59
anm. 3. Holthausen, Altisl. elementarbuch § 396 a; verschiedene
beispiele in den artikeln flestr und sumr bei Fritzner2. Einige
interessante altschwedische beispiele eines solchen Sprach-
gebrauchs habe ich aus der ältesten reimchronik ('Erikskrö-
nikan') v. 1651. 1682. 2345. 3216. 4168 verzeichnet.
S. 64 anm. bringt K. fünf besserungen eines aus hs. C in
meiner ausgäbe abgedruckten Stückes.1) Von diesen ist peir
(für pier) ein correcturfehler, welcher kaum jemand irreführen
kann; giorazt ist dagegen durchaus nicht aus 'versehen' für
gerazt geschrieben worden: C hat hier </W, und ich habe die
Verkürzung nach der Schreibweise der hs. in unverkürzten
formen des verbs aufgelöst. Die behauptung K.'s, C hätte
s.219,9 (Ok) svo sem statt (Ok) seni, habe ich bei erneuter
Prüfung der stelle in der hs. nicht richtig befinden können.
') Vgl. Lund, Oldnord. ordfojningsltere § 187. Holthausen, Altisl. ele-
mentarbuch § 514.
*) 'Die wenigen in abschnitt I gesperrt gedruckten besserungen von
welchen K. in derselben anmerkung spricht, habe ich nicht geprüft
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UEBEB DIE AUSGABE DEB BEVEBS SAGA . 287
Dagegea will ich die möglichkeit nicht in abrede stellen,
dass z. 34 über der zeile geschrieben stellen kann, auch nicht
die richtigkeit bestreiten, dass z. 40 reid* (flicht reid) aus-
geschrieben ist; aber K. hätte hinzufügen sollen, dass £Ä —
wenn es wirklich so dasteht — schmal wie ein strich ist, so
dass man die bedeutung aus dem zusamuienhaug errateu muss,
sowie dass das r in reidn fast ganz abgenutzt ist.
Man sieht, dass K. auch in solchen kleinigkeiten die feind-
liche tendenz verrät, auf deren Vorhandensein in wichtigeren
fragen ich hingewiesen habe und welche — nebst zahlreicheu
irrtümern — seinen sonst in mehrfacher hinsieht lehrreichen
aufsatz veranstaltet.
GÖTEBORG, januar 1897. G. CEDERSCHIÖLD.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
L
Zum ah laut der sei - wurzeln.
Das ziel und die aufgäbe jeder Wissenschaft muss es sein,
Ordnung in die fülle der erscheinungen zu bringen. Dies kann
nur geschehen mit hilfe von hypothesen, deren wert nach dem
umfang dessen zu bemessen ist, was sie ordnen und was sie
erklären. Das hauptproblem, das sich jetzt der indogermani-
schen Sprachwissenschaft bietet, ist die darlegung und erklärung
des ablauts, und man kann wol behaupten, dass wir in diesem
punkte wider in einer neuen zeit stehen. Auf die epoche, in
der das ablautssystem verhältnismässig sehr einfach angesetzt
wurde, ist eine reaction gefolgt, deren berechtigung nicht zu
verkennen ist. Denn es stellten sich immer mehr tatsachen
ein, die sich nicht in das alte einfache Schema einfügen Hessen,
und so hat man sich in der letzten zeit auf die feststellung
der vorhandenen ablautsformen beschränkt und dabei auf jede
hypothese verzichtet. Als typisches beispiel für diese art kann
Noreens Urgermanische lautlehre gelten, deren grundgedanken
im wesentlichen auch Brugmann in der neuen bearbeitung
seines grundrisses gefolgt ist. Die ungeahnte erweiterung
unserer erkenntnis aber, die wir mit dem Verständnis der
litauisch -sla vischen accentqualitäten und mit der aufhellung
der dehnstufe gewonnen haben, ermöglicht es, auch in der lehre
vom ablaut weiterzukommen.
Ich habe meine anschauungen über diese dinge IF. 7, 138 ff.
185 ff. niedergelegt, und habe bisher keinen punkt gefunden,
der mich veranlassen könnte, von dem dort gesagten abzugehen.
Das dort ausgeführte ist indessen nur ein kurzer abriss, bei
dem ich das material nur in mässigem umfange anführen konnte,
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 289
und daher will ich es versuchen, nunmehr auf dem boden der
einzelsprache vorzugehen , um hier neue beispiele anzuführen,
alt« in neue beleuchtung zu rücken. Es handelt sich hier in
erster linie um die altindischen udätta- oder set- (sait-) wurzeln,
die man auch kurz die zweisilbigen zu nennen pflegt, ein aus-
druck der aber besser zu vermeiden ist, da er zu misverständ-
nissen führt.
Zum weiteren Verständnis widerhole ich hier kurz die
grundgedanken meiner auffassung, deren begründung ich in
jenem artikel nachzulesen bitte.
Es gibt im indischen zahlreiche wurzeln, die hinter der
Wurzelsilbe ein i — indog. a aufweisen. Da aber Hübschmann
in seinem Indog. vocalsystem schon vor jähren nachgewiesen
lat, dass indog. a nur die Schwundstufe eines langen vocals
st (wovon auch trotz Bartholomae, BB. 17, 108 ff., nicht abzu-
gehen ist), so müssen wir für die vollstufen der lautgruppen
T9, eh, cmd, end, efc, eus (ai. ari, ami u.s.w.) notwendig erü*,
la* u.s.w. ansetzen. Von diesen beiden silben musste not-
vendig eine immer reduciert werden. Lag der ton auf
ler ersten, so trat als erste vollstufe en, eh, emd, er&, ejp, exp
in; als zweite erscheint {eyrä*, {e)U* u.s.w., wobei das e einen
emurmelten oder tonlosen vocal bezeichnet, der zum teil steht,
um teil fehlt, was sich zweifellos nach betonungsverhältnissen
ichtete. Beide vollstufen sind auch im germanischen vor-
anden, wobei zu bemerken ist, dass das 9 der ersten unter
nbekannten bedingungen auch fehlt.
Als Schwundstufe solcher set -wurzeln setzt man bisher
l, m, n, x, ü an. A.a.o. habe ich mich gegen die vier ersten
)rmen erklärt, und an deren stelle mit Joh. Schmidt erd, eh,
m, ena erschlossen, die im germanischen als ur, ul, um, un
iftreten.
Aber auch hier gibt es eine zweite Schwundstufe. Wie
Imlich in der lautgruppe erdx das « stehen und fehlen kann,
• ist es auch mit ctq u. s. w. der fall, neben denen sich rd, h,
9, ns, jp, u9 finden, wenn auch nicht allzuhäufig. Diese zweite
h wundstufe, die im germanischen als ra, la u. s. w. erscheinen
üsste, ist bisher schwach belegt. A.a.O. habe ich angeführt
hd. krage zu lit. gürkli (acc.), s.grlo, gr. ßtßQcooxco, ahd. chranuh
It.-.tr lK.> «ur g«*cliiol)t« der deutschen apraobe. XXIII. 19
200
Hirt
zu gr. y^Qavog, lit. gerve, mhd. swach zu got. siuks. Unten werde
ich weitere fälle geben.
Wie man in früheren Zeiten bei etymologien die vocale
nicht genügend beachtete, so fehlt bis zum heutigen tag eine
genügende Sorgfalt in der vergleichung ein- und zweisilbiger
wurzeln. Auf grund von Osthoffs ansatz einer nebentonigen
tiefstufe (MTJ. 4) hält man sich für berechtigt, worte mit i und i,
m und a ohne weiteres zu vergleichen.
Statt dessen sollen uns hier folgende principien leiten.
Anit- und set -wurzeln müssen auf das genaueste unterschieden
werden, i und ü, die sogenannten f , l, m, y sind nur Schwund-
stufen der seV wurzeln, ?, u, f, l, w, n dagegen gehören zu
anit-wurzeln. Allerdings wechseln auch t und ti mit f und ff,
aber doch nur so, dass t und u weitere, in enklitischer Stellung
entstandene ablautsformen sind (neben Mutes steht ein teo-
xXvtog).
Es kommt nun vor allem darauf an, die mittel zu kennen,
die es uns ermöglichen, die seV wurzeln genau festzulegen.
Dazu dient das indische mit seinem -i, das lit.-slavische mit
seinem stosston (bernas zu ai. bhariman, gerti, gurkli zu gr.
ßtßQojoxco), das griechische und lateinische, wo der zweite
vocal erhalten ist. Ebenso wird eine set-wurzel erwiesen,
wenn sich die stufe II plax, tra* (gr. ßtßgcboxco u.s.w.) findet.
Auf grund dieser Voraussetzungen bitte ich das folgende
zu prüfen.
A. Die zweite vollstufe trä, ptä.
Ich werde im folgenden das alte material sowie eine reihe
neuer etymologien zusammenstellen. Im indischen lauten fast
alle set-wurzeln vocalisch aus. In den europäischen sprachen
finden wir dagegen häufig Weiterbildungen mit consonantischen
dementen, die man als wurzeldeterminative bezeichnet hat.
Ich bin der ansieht, dass es sich hier um suffixale Weiter-
bildungen handelt, und werde versuchen, dies im einzelnen falle
zu begründen, soweit es mir möglich ist.
Got. knü])s f. 'geschlecht', ahd. chnuat, ags. cnösl, as. knösaJ,
ahd. chnuosal enthalten die stufe knö, die die zweite vollstufe
ist zu der indog. wurzel gene, genö. Vgl. ai. aor. djani -shta
/
t
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 291
V.,1) fut.jani-shydtiV., verb. jani-tös V. B. S., \>&rt. jd-tds, jflä-
tish 'verwanter' (dieses entspricht dem germanischen worte
ganz genau), gr. i-ytvo-fiijv, ytvixcoQ, lat. geni-tor, gr. yvrjoiog,
yvmxoq,, lat. nätus und nätio enthalten die Schwundstufe -enz,
got. -kunds, himinahunds u.s.w. Schwierig ist das s von knuo-
sal. Uhlenbeck (Et. wb.) deutet es aus *knöt-tlom. Das ist
aber unmöglich, denn -Üo- ist doch kein secundärsuffix, und es
ist daher suffix -sla- anzusetzen, vgl. gotpreihsl, hunsl.
Ahd. rvodar aus *rötrom gehört zu aL ari-tram, gr. tytooco,
kQ£-x(i6$, lat. remus. Schwundstufe in lit. irti, irklas 'rüder*.
Got. dröbjan 'aufruhr erregen', ahd. truobi gehört zu gr.
Trtpa/jJ 'Verwirrung' (oqcc = indog. erd), &Qäo6a> 'beunruhige',
lit. dirkstu, dirkti (dirgau) 'von mechanismen, in Unordnung
geraten', lit. dergia, derkti 'schlecht wetter sein, stürmend regnen'.
Der Wechsel von gh und bh ist häufig im wurzelauslaut, vgl.
die reiche beispielsammlung bei Zupitza, Die germ. gutturale
s. 35 ff. In unserem falle wird man für das germanische von
einem *dhrö-b)iä-, einem verbalabstractum mit dem suffix -bh-
ausgehen dürfen (vgl. lit. ddrbas 'arbeit' zu daryti 'tun', garte
'ehre' zu giriu 'loben'), während für das griechisch -litauische
ein suffix -ghü- zu gründe liegt, vgl. lit. iszeiga 'ausgang' iL s.w.
(Leskien, Nominalbildung s. 523).
Got. gredus 'hunger' stellt Uhlenbeck (Et.wb.) zu lit. gardüs
'würzig, wolschmeckend', ai. gfdhyati 'ist gierig'. Da ai. gfdh
eine leichte wurzel ist, und das litauische wort schleifton hat,
so geht das schwerlich an, jedenfalls für den nicht, der auf
eine etwas strengere beobachtung der ablautsverhältnisse hält.
Man wird zunächst gre-dus teilen und darin ein altes te-abstrac-
tum sehen. In gre- aber steckt die zweite vollstufe zu der
indog. wurzel *yhere 'verlangen, begehren', die vorliegt in ai.
hary-ate 'gefallen finden, befriedigt werden', gr. x<*Iq(*> 'sich
freuen', aor. xaQrtpai (x«QTj- ist die nebenform zu gre), umbr.
heriest, osk. hercst 'er wird wollen', got. gairnei 'begehr', gatrnjan
'begehren'. Die wurzel ist eigentlich eine ei- wurzel, die ich
demnächst ausführlich besprechen werde (abulg. ilüdeti 'be-
gehren' hat gar nichts mit unserm wort zu tun). Man beachte
übrigens die bedeutungsübereinstimmung zwischen italisch und
•) Die citate für die indischen texte sind nach der in Whitneys Wur-
zeln angewanten weise abgekuret.
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292
HIRT
germanisch. Der griechisch-indische begriff des 'wolgefallens'
ist hier zu dem des 'begehrens' weiter entwickelt.
Got. hrö-peigs 'ruhmreich, siegreich' zeigt den stamm hrö,
der zu ai. k? 'gedenken, erwähnen' (aor. akarisham RY., kirtish
V.) in regelrechtem ablautsverhältnis steht Zu gründe liegt
ein ti - abstractum, an. hröör, ahd. hruod- tu Ii m". ablaut zu aL
kirtish. Ahd. hruom ist mit suffix -mo weitergebildet (got.
hröPeigs mit E. Schröder, Zs. fda. 42, 68 zu got. hardus zu stellen,
kann ich mich nicht entschliessen).
Got. höpan 'prahlen, sich rühmen', höftuli 'prahlerei, rüh-
men' bezeichnet Uhlenbeck als unerklärt hö lässt auf eine
sch wundstufe kü schliessen, die ich in gr. xvöog n. 'rühm, ehre
u.s.w.' belegt sehe. Was die verschiedenen schließenden con-
sonanten betrifft, so bemerke ich, dass wir es, da alle diese
schweren zweisilbigen wurzeln eigentlich vocaüsch auslauten,
mit verschiedenen antretenden formativen dementen zu tun
haben, p erscheint noch in hröpjan, wöpjan, hlaupan u. a. und
ist hier unerklärt. Ich möchte trotz Zupitza an eine herleitung
aus indog. gv denken. Die erste vollstufe liegt nicht vor.
Got. höta 'drohung', hötjan 'drohen' wird mit got. gahatjan
'wetzen, anreizen' verbunden. Doch ist mir dies zweifelhaft.
Als Schwundstufe stelle ich dazu gr. xvdaQco 'schmähen, be-
schimpfen'.
Zu got slepan 'schlafen' gehört ahd. slaf 'schlaff, träge,
kraftlos', und dies verbindet man mit recht mit abulg. slabü
'schlaff, schwach' aus *slöbos. Dass aber lat. labt 'gleiten'
hierher gehört, ist mir sehr zweifelhaft. Schon die bedeutung
scheint mir nicht sehr gut zu stimmen. Das wesentliche
hindernis liegt aber im ablaut. Denn ich kann mich nicht
von der existenz eines alten ablautes e — ä überzeugen. Wir
lassen das lat. wort daher besser aus dem spiel. Dagegen
kann man ste pan als zweite vollstufe zu lit. silpstu, silpti
'kraftlos werden' betrachten. Das lit. p ist wol durch annähme
von entgleisung zu erklären.
Got. snörjö 'flechtwerk, korb' gehört zu ai. snävan, snäyush
'band, sehne'. Weiter gehört aber ahd. sena-wa 'sehne' als
erste vollstufe hierher,1) und schliesslich auch wol neplu u.s.w.
[') Aber ags. sinu, obl. sin irr weist auf indog. t bin: die gewöhnliche
annähme, genn. e gehe vor n ags. in i über, ist falsch. E. 8.]
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 293
Gotpröpjan 'üben', uspröpjan 'jemanden gründlich unter-
weisen', usfiröpeins 'Übung' ist nach Uhlenbeck unerklärt
Das verbum ist secundär, wir kämen also auf *Pröp-, eine
f-ableitung der wurzel prö. Eine solche liegt vor im ai. tf
übersetzen, überschreiten'. Sie war schwer: tirnds \n aor.
arishat V. B. S. ils.w. Im griechischen hängt damit xQrj-ua
bohrung', xixqcud 'bohren' zusammen. Ferner: xIqbxqov 'hoh-
er'. Ich glaube, daraus lässt sich die germanische bedeutung
erstehen, indem man von dem 'durchdringen' ausgeht. Im
law entspricht formell tratiti 'verbrauchen' ganz genau, und
uch hier ist die abweichende bedeutung zu begreifen, wenn
lan an unser 'aufreiben' denkt
Got tcröhjan 'anschuldigen, anklagen', wröhs 'anklage' ist
nerklärt. Sämmtliche übrigen germanischen dialekte weisen
auf, vgl. an. reegja 'verleumden', ags. wregan, afries. wrögja,
3. wrögian, ahd. mögen, so dass vielleicht die Vermutung nicht
bzu weisen ist, das got. h sei secundär. Dann aber würde
ch ungesucht zur vergleichung got. wargipa 'Verdammnis',
args 'geächteter Verbrecher' bieten. Aus dem lit gehört
ierher vir gas 'sklave', während vor gas 'not, elend' vielleicht
ltlehnt ist. Ist aber das h alt, so dürfen wir ein altes *wröka
»•aussetzen, das zu gr. /qt] in fQrjxcoo 'redner' u.s.w. ge-
>ren könnte. Vgl. die bedeutungsentwicklung unseres 'zeihen',
iffix -ha wie in gr. foj-xif. Zu indog. *ure kann übrigens
»t. waürd, lat. verbum, lit. vardas nicht unmittelbar gehören.
Ahd. dräjan 'drehen', an. praör 'faden' gehört zu gr.
yxog, xiQSfivov 'bohrer', air. tarathar s. o.
Ahd. grät 'gräte, hervorstehende spitze an ähren, disteln,
ebenheit^ rückgrat, bergrücken' gehört wol zu gr. %aQoaom
>itze, kerbe, scheide ein', lit iirkles 'schere, krebsschere'. Die
irzel hat verschiedene erweiterungen.
In ags. hröf 'dach des hauses, spitze, cacumen', engl, roof
ich, decke' stellt hrö vermutlich die zweite vollstufe dar zu
xtQctg, ai. giras, lat. cerebrum. Dazu auch wol as. hröst
chgesperre'. ags. hröst, vielleicht auch got hröt 'dach'.
Ags. hrör 'rührig, lebendig', ahd. ruora 'bewegung, er-
ging', hrörjan, ruoren 'rühren, in bewegung setzen, antreiben'
bis jetzt unaufgeklärt. Denn die Verbindung mit got.
sjan 'schütteln', die Kluge annimmt, scheint mir mehr als
204
HIRT
zweifelhaft. Die stufe hrö ist m. e. deutlich die zweite voll-
stufe zu gr. xiQa-fiai, xtQavvvfii ' mische* aus xeQaa-vvfit, das
weiter in ai. frindti 'mischen', frfl 'kochen, braten', part. ^raids
u. s. w. vorliegt. Ahd. hruorjan ist wol aus Virösjan entstanden
(s. besonders auch Bugge, Norges indskrifter med de aeldre runer
s. 98), wobei das s mit dem ö von gr. xeQavvvfii zu ver-
gleichen ist.
Ahd. hrtioh 'krähe, häher', ags. hröc hängt mit gr. xopag
u.s.w. zusammen, vgl. unten rabe.
Ahd. chrön 'garrulus', chrönnan 'garrTre, plaudern, schwa-
tzen', stellt sich zu ahd. queran und weiter zu ai. gr 'singen',
gj-ndti V., -garitjr B. S., lit. girti.
Ahd. muodi habe ich Beitr. 22, 229 mit gr. xdfiatog ver-
glichen: eine Vermutung, die übrigens auch früher schon geäussert
ist. Die zweisilbige wurzel ist sicher.
Ahd. gräo, gräwes, ags. gr&g, aisl. grär 'grau' führt auf
einen urgermanischen stamm grewa, dessen erklärung noch
aussteht, Wir dürfen ohne bedenken gre-wa trennen, und dieses
gre gehört zu einer wurzel, die in gr. x^Qojtog 'strahläugig',
lit. iereti 'strahlen', abulg. stritt 'glänzen, sehen' vorliegt. Die
bedeutung dürfte sich aus der natur der dinge erklären. Auch
wir sprechen von 'grauem' haar dann, wenn sich weisse glän-
zende haare einmischen. Das suffix ist das bekannte farben-
suffix -J<0.
Mhd. vluor mit seinen entsprechungen im germ. stellt sich
zunächst zu air. lär 'estrich'; weiter zu &\)T. phnis 'tenne', lit.
plotias 'flach', lat. plämis. Als erste vollstufe ist dazu zu
rechnen gr. xiXavoq, xiXayoq und vielleicht ahd. feld n. 'feld,
boden, fläche, ebene'.
Ahd. bratan 'braten', bräto 'weiches essbares fleisch' ver-
bindet Kluge, Et. wb.5 mit gr. jtQti&m 'verbrennen', wogegen
sich aber bedenken erheben. xqi?&<d müsste nämlich aus
*(FQa{ra>, *bhrC'dhö entstanden sein, was unmöglich ist, da
xQtjfrco nicht von xlfjjiQtjfu getrennt werden kann. Ich brauche
also nicht auseinanderzusetzen, dass die bedeutungen eigentlich
nicht stimmen und schwerlich zu vermitteln sind. Man muss
daher eine andere anknüpfung suchen. Als altertümlichste form
dieser sippe scheint mir ahd. brät n. 'weisses essbares fleisch',
ags. brcßd f., an. braö angesehen werden zu müssen, und dies
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GRAMMATISCH KS UND ETYMOLOGI8CHE8. 205
sieht dann offenbar wie eine /-ableitung einer wurzel *bre
aus. Da wir aber germ. *bre auf *mre zurückführen können,
so halte ich *mre für die zweite vollstufenform zu ahd. marawi,
muruwi, das längst mit gr. fiaQalvm zusammengestellt ist, vgl.
unten s. 299. /jaQali-co heisst 'das brennende auslöschen, er-
sticken, von krankheiten ausdörren, aufreiben, verzehren, ver-
nichten', sozusagen also 'mürbe machen', was auch braten be-
deuten müsste.
Ahd. bläo, gen. bläwes 'blau' wird gewöhnlich mit lat. flävus
'blond, gelb' verbunden, indem man annimmt, dass es wie so
viele farbennamen seine bedeutung geändert habe. Ein solcher
Wechsel kommt gewiss vor, sogar ziemlich häufig, aber immer-
hin hält er sich innerhalb gewisser grenzen. Die bedeutungen
'grün und gelb', 'schwarz und blau', 'rot und schwarz' gehen
wol in einander über, aber zwischen 'blond', 'gelb' und 'blau'
liegt eine kluft, die nicht so leicht zu überbrücken ist. Geht
man näher auf das lateinische wort ein, so wird man es
schwerlich von helvus 'gelb' und fulvus trennen können. Es
ist hier nicht der ort diese ausdrücke zu behandein. Ich be-
merke nur, dass es zwei indog. wurzeln ghel und ghvel gibt
mit ähnlicher bedeutung, und zu diesem gehört auch lat. flävus.
Aber auch davon abgesehen ist die Übereinstimmung zwischen
lat. flävus und ahd. bläo gar nicht vollständig. Denn letzteres
geht doch auf *blewa zurück, und lat. flävus muss auf *flävo
oder *feteuo zurückgeführt werden. Ersteres halte ich für aus-
geschlossen, da ein alter ablaut e— a nicht existiert, letzteres
wäre möglich. Aber es bietet sich jetzt auch ein anderer
weg, das germanische wort seiner bedeutung mehr entsprechend
zu erklären, indem man in ble ein indog. mle sieht (über diesen
lautübergang s. u.), und das wort mit gr. piXag 'schwarz' ver-
gleicht Vgl. unten blak. Die entsprechung des griechischen
Wortes im preuss., meine, bedeutet 'blauer flecken'. Lit tnelynas
'blau', meline 'blauer flecken', gehört auch hierher, so dass
also die bedeutung tadellos erklärt ist.
Ahd. wät f. 'kleidung, rüstung' gehört zu lit. dudmi, dusti
'weben' aus dudd. Zu diesem ansatz stimmt nun die 'avestische
wurzel vad% 'sich kleiden' nicht, von der Kluge in allen auf-
lagen des Et. wb. das germanische wort ableitet. Diese wurzel
vad existiert aber gar nicht. Bei Spiegel, Vergl. gramm. der
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HIRT
alt iranischen sprachen 8. 127 heisst es: 'streichen möchte ich
2.vad, kleiden, das Justi für fravadhemna (Yast 5, 126) an-
genommen und mit skr. va4, vdntfate zweifelnd verglichen hat ;
ich lese an der genannten stelle fravaedhemna und betrachte
es als causativum von vid, ebenso Harlez.' Um ganz sicher
zu gehen, wante ich mich um auskunft an dr. W. Foy, der mir
die richtigkeit der vorstehenden ausführung völlig bestätigte.
'An der einzigen stelle, wo nach Justi eine wz. vad » kleiden <
vorliegen soll, Yast 5, 126, ist mit den besten handschriften
(F 1, Pt 1, E 1) fravaßödmna zu lesen, während nur ganz flüch-
tige fravathmana haben, fravaeödtnna fem. »die kündiget, wie
sonst vaeöwnna, auf Ardvl Sflra Anaiii t a bezüglich.' Germ, wät
und Iii. dudmi stehen in ganz regelrechtem ablautsverhältnis.
Got. tcökrs 'zunähme, gewinn, wucher' ist die zweite voll-
stufe zu got. wahsjan, aukan, lit. dugu. Im ablaut entspricht
genau aL vdjas m. 'kraft'.
Ags. wröt 'rüssel', ahd. *ruozil, ags. wrötan 'wühlen, auf-
wühlen', ahd. ruosjan 'aufwühlen, der pflüg, die erde', lässt
eine vorgerm. wurzel ura*d erschliessen. Den Zusammenhang
mit 'wurzel1 bezeichnet Kluge im Et. wb. s. v. als unwahrschein-
lich. Da indessen dieses wegen lat. radix eine set- wurzel
voraussetzt, deren zweite stufe uröd wäre, so ist die morpho-
logische Übereinstimmung tadellos. Und auch die bedeutungs-
vermittlung bereitet keine Schwierigkeiten, wenn man an unser
zinken oder hakennase denkt. Auch unser haken, ahd. hake
'haken' (aus häkke) gehört wol zu lit. szaknts 'wurzel'.
Got. wöds 'besessen, wütend', ahd. wuot (germ. st. *wödi )
'wut, raserei' verbindet man mit lat. vates 'gottbegeisterter
sänger', air. fdith 'dichter'. Wegen ags. wöö (germ. st. *wößa-)
'stimme, gesang', an. öör 'poesie, gesang', wird sich die bedeu-
tung 'wut' erst aus der von 'religiöser raserei' entwickelt
haben. Uhlenbeck stellt das wort zu avest aipi-vat, ai. api-vat
'geistig anregen, verstehen', ebenso Kluge. Dagegen erheben
sich aber verschiedene bedenken. Zunächst ist ai. vat eine
leichte wurzel. Wegen lat vates haben wir es aber mit altem
a zu tun, wir müssten also im indischen ein *w< finden.
Darüber komme ich nicht hinweg. Auch die bedeutung macht
Schwierigkeiten, vat kommt nur in der Verbindung mit api vor
und bedeutet 'geistig empfangen' als caus. 'geistig einflössen',
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 297
'anregen, beleben'. Die grundbedeutung von vat kennen wir
also gar nicht. Denn so wenig wir aus deutsch 'verstehen'
ein simplex 'stehen' mit einer geistigen bedeutung erschliessen
können, so wenig dürfen wir das für das indische. Und wie
soll man von der bedeutung 'geistig empfangen' zu der euro-
päischen kommen? Diese vergleichung ist also jedenfalls auf-
zugeben. Und das würde auch nichts schaden, selbst wenn
wir keine andere erklärung aufstellen könnten. Das folgende
möchte ich mit aller reserve vortragen. Wir haben im indi-
schen eine wurzel, zu der das germanische wort in der bedeu-
tung ganz genau stimmt, das ist aLAvä, ha 'rufen'. Ein *hvütas,
das im indischen allerdings nicht belegt ist (dafür hatds) würde
dem germanischen *w6pa- genau entsprechen, da im germ. ghu
zu w wird. Dann müssten wir aber lat. vätes, air. fdith vom
germanischen trennen, wegen lit. iveris, lat. ferus, wozu man
sich schwer entschliessen wird. Möglich wäre es ja, dass man
für das lat. und kelt noch einmal besondere bedingungen fände,
nach denen sich der schwund des gh erklären Hesse, aber eher
wird man annehmen dürfen, dass im germanischen zwei wur-
zeln zusammengefallen sind.
Ags. hlöwan, ahd. hlöjan 'brüllen' gehört zu gr. xixXrjoxa),
xi-xXtj-fiat, lat. clämo, und weiter zu gr. xaUm, lat. calendae,
w. kalä*, ahd. halön.
Nhd. sprühen, ahd. *sprucjen, dazu spreu, gehört zu lat.
sprevi, gr. ojisiqco, toxaQTjv, lit, spirti, spiriü 'mit dem fuss
stossen'.
Got. jcr, abulg. järü 'frühling' mag mit aj^er in av. ayare
'tag', gr. aQiöTov {dj(Qioxov) 'frühstück', got. air zusammen-
gehören.
Dies sind die beispiele die ich mir gelegentlich notiert habe.
Dass bei angestrengtem suchen noch zahlreiche andere zu
finden sind, das scheint mir zweifellos zu sein. Diese werden
vorläufig genügen.
B. Die erste Schwundstufe era, eh u.s.w. (f, T).
Streitberg hat IF. 6, 141 zu zeigen versucht, dass die indog.
sogenannten kurzen und langen silbischen nasale und liquidae
im germanischen unterschiedslos zusammengefallen seien. Wenn-
gleich ich von der richtigkeit dieses satzes zweifellos überzeugt
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HI KT
bin und IF. 7, 193 ff. auch den grund angegeben habe, weshalb
die sache so sein muss, so hat ihn doch Brugmann in der neuen
aufläge seines Grundrisses nicht angenommen. Er hält viel-
mehr ar, al, am, an für die regelrechten Vertreter der im titel
angeführten lautgruppe, und lässt daneben 'vielleicht ' ur, ul,
um, un als entsprechungen zu. Da Streitberg nur ein paar
beispiele herausgegriffen hat, so ist er selber daran schuld,
wenn ihm Brugmann nicht glaubt. Im folgenden werde ich
das zur beleuchtung der frage dienende material anführen,
das ich gesammelt habe, und dann auf die von Brugmann an-
geführten beispiele eingehen.
1. Indog. trd (f) liegt vor in got, kaum, lat gränum, lit.
zirnis, serb. zrno.
Got. waürts, lat. rädic. Mit gr. (mdauvoq 'schoss' kann
got. waürts nicht verglichen werden, da <w* hier gleich indog.
rd ist, wie in vielen anderen fällen. Jedenfalls würden, wollte
man sie doch zusammenstellen, zwei verschiedene formen der
Schwundstufe vorliegen. Als zweite vollstufe gehört wahr-
scheinlich ags. wröt 'rüssel' (oben s.296) hierher.
Got. haürds 'tür', ahd. hurt ' flechtwerk ', lat. crätcs. Gr.
xctQraXoQ 'korb' liegt in der bedeutung schon ferner, während
haürds und crates sogar in der flexion stimmen. Als vollstufe
könnte man got. hröt 'dach' dazustellen, für das aber auch
andere deutungen möglich sind.
Got. gataurps, ahd. zorn, ai. vi-dirnas 'geborsten, gespalten',
lit. dürti 'in etwas stechen';
ahd. hornaz, lat. cräbro, lit. sztrszlius (acc. plur.), serb.
srsljen;
ahd. soraga f. zu lit. sergiu, sergmi 'hüten', sdrgas 'htiter',
russ. storoza 'wache', ai. sUrksh 'sich kümmern', praes. sürkshati
B. S., sRrkshya B.;
got. maürgins, ahd. morgan zu lit. merkti 'mit den äugen
blinzeln', gr. auaQvooco 'funkeln, schimmern', lit. brekszta 'es
tagt', mtrhsnis 'der blick, ein einmaliges blicken mit den äugen',
mtrksiu 'blinzeln'. Dazu als zweite Schwundstufe got. brah
'blinken, zwinken';
ags. forma, lit. pirmas gegenüber got. fruma, gr. jrpapos;
oder ist fram gleich dem griech. wort?
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 209
got. gafaürds zu gr. xegdco, xoqivco, russ. porömü, poroma,
serb. präntt präma ' schiff';
got paürp könnte zu lit. trobä 'gebäude' gehören und
würde alsdann auf *terdb zurückgehen. Doch ist dies nicht
sicher, da auch andere etymologien möglich sind, vgl. Uhlen-
beck, Et. wb. s. v. (immerhin bleibt es für mich die wahrschein-
lichste erklärung);
ahd. muruwi neben marawi 'mürbe' zu gr. paQaivm * ver-
zehren, hinschwinden'. Dass in gr. fiaQatvo? eine zweisilbige
basis zu gründe liegt, ergibt sich aus (iaQa-6fi6$; ob ai. mfndti
'zermalmt', mürnds hierher gehört, ist zweifelhaft, da ai. r auch
indog. I sein kann. S. o. s.294 braten-,
ahd. duruh, as. thurh, ahd. durhil 'durchlöchert', gotpatrh.
Hierher gehört auch gotpairkö 'loch' = gr. TQaryXri, das also
auf eine zweisilbige schwere basis zurückgeht. Zu gründe liegt
die indog. wurzel terä* 'durchbohren', gr. xlxQrjfii, von der mit
suffix -ka (gr. &rrxij, ai. dha-kas) ein substantivum abgeleitet
ist, von dem in pairh und *purh ein casus vorliegt.
2. Indog. tte (J) liegt vor in got. fulls, ai. pünids, lit.
pünas, serb, pfiii;
got. wuUa, ai. ürna, lit. vilna, serb. vuna, lat. lüna;
ahd. gidult, lat. latus, gr. Tlrjzoq,*) lit. UM 'still werden';
ags. molcen n. zu got. miluks, lit. meVu, serb. müza 'das
melken' aus mU;*)
ahd. folma, air. läm, gr. xaldfirj]
') Ich möchte mich jetzt mit grösserer entschiedenheit dafür aus-
sprechen, dass im griechischen rü, lä (die ja auch von der theorie gefordert
werden) die Vertreter von ,rv, tb sind neben aga, aXa. Wenn man in
UavatOQ und »vrjxög, in xapaxoq und -X(*tjt6g dieselbe ablautsstufe sieht,
so muss man auch rä).ag und nokirkäg einander gleichsetzen. Dazu kommt,
dass got. JnUan ein «-verbum ist, womit lit. tyU'ti 'schweigen' Uberein-
stimmt. Ein ablaut l — ä ist aber m. e. im indogermanischen nicht vor-
handen gewesen, und das lit.-germ. wort hat altes e. Man vgl. ferner
xQäaxog, ai. oirshatäs neben xctQa, gr. TQävrjg zu xQ^iog, ahd. gedrät, gr.
&Qävog, lat. frttu* (Bechtel, Hauptprobleme s.213. 192).
') Dass got. miluks zu gr. ydka, yakaxxog gehört, ist für mich un-
zweifelhaft. Das m des germ. kann von ahd. melchan entlehnt sein, während
da« gr. y alt wäre. Gehören ahd. melchan, \iX.muigere, gr. dfjtilytiv, ai. märj
zusammen, so ist der Zusammenhang mit miluks bedenklich, weil melg eine
leichte wurzel ist.
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300
HIKT
ags. molda 'köpf, gr. ßXm&Qog 'hochgewachsen', ai. mar-
dhdn 'höhe';
ahd. molta, got mulda 'staub' zu lit. mdlti 'mahlen', russ.
molött, lit. mütai 'mehl';
an. skuld, &8. skuld, ai. skhali-ta B + . 'taumeln, stolpern',
lit. sÄ-*7fc* 'in schuld geraten';
got. huips 'hold, gnädig', eigentlich 'geneigt', lit. kdlnas
'hügel';
ahd. wolcha f. 'wölke', lit. vilgau, vügyti 'befeuchtend glät-
ten', serb. vläga 'feuchtigkeit';
aisl. fold f. 'grasfeld, triff, ags. folde f., as. folda 'erde,
land' gehört zu ahd. feld, das wir oben zu fluor gestellt haben.
3. Indog. eti9, tmz (5, m) liegt vor in got. kunfs, lit
paztntas;
got. himinakunds, lat. nätus, lit. zentas, serb. *e<;
ahd. <7mw(Z 'kämpf, Iii. ginti 'wehren', ai. ghäids 'tötend'.
Hier kann auch n angenommen werden, vgl. ai. hatds, lit, giüczas
'kämpf, gr. parog;
m.pungr, lit. tingits, daneben aber tinkstu, tingau 'trage
werden', serb. tt&i und teiki, comp, teäi, aber tädk, teiko; un-
sicher;
mhd. gespttnst, Wtptnti 'flechten';
ahd. wunsc 'wünsch', ai. väüchatiV. 'wünschen';
ahd. wunna, ai. -vätasV.B., aor. vani-shat A V., fut wm*-
5Ät/ate S.;
ahd. eunft ist verbalabstractum zu zeman, das man nebst
zahm mit lat. domäre, gr. da^ao, ai. <iam verbinden muss. Die
indog. wurzel dam ist aber eine set-wurzel, vgl. lat domitor,
gr. dafiarcoQ, ai. dami t/ RV. Der stufe entspricht ai. däm-
tdsB+, gr. a-da/mros, bez. ö^xog. Auch wenn das wort
zur wurzel 'bauen', gr. difico gehörte, so würde es- ebenfalls
auf zweisilbigkeit zurückweisen, vgl. gr. öiftaq, lat. dome-sticus;
ahd. sumbir, mhd. sumber 'korb, getreidemass', lit semti
'schöpfen'.
Damit ist vorläufig mein material erschöpft, und ich denke,
es genügt auch. Es liegt eine solche fülle zweifelloser bei-
spiele vor, dass sicher die Vertretung von indog. er» u. s.w. durch
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 301
ur, ul, un, um anzuerkennen ist. Könnte man im einzelnen
fall auch annehmen, es hätten doppelformen bestanden, gegen-
über der menge der auftretenden beispiele versagt diese mög-
lichkeit.
Wenden wir uns nun zu Brugmanns fällen und dem was
man noch weiter beigebracht hat.
Zunächst wird es sich nie beweisen lassen, dass in germ.
ar, al, am, an indog. f, l, fn, « stecken, da ja a der Vertreter
von Oy a, 9, ö und a sein kann. Wir haben also so viel mög-
lich keiten, gegebene formen mit ar u.s.w. zu erklären, dass
wir immer darauf verzichten können, auf die andere instanz
zu recurrieren. Wir würden letztere vielmehr nur dann an-
erkennen müssen, wenn wir eine reihe evidenter gleichungen
anträfen. Solche aber finden wir nicht.
1. Germ. ar.
Got. arms, arm. armukn, lat. armus, abulg. ramo, serb. rdmo,
ai. irmds, av. aromö, preuss. irmo. Brugmann erklärt alle diese
formen aus einer einzigen ablautsstufe, indem er auch in abulg.
ra den Vertreter von f sieht. Letzteres ist nun ganz ent-
schieden abzulehnen. Der annähme von ablaut steht hier
ebensowenig etwas im wege wie bei lit. bertas gegenüber ai.
bhürjas, lit. dntis, ahd. anut, lat. anas gegenüber ai. ätish, gr.
vijooa. In dem a von lat. armus sehe ich altes a bez. 9 fin-
den fall, dass die grundform dieses Wortes *ärmos wäre.
Ebenso geht aisl. oröugr, gall. Arduenna, lat. arduus auf
indog. *ardh oder *9rdh zurück.
Ahd. art 'art und weise', lat. ars, artis, zu ai. ftdm ' rechte
art, gebühr'. Das beispiel stimmt nicht, da im indischen kurzes
T vorliegt. Und ausserdem fragt es sich, ob man das germa-
nische wort nicht mit an. arör ' pflüg', got. arjan, lat. arare,
gr. oqoco zusammenbringen muss. Im ahd. ist art in der oben
von Brugmann angegebenen bedeutung unbelegt. Es erscheint
art f. 'ackerung, pflügung'; dazu artön ' bewohnen, bebauen',
ferner as. ard m. ' Wohnort', ags. eard m. 'wohnung, heimat',
an. orO 'ernte, ertrag'. Aus der bedeutung 'grund und boden'
hat sich dann ganz natürlich die der 'herkunft, der art' ent-
wickelt, wie schon das Mhd. wb. richtig annimmt.
Ahd. fort 'fahrt' gegenüber got. gafaurds 'Zusammenkunft'
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302
HIRT
kann gewiss nicht in betracht kommen, da es sehr wahrschein-
lich eine neubildung ist. Die beiden Wörter verhalten sich
genau wie ahd. slafä zu got. slaühU, wie mhd. traht zu älterem
truht, vgl. darüber v.Bahder, Verbalabstracta s. 65. Da ein u
in der ablautsreihe der sechsten verbalklasse nicht mehr vor-
kam, traten neubildungen nach dem participium ein.
Ahd. zart 4 lieb, fein, schön' würde wider nicht direct zu
ai. ä-drtus 1 rücksichtsvoll, mit rücksicht behandelt, geehrt'
stimmen. Die beiden Wörter verhalten sich vielmehr wie ai.
mrtds zu mdrtas 'sterblicher, mensch', gr. poQxoq, wie gr.
a-ioxog 'unbekannt, unkundig' zu abulg. vestü 'bekannt', wie
*U6s zu ai. itas 'eilend', gr. ohoq 'geschick' u. v. a.
Ahd. garba 'garbe' zu lit. grepti, gröpti 'fassen, raffen'
kann ebenso wie sparke, ags. spearca 'funke' zu ai. sphürjati
'prasselt, zischt' o-vocalismus haben, der ihnen als ä-stämmen
auch zukommt.
Das sind Brugmanns beispiele, zu denen man noch andere
hinzufügen könnte: ich tue dies, indem ich dem leser die rich-
tige erklärung überlasse.
Ahd. barn, daneben -lern, lit. bernas.
An. barkr, ndd. borke zu ai. bhürjas, lit. berias. Gerade
birkenrinde wird im haushält der Litauer und Slaven noch
heute vielfach benutzt, so dass diese gleichung culturhistorisch
tadellos ist.
Nhd. garn, lit. edrna 'darin'.
2. Germ. al.
Ags. wielm, wylm, ahd. wallu, ai. ünnish 'woge', &y.var9mish
'woge', aber lit. vünis.
Got. untila-malsks 'unbesonnen', ai. murkhds 'stumpfsinnig,
dumm, unverständig', lit. lett. mülkis 'einfältiger, tropf. Man
kann natürlich malsks ebenso wie walm auf o- stufe zurück-
führen.
Ahd. spaltu zu got. spilda 'schreibtafel', ai. sphutati, phd-
lati 'er birst', nbret. faut 'fissura' ist ganz unsicher; üLphtUati
kommt erst im epos vor, daher ist auf phalita kein verlass.
Das nbret. wort kann ich nicht beurteilen.
Ahd. scaltu 'ich stosse' zu sciltu 'ich schelte' kann natür-
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GRAMMATISCHES UND ETTMOLOÖI8CHE8. 303
lieh o-vocalismus haben. Ebenso got. walda, M.waltu 'ich
walte, hersche', lit. veldu 4 ich regiere' {yeldu nach Nesselmann).
And. walzu 'ich drehe mich', lit. veliü, velti 'walken'.
Got. kalds, ahd. kalt zu aisl. kulde, lat. gelidus; kalds ist
ein partieipium zu dem in an. kala, ags. calan 'frieren' vor-
liegenden starken verbum, und unterliegt daher im gegensatz
zu aisl. kulde dem verdacht einer neubildung.
Wie man sieht, haben wir es abgesehen von den beiden
ersten beispielen durchaus mit verben zu tun, und ehe daher
die ganze bildung dieser verben nicht aufgeklärt ist, können
wir sie schwerlich als hinreichende stütze benutzen. Da Brug-
mann auch bei n sich zum teil auf verben stützt, verschieben
wir die erörterung dieser praesensbildung, bis wir alle beispiele
zusammen haben.
Hierzu noch galla, gr. *oJb{.
3. Germ, an, am.
Ahd. hamma 'Schenkel', ags. hamm 'kniekehle', nd. hamm
'bergwald' zu gr. xvrjfifj 'Unterschenkel, Schienbein', xv7jp6<;
'bergwald', air. cnam 'knochen'. Es kann natürlich ablaut
vorliegen (aus dem lit. gehört wol noch kinka in Samog. 'knie-
kehle, hesse' hierher).
Ebenso in ahd. sant, aisl. sandr, gr. afiafroa.
Got. gaggan, ahd. gangan 'gehen', lit. zengiü 'ich schreite'.
Letzteres hat kurzen vocal, vgl. zeflkti, ziftksnis 'schritt'.
Ebenso aLjavghü 'bein'.
Dasselbe gilt von got blandan, ahd. blantan 'mischen', got.
blinds 'blind', lit. blendliü's 'ich verfinstere mich'. Diese beiden
beispiele sind also überhaupt zu streichen.
Die wurzelstufe der oben genannten und einiger andrer
verba bietet nun in der tat ein noch ungelöstes problem, aber
mit dem ansatz von r, l, n werden wir diesen knoten nicht
lösen. Zweifellos haben wir es in einigen fällen mit e/o- wur-
zeln zu tun. Wie kommen aber diese zu ihrem o-vocalismus
im praesens? Weshalb heisst es got. nicht *giggan entsprechend
lit. zeflkti, weshalb nicht blindan entsprechend lit. blendziü's?
Von der verbalflexion aus kommen wir zu keiner lösung, wir
müssen uns also an das nomen wenden.
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304
HIRT
Got. saltan, lat. sallere gehört nun unzweifelhaft zu lat. sal,
got. sali, und seiner ganzen art nach können wir dies verbum
nicht anders denn als denominativ fassen. Auch Brugmann
hat Grundr. 2, 1038 schon auf den Zusammenhang hingewiesen,
der zwischen den nominalen bildungen auf to, t und den verben
mit praesenssuffix -to besteht. Man vergleiche z. b. ai. dyu-t-änas
neben dyötaU 'leuchtet' mit dem nomen dyut, d-ceti, dtätnis
neben cStati mit dem nomen dt, ydtänas, yatänds mit yai. Da
aber nach der einleuchtenden erklärung von Streitberg, IF. 3,
340 ff. diese nomina uralt sind, so werden die verben denomi-
nativ sein. Ich glaube daher dieses auch für die germanischen
verben annehmen zu dürfen.
Zu lit. zengiü 'schreite' gehört ganz regelrecht mit o-voca-
lismus got. yaggs 'gang', an. gangr, as. ahd. gang. Davon ab-
geleitet oder beeinflusst got. gaggan, eig. 'einen gang tun'.
Zu gr. xtoäv 'durchdringen, hindurchgehen' gehört regel-
recht gr. jtoqoq 'gang, durchgang, tibergang', ahd. far, mhd. var
n. 'ort am meere, see oder ströme', wo man an-, aus- oder
tiberführt; davon abgeleitet faran 'sich von einem ort zum
andern bewegen, gehen, ziehen, wandern' u.s.w.
Zu abulg. grcbq. 'grabe, schabe' gehört regelrecht abulg.
grobü, ahd. grab 'grab', as. grab, ags. gratf. Wegen got. gröba
liegt aber der verdacht nahe, dass wir es im abulg. mit einer
entgleisung zu tun haben.
Ebenso dürfte dies bei got. kalds in erwägung zu ziehen
sein, wegen ahd. chuoli. Wir hätten es mit ablaut ö — a zu tun.
Got. malan, lat. moler e gegenüber abulg. rnelja mtisste durch
ein *mala veranlasst sein; vgl. aber auch \it mälti.
Ahd. spaltan 'spalten' würde ich mit Schade von spalt 'der
Spalt' ableiten; ahd. walzan von walza 'pedica, decipula'; ahd.
scaltan von scalta 'schiebestange'.
Die eine tatsache, glaube ich, können wir feststellen, dass
neben den meisten der genannten verben ein nomen steht,
dessen o-vocalismus wir erklären können, und die annähme
einer angleichung des verbums an den vocalismus dieses nomens
würde die ansetzung eines langen r, n, l umgehen lassen.
Sollte es nun ein zufall sein, dass von den meisten dieser
verben im gotischen das perfectum gar nicht belegt ist? Von
gaggan fehlt es bekanntlich ganz, aber auch zu blandan, faran,
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GRAMMATISCHES l'NÜ ETYMOLOGISCHES.
305
mahn, mltan ist keins belegt; spaltan, scaltan, walzan stammen
überhaupt erst aus dem ahd.
Ich glaube, man wird daher die ergebnisse des aufsatzes
von v. Fierlinger, KZ. 27, 436, auf den sich Brugmann haupt-
sächlich stützt, als verfehlt bezeichnen dürfen. Die wenigen
beispiele die nach abzug der verben noch übrig bleiben, können
nimmermehr erweisen, dass ar, al, am, an im germanischen
die Vertreter von indog. r, l, ffi, fi sind. Auch der ausweg, den
(Tilenbeck, Beitr. 18, 561 eingeschlagen hat, ist für mich nicht
gangbar, da ich Bartholomaes lehre, dass d auch in der e-reihe
inzuerkennen sei, nicht für richtig halte; wol aber kann germ.
% in einigen fällen ein a vertreten, es ist indessen dann die
jchwundstufe eines langen vocals.
C. Indog. rd, h, na, na, is, als Schwundstufe
der set-wurzeln.
Unter welchen bedingungen diese Schwundstufe ins leben
retreten ist, lässt sich noch nicht sicher ermitteln. Ein factor
st jedenfalls die enklise gewesen. Da ich IF. 7, 211 nur wenige
•elege gegeben habe, so sei es mir gestattet diese lücke etwas
uszufüllen.
Zu jitraftat, avixtäv, ai. pati-tds AV., ahd. ß'da-ra gehört
r. ejtra-xo, Jtxaptvoq, ai. pa-pti-ma; zu telä, gr.TsXa-/icuv, ItXijV
teilt sich ri-Tla-St, rt-Tld-ptvai, zu &uva-Tog, &Vfj'Toq —
t frva &i, te-frva-pspai; CtQa-zog zu ozoei-vwfii, ötqcotoc; gr.
ä-öapvog zu lat. rädix, got. tcaürts; &QaaGa> zu rapa-x*}; oaog
us *tua-tAÖs zu ai. tat; gr. yvd&og zu lit, zdndas; lat. glans
i gr. ßala-voq, abulg. zelad(\ lat. gla-cies zu geli-dus; lat. gra-
's zu ai. gurush, gr. ßaQvg, got, kaürus.
Aus dem germanischen habe ich a.a.O. angeführt: mhd.
aye 'hals' zu lit. gttrklit, serb. grlo, gr. ßißyctoxco; mhd.swach
i got. siuks; ahd. diranuh zu gr. ytQavoq.
Weitere beispiele sind:
Got. wahsjan, ahd. waJisan, gr. dftgeiv, lit. dugti, lat.
tyere.
Mhd. Stendern, ags. swadul zu ahd. siodan. Ich ziehe dies
ai. sü 'in bewegung setzen, erregen', das zweifellos eine
t -wurzel ist, vgl. sutdsY., sdvlma n. 'antrieb', savitd 'an-
iiber, er reger'. Anders erklärt Brugmann, Grundr. 1, 790
Beitrage zur geschieht« der deuteohen epreche. XXIII. 20
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30G
HI KT
das germanische wort. Er geht von kfiettt- aus, und vergleicht
lit. szuntu 'schmore', und weiter ai. kvdthati aus *kpwa mit mbd.
madein. Sollte man dies vorziehen, so ist die Sippe als eine
leichte wurzel aufzufassen: W.kjteue.
Got. gaßwastjan 'stark, fest, sicher machen \]>wastipa Festig-
keit, Sicherheit' ist nach Uhlenbeck, Et. wb. unaufgeklärt. Ich
beziehe es auf die altindische wurzel tri 'stark sein', ai. tdvas
'stärke', tavishds 'stark', tdvishi 'kraft, stärke', zu der auch got.
pusundi gehört. Die bedeutungsent wicklung bedarf keiner Ver-
mittlung. Auch im griechischen liegt, woran mich Brugmann
erinnert, diese ablautsstufe vor in oaoq 'heil, gesund', das Prell-
witz, Et. wb. aus Huauos erklärt, vgl. Brugmann, Totalität s. 55.
Prellwitz zieht auch schon das got. gapwastjan heran, wie ich
nachträglich sehe.
Ahd. chnabo hat man von jeher mit der wurzel *genä*
'erzeugen' verbinden wollen, ohne dass man indessen über die
ablautsverhältnisse ins reine gekommen wäre. Es stellt sich
nun ganz einfach dazu, vgl. lat. geni-tor, gr. ytvioig, ai. got
knöfls, kunds.
Ahd. hra-bo stellt sich ebenso zu gr. xöpa-£, xoQ(6-vt], lat.
cornlx aus *coroni, lit. szdrka 'elster', russ. soröka, serb. srraka
dass. Als zweite vollstufe gehört dazu lat. crö-cio 'krächzen',
gr. xqcq^q}, die wir wol als reduplicierte bildungen auffassen
dürfen. Oben ist weiter ahd. hruoh herangezogen.
Auffällig ist an diesen beiden Worten das suffix. Indog.
p oder bh lässt sich hier kaum wahrscheinlich machen. Ich
leite daher knabo und hrabo aus indog. *gn9mno- und *krdmno-
ab, mit dem Übergang von mn in bn, den ich für gemein-
germanisch halte.
Ahd. stracchen 'ausgedehnt sein', ahd. straeJi 'ausgestreckt,
gerade, straff u.s.w. ist noch nicht recht erklärt. Denn die
annähme, dass es zu recken gehöre (wie Kluge, Et. wb.6 s.v.
vermutet), ist doch nur ein notbehelf. Ich stelle die stufe stra
zur wurzel sterö*, gr. öTQcoxoi;, OTQatvvvfu 'ausbreiten', latster-
nere, ai. strnümi. In der wurzelstufe entspricht stra gr. otQaxoi;,
ai. -st/tas, das nur unbetont vorkommt. Das suffix -k, indog. -g
ist zwar selten, aber doch genügend belegt. Dieselbe stufe
und dieselbe wurzel zeigt auch mhd. strant, ags. Strand, das
Kluge ebenfalls als unaufgeklärt bezeichnet. Es ist mit nt-
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 307
suflix gebildet. Die vollstufe dieser wurzel steckt wahrschein-
lich in ahd. stirna 'stirn'.
Ahd. cUa-ga stelle ich zu ai. glä Widerwillen empfinden',
lit. gelti 'schmerzen', abulg. zal( 'leid', gr. ßdllco (ßXr^) 'werfen,
treffen'; dass auch ßXrjxy 'geblök' mit Prellwitz, Et. wb. s. v.
hierher zu ziehen ist, scheint mir nicht sicher.
Got. mapa 'made, wurm', ags. mada, as. matho, ahd. modo,
an. madkr möchte Kluge. Et. wb * s. v. made als 'nager' deuten.
Etwas ähnliches mag wol darin stecken, nur kann man schwer-
lich an die wurzel *me 'mähen' anknüpfen. Ich möchte es
mit der ai. set -wurzel am 'schädigen' verbinden. Zu amlshi
V.B., dmi-vaY. 'drangsal, plage, dränger, plagegeist', dmatish
'armut, dürftigkeit' gehört eine Schwundstufe ma. Der be-
deutungsvennittlung steht nichts im wege. Auch mhd. motte
könnte mit weiterer ablautsform m hierher gezogen werden.
Got. frajn 'einsieht', frajyan 'verstehen' gehört zunäclist
natürlich zu got. fröps 'weise', frödei 'einsieht'. Wenn wir
aber an die bedeutungsentwickelung unseres erfahren denken
(vgl. auch lit. ttrti 'erfahren'), so wird man gl*, xeoaco 'durch-
bohren, durchfahren', abulg. pera, prati 'fahren' als erste voll-
stufe heranziehen dürfen.
Ags. blmc, nd. blak, ahd. blach bedeutet 'tinte', ursprüng-
lich natürlich 'schwarz', was es ja als adjectivum auch
heisst. Eine etymologie ist mir nicht bekannt. Nun hat Jo-
hansson, Beitr. 15, 226, um got. bleips zu erklären, einen Über-
gang von indog. ml zu germ. bl angenommen, gegen den nichts
einzuwenden ist, da mr zu br wird. Ich sehe daher in bla-
die regelrechte zweite Schwundstufe zu gr. f*iXa~$, ai. mali-nds
'schmutzig, unrein'. Denkt man dann weiter an die beliebte
griechische ausdrucksweise wie ptlav alpa, so kann man auch
vermuten, dass got. blöp, ahd. bluot 'blut' nichts anderes als
'das schwarze' bedeutet. Das neutrale geschlecht erklärt sich
daraus, dass der indogermanische ausdruck für 'blut' ai. asj-j,
gr. taQ, lat. assir, gr. aifia, lat. (veraltet) sanguen n. neutralen
geschlechtes war. Was das Suffix betrifft, so vgl. lit. gel-tas.
Das auffallende /.-suffix in blak lässt sich vielleicht aus u
herleiten; indessen bleibt dies unsicher, so lange der Übergang
von u in k nicht lautgesetzlich festgelegt ist.
Got. afhlaPan, an. hlada, ags. hladan, afr. hlada, ahd. Afadan
20*
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308
HIRT
nebst ags. hlöö 'beute, häufe, schar, menge', and. hlötJu» 'beute'
stellt man zu abulg. kladq, 'lege, stelle'. Die differierenden end-
consonanten beruhen wol auf verschiedenen praesensbildenden
elementen. Der stamm ist also lila, hlö, den man in lit. kloju,
kloti 'hinbreiten' widerzufinden glaubt, klö weist aber auf
eine zweisilbige set- wurzel, die wir in lit. kelti 'etwas heben'
antreffen, das widerum eine sehr weite verwantschaft hat,
Ahd. flado 'opferkuchen', gr. xXäfravov 'opferkuchen' ge-
hört zunächst zu lit. ploti 'breit schlagen'; die erste vollstufe
liegt vor in gr. xiXa-pog 'opferkuchen', vielleicht auch in xiXa-
yog n. 'meer, das ausgebreitete', das genau ahd. flah 'flach,
glatt', nl. vlak 'eben' entspricht. Zu gründe liegt eine wurzel
pelax, die im wesentlichen 'eben, flach' bedeutet. Erste voll-
stufe niXa-vog, ntXa-yog, zweite vollstufe lit plöti, plone
'fladen', lat. planus 'eben', air. Idr 'estrich', mhd. vluor, vgl.
Prellwitz, Et. wb. s. v. niXavog.
Ahd. rahlw für älteres *hrah!io 'rächen', ags. hrace, -u f.
'kehle' ist bisher unklar. Man kann es verschieden beurteilen.
Die wurzelstufe hra kann man zu kerä* in xtgag, lat. cere-
brum, ai. {iras oder zu gr. xqcc^co 'schreien' stellen. Genau
entspricht gr. xQaryov 'laut schreiend'. Dann wäre die bedeu-
tung 'kehle' ursprünglich. Auch xpa£<ö gehört zu einer zwei-
silbigen basis, die wir oben bei hrabo erörtert haben.
D. Germ, n, t als schwundstufenformen.
Dem ero, eh, ema, ena stehen i und a als schwundstufen-
formen zur seite, insofern schon im indog. <p, eta zu i und u
contrahiert wurden.
Auch diese t, ü sind nur in set -wurzeln berechtigt, wie
längst de Saussure nachgewiesen hat. Im folgenden stelle ich
die germanischen beispiele die ich mir notiert habe, zusammen.
Da I nicht von ei zu scheiden ist, beginne ich mit o, das im
wesentlichen allein in betracht kommt, ü ist im germanischen
ein ziemlich häufiger laut, der in zahlreichen fällen unerklärt
ist. Möglicherweise steckt noch etwas anderes darin als
indog. a.
Got. püsundi gehört zu ai. tavi-, wie ich IF. 6, 344 ff. nach-
gewiesen zu haben glaube. Vgl. ai. taviti RV., tdvish RV., idv't-
yas V. Zur selben wurzel gehört auch ahd. dümo, ags. puma
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OB AMM ATISCHES UND ETTMOLOGI8CHE8.
309
u.s.w., das einem ai. *tavimü entsprechen würde. Verkürzung
des u ist in an. Jtumall eingetreten, das mit seiner J-ableitung
dem ind. tümrasY. 'feist, kräftig' entsprechen würde, falls es
alt ist. Wegen der kürze des « ist letzteres wahrscheinlich
richtig. Oben haben wir auch got. gapwastjan zur gleichen
wurzel gestellt, mit der zweiten Schwundstufe. Ich halte dabei
a und u9 für coordinierte schwundstufenformen. u ist dagegen
erst aus a in neuer Schwächung entstanden.
Got. brups haben Uhlenbeck, Beitr. 22, 188 und ich a. a. o.
s. 234 gleichzeitig zu ai. brdvimi gestellt. Der ablaut ist auch
hier in Ordnung.
Got. fals 'faul' ist verwant mit Mt.püti 'faulen', pdliai
'eiter', ai. ptiyati 'wird faul' u.s.w. Als wurzel müssen wir
*peua ansetzen, die in ai. pttndti, pavi-tum mit der bedeutung
'reinigen' vorliegt. Dazu lat. parus u.s.w. Die bedeutungen
divergieren nun allerdings, und der einwand lucus a non Ut-
cendo wäre vielleicht zu erwarten, wenn einer die worte ver-
mitteln wollte. Das trifft indessen nicht zu. Nach alter an-
schaunng reinigt sich vielmehr die wunde durch die eiterung.
So lange der eiter nicht zersetzt wird, ist er ja auch rein
weiss, und wird erst durch zersetzungskeime zur stinkenden
jauche.
Nd. dttne f., an. dann m. 'danne', engl, down 'daune, weiche
feder ist nicht erklärt. Nun verbindet man lat. pltttna mit
unserm fliegen, und feder leitet man von der wurzelnd 'fliegen'
ab. Daher könnte auch in dan- et was ähnliches stecken. Ich
knüpfe daher zunächst an aisl. dtjja (dikta) 'bewegen, schütteln'
an, das widerum dem ai. dhftnöti 'schütteln' (fut. dhavishyati),
gr. ftoctCoj 'in schnelle, heftige bewegung versetzen, schnell
bewegen' entspricht. Sollte die beranziehung von an. dünn
nicht richtig sein, so entspricht doch dyja genauer der ind.
set -wurzel.
Got. hlatrs 'rein', ahd. hlatar stellt man zu gr. xXv^ro
'spüle, reinige'. Die zweisilbige basis liegt vor in lat, cloäca.
Der stamm ba in zahlreichen worten, ahd. büan, bar, ge-
hört zu ai. bhavi-tum u. s. w.
Ahd. Stada ' staude, Strauch, busch' verbindet man mit gr.
ötvXoq ' säule', das weiter zu ai. sthards, sthalds 'dicht, grob,
gross, dick, plump' gehört. Die zweisilbige basis liegt vor in
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310
HTBT
sthdvi-ras ' fest, derb, massig, stark, vollwüchsig, alt', sthdmma
n. 'das dicke ende, die breite seite\
Ahd. zun 'zäun, garten', ags. tan 4 das umzäunte, ort', an.
tan 'eingehegtes, gehöfV entspricht air. dün 'bürg, stadt\
Weitere anknüpfung fehlt. *da-nom sieht nun zweifellos wie
ein altes no-particip aus, und wir können dazu eine wurzel
*deuä erschliessen, die im ai. dunöti AV. +, dands AV. mit der
bedeutung 'brennen' vorliegt. Die bedeutungsvermittlung ist
möglich, wenn man an lat. aedes denkt. Mit unserm wort
kann auch die thrakische ortsnamenbezeichnung dava, deva
zusammenhängen, in Pulpudeva, MovQtöißa, Zixtöißa, Sxatöißa;
vgl. Kretschmer, Einl. s. 222, der es von der wurzel dhe ableitet.
Aisl. snaa 'wenden, kehren, drehen, winden' verbinde ich
mit ahd. senawa, ai. snävan.
Ahd. chamön 'klagen, beweinen' stellt man mit recht zu
gr. yofog 'totenklage'. Dies war eine set -wurzel, wie aus hom.
yo^fiivai, yodoiev hervorgeht.
Got. ahd. hos zu hütte und zu gr. xev&m 'verbergen' zu
stellen, ist wegen der länge des a bedenklich, xsv&co ist zweifel-
los eine anit -wurzel und muss daher fern bleiben. Den laut-
lichen anforderungen entspricht die Verbindung mit lat. caverna
'die höhle'. Da man vielfach in höhlen wohnte, ist die glei-
chung auch semasiologisch unbedenklich, caverna lässt sich
aus *cavesina erklären.
Ahd. sal 'säule' u.s.w. verbindet Kluge mit M. swelli n.
'schwelle', was nach den ablautsverhältnissen sehr wol angeht.
Got. sauls f. wäre die erste vollstufe dazu. Sonst kann ich
die wurzel nicht nachweisen.
Ahd. scür m. ' Unwetter, hagel' ist ablaut zu lit. sziaurgs
'nordwind', abulg. scverü 'norden', lat. caurus; hier liegt aber
eu zu gründe.
Aisl. ryja, rada 'vellere lanam' gehört zu lit, rduju, rduti
'eine pflanze mit der wurzel aus der erde ziehen'. Dazu könnte
man auch ahd. ruh 'behaart, rauh, struppig', eigentlich 'gerupft,
gezaust' stellen.
Ich will mit diesen gleichungen durchaus nicht sagen, dass
man worte mit ü und ü unter keinen umständen etymologisch
verbinden dürfe: giebt es doch verwante formen mit u und ü
neben einander in hinreichender anzahl. Was ich nochmals
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 311
betonen möchte, ist dass man vorläufig ein wort mit a nicht
auf eine anit-wurzel beziehen darf. Ich kenne eigentlich nur
eine sichere ausnähme von diesem satz: ahd. lut, ags. hlüd, das
zu ai. {tm gehört. Das ist zweifellos eine anit-wurzel, aber es
sind auch spuren des i vorhanden: ^rdvishlha kommt vom AV.
an vor; im RV. heisst es cucrüyäs. Hier standen also wahr-
scheinlich zwei wurzeln neben einander. Man beachte dabei,
dass germ. *hlaÖaz eine bestimmte, abweichende bedeutung hat.
Germ, i, das wir zu zweit betrachten wollen, ist leider nicht
sicher von ei zu scheiden. Aber die möglichkeit, ein an sich
zweifelhaftes germ. i als entsprechung eines ursprünglichen ei
aufzufassen, muss überall da in betracht gezogen werden, wo
wir es mit einer anit-wurzel zu tun haben.
Es kann daher altes i nicht stecken in ahd. beliban, ai.
•üipat u.s.w. (Osthoff, MU. 4, 4), in got. fraweitan, wenn dies
m viderc u. s. w. gehört (Osthoff s. 6), in ags. snlwcÖ, in ahd.
>t -is, ahd. ktcU, ai. cvtt und überhaupt in dem meisten, was bei
Dsthoff, MIT. 4 und bei Noreen, Urg. lautl. s. 75 f. angeführt wird.
Sichere fälle, in denen t zu einer set-wurzel gehört, sind nicht
gerade häufig. Got. leipu(s) würde ein solches sein, wenn es
nit Iii. lytüs zu verbinden wäre, vgl. leti 'giessen'. Ferner
rot. freidjan 'schonen', an. fridr, ags. frW 'hübsch' u.s.w. zu
li. pntds.
Ahd. rim 'reihe, reihenfolge, zahl', kann zu ai. rin&U 'fluten,
luten lassen' gehören, also auch mit rinnan verwant sein.
Zum Schlüsse dieses aufsatzes möchte ich noch ein paar
ür den ablaut der set -wurzeln im gennanischen typische fälle
usammenstellen. Wir unterscheiden zwei vollstufen und zwei
chwundstufen.
Aus der wurzel genejö wird I) bei betonung der ersten
übe geno, ahd. chind (gr. yiveotq, \a,t.genitor, &i.jani-tä); — II)
ei betonung der zweiten silbe gene;ö, got. knö])s 'geschlecht',
s. knösal, ahd. chnuosal.
Bei unbetontheit der beiden ersten silben entsteht — III)
ie erste Schwundstufe </rna-, germ. kun, got. himinakunds, kuni
eschlecht', lat. nätus, und — IV) die zweite Schwundstufe
%9, ahd. knabo.
312
HIRT
Wz. genejö 'kennen': I) got. kann; — IT) ahd. chnaan, ags.
cnatvan, ahd. einchnuadil 'insignis', cnuodelen 'ein erkennungs-
zeichen geben'; — III) gakunds, kunpi, kunps; — IV) — .
Wz. merfl*: I) ahd. maratci; — II) ahd. &rflton; — HI)
muruwi; — IV) — .
n.
Zur Vertretung der labiovelare.
1. Gegen die von Znpitza, Die germ. gutt. s. 97 f. auf-
gestellte lehre, dass indog. anlautendes ghv im germanischen
durch g vertreten werde, hat Uhlenbeck in diesen Beitr. 22, 543
mit recht einsprach erhoben, worauf Zupitza, Beitr. 23, 237 ft
geantwortet hat. Ich halte auch seine jetzigen ausfuhrungen
nicht für beweisend. Weshalb wir auf die Zukunft hoffen
sollen, die vielleicht noch sichere beispiele für den wandel von
gh* zu g bringen werde, kann ich nicht erkennen. Vorlaufig
müssen wir uns mit dem begnügen was vorliegt.
Zunächst spricht doch die behandlung des inlautenden, im
silbenanlaut stehenden ghu auch mit, wenn wir den anlaut
betrachten. Und da hier von Zupitzas regel nichts zu spüren
ist, ist dies ein schwerwiegendes moment.
Sicherer ist es, sich auf das etymologische material zu
stützen.
Zupitza bestreitet die beweiskraft der alten gleichung:
got. warms, ai. gharmds 'hitze', av. gartma, ap. garma 1 warm',
apreuss. gorme 'hitze', air. gorm, lat. formus, gr. 9tQft6<:. Wenn
wir ein wort so durch alle sprachen mit demselben suffix und
derselben bedeutung hindurchgehen sehen, so hat ein solches
wort zweifellos eine grosse beweiskraft. Daran kann es auch
nichts ändern, dass des öfteren wurzeln mit anlautendem labio-
velar und tv neben einander stehen. Bezzenberger hat BB.
16, 257 das germanische wort mit lit. virti, abulg. vreti 'sieden,
fervere', variti 'kochen', varü 'glut', armen, varem 'anzünden'
verglichen. Die heranziehung des armenischen Wortes begleitet
Hübschmann, Ann. gramm. s. 494 mit einem fragezeichen, nach-
dem schon Bugge, KZ. 32, 56 auf die Verschiedenheit der bedeu-
tungen hingewiesen hatte. Und sind denn nun die lit. slav.
worte, die zweifellos 'kochen' heissen, so ohne weiteres in
ihrer bedeutung mit dem germanischen warm zu vermitteln?
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 313
Ich glaube nicht. Von 'kochen' zu 'wann' ist ein grosser
sprang der begriffe, und ich habe bisher kein beispiel gefunden,
in dem auf anderem Sprachgebiet dieser Übergang stattgefunden
hätte. Schliesslich kommt noch hinzu, dass lit. virti (verdu)
und abulg. vre'ti (serb. vrett) auf eine set-wurzel weisen, wäh-
rend die wurzel, zu der gr. 9-€Qfi6g u.s.w. gehört, eine anit-
wurzel war. So zerfällt bei näherem zusehen das angebliche
nebeneinander einer wnrzel *ghver und *uer in nichts, und so
wie hier ist es mit mehreren anderen der von Zupitza an-
geführten fälle. Ausserdem muss bei solchen Wortpaaren noch
nachgewiesen werden, dass ihre Urbedeutung die gleiche ist,
dass nicht die gleichen bedeutungen erst im laufe der zeiten
entstanden sind. So ist ags. cwelan 'sterben', cwalu 'tod' mit
dem bestimmten sinn entschieden jung, wegen ahd. quüla, lit
gelti 'wehe tun', abulg. satt 'leid'; in an. valr 'die leichen auf
dem Schlachtfeld' liegt offenbar eine metonymie örtlich causaler
natur vor wie in kragen, ärmel, frauenzimmer, backe, bände,
bein u.v.a. valr heisst eigentlich das Schlachtfeld und dann,
was sich darauf befindet, wal selbst ist aber der ort des
Untergangs wegen ahd. wuol 'niederlage', ags. wo/ 'pest, seuche'.
Wo besteht, wenn wir so weit gekommen sind, noch eine mög-
lichkeit die worte zu vereinigen? Lit. vel§s 'verstorbener'
kenne ich nicht: ich finde es weder bei Kurschat, noch bei
Wesselmann und Leskien. Ich will auf die übrigen fälle nicht
Angehen, da es auf die sache selbst nicht ankommt, und nur
loch darauf hinweisen, dass sich auch noch andere 'reim-
tvörter' finden, in denen scheinbar am anfang ein consonant
linzugefügt ist. Darüber hat bekanntlich Meringer, WSB.
25,2, s. 35 ff. gehandelt, ohne zu überzeugenden ergebnissen
tommen zu können. Jedenfalls ist das wort warms so gut
wie nur irgend eins geeignet, die behandlung der lautgruppe
Oiu im anlaut klarzulegen.
Ein zweites beispiel ist ahd. wahs 'scharf, das von Fick
Tgl wb. 1*, 417. Prellwitz, Et. wb. 348 mit gr. yogoq 'spitz' ver-
liehen wird. Die gleichung ist tadellos und jedenfalls der
eranziehung von ai. väet 'axt', die Zupitza s. 33 vorgeschlagen
at, vorzuziehen.
») Vgl. dazu Thomas, Ueber die möglichkeiten des bedeutungswandels,
Hätter für das gymnasialwesen 30 (1894), 716.
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314
HIRT
Gr. tpcoriov xQoeytXtc, qdv, got. wöpeis lässt Zupitza
nicht gelten, worin ihm vielleicht beizustimmen ist. Er ver-
gleicht ir. bdid 'süss' mit dem griechischen wort, wobei er
für das griechische umspringen der aspiration annehmen muss.
Ist das material für die bisher geltende annähme immer-
hin nicht sehr reich, so spricht doch auch nichts dagegen. Das
einzige beispiel Zupitzas ist aisl. gandr 'rute1, m.gondoll 'virga
virilis', das er zu ai. hdnti, gr. »ilvm, yovog stellt. Zur ent-
kräftung von Wadsteins deutung IF. o, 30 hat Z. nichts vor-
gebracht, und so muss sein Widerspruch auf sich beruhen bleiben.
Und wenn man auch aisl. gandr nach Liden, BB. 21, 98 mit
air. geind ;a wedge', ngael. geinn 'a wedge, cuneus; a large,
thick piece of anything' verbinden wollte, so bliebe doch die
Vereinigung dieser worte mit gr. &elva> u.s.w. unsicher.
2. Auch die frage nach dem Verlust des labialen nach-
klangs ist durch Zupitzas arbeit nicht ganz ins reine gebracht,
wie z. b. der einspruch Solmsens, Journ. of germ. phil. 1. 387
beweist. Ich stimme indessen Zupitza darin bei, dass vor
indog. o ein Schwund des m nicht eingetreten ist. Aber ob
dies auch für die Stellung vor indog. o gilt, lässt sich bezwei-
feln. Das einzige sichere beispiel ist gr. ßovg, ahd. kuo, und
dies genügt auch. Wenn man auch die ß-formen, aisl. kyr, ags.
cu zu hilft; ruft, um den schwund zu erklären, so bleibt es
doch auffällig, dass nirgends ein *kwö überliefert ist.
Daher halte ich in diesem punkte die alte anschauung
für noch nicht widerlegt. Zu beachten ist, dass indog. o im
germ. zu a geworden ist in einer zeit, die wir nicht bestimmen
können, dass dagegen ü stets erhalten blieb. Was übrigens
got. tuggö gegenüber lat. lingua betrifft, auf das Solmsen noch
verweist, so kann es absolut nicht zum beweise dienen: tuggö
ist entweder erst durch metaplasmus in die n-declination ge-
kommen (dieser metaplasmus ist aber doch wol bewirkt durch
den zusammenfall einiger casus der ä- und n - declination zu
einer zeit wo indog. ä und ö im germanischen nicht mehr ge-
trennt waren), oder es ist ein alter ua- stamm, bei dem in
einigen casus n berechtigt war (abulg. jysy-kü kann man ahd.
Mungtt-n gleich setzen), und dann ist der Verlust des k> ana-
logisch zu erklären.
Wenn ags. cm, wie nicht zu bezweifeln, aus *kö und weiter
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
315
aus *ktvö entstanden ist, so kann man natürlich auch ags. hü
dem as. hwö gleichsetzen. Der versuch von Joh. Schmidt, KZ.
32,403, ags. hü direct mit ai. ha zu verbinden, bleibt daher
mindestens unsicher. Zwischen wgerm. hwö und got. he be-
steht dieselbe vocaldifferenz wie im gen. plur. masc. und
anderen fällen.
m.
Zu den e-praesentien.
Johansson hat KZ. 32, 434 ff. überzeugend gezeigt, wie im
litauischen die praesensklasse auf -st aus der dritten person
sg. aor. medii, indog. auf -to erwachsen ist. Der gedanke, dass
aus einzelnen endungen verbalsuffixe entstehen können, ist auch
in anderen fällen als berechtigt anerkannt. Ich möchte dieses
princip anwenden, um einige fälle zu erklären, in denen im
germanischen ein praesenssuffix indog. to auftritt.
Betrachtet man die beispiele für das praesenssuffix -to in
Brugmanns Grundr. 2, 1038 ff. (§ 679), so fällt es auf, wie spär-
lich sie in den einzelnen sprachen vertreten sind, so dass man
hier schwerlich von einem productiven suffix reden kann.
Merkwürdig ist es auch hier, dass das germanische mit dem
lateinischen band in hand geht, z. b. in plcctö 'flechte', ahd.
flihtu gegenüber gr. xXtxm. Horn, heisst es jrt'xro 'kämmen,
scheeren', lit. pessu, aber lat. pecto und germ. fihtu (vgl. Brug-
mann 2, 1039). Jedenfalls haben wir es in solchen fällen z. t.
mit neubildungen zu tun, z. t. liegt aber m. e. die 3. sg. medii
zu gründe. Aus dem germanischen ziehe ich hierher got. us-
alßans 'gealtert', aisl. aldenn 'gealtert', gegenüber ala 'auf-
wachsen'. Die formen mit dem t- suffix, die leider nur im
participium belegt sind, haben entschieden intransitiv medialen
sinn. Ein indog. *alto hätte im got. zu *alp geführt, und da-
von ist das participium alßans gebildet. Aehnlich lässt sich
vielleicht das merkwürdige verbum got. standan, stöp erklären,
neben dem sich im ahd. sten findet. Zuletzt hat sich Osthoff
um die erklärung bemüht (vgl. IF., Anz. 1, 82); er nimmt eine
besondere praesensbildung auf -net an. Diese auffassung scheint
mir mit Brugmann, Grundr. 2, 1043 anm. 2 nicht überzeugend
zu sein. Halten wir uns an die tatsachen, so steht z. b. im
ahd. neben dem alten praesens sten (stän) ein praeteritum stuot
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HIRT
(arstuat WK., vorstötun, forstuotun T.. gistuat, gistuatun 0). Die
3. pers sing, können wir ohne weiteres auf *stöto zurückführen,
was abgesehen von der vocalstufe einem ai. asthita genau ent-
sprechen würde. Allerdings kommt dem aorist nicht eigent-
lich die starke Stammform zu, aber diese unterschiede im ab-
laut sind ja schon frühzeitig ausgeglichen, vgl. ahd. gitan.
Im praesens der verwanten sprachen finden wir weiter sehr
häufig einen nasal: gr. ötavm, armen, stanam, lat. dcstinäre,
abulg. stanetü neben statt, preuss. stänintei, adv. des part. praes.
Stand nun im germ. ein *stanö neben *stöp, so konnte sehr
leicht der dental auch in das praesens eingeführt werden.
Es liegt natürlich nahe, auch die übrigen <-praesentien des
germanischen auf diese weise zu erklären, vor allem got. winda,
*gawap, doch fehlt hier die anknüpfung an die verwanten
sprachen.
Es liegt ferner nahe, einige s-praesentien ans alten aoristen
zu erklären. So z. b. got. fraliusa gegenüber gr. Xvco, lat. solvo
aus aor. fra-lu-s-um, der ganz genau gr. IXvoafitv entspricht.
Ueberhaupt muss doch einmal die frage aufgeworfen werden,
was aus den zahlreichen aoristbildungen des indogermanischen
im germanischen geworden ist. Wenn man die zweite sing,
perf. ahd. bizzi, ags. bite mit recht für eine form des sogenanten
aoristus secundus erklärt, so scheint mir eine solche form in
das perfectsystem nur haben hineinkommen können, wenn in
anderen formen ein lautgesetzlicher Zusammenhang statt-
gefunden hatte. Dieser ist eingetreten im plural. Formen wie
ai. ddigam, ddigam, ddicat, ddigäma, ddicaUi, ddican hätten
wgerm. *Ug, tigi, *tig, tigum, *tigi#, tigan ergeben. Die erste
pluralis fiel, aber nur im westgermanischen (got. dagam — ahd.
tagum), mit der perfectform zusammen. Sie wird den zusammen-
fall veranlasst haben. Andere fälle mögen noch sein *biti,
*bitum, ai. dbhidas, dbhidäma; ai. dsicas, d&icüma zu sie = ahd.
sihan; gr. IXursg, illxofitv, ahd. Uuri, liwum; &i.dvrtas, dvrtäma,
ahd. wurti, wurtum.
Nicht also der zusammenfall mit der optativform (wie
v. Fierlinger, KZ. 27, 432 meinte), ist der grund der erhaltung
der 2. sg. im wgerm., sondern weil sie in das perfectsystem
eindringen konnten, darum haben sich diese formen erhalten.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 317
IV.
Zar Chronologie germanischer lautgesetze.
Man hat sich mit recht bemüht, nicht nur die relative,
sondern auch die absolute Chronologie der lautgesetze festzu-
stellen, die in eine vorliterarische epoche fallen. In neuerer
zeit ist man dieser frage wider verschiedentlich näher getreten,
und Streitberg hat in seiner Urgerm. grammatik an den be-
treffenden stellen verzeichnet, was sich über die absolute Chro-
nologie einzelner urgermanischer lautvorgänge vorbringen lässt.
Dass man gegen das was er mit anderen anführt, begründete
einwände erheben kann, hoffe ich im folgenden zeigen zu
können, und ich bemerke nur, dass derartige bedenken schon
früher geäussert sind, vgl. Möller, KZ. 24, 508. Bremer, IF. 4, 21.
Da sie aber nicht beachtet werden, ist es nötig sie zu wider-
holen.
Bei der bestimmung der absoluten Chronologie sind wir
gewöhnlich auf die erscheinungen in lehnworten angewiesen.
Diese aber leiden an einem recht beträchtlichen mangel, denn
man muss bei ihnen mit dem wichtigen factor der lautsubsti-
tution rechnen, und daher ist ihr zeugnis meistens anfechtbar.
Prüfen wir nun die einzelnen fälle:
1. Der germanische vocalismus ist charakterisiert durch
den zusammenfall von o und o in a, von ä und ö in ö.
Wann ist dies eingetreten?
'Die alten keltischen lehnwörter verwandeln ihr o in a,
sind also vor der zeit des wandels von indog. o zu germ. a
aufgenommen. Vgl. Moguntiacum, ahd. Mayima, gall. Voseyus,
ahd. Wasconowalt, gall. Volcae, ahd. WcUha. Die später auf-
genommenen lat. lehnwörter erhalten im germanischen ihr o
unverändert. Vgl. coquere, ahd. JcocJüfn u.s.w.' Dasselbe be-
hauptet Brugmann, Grundr. 1 *, 145.
Das beispiel beweist nicht, was es beweisen soll. Denn
angenommen, dass o schon zu a geworden war, so besassen
die Germanen kein o mehr (vorausgesetzt, dass m noch nicht
zu o geworden war); sie substituierten daher ihr o für das
kelt. o. Als später ein neues o aus u entstanden war, konnten
sie dieses für* das o der lateinischen lehnworte gebrauchen.
Es würden also diese beispiele nur zur zeitlichen bestimmung
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HI KT
des germ. a-umlauts von u dienen können, aber selbst dieses
ist nicht ganz sicher. Bei der widergabe fremder vocale
kommt nämlich vor allen dingen die eigenhöhe des vocals in
betracht. Serben, denen ich deutsche Wörter mit a vorsprach,
hörten darin ein o und gaben es demnach mit o wider, ob-
gleich sie selbst ein a besitzen, das allerdings bedeutend höher
liegt als unser deutsches a. Aehnlich war es auch früher.
Für germ. a in lehnwörtern wird im slavischen o gesprochen,
vgl. z. b. serb. grof = graf u. v. a. Die Litauer dagegen setzen
für das slav. o noch heute ein a, weil die Litauer kein ö
kennen, vgl. lit. alyvä 'olive', poln. oliva; lit. altörius, poln. oltar
'altar', lit. äsilas, klr. osel, poln. osiol 'esel' u.s.w. mit voll-
ständiger regelmässigkeit. Man wird daher aus den germani-
schen lehnworten aus dem keltischen nicht das schliessen
können, was man getan hat. Sie sind m. e. in keiner weise
verwertbar.
2. 'Indog. ö und ä sind zur zeit Caesars im germanischen
noch geschieden gewesen, vgl. Silva Bacenis, ahd. Buochunna'
Ebenso Brugmann, Gründl*. 1*, 151. Im altirischen und im galli-
schen sind indog. ö und a in ä zusammengefallen. Ist dies
aber der fall, so kann in Bäcenis keltische laut Substitution
für *Böcenis vorliegen. Denn Caesar wird doch den namen
aus gallischem munde vernommen haben. Ebensowenig be-
weisen die lehnworte, gall. bräca, aisl. brok, ahd. bruoh, Dann-
vius, got Dönawi, ahd. Tuonouwa. Wie hier kelt. ä durch ö
widergegeben wird, so wird lat. ö durch ü ersetzt, vgl. as.
Rümuburg. In diesem falle wird wol lautsubstitution vor-
liegen und ö für a kann man dann kaum für etwas anderes
halten. Es scheint mir nicht richtig zu sein, in einem falle
wie got. Bümöneis = lat. Börnäni den einen vocal anders als
den andern zu beurteilen. Wir können aus den keltischen
lehnworten widerum nichts anderes schliessen, als dass damals
im germ. ein ä nicht existierte. Nun, dass ä aus o erst ziem-
lich spät entstanden ist, das wissen wir, und ebenso, wann un-
gefähr das urgermanische & zu a geworden Ist. Auch hier
sei es mir gestattet , auf den bekannten Vorgang in den lit
slavischen sprachen zu verweisen.
Das litauische kennt nur ein ö, das slavische nur ein a,
und sie substituieren dementsprechend. Man vergleiche folgende
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 319
fälle: Ii t. moseria, mild, maser, lit. omerszlakaa 'hammerschlag',
lit. koka 'pranger', mnd. käk 'schand pfähl' u.s.w. Für slav. a
steht gleichfalls ö: lit. dövyti, klr. davyty 'umherjagend quälen',
lit. grömiata, klr. hramöta (gr. yQafifiaxa); lit. gronyfe, poln. gra-
nica u.8.w. So wenig man hier aus den lautsubstitutionen
einen schluss auf die Chronologie ziehen kann, so wenig ist
das im germanischen angängig.
3. lieber die Chronologie der germanischen lautverschiebung
hat Much, Beitr. 17, 62 f. gehandelt. Auch in diesem falle haben
seine resultate bei Kossinna, IF., Anz. 4, 49 beifall gefunden. ')
Ebenso bei Streitberg, Urgerm. gramm. § 126. Aber man
kann sich bei dieser Chronologie nur auf sehr unsichere beweis-
punkte stützen. Zunächst kommt das wort ahd. hanaf, ags.
hwnep, aisl. hanpr gegenüber gr. xävvaßig in betracht. Much
bemerkt dazu s. 63: 'diese pflanze wurde den Griechen von
l) Ich hatte diesen paukt z. b. mit im sinn, als ich Beitr. 21,144
schrieb, dass sich Much auch in anderen unbegründeten punkten des bei-
falls von Kossinna erfreue. Es wird in den IF. ausdrücklich gesagt: 'Als
wichtigstes ergebnis der Sprachwissenschaft darf endlich die festlegung der
ersten (germanischen) lautverschiebung in die zeit um 300 v.Chr. nicht
unerwähnt bleiben/ Seitdem hat Kossinna selbst dieses datum wider um
ein Jahrhundert verrückt (Beitr. 20, 297), und er hat auch die Verteidigung
von Muchs deutung der völkernamen übernommen (IF. 7, 302), wie mir
scheinen will mit wenig glück. Ich bestreite durchaus nicht, dass einzelne
völkernamen aus spott- oder tiernamen entstanden sein können: ich be-
streite nur, dass Muchs deutungen irgendwie wahrscheinlich sind. Sehr
charakteristisch auch für Kossinna sind die IF. 7, 304 augeführten beispiele:
Picenies (picm) 'gpecht' und Hirpini (hirpux) 'wolf'. M. e. müssten die
betreffenden Stämme, wenn sie tiernamen trügen, Pici und Hirpi heissen,
und die Warnari in Mecklenburg müssten Varni genannt sein, wenn sie
'krähen' wären. Zwar könnte in dem -ari die endung der u -Stämme
stecken, aber ebensogut auch das suffix -or> das z. t. die herkunft bedeutet.
Varnavi könnten also die nachkommen eines Vom sein, und ebenso bedeutet
Hirpini nichts anders als zu einem Hirpus gehörig. Der wichtige gesichta-
punkt, dass überall in Europa grosse geschlechtsverbände als grundlage der
stämme existieren, und dass wir in den den namen deutlich patronyniische
endungen treffen, findet bei Kossinna und Much nicht die gebührende be-
rücksichtigung. Allerdings genügen, ' um alte völkernamen richtig erklären
zu können, nicht einmal die besten kenntnisse der lautsysterae der alteu
spräche, sondern es bedarf dazu noch ethnologischer und urgeschichtlicher
kenntnisse/ Gewis. Aber sprachliche kenntnisse und richtige Vorstellungen
von dem leben der spräche sind doch die notwendige Vorbedingung, ohne
die die übrigen kenntnisse wertlos sind.
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III KT
Skythien her (von wo sich ihre cultur über Europa aus-
breitete) erst im 5. jh. bekannt: Herodot 4, 74 beschreibt ihre
Verwendung seinen lesern noch als etwas neues. Kaum früher
aber als die Griechen, die mit der nordküste des Schwarzen
meeres in lebhaften beziehungen standen, lernten die Germanen
sie kennen.' Wenngleich diese annähme nichts weniger als
sicher ist und auch mit einigem vorbehält vorgetragen wird,
so steht in der anzeige Kossinnas IF., Anz. 4, 49 schon die 'tat-
sache von der einführung des hanfes in Osteuropa im 5. jh.'
fest. Sehen wir uns diese 'tatsache' etwas genauer an. Die
betreffende stelle bei Herodot lautet: "Eon öi o<pi (2xv&au)
xdvvaßig <i \ vr\ kv ty x<DQV> *tfv xaxvrrlT0$ *ß* fuyd&tog
tg3 Xlvcp ifiq>tQ£Ozdx?f tavry de xoXXw vmoipiQU r/ xawaßtg-
avxrj xal avrofidt^ xal ontiQOfiivri (pvsrai, xal ig avxfjg
GQifixsq ftkv xal tifiaxa xoievvvcu xolGi XivioiCi ofioiorara,
ovtf av, ootiq (iri xctQxa TQlßcov eirj avxrfi, öiayvoirj, llvov jy
xavvdßioq iöri. . . *)
Unzweifelhaft beschreibt hier Herodot den hanf als eine
in Griechenland nicht einheimische pflanze, die bei den Skythen
wild und culti viert wuchs, die aber auch bei den Thrakern
vorkam. Denn, sagt er, die Thraker bereiten daraus gewänder,
die Skythen (so muss man ergänzen) aber nicht. Dass der
anbau erst kürzlich eingeführt wäre, davon steht bei Herodot
kein wort. Vielmehr sind die Skythen und Thraker mit der
Verwendbarkeit der hanffaser und der berauschenden kraft
der samen wol bekannt, und sie können die pflanze schon seit
langer zeit culti viert haben. Nicht alles, was Herodot be-
schreibt, war seinen landsleuten unbekannt. Erzählt er doch
ausführlich die anschauungen, die die pontischen Griechen von
der herkunft der Skythen hatten, und liegt doch seinem vierten
buch zu einem teil eine ältere griechische quelle zu gründe. Die
art, wie Herodot hier den hanf beschreibt, ist für ihn fast
typisch und überall zu belegen.
In den südlichen halbinseln fand der hanf kein günstiges
fortkommen. Bei den Römern erwähnt ihn (nach Hehn, Cultur-
pflanzen« s. 187) der Satiriker Lucilius um 100 v. Chr. zum
ersten male. Wann er bei den Germanen angebaut, oder wann
l) Das ist auch heute uoch der fall. Experto crede.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCH Ks. 321
er ihnen wenigstens bekannt geworden ist, darüber lässt sich
einfach nichts aussagen. Auch die Untersuchung der funde hat
nichts ergeben. Buschan sagt, Vorgeschichtl. botanik s. 116:
'In dem ganzen mittleren und westlichen Europa war die hanf-
pflanze zur jüngeren stein- und broncezeit und auch wol noch
zur eisenzeit unbekannt; das erste hänfene gewebe, das in
jenen gegenden gefunden ist, stammt nach meinen Unter-
suchungen aus der Völkerwanderungsperiode.' Indessen dürfen
wir aus dem mangel an funden nichts schliessen. Wichtig ist
eine von Hehn a. a. o. angeführte nachricht: 'Als Hiero II. von
Syrakus, 269—215 v. Chr. sein bei Athenaeus 5, 206 beschrie-
benes ungeheures prachtschiff baute, zu dem er von allen
ländern je das beste in seiner art kommen Hess, wurden hanf
und pech vom flusse Rhodanus in Gallien bezogen.' Es liegt
kein grund vor, mit Buschan die richtigkeit dieser nachricht
zu bezweifeln. Wenn der hanfbau spät in die südlichen halb-
inseln vorgedrungen ist, so kann dies seinen grund darin haben,
dass hier die wollenkleidung stets die linnene und hänfene über-
wogen hat. Man bedurfte daher keines ersatzes. Wie es aber im
norden gewesen ist, das vermögen wir einfach nicht zu sagen.
Aber noch etwas anderes ist zu erwägen. Allgemein und
mit recht zerlegt man die erste germanische lautverschiebung
in verschiedene acte; von diesen Vorgängen ist die Verschie-
bung der medien jünger als die der tenues. Es muss dem-
nach im germanischen eine zeit gegeben haben, in der man
X, s und g u.s.w. sprach, in der also keine tenues vorhanden
waren. In dieser epoche hätten die Germanen für ein fremdes
k sicher ch substituiert, ebenso wie sie in Kreks ein k für g
eingesetzt haben, weil sie kein g besassen. Das wort hanf
würde demnach nur beweisen, dass die Verschiebung der medien
noch nicht eingetreten war, als es aufgenommen wurde, es würde
also nur für diesen Vorgang chronologisch bedeutsam sein.
Ebenso steht es auch mit dem worte *Walh$g. 'Sofern
Caesar von den Volcae Tectosages mit recht erzählt, dass sie
durch die grosse Keltenwanderung nach Germanien und an
den erkynischen wald geraten seien, so bestätigt sich damit,
dass jenes germanische Sprachgesetz nach dem Sigovesuszuge
in kraft getreten ist.' Muchs 'soferne' ist es, woran alles
hängt. Caesars nachricht kann aber ebensogut falsch als richtig
Btitr&g« zur geachlchto der deataoben «prmch«. XX Iii. 21
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HfKT
sein. Im allgemeinen sind wir doch heute nicht so ohne wei-
teres geneigt, an diese ein Wanderungstheorie zu glauben, die
Caesar BG. 6, 24 ausspricht. Wir werden vielmehr mit grösse-
rem recht die Volcae in der provinz, die auf ligurisch-iberischem
boden sitzen, für einwanderer halten, und die Volcae in Ger-
manien für zurückgebliebene ansehen [vgl. jetzt Niese, Zs. fda.
42, 142 f.].
Dass auf den namen Vacalus bei Caesar kein gewicht zu
legen ist, und dass in diesem falle Muchs auseinandersetzungen
unzutreffend waren, ist bereite durch v. Grienberger, Beitr.
19, 531 und durch Kossinna, Beitr. 20, 294 gezeigt worden.
Auf den nach Müllenhoff, DA. 2, 234 aus gall.^>c*m 4 köpf
entlehnten bergnamen Finne, auf den Kossinna, Beitr. 20, 296
wider hinweist, ist natürlich ebenfalls kein beweis zu bauen.
Er könnte höchstens für die bestimmung der medienverschie-
bung in betracht kommen.
Kossinna will auch got. fairyuni u. s. w. aus dem keltischen
entlehnt sein lassen (IF. 7, 284). Wir können ihn bei dieser
annähme ruhig belassen und abwarten, ob er den beifall der
fachgenossen finden wird. Ehe wir ihm glauben sollen, muss
Kossinna noch einige andere worte nach weisen, die vor der
Wirkung des Vernerschen gesetzes entlehnt sind.1)
Bf. e. ist bisher noch kein beweispunkt angeführt, der uns
gestattete, die erste germanische lautverschiebuug chronologisch
festzulegen. Allenfalls lässt sich die Verschiebung der medien.
aber ohne sicheren beweis, ins vierte jh. setzen. Und ich
möchte in dieser beziehung auf den litauischen volksnamen
Gudal verweisen. Kurschat sagt im Wb. s. v.: 4 von den hiesigen
') Wenn »ich Kossinna auf das gebiet der grammatik begibt, ist er
meistens wenig glücklich. Iiier möchte ich vor allem noch die tatsache
feststellen, dass er Muchs etymologische deutungen in der hanptsache ge-
billigt hat, diese etymologischen deutungen, deren letztes ergebnis es war,
dass Ptolemaeus seine völkernameu von herumziehenden händlern erhalten
habe, während Holz die sehr gelehrte arbeitsweise des antiken geographen
aufdeckte. Kossinna hätte besser getan, auf seine anzeige von Holz.
Deutsche zs. f. geschieh tsw. n. f. 1, monatsbl. 76 ff. nicht zu verweisen, denn
sie zeigt doch jedem der sich mit diesen fragen beschäftigt hat, daas
Kustmina in diesem punkte zum mindesten befangen ist. Ich halte Holzens
buch für eine viel solidere grundlage für weitere forschung als Muchs ety-
mologien und stehe damit nicht allein.
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GRAMMATISCHES UND ETYMÖL0GI8CHES. 323
Litauern werden die polnischen Litauer, von den Samogiziern
aber die südlicheren Weissrussen Gudal (etwa Goten?) genannt.'
Ich brauche wol kaum auseinanderzusetzen, dass diese Ver-
mutung richtig sein kann, falls die Goten vor der Verschiebung
der medien zu tenuis an die Weichselmttndung Ubergesiedelt
sind, was sich nach Kossinnas ausführungen IF. 7,276 ff. viel-
leicht begründen Hesse.
V.
Zum spirantenwechsel im gotischen.
Durch Thurneysens aufsatz IF. 8, 208 ff. ist die frage nach
dem grammatischen Wechsel im germanischen, speciell im goti-
schen, aufs neue angeregt. Durch den nach weis, dass sich der
Wechsel zwischen tönenden und tonlosen Spiranten in unbetonter
silbe nicht nach der stelle des indog. accentes, sondern nach
einem ganz anderen princip richtet, sind eine ganze reihe von
Schwierigkeiten, die sich der durcMührung der accenthypothese
entgegenstellten, auf das einfachste beseitig^ und die zweifei,
die ich in meinem Indog. acc. in betreff der verwertbarkeit
germanischer formen für die bestimmung des indog. accents
ausgesprochen habe, vollständig gerechtfertigt worden. Auch
Kluge, der in seiner anzeige meines buches Lit-bl. 1895, s. 331
seinen widersprach gerade gegen diesen punkt richtete, hat in
der neuen aufläge von Pauls Grundriss die meisten früher an-
geführten beispiele für accentwechsel gestrichen.
Indessen finde ich, dass mit Thurneysens aufsatz die sache
selbst keineswegs erledigt ist. Abgesehen davon dass eine
anzahl von beispielen übrig bleiben, die sich dem gesetz nicht
zu fügen scheinen, fehlt auch eine erklärung des lautphysio-
gischen und historischen Vorgangs der gleich zu nennenden
erscheinungen.
Thurneysens regel lautet: 'unmittelbar hinter unbetonten
(nicht haupttonigen) vocalen erscheinen stimmhafte Spiranten,
wenn im anlaut der unbetonten silbe ein stimmloser consonant
steht; dagegen stimmlose, wenn jene silbe mit einem stimm-
haften consonanten anlautet (-tub-, aber -duf-). Stehen zwei
consonanten im silbenanlaut, so wirkt stimmloser consonant +
liquida wie stimmhafter anlaut; vgl. unten auhjödus, tceittcöd-,
aber braprahans, niuklahs. Im letzteren fall hebt also die
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hittT
dazwischenstehende stimmhafte liquida die Wirkung des vorher-
gehenden lautes auf/
Hier drängen sich sofort verschiedene fragen auf, die eine
beantwortung erfordern. Wie verhält sich diese regel zum
Vernerschen gesetz? Hat dieses zunächst gewirkt, und sind
dann die tönenden Spiranten tonlos, tonlose tönend geworden,
oder haben wir im gotischen in unbetonten silben nur tönende
Spiranten vorauszusetzen, die dann nach tönenden consonanten
im anlaut der vorhergehenden silbe tonlos geworden sind, oder
ist etwa das umgekehrte eingetreten? Ist diese erscheinung
speciflsch gotisch oder ist sie gemeingermanisch?
Ich will versuchen, hier einen schritt weiter zu kommen.
Ich gehe von den beispielen aus, die auch Thurneysens aus-
gangspunkt gebildet haben, den eigentümlichen bildungen auf
-ubn-, -ufn-. Es heisst fraistubni, fastubni, tcitubni, aber tcal-
dufni, wundufni.
Ich halte liier mit Thurneysen a.a.O. und Brugmann,
Grundr. 1, 383 an der alten Sieversschen herleitung dieses
suffixes aus -umni- fest, und glaube nicht, dass Joh. Schmidts
zunickführung auf -upn- (Kritik der sonantentheorie s. 132 ff.)
viel beifall finden wird. Abgesehen davon, dass wir dieses
suffix -upn- schwer irgendwo anknüpfen können, ist der Über-
gang von -mn- in -tin- auch in Wurzelsilben belegt, vgl. Brug-
mann a. a. o.,1) und wir gewinnen mit der herleitung aus -umni-
eine tadellose erklärung. Bei dem Übergang von m vor n in
einen Spiranten muss nun zunächst ein tönender Spirant ent-
standen sein, wie ein solcher ja auch in got. stibna vorliegt.
In diesem falle kann der Wechsel von b und f zweifellos nichts
mit dem Vernerschen gesetz zu tun haben, und es folgt daraus,
dass im gotischen unter der von Thurneysen gefundenen be-
dingung tönende Spiranten zu tonlosen geworden sind. Es ist
dies auch verständlich. Wurde ein wort wie wdlduhni, tcün-
dubni im gotischen mit starkem exspiratorischem accent ge-
sprochen, so konnte die Spannung der Stimmbänder am schluss
der zweiten silbe sehr wol nachlassen, während sie in firm-
stuhlt, fastubni, witubni U.8.W. erst bei dem « wider einsetzen
musste, und nun das t tönend blieb.
») Zu den dort angeführten beispielen habe ich oben s. 3(Mi einige neue
gefügt.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 325
Die es-stämme waren im indog. wurzelbetont. Wir müssen
daher zunächst tönendes z voraussetzen. Wenn wir rimisa, agisa
finden, so erklärt sich das sehr leicht nach Thurneysens gesetz
aus * rimisa u. s. w. Wir haben es also mit einer rückverwand-
lung zu tun.
Dass auch lautgesetzlich berechtigte tonlose Spiranten
tönend geworden sind, wird sich schwerlich nachweisen lassen.
Leider sind die fälle, in denen wir im indog. betonung der
zweiten silbe eines dreisilbigen Wortes anzunehmen haben, dünn
gesät. Am sichersten sind noch fälle wie frija]>wa, fiaPwa, für
die ich Indog. accent s. 251 eine betonung frijdpwa erschlossen
habe, während piwadw wegen &i.dcvatvdm, catrtttvdm, priyatvdm,
russ. bozestvo, vratestvö auf endbetonung weist.
Wenn uns nun auch die verwanten sprachen im stich
lassen, so haben wir in den übrigen germanischen dialekten
stützen, die Thurneysen merkwürdigerweise gar nicht heran-
gezogen hat. So lange er nicht nachgewiesen hat, dass sein
gesetz auch in den übrigen mundarten gilt, so lange können
formen nicht benutzt werden, die im übrigen germanischen
eine enteprechung finden. So sind denn unsicher oder über-
haupt zu streichen: got. agisa wegen ahd. egiw, got. menupum
wegen ahd. manöd\ auch wol got. bajöPum wegen ahd. beide;
liuhad- wegen ahd. Höht; naqad- wegen ahd. nahhut; fratnap-
wegen ahd. fremidi; magap wegen &M.tnagad; zu den abstracten
auf -ipa ist zu bemerken, dass auch im ahd. -ida ganz allgemein
ist. Dass jemals ein -iöa bestanden habe, lässt sich aus aupi-da,
wairpida schwerlich folgern, witöd weicht von ahd. tcizzöd
ab, doch kann hier Verallgemeinerung des suffixes -öd vor-
hegen. Der Wechsel -ödus, -opus ist auch im ahd. vorhanden.
Dass im gotischen h und g nicht mehr mit einander
wechseln können, ergibt sich aus der behandlung des g im
auslaut. Sollte wirklich h für g in mittelsilben eintreten, so
müsste dieses lautgesetz recht alt sein. Indessen lassen die von
Thurneysen angeführten erscheinungen auch eine andere erklä-
rung zu, die ich Indog. acc. s. 283 schon gegeben habe. Dem
got. suffix in bairgahei, bröPrahans entspricht das ahd. suffix -ahi,
während den got. adjectiven auf $ ebensolche im ahd. gegen-
überstehen. Es ist nun nicht zu kühn, die got. adjective wie
stainahs u.s.w. ihr h von collectiven, wie sie in ahd. steinahi
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HIRT
vorliegen, beziehen zu lassen. Auf ainalui ist schwerlich viel
zu geben, niuklahs ist vielleicht compositum, parihs ganz un-
klar. Die encliticae -uh, -h und -hun kommen als einst selb-
ständige worte vielleicht nicht in betracht. Lassen sich also
einerseits die fälle, in denen h im gotischen auftritt, anders
erklären als es Thumeysen tut, so bleiben andrerseits doch
zahlreiche ausnahmen mit g. gabigs und handugs konnten
sich doch schwerlich so leicht an die übrigen adjectiva auf g
anschliessen. Ahd. heisst es ebenfalls hantac. In fällen wie
sineigs, andanemeigs, gawizmigs, usbeisneigs, waursttceigs, witö-
deigs, audags und zahlreichen anderen könnte man ja Über-
tragung annehmen, was mich indessen nicht sonderlich befrie-
digt. Eher dürfte in erwägung gezogen werden, dass hier wie
im auslaut g auch den entsprechenden tonlosen Spiranten be-
zeichnet, das auftretende h aber, wie eben angedeutet, auf
anderen Ursachen beruht.
Thurneysens gesetz lässt aber auch ausserdem eine reihe
von ausnahmen zurück, die er selbst zusammengestellt hat.
nämlich barizcins, ubizwa, arbaiditn, haubida, filigri, twalibim,
silubr, silubreins, frumadei, ftiwadw. Mag man auch einigen
seiner versuche, diese formen zu deuten, zustimmen, so bleiben
doch andere ganz rätselhaft, und ich möchte daher nach einem
lautgesetzlichen gründe suchen.
Nehmen wir zunächst haubida. b geht doch hier höchst
wahrscheinlich auf indog. p zurück, wenn auch das Verhältnis
zu lat. caput, ai. kapucclmla noch nicht genügend aufgeklärt
ist. Wir erhalten also eine ursprüngliche betonung haubida.
Got. ubizvca 'halle, Vorhalle1 weist auf dieselbe betonung,
falls es, wie man mit Johansson, Beitr. 15, 239 und Ehrismann,
Beitr. 18, 227 f. annehmen darf, zu indog. up gehört.
Worte, mit dem suffix tno gebildet, sind auf dem i betont,
vgl. ai. apäcinas, anjasinas, navinas, gr. a-yx^^og, tQv&Qlvoq,
xoQaxtvoc, ahd. magatin, lit. kaimynas, vgl. Indog. acc. s. 278.
Wir haben also vorgot. *barizeinsf * silubreins anzusetzen. Ebenso
war piwadw auf dem ende betont, wie schon oben bemerkt ist
Dasselbe für frumadei anzunehmen hindert nichts. Wir würden
nach diesen beispielen Thurneysens regel dahin ergänzen müssen,
dass der Übergang des tönenden Spiranten in den tonlosen nicht
eintrat, wenn der ton unmittelbar dahinter, also auf der dritten
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 327
silbe lag. Oder wir können auch sagen: der Übergang ist nur
eingetreten, wenn seit indog. zeit anfangsbetonung herschte.
Ich glaube durch diese fassung erledigen sich noch eine
ganze reihe von fällen, die Thurneysen durch ausgleichung
erklärt.
Auf die adjectivendungen -aizös, -atze, -aissö will ich kein
allzu grosses gewicht legen. Da aber die adjectiva meistens
endbetont waren, und es zweifellos *pizös, *pizö, *piz6 geheissen
hat, so liegt eine ursprüngliche be tonung blindaizös sehr nahe.
Die endungen -za, indog. -sai, und -da waren im indog. in vielen
fällen betont. Setzen wir dies auch für das germanische voraus,
so konnten sich niemals -sa und -pa einstellen. Ebenso können
die angehängten partikeln in pizözei, iztvüei, harjizuh, andizuh,
tcilcizu den ton getragen haben, wie in anderen indog. sprachen,
vgl. ai. td-dm, gr. arkad. tm-vl 'huius', dor. ifu4, tti, ovtoa-i,
ovxl, lit. tasat, abulg. ktito. Bei dem comparativsuffix -iza, -öza
haben wir in der überwiegenden mehrzahl der fälle lautgesetz-
lichen tönenden Spiranten, da ja ausser den sonoren nur p, t, k
oder f, p, h am schluss der ersten silbe stehen konnten. Wenn
auch dieses Verhältnis frühzeitig verwischt ist, so war doch
der tonlose spirant in mehr fällen vorhanden, als sie historisch
vorliegen.
Das schwache part, war zweifellos auf dem ende betont,
daher wären die formen wie habaid-, salböd- vollständig laut-
gesetzlich, und das schwache praet. hat sich nach dem part.
gerichtet, falls es etwa wurzelbetont war. Wenn Thurneysen
meint, das zweite d von dedum u.s.w. sei deshalb erhalten,
weil das wort als compositum gefühlt sei, so stimme ich ihm
darin vollkommen bei. Ich habe ja schon früher, um das -e
zu erklären, eine betonung hdbaidedum erschlossen, und es ist
klar, dass nach einem neben ton das d nicht tonlos werden
konnte.
Dass die adjectiva auf -g ihr g erhalten haben, würde sich
ebenso aus der endbetonung erklären lassen, die für sie ziem-
lich feststeht, wenn man nicht den oben gegebenen ausweg
einzuschlagen vorzieht. Für die adverbialendung -ba würde
ich consequenterweise endbetonung ansetzen. Falls das suffix
mit den slavischen abstracten auf -ba zusammenhängt, würde
diese durch die slavischen dialekte gestützt, vgl. Indog. acc.
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s. 285. Ueber got, ainlibim, twalibim weiss ich allerdings nichts
plausibles zu sagen. Ich habe darüber schon IF. 7, 131 f. ge-
schrieben. Mir scheint im gegensatz zu Thurneysen got. b
alt zu sein. Die endbetonung ist mir nicht gerade wahrschein-
lich, wenn sie auch möglich ist. Diesen rest, der sich auch
bei Thurneysen findet, muss ich also lassen. Im übrigen er-
klärt meine fassung der regel viel mehr, so dass man ihr wol
den vorzug vor der Thurneysenschen geben wird. Entgegen-
stehende instanzen wüsste ich nicht anzuführen. Wir werden
also das gesetz so fassen: lag seit indog. zeit der accent auf
der ersten silbe, so gehen im gotischen die lautgesetzlich ent-
standenen tönenden Spiranten in unbetonten mitteisilben in
tonlose über, wenn im anlaut der unbetonten silbe ein tonender
laut steht.
Im weiteren mag diese erscheinung auf demselben priucip
beruhen, wie die spätere synkopierung der mittel vocale, die
man sich doch vollzogen denken muss durch einen Übergang
der vollstimmigen vocale zu tonlosen durch die murmelstimme
hindurch. Nur ist das gotische auch in diesem punkte seine
eigenen bahnen gewandelt.
Thurneysen lässt es im zweifei, ob dieses gesetz auch in
den übrigen germanischen dialekten gewirkt habe. Es ist sehr
schwer, hier ein sicheres urteil abzugeben, da einigermassen
isolierte formen selten sind. Es heisst ahd. scefßd 4 schöpf er',
aber leitid 'führer' und helid 'held'; gegenüber got. awefri aus
*awedi steht ahd.etatf, ouwiti; es heisst egiso, &gs.byres 'bohrer',
ahd. burissa, ags. lynes, and. lunisa 'wagenlünse', ahd. hulisa
'hülse', mhd. bremse 'hemmschuh', aber auch slangura, slengira
'sohlender', doch lässt sich gerade hier das auftreten des ton-
losen Spiranten erklären.
Im allgemeinen bin ich nicht geneigt, die gotische regel
auf die übrigen germanischen dialekte auszudehnen, doch ist
hier noch nicht das letzte wort gesprochen.
In einer beziehung bedarf Thurneysens beobachtung wol
auch noch der berichtigung. Der gegensatz von auhjödus,
weitwöd- und bröprahans, niuklahs ist vielleicht nur zufällig.
Die beiden letzten fälle sind, wie ich sehe, die einzigen, auf
die sich die regel, dass tonloser laut + liquida wie tonender
anlaut wirkt, gründet. Wir haben aber oben angenommen,
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHEM 329
dass g und h überhaupt nicht dieser regel unterliegen, und so
wird man diese beschränkung ablehnen dürfen.
In einer anmerkung kommt Thurneysen auch auf die frage
nach der behandlung der auslautenden Spiranten zu sprechen,
eine frage, die ja in mehr als einer hinsieht wichtig ist.
Die gotischen auslautenden -s sind zum grossen teil erst
aus tönenden entstanden, und da auch im nordischen im nom.
sing, durchweg r erscheint, so nimmt man wol an, dass einst
die meisten auslautenden -s des germanischen tönend gewesen
sind. Es fragt sich dabei nur, ob sie es lautgesetzlich oder
durch analogische beeinflussung waren. Der fälle die hier zur
ent scheidung in betracht kommen, sind wenige, und zwar in
erster linie die lautverbindung -rs. Bekanntlich stehen wir
in der frage, wie diese im got. auslaut behandelt wird, noch
vor einem ungelösten rätsei. Teils schwindet nämlich das
nominativ-s, teils bleibt es. Ohne eine reihe von analogie-
bildungen kommen weder Brugmann noch Braune aus.
An und für sich liegt es sehr nahe anzunehmen, dass rs
blieb, rz aber zu r wurde, denn mit einer assimilation haben
wir es entschieden zu tun.
1. -rs bleibt in akrs m. 'acker', gr. aypoc figgrs 'finger'
wird doch wol mit penfoie '5' zusammenhängen, und weist also
auf *penJcros. Die adjectiva auf ro dürfen wir als endbetont
ansetzen: hörs, lat. cärus (ai. edrush ist nicht damit zu ver-
binden), indog. *kärös, skeirs 'klar, swers 'geehrt', gdurs 'be-
trübt', sA.ghörds 'schrecklich', hlütrs 'lauter, rein'. Gen. sing.
fadrs, gr. jtaiQog. Doch ist dieser fall natürlich unsicher.
2. -rz wird zu r. anpar 'zweite' lässt eine betonung an-
}>araz erschliessen, ebenso hapar, gr. jtottQoe,. fidwör, ai. cat-
vdras. stiur 'stier' Neh. 5, 18 hängt zweifellos mit gr. tavQoq
zusammen. Genauer entspricht ai. sthdviras 'dick, derb, voll-
wüchsig'. Der accent von baur lässt sich nicht bestimmen.
Als einzige ausnähme bleibt wair übrig, dem im indischen
virds gegenübersteht. Auf lit. vyras ist wegen des stosstons
nichts zu geben, es kann aus *vyrds entstanden sein. Diese
ausnähme würde in einem ganz anderen licht erscheinen, wenn
auf krimgot. fers 'mann' sicher zu bauen wäre. Hier wäre
tatsächlich das -s erhalten, das im gotischen aus unbekannten
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gründen verloren sein müsste. Aber dies wort gehört schwer-
lich zu got. tvair. Man darf zur not auch eine betonung viras
ansetzen, die sogar wahrscheinlich wird, falls der bettlemame
7(>os in der Odyssee gleich viros wäre.
VI.
Zu den germanischen lehnwörtern im slavischrn
und baltischen.
Welch grossen einfluss die germ. dialekte auf die baltisch-
slavischen ausgeübt haben, ist im allgemeinen bekannt, Kluge
hat in Pauls Grundr. 1, 321 zuerst wider auf dieses wenig be-
achtete capitel hingewiesen. Seitdem hat Uhlenbeck die
germanischen Wörter im altsla vischen im Arch. f. slav. phil. 15,
481 ff. noch einmal zu sammeln versucht, indem er den älteren
versuch von Miklosich, Die fremdwörter in den slavischen
sprachen (Denkschr. der kais. akademie d. wiss. zu Wien bd. 15)
ergänzte. Ich kann aber auch diese letzte arbeit aus ver-
schiedenen gründen nicht für abschliessend halten. Denn
erstens hat Uhlenbeck in seine liste nur solche Wörter auf-
genommen, die auf grund lautlicher kriterien zweifellos entlehnt
sind. Die bei denen diese kriterien versagen, fehlen. Nun
sagt uns aber die Wahrscheinlichkeitsrechnung, dass auch von
den Wörtern die lautlich genau übereinstimmen, viele entlehnt
sein können, ja, dass sie mit derselben Wahrscheinlichkeit von
Vi unverwant und entlehnt sein dürften. In solchem fall
werden erst andere gründe die wagschale nach der einen oder
anderen richtung sinken lassen. In dieser beziehung möchte
ich seine ausführungen ergänzen. Zweitens mangelt uns aber
eine lautlehre der geimanischen lehnwörter, und auch in diesem
punkte will ich versuchen, einiges hinzuzufügen.
Als sichere kriterien der entlehnung kommen nicht allzu
viel in betracht. Das slavische ch für germ. h ist das wich-
tigste. Das slavische ch bezeichnet zweifellos einen reibelaut.
Man darf aber daraus nichts für die natur des germ. h er-
schliessen. Denn noch heute setzen die Russen für unser h ein
X ein. Ausserdem verdienen die gutturale aufmerksamkeit. Wo
die baltisch -slavischen sprachen den verschlusslaut an stelle
des Zischlautes zeigen, da ist in den meisten fällen entlehnung,
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHEM 331
wenn auch nicht gerade immer aus dem germanischen anzu-
nehmen. Ich kann hier meine speciellen gründe, die sich auf
eine Untersuchung der indog. gutturalreihen stützen, nicht
näher ausführen. Hier genüge die bemerkung, dass die über-
wiegende anzahl der Wörter mit verschlusslaut in der f- reihe
ohne jede Schwierigkeit als entlehnt angesehen werden kann.
Oft zeigen auch die slavischen und germanischen Wörter die-
selbe articulationsart, die nicht auf eine indog. einheit zurück-
gehen kann. Man hilft sich hier mit der annähme von indog.
Wechsel von media und tenuis, vielfach gewis ohne genügenden
grund. Die Vermutung der entlehnung ist mindestens mit in
betracht zu ziehen.
Bei der frage der entlehnung dürfen natürlich die baltisch-
slavischen sprachen nicht als eine einheit behandelt werden,
da wir es mit ganz verschiedenen epochen zu tun haben.
A. Die germanischen lehnwörter im altslavischen.
Abulg. almuzlno, neuslov. (Umozna, kroat. almuzno ist aus
dem deutschen entlehnt, und zwar erst zu ahd. zeit, da dem
got, das wort mangelt, dafür armaiö. Auch im abulg. heisst
es gewöhnlich milostyni almuzlno stammt aus einer cechischen
quelle. Ahd. al ist deshalb auch durch al und nicht durch la
widergegeben.
Abulg. bidiH 'zwingen', serb. bijkliti 'accusare', russ. beditX
aus got. baidjan. Nach Uhlenbeck, Et. wb. s. v. urverwant. Die
genau übereinstimmende bedeutung scheint mir für entlehnung
zu sprechen. Lit. baidyti heisst 'scheuchen' und ist wahrschein-
lich urverwant.
Serb. bök, boka, russ. bokü, böka 'seite' aus got. *bak-, ahd.
bah, aengl. bcec 'rücken'.
Abulg. boll 'krank', boll 'krankheit', serb. böl, boli, boleti
'leiden', got. balwjan 'quälen'. Die möglichkeit der entlehnung
möchte ich offen halten.
Serb. bör, bbra (6ära), russ. borü, bora 'föhre', ags. bearu
'wald, hain'. Nach Uhlenbeck urverwant.
Abulg. brasino 'speise', serb. bfasno, russ. dial. borosno
'roggenmehr, got.barizeins. Urverwant nach H.Pedersen, IF. 5, 54.
Abulg. bravü, serb. brav, russ. börovü aus germ. *barw-, vgl.
ahd. barug, barh, an. byrgr.
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Abvüg.bregü *uferT, serb. brijeg, russ. beregü, got. bairgahei.
Nach ausweis von arm. bardzr 'hoch', avest. bfarteant hatte das
wort palatal, und ist deshalb als entlehnt anzusehen. Nach
Uhlenbeck urverwant.
Abulg. bregq, 'bewahre, behüte', got. bairgan. Urverwant
nach Uhlenbeck und anderen.
Abulg. celü, serb. clo, cijela, russ. celü, celd, gothails, apr.
kailastikan. Urverwant nach Uhlenbeck. Mir ist die gleiche
bedeutung im germ.-slav. trotz Brugmann, Die ausdrücke für
den begriff der totalität s. 41 ff., verdächtig, vgl. abulg. celovati
'grüssen, küssen' mit ags. tätet tan, aisl. heilsa 'grüssen'.
Abulg. creda 'reihe, tagesfolge, herde', got. hairda 'herde\
ahd. herta 'Wechsel'. Vgl. lit. kerdzius aus got. hairdeis. Nach
Uhlenbeck urverwant. Die sippe hatte aber palatal, vgl. ai.
cdrdhas 'schar'.
Abulg. cremü 'zeit', ahd. chräm, Kluge, Grundr. 2 a.a.O.
Sie gehören wol nicht zusammen. Man erwartete *kremü.
Eher aus ahd. scirm, scerrn, mit dem es nach Joh. Schmidt,
Verwantschaftsverh. s. 41, urverwant ist. Doch ist auch dies
sehr unsicher. Anders, aber nicht überzeugend, Johansson, IF.
8, 171, der ahd. chräm wol richtig mit ai. grätna- verbindet.
Abulg. dclu 'teil', serb. dio, dijela, got. dails f. 'an teil',
abulg. dcliti 'teilen', got. dailjan. Nach Uhlenbeck und Kluge,
Et. wb.* s. v. teil urverwant, was jedenfalls nicht zu be-
weisen ist.
Abulg. dlügü 'schuld', serb. düg, düga, russ. dölgü, dolga,
got. dulgs. Die bedeutung spricht mir für entlehnung. Urver-
want nach Uhlenbeck.
Abulg. dolü 'loch, grübe, tal', got. dal n. 'tal'. Urver-
want nach Kluge, Et wb.5 s. v. thal. Die bedeutung stimmt
überein gegenüber gr. &6Xo$.
Abulg. drüzükü 'kühn', drüsati 'kühn sein', got. gadaürsan
'wagen'. Das slavische z kann nicht aus slavischen laut-
gesetzen erklärt werden, wol aber aus germanischen. Anders
Nehring, IF. 4, 401.
Abulg. dunavX, dunaj 'Donau', got. *Dönavi. Möllenhoff,
DA. 2, 362 ff.
Abulg. gast, ahd. gans, got. *gans, vgl. lit, zasts mit palatal
Entlehnt nach Kluge, Et, wb.5 s. v. Brugmann, Grundr. 1, 345.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 333
Russ. glazü 'äuge', mhd. glaren. Nehring, IF. 4, 102.
Abulg. godü 'günstige zeit', goittnü ' angenehm ', ahd. gigat
'passend'. Nach Kluge, Et. wb.& s. v. gütlich urverwant.
Abulg. gostX 'gast', got. gasts. Das slavische wort hat die
bedeutung des germanischen gegenüber lat. hostis. Urverwant
nach Kluge, Et. wb.* s. v. gast.
Xhvilg.gospodX, vielleicht aus got. *ga$tifaps, vgl. lAthospes.
Dass der zweite teil des rätselhaften slavischen Wortes mit
*potis zusammenhängt, hat man längst vermutet, aber das d
blieb unerklärt. Vielleicht hilft also die annähme von ent-
lehnung aus dem germanischen.
Abulg. gradü, serb. gräd, gräda, russ. görodü, goroda, got.
gards. Für diese auch von ühlenbeck angenommene, aber
häufig- bestrittene entlehnung sprechen vor allem die composita
abulg. vinogradü, got. weinagards, abulg. vrutogradü, got. aürti-
gards. aürti stammt ja selbst erst aus lat. horti, so dass in
diesem falle die entlehnung zweifellos ist.
Abulg. grebq, got. graban, abulg. grobii 'grab', ahd. grab.
Sind eher als urverwant aufzufassen.
Xsl. grcdel, kroat. gredelj 'pflugschar', russ. graditt, ahd.
jrindel, grindil 'obex, pessula'. Wird auch zu abulg. greda
trabs' gezogen. Entlehnt nach Miklosich.
Abulg. chotarX 'limus', ahd. huntari 'abteilung eines gaues'.
Uiklosich, Et. wb. s. 86. G. Meyer, Alb. stud. 3, 48.
Abulg. chlochotati 'strepere' vielleicht aus got. hlaJijan; s.
kleyer a.a.O.
Abulg. chrabriA 'krieger', serb. chrdbar, chrdbra, chrdbro
us got. *harva- 'herb' nach G.Meyer a.a.O. Das ist kaum
ichtig, da das got. wort *chravü ergeben hätte. Nach H. Pe-
ersen, IF. 5, 63 ist es nicht entlehnt. Ob aus got, gaprafstjan?
r zu dir wie in abulg. chrastX 'käfer' aus got. pramstei.
Abulg. chriitu 'hund', serb. ehrt, cJirta, klruss. chort, chorta,
hd. rud(e)o, got. Vmtjtja, ags. hryÖÖa. Der anlaut kr ist für
as germanische nicht gesichert, wird aber durch das slav.
»stgelegt.
Slov. chrxip 'tumult', got. hröps 'geschrei'. Ühlenbeck,
eitr. 20, 38.
Abulg. inü 'ein', got. ains und abulg. iskati, \it.jeszl'6ti, ahd.
scön sind nach gewöhnlicher annähme urverwant. Doch sind
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dies, wie mir Brugmann mitteilt, vgl. jetzt Berichte d. k. sächs.
ges. d. wiss. vom 6. febr. 1897, s. 37, die beiden einzigeil fälle, in
denen indog. oi im slavischen anlaut durch i vertreten sind,
während die regelrechte Vertretung ja ist. iskati ist auch
wegen der behandlung des gutturals verdächtig, vgl. Brug-
mann, Grundr. 1, 306 anm., und mm, wofür die Slaven sonst jedmü
'eins' gebrauchen, kann der kirchlichen terminologie entnommen
sein, vgl. inoeedü 'povoytvriq? = got. ainabaur (baur 'das kind'
= slav. eedü 'kind').
Russ. ha, serb. Iva, ahd. iwa. IL
Abulg. klada 'lege, stelle1, got. hlajxin. Die urverwantschaft
ist nur möglich bei der annähme von Wurzelvariation, vgl.
Uhlenbeck unter afhlapan, Kluge, Et. wb.* s. v. laden.
Abulg. konoplja, got. *hanaps, lat. cannabis, gr. xavvaßiq. M.
Abulg. kotora 'kämpf, mhd. hader 'zank, streit', vgl. ai.
cdtrash. Nach Kluge, Et wb.» s. v. urverwapt.
Serb. krt, krta, russ. krotu, krotd 'maulwurf, ahd. chrota,
ehr Uta 'kröte'.
Serb. krap, russ. koropü, ahd. karpo 'karpfen'.
Abulg. krüzno 'vestis pellicea', ahd. chursina. M.
Abulg. kupü, serb. ktip, Icupa, lit. kaüpas, ahd. houf, vgl.
Kluge s.v. häufen.
Abulg. kuriwa, got. *hörwa- von hörs. Entlehnt nach Uhlen-
beck s.v. hörs und Kluge s.v. hure.
Abulg. laja 'belle, schmähe', got. *laian 'schmähen'. Unsicher.
Abulg. lasta, mhd. lanze, lat. lancea. M.
Abulg. listl 'betrug', llstiti 'betrügen', got. lists. Nach
Uhlenbeck kann das abulg. wort entlehnt sein. VgL noch Kluge
s.v. list.
Abulg. Ilvü aus got. *liwa-, ahd. leo, lewo. Abulg. Hvü kann
nicht aus lat. leo stammen. Als lehnwort aus dem got, in dem
leo zu *liwa- werden musste, wäre es verständlich.
Abulg. lice, serb. lice, russ. licö 'antlitz', aus *likiom zu got.
leite, zülo-likü 'boshaft' = got. -leiks; Ulilenbeck s. v.
Abulg. likü 'chorus', likovati, got. laikan 'salire', got. laiks,
lit. aber läujyti 'wild umherlaufen'. Das slav. wort entlehnt
nach M.
Aruss. lobuzati 'osculari', ahd. le'fsa M.
Abulg. Ijubu, got. Hufs, abulg. ljuby = got. Viuhö. Urver-
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GRAMMATISCHES UND ETYM0L0GI8CHKS.
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want nach Uhlenbeck. Nach Kluge, Et. wb.5 s. v. lieb entlehnt.
Doch geht seine ansieht nicht ganz deutlich aus seinen Worten
hervor.
Abulg. ljudü, ljudTje, ahd. Hut. Urverwant nach Kluge, Et.
wb.& s. v. leute.
Abulg. losf 'mager', serb. lös 'schlecht', got. laxitcs. Nach
Jon. Schmidt, Verwantschaftsverhältnisse s. 39 und Uhlenbeck
s.v. urverwant.
Abulg. lügati 'lügen', lüiY, serb. läzt, lazi, russ. lozl, Izi.
Urverwant nach Uhlenbeck.
Abulg. lug 'lauge', ahd. louga M. 'lauge'. Nach Kluge s. v.
lauge urverwant.
Abulg. meso, got. mimz. An entlehnung denke ich wegen
der betonung serb. meso, vgl. verf. Indog. accent s. 140, und weil
auch Wörter wie got. hlaifs, miluks, biuds entlehnt sind.
Abulg. meniti 'meinen', ahd. meinen. Nach Kluge ur-
verwant.
Abulg. wem, got. mers. Urverwant nach Uhlenbeck. Vgl.
aber die Verwendung in namen wie Vladimerü.
Abulg. misa 'patina', got. mffs, ahd. meas, mias. M.
Abulg. mXzda, got. mizdö m. Urverwant nach gewöhnlicher
annähme. Man erwartete bei directer entlehnung *mlzdy. Doch
ist das wort in einzelnen germ. dialekten, wie ursprünglich
überhaupt, starkes femininum.
Abulg. mogq, got. mag, abulg. mostl, serb. moc, möc'i, russ.
gen. möci, got. mahts. Die sippe hat palatal. Vgl. apreuss.
massi. Urverwant nach gewöhnlicher annähme.
Abulg. mora 'ineubus', serb. möra, ahd. mara. U. Urver-
want nach Kluge, Et. wb.a 8. v. mahr. Doch vgl. das aus dem
germ. entlehnte frz. cauchemar 'aipdrücken'.
Abulg. mrüzeti, mruznati 'verabscheuen', got. marzjan 'är-
gern, anstoss geben'. Entlehnt wegen des z aus einer form
mit aur, die vielleicht in nhd. murren, nl. morren 'murren'
vorliegt.
Abulg. münogu, got. manags. Nach Uhlenbeck urverwant.
Doch erwartete man im slav. monogü.
Abulg. neprijaznX ist die Übersetzung des ahd. unhold, und
wol erst mit der kirchlichen Übersetzungsliteratur zu den Slaven
gekommen.
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Abulg. olü 'sicera', lit. alus, an. gl, ags. ealu. M. Kluge
8. v. hier.
Abulg. oradije 'negotium, instrumentum, apparatus'. ahd.
ürunti. M.
Abulg. ostlü, got. asilus. M.
Abulg. plesati, got.plinsjan 'tanzen'. Wahrscheinlich aus
dem slav. entlehnt.
Serb. pir, pira 'hochzeit', russ. pirü, pira 'schmaus', ahd.
firaiac.
Abulg. plakati 'sich die brüst schlagen', got. fiökan 'be-
klagen'.
Serb. pldtno, russ. polotno 'leinwand', mhd. valte st. swt
u. a. 'tuen zum einschlagen guter kleider'.
Abulg. o-pona 'Vorhang', got fana m. 'stück zeug'.
Abulg. pram 'navis genus', ahd. faram. M. Nach Kluge
s. v. prahm urverwant.
AbvHg.prijati 'günstig sein', got. frijön, dbvAg.prijateti, ahd.
friudil, got. *frijö]rils, abulg. prijaznt, got. *frijözns.
Abulg. kroat.jwwdm. 'hierum', mhd. fruot 'gedeihen, klugheit'.
Abulg. rokü 'termin', serb. rök, röka, russ. gen. röka, ags.
racu, as. raka, ahd. rahha 'rede, rechenschaft, sache'. rokü
scheint allerdings zu abulg. rekq, 'sagen' zu gehören. Aber
rekq, gehört wol mit ahd. rehhanön zusammen, die man nur
unter der annähme von Wurzelvariation vereinigen kann.
Abulg. »raka, sraky f. 'tunica', mlat. sarca, an. serkr (st.
*sarki-)1 ags. serce (st. *sarkjön-), got. *$arkö~. M.
Abulg. sterfca 'unfruchtbare kuh', got. stairö 'unfruchtbar',
vgl. nhd. stärke. Urverwant nach Uhlenbeck.
Abulg. stena 'mauer', serb. stijena, russ. stend, got, stains
'stein'. Urverwant nach Uhlenbeck. Vgl. aber abulg. steninü
'steinig, felsig', got. stuineins.
Abulg. stiklo 'vitrum', serb. stäklo, got. stikls m. 'becher,
kelch'. M. Uhlenbeck spricht sich jetzt Beitr. 22, 191 für slav.
Ursprung des Wortes aus, aber kaum mit recht, da f als Schwä-
chung von e im slavischen zwar einige male vorzuliegen scheint,
aber absolut nicht als bewiesen gelten darf. Gewis ist ent-
lehnung aus dem slav. möglich, aber kaum zu beweisen.
Abulg. svekrü, svekry, got. swaihra, swaihrö. Nach gewöhn-
licher annähme urverwant. Schwierigkeiten bereitet der slav.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 337
verschlusslaut, für den wir Zischlaut erwarten. Doch sprechen
schwerwiegende culturhistorische gründe gegen die annähme
von entlehnung, wenngleich die herübernahme von verwant-
schaftswörtern nicht unerhört ist.
Abulg. stuzdf, serb. tüdj, tudja 4 fremd', got. piuda. M.
Abulg. treba 'negotium', trebü 'notwendig', trebovati 'be-
dürfen', got, paurban, ahd. durfan. Urverwant nur bei der
annähme von wurzelvariation. Doch ist die stufe perb- im
' germanischen nicht belegt.
Abulg. valiti, got. afwahcjan 'abwälzen'. Urverwant nach M.
Abulg. varovati sg. 'cavere', got. wäret 'cautio'. M.
Abulg. vedro n. 'gutes wetter', aengl. weder, ahd. w'etar
' wetter', falls man dieses mit abulg. ve'tiü 'luft, wind' vergleicht.
Abulg. vera 'glaube', serb. vfira, russ. vera, got. tuswerjan.
Urverwant nach Uhlenbeck.
Abulg. vesd 'ding, sache', got. waihts f. 'ding, sache'. Ur-
verwant nach gewöhnlicher annähme.
Abulg. vlada, got. waldan. Von Uhlenbeck wird die ent-
lehnung bezweifelt. Für frühe entlehnung Kluge, Et. wb .» s. v.
walten.
Aserb. vlachii, serb. vlach, vlacha, rms.vol6chü, volocha, ahd.
walah. M.
Serb. vldkno, russ. volokno 'flaclis', vielleicht aus ahd. wal-
chan 'schlagen, prügeln, walken', vldkno 'das geschlagene', vgl.
den flachs bliuwen.
Abulg. vosa, serb. bsa, lit. vapsä, ahd. wafsa gegenüber lat.
vespa. Gewöhnlich als urverwant angesehen.
Abulg. voskü, lit. väszkas, ahd. wahs n. Vielleicht entlehnt
nach Kluge s. v. wahs.
Abulg. vünukü 'enkel', ahd. enenkel. Das abulg. wort führt
auf ein *anökas zurück. Auffällig ist das k.
Ich füge nunmehr eine kurze Übersicht der Wörter hinzu,
die Uhlenbeck behandelt hat, wobei ich aber von seinen bei-
spielen aus ahd. zeit absehe.
Abulg. bljudo, bljttdü, gotbiups; brady, germ. *bardö 'Streit-
axt'; brüdo, russ. berdo, got. baurd; bugü, ahd. boug; buky, got.
*bökö\ ceto, got. kintus; ccsarT, kaisar; aiiky, ahd. chirihha, fydT,
ahd. chind; chabiti se 'abstinere', ochaba 'eigentum', got. haban;
Beiträge inr genoblaht« der dtutechen ipreah«. XX in. 22
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serb. charati 'spoliare, devastare', an. herja; abulg. chqulogu, got.
handugs-, abulg. chladü 'kühle' stammt nicht aus genn. *kalda;
chlakü 'caelebs', gothalks 'arm', -chlastati 'frenare', ahd. Was/;
chlebn, got. hlaifs; chlevü 'stall', chUvina, got. */»tot«tf, hlija;
chlujati,*flöjan; chlümü, m.holm; abulg. chmeU topfen', an.Äuw/i,
humall; chorqgy, got. hrugga; chrqsti 'käfer', got. ]>ramstei; £ech.
cÄwfe 'zeit', poln. chwila, got. foetfa; chvrastü 'wald, eiche', ahd.
Äorsf; <%e-t«, got. hüs; dutnati 'denken', duma 'rat', got. dömjan,
dötns; glumü 'scena', gluma 'Unverschämtheit', an. gfaumr; go-
bidzü, got. gabeigs; godavabtt 'seide', ahd. gotawebbi; gonesti,
goritsti, gontznati 'errettet werden', got. gantsan; gonoziti, ga-
nasjan; goneti, got. ganah?; gorazdü, got.*garazds; gotovü, got.
*gataws, gataujan; kalezi 'kelch', kladezf, got. *kaldigga; kriUf,
karl; kotflü, katils; kupiti, got. *kaupön\ kusiti 'kosten', kausjan;
küncgu, künedzf, kuning; lekü, got. Ukeis; lichva 'wucher', got.
leikan 'leihen'; abulg. loky 'lache', ahd. lahha; lukü, ahd. louh;
nilcl, got.mekeis; mltko; gotmiluks; abulg. myto 'lohn, gewinn',
got. möta\ natÜt got. naus; nuta 'rind', an. naut; ocUü, akeit;
penegu, *penning; pigy 'feige', got.*feigö; abulg. plosky, ahd.
flasea; plugü, sm.plögr\ plüchü, ahd. pilih-, plükü, ahd. fblc;
postü, ahd. fasta; raka 'grab', *raky, got. *arkö; *raty, *rattö;
*sakü, got. sakkus; skotü 'vieh', got. skatts; skutü, got. skauts,
srnoky, got. *smakkö (stnakka); sokü 'ankläger', got. sakan-,
strukü, &n.storkr-y sytu, got.sö/tf; &lemü, got. Hilms ; abulg. stiru,
gotskeirs; tynü, an. iün\ useregu, got. atisahrigga; variti'&nte-
vertere', gotwarjan; varovati 'hüten', got.wars, wäret, xcarjan;
vettbydü, got.ttlbandtis; vino 'wein', got. wein; vinogradü, weina-
gards; vrüi% gotaurkeis; vriitü 'garten', vrutogradü, got. aürti
gards; zledq, got. gildan.
Zweifellos wird sich diese liste noch vermehren lassen.
Was ich angeführt habe, sind teils offenbare lehnwörter, die
von Uhlenbeck nur übersehen sind, teils andere, bei denen die
frage, ob sie entlehnt sind, mindestens aufgeworfen werden
muss. Ich will durchaus nicht behaupten, dass wir in allen
fällen gezwungen wären, dies zu bejahen.
Die grosse zahl der genn. wort« im slav. mag billig in
erstaunen setzen. Sie weisen nicht auf einen blossen grenz-
verkehr hin, sondern darauf, dass viele Slaven germanisch ge-
lernt haben, und nun die deutschen Wörter in ihre rede mischten.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 339
Vgl. über diesen punkt Windisch, Zur theorie d. mischsprachen
und lehnwörter, Ber. der sächs. ges. d. wiss. 1897, 101 ff. Man
kann, glaube ich, ohne allzu grosse kühnheit annehmen, dass
einzelne slav. stamme direct unter der herschaft der Goten
gestanden haben, als diese nach dem Schwarzen meer vor-
drangen. Umgekehrt wird es dadurch auch verständlich, dass
sich keine slav. lehnwörter aus alter zeit im germ. finden.
Wir werden gut tun, nunmehr die regelmässigen laut-
entsprechungen zusammenzustellen, bei denen noch manches
unklar ist Dabei nehme ich Uhlenbecks material mit auf.
Vocalismus.
1. Got, ö ist slav. durch a vertreten: got. *bökö, abulg.
buky; got. dörns, abulg. durnati; got. *Bönatn, abulg. dunavl;
got. hröps, slov. hrup ] gothörs, abulg. kurüva; tihü. phluog, an.
plögr, abulg. plug; mhd. fruot, kroat. prud.
2. Got. ö ist slav. durch y vertreten, zunächst in der
endung y = got, ff, worüber Möller, Beitr. 7, 487 gehandelt hat.
Vgl. abulg. crüky, raky, brady, loky, buky, svekry. Setzt man
buky = got. *bökö, so springt die eigentümliche differenz in
der behandlung der beiden ö in die äugen. Den grund kann
man in verschiedenen momenten sehen. Entweder sind in-
und auslaut verschieden behandelt, oder die beiden ö des
gotischen waren verschieden. Dürften wir für das gotische
eine nasalierte endung ansetzen, so wäre alles in Ordnung.
Aber nach meiner auffassung der auslautsgesetze geht das nicht,
wol aber müssen wir p für das westgerm. und nordische an-
nehmen. Ein solches hätte zweifellos im slav. zu y geführt.
Auch in Wurzelsilben tritt y für o ein in abulg. myto,
?ot. möta. Ahd. heisst es aber müta 'abgäbe'. Und das wort
könnte auch aus diesem dialekt stammen oder aus einem
mderen, in dem ö zu a geworden war. Dazu darf man wol
nit Uhlenbeck sytü aus got. söps herleiten. Ein a ist in dieser
.vurzel sonst nicht nachgewiesen, und rein lautlich lässt sich
las slav. y schwerlich erklären. Dies müsste jedenfalls später
entlehnt sein aus einem dialekt, in dem germ. o zu a geworden
var, vgl. die Schreibung ü für ö der bibelhandschriften des
fotischen.
3. Ob germ. ö durch a vertreten ist, ist sehr zweifelhaft.
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Man wird zugeben müssen, dass abulg. plakati und prijati nicht
entlehnt zu sein brauchen. Jedenfalls müssten diese beiden
aus sehr früher zeit stammen.
4. Wie ö wird auch au behandelt. Ihm entspricht regel-
recht slav. m. Ahd. bouc, kroat. bugü, got. kaupön, abulg. kupiÜ;
got. kausjan, abulg. husiti, ahd. louh, abulg. luk; ahd. nöz, abulg.
nuta; got.skauts, abulg. skutü; gotausa, abulg. user^gü; abulg.
glumü, an. glaumr. Hier fragt sich, lag im gotischen schon ö
vor, oder ist im slav. au direct zu u geworden durch laut-
substitution, oder fällt der Übergang des slav. diphthongen ou
in u in die zeit nach der entlehnung. Eine antwort ist schwer-
lich zu geben. Mit der annähme der letzten möglichkeit muss
man sehr vorsichtig sein, da ja ö durch ü widergegeben wird,
was nur eine lautsubstitution sein kann.
5. Got. ii wird slav. zu y. Got, hos, abulg. chyzü, ags.
tun, got. *tan, russ. tynü, serb. ftn; got. pasundi, abulg. tysastf.
6. Germ, a wird slav. zu « in abulg. brunatfnü, ahd. bnln ;
abulg. struzü, ahd. strilz; poln. niss. serb. slov. ruta, ahd. rüta;
diese Wörter müssen einer jüngeren Schicht angehören als die
ersten, was ja durch struzü sicher erwiesen wird. Ausserdem
könnte man schliessen, dass zur zeit, als jene entlehnt wurden,
entweder slav. a noch nicht zu y geworden war, oder ou noch
nicht zu m. Falls nämlich kein ü bestand, wurde y für « sub-
stituiert. Aber beides könnte auch täuschen, da y im munde
der Slaven dem germ. a vielleicht näher lag, als das aus ou
entstandene u. Und schliesslich könnten auch verschiedene
accente in betracht kommen.
7. Got. iu wird abulg. zu ju. Gotbiuds, abulg. bljudo; ahd.
Hut, abulg. ljudu, got Hufs, abulg. ljubü; got.piuda, abulg. stuzdi.
Anders erklärt Zupitza, Die germ. gutturale s. 145 diese Wörter.
Er hält im anschluss an Jon. Schmidt, KZ. 23, 348 ff. slav. ju
für Vertretung von indog. cu. Wie mir scheint mit recht.
Trotzdem halte ich die Wörter für entlehnt. Ich mache übri-
gens auf die länge des slav. a aufmerksam. Man müsste für
tu eigentlich iü > < erwarten. Slav. ju setzt, wie mir scheinen
will, eine steigende betonung des diphthongen iu, also wol iu
voraus.
8. Got. ai und c werden zu e. Got. kaisar, abulg. cesart;
got, baidjan, abulg. bediti\ got, hails, abulg. celü; abulg. chlevü
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
341
aus got, *Maiwa '1 got. lekeis, abulg. lekü; ahd. meinan, abulg.
meniti; got. mers, abulg. merü; got. -wer-, abulg. t'e'ra; got. AJat/s,
abulg. chlebü.
9. Got. e wird zu i in got nies, abulg. mk. Hier haben
wir es mit £J zu tun, vgl. ahd. mias. Got. ai wird zu t im
anlaut, abulg. iskati, inü. In abulg. Wcü, got. totßs könnte wol
eine andere stufe vorliegen. Die mittelstufe I wird auch
vorausgesetzt für die fälle, in denen e und ai zu X geworden
sind; abulg. nücX, got. mekeis, aruss. cXsarX, got. kaisar, denen
sich ^oftte« aus gabeigs und ocfttf aus a&ei7 anreihen. Offenbar
ist die Verkürzung durch tonentziehung entstanden.
10. Die lautgruppen e, a + liquida + consonant erleiden
die urslavischen Verwandlungen, im abulg. also die metathese
mit dehnung des vocals; got bairgan, abulg. brega, got, bairg-,
abulg. bregü, russ.beregü; got. *bardö, abulg. brady; germ. *barw-,
abulg. bravü; got. garte, abulg. ^rodtä; got, hulks, abulg. c/iZafcw
u. s. w.
11. Die lautgruppen i, u, o + liquida -f consonant werden
behandelt wie urslav. i, u + liquida, erleiden also alle Ver-
änderungen der einzelnen dialekte; abulg. crüky, ahd. chiriMa;
ibulg. chlümü, an. Jwlm, got. *hulm, abulg. *mrüky, ahd. worÄa;
ibulg.sfrwÄu, ahd. storah; abulg. wucT, got. awrÄets; abulg. vrütü,
jot. aur&> mit Vorschlag von w.
Auffällig sind einige formen. Abulg. sletnü ist nach Uhlen-
>eck nicht aus got. Hilms, sondern aus einem *helma- entlehnt,
ind zledq stammt nicht aus got, gildan, sondern aus einem
geldan. Letzteres halte ich indessen nicht für entlehnt Diese
Voraussetzung würde keine Schwierigkeiten bereiten, nur müsste
>emerkt werden, dass sie nicht bewiesen ist Ueber abulg.
nleko aus melko hat sich Uhlenbeck nicht geäussert. Got. heisst
s miluks, ahd. miluh. Aus beiden könnte die form nicht stam-
men. Aber es fehlt jedes beispiel für die behandlung des aus
erm. el entstandenen gotischen iL Wir dürfen nicht ohne
weiteres das von der lautgruppe ul gewonnene auf ü über-
ragen, denn ü ist ja aus el hervorgegangen. Schon Scherer
at vermutet, dass got. i für zwei verschiedene laute geschrieben
-erde (ZGDS.1 51 anm., vgl. dazu Braune, Beitr. 9, 548) und
V>ede hat dies QF. 68, 162 weiter begründet, und das slav.
nterstützt seine annähme entschieden. Denn weshalb sollten
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niRT
gerade diese zwei oder drei Wörter aus einem nicht got. dia-
lekt entlehnt sein?
Ebenso wenig kann ich Uhlenbecks ansieht beistimmen,
dass got baürd im abulg. brad ergeben hätte. Er führt selbst
die entscheidenden fälle an, indem er abulg. chlümü aus germ.
holma-, plükü aus ahd. folc entlehnt sein lässt. baürd hätte
also im abulg. brüdo ergeben, wie es wirklich vorliegt. Auf-
fallend ist die russische form berdo, die auf ein urslav. blrdo
weist. Derselbe fall liegt aber in abulg. strükü 'storch' vor,
urslav. *stlrkü. Es scheint fast, als ob ur, or regelrecht durch
ir, ul dagegen durch ül reflektiert werde. Unter dieser Voraus-
setzung könnte man abulg. prlsü, serb. prsi, russ. persi, aus
deutsch brüst, got. brusis, an. trünü, russ. ternu aus gotpaurnus
entlehnt sein lassen, brttsts und prüsü gehören wol zusammen,
können aber kaum urverwant sein.
Auffallend ist noch, dass das slav. wort abulg. kralt 'der
könig' die regelrechte ent Wicklung des volllautes zeigt, russ.
korolj. Dies stammt aus dem namen Karls des grossen, und
kann also erst während dessen lebenszeit entlehnt sein. In
unsern abulg. quellen ist der volllaut vollständig durchgeführt.
Er muss ja überhaupt viel älter sein als unsere Überlieferung,
da er gemeinslavisch ist. Man kann unmöglich annehmen,
dass er erst nach der zeit Karls des grossen eingedrungen sei.
Beachtenswert ist almuzno gegenüber raky aus *arkö. Jenes
wird später entlehnt sein, wol erst aus dem ahd. Freilich
heisst es dort alamuosan mit mittel vocal, der aber in andern
Wörtern nichts ausmacht.
12. Vocal + nasal -f consonant wird regelrecht zum nasal-
vocal, vgl. ceta, got. Jdntus; gast, ahd. yans; chadogü, got. han-
äag$\ choragy, got. hrugga; klad&f, got, *kaldiggs. In abulg.
chotari, ahd. huntari müsste eine spätere entlehnung vorliegen.
13. Germ, a wird zu o, abulg. borü, ags. bearu, serb. bök,
got. *balc; abulg. gostl, got. gasts; abulg. gorazdü, got. *garazds
u.s.w. Dies ist die regelrechte Vertretung. Daneben stehen
unzweifelhafte fälle, in denen
14. germ. n durch a widergegeben ist, kroat, almuzno, russ.
glasüy mhd. glaren ; abulg. cha biti sg, gotgahabati sik; abulg. sakit,
got. sakkus; abulg. valiti, got. afwalwjan; abulg. varovati, got
wäret ; russ. valü, urgerm. wall Diese Wörter müssen aus einer
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
343
späteren zeit stammen. Denn man wird diese Vertretung nicht
abweisen können. Ein besonderer fall liegt vor in abulg. navtt
got, naus, abulg. dunavi. Sehl* auffällig ist abulg. gorazdü, dar-
aus einem got. garazds stammen soll.
15. In drei fällen scheint germ. a auch durch ü vertreten
zu sein, in münogü, got. manags, bürü, got. hariz, vünukü. Nach
slav. lautgesetzen ist das ü hier schwerlich erklärbar, aber
auch die annähme der entlehnung ist nicht bewiesen und nicht
ohne Schwierigkeiten durchzuführen.
Sonst ist im vocalismus noch auffallend die widergabe von
ahd. ärunti durch oradije, und abulg. pen$gü mit langem e.
lieber den consonantismus ist weniger zu bemerken.
f wird anfänglich durch p, später durch b widergegeben, ]>
durch t Bemerkenswert für die Sprachgeschichte ist gonoziti
mit z, got. ganasjan, abulg. diyzü, got. hßs u.s.w. Zweifellos
gibt slav. z ein germ. z wider.
Auffallend ist die behandlung von germ. h. Es wird in
der überwiegenden anzahl der fälle zu ch. Beispiele s. oben
s. 337 f. Vor hellen vocalen wird ch zu 8, slemü aus *helmaz.
Es wurde so schwach gesprochen, dass es in useregu ausfiel.
In einigen beispielen wird es aber durch k widergegeben.
Ueber abulg. konoplja, das aus got, *hanaps zu stammen
scheint, habe ich schon oben in anderem sinne gehandelt. Man
würde hier ja gern die annähme von entlehnung ablehnen, da
der hanf doch vermutlich eher zu den östlicher wohnenden
Slaven als zu den Germanen gekommen ist. Aber das p gegen-
über dem b in gr. xävvaßiq, lat. cannabis bereitet vorläufig
unüberwindbare Schwierigkeiten. Der einzige ausweg bliebe,
slav. konoplja aus einer spräche stammen zu lassen, die wie
das germ. die medien zu tenues verschoben hätte. Aber bis
jetzt ist eine solche nicht nachgewiesen.
Abulg. kurüva kann auch nicht ohne Schwierigkeiten aus
got. hörs abgeleitet werden, denn woher stammt das u? Abnlg.
kotora aus einer form, die in mhd. hader noch vorliegt. Abulg.
kupü, ahd. houf. Mit Wandlung in den Zischlauten finden wir
*bulg. celü, got, hails, abulg. crdda, got. hainla.
Sollten diese Wörter vielleicht nicht direct zu den Slaven
gekommen sein, etwa durch Vermittlung der Balten?
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k wird durch k, vor hellen vocalen durch 6 und c vertreten
Man vergleiche cesari, c?ta, lice, cruky und cedo, creänja, micl,
vrucl und sktyzi, kün&l Im allgemeinen repräsentiert wol c
die ältere schient.
Leider lässt sich nicht feststellen, in welche zeit die frühe-
sten entlehnungen fallen. Aber mit grosser Wahrscheinlichkeit
dürfen wir doch die Goten als die ersten ansehen, die einen
nachhaltigen einüuss auf die slav. sprachen ausgeübt haben.
Vielleicht, so könnte man denken, böte uns die betonung
ein kriterium für die entlehnung. Die aus dem germanischen
entlehnten Wörter müssten den ton auf der ersten silbe tragen.
Das ist aber durchaus nicht immer der fall. Es heisst cesdri,
russ. dsari, car; abulg. mlcl lautet im serb. mäc, wtacw, aus
älterem tnaöä. Kroat. heisst es üborak für *ubörak aus ahd.
cimbar; in cimning geht die erste silbe verloren, und es heisst
serb. knez, kneza, russ. knjdsü.
Wir können demnach aus der betonung keinen schluss
ziehen. Das slav. hat die fremden Wörter offenbar unter ge-
wisse accentschemata eingestellt.
Im allgemeinen bin ich, wie man sieht, sehr dazu geneigt,
entlehnungen anzunehmen, und zwar aus dem gründe, weil ich
keine besonders nahe verwantschaft zwischen germanisch und
slavisch anerkennen kann. Neuerdings hat Uhlenbeck, Beitr.
22, 539 eine anzahl von Wörtern zusammengestellt, die nur im
germ. und slav. vorkommen. Es sind nicht allzu viel, und so
recht significante, denen man einen culturhistorischen wert
beilegen müsste, sind nicht darunter. Bei einigen habe ich be-
denken. AM.harti, russ. korty§ki s. unten s. 351. Bei got hairpra
'eingeweide', abulg. cresla 'lende' stimmt die bedeutung nicht,
abgesehen davon, dass die gutturale Schwierigkeiten bereiten,
wie ich aber hier nicht ausführen kann. Zu ags. ielfetu, ahd.
elbü, aksl. lebedt vgl. jetzt Osthoff, IF. 8, 64 ff. Ahd. hentera
'nieswurz', abulg. cemcrX 'gift', ceincrica 'belleborus' vermag
ich wegen der gutturale ebenfalls nicht ohne bedenken zusammen
zu stellen.
B. Die altgermanischen lehnwörter im baltischen.
Das baltische zerfällt bekanntlich in drei dialekte, in das
ausgestorbene preussische, in das litauische und in das lettische.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES
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Ich will hier nicht auf eine genaue bestimmung der alten
Sprachgrenzen eingehen, da es feststeht, dass die alten Preussen
am westlichsten gesessen haben. Bei ihnen darf man daher
am ehesten, vielleicht ausschliesslich germ. einfluss voraus-
setzen. Von wem dieser ausgegangen ist, das kann nicht
zweifelhaft sein. Die geschiente kennt die Goten am unter-
lauf der Weichsel, etwa von der einmündung des Bug bis zur
Ostsee hin. Im Weichseldelta sass der got. stamm der Gepiden.
Auch die zeit ihrer anwesenheit in dieser gegend lässt sich
annähernd bestimmen. 'Der letzte zeitgenössische zeuge, der
der Goten noch als bewohner der alten geschichtlich bezeugten
sitze gedenkt, ist Ptolemaeus in der ersten hälfte des zweiten
jh/s. Um die mitte dieses jh.'s mögen die züge der Goten
nach dem Süden begonnen haben. Um 200 müssen die Goten
die Gegend am Pontus erreicht haben: bereits 214 findet bei
dem orientzuge des Caracalla ein erster zusammenstoss mit
den Römern statt' Sievers, Pauls Grundr. 1', 407 f. Hat das
gotische also auf das altpreussische gewirkt, so kann das nur
im ersten und zweiten jh. n. Chr. oder früher geschehen sein.
Man kann allerdings daran denken, dass reste von Goten im
lande geblieben wären, dass sich nicht alle den zügen an-
geschlossen hätten, aber eine solche annähme können wir vor-
läufig nicht beweisen. Dass aber irgend welche menschen als
träger einer historischen tradition zurückgeblieben sind, das
geht aus einer reihe von indicien hervor, von denen ich nur
die neueste besprechung des namens 'Danzig' von Kossinna,
IF. 7, 285 ff. namhaft machen will. Ob die Goten wirklich mit
den Preussen in berührung gekommen sind, das wage ich auf
grund anderer momente nicht zu entscheiden, und will daher
nur die spräche als zeugin anrufen. Allerdings haben wir
hier mit gewissen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der slav. ein-
fluss auf die balt. spräche ist ungeheuer gross gewesen; den
germ. von ihm sauber zu trennen, ist oft unmöglich. Doch
glaube ich einiges wenigstens mit Sicherheit feststellen zu
können. Wo uns lautliche kriterien im stich lassen, da gibt
n. e. ein punkt den ausschlag. Stimmt ein preussisches wort
n flexion, stammbildung und bedeutung genauer zum germ.
ils zum baltisch-slav., so ist es der entlehnung dringend ver-
iächtig.
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I. Die lehnwörter im altpreugsischen.
Ich stütze mich hier auf Berneker, Die preussische spräche.
ackons 'granne' Vocabular (V.) 277 stimmt genauer zu got.
ahana 'spreu' als zu lit. akutas, lettaküts. Es steht für *ackatis
mit o statt a nach guttural, vgl. Berneker. Welche casusform
in ackons steckt, ist unklar. Sehr unsicher.
alu V. 392 'met', lit. alm, lett. alus aus germ. *alu-, aengl.
ealu n., an. gl n. Dies wort wird gewöhnlich zum balt.-germ.
Wortschatz gerechnet. Doch kann es ebenso gut entlehnt sein.
Da ein lautliches kriterium fehlt, so gibt vielleicht lit midus
'met' den ausschlag. Dem ai. tnddhu n. 'süssigkeit, honig,
süsser trank', gr. pifrv 'wein', abulg. medü 'honig' entspricht
regelrecht lit. mediis 'honig', preuss. meddo V. 391 'honig'. Da-
neben gibt es ein lit. midus 'met'. Nun tritt allerdings im
lit. in einzelnen fällen ein t statt eines indog. e auf (vgl. Les-
kien, Der ablaut der Wurzelsilben im lit., Abh. d. phil.-hist. cl.
d. sächs. ges. d. wiss. 9, 270. Wiedemann, Das lit. praeteritum
s. 8), aber die fälle sind zu unsicher, um mit ihnen rechnen zu
können. Das lit. midüs 'met' erklärt sich aber sehr einfach
aus einem im got. zufällig nicht belegten *midus 'met'. Hier
haben wir einerseits an dem i, andrerseits an der bedeutung
ein kriterium der entlehnung, denn germ. *medus hat auf dem
ganzen gebiete unseres sprachzweiges die bedeutung 'met',
und nicht mehr die von 'honig'.
Als dritter fall auf dem gebiete des 'getränkes' kommt hinzu
preuss. dragios 'hefen' an. dregg, pl. dreggjar (st *dragjä-). Das
got. wort fehlt, müsste aber wol *dragjös lauten. Auch hier
können wir die entlehnung nicht beweisen, und im allgemeinen
gelten die worte für urverwant, vgl. Kluge, Pauls Grundr. 1, 320.
Berneker s. 287. Für entlehnung dagegen G. Meyer, Alb. wb.
s.v. drä f. und mit recht.
Pr. ankstan 'butter', Grünau ancte zu ahd. ancho 'butter',
lat. ungucn 'salbe' u.s.w. Die formen des preuss. stimmen
nicht genügend überein, um die annähme von entlehnung zu
sichern. Auffallend ist mir die gleiche bedeutung. Die aus-
drücke für 'butter' gehen sonst nicht in die urzeit zurück.
Jedenfalls ist vorsieht geboten.
assanis V. 13 'herbst', got asans 'erntezeit'. Abulg. jeseni
zeigt in beiden silben e-vocalismus. Doch können die preuss.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 347
a für e stehen, was im anlaut im Vocabular sogar regel ist.
Unsicher.
asilis V. 436 'esel', lit. äsilas, abulg. osXlü aus got. asilus.
Berneker s. 281 nach anderen. Prellwitz hält es für ein mo-
dernes lehnwort, aber das tier wurde schon in vorchristlicher
zeit in Nordeuropa bekannt.
brunyos V. 419 'brustharnisch', lett. brunas, abulg. brünja
entlehnt aus got. brttnjö. Prellwitz hält es für entlehnung
aus dem mhd. bn'inje, bronigen, was mir nicht wahrscheinlich
ist. Bekanntlich ist das germ. in waffennamen und heerwesen
für das baltisch -slav. vorbildlich gewesen. Aus dem preuss.
gehören noch hierher:
sartvis V. 41 f. 'wofen', lit. szarval aus got. sartva 'rüstung'.
Unzweifelhaft.
saknis V. 420 'heim', lit. szalmas, abulg. Slemü, got. hilms,
ahd. heim. Doch kann das preuss. wort nicht direct aus dem
germ. stammen.
Unmittelbar ist preuss. kelmis 'hut' V. 474, chelmo Grünau
'hut' entlehnt. Hier beweisen die gutturale, da got. hilms zu
ai. carman gehört.
Preuss. kalabian V.424 'schwert', lit. kalavJjas 'schwert,
eisbock, eisbrecher', kalavijädaris 'ein Waffenschmied, schwert-
feger'. Das wort ist nicht aufgeklärt und sieht unlitauisch
aus. Man könnte an ahd. halb, halab 'handhabe, stiel' denken.
buccareisis V. 593 'buchecker', buccawarne V. 723 'holz-
krähe', lit. büka, got. bökö, aber kaum direct aus dem got.
gattawint 'bereiten', lit. gätavas, lett, gataws 'fertig', lit.
gatävyti, &b\i]g.go(oviti 'bereiten', got. gatuujan. Nach Brückner,
Die slav. lehnworte, stammt das balt. wort aus dem slav.; das
ist möglich, aber nicht sicher. Von Berneker s. 290 wird es
zu alban. gat 'bereit', gatuan 'bereite zu' gestellt nach G.Meyer,
Alb. wb. s. v. gat, aber schwerlich mit recht.
instran V. 193 'schmer', an. istra 'fett, schmer. Unsicher.
kailüstikan 'gesundheit' nebst abulg. ce'lü, celosü entlehnt
aus got, hails. Wegen des k nicht aus dem slav. Die ent-
lehnung ist mir vor allem wegen der bedeutung wahrschein-
lich, vgl. ags. hM n. 'gesundheit*.
caymis V. 797 'dorf ', cayme Gr. 'dorf', lit. kemas aus got.
haims. Vgl. noch kaima luke 'sucht heim'. Die Wörter können
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auch urverwant sein, doch gehört haims vielleicht mit gr.
xmpii zu preuss. seimins 'gesinde', lit. szeimyna, abulg. äemtnü,
vgl. Zupitza, Die germ. gutturale s. 49.
catils V. 355 'kessel', \\i.kätilas, lett. Jcatls, abulg. Aro^iö aus
got. katils.
käupiskan 'handel' kann natürlich nicht trotz Brückner
und Prellwitz aus poln. küpec entlehnt sein. Denn woher sollte
der diphthong stammen? Ebensowenig kann es aus dem nieder-
deutschen herübergenommen sein. Es bleibt als quelle nur ahd.
und got.
kerdan 'zeit', abulg. creda 'Wechsel', goLhairda, ah&.herta
herde, Wechsel'. Die annähme der entlehnung bereitet wegen
der bedeutung des preuss. Wortes einige Schwierigkeiten, doch
hatte die sippe nach ausweis von ai. cdrdha 'schar, herde'
palatalen guttural. Vgl. noch das sicher entlehnte lit kerdzius,
got. hairdeis. Das alte lit. wort für 'hirt' heisst pernl
klausiton, klausemai, lit. klausaa, klausi/ti, lett. Maust* 'hören,
gehorchen; man hat dies wort stets mit abulg. sluchü, ai.jra-
vanam verbunden. Wegen des verschlusslautes muss das wort
entlehnt sein. Es gibt aber im deutschen kein wort Maus-,
und man hat daher diese Vermutung abgewiesen. Ich nehme
an, dass im lit.-preuss. secundärer ablaut vorlegt, und wir die
entlehnte form in preuss. poklusmai, poklusmingiskai 'gehorsam',
lit. klustü, paklusnus zu sehen haben. Lit. klustü 'jemandem
gehör geben, gehorchen' kann auf einer germ. form beruhen,
die etwa in ags. hlystan 'aufhorchen, zuhören' vorliegt. Der
aorist klusaü berührt sich mit ahd. Mosen, hlosön. Secundärer
ablaut, d. h. die entstehung ablautender form auf grund einer
einzigen form, ist etwas ganz gewöhnliches in allen sprachen.
auklipts 'verborgen' aus got.*hlifts, hliftus. Man vergleicht
das preuss. wort mit gr. xlixxco, lat. depo, got, hlifan, ohne sich
um die erklärung des i zu kümmern. Auch bei Berneker finde
ich nichts. Indog. e kann es nicht sein, und { auch nicht, da-
her wird man entlehnung annehmen müssen.
knapios V. 268 'hanf ', lit. kanäpes, lett kanepe aus got.
Vianaps. Vgl. oben.
cuylis V. 683 'eber', lit. kuilgs 'zahmer eber', lett. kuiUs,
nhd. keiler, keuler. Eine entlehnung des deutschen aus dem
lit., wie sie Kluge im Et. wb. vermutet hat, ist mir wegen des
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 349
lit. vocalismus nicht gerade wahrscheinlich. Wie verhält sich
htti§8 zu kiäule?
mal Um 'malz' in piwamaltan aus dem deutschen 'malz'.
nautin, nautien 'not', got. naups. Wol entlehnt,
panno V. 33 'feuer', panustaclan V. 370 'vuerysen'. staclan
= ahd. sfa/wJ, got. *stahla- n. Letzteres ist vielleicht entlehnt,
und auch wol pawwo, da man got. fön, funins seinem ablaut
nach nicht mit dem preuss. wort vereinigen kann.
pecku 'vieh', \itpeki*s, [] Kurschat, mit gutturalem ver-
schlusslaut gegenüber ai. pdfu, entlehnt aus got, faihu. Davon
abgeleitet pecküt, popeckat 'behüten'.
rikis 'herre' V. 404, riks 'reich'. Das wort kann nicht aus
dem slav. stammen, da es dort nicht vorhanden, und kann auch
kaum in späterer zeit aus dem germ. entlehnt sein, da riks
nicht mehr die bedeutung 'herr, könig' hat. In spätere zeit
gehört konagis V. 405 'könig' gegenüber der alten entlehnung
von lit. kimingas 'pfarrer', lett. kungs 'herr'.
saltan V. 376 'speck' braucht man wol nicht in pal tan zu
bessern, da es mit deutsch sali zusammenhängen könnte.
stiklo 'glas', got. stikls. Möglicherweise aus dem slav.
tuldtsnan 'freude', got, dulj>s 'fest', ahd. dult 'jahrmarkt'.
tcangus V. 588 'damerau', got. waggs 'paradies', an. vangr
•feld'. Gegen annähme von entlehnung lässt sich nichts ein-
wenden. Gehörte waggs mit gl*, oyxog 'biegung' zusammen,
so wäre sie sogar sicher.
Die lehnwörter sind im preuss. weniger gut und sicher zu
erkennen als im slav. Obgleich vieles sehr zweifelhaft ist,
glaube ich doch asilis, sarwis, rikis, kaupiskan, pecku, tuldisnan
direct auf das gotische zurückführen zu dürfen.
II. Die germanischen lehnwörter im litauischen.
Die zahl der altgerm. lehnwörter im lit. ist, wie wir schon
oben vermutet haben, in der tat ziemlich gering, doch sind in
einigen fällen, wie mir scheinen will, entlehnungen zweifellos
anzuerkennen.
Die angeführten fälle beruhen nicht auf einer systemati-
schen durchforschung des lit. Wortschatzes, sondern auf gelegent-
licher notierung.
Lit. alus 'hausbier' s. oben s. 346.
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350
HIRT
Lit. Ostias s. oben 8. 347.
Lit. ganu 'genug' soll aus got. ganah stammen. Das ist
zwar nicht sicher, aber doch möglich.
Lit. gardas 'hürde', abulg. gradü 'mauer, garten', got. gards.
Lit. jeszköti, ahd. eiscön s. oben s. 334.
Lit. kätilas, got. katils. Das lit. wort wird kaum aus dem
poln. stammen.
Lit. kaugurys, kaugure 'ein mit sandgras bewachsener kügel'
steht neben kaukarä; vgl. an. haugr.
Lett. kauns 'schände, schäm, höhn', got. hauns 'niedrig, de-
mütig'.
Lit. kaupas 'ein häufen von erde', abulg. kupü, ahd. häuf.
Abulg. kupü kann nicht die quelle sein. Gegen urverwantschaft
spricht die mangelnde lautverschiebung.
Lit. Mmas s. oben s. 347.
Lit. kefdzius 'hirt', got. hairdeis s. oben s. 348.
Lit. kirmyti, mhd. hinnen. Die sippe hat palatal, vgl. ai.
grämyati, doch kann das lit. wort aus bekannten gründen nicht
aus dem historischen got. stammen.
Lett. klaips 'brot' kann nicht aus dem slav. entlehnt sein,
sondern nur aus dem got.
Lit. klausyti s. oben s.348.
Lit. küningas 'pfarrer, herr' muss altes lehnwort sein.
Lit. kuprä, ahd. hovar können auch urverwant sein.
Lit. kvetys, got. baiteis wegen des t und des gutturals
zweifellos entlehnt.
Lit. midüs s. oben s. 346.
lAt.mufidras 'munter', ahd. munter, got.mundrei. Vielleicht
spät entlehnt.
Lit. prötas 'verstand', got. fröp-.
Lit. pulkas, ahd. folc, got. *fulk.
Lit. stodas, zem. eine herde vieh, besonders pferde' wird
wol eher aus slav. stedo als aus germ. *stöda stammen.
Lit. szarval, got. sarva s. oben s. 347.
Wie man aus dieser liste sieht, ist die zahl wirklich alter
lehnwörter sehr klein gegenüber der im slavischen. Man kann
daher mit Wahrscheinlichkeit annehmen, dass auch die an-
geführten nicht direct, sondern durch das preuss. in das lit.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOG ISCHE8. 351
gekommen sind. Das eine steht aber fest: ein guter teil
dieser Wörter kann zweifellos nur aus dem altgerm. stammen,
denn später sind ja auf jahrhunderte hinaus die beziehungen
zwischen Litauern und Germanen unterbrochen.
VII. Etymologien.
1. Ahd. harti 'Schulterblatt*.
Ahd. harti 'Schulterblatt' gehört mit an. heröar pl. 'schul-
tern' zusammen und ist bei Zupitza, Die germ. gutturale mit russ.
kortyski 'schultern' verglichen. Dem schliesst sich jetzt Uhlen-
beck, Beitr. 22, 539 an, indem er es als germ.-baltoslav. glei-
chung in ansprach nimmt. Indessen kann man auch lat. car-
tilägo 'knorpel am tierischen körper' hierher ziehen.
2. mare.
Das deutsche mare, nachtmare, dial. mart hat schon A. Kuhn,
Zs. fda. 5, 488 f. mit ai. marut und mit lat. mori verbunden. Mogk
hat sich Pauls Grandr. V, 1013 dem angeschlossen und daraus
eine anzahl von folgerungen abgeleitet. Die Verbindung mit
lat. mori ist aber zu beanstanden, da man jetzt ai. marut kaum
von \&tmavors, mavortis trennen kann, vgl. Wackernagel, Aind.
gramm. § 184: hier ist durch zahlreiche beispiele ein indog.
gesetz belegt, nachdem aus ujr, ul unter gewissen bedingungen
ru, lu wurde. Die lautgesetzliche erklärung ergibt sich auf
grund von zwei indog. Schwächungsstufen der gruppen er, el.
Denn es ist klar, dass aus indog. *mauert nichts anderes als lat.
mavort werden konnte, während *maurt zu marut fühlte.
Ebenso gehen ai. vr'kas, abulg. vlüku, lit. vilkas, got. wulfs, lat.
vulpes auf indog. *uJkos, lat. lupus, gr. Xvxog dagegen auf
*ttlkos, woraus *lukos, zurück. Wir besitzen also einen indog.
ausdruck mauert, marut für ein gespenstiges wesen, über dessen
eigentliche bedeutung wir nicht ins klare kommen können. Ob
slav. mora, serb. mbra 'alp' entlehnt oder urverwant ist, lässt
sich nicht feststellen; ich vermute das erstere.
3. Got. qairrus.
Got. qairrus 'sanftmütig', an. kvirr, kyrr 'still, ruhig', mhd.
kürre 'zahm, milde' hat Bezzenberger mit lit. gurüs 'locker,
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HIRT
bröckelig' verbunden (BB. 3, 81). Noch besser scheint mir aber
lit. gtras 'gut' dazu zu stimmen. Letzteres hat Bezzenberger
mit gr. (ptQTtQoq verglichen, was indessen wegen des labials
einige Schwierigkeiten bereitet, da wir & erwarten müssten.
Unaufgeklärt bleibt das doppelte r. Ist obige gleichung richtig,
so muss natürlich die Verbindung von lit. gtras mit gr. ytQTt qo$
aufgegeben werden.
4. Got. qistjan.
Got, qistjan 'verderben', an. ktnsta 'verstümmeln', mnd.
quisten, ahd. quistan, chwisten 'verderben, vernichten' bezeichnet
Uhlenbeck, Et. wb. als unaufgeklärt. Zu gründe liegt ahd.
quist 'Vernichtung'. Das wort gehört zu einer in den indog.
sprachen weit verbreiteten wurzel gves, vgl. &\.jas 'erschöpft
sein, totmüde sein, erschöpfen, entkräften', nijas 'vergehen,
verschwinden', jdsush f. 'erschöpfung, mattigkeit', lit. gesau,
gesyti 'löschen', gesth, gesti 'erlöschen', gr. oßivvvfii aus zg*es-
' auslöschen', tibertr. 'stillen, dämpfen, mässigen'.
•
5. Got. -friks.
Got. faihu- friks enthält ein wort friks, das in an. frekr
'gierig, kühn', ags. free 'verwegen', ahd. freh 'habsüchtig' vor-
liegt. Dies dürfte doch trotz der nicht übereinstimmenden
schlussconsonanten zu lat. precäri, procus u. s. w. gehören. Die
form *preg verhält sich zu *prek wie *deig in taikns zu *deik
in teihan.
6. Ahd. gispanst.
Ahd. gispanst 'lockung' gehört zu ahd. as. spanan 'locken,
reizen', das man zu gr. axäm 'ziehen' stellt. Noch näher liegt
aber lit. spetidziu, spesti 'fallen' oder 'f allstricke legen'.
7. Ahd. narro.
Ist ahd. narro 'verrückter' ein deutsches wort, so kann
man es mit lit. narsas 'zorn', nirsti 'starrköpfig, starrsinnig etc'
vergleichen.
8. Ahd. hehara.
Ahd. hehara, ags. higora m^ an. heri, hegri m. 'häher' ist
noch nicht erklärt. Denkt man an die eigentümliche gestalt
dieses vogels mit seinem auf dem köpf verschmälerten und
tollenartig verlängerten gefieder, so könnte man daran denken,
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 3f>3
dass der vogel nach seinem aussehen benannt wäre. Die
grundform des germ. Wortes ist unzweifelhaft *kikoros, und
dieser entspricht ganz genau ai. cikharas 'spitzig', abgeleitet
von tfkhü f. 'haarbusch, pfauenkamm, spitze'. cikfiaras bedeutet
also eigentlich 'mit einem haarbusch, federbusch versehen',
und das passt ausgezeichnet als bezeichnung für den näher.
9. Ahd. hirso.
Die hirse gehört bekanntlich zu den ältesten cultur-
gewächsen Europas, und es ist daher von vornherein anzu-
nehmen, dass ihr name auch bei den Germanen uralt ist.
Sehr ansprechend ist Brates heranziehen von lat. ceres, cereris
(BB. 13, 48), wenngleich nicht ganz sicher. Ich verbinde weiter
mit dem germ. wort ai. cashpam, das auf carsh zurückgeht. Die
bedeutungen 'junges gras' — 'hirse' sind leicht zu vermitteln.
10. Ahd. hödo.
Ahü.hödo, mnl hode, &Mes.hotha 'hode' weisen auf ablauts-
formen kout, kut, deren erklärung noch aussteht. Mit lat. cöleus
'hodensack' (Kluge) weiss ich die formen wegen des vocalismus
nicht zu vereinigen. Dass das wort uralt ist, ist wegen des
alters ähnlicher bezeichnungen von vornherein zu vermuten.
Ich verbinde unser wort mit lat, cunnus aus *cut$nos. Um
ien bedeutungstibergang zu erklären, verweise ich auf mhd.
mt 'cunnus, vulva', gegenüber ai. puta m. dual, 'hinterbacken',
»ötas 'junges', lit. pautus 'ei', paütai 'hoden, hodensack', die
autlich mit dem germ. wort genau tibereinstimmen. Auch ai.
othas 'anschwellung' könnte man mit dem in der Überschrift
genannten worte verbinden.
11. Ahd. scinan.
Ahd. scinan 'glänzen, erscheinen, sich zeigen', got. skeinan
leuchten, scheinen' stellt man zu gr. axia 'schatten', ai. chüyd
glänz, schatten'. Es mag sein, dass hier eine wurzel skei zu
runde liegt. Immerhin wird man auch eine andere etymologie
orschlagen dürfen, die absolut genau übereinstimmt. Got
keinan entspricht abulg. sinati, sina, sineü 'illucescere', sinX
lell, licht'. Weiter gehört hierher alb. si, stamm sin 'auge'.
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HIRT
sk in skeinan muss auf indog. sk zurückgehen, und daraus hat
sich ganz regelrecht abulg. s, alb. s entwickelt.
12. Got. sair.
Got. sair 'schmerz' stellt Uhlenbeck, Et. wb. s.v. zu air.
saeth 'leid, mühe, krankheit'. Ist dies richtig, so kann man
diese worte weiter mit ai. fashä 'brennen', gr. grjooq 'trocken'
verbinden, indem man von einer #-wurzel ausgeht.
13. Ahd. werah.
Ahd. werah und werch n. 'werg' möchte man gern mit werk
'Ipyor' zusammenbringen. Doch bleiben dabei immerhin einige
Schwierigkeiten der bedeutungsentwicklung. Dass diese selbst
schon alt ist, scheint mir aus gr. fä-yoc 'ein gefärbter teppich,
eine bunte decke' hervorzugehen, das ich direct mit dem germ. *
worte vergleiche. Prellwitz, Et. wb. stellt es zu $tCa> 'färbe',
was mir nicht notwendig zu sein scheint.
14. Ahd. blio.
Ahd. blio, bltwes 'blei' bezeichnen die etymologen als völlig
unaufgeklärt. Schade hat es mit ahd. bli st n. 'färbe' zu-
sammengebracht, was schwerlich angeht, und ebensowenig kann
ein Zusammenhang mit lat. plumbum bestehen. Und doch fühlt
man eine gewisse ähnlichkeit im klänge dieser Wörter, der ja
täuschen könnte, vielleicht aber doch auf einen alten Zusammen-
hang hinweist. Das ahd. wort kommt ausser in diesem dialekt
nur noch im an. als big vor. Dass wir daraus nicht die exi-
stenz eines urgerm. wortes erschliessen dürfen, ist bei der
weiten und rätselhaften Wanderung der meisten metallnamen
selbstverständlich. Als grundform für unser wort gewinnen
wir ein *bliwan (got. *blciw), und dies können wir, einen neuen
fall zu den alten fügend, auf *mliwam zurückführen. Das er-
innert uns sofort an gr. fioXtßog, fioXvßog, ftoXvßöoq; die erste
form liegt II. 11, 237, die letzte II. 24, 80 vor. Ein indog. wort
liegt hier natürlich nicht vor, obgleich sich uöXtßog auf nwli-
(jmos, *mliwam aber auf *mleighuom zurückführen lassen, zwei
formen, die sich nur durch einen regelrechten aMaut und den
häufigen Wechsel von media und media aspirata unterscheiden.
Wir haben es viel eher mit lehn Wörtern zu tun. Im griech.
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GRAMMATISCHES UND ETYMO LOGISCHES.
355
weist darauf schon die verschiedene gestalt der zweiten silbe.
Wenn aber hier wirklich ein vorläufig noch nicht näher zu
bestimmender Zusammenhang zwischen den beiden Wörtern
besteht, so wird man die heimat derselben nicht mit 0. Schräder,
Sprachvergleichung und urgesch. s.312 in Spanien suchen dürfen,
sondern in dem alten gebiet der Hallstadtcultur, also in Oester-
reich-Ungarn; und dann werden wir auch lat plumbum nicht
von dem griech.-germ. worte trennen wollen, wenn wir gleich
die art, wie das lat. wort seine lautgestalt gewonnen, nicht zu
bestimmen vermögen.
Die ältere forschung, z.b. Curtius, Grundr.* s.370, verbindet
auch slav. olovo 'blei', lit. alvas 'zinn' apr. aluris mit dem griech.
wort, was aber aufgegeben werden muss. Dass die balt Wörter
aus dem slav. entlehnt sind, wie Brückner, Die slav. lehnworte
s. 67 annimmt, kann nicht bewiesen werden. Darf ich eine
Vermutung wagen, so ist slav. olovo, lit. alvas das lat album,
sc. plumbum.
Das engl. -deutsche wort für blei, mhd. löt, ags. lead 'blei'
entspricht zunächst ir. luaide. Dass die beiden Wörter urver-
want seien, lässt sich freilich kaum wahrscheinlich machen.
Weiter darf man aber auch ai. löhdm vergleichen, dessen be-
deutung (kupfer oder eisen?) allerdings nicht ganz feststeht
Gewöhnlich verbindet man löham mit lat. raudus, sieht also
in l ein indog. r, weil im ind. löhitas neben röhitas steht.
Aber sicher kann man darauf nicht bauen. Dass hier eine
alte gleichung vorliegt, ist durchaus nicht undenkbar, da die
Völker Europas zweifellos eine viel grössere kenntnis ver-
schiedener metalle hatten, als man bisher annimmt Eine
kenntnis setzt natürlich noch keinen ausgedehnten wirtschaft-
lichen gebrauch voraus, und die metalle haben doch zunächst
als schmuckgegenstände Verwendung gefunden, die leicht ebenso
entbehrt werden konnten, wie sie beliebt waren. Es ist daher
auch sehr wol möglich, dass die von Lottner, KZ. 7, 183 auf-
gestellte gleichung lat. fcrrum, ags. brms zu recht besteht.
15. Ahd. Mal
Der für ahd. bläo, ags. blac, ahd. Mio angenommene wandel
von anlautendem ml zu bl verhilft uns, glaube ich, auch zu
23*
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356 HIRT
einer annehmbaren etymologie des ahd. blat u.s.w. Kluge
verbindet es zweifelnd mit lat. folium, gr. tpvXXov. So genau
auch die bedeutung stimmt, so vermag ich die Stammformen
vorläufig noch nicht zu vereinigen, namentlich da man blat
schwerlich von ahd. bluonia und der dazu gehörigen sippe
trennen kann. Dies weist alsdann auf eine set-wurzel, mit der
sich gr. yvXXov, lat. folium schlechterdings nicht vereinigen
lassen, blat und bluoma lassen sich auf eine indog. wurzel
*bhelö oder melö zurückführen. In beiden fällen lässt sich
lat. flös, fl&rere vergleichen. Ueber die Vertretung von ml im
lat. wissen wir noch nichts genaues, vgl. darüber Brugmanu,
Grundr. 1* 370 anm. 4. Solmsen, KZ. 34, 11. A priori ist es
wahrscheinlich, dass ml wie mr behandelt wird, und aus dein
entsteht fr, vgl. fräces 'ölhefe', fracidus 'mülsch, überreif', air.
mrafch 'malz', lat. marcidus; fretum, gr. ßQattco 1 siede, brause';
lat. frcmo, gr. ßQifico. Als ein zweites beispiel Hesse sich viel-
leicht noch lat. flaccus 'welk, schlapp' anführen, das man zu
gr. fiaXaxog 'weich, sanft' stellen könnte. Dagegen steht es
zweifellos fest, dass ml im griech. zu bl geworden ist. Es
entspricht daher ßXaoxava) 'von pflanzen keimen, empor-
sprossen', ßXaortj 'keim, spross', ßXacxoq 'keim, trieb, junges
blatt und zweig, schuss' ganz genau.
Das griech. wort ist vollständig unaufgeklärt. Die ältere
forschung verglich ai. vdrdhami 'grösser machen', was ganz
unmöglich ist, während Prellwitz zweifelnd auf ßäZXm, ßXt<o
verweist, was in mehr als einer beziehung schwerlich angeht.
Das griech. zeigt dieselbe s-erweiterung des Stammes, die auch
in lat. flös und mhd. bluost und anderen Wörtern vorliegt^ und
die gerade bei set -wurzeln häufig ist. Liegt aber eine wurzel-
stufe mld zu gründe, so kann diese kaum zu einem anderen
wort gehören als zu gr. noXtlv, ßXcooxm 'gehen, kommen' mit
einer bedeutungsentwicklung, die sehr wol verständlich ist
16. Got. himma u.s.w.
Uhlenbeck stellt den pronominalstamm got. Ai u.s.w. zu
Mts/ts, abulg. si, lat. ds u.s.w., während Kluge lat. h'ic 'hier'
u. s. w. heranzieht und diese beiden formen unter indog. kh
vereinigt. Ich glaube, dass beide forscher zu einem teile recht
haben.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
357
Die einzige spräche, die noch zwei pronominalstämme ki
und khi zeigt, ist das lat ., und das muss daher auch zum aus-
gangspunkt dienen. Naturgemäss wird man got. himma daga,
ahd. hiutagu mit lat. hödie vergleichen, ebenso got. her mit
lat. hic aus *heic, dagegen hidre eher mit lat. citrä. Ags. he
u.s.w. wird ebenso lat. hic wie slav. st, lit. ssrts entsprechen,
falls indog. kh im slav.-lit. durch s und sz vertreten ist.
LEIPZIG - GOHLIS.
H. HIRT.
STUDIEN
ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG
Erster abschnitt. Der dichter.
Ist uns auch der name des Verfassers des Reinfried von
Braunschweig unbekannt , so können wir uns doch von seiner
person einigermassen ein bild machen. Oft genug tritt er ja
bei gelegenheit von excursen mit seinem ich hervor, und so
erfahren wir denn einiges über ihn direct durch seine eigenen
worte, anderes lässt sich aus seinen äusserungen wenigstens
mit ziemlicher Sicherheit erschliessen.
Nächst der heimatefrage — aus der spräche ergibt sich
ohne weiteres, dass der dichter dem alemannischen gebiet an-
gehört — ist die wichtigste die nach der lebensstellung des
mannes. Hier gehen die ansichten auseinander. Baechtold (Ge-
schichte d. deutsch, litteratur in der Schweiz s. 134 ff.) möchte ihn
für einen geistlichen halten. Dem gegenüber betont K. Eich-
horn (Reinfriedstudien, teil 1, einladungsschrift zur feier des
Henflingschen gedächtnistages am gymnasium zu Meiningen,
1892) im anschluss an Bartsch den bürgerlichen stand unseres
dichters.
Wer Baechtold folgen will, kann als einziges argument
für den geistlichen beruf des dichters nur seine umfassende
gelehrte bildung in anspruch nehmen. Ergibt sich nun aber
aus sicheren gründen, dass Baechtolds auffassung irrig ist,
dann lässt sich doch andererseits die reiche belesenheit des
dichters nicht gegen eine bürgerliche Stellung in die wagschale
werfen. Sorgfältige erziehung in einer guten klosterschule,
bemerkt Eichhorn mit recht, erklärt vollkommen die genaue
bekanntschaft mit der vulgata und die kenntnis sonstiger
lateinischer literatur, die der dichter wirklich besitzt.
\
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
Ich halte es für durchaus gesichert^ dass der dichter, wenn
ich mich vorerst einmal negativ ausdrücken darf, nicht geist-
licher war, und ich folgere das 1. aus seinen eigenen äusse-
rungen und 2. aus dem Stoffe seines Werkes, wie aus formellen
eigentümlichkeiten seines Stiles.
1. Beweis aus den eigenen äusserungen
des dichters.
Obenan steht hier was der Verfasser über sich selbst be-
merkt. Dass er nicht ritter ist, versichert er deutlich v. 12820 ff.:
dar zuo bö bin ich ane
geburt und eilenthafte kraft,
daz ich niht von der ritterschaft
weiz, wan diu ist mir Terzigen.
Was er aber von seiner armut sagt (vgl. Eichhorn s. 5.
Bartsch, ausg. s. 807), ist an sich noch nicht beweisend für
nichtgeistlichen stand. Jedoch scheinen mir die äusserungen
über seine Stellung zu den trauen und zur minne entscheidend.
Er hat selbst eine frau geliebt — Else heisst sie (vgl. v. 12802
went ir si Heeren nennen: Ein I/iep Siiez Edel sunder schäm
ist ir minneclicher nam) — und liebt sie noch, mit blutendem
herzen, denn sie verschmäht ihn. Aber sie trägt ihm unver-
schulten heu. Und wenn er sie deshalb auch schelten muss,
so hat si doch mit senke sich in sin herz gedrungen. Von ihr
hat er ja das dichten gelernt.
Es unterliegt in der tat wol keinem zweifei, dass er sich
auch in der lyrik versucht hat. Oft genug noch werden wir
durch wirklich schöne und hochpoetische stellen daran erinnert,
wie tief den dichter die minne berührt hat. Er kennt die
macht der liebe aus eigener erfahrung und weiss sie uns im
vergleich zu seiner sonst ruhigen erzählung mit wahrem feuer
und echter leidenschaft darzustellen.
Von ausserordentlich feiner beobachtung zeugt z. b. folgende
scene. Als Reinfried im turnier Yrkanes kuss errungen hat —
übrigens ein schönes bild, wie die liebliche jungfrau in freu-
digem erröten vor dem herzog steht, um ihm den süssen lohn
zu reichen, und in diu minnecliche so ruossig under ougen sach
(v. 2074 f., vgl. Wolfr. Wh. 229, 26) — da führt ihn Yrkane under
ein swache hüttelin und lie niemen bi ir sin wan ir junefrouwen
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GEREKE
eine. Beider liebenden herz ist zum zerspringen volL sie haben
einander so viel zu gestehen und zu sagen, und doch wagt
keiner zu sprechen.
v. 3018. T.3062.
*wa fii<-h zwei herzen schon in ein zno gelicher wise
mit den gedenken einent, geschürt den sinnen alle frist.
so daz si beide meinent als da ein hus erfüllet ist
ein dinc, ein ein, ein liep, ein leit, mit linten also daz ein man
und doch dewederz hat geseit niht me da hin in komen kan.
dem andern slnes herzen pin, diz Mspel ich geliche spttr.
diu herzen müezent beide sin na stant liute vor der tür
verdaht na süezer minne. nie denne in dem hüse sin.
jen went her üz und dis hin in
und dringent vast an der getät.
der uzern also vil da »tat
daz jene bellbent dinne.
Ich sollte meinen, solche worte könnten nur aus einem
natürlich empfindenden herzen kommen, das selbst den zauber
der liebe gefühlt hat.
Ich denke, wenn wir die vielen stellen, in denen die minne
gepriesen wird, richtig beurteilen, müssen wir gestehen, dass
das alles zu der Stellung eines geistlichen schlechterdings nicht
passt. Auch der ausweg, das seien nur jugenderinnerungen
des dichters, ist verlegt; denn v. 2868 erfahren wir, dass er
noch jetzt bi jungen jären ist, und die worte v. 4074 ff. lassen
immerhin erkennen, dass er noch keineswegs mit der minne
abgeschlossen hat:
ein man muoz sich under daz im wol in muote lit,
wilent von minne ziehen ald er wirt eteliche zit
und mit gedenken fliehen von minne missehandelt.
Was hätte er als geistlicher für Ursache gehabt, v. 10860 ff.
die ehe als göttliche einrichtung zu preisen und umständlich
für ihre nichtSündhaftigkeit einzutreten? Was konnte ihn wol
als geistlichen bewegen, bei jeder möglichen gelegenheit auf
papst, cardinäle, Patriarchen, bischöfe und pfaffen zu schelten,
deren schände er offen aufdeckt, deren habgier er unter den
schärfsten ausdrücken an den pranger stellt? vgl. v. 16870 ff.
v. 17648 ff.
v. 17676. den text, wan si bindent
si vindent niuwe fünde daz reht hin ze nnrehte.
mit glösen unde vindent daz krump machent si siebte,
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUN8CHWEIG. 361
daz sieht si künnent krnmben.
got solt in verstumben
die zongen in dem munde.
Grossen wert lege ich endlich mit Eichhorn auf die worte
v. 17841 ff., mit denen der besiegte persische fürst den herzog
Reinfried überredet, ihn von seinem in Todesnot gegebenen
taufgelübde zu entbinden:
diu kröne müea eich iemer schämen in swelher hand gelouben,
ein heiden sin an dirre vart,
(vgl. dazu Parton. 2748: swä der mensche wirt erzogen, voeiz-
got, da strebet im der sin ie ze jungest wider hin). Das sind
worte einer toleranz, wie sie damals ein geistlicher schwerlich
ausgesprochen hätte.
Zugleich mit den pf äffen tadelt der dichter aber auch alle
weltliche obrigkeit; dem kaiser, den fürsten und der ritter-
schaft sagt er bittere Wahrheiten. Als geistlicher hätte er
sich vielleicht des Zweckes wegen über die gründe hinweg-
täuschen lassen, die deutsche edle zur fahrt in das heilige
land in bilgerines pfliht bewogen; aber als bürgerlicher, der
die not seines Vaterlandes kennt, empfindet er schmerz darüber,
dass solche leute gewissermassen aus feigheit, um sich den
aufgaben zu entziehen, die ihrer im Vaterland und in ihrem
hause warten, in wallers wise sunder teer gen Kriechen oder
über mer fahren:
15514 eins edeln mannes mervart
in bilgerines wise
ich lästerliche prise
mit hinderredelicher pfliht.
ich tar es vor in sprechen niht.
Der dichter kennt alle schaden der fürsten, er weiss wie
schlimm es mit ihnen selbst und ihren ratgebern steht. Er
erlänt mich des gelouben,
wan er k finde rouben
mich an miner 6re
und mohte niemer mere
gewinnen rehtes künges i
iuwer künne und iuwer art
het sin iemer mere
laster und unere,
und wier diu arbeit doch verlorn.
swa der mensche ist geborn,
na mir ewecliche.
werder ftirste riche,
ob iueh so misselunge
daz man iueh betwunge
swer in des wil rouben
mit twinclicher Sicherheit,
der verliust vil arbeit,
wan er sich selben triuget
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beklagt aufs tiefste den verfall der ritterschaft. — Das alles
spricht gegen einen geistlichen Verfasser und bringt uns zu-
gleich auf die richtige spur.
Dem verderbten rittertum seiner zeit stellt der dichter als
idealbild seinen helden Reinfried gegenüber. Eine seiner
tugenden, die er mehrmals lobt, ist die milte; widerholt hebt
er hervor, dass Reinfried nie versäumt, der geraden diet zu
spenden; vgl. v. 1890 ff. 2630 ff. 4392 ff. 11420 ff. 12589 ff. —
v. 26594 ff. entwickelt er ausführlich seine ansieht über die
gaben des 'mitten' und des 'kargen'.
Und das führt mich auf den gedanken, in dem dichter
einen mann zu sehen, der wol selbst zur gernden diet gehört.
So urteilt auch Eichhorn (s. 6), der sehr richtig auf die verse
327 — 356 hinweist, in denen sich der dichter über die aufgaben
der fahrenden äussert.
Zu dieser Stellung des dichters würde alles trefflich passen,
was wir sonst über ihn erfahren; besonders seine dürftigen
Verhältnisse fänden auf diese weise leicht erklärung. Eine so
genaue bekanntschaft ferner mit allen standen im reiche, mit
ihren mängeln und schwächen, die stark pessimistische auf-
fassung der ganzen Zeitverhältnisse ist begreiflich bei einem
angehörigen der gernden diet, der im lande herumkommt und
manche trübe lebenserfahrung machen muss.
Der dichter hat zwar eine gelehrte bildung erhalten und
ist wol anfangs zu etwas besserem bestimmt gewesen, aber,
durch widrige Verhältnisse seines guts beraubt, zu dem leben
eines fahrenden genötigt worden, lieber seine abhängigkeit
vgl. v. 25474 ff. Er sucht also, wie Eichhorn mit recht aus
v. 12752 ff. folgert, 'aus dem dichten capital zu schlagen':
12758 dö mich gelücke geltes flöch,
dö reis mir zuo an muote
und nam ab an dem guote.
ich dien min selbes muot hie an,
sit ich des guotes lütxel han.
Wenn er übrigens als grund für sein dichten v. 12752 f.
und v. 13992 f. angibt, dass er sich urdrüUse sweere damit ver-
treiben wolle, so folgt er hierin seinem vorbilde Konrad von
Würzbnrg, der sich im eingang des Partonopier und des Tro-
janerkriegs ganz ähnlich über die motive seiner dichtung
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
363
äussert. Eine gegenüberstellung wird die abhängigkeit des
Verfassers des Reinfried zeigen.
Reinfr. 13988.
mir sol gewin und ouch vertust
beliben miereteilet ,
Bit «ich min sin durchgeilet
an disem gelben maere,
wan urdrütze swsere
ich mir hie mit vertribe.
ob ich hie von belibe
von gwacher diete dankelös,
nu wol, daz wunder ist niht gröz:
des trag ich kleinen riuwen.
doch wil ich wol getriuwen,
wirt ez gedihtet und bereit,
ez werde etesweun gespreit
für reiner sinne merken,
den ez vi 1 llht kan Sterken
liep und fröude sunder wanc.
ist mir von den ein habedanc
beschert oder gefüeget,
umb daz so benüeget
mich, wan ich ger anders niht.
ob eins schalkes zunge giht
mir spot, daz lan ich alsö sin,
wan diu unfuoge ist niht min.
Part 1.
Ez ist ein gar vil nütze dinc,
daz ein bescheiden jungelinc
getihte gerne hoere
und er niemen stoere,
der singen unde reden kan.
da lit vil hohes nutzes an
und ist ouch guot für urdrntz.
104 swaz aber nu der tumben sl,
die getihten wellen noch,
ein meister sol niht lazen doch
dar umbe sprechen unde sanc.
swie lützel man imwizzedanc
slner meisterlichen kunst,
sök^re doch herze und vernnnst
üf edeledoene und edelinwort.
diu nahtigale singet,
ir sanc vil oft erklinget,
da niemen hceret sinen klanc,
si lat darnmbe niht ir sanc
daz man sin da sö lützel gert
(vgl. Troj. 174 ff.)
2. Beweis aus dem stoff des gedichtes und aus
formellen eigentümlichkeiten des stils.
Als ein mann gelehiter bildung weiss der dichter genau
bescheid im ritterlich-höfischen epos, und als fahrender kennt
er die volks- und Spielmannsdichtung. Ueberwiegt im all-
gemeinen in seinem werke auch das ritterlich-höfische element,
so sind doch andererseits unverkennbar eine reihe von zügen
vorhanden, die wir vergebens im höfischen epos suchen.
Der erste teil des Reinfried enthält eine brautfahrt, im
gründe eine regelrechte entführungsgeschichte, nur in höfischem
gewande. In der eigentlich höfischen epik findet sich dieses
motiv nicht, wol aber ist es sehr beliebt in der ganzen Spiel-
mannsdichtung. Ich erinnere an Rother, Nibel., Gudrun, Ortnit,
Wolfdietrich, Orendel, Oswalt, Saiman und Morolf u.s.w. Und
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364
GEREKE
in der tat lassen sich im R. mannigfache anklänge an alle
diese epen feststellen, besonders aber an die, die in gewisser
beziehung zu der alemannischen heimat des dichters stehen
und selbst vom höfischen epos beeinflusst sind.
Wol kaum zufällig dürfte die ähnlichkeit der brautfahrt
im R. mit der im Ortnit sein.
Der Ortnit(DHB. 3) beginnt:
3,1
ez wuohs in Lamparten ein gewalte-
ger kttnic rieh,
dem was bi den ziten dehein künec
geüch.
5,1
dnreh ktinicliche wirde gap man im
den pris.
geheizen was er Ortnit, ze stürme
was er wis.
Brissen nnde Berne was im undertan.
(6,4
im diente mit ge walte Börne nnde
Lateran).
Dem könig Ortnit wird von den
seinen geraten, sich ein weib zu
nehmen. Sein oheim llias von Riu-
zen nennt ihm eine seiner würdige
königin. Er weiss ihre Schönheit so
zu rühmen, dass Ortnit erklärt:
18,4
ez erg£ mir swie got welle, ich muoz
nach ir hin über mer.
Reinfr.
65
hie vor ein werder fürste
178
daz üf der weit kein herre
lept an wirde sin genöz.
106
. . hörte man in
man nante den selben herzogen
Reinfrit von Bruneswic.
102
Westeval und Sahsen
dienden beidin siner hant.
Der knappe aus Dänemark lädt
Reinfried zum turnier und schildert
die Schönheit Yrkanes so, dass Rein-
fried sich zur reise entschliesst :
398
zehant im aber brahte
der sin ander unmuoze,
wie er sich n& ir gruoze
solt erbeiten üf die vart,
der er dur niht wendic wart.
Wie Ortnit schon von der künftigen braut angezogen wird,
ohne sie vorher gesehen zu haben, ebenso ergeht es Reinfried.
69,2
niwan von sagenden dingen
der meide schoene in twanc.
im het ouch ir minne vil nach be-
nomen den sin.
488
diu süeze minnecüche
im nie kam üz den sinnen.
sin herze muose minnen
die doch sin ouge nie gesach.
Ortnit fordert
auf, Ebenso später Reinfried, als Yr-
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUN8CHWEIQ. 365
Ortnit.
Reinfr.
ihm bei der gefährlichen brautfahrt
EU folgen und verspricht dem mit-
ziehenden seine Unterstützung, droht
aber dem bleibenden.
24
swer mir der reise hilfet, dem
bin ich immer holt,
im 9i onch mit geteilet min silber
und mtn golt;
lant und bürge, darzuo liute und guot.
ich wil im immer danken, swer ez
wüleclichen tuot
kaue, von dem dänischen grafen be-
schuldigt, an ihn einen boten sendet,
der ihn zum streite mit jenem für
ihre Unschuld auffordern soll.
7844
swer mir siner helfe gebe
hie mit dienest niht verseit,1)
der wizze, swä in iemer leit
kumber oder not bestät
dem bin ich immer wa?ge, die wlle
unde ich lebe
50,2
swer hinder mir belibet, dem wirde
ich nimmer holt.
daz er mich dä ze helfe hät,
die wile daz ich einen tac
mit Ären leb und leben mac«)
7874
swer mich in disen noeten lät
und mir sin helf wol weer bereit,
dem sl iemer widereeit
min rät min helfe für diz zil etc.
Nun erklären sich die einzelnen fürsten der reihe nach
bereit, ihn mit mannen und mit ihrer eigenen person zu unter-
stützen (vgl. auch Vogt, Salman und Morolf s. cxxxiv). Ebenso
im Reinfried, z. b.
3<i
dö sprach der marcgr&ve Helmnot
von Tuscän
'so nim von mir ze stiure fünf tn-
sent küener man:
die wil ich mit dir senten, h£rr, über
den wilden s£.
sol ich selbe mit dir fliezen, sö wirt
ir lihte me.'
39—40
Der herzog Gerwart von Troyen
sendet 500 helden mit, bleibt aber
auf Ortnits rat selbst daheim :
») Vgl. 14092 ff.
•) Vgl. 7882 ff. 7910 f.
7946
von Mizenlant der sprach 'ich var
und ahzic ritter sunder wer
mit inch, went ir über mer.'
7949
von Brandenburg der sprach 'ich wil
niht mit inch der reise zil,
wan mich irret ander pfliht.
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306
GEREKE
Ortnit. Reinfr.
40,4
'du solt hie heitue selbe des berge- doch lfm ich i ach &n helfe niht,
birges pflegen/ ich wil iuch in einer schar
atiric ritter Hhen dar;
51 7962
si waren alle willic dem riehen kü- sns wart diu reis gemeret
nege her. von raangem eilenthaften degen,
durch des guotes willen wagten si der der vart sich wol bewegen
da« leben. torste durch den fürsten rieh.
. . wan ir einer niht beleip,
und fuorent alle sament dar.
Vielleicht ist auch in den näheren umstanden der ent-
fühmng der braut selbst ein Zusammenhang zwischen Ortnit
und R. zu finden. Beide ritter schwingen die braut auf ihr
ross und reiten davon:
439, 4 9270
er spranc in sin gereite, die meit wan er si bi der hant begreif
nara er für sich: und hnop si von der erden dan
von der burcliten si dö beidiu riten. üf da« ors. der werde man
ir ros gienc enschüfte, nieraens si die reinen vor im fuorte.
da biten. ob er« mit sporne ruorte?
des waen ich wol. . .
niht langer er dä hapte
und kerte sich sa uf die vart.
Sie werden verfolgt, doch gelingt es ihnen, da ihnen ihre
mannen zu hilfe eilen, die feinde zu besiegen. Als Reinfried
durch seine Verfolger in höchste gefahr geraten ist, bläst er
in sein horn, und auf dieses verabredete zeichen kommen seine
im versteck liegenden mannen herbei: ein motiv, das in der
spielmannsepik durchaus gebräuchlich ist; vgl. z. b. Rother
4177 ff. Alph. 362 ff., Salm. u. Morolf 2654 ff. 2756 ff.
Mir scheint es keines weiteren beweises zu bedürfen, dass
der Reinfrieddichter das thema der brautfahrt nach dem muster
des volksepos gewählt und vielleicht sogar speciell den Ortnit
vor äugen gehabt hat. In der näheren ausführung folgt er,
wie an einer anderen stelle dargelegt werden soll, Konrads
Engelhard.
Doch sehen wir uns nach weiteren volkstumlichen motiven
um. In der nacht, da Reinfried der jungfrau Maria, die ihm
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STUDIEN ZU REINFBIED VON BRAUNSCHWEIG. 367
im träume erscheint, eine fahrt ins heilige land gelobt, hat
auch Yrkane einen träum; hier durfte dem dichter bei seiner
Schilderung Kriemhilds träum vorgeschwebt haben. Beide
frauen träumen nämlich, dass ihnen ein falke, den sie auf-
gezogen, von zwei adlern zerrissen wird.
Nib. L. 13
ez troumde Kriemhilte in tutenden
der si pflac,
wie si einen valken wilden züge
manegen tac,
den ir zw€n arn erkrnmmen.
R. 13520
si hatte einen valken,
als si in släfe düht, erzogen
(folgt breite ansfUhrung).
- 13566
so koment girdeclichen her
in snellen flucken schier geyarn
zwßn ungrefUege gröze arn
und wollen üf in riehen.
Ganz genau passt nun aber der träum Kriemhilds doch
nicht für die zwecke unseres dichters, denn sein held soll ja
glücklich zurückkehren. Als ihm diese erkenntnis kommt, da
hilft er sich in ziemlich naiver weise. Er lässt Yrkane er-
wachen, ehe der träum zu ende ist, so dass sie glauben muss,
der falke sei eine beute der adler geworden: hätte sie aber
weiter geträumt, meint der dichter, so würde sie gesehen haben,
wie der falke seinen Verfolgern entkommt.
Yrkane hat auch noch einen zweiten träum, ganz wie
Kriemhild; in beiden fällen wird uns dieser nicht ausführlich
berichtet, sondern die frauen erzählen ihn in kurzen andeu-
tungen ihren männern (Nib. L. 864. R. 14945 ff.).
Reinfried erhält von Yrkane beim abschied einen wunder-
baren ring, der die kraft hat, ihn vor gefahren zu schützen,
mit speise zu versorgen und fröhlich zu machen. Einen anderen
ring zerbricht er und lässt seiner gattin die eine hälfte zurück
mit der Weisung, wenn jemals ihr ein böte die künde von
seinem tode bringen sollte, nur dem zu glauben, der ihr die
andere hälfte übergäbe. Diese ringmotive finden sich zwar
auch in der höfischen epik,1) das ändert aber nichts an ihrer
») Vgl. z. b. Iwein 2945 ff.
Iw. 2947 R. 15059
ich wart nie manne so holt ein vingerlin, daz selbe golt
dem ich ditz selbe golt du fürete mit dir ftleren solt
wolde lihen unde geben.
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308
GEREKE
Volkstümlichkeit, und darum sind sie nirgends häufiger an-
gewant als eben in der volkstümlichen dichtung. Es darf
wol als sicher gelten, dass die teilung eines ringes mit zur
braunschweigischen löwensage gehörte, die natürlich die
grundlage für den R. bildet. Hätten wir das gedieht voll-
ständig, so würde das noch deutlicher sein. Uebrigens spielt
das zerbrechen des ringes auch im Ortnit eine nicht unwesent-
liche rolle. Ich stelle die betreffenden partien aus dem Ortnit
und R. im folgenden zusammen:
•
Ortnit 545, 3 R. 14778
swaz dir die liute sagen, ob dir min sterben iemen sage,
des solt du niht gelouben, du swer daz in der weite si,
solt niht s&re klagen. des solt du wesen sorgen frt,
küniginne und frouwe, gip mir din minnecliche reine.
vingerlin. du solt gelouben kleine
«wer dir daz widerbringe, dem ge- min bitter sterben sunder haz,
loube den tot min. ez si denn, süeze frouwe, daz
«wer dir daz vingerl bringet, dem ist ich dir üz dem eilende
v i 1 wol geschehen : daz ander stucke sende
der nimet mir etewaz mere und hät daz an daz dine höret.
mich töten gesehen. wizzest, sö hat zersteeret
der tot min ellendez leben,
swaz man dir sag än daz geben
des stückelins Wortzeichen,
sö maht du erbleichen
niemer von keiner riuwe.
In den erzählungen von den wundern des morgenlandes
treten riesen und zwerge auf. Wie schon Bartsch (in der ein-
leitung zum Herzog Ernst) gezeigt hat, ist hier für den Rein-
frieddichter der Herzog Ernst Vorbild. Ist aber nicht auch
der Herzog Ernst eine Spielmannsdichtung? Widerum also
treffen wir unseren dichter auf ihm bekannten bahnen.
Doch noch weiter. Nirgends ist mehr von riesen und
zwergen die rede als in den epen des deutschen heldenbuches,
und dass der Verfasser des R. sicher wenigstens mit einem
teil dieser vertraut war, beweisen schon die verse 25266 ff.,
Iw. 2953 R. 15072
Bines steines kraft ist guot: des steine« kraft
er git gelücke und senften muot. ist sö kreftic nud sö guot
er ist s»lec der in treit. daz er sttete fraUch tuot
den der in an der hende hat.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BBAHN8CHWEIO.
wo er ausser den riesen des König Rother auch Kuprian und
ÜLsenbrant, sowie
die risen mit den Goldem&r,
daz riche keiserlich getwerc,
den walt vervalte und den berc
hie vor den Wülfingen.
nennt. Es wird also nicht auffallen, wenn sich in seiner er-
zählung auch anklänge an die genannten epen finden.
Ich hebe besonders den kämpf Wolfdietrichs mit dem
riesen Baldemar hervor, wie er im alemannischen Wolfdietrich
I) dargestellt ist, und vergleiche ihn mit dem kämpf zwischen
Reinfried und dem riesenboten bei den zwergen.
Wo lfd. D 7,32
in dem Sellien walde vor der bürge
plan
da erblicte der helt balde den aller
groesten man
der im vor sinen ougen ie was wor-
den kunt:
nmb sinen Up er sorgte an der
selben stunt.
33
über alle boume gienc sin
lenge gar.
er nam sin gnöte goume. der rise
hiez Baldemar.
ein brttnje vest von hörne het
er geleit an sich,
irin stnont der üz erkorne eim helde
vil gelich.
34
?r truoc eine Stangen wol aht
cl&ftern lanc,
Reinf r.
inen schilt vor siner hende, der
was niht ze kranc:
iner gebelwende was er vil gelich.
ler tiuvel dich hie sehende!' sprach
Wolf her Dieterich.
18998
alrest dem fürsten veilet
in sorgen gröz sin jungez
leben
19060
de« risen lenge was so hoch
daz si für alle boume schein.
19140
dö hat der nngefüege man . . .
an sich ein hürnin wnrmes hft t
über diu wafen schön geleit.
18926
er fuorte eine Stangen
daz ich ir swtere niht tar sagen
(19176
si sähen siner wunden slac
wol klafters lanc und halbe wit.)
16906
er truoc einen swseren schilt
hoher breiter denn ein tor.
19140
... der nngefüege man,
XXIII.
24
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370
GEKKKE
Wo lfd. D 35, 1
'du bist des tiuvels bruoder, dn
ungefüeger zage.'
36, 1
'waz sprichestu, kint daz tumbe?'
38, 1
'du redest turapliche, dir wonet
niht witze bi.
Krist von himelriche macht mich
wol sorgen fri.'
39, 1
'wie wiltu, kint daz kleine, din
leben danne ernern?'
des antwurt im der reine 'da wil
ich mich vaste wem'.
40,2
der fürste unverzeit
lief dö zornicliche den grözen
risen an.
42
der rise mit der Stangen vaste
üf in sluoc.
44
er schriet im die Stange
schiere von der hant,
daz si ze zwein stücken viel nider
uf daz lant.
dö zöch er von den siten ein
swert uumäzen breit
daz ze sinen ecken gar Kreis-
lichen sneit.
45
dö lief er zornicliche den wer-
den Kriechen an.
Wolfdieterich der küene im also
nähen kam.
underhalp den kniewen be-
gund ers risen pflegeu
mit also herten streichen . . .
Reinfr.
der lasterhafte tiuvels trüt.
18951
du bist ein kint.
1S959
durch dinen tumplichen muot.
18974
got der den sinen nie verlie,
ruoche mir eilenden
ouch sine gnäde senden.
18939
ist dir din leben veile ...?
18973
wer dich reht, wan ich bin hie.
19106
sin manheit übermseze
lief den grozen risen an.
19006
wan der rise siege bot
mit siner swaeren Stangen.
19028
da von er dem risen sluoc
sin Stangen vor der hant en-
zwei.
19034
ein swert er von der siten
brach
lanc und wol zweiger schuohe
breit,
daz an allen orten sneit
reht als ein gewetzet sah«.
19042
den hohgeninoten wisen
lief er dö grimmeclichen an.
19072
der fürste rieh hät im gegeben
wunden vil in siniu beiu.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON RRAUNSCnWKIG.
371
Wo lfd. D
46,2
er sluoc im ein wunde, daz im
dö zehant
daz kroftse zno den stunden
brach üz des libes waut.
Reinfr.
19110
er traf in und zertranden
von dem nabel hin ze tal
daz allez sin gebütte val
nam nider ze der erdeu.
Ich glaube, dass bei derartigen Übereinstimmungen auch
ein sehr skeptischer beurteiler einen Zusammenhang zwischen
beiden stellen nicht wird leugnen können.
Von demselben riesen, den Reinfried hier besiegt, erzählt
der dichter eine krafttat, wobei er offenbar eine scene aus
dem König Rother vor äugen hat, den er ja, wie oben schon
erwähnt ist, selbst v. 25281 citiert.
Roth er (Rückert)
1146
dö zoch man vor Constantlnis disch
einin lewen vreissam.
derne wolde niemanne vor niht han.
her nam den knehten daz bröt,
her teten over deme tische gröze not.
Aspri&n begreif eue mit der
hant
unde warp en an des sales want,
daz her al zebrach.
w6 leide eme der kuninc dö
Reinfr.
1SS92
er nam von rehtem zorne
ein ungefüegez kemeltier
und warf ez gen der bürge
schier
mit eins armes swanke,
der starke, niht der kranke,
daz ez kam für die zinneu in.
swaz ez traf, daz muose sin
ende da von kiesen,
des sach man Verliesen
mangen höher fröuden sin.
Da ich nun einmal den König Rother herangezogen habe,
so sei es erlaubt , gleich noch eine andere stelle in parallele
zu R. zu setzen:
Rother 909 R. 1&926
dö Sölden zw£ne grävin er fuorte eine Stangen
Aspriäuis stangin intfahin. daz ich ir swaere niht tar sagen,
dä was so vil stalis zö geslagin, mit Isen was si sö beslagen
sie ne mochtin sie hebin noch getragin. daz vierzic man die Stangen
än iren danc viel sie dar nider, lanc
sie liezin sie durch not ligen. müezeu läzen sunder danc
äne wegen lau gelegen.
Ich bin weit entfernt zu glauben, dass der Reinfried-
dichter mit bewusster absieht diese stellen des König Rother
nachgeahmt hat: aber er war jedenfalls so in allen solchen
24*
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S72 OEREKE
spielmännischen seinen und Wendungen zu hause, dass er ge-
wissennassen unbewusst fast dieselben worte brauchen konnte.
Und das ist alles leicht erklärlich, wenn man in dem dichter
einen fahrenden sieht.
Ich stimme deshalb auch Rückert zu, der (in der einleitung
zum König Rother s. vii— ix) darauf hinweist, wie unter solchen
Verhältnissen Vermischung ähnlicher Situationen und naraen
mehrerer gediente und sagen erfolgen musste. So lassen sich
die im Reinfried vorkommenden riesen Orte und Velle (Orte
ist noch ganz unbekannt, Velle nur in einer jungen Wolf-
dietrichrecension nachweisbar) neben den richtig citierten
Witolt, Grimme und Aspriän als undeutliche erinnerungen
auffassen (vgl. Grimm, D. heldens. no. 80).
In ähnlicher weise möchte ich auch die folgende neben-
einanderstellung zweier partien des Wolfdietrich D und des R.
verstanden wissen:
Wo lfd. D
uo
ein vingerlin von golde kluoc
und wol getan
an einer snüere sidin vor den rittern
uf den plan
was gehenket schone für die frouwe
hin.
dar zuo sie justierten durch daz me-
getin.
141
swer an den selben stunden
stach durch das golt so rot,
diu edele juucfrouwe im do
ein küssen bot.
142
hie mite von den Kriechen der werde
helt gemeit
nf dem anger grüene gen in ver-
wafent reit,
in begunde an schouwen manec
hochgelobter man,
dar zuo die edeleu frouwen sahen
in gemeinlich an.
Reinfr.
254
und swer der best ist mit dem swert,
dem ist onch höhez lop bereit,
diu junge käneginne treit
ein küssen an ir mündelin:
daz sol er nen, wan ez ist sin
swer ez mit lop erringet,
ein vingerlin so git diu schön
im ouch an sinen vinger.
628
diu Hut gemeinlich alle
durch schouwen warn gelonfen
dar.
Die zwerge im R. erinnern an Laurin.
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8TÜDIEN ZU REINFRIED VON BRAÜN8CHWEIG. 373
Laarin
55
(Laiirin) ist käme drier spannen
lanc.
Lanrin führt Dietrich und seine
mannen in den berg, damit sie sehen,
S46
waz wünne in dem berge ist.
969
du fuorte Laurin daz getwerc
mit im die fürsten in den berc.
Darinnen ist eine grosse anzahl
zwerge:
993
die truogen an daz beste gewant
daz man in allen landen vant:
von golde gap ez liebten schin.
Die fürsten werden gut empfangen,
aufs beste unterhalten und mit speise
in kostbaren geschirren bewirtet.
1940
den fürsten was diu wile nnlanc.
1050 .
daz was ir kurz wile unde ir spil.
Es folgt Laurins treubruch, ge-
fangennähme und die befreiung der
fürsten.
1836
(daz getwerc) blies lüte ein her-
horn
daz ez in dem berge erhal:
daz erhörten diu twerc ttberal.
1490
ez erschalte lüte ein horn.
Reinf r.
18524
ir keinz wan drier schuohe lanc
was.
Wie Dietrich den Laurin vor dem
berge gefangen nimmt, so verstellen
auch Reinfried und seine begleiter
dem zwergkönige den zugaug zu der
höhle im berge.
18606
hin in die burc man fuorte
die herren ellentrlche.
diu was so keiserliche
über die maze gezieret etc.
18528
golt und steine lfthte
ab snraelicher honbet.
18532
so durliuhteclichen fin .
mit höher koste schöne
kleider unde kröne
von ir kleinen üben schein.
Ganz wie im Laurin.
Von der zwergkönigin heisst es:
18672
kurzewile machet
si vil den werden fürsten hie.
18500
ein horn nam er an die hant
und blies daz kreftecliche.
berg und tal geliche
dem hörne gaben widerdöz.
Endlich sei auch noch die Virginal angeführt Von der
stimme eines riesen heisst es:
374
GEREKE
Virginal
22
ein stimme hörte er Hiltebrant,
diu was in beiden unbekant:
ob 8i von menschen gienge
oder von eines wurme« rannt,
daz was in beiden gar unkunt,
und obe den ieman vienge.
der galm in daz gebirge döz,
in walt und uf gevilde
ieze kleine und danne gröz.
diu stimme dühtes wilde,
wan si ir uiht mß heten ver-
nomen.
23,7
wiez umb die stimme wjere getan,
diu wunder wolde er schouwen.
Hildebrant fragt:
24,11
'von wem duldent ir dise not?
klagent ir mir«, ich rihtes in
odr ich gelige dar umbe tot.'
Reinfr.
18696
diu griuweliche stimme geben
kond über berg und über tal
also jämerlichen schal
daz si fröude störte
allem so ez hörte
und muose dannen ziehen.
diu stimm von vorhten fliehen
tet klein gröz zam und wilde,
wan von menschen bilde
wart solich wunder nie gehört
diu stimme vor der bürge dort
döz als ein starkez ungewi ter.
Reiufricd sagt zu den zwergen:
1S810
ich wil wenden iuwer leit
ald ich rauoz drumbe sterben.
Das mag genügen, um die völlige Vertrautheit des Rein-
frieddichters mit den Stoffen der Spielmannsdichtung zu zeigen.
— Ich wende mich nunmehr zu dem nachweis, inwieweit der
formelschatz im R. die hypothese, dass wir in dem dichter
einen fahrenden zu sehen haben, zu stützen vermag. Wir
werden natürlich bei einem so späten dichter wie dem Ver-
fasser des R. nicht mehr erwarten, den alten spielmännisch-
volkstümlichen Charakter deutlich ausgeprägt zu finden, hat ja
doch auch schon den epen des deutschen heldenbuches der
einfluss der höfischen gedichte einen durchaus höfischen an-
strich gegeben. Der dichter des R. vollends hat durch sein
intensives Studium Konrads von Würzburg sich so in die manier
des höfischen epos hineingearbeitet, dass vom formelschatz und
von der ausdrucks weise der spiel männisch- volkstümlichen dich-
tung bei ihm nur noch sehr wenig zu spüren ist
Ich halte mich hauptsächlich an den vergleich mit Wolf-
dietrich D, weil ich hier vielfach auf Jänickes anmerkungen
zurückgreifen kann. Freilich ist auch gerade auf Wolfdietrich
D Konrad von grossem einfluss gewesen, und so kann man
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STUDIEN ZU REINFKIED VON BRAUN8CHWEIG. 375
■
bisweilen schwanken, ob im R. gewisse formein spielmännisch
sind oder aus Konrad stammen.
Ortnit C 195, 4 ich wolte e sterben tot (vgl. Jänicke, ferner
Grimm, Gramm. 4, 593. Lichtenstein zu Eilhart 104). — R 51(51.
15154. 20219.
Ortnit C 224,2 wie daz im geschach (vgl. Jänicke). — R.
4044. 12726. 12810. 16622 u. ö. Ebenso Wolfd. D öfters, Virg.
297, 7. Gold. 2, 4. Im älteren mhd. nur wie oder stvie ohne daz.
Wolfd. B 372, 3 er sluoc im üf daz houbet einen swinden
slac, daz der heiser Ortnit vor im gestrecket lac. — R. 9040 f.
9114 f. 17529 f. (wo allerdings gestrecket fehlt). Ueber die
Verbreitung dieser formel in der spielmannsepik vgl. Jänicke
DHB 4, 292. Vogt, Salm. u. Morolf s. cxlvi f.
Wolfd. B 666, 2 unz im sin guot ros vor mäedc gar erlac
(vgl. Jänicke). — R. 8968 f.
Wolfd. D 3, 65, 1 dö der riebe keiser die boten ane such, er
empfienesie also schöne: nu heerent wie er sprach. Ebenso
6, 120, 1. 220, 1. 7, 143, 1 etc. Virg. 131, 1. 178, 2. 526, 1 (vgl.
Jänicke). — R. 5445 f. Diese formel findet sich nach Jänicke
nirgends in den höfischen epen der guten zeit, eine behaup-
tung, die Vogt etwas einschränkt (Salm. u. Mor. exu; hier auch
beispiele).
4, 85, 2. die siege raste hüllen, ein übel ndchgebür
was er in dö allen. R. 20502 ff. (vgl. Martin zur Kudrun 650, 4.
Jänicke zu Biter. 1578). — (Konr. Troj. 25657).
5. 216. 2 dö valte er üz blechen manegen herten nagel (vgl.
Jänicke). — R. 20084 ff. 20484.
7, 74, 2 mit armen umberüeret (vgl. Jänicke). — R. 9398.
10983.
7. 159. 3 ane stegereife er in den satel spranc (vgl. Jänicke).
— R. 9198 f. 17235 f.
9, 102, 2 er gienc vor in houwen also ein eberswin. — R.
9028 f. 18821. (Troj. 5040); vgl. Lichtenstein zu Eilhart, QF. 19,
clii. Biter. 12138 f. Reinbot Geo. 430.
[8, 343,4 (R.2701 f.). 9, 56, 4 (R.6882. 7106. 25432). 10, 34,3
(R. 16165 f. 12067. 14144. 20603)].
Virginal 72, 4 nu läzen wir si riten hie und sagen wiez
dem Berncere ergie 130, L 218, 1. 975, 1 etc. Laur. 1758 (Engeln.
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376
GEREKE
1629 ff.). — R.377. 1896. 4451. 8129. 12056. 12363. 15359.
23212 (vgl. Steinmeyer, Gött gel. anz. 1887, 806 f.).
V. 54, 4 von ir stierten rouch ein tunst 182,7 sant er
von swertc manegen tunst üf gegen des ivatdes tolden, daz
ich des wände cz weere ein brunst. — R. 11298 von dem
schimpflichen st rite huop sich ein wolkcnlicher tunst, daz von
ir siegen gie ein brunst. 1042. 17316. Hier scheint speciell
ein ausdruck der spielmannspoesie vorzuliegen, belegt noch
weiter in Dietr. fl., Laur., Rab., Eckenl.
V. 168, 13 dar nach schöz von bluote ein bach. 205, 12. —
R. 9116 f.
Laur. 214 diu naht wart nie sö tunkcl, ez lühte als der
liehte tae vom gesteinc daz am helmc lac. Walb. 854 ff. (vgl.
Jänicke z. Stauf enb. 252). — R. 18586 diu naht wart nie sö
tunJcel, man hette liehtes überlast da fanden von der steine glast.
L. 6. 196. 210 in stürmen und in striten. Virg. 82, 10. Gudr.
725, 3. 730, 4. Alph. 99, 4. Bit. 265. Roseng. (Holz) 1) 36, 2. 55, 1 ;
auch bei Konr. v. Würzb. (vgl. Jänicke z. Staufenb. 334). — R
957. 22230.
L. 371 gegen ein ander si dö stuben als zwene vaUcen die
da fingen. — R. 884 f. 17338 f.
L. 1372 daz bluot durch die ringe ran. 1474 f. Virg. 205, 12 f.
(Parton. 14358 f.). - R. 17490 f. (20412 f.).
Ueber andere aus der volkstümlichen dichtung stammende
redewendungen und formein vgl. unten im dritten abschnitt A.2.
Nach diesen ausfuhrungen glaube ich mich berechtigt, den
dichter des R. dem fahrenden stände zuweisen zu dürfen. Die
hauptmasse seines Stoffes hat er vielleicht aus alten liedern
geschöpft, seine darstellungsform aber erscheint infolge des
intensiven Studiums Konrads von Würzburg mehr höfisch als
spielmännisch.
Zweiter abschnitt. Quellen und Vorbilder.
Es gehört in der mhd. zeit zu den notwendigen forde-
rungen, die man an einen epiker stellt, dass er für seine
dichtung eine quelle nenne. Daher unterlässt es denn keiner
sich widerholt auf eine solche zu berufen, mag er nun wirk-
lich eine haben oder mag er sie nur fingieren.
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8TÜDIEN ZU BEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 377
Auch im R. finden wir derartige angaben, und zwar
verhältnismässig häufig, allerdings nach spielmannsmanier
meist ziemlich unbestimmter art. Doch beruft sich der
dichter daneben auch genauer auf bestimmte quellen.
Ich stelle zunächst die allgemeinen angaben zusammen:
1. Mündliche quelle: so man seit 112, als man seit 11887,
als man uns seit 12307. 12402, als mir ouch wart geseit 18266,
ist mir geseit 22597 ; — so her icJi jehen 952, als ich hdn ge-
hört 25319; — hwr ich die wisen sagen 16, uns sagcnt ouch
die wisen 18052, ich A«r die wisen alten dick in ganzer wär-
heit jehen 19880 f.
2. Schriftliche quelle: als icJi ez las 923. 962. 1510. 6242.
12500. 17180. 26775, als ich hdn gelesen 20978. 10884. 26717.
26749, daz hdn ich von im eigenlich gelesen 18258 f.; — als ich
von im geschriben las 16765, schrittet man 26718, van den vil
grözer wunder sint geschriben 26756; — als uns für war diz
mcerc seit 146, als daz nuere seit 15418; — als uns diu även-
tiure seit 927. 16706, mir seit diu ä. für war 5900, nach der
ä. sage 11490, von der diu ä. sagt 11882, uns seit diu ä. 13812,
als diu ä. seit 15431, als mir diu ä. swuor 18158, sus seit diu
ä. 27071; — nä der buoche sage 26783.
Directe beruf ungen auf die bibel sind folgende: 18094 ob
ich kan der schrifte wort erkennen (Samuels geburt), 15868
ah icli da hdn gelesen an der buoche Schrift (Gideon), 15904
als ich geschriben vinde in dem wären buoche (Macca-
bäer), 20960 daz man hiut und iemer mer da von list in der
wären schrift (tempelbau), 15916 als diu bibliä noch seit
(Maccabäer), 26994 diu bibliä bewiset uns dirre suche bae dan
ich (himmelsbrot).
Genauer: 10893 als tcirz am ewangcljen hän (hochzeit
zu Cana), 13124 stver welle daz im werd bekant diz dinc üf
ein ende, ze den fünf buochen sende ich in die man Moy-
senen git (juden in der wüste), 15815 als uns diu buoch noch
tuont bekant (Ägypter ertrinken im Roten meer), 15819 als
ich hän von Abiron und Dathän in der rihter buoch ver-
nomen (irrtümlich für Num.). 25002 getcisheit uns der wise tuot
Salomen in siner schrift, 26818 Machabeörum buoch
daz seit.
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378
GEREKE
Berufungen auf eine chronik: 17976 als in der cronik ist
geschriben (kaiser Friedrichs wunderbares ende), 18143 als crö-
nied diu wäre seit (Zerstörung Jerusalems); vgl. Enikels Welt-
chr. 28945 ff. 24331 ff. s. unten).
Andere quellen: 10421 als Wolf er an von Eschelbach in
Titurelles buoche sprach (vgl. 10584 ff.), 16678 biz daz der
Marc Parzivdl im sine helfe tet erkant, als icJt in simc buoche
vanl von dem von Eschelbach geschriben, 18017 diu wunder
. . . diu in dem buoch der kintheit von gote noch schöne stünt
geschriben (s. unten), 21056 tr hänt wol gehoeret wie ein her-
zog üzer Beigerlant, Ernest so was er genant, und grave
Wetzet sin man hie vor ouch zuo dem steine kan, ah ich von
in gelesen habe.
Quellen aus dem classischen altertum: 3216 Virgilius seit
über al, 22590 swer üf ein ort teil wizzen daz von anevanc unz
an daz drum, der sol lesen Statium Achilleides, da er hie
von vint sines hergen ger, 22488 als man an Claudidnö seit.
Ovid wird genannt 10772. 24563.
Sehr interessant sind zwei ausführliche äusserungen des
dichten Uber sein Verhältnis zu seiner quelle, bez. zu seinen
quellen:
5fi und würd diu rede ouch liht ze laue,
ich sag iueh als mir wart geseit des laz ich ir vil under wegen
sunder lougen fine trüge. und wil einvalteclichen ätegen
daz ich mit Worten umbe flüge, ftf der aventiure wän
da zuo so ist min sin ze kranc, der ich mich nnderwnnden h&n.
Sehr naiv klingt das andere bekenntnis:
1Ö922 ich sag ez inch ouch sunder sparn.
da von mich nieman strafen sol swers niht geloube, der laz varn,
umb lüge, ich wa?ne ez sige war. wan ich geloub an disem zil
ob ez joch war erlogen gar, dar au so vil ouch als ich wil,
daz wolt ich doch kleine klagen. und mag ez sicher offenbar
ich sach sin niht, ich hört ez sagen, allez samt wol wesen war.
Zu all den directen berufungen auf quellen kommen nun
noch zahlreiche anspielungen auf die höfische literatur, auf die
volks- und spielmannsepik. auf mittelalterliche sagen und fabe-
leien, auf die dichtungen der alten, so dass wir also bei dem
dichter des R. eine grosse belesenheit finden. Es dürfte sich
demnach wol verlohnen, diesen beziehungen einmal nachzu-
gehen; denn durch sie hat der R, wenn man seinen poetischen
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STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUN 8CHWEIG. 379
wert auch gering anschlagen mag, doch entschieden eine ge-
wisse bedeutung für die mittelhochdeutsche literaturgeschichte.
Ich fasse also in den folgenden quellenuntersuchungen das
wort quelle nicht in seinem engen sinn, sondern stelle mir die
aufgäbe, die literarischen beziehungen überhaupt zu verfolgen.
I. Höfische epen.
1. Konrad von Würzburg.
a) Reinfried und Engelhard.
Der plan des R. umfasst drei teile: die brautfahrt Rein-
frieds nach Dänemark (v. 1 — 12658), des herzog» zug in den
Orient (v. 12659—27206) und seine rückkehr (v. 27207 bis
schluss). Nur die ersten beiden teile sind erhalten und vom
dritten der anfang. Das motiv der brautfahrt hat der dichter,
wie wir schon gesehen haben, der spielmannsepik entlehnt;
auch schliesst er sich ihr in der ausführung einzelner züge an.
Für die composition des ganzen aber ist ihm in weit höherem
masse Konrads Engelhard Vorbild gewesen.
Im eingang des R. und Engelhard heisst es nach der all-
gemeinen einleitung:
R. 65 E. 221
hie vor ein werder fürst e was dö lebte in Burguntriche
der zuht nnd er ie an »ich las vil getriuweclichc
mit milt nnd ritterlicher tat. ein herre von geburte fri.
dem wonte zuht und ere bi,
milte nnd ganziu sttete.
118 240
er pinte1) leben unde Up sus hsete er sich gepinet1)
dnr ere in werder ritterschaft. üf tugent für die brnoder sin.
122 246
ze swerte »per nnd schilte üf alliu saeleclichiu dinc
stnont sin sin und der gedanc, stuont »Ines herzen girde.
wan er na ritterschaft ie ranc. sin muot näch höher wirde
künde ringen unde streben.
Der ort der handlung im ersten teil des R. und im E.
ist überwiegend Dänemark. Yrkane und Engeltraut sind die
königstöchter. Engel trauts mutter ist tot (v. 1767); auch Yr-
») sich pinen üf noch R.011. 090. 14362. — Part. 8700. 9554.
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380
GESEKE
kanes mutter haben wir uns wo! als verstorben zu denken,
da sie nirgends erwähnt wird.
Reinfried erhält durch einen knappen die aufforderung zum
turnier nach Dänemark. Die Schilderung des knappen von der
Schönheit Yrkanes lässt ihn sogleich in liebe zu ihr entbrennen.
Der dichter äussert seine Verwunderung darüber, da Reinfried
die jungfrau ja noch gar nicht gesehen hat. Er spricht liier
einen ähnlichen gedanken aus wie Konrad, als Engeltraut mit
ihrer liebe zwischen Engelhart und Dietrich schwankt
R. 496
sit nach des ongen wirde
ein herz (lf minn sich rihtet,
daz ouge muoz gepflihtet
ze boten an daz herze sin.
und swie si went, der ougen schin.
da volget sin und herze nach.
E. 1042
daz herze muoz empfähen
liep oder leit vil drate
al nach der ongen rate:
wan swaz den ougen sanfte tuot,
daz dunket ouch daz herze guot
und ist im zware wol da mite,
herze und ougen haut den site
daz si gehellent under in.
Der Reinfrieddichter fügt dann aber zur erklärung noch
hinzu:
v. 534
ein ong sich mar vergalten dick wider sinen willen tuot
sö daz ein herze umbehuot an unbesinter minne.
Engelhard findet auf seiner reise nach Dänemark unter-
wegs an Dietrich einen gefährten; beide schliessen innige
freundschaft.
£. 805 si wären zallen stunden
zesamene gebunden
mit höher minne stricke.
Aehnlich heisst es später von Reinfried und Yrkane:
R. 305R wan minne mit gedenken bint
si beidiu in der minne stric.
Die Schönheit Yrkanes wird wie die Engeltraut« in über-
einstimmender weise ausführlich geschildert. Doch zeigt sich
hier eine herübernahme von gleichsam formelhaften Wendungen,
in denen sich Konrad bei darstellung ähnlicher Situationen
gleich bleibt. Wir können nämlich hier auch die Schilderung
der Irekel im Partonopier heranziehen.
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STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUNSCHWEIG,
381
R. 220
ir spilet dz den ongen
diu niinne mit ir stricke.
1612
wan da« küssen hetzet
mich in den töt mit senfter gift,
sam diu Syrene, so man schift
bi ir, tuot mit der stimme.
2110
ir reidez h&r ir ander
der vil riehen kröne schein
durliuhteclichen reht als ein
schon durwünscht gespunnen
golt
(vgl. 22510).
2117
Üz wlzer Stirnen glizzen,
reht als si dar gerizzen
waren, brüne br&wen.
2123
. . . ir goltvarwez h&r.
nf dem schein dnrlinhtic klar
golt nnd drin gewieret
edel stein
(schapel v.2178. 2247).
2144
lanc nnd als ein slde gel
was ir har, daz verre hienc
für den gürtel, »war si gienc.
vgl. 26176
gerispelt reit und da bi val
äz reht als ein side.
2152
diu minnecliche blüete
durlinhter denn ein mandel.
an ir so wart kein wandel-
flecke nie beachouwet
(vgl. 3844 f.).
E. 2231
ein spilender ongen blic
da von ich in der miuneu stric
also krefteclichen viel.
2216
si tuot als diu Sirene,
der stimme ist also schoene . . .
(Troj. 2668 ff. u. ö.)
vgl. P. 8638
ir h&r als ein gespunnen golt
schein dnrliuhtic über al;
vgl. 13565
sin här .schein als gesp. g.
E. 2982
d& swebeten brüne bräwen obe.
3010
man sach von golde ir eine snuor
zeinem schapel üfe ligen,
diu über al was wol gerigen
vol edeles gesteines;
vgl. P. 8650
sieht und wiz diu stirue.
8667
zwo smale brüne br&wen.
8683
ir goltvarwen h&res ...
vgl. P. 8640
für den gürtel hin ze tal
sluogen ir die zöpfe lanc ;
vgl. Troj. 23244. Part. 9430.
Jänicke zu Wolfd. D 8, 323, 3.
E. 2998
ir lip nach edeles herzen gir
in hoher wnnne bluote;
vgl. P. 3348
so wjere an im kein breste m§
gewesen noch kein wandel.
sin jugent als ein mandel-
boum in £ren bluote;
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.382
OBRERE
R. 215«
ir 1 i p den hat betouwet
alliu salde tougen.
2194
Yrkane übertrifft Jeschute de la
Lander an Schönheit de» mundes.
2208
üz dem niündel wart gesehen
zene nä helfenbeine.
wize dünne und kleine
si gewttnschet waren dar.
sam die wilden rösen var
lühten lieht ir wen gel,
und hienc de» hären strengel
ein löckel reit da bi zetal.
vgl. Gold. gm. 432
von dir kam der mandel-
kerne durch die schalen ganz.
E. 2996
diu saelde was vil manicvalt
der ein wunder lac an ir.
vgl. P. 7562
mit Salden ist betouwet
iuwer nam und iuwer Mp.
E. 2991
Engeltrant übertrifft Isolde
weisse der zahne.
E. 29S9
unde stnonden kleine zene.
vgl. P. 8672
dar iune sam ein helfenbein
stnonden kleine zene wiz.
ir wen gel wären beide
röt alsam ein rösen blat.
dä hiengen zw£ne löcke reit
ir goltvarwen häres für.
E. 2986
ir wangen roeselehten schln
beide gäben alle stunt.
2970
und was ir här genöte
brun unde reit bi disen zweiu.
2220
minneclioher schoener 11p schcene und minneclichgevar
wart nie so süezer noch so guot gemischet als milch unde als
als dä man milch und dä zuo was ir Hehtiu varwe guot. [bluot
bluot 3684
in rehter mäze mischet. rent als e*n milch und als ein
bluot
vil wol gemischet under ein;
vgl. P. 8656
reht alse milch unde bluot
wiz unde röt ir varwe schein;
diu zwei ge mischet under ein
stuonden wttnneclichen dä
(vgl. Troj. 3024).
Vgl. Jänicke zu Wolfd. D 6, 100, 3. Wackernagel, Kl. sehr. 1, 155.
Wackeruell zu Hugo v. Montfort 5, 35.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUN 80 ITWEIG. 383
2236
da bl ein kerz ir slehtin kel,
wizer denn ein hermel.
2248
stirne br&wen öugel klär,
nase mündel tinne,
huffei wengel kinne.
225S
so durlinhtic übe« Tel
wart nie noch so reine
von fleische noch gebeine
swa si schein vor der waete.
hoch nnd kleine brüste
reht als ein apfel sinewel.
wizer denn ie krideniel •)
w*n ich daz ez w«re.
E. 2994
durlinhtic wlz ir kele schein.
vgl. 3002
ir waren bein und anne sieht,
ge wollen als ein kerze;
vgl.P. 12562
ir stirne ir ougen unde ir kel,
ir nase ir raunt ir tinne,
ir wangen unde ir kinne;
vgl. Trist. 923
ir här ir stirne ir tinne
ir wange ir mnnt ir kinne.
E. 3039
daz man dar durch
[durch das heinde] ir wize hüt
sach linhten bi den ziten.
3044
ir senften brüstelin
als ez zwen epfel w»ren;
vgl. P. 156S
unde ruorte ir süezen brüst
diu sam ein apfel was gedrät.
Die darstellung der Schönheit Helenas im Troj. 19865 ff.
bietet ferner sehr viel ähnliche züge.
Als Reinfried im turnier gesiegt und als preis turtel taube
und kuss von Yrkane empfangen hat, führt sie, die gleichfalls
in liebe zu ihm brennt, ihn in ein zeit, wo sie dann beide mit
süssem minnegeplauder die zeit verbringen. Bei ihnen ist noch
eine treue dienerin. Vorsichtig verlassen alle drei nacheinander
in gewissen Zwischenräumen das zeit. Dennoch hat sie ein
dänischer graf beobachtet, und aus dem verwirrten haar Yr-
kanes ahnt er das vorgefallene; nur geht er zu weit in seinen
Vermutungen, indem er als sicher annimmt, Yrkane habe ihr
magdtum preisgegeben.
Auch Engelhart und Engel traut bekennen sich, als sie
allein sind, ihre liebe und, nachdem Engelhard in einem turnier
in der Normandie sich als siegreicher ritter gezeigt hat, gibt
•) Dieser vergleich nur noch Troj. 14000. 199&9.
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384
OERKKE
sich Engeltraut ihm hin. Hierbei werden beide vom grafen
Ritschier entdeckt.
Beide grafen sind natürlich im höchsten grade eifersüchtig,
machen, was sie gesehen haben, bekannt und erklären sich
bereit, für die Wahrheit ihrer behauptung mit dem Schwerte
im gottesgericht einzustehen:
R. 6602 E 2422
ze velde wart der tac geleit üf einem grüenen plane wH
ftffen einen witen plan. ein rieb gestüele wart bereit,
gestüelet wart dö sunder w&n
nach küneclicher pflihte.
Die übliche frist von sechs wochen vom tage der fest-
setzung des gottesgerichtes an wird in beiden fällen angegeben :
6814 4119
mit urteillicher lere
wart der kämpf gesprochen und wart der kämpf gesprochen
von der zit sehs wochen schier Uber gehs wochen,
und drige tage, so man seit,
nä kämpfe« gewonheit,
als ie dö was und noch ist als ez was billich unde reht.
(vgl. übrigens Iwein 5756:
nu wart der kämpf gesprochen
über sehs wochen).
Ein gottesgericht stellt Konrad von Würzburg auch im
Schwanritter dar. Mit der darstellung im Schwanr. zeigt der
R. manche berührungen. Die ankläger — im R. der dänische
graf, im Schwanr. der fürst von Sachsen — sind beide so her-
vorragend tapfere und berühmte ritter, dass sich keiner finden
will, der es wagt, in einer so heiklen sache ihnen gegenüber-
zutreten:
R. 6754 Schwanr. 590
nu lepte in den ziten der Sahsen fttrste hoch
niht reschers ritters denne er was. schein also krefte riehe
da von er vil kleine entsaz daz niender sin gellche
daz in ieman bestüende. lebt über allez Niderlant
und man dekeinen ritter vant
als ellenthaft ze Sahsen.
6760 <»04
dö diz beschach, der künic saz der künec selber trürec wart,
in sorgen jamerliche. daz man dö kempfen solde,
wan er gelouben wolde,
... in der zit nie ritter swert
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8TUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUN SCHWEIG. 385
nmb den lip beerte,
den man ze bühurte
bezzern funde denne er was.
daz nieraan würde funden
sö frecher bi den stunden,
der für die fronwen vsehte.
Kummervoll und fragend lassen die frauen ihre blicke
umgehen, ob sich denn nicht ein kämpf er für ihre Unschuld
finde, vgl. R. 6854—6875 und Schwann 639—664.
Im R. wie im Engelhart kommen die kämpfer für Yrkane
und Engeltraut im letzten augenblick noch eben rechtzeitig
an. Beide sind ganz weiss gekleidet:
R. 8569
ein banier wizer denn ein swan.
da mit ad was ros unde man
verdecket an der zite.
mit wizem semtte
er aller in ein ander schein.
E. 4688
der fnorte von samite blanc
decke und kursit wol gesniten.
Der kämpf beginnt; er wird im R. wie alle anderen ganz
in Konrads weise mit denselben formelhaften Wendungen dar-
gestellt, lieber diese allgemeinere nachalimung später. Jetzt
möchte ich hier nur die beiden stellen im R. und E. verglei-
chen, in denen sich doch auch charakteristische, sie von den
übrigen kampfesschilderungen unterscheidende züge finden.
8897
die schilt si für sich drahten,
diu swert si höhe zuhten.
8908
die fiures blicke sprangen
nach der siege duzze,
als ob der donre schuzze
üf ir beider helmes tach.
golt und edel stein man sach
risen von den starken siegen.
9032
mit starken siegen Ionen
wolt er mit grimmer herte
dem der üf in berte
alsam er war ein aneböz.
4848
die schilde für sich huoben
ze schirmen die vil küenen.
4830
diu swert begunden si zehant
zücken.
4876
üz dem gevegeten Isen
des fiures blic höh üfe stoup.
4815
daz des braches klac
lüte alsam ein donerslac.
4874
daz von den stahelringen
geschach ein michel risen.
4851
ir siege waren also gröz
daz üf einen aneböz
geschach nie groezer tengein.
25
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im
OERKKE
Wie Reinfried von seinem gegner, so wird Dietrich-Engel-
hard von Ritschier zuerst niedergeworfen (R. 9038 ff. —
E. 4908 ff.).
Aber Reinfried und Dietrich-Engelhard erheben sich wider
(R. 9046 ff. — E. 4921 ff.).
Es gelingt ihnen ihre gegner völlig zu besiegen, deren
leben in beiden fällen nur durch das einschreiten des königs
gerettet wird. Als preis fällt jedem sieger die dänische königs-
tochter zu.
Reinfried führt nun seine geliebte heim. Dir abschied
von ihrem vater Fontanagris (v. 11555 ff.) erinnert deutlich
an den abschied Engelhards von seinem vater (v. 338— 383),
als er seine reise nach Dänemark antritt. Beide väter geben
ihren kindern gute ratschlage, insbesondere den, schlechte
gesellschaft zu meiden: R. 11730 vor allen dingen fliehen soll
du bces gesellescliaß.
Engelhards vater gibt seinem söhne drei äpfel; wenn ihn
jemand um gesellschaft bittet, soll er ihn damit prüfen. Er
soll ihm einen apfel anbieten: isst er diesen ganz allein, ohne
ihn mit seinem geber zu teilen,
min kint, du soll mit ganzer kraft dar under ich dich biten wil.
sol din herze niuwe
mit der erbermde halten.
Beide väter sichern ihren kindern zu, dass es ihnen gut
gehen wird, wenn sie ihren rat befolgen.
R. 11748
£. 350
so mit, vil herzelieber knabe,
alle sine geselleschaft
368
dich at«ter tugent flizen.
in demuot verslizen
solt du din minnecliche zit.
zuht bescheidenheit diu git
dir höhgelopte wirde.
bis milt in herzen girde:
stiete kiusche triuwe
daz du getriuwe gerne sist.
hie mite du dir selben gist
vil maneger hande werdekeit.
triuw ist daz beste eren kleit
daz den friuntlosen man
in dem eilende kan
erfröuwen unde erhoehen wol.
11714
wilt du in din herze graben
min lere, daz bringet dir heil.
384
nnd hast dn die bescheidenheit
daz du behaltest min gebot,
ez birt dir hulde, sam mir got,
und bringet dir noch swlden vil.
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STUDIEN ZU KEINKRIED VON HRAUNSCHWEIG. 38?
Die kinder versprechen auch ihren Vätern gehorsam:
R. 11785 E. 376
si sprach 'veterlin, ich wil 'vater' — sprach er — 'ich ensol
dir nf mines todes zil niht zebrechen dinen rat.'
vollen iemer sunder haz.
8waz du hast geraten, daz
wirt von mir vollendet'.
Was der dichter von Reinfried und Yrkane nach ihrer
Vermahlung sagt, lässt sich vergleichen mit Engeln. 900 ff. :
10788 900
swä wlp üz herzen rume wan swa daz wip beginnet wegen
tuot schäm g£n liebem manne in ir herzen mannes tugent
und sich diu minne danne und mit gedenken siue jugent
den gilt mit glicher schanze, wil mezzen und ergründen,
da hat der minne lanze da kan diu minne enzünden
getroffen und beheftet. herze und muot dem wibe
nach des mannes übe.
R. 12658 ist ein förmlicher abschluss des ersten teiles, und
es scheint fast* als ob der dichter ursprünglich auch nur diesen
ersten teil zu dichten beabsichtigt hat:
R. 12650 E. 6453
ir muot ir herze klepten gelücke in höhe stiure bot.
ein ander in dem sinne si lebeten beide unz an den tot
mit ungemischter minne fitBlichen nnde schöne,
in ganzer liebe schöne. diz heil gap in ze löne
da von wart in ze löne ir triuwe der si wielden.
hie der weite pris gegeben, wan si ze herzen vielden
und dort vor got daz ewic leben gar luterliche stetekeit,
daz frö frisch iemer m£ gestüt, so wart in weide vil bereit
sö erde und himelrich zerg&t. in himele unde üf erden.
Ich halte es auf grund dieser parallele für gesichert, dass
der Reinfrieddichter bei der composition der Vorgeschichte
seines helden sich Konrads Engelhard zum muster genommen
hat, Er hat die braut fahrt in allen wesentlichen zügen mit
motiven aus diesem epos ausgestaltet und hierbei engen an-
schluss an Konrad gesucht.
Selbständig eingeführt hat er eine ganze reihe von königen
und fürsten, die am tumier in Dänemark teilnehmen. Deren
namen nun wirft er beständig durcheinander. Ich führe die
betreffenden steilen an.
v. 740 mit im der künic Palarei,
die hat gefüeret Uber mer des herze ie na triuwen schrei,
25*
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388
OBRERE
wan im kein laater was bekant.
dar was der künc von Engellant
938
der junge künic Palarei,
ouch komen hin mit grözer raaht, an schänden gar der trage.
Hier ist also Palarei könig von Norwegen (ebenso 564.
1859. 2725) und Florin (oder Floris) könig von England (ebenso
1178. 1813. 2728); nichtsdestoweniger heisst es v.912 nu hm
dort üf der Heide Palarei, künc von Engellant
Total verwirrt aber sind die namen an folgenden stellen:
v. 288 ff. von Schotten ±den künc Löris, Lei an von Berbester
[s. Troj. 23921: Lerant von Schotten; der name Berbester stammt
wol aus Wolfr. Wh. 329, 15. 397, 17; vgl. Wolfr. Tit. 42, 2], ein
herzog von Wintsester Partus der fürste ziere, v. 575 ff. Löris
der Schotten vogt, Parins ein vil werder degen, der herzog üz
Berbester, Jörän von Wintsester, v. 750 ff. Löris der künc ge-
hiure von Schotten, Fontdnägris von Tenemark, Jörän von Ber-
bester, der herzog uz Wintsester, v. 1057. 1417. 2729 Parlus von
Schotten, v. 1507 Parlus von Wintsester, v. 1529 Turnis von
Berbester.
Schliesslich möchte ich hier noch die Übereinstimmung des
Schlusses des R, mit einer grösseren partie des Engelhard con-
statieren. Die insel nämlich, an die Reinfried auf der heim-
fahrt vom stürme verschlagen wird, ist ganz ähnlich geschil-
dert wie die, auf der der miselsüchtige Dietrich sich aufhält.
Beide inseln sind mit den herrlichsten bäumen und kräutern
bewachsen, die vögel singen ihre schönste sommerweise ; denn
der mai ist gekommen.
Uebrigens finden sich ähnliche Schilderungen auch in der
Klage der kunst, im Partonopier und im Trojanerkrieg:
wan der meige enboereu
von abreiten wolte;
vgl. Kl. 2, 7
der meie het da wol sin gras
geroeset und geblüemet.
Flörin, der ie nä eren vaht.
(er was ze Norwaege
gewaltic künic nnde vogt),
kam ftf die heide onch gezogt.
R. 27514
manic vogel snoze
sin stimme lie dä beeren,
E. 5326
der liehte süeze meie
was komen dö mit siner maht.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 389
R. 27524
kleiner vogel rangen
sich rüsten uf ein singen,
die des winters twingen
tet in sorgen swigen:
die hörte man üf stigen
nü in hohem lnfte
mit frönden richem gufte,
wan ir sorge was da hin ;
vgl. Kl. 3, 7
da sazen vogel ufe gnot
und snngen süeze wise;
Troj. 16504
da mange süeze wise
diu vögellin üf singent.
R. 27544
üz gruenen bollen schone
kloup
sich manic minneclichiu bluot.
swaz ougen ören sanfter tnot,
des sach und hörte man hie kraft
[vgl. 17155
sit herzen ougen sanfter tuotj;
vgl. Kl. 3, 3
man sach da lachen wize bluot
uf dem grüenen rise;
Lied (Bartsch) 20, 3
üzer bollen schöne sliufet
manger lösen blüete kluft.
R. 27588
ein küeler brunne flöz da na
des runs gap klingelenden val.
dur hurst und stüden hin ze tal
er sich wünneclichen lie.
Reinfrlt der höchgeborne gie
durch kurzewil dem wazzer nach.
27594
im was ze kapfende so gach
an bluomen bluot und kriuter smac.
E. 5333
und hffiten sich gehüset drin (im
laute)
diu wilden waltvogelln
vor der hitze durch gemach.
ir niuwen sumerwlse
erklancten si dar under
ze wunnen und ze wunder
und triben des gnuoc unde vil;
vgl. P. 13284
der meie hete dö gevröut
mit der liehten kttnfte sin
diu wilden waltvogelln,
dar umbe alda ze prise
ir stiezen sumerwlse
wurden lüte erklenket.
si heten sich gesenket
in die schcenen boumes bluot
und liezen süeze stimme guot
des males hellen über aL
E. 5330
üz grüenem loube glesten
sach man die snewize bluot
5342
der ören und der ougen spil
was da vil harte manecvalt;
vgl. 1045
wan swaz den ougen Banfte tuot
(1198).
E. 5322
hie mite kam er durch daz gras
geslichen zuo dem brnnnen kalt.
5344
der brunne lüter unde kalt
gienc rüschende unde klingende.
5356
wazzer bluomen unde gras
sach er mit vollen ougen an.
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390
GERKKE
vgl. Troj. 16510
ein brnnne lüter unde kalt
üz einem velse gät derbi.
16518
ez klingelt üz dem steine
ze wünsche in unser ören.
R. 27604
sin herz und sines libes Uder
hatten von der arbeit,
so er nf dem wazzer leit,
gröze müede an sich genomen.
da von ein släf begunde im komen
daz er in die bluomen seic.
vgl. P. 13276
ein herberg unde ein obetAch
was ime alda gewunnen
bi eime kalten brunnen,
da grüene boume stuonden obe.
£. 5422
und was von deme gange
den er zuo dem brunnen gie
so gar unmehtic worden hie
daz er entslief nach siner klage-
alsus der ftirste wert entslief.
b) Kampfesschilderungen im Reinfried
und bei Konrad.
Bevor Konrad seine ritter zum turnier oder zum kämpfe
reiten lässt, werden wir erst bis aufs genaueste über ihre
rüstung informiert Ebenso ist es im R.
Wir besitzen von Konrad ein gedieht, dessen hauptinhalt
eigentlich solche Schilderungen des waffenschmuckes der ritter
ausmachen; ich meine das turnier von Nantes, das ja auch die
spätere wappendichtung einleitet. Die Übereinstimmung mit
den entsprechenden partien des R. ist ausserordentlich.
R. 832
man sach daz in die schilte
geteilet wären in zwei vach,
von obene dur des randes tach
gchalbieret dur den spiz.
von Arabi gap liebten gliz
daz ein vach von drin stücken.
daz golt sich underdrttcken
niht 14t mit keinem glaste.
von zobel glizzen vaste
driu ander stucke gezilt.
so fuorten si den halben schilt
geworht mit hohem filze.
von finen berlen wize
was daz ander überleit,
und was nä wünsch dar in gespreit
von rubin rot1) ein halber ar;
T. 398
der herzog einen tiuren schilt
von zweier varwe stücken
für sich begunde drücken
nach ritterlichem rehte.
sin halbez teil strifehte
von zobel und von golde waa;
daz ander stücke, als ich ez las,
erschein durliuhtic wiz hermin,
und waa von röten kelen drin
geleit ein halber adelar;
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STUDIEN ZU REINFBI ED VON BRAUNSCHWEIG. 391
den schilt den fnorte er
verdecket mit hermine,
dar öi in Hentern schine
vgl. T. 434
ein glanzer adelar »ich böt,
der was von lichten kelen rot,1)
und schein daz velt wiz als ein sne.
R. 866
«ins helmes tach zwen wedele
von phäwen hant bedecket,
in schrankes wis gestrecket
heten si sich be van gen.
von golde lieht die Stangen
üf den wedeln glizzen.
922
üz Aräbie was sin schilt
von glanzem golde, als ich ez las.
von rubin lagen drin gespreit
entwerhes dri leparten.
man sol dem herren zarten,
der alsus keiserlichen vert.
R. 1008
da von er sich bekleidet hat
in State varwe läsürblä.*)
R. 1482
von golt ein liehter pfelle
was sin covertiure,
und was nä höher stiure
von kelen rot dar in geleit
E. 2522
eins phawen zw€ne wedele
fuort er üf sinem helme guot.
T.408 = Schwanr.916
der fürste wol gezieret gar
üf sime glänzen helme kluoc
üz eines phawen zagele truoc
zwo wünnecliche Stangen
bedaht und nmbevangen
mit golde lieht und edele
biz an die zwene wedele
der phäwenspiegel viderin,
die glänzen wunneclichen schin
üf der planie bären.
die 8 tan gen beide wären
üf den heim durch liehten pris
geschrenket schöne in criuze-
wls.
T. 310
mit golde lieht von Aräbin
was im [dem schilde] sin velt be-
decket,
und wären drin gestrecket
entwerhes dri leparten,
der glaste mnoz ich zarten
und ir gezierde reine . . .
und wären üz rubinen
nach höher wirde löne
geleit zein ander schöne.
T. 360
er fuorte von samite
liehtiu wäpenkleider an,
dar üz golt und gesteine bran
kostbaere und üzer mäzen fin.
«) Vgl. R. 1485 von kelen rot T. 377 von rubinen rot Part. 20536
von röten kelen was dar in gesniien manec adelar.
') läsürbla und Idsürvar bei Konrad sehr beliebt; vgl. £.2507. 2540.
T. 251. 479. 626. 670. Part 908. 5214 U.Ö.
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392
GEREKE
üf schiltes tach und wäfenkleit
eins löwen bilde griramende
nnd üf ze berge klimmende
reht alsam er lepte.
umb den löwen swepte
ein »mal gezieret schiltes rant.
vun golde rieh der strich erkant
umb des schilte« renke,
die des löwen pflägen,
von saphiren lagen
liljen klein dar in geworht.
von dem striche rtieren
sach man die bluomen uz und in.
1522
von golde lieht eins helmes tach
zwei horn häten bedecket.
17066
von golt ein liehter ciclat
mit edeln steinen schön durbriten
was sin covertiur gesniten.
zwivalteclicher varwe schln
mit golde sinen schilt bevienc.
ein rant geblüemet drnmbe gienc
so rot als ie kein röse erkant.
ouch was en mitten üf den rant
geleit ein güldin strickelin.
die bluomen sach man üz und
die von dem rande lühten [in,
und alse liljen dühten
gestellet an ir bilden,
der schilt mit einem wilden
löuwen stuont verdecket,
der was in golt gestrecket
und lühte von rnbiuen rot.
T. 488
sin heim was mit zwein hörnen
gezieret wol in fursten wis.
T. 302
er fuorte liehten cyclat
der mit golde was gebriten,
dar üz sin wäpenroc gesniten
und sin covertiure was.
Von den rossen heisst es: R. 1010 ein grözez ros, was apfel-
grä; dazu vgl. Part. 11820 sin vartee diu tvas apfelgrd, Schwanr.
864 vil schöne grts und apfelgrä, so seficin das ros von melier
ort] ferner R. 414 gröziu ros sware ah ein bech, ein vergleich,
den ich häufig nur bei Konrad belegt finde, vgl. Schwanr. 904
(das ross) lühte alsam ein stvarzez bech; sonst von der rüstung
gesagt: E. 4692. T. 447. P. 21004. Troj. 11992, einmal auch vom
bären: P. 18258; vgl. auch Veldekes Eneide 5265 (vom schwänz
des rosses), und Heinr. v. Neustadt, Von gottes Zukunft 6517
(vom teufel).
In allen turnier- und kampfschilderungen bedient sich der
dichter des R. derselben formelhaften, typischen Wendungen,
die er aus Konrad entlehnt hat.
Das ansprengen der kämpfer wird wie folgt dargestellt:
R. 1024
und als der wandels frie
üf in gehört das kapfen,
man sach in drate stapfen
gen im üf ein tjoste.
E. 2572
des wart üf den vil klaren
genuoc und vil gekapfet.
swenne er kam gestapfet,
so sprächen- algemeine . . .
kapfen : stapfen Part. 16089. Troj. 12775.
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STUDIEN ZU BEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG,
393
R. 1714
»
schöne deflorieret
sach man si zemen stapfen,
ez solte niemen kapfen
dem andern dö dar füeren.
2011. 23075 gekapfet : gestapfet.
17300
und kämen geleisieret her,
niht als si riten, als si fingen.
1080
din ors zesamen dneten
reht als ob si beide flugen.
17142
sin vart niht gie, er kam geflogen.
Tgl. 884 f. 1044 ff. 17338 f.
20144
er fnor in dem strite
alsam in rör din windes brut
Ulli
von ietweders ringe* ort
sach man si bede sprengen,
den orsen bede hengen
si künden gen dem jnste.
886
diu bein sach man si biegen
da neben zuo den lenken.
17308
in orsea spninc diu bein si bugen.
892
man sach diu ors erspringen
sam in dem walde hirzetier.
1011
daz (ors) lief in sprungen sam
ein tier.
1720
ir hurteclichez riten
tet anger plan erzittern.
17312
wan daz man heide und anger wagen
spurt von dem starken loufe.
1732
dö wurden liehte rösen
und bluomen vil zertrettet.
E. 4770
diu ros diu liefen niht, si fingen
noch vasterdanne ein windes brut.
E. 2774 f. Part. 20720 f. Troj. 12527.
18935. 24710 vergleich mit der Winds-
braut.
T. 742
man hörte banier snurren
als ein rör, daz in den brnoch
der wint mit stürme neiget
(vgl. Part 15948 ff. 20676 ff.).
E. 2700
dö wart vil snellecllche
den rossen wol verhenget
und üf das velt gespreuget
von den zwein werden rotten.
Troj. 3890 ff. 12213 f. Part. 5681 f.
T. 748
üf und zetal begonde sich
vil manic Schenkel biegen.
P. 13798 f. 161 16 f.
Schwanr. 905
lief ez (das ross) als ein snellez
T.942. P. 13711. 19423. fwilt.
Troj. 3793
und gienc in sprungen sam ein
tier.
Schwanr. 954
der plan der mohte erkrachcn
durch der snellen rosse louf.
E. 2592
die bluomen und daz grtine gras
vertreten wurden sere dö.
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394
GEREKE
8940
liehte bluomen roßten
si mit bluote künden.
17496
bluomen gras betouwet
von blnote »war si traten.
2U430 f.
1828
din ors befunden roten
von bluote zuo den siten.
8942
wan si vil scharpfer wunden
sluogen bi den ziten
den orsen in die siten.
1036
für sich er droht des schiltes tach.
1066
den schilt er zuo der brüste
gar ritterliche drahte.
8897.
888
ir sper si künden senken.
1038 f. 8872. 17 304 f.
Jetzt prallen die kämpfer
splittern:
897
me dan in tüsent stücken
sach man die sprizen fiücken
höh nf in den lüften.
1048
und stächen daz die scherte
in kleine sprizen höhe flugen.
1089
Bi beid vertaten
diu sper, dazs höhe waten
in den lüften klein zerschivert
und man die tranzen gar zerrivert
sach ob den helmen fliegen.
7332
den luft mit tranzen zieren
sach man von dürrer schefte krach.
8876 ff. 17324 f.
T. 756 f. Troj. 3986 ff.
Part. 6174
daz grüene gras mit blnote röt
wart geverwet und daz mos.
14528 f.
E. 4766
daz in daz blnot zen siten
üz begunde dringen.
T.206. 763. P.5258. 13668. 14219.
15868. Troj. 3895. 12216. 12636.
Schwanr. 906
der herzog einen tiuren schilt
dö für sich künde drücken.
T. 200
die sper si vornen sancten.
aufeinander; ihre Speere zer-
E. 2603
daz diu kleinen stückelin
üf in der liehten sunnen schin
begnnden stieben als ein melm.
Schwanr. 982
die schefte in kleiniu stückelin
unde in spame sich zerclnben,
so daz ab in ze berge stuben
die schivern und die sprizen.
P. 13674
. . . daz diu sper
kluben sich ze sprizen,
daz da von die wizen
schivern in die lüfte flugen.
20022. 21348. Troj. 8933. 12230
u. ö.
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8TÜDIEN ZU KEINFRIED VON BBAUNSCHWEIG.
395
11308
gi gäben nnde leisten
herter siege swieren zins.
8924 ff.
P. 20020
si gäben herteclichen zins
ein ander mit den scheften.
Bei dem heftigen anprall stürzen die ritter meist von den
rossen; bisweilen aber hält doch einer den stoss aus:
T. 840
als ob da stüende ein st eines want,
alsus enthielt er under in.
1012
der werde ritter zier
saz alsam ein vestiu want.
11278
von dem satel er sich wegen
lie minre denne ein Steines want.
17095. 17830.
Wenn sie die Speere vertun haben, greifen sie zu den
Schwertern:
8898 E. 4830 [zücken,
din swert si höhe zuhten. din swert begnnden si zehant |
Des kämpf es getöse ist gewaltig:
902
reht als der dnnre schnzze,
so wart ein schal und ouch ein krach.
8910
als ob der donre schnzze
üf ir beider helmes tach.
17352
wan ir stich gap krache
heller denn ein donreslac.
7354 ff. 20376 f.
1784
sine siege helle
dar die wölken dnzzen.
2872 f.
1800
man hat in kurzer lenge
von im ein groz getengel.
9034
dem, der üf in berte
alsam er war ein aneboz.
£. 4814
si diu aper zerstächen
so vaste daz des braches klac
lüte alsam ein donerslac
der spaltet daz geböume.
Troj.l2242f.
T. 818
daz in den wölken wider hal
der swerte griuwelicher döz.
E. 4852.
üf einen aneboz
geschach nie groezer tengein.
2728 ff. T. 812
do huob sich gröz getengel.
T. 794 ff. Troj.4076. 12804.
P. 14327
mit swerten und mit bengeln
huob sich ein solich tengein
und slahen üf in also gröz,
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396
GEREKE
»am sich fif einen aneböz
erhebet in der «mitten
(Parz. 152,5. 537,27. 112,28. 21», 4. j. Tit 3897. 4203).
Auf heim und schild sausen die schwertechläge nieder:
175«
uz helmen lieht gehouwen
wurden finres blicke.
1786
von den helmen schuzzen
des wilden finres gneisten.
11304
des wilden fiures blicke
sach man nz helmen dringen,
von siegen höhe springen
flammelicht gneisten.
20482
von wildem fiure manic branst
uz helmen hert von swerten stonp.
9016 f. 20402 f.
20508
man moht an dem finre,
daz si uz helmen sluogen
mit swerten diu si truogen,
schoube hän enbrennet.
17354
v inster wart der liehte tac
in beiden under helme,
wan si von dem melme
ein ander lützel sahen.
17368
ob ir helmen huob sich tampf
alsam ein starker dicker nebel.
daz wilde fiur, als ez von swebel
war enpfangen und enbrant,
wart tif helmen dicke erkant.
(zu meint vgl. am Schlüsse unter
Wortschatz).
1752
golt und gestein unwerde
uz schilten wart gekloezet.
1808
ei waz sin swert verrGrte
siden golt und steine!
E. 4776
uz herten steinen wart geslagen
daz wilde fiur an manegen steten.
4876
üz dem gevegeten Isen
des fiures blic höh üfe stoup.
T. 794
dö Sprüngen fiures flammen
uz helmen also gröze.
P.5310. 14460. 21725. Troj. 3958.
12584.
E. 4780
da weere ein kerze wol enznnt
von den ganstern unde ein schoup.
E. 4782
ei wie nach in beiden stonp
daz fiur und der vil starke melm!
T. 854
stoup und ouch gesteine mel
um in ein vinsternisse gap.
1038.
P. 21734
dö wart von stoube ze der zit
ein trtiebez wölken unde ein nebel.
15180
wan diu malie wart so gröz
und des dicken stoubes melm,
daz man enweder schilt noch heim
erkennen mohte drunder.
E. 4874
daz von den stahelringen
geschach ein michel rlsen.
T. 798
golt und gesteine risen
begonde nider uf den plan.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 397
8912
golt und edel stein man sach
risen von den starken siegen.
17434 ff. 17462 ff.
17466
ab beden schilten spane
wurden da gehonwen.
P. 15492
gesteint' pnrpur unde golt
wart verrGret und versniten.
14530. 21730. Troj. 12746.
E. 4880
so viel da nider balde
von den Schilden manic spän.
P. 20052. T.910. Troj. 3972. 12748.
Findet ein massenturnier statt, so bilden sich zwei Par-
teien, deren jede ihren ftthrer wählt: R. 1450 ff. P. 14054 ff.
T. 256 ff.
Bevor das turnier beginnt, wird eine messe gehalten:
1446
vil schiere wart gesungen
in ein schceniu messe,
dar näch vil manic presse
sich rüste üf den tumei.
(zu presse vgl. am Schlüsse unter
Wortschatz).
T. 252
dö wart gesungen schiere dä
mit filze ein schoeniu messe
der ritterlichen presse.
P. 14046
da sanc ein werder kapelän
in eime gezelte messe
der kristenlichen presse.
Der kämpf entwickelt sich:
1728
bl ellenthafter krefte
sich schar und schar verwurren.
man hört die siege snurren
und in den lüften dösen.
20150
er kerte hin da sich diu wip
vast ze strite wurren.
sin siege hört man snurren
mit ritterlichem gufte
höh üf in dem lüfte.
1724
man sach die rotten flehten
sich vaste in ein ander.
E. 2704
die Riuzen und die Schotten
zein ander sich dö wurren.
T. 740
die schar nach höher wirde lobe
ze samene sich dä wurren.
man hörte banier snurren (vgl. 760).
Troj. 12233
banier sach man da snurren
des sich die rotten wurren.
P. 15433
kämen alle zuo geflogen,
als man die pfile von dem bogen
siht Huschen unde snurren.
si flähten unde wurren
zein ander sich mit höher kraft.
Troj. 12322
die schar sich nnderdrungen
und flähten in ein ander sich.
T. 1006 f.
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398
GEKEKE
Dem tapferen ritter gelingt es sich bahn zu brechen durch
die kämpfenden scharen:
1806
ez wart ein witiu sträze
in enge swar er kerte.
1864
er künde üz engem fnrte
ouch houwen wite gazzen.
11297
in engen hüfen machen
«ach man in gröze wite.
1878
da sach man spalten
die rotten sunder blten.
1802
alsam die hanfstengel
sach man die rotten spalten.
E. 2738
Engelhart reit wider in
slahende unde stechende
und eine sträze brechende
durch die ritterlichen schar.
Troj. 12598
da wart von im ein sträze
gehouwen dur die ritterschaft.
T. 776
mit orse nnd ouch mit banden
maht er im selben witen rfini.
e r s p i e 1 1 die schar alsam den scbüm.
890
die schar zecloup er und zespielt.
Mit grossem eifer wird auf beiden Seiten gefochten:
T. 826
dö wart vil manic stegereif
erlwret unde satelboge.
1750
man sach dä mangen Teilen
von orse uf die erde.
1754
vil setel man enbloezet
moht uf dem plane schouwen.
7336
vil setel wart geheret
von der ponder juste.
1804 f. 11354 f. 12378 f. etc.
So ist es auch das ende eines Zweikampfes, dass einer der
beiden ritter zu boden stürzt:
1054
der frouwen ritter der lac da
von dem orse wol hin dan
und was gevallen uf den plän.
11348
sö sach man jenen hinder sich
über den satel bürzen.
20361
und valte vil unwerde
mangen ze der erde.
P. 15918
des nam er einen swinden val
ab dem orse kttene.
13885
. . . valte in uf den anger dö.
13898 f.
T. 216
. . . daz er zehant genicket
wart üz dem satele hinder sich
und in der ungefüege stich
mit kraft und mit gewalte
zuo der plänie valte.
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STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUNSCHWEIO. 390
Wie der dichter uns öfter nach gewohnheit aller höfischen
dichter versichert, es habe auf erden nichts dem erzählten
ähnliches gegeben, so erinnert er uns ganz besonders hier,
dass man nie einen besseren und grimmigeren streit gesehen
habe als den eben geschilderten:
8920
daz (* noch sit den ziten
so hertez kempfen nie geschach.
17366
ich wsene daz mit swerten
ie geschtehe so guot kämpf.
17494. 20092. 20468. 20535. 25536. 25582.
P. 20062
daz man nie zwene ritter
gesach ze keinen ziten
so grimmeclichen striten.
c) Sonstige anklänge.
lieber die entlehnung von bildern und vergleichen aus
Konrad vgl. unten abschn. III, A, I, i.
Partonopier.
Von anklängen vereinzelter stellen im R. und im P. nenne
icli folgende:
R. 6496
wie sol ez armen mir ergan,
sit daz der schänden rlche
also lugeliche
mtere üf mich stempfet?
wird ich überkempfet, . . .
13173
sus lihte klage sunder nit
nnd bete treip si alle zit
tac nnd naht an underläz [sträz,
se bett ze tisch ze weg ze
si gie, si stuont, si lac, si
saz,
daz si der bete nie vergaz
eine kleine stunde.
P. 4036
wan derselbe tac dar zuo
von alter ist gerihtet,
daz man gerne vihtet
an im unde kempfet.
mit lügen ist gestempfet
niht diz wäre niaere.1)
5576
si künden wol gebaren
als uz erweite kempfen.
die rede wil ich stempfen
niht mit lttgenmwren.
vor disen dingen allen
gebiute ich nnde räte dir,
daz du »ist getriuwe mir
und du min niht vergezzest.
du trinkest oder ezzest,
du solt an mich gedenken
und niht von mir enwenken.
») Schon bemerkt von Bartsch, anm. zn R. 6498.
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400
OEREKE
13216
er enwacbete noch slief
wan daz er lac in twalmes art.
664
nu wachet unde slief er
»am der in einem twalme lit.
Zwei scenen haben im R. und im P. eine überraschende
ähnlichkeit in der ausführung. Der junge persische fürst hat
einen Zweikampf ausgeboten, den Reinfried annimmt; nun lässt
sich der Persän durch keine bitten seines grossvaters von
diesem kämpfe abbringen. Ebenso dringt Partonopier darauf,
unter allen umständen mit dem sarrazenischen fürsten Sorna-
giur, der zum Zweikampf herausgefordert hat, zu fechten und
ist durch nichts zum verzieht zu bewegen:
R. 17025
bub der fürst genendic
wolt des kämpfe* wendic
umb keine Bache werden,
'ich liez mich in die erden',
sprach er, '£ lebendic begraben*.
17010
P. 4910
'ich wolte namelicheu £
ze den toten sin gezelt,
dan iemen anders würde erweit,
der vehten solte disen wie.'
5061
also gebot er onch hie sä
den linten sin gemeine da,
daz si des morgens alle sich
mit wapenkleiden wunniclich
vil schöne zieren solten, ...
Partonopier der k»me dar
und wolte mit im striten.
5094
dö wart ein Sicherheit genomen
unde ein fride also gesworn,
so die kempfen üz erkorn
mit einander veehten
und sich mit strite buchten
ze grimmer noete bitter,
daz beiden thalp die ritter
stille enthielten ftfderwisen
unde ir keiner hülfe disen.
Es folgt eine genaue beschreibung der rüstungen, worin
sich manche Übereinstimmung zeigt. Die kampfesschilderung
im R. ist natürlich ganz analog den sonstigen im anschluss
an Konrad ausgestaltet; doch verdienen folgende stellen beson-
ders hervorgehoben zu werden:
hiez au allen orten
wit durch die rotten schrien,
swel künige fürsten frien
dur minne und werde frouwen
ein kempfen wolten schouwen,
daz die alle keemen.
17004
der kämpf also bestattet dö
wart ze beiden siten,
daz er einic striten
solte und niemen m§re
helfe da zuo k£re
mit werken noch mit Worten.
17254
vil jamerlicher blicke
si üf ze gote täten.
5242
der künec von Kärlingen
mante got vil tiure,
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8TÜDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
401
si flehten unde bäten daz er geraochte st iure
dem werden helt gehinre mit helfeiichen henden
siner helfe stiure Partonopiere senden,
mit manges trehenes regne.
Gleich beim ersten anlauf zersplittern Reinfrieds nnd Par-
tonopiers Speere:
17388
dä von si beide würben
omb höhiu pfant für sterben.
17504
daz »wert ze beiden benden nan
der helt unverzagte.
17370
daz wilde nur als ez von swebel
w«r empfangen nnd enbrant.
17440
wan sin wer diu mnost im nern
daz leben für ein sterben.
5708
si vahten angestüche
mit ein ander umb daz leben.
5750
sin akkes er mit zorne
ze beiden henden schiere bot.
5782
uf in so bran er als ein swebel.
5842
daz leben und den 11p genern
wolte der getriuwe.
Weiterhin stelle ich folgende scenen zusammen:
Der dänische graf wird m& Partonopier hat Meliurs ge-
seiner Werbung von Yrkane
abgewiesen; sie fordert ihn
auf:
5267
strich von mlnen ongen.
wizzest sunder longen,
ob min 11p dich iemer siht
ilir dis stunt, daz dir beschiht
daz dir iemer füeget leit.
bot übertreten; deshalb ent-
zieht sie ihm ihre gunst und
fordert ihn auf:
8592
strich bald fiz mlnen ongen,
daz ich dich niemer mf ge-
sehe,
£ daz dir wirs von mir ge-
schehe.
Der dänische graf und Partonopier sind sehr betrübt über
die ihnen zu teil gewordene Ungnade:
5280
man sach sin ougen reren
heize i trehen tropfen.
Alle bitten des grafen helfen
nichts; Yrkane ist nicht zu
erweichen:
4788
ch 1 iez 6 schetzen,
tprach si, mich von dem übe,
9176
vil manec heizer traben viel
uz slnen ougen luter.1)
Alle bitten Irekels vermögen
nicht, Meliurs vorwürfe zu ent-
kräften:
9086
den zepter und die kröne geben
wolt ich e" uz der hende mlu,
») Vgl. 9183 f.
XXI1L
26
402
GEREKE
£ daz min 11p ze wlbe
iuch würde ald ze amien,
ich lieze mich £ t'rien
libes unde guotes.
4776
and hant an mir zerbrochen
ritterliche wirde.
4798
zwar ez wttrd gerochen
e daz im solte werden schln
min lüterllchin friuntschaft.
9094
ich bin des worden über ein
daz ich benamen stürbe,
§ daz er mich erwürbe
zeiner ganzen frinndin.
9090
sit daz er siner trinwen kraft
hat wider mich zebrochen,«)
so muoz an im gerochen
werden sin vil höher mein.
an iuch.
Trojanerkrieg.
Von Reinfried und Yrkane Von Jason und Medea sagt
heisst es:
8764
diu nätftre twinget dich
daz diu sin muoz minnen dar
dä si iender wirt gewar
daz ir gelich nätüre lit.
8786
si sint worden dort gewar
gelich der ir natüre.
8798
so minnet sin geliehen
ein ieclich creatiure.
diz kunt von der nätinre,
von irre maht und ouch ir
kraft
Konrad:
7798
swä rehtiu liebe funden
von der natüre künste wirt,
weizgot, da bringet unde birt
diu minne snellen ursprinc.
7805
natüre ist also liste rieh;
wasi mac vinden ir gelich .
7813
dä Jason und Medea
von der natüre krefte sa
begunden merken under in
daz gelich ir beider sin
an rehter liebe künde wegen.
2. Rudolf von Ems.
Dass der dichter des R. Rudolf von Ems kennt, beweisen
die verse 15300 ff.:
Als man von Amelien
der schämen seit üz Engellant.
«wie bitterlichez leit si bant,
daz leit so zühteclich si treip
daz ir ir leben doch beleip.
Amelie von England ist bekanntlich die heldin in Rudolfs
Wilhelm von Orlens.
') Vgl. 8961 ff.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 403
Da uns von diesem romane Rudolfs wie von seinem Alex-
ander leider nur sehr wenig gedruckt vorliegt, war mir natür-
lich eine genauere Untersuchung über das Verhältnis des R. zu
jenen werken nicht möglich. Gerade der erstgenannte roman,
der von allen dichtungen Rudolfs stofflich ja die meisten be-
rührungen mit R. haben dürfte, würde vielleicht manche paral-
lelen bieten, wie ich aus der vergleichung einer (Germ.21,197ff.)
von Palm veröffentlichten partie schliesse.
Reinfried bittet nämlich, als er aus dem kämpfe mit dem
dänischen grafen siegreich hervorgegangen ist, den könig Fon-
tanagris um seine tochter, da er diese nicht ohne die ein-
willigung des vaters, wie er gekonnt hätte, mit sich führen
will. Fontanagris berät sich mit seinem gefolge, ob er dem
herzog von Braunschweig Yrkane geben solle. Eine ganz
ähnliche scene enthält das genannte stück aus Rudolfs v. E.
Wilhelm.
R. 10148
»o sol man im äne wanc
ilie reinen willeclichen geben,
»in gelt sin guot sin lip sin leben
sin Hut sin mäg sin art sin lant
sint so breit so wit erkant
daz er der reinen wirdic ist.
10141
dö dirre rat alsus ergie.
10166
als er diz sprach, dö \ ander
die volge von in allen,
in rauose wol gevallen
daz dinc.
Vgl. auch:
9780
nement mlnes r&tes war,
ob min mnnt iuch rate reht,
da sehent endelichen zno . . .
iemen baz,
swenn ich gerat, der rat ouch daz.
9791
er was der forsten höchster rät,
wan er also geworben hat,
daz man im hoher eren sprach.
W. I. 45
sit daz der kunig witikin
ere hat lip unde gut,
wirdikeit und hohen mut
und in so rehter wirde lebet
daz ir im uwer dohter gebet.
71
do der rat also geschach.
81
do die den rat vernamen do,
er geviel in allen wol,
als man den wisen volgen sol.
an den rat wart do genomen
her wilhelm der furste do
der riet sus, den andern so,
iegelichen als er künde,
do suhte an der selben stunde
der kunig wilhelmes rat,
der riet im ane missetat
den besten rat der do geschach.
26*
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404
GERKKE
9824
nu rät ich, ob ich raten kan,
ob ir mins rat es ruochent.
10739
und ouch diu wandels eine
diu minnecltche reine
diu süeze wol getane
diu seelden rieh Yrkane.1)
10798
ein lip zwö s£le wirt den zwein
und ein einlich liden.*)
11706
bl leide solt du tragen leit,
bi liebe liep, bl guote guot,
bi höhgeinuoten höhgemuot.
10901
da von ein glicher wille schein,
ein einlich herze an disen
zwein.
die süezen Amelyen
die edelen wandels vrien.
H. 1
die edele knneginne
die süeze Amelynne,
die kiusche wandels yrie
die reine unde gute.
9
zu allen ziten nuwen
trugen si beide under in
einen mut und einen sin,
einen mut under in zwein,
da zweier seien namen schein,
der werde man sin liebez wip
mit zwein seien ein lip
trugen under in beiden,
eines libes ungescheiden
waren sie in dem mute,
da was gut bi gute;
zuht bi hohgemüete
was ie mit werder güete
gelich an den gelieben zwein.
ir mut in einem willen
schein.
VgL den rat den Reinfried Yrkane beim abschied gibt:
14820
er sprach 'frowe, du solt leben
g£n hohen höh, die armen
solt du dich län erbarmen
und in ir jämer truesten.
den besten und den boesten
gip senftecllchen dinen gruoz.
den armen solt du sorge buoz
mit diner gäbe machen,
du bis an allen Sachen
diemuetic vest unddäblreht.
30
er was mit mit seliglicher kraft
an allen seiden sigehaft
mit zuhten wise unde gut,
werhaft kusche hochgemut
getrnwe miltebere,
ein rehter rihtere,
den armen demut unde gut.
er neigte sinen hohen mut
nider zu den guten.
obe den hochgemuten
') So wird Yrkane öfters bezeichnet; bei Konrad habe ich derartiges
nicht gefunden.
•) Vgl. y. 12009.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUN SCHWEIG.
405
trug er den mut vil hohe em-
sin lob lief in allen vor, [por.
swen er au einem male sach,
dem man dekeiner wirde jach
der was im iemer mer unkant.
an wem er zuht und ere vant,
den minnete ir von hertzen ie.
untruwen minnete er nie
und trug in zu allen ziten haz.
dienst es er nie vergaz
an dekeiner »Iahte man.
daz krumme solt du machen sieht,
swa dir din m&ze fuoge git.
14341
mide untugentliche art,
fliuhe swache hohvart,
bis gen nide und g€n haz
mit sinnen und mit £ren laz:
daz kan dir sorge stoeren.
von swem du mugest beeren
hinderrede mit klaffe,
üz dlnem hove schaffe
in fluchteclichen strichen.
14364
swa dir werde untriuwe kunt,
da von solt du dich ziehen.
14368
dar da man tri wen wirt gewar,
da solt du dich hin neigen.
Eine andere stelle aus Rudolfs Wilhelm hat Massmann
in v. d. Hagens Germ. 10, 110 ff. veröffentlicht:
R. 19193 s.115,19
unreht ze rehte schicken swie du rehte rihtes
und reht in unreht stricken, nnreht zno rehte slihtes;
unreht mit rehte iueren.
noch eine andere Zupitza, Zs. fda. 18, 89 ff.:
R. 900 188
ein ritterllchez güften. durch ritterlichen guft.
Der anfang von Rudolfe Weltchronik (Vilmar, Die zwei
recensionen etc. s. 60 ff.), der grosse ähnlichkeit mit der ein-
leitung des Barlaam und mit G. Gern. 326 — 411 hat, findet seine
genaue entsprechung im Reinfr. in der rede des Fontanagris
(v. 10589 ff.):
R. 10589
got der allin dinc vermac,
der vinster naht und liehten
tac
mit siner kraft gemachet hät
und nach des geböte stat
daz firmament, der sparen kreiz,
der Sternen louf, und der ouch weiz1)
Weltchr. (Vilmar) 19
mit der (wlsheit) din gotelichiu maht
vinster lieht tac unde naht
ge8cheiden hat.
47
wan aller geschepfede geschaft
ervüllet hat din eines kraft.
>) Vgl. R. 129/4— 12981.
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406
GEREKE
10595
aller herzen meine,
niemen wan er eine,
der alliu dinc von nihte
geschuofund ouch berihte
den luft wazzer erde fiur,
10600
von dem alle creatiur
getempert nnd gemachet »int,
nach des geböte sich der wint
mnoz biegen nnd da zno der luft,
der himels trön und erden kruft
(= 10972).
1(1605
in siner hant besliuzet,
von des genäde fliuzet
aller creatiure leben:
in wazzer fiur, in lüfte swe-
mac niht an sinen höhen rat ; [ben
10610
swaz fliuget fliuzet loufet
stat, 10970)
loup gras tier vogel wilde
und zame,
wint regen donre kan sin name
binden und entstricken,
des wilden donres blicken
10615
und aller ougen schouwe.
von rifen tuft, von touwe,
von regen sne und ise
hat er mit hohem prise
geeret sich, der weite hie
10620
ze nutz den er dem menschen lie.
swaz der tac beliuhtet,
swaz menge ton erfiuhtet,
von aller slahte würzen fruht,
daz liez sin gotelichiu zuht
10625
allez hie üf erden
ze dienst dem menschen wer-
den.
25
als ez diu witze berndiu kraft
alrest von nihte tihte,
geschuof und gar berihte.
56
also getempert häts din list
mit der vier elementen kraft,
diu natürent alle geschaft
32
aller himel tugent, aller hi-
mel schar
nigent diner herschaft,
diu
die tiefe der abgrunde
hat in kuntlicher künde
beslozzen und gemezzen.
40
din kraft hat besezzen
e 1 1 i u leben, dar nach si lebent,
inlüften und in wazzern swe-
bent,
nf erden leben t vi iegent gänt,
wurzent wahsent vliezent
stant:
diu nigent dime geböte.
231
tiere gevügel wilt und zam
maht in got gehorsam.
239
ze nutzcl icher Hpnar.
242
ze niezen aller siner geschaft.
235
und swaz üf erden krfttes wirt
und an im bernden samen birt
und elliu holz, diu mit genuht
in ir gesiebte bringent vruht
229
den (menschen) mähte got mit
siner kraft,
uudertan alle geschaft.
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STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUNSCHWEIG
407
Vgl. Barl. 2, 3 ff.
erde viur wazzer luft
(R. 10599 ff.)
kelte regen hitze tuft
(R. 10616)
getempert (R. 10601) hat din eines
kraft. -
din eine« vürd»htlich gewalt
hat genennet uude gezalt
der Sternen menege unde genant
ir aller namen unde erkant
ir nmbelouf, ir umbevart.
(EL 10594)
onch muoz in sinem loufe gan
Das vorbild für diese stellen ist jedenfalls Wolfr. Wh. 2, 2 ff.
215, 11 ff. 253, 6 ff.
Das paradies mit seinen vier flössen beschreibt der dichter
des R. gleichfalls im anschluss an Rudolfs W., die in diesem
punkte nach Doberentz (Zs. fdph. 13,207 ff.) auf Honorius Augu-
stodunensis und Isidor zurückgeht. Wir werden später sehen,
wie auch unser dichter sich direct an diese als quellen
anlehnt.
daz firmament nnz an daz zil
(R. 10593). —
von nihte hat getihtet (R. 10597)
din wiser gotlleher list
swaz sihtic nnde unsihtic ist.
den dunre und diu blicschoz
(R. 10614)
von viurinem lüfte lät
din kraft, diu sie getempert h&t.
du sihst durch aller herzen
tor (R. 10594 f.)
in menschlicher sinne grünt
dir sint elliu herzen kunt.
R. 21918
er hat allin lant durvarn,
da dur diu wazzer fliezen
diu an mitten schiezen
mit götüchem prise
üz dem paradise.
21830
wie er geboren w«re
fiz dem lant ze Ejulat.
dur daz selbe lant onch gat
üz dem paradise
mit f rühteclichem prise
Phisön des werden wazzers duz.
bidellium den stein sin flnz
und ouch onichium da treit.
daz beste golt, als man uns seit,
daz nf erd ie funden wart,
treit ouch hie des fluzzes art.
21924
Gyön Ethiop Mörenlant,
Tigris Assirlam dur gat.
Weltchr. (Vilmars. 61) 283
ein wazzer michel unde gröz
von der selben mitte vlöz,
daz dem paradise gar
viuhte und süeze fruht gebar,
daz teilte in vier teile sich.
290
der teil einer ist genant
Physon daz wazzer, daz noch gat
durch elliu lant in Eiulat,
des vluz daz beste golt birt,
daz iendert uf der erde wirt,
und daz edel berdellum,
daz guot ist, edel unde vrum,
daz diu schrift uns nennet sus.
der edel stein onichilus
da wahset ouch, in birt daz lant.
daz ander wazzer ist genant
Geon, des vluz tuot sich bekant
über Etiopiam daz lant,
daz dritte heizet Tigris,
von dem tuot uns diu schrift gewis,
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408
G EUERE
swaz En f rat es daz wazzer hat daz ez sin vliezen wände
durgangen lant, diu wären kunt gein Assiriä dem lande
im eigenllchen üf den grünt. daz Vierde heizet Eufrates.')
Der geographisch -ethnographische abschnitt der Welt-
chronik Rudolfs bietet noch weitere parallelen.
Rudolf weiss von den greifen, die das gold auf dem Kau-
kasus bewachen:
Doberentz a.a.O., v. 161 mit wünneclichem schine hänt.
da ligent berge gnldin grifen noch tracken nicman länt
die nach golde liehten schin / daz selbe polt gewinnen da,
verglichen mit R. 18224 ff.; dazu vgl. Bartsch, Herzog Ernst
s. xliv. Seine wundermenschen hat der Reinfrieddichter meist
aus dem Herzog Ernst> zum teil jedoch aus Rudolf:
R. 21935
und seit den herren miere
wie in eim lande wtere
ein site ungemseze,
wie ie der mensche aeze
sin muoter nnd onch sinen
vater.
Doberentz 244
da bi hänt disiu selben lant
ein liut daz solhe site hat,
daz ir deheiner daz niht lät.
guoter noch unguoter,
si slahcn vater und muoter,
so si beginnent alten,
ir krefte widerwalten,
und gesteut sich zc Wirtschaft
mite.
Vgl. Honorius, Imago mundi 1, 11.
10348
er fuort ein kreftecliche schar
mit im an der stunde,
houbter sam die hunde
hat al sin massenie.
20444
daz volc daz sam die hunde
griiicn unde bullen.
Vgl. Honorius a. a. o. 1, 12.
19312
ein volc daz kan gähen
mit loufe sneller denn ein tier,
bräht mit im der fürste zier
mit helfelicher meine,
niht wan üf eime beine
daz volc loufet unde stät.
280
da bi sint ander Hute, die
ze houpten hundes houbet hänt.
niht anders si gekleidet gänt
wan mit wilder tiere hiuten.
(Ilsen selben liuten
ist menschen rede niht verlän,
man hört si hundes stimme
316
. . . Cenopodes:
daz ist ein wildez liut; daz hat
einen fuoz, dar üf ez g&t.
331
dise selben liute sint
snel und drtete alsam der wint.
') Vgl. Zs.fdph. 13, 173 ff.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUN8CHWEIG. 409
Honorius (1, 12), dem Rudolf hier folgt, wirft mit diesem
volk die 'platfüeze' zusammen; der Reinfrieddichter kombi-
niert die einfüssigen mit den einäugigen, die er aus dem Herzog
Ernst entnimmt:
19322 336
ein wunderlicher schar, die da lantliute sint genant,
die waren ane honbet. die sint ane honbet
an den ahsein offenbar und houbetes beroubet,
siht man sunder lougen und in stant anelougen
stän des volkes ougen. an der ahsein vor diu ongen;
vorn an der brüste stät ir munt. für nase und munt hant sie zwei
vor an der brüst [loch
Vgl. Honorius 1, 12.
Der Reinfrieddichter berichtet feiner noch von einem
volke, das nicht isst noch trinkt:
21046
daz lant dem paradlse lac die Hute von des smackes trehen
so nahe, als er hörte jenen, so dannen kam sus lebten u.s.w.
Die genaue entsprechung hierfür zu finden ist mir nicht
gelungen. Ich lese bei Rudolf nur von einem volke,
350 (Doberentz)
daz lebt deheiner genist sin spise und al sin fuore gar
ze spise noch ze lipnar; an eines apfels smacke lit.
Vgl. Hon. 1, 12 solo odore cuiusdam pomi vivunt. Hierauf
kann unsere stelle also wol kaum zurückgehen. Wir hören
dann von denselben leuten ausser manchem anderen noch, dass
sie beständig in freuden leben
21050 sunder misse wende
au aller slahte trure, sleiz üf ein rehtez ende
biz daz ir natüre und stürben denn an allez we.
Das macht offenbar die nähe des paradieses. Vgl. j. Tit. 6052:
der luft ist so gesüezet, von paradis betouwet,
daz er wol kumber büezet. si sint da von gehöret und gefrouwet
in den landen, die der luft bedrsehet.
Auf Rudolfs W. dürfte teilweise wol auch die ausführliche
erzählung von den Amazonen im R. (v. 19429 — v. 19610) be-
ruhen. Zwar sind wesentliche abweichungen vorhanden, nament-
lich in der Vorgeschichte der Amazonen, doch teilt Rudolf diese
differenzen zwischen ihm und R. mit allen anderen überliefe-
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410
«EKEKE
rangen über diese kriegerischen weiber. Ich glaube daher,
dass derartige Varianten auf die rechnung des dichtere selbst
kommen.
Während nämlich sonst, wo überhaupt von der Vorgeschichte
der Amazonen die rede ist, wie also bei Rudolf (vgl. J. Zingerle,
WSB.50,432. O.Zingerle, Die quellen z. Alex, des Rud.v.K, s. 118)
erzählt wird, dass den Amazonen einst in einem kämpfe mit
nachbarvölkern ihre männer erschlagen seien, weshalb sie sich
genötigt gesellen hätten, selbst kriegerkleidung und waffen
anzulegen, heisst es im R, die Amazonen hätten ihre männer
eigenhändig getötet, weil diese auf anstiften des königs
19495 ir wip ze laster brahten.
si schanten nnde »mähten
si ze allen stunden.
Vielleicht hat der dichter in irgend einer lateinischen
quelle die geschiente der Hypsipyle und der lemnischen weiber
gelesen und diese mit der Amazonensage combiniert.
R. 19529 Weltchron. (Zingerle) 104
. . . din reinen wip mannes wapen legten si an
leiten harnesch an ir 11p und leiten ser da mite
und lerneten sit riten, striten nach manlichem site.
mit schilt und awerte striten.
Rudolf berichtet weiter, die Amazonen seien so tapfer, dass
niemand mit ihnen zu kämpfen wage; in einem streite mit den
männern in der nachbarschaft hätten sie diese alle erschlagen:
126 als ich die schrift hoere sagen,
die man verluren dö den strit und Heren ir einen niht ge-
und wurden von in do erslagen, nesen.
Diese worte stimmen merkwürdig zu R. 19524 ff., wo es
von der ermordung der männer der Amazonen durch ihre eigenen
frauen heisst:
ir keine diu lie schouwen daz ein man lebendic nie genas
für die naht lebendic ir man. der eht in den landen was.
diz wart dur alliu lant getan,
Was der Reinfrieddichter sonst über die Amazonen sagt,
von ihrem geschlechtlichen verkehr mit benachbarten männern,
von der verschiedenen behandlung der knaben und mädchen
nach der geburt, stimmt zu Rudolf und stimmt auch zu allen
übrigen berichten (z. b. Konrad, Troj. 42235 ff.).
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG
411
Abweichend, aber jedenfalls auf eigene erfindung des dich-
ten? — vielleicht infolge eines irrtums — zurückzuführen, ist
nur noch die angäbe v. 19536 ff.
ir lingge brüst, ist mir bekant, dur daz si mügen liden
heizent si dannen sniden, des schiltes leger vor der haut.
Sonst erfahren wir nämlich überall, dass die Amazonen
die rechte brüst abgeschnitten hätten, um nicht beim gebrauche
des bogens behindert zu sein.
Schliesslich möchte ich noch die Vermutung aussprechen,
dass der dichter durch die verse 133 ff. (Zingerle) bei Rudolf:
dö liezen si sich zehant und mit gebirge, als ich las
nider iu ein witez lant, an Alexanders buoch
daz mit dem mer beslozzen was
zu der angäbe veranlasst ist: 19547 Gog und Magog der Juden
lant stät in der küneginne [der Amazonen] hant, die ja Alexander
besUz mit berge und mit müren gröz und ouch mit dem grienigen
mer. — Es besteht jedoch die möglichkeit, wie ich aus den
zuletzt genannten worten Rudolfs schliesse (Konrad beruft sich
v. 42239 f. gleichfalls auf ein buoch von Alexander), dass auch
der Reinfrieddichter aus irgend einem Alexandergedicht [aus
Rudolfs?] schöpft.
Wie dem auch sei, sicherlich kannte und benutzte er
Rudolfs W. In seinen anspielungen auf biblische geschichten
ist die quelle zwar immer die bibel selbst, doch gibt es stellen,
wo er daneben Rudolfs werk berücksichtigt zu haben scheint.
Als er von der wunderbaren hilfe erzählt, die gott Gideon in
dem kämpfe gegen die Midianiter leistete, beruft- er sich aller-
dings ausdrücklich auf die bibel (v. 15868 f. = Jud. 7), aber die
Übereinstimmung zwischen v. 15874 ff. mit Rudolf lässt doch
auch einen Zusammenhang mit diesem vermuten.
Schütze (Die histor. bücher etc.) 1,
s.36
weihe man dö trinken sach
R. 15874 unde die dir werden kunt
und swel daz wazzer in den daz si daz wazzer in den mnnt
mnnt uf werfen mit der hant,
würfen mit den henden, die snln dir sin da von bekant
daz waren die eilenden daz si an den zlten
die got bi den ziten den sie dir snln erstriten.
erwelet hat ze striten.
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412
CSEREKE
(Bei Rudolf fehlt die andere partei, die ligelingen trunken,
R. 15872).
Im allgemeinen jedoch wird man sich hüten müssen, falls
etwa irgendwelche zu biblischen berichten gemachte znsatze
dem R. und Rudolfs W. gemeinsam sind, nun behaupten zu
wollen, Rudolf sei hier für unseren dichter die quelle gewesen ;
denn derartige ausschmückungen sind durchaus traditionell.
Wenn wir also z. b. im R. lesen, dass Lots weib als Salz-
säule noch heute in einer höhle zu sehen sei (27100 f. Rudolfs
\V., Zs.fda. 18, 102,65), und weiter 27102 da Sodom und Gomorre
was gelegen, da swebet das rner (vgl. Rudolfs W. a.a.O. 74 f.), so
berichten dasselbe auch andere dichter und Schriftsteller der
zeit, die sich gerade mit solchen Stoffen befassen (vgl. Strauchs
anm. zu Enikels W. 4193); reisebeschreibungen vergessen selten
davon zu erzählen (vgl. z. b. Johann von Montevilla).
Aehnlich steht es mit der geschiente vom turmbau zu Babel
(R. 27042 ff.). Die angäbe der teilung der spräche (in zwo und
sibenzic zungen (27051) ist ganz traditionell (vgl. Strauchs anm.
zu Enikels W. 3367). Von Enikel weicht übrigens unser dichter
insofern ab, als jener von Babel a> dem erbauer des turmes
spricht, dieser davon nichts weiss.
Eine nähere beziehung zu Rudolfs \V. lässt sich vielleicht
aus dem gemeinsamen reime spräche : räclie vermuten (vgl. R.
27045 f. Rudolfs W. fZingerlej 7 f.); aber ich möchte darauf
keinen wert legen.
Eigentümlich ist der erzähl ung im R. die angäbe:
27058
mit «wein und sibeneic eggen der turn daz er verre zöch
was gebftwen also hoch in den luft über sich enbor.
Endlich vergleiche noch über den tempelbau Salomos
R. 20954 ff. nnd Weltchr., Genn. 27, 63
daz krüt ktinc Salamones sider (Mogk, Kopenh. fragm.) v. 14
wart; swaz er da mit bestreich, sie namen eynes wurmes blöt
swie hart daz was, ez wart doch der hiz thamur als ich iz las
weich, eyn krut auch sus geheyzen was
wan ez sich na dem krute spielt. des saf mishzeten sie dar in
daz krut kttne Salamön behielt unde bestrichen her unde hin
und bat da mit den tempel her. die steyne besneden sie zö hant.
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8TUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUN8CHWEIG. 413
4
Petrus Comestor, Hist. schol. lib. reg. 3, 8 berichtet nur von
sanguis vermiculi (nicht von einem kraute1)), dessen gewinnung
er aber ebenso erzählt wie der Reinfrieddichter die des krautes:
Erat Salomoni struthio Habens pullum, et inclusus est pullus
sub vase vitreo. Quem cum videret struthio, sed Jiabere nequiret,
de deserto tulit vermiculum, cuius sanguine linivit vitrum et
tr actum est. Videns autem Solomon cacumen nwntis Moria,
ubi aedißcavit templum augustum, deiecit illud, et in arcam
spatiis amplioribus diffudit
Aus Rudolfs übrigen werken, aus dem Guten Gerhard und
Barlaam und Josaphat, wüsste ich nur weniges anzuführen,
was auf R. bezug haben könnte.
Von zwei liebenden heisst es:
R. 2443 Gern. 4740
da ist niht wan ei n ein 1 ich ein. ein wip ein man, ein man ein wip,
ein liep, ein leit, ein ja, ein nein. ein sin, ein muot, ein einic ein,
3021 ein lip, ein liep, ein herze an zwein,
ein dinc, ein ein, ein liep, ein leit. ein minne nnd ein geselleschaft.
Doch sind derartige Schilderungen nicht eben selten. —
Wie Rudolf spielt auch der dichter des R. auf das bekannte
lied MF. 3,1 ff. an:
B. 4223 Gerh. 4786
ich bin diu, sö bist du min, du min, ich diu. ich wil din s!n.
ich wil bi dir, du bi mir sin
in herzen und in sinnen.
Im Barlaam und im R. findet sich in gleicher weise das
biblische gleichnis von dem reichen (Luc. 18, 25), im Barlaam
allerdings in der paraphrase der evangelischen erzählung selbst:
R. 16793 Barl. 135, 16
als ich wol sprechen beere, durch einer nädel oere gat
dur einer nädel oere ein olbende senftecllcher,
ein kemeltier £ gienge, denne ein weltlich richer
k daz in got enpflenge ze gotes riche müge körnen,
ze siner gnaden tröne.
») Das kraut führt zurück auf eine antike tradition von der spring-
wurzel, s. Zs. fda. 35, lb3. — Enikel (W. 12031 ff.) berichtet nichts über die
gewinnung des Wunnes; ein kraut kennt er nicht.
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414 OEBEKE
8. Gottfried von Strassburg.
Haben wir bisher unsern dichter in den spuren Konrads
von Würzburg und Rudolfs von Ems wandeln sehen, so werden
wir auch erwarten, einen einfluss des lehrers dieser beiden.
Gottfrieds von Strassburg, im R. zu finden.
Tristan und Isolde sind mehrmals genannt, so Tristrant
v. 20162 in einer aufzählung der vortrefflichsten helden, Isolde
v.9238, ferner sie zusammen mit ihrer mutter:
V. 23110
min xin der hät gezellet ze Ysot nnd Ysote
kint muoter iegenöte den zwein von Yrlanden.
Nun scheint allerdings die namensform Tristrant mit be-
stimmtheit auf Eilhart hinzuweisen (vgl. Lichtenstein, ausg.
s. cxcn); andererseits aber heisst Tristrants geliebte bei Eil-
hart Isolde, nicht wie im R. Ysöt (so bei Gottfried). Ich meine
also, aus der form Tristrant ist weiter nichts zu schliessen,
als dass der dichter eben diese namensform kannte; jedenfalls
aber hat er hier durchaus nur Gottfrieds roman im sinne.
Aber es zeigt sich, dass Gottfried mehr formell als inhalt-
lich auf R. gewirkt hat. Für die stoffliche anlehnung unsere
dichtere an den Tristan weiss ich eigentlich nur ein ganz
sicheres beispiel anzuführen. Auf Tristans seite im kämpfe
gegen Morolt, der die stärke von vier männern hat, streiten
gott, recht und williger niut (v. 6883 ff.). So steht auch Rein-
fried gegen den dänischen grafen nicht allein:
0106
wan sin Up selpdritter vaht, mit den zwein was diu minne
er und diu küneginne. onch in den strit gesprungen.
R. 1404 Trist. 724
ir sinne waren trehtic er was in ir herze körnen,
dar da si meisterinne was er truoc gewaltecliche
und ge walteclichen saz in ir herzen künicriche
in sius herzen klüse. den zepter und die kröne.
Vgl. 807 ff.
4901 Trist. 13014
stn herze seit im von den zwein ir beider sin, ir beider muot,
niht wan ein ja und ouch ein daz was allez ein und ein,
nein. ja unde ja, nein unde nein,
Vgl. 2444. ja unde nein, nein unde ja.
Vgl. 16328 ff.
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STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUNSCHWEIG. 415
Der Reinfrieddichter kennt übrigens auch die forteetzung
von Gottfrieds Tristan:
15288
sam diu minnenclich Ysöt daz si järaerlich erstarp
din so klegelichen warp nach Tristrande dem werden degen,
und zwar höchst wahrscheinlich das gedieht Ulrichs von Tür-
heim (v. 3422 ff.), da ihm Heinrich von Freiberg wol kaum
schon bekannt war.
4. Hartmann von Aue.
V. 8931 und v. 20161 nennt der dichter den Iwein, v. 20161
Kalogriant; er kennt also Hartmann, was man auch ohne diese
citate als sicher annehmen würde.
Reminiscenzen aus Hartmann dürften demnach folgende
stellen sein:
R. 13422
ich heer die wisen jehen,
daz tröume dicke triegen
und tro genliehe liegen.
17390
ir ritterliche! werben
moht got gerne han gesehen,
solt ein kämpf vor im be-
sehenen.
12519
bezigen.
man sach den forsten niht verligen.
Vgl. 14074.
14616 ff.
Lange aufzählung: der eine, der an-
der, der dritte bis der wunde.
630
zwei hundert was der ersten schar,
schiltknehte, die mit gnoten siten
ie zwene hl ein ander riten:
die fuorten sper und kreiger da.
den kam zehant geriten nä
ein jungiu schar gesnndert,
der was wol üf hundert
zwei und zwei der scheensten knaben
so edel art ie moht gehaben
über allez Sahsen lant.
ieclicher fuort uf slner hant
ein sprinzelln dur muotes guft.
Iw. 3547
swer sich an troume keret,
der ist wol guneret.
Iw. 1020
hie huop sich ein striten,
daz got mit eren möhte sehen,
solte ein kämpf vor im ge-
schehen.
Vgl. R. 11384 ff. Trist. 6869.
Iw. 2789
die des werdent gezigen
daz si sich durch ir w!p verligen.
Vgl. 2863. Erec 2970.
Erec 8260—8286
Lange aufzählung von 1—20. Vgl.
Part.836ff. 1—6. 11834 ff. 1-4.
Im Erec reiten zu einem turnier eine
reihe könige.
1944
besnnder baten si sich
gesellet ritterlichen,
die jungen zuo ir glichen,
die alten zuo den alten.
Von den jungen nun
1964
ir ieclich fuorte üf der hant
vier müze, ein sparwsere.
416
GEREKE
5. Wolfram von Eschonbach.
Wie schon oben bemerkt, citiert der dichter v. 16678 ff.
den Parzival; er kennt aber auch den Willehalm. Wenn er
sich ferner v. 10421 f. und v. 16584 ff. auf Wolframs Titurel
beruft, so wird sich ergeben, dass er damit den jüngeren
Titurel meint; von einer beziehung auf Wolframs echte dich-
tung findet sich dagegen keine spur.
Für directe nachahmung Wolframscher scenen im R. gibt
es verhältnismässig nur sehr wenige beispiele.
So ist es vielleicht nicht ganz zufällig, wenn sich an der
stelle, wo der dichter den kämpf zwischen Reinfried und dem
dänischen grafen mit dem streite Parzivals und seines Stief-
bruders Feirefiz vergleicht, gewisse anklänge zwischen beiden
scenen constatieren lassen.
Die art und weise, wie der Reinfrieddichter die entstehung
der menschlichen abnormitäten und Wundererscheinungen er-
klärt, erinnert so sehr an Parz. 518, 1 ff., dass man wol in
dieser stelle das Vorbild sehen kann (zu Parz. vgl. Pniower,
Zur Wiener Gen. s. 35. Sattler, Die religiös, anschauungen Wolf-
rams 8. 63 ff.). Nur hat der Reinfrieddichter die erzählung viel
breiter ausgeführt.
Als nämlich gott den Adam erschaffen hat,
R. 8968
biz daz diu ors erlagen
beide von der mUede.
0002
ir beider sin gereizet
was nf ein ninwez kempfen.
9000
nu hatten an der stunde
die herren ouch erbeizet.
8934
hie vaht kiusche mit der zuht,
manheit mit der niilte.
Parz. 739, 19
diu ors vor inüede wurden heiz,
si versuohten manegen niwen
kreiz.
si bede ab orsen sprangen.
741,21
da streit der tri wen lüterheit:
gTöz triwe aldä mit triwen streit.
R. 19702
Parz. 518,1
dö gap got wisliche gir
Adamen siner hantgetat
für alliu wunder diu er hat
geschaffen uf der erden,
swaz gotes kraft lie werden,
unser vater Adam
die kunst er von gote nam,
er gap allen dingen namen,
beidin wilden unde zamen:
er rekant ouch iesltches art,
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUN8CHWEIG. 417
dar zuo der sterne umbevart.
der siben pläneten,
waz die krefte heten:
er rekant ouch aller würze maht,
IDld waz ieslicher was geslaht.
daz wart Adamen gar bekant
und wart von im ouch dö genant,
als ez noch hiut geheizen ist.
sin höher meisterlicher list
marht und bekande alle maht,
der würzen und der krinter kraft.
Viele dieser kräuter bewirken durch ihre wunderbare
kraft, dass schwangere frauen, wenn sie die kräuter ansehen,
unmenschlich figiire gebären:
Parz. 518, 11
dö slniu kint der järe kraft
gewunnen, daz si berhaft
wurden menneschlicher fruht,
er (Adam) widerriet in ungenuht.
swä siner tohter keiniu truoc,
vil dicke er des gein in gewuoc,
den rät er selten gein in liez,
vil wilrze er se mlden hiez
die menschen fruht verketten
und sin geslähte unSrten.
Die neugierde jedoch lässt ihnen keine ruhe:
R. 19782
diz seit offenlkhen dö
Adam slnen kinden
und bat si des erwinden
da mit ir forme ende nam.
Parz. 518, 25
diu wip taten et als wip.
etslicher riet ir brceder lip
daz si diu werc volbrahte,
des ir herzen gir gedähte.
R. 19830
dö die frowen hörten jenen
daz onch stuont geschriben dö,
diu krüt schatten sus und sö,
dö wären si sö niugeru
daz ir sin niht wolt enbern,
si wolten sin geruochen
und endelich versuochen
ob ez also w«re.
So sind also die missgeburten entstanden. Vgl. übrigens
noch die ganz ähnliche erzählung im deutschen Lucidarius,
Schorbach, QF. 74, 193.
Unter den wunderbaren menschen befindet sich eine schar
von Taburnit (1G656. 19404. 20440); der name stammt ent-
weder aus Parz. 316, 30 oder aus dem jüng. Tit. 1398.
Bei der erwähnung Nabuchodonosors macht der dichter
eine angäbe, die in der bibel fehlt:
R. 26746
für got solt man in beten an,
wart üz geschriben in diu lant.
vgl. Parz. 102,6
der an trügelichen buochen las,
er solte selbe sin ein got
(vgl. jüng. Tit. 791-794).
27
418
G Kit KK K
Aus dem Willelialm scheinen die hürnenen leute zu stammen:
R. 19636 Wh. 35, 11
swaz in «lern lande keine stunt . . . künec Gorhaut
von wibes übe wirt geborn,
daz ist allez sament hörn, des volc was vor und hinden
wip kiut und ouch die man. 35, 20 [horn.
da von diz volc in strite kan des künec Gorhandes her
nieman überwinden. mit stahlinen kolben streit,
an alten und an kindeu 395,23
siht man nodi grifet nibt denn horn. ir vel was horn iu grüenem schin:
alsus werdeut si geborn die truogen kolben stäbelin
und vehtent algeliche (vgl. jüng. Tit. 331 1 ff.),
mit kolben ritterliehe.
Reminiscenzen aus Wolfram sind vielleicht auch folgende
stellen:
R. 19000 Wh. 85, 25
er tuuose sware siege geben Arofels ors Volatin
ze bürgen für sin sterben. und Schoyfts daz »wert sin
da wurden bürgeu für sin leben.
16391 Wh. II, 16. 18,28. 20, 11. 44,25
Terviant als gott der beiden u. s. w.
vom bärac angerufen.
Im folgenden führe ich nun sämmtliche anspielungen des
Reinfrieddichters auf Wolfranis werke mit den entsprechenden
belegstellen an. Da es sich aber nicht immer sicher entscheiden
lässt, ob der dichter in gewissen fällen sich auf den Parzival
oder den jüng. Titurel bezieht, nehme ich die citate aus letz-
terem hier gleich mit hinzu.
780 ff. Die turteltaube, das wappen des grals — Parz. 474.
1—11. 540, 26 f. Keuschheit der gralsritter — Parz. 235? 28 ff.
2078 lebt ItiscJtaude die der gral sieh von erste tragen He . . .
Hier liegt eine Verwechslung mit Repanse de Schoye vor (vgl.
Bartsch, anm. zu R. 2078); denn es heisst Parz. 235, 25 liepanse
de schoy si hiez, die sicii der gräl tragen liez. Ebenso im jüng.
Tit. Aber diese Verwechslung ist zu erklären; denn Rischaude
wird vom gral dem ersten gralkönig Titurel zur gemahlin ge-
geben (j. Tit. 418 ff.).
2194 sweus man von Jeschtite de la Lander mündet seit;
vgl. Parz. 130, 5 ff.
8921 ff. Kampf zwischen Parzival und Fereinns — Parz. xv.
8931 Gawein. 9240 Herzeloud. 9242 Gyburc.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
419
10418 ff. Der gral, ein tvunsch an liplicher nar — j. Tit.
490. 598 (Parz. 238, 28).
11920 ff. und 24946 f. Reichtum des königs Artus — j. Tit.
1403. 1408.
14854 ff. Willehalm vergisst den schmerz über den tod
seiner getreuen Mile und Vivianz, wenn er in Gyburgs armen
ruht — Wh. 94. 95. 100 ff.
15238 ff. Sigüne SchinaJitelandcrs tot mit töne galt — j. Tit.
5776.
15276 ff. alsam der nurrinne von Zazamanc, der grimme
not si värwet jämerlichen tot nach dem ertvelten Gahmurcten
— Parz. 750, 24 ff. j. Tit. 1000. 2545.
15282 ff. ir Up ze töde het getreten tri? liht mit frigem willen
sam daz herz Secundillen dur Fere\.Xz den Anschcvin — ?
15306 ff. C4yburg leidet not um den abwesenden Willehalm,
ebenso wie Condwiramurs um Parzival.
16146 ff. Die heiden hatten nie so grosse Verluste erlitten
ein allein dö si verlurn sö mangen helt uf Alischanz.
16585 ff. Wolfram spricht in 'Titureles buoche' wol von
zweihundert hänge namen; vgl. j. Tit. 1547 zu beider sit zwei-
hundert, die gein strite wären in der meine.
j. Tit. 1974—2083 ff. folgt dann eine lange aufzählung von
namen. Der Reinfrieddichter bemerkt 16590 ff., das sei bei
der gelegenheit geschehen, als die bruoder uzer Babilön, Pom-
peius und Ypomedvn (vgl. Parz. 14, 3 zwen bruoder von Babilön,
Pompeius und Ipomidön 101,28 f.; vgl. noch R. 19945 ff.)
mit her urliuges pflägeu den im dur riehen prisant
und keiserliehen lägen durch liebe und durch minne
mit offenlicher melde diu »warze küneginne
uf Florischanz dem velde von Zazamanc dem fürsten gap.
gen dem . . . filmten rieh von Baldac, ... ir laut ir namen ich niht hab
swie daz der fürste riche gekennet und ir underscheit:
nette schedelich verlorn, da von wirt iueh niht geseit
dö vor im der höhgebora noch kunt von mir ir namen gar.
(iahmuret wart erelagen ir lant ir w&fen offenbar
mit bockes bluote, hrer ich sagen,1) mnoz ich durch not verewigen.
an den herten adamant
Diese ganze geschiente hat der dichter nur aus dunkler
erinnerung eingeflochten. Dafür spricht, dass er den namen
») (j. Tit. 916. Parz. 105).
27'
420
der königin von Zazamanc nicht kennt, wie er ihn denn sehr
wol bei der grossen zahl von namen im j. Tit. vergessen haben
konnte. Dafür spricht aber auch die angäbe, dass Pompeius
mit Ypomedon auf dem felde zu Florischanz gegen den fürsten
von Baldac gekämpft hätten, während auf Florischanz nach
dem j. Tit. nur das grosse turnier des Königs Artus stattfand.
Derselbe irrt um passiert dem Reinfrieddichter, wenn er sagt:
16648 die pavilün die Secureis üf Florischanz der heiden liez,
denn Secureis tritt auf Florischanz gar nicht auf; er kämpft
vielmehr auf seiten der babylonischen brüder in der schlacht
bei Plenanze.
Von den eben genannten zelten heisst es weiter
Schyonahtelandern nen [j. Tit. 3333], durch der von Taburnite
Dieselbe Secundille sante dem Anfortas den kosterichen
krän [j. Tit. 4850 ff. Parz.519, 10-12. 18-30. Wh. 279, 13—23],
der sit ze teile der scheenen Orgelüsen wart [Parz. 616, 15 ff.].
Es folgt nun die erzählung von des Anfortas Verwundung
und seiner heilung durch Parzival; 16680 als ich in sime buoche
vant von dem von Eschibach geschribcn.
16756 ff. Aroffels tod auf Alischanz — Wh. 81, 12 ff. Von
Aroffel stammt der Persän, mit dem Reinfried kämpft,
16766 daz goltgebirge Kaukasas diende siner milten haut
— gefolgert aus Wh. 80, 22 ff., wo Aroffel Willehalm lösungs-
geld bietet: ob aUez gebirge Kaukasas diner hand ze geben
zamie, daz golt ich gar niht ncsme\ vgl. R. 17552 si tcolten so
vil goldes geben und me denn Aroffel bot üf Alischanz für
sinen tot.
17 106 ff. Aroffels schild nimmt Willehalm an sich — Wh. 82, 7.
17333 ein rarin sper von Agram — Parz. 335, 20. 384,30.
703, 24.
17378 ff. Der könig Gramoflanz ist so stark, vier akl fünf
er wolte zemäl bestän alleine — Parz. 604, 12 ff.
18438 ff. Thesereysens tod auf Alischanz — Wh. 87, 27 ff.
v. 16650
die von Baldac der furste hiez
die Fereviz der vehe hät
ervohten alt mit strite
daz gelichnisae gen
konde Thasme der riehen stat,
küneginnen willen,
der süezen Secundillen f j. Tit 5320 ff.]
(vgl. R. 16682 ff.).
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 421
19958 Terramer. 20158 ff. Firevis, ParzivM, Gawän, Giüi-
muret etc.
20406 Schionahtelander besiegte zwanzig fürsten an der
von Babilöne her — j. T. 1897.
21930 Gog Magog dri Indiä wären alle im bekant, priester
Jahan und sin lant, zwei und sibenzic künicrich — j. T. 0032.
6033. 6034. 6058.
22946 Artus.
Die verse 16156 ff. 19952 f. beweisen, dass der Reinfried-
dichter auch die Vorgeschichte zu Wolframs Willehalm von
Ulrich von dem Türlin kannte.
6. Der jüngere Titurel.
Sind bisher nur die citate aus dem jung. Tit. berücksich-
tigt, so sollen im folgenden die reminiscenzen und directen
entlehnungen daraus zusammengestellt werden.
Yrkanes erstes auftreten wird ähnlich dargestellt wie im
jung. Titurel das der atmerinne:
R. 792 j. Tit. 2799
man sach üf höhe reichen golt riebe seidin lachen
ein pnrpnr von vier scheften, furt man da hundert swebende
daz wart gefüert mit kreften ob den hundert knnigen zu obedachen
enbor von gräven vieren. ie vier inncherren eins an schef-
dar under bi den zieren ten vieren
reit diu minnecliche magt. und ob der atmerinne.
Wie Reinfried und Yrkane, so bleiben Titurison und Eli-
zabel anfangs ohne erben:
R. 12956 j. Tit. 137
wan ir süeze minne sie vorhten sunder fruht beliben,
blüete fruht an ir verbar. an erben alle ir riche
de« sach man si jamervar daz must nn hohe freude von in
gar ze manger stunde. triben.
fröude in herzen gründe
künde ez in verderben,
daz si got an erben
so lange hat gel&zen.
Deshalb widmen Titurison und Elizabel (138 ff.) gott ein
bild von golde als opfer nach Jerusalem, damit er ihnen ein
kind schenke. Ebenso im R.:
13188
er bat got und enthiez ze opfer, ob er wolde
imeinkintvongolde erfüllen sinen willen.
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422
OEREKE
Ueber die greifen, die das gold auf dem Kaukasus be-
wachen (R. 18244 ff. j. Tit. 3346—3348) vgl. Bartsch, Herzog
Ernst s. cliv f.
Die grosse auseinandersetzung im R. über die vier demente
und die in ihnen lebenden geschöpfe zeigt wesentliche berüh-
rungen mit einer ähnlichen partie im jüngeren Titurel:
R. 26404
der elementen viere »int,
von der complexen stiure
hat alle creatiure
lip und lebeliche pfliht.
an ir temperunge niht
mac lebende sin üf erden.
26410
ez moht noch kond üf werden
krüt holz lonp noch stein
an diu elementen rein
diu so in ein »ich flehtent
daz si »täte vehtent
20415
mit zwilicher uatiure.
dürr heiz ist an dem fiure,
finht und kalt daz wazzer hat,
kalt und dllrr diu erde »tat,
heiz und fiuht so hat der luft.
26420
iecliches dementen kruft
pfligt einer lebendigen art
diu lebendes muoz werden schart,
swenn ez in ein anderz kunt.
ein herinc in des meres grünt
j. Tit.») 2756
got alle creature mit creften hat so
geordent
mit wazzer und mit feure luft und
erde dise viere hordent
mit solher craft daz niht an sie ist
lebende
daune vier hande geschepfe
der einer ist ie ir eines
leben gebende.
2757
die viere niht gemeine lehent der
demente
feur erde wazzers eine gainaniol
vil hoch gelente
vierzehen mile oberhalp der erde
und lebt niht wan luftes. der
drier hat er zu einer slaht begerde.
2760
die ander creature ist niht wann
wazzers lebende
der erden luft noch feure ist nach
disen drin zu nihte strebende
daz ist der her in g weder groz noch
kleine
ist er nihtes lebende danue besunder
wazzers gar al eine.
2761
der muolwerf ist daz dritte weder
wirs noch bezzer
der hoch noch der mitte begert er
weder luft feur noch wazzer.
wan zu allen ziten in der erde
tonnen
sin leben ist verkoufet swenn man
in ob der erde siht hie ouzzen.
') Ich gebe den text nach Hahn, ohne Verbesserung.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 423
26428
lebt sunder sterben ane not.
luft fiur erde sint sin tot,
ieclichez suuder, bin ich wer.
in der erden lebt ein scher
lange sonder noete.
26430
luft wazzer fiur in trete,
an diu so lebt er schöne,
in luft gamaleöue
ist wol an erden wazzer fiur.
so lebt diu Vierde creätiur
26435
an wazzer erden unde luft
und hat lebelichen guft
in fiure und niht anders.
2762
so ist dem salomander immer leben
teure
swenn er niht sam ein zander zu
allen ziten brinnet indemfeure
dem ist luft wazzer erde niht ge-
mezze
wan so vil daz er erde bi dem feure
muz pflegen eben sezze.
2768
wan sie [die elemente) gar un-
geliche sust kriegent mit ir
ante
daz ein ist hitze riche so ist
daz ander ringe und kalter
slahte
daz dritte ist swer kuole und
darzu trucken
das vierd swer und feuhte und
kan ie eins dem andern craft
wol zucken.
Die gemeinsame quelle für R. und j. Tit. scheint Honorius
zu sein; in einigen punkten ist die beziehung zwischen R. und
Honorius näher als zwischen R. und j. Tit. Honorius, De philo-
sophia mundi. 1.21 De elementis: nachdem er im anfang des
capitels entwickelt hat, dass die sogenannten vier elemente
eigentlich keine elemente sind — denn clementum est simpla
et minima pars — fährt er fort (Migne 172, 49 D): cum ergo
illae simplac et minimae particulae elementa sint, quae est fri-
gida et sicca, terra est: quae frigida et humida, aqua
est: quae calida et humida, aer: quae calida et sicca,
ign is (R. 26416/9); vgl. Imago mundi 2, 58.
Weiter sagt er (50 B): sunt alii qui dicunt quae videntur
esse elementa, comprobantes hoc autoritate Juvenalis, qui de
gulosis loquens ait:
'interea gustus elementa per omnia quaerunt'
(Sat. 11,14),
scilicet in terra venationes, in aqua pisces, in aere aves.
(50 D): in unoquoque illorum [feuer, wasser, luft, erde] alt-
quid de aliis est (R. 26408 f.).
(52 D): cum enim sint elementa quatuor et quatuor illorum
424
GEREKE
qualitates, inde fiunt sex complcxioncs (R. 26405). quarum
quatuor sunt possibiles, duae impossibiles.
Aus dem j. Tit. ist ferner der ausführliche excurs über die
gewinnung der kostbaren gewänder geflossen, die die Salamander
im feuer spinnen:
j. Tit. 6065
ein wider glast der sunnen ist von
der pfelle wehe
und wirt mit not gewannen in
dem f eure wurkent sie den spehe
bi den ist alle side und golt zu nihte
wie man die wan die gewinnet da
maht man hufen drie von
holtze die rihte.
R. 26458
man muoz mit grözer witze
üz dem starken brinnen
h&r und daz tier gewinnen
mit grözer kost und ncete vil.
26450
wan diu wolle gesponnen wart
von der creätiure
in dem wilden fiure
mit hitze und mit brinnen.
26464
ein grözen hüfen machen
mit dürres holzes stiure.
26472
von dem wirt aber eine
gemachet, doch nnverre dan.
vier ald flinfe machet man.
26492
der hüf verbrinnet, der ander
hüf da na enpfahet.
26485
so ziuht er dur die hitze dar,
wan daz helle fiur in gar
tuot an allem libe frisch etc.
26498
ez wttrket unde spinnet
alsam die würme siden.
26440
swenn daz kleit an schrene laz
von keiner slaht unreinekeit
wart, der ez denn schöne leit
in ein grözez fiur, zehant
6066
von ein ander niht verre den
man da feuret
er want daz im niht werre an sinen
kampel freuden ez in steuret
der ander brinnet swen der
erste vellet
von dem ez aber gaget und zum
dritten houfen sich gesellet.
6067
den wurm also zohet mit feure
drier houfen
dem berge er sus empflohet wirt wil
er gahes wider loufen
nach gaher wirt die vart im nnder
gangen
dur daz die ersten erloschen sint
da mit ist er gevangen.
6068
vil siden ist er tragende dar
inne ist er verwunden
sie sint durch behagende in dem
berge gevangen und gebunden
wan sie kein feur nimmer kan ver-
brennen
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8TUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 425
din nnreinekeit gebrant
wirt dä von gar sunder schranz.
2ß525
si darf nieman weichen
mit lougen noch mit eschen,
niht wan in fiur ez reinet sich.
wer inoht al solche wunder an richeit
ouch erkennen.
6069
durch reht man ez vergoldet und ist
zu pfellen wegende
gar lylien wiz getoldet wirt sin
craft sin glast sus wernde ge-
bende
vil mange werdekeit derpfelle waldet
daz feur iu machet newe da von
er nimmer vereidet.
7. Sonstige höfische epen.
Zur Vervollständigung unseres bildes von der belesenheit
des Reinfrieddichters in der zeitgenössischen höfischen literatur
dient es, wenn wir v. 8930 f. und v. 20160 Wigalois und Lan-
zelet genannt finden. Der dichter kannte also auch Wirnt von
Gravenberg und Ulrich von Zazichofen.
Ob er Veldekes Eneide gelesen hat> lässt sich aus v. 3210 ff.
und 15260 ff. nicht erkennen, da er v. 3216 Virgil citiert, und
wir keinen grund haben, ihm nicht zu glauben.
II. Spielmannsdichtung.
In der hauptsache verweise ich hier auf die früheren aus-
f üh rangen über die person des dichters. Ich habe dort (s. 363 ff.)
festzustellen gesucht, dass der Zusammenhang des R. mit der
Spielmannsdichtung ein fundamentaler ist und, wenn ich so
sagen darf, einen inneren grund hat.
Ich erinnere ferner hier noch einmal an Bartsch' einleitung
zum Herzog Ernst (s. cxxxff.), wo er den beweis der nach-
ahmung dieses gedientes durch den R. führt, und mache kurz
einige nachtrage.
Wenn wir im R. lesen:
19370
ein volc was ungehiure, si waren an den füezen
des wir sprechen müezen: breit alsam die wannen,
in beziehung auf Ernst 4674 f.:
den warn die ftieze vil breit
und also den swanen gestalt,
so ersetzt der Reinfrieddichter hier einen ungewöhnlichen ver-
426 GEBEKE
gleich durch einen gebräuchlicheren; vgl. Iw. 443 örenbreit alsam
ein tcanne; Krone 9381 (vgl. Lexer 3, 682).
Der fürst von Ascalon, auf dessen seite Reinfried im
kämpfe gestanden hat, erweist sich ihm dankbar. Ebenso
wird Ernst vom fürsten der Arimaspen für seine hilfe belohnt :
R. 2066« Ernst 4762
' lip und ouch daz leben min er sprach 'jangelinc geiueit,
muoz iuwer eigenlkhen wesen. du hast mir manliche
ich, Hut und lant, wir sin genesen und also frumliche
von inen', sprach er, 'iuwer trost ere und lip behalden.
hat uns ritterlich erlöst du solt iemer mer gewalden
von iemer wernder swtere'. rains lande« swaz dus haben wit1
2067« 4768
'swaz ich uf al der erden 'des sul ich dir lihen also vil
iezc hau ald ie gewan durch liebe die ich zno dir han
und iemer nie gewinnen kau, daz du selbe maht wol hau
sol iuwer eigentlichen sin.' beide ere unde ruom.'
Wie herzog Ernst, so besucht natürlich auch Keinfried
Jerusalem und das heilige grab:
R. 17938 Ernst 5678
der fiirste riche aldä opferte der wigant
und al sin kristenlichiu schar gote ze eren uf sin grap.
brahteu groziu Opfer dar. 56^4
17944 ze dem tempel gap er ouch genuoc
(er hiez) mit riehen sarhen und swa er heilige stete vant.
daz grap, den tempel kleiden.
Die frage nun, welche bearbeitung der Ernstsage dem
Reinfrieddichter vorgelegen hat, muss offen bleiben. Von den
uns erhaltenen fassungen scheint direct keine in betracht zu
kommen (vgl. Bartsch, H. E. s. cxxxvni).
Widerholt wird im R. die Alexandersage berührt. Diese
ist ja im mittelalter sehr verbreitet, und unser dichter kannte
sie gewis aus verschiedenen quellen. Speciell angelehnt haben
mag er sich an die Überlieferung, wie wir sie in Enikels
Weltchronik lesen, da er wahrscheinlich bei seinem zweimaligen
citat einer chronik eben diese meint:
R. 17970 Enikels W. 28915
sider ich gehöret hab (abweichend Ton der Kaiserchronik)
daz diu stat daz grap daz lant dar nach der keiser wart verholn,
kam aber in der kristeu haut den kristen allen vor verstoln;
bi keiser Frideriche. wan nieman west diu msere
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
427
und do der fürste riche
so wunderlichen wart vertriben,
als in der crönik iat geschriben.
wa er hin komen wtere etc.
18140
(vgl. Strauchs anm. zu dieser
stelle).
EnikelsW. 24331 ff.
dö Titus und Vespasiän
gotes marter rächen
und Jerusalem zerbrächen,
als cronica diu wäre seit.
Von Alexanders wunderbaren reisen kennt der dichter
zuerst die meerfahrt (v. 15156 ff.; vgl. auch v. 22530 f.) und zwar
die Version der sage, wonach sich Alexander an einer kette, die
seine geliebte hält, in das meer hinablässt (Enikels W. 19251 ff.
und daraus auch im Baseler Alex. s. 4247 ff.). Die geliebte heisst
hier Laudavine, während sich sonst höchstens der name Roxane
findet. Den namen Laudavine, der sich nirgends nachweisen
lässt, hat sich wol der dichter selbst zurechtgemacht, aus
Laudine und Lavine (Lavinia).
V. 21850 ff. wird Alexanders fahrt zum paradiese erwähnt.
Die angaben treffen insofern mit dem bericht Enikels (19010 ff.,
vgl. auch Baseler Alex. 4154 ff.) zusammen, als an beiden stellen
keine andeutung zu finden ist von dem weisen juden, der dem
Alexander, erst nach der ruckkehr, in Griechenland offenbart,
was es mit dem wunderlichen stein auf sich habe. So nämlich
ist die Version in Lamprechts Alexander, nach dem Iter ad
paradisum. Ks fehlt jedoch in Enikels W., was im R. unmittel-
bar vorhergeht:
Diese mauer könnte der dichter ja nun ebensogut aus einer
anderen quelle als einer Alexandersage haben (vgl. z. b. Luci-
darius^, Hall, univ.-bibl. Af 2048, a Illd: der meister sprach also
die bücher sagen I so mag niemant in dz paradeifs kommen daU
mit giltten wercke. traft darumb geet ein feurin maur die reychet
biß an de himel); aber wir finden sie z. b. bei Lamprecht
(6850 ff.) und im Iter ad paradisum (auch bei Ulrich v. Eschen-
bach 24444 ff.) Also dürfen wir wol annehmen, dass der dichter,
21b4rt
er seit im daz er wwre komen
mit strenger noete süre
an die höhe müre
da al diu weit ein ende nint.
sumeliche Hute sint
mit sinnen in der wise
daz si dem paradise
und dirre erd geb uuderscheit.
für war niemen niht da von seit
mit slehten Worten blözen.
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428
GEREKE
wenn er auf die Alexandersage anspielt, hier in der erinnemng
aus verschiedenen quellen combiniert.
Der schiffsherr aus Ejulat, der dem herzog Reinfried von
dieser fahrt Alexanders zum paradiese erzählt, da er selbst
dort gewesen ist, berichtet weiter, wie er auf seiner reise
das ende der weit erreicht habe, wo einst könig Hercules zwei
erin (so wird statt erlin v. 21907 zu lesen Sein) siul errichtete,
zum Wahrzeichen, daz nie kein mensche fürbaz nwhte kamen.
In den Strassburger drucken der HLstoria de preliis werden
nach Kinzel, Lampr. Alex. s. xxv die säulen des Hercules ge-
nannt, vgl. Hist. de prel. (hsg. von 0. Zingerle) c. 91.
Als dritte der wunderbaren reisen Alexanders nennt der
Reinfrieddichter die greifenfahrt 22514 ff. Vgl. Kinkels W.
19441 ff. (Baseler Alex. 4381 ff.). In der luft habe Alexander
den vogel gamaleon gesehen:
22523 »wenn er sieb missehüetet
der vogel siniu eiger birt, daz er näcb zuo der erden kunt,
und wie im üf dem rugge wirt so ist er tot der selben Munt,
sin fruht schön fiz gebrüetet. wan er üf erden hat kein ner.
Ueber das nur in der luft lebende chamaeleon vgl. Lauchert,
Geschichte des Physiologus s. 202. Freidank 38, 109, 14 ff. Rein-
bot, Georg 3874—3880. Im jüngeren Titurel lesen wir str. 4755,
dass Alexander in der luft den vogel galadrot gesehen habe:
wie der in den lüften get nu swebende und sine junge brütet,
bis daz sie mit im schone fliegent lebende. Str. 2759 heisst es
vom gamaniol: swenne er sine jungen willen hat zu meren von
im wirt hoch gesungen wenn er legt daz ey zu hant so kan
er keren und tut dem ey so not mit nider drucke untz daz ez
wirt zu vogele so kan ers danne fiteren uf sinetn rucke, und
von demselben 2757 und lebt niht wan luftes (vgl. s. 422).
Ueber die einschliessung von Gog und Magog sagt der
Reinfrieddichter:
19547 wie Alexander si beslöz
Gog und iMagog der juden laut mit berge und mit müren gröz
stat in der küneginne [der Amazonen] und ouch mit dem grienigen mer
da mit die röten juden sint, [hant, daz äue wazzer sunder wer
als man noch geschriben vint, fliuzet stretecliche.
Dasselbe berichtet nach Zingerle (Die quellen z. Alex, des
Rudolf v. E. s. 86) Rudolf in seinem Alexander (v. 15876—
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 429
17395), mit fälschlicher beruf ung auf Josephus [vgl. auch Baseler
Alex. 4108 ff.].
Gog und Magog neben den roten juden werden erwähnt
im j. Tit. 6057 f. An derselben stelle hören wir auch von dem
meer: 6056 da bi so ligt besunder gar ane icazzer trucken ein
mer; 6059 ditz tner von sande durch lant gar ane zuht ez rinnet.
Das sandmeer stammt wahrscheinlich aus dem brief des priesters
Johannes c. 31 : mare harenosum sine aqua, harena movetur et
tumescit in undas ...et numquam est tranquillum.
Wenn v. 19941 f. und v. 26772 ff. von Alexanders kämpf
mit Darius berichtet wird, so geht diese kenntnis im zweiten
falle sicher auf die bibel zurück. Jedoch enthält eben diese
stelle einen zusatz, den die bibel nicht hat. Alexander hat
den Darius besiegt und die ganze erde sich untertänig ge-
macht; aber
25784
niht langer wan üf drige tage in tot sin vil werdez leben,
wert »in keigerlich gewalt. wan er starp, im wart vergeben
mit nntriuwen wart gevalt mit arger gifteclicher pfliht.
Da in v. 26784 f. eine textverderbnis ausgeschlossen ist
(tage reimt auf sage), so kann die stelle, wenn sie sinn haben
soll, allein so gefasst werden, dass Alexander nur drei tage
auf dem gipfel seiner macht stand. Diese angäbe weiss ich
jedoch durch nichts zu belegen. Daher glaube ich, dass der
dichter, der die eben genannte partie mitten in einen biblischen
excurs, also wol sicher aus dem gedächtnis, einlegt, hier bei
den drei tagen eine Verwechslung begeht. Drei tage weilt
Alexander z. b. auf dem meeresgrunde. Ceber Alexanders tod
vgl. Enikels W. 19652 ff. Baseler Alex. 4441 ff. O.Zingerle, Die
quellen z. Alex, des Rud. v. Ems s. 50, a. 3.
Enikel berichtet uns auch (23779 ff.) die erzählung von
Virgil, wie er zu Rom von einem listigen mädchen in einem
korbe aufgehängt wird. Darauf spielt der Reinfrieddichter
15 176 ff. an und nennt hierbei wider einmal, wie bei Alexan-
ders meerfahrt, für das mädchen einen namen, AOuinatä, den
wir sonst vergebens suchen. Vgl. Massmann, Kaiserchronik
3, 451 ff. v. d. Hagen, GA. 3,cxlix. Strauch zu Enikels W. 6173.
Germ. 4, 273. Athanais lässt sich als ähnlichklingeud aus dem
Eraclius allenfalls anführen.
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430
GEREKE
Im anschluss hieran erwähne ich gleich noch, dass im R.
auf diese geschieh te unmittelbar die anekdote von dem
weisen Aristoteles folgt, der sich von einem mädchen reiten
lässt (15182 f.). In v. d. Hagens GA. 1,2 ist das mädchen Ale-
xanders geliebte, Phyllis (vgl. dazu GA. 1, einleitung s. lxxv ff.).
Merkwürdigerweise führt sie im R. den namen Silarin. Wir
haben denselben fall wie oben: der name ist anderweitig nicht
nachzuweisen. Ich glaube deshalb aber noch nicht, dass wir
daraus auf besondere, uns unbekannte quellen schliessen müssen,
sondem möchte lieber dem dichter selbst die erfindung dieser
namen zutrauen.
Etwas länger verweilen muss ich jetzt bei der episode
vom zauberer Zabulon und von dem magnetberge, die im
R. einen ziemlich beträchtlichen räum einnimmt. Diesen zau-
berer, der in unserem epos übrigens Savilon heisst, und seine
taten kennt auch der Wartburgkrieg, dessen 6. teil Simrock
'Zabulons buclr überschreibt. Vergleichen wir nun beide er-
zählungen, so ergeben sich bei zahlreichen, teilweise fundamen-
talen ab weichungen doch viele wörtliche anklänge. Und daraus
schon folgt, dass ein directer Zusammenhang zwischen R. und
Wrtbgkr. nicht besteht, sondern dass beide vermutlich aus
derselben oder aus verwanten quellen schöpfen.
Ich gebe zunächst eine kurze Übersicht über beide fassungen.
Zabulon oder Savilon, heisst es:
R. 21328
was der frste dem ie wart
astronomie bekant.
21344
150, 1 1
eins nahtes er an den sterneu
vant,
was der erste der sich
astronomie ie underwant.
W. 156,9
nu sach der selbe jungelinc
mit zeichen offenbaren
daz nä zwelf hundert jären
har uf dise erden
ein kint solte werden
von einer megede geborn.
von dem kinde solt verlorn
werdeu jüdische diet.
daz bi zwelif hundert jaren
wurde ein kint geborn,
daz alle jnden gar von fcren
stiez.
21350
150,15
erz niht enliez,
wie schier het erz der mnoter
sin geseit.
er gie behendecliche
und seit ez der niuoter sin,
wan diu was ein jüdin,
sin vater was ein heiden.
STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUNSCHWEIG. 431
21363
wau si »in inneclich erschrac.
Auf der matter rat forscht Savi-
lon weiter in den Sternen und er-
fahrt durch den Saturnus, die gefahr
für die juden könne verhütet wer-
den, wenn er ein kleinez hrierel mit
höhen paragraff'en und mit Worten
beschriebe, die auch wol da zuo hör-
ten, und dann diesen brief so ver-
bärge, dass ihn niemand fände.
2143U
über daz wilde mer und tief
fuor er üf den agestein.
Es folgt eine ausführliche Schil-
derung der von Savilon auf dem
magnetberg getroffenen einrich-
tungen. Unter anderem verfertigt
Savilon folgendes:
21486
ez was ein erin bilde
und hat ein hamer in der hant
erzogen.
Das eherne hild hat eine ganz
andere bestimmung als im Wrtbgkr.
Zwar handelt es sich hier auch um
ein buch, al>er um ein nigromanzie
buoch, mit dem Savilon, um ewig zu
leben, einen geist in seinen leib
bannt, indem er seine füsse auf das
buch setzt. Die übrigen teufel hat
er mit drei anderen büchern be-
zwungen, die er in eine wand ein-
schliesst. — Sonst spielt Savilon im
R. selbst die rolle des ehernen
bildes des Wrtbgkr.
2150$
er hatte an der stunde
mit angestlichen sorgen
156,7
er was ein jude von niuoter art,
ein beiden vaterhalp.
157,1
diu frouwe wart in schricken
röt.
Zabulon kommt selbst vermöge
seiner mystischen kenntnisse auf den
gedanken, das unheil dadurch abzu-
wenden, dass er nach der juden kür
ein buch dichten will. Wie er das
buch nun mit allen nii^ romantischen
künsten anfertigt, wird ausführlich
berichtet. Ein jähr und zwölf Wo-
chen arbeitet er daran.
159, 15
einen geist er twanc,
daz er imz üf dem agetsteine he-
rhielt.
Davon nichts im Wrtbgkr.
160, 3
der raeister da ein bilde üz £re
der schrift ez hüeten sol. [göz:
100,7
einen kltipfel truoc ez in der
der stuont ze swarem zil. fhant,
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432
OKREKK
den kleinen brief verborgen
im selben in daz öre.
Savilon bannt ferner einen teufel
in ein glas (vgl. Zs. fda. 35, 1 80 f.) und
verbirgt dies unden an des steinest
pfat.
Ein helt ze Lantperten, fürst und
herr zu Mantouwe, Virgil, der grosse
reicht Umer besass, gieng mit seinem
gelde so verschwenderisch freigebig
um, dass er gänzlich verarmte.
Virgil hört von Savilon und macht
sich mit elf begleitern auf nach dem
inagnetberg. Er findet den geist im
glase und gewinnt mit seiner hülfe
den brief Savilons und das niyro-
manzie buuch unter dessen fttssen.
Nun schlägt das eherne bild mit dem
hammer zu und tötet den Savilon.
Zu derselben zeit wird Christus ge-
boren.
Virgil lässt den Savilon von den
teufein, die er befreit, begraben.
Darauf stürzen die teufel sich
alle ins meer. Nur den geist, der
in dem glase war, bannt Virgil mit
list wider hinein
(vgl. Massmann, Kaiserchr. 3, 438 f.
K. L. Roth, Germ. 4, 278 f.).
160,9
der meister schoub im einen brief
inz houbet dä zer nase.
Wo hier mit einem male der brief
herkommt, von dem vorher noch nicht
die rede gewesen ist, bleibt unklar.
Eine fliege in einem glase aber
verrät dem Virgil das buch. Aristo-
teles hat diese da hineingesteckt,
indem er seinen gesellen Klestronis,
um ihn vor der höllenpein zu be-
wahren, 'als fliege verwandelt in
den rubin eines ringe« bannte. Aus
diesem ring war Klestronis nachmals
dem könig Tirol mit seinem rat beim
Schachspiel behülflich, als dessen
haupt zu pfand stand' (Simrock
s. 302 f.).
163,5
ze Rinne ein rieh geslehte hiez,
daz was in armuot komen
durch ir edelen milten muot
(Simrock meinte, die erinnerung
an dieses verarmte geschlecht hätte
sich im R. nicht bewahrt).
Dieses geschlecht will die schätze
der am magnetberg gescheiterten
schiffe auf des Aristoteles rat ge-
winnen und sendet deshalb unter
Fabian eiue schar aus, der der Zau-
berer Virgil den weg zeigen muss.
Damit endet die geschichte im
Wrtbgkr. Nach Simrock hat die
Kolmarer handschrift noch eine fort-
setzung: Fabian wird von einem
greifen verschlungen, Virgil gewinnt
da« buch Zabulons und befreit erst
den geist aus dem glase, zwingt ihn
aber dann wider hinein.
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STUDIEN ZU KEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 433
Comparetti (Virgilio nel medio evo 1872, deutsch von
Dtitschke 1875) versucht es (s. 268) aus beiden fassungen die
ursprüngliche sage zu reconstruieren. In einer sich mehr der
fassung im R. nähernden form erzählt dieselbe sage Heinrich
von Mügeln in einem gedieht auf den zauberer Virgil, das
Zingerle Germ. 5, 368 ff. veröffentlicht hat. Comparetti führt
ferner (s. 264 f.) aus der Image du monde (ed. du Meril, Melanges
archeol. s. 456 ff.) die erzählung von einem besuche des apostels
Paulus an Virgils grabe an, die gleichfalls ähnliche züge
enthält.
Das buch Zabulons ist nach ihm aus dem buche über die
ars notoria entstanden, das, wie Gervasius von Tilbury weiss,
von einem Engländer im grabe Virgils gefunden sein soll. Im
wesentlichen wird Comparettis reconstruetion der ursprüng-
lichen sage das richtige treffen.
Simrock vermutet, dass das uns verlorene gedieht vom könig
Tirol die grundlage bildet.
Erwähnt sei endlich noch, dass Sabulon auch in einem
liede der Kolmarer meisterliederhandschrift (Bartsch 28, 54)
vorkommt, das nach Bartsch jedenfalls jünger ist als 1308.
Was übrigens die bemerkung im R. betrifft: 21720 wol
fünfhundert mite in dem agestein man sack sicaz iender üf
dem mer beschacJi, so vgl. dazu Comparetti s. 256, der für
Spiegel von solcher Wirkung belege bringt. Ich füge noch
hinzu Parz. 592, wo von einem warthaus auf der wunderburg
Klinschors berichtet wird, in dem eine säule steht, die alles
abspiegelt, was sechs meilen in der runde geschieht.
III. Mittelalterliche lateinische schriftsteiler.
Die unter dieser Überschrift behandelten stellen des R.
sind leider nicht derart, dass sie zuliessen, ihre quellen zweifel-
los und bestimmt anzugeben. Das liegt in der natur der
sache. Es lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten, woher
der dichter z. b. seine kenntnis des heiligen landes oder sein
naturwissenschaftliches wissen schöpft. Er hatte dafür viel-
leicht gar keine directe quelle. Denn was er berichtet, und
wie er es berichtet, das ist meist gemeinsames wissen der
zeit. Erzählungen der kreuzfahrer, reisebeschreibungen, ge-
Beitrftge mr geschieht« der deuteohen epnob«. XXIII. 28
434
(»EUERE
lehrte compendien fleissig aus- und zusammenschreibender
geistlicher u.s.w. haben dafür gesorgt, die bekanntschaft mit
solchen dingen allgemein zu machen.
Dennoch möchte ich glauben, dass der Reinfrieddichter in
einem teile seiner angaben wenigstens sich seine Weisheit
direct aus den in der zeit meistgelesenen Schriften des Hono-
rius von Antun und des Vincenz von ßeauvais geholt habe.
Ich will damit nicht behaupten, diese beiden mtissten nun für
jeden einzelnen der im folgenden behandelten fälle, wo sie als
gewährsmänner herangezogen werden, wirklich quelle gewesen
sein — und ich füge darum oft auch noch andere belegstellen
hinzu — , aber ich meine, es dürfte immerhin wahrscheinlicher
sein, dass der dichter im wesentlichen alles aus einer oder
aus zwei quellen schöpfe, als dass er seine mannigfaltigen
kenntnisse von überall her zusammengesucht habe.
Unter den Stätten, die herzog Reinfried in Palästina be-
sucht, Ist natürlich vor allem das heilige grab:
18138 nä langen verreu j&ren sider.
daz grap bl der selben zit do Helena lebte, •
stuont vor der »tat ein teil hindan. diu nach dem kriuze strebte,
dö Titus und Vespasiän diu Constantinus muoter wan.
gotes marter rächen nu büte man die stat so daz
und Jerusalem zerbrächen, [vgl. s. 427] daz grap nu in der kilchen lit,
als cronicä diu wäre seit, und dä diu stat bi alter zit
dö wart ez von der kristenheit lac, da lit nu büwes niht,
gebuwen vestecliche wider wan man ez noch verwüestet siht
Dazu vgl. Honorius Augustodunensis, Spec. eccl.: de
inventione sanctae crucis (Migne 172, 947): Helena (mater Con-
stantini) sanctae crucis amorc accensa, Hierosolimam properat;
convocatis Judaeis locum Calvariae sibi demonstrari postulat,
quem tum densitas veprium atque virgultorum operuerat, et ideo
incognitus erat. Kam transactis de passione Domini XL annis
liomani Hierosolimam funditus destruxerant, et aliam
civitatem Helius Adrianus post longo tempore in alio loco
construxerat, quam suo nomine Heliam appellaverat. Do-
minus enim extra portam jjassus et sejiultus legitur;
qui uterque locus quae nunc est Hierusalem hodie ab omnibus
cernitur.
Sicherlich ist für die geschichte der kreuzesauffindung
Honorius dem dichter nicht einzige quelle gewesen; denn dieses
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STUDIEN ZU REIN FR TED VON BRAUN8CHWEIO. 435
•
thema ist in der damaligen literatur (vgl. Massmann, Kaiser-
chronik 8, 849 ff.), auch in deutschen predigten (vgl. Zs. fdph.
27, 195) und jedenfalls in reisebeschreibungen viel behandelt;
für die mündlichen berichte der kreuzfahrer und pilger ferner
musste natürlich das heilige grab den mittelpunkt bilden.
Was mich aber bewogen hat, dennoch hier den Honorius
zu citieren, ist die mit R. übereinstimmende ziemlich ausführ-
liche angäbe über die örtlichkeiten, wie ich sie in den sonstigen
berichten nicht gefunden habe.
Reinfried sieht ferner die stelle da got ze himelriche fuor:
18159 da siner füeze zeichen »tat
in dem steine da er hat
zc jungeat üf ertrich getreten.
Honorius, Spec. eccl. (Migne 172, 958): vestigium . . . quod ascen-
dens harenae impressit, adhuc locus ille retinct Vgl. auch Vin-
cenz Bellov., Spec. hist. 7, 04 aus Petrus Comestor. Beda, De locis
sanctis (Migne 98, 1184).
Legenden, deren im R. erwähnung geschieht, sind folgende:
1) v. 13000 ff. Mariä geburt. — Honorius, Spec. ecclesiae: de
nativitate Mariae (Migne 172, 1000). Alt. pass. (Hahn) s. 5, 63 ff.;
vgl. Anz. fda. 2, 233. — 2) v. 15942 ff. Märtyrertod des heiligen
Mauricius. — Honorius, Spec. eccl.: de sancto Mauricio et sociis
eius (Migne 172, 1005). Massmann, Kaiserchronik 3, 779 ff. —
3) v. 2(5998 ff. Wunderbare Wirkung des leichnams der heil.
Katharina. — Jacob, de Voragine, Leg. aurea c. 172. Pass.
(Köpke) s. 088 f. Im übrigen vgl. Piper, Geistl. dichtung des
ma. 2, 81 f. Knust, Geschichte der legenden der heil. Katha-
rina (Halle 1889). Im anschluss an diese legende erzählt der
dichter von einem kloster, in dem
27008
niht me was wie zwelf liehter Uber al
denn zwelf herren an der zal, schön brinnent nnde reine.
Wenn eins dieser lichter erlischt, muss von den zwölf
mönchen einer sterben; ist dann aber die zahl der mönche
wider ergänzt, so entzündet sich das erloschene licht von
selbst. Dazu vgl. H. Schiltbergers Reisebuch (hsg. von Lang-
mantel, Lit. ver. no. 172) s. 71. Johann von Monte villa I (etwas
abweichend).
Unbekannt ist mir die quelle zu v. 21042 ff.: Salomo habe
28*
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436
GEREKE
edler tiuvel kraft in ein glas verwiirket (nach Pass. [Köpke]
331, 35 ff. m ein vag-, vgl. Wiese, Zur Margaretenlegende, in
den Abhandlungen ... A. Tobler dargebracht [Berlin 1895],
s. 129 f.) und dieses glas aufgehängt in des tempels kröne,
unz die von Babilöne und wanden dinne vinden golt.
sich an den jnden rächen. dö was dez grözen guotes solt . . .
daz glas si dö zerbrachen (lttcke)
Vgl. Vogt, Beitr. 1, 286.
Betreffs der benutzung des Honorius s. auch oben s. 423 t
Honorius hat aus Isidor unter anderem den bericht über die
sämmtlichen wundermenschen und fabelhaften tiere entlehnt,
und es ist möglich, dass der Reinfrieddichter neben dem
Herzog Ernst und Rudolf von Ems auch hierin Honorius be-
rücksichtigt.
Was er über die planeten und über Saturn und Jupiter
speciell sagt, stammt vielleicht gleichfalls aus Honorius;
sicher ist das bei der undeutlichen kürze der betreffenden
stellen nicht zu entscheiden:
18624
ir [der planetenj sibenvalteclicher si gar wunderliche,
die berge gar durchlühten. [schin dö in einem striche
die werden herren dühten iegelicher sunder schein.
(Hon., Imago mundi 1, 68 [Migne 172, 138]).
Saturnus zornecliche mein Jovis des loufes gtiete
tet hie kein ungemüete mit senftecllcher wlse.
(Hon., Philos. mundi 2, 17—18 [Migne 172, 62 f.]).
21383
nam aber des Sternen war vollendet hät sin loufen sus.
der da nä Uber drizic jar man seit ez waer Saturnus.
(Hon., Philos. mundi 2, 17 [Migne 172, 62 f.]).
Ausser Honorius benutzt der Reinfrieddichter wahrschein-
lich den VincenzvonBeauvais. Beide haben nämlich über
die elephanten solche eigentümlich besonderen angaben, dass
ein Zusammenhang mir ziemlich sicher erscheint
Wir lesen im R. von den elephanten, die der könig von
Indien dem herzog als geschenk sendet: 26230 an ketten
fuort man unde göch si gegogenliche. Dazu vgl. Vincenz, Spec.
nat. 19, 39 (aus Plinius): qui tumultuantem (sc. elepJtantem) ca-
tenis coerceant
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
437
26241 f. wird erzählt, dass der elephant seine jungen im
wasser gebiert. Dazu vgl. Vincenz a. a. o. 19, 44 (aus dem Phy-
siologus): tempore vero partus ingreditur aquam usqtie ad ubera
et ibi parit super aquam.
Entscheidend ist aber nun der bericht, wie die elephanten
gefangen und gezähmt werden.
Zwar beruft sich der dichter v. 26267 f. (als ich wol habe
gehoeret) auf eine mündliche quelle; ich glaube aber nicht,
dass man den ausdruck hier so wörtlich nehmen darf. Vgl.
Vinc. 19, 49. Elephas in tibiis iuncturas non habet, ut legitur in
bestiario.* dormientes elephanti numquam recumbunt, sed cum
labore defatigati sunt, arboribus magnis applicati se recreant
et in ipsis suffulti dormiunt. quod eorum venatores attendentes
locum et arbores notant easque paene succklunt. quibus cum
elephantes inniti secundum consuetudinem suam putant, ruunt
arbores et elephanti cum eis ad terram prosternuntur sicque
capiuntur. cum enim elephas ceciderit, surgere non valet. sed
ad eius barritum elephantes plerumque ceteri currunt
et cum se incurvare ac socium erigere non possunt,
gemunt pariter et barriunt (dazu R. 26276 — 26289). (par-
vuli vero elephantes prout valent se secum sua promuscide
supponentes aliquando erigunt sicque de manu venatorum libe-
rant). ideo autem maior elephas cadens surgere non ratet quia
ossa solida sine iuncturis habet, unde tibias et crura flectere
non polest (dazu R. 26254—26260).
*19, 39 (aus dem Physiologus): elephas dum arte hominum
suceisis arboribus ingentia membra committit, tanto pondere
supinatus propriis viribus surgere nequit, quod pedes eius nullis
itistituuntur articulis. sed humano solatio surgit, cuius
arte iacuit. Itaque belua suis gressibus restituta memor
esse beneficii novit in magistrum, quem sibi subvenissc ag-
noscit. ad ipsius arbitrium gressus movet, eiusdem voluntate
cibos capit (R. 26290-26304).
19,50 (ex libro de nat. rer.): itaque venatores in deserto
quaerentes elephantos silvestres, cum eos inveniunt, domesticis
praecipiunt illos persequi ac percutere quousquam oboediant et
defatigati stando quiescant. tunc venatores illos ascendunt et
percutiunt ac pungunt et movent eos ad hoc, ut homines timeant
(R. 26326 ff.).
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438
GEREKE
19, 42 (aus Isidor): in Iiis enim Pcrsae et Indi ligneis turri-
bus collocant: tamquam de muro iaculis dimicant (R. 26344 ff.).
Aehnliches erzählt Bartholomaeus Anglicus, De proprie-
tatibus rerum 18, 43 (Nürnberg 1492), aber einmal fehlt bei
Bartholomaeus, der übrigens älter als Vincenz ist, die angäbe
des Vincenz 19,39 = R. 26230 f.; ferner hat er abweichend
von Vincenz und R. 18, 42: elephas autem cum scdet flectit pede^s,
sed non polest flectere pedes quaiuor propter pondus corporis,
dormit stante corpore et pedes posteriores flectit sicut Jwmo;
endlich fehlt Vincenz 19, 39 (aus dem Physiologus) = R. 26290
—26304 und der bericht von der Zähmung, Vincenz 19, 50 =
R. 26326 ff.
Ungefähr ebenso wie mit Bartholomaeus steht es mit den
angaben des Jacobus de Vitriaco in seiner Historia Hierosoly-
mitana (Bongars, Gesta dei per Francos s.1101).
Alle sonstigen berichte über die elephanten, die ich kenne,
erzählen nichts von fang und Zähmung, und so glaube ich hier
mit ziemlicher Sicherheit den Vincenz als quelle für R. an-
setzen zu dürfen, zumal der dichter bei ihm alle die einzelnen
angaben der verschiedensten quellen vereinigt fand, die er sich
andernfalls aus diesen (Plinius, Isidor, Physiologus u. s. w.) erst
hätte zusammenholen müssen.
Die dromedare, erzälilt der Reinfrieddichter, laufen so
schnell, 26956 daz man cinz hutidert mite het eins tages tcol
geriten. Dazu vgl. Vincenz (aus Isidor) a.a.O. 18,45 centum
enim et amplius miliaria uno die pergere solet.
In demselben Speculum naturale 30, 16 findet sich aus
Augustin die angäbe Adam ibi quoque de diluvio futuro ac dt
iudicio per ignem cognovit et liberis suis indicavit.
Darauf geht direct allerdings R. 19750 ff. wol nicht zurück:
nn hatte Adam offenbar verderben unde toeten.
vor langen stunden das geseit, von disen erozen nreten
got wolt alle inenscheit seit sin wise güete
und alle creätiure lang vor der sintflttete.
mit wazzer ald mit fiure
Hieran schliesst sich nämlich im R. die erzählung, wie die
menschen vor anbruch der sintflut den plan fassten, zwei
säulen aufzustellen, die eine aus marmor, damit ihr das wasser
nicht schaden kann, die andere aus Ziegelstein, damit sie vor
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STUDIEN ZU BEINFUIED VON BRAUNSCHWEIG. ' 439
feuer geschützt ist. Auf diesen säulen sollen dann die taten
der menschen für künftige geschlechter aufgezeichnet werden."
Diese merkwürdige geschiente überliefert Goropius Be-
canus in seinen Hieroglyphica (Antwerpen 1580) 1,11: scribit
... Josephus1) ex suorum hominum, ni fallor, traditione, duas
ante diluvium a Sethinis columnas erectas fuisse; alteram late-
nt iam, ne igne dissiliret; alteram lapideam, ne aquis corrum-
peretur: quarttm utrique astronomiam inscripserunt. aeeepisse
enim ab Adamo geminam totius orbis eversionem futuram, alteram
per vim ignis, alteram per vastam aquarum inundationem; et
uicirco cavisse, ut utrovis modo mundus periret, caelestium saltem
motionum doctrina superesset.
Die combination nun, dass die menschen auf diesen säulen
auch die warnenden lehren aufgezeichnet hätten, die Adam
seinen kindern betreffs der wunderbaren kräuter gab, stammt
natürlich aus dem köpfe des dichters selbst. Offenbar hatte
er daran anstoss genommen, wie es denn möglich sei, dass
in folge der Übertretung von geboten Adams die misgeburten
entstanden sein sollen, da doch die Sintflut ausser Noah und
seiner familie alles lebende vernichtet hat. Da hilft er sich
denn ganz geschickt mit der einfügung der geschiente von den
beiden säulen. Ob er diese aber aus derselben quelle schöpft
wie Goropius, und welches jene quelle ist — denn schwerlich
geht Becanus direct auf Josephus zurück — vermag ich nicht
zu sagen.
Bei der erwähnung der arche Noahs im R. sind mir
übrigens immer folgende worte aufgefallen. Die arche, so
heisst es, wird vom wasser getrieben, 19747 mit hoch für aller
berge joch, die üf der erde ligent noch. Was soll dieser
sonderbare zusatz: die berge, die noch auf der erde liegen?
Zum mindesten gibt es zu denken, wenn wir bei Honorius,
Im. mundi 1, 19 [Migne 172, 127] (bei Isidor u. a. in ähnlicher
weise) lesen: mons Arath, super quem arca Noe post diluvium
requievit, cuius usque hodie ligna ibi videntur. Mir will
scheinen, als ob es sich an der genannten stelle im R. um ein
misverständnis handelt.
Des Vincenz von Beauvais zweites grosses Sammelwerk,
l) Josephus, Antiqu. lud. 1, 2, 3.
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440
»
GEREKE
das Speculum historiale, kommt vielleicht noch für einige
andere angaben im R. in betraeht.
13102 ff.: in der gelübcde arkc, die sich im tempel unter
der aufsieht des propheten Hell befindet, liegen verschlossen
Moyses tcünschelruote, Aarönes dürrcz ris, die steinernen ge-
setzestafeln und ein eimer mit himmelsbrot. In der bibel ist
von dieser aufbewahrung nur in der epistel an die Ebräer
(c. 9, 4) die rede (Moses' Wünschelrute fehlt). Ich glaube aber
nicht, dass der dichter seine kenntnis aus dieser stelle des ihm
wol sicher so genau nicht bekannten Ebräerbriefes hat. Er
wird vielmehr auf Vincenz, Spec. hist. 2, 17 oder Petrus Co-
mestor, Hist. schol. (Migne 198, 1365 f.) zurückgehen. Aber
auch hier fehlt Moses' Wünschelrute; diese hat also der dichter
selbst hinzugetan. Vgl. übrigens Kolmarer meisterlieder, Bartech
6, 200 ff.
Der Reinfrieddichter erklärt, wie wir schon gesehen haben,
im anschluss an Wolfram die entstehung menschlicher mis-
gestaltungen aus der macht gewisser wunderbarer kräuter.
Er weiss aber auch von einem einfluss der Sterne :
der wirt ein diep, der arm, der rieh, mit rehtem loufe hat gezogen.
Dazu citiere ich Hrabanus Maurus, De magicis artibus
(Migne 110, 1098 f.): geneses enim hominum per XII coeli sigm
describunt, siderumque cursu, nascentium mores, actus et eventa
praedicarc conantur, id est, quis quali signo fuerit natus, aut
quem effectum habcat vidae, qui nascitur etc.
Ferner Albertus Magnus, De secretis mulierum, II: de
foetus formatione, der zuerst im allgemeinen vom einfluss der
Sterne auf die menschlichen geburten spricht und dann die
besonderen Wirkungen der einzelnen sterne der reihe nach
durchgeht; z. b. Saturnus . . . facit natum qui sub eo nascitur,
fuscum in colore . . . , Caput turbidum et bene barbatum, . . .
secundum vero animam malus esty multum perfidus et mali-
tiosus Venercm minime diligens etc. . . . ; Mars facit natum
suum rubei coloris . . . ; secundum animam vero fallax, incon-
stans, irascibilis etc.; vgl. Parz. 454, 15 f.
al irdeuiseh tigure
sieh rihtet na der steinen kreiz,
daz man noch kuntlich wol weiz.
19858
der frech, der zage, der minneelieh etc.
der siech, gesunt, der sus, der so,
da nach die Sternen sint geriht
under den ir gebürte pfliht
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STUDIEN ZU BEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 441
lieber Petrus Comestor vgl. s. 413.
Auf irgend eine mittelalterliche lateinische quelle dürfte
endlich wol das ausführlich erzählte Sirenenabenteuer zurück-
gehen (22010 ff.). Durch den bericht des schiffsherra aus Ejulat
verlockt, wagt es Reinfried mit zwei begleitern die Sirene auf-
zusuchen, und nur, indem er sich genau derselben list wie einst
Odysseus bedient, entkommt er glücklich aus ihrer macht.
Odysseus erlebte dieses abenteuer damals, als er den Achilles
bei Lycomedes suchte (22569—71 und 22595—98). Die Sirene,
heisst es weiter, zieht hinter Reinfrieds schiff her:
22610
ir was ze singende so gach, daz ir in dem Hbe brach
do si daz schif entrinnen sach, von Uberdon daz herze.
Dieser letzte zug beruht wahrscheinlich auf freier erfindung
des dichters. Dass er aber eine ganz besondere, eigentümliche
quelle über Odysseus gehabt haben muss, wenn nicht etwa
hier ein irrtum zu gründe liegt, geht aus v. 24541 f. hervor:
der künste riche starp üf dem mer da er verdarp.
Die homerischen helden des trojanischen krieges, um das
hier gleich anzufügen, kannte der dichter sowol aus lateinischen
quellen, als auch aus mittelhochdeutschen dichtern, die die
Trojanersage behandelt haben, so u. a. aus Konrad von Würz-
burg. Auffällig ist es daher, wenn wir gegen alle Überliefe-
rung lesen:
19948
Agamemnon der vor Troie pflac wol üffeu drizehen jär,
rehtes legere offenbar braht nie so manic rotten dar.
Ich möchte deshalb für drizehen: diu zehen schreiben, so
dass also gelesen werden muss: wol üffen diu zehen jär, eine
betonungsweise, die im R. nichts anstössiges hat (vgl. Jänicke,
Zs.fda.17,510).
IV. Bibel.
Dass der dichter eine grosse kenntnis der bibel, besonders
auch des alten testamentes hat, geht aus zahlreichen stellen
seines werkes hervor, wo er scenen aus der biblischen ge-
schiente erzählt oder nur berührt, sei es um diese als analoge
fälle für irgend welche im R. vorkommenden ereignisse anzu-
führen, sei es um bei der Schilderung von örtlichkeiten des
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442
GEHEKE
morgenlandes ihrer Vergangenheit zu gedenken. Solche ge-
legenheiten benutzt er dann bisweilen zu ziemlich weitläufigen
excursen, bei denen sich oft enger anschluss an den Wortlaut
der vulgata zeigt. Er beruft sich mehrfach direct auf die
bücher der bibel, aus denen er geschöpft hat (vgl. s. 377).
Der dichter beherscht den biblischen stoff vollständig,
wie sich daraus ergibt, dass er oft anspielungen macht, wo
der Zusammenhang an sich das nicht nahe legt,
Ich folge bei der besprechung der biblischen citate der
reihenfolge ihrer anführung im R.
v. 8458 Susanna — Dan. 13.
v. 10877 gott Stifter der ehe. Wäre die ehe nicht eine
heilige Ordnung, so hätte ja auch gott (d. h. Christus) und
seine mutter nicht an der hochzeit teilgenommen, bei der
Jesus wasser in wein verwandelte.
v. 10893 als wirz am ctvangeljen hdn — Jon. 2. Nach ur-
alter tradition (vgl. Schönbach, Altdeutsche predigten, anm. z.
1, 259, 19 ff.) wird diese hochzeit als sant Jöhans brutlouf
(v. 10892) bezeichnet,
Da die ehe zwischen Reinfried und Yrkane lange zeit
kinderlos geblieben ist, fleht Yrkane in einer nacht zu gott.
er möge ihr ein kind schenken, und erinnert den herrn
gleichsam an ähnliche fälle, wo er auch noch spät die ehe
gesegnet hat, so u. a. an die geburt des Johannes und des
Samuel.
v. 13046 ff. erzählt der dichter nach Luc. 1 ausfuhrlich
die geschiente von Elisabeth und Zacharias, v. 13082 ff. nach
1. Sam. 1 die von Anna und Elchanä.
Samuel, Annas söhn, weiht den Saul zum könig (v. 13153
— 1. Sam. 10).
In derselben nacht, in der Yrkane so betet, hat Reinfried
einen träum; er meint an der Wahrheit dessen, was ihm im
träume offenbart ist, nicht zweifeln zu dürfen; denn
13428
wir han gelesen offenbar, daz er daz erecheinde
swaz got wilent meinde, dicke in sl&fe totigen.
So hat Ezechiel im schlafe wunderlichiu dinc gesehen
(v. 13434 — Ezech. 1, 1).
Wie dem Reinfried das traumbild dreimal erschienen ist,
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
443
so hat gott den jungen Samuel dreimal gerufen (v. 13446 —
1. Sam. 3).
Auch Yrkane hat einen träum gehabt und erzählt ihn
ihrem gemahl. Er wünscht deshalb ihr diesen deuten zu
können (v. 13691) wie Joseph dem Pharao (Gen. 41) und Daniel
dem Nabuchodonosor (Dan. 4). Merkwürdigerweise heisst es
13691 alsam Josep tet Salamön, offenbar ein Schreibfehler des
abschreibers der handschrift statt Pliaraon, da dem dichter
bei seiner grossen bibelkenntnis solch ein irrtum nicht zu-
getraut werden darf.
Ein ganz ähnliches versehen muss angenommen werden:
26732
dem Joachim nam er sit ze India, wan Jerusalem
zepter unde dyadem von im onch zerstöret wart.
Statt India ist JutUd einzusetzen; vgl. Dan. 1, 1 anno
tertio regni Joakim regis Juda, venit Nabuchodonosor rex Ba-
by Ion is in Jerusalem et obsedü eam (vgl. Zs. fda. 17, 518).
Yrkane ist ihrem gemahl treu und verrät ihn nicht, wie
Dalidd Samsonen (v. 15167 — Jud. 16).
Als Reinfried im heiligen lande sich von der Übermacht
der beiden bedrängt sieht, da vertraut er auf gott, der die
kinder Israel vor den Aegyptern und Pharao rettete, indem er
diese im Roten meer ertrinken Hess (v. 15804 ff.; vgl. v. 26988
— Ex. 14), der Moses und Aaron erlöste, 15819 als ich hän
von Abiron und Dathän in der rihter buoch vcrnonicn. Die
berufung auf das Buch der richter ist allerdings irrtümlich;
denn die geschiente findet sich Num. 16.
Der herr Hess dem Josua zu liebe sonne und mond stille
stehen (v. 15834 — Jos. 10); dem Gideon gibt er ein zeichen
seiner nähe dadurch, dass er das schaffeil uf truhener erden
mäht von touwe naz (v. 15842 ff. — Jud. 6, 36—40); er führt ihn
trotz seiner geringen schar zum siege über die Midianiter
(v. 15855—15883 — Jud. 7).
Die Scheidung der schar am brunnen wird mit ausdrück-
licher berufung auf der buoche schrift (15869) weitläufig er-
zählt (vgl. s. 411).
Mathathias und seine fünf söhne vertrauten auch dem
Herrn, und er schützte sie gegen Antiochus (v. 15904 ff. —
1. Macc. 2).
444
GESEKE
Judith tötete im vertrauen auf gottes hilfe den Holofernes
(v. 15928; Vgl v. 26748 - Jud. 13).
Der Persdn, Reinfrieds treuer begleiter, ist ein freigebiger
fürst und hängt nicht habgierig an seinem gute:
16790
»wer aber startecliche . durch einer nadel rere
i«t sinem guote undertan ein kemeltier e gienge
nnd im dienet «ander wan, e daz in got empfienge
als ich wol sprechen beere, ze siner gnaden trone.
Vgl. Luc. 18,25 - s.413.
den milten ist diu kröne in der üzern vinster bant
der höhen ewekeit bereit da niht wan jamer ist erkant
die argen kargen sint geleit Matth 25, 30. 8, 12.
Als Reinfried all die heiligen statten besucht, an die sich
Jesu geschiente knüpft, erneuert der dichter bei jedem ort die
erinnerungen aus des heilandes leben, von Nazareth und Beth-
lehem an bis zum Oelberg und zum grabe (v. 17981 ff.).
Dabei beruft er sich einmal, v. 18016 ft, auf das buoch
der kintlieit. Welches der apokryphen kindheitsevangelien er
aber meint, ob er vielleicht das gedieht Konrads von Fusses-
brunnen im sinne hat, lässt sich aus seinen wenigen allgemeinen
angaben nicht constatieren.
Zu dem geschlechte der riesen, die im R. mehrfach auf-
treten, gehört auch Goliath (v. 18912), der erworfen wart von
dem werden reinen Daviden dem kleinen — l.Sam. 17.
Auf seiner reise kommt Reinfried nach Susa. Diese Stadt,
bemerkt der dichter, habe könig Aswerus gebaut.
24952 unz an Ethiopiam
des gewalt und siniu rieh
sich witenen zertrande. moht sin gebiet geleite gen
von Indiä dem lande den landen gar gewalteclich.
Vgl. Esther 1, 1 in diebus Assueri qui regnavit ab India
usque ad Aethiopiam.
über hundert künge rieh truog er kröne offenbar,
drin und zweinzic, daz ist war, tuot uns diu biblia wol schin.
Ebenso v. 26718 ff.
Die zahl dreiundzwanzig: XXIII ist offenbar aus XXVII
verlesen; denn in der vulgata heisst es, Esther 1, 1 super cen-
tum viginti Septem provincias.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 445
V. 24966 wird dann von dem feste erzählt, das Aswerus
veranstaltete, und an dem er seine gemahlin (Vasthi) verstiess,
weil sie seinem wort nicht gefolgt war — Esther 1.
In derselben Stadt Susa wird nun eine höchgezit insceniert,
die freilich durch einen bösen Zwischenfall unterbrochen wird.
Das veranlasst den dichter zu der bemerkung:
25002
gewisheit uns der wise tnot ein herze dick erhoehe.
Saiamön in slner schritt hi fröuden rlcher zoehe
daz sich von de« Talles trift lit jainers angel dicke.
Vielleicht bezieht er sich hier auf Prov. 14, 13: risus do-
lore miscebitur et extrema gaudii luctus occupat.
In Susa regiert nach Aswerus Arfaxät:
26722
na im der kfinic Arfaxät, A ssi mm daz rieh dö hat
der M&den künic, über lanc nnd NinivG die grözen stat,
raanic witez riche twanc da von er gröze mäht onch traoe.
und werte daz inz z weifte jür. den künic Arfaxät er sluoc
Nabuchodonosor für war üf Ragan dem velde wit.
Dazu halte man Judith 1, 1 Arphaxad itaque rex Mace-
donum subiugaverat multas gentes imperio suo. 5. anno igitur
XII regni sui Nabuchodonosor rex Assyriorum, qui regnabat
in Ninive civitate magna, pugnavit contra Arphaxad et obtinuit
cum 6. in campo magno qui appellatur Hagau.
Nabuchodonosor führt die juden gefangen nach Babylon
und hält sie dristunt zwenzc und zehen jär fest (v. 26736 ff.).
Seinen hauptmann Holofernes tötet Judith (v. 26748 ff.).
26754
nä im Nabuchodonosor starp von den vil gTözer wunder sint
der DaniGln und diu zwei kint, geschriben, wolt verderben gar.
Dan. 1, 6 fuerunt ergo inter eos de filiis Juda Daniel Ana-
nias Misael et Azarias; es wird also v. 26755 dri statt zwei
zu lesen sein.
Dem Nabuchodonosor folgt sein söhn Balthasar,
26759
der ouch unlange künic beleip.
manes thechel phares im schreip
unsihtecHche an eine want
in siner höhgezit ein hant etc.
Dan. 5.
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446
GEREKE
26768
dä von in der selben naht
kam Parins von Persiä
und sluog in tot: din lant dfi nä
dienden im mit friger ger,
unz daz Alexander,
der zepter und der kröne
traoc zc Macedöne,
Philippen sun, als ich ez las,
der der erste fürste was
dem Kriechen ie wart undertän,
in slnoc snnder valschen wän
mit stritlicher werde,
dem wart al diu erde
gemeinlich undertaenic
und was herren senic
unz an in na der buoche sage.
26784
wert sin keiserlich gewalt.
mit untriuwen wart gevalt
in tot sin vil werdez leben.
niht langer wan üf drige tage
der werde kUnic hat kinde niht
von rehter arte, doch der helt
het zwelf knaben uzerwelt
die von jungen jaren
wirde erwttnschet waren,
den dienden liut und richiu lant.
die zwelf knaben alle sant
wolten künge sin als er.
zepter und dyad$men ger
leiten si mit schalle
gemeine uf sich alle
und wolten haben künges namen.
1. Maccab. 1, 1. et factum est, postquam percussit Alexander,
Philippi Macedo, qui primus regnavit in Graccia, . . . Darium
regem Persarum et Medorum, constituit proelia multa et obti-
nuit omnium munitioncs, et interfecit reges terrae, 3. et per-
transiit usque ad fines terrae et aeeepit spolia mtdtitudinis
gentium. 8. et regnavit Alexander annis XU et mortuus est
(vgl. s. 429). 9. et obtinuerunt pueri eius regnum unusquisque
in loco suo, 10. et imposuerunt omnes sibi diademata post
mortem eius et filii eorum post cos annis multis.
Die zwölf knaben, die Alexanders nachf olger werden,
dürften aus einer Verwechslung mit den zwölf regierungs-
jahren Alexanders entstanden sein.
l.Macc. 1,11 et exiit ex iis radix peccatrix Antiochus.
2. Macc. 7.
Der dichter wirft hier die beiden Antiochi zusammen,
Antiochus IV Epiphanes und Antiochus V Eupator.
26812
die zwelf künge allesant
gewnnnen kint, dä von ir rieh
aber wurden wendellich
zeroteeret und zerteilet sus
von der stunt üf Anthyochus
dem wurzel aller bösheit.
Macchabeörom buoch daz seit,
waz er tet oder ie begie,
wie er die siben bruoder vie etc.
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STUDIEN ZCT REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
447
Reinfried gelangt auf seiner reise mit dem persischen
fürsten an den berg Sinai, wo gott dem Moses die gesetzes-
tafeln gab (v. 26972), und an den berg Horeb, vor dem die
juden das goldene kalb machten (v. 26976). Die bibel versteht
unter Horeb und Sinai ein und denselben berg (combination
aus zwei verschiedenen fassungen); unser dichter redet aus-
drücklich von zwei bergen: v. 26972 daz gebirge SQnäi, v. 26976 f.
ze Öreb . . . üf dem berge underhalp.
Reinfried sieht den felsen, aus dem Moses mit seinem
stabe wasser schlug (v. 26980 — Ex. 17), er kommt in die
wüste, wo die kinder Israel das himmelsbrot fanden (v. 26990 ff.
— Ex. 16). Endlich erblickt er auch das geheizen laut, in
dem milch und honig fliesst, und die trauben so gross sind,
dass sie zwei männer tragen müssen (v. 27026 ff. — Num. 13,
24. 28). Babylon besucht er, 27043 da Babel der tum at&t,
von dem alliu zunge hat noch wandellicJie spräche — Gen. 11
(vgl. s. 412).
Er sieht die statte von Sodom und Gomorra, bei deren
brande (v. 27071 ff.) allein Lot und seine beiden töchter, mit
denen er nachher kinder zeugte (v. 27085 ff. — Gen. 19, 30—36),
gerettet wurden, und erblickt in einer höhle sogar die Salz-
säule, die einst Lots weib gewesen war (v. 27091 ff. — Gen.
19,26; vgl. oben s.412).
V. Altlateinische dichter.
Die beiden römischen dichter, die im mittelalter das
grösste ansehen genossen, und am meisten bekannt waren,
sind unzweifelhaft Virgil und Ovid.
Und so hat sie denn auch der Verfasser des R. gelesen.
Er kennt die Schicksale des Aeneas und der Dido (v. 3210 ff.
und v. 15260 ff.) und citiert v.3216 ausdrücklich Virgil (Aen.
4, 641 ff.).
Dass Ovid besonders von der minne gesungen hat, sagt
er v. 24562 f. und v 1()772
ich wa>n und lebt Ovidlus, wie si mit blösen üben
er müht ez niht volschriben, sich umb einander wunden.
Dabei denkt er gewis an die Ars amandi.
Die im mittelalter bekannteste erzählung aus den Meta-
morphosen ist die geschiente von Pyramus und Thisbe (Met.
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448
GEKEKE
4,55—166); auf sie spielt der Reinfrieddichter v. 15266 ff. an
(vgl. Bartsch, einleitung zur ausgäbe Albrechts von Halberstadt
s. lx ff.).
Aus den Metamorphosen (5, 385 ff.) kennt er wol auch die
erzählung vom raub der Proserpina (v. 16442): er hat aber
daneben Claudians gedieht De raptu Proserpinae gelesen, wie
wir gleich sehen werden.
Wenn er v. 25284 ff. die erstürmung des himmels durch
die giganten Atlas und Enschelades und ihre bestrafung durch
Jupiter erwähnt, so beruft er sich zwar auf eine andere quelle
als auf Ovid: 25292 als Phenstis fabcllichcn sprach gm der
wandels frien junefrouwen Alacien, d. h. auf Theodul (ecl. 85 ff.),
wie Laistner (Germ. 26, 420 ff.) nachgewiesen hat (Phenstis
fälschlich statt Pseustis). Aber in dieser ekloge fehlen die
namen Atlas und Enschelades: Theod. ecl. 85
surrexere viri, terra genitrice creati,
pellero caelicolas fuit omnibus una voluntas:
mons cumulat montem,1) sed totum Mulciber hostem
fulmiue deiectum Vulcani trusit in antrum.
Diese namen wird der dichter vielmehr aus Ovids Met.
1, 151 ff. haben (Bartsch, Albr. v. Halb. s.Lxxm). Ich erinnere
noch daran, dass Claudian gleichfalls eine Gigantomachia ge-
dichtet hat.
Ferner finden sich im R. mannigfache anspielungen auf
die Heroiden. In v. 24534 ff. zählt sie der dichter fast alle der
reihe nach auf (Bartsch, Albr. v. Halb. s. xvm): 24534 ff. Bene-
lope dem helt Ulixes brief unt boten sante, Her. 1; — 24544 ft
Dido schreibt an Aeneas, Her. 7; — 24548 ff. Briseida schreibt
an Achilles, Her. 3 (die form Briseida statt Briseis findet sich
zuerst bei Dares Phrygius, vgl. Dunger, Die sage vom trojan.
kriege s. 9); — 24552 Pillis grözer liebe aht schreip dem helt
Demesticö, Her. 2 (Demesticus sagt der dichter irrtümlich statt
Demophoon); — 24554 f. Helena schreibt an Paris, Her. 16;
24556 f. Medea an Jason, Her. 12. Auf Her. 15 beziehen sich
jedenfalls die verse
15184 ff.
»i gap oueb disem unde dem als man von der reinen
niht tröst mit sinnes meinen, Helenen seit ftz Kriechenlant.
') R. 25290 berc äffen berge hüien.
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 449
Vgl. Ars am. 2, 359:
dum Menelaus abest, Helene, ne sola iaceret;
hospitis est tepido nocte recepta sinn.
Für die erzählung von des Achilles aufenthalt bei Lyco-
medes, seiner liebe zur Deidamia und auffindung durch IJlixes
nennt der dichter v. 22592 des Statius Achilleis als quelle.
Obwol ihm diese geschiente auch von anderswoher bekannt
sein konnte und auch wol sicher wirklich bekannt war, z.b.
aus Konrads von Würzburg Trojanerkrieg, haben wir doch
keinen grund ihm nicht zu glauben, dass er den Statius ge-
lesen hat. Die angäbe v. 22574 (wie Scharon zöch den heren)
ein halp ros, ein halber man fehlt im Statius; also ist hier
daneben eine andere quelle benutzt (vgl. Strauch zu Enikels
W. 14551).
Endlich citiert der dichter noch v. 22488 den Claudian
für Orpheus, und zwar bezieht sich dieses citat auf das gedieht
De raptu Proserpinae; vgl. Claud. 34, 25 vicinumque lupo prae-
buit agna latus: R. 2248G der Wölf daz schaf dar fuorte fridelich
an arbeit.
Dritter abschnitt Stil und spräche.
A. Stil.
K. Eichhorn hat in seinen Reinfriedstudien (teil 2, Pro-
gramm des gymnasiums zu Meiningen 1892) die hauptsäch-
lichsten stilistischen eigentümlichkeiten des dichters zusammen-
gestellt, ohne jedoch zu untersuchen, ob er in seinem Stil
irgend einem bestimmten vorbilde gefolgt ist.
Aus unseren bisherigen ausführungen hat sich ergeben,
dass der Verfasser des R., was den inhalt seines Werkes be-
trifft, ausser durch die Spielmannsdichtung besonders stark
beeinflusst ist von Konrad von Würzburg und Rudolf von
Ems. Beide sind seine landsleute, beide durch quantitat und
qualität ihrer produetionen in hohem ansehen stehend, zwar
selbst nur epigonen, aber doch ihre mitepigonen weit über-
ragend. Sie haben ihre kunst von Gottfried von Strassburg
gelernt; von allen dreien lernt der Reinfrieddichter, ihren stil
bildet er, wie sich zeigen wird, bis ins einzelnste nach. Bei
der nahen bertihrung der drei lässt sich natürlich nicht immer
Beiträge tur geschieht« der deutschen «prenbe. XXI1L 29
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450
GEREKE
mit völliger Sicherheit constatieren, was im R. aus Konrad.
was aus Rudolf und was aus Gottfried stammt Bei weitem
das meiste jedoch — so viel steht fest — geht auf Konrad
zurück; denn dieser hat unsern dichter auch stofflich am
stärksten beeinflusst.
I. Stilistische eigentümlichkeiten im sprachlichem
ausdruok.
1. In der formulierung des einzelnen ausdrucks und
gedankens.
Unter den stilistischen mittein des Reinfrieddichters sind
Eichhorn am auffallendsten die erschienen, durch die, wie er
sich ausdrückt, die darstellung zum verharren genötigt wird.
Diese gewisse breite und wortreiche fülle des Stils möchte
ich als besonders charakteristisches merkmal Konrads in an-
sprach nehmen. Fast alle erscheinungen, die hierher gehören,
ziehen sich schon als ein sanfter bach durch den Tristan hin ;
bei Konrad schwillt der bach zum fluss, und im R. wird er
gar zum ström. Der naclifolger übertreibt seinen Vorgänger.
a) Tautologien.
Die häufung verwanter begriffe in zweigliedrigen,
durch und verbundenen tautologien lässt einen gewissen
parallelismus der anordnung erkennen.
Ich verzichte natürlich darauf, alle beispiele aus den ca.
28000 versen hier aufzuzählen und begnüge mich für diesen
punkt sogar nur mit der anführung einiger weniger Verbin-
dungen, indem ich in der hauptsache hier auf Eichhorns
Zusammenstellungen verweise.
Entweder werden zwei begriffe verbunden, die nur nach
ihrem bedeutungsinhalte zusammen gehören, also
substantiva: 3951 mändel unde wcngel, 5143 truren
unde leit, 5293 leides unde sorgen (6709), 9298 lastet unde
scJuinde; adjectiva: 4163 froelich unde scheene, 4727 unlidic
unde bitter, 8684 vest und ellentrich, oft lidic unde fri (1289.
1587. 3231. 8388); verba: 3741 schuhen unde fliehen, 3863
prüeven unde schouteen, 4548 prüeve unde kenne. 4769 tneren
unde wahsen, 5341 siufeen unde truren, 8962 vdhten unde
rungen (11270. 15769), 17256 flehten unde baten (6258. 9958).
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STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUNSCHWEIG. 451
Oder beide glieder haben stammhafte allitteration: 15969 fr 6
unde frwüch, 25583 fraglich und fro 15129. 14754. 23823 (beide
Wörter von demselben stamm; vgl. Trist. 6581. 12382. 14367).
Natürlich sind die alten formelhaften Wendungen vertreten:
39 liep unde leit, 118 leben unde Up, 134 witwen unde weisen
(140), 138 scJUrm unde schilt, 198 singet unde saget, 6120 Mute
unde lant (20684. 20716).
Am häufigsten ist der fall, dass beide glieder durch gleiche
präfixe alliterierend verknüpft sind (für Gottfried s. Preuss,
Strassb. stud. 1, 7 f.).
Verba: 9214 geblüemct und geroeset (19226; — Engelh.
478. Part. 3646. Süv. 68. 835. Gold, sclim. 618. Troj. 16194. 35912.
Kl. d. kl. 2, 8), 4820 erniuuet und erfrischet (7047. 14680; —
Part. 12539. 14723), 5783 versigelt und verstoßen (5845; —
Trist. 17822). Die beispiele sind überaus zahlreich (vgl. Eich-
horn). Bisweilen tritt zu den zwei gliedern noch eins am
schluss des voraufgehenden verses hinzu. Ich nenne zu den
bei Eichhorn aufgeführten Verbindungen noch folgende: 17335
gedratget, geflogen und geweeget, 21123 erahten, erdenken noch
ertrahten, 24813 versigelt, verslozzen und verrigelt, 27409 ge-
stillten, gekeren noch gerihten;
substantiva: 675 von künden und von gesten, 14351 gen
künden und gen gesten (sehr häufig bei Konrad. Trist. 6297.
12541), 11648 ze bette und ze tische (Engelh. 1947. Trist. 15394).
Ich zähle, weil sie Eichhorn nicht hat, die Wendungen noch
besonders auf, in denen sich ausser gleichen präfixen auch
noch stammhafte alliteration findet: 12602 an milte und an
muote, 12724 an nuinheit und an milte, 17272 an gelte und an
ffiwte, 21659 mit buoche und mit bilde, 24603 daz klagen und
daz klbuwen, 17009 mit werken und mit Worten (15197; —
Engelh. 746), 957 in stürmen und in striten (22230; — aus
der spielmannspoesie; vgl. oben s. 376).
Beliebt vor allem sind Verbindungen wie: 1102 Up und
herze (6193. 6696), 1909 sin sin und sin gedanc (4228), 2393
an herzm und an sinnen (2417. 4175. 4209. 4225. 4359. 4590.
6850. 17272 etc.), 3674 sin und herze (4231. 4272. 4478. 5222.
5336 etc.), 4565 der sin und ouch der muot (4717. 6695), 4713
herze und gemüete, 4722 herze und die gedenke (6304), 5328
min Up und ouch der muot
29*
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452
GR KEKS
Tritt nun ein epitheton zu den beiden so gepaarten be-
griffen hinzu, so lässt sich constatieren, dass der dichter hier
der weise Konrads folgt, d. h. das epitheton tritt zum zweiten
begriff, wenn es inhaltlich auch schon zum ersten begriffe mit
gehört (vgl. Joseph, QF. 54, 45 ff.): 151 an ere und an werden
siten, 2511 fröude und hohe wunne (bei Konrad fast stehende
formel), 5359 an urloup und an alle sage, 10558 durch ere
und durch werdiu wip, 12133 klag und jämerlichiu not.
Ueberhaupt verträgt das zweite glied viel eher eine be-
schwerung als das erste: 625 durch ere und w erder wibe segen,
2813 lop und miner eren pris, 5413 den künc und al das rieht.
1546 ir lande noch ir namen pfliht, 10545 diu mwre und des
Kampfes vart, 12744 min sin und mines herzen kunst, 14067
mit Up und mit dem guote, 14084 dur guot und dar die
künegin, 14179 mit guot und mit des libes Uder; vgl. auch
4481 so vil und also lange, 4859 so vil und also dielte, 8957
so gröz und also mehtic, 14990 so liep und also leide (Engeln.
935. 1257. 1286. 1499. 1666. 1991. 4663. Part. 1111. 1863. 1941.
4403. 8525 etc.).
Besonders häufig ist folgender fall: sollen zwei synonyme
oder überhaupt begrifflich verwante Wörter (verba) gepaart
werden, so werden sie auf zwei verse verteilt, und das zweite
erhält irgend einen erweiternden zusatz (Joseph a.a.O. s.70):
1912 sus wart sin kraft erfrischet und lüterlich emiuteet, 3448
müese schiere heilen und minnecUch verwaisen, 6463 sus lert
diu minne liegen und wandelUchen biegen (5879 f. 6975 t 14139 t
23551 f. 23647 f.); 505 des teil ich iueh uz rihten und üf ein ende
sli hten, 3399 iueh einen knappen rüemen und so mit Worten
bläetnen, 4251 die dar uz vielen und üf von lierzen Wielen
(4273 f. 5337 f.).
Natürlich finden sich auch ausnahmen; aber die fälle, in
denen das erste glied erweitert ist, sind wie bei Konrad ver-
hältnismässig selten (2409. 2431. 3353. 3458. 7181; — 8949.
2485. 12391. 12473).
Der parallelismus der anordnung, der in diesen zweiglied-
rigen tautologien hervortritt, ist nicht mehr vorhanden in den
mehr als zweigliedrigen Verbindungen. Namentlich
häufig sind Zusammenstellungen von drei gliedern, deren
letztes mit und angereiht ist: 225 ir herze ir leben und ir
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 453
tnuot, 3219 min sin min herze und min gedanc, 3338 herz Up
sin und da zuo muot, 9383 Up sin herz und ottch ir muot,
3599 herze leben unde sinf 5001 din Up din leben und din sin,
8859 ir sin ir Up und ir gedanc. Beliebt vor allem bei Eudolf
von Ems: Gern. 7. 88. 127. 1029. 3971. 5055. Barl. 39, 39. 276,6.
341,37. Ich erwähne besonders beide herze sin und muot
und stelle dazu: Barl. 9, 5. 26,20. Weltchr. Rudolfs, Schütze
2, 115, 35. Stricker, Dan. 33. 373; Karl 1507. 4828. 6298. Ausser-
dem vgl. Zingerle, Germ. 6,224. Jänicke zu Staufenb. 1112. —
Weiter: 918 zuht er und miltekeit, 2609 guot soelde und ere;
— 6179 Up leit unde klagen, 8186 ir leit ir sorge und ir we;
— 9947 Up guot friunt und mäge, 11825 gelt guot Hut und
lant, 11586 art guot gelt lant und Hute; — 123 ze swerte sper
und schilte (4417. 7012).
1691 treest hilf und gib mir rät, 7285 hiez flehte unde bat,
11800 merke prüeve unde spüre, 12513 birsen beizen unde
jagen.
2210 wtze dünn und kleine, 25232 leidic trüric und unfrö;
— 26381 brün rot gel wtz grüen unde bld (Part. 12248. 13446.
14186. 15506. 21342. 21700. Troj. 1410).
Sehr ausgedehnt ist im R. nun endlich noch der gebrauch
der asyndetischen Verbindungen. Entweder reiht der
dichter die begriffe an einander, indem er zu jedem einzelnen
artikel, pronomen oder präposition hinzusetzt: 176 din nam
din Wirde, 180 din er din lop, 4376 sin mahl sin gelt, 6408
min sin min herze (6508. 9392), 6907 diu turteltüb daz golt
der kus, 10150 st» gelt sin guot sin Up sin leben sin Hut sin
mag sin art sin lant, 13176 ze bett ze tisch ze weg ze sträz
u.s. w., oder ohne solche präflxe: 696 ritter gräven frigen (2731.
6582. 8324. 9135. 12711. 14023), 4204 tanzen ballen springen
singen schallen swigen harpfen rotten gigen pfifen hei tambüren
(die zuletzt genannten Verbindungen sind auch sonst sehr häufig,
namentlich bei Gottfried und in seiner schule); 11122 triuwe
mdze milte zuht schäm ktusche bescheidenheit demuot gedult
stcetekeit (122201 122691); — 10611 loup gras tier vogel w int
regen donre ; 417 orse kleider liehtiu wät, 453 mit kleinet har-
nesch Hehler wät, 9935 bürge stet gelt witiu lant.
Bisweilen mit amplificatorischem abschluss: 15665 naht tac
alle stunt, 15809 ros man wegen alle diet\ 2247 kröne schappel
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454
GEREKE
gelwez här stirne bräwen öugel klär nase mündel tume hü ffel
tcengel kinne kele neckel al der Up (Trist. 923. Part. 12562).
Rudolf von Ems verwendet ganz besonders häufig solche
asyndetischen Verbindungen. Zum beweise stelle ich nur die
aus dem Barlaam in betracht kommenden zusammen: 35.38.
36,28. 54,15.17. 65, 13 f. 98,15. 111, 13 f. 112, 32 f. 115,35.
149, 28f. 155,27. 160,8. 162,26. 202,27. 221,7. 219,3t 266.17.
271, 2. 273, 29 f. 32. 285, 19 f. 297, 29. 310, 27. 363, 33.
Dasselbe stilmittel, häufung des gleichartigen, erkennen
wir in der manier des dichtere, verschiedene hülfsverba
zu verbinden, lediglich aus dem gründe, um den ausdruck
voller zu gestalten: 6040 nu kond er noch enmohter, 6300 er
wolt und muose minnen (7895. 8853. 10182. 11889. 12539); -
12989 geleben mac und leben sol (13460. 13925. 14177. 14180.
14258. 15641. 16779. 20306. 26568. 27125); — 1598 »im Up sol
unde muoz arbeiten üf die zuoversiht, 2424 da von sol ein iec-
Uch munt und muoz ein teurer böte sin, 15008 sit daz du niht
mit bi mir sin noch getarst noch solt noch maht. Freilich
treffen wir diesen gebrauch ausser bei Gottfried und seinen
nachfolgern auch sonst in der höfischen epik an, doch nirgends
in so ausgedehntem masse.
In ganz ähnlicher weise werden verschiedene tempora
desselben verbs aneinander gereiht, wo dem sinne nach
eine form ausreichen würde (Eichhorn wendet dafür den aus-
druck polyptoton an): 3015 beschehen ist — beschiht — beschach,
3590 ist beschehen und beschiht (5638), 4058 des ich niemer
het gedäht noch gedachte, 5123 dienet und gedienet hat, 11104
minne dtn gcwalt was ie und ist und muoz iemer sint 13454
got hat getan ze manger stunt und tet ie und tuot noch (3456.
4284. 6048 f. 8413. 11981 etc.).
Auch orts-, zeit-, conditionalpartikeln etc. werden
so gehäuft: 6872 swenn und swd (7672), 7031 wie und w<i
(10547), 8029 wie ald wä ald war (9191), 9555 wie— wer —
wie war umbe oder wd von (12075). 4640. 9601. 12180. 13729.
15437. 15455. 15921 etc.
b) Antithesen.
Das dem vorigen entgegengesetzte verfahren ist dies:
gegensätzliche begriffe zusammenzustellen oder, wo ein be-
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8TUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 455
stimmter ausdruck erfordert wird, zugleich das gegenteil hin-
zuzufügen. — Die anwendung der antithese ist mannigfach
variiert
Am einfachsten ist die form, dass ein Substantiv mit
seinem attribut in Widerspruch tritt: 1266 süezer wunden
wunt, 1267 ir süezer smerze, 1288 diu süeze strenge minne
(1988), 1295 süeze z ungemach, 1399 minnecliche swmre.
Oder das Substantiv tritt mit seinem prädicat in
Widerspruch: 4948 er wolle in dem ßure heizet minne erfrieren,
4954 sin süeze fröude süren kund im mit höhen riuwen (Trist.
11889), 4710 diu süeze kan mir süren, 16866 ir süeze diu kan
süren, ir liebe diu kan leiden. Dazu vgl. Preuss a. a. o. 1, 1 ff.
Der ausdruck bekommt so zuweilen das aussehen eines
paradoxon: 1800 in kurzer lenge (11190. 14275. 20084),
11065 mit fröudem rxchem leide, 13357 wachender sldf, 18490
der lebende töte (Trist. 1845 und ist ein lebelicher tot, 18234
sin Übender töt [18472]; — 7741. 7788. 9596), 11746 bezzers
boesers nie niht wart, 13022 ir leben was des tödes töt, ir höher
funt der helle vlust, 16124 des wart ir senftez sldfen unsenf-
teclich erwecket (Trist. 12194. 19031), 20088 diu swert ze beiden
ftanden diu wip unwiplich nämen. Solche Oxymora liebt natür-
lich Konrad auch (vgl. Joseph s. 43).
Weiter werden gegensätzliche ausdrücke gepaart:
8242 vertust und ouch gctvinne, 8868 gewin und ouch Verluste,
8264 sorgen unde minne, 9093 mit übel noch mit guote (10087);
3780 wintcr unde sumer, 13167 tac unde naht (13175. 16732
etc.), 4952 äbent unde morgen (5204. 6165. 7146. 7849. 8254.
15644. 16748. 24336), 5380 äbent unde fruo; — 8245 trüret
nu und was nu frö, 10613 binden und entstricken, 11149 bindet
und enbindet, verliuret unde rindet, si schiltct unde grüezet, si
siuret unde süezet, si leidet unde fröuwet U.S.W. — 11163; —
9428 beide arm und da zuo rieh, ze orse und ze fuoz gelich,
verveäpent nacket unde blöz, wip und man, klein und gröz,
12664 der witzic und der tumbe} der arme und der riche, junc
und alt geliche, klein gröz, edel swachiu art, 14257 den mimten
und den meisten, 14334 den minsten und den nierren (17666),
8995 stille und offenbar (Part. 1835. 4359. 8591. 9633. 11620.
17059. Troj. 12943. 19002. 19294. Silv. 213. Welt lohn 50;
vgl. Jänicke z. Stauf enb. 1188); 11517 offenlich und tougen
456
GEBEKE
(1153. 9404; — Part. 2097. 6733. 8591. 15339. 18537. Silv. 1326.
Trist, 8117. 11510. 16349), 20780 stille und überlüt (Engeln.
4354. 5008. 5078. Part. 7068. Silv. 5207 [Gold. schm. 1919]. -
Barl. 260, 6 [383, 31]; vgl. Jänicke z. Stauf enb. 760).
Ganz wie bei Gottfried werden zuweilen beide begriffe
anfangs zusammengestellt und dann jeder für sich
behandelt: 17166 von Babilon dem vogte was dirre mcere
underscheit beidiu liep und da zuo leit, lieb umb die fraglich
angesiht, leid umb die kampßiche pfliht; vgl. 2808 ff. 4009 ff.
Trist. 937 ff. 3149. 4705. 8658. 15538. 16758 (Preuss s. 24).
Etwas anders 24338 so daz der junge künic reht von Assyrie
soltc nen wip, und solte im die gen von Aschalön des landes
wirt. gen und nen man niht verbirt.
Es werden aber nicht nur einzelne ausdrücke, sondern auch
ganze gedanken antithetisch gegenübergestellt, in-
dem entweder der erste gedanke im zweiten gliede einfach
umgekehrt wird (spiel des gegensatzes): 2230 als ir schin dem
golde bot und daz golt dem sehine wider, 2966 da kan minn
ere heren und hert ouch ere minne, 12846 wie leit daz liebe
pfendet und liep daz leide staerct, 13760 in vinden ich verloren
hän: so vind ich in Verluste, 17680 daz krump machent si
slehte, daz slehte si künnent krumben (Trist. 30. 2019. 9874.
9878 etc., Preuss s. 27), oder indem überhaupt zwei entgegen-
gesetzte gedanken zusammentreten: 49 im himel dort, üf erden
hie (10935), 10903 gen gote dort, der weite hie (12647. 13863.
14355); 11103 vor gote dort üf erden hie, 23499 hie der weit
und dort vor got\ — 12443 den gesten liep, dem wirtc leit,
12573 dem knehte hie, dem ritter dort; — 11414 der tac zergie,
der abent an vie sunder missewende, 16081 diu naht diu kan,
der tac verswein (7420 f. 11168 ff.); — 1318 si störten senden
riuwen und brähten lustic girde, 7018 sin herz an schänden
leeret und üffet an den eren (2100 f. 11850 f. 11866 f. 16860 t);
— 2390 ez fröuwet in dem leide und smirzet in der liebe, 4727
in pures gluot ich zitter und switze in kaltem froste, 14880
si siuret in der güete und liebet in den leiden.
Sehr beliebt, wie auch sonst, ist es im R., zwei personen
und das von ihnen ausgesagte antithetisch darzu-
stellen: 3792 swaz er wolt, daz vander an ir nä eren kröne,
diu minnecliche schöne vant ouch swes si gerte an im, wan er
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
457
gewerte si mit stcetes herzen sin, swes n muoten ntoht an in
(vgl. Part. 1725 ff.); 3848 si was siner fröuden glänz, er irs
herzen liehter schin. sin munt an ir mündelin, ir wange an sin
wange etc., 11005 er was ir wünsch, si was sin heil, er was
ir Up, si was der teil an dem sin höchste fröude lac. er was
der sorgen niderslac, si was sins herzen wunne etc. (3774 ff. 9258.
12783. 12934 f.). Oder: 1896 wie jenen dort gelinge und disem
hie, daz leben sin, 9283 sprach einer hie, der ander da, 11406
wie jene dise twingen und dise jene verseren.
Häufig sind die antithesen hin — her, har — dar, sus —
so: 5662 alsus fuor si har und dar mit den gedenken sus und
so, 2463 nu wendet hin und denne har, 6885 har noch dar.
Meist tritt noch anaphora hinzu: 4869 nu sus, nu so, nu
hin, nu her, 11267 nu hin, nu har, nu dort, nu hie (11333),
15675 nu hie, nu dort, nu dort, nu hie; 2664 nu wil er hin,
nu wil er her, nu wil er sus, nu wil er so, nu ist er trüric,
nu denn frö, nu wil er diz, nu wil er daz, nu liebet im, nu
treit er haz (6645. 10076 f. 12120 f.).
Oft werden zwei eigenschaften entgegengesetzt,
fast immer mit anaphorischer gliederung: 8791 ez si
übel, ez si guot, ez si trüric, höhgemuot, ez si leidic, ez si frö,
ez si nider, ez si ho, ez si swaeh, ez st gesunt; 16280 waz wosr
tunkel, wair niht klar? waz weer liep, w&r kein leit? waz weer
ruow an arebeit u.s. w. — 16293.
Eine ganz besondere art der antithese endlich findet noch
anwendung, wenn eine eigenschaft dadurch hervor-
gehoben wird, dass sie erst positiv, dann negativ
ausgedrückt wird (vgl. Kinzel, Zu Wolframs stil, Zs. fdph.
5,12): 9088 der rösche, niht der lazze, 18896 der starke, niht
der kranke, 20120 diu freche, niht diu kranke, 20236 der wise,
niht der tumbe.
Hierher gehören auch Wendungen wie 1213 einheUeclichen
sunder haz, 9919 stände sunder kniuwen, 11874 mit eren sunder
schände, 12052 mit fröuden sunder schände, 15543 tougenlidien
sunder braht, 24675 frwlich sunder riuwe, 25097 snelle sunder
trägen; — 7475 snelleclich unträge (11324. 11456. 13936. 23729),
11845 offenlich untougen, 25074 offenlich niht stille (vgl. Kinzel,
Zs. fdph. 5, 13).
458
GEREKE
e) Umschreibungen.
Ein weiterer grund für den breiten Charakter des stils im
R. ist der, dass der dichter sich oft nicht mit der einfachen
bezeichnung einer person, eines gegenständes, einer handlung
u.s.w. begnügt, sondern dafür einen umschreibenden oder
irgendwie erweiternden ausdruck anwendet
Ganz wie Konrad vermeidet er 'den einfachen sub-
stantivischen begriff, indem er ihn 'von einem anderen
Substantiv als einem umschreibenden begriff ab-
hängig' macht (vgl. Joseph a.a.O. s.33ff.; hier auch zahl-
reiche beispiele aus Konrad).
Es wird z. b. der eine begriff abhängig gemacht von einem
inhaltlich übergeordneten oder gleichgeordneten: 557 mit hohes
bratitcs dön, 1428 schalles braht (4213. 6991); 645 sam eins
dttnres döz; — 547 mit gewaltes tnaht; — 200 sunder vorhtes
zitier (758. 10092), 1006 sunder vorhtes kip, 13611 sunder
vorhte schrecken:, — 339 hazzes nit (12735), 22773 sunder
hazzes kip; — 12771 sunder spottes schimpf] — 1841 sunder
zwivels wanke, 13039 an zwivels meine, 13225 sunder zwivels
zadel; — 14973 sunder meines schände, 21335 sunder meines
tragen; — 301 ze mitter meigen zit, 1197 üf des äbents zit,
12941 manges järes zit; — 2497 üf der wisen velt, 7377 uf
des Veldes plane; — 3501 üf wäges flüete, 15421 üf des wilden
mores flttot, 16419 üf des wilden mercs vart; — 15375 in des
windcs luft; — 15824 sunder strites vehten, 15892 mit siges
strit; — 195 in aller lande krciz (4275. 4434 etc.), 1063 üf
des ringes krciz, 1564 üf der plante kreiz; — 4409 durch aller
lande rinc, 10646 tu der weite ritte.
Beliebt sind die Umschreibungen mit pfliht: 1150 mit siner
ougen pfliht, 1546 ir namen pfliht (1963. 1950. 2264. 2515.
2623. 3041. 3172. 4019. 4030. 4708. 5881. 6073. 6734. 674«
etc.; — Engelh. 800. 4798. 5371. Part. 7907. 9207), und mit
stiure: 1243 nd höher eren stiure, 7294 na hoher koste stiure
(3826. 5231. 5441. 7263. 7386. 7775 etc.); ferner solche wie
552 in keins herzen sinne, 1097 manges herzen sin (1285. 1423.
1962. 2453. 2670. 3402. 5931 etc.), 1149 vor sins herzen an-
gesiht, 395 in sins herzen grünt (1265. 1398. 5498. 6913 etc.;
— Engelh. 2M3), 79 sines vesten herzen brüst (Troj. 2726).
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STUDIEN ZU BEIN FRIED VON BRAUNSCHWEIG. 459
Zweimal umschrieben: 4677 mit herzen grundes sinne, 471 mit
ungewiters dunres krach (Engelh. 1950 sines muotes herzen gir).
Häufig wird ein begriff abhängig gemacht von einem
charakteristischen merkmal: 851 der rurte gliz, 864 sunder
ruomes gliz; — 464 nd höher wirde gelt; — 808 der liehten
sunnen glast, 7421 des morgens glast, 8272 f. der sternen glast
verborgen lac von der wölken decken, 14899 des liehten morgen-
sternen glast, 14897 des vü liehten morgens breiten; — 1110
diner gneisten funken, 1787 des tcilden fiures gneisten; — 767
üf des schiltes tach (968. 1036. 1486. 1513. 9965 etc.), 834 des
randes tach, 866 sins helmes taeh (1505. 1915); — 1616 in des
todes grimme (22448), 13395 von sorgen quäle; — 1652 des
jämers überflüzze, 3272 durch mines dienstes pinen, 4730 des
jämers koste; — 599 nach des Wunsches segen, 2265 nd wun-
sclies luste, 2647 der minne twingcn, 5039 mit tröstes gingen.
Umschreibung durch metaphorische ausdrücke: 221 der
minne stricke (444. 1395. 2002. 5187), 6526 der sorgen stricke,
15311 tödes stricke; — 327 dankes gruoz, 1597 kusses gruoz; —
1757 fiures blicke, 13382 in jämers fiur; — 2399 leides angel
(6325. 11522), 3703 untriuwen angel, 5391 der minne angel;
— 6164 des jämers flecke, 15476 lasters flecken; — 8649 von
weinens regene; — 13194 uz jämers fürte, 16762 in eren fürte;
— 22042 leides orden, 22958 von strengen jämers Ofden.
Das wort pfliht, das, wie oben bemerkt, gern bei dieser
ausdrucksweise Verwendung findet, wird auch oft mit einem
adjectiv verbunden, um den in dem adjectiv liegenden begriff
als Substantiv zu bezeichnen. Und zwar gebraucht der dichter
für diesen fall adjectiva auf -lieh, von denen er eine zahllose
menge hat: 3297 mit dienestlicher pfliht, 3504 mit eineclicher
pfl, 4897 nä wirdeclicher pfl., 6010 zornliche pfl, 6605 nd künec-
licher pfl., 7208 jämerliche pfl,, 8077 mit tougenlicher pfl., 8477
mit urteillicher pfl., 10494 mit snelleclicher pfl., 13502 in släf-
licher pfl,, 15517 mit hinderredelicJier pfl., 17170 kämpf liehe pfl.,
22800 isenliclie pfl,, 25112 mit gevanclicher pfl.
Für pfliht kann ein anderer allgemeiner oder specieller
begriff eintreten: 5401 mit volleclicJiem rate, 5597 mit lobelicher
taste, 6249 die mortlichen tät, 6262 mit twinclkher fräge, 6264
kebesliche vart, 6411 gunstlichez grüezen, 6814 mit urteillicher
lere, 6836 daz kampfliche striten, 7125 mit klegelicher schouwe,
460
GEREKE
7240 mit helfelicher güete, 7291 mit snelleclicher ile, 7362 in
engellicher wise, 7543 helfelichen muot, 7873 helfelichen rät,
8191 zwivellicher wän, 8424 urteilliche spor (8653. 8679. 10084.
10300. 11455. 13349 etc.).
Dieser letzteren art der Umschreibung weiss ich aus Konrad
oder aus seiner richtung nichts ähnliches — wenigstens in dem
umfange — an die seite zu setzen.
Wol aber ist Konrads vorbild widerzuerkennen in der
ersetzung eines hülfszeitworts durch sinnliche be-
griffe oder in der Umschreibung eines einfachen ver-
bums durch einen verbalen ausdruck (vgl. Joseph s. 41).
Hier spielt, wie anderswo pfliht, das verbum pflegen eine
grosse rolle: 1587 sol der smerze wonen bi mir (Meine, ich
bin tot; 6792 uns muoz ietner lasier bi wonen umb die schände;
— 5439 (diu sache) diu im nähe in herzen lac; — 2342 da von
lasters müese pflegen min ere, 4800 pflegent von mir fluht,
5094 pflegent flUhtc, 6292 für die not der er nu pflegen muose,
6345 (minne) diu so hohes namen pfligt; — 718 daz diu sunne
wider gliz nam von dem golde; 836 von Arabi gap Mehlen
gliz daz ein vach (849. 1516. 1543. 7364 etc.); 17200 daz diu
liehte sunne an im widerglenzen hos; — 1562 si täten
höhe wirde schin, 1839 er tet mit gewalte schin (1898. 7250.
7574 etc.); — 2674 nu gap im minne lere; — 2972 swä diu
minne kere von eren hat; — 19113 nam val zuo der erden.
Sehr gewöhnlich ist die ersetzung des persönlichen
pronomens durch sinnliche begriffe, ein stilmittel, das
schon Wolfram ausgiebig verwendet und Konrad bevorzugt
(vgl. Joseph s. 37): durch Up: 114 sin Up üf vier und zwenzic
jär an alter hat die zit vertriben (120. 184. 1004. 1598. 4452.
6250. 6897. 6905 etc.), durch herz: 212 sit daz ir herze nie
gewan ämis noch wart ämie (420. 862. 1152. 1156. 1305. 1906.
2115. 3975. 5596 etc.), 854 ir herze gar an sorgen bl6z sus üf
den hof leisierten; durch sin: 688 sin sin so höher koste pflac
(2704. 6252. 6284 etc.); durch muot: 279 daz sich sin muot
ellendet dar (4644); durch h and hingen: 1234 ir lieplich
smteren sach in an, 9420 sin vart vil gähe snuorte, 15309 sin
ritterlkhez eilen reit, 16214 ir stritlichez werben sazte sich ze
grözer wer.
In ähnlicher weise, ganz wie bei Konrad (vgl. Joseph s.38),
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STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUNSCHWEIG. 461
331
werden die zeit- und ortsadverbia umschrieben: 958 euo
den ziten (1533), 306 ee disen ziten (7810. 7903), 6835 U den
eiten (8943. 9454. 9530), 6754 in den ziten, 8401 an den ziten
(11398); — 7037 an der selben stunde, 8643 an den selben
stunden, 10208 an den stunden, 11260 an der stunt; — 15374
an dem eil, 14690 an dem selben eil; — 4927 ee mangen
tagen, 4696 ee allen eiten, 652 vor den eiten (8047), 7031 ee
welker stunt; — 10251 alle frist (16423), 10286 alliu eil, 13218
alle vart.
Umschrieben wird bisweilen auch die conditional-
conjunction durch einen ganzen satz: 5632 ist aber dae
ez also stdt (9737. 13297. 16024. 25376), 15025 und st daz
got dir gnade tuo, 22451 wcer daz daz schif het gebiten.
Hierin ahmt der dichter Gottfried nach; vgl. Trist. 6098. 6103.
6151. 6174 etc. (auch Part. 2128. 4508. 4748. 10960 etc.).
Endlich ist hier noch anzufügen die bildliche Verstär-
kung o<Jer Umschreibung der negation, die sich unter
allen mhd. dichtern am häufigsten zuerst bei Gottfried findet
(vgl. Zingerle, Ueber die bildliche Verstärkung der negation bei
mhd. dichtem, WSB 39): 2177 niht als umb ein bappel (Zingerle
s. 459), 8394 er ahte mlit üf einen bast (Zingerle s. 429), 9417
ahte alliu dinc als einen stoup (Zingerle s. 436), 9747 umb ein
här, 14305 u. ö. umb ein hleinez här (Zingerle s. 438 ff.), 18412
niht ein linse geben umb (Zingerle s. 421), 20837 umb ein bönen
niht gedenken (Zingerle s. 417), 22393 als ein wiche (Zingerle
s. 420), 22355 umb ein bräwe, 22407 umb einen snal, 24989
daz eines punkten niht enbrast
d) Widerbolungen und Wortspiele.
Einiges von dem hierher gehörigen hat Eichhorn unter
der Überschrift 'epizeuxis' zusammengestellt. Dahin sind also
Wendungen zu setzen wie 262 wang an tcange (2352 u. ö.), 1099
von ring ze ringe, 1397 uz oug in ougen, 2353 munt an munde
(3840 u. ö.), 2167 herz in here, sin in sin, 2183 gedenke iht euo
gedenken; — 1729 sich schar und schar verwurren, 11268 rotte
in rotte, schar in scliar. Die beispiele sind überaus zahlreich.
2635 gap und gap (12589. 14661), 5987 bat und bat, 6148 er
bat und bat und ich verseit lang und lang und mange stunt,
26039 er lech und Uch und lech (9489. 15765. 23909. 23455;
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402
GEREKE
— Turn. 86 er (jap und gap und (jap et dar), 8432 umb und
umbe (22Ö54. 22302. 22349), 8663 dicke und dick Gleichsam
ein ganzes füllhorn schüttet der dichter aus 12 bi guotem guot,
so hcer icJi jehen, U süezen süez, bi argem arc, bi miltem milU
bi kargem karc, bi frechem frech, bi zagen zagen tcirt man, hon
ich die wisen sagen. Ebenso 184 f. 10710. 10993. 11706 ff.
12606 ff. 12260 ff. 17285 ff. 17742 ff.
Anderes nennt Eichhorn annominatio; doch gibt seine auf-
zählung nicht entfernt einen begriff von der reichhaltigkeit,
über die der dichter in der anwendung dieses stilmittels verfügt
Er setzt z. b. einem Substantiv ein adjectiv von demselben
stamm hinzu: 777 gen minneclkher minne (1690. 2461. 3613.
10990 etc.), 3895 nä kusüchem küsse, 7588 friuntlkh friunt,
11014 trütlich tritt, 13312 wunderlkhiu wunder.
Oder er rückt Substantiv und verbum desselben Stammes
eng an einander: 3582 swaz din gücte güetct (Trist. 8301 ir
schwne diu scha ttet), 7430 die scliar geschart in glicher pfliht
13292 ein vart rarest über mer, 10343 manic slöz entslozzen.
oder irgend welche anderen Wortklassen: 1266 süezer wunden
wunt (4959), 7995 an wirde ivirdecliche, 11021 trütlich getriutet.
Die beiden stammverwanten Wörter stehen nicht eng neben
einander, sondern sind durch Zwischenglieder getrennt: 1082
die kr ig er liefen üf ir sld mit manger lüten kr ige, 1374 ich
weene daz sin herze wem künne höhen dienest wol frouteen
dm er dienen sol und den sin herze dienest treit, 1744 ein
t itter moht du siniu Uder ritterlich erswingen (8390 f. 8668t
9098 f.), 2000 er suohte blic, so vander an ir widerblicke,
die blicke in minne stricke ir beider herze knüpften, 2297 mit
urteil hie erteilet (6811), 2580 jö wart ich der wirde ge-
wir de t nie, so mir beschach, 2982 minne in minneclicher
gir, 4382 und warp mit wirdekeit da nach eren und nä
werdekeit, des sin nam noch wirde treit, 4457 des sin sich
so versinte, 8471 daz wolt erteilen ir ein teil, 8476 und
ein ander urteil kam also mit urteillicher pfliht, 8694 mmI
minnten gerne minneclich, 10924 wip und wiplich minnen
ist alles hör des üb erhört.
Klangvoll verdienen die formen der annominatio genannt
zu werden, in denen die stammverwanten Wörter einen Wechsel
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUN SCHWEIG. 463
des vocals (namentlich ablaut und umlaut) zeigen: 808 daz
da dur nicht gelestcn moht der lichten stmnen ylast, 1104
ä süeziu minne, diniu bant bindent sunder heften, 2213
lühten lieht ir wengcl, 2229 nie lühte liehter mor genrot, 2821
lichten tac üf liuhten, 13222 durchliuhtecUchen lühte; — 2880
ja mit mangem swanke ir ougen zemen swungen, 3004 ja
der sinne senke sich saneten so se gründe, 4871 mit swanke
uberswenkent, 5548 so daz diu pfat und dl der stic so in
ir herze mohte siegen, 5932 swenn ir blicke schöz üf in mit
schüzzen an geverde, 9930 so starkiu lehen liht min hant,
11056 diu kraft mac überkreftet mit keinen Sachen werden,
13133 die klag in klegelicher art, 13230 in dem schin er-
scheinde.
Bei widerholter anwendung desselben Wortes oder stamm-
verwanter Wörter entstehen Wortspiele, wie sie Rudolf von
Ems besonders liebt: 82 ein vester friunt bi friundes rät, 96
den knehten knehtes reht er liez (12540. 12554. 12568), 1145
der schaen für alle schainc wac, 2471 und friundet friunt in
friundes triff, 2957 waz liep mit liebe liebes kan, da liep cht
liebe liebes gan (Konr. lied 22, 19 liep noch liebe liebes gan),
3075 swd liep ist liebem liebe bi, 9824 nu rat ich, ob ich raten
kan, ob ir mins rdtes ruochent, 10780 swä liep ez liebe biutet
liepUch sunder vorhte schäm; — 623 vü und ril me danne vil,
4429 ic me und me und aber me (Trist. 8079 ivol und wol und
alze wol); — 357 der gernde kneht tet sinem lop mit lobe reht,
wan swer sin lop ze lobe treit, da stät nach lobe der eren kleit
(ebenso 364 — 371), 15532 und als der fürste rieh vernam daz
ez friundc wären, ir friuntlich gebären galt er mit friundes
gruoze. vil friuntlicher unmuoze huop sich ze beden siten (vgl.
Gerh. 1—115. 383—392. 1667—1679. 2422—2425. 2901—2907).
Der dichter spielt mit mehreren begriffen: 70 ist im der Up
erstorben, wcl not ? sin lop doch höhe swept. wv dem verzagten
der so lept stvenn im der Up alhie verstirbt, daz sin lop mit
dem Hb verdirbt; — 4454 dö im der Up mit leben erstarp, so
lept sin lop doch iemer me (vgl. Rol.5447f., zum gedanken: Parz.
471, 13, Iw. 16); — 128 ein man der mac dort und hie erwerben
ritterlichen solt. ritters orden dem ist holt got, ob er ritterlichen
stät als in got selbe gordent hat; — 1110—1121 herz, sin,
minne; 2962—2973 minne, ere; 3504—3512 ei'w(ew), meine(n).
464
OEREKE
e) Negative ausdrnckswelse.
Fast alle mittelhochdeutschen dichter seit Wolfram kennen
das stilmittel, einen positiven ausdruck negativ zu gestalten,
etwa um die betreffende stelle humoristisch oder ironisch zu
färben, oder um überhaupt etwas lebhaftigkeit in den gleich-
mässigen gang der erzählung zu bringen. Es mögen also hier
aus dem R. einige beispiele platz finden: 45 diu (werk) wären
an untcete laz, wan er der eren nie vergaz, 86 sin stete triwe
sich nie verbarc, 286 ein künic den schände gar verbirt, 743
wan im kein laster was bekant, 857 des herze ie schände flock
(959), 917 des herze ie schände meit (1219; — 703. 1899. 1479),
862 sin herze nie ubertreüen hat keine stunt der mäze riz,
1230 sin Up und ouch sin leben, sich an eren nie versneit; —
647 daz ez im leit zerstörte, 726 man sach da niemen trumi
noch haben keine swcere, 937 des was sin sorge gar enztcei,
2015 diz tet im sorge kranken; — 706 giuden brehten was
niht tiur, 3824 lieplich umbeväJien mähten si untiure. höher
sorgen stiure was in beiden wilde, 4938 fröude wart im wilde;
— 604 .90 daz in koste niht enbrast, 614 dö wart niht langer
dö gebiten, 12946 der eren und der saüden tor was in beiden
unver spart, 18190 daz bitten wart niht übertreten, 18458 ein
smieren wart da niht vermiten von den fürsten beiden u. s.w.
Eine besondere art der negativen ausdrucksweise haben
Konrad und seine nachahmer in die epische poesie eingeführt
(vgl. Jänicke DHB 4 zu Wolfdietrich D 5, 103, 2), nämlich die
negierung durch äne, fri etc. Den Ursprung dieses Stilmittels
bei Wolfram zeigt Kinzel (Zs. fdph. 5, 4 f.): 214 diu süeze wan-
deis frie (1182 u. ö.), 9698 diu valsches fri; — 939 an schänden
gar der trage (1187), 2726 Polar ei den tragen an allen lioubet-
schänden ; — 1323 der Müschen wandels kranken (1842.20200.
20351); — 1866 den schänden lazzen, 6192 der veige an eren
laz; — 6208 der eren leere, 9008 an zageheit die siecJieti u.s.w.
f) Hyperbeln.
Von den hyperbeln, deren verschiedene arten Eichhorn im
allgemeinen vollzählig besprochen hat, möchte ich hier nur* eine
besonders charakteristische klasse hervorheben, die ich bei
Eichhorn vermisse. Der dichter hat sie zweifellos seinem vor-
bilde Konrad nachgebildet. Es handelt sich um übertreibende
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STUDIEN ZU REINFKIED VON «RAUNSCHWEIG. 465
Versicherungen, die er seinen personen in den mund legt, von
der art: 'ehe das geschieht, ehe soll das und das geschehen*
(raeist 'ehe will ich tot sein'): 2522 nein, micfi müez e pfenden
der tot an dem Übe, e min munt keinem wibe ze kus sich iemer
biete; 4300 ich wolt e daz ich wcere tot, e ich mit sinnen iemer
tvolte minnen ald meinen anderswar denn iuch; 4762 ich liez
mich in die erden e lebendigen tclben, ich wolt den tot mir selben
e füegen unde schicken, e daz ich ... (4786 ff. 4992 ff. 5160 ff.
6118 ff. etc., vgl. Engelh. 3755 daz ich schiere stürbe, 6 duz
ich...; 4010.4142. 5528.5938.6040. Herzm.210. Schwanr.629.
Part. 2824. 6056. 6434. 7370. 9087. 9097. 9872. 10062. 11242.
12944. 17352. 19322 etc.); 7668 ich wolte mich zersniden e
Uzen und zerhouwen, e ... (6562 ff. 8358 ff. 9734 ff. 9974 ff.
10800 ff., vgl. Engelh. 6058 ich lieze e mich zersniden [vgl. Jä-
nicke z. Stauf enb. 703]); 2762 e wolt ich von dem lande gän
daz mich üf geerbet hat, e ...; 3704 e wold ich Itaben mangel
liebes unz üf minen tot, e ... (vgl. Engelh. 3745 e daz ich ge-
dachte ... e wolte ich fröude nimmer noch scelekeit geschouwen;
5616. 6048).
Von all den übertreibenden formein, wonach bisher auf
erden nichts dem erzählten ähnliches zu finden ist (vgl. Eich-
horn a. a. o.), nenne ich besonders folgende: 802 diu weit so
hinnen scheidet daz nietner solich hof ergät, 11496 diu weit
sich also endet daz liep bi solhem leide von einer hinsclieide
so groe geliche niemer wirf.
Endlich erwähne ich noch die formein: 165 me dan genuoc
(419. 25551), 623 vil und vil me danne vil, 1307 me denn ze
vil (27117), 10425 me vil denne gnuoc, 11907 vil me denne gnuoc
(15932. 24304), 24861 me denne vil
g) Anaphorlsche gliederung.
lieber die anaphora bei Gottfried vgl. Preuss s. 28 ff.
Dass die anaphora im R. bei den antithesen häufige an-
wendung findet, haben wir schon oben (s. 457 f.) gesehen; und
zwar hat die widerholung hier meist innerhalb desselben verses
statt. Dahin gehören noch folgende stellen: 6666 . . . umb dl
sin tv erben, umb sin trüren, um sin klagen, umb sin leit, um
ir versagen, umb sin dröuwen . . . ; 9317 ald waz ich tuon ald
waz ich län; 11106 vor tac vor naht vor sunnen schin, vor
Beiträge sur geschieht« der deutschen spreche. XXIII. 30
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4(30
GEREKE
himel erde wazzer luft, vor speren trön, vor helle krufl, vor
mänen schin, vor sternen kreiß. S. Tristan 2387. 3744. 4051.
42G2 etc.
Am anfang mehrerer verse findet sich anaphora: 1) eines
nomens: 3G24 minne diu hon linden sorge herter denn ein
flins. minne diu git sweeren zins iren besten friunden etc. (im
ganzen 12 mal; s. Troj. 2214 ff. 2540 ff.); 1 1062 ff. minne (22 mal).
10916 ff. wtp(25mal); — 2) des artikels oder eines prono-
mens: 3666 miner fröuden anger, mines tröstes wird*, mines
lustes girde, mines herzen Wunne u.s.w.; 4418 ein hruft der
rehten milte, ein berndez zwi der zühtc, ein würze reiner frühte,
ein stein rehter triuwe, ein slöz der statte niuwc; — 3) eines
formwortes: 2904 so würfen jene dort den stein, so zugen
dis schähzabelspil etc. (ähnlich 11328—11331), 9680 wie (2 m.),
23649 ff. 23658 wie, 24230 wie (11 m.) recapitulierend (s. Trist.
4241 ff.); 10824 ff. ob . . . ob . . . ald ob . . . ald ob... ob; — 4) meh-
rere Wört er zugleich: 602 ff. dar nach man (2 m.), 5182 ff. so
such nuin (2 m.; 113481), 5414 ff. man hiez (2 m.), 5616 ff. will
du (2 m.), 5660 ff. wil ich (2 m.), 8810 ff. es hilfet (2 m.), 9388 ff.
ach got wie (2 m.), 11 130 f. ez wart nie herze (2 m.).
h) Alliteration.
Des schmuckes der alliteration bedient sich bekanntlich
Gottfried in ausgedehntem masse. Rudolf von Ems folgt ihm
hierin mehr als Konrad, und im R. finden sich alliterierende
Verbindungen ziemlich häufig.
Die alten formelhaften Verbindungen habe ich schon oben
(s. 451 ff.) behandelt, desgleichen die mit alliterierendem präfix.
Nicht formelhaft sind: 2518 ran und ruoz, 6206 f. grisen
und grawen, 8938 kraft noch kunst, 18312 schint unde schirt.
Es alliteriert ferner ein Substantiv mit seinem attribut:
797 diu minnecliche magt, 2333 holder herze, 2685 sender sorgen
(3203. 3530), 2856 waldes wilde, 2892 ir minnecUcher munt,
3331 mit minnecUcher meine, 3382 sendm sinne, 3861 sunder
sorge sweichen, 5065 uz süren sorgen strickent, 5281 heizer
trehen tropfen (7043), 5348 der minne martercere (6372), 6531
in wildes waldes vorste, 8975 mit grözer grimme, 9641 üf rehie
rede, 10039 weltlicher wunne, 10543 starker gruse gröz, 17471
mit manges sivertes swanke etc.;
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STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUNSCHWEIG. 467
ein verbum mit seiner bestimmung: 2170 vestcclichen velzen,
2213 lühten lieht (2229), 4348 warp so wirdeclichen (4370),
8361 wolle willecliche, 9132 vaste vaht, 11146 lüterlicJi erliuhtet;
— 1830 durch die rotten Htm (7303), 2223 in rehter mdze
mischet, 2827 in den wölken wcegen, 9289 mit wazzer über-
wallen etc.;
ein Substantiv mit seinem verbum (subject oder object mit
prädicat): 2061 hohe fürsten fuorten, 2566 al min sin besenget,
3289 ich merke iuwer metnen f 4680 liehte varwe velwet, 8489
die ir guotes gunden etc.;
andere Wörter: 450 üf siben soumer sunder sein, 2019 sorge
uz dem sinne, 2309 het er hiut hie verliuhen, 2388 duz senen
senftet smerzen, 3344 in so wunderltchiu werch hat minne mich
geworren, 3358 ei dö si so süeze sleich, 3802 leit bi liebe
dicke lit, 4064 minne mit ir mugende würket wunderltchiu dinc,
5658 die mir zuo gemuotet hat sin munt üf minne werben,
6934 so was der ören wünne sin wtldiu werch diu er begienc,
7036 ir sin begunde senken sich an der selben stunde, 8270
die lerchen man in lüften höch .. ., 8552 troßste minen triieben
sin, 8676 der ritt er ritterlichen saz, der tcise wirdeclichen hielt,
9080 den Up er lützel sparte und lief in ritterlichen an, 9084
du von er sunder lougen an krefte wart geletzet, 15481 in
wallers wise sunder wer, 20117 in starken stürmen herten,
heim und schilte scherten sach man mit swertes swanke etc.
i) Metaphern und bilden
Ein gut teil der Schönheit der poetischen spräche beruht
auf ihrem bilderreichtum, denn die aufgäbe der poesie ist es,
unsere phantasie zu beschäftigen. Wer also ein guter dichter
sein will, muss über einen gewissen Vorrat von bildern ver-
fügen können, und dazu gehört lebendige anschauungskraft
und phantasievolle auffassungsgabe. Nun werden ja manche
bilder, die wegen ihrer Schönheit oder ihrer bequemen anschau-
lichkeit öfter anwendung finden, schliesslich allgemeingut. Die
bedeutung eines dichters kann also nur darin sich zeigen, was
er liier aus eigener kraft neues zu schaffen vermag.
Unter unseren mittelhochdeutschen dichtem ist die zahl
solcher wirklich originalen dichter nicht allzu gross, und diese
sind dann für ihre minder beanlagten nachfolger tonangebend
30*
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QBKBKB
geblieben. So kann es denn auch nicht wunder nehmen, wenn
der im stoff wenig selbständige dichter des R. sich in seinen
bildern in der hauptsache an seine muster anlehnt und sich
in den herkömmlichen bahnen bewegt.
An erster stelle mögen als die am wenigsten ausgeführten
bilder einige metaphern stehen. Mehrere davon sind von der
pflanze und ihren teilen hergenommen: 1304 mit des lobes rise
gezieret (Engeln. 879), 9308 minnecliche {ruht ilö. (Engeln. 1487.
4359. 4419. Part. 286. 1543. 2947 etc. Schwanr. 279. 1225 etc.),
10782 dä hat der süezen minne stam (10959; — Parz. 128, 28.
j. Tit. 721. 1326. 1065 etc.) nä hofier fruht gewürzet, 11959 der
statten triuwe ein frühtic stam\ — 2294 üf in hat gezwiget ere
ir frühtic lobes ris, 11952 bitter leit mit senden klagen hatte
üf si gezwiget (2386. 26136 f.; — Engelh. 234 t 878 f. Troj.
6655 f. Barl. 353, 13 1).
Andere metaphern sind: 775 des Wunsches kint, der scelden
hört (Engelh. 732. 5102. 5449. 5837. 6449. Part. 1408. 1728.
1948. 2444. 7270. 11032 etc.); — 865 der eren sedele, 2455
des herzen tür (Klage d. kunst 22, 7); — 12946 der eren und
der Salden tor was in beiden unver spart, 12998 den ouch hoher
frühte tor was versetzet und verspart, 13081 entslozzen miner
f ruhte tor (Part. 5768. Parz. 649, 28); — 10931 aller saüden
obetach, 11012 er was ir fröuden übertach (ein bei Konrad sehr
beliebter vergleich; vgl. Haupt zu Engelh. 454); — 2556 der
gnäden schibe, 10834 der scelden schibe, 13084 der frühte schibe
(Engelh. 4400); — 3198 der minne geiselruote, 12950 der fröuden
wünschelruote (Engelh. 3000); — 1853 mit manges ruomes kränze,
4349 höher eren kränz, 17377 lobes kränz (Troj. 444. 15341.
Part. 13531. Parz. 260, 8. 343, 25. 394, 12. 632, 28. Gerh. 6406.
6605); — 3579 der sorgen schür (Engelh. 5401. Parz. 313,6.
371, 7. 587, 13), der fröuden schilt, 13073 der seien trost, der
Sünder schilt (Gerh. 6331. Wolfr. Wh. 15, 15); — 1395 in minne
stricke (2002 u.ö.), 6526 der sorgen stricke, 15311 tödes stricke
(Part. 7059. 7273. 12700. Parz. 811, 4); — 2399 des leides angel
(6325. 11522), 3703 untriuwen angel, 5391 der minne angel
(Engelh. 1657. Part. 8218); — 8649 von weinens regene, 17259
mit manges trehenes regene (Parz. 191,29); — 13194 üzjämers
fürte, 16762 in eren fürte (Parz. 114,4. Wh. 177, 14); — 2576
minne ir scharpfen wäfen hat über mich gewetzet ; — 3688 mit
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STUDIEN ZU BEINFRIED VON BBAUN8CHWEIG. 469
der sorgen bände hat minne mich geseilet (Engeln. 6138 f. Virg.
349,121); — 4489 ... trüren. in sine sinne er müren künde
bitter sorgen, 5341 siufzen unde trüren. des saeh man so vü
tnurcn in in stns herzen sinne (Konrad: Engelh. 2142 ff. Part.
709.3767. Troj. 17052. Herzm.244f. Lied 14, 16 f.); — 4512
sin sin, sin herze wären gar in der nöt ver steinet (Part. 1266.
8314); — 2564 mir hat der minne glüete min herze so em-
pf enget daz al min sin besenget ist von minne fiure (Engelh.
975 f.); — 4414 er ist ein wünschelruote an ritterlicher krefte,
. . . ein kruft der rehten milte, ein berndez zwi der zühte, ein
würze reiner friihte, ein stam rehter triuwe, ein slöz der statte
niuwe, schäm und mdze ein ingesigel, der Sre ein vester houbet-
rigel (vgl. Engelh. 472 als da zwei wahs gedrücket sint in ein
vÜ schamez ingesigel [Part. 1308], si wären triuwen gar ein
rigel, ein vestez slöz der statte); ähnlich 10928 ff. 10958 ff.
Von den eigentlichen bildern bezieht sich ein gut teil auf
die Schilderung der kämpfe. Manche davon sind deshalb schon
früher bei der vergleichung solcher darstellungen im R. und
in seinen quellen zur spräche gekommen. Dartiber darf ich
also jetzt mit kurzen andeutungen hinweggehen.
Die rosse sind schwarz wie pech (414), ein vergleich der
sich häufig nur bei Konrad findet (Engelh. 4692. Part. 18258.
21004. Troj. 11992. Turn. 447; vgl. s. 392); — 8390 der ritter
als ein enget stuont gewäpent ritterliclte (Engelh. 2644 ff.); —
8569 ein banier wizer denn ein swan (17181; — Engelh. 2525.
Gerh. 785); — 8587 (er) schein als ein zigenmilch (sonst nicht
zu belegen), 18908 er truoc einen swmren schilt höher breiter
denn ein tor (21180 f.). — Die ritter brausen auf den rossen
heran 479 sam daz Wuotes Jier, oder wie die Windsbraut
(20144 f. — Engelh. 4770 f. 2774 f. Part. 15948 ff. 20720 f.
Troj. 3900), oder wie die falken (884 f. 17338. — Laur. 371 f.),
oder wie pfeile (18985. 26171. — Part. 725. 15434. Virg. 77, 4 f.);
17335 na zirkels mez gedrceget treffen die ritter auf einander
(8880 ff.); 17402 reht als der si mit zangen zesamen wolle
heften, so sach man si mit kreften üf ein ander dringen. Die
rosse springen wie Her, wie hirzetier (1011. 892 f. — Part.
13711. 19423. Troj. 3793. Turn. 942. Schwanr. 905). — Das
krachen und splittern der Speere, das klirren der Schwerter
und das dröhnen der schlage wird dem donner verglichen
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470
GEREKE
(902. 8910. 17353. 20376.— Engeln. 4814. Troj. 12242); 17316
von ir tjoste gie ein tunst als vor dem donre ein blixen. Die
kämpfer aber sitzen wie eine wand von stein (1013. 11279.
17095. 17330. — Turn. 846). — Als ob in der schmiede die
hämmer auf den amboss tengein, so klingt das kampfgetöse
(1800 f. 9034 f. — Engeln. 2728 ff. 4852 f. Turn. 794 ff. 812.
Part. 14327 ff. Troj. 4076 f. 12804. 32209. 37250. - Parz.112. 28.
152, 5. 210, 4. 537, 27. j. Tit. 3897. 4203). So viel feuer schlagen
die ritter aus den helmen, 8904 weer der tae erlosclien, man
mohte doch da hdn gesehen von der liehten gneisten brehen;
20508 ff. man hätte schoube damit entzünden können (Engeln.
4780 f.). Die ritter kämpfen mit grosser erbitterung: 9028
unde vaht als ein wildez eberswin (Wolfd. D 9, 102; vgl. s. 375;
18821 er grein als ein eberswin — Troj. 5040); 1802 aUam
die hanf Stengel sach man die rotten spalten (Turn. 778); 11308
si gäben unde leisten herter siege magren zins (Turn. 857); 25678
man warf und schöz eht iemcr dar in si reht als in fülen mist
(Roseng. [Grimm] 1934 f. 1937 f.); 8902 man sach die helde Um-
wen ein ander sam die droschen (Part. 14463); 9004 von miiede
sach man tempfen man und ors, ist mir bekant, als da man
holen hat gebrant und man die stat siht riechen; vgl. 8670 t
(j. Tit. 1535); 9116 daz bluot im üz der wunden viel alsam ein
grözer vollic bach (Virg. 168,13. 205,13. Roseng. [Gr.] 1173);
11310 von Mizcn herter denn ein flins wart des marlcises güfien
(2302. 10850; Turn. 858. Troj. 8693 [vgl. Lexer 3, 405]. Wolfr.
Wh. 76,7. j. Tit. 5259); 17520 minn und ir fiur zertranden sin
siege als ein riiebe enzwei; 18995 sin ors reht als ein ei ze
stucken wart zerteilet (Trist. 5691. Engelh. 557. Troj. 10672.
Part. 8325. Wolfd. D 6, 176, 4).
Eine fülle von vergleichen findet sich bei der Schilderung
körperlicher Schönheit, Die meisten davon sind schon be-
sprochen, als wir den R. in bezug auf seine abhängigkeit von
Konrads Engelhard untersucht haben.
Das haar scheint 2112 durchliuhteclichen reht als ein schon
dunvünscht gespunnen golt, 22510 afc ein gespunnen golt ir hdr
(Part. 8638. 13565. Troj. 3022 [Erec 1551]); 2120 gelwer denn
ie kläwen würden oder sigen eines wilden wigen, so was ir
goltvarwez hdr; 2134 so gar minnecliche schein ir Scheitel sam
ein kride; — 2144 lanc und als ein side gel was ir hdr, 26176
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STUDIEN ZU RETNFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
471
gerispelt reit und da bi val was ez reht als ein side (vgl. Jä-
nicke DHB 4, 337; — Part. 9430. 9722. 20244. Troj. 23244); —
2152 diu minnecliche blücte durliuhter denn ein niandel, 3844
wang bi liehten wangen sam ein mandel lühten (Part. 3350); —
2187 tr mündel wart gesehen schön durliuhteclichen brehen sam
ein rose in touwe; 224 der Salden tou (Part. 295. 2092. 8520.
j. Tit. 3335); — 2204 ze mögen dicke ir lefsen sam ein zunder
brunnen (Part, 18415); — 2212 sam die tcilden rösen vor lühten
lieht ir wengel; 3840 munt bi munde bluote alsam ein liehter
rose rot; 18664 man het ze mitter nahte von ir schcene wol
gesehen . . . manic zunder wirt enzunt niht an so heizen funken
so üz ir mündel sunken mit rede swenn si lachet
Ehre und rühm, tilgenden und affecte werden gleichfalls
gern unter vergleichen dargestellt. Die bei Konrad so sehr
beliebten bilder von Spiegel und glas (vgl. Joseph a.a.O. s.42),
lassen sich auch im E. mehrfach nachweisen: 2475 ir kiissen
was geliutert alsam ein glas, 3562 si (diu trütschaft) muoz lüter
unde ganz beliben sam ein Spiegelglas, 7630 daz ir Up den
spiegel treit ob aller höhen schouwe (11003. 11528). — 11958
der frbude ein Uder Spiegelglas, der statten triuwe ein frühtic
stam. da von ir wirde unde ir natu durliuht als ein karfunkel-
stein (Engelh. 5303 ff. Part. 8758 f.); — 75 sin leben was ge-
liertet sam ein adamas (1508 f. 14465; — Part. 6340. Troj. 6566.
9583 etc. Gerh. 802. Rud. Wh., v. d. Hagens Germ. 10, 111, 12. —
Erec8426. 8923. Iw.3257. a.Heinr.62); — 364 swä man den
der lobes fri ist, mit lobe bekleidet hat, reht als der siuice ein
satel stät, so gät ei- under lobes soun (vgl. Part. 8466 der tum-
ben wibe klärheit gedüiet unde ir schcenez dinc reht als üz golde
ein edel rinc, der eime steine wirt geleit an sinen grans); —
368 sin lop zergat alsam der troun der blinden troumet umb
ir sehen (j. Tit. 47. [Parz. 1, 20]); — 4782 als bi dem scharpfen
dorne stät liehter rösen blüetc, also was bi ir giietc scharpfes
zornes läge; 6926 sin lop unverdorben alsam ein rose bliieget,
20742 der alsam ein rösen zwic in höhen cren bluote (7022 f.;
— Part. 4860 f. 6314. 20318. Troj. 584. Turn. 16. Klage d. k.
10, 7 [vgl. Jänicke zum Stauf enb. 146]). 11682 (diu wirde) wirret
unde slihtet in cren warf der kiusche wevel (Part. 21687 f. Turn.
792 f. Konr. lied 1, 30 f.); — 9166 ir herze in höher fröude enbor
alsam ein friger vogel flouc, 1646 alsam ein jungez vederspil
472
GEBER E
daz man mit luoder reizet, e mit im werd gebeizet (22022 ff.
2671 ff.; Engeln. 19261); — 23222 ze fröuden brugge wecund
stic was ir verwüestet und verhagt (23632 f. 24600 f.; Part.
2198 f. 4914. 7160 f.); — 1316 diu wort dur sines ören duz
reht als ein mezzer hiuwen, 2440 die gedenke snident beident-
halben sam ein swert (6162 ff.; Part. 8222 f.); — 2552 als isen
von dem roste gekrenket wirt, so er ez vegt, also ist ouch mir ver-
zegt min herze in minem übe (6204 f. 11740 ff.); — 3348 ich
muoz als ein äspin hup von sorgen gröz erzittern (Part. 1234.
Troj. 20697); — 3470 reht alsam diu sunne den ton von tolden
zücket, also würd gelücket min sin zuo höhgemäete; 6472 so
der lüge gunterfeit smilzet sam des rifen tuß von der warmen
sannen luft; — 3650 (mtnne) du füerest unde tribest mich umb
und umb als einen klöz; 6436 si kan an mir wecken släfendes
hundes reizen; 10810 minn ist ein sache hole alsam ein scltak-
lösez ei; — 5068 iuwer we gdt mir ze herzen reht als ein
wazzer in den herten stein, der da von niht erfiuhtet. mit nazzen
schouben liuhtet man e und vazzet mänen schin in secken, e
iueh iemer min hulde werd ze teile; 8238 ein wilder hose wenken
niht kan vor den hunden so wol ze allen stunden als ir
herzen sinne.
Die zuletzt aufgeführten bilder die ich sonst nicht zu be-
legen weiss, zeichnen sich entschieden durch eine gewisse
originelle färbung aus.
Das aussehen von Spruch Wörtern und allgemeinen Sentenzen
haben folgende vergleiche: 4912 ff. 5560 f. 11732 f. 12232 ff.
12886 ff. 14532 f. (vgl. Lach manns Walther 106,17. Grimm, Frei-
dank s. xc). 25472 f.
Als völlig ausgeführte vergleiche (allegorien) mögen fol-
gende genannt werden: 518 ff. 3062 ff. 8803 ff. 12903 ff.
k) Humor.
Seine ernsthafte erzählung versucht der dichter bisweilen
durch witzige bemerkungen zu unterbrechen, die in ihrer ganzen
art und weise an Wolframs manier erinnern. Es sind scherz-
hafte äusserungen, die er an irgend welche geschilderten Situa-
tionen anknüpft.
Der lärm der zum turnier anrückenden ritter war so gross,
818 ezn dorfte niemen kosen dem andern in sin öre. Bei der
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8TÜDIEN ZU RETNFBIED VON BRAUN8CHWEIG. 473
Schilderung von Yrkanes gewand bemerkt der dichter schel-
misch: 2262 waz si dar under hatte, das weiz si wol, ich sack
sin niht. Eine grosse schar kommt zum turniere dur hceren
und dur schonte en: 1332 ich warn daz ez dem vogte von Rom
gewesen weer ze ml. Als Reinfried und Yrkane ihre braut-
nacht feiern, scherzt der dichter: 10760 swer in gewünschet
hete gmter naht, daz woere war worden, weiz ich offenbar, wan
si was an wünschen da; 14834 ich warn daz si unlange mit
einander vähten (ähnlich sagt Kourad von Partonopier und
Meliur Part. 1700: ob da der frbuden vil gespart von im würde?
nein ez, nein). Von seiner unbekanntschaft mit der minne
klagt er: 12814 ich sag von siiezer minne und bevant ir süeze
nie. ich tuon reht als alle die sagent wiez ze Börne stdt der
ouge ez nie gesehen hat* (vgl. Marner [Strauch] 178 f. Unland,
Schriften 3, 227 f.). Von den scharf gegen einander auf ihren
rossen ansprengenden rittern heisst es: 17416 ich ween mit
hunden birsen het in beiden baz getan; 17424 an im siegen ich
wol spür daz der löwe niht lebte der üf des schilt dö stvebte
in rubin von mergriezen lac. so mangen stich, so mangen slac,
als üf in dö wart geslagen, het er lebend niht vertragen äne
widerkretzen; — 20502 si hatten umbe sich gevelt töten sam ein
mure. ein solich ndchgebüre weer mir bi mir unmeere (vgl. s.375;
Troj. 25657. Wolfd. D 4, 85, 2. j. Tit. 1952).
2. Widerholte anwendung gewisser formein.
a) Ueberffangsformeln.
Wenn der dichter von einer episode seiner erzählung zu
einer anderen tibergeht, so bedient er sich oft einer bestimmten
formel, die er der Spielmannsdichtung entlehnt zu haben scheint
(allerdings auch sonst nicht selten; vgl. Steinmeyer, Gött, gel.
anz. 1887 s. 807 und note. Diemer, Deutsche gedieh te zu 84, 20).
Z. b. als der knappe aus Dänemark an den herzog von
Braunschweig seine einladung zum turnier ausgerichtet hat,
lässt ihn der dichter wider abziehen: 377 nu lazen got des
knappen pflegen, wie er gefüere under wegen, daz lazen sin
und heprent wie von Brüneswic der fürste an vie sich rihten
üf die selben vart. Ebenso heisst es 4451 nu lazen got des
fürsten pflegen. Aehnlich 8129 nu lazen wir si lagen hie.
heerent wie ez dort ergie; 15359 nu lazen wir die reinen hie.
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474
GEREKE
hcerent wie ez dort ergie; 12056 nu lazen wir si riten mit
fröuden wunneclichen hie. nu hcrrcnt wie ez dort ergie (19217.
23212). Aus Konrad weiss ich nur Engeln. 1629 ff. anzuführen;
sonst Virg.72,4. 130,1. 218, 1. Laur. 1758; vgl. Steinmeyer a.a.o.
Eine andere tibergangsformel die in ihrem ersten teil auf
das vorausgehende, in dem zweiten auf das folgende zielt und
so beides verknüpft, lautet: 5991 die mtwste sin, wan ez beschacli,
6578 daz muoste sin, ez wart getan, 8331 daz wart getan, wan
ez beschaeh (10067. 10261. 11491. 12414. 19521. 24329; -
Trist, 5324. Part. 4029. 5695. 9171. 11947. 17968. Barl. 277, 9).
b) Formeln mr wideranfnahme der erzählung nach excursen.
Der dichter liebt es seine erzählung ab und zu durch
excurse über zeit Verhältnisse zu unterbrechen, in deren auf-
fassung er sich meist als starker pessimist zeigt. Dem treiben
der Zeitgenossen gegenüber stellt er die personen seiner erzäh-
lung in idealem lichte dar. So z. b. rühmt er den herzog
Reinfried, der nach hohen ehren und nach ritterschaft ringt
und dabei doch immer gott vor äugen hat: 133 des ist iez
aber leider niht, sit daz man witwen weisen siht in allen landen
machen von ritterschefte Sachen, des tet er niht (75. 357. 431);
12587 diz tet der werde fürste niht (14538. 17716); 12633
des tet der herre niht (15230. 15519); 2475 die was niht hie.
c) Formeln mm abbrechen.
Unterlägst der dichter etwas genauer darzustellen, so bricht
er ab mit redewendungen die an die volkstümliche epik er-
innern. Entweder gibt er dafür gar keinen grund an, sondern
erklärt einfach: 6988 von den ich niht sagen wil, 17295 des
kan ich leider niht gesogen, 17311 kan icli ze rehte niht gesagen,
25056 des wil mins herzen meine versivigen. Oder er erklärt,
seine kraft reiche nicht aus gegenüber der schwere der auf-
gäbe: 1422 des möht ich künden niht, und het ich eine tusent
herzen sin, 18636 da zuo ist ze trcege min zunge in dem munde,
23129 des sage ich niht, mir tvatr ze lae min eunge, solt ich
künden daz, 25044 daz wcer ein gröziu bürde ze sagende der
zungen min. Er fürchtet die leser zu langweilen: 2853 ick
weiz ez iuch rerdruzze, 9178 daz künde iuch lihte bringen den
sinnen groz urdrütze und wa>r da zuo unnütze, 24934 ez tnöhte
niht gehelfen daz ich iuch seite mcere. Er will die erzählung
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STUDIEN ZU BEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 475
nicht zu lang ausspinnen: 7335 daz wcer ze lanc beniwret,
11409 diu rede würd ze lanc, 12321 ez würde gar ze vil (13971).
d) Rhetorische fragen nnd ausrufe.
Geht schon aus dem eben angeführten hervor, dass der
dichter sich im beständigen zusammenwirken mit seinem publi-
cum fühlt, so wird das aus dem folgenden noch deutlicher
werden. Ganz wie Gottfried nimmt er seinen hörern fragen;
die er sich von ihnen gestellt denkt, gleichsam aus dem mund
und beantwortet sie selbst; entweder mit ja oder mit nein —
dann leitet er die fragen mit ob ein: 466 ob iemen da wavr
gemde umb ere guot? ja, der was vil (882. 1052. 1060. 1080.
1370. 1570. 1718. 1734. 1844. 2876. 9562. 10366. 16302. 17472);
1336 ob iemen da gepf endet an fröuden würde dur den nit?
nein ... (1392. 9516. 10746. 17398); oder er lässt bejahungs-
und Verneinungspartikel weg — dann leitet er die frage mit
wie oder einem fragepronomen ein: 1766 wie sich der wandeU
frie von Bruneswic gehüebe? in dem genibel trüebe ... (8276.
9008. 10290. 15386); 1836 wes er in nu geniezen lat daz er in
niht her under warf? niemen mich des fragen darf (9548.
9790. 27288; — vgl. über diesen gebrauch bei Wolfram: Foerster,
lieber spräche und poesie Ws. s. 35—38).
Zu solchen rhetorischen stilmitteln gehören ferner ausrufe,
die der dichter nach der manier der volksmässigen epik ein-
streut, um die erzähl ung lebendiger zu machen. Meist be-
ginnen sie mit der interjection ei (vgl. Erec 8856. Trist. 9160.
Parz. 133,21. 525,24. Borchling, Zum jung. Tit. s. 122): 222 ei
got, wae strenger blicke si girdeclichc schiuzet! (624. 956. 1418.
1808 etc.); 668 we wel ein vingerzeigen huop sich von den
Hüten! (2030. 2058 etc.); 2116 ach wie schön geböuget uz wizer
stirne glizzen, reht als si dar gerizzen weeren, brünc brdwen!
e) Aureden an die snhörer.
Sich bisweilen direct an ihre zuhörer zu wenden, pflegen
fast alle mittelhochdeutschen dichter; Eilhard tut es (s. Liechten-
stein, QF. 19, clxxvih), Veldeke, Hartmann, vor allem aber
Wolfram, der ja überhaupt der subjectivste unter seinen dich-
tenden Zeitgenossen ist. Ganz besonders ist es sitte in den
spielmannsepen.
Der dichter fordert z. b. seine hörer zur aufmerksamkeit
476 GEBEKE
auf: 8322 waz nu der künc gebiete, daz hoerent (9184. 9816.
10170 etc.). Er erinnert sie an etwas was er vorher erzahlt
hat: 9359 als ir da vor hänt vernomen (9427. 9492. 9682. 9744.
11222. 12079 etc.), 10244 als ir da vor hörtent jehen, 12159
als ir hänt gehört (10537. 12418); 8384 als da vor ist ge-
sprochen, 9452 als iuch diu mo?r gekündet sint, 12101 als ich
da vor hän geseit, 12165 als da vor geschriben stdt.
Er kommt ihrem Verständnis erklärend zu hülfe: 584 si
fuoren zuo dem hinge dar, ich mein Fontanägrisen (564.
1188. 2805; — Trist, 2969. 4782. 4805. 4989 etc. Part. 3292).
Er versichert ihnen die Wahrheit des erzählten: 13380
geloubent mirs, 15332 ob ir mirs geloubent, 19324 stver des niht
geloubet, des mag ich niht, es ist ie war.
Etwas ähnliches, wenn auch nicht analoges, das aber doch
am besten an dieser stelle erwähnt werden mag, ist es, wenn
der dichter viele ereignisse nicht einfach objectiv erzählt: 'so
und so geschah das' oder: 'das und das geschah', sondern das
zu berichtende nach spielmannsmanier gleichsam aus der Wahr-
nehmung anderer darstellt, d. h. also abhängig macht von Wen-
dungen wie man sach, man hörte, man vant. Derartiges finden
wir ja auch bei anderen dichtem, so bei Wolfram (vgl. Foerster
a.a.O. s. 26 f.) und in etwas stärkerem masse bei Konrad. In
manchen partien des R. — mir sind besonders die kämpf- und
turnierschilderungen in dieser beziehung aufgefallen — wird,
man möchte beinahe sagen jeder satz von einer solchen Wen-
dung abhängig gemacht, In den versen 11297—11554 z. b.
zähle ich 13 man sach und 5 man hörte, und solche fälle ge-
hören durchaus nicht zu den Seltenheiten.
3. In der composition des ganzen.
Verhältnis Ton epischer eraihlnng nnd reden.
Eine sehr auffällige erscheinung der darstellung ist das
starke hervortreten der reden, vor allem des dialogs, und zwar
haben die gespräche meist eine ganz respectable länge. Ich
hebe z. b. die Zwiesprache Reinfrieds und Yrkanes in der hütte
hervor, als sie sich beide ihre liebe bekennen. Sie umfasst
800 verse (v. 2940—3745). Ich erinnere an den abschied Yr-
kanes von ihrem vater, der seiner tochter gute lehren mit auf
den weg gibt, die allein 200 verse ausmachen (v.11588 — 11784).
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIO. 477
Mehrmals redet der dichter die frau Minne an und lasst sie
antworten (v. 6310— 6318. 8687—8718. 8752—8800. 26140—
26148). — Ein beträchtlicher teil der handlung wird in den
gesprächen abgewickelt.
Auch monologe, in denen uns der dichter den seelenzustand
der personen zu entwickeln sucht, sind nicht selten. Yrkane,
von liebe zu Reinfried ergriffen, strömt ihre empfindungen in
Selbstgesprächen aus (v. 1655—1692. 1698—1706). Reinfried
hat sich im turnier ihren kuss verdient, nun steht er ruozig
vor der errötenden jungfrau, seines lohnes harrend — da lässt
der dichter Yrkane, ehe sie den mund bietet, erst reflexionen
anstellen (v. 2077— 2101). Der ritter der Reinfried und Yrkane
hat aus der hütte kommen sehen, erwägt in mehreren mono-
logen, wie er das geschaute auffassen und wie er sich dazu
verhalten soll.
Bisweilen werden solche Selbstgespräche so lang aus-
gedehnt, dass der dichter völlig den Zusammenhang vergisst
und den personen worte in den mund legt, die ganz und gar
aus dem rahmen der rede herausfallen und die illusion zer-
stören. Das auffallendste beispiel ist dies: Yrkane wendet
sich an gott mit der bitte um ein kind und erinnert ihn in
einem langen gebete (v. 12974—13172) an ähnliche fälle, in
denen er auch noch spät wider erwarten sich gnädig erwiesen
hat; sie erzählt in aller ausführlichkeit die geschichten von
Anna und Joachim, Elisabeth und Zacharias, endlich Samuels
geburt, wie dessen mutter Anna zum priester Heli in den
tempel kommt, wo der yelübede arke mit Moyses wünschel-
ruote, Aarons reis, den gesetzestafeln und einem eimer voll
himmelsbrot aufbewahrt wird. Dabei heisst es mitten im gebet:
13124 stcer welle daz im werd bekant die dinc üf ein ende,
ee den fünf buochen sende ich in die man Moysenen git u. s. w.
Aehnlich 15904 ff.
II. Stilistische eigentümliohkeiten in der grammatischen
construotion.
1. Wideraufnahme eines vorausgeschickten begriffes:
a) eines Substantivs durch den artikel oder ein pronomen.
Das ist im wesentlichen ein stilmittel Gottfrieds, worin ihn
Konrad mehr als Rudolf nachahmte. Der dichter des Reinfr.
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478
GEREKK
verwendet es in einfacher weise häufig, wenn nämlich das
vorausgeschickte Substantiv und der dieses wider aufnehmende
artikel unmittelbar neben einander stehen: subject: 120 sin Up
der hat wol ritters Icraft, 128 ein man der mac . . . (566. 674.
686. 944. 1000. 1054. 1156. 1256. 1846. 1889. 2276. 2518 etc.):
— object: 1030 sin sper daz sluoc er under (1354. 1886. 2156.
8670 etc.). Seltener bei eingeschobenem relativsatz: 4532 diu
not, diu mich getroffen hat, diu muoz ir werden kunt (8408 t
9708 f.).
Vereinzelt nur sind solche fälle, wie sie Konrad liebt, in
denen das nominale subject aus einem conjunctionalnebensatz
herausgenommen, als Vordersatz absolut vorangestellt und dann
an der ihm gebührenden stelle durch ein pronomen ersetzt
wird: 13644 diu reine sceldenbcere, do si sinen willen sach,
zuo im si rette unde sprach (Engelh. 1267. Part. 365. 444. 885.
10492. 12576. Troj.4808. 9529. 19640. Schwanr.64. Pant. 1965.
2073. Otte 69).
Eine art von prolepsis nach antiker art entsteht, wenn das
subject eines abhängigen satzes (meist eines indirecten frage-
satzes) aus diesem herausgenommen und in die construction
des regierenden satzes eingefügt wird: 1078 er sach Parlüsen
wie er hielt, 10443 fragte in wunder mcere umb ir vari wie
diu wcerc, 11439 . . . wart in kürzet' pflihte genuicJwt ein ge-
rihte . . . , da' avcntiure kröne wer sie hett errungen (12129 ff.
17668 ff.).
Bisweilen wird dabei die construction überhaupt über bord
geworfen, so dass das absolut vorangestellte Substantiv, auf
das ein besonderer nachdruck fallen soll, einfach ausser Satz-
zusammenhang steht: 1480 sin küneclichez wäfenkleit, swer daz
prüefen welle, von golt ein liehter pfelle was sin covertiure;
1(3096 manic kreftic adamast, onichil und kar funket, ob diu
naht tvas tunket, diu wart von in erliuhtet; 21504 diu buoch
diu er verslozzen hat vor menscJdicher wer, den slüzzel warf er
in daz mer (18982 f. 19596 f. 20320 ff.).
b) irgend welcher orts-, zeit-, Verhältnis- oder Umstands-
bestimmungen durch die partikel so: 4952 äbent unde morgen
so wuchs daz bitter trüren (16732); 5500 an sinetn unehliche
so moht man . . . ; 5670 dur al daz Helm so wirt schier diz
mwre kunt (12178. 12240. 13570. 22218. 22342. 23476); 186 dä
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 479
von so bin ich ... (6871. 6936. 10853. 11416 etc.); 8929 en
daz so was . . . ; 12404 da na so wart . . . (12416. 12572. 15049.
16554. 17580. 17946. 20528 etc.). Auch diese construction führt
auf Gottfried und seine schule zurück; s. Trist. 11152. 11475.
Engeln. 2057. 3488. 3918. 6000 (da von so). 5080. 5096. Part.
1396. 1750. 1908. 1926. 2494 etc. Aehnlich ist: 6104 bi der
stunt dö markte 14498 hie vor dö gie . . . , s. Trist. 7418.
12476. 18837. 19129.
2. Wideraufnahme eines vorausgeschickten satzes
durch das demonstrativpronomen.
Es wird z.b. ein substantivischer relativsatz vorausgeschickt :
12386 swaz von müsic ie dtene von vor und Seiten wart gehört, das
hört man hie, 12516 swes üf erde ie fürst gewan teil, des hat
er volle kraft (12400. 13732. 15646. 16250). Konrad kennt diese
construction gleichfalls; ich citiere nur Engelh. 1914. 5878.
Proleptisch wird der relativsatz bisweilen aus einem dass-
satz herausgenommen und mit nachdruck vorangestellt: 2238
ich weis wol, sivcn ir crmel solt lieplich umberähen, daz dem
müese nalien fröude und höchgemüete (17726 ff. 21122 ff.).
Ein anderes mal weist das demonstrativpronomen auf einen
vorausgehenden dass-satz: 2108 daz sin herze niht enbrast von
fröuden, daz was wunder, 14912 daz niht der reinen herze spielt,
daz was ein grözez wunder, 24084 daz sin herze niht enbrach
von leiden, daz was wunder. Dieselbe fast formelhafte Wen-
dung findet sich Trist. 16673. 18476. Engelh. 1980. 3596. Part.
7912. 11966.
Steht nun ein hauptsatz (a) mit zwei nebensätzen (b und c)
in einem Satzgefüge, in der weise, dass in prosa das ganze die
form bac oder cbca haben würde, so ist dafür im R. oft die
Stellung bca, weshalb dann meist b in c und c in a durch ein
demonstrativum oder sonst irgendwie wider aufgenommen
werden muss. Wir erhalten eine schachtelconstruction, wie
wir sie z. b. bei Wolfram nicht selten lesen (vgl. Paul, Mhd.
gr. § 376): 4070 swer sinen willen muhet an allez daz des er
begert, wirt der wilent missewert, des enist kein wunder; 5632
ist aber daz ez also stät in zornes gelimpfe, daz er sich mit
schimpfe gen dir hat missehüetet, wirt daz von mir gegüetet, des
solt du versprechen niht (1114 ff. 1132 ff. 2106 ff. 8828 ff. etc.).
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480
GKREKE
3. Fehlen des subjects.
Im zweiten gliede eines satzes, dessen beide glieder ver-
schiedene subjecte haben, wird das subject öfters nicht beson-
ders ausgedrückt, sondern muss aus irgend einem worte des
ersten gliedes oder aus dem Zusammenhang erraten werden
(Paul, Mhd. gr. § 381): 904 ietweders schilt da nider brach und
wurden ouch der helme bar, 5750 man vant in ze Partse und
hat verjämei't sich also, 8602 für in balde wart gerant und bot
im an der stunde den brief (1036. 3217. 4156. 6716. 6964. 7022.
8574. 8662 etc.).
Aus der volkstümlichen epik stammen: 1010 ein gröztz
ros was apfelgrä, 1465 ein kreftic ros was stark, 218% daz tet
ein künc hiez Hercules (construction a\6 xoivov ; vgl. Paul, Mhd.
gr. § 385).
4. Wortstellung.
Wo sich im R. erhebliche abweichungen von der Wort-
stellung der natürlichen rede finden, sind diese meist aus
metrischen gründen zu erklären. So geht z. b. einige mal im
hauptsatze das object dem regierenden zeitwort voraus: 2570
minne ir scharpfen wäfen hat über midi gewetzet (12022 ff.
26648 f. u. ö.). Das verbum finitum steht im hauptsate hinter
dem participium verbi: 1284 ir senfter blic durgangen hat gar
sines herzen sin (4470 ff., auch 4722 f. u. ö.); oder ein hülfsverb
hinter dem von ihm abhängigen zeitwort: 3236 höchgedenke
bringen mir künnent tiefe stvcere (49541 u.ö\). In zwei fällen
ist in sehr auffälliger weise das verbum von den ihm zu-
gehörigen Satzteilen durch eine reihe von eingeschobenen
Sätzen getrennt; vgl. 10418—10423. 11876—11884.
Die fragende Wortstellung in einem mit und angereihten
satze, die ja im mhd. an sich durchaus nichts incorrectes hat
(Paul, Mhd. gr. § 330, 2) ist eine sehr beliebte redeweise Kon-
rads, und der Reinfrieddichter ahmt auch hierin seinen meister
nach : 976 dar an ein scgel was gestraJit . . . und kund der
unden sliezen u.s.w.; 1156 sin herz daz hat gebildet si nach
siner girde und was ir höhiu wirde ahus in sinem sinne (1294.
1512. 1587. 1998. 4113. 5254. 5532. 5940. 7123 etc.).
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STUDIEN ZU KEIN FBI BD VON HRAUNSCHWEIG. 481
B. Sprache.
Die folgende Untersuchung beschränkt sich auf einige
bemerkungen zum Wortschatz des R. Der Wortschatz verrät
die alemannische heimat des dichters und zeigt also neben
dem, was allen verwanten epen gemeinsam ist, specielle be-
rührungen mit der spräche der übrigen alemannischen dichter.
Doch finden sich auch ausserdem noch eine ziemliche anzahl
von seltenen ausdrücken, die höchst spärlich oder sogar über-
haupt nicht weiter zu belegen sind. Bartsch hat am schluss
seiner ausgäbe alles was ihm dem dichter eigentümlich zu sein
schien, in einem reichhaltigen Wörterverzeichnis zusammen-
gestellt. Ich greife nun davon heraus, was, wie ich glaube,
sich der dichter bei dem Studium seiner Vorbilder aus diesen
angeeignet hat. Es wird sich ergeben, dass besondere Konrad
von Würzburg von einfluss gewesen ist.
116 muotgelust (10949. 13987. 14599. 14607. 14638. 16961);
— besondere oft bei Konrad: Sil v. 4542. Part. 5893. Troj.9825.
16959. 17353. 20552. Lied 32, 51 und 312; sonst noch: Virg.
151, 2. 269, 9. 554, 12 (einfluss Konrads).
221 gesten (2051. 4352. 4436. 4407. 6889. 11395); — spe-
cifisch alemannisch und darum natürlich bei Konrad nicht
selten (s. Haupt zu Engelh. 301).
461 keiserlich (161. 171. 478. 618. 665. 716 etc.) und zwar
in der abgeblassten bedeutung 'prächtig, herrlich'; zuerst im
Trist. 690. 708. 1026. 1317. 6622. 11216, dann häufig bei Kon-
rad: Silv. 147. Herzm. 140. 297. Engelh. 864. Schwanr. 279.
1225. Gold. schm. 260. 947. 1757. Part. 286. 1534. 2219. 8542
etc. (vgl. Preuss s. 62. Haupt zu Engelh. 863).
481 ntelm (1932. 17356); — ein lieblingswort Konrads:
Engelh. 2605. 4783. Turn. 388. 441. 867. 919. Part. 5312. 5736.
13818. 15181. 19058. 20682.
712 durchschrenzen (1770; schräm 7546. 10748. 11138).
20075 f. engeneet ; zerschrenzet 26249 f.; — Engelh. 2601 f. Silv.
4915 f. Pant. 347 f. 1547 f. Troj. 17781. Part. 6148. 8265. 18270.
18352. 21702.
735 sich rüsten uz ze velde mit offenlwher melde (7413 f.
15627 f. 16219 f. 16595 f. 17264 f. 24285 f. — 11203 f. 16324 f.);
— Schwanr. 894 f. Troj. 25564. 30175 f. Part. 3413 f. Turn. 188 f.
Beiträge sar geechiobte der deutschen euroohe. XX III. 3}
482
OEKEKE
960 stüef (17132); — nur noch Parton.3321. 7458. 21087.
Troj. 25579. 30603. 39193.
1418 (süeze) notten (10366. 11472. 22017. 22273. 22394.
26092. 27539) aus Trist bekannt (3515. 3521. 3532. 7612. 7999).
Hierbei möchte ich bemerken, dass sich im R. eine merkwür-
dige bekanntschaft mit musikalischen fachausdrucken zeigt
Abgesehen von der auch sonst nicht seltenen Zusammenstellung
harpfen, rotten, gigen, pfifen, tatnburen etc. werden weiter ge-
nannt v. 23294 ravenne (sonst unbekannt) und zitollen (noch
Erlös. 1085. Frl. 256, 5; vgl auch Schmeiler, B. wb. 2, 1164),
v. 22390 ich wcene wol daz alle kunst von armonie (Frl. 18,2.
313, 15. 362, 5. Erloes. 950. 9187) und süeze stmpfonte hie gen
was als ein wiche. Besonders hervorzuheben sind aber die
verse 23080 ff. Da werden genannt quinte, discante, falsete,
octäv, quarte, bedure und benwlle.
1448 presse (= schar 7956. 11198. 11250); — hÄufig nur
bei Konrad: Otte 37. Turn. 254. Troj. 31337. 31770. 32655. 32955.
33632. 34201 u.s.w.
1575 wünschelrU (4150); 4414 wünschelruote (6352. 12950.
13106); — Engelh. 3000. Gold. schm. 664. 1312. Troj. 2217. Lied
11,43 (j. Tit. 1247. 3629. 4146. 4692. 4980).
1787 gneist (11307); — Pant.256. Schwanr. 1001. Troj.
410. 3958. 12584.
1852 rossen (2094); 9214 geblüemet und geroeset (19226) =
Part 3646. Silv. 835. Engelh. 478. — Troj. 16194. 24478. Konr.
lied 1,231. 10,8. 31,11.
1921 malte (11275. 15753); — beliebt bei Konrad: Part.
15180.15483. Turn. 933. 1062. Troj. 32592. 32939. 34310 u.ö.
3300 lantvaratre; — Engelh. 2830.
4760 gihUe; — Pant. 638. Turn. 13.
5235 Spellen; — Trist 4059. 8618. 17566. Barl. 267, 30.
6056 endelich (6065. 6166. 7616. 7706. 19837. 20388 H.Ö.)
findet sich zwar bei Wolfr., Walt, Nib. etc., auch im Trist, nir-
gends aber so häufig wie bei Konrad: Engeln. 166. 1336. 1437.
1703. 2130. 4260 u. ö. Part 1457. 2873. 3085. 12605. 13815.
14853. 14946. 15620. 17035. 17674. 17746. 19977. 20858. 21193.
Silv. 1503. Troj. 161. 1942. 23682 u. ö.
6160 gezic (6173. 8627. 10538); — nur noch Engelh. 4019
(vgl. Haupts anm.). 4494.
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STUDIEN ZU REIN FRIED VON BRAUNSCHWEIO.
483
6869 widersache (11296. 22905); — nach Jänicke (zu Wolfd.
D4,52,2) ein bei Konrad sehr beliebtes wort.
7069 (lasters tri) gebriuwen (12487); — Engeln. 5427. Part.
17704. Gold. schm. 371. Otte 563. 567. Silv. 3967. Troj. 1294.
1489. 10520. 10728. 23597 u. ö.
7335 bemceren (19438); — Trist 125. 17231.
8442 anspräche (= anklage); — Trist. 15420 (Rechts-
denkm.).
8870 (ir höhe* adel) ertic (11163. 15083); — Engeln. 2787.
Gold. schm. 1438.
10909 durclmehtic; — Trist. 10235. 12452. 16968. Pant.340.
477. Part. 3115. 6297. 6346. 6557 u.ö. Troj. 4719 u. ö. (sonst
noch Pass.).
11606 enpfleehen, 14852 flwhen; — lieblingswort Konrads:
Engeln. 4341. 6207. Gold. schm. 20. Troj. 2013. 2881. 3417. 8819.
10425. 12172. 23099. Part. 4662. Schwanr.405.
11847 jdmerunge (26129); — Part. 18639. Troj. 525. Herzm.
521 (Virg. 55, 8. Pass. K. 590, 3).
11999 (sunder ewivels) underbint (10230. 26621); — Engelh.
1067. 1112. 1240 (vgl Haupt, anm. zu 1067). Gold. schm. 1630.
Silv. 3026. Part. 6521. 8403. 9449. 9901 etc. Troj. 437. 528. 3210.
10187. 15430. 18714 etc.
16564 umbetüllet] — nur noch Engelh. 1916. Troj. 20652.
18396 lantriviere; — nur noch Part 9112. 11103. 19857.
2453. 2503. Troj. 11913. 37509. Schwanr.417. 531. 791.
23610 Heigesinde ; — Trist. 2385.
27542 verUüttem- — Trist 11627.
Die adjectivbildungen auf -bwre, die Konrad bevorzugt,
sind auch im R. häufig: einbwre 4234, frtihtebcere 13160, fröude-
biere 15351. 18538, hlagebcere 4584, minnebcere 4254. 5436, swlden-
basre 9498, senebcere 4584, siufeebeere 4520. 4608. 9564, sorgen-
beere 2270, stritbcere 16409, tröstbcere 14437. 15458, wandelbeere
19471 (13804).
HALLE a. S. PAUL GEREKE.
31*
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DER /MJMLAUT UND DER WECHSEL DER
ENDVOCALE A : /(£) IN DEN ALTNORDISCHEN
SPRACHEN.
I. Der Wechsel der endvocale a : i(e).
Wie bekannt , haben die an. sprachen den endungsvocal i(e)
in partt. wie isl. bundinn, aschw. bundin, obgleich die ent-
sprechende form z. b. im got. den endungsvocal a hat : bundans
etc. Aehnlich verhält sich die sache in gewissen Substantiven.
So ist der name des vornehmsten gottes der isl. mythologie
ÖJrinn; derselbe name ist ein bestand teil des aschw. Opinsdagher,
während er z. b. im ahd. Wuotan mit -an- lantet. Auf der
anderen seite wird auch in den an. sprachen die ableitungs-
silbe -an- verwendet, z. b. isl. aschw. aptan(n), isl. mannltkan,
aschw. bundan neben bundin 'garbe' etc.
Worauf beruht der Wechsel -in- : -an- in isl. bundinn : got.
bundans etc.?
Bei der beantwortung dieser frage müssen wir vor allem
die passiven partt. untersuchen; später werden wir in kürze
auch andere kategorien von Wörtern mit -an- : -in- beleuchten.
Arkiv 1, 150 ff. hat Noreen die hier aufgeworfene frage zu be-
antworten gesucht Nach ihm dürfte man in isl. bundinn etc.
durchaus nicht eine entwickelung von a zu i annehmen, son-
dern der endungsvocal i in diesen und ähnlichen formen müsste
immer auf ein germ. t zurückzuführen sein. Zum beweis
dafür führt er einige wenige Wörter aus den alten sprachen
mit t- umlaut an, wie das isl. adj. hräsinn, aschw. ypin, sowie
verschiedene partt. pass. aus modernen (besonders norwegi-
schen) mundarten, z. b. bynnix) (= isl. bundi t), grevi (= uL
») n = palatales n.
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DER yi-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. 8PRACHEN. 485
grafit) etc. Er meint (s. 160), dass die alte spräche nach dem
zeugnis dieser modernen dialektformen im part. einmal einen
Wechsel bundinn : *byndinn etc. gehabt , dass *byndinn sich
aus bundin- in den casus mit dem germ. suffix -in- entwickelt
habe, dass aber der wurzelvocal in bundinn ursprünglich in
den casus zu hause sei, die nicht den suffixvocal t, sondern
entweder den vocal a, u oder möglicherweise keinen ableitungs-
vocal besassen (vgl. a. a. o. s. 152 »)).
Diese hypothese Noreens gründet sich also wesentlich auf
einige formen aus ganz modernen mundarten; desgleichen sieht
er sich genötigt, analogische ausgleichungen in unendlich grosser
ausdehnung anzunehmen.
Ich kann mich dieser seiner auffassung durchaus nicht
anschliessen.
Schon Söderberg hat Forngutn. ljudlära s. 9 anm. richtig
hervorgehoben, dass verschiedene an. Wörter das germ. suffix
-in- haben, das in gewöhnlicher weise i-umlaut bewirkt hat,
z. b. aschw.yptn 'offen'. Ein beispiel von dem suffix -w- liegt
wahrscheinlich in dem urnord. part. haitinan auf dem Tanum-
steine vor, wie Bugge hervorhebt (Arkiv 1, 152. anm. 1), und
wir werden unten sehen, dass man in einer gruppe starker
verba vielleicht in den partt. pass. das suffix -in- hat (part.
bitinn etc.).
Von hier aber ist es ein gewaltiger schritt zu Noreens
annähme, dass ein an. -in- immer ein germ. -in- repräsentiere;
eine auffassung die Streitberg, Urgerm. gramm. s. 195 zu teilen
scheint
Ich will zuerst nachzuweisen suchen, dass die hier refe-
rierte auffassung nicht richtig sein kann, und später die regel
aufstellen, nach der germ. -an- (unter gewissen umständen) in
an. in- übergieng.
Die germ. schwestersprachen got, as. und ahd. haben im
part. pass. ein germ. -an-, z. b. got bundans, as. gibundan, ahd.
gibuntan.*) Schon dieser umstand spricht kräftig dafür, dass
auch die alten nord. sprachen im part. pass. ein germ. -an-
») S. 152 z. 2 und z. »> steht — offenbar durch druck- oder Schreibfehler
verschuldet — omljudda statt oonujudda.
>) Ueber ags. bundcn vgl. unten s. 497 fussnote.
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48(5
KOCK
haben, d.h. dass isl. bundinn aus einem älteren *bundatM*
entstanden ist.
Aber vor allem zeigen die eigenen lautyerhältnisse der
an. sprachen, dass der suffixvocal nicht • gewesen sein kann,
sondern o gewesen sein muss. Ich erinnere an verschiedene
Kategorien isländischer participia pass.
Verba vom typus bresta : brast : brustu : brostinn haben
im part. pass. o, das nach der allgemeinen ansieht durch a-um-
laut aus u entstanden sein muss. Das part brostinn hat
lange Wurzelsilbe; also würde ein urnord. part *brustina*
mit suffixvocal i mit notwendigkeit in allen casus *-umlaut
erhalten haben: *brystinn, *brystins, *brystnum etc. Es findet
sich aber kein *brystinn. Doch nicht genug hiermit. Dem
part. brostinn fehlt nicht nur der /-um laut, sondern es hat
a-umlaut. Dies zeigt, dass brostinn aus einem älteren *bro-
stanaR < *brustanaz mit dem suffixvocal a entstanden ist
Sollte nun wirklich die geringste Wahrscheinlichkeit dafür
vorhanden sein, dass brostinn eine compromissform aus einem
verlorenen *brystinn und einem verlorenen *brostann (bez.
einer urnord. form *brostn- ohne suffixvocal) wäre?
Natürlich gibt es in den sprachen vereinzelte compromiss-
formen, entstanden durch das zusammenwirken zweier später
verlorener formen. Aber hier an compromissformen zu denken,
scheint mir unmöglich zu sein. Man möge sich nämlich er-
innern, dass Noreen zu der annähme gezwungen ist, die aller-
meisten isl. und aschw. partt, pass. seien als ein compromiss-
produet aus formen entstanden, die in den alten sprachen
nirgends nachgewiesen sind.
Dies sollte z. b. in der gruppe, zu der bresta gehört, auch
mit folgenden partt. der fall gewesen sein: bolginn, dottinn,
gollinn, holfinn, sorfinn, skollinn, skroppinn, shppinn, snortinn,
sprottinn, solginn, sollinn, soltinn, sorfinn, oUinn, or]»nn, Jwrrinn,
borginn, goldinn, holpinn, skolfinn.
Ebenso aber oder im wesentlichen ebenso verhält es sich
mit den meisten anderen gruppen von starken verben.
Verben vom typus bera : bar : b$ru : borinn haben gleich-
falls im part. pass. (borinn) a-umlaut und keinen «-umlaut.
Nach Noreens hypothese würden die lautgesetzlichen formen
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DER A-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. 8PRACHEN. 487
*borann und *byrinn gewesen sein, aber keine von beiden ist
nachgewiesen. Hierher gehören die partt. skorinn, stolinn,
stropinn, ofinn, tropinn (kominn, sofinn).
Verba wie binäa : batt : bundu : bundinn können, wie
bekannt, im part. pass. keinen a- umlaut haben, weil dem u
ein nasal + consonant folgt. Da aber die Wurzelsilbe lang
ist, würde das suffix -in- in allen casus umlaut bewirkt haben.
Nichtsdestoweniger findet sich in der alten spräche nur bun-
dinn, butidnir etc., niemals *byndinn etc. Hierher gehören die
partt. spunninn, hrundinn, sprunginn, stunginn, summinn, un-
dinn, unninn, brunninn, drukkinn älter *drunkinn, runninn,
sunginn*), funninn1), slunginn, ]>runginn. Hierher gehören
auch hrokkinn (zu hrekkva), stokkinn (zu stekkva), sokkinn (zu
mr
Sit
zu kk bekommen haben; älter *hrunkuemt etc.
Partt. wie alinn zu ala : öl : diu : alinn haben, wie be-
kannt, niemals i-umlaut, wo dem wurzelvocal ein anderer con-
sonant als k, g folgt: farinn, galinn, grafinn etc. Bei Wimmer,
Fornnord. formlära § 120 werden 13 derartige participia auf-
gezählt, wenn man ddinn, älter *däwenn, mitrechnet. Dagegen
haben hierher gehörige verba palatalumlaut (worüber unten
mehr), wenn dem wurzelvocal k, g folgt: ekinn, skekinn, tekinn,
dreginn, fleginn, gneginn, hleginn, kleginn, sieginn, ßveginn.
Schon längst hat man den umlaut von ä zu 2 in diesen par-
ticipien mit den palatalen consonanten /\ g in causalzusammen-
hang gebracht. Arkiv 1, 152 ff. bezweifelt Noreen die richtig-
keit dieser ansieht, und Atel, gr.2 § 426, verglichen mit § 67,
meint er, tekinn etc. habe t- umlaut nicht in folge des dem
wurzelvocal folgenden palatalen consonanten, sondern weil
diese partt. das urgerm. suffix in- gehabt hätten.
Diese annähme ist, soweit ich sehe, nicht möglich. Nach
Noreens annähme würden die lautgesetzlichen formen gewesen
sein nom. sg. *clinn, *elin, *elit, in synkopierten casus nom. pl.
etc. alnir; nom. sg. tekinn, tekin, tekit, nom. pl. etc. *taknir.
Wäre dies aber so gewesen, so bleibt es ganz unbegreiflich,
l) Die bisweilen begegnende wechselform synginn hat y ans dem praes.
sgngva, vgl. unten s. 496. Ueber die möglicherweise vorkommende äusserst
seltene anorw. form fymunn siehe ebenfalls unten s. 495 anm.
488
KOCK
weshalb alle') verben mit k, g die umgelauteten formen
(tekinn ete.), dagegen alle verben ohne k, g die unumgelauteten
formen (alinn etc.) gewählt haben.
Nein, es gibt keine andere möglichkeit als die allernächst
liegende, und die ist: den umlaut in tekinn etc. mit ihrem
palatalen consonanten in causalzusammenhang zu bringen,
während alinn etc. nicht umgelautet sind, weil sie keinen
palatalen consonanten haben. Dies aber will mit anderen
Worten sagen, dass weder tekinn etc. noch alinn etc. ein germ.
suffix -in- enthalten, sondern vielmehr das germ. suffix -an-.
Dass dies mit partt. wie blandinn, faldinn, fallinn, haldinn,
hanginn, vaxinn, d. h. mit partt. mit ä und langer Wurzel-
silbe der fall ist, ist womöglich noch klarer. Denn wenn
diese von uraord. *blandinaR etc. ausgegangen wären, so würden
sie in allen casus t'-umlaut erhalten haben, und liier ebenso-
wenig wie bei bundinn etc. kann man compromiss aus den
nicht nachgewiesenen formen *blandann und *blendinn an-
nehmen.
Partt. mit langem a in der Wurzelsilbe: bldsinn, grdtinn,
Idtinn, rdpinn sind mit jenen gleichzustellen. Desgleichen
partt. mit anderen langen vocalen oder diphthongen in der
Wurzelsilbe: blötinn, büinn, aukinn, ausinn, fdaupinn.
Dass die allermeisten partt. pass. nicht das germ. suffix
-in- haben, wird auch durch solche partt. wie skroppinn,
hrokkinn, stokkinn, sokkinn mit der entwickelung von u zu o
bei der assimilation des nasals mit dem folgenden consonanten
(< *skrumpcnn etc.) bestätigt, denn wie ich Arkiv n.f. 7. 315 ff.
nachzuweisen gelegenheit hatte, tritt diese entwickelung von
m zu o nicht ein, wenn die folgende silbe t-laut hat.
Wenn endlich die partt. pass. das germ. suffix -in- gehabt
hätten, so würden partt. zu verben vom typus drepa : drap :
drtfpu : drepinn den sog. germanischen / umlaut, also *dripinn
etc. gehabt haben. Das isl. hat aber drepinn, gefinn, getinn,
kvepinn etc. Wimmer, Fornnord. forml. § 116 verzeichnet 10
derartige partt.
Ich glaube kein voreiliges urteil zu fällen, wenn ich sage,
>) Ein von Noreen, Awl. gr.a § 428, anm.3 angeführtes an. gnaget hat
natürlich « vom iiif. und praes. gnaga, ebenso wie das aschw. gnaghin.
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DER ^4-ÜMLAÜT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 489
es wäre ein verzweifelter ausweg, in allen den jetzt discutierten
participien das suffix -in- sehen zu wollen, wodurch man zur
annähme von compromissformen im colossalsten umfang ge-
nötigt wird.
Dagegen stellt sich die sache, so viel ich sehe, sehr ein-
fach, wenn man annimmt^ dass o in silben mit infortis unter
einer gewissen Voraussetzung lautgesetzlich in e, jünger i
übergieng.
Zuerst erinnere ich an ein paar bereits bekannte tatsachen.
Im gegensatz zu Noreen, Wadstein u. a., die der ansieht
waren, isl. nom. sg. -a in Sturla, Ella, Üräkia, Ketnpa etc. bilde
die unmittelbare fortsetzung des urnord. nom. sg. auf -a, habe
ich im Skand. archiv 1 (1891) 1 ff. gelegenheit gehabt, diese
frage zu erörtern. In den urnord. inschriften hat man eine
recht grosse zahl männernamen, die wie n- Stämme flectiert
werden und im nom. sg. immer auf -a endigen: wiwila, erla,
niuwila, hariwa, fauauisa etc. Da nun die normale endung
entsprechender masc. n-stämme in den nord. literatursprachen
■i(-e) ist: tönt, spini, üsehvr.jcerlc etc., so muss das -a im nom.
sg. der masc. n- Stämme lautgesetzlich in -i(-e) übergegangen
sein. Sturla, ÜräJcia sind ursprünglich nicht masc. n-stämme,
sondern feminine nomina actionis, die man erst in später
zeit auf männer anzuwenden begonnen hat. Sturla z. b. be-
deutete ursprünglich 'Störung' (vgl. infin. sturla 'stören');
später wurde es als beiname in der bedeutung 'stbrer', d. h.
in der bedeutung eines nomen agentis verwendet. Vom bei-
namen gieng es wie verschiedene andere beinamen dazu über,
ein vorname zu werden. Ungefähr gleichzeitig hat auch Bugge
im Arkiv n. f. 4, 18 f. die ansieht ausgesprochen, dass urnord. -a
im nom. sg. masc. der n-stämme in den nord. literatursprachen
zu -i(-e) geworden sei, und er meint, dass das urnord. -a im
nom. wiwila etc. 'ein helles a1 gewesen sei, das sich dem es
näherte.
Der a-laut in der paenultima der urnord. partt. *bundanaR
hat natürlich ganz anderen Ursprung als das -a im nom. sg.
wiwila etc.; es ist jedoch für unsere frage von interesse, dass das
-a im nom. sg. der masc. n-stämme in -i (-e) übergegangen ist.
Nach Bugge a. a. o. ist a auch in urnord. nom. swestar
(Opedal) : isl. systir in i (e) übergegangen.
490
KOCK
Ferner erinnere ich daran, dass das e der Wurzelsilbe vor
nasal + consonant gemeingerm. in t übergieng (also eine ge-
schlossenere ausspräche bekam), z. b. *benäan- > hindern- etc.
Eine hiermit verwante erscheinung begegnet in den an.
literatursprachen. Das anorw. unterscheidet zwischen ce (= ent-
standen durch t- umlaut des a) und e (= germ. r- laut i. Aber
yor n -f- consonant ist a in e übergegangen, z. b. breenna >
brenna\ auch ce ist in dieser Stellung zu e geworden, z. b.
frc&nda > frenda; s. Bugge in den Sm&stykker udg. af samfund
til udg. af gammel nord. litt. 110. Wadstein, Fnorska hom.-bokens
ljudlära 51.
In Übereinstimmung mit diesen Verhältnissen stelle ich für
die gemeinnord. spräche folgendes lautgesetz auf: a ist in
infortissilbe vor n + consonant in e (später i) über-
gegangen.
Wie in gemeingerm. zeit das e der Wurzelsilbe vor nasal
+ consonant in einen mehr palatalen vocal (i) und wie im
anorw. m der Wurzelsilbe vor n -f consonant in einen mehr pala-
talen vocal (e) übergieng, so ist in gemeinnord. zeit das a der
infortissilbe vor n + consonant in einen mehr palatalen vocal
(e, i) tibergegangen. Da diese lautentwickelung nur in infortis-
(nicht in fortis- und semifortis-) silben eintrat, so ist hiermit
zusammen zu stellen, dass wie bekannt lautent Wickelungen
leichter und deshalb oft nur in relativ unaccentuierten silben
eintreten.
Ich erinnere z. b. daran, dass in den nord. sprachen nur
in relativ unaccentuierter silbe y zu i wurde, wenn die fol-
gende silbe ein t enthielt, z. b. in der relativ unaccentuierten
praep.y^r > isL ifir, aschw.ttcir; aschw. Bosbyggiar > neuschw.
Rospiggar; dagegen isL aschw. byggia etc. mit y-laut (s. Kock,
Arkiv 4, 163 ff.). In ähnlicher weise geht im aschw. « nur in
relativ unaccentuierter silbe in t über, wenn ein gutturaler
(palataler) consonant + i, i folgt, z. b. annattweeggia > annat-
twiggia, dagegen tweeggia (Kock a. a. o. s. 171 ff.).
Mit hülfe des hier aufgestellten lautgesetzes für die be-
handlung von gemeinnord. a in infortissilbe werden partt wie
bundinn, brostinn, borinn etc. leicht erklärlich.
Das part. brostinn z. b. hat das suffix -an-. Während der
a- umlautsperiode bekam es deshalb in allen casus o- umlaut:
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DER 4-ÜMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. 8PRACHEN. 491
*brustanaz > *brostana* etc. Dieses *brostana*, jünger *brostann
wurde in gemeinnord. zeit so flectiert:
sg. nom. *bro8tann *bro8t&n *bro8tant
gen. *bro»tans *bro8tannaR *brostans
dat. *bro8tnom *bro8tanae *brostno
acc. *bro8tann *bro8tna *brostant
pl. nom. *bro8tnen *bro8tnan *broston
(nom. nnd acc.)
gen. +brostanna *bro8tanna *bro8tanna
n. s. w.
Nach unserem lautgesetz gieng a in e (t) über im nom. sg.
m. *brostan* > brostenn, nom. acc. sg. neutr. *brostant > bro-
ste(n)t, gen. sg. m. und neutr. *brostans > brostens, acc. sg. m.
*brostann > brostenn, gen. sg. f. *brostan*ctx > brostennar, dat.
sg. f. *brostanne > brostenne und im ganzen gen. pl. *brostanm
> brostenna, also in elf casus, unter denen sich die ausser-
ordentlich oft vorkommenden nom. und acc. sg. masc. und neutr.
befinden. Nur in drei casus (nom. sg. fem., nom. acc. pl. neutr.)
fand sich -on. Es ist deshalb ganz in der Ordnung, dass das e (t)
aus den elf casus, wo c(i) lautgesetzlich entstanden war, in
jene drei casus eindrang, so dass man erhielt: brostenn (-inn),
brosten (-in), brostet (-it) etc.
In ganz ähnlicher weise ist z. b. nom. sg. *bundan*, *bundon,
*bundant, nom. pl. *bundne*, *bundnaR, bundon etc. zu bundenn
(•mm), banden (-in), bandet (-it); bundnir, bundnar, banden (-in)
etc. geworden, aber hier ist, wie bekannt, kein a-umlaut ein-
getreten.
Es findet sich aber ein interessantes beispiel der erhaltung
des lautgesetzlichen -on, -an in einem participium. Die nord.
sprachen haben einige wenige beispiele substantivierter neu-
traler adjectiva ohne -t im nom. acc. sg., z.b. füll; vgl. got.
füll (im gegensatz zu fullata). Ein solches ist auch aschw.
bundan, bundon, bundin n. 'garbe'.») Nom. acc. sg. neutr. vom
part. bundinn heisst gotisch bundanata und bundan. Die letz-
tere form sollte lautgesetzlich -an beibehalten, da ja dem n
kein consonant folgte, und sehr richtig findet sich dieses got.
bundan in aschw. bundan 'garbe' wider. Das nunmehr (auch)
J) Belegstellen für die verschiedenen formen bei Rydqvist, Sv. spr. lagar
2,115.
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492
KOCK
als sing, verwendete aschw. bttndon ist die unmittelbare fort-
setzung des lautgesetzlichen nom. acc. pl. neutr. gemeinnord.
bundon, während aschw. bundin 'garbe' -in aus dem part.
masc. bundinn, gen. sg. m. und neutr. bundins etc. bekommen
hat. Dagegen entspricht dem got, bundanata in üblicher weise
nord. *bnnde(n)t isl. aschw. bundit mit lautgesetzlicher ent-
wickelung von o zu e, i.
Während -an- im part. pass. in -en-, -in- tibergieng, weil
ihm in allen casus ein consonant folgt, bleibt -an- in infortis-
silbe erhalten, wenn n im auslaut steht, oder wenn ihm ein
vocal folgt.
Ich erinnere an folgende formen mit -an in infortissilbe.
Adverbia auf -an: innan, utan, ofan, neßan, hvapan, paßan,
hefan, undan, sialdan,1) sunnan etc.
Acc. sg. masc. vom adj.: göpan, blindan etc. (vgl. got
blindatia).
Fem. subst. auf -an (bez. un : gen. -anar\ z. b. skipan, lokkan,
hrapan, bUtan etc.2)
Neutrale a- stamme: isl. mannlikan, yaman, aschw. gatnan,
>) Im isl. ist sialdan immer adverb. Im aschw. ist siaüdan ebenfalls
so gut wie immer adverb. Söderwalls Wörterbuch führt jedoch ein beispiel
(aus Bernhard) an, wo surldon (sie) als nom. pl. neutr. verwendet wird:
varin thin ordh faa oc siaüdon. Dies kann die völlig lautgesetzliche form
eines gemeinnord. adj. *sialdanR sein; vgl. das oben über aschw. bundon
gesagte. In tholkin thanke ar sieddan i iordhrike (Birg.) kann stctldan ad-
verb sein. Wenn es (wie es Söderwall fasst) adjectiv ist, hat es in dieser
Äusserst seltenen Verwendung -an aus dem adverb sialdan bekommen.
*) Dagegen hat isl. aschw. nlm. agutn. e/n das Suffix -in- (vgl. Söder-
berg, Forngutn. ljudl. s. 0) oder -in- gehabt. Ein ahn : nom. pl. *aiinan
kann lautgesetzlich *elin : alna/i und durch ausgleichung nom. alin, d*
geworden sein. Der unumgelautete vocal in isl. aschw. ahn kann jedoch
auch auf einem älteren ofln (vgl. got. aleina) beruhen, da langes i keinen
umlaut erzeugt (Kock, Sv. landsm. 12, no. 7 s. 27 anm. 2. Arkiv n. f. 10, 223).
Svenskt dipl. n. s. 2, no. 1358 (Uppsala 1410) wird drei mal aliin geschrieben
Ich lasse dahingestellt, ob das wort möglicherweise mundartlich hat den
alten i-laut lang beibehalten können, oder ob i in aliin auf späterer mund-
artlicher Verlängerung in Wörtern mit kurzer Wurzelsilbe beruht ; vgl. Kock.
Arkiv 4, 87 ff. N. f. 10, 223. Auch das fehlen des i'-umlauts in isl. lamn (got
lauscim), förn, niosn etc. kann vielleicht darauf beruhen, dass gewisse casus
(wie nom. acc. sg.) während der jüngeren umlautsperiode in der zweiten
silbe langes i hatten (*/a«sin). Eine andere erklärung habe ich Beitr.
15, 266 vorgetragen.
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DER ,4-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 493
gulfingran, systkan, lekan, satan (thaskan). Da das aschw. auch
lekon, so ton (üekon) ha t . so war diese endung -on ursprünglich
nur im nom. acc. pl. zu hause; ebenso wie auch in systkon.
Hierher gehört auch das im späten aschw. (vgl. Rydqvist 2, 115)
begegnende aallan : aschw. aldon, allon. l)
Das pari praes. auf andi: bindandi etc. spricht natürlich
nicht gegen das von mir aufgestellte lautgesetz. Wie o vor
nd in band etc. mit fortis bestehen blieb (und nicht in e, i
übergieng), so blieb es auch in bindandi etc. mit semifortis
auf der zweiten sübe. Dass Wörter auf andi diese accentuie-
rung hatten, geht aus mehreren umständen hervor. So hat
pl. gefendr (von gefandi) i-umlaut, welcher in silben mit in-
fortis nicht eintritt. In aschw. Schriften, die o in silben mit
infortis zu ce werden lassen, wird die endung -ande unverän-
dert beibehalten: eghande (nicht eghamde) etc. (Kock, Fornsv.
ljudl. 2, 367 f.).
Die von Noreen, Arkiv 1, 158 f. angeführten partt. bynni
(isl. bundit), grevi (isL grafit) etc. aus einigen modernen nor-
wegischen (und schwedischen) mund arten haben keine beweis-
kraft für seine hypothese.
Sich in dieser weise auf das zeugnis moderner mundarten
gegen die alte spräche zu berufen, ist, so viel ich sehe, ganz
und gar unberechtigt. Da das aschw. und isl. z. b. ausschliess-
lich bundin(n\ bundit (nicht *byndinn, *byndit) haben, so ist
man nach meiner auffassung verpflichtet zu untersuchen, ob
sich bynni, das in dem einen oder anderen durchaus modernen
dialekt begegnet, nicht in relativ später (vielleicht in ganz
später) zeit aus bundinn, urnord. *bundana& entwickelt haben
kann. Erst wenn sich dies als durchaus unmöglich erwiesen
hat, ist man berechtigt, zu einem so entlegenen notbehelf zu
greifen wie der erklärung, das ganz moderne bynni repräsen-
tiere die uralte lautgesetzliche form (urnord. *bundina*), wäh-
rend isl. aschw. bundin(n) auf analogiebildung beruhe. Es ist
doch nicht ohne gewicht für die Sprachgeschichte, ob eine form
700 jähre früher oder später nachweisbar ist.
*) Dagegen hat isl. aschw. aldin das suffix -in- (vgl. Hellquist, Arkiv
n. f. 3, 7), was dadurch bestätigt wird, dass das wort keinen i-umlaut hat
(s. oben s. 492 anm. 2). Dasselbe suffix -m- liegt in isl. aschw. «ys(t)*ro
sowie in aschw. anorw. gtä([)fi»grm vor (vgl. Hellquist a. a. o. s. 5 f.).
494
KOCK
Ks ist nicht sicher, dass alle die von Noreen angeführten
part- formen aus getrennten, teilweise wenig untersuchten
mundarten auf dieselbe weise erklärt werden müssen; mehrere
von ihnen können sehr leicht durch analogieeinwirkung ent-
standen sein.
Ich will aber eine erklärung anführen, die auf sie alle
angewendet werden kann. Es ist für viele norwegische
mundarten charakteristisch, dass sie in grosser ausdehnnng
palatale consonanten haben, auch palatales n (hier durch ff
bezeichnet), sowie dass dieses palatale A auf einen vorher-
gehenden vocal sowol in fortis- wie in infortissilbe palatalisie-
rend wirkt; so wird z. b. mann (= isl. mann) > mahrtn (Gud-
brandsdalen), hcestann (isl. hestamir) > hmtatnn (Gudbrands-
dalen) (Joh. Storm, Norvegia 1, 122, 124). Die mundarten in
Viken haben in der regel nur 9 zum endvocal; eine ausnähme
hiervon machen die partt. pass. starker verba, welche -bin
haben, z. b. berinn (< isl. borinn) (Amund B. Larsen, De norske
bygdemäl s.37). Das (ehemals) palatale n des part boren*,
borinn hat hier den t-laut der ultima conserviert, bez. eine
entwickelung von e zu i hervorgerufen. Dies ist um so
sicherer, als man in neudän. mundarten (Djursland) z. b. katin
'die katze' (älter kattinn) mit i und palatalem n findet, dagegen
z. b. sti'nan 'der stern' (ohne artikel sti'n ) mit a und dentalem -n
(K.P. Thorsen, Bidrag til nörrejysk lydlaere s.65; vgl. auch Vilh.
Thomsen, Forhandl. paa det f jerde nord. filologmede s. 215 ft).
Schon in altdän. Schriften (z. b. Mandevilles reise) begegnet ein
ähnlicher Wechsel, z. b. delin 'der teil', d. i. delinn mit t und
palatalem »m, dagegen grafven mit e und dentalem -n (Thomsen
a. a. o.).
In Übereinstimmung mit diesen tatsachen ist der Wechsel
byMi : funni (isl. bundit : funnit) etc. innerhalb desselben dia-
lekts leicht zu erklären, ein Wechsel, den Noreen für seine
auffassung besonders beweisend findet.
Im part. masc. bundtnn ist das -nn in den betreffenden
dialekten palatal gewesen. Dies wird dadurch bestätigt, dass
man gerade in den partt. pass. sprukkiM etc. im amte Süd-
Drontheim und in Nordmöre (A.B. Larsen a.a.O. s. 89), also in
gegenden, welche denen wo bynni : funni etc. begegnen, geo-
graphisch benachbart sind, stets palatales n hat Deshalb
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 495
wurde bundeM zu bundiM (bez. bundiM mit i-laut in der
ultima blieb bestehen, obwol % sonst zu e wurde). Hierauf
gieng bundiM (durch eine art i-umlaut) in byndiM über.
Nom. pl. m. bundner, nom. pl. f. bundnar etc. behielten dagegen
natürlich das u bei. Hierdurch entstand innerhalb desselben
dialekte ein Wechsel byndinn : bundinn, und in einem verb
(bynni) konnte y, in einem anderen (funtii) konnte u durch-
geführt werden.«)
Wahrscheinlich ist die entwickelung bundinn > bynni etc.
relativ jung, jünger als die eigentlich alte spräche. Doch will
ich die möglichkeit nicht bestreiten, dass sie relativ alt sein
könnte. Möglicherweiseistin den betreff enden dialekten
das aus *bundanaR entstandene *bundenn, bundenn durch ein-
wirkung des palatalen -nn schon vor dem ende der jüngeren
t - umlautsperiode in bundiM übergegangen. In diesem falle
wurde bundiM in diesen dialekten während der jüngeren
»-umlautsperiode zu byndiM, während bundne* etc. bestehen
blieb, wodurch der Wechsel byndiM : bundiM in diesen dia-
lekten entstand. Aber wol zu merken: auch in diesem falle
ist byndiM nur eine mundartliche form und hat niemals
in der Vorstufe der an. literatursprachen mit bundinn ge-
wechselt, und auch das mundartliche byndinn ist aus einem
urnord. *bundanaR (nicht aus urnord. *bundinaR) entstanden.
Im übrigen ist es leicht möglich, dass gewisse unter den
von Noreen angeführten partt., z. b. bynni, in irgend einem
dialekt den palatalen vocal der Wurzelsilbe durch den einfluss
des unmittelbar folgenden palatalen nasals ri (nicht durch den
einfluss des t der ultima) bekommen haben: bumi wurde byniii
wie mann zu mafM wurde etc.
Die aus dem dialekt von Dalekarlien in Schweden an-
geführten partt. können ebenso wie die partt. der norw. mund-
arten erklärt werden. Die mundarten von Dalekarlien liegen
geographisch den norweg. nicht sehr fern und repräsentieren
») Nach Noreen, Aisl. gr.* § 422 anm. 5 kommt im anorw. neben dem
gewöhnlichen part. funni 'eine seltene nebenform' fynninn vor. Ich
weiss nicht, aus welcher quelle dies fynninn stammt, vielleicht ist es nur
einmal angetroffen worden. Wenn es nicht Schreibfehler ist, so ist es als
eine dialektform zu erklären nnd mit nennorw. bynni gleichzustellen.
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49G
KOCK
in mehreren beziehungen ein übergangsstadium zwischen nor-
wegischen und schwedischen dialekten.
Ausser den partt. mit palatalumlaut (isl. ekinn etc.) erüb-
rigt nur noch, die von Noreen angeführten partt. aschw. Icetin,
vcexin, braten (Westmannagesetz einmal) zu erörtern.
Neben lata (isl. lata) hat das aschw. oft IcBta mit ce aus
dem praes. sg. Iceter. Nun ist es äusserst gewöhnlich, dass
partt. pass. auf analogischem wege denselben wurzelvocal wie
das praes. annehmen. So sind im neuschw. die älteren frusit,
nusit etc. (von frysa : frös : frusit etc.) im weichen begriffen
vor den neubildungen frysit, nysit etc. Schon im aschw. trifft
man in vereinzelten fällen part. siunkin, siungin, giutin (in-
giutif), statt sunkin, sungin etc. durch einwirkung von siunka,
siunga, giuta, und im neuschw. sind sjunken, sjungen, gjuten
alleinherschend; so hat das aschw. auch einmal part giolthet
mit i aus gicelda und normal hcewin (vgl. isl. hafinn) mit at aus
hcefia. In Viken in Norwegen bekommt das part. pass. den-
selben vocal wie der inf., z. b. frysi (isl. frorinn; nach frysa),
finni (isl. funnit; nach finna) etc. Da man nun lata : lüeta, aber
part. lätin hatte, so wurde — was Noreen ebenfalls als mög-
lich zugibt — dieses lätin facultativ zu Imtin (lätit) umgebildet
Das aschw. verwendet neben vaxa auch oft vcexa (mit a ans
praes. sg. vcez oder von einem älteren inf., der dem got. tcahsjan
entspricht); das part. vcexin hat w aus dem praes. Auch im
späten aschw. (1505) findet sich einmal das part. bratheth; in
Hert. Fredr. kommt brytin zweimal vor. Auch im adän. be-
gegnet part. bretaen (Flensborg bylov), brat (AM. 453, Hert, Fr.
nach Lyngby, Udsagns - ordenes böjn. i jyske lov 22 anm.2).
Part, brytin hat y aus dem inf. brytu. In braten, brat und das
einmal um etwa 1500 belegte klaffwen ist a wol aus praet. sg.
brat, klaf übernommen; vgl. dass umgekehrt o bisweilen aus
dem part. in das praet. sg. starker verba eingeführt wurde:
isl. khf statt klauf(\gl part. Mofinn), anorw. fok statt fauk (vgL
part. fokinn), isl. holp ») statt halp (vgl. part, holpinn). Zur ein-
führung von a in brat (braten) hat wahrscheinlich auch das
verb aschw. brata 'bryta mark' (part. bratter), isl. breyta (op-
bryde, gjere fremkommelig' beigetragen.
») Diese praet-formen erwähnt Noreen, Aisl. gramm.* § 413 anm.. § 422
anm. 5, ohne eine erkl&mng fttr sie £U geben.
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 497
feine grappe von partt. bedarf speciell einiger worte der
erläuterung. Die verben vom typus Uta : beit : bitu : bitinn
haben alle in der paenultima des pari i (ausser beginn von
bipd). Dies ist aber in völliger Übereinstimmung mit der
vocalisation der entsprechenden partt. im ahd., as. und ags.;
man findet ahd. bizzan, as. bitan, ags. biten*) etc. Da diese
partt. in den anderen germ. dialekten trotz dem -an- im ahd.
und as. keinen a-umlaut von t haben, so ist es durchaus nicht
überraschend, dass ein nord. *bitana*, isl. bitinn auch keinen
a-umlaut von % hat.
Ich denke mir, dass das fehlen des a-umlauts in diesen
partt der germ. sprachen auf eine der folgenden weisen er-
klärt werden kann.
Durch einwirkung des praet. pl. mit i (vgl. isl. bitu etc.)
konnte t in den germ. dialekten, in denen hier a-umlaut von i
eintreten sollte, im part. bitan- bestehen bleiben (vgl. unten
und Paul, Beitr. 6, 84). Ich erinnere daran, dass in den ost-
nord. sprachen der wurzelvocal des part. pass. oft nach dem
wurzelvocal des praet. pl. verändert worden ist (floghin > flughin
nach praet. pl. flughu etc., s. unten s. 503 ff.). Ist diese annähme
richtig, so ist isl. bitinn aus *bitanax, *bitanaz entstanden.
Man kann aber das • der partt. pass. bitinn etc. sehr wol
auch auf folgende weise erklären. Das urnord. part. haitinaR
(Tanumstein) scheint zu zeigen, dass das part. pass., wenn
auch selten, das suffix -w- haben konnte. Nun findet sich in
gewissen neunorw. mundarten eine tendenz bei der wähl der
endungsvocale a : i in masc. n- Stämmen (isl. Um, hakte, : obl.
casus tima, bakka), die hier von interesse ist. In den dialekten
von Fosen und Namdalen hat teils der isl. nom. auf -t, teils
der isl. acc. auf -a den sieg davongetragen, aber gewöhnlich
') So viel ich sehe, muss der endungsvocal e der meisten partt. pass.
im ags. (ebenso wie in den nord. sprachen) ans einem germ. o entstanden
sein; dies scheint mir deutlich daran» hervorzugehen, dass das ags. in
boden etc., holpen etc., boren etc. a-umlaut und in bunden etc., faren etc.
keinen i-umlaut hat. Ich will mich nicht darüber aussprechen, wie die
regel formuliert werden muss, nach welcher -cm- der partt. pass. im ags.
in -en übergieng. Sievers, Ags. gr.» § 45, 3. §128,2. § 366 scheint eben-
falls der ansieht zu sein, dass ags. -en im part. pass. ein germ. -on- re-
präsentiere. Dagegen meint Streitberg, Urgerm. gr. s. 195, dass ags. bunden
etc. ein germ. -im- enthalte.
Beitrüge sur gwehioht« d«r cUuUchen ipraeh«. XXIIL 32
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498
KOCK
dergestalt, dass die wähl zwischen a und t sich nach dem
vocal der paenultima richtet, z. b. nom. acc. Hmi mit -t, aber
nom. acc. bakka mit -a (A. B. Larsen, De norske bygdemäl s. 84).
In urgerm. zeit ist eine teilweise ähnliche tendenz bei der
wähl der suffixform -an- und der suffixform -in- für das part.
pass. bestimmend gewesen. In der regel entschied man sich
für -an : *hunÖanaz, *farana* etc., aber -in- wurde gewählt,
wenn die Wurzelsilbe einen t-laut, d. h. t oder den diphthong ai,
enthielt, z. b. *ditincur, *haitinaz, urnord. haitinax. Die form
bitin- mit t in der zweiten silbe bestand noch zur zeit der
durchftihrung des a-umlauts in den getrennten germ. sprachen
(vgl. unten). Später wurde in den continentalen westg. dia-
lekten ahd. und as. und im got. (in folge der einwirkung der
grossen menge von partt. pass. mit der suffixform -an-) das
-in- mit -an- vertauscht (ahd. buszan, as. bitan, got. bitans).
Noch in urnord. zeit hatte das part. haäina* sich einer
derartigen beeinflussung seitens der partt. mit -an- entzogen,
und isl. heitinn kann eine unmittelbare entwickelung aus ur-
nord. haitina* sein. In ähnlicher weise kann isl. bitinn die
unmittelbare fortsetzung von urnord. *bitinax, germ. *bitinae sein.
Man pflegt isl. beginn (von bipa) als beispiel des a-umlauts
in diesen partt. anzuführen. Vorausgesetzt dass bitinn aus
*bitanaz (nicht *bitinaz) entstanden ist, enthält bepinn a-umlaut.
Soweit ich mich erinnere, ist aber nicht hervorgehoben worden,
weshalb in diesem einzigen particip a-umlaut von t fortbestehen
sollte. Die sache ist die, dass bepinn part. nicht nur zu bißa
praes. Mßr, sondern auch zu isl. bipia, praes. bißr ist Dagegen
hat im aschw. sowol das part. zu hij>a wie das zu bipia die
form bipin. Dies zeigt deutlich, dass das part. bepinn (von
bipia) im isl. das part. bepinn (von bij>a) beeinflusst hat.
Entweder hat ein ursprüngliches (*beäanax >) bepinn zu
bipa das e unter dem einfluss von bepinn zu bipia beibehalten,
oder auch es ist das e von bepinn zu bipia auf (*biÖinax>) bidinn
zu bipa übertragen worden, so dass dieses zu bepinn wurde.
Hier mögen die aschw. partt. bipin (zu bipia). sitit (zu
sitia), lighat1) (zu liggia), pighat (zu piggia) erörtert werden.
Ihnen entsprechen die isl. bepinn, setinn, leginn, peginn, die
») Aber ajütländ. for lagham.
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DEB il-tTMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 499
normalerweise e in der paenultima haben, da die Wurzelsilbe
germ. e (urnord. *beÖana* etc.) hat. Die älteren (isl.) bepinn,
setinn haben im aschw. (bipin, sitit) i aus dem inf. bekommen,
vgl. oben s. 496 über den einfluss des inf. auf das part. pass.
Zu den schwach flectierten pighia Schweigen', sighia * sagen'
lautet das part. pighat, sighat, formen welche ihr i aus dem
praes. pighia, sighia bekommen haben (die älteren partt. sind
isl. pag(a)t, aschw. thakt; aschw. saghaper, isl. aschw. sag(h)atf
isl. sagpr, aschw. saghper). Neben liggia kommt auch lighia
vor. Nach pighia 'schweigen' : pighat, sighia : sighat ist zu
lighia (liggia) das part. lighat, zu piggia das part. pighat ge-
bildet worden. J) Also ist -at in lighat, pighat eine ganz junge
analogiebildung, und man darf in diesen formen nicht mit
Noreen in Pauls Grundr. I5, 641 und Brate, Runverser s. 345
uralte repräsentanten des erhaltenen germ. sufflxes -an- mit
a sehen.»)
Ich gehe von den partt. pass. zu anderen wortkategorien
über. In ihnen findet sich schon von alters her sowol das
germ. suffix -tu- wie das germ. suffix -an-. Aber sie interes-
sieren uns hier, da das suffix -an- unter denselben umständen
wie im part. pass. lautgesetzlich in -en-, -in- übergegangen ist.
Gewisse masc. o-stämme haben das germ. suffix -an-, andere
das germ. suffix -in-. Da der langsilbige name Öpinn keinen
i-uinlaut enthält, so hat er (wenigstens unbedingt in der regel;
vgl. s. 500 anm.), entsprechend dem ahd. Wuotan, das suffix -an-
gehabt. Das wort ist also so flectiert worden:
nom. *(JÖann dat. Odne
gen. *OÖans acc. Uöan.
Gab es zu jener zeit noch den vocativ als einen besonderen
>) Streng lautgesetzlich hätten die partt. im aschw. wol Vighin,
*pighm lauten sollen. Denn ebenso wie ein aus a durch t- tun laut ent-
standenes a im aschw. vor gh + 1 weiter zu i wurde (Kock, Arkiv4, 175),
so musste wahrscheinlich ein germ. e in dieser Stellung dieselbe entwicke-
lung bekommen.
*) Das auf dem Yttergärdsstein einmal begegnende takat für takit
ist wahrscheinlich fehlritzung. Dies ist glaublicher als dass takat = takant
gelesen werden müsse (mit auslassnng des Zeichens für n, wie auch sonst
öfter), und dass in takant mit dem germ. suffix -an- a noch nicht in e, i
übergegangen sei.
32*
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500
KOCK
casus, so hiess dieser ebenfalls *OÖan. Im nom. und gen. bekam
man lautgesetzlich Öpenn (-***), Öpens (-mm), im acc (und voc.)
dagegen Opan. Isl. Öpinn, aschw. opinsdagher, älteres neu-
schw. odensdag haben ihre vocalisation aus dem nom. und geiL,
während das äusserst seltene aschw. Odhansdaghin (Sv. riks-
archivets pergamentbref no. 2697 vom jähre 1393; vgL Lund-
gren, Spräkliga intyg om hednisk gudatro i Sverige s. 28) mit
a in der zweiten silbe vom acc (und voc.) *OÖanx) aus-
gegangen ist.
Das nebeneinander isl. drottinn, aschw. drotin ohne umlaut,
aber aschw. dretning (neben drotning), agutn. drytning mit t'-um-
laut spricht dafür, dass drottinn das suffix an- gehabt hat
Hier ist es die vocalisation des Suffixes im nom. und gen., die
den sieg davongetragen hat.
Dagegen ist in dem namen Heriann und in piopann 'könig'
der a-vocal im acc. (und voc.) durchgeführt worden; zur ein-
führung des a in Heriann trug auch der dat. (Heriani) bei,
der in diesem worte nicht synkopiert wird.
Die worte für 'morgen' und 'abend' scheinen von alters
her sowol das suffix -in- wie das suffix -an- neben -im- gehabt
zu haben: isl. myrginn, alt. neuschw. mörnar mit t- umlaut :
aschw. morghan, isl. morginn : isl. morgunn, aschw. morghon;
isl. eptann mit /-umlaut (?) : isl. aptann, aschw. aptan, affin :
aschw. afton (vgl. Noreen, Aisl. gr.* § 150, 5. Aschw. gr. § 180, 3).
Doch enthalten isl. morginn, aschw. aftin mit i in der ultima,
aber ohne i- umlaut in der paenultima nicht das suffix -in-,
sondern das suffix -an-, dessen a im nom. und gen. lautgesetz-
lich in e, i übergegangen ist {*morgan* > morginn, *morgans
> morgins etc.).
*) In einer Urkunde aus Dalekarlien begegnet einmal epinsdaghin
(Dipl. 4142 vom jähre 1347). Wenn dies o nicht Schreibfehler ist, kann
eßin eine mundartliche form sein, die ebenso zu erklären ist wie die oben
s. 495 besprochenen mundartlichen partt. pass. aus modernen dalekarliachen
dialekten. Ich finde es wenig glaublich, dass man in diesem Tereinxelten
epinsdaghin ein betepiel eines sonst nirgends nachgewiesenen germ. *Wödtnas
habe. Da die Verwendung der endungsvocale im Hels.-geseU höchst regel-
los und inconsequent ist, kann auf das i- in mal (J£. 16 pr.) im Hels.-gt«eU
vorgefundene opunzdagh kein gewicht gelegt werden, und man kann also
aus diesem opunzdagh nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass Öpinn ur-
germ. auch die suffixform -un- gehabt hätte.
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DER i4 -UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 501
Ist. aptann, aschw. aptan hat -an- vom acc. aftan, wobei
der umstand eine rolle spielte, dass die ausdrücke of aptan,
um aptan, i gder aptan besonders gebräuchlich waren. Das
aschw. morghan hat dieselbe vocalisation. Isl. eptann kann
eine compromisform von aptann und *eptinn sein, da aber ein
*eptinn nicht nachgewiesen ist, ist es auch sehr möglich, dass
aptann durch einwirkung der praep. eptir und des comp, eptri
bisweilen zu eptann geworden ist; vgl. dass im aschw. das
adverb aptan 'hinten' durch einwirkung von ceptir, oeptre die
form ceptan erhalten hat.
Das suffix -in- findet sich in dem kurzsilbigen aschw. wrin,
isl. arinn (a aus pl. arnar etc.; vgl. neuschw. äril mit dem suffix
-ü-) und in isl. aschw. himin(n) (vgl. got. himins), wahrschein-
lich auch in Beginn-, vgl. neutr. regin *götter\
Wie die adjectiva teils das suffix -il, z. b. heimill, teils das
suffix -al-, z. b. atall haben, so haben sie teils das suffix -in-,
teils das suffix -an-, hier und da Wechsel -in- : -an- in dem-
selben adjectiv. Der t-umlaut in isl. yfrinn, aschw. yfrin, efrin,
isl. heppinn, neuschw. yllen zeigt, dass die Wörter das suffix -in-
gehabt haben; aschw. ullin 'wollen' kann u vom subst. ul haben.
Aus den nord. lautverhältnissen geht nicht hervor, ob eiginn
das suffix -an- oder -in- hat, aber got. aigins spricht für das
letztere. Dagegen haben z. b. isl. aschw. hpin(n), rottn(n), isl.
ropinn, snopinn, aschw. snorkin 'zusammengeschrumpft' mit
a-umlaut das suffix -an-. In isl. opinn, aschw. opin, upin, ypin,
epin hat sich am ehesten') ein uralter Wechsel -an- : -in- ge-
funden, da das wort sowol a-umlaut (opinn < *opanaR < *upa-
naz) als i-umlaut hat (nom. ypin < *upinan; nom. epin < *opi-
nan mit o vor dem ende der jüngeren t- Umlautsperiode aus
nom. *opanatt übertragen). Ohne grund hat man aschw. gyllcne
als beispiel eines nord. Wortes mit dem suffix -in- angeführt.
Aschw. neuschw. gyllcne ist nämlich ein deutsches lehen (vgl.
mhd. guldin, plattd. gülden); dies geht teils daraus hervor, dass
das e der paenultima in aschw. nschw. gyllene nicht synkopiert
wird, wie es mit i, e im suffix -w- der fall ist {medh gyllene
munnen, dagegen z. b. dat. sg. upno, nicht *upeno, von tipin),
l) Dies ist wahrscheinlicher als dass das wort nur das suffix -in- ge-
habt habe, und dass o in opinn z. b. ans nom. pl. f. opnar « *upna/i <
*upinon) tibertragen worden sei.
502
KOCK
teils daraus, dass das wort gyllene im aschw. (fast immer) und
im nschw. unflectierbar ist; vgl. das silfverne (nhd. silbern,
mnd. sulveren) der Volkslieder. Welches suffix isl. gulUnn ur-
sprünglich gehabt hat, kann kaum entschieden werden, da das
wort an das subst. gutt angeschlossen (bez. in später zeit nach
ihm gebildet) werden konnte.1) Das seltene isl. hräsinn ist wol
in später zeit nach hräsni gebildet worden.
Bei der beurteilung der lautentwickelung *brostan* > bro-
stenn, brostinn etc., Ööan*> Oöenn, ÖÖinn etc. von einem all-
gemeineren gesichtspunkt muss man beachten, dass die con-
sonanten, welche dem -an- folgen, f actisch *, s, t sind. Der
laut r hatte in der alten spräche ein i-element, da er palatal-
umlaut bewirkt: kaR > her etc. In den nord. sprachen hat
auch s ein t-element. Joh.Storm, Norvegia 1, 89 anm.2 bemerkt:
'der Zischlaut s hat etwas das an den vocal t erinnert', und
das neudän. verwendet einen i-ähnlichen laut vor -s in silben
mit infortis: haves, gives etc. (Jespersen, Dania 1, 70). Im jüngeren
aschw. bleibt das ältere t in levissilbe vor s erhalten und geht
nicht wie sonst in e über, z. b. Iwris (Kock, Fsv. ljndl. 2, 272);
das ältere neudän. verwendet die endung -is, z. b. dragis, obwol
es sonst in infortissilbe e hat (bürde etc., Kock, Arkiv n.f. 1,86).
Auch vor -t bleibt im jüngeren aschw. der endvocal •* erhalten,
z. b. funnit (Fsv. ljudl. 2, 272 f.). Unter diesen umständen ist
es leicht möglich, dass die hier hervorgehobene natur des r, s, t
eine rolle spielte, als a mit infortis vor n«, ns, nt zu e, i wurde.
Ich glaube nicht mit Sicherheit entscheiden zu können,
inwieweit das n in gemeinnord. zeit in dieser Stellung pa-
latal oder dental war.2) Arkiv n.f. 5, 254 ff. (vgl. teilweise
schon Äström, Sv. landsm. 6, no. 6, s. 109 ft) habe ich gelegen-
heit gehabt nachzuweisen, dass die alte nord. spräche in be-
stimmten Stellungen supradentales n, in anderen nicht supra-
dentales n hatte, sowie dass der »-laut in silben mit infortis
nicht supradental war. Gegen die annähme, dass dieses nicht
») [Doch wahrscheinlich -m-, das sich vielleicht auch in tdlm findet;
b. jeUt z. t Torp og Falk, Lydhiat. 8. 97 f.]
*) VieUeicht ist die entwickelnng a > ce im prononien Kann > ha*,
etn im aschw. (Westgütagesetx) entstanden, wenn das wort infortis hatte, in-
dem dem a ein palatales n bez. n + n (*hanR) nachfolgte. Man beachte
auch isl. an : en(n), aschw. cen 'anam'.
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 503
supradentale » in infortissilbe vor «, s, t palatal war, spricht
wol, dass das l in entsprechender Stellung schwerlich palatal
gewesen sein kann; man hat nämlich isl. nom. atall (< *atal*)
gen. atals etc. (nicht *atül, *atils etc.). Wenn hinwiderum der
»-laut schon in urnord. *brostan* etc. palatal war, so ist die
gemeinnord. entwickelung *brostanx > brostenn ausserordentlich
nahe verwant mit der in norwegischen mundarten begegnenden
entwickelung hcestann (isl. hestarnir) > hcestcPtin, borenn > berinn.
Diese frage, inwieweit der nicht supradentale »-laut in
gemeinnord. zeit palatal oder dental war, ist aber für die
eigentlich hier behandelte frage von untergeordneter bedeutung,
denn nach dem oben angeführten dürfte constatiert sein, dass
a in infortissilbe vor » -f consonant zu e, i wurde. In dieser
Stellung war der »-laut nicht supradental.
Der Wechsel u : o im part. pass. der ostnord. sprachen.
Es muss erörtert wTerden, warum viele partt. pass. welche
im isl. a- umlaut von u zeigen, im ostnord., und besonders im
aschw., unumgelauteten vocal bez. einen Wechsel von unum-
gelautetem und umgelautetem vocal haben, z. b. isl. sloppinn :
neuschw. sluppen.
Der «-laut solcher ostnord. formen ist späten Ursprungs,
und er ist wenigstens wesentlich auf analogischem wege ent-
standen. Dies geht schon daraus hervor, dass das isl. (welches
wie bekannt im allgemeinen einen altertümlicheren Standpunkt
als das aschw. einnimmt) den vocal o hat, während sich im
aschw. oft ein Wechsel o : u, im neuschw. nur u findet.
Dies ist der fall z. b. in
Excurs 1.
sloppinn
oorgtnn
holpt'nn
brotinn
flotinn
froßin
boßinn
gotinn
kropmn
aschw.
sloppin, duppin
borghtn, burghtn
sluppen
bürgen (a^j.)
nschw.
holpin, huipin
brotin, bridin
flotin, flutin
frosin, frusin
bopin, bupin
gotinf gutin
\ropinf KTuptn
hulpetx
brüten
fluten
frusen
gjuten1)
krupen
buden (bjuden1))
») Das j ist au* bjuda, gjuta übertragen worden.
504
KOCK
aschw.
nschw.
nohnn
notit, nutit
njuttt1)
sopinn
sopin, su/w'n
s(j)uden
skotom
skotin, skutin
skjuten*)
borinn
borin, burin
buren
skorinn
skorin, skttrin
skurtn
stolinn
Von anderen verben ist schon im aschw. nur die u-form
belegt, z. b. isL boginn, aschw. niperbughin, isl. floginn, aschw.
flughin, nschw. flugen, isl. lotinn, aschw. lutit, nschw. ljutit, isL
lostinn, aschw. lustin, isl. loginn, aschw. %Aw, nschw. Ijugit,
isl. soginn, aschw. nschw. sug(h)it, isl. strokinn, aschw. strukin,
nschw. struken, isl. sopinn, aschw. supm> nschw. su/>e», isl. fcro-
stinn, aschw. brustin, nschw. brüsten, isl. soltinn, aschw. swftw,
nschw. «twJttt. Nur selten ist im aschw. die o-form allein belegt,
z. b. isl. Jclofinn, aschw. klowin, nschw. klufven.
Dass das u in diese partt. analogisch eingeführt worden
ist, geht aber vor allen dingen aus einer musterung der vocale
dieser partt. in den verschiedenen ostnord. dialekten hervor.3)
Das altjutl. (Jyske lov) hat im allgemeinen in denselben
partt. wie das isl. das o beibehalten: stolcen, borcen, skorcen —
floghcen, brotcen (brot), skotcen (vt skot), bothcen. Eine ausnähme
macht das einzige hergehörige verb mit dem ablaut e : a : u : o
im isl., nämlich das altjütl. part, wrthen. Dies beruht natürlich
auf analogischem einfluss seitens der zahlreichen verben von
dem typus brann : brunnu : brunninn, fann : funnu : funninn
etc. Da man neben diesen varp : ur]m : orpinn hatte, so
vertauschte man orpinn gegen urpinn (wrthen).
Im altschonischen bleibt o in den verben dieses typus
(isl. bera : bar : bfiru : borinn) erhalten: aschon. boret, skorit,
stolcen. Sowol in den verben des typus verpa wie auch in den
') Das j ist aus njuta übertragen worden.
*) Das j aus skjuta übertragen.
•) Vgl. betreffs der factischen mitteilnngen Lyngby, Antiqvarisk tid-
skrift 1858 — 60 s.247. Udsagnsordenes böjning i jyske lov og i den jyske
sprogart b. 15 ff. Collin-Schlyters glossare. Zetterberg, Bjärköarftttens ljod-
och böjningslära s. 93 ff. Machule, Die lautlichen Verhältnisse und die Ter-
bale flexion des schoniscben land- und kirchenrechtes s. 31 ff. Diese gelehrten
ziehen aber aus dem materiale nicht dieselben schlnssfolgerungen wie ich.
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 505
verben des typns biüpa ist das o gegen u vertauscht worden:
;t schon, urpit, burghit, bupit, brutin, lutit, lukit.*)
Das altwestgötische nimmt wesentlich dieselbe Stellung
wie das altschonische ein. Collin-Schlyters glossar zum West-
götagesetz verzeichnet nämlich folgende partt.: borin, stolet,
stolin (und stulin), svoren (svoret, s[v]ornum), soven Bönniens',
aber sowol guldin, guldit, hulpit, vurßin wie buden, lukin, lughin,
lustin. Die für Lödöse in Westergötland geschriebene hs. des
Biserkearaetter hat bomir (zu bcera), skornir (und vt skurin zu
skcera), slolnom, piufstolit (neben strulit, das fehlerhaft statt
stulit zu sticela steht) und einmal in fulghit, aber ausschliess-
lich mit u sowol wrpit, matburghit wie bupin, bupit, brutit.
Im altschonischen und altwestgötischen ist die analogische
einwirkung einen schritt weiter gegangen als im altjütländischen.
Nach brunnu : brunninn, funnu : funninn etc. sind in den verben
bupu : bopinn etc. mit kurzer Wurzelsilbe die partt. bopinn gegen
bupin etc. vertauscht worden.2) Dabei hat natürlich auch die
analogie von urpu : urpinn etc. eine rolle gespielt. Da aber
das praet. pl. zu bcera nicht *buru, sondern bäru lautete, so
blieb im aschon. und awestgöt. bäru : borit erhalten, und borit
wurde nicht durch burit ersetzt. Dies gilt auch von skorit,
stolit. Das part. sotvin ist geblieben, weil das praet. pl. söwo
hiess (und der inf. söwa).
Im Östgötagesetz dagegen werden nach dem glossar von
Collin-Schlyter participien mit 11 gebraucht: sowol stulin, burin,
surin (zu swoeria) wie burghit, hurwit (zu hwcerwa), vurpit und
brutin, rutvit, lukin. Hier hat die analogie noch weiter um sich
gegriffen, indem auch borin etc. gegen burinn etc. vertauscht
worden sind. Nur ganz wenige verben gehören dieser gruppe
an (partt. borit, skorit, stolit, sowit). Nachdem man in der
soeben dargelegten weise varp : (w)urpin, halp : hulpin, galt :
guldin etc. bekommen hatte, wurden nach diesen mustern in
') Die nendän. reichssprache stimmt in dieser beziehung hauptsächlich
mit dem aschon. überein: nendän. haaren, skaaren, stjaalen « stolen), aber
buden, budt, brudt (als adjectiv brwlen, broddcn), skudt; doch fros&en,
[vorden].
») In dieser weise erklären sich auch die seltenen anorw. bupinn,
lutinn, isl. lukinn, welche von Noreen, Aisl. gr.» § 412 anni. 2, § 414 anm. I
erwähnt, aber nicht erklärt werde».
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506
KOCK
den verben bar : borit, skar : skorit, stal : stolit, swaf : sowit
die partt, borit etc. gegen burit etc. vertauscht Hiermit ist zu
vergleichen, dass die analogische Umbildung im nschw. noch
weiter gegangen ist. Nach halp : hulpo : hulpen etc. sind in
bar : 6dro : buren etc. die praett. pl. bäro etc. durch &t*ro etc.
ersetzt worden.1)
Im schwedischen ist das ältere o auch in den als adj.
benutzten isl. lopinn : aschw. lopin, lupin : nschw. ludeny isL
rotinn : aschw. rotin, rutin : nschw. rutten durch das jüngere n
ersetzt worden. Auch dies kann durch analogischen ein flu»
erklärt werden. Da man einen Wechsel borin : burin, flotin :
flutin etc. in grosser ausdehnung hatte, bildete man zu lojrin,
rotin die nebenformen lupin, rutin, welche nachher (ebenso
wie burin, flutin etc.) den sieg davontrugen. Das ndan. aber
hat immer lodden, rodden erhalten.
Möglicherweise hat bei freier wähl zwischen o : u in
der Wurzelsilbe der umstand, dass die ultima der discutierten
participien einen Maut enthielt, die durchfuhrung des u be-
fördert; vgl. Äström, Sv. landsm. 6, no. 6, s. 41. Kock, Arkiv n. f.
2, 14. 5, 245.
Excurs 2.
Zur frage nach dem palatalumlaut.
Schon oben habe ich hervorgehoben, dass kein zweifei
darüber obwalten kann, dass die palatalen consonanten bei der
hervorbringung des i'-umlauts, z. b. in isl. part. ekinn etc., eine
rolle gespielt haben. Durch die erörterung des Übergangs
*brostanR > brostenn, brostinn etc. dürfte dies noch mehr be-
stätigt worden sein.
Gewisse fragen betreffs des palatalumlauts sind aber bis
jetzt nicht in genügender weise erörtert worden.
«) In ähnlicher weise erklären sich die seltenen praet. pl. isl. syngum
statt sungum (zu syngva), anorw. vorpum statt vurpum (zu verpa), aschw.
sloppom statt sluppom (ru slippa): die wnreelvocale sind ans den partt.
synginn, orpinn, sloppin übertragen worden. Im aschw. praet. pl. tmrpo,
part. vurpin > nschw. vordo, vorden wurde das u vor rd lautgeset*lich zn o
(Kock, Arkiv n. f. 5, 247). Dnrch den einfluss des praes. sofva hat das part
sofvit in der nschw. reichssprache noch immer sein o erhalten, lieber da?
part. ajütl. kommt, aschon. kummin, kommit, awestgöt. kummin, kamen,
aostgöt, kumin, komm 8. unten.
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DER 4-UMLAÜT ETC. IN DEN ALTNORD. 8PRACHEN. 507
Eine solche frage ist die, ob der palatalumlaut in der-
selben ausdehnung im westnord. wie im ostnord. durchgeführt
worden ist. Eine zweite, ob der palatalumlaut gleichzeitig
mit dem gewöhnlichen (jüngeren) t-umlaut oder zu einer
anderen zeit eingetreten ist. Eine dritte endlich, ob es der
palat&l als solcher ist, der den umlaut hervorgerufen, oder ob
der palatal (z. b. in akenn) einen frühen Übergang des end-
vocals e in i (akinn) veranlasste, wonach dieser t-laut ebenso
wie andere i-laute in gewöhnlicher weise t-umlaut bewirkte.
Die erste dieser fragen muss, so viel ich sehe, dahin be-
antwortet werden, dass im westnord., oder wenigstens in den
dialekten, aus welchen sich die isl. literatursprache entwickelt
hat, nur a, nicht aber andere gutturalen vocale palatalumlaut
bekommen haben; dagegen waren im ostnord., wenigstens dia-
lektisch, auch andere gutturale vocale dem palatalumlaut
unterworfen.
Die regel für das isl. ergibt sich aus den umgelauteten
partt. eJdnn, dreginn etc. (vgl. s. 487) im vergleich mit den
nicht umgelauteten sprunginn, stunginn, dntkkinn, bolginn,
solginn, bor ginn, folginn, brugginn, hnugginn, tugginn, slunginn,
sunginn, prunginn, hrokkinn, sokkinn, boginn, flokinn, fokinn,
loginn etc., aukinn.
Wie bekannt haben die verschiedenen formen der starken
verben sich sehr oft gegenseitig beeinflusst, und die vocalisation
des praes. ist besonders oft auf andere formen übertragen
worden (vgl. s. 496). Wenn sich im isl. neben part. sunginn
zu syngva auch synginn findet, so hat diese form ihr y aus
dem praes. bekommen. Umgekehrt rührt das a im part. han-
ginn, fanginn (neben fenginn) teils aus hanga, fanga,*) teils
aus den synkopierten casus hangnir, fangnir etc. her.
Der palatalumlaut von a findet sich ausserdem in isl.
dreki, fleki (neben flaki), afreki (neben afraki), wol auch in dat.
sg. degi (zu dagr\ vielleicht in segi (vgl. aschw. saghi; im isl.
jedoch auch sigi, vgl. teils Kock, Medeltidsordspräk 2, 68, teils
Bugge, Arkiv n. f. 6, 87). Ursprünglich flectierte man wie be-
>) Im aschw. findet sich fanga neben fa und die existenz eines isl.
f«nga geht ans dem praes. conj. fangt hervor; vgl. Noreen, Aisl. gr.* § 431
anm. 1.
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508
KOCK
kannt fleki : fldka etc.; später ist das a auch in den nom. flaki
analogisch eingedrungen.
Neben den isl. partt. genginn, fenginn kommen auch gin-
ginn, finginn, und in praes. sg. kommt neben gengr auch gingr
(Jön Thorkelsson, Beyging sterkra sagnoröa s. 143) vor. In der
Aisl. gr.2 § 431 anm. 1 und 5 ist Noreen der ansieht, dass die
partt. ginginn, finginn die inff. *ginga, *finga voraussetzen, und
dass das praes. gingr mit lit. zengiu zusammenzustellen sei Ich
kann mir diese auffassung nicht zu eigen machen. Schon
Bugge hat, Arkiv 2, 224, bemerkt: 'das durch /- um laut aus a
entstandene e in forengi [< *forgengi] ist in i in foringi ebenso
wie in finginn, ginginn übergegangen. Bei forengi > foringi
wirkte der umstand mit, dass e nicht den hauptton hatte'.
Ich bin der meinung, dass ein durch i-umlaut (es sei durch
gewöhnlichen t-umlaut oder durch palatalumlaut) entwickeltes
e vor ng in semifortis- und infortissilbe weiter zu i wurde;
es ist vielleicht auch eine bedingung für diese lautentwicke-
lung, dass der laut Verbindung -eng- entweder ein g vorhei-
gieng oder ein i nachfolgte. Dagegen bleibt e in der fortis-
silbe unter im übrigen gleichen bedingungen erhalten. Bei-
spiele: *forgengi (vgl. got. faüragaggja) > *forgingi > foringi;
*unngengi > *unngingi > unningi, *värgengi > *vdrgingi >
veeringi, *ofrgengi > *ofrgingi > ofringi. In gleicher weise
entwickelte sich -genginn zu -ginginn im zweiten gliede der
zahlreichen composita (juxtapositionen) : upp-, a-, fram-, um-
genginn > uppginginn etc. Dass solche juxtapositionen auf
dem ersten (nicht auf dem zweiten) juxtapositionsglied fortis
hatten, geht aus der (dialektischen) acc. 1 von utgdngen, in-
gängen etc. im nschw. hervor. Als simplex blieb dagegen
genginn erhalten. Nachher konnten genginn und ginginn durch
gegenseitige beeinflussung sowol als simplex wie in der com-
position benutzt werden.
Der Wechsel gingr : gengr ist in derselben weise zu er-
klären. Heutzutage accentuiert man im nschw. gär üt etc.
mit infortis auf gär und fortis auf ut (vgl. nhd. er gtht aus).
In den isl. juxtapositionen gengr-(tt, gengr-inn etc. wurde gengr
lautgesetzlich zu gingr \ als simplex blieb aber gengr erhalten.
Im zweiten gliede der juxtapositionen ist -fenginn zu -fin-
ginn entwickelt worden.
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 509
Der palatalumlaut von a findet sich in einigen ostnord.
Wörtern wider: part. drceghin (neben draghin), slceghin (neben
slaghin), Opwwghinsporp (neben pwaghin), gamgin (neben gangin),
part. ßngin (< *famgin; neben fangin), praes. conj. taki (< taki
zu taka), dat. sg. daghi (zu dagher). !) Der gen. Dregha- (Drcegha-)
im Ortsnamen Dreghastadha kann sich zu Dragha (nom. Draght)
verhalten wie isl. fleht zu flaki etc. Auch in dem seltenen
nwkin (Birg. IV) statt na&tn kann palatalumlaut vorliegen.
Dagegen ist das ältere ce in den aschw. partt. akin, flaghin,
gnagin, takin durch den einfluss der synkopierten casus aknir
etc. und der praess. aka, gnaga, taka von a verdrängt worden.
Das adän. (wenigstens das altjütländische und altschonische)
hat in den partt. dragcet, fangest, gangeet, ajütl. takam keinen
umlaut. Im aschon. dagegen heisst das part neben takit auch
toekit, teekin (infin. takas und twkw). Der «-laut ist in twka
(neben taka) aus dem praes. sg. teekwr (vgl. isl. tekr) ein-
gedrungen. Das part. teekit kann palatalumlaut enthalten, kann
aber auch sein ce analogisch aus twkeer (tmkm) bekommen haben.
Im ostnord. findet aber der palatalumlaut (wenigstens dia-
lektisch) auch bei u und o statt, z. b. in aschw. adän. Tyke (vgl.
das nicht umgelautete latinisierte Tuco) und wol auch (vor rk,
rg) in aschw. adän. Therkil, Therkel, aschw. Thyrkil, der adän.
frauenname Tyrckel, aschw. adän. (latin.) Thyrgerus (< Pur-
geirr). Thyrkil, Therkil sind aus Parkotil bez. Pörkaitil ent-
standen. Hierher können auch gerechnet werden die partt aschw.
drykkith (einmal in SGG. st. des normalen drukkit), brygget
(einmal in BSH. aus dem jähre 1502; statt bruggit), [kaum
thryskit, einmal im Cod. bildst. neben thruskin], adän. (aschon.)
heggeet (einmal statt hoggit)*) Der gebrauch des part. drykkin
neben drukkin scheint durch aschw. drykkinskaper (neben
drukkinskaper), nschw. dryckenskap bestätigt zu werden (vgl.
') Vgl. z. t. Noreen, Arkiv 1, 153 anra. Er ist jedoch dort geneigt die
Wörter andere zn erklären, und in der jüngst erschienenen Aschw. grainm.
heft 1 scheint er der ansieht zu sein, dass sie gewöhnlichen i-unilaut ent-
halten. Adj. feeghin gehört nicht hierher; es hat gewöhnlichen i-umlaut,
der dnreh das suffix -in- (vgl. got. fagin&n) bewirkt worden ist.
») Das zweimal belegte aschw. slyng{h)o (3. pl. praet. zu üiunga) statt
»lungo setzt vielleicht ein part. *slyngin (neben slungin) voraus, aus wel-
chem y in das praet. pl. übertragen worden ist; vgl. s. 506 anm.
510
KOCK
Tamm, Avledningsändelser hos svenska Substantiv s. 14). Doch
muss bemerkt werden, dass der wurzelvocal der partt. brygget,
thryskii, heggcet aus den infin. aschw. bryggia, pryskia, adän.
(aschon.) heggia hat entlehnt werden können.
In den Verhandl. der 28. Versammlung deutscher philologen
und Schulmänner (Leipz. 1873) s. 192 spricht sich Sievers über
den umlaut von ä in isl. sieginn etc. folgendermassen aus: 'es
muss ... in der natur der gutturale etwas den umlaut beför-
derndes gelegen haben; denn bekanntlich besitzt unursprüng-
liches d. h. erst nach der trennung der einzelnen germanischen
sprachen aus a etc. geschwächtes t sonst nicht die fähigkeit
umzulauten, oder mit anderen Worten, es war die periode des
eintritts der mouillierung bereits vorüber, als jene Schwächungen
eintraten.' Dagegen opponiert Läffler, Tidskr. f. fiL NR. 2, 274
anm. und Om r-omljudet af t, i och ei s.5f. Er ist der an-
sieht, dass der palatale consonant den nachfolgenden vocal so
beeinflusst habe, dass er schon vor dem ende der t-umlauts-
periode in i übergegangen sei, wonach der gewöhnliche i-um-
laut in slaginn > sleginn etc. sei durchgeführt worden. Nach
ihm ist also der umlaut nicht unmittelbar von dem consonanten
hervorgerufen worden.
Ich glaube (im gegensatz zu meiner bemerkung Beitr. 18,425
anm.), dass Sievers betreffs dieser frage das richtige gesehen
hat, wenigstens sofern unsere jetzige kenntnis des palatal-
umlauts im isl. für die beurteilung hinreicht.
Der gewöhnliche jüngere t- umlaut betrifft im west- und
ostnord. sowol das u, o (z. b. pl. *suni* > synir, *soni* > senir)
wie das a (z. b. pl. *wandiR > vendir). Der palatalumlaut aber
wird im isl. (wenigstens soweit wir bis jetzt wissen) nur bei ä
(nicht bei u, 6) z. b. gangenn > genginn durchgeführt Wenn
der t-laut der ultima von genginn und der in synir zu gleicher
zeit eingetreten und durch den t-laut der ultima hervorgerufen
worden wären, so hätte der ^-laut in sprtmgenn den vocal der
ultima in ähnlicher weise beeinflussen müssen, so dass man
sprunginn mit i in der ultima vor dem ende der gewöhnlichen
jüngeren t-umlautsperiode bekommen hätte, und dies sprungin*
hätte dann zu *sprynginn werden müssen. Dies ist aber nicht
der fall. Der umlaut in synir und der in genginn müssen also
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DER ,4 -UM LAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 511
zu verschiedenen Zeiten durchgeführt und von z. t. verschiedenen
factoren bewirkt worden sein.
Nach der durchfuhrung des gewöhnlichen jüngeren »-Um-
lauts in sunt* > synir etc. hat der zwischen k, g und einem
folgenden palatalen vocale (e, ce) entwickelte j'-laut den umlaut
bei ä im isl. (z. b. gang{enn > gengienn, später genginn) hervor-
gerufen. Wenn dieser umlaut im isl. nur bei a (nicht bei «, o)
bewirkt wurde, so ist hiermit zu vergleichen, dass der i-umlaut
im ahd. zuerst nur bei a (nicht bei den anderen gutturalen
vocalen) durchgeführt wurde ( Kauf f mann. Geschichte d. schwä-
bischen nun klart s. 152). Im ostnord. dagegen bewirkt der nach
k, g entwickelte j-laut umlaut auch bei u, o. Das latinisierte
Thyrgerus, welches ein ostnord. Pyrger < *Pnrgeirr voraus-
setzt, macht wahrscheinlich, dass ein »-laut der folgenden
silbe keine notwendige bedingung für das eintreten des palatal-
umlauts ist, sondern Pürger, Purgier ausgesprochen, ist in
Pyrgevius) umgelautet worden. Denn es ist wol nicht wahr-
scheinlich, dass Pyrger{us) y analogisch aus Pyrgisl, Pyrbiorn
etc. bekommen habe.
II. Zur frage nach dem umlaut vou u in den
altnord. sprachen.
Wie bekannt fasst man gewöhnlich den a-umlaut von u
gänzlich als eine urgerm. erscheinung auf, und man formuliert
die regel folgendermassen: 'vor ä, d, & in der folgenden silbe
wird u urgerm. zu o, sofern nicht entweder nasal + consonant
oder i zwischen den beiden vocalen steht.'
Ich will unten darzulegen versuchen, dass nach dem zeugnis
der an. sprachen eine solche generelle regel in urgerm. zeit
nicht gegolten hat.
Dass wirklich der a-umlaut unter gewissen bedingungen
in einer sehr frühen periode der urnord. spräche (vielleicht
sogar in urgerm. zeit) eingetreten ist, lehren einige beispiele
des a- umlauts in den urnord. runeninschriften. So liest man
z. b. auf dem goldenen hörne acc. sg. horna (< *hurna) und
Holtingax, sei es dass dieser personenname eine ableitung von
einem personennamen nom *Hulta : gen. *Holtann, sei es dass
er eine ableitung von einem neutr. subst. *holta (isl. holt) ist.
Der Tunestein hat worahto (1. sg. praet. = isl. orta). Aus später
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512
KOCK
urnord. zeit finden sich hajmwolafa (Gommor), hqpuwolafx, hart-
wolafx, borumn (Stentofta), orte (By).1)
Die vocalisation der folgenden Wörter zeigt aber, dass der
a-umlant wenigstens nicht in allen Stellungen in früher ur-
nord. (oder gar urgerm.) zeit eingetreten ist.
Das isl. hat als compositionsglied frum-, z. b. in fruntburpr,
frumferitt, frumgiof, frumhlaup etc. Diesem isl. frum- ent-
spricht got. fruma- in frumabaür 'der erstgeborene'; vgl. auch
got. frums m. 'anfang', fruma 'der erste'. Da das -a- des
ersten compositionsgliedes urnord. noch erhalten ist, z. b. hk-
wagastiR (goldenes horn), fauauisa (seeländ. bracteat), sfcifw]-
PcUeuba* (Skärkind), so muss frumhlaup urnord. *frumahlaupa
geheissen haben. Wenn nun das a in fruma- in urgerm. oder
urnord. zeit umlaut bewirkt hätte, so hätte man isl. *frotnhlaup
etc. (nicht frumhlaup) haben müssen, und dies ist um so not-
wendiger, als es kein simplex gibt, aus welchem der «-laut
auf frumhlaup etc. hat übertragen werden können.
Isl. humarr m. ist früher flectiert worden: nom. *humara*,
gen. *humarasf dat. Viumare, acc. *humara, pl. nom. *humarö*,
gen. *humarö, dat. *humarom-, acc. Viumarann. Ohne zweifei
wird niemand annehmen wollen, dass der vocal der zweiten
silbe in dat. sg. und nom. gen. dat. pl. (isl. dat. sg. humri, vgl.
mmri zu sumarr etc.) vor der zeit verloren gegangen sei, wo
z. b. die inschrift des goldenen hornes eingeritzt wurde. Dass
dies auch nicht der fall gewesen ist, geht übrigens zur genüge
aus dem folgenden hervor.
Die u- und i -stamme verloren im urnord. (gemeinnord.)
als erste compositionsglieder mit fortis den u- bez. /-laut früher
als u, i in den entsprechenden simplicia verloren giengen. So
wurde z. b. *asumund- früher zu asmund als z. b. der acc. sg.
wgll {voll) aus *wallu entstand; *kwäni-fang wurde früher zu
kvänfang als der acc. sg. *hwani zu kvcBn (ßugge, Bidrag til
den seldste skaldedigtnings historie s. 8 ff. Kock, Arkiv n. f. 8,
*) otclßuPeicaR (Torebjierg) braucht nicht statt \colpu}>eicatt, das (ana-
logischen) a-umlaut enthalten würde, geritzt zu sein. I>a in dem mit den
<. runen geritzten teile der Räkinschrift die o-rune den ir-laut (hoaa. —
Hicur), die M7-nine aber den «-laut (sagwm = sagum) ausdrückt (Bugge,
Vitterheta akademiens handlingar 31 no. 3 s. 53. 41), so kann owipufxtcaK
die ausspräche wulpußewaa bezeichnen.
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DER ^l-UMLAÜT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 513
249 ff.). Deshalb hat auch z. b. der a-stamm hlewa- in hlewa-
gastin (isl. *hkgestr) den a-laut früher als das simplex *hlewa
> isL hie verlieren müssen. Da sich nun auf dem goldenen
hörne hlewa-gastiR findet, auf dem seeländ. bracteaten faua-uisa
etc., so muss zu dieser zeit der a-laut der zweiten silbe in
allen casus von humarr erhalten gewesen sein (nom. sg.
VmmaraR, dat. sg. Viumare, nom. pl. *humarö~R etc.). Bei der
gewöhnlichen auffassung des a-umlauts ist es aber dann un-
begreiflich, warum man isl. humarr (nicht *homarr) hat; vgl.
horna auf dem goldenen hörne, isl. horn. Dass der a-laut im
pl. *humaröR etc. relativ lange erhalten wurde, wird auch durch
das erhaltene i in tawido (gold. horn), faihido (Einang), dalidun
(Tune), hlaaiwido (Strand) bestätigt.
Isl. sutnarr m., aschw. sumar in. kann in derselben weise
wie isl. humarr beurteilt werden. Da das wort aber ursprüng-
lich ein neutrum ist (Joh. Schmidt, Neutra s. 207), und das isl.
immer sumar n. neben sumarr m. hat, so ist es vielleicht auch
möglich, dass der u-laut aus dem nom. acc. pl. sumur n. auf
sumarr m. tibertragen worden ist.
Neben den gewöhnlichen composita mit Por- (Porbiorn etc.)
.gibt es im ostnord. einige damit etymologisch identische Wörter
auf Thür- und (mit t-umlaut) Pyr-: Thurgerus (latinisiert),
Thurbemus (latinisiert), Thyrbiern, Pyrgüs etc. (vgl. oben
s. 509). Isl. Ponarr (Pörr) ist früher flectiert worden: nom.
*PunaraR, gen. *Punaras, dat. *Punare, acc. *Punara, und das
compositum (lat.) Thurgerus, gemeinnord. Purgeirr ist aus
*Punara-gaiRaR entstanden. Wenn der a-umlaut zu gleicher
zeit in *hurna > horna und in *punaraR > *]>onaraR (Ponarr),
*Punara- > *ponara- eingetreten wäre, so ist es unmöglich,
die formen mit Pur-, Pyr- (Thurgerus, Pyrgils etc.) zu er-
klären; man hätte dann nämlich in allen casus von Ponarr
ebenso wie im compositionsglied Ponar- o bekommen müssen.
Während die isl. partt. folginn, tropinn, sofinn, ofinn a-um-
laut haben, fehlt der a-umlaut in den partt. numinn (zu nemo),
suminn (zu svima), obgleich nema, svima derselben verbalclasse
wie tropa etc. angehören. Die partt, numinn, suminn müssen
ebenso wie die allermeisten anderen partt. pass. das suffix -an-
gehabt haben: urnord. nom. sg. *nu manaR, *sumanaR, nom. pl.
*numanai, *sumanai etc. Während aber *truÖanaR (*trudanws)
Beitrage zur getchicht« der deutschen sprach«. XXIII. 33
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514
KOCK
zu trojrinn etc. wurde, haben numinn, suminn keinen a-umlaut.1)
Ebenso verhalt es sich mit dem part. aschw. kumin, adän.
kumcen, während isl. kominn (aschw. facultativ auch komin) o
bekommen hat . das aus praes. koma hat übertragen werden
können (dagegen praes. nema, svima mit den wurzelvocalen
e, i; vgl. auch unten s. 515).
Isl. sumr hat immer den wurzelvocal ti (aschw. aber noni.
acc. sg. neutr. somt etc. neben sumber). Auch diese vocalisa-
tion von isl. sumr ist schwierig, wenn auch nicht ganz unmög-
lich zu erklären, wenn der w-umlaut zu gleicher zeit in *huma
> koma und in nom. sg. *suman (*sumajg) eingetreten wäre.1)
Man würde möglicherweise annehmen wollen, dass der
ti-laut in isl. sumarr, frutn-, aschw. Thurgerus etc. von einer
in den an. sprachen eingetretenen entwickelung o > u vor
nasal herrühre, und zwar in der weise, dass zuerst z.b. *hu
maraz zu *homaraz, *homarr würde und nachher *}u>marr in
humarr übergienge. Eine solche annähme wäre aber nicht
möglich. Die an. sprachen haben nämlich recht oft die laut-
verbindungen -on-, -om-; ich erinnere z.b. an isl. sonr, gen.
sonar, bona, konr, konungr, gen. sg. konar, monvit, skona
'dienen', koma, broma 'bruchstück'; aschw. son, kona, konunger,
koma, somt etc., somliker, brupkome (neben brußgumi) etc.
Ich erkläre das Verhältnis in folgender weise.
Wie bekannt tritt der a-umlaut nicht ein, wenn die Ver-
bindung nasal -f consonant dem u nachfolgt, z. b. isl. acc sg.
dumban, inf. kunna, acc. sg. ungan.
Die annähme liegt deshalb sehr nahe, dass ein nasal ohne
nachfolgendem consonanten das eintreten des a-umlauts zwar
nicht ganz, aber vorläufig verhinderte. In urnord. zeit
wird u nicht zu o vor folgendem a, wenn m oder »
dem u nachfolgt; erst nachdem der mit levissimus
') Ueber anorw. nomettn b. unten s. 515 f.
•) Ich erinnere an folgende äiiaserung von Job. Schmidt anlässlich des
ahd. isl. sumar: 'das u vor folgendem a ist allein durch das m bedingt.
Im an. steht vor m stet« u, nicht o (Grimm 1»,443. Holtzniann, Altd. gr.
s. 73 f.), desgleichen im ags. (Grimm 1», 340. Holtemann s. 184. Sievera* § 70),
ebenso mehrfach im as. (Grimm 1 237. Holtzmann s. 139. Heyne, Kl. as. gr.
s. 11). Ohne auf diese dinge näher einzugehen, begnüge ich mich ein wort
anzuführen, welches in allen germanischen sprachen u hat, an. sumr, ags.
as. ahd. mm = a/io'c, skr. sama-a enklit.' (Neutra ß. 208).
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DER A-ÜMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 515
accentuierte a-laut der zweiten silbe verloren ge-
gangen war, wurde der o-umlaut in den lautverbin-
dungen -um-, -un- durchgeführt
Als der o-umlaut in *hurna > homa, *hulta 'wald' > *holta
(vgl. Holtinga*) etc. durchgeführt wurde, blieb das u in sg.
*sumaraR, pl. *$umarö* etc. noch erhalten.
Erst nachdem die synkopierten formen dat. sg. sumre,
nom. pl. sumra* etc. sich entwickelt hatten, gieng der nom. sg.
sumarR in somarR, somarr (vgl. aschw. soniar, nschw. sommar)
über. In den synkopierten sumraR etc. konnte jetzt ein a-um-
laut nicht eintreten, weil er überhaupt fehlt, wenn nasal -f
consonant dem u nachfolgt; auch der dat. sg. sumre bekam
natürlich keinen umlaut.
Aus den synkopierten casus (sumraR, sumre etc.) hat das
isl. sumarr, aschw. sumar den wurzelvocal bekommen, während
aschw. sornar, nschw. sommar die lautgesetzliche fortsetzung von
dem nom. sg. somarR etc. ist.
Wie sumarr sind isl. humarr, neuisl. humall aufzufassen;
der Wechsel isl. pumaU : aschw. pomal(finger) erklärt sich in
derselben weise wie sumarr : somar.
In *fruma-hlaupa etc. war der a-laut des ersten compo-
sitionsgliedes verloren gegangen, ehe der a-umlaut relativ spät
in den lautverbindungen -um-, -un- eintrat; daher isl. frum-
hlaup etc.
In urnord. zeit wurde ein umlaut im nom. sg. *numanaR,
nom. pl. m. *numanai, nom. acc. pl. f. *numanöR etc. nicht durch-
geführt, aber die partt. isL numinn, aschw. numm, isl. suminn,
aschw. sumit, aschw. Icumin, adän. kumatn können jedoch auf zwei
etwas verschiedene weisen aufgefasst werden. Der a-umlaut
in z. b. sumarR > somar kann so spät eingetreten sein, dass
*numanR damals schon zu *numenR (numenn) geworden war.
In diesem falle haben numinn, suminn, kumin lautgesetzlich u
in allen casus. Isl. aschw. komin(n) hat dann das o aus dem
inf. koma bekommen (vgl. oben s. 514), und der o-laut in anorw.
nomenn, aschw. nomin (neben numin) ist auch analogisch zu
erklären. Nach den verben praet. sväfu : part. sofinn, väfu :
ofinn, kvämu : kominn ist das part des verbs nämu : numinn
gegen nomenn vertauscht worden.
Es ist wol aber auch möglich, dass der a-umlaut in
33*
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KOCK
*sumarR > somarR vor der zeit eintrat, wo *numanR zu *numen*
{numenn) wurde, aber nachdem sich die synkopierung in nom.
acc. pl. fem. *numanöR > numnar etc. schon vollzogen hatte.
Wenn dem so ist, so trat der a-umlaut lautgesetzlich in *nu-
man* > nominn ein, und numinn hat m aus den synkopierten
casus numnir, numnar etc. bekommen; so kann auch kominn :
humin erklärt werden.')
Urnord. *]mnara-ga%RaR gab (vgl. *humarö* > humrar),
*punr-gaiRR, sei es dass die entwickelung *punara - gai*a* >
*punra-gai** > *punrgaiRR, sei es dass sie *punara-gatRaR >
*Punar-ga%RR > *]>unr-gaiRR war. Aus *punr-gai*R wurde laut-
gesetzlich *pargeiRR,7) aschw. Purger (latin. Thurgerus), Pyrgfr
(latin. Thyrgerus, vgl s. 509). Purgisl entwickelte sich durch den
t-umlaut zu Pyrgils etc.
Es sei hier hervorgehoben, dass man bei freier wähl
zwischen o : u in gewissen isl. Wortklassen den nicht umgelau-
teten vocal u gewählt hat, wenn m oder n nachfolgte; sonst
aber meistenteils o. Unter den verben welche wie isl. vaka
(got. haban) flectieren, haben brosa, ylottu. horfa, loßa, skotta,
skorta, tolla, pola, pora das umgelautete o (vgl. auch aschw.
dogha : isl. aschw. dug(h)a), aber dagegen una,~luma das nicht
umgelautete u. Ebenso verhält es sich bei den masc. n-stämmen.
Sie haben im isl. gewöhnlich o (nicht m), z. b. isl. flott, spori, losti,
loghi, stolpi etc.; dagegen findet sich u in gumi, shumi, bruni,
spuni, runi.
Der vocalwechsel im isL hunang n., aschw. hunagh n,
hunagher m. : aschw. honagh n., honagher m. ist in folgender
>) Da« seltene isl. kuma und die ostnord. wechselform kutna (neben
koma) haben ihr u ans dem praes. sg. mkumiR und dem part. kuminn bekommen.
*) Bei dem gemeinnord. Verluste von n in der lautverbindung un vor
8, r etc. wurde un zu P (nicht zu ö, wie Noreen, Aisl. gr. § 83 mit anm. 2
nnd noch Aschw. gr. § 84, 2b meint); Tgl. Kock, Arkiv n. f. 1, 57 ff. Bewei-
send ist besonders aschw. fus, isl. ß#8 « *funs), aber aschw. främßs, run.
Rtpfis, isl ßlfbss mit der entwickelung fl> o in der semifortissilbe. Das
wort heisst nämlich aschw. nicht, wie Noreen, Aisl. gr. § 83 anm. 2 angibt,
ßs, sondern (fast immer) fUs\ s. Söderwalls Wörterbuch. Uebrigens ist die
frage nach der behandlung von -un- vor s, r etc. eigentlich ohne belang
für die erklärung des u in Thurgeru* etc. Denn wenn auch -un- vor r in
ö Ubergegangen wäre, so wäre damit nicht erklärt worden, wie u in TAmt-
^eru* (Thyrgerus) aus einem urgerm. o in *Ponara- hätte entstehen können.
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 517
weise zu erklären In der laut Verbindung- -un- wurde der a-um-
laut vorläufig nicht durchgeführt. Zu einer zeit wo der
a-umlaut in kona eint rat, ruhte facultativ fortis auf der ultima
von hunäng, ebenso wie die ableitungsendungen ~ing, ~ung im
an. oft facultativ fortis hatten: isl. ten(n)ingr etc. (Kock, Fsv.
ljudlära 1, 50. Svensk akcent 2, 318 f. Arkiv 4, 165; ib. n. f. 1, 67
anm. 2). Ebenso wie ein i oder u in der fortissilbe keinen
umlaut bewirkte, so konnte auch durch das a der fortissilbe
kein umlaut bewirkt werden; daher hundng (nicht *hondng).
Durch Dissimilation gieng hunang in aschw. hunagh über
(Noreen, Pauls Grundr. 1*, § 189, 6). Da aber hunang facultativ
fortis auf der paenultima hatte, so wurde es durch den a-um-
laut zu *honang, aschw. honagh.
In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass vor der
lautverbindung ggw nicht der umgelautete vocal o, sondern u
steht. Während die masc. n - stamme sonst oft einen Wechsel
o : u haben (z. b. isl. oxi : tm, aschw. oxe : uxe, isl. aschw. flott :
aschw. fluti etc.), entspricht isl. skuggi, aschw. skugge dem got.
skuggwa. In Übereinstimmung hiermit findet sich u in den
isl. partt. hnugginn (zu hnoggva), tugginn (zu tyggva), gugginn
(zu gyggva\ brugginn (vgl. ags. breowari), obgleich der a-umlaut
in den partt gollinn, soltinn etc. durchgeführt worden ist; vgl.
Kock, Arkiv n. f. 7, 317 anm. 2. 8, 241. A. a. o. ist dargelegt wor-
den, dass skuggi, hnugginn etc. lautgesetzlich aus *skuggwi,
*hnnggwinn etc. entstanden sind. Hier sind noch zu beachten
isl. rugga (praet. -dpi) 'hin und her bewegen, wiegen' und das
wie vaka flectierte isl. ugga mit ti. Nicht nur w, sondern auch
gg waren stark labiale consonanten, weshalb g im ostnord.
vor gg in u übergegangen ist: hogg > aschw. hug etc. (Kock,
Fsv. ljudlära 2, 476 ff.). Diese eigenschaft von ggw ist es, die
den a-umlaut in *bruggwan* > brugginn etc. verhindert hat.
Doch ist es vielleicht auch möglich, dass der a-umlaut auch
in brugginn etc. einmal durchgeführt worden ist, obgleich sich
o später vor ggw zu u entwickelte; in diesem falle wäre die
entwickelung *bruggwanan > *broggwan* > *bruggwen* >
brugginn gewesen.1)
') Einmal findet sich im aschw. skogga statt skugga. Das o kann
hier darauf beruhen, dass w in skugg(w)a in irgend einem dialekt vor dem
ende der a-umlautsperiode verloren gegangen ist, und dass skugga nachher
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518
KOCK
Wegen der oben erwähnten und jetzt erörterten Wörter
humarr, frumhlaup etc. kann, wie schon gesagt, der a-umlaut
im ganzen genommen nicht eine urgerm. erscheinnng sein,
sondern er ist, wenigstens zum teil, in den verschiedenen germ.
sprachen durchgeführt worden, nachdem sich die germ. sprach-
einheit gespalten hatte.
Ich will auch andere momente heranziehen, welche dar-
tun, dass die gewöhnliche auffassung des a-umlauts nicht
richtig ist
Nach dieser soll urgerm. auch m a-umlaut bewirkt haben.
Soweit ich sehe, haben jedoch die an. sprachen keinen durch ß
hervorgerufenen a-umlaut von «.
Hierbei kommen besonders die masc. n-stämme in betracht.
Es findet sich bei einer menge solcher Wörter ein Wechsel u : o,
z. b. isl. tm, aschw. uxe : isl. oxi, aschw. oxe, isl. aschw. gumi,
aschw. bruPgumi : bru]>Jcome, aschw. fluti : isl. aschw. floti, aschw.
luste : loste, isl. losti, aschw. drupi : isl. aschw. dropi, aschw.
lughi : isL aschw. log(h)i, aschw. sarjmli : sar^oli, stülpe : Stolpe,
isl. stolpi, aschw. spurt : isl. aschw. spori, aschw. drusi : drosse,
musi : isl. aschw. mosi, aschw. pusi : isl. aschw. posi, aschw.
bruti : isl. aschw. broti, aschw. spruti : isl. aschw. sproti etc.
Der nom. sg. der masc. n-stämme ist in den urnord. runen-
inschriften oft belegt, und er hat dort die endung -a : teitcila
etc. Sie entspricht aller Wahrscheinlichkeit nach der griech.
endung -rjv, und fluti : floti etc. hatten also in urgerm. zeit den
endvocal ®\ vgl. Heinzel, Anz.fda. 12,48. ßugge, Arkiv n.f. 4, 18.
Kock, Skandinavisches archiv 1, 1 ff.
Der gen. sg. findet sich im urnord. prawivan (Tanum), der
dat. sg. im urnord. tcitadahalaiban (Tune), wo -an aus älterem
-on- entwickelt ist. Auch der urnord. gen. pl. scheint -an-
aus ält. -on- gehabt zu haben : arbijatw (Tune; vgl. got. hanane).
Ohne allen zweifei hatte der acc. sg. (flota) urnord. die endung
-an (vgl. got. hanan), ält. -on-. Im plur. ist die ursprüngliche
nom.-form *flutan[us] mit ält. -on- in den acc. eingedrungen
(isl. acc. flota, nom. flotar mit anal, -r; vgl. got. hanans, Streit-
en skogga wurde. Aber dies vereinzelte skogga kann wol auch analogisch
entstanden sein; nach der analogie von uxi : oxa, fluti : flota etc. kann man
zu nom. skugge den acc. skogga neu geschaffen haben.
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DER ^1-UMLAÜT ETC. IN DEN ALTNORD. 8PRACHEN. 519
berg, Urgerm. gramm. s. 256). Aus den «-stammen ist -om- auf
dat. pl. flotum übertragen worden.
In allen diesen formen hatte also z. b. fhtfi : floti in urgerm.
zeit die endvocale ö?, a oder o. Wenn aber alle diese end-
vocale den a-umlant bewirkten , so bleibt das u in fluti etc.
unerklärt. Die sache ist natürlich in der weise aufzufassen,
dass in den an. sprachen der a-umlant zwar durch den aus
indog. o entwickelten «-laut bewirkt worden ist, nicht aber
durch das germ. &, das urnord. zu einem hellen, ä- ähnlichen
"-laut (nom. unwila etc.) geworden war, und das in den an.
literatursprachen in e, i (fluti etc.) übergieng. Der a-umlaut
ist also z. b. nicht in nom. sg. * flutte, urnord. *fluta, gemeinnord.
* flute, aschw. /Iwft eingetreten; in den obl. casus *flutan>*flotan,
isl. aschw. flota ist er aber durchgeführt worden. Hierdurch
wird die ansieht Bugges, Arkiv 4, 19 bestätigt, dass der a-laut
in nom. sg. tciwila etc. ein d-ähnliches o war.
Gegen diese auffassung kann nicht eingewendet werden,
dass das u in fluti etc. aus solchen urnord. oder urgerm. casus
herrühre, welche in den an. literatursprachen verloren gegangen
wären. Am ehesten könnte man wol an eine form auf -in(n)
für gen. und dat. sg. (vgl. got. gen. hanins, dat. hanin) denken.
Noreen hat nämlich die Vermutung ausgesprochen, dass der
t-umlaut einiger wenigen nord. n-stämme auf eine solche
endung zurückzuführen sei, z. b. aschw. grepe : isl. gröpi (Sv.
landsm. 1, 696 anm. 3; 738. Pauls Grundr. 1«, 613). Dies ist viel-
leicht richtig. Ein urnord. *flutin muss aber in den an.
literatursprachen *flyti (nicht fluti) ergeben haben, und es ist
gewis nicht möglich, dass der u-laut in einer so grossen
menge Wörter {gumi, fluti etc.) dadurch gerettet worden wäre,
dass er vor der t-umlautsperiode aus dem gen. dat. sg. in den
nom. acc. sg. übertragen worden wäre. Dass dies nicht der
fall gewesen ist, geht vor allen dingen daraus hervor, dass
die umgelauteten formen *gymi, *flyti etc. sich nicht einmal
neben gumi, fluti etc. finden.
Wenn der a-laut der ultima von brosa etc. (wie vaka, got.
haban flectiert) aus urgerm. & entstanden ist, so ist doch der
a-umlaut in brosa erst nach der zeit bewirkt worden, wo ®
in a übergieng.
Die Umlautsverhältnisse dieser verben (brosa, duga etc.)
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520 KOCK
dürften nämlich die frage zum teil aufklären, wann dar
a- umlaut von u durchgeführt wurde.
Man flectiert bekanntlich im got. praes. haba, habais, ha-
baip, habam, habaijt, hdband, inf. hdban, part. praes. habands.
Betreffs der ziemlich umfangreichen literatur über die geschicht-
liche erklärung dieser verben verweise ich auf Streitberg, Ur-
germ. gramm. s. 306. Es dürfte aber als sicher gelten, dass die
flexion dieser verben auf einem älteren Stadium des an. mit
der got. in der weise übereinstimmte, dass sich der diphthong
ai fand, wo das got. diesen diphthong, aber der endvocal o,
wo das got. diesen laut hatte.1)
Wenn nun der diphthong ai während der o-umlautsperiode
erhalten gewesen wäre, und wenn überhaupt jeder a-laut
a-umlaut bewirkt hätte, so hätte auch der a-laut des diphthongs
ai umlaut bewirken müssen; vgl. dass der i-laut des brechungs-
diphthongs io, ebenso wie andere t-laute, «'-umlaut bewirkt, z. b.
Pyrbiorn (< Purbiorn). Unter diesen Verhältnissen hätten alle
formen (oder fast alle formen) dieser verben mit dem wurzel-
vocal u «-umlaut bekommen müssen.
Während aber mehrere verben dieser flexion a- umlaut
haben (isL brosa, glotta etc.), fehlt der umlaut in anderen immer
oder oft: isl. una, luma, duga : aschw. dogha (neben dugha).
Wie bekannt geht der germ. diphthong ai der infortis-
silbe im nord. in 4 i über (vgl. 2. 3. sg. praes. vakir etc.). Man
ist deshalb zu der Schlußfolgerung berechtigt, dass der o-um-
laut in z. b. aschw. dogha ( : isl. duga) erst nach der zeit durch-
geführt worden ist, wo ai in der endung zu e oder wenigstens
zu ei wurde. In der 3. pers. pl. *du$an (vgl. über diese form
Kock, Arkiv n.f. 10, 232 ff.), in inf. *dugan etc. wurde der a-um-
laut durchgeführt (*aojan), in der 2. 3. sg. *du$e*f *du&e# etc.
aber nicht. Isl. duga hat die vocalisation dieser, aschw. dogha
die vocalisation jener formen bekommen.
Ich will noch ein paar umstünde hervorheben, welche
dartun, dass im an. zwar a, nicht aber ö (wie auch nicht *)
o- umlaut bewirkte.
In mehreren einsilbigen masc. a- Stämmen findet sich ein
') Mit ausnähme der 1. pers. Bg. prae». (Noreen in Panls Gnindr. !•.
§ 249).
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DER ^4-UMLAÜT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 521
Wechsel u : o, z. b. aschw. uter, nschw. utter : isl. otr, aschw.
oter, aschw. udder, nschw. udd : isl. oddr, aschw. odder, aschw.
lukker : isl. lokkr, aschw. lokker, aschw., ält. nschw. kus(s) : isl.
koss, aschw. kos, nschw. tupp : isl. toppr, aschw. topper, aschw.
flukker : isl. flokkr, aschw. flokker. Ausserdem findet sich ein
solcher in mehreren gleichartigen Wörtern, wo der dem wurzel-
vocal vorhergehende consonant bei freier wähl zwischen
u : o den w-laut begünstigt hat, z. b. isl. aschw. bukk(e)r :
bokk(e)rt bulst(e)r : bolst(e)r, fug(h)l : fog(h)l, aschw. krupper :
isl. aschw. kropp(e)r etc.; vgl. unten 8. 527 ff. Isl. ulfr, aschw.
ulwer hat sogar ausschliesslich «; nur als zweites compositions-
glied wird -olfr in isl. Eyiolfr etc. verwendet; vgl. urnord.
hapuwolafa (Gommor), hapuwolaf* (Stentofta) neben hariwulqfq:,
hapuwuhf*, haeruwuloyfiR (Istaby).
Bekanntlich enthielt urnord. die zweite silbe solcher Wörter
in allen casus ausser dem' dat. sg. a, o oder ö (sg. *utra*, *utms,
*utre, *utra; pl. *utröR, *utrö, *utrom-, *utrann). Also hätte
nach der gewöhnlichen auffassung des a-umlauts dieser in allen
casus ausser dem dat. sg. durchgeführt sein sollen. Zu einer
noch früheren zeit hätte der a-umlaut auch in dat. sg. ein-
treten müssen, wenn er überhaupt einer so frühen periode
angehörte; die urnord. dat.-endung € dürfte nämlich (vgl.
Streitberg, Urgerm. gramm. s. 227) aus germ. ai, indog. öl ent-
standen sein. Wäre es nun möglich, dass der u-laut so vieler
Wörter aus dem dat sg. allein herrühre, sogar in Wörtern, die
wegen der bedeutung nur äusserst selten im dat. sg. haben
vorkommen können? Diese frage muss jedenfalls mit nein
beantwortet werden.
Die sache stellt sich dagegen ganz einfach, wenn man an-
nimmt, dass der a-umlaut nicht urgerm. ist, und dass in urnord.
zeit nur ä (nicht aber Ö) den a-umlaut bewirkte. Gleichzeitig
mit der entwickelung *hurna > lwrna wurde dann der a-um-
laut in vier casus von z. b. uter : otr durchgeführt (sg. nom.
*otras, gen. *otr<is, acc. *otra, acc. pl. *otrann), aber u blieb
vorläufig in vier casus (dat. sg. *utre, pl. nom. *utrö*, gen.
*utrö, dat. *utrom-) erhalten. Nachdem das mit levissimus
accentuierte a in nom. sg. *otraR > otr(x), acc. sg. *otra > otr
etc. verloren gegangen war (bez. nachdem der a-laut der ultima
so reduciert worden war, dass er nicht mehr eigentlichen
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522
KOCK
a-klang hatte und deshalb auch nicht mehr o-umlaut bewirken
konnte; vgl. dass der a- ähnliche «-laut des nom. 8g. *fluta >
fluti keinen um laut bewirkt1)), wurde der nicht umgelautet«
vocal u aus dem dat. sg., nom. gen. dat. pl. (*utre, *utrd~*, *utrö,
*utrom-) in die casus mit lautgesetzlichem o eingeführt, und
man bekam also nom. sg. utr(R) neben otr{R), gen. sg. utrs neben
otrs, acc. sg. utr neben otr. Erst nachdem nom. pl. *utröR, gen.
pl. *utrö zu utran, utra geworden, bewirkte a auch in diesen
casus umlaut (otra*, otra). Jetzt hatte man aber schon den
Wechsel «*#■(«) (aschw. uter) \ otr[*) (isl. aschw. ot(e)r).
Unter den für diese frage beweisfähigen masc. n-stämmen
habe ich aschw. nschw. ugn : isl. aschw. ofn, isl. ogn, aschw.
oghn, omn, dän. ovn nicht erwähnt Im aschw. dürfte nämlich
eine lautgesetzliche entwickelung o > u vor dem gutturalen
nasal durchgeführt worden sein. Nachdem oghn zu ogn> ongn
geworden, gieng o in u (ongn > uhgn, aber noch ugn ge-
schrieben) ebenso wie in (isl.) logn > aschw. nschw. lugn über.
Beachte auch isl. hrogn, aschw. (sike)rompn, nschw. rom : aschw.
rughn.
Der Wechsel aschw. skop 'spass' : dat. pl. skupum spricht
auch dafür, dass nur ä den «-umlaut bewirkte; vgl. aschw. hop,
nschw. hopp ' sprung' : aschw. dat. hupt. Auch aschw. hop 'hoff-
nung" (das jedoch wol ein mnd. lehen ist, vgl. mnd. hope) hat
in der regel (vgl. nschw. hopp) o\ nur im aschw. dat hupt
(jüng. hupe) ist u belegt. Die angeführten Wörter sind kurz-
silbig, und solche haben im aschw. den alten lautgesetzlichen
Wechsel u : o länger als die langsilbigen erhalten; vgl. Kock.
Tidskrift f. fil. n. r. 8, 295 (Arkiv n. f. 2, 14 f.). Derselbe laut-
gesetzliche Wechsel kann aber auch ausnahmsweise in lang-
') Der Istabystein spricht möglicherweise für die z weite alter-
native. Dieser stein hat nämlich den acc. 8g. hariwulqfa wo das q, der
ultima einen reduzierten a-laut auszudrücken scheint (vgl. Noreen, Aid. gr.f
s. 259), aber schon den acc. pl. runan « runön). Da dch aber dort auch
der nom. hapMculqfn mit verloren gegangenem a « *hapuicubfan) findet,
so ist die inschrift für diese frage nicht beweisfähig. Es ist zu beachten,
dass Jtttrnndafa, hafiutculqfR composita sind, und dass die endvocale der
composita lautgesetzlich etwas früher als die der simplicia verloren gehen.
Man hegt aber wie bekannt den verdacht, dass die Istabyinschrift eine aus
relativ späterer zeit herrührende nicht ganz gelungene nachahmung der
älteren runensprache sei.
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DER ,-l-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 523
silbigen Wörtern verspürt werden. Es findet sich aschw. lopt
' solarinm ' : dat. lupte. holmber hat fast überall o; doch in
zwei lat diplomen in erbohulm (ans dem jähre 1287) < dat.
-hulme und dat. pl. hulmum (aus dem jähre 1311).
Ferner zeugt der Wechsel der umgelauteten und der nicht
umgelauteten formen bei den fem. n- Stämmen dafür, dass
zwar a nicht aber ö den o-umlaut bewirkte. In gewissen
altschwedischen Schriften findet sich, wie bekannt, ein regel-
mässiger Wechsel nom. kona : obl. casus kunu, nom. hola : obl.
casus hulu; zu beachten ist auch aschw. fora : nschw. af furu.
Vgl. isl. kona : kuna, aschw. loka : luka, aschw. flogha : isl. aschw.
flug(h)a, isL aschw. hosa : aschw. husa, isl. stofa, aschw. stowa :
stuwa, ält. nschw. sola : aschw. sula, aschw. skrobba (als beiname
benutzt, Lundgren, Sv. landsm. 10, no.6. s. 66) : skrubba 'höhle'.
Isl. lubba 'grosser dorsch' hat sogar nur u,
Der gen. sg. Igivon auf dem Stenstadstein lehrt, dass die
fem.n-stämme urnord. -ö»(») in der ultima hatten, was vollständig
mit der got. flexion gen. tuggöns, dat. tuggön etc. übereinstimmt.»)
') Dieser ansieht ist auch Bugge, Norges indskrifter s. 180. Ohne ge-
nügenden grond nimmt Noreen, z. b. in Pauls Grundr. 1* s. 614 an, dass der
gen. sg. isl. teiku etc. aus urnord. *wikün entstanden sei. Nirgends ist
aber ein urnord. gen. auf -flu oder dgl. belegt (in lakmuprku [acc. pl.] der
relativ späten [nicht nrnord.] Kärnboinschrift ist -u natürlich aus ält.
-önn entstanden). Der endvocal -u des gen. sg. vitcu (vgl. got. tuggöns)
trotx dem -a in inf. kalla (vgl. got. salbön) erklärt sich in folgender weise.
Nom. acc. pl. aschw. eghon, eghun und wol auch isl. augu entsprechen dem got.
augöna (s. Kock, Beitr. 15, 244 ff.)- Also ist im nom. acc. pl. *augön- (mit
vocal nach n) der endvocal als o, u erhalten (vgl. aschw. »ghon, eghun,
isl. augu), während urnord. *kaüön mit auslautendem kurzem n zu ist
aschw. kaüa geworden ist. Die entwickelung *kcdk>n kalla ist deutlich
durch den relativ frühen verlust des -n bedingt; vgl. dagegen aschw.
tghon mit o und erhaltenem n. Der gen. sg. vßcu, der nom. acc. pl. *wiku
(vgl. Iqkmuprku auf dem Kärnbosteine ; später anal. wihtR, vikur) sind aus
urnord. *wikonn mit langem n, +wikonR, wikonz (vgl. got. tungöns) ent-
standen. Musste nun ö in *wik#nn mit langem -n in derselben weise wie
0 in *kaUön mit kurzem -n oder wie 0 in *augOn- (got. augöna) mit vocal
nach n behandelt werden? Weil der n-laut in *u7tkönn lang war, muss er
später als das kurze n in *kaüön verloren gegangen sein, wenn er auch
(wie aschw. gen. sg. viku : eghon lehrt) früher als in *augön- wegfiel. Man
hat also während einer periode *kaüö (wahrscheinlich mit nasaliertem ö)
neben *wikön(n) gehabt. Deshalb entwickelte sich *kallö zu kaüa (vgl.
nom. urnord. *tcikö > isl. aschw. vika), aber *tcikön(n) zu viku vgl. *aufön-
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Eine flexion nom. *hulö, gen. *hulönn, dat. acc. *hulön, pl. *hulonn,
*kulom hätte aber nur sg. hola : frof«, pl. //oho- etc. (nicht gen.
hulu, pl. //«/i/r etc. mit u in der Wurzelsilbe) geben müssen, wenn
a-umlaut auch durch ö bewirkt worden wäre. Wenn dagegen
nur ä (nicht ö) a-umlaut bewirkte, so ist der Wechsel nom. hola :
gen. hulu, pl. hulur etc. vollständig in Ordnung. Erst nachdem
urnord. nom. *hulö zu hula1) und urnord. gen. *huUfn(n) zu A»<lo
oder hulu geworden waren, wurde in solchen Wörtern der
a-umlaut durchgeführt; nom. hula wurde dann zu hola ent-
wickelt, während der wurzelvocal in gen. hulo, hulu etc. er-
halten wurde.1)
Da im an. nur ä, nicht 8, a-umlaut bewirkte, so ist der
a-umlaut in worahto (Tune) von dem zwischen r und ä ent-
> aschw. eghun, eghon, isl. augu). Streng lautgesetzlich hätten dat. und
acc. Hg. *wikön (vgl. got. tuggöri) zu *vika (vgl. inf. kaüd) entwickelt
werden müssen. Durch den einfluss der drei casus gen. sg., nom. acc pl.
*wikön(n) (vgl. got. tuggons) wurde aber das auslautende -n im dat. acc. sg.
*wikön (vorläufig) erhalten. Auch dies *wikon gab deshalb viku ebenso wie
gen. sg., nom. acc. pl. *icikön(n) zu viku wurden.
') Für diese frage ist es ohne belang, ob *hulö streng lautgeaetzlich
zu hula (ebensowie nom. *wikö zu vika etc.) wurde, oder ob ö in *hulß
(wegen des «-lautes der paenultima) lautgeaetzlich sollte erhalten bleiben
(vgl. Kock, Beitr. 15, 254 ff.); in diesem falle ist -a sehr früh in nom. sg.
hula aus nom. sg. rika etc. übertragen worden.
") Diese schlussfolgerung hat wegen des wechseis aschw. nkrobba :
skrubba, isl. kona : kuna, aschw. flogha : isl. fluga und wegen isl. lubba mit u
ihre gültigkeit, auch wenn das nebeneinander o : u in aschw. knrzsilbigen
fem. n-stämmen vielleicht zum teil auf einer aschw. dialektischen
lautgesetzlichen entwickelnng o > u vor u der folgenden silbe beruht;
wenn dem so ist, so wäre z. b. gen. stitwu durch s. g. 'tiUjämning' (zum
teil) lautgeaetzlich aus sUkeu entstanden. — Es braucht kaum bemerkt zu
werden, dass ginoronoR hideRrunono auf dem Stentoftastein nicht geges
meine obige auffassnng angeführt werden kann. -ronoR in ginoronoR kann
nämlich entschieden nicht mit Noreen, Aisl. gr.1 s. 263 als eine (o-umgelau-
tete) form ans neuisl. rww* 'linea, Stria' aufgefasst werden. Eher ist ~ronoit
aus -rünoR 'runen' (vgl. ginarünaR auf dem Björketorpstein) entstanden
und als ein beispiel der lautentwickelung 12 > o in semifortissilbe aufzu-
fassen (vgl. Kock, Arkiv n. f. 1, 57 ff.). Uebrigens ist bekanntlich der ganze
Charakter dieser inschrift der art, dass man auf ihr, wenigstens vorläufig,
nichts aufbauen darf. Es ist sehr leicht möglich , dass sie (wie Wimmer
annimmt und Bngge wenigstens früher annahm) eine schlechte copie einer
älteren inschrift bez. mehrerer älteren inschriften ist, die der Steinmetz
nicht oder nur mangelhaft verstand.
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DER ^i-ÜMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 525
wickelten parasitvocal a hervorgerufen worden, wobei vielleicht
auch der r-laut und möglicherweise auch der //-laut eine rolle
spielte. Wie bekannt hat der r-laut überhaupt eine tendenz
dem vorhergehenden vocale eine offenere ausspräche zu geben;
vgl. z. b. die entwickelung *hurn > haürn etc. im got, dass im
aschw. r bei freier wähl zwischen u : o den o-laut begünstigte,
und dass im späteren aschw. w vor dem hohen supradentalen r
in den lautverbindungen rö, rt etc. in o übergieng (spurj>e >
spordhe etc.; s. unten s. 527). Zu beachten ist auch der Über-
gang u> o (au) vor h sowol im got. (z. b. *suht$ > sauhts)
wie im an. (z. b. sott).
Nach den obigen erörterungen kann die frage aufgeworfen
werden: ist der a-umlaut von u gänzlich eine einzelsprach-
liche erscheinung, so dass z. b. die entwickelung *hurna > homa
nicht in urgerm. zeit durchgeführt worden, sondern teils früh-
urnordisch teils urwestgermanisch ist? So viel ich sehe, kann
die frage nicht mit voller Sicherheit beantwortet werden. Doch
spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der a-umlaut gänzlich
eine einzelsprachliche entwickelung ist.
Wie bekannt hat das got. Wulfllas überall u. In der
letzten zeit ist die scharfsinnige Vermutung ausgesprochen
worden, dass man in dem durch die klassischen autoren über-
lieferten namen der Goten Got(h)ones (neben Gutones) eine
spur des a-umlauts aus der vorwulfllanischen zeit habe (Osthoff
und Streitberg, IF. 4, 308 f. Streitberg, Urgerm. gramm. § 71 ; Got.
elementarbuch § 5). Nach dem aufsatz von Collitz, Journal of
Germ. phil. 1, 220 ff. dürfte man aber der Schreibweise der klas-
sischen autoren kein eigentliches zeugnis in dieser beziehung
beimessen können.
Dabei ist aber auch ein anderer umstand zu beachten.
Die möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass das nebeneinander
Got(h)ones : Gutones darauf hindeute, dass bei den Goten der
a-umlaut in einer bestimmten Stellung eingetreten, aber
sonst nicht durchgeführt worden ist. In Arkiv n. f. 8, 138 ff.
habe ich gelegenheit gehabt darzutun, dass ein stehengeblie-
benes u im anorw. (d.h. in gewissen anorw. dialekten) nur
in semifortissilbe, nicht aber in fortissilbe umlaut bewirkte, z. b.
piöÖggtu (nom. piöögata), aber simplex gatur ohne umlaut. In
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526
KOCK
Übereinstimmung hiermit ist der f- umlaut in der spräche des
Röksteines nur in der silbe mit semifortis, nicht in der fortis-
silbe von einem stehengebliebenen i hervorgerufen worden,
z. b. mogmini, d.h. mogmenni, aber uarin ohne umlaut (Kock,
Arkiv n. f. 10, 249 ff.). Da nun der Gotenname vor allem im
zweiten compositionsgliede der namen ' Ostgoten 1 und 'West-
goten1 (Ostrogothas und Wmgotfwe bei Jordanes, vgl. Streitberg.
BP. 4, 300 ff.), vorkommt, so ist es nicht unmöglich, dass bei
den Goten der «-umlaut nur in semifortissilbe eingetreten ist,
und dass die Schreibung Gutones bei den klassischen autoren
die vocalisation des simplex gutans, Got(h)ones aber die der
composita -gotans reflectiert.
Wie dem auch sei, so kann das got. nicht als eine stütze
für die annähme herangezogen werden, dass der a-umlaut in
urgerm. zeit in der fortissilbe durchgeführt worden sei.
Nun ist oben dargetan worden, dass der a-umlaut der an.
sprachen z. t ziemlich spät eingetreten ist. In sumar > somar
etc. wurde der a-umlaut erst bewirkt, nachdem der a-laut der
zweiten silbe des nom. pl. * sumar ör > sumra* etc. synkopiert
worden war. Im nom. sg. hula > hola, kuna > Jcona etc. wurde
er durchgeführt nach der zeit, wo -ö des nom. sg. in -a über-
gieng. Unter diesen umstanden ist es wenig glaublich, dass
die a-umlautsperiode schon in urgerm. zeit angefangen habe;
dann würde sie nämlich eine zu lange epoche umspannt haben.
Es ist viel wahrscheinlicher, dass der a-umlaut von *huma >
horna ebenso wie derjenige von hula > hola der nord. Sprach-
einheit angehört
Ich gehe zu der frage über, inwieweit ein vorhergehender
consonant in den an. literatursprachen, besonders im aschw., die
wähl von o oder u begünstigte, wenn diese vocale seit alters
in verschiedenen formen ein und desselben wortes wechselten.
Im Arkiv n. f. 5, 244 ff. habe ich die frage nach dem einfluss
eines unmittelbar folgenden consonanten (bez. einer unmittel-
bar folgenden consonantenverbindung) auf u sowie auf ein durch
a-umlaut aus u entwickeltes o behandelt; vgl. auch Brate, Äldre
Vestmannalagens ljudlära s. 23. R. Larsson, Sodermannalagens
spräk 1, 32. Hultman, Finländska bidrag tili svensk sprak- och
folklifsforskning s. 120. Noreen, Aschw. gramm. § 111, 2.
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DEB ^-UMLAUT BTC. IV DEN ALTNOBD. SPBACHEN. 527
Aber auch ein den vocalen o : u unmittelbar vorher-
gehender consonant hat einfluss auf sie ausüben können.
Dies geht besonders aus einer musterung des in Schlyters
glossar zum UpplandsgeseU (UL.) verzeichneten Wortschatzes
hervor.
Die tatsächlichen angaben über den Sprachgebrauch dieses
gesetzes rühren meistenteils aus jenem werke her, das zwar
nicht immer alle wechselformen der Wörter verzeichnet, aber
ohne zweifei die normalform immer correct anführt.
In meinem soeben citierten aufsatz dürfte dargelegt worden
sein, dass aschw. u vor dem hohen supradentalen r der laut-
verbindungen rö, rt, rn, rs, rl (spurpe > sporpe etc.) in o über-
gegangen, und dass im aschw. der o-laut bei freier wähl
zwischen o : u vor supradentalem l, n (foli etc.) begünstigt
worden ist Im altgutn. ist u vor r überhaupt zu o geworden
(Söderberg, Forngutnisk ljudl. s. 16).
Es findet sich im Upplandsgesetz o in borp (auch fore
borpe ok bryggiu sporpe), nwrf), morPgceld, morpceri, orp, norpwn,
skorta, hom, korn, korn hcerbcerghi, fom — borghce, borghcen,
morghin, morghon gaf, torgh, torghkep, orkw, porp, porpcekarl,
porwce (verb), vip porwce, vip<er porwce, orf, torf, torwce — por(e,
sporgmld, for- (in forman, forfcepatr etc.), borin (part. zu bcera),
inborit, oskorin (zu skazra).
Dagegen burghis (s. 228, 9 < burghits), purwu (3. pl. praes.),
praet. Purfti, dat. pl. durum und dorum (zu dyr 'tür').
Vor supradentalem l in den Verbindungen lk, Im steht o
in molkoe, folk, folkvapn, folkUmd, husscetis folk — holmbar,
fl4tho[l]mbwr, j stokholmi (6, 3). Dagegen findet sich u vor dem
supradentalen l der Verbindungen Ip, Igh in stülpt, obl. casus
grindce stulpm — dulghcedrap, daghfulghit.
Hieraus ergibt sich, dass in der spräche des Upplands-
gesetzes bei freier wähl zwischen u : o eine bestimmte ten-
denz durchgeführt worden ist, den o-laut vor rö, rt, rn (und
meistenteils auch sonst vor r) ebenso wie vor lk, Im zu benutzen.
Dagegen bleibt es zweifelhaft, ob schon in diesem dialekte eine
lautgesetzliche entwickelung u > o vor rö, rt, m (rs, rl)
durchgeführt worden ist.
Sofern o nicht nach dieser tendenz (d. h. vor r, lk, Im) ge-
fordert wird, verwendet aber UL. den vocal u unmittelbar
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528 kock
nach b,f,ni,g (und? r,h) in Wörtern, die sonst gewöhn-
lich im aschw^ bez. in den an. sprachen, einen Wechsel
o : u haben.
Es finden sich also z. b. bukkeer (vgl. aschw. bukker ; bokker\
bulster (vgl. aschw. bolster : bulster), bu])f forbup, forbujts vitni,
forbußce, tilbup, bupkafli, bupskapmr (vgl. aschw. bujt : bop, bup-
skap : bofskap etc.).
fughl (vgl. aschw. fughl : foghl), fughlceren (vgl. aschw. fugh-
laren : foghlaren), fuldwr (doch acc sg.follcen 112, 7; vgL aschw.
fulder : folder), fulferce, fullas (= fylla), fullsceri, fult, fulnaposr.
swincesmughcB 221, 14, yrisce smughce 221, 15 (vgl aschw.
smugJia), at muni (dat. sg. zu aschw. mon : mun), mun (praes.
8g.; vgl. aschw. mon : mun). Dagegen part. moghandi.
gup (vgl. isl. goß : gup, aschw. gup*)\ gupsificer, gupsiwct-
lagh, afgup, gul (subst.; vgl. isl. goll : gull; aschw. gut, nur sehr
selten, wol durch deutschen einfluss, gol), gulsmipaw, gulgcerntng,
gutar (vgl. aschw. gutar : gotar), part. guldin, guldit, oguldin (vgl.
isl. goldinn : aschw. guldin). Es ist für die beurteilung der frage
von belang, dass UL. brupjcome 'brautigam' 106, 13 mit o nach k
verwendet (vgl. afkoma, aterkoma, koma neben kuma). Da brujh
honte aus brupgome, bruPgumi entstanden ist (Kock, Arkiv n.f.
5, 161 ff.), so ist der gebrauch von u nach g in UL. erst nach
der zeit durchgeführt worden, wo bruPgomi sich in brupkome
entwickelte.
brut (vgl. aschw. brut : brot), byo3-, ben-f ra-, dorn-, frip-,
hcelghudaghw-, skriptw-brut, brutlikcer (vgl. aschw. brutliker :
brotliker), benbrutin (adj., vgl. aschw. part. brutin : brotin), subst,
ruf (vgl. isl. rof : aschw. ruß, keghu ruf, vcernce ruf, gruj) (vgl.
aschw. grup\ rughwr (vgl. aschw. rogher : rugher, isl. rugr), rupce
'reute' (vgl. aschw. rupa : obL casus rupu). Dagegen adj. rotin.
hughcer (vgl. aschw. hugher : hogher), athughi : obl. casus at-
hughce 5, 14 (vgl. aschw. hughi : hoghi), um huxce sik (vgl. aschw.
huxa : hoxa), hulsceri (vgl. aschw. hui : hol), subst huld (vgl. aschw.
huld : Jwld), part. hulpit (vgl. aschw. hulpin : holpin).
Die Ursache dafür, dass sich nach b, f, »*) in der regel u
(nicht o) findet, ist natürlich, dass diese consonanten ebenso wie
') Das im Biarkoaratter vorkommende gospceniiigar hat o durch
deutscheu einfluss (mnd. godespennink).
*) Beispiele fehlen zufällig für p-.
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DKN ALTNORD. SPRACHEN. 529
der vocal u stark labial sind. Dass auch g im aschw. labialisiert
war, geht daraus hervor, dass nach der entwickelung Gautstdwer
> Gotstäwer mit fortis auf dem zweiten compositionsglied der
o-laut nach g weiter in u (Gu[t]stdwer, nschw. Gustaf) über-
gegangen ist. Wie bekannt gehörte im aschw. auch r den
koalisierten consonanten an; dies ergibt sich z. b. daraus, dass
aschw. t zwischen labial und r in y übergeht, z. b. virßa >
vyrpa, nschw. vörda, Birghir > Byrgkir, nschw. Börje etc. (Kock,
Sv. spräkhist. s. 22 f.). Es mag möglicherweise auf den ersten
blick befremden, dass UL. vor r den o-laut, aber nach r den
w-laut verwendet. Das befremdende schwindet aber, wenn man
bedenkt, dass r zu gleicher zeit ein supradentaler und ein
labialisierter consonant war. üeberhaupt findet sich im schwed.
die tendenz, vor (aber nicht nach) supradentalen consonanten
offene vocale zu verwenden (und o ist offener als u; vgl. Kock,
Arkiv n. f. 5, 244 ff.). Wenn aber ein consonant labial oder
labialisiert ist, so beeinflusst er auch den nachfolgenden vocal.
Wahrscheinlich war auch das h im aschw. labialisiert, da i
zwischen h und r oft in y übergeht, z. b. hirpe > hyrdhe etc.
(Kock, Sv. spr&kh. s. 25).
Ich erblicke im subst. skot eine weitere gute stütze dafür,
dass ein vorhergehender laut bei der vocalisation u : o einen
einfluss ausgeübt hat. UL. hat skot, matskot, sicelfskot mit o,
aber utskut, utskutstola mit u; in diesen Wörtern findet sich u
auch in der ersten silbe. Hiermit ist zu vergleichen, dass,
während das aschw. im subst. holmber fast immer o (nicht u)
verwendet, man im Westmannagesetz B. 17 pr. (textcodex)
flut humlb&r statt flut hulmbar mit u, im codex C fluthultnar
auch mit u liest. Dies beruht darauf, dass auch die erste silbe
des compositums flut-hulmber ein t* enthält.
Es ist eine andere frage, ob in der spräche des UL. u
nach den erwähnten consonanten durch eine lautgesetzliche
entwickelung aus o entstanden ist (z.b. urnord. nom. sg. *bukkan
> *bokkan [durch a-umlaut] > bokkr > bukkr), oder ob der
«-laut, bei freier wähl zwischen u : o, am liebsten gewählt
worden ist, wenn der vorhergehende consonant labial bez.
labialisiert war. Es ist möglich, dass eine lautgesetzliche ent-
wickelung o > u nach irgend einem der erwähnten laute
(z.b. b) durchgeführt worden ist; da sich aber moghandi, rotin
Beitrage zur geschieht« der deutsch« »pr»oh«. XXIII. 34
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530
KOCK
mit o finden, so zeugen sie dafür , dass ein lautgesetzlicher
Übergang o > u nicht nach allen den angeführten lauten ein-
getreten ist. Wenigstens vorläufig ist es deshalb am vorsich-
tigsten, das Verhältnis in der weise darzustellen, dass nach den
erwähnten consonanten der vocal u wenigstens meistenteils
gewählt worden ist, dass aber eine lautgesetzliche ent Wickelung
o> u vielleicht nach irgend einem dieser consonanten ein-
getreten ist.
Das oben für UL. dargelegte Verhältnis findet sich wenig-
stens teilweise in gewissen anderen aschw. Schriften wider.
Sogar im altgutn., das vor r in der regel o verwendet, lässt
sich ein einfluss des vorhergehenden consonanten verspüren.
Trotz dieser regel finden sich nämlich im altgutn. burghan,
bürg, deren w-laut mit dem vorhergehenden labialen b- in causal-
verbindung zu setzen ist.
Das isl. verwendet wenigstens zum teil u : o nach derselben
norm wie das aschw. Es findet sich nämlich o vor rd, rt, m
z. b. in isl. orp, morp, borp, notpan, skorpa, *) skort, skorto, orta,
orti (praet. von yrkia), horn, korn, porn, forn etc. Also ist der
o-laut bei einem Wechsel o : u vor diesen lautverbindungen mit
hohem supradentalem r (vgl. Kock, Arkiv n. f. 5, 247), wenig-
stens in der regel, gewählt worden. Dagegen isl. bugr 'bie-
gung', bugi — bugr, buga 'biegen*, bukkr (selten bokkr), bulstr :
bolstr mit b vor dem wurzelvocal ; fullr, fullna, fullnapr etc.
fuyl : foyl mit f vor dem wurzelvocal; smuga, munr, anorw. muga
= mega mit m vor dem wurzelvocal; isl. gustr, gusta, gussa,
gumi .guma, gulr, gugna, gup : gop, gull : goll mit anlauten-
dem g ; hugna, hugsa (auch hugr) mit anlautendem h.
Wenn das isl. ulfr, das aschw. ulwer nur u (nicht o) hat,
so beruht auch dies darauf, dass früher das stark labiale u>
dem ii vorhergieng (wulfn). Im zweiten compositionsglied
findet sich dagegen -olfr (Eyiolfr etc.) mit a-umlaut; vgL ur-
nord. hajmwolafa etc. (s. 521). Es ist möglich, dass in der
lautverbindung wulf- der eintritt desa-umlauts in der fortis-
silbe durch die umgebenden labialen consonanten verhindert
worden ist, obgleich der a-uinlaut in dieser lautverbindung
') Dagegen z. b. urp f. 'felsiger, steiniger ort' (/-stamm: p). kt>t),
burpr (»-st.), skurpr (i-st).
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 531
durchgeführt wurde (ha]>uwolafa,is\.-olfr), wenn sie mit semifortis
accentuiert wurde. In diesem falle ist der nom. sg. ulfr die
lautgesetzliche entwickelung aus urnord. *wulfa*. Vgl. s. 525 f.
über umlaut in der semifortissilbe, aber nichtumlaut in der
fortissilbe. Es ist aber auch möglich, dass a-umlaut auch im
simplex *wulfan > *wolfan lautgesetzlich eingetreten, obgleich
nachher der w-laut bei freier wähl zwischen u : o gewählt
worden ist; vgl. auch s. 521 f.
In diesem Zusammenhang verdient auch erwähnt zu werden,
dass sich im ält. nschw. ein Wechsel rttmpa, aber -rompa findet.
Das Lexicon lincopense (1640) verzeichnet nämlich rttmpa (so-
wol im schwed.-lat. teile wie auch im lat.-schwed. teile s. v.
cauda); aber dagegen muserompa (ein gewächs, s. v. aizoon),
Hästarompa (s. v. anabasis), Räfwa rompa (s. v. alopecurus).
Zwar würde man auch hier daran denken können, dass der
a-umlaut in der semifortissilbe lautgesetzlich eingetreten
sei, obgleich nasal -f consonant dem u nachfolgte. Aber es ist
wol wahrscheinlicher, dass -rompa durch einen dialektischen
aschw. tibergang u > o vor nasal + consonanten in der semi-
fortissilbe zu erklären ist. Dialektisch ist nämlich vor nasal
+ consonanten u schon aschw. zu o geworden, besonders in
der provinz Westmanland, z.b. lezond (< tep-sund 'meer enge'
Westmannagesetz BB. ind.22), ondan (< undan), onde (< undir
Kr. 26 pr.), sonnodagh (Kr. B. 5, 4; 12 pr. etc.), misconna cona
(iE. 1,2), conno ('können' Kr.8pr.), conne ('konnte' Kr. 18),
nach dem Vorworte Schlyters auch fonnen\ vgl. dass in dieser
schrift die ableitungsendung -ung oft die form -ong hat, z.b.
enonga bot (Kr. 23, 2), fiorpong (Kr. 24, 12), cononger (Kr. 26
pr.) etc. In einem westmanl. diplom (aus dem jähre 1399)
finden sich Kombla (Styffe, Bidrag tili Skandinaviens historia
2, 82 bis), konno 'können' (ib. 84). Die entwickelung scheint
in Westmanland hauptsächlich, aber nicht ausschliesslich, in
relativ unaccentuierter silbe eingetreten zu sein; wenigstens
in irgend einer gegend der provinz ist sie also auch in der
fortissilbe durchgeführt worden. Hiermit sind auch zu ver-
gleichen die aus runeninschriften verzeichneten purmontr
(Lilj. 475, Uppland), erinmontr (Lilj. 591, Uppland) aus -mundr ;
vgl. Brate, Runverser 100 anm. 9.
34*
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532
KOCK
Resultat.
Der a-umlaut von u ist nicht (wenigstens nicht gänzlich)
eine urgerm. entwickelung. Wahrscheinlich ist er erst einzel-
sprachlich (also im urnord. und im westgerm.) eingetreten.
Als der a-umlaut in früher urnord. zeit in z. b. *hurna >
horna durchgeführt wurde, blieb u vorläufig vor m, n erhalten
(z. b. in *sumaraB). Erst nachdem das a der zweiten silbe
von nom. pL *$umarö* > sumra* etc. synkopiert worden war,
wurde der a-umlaut spät urnord. in den laut Verbindungen -um-,
-un- (*sutnar* > somarn etc.) durchgeführt.
In den an. sprachen ist der a-umlaut nur von einem wirk-
lichen ä bewirkt worden (nicht aber von ö, cB oder von dem
aus.« entwickelten d'-ähnlichen laute, der in den an. literatur-
sprachen zu e, i wurde, z. b. in nom. sg. fiutt). Der Wechsel
o : u in den fem. n-stämmen erklärt sich daraus, dass z. b. nom.
hola aus hula < *hulö (nicht aus *holö\ gen. hulu aus *hulönn
sich entwickelt hat.
Vor ggw (brugginn etc.) findet sich kein o. lieber ulfr :
-olfr siehe s. 530 f.
Nachdem ein Wechsel o : u in demselben worte (stamme)
entstanden war, wurde der gebrauch dieser vocale im aschw.
(wenigstens dialektisch, UL.) in folgender weise geregelt Man
hatte eine bestimmte tendenz, o vor hohem supradentalem r
in rÖ, rt, rn (und meistenteils auch sonst vor r) sowie vor Ik,
Im zu benutzen. Wenn o nach dieser regel nicht gefordert
wurde, so machte sich eine andere tendenz geltend: bei freier
wähl zwischen o : u findet sich u gern nach den labialen b,
f, m und dem koalisierten g (r, /<?). Im isl. wird der Wechsel
o : u z. t. in derselben weise normiert.
Excurs.
Die behandlung des germ. diphthongs et* und der
Wechsel iü : iö in den an. sprachen.
Die aus urnord. inschriften belegten skipaleubait (Skärkind)
und AleugaR (Skaäng) mit eu (nicht eo) vor dem a-laut der
folgenden silbe lehren, dass der diphthong eu in urgerm. oder
urnord. zeit nicht in eo übergieng, wenn die folgende silbe
ein a enthielt. Dies ist lautphysiologisch leicht erklärlich:
ebenso wie der a-umlaut überhaupt nicht durchgeführt wurde,
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DBB ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 533
wenn das palatale { zwischen u und dem folgenden a-laut
stand, so wurde er in den an. sprachen auch nicht bewirkt,
wenn der palatale vocal e dem m unmittelbar vorhergieng,
d. h. im diphthonge eu. Bugge hat im Arkiv n. f. 4, 23 die
bedeutung jener urnord. Wörter für die a-umlautsfrage hervor-
gehoben, und unabhängig von ihm hatte ich vermutet, dass
der diphthong eu dem a-umlaut nicht unterlegen sei.
Die regeln für die Verwendung der diphthonge ia : iö in
den an. sprachen sind nämlich einer revision bedürftig.
Es ist allbekannt, dass der diphthong eu in der aschw.
literatursprache im allgemeinen zu in geworden ist. In der
Tidskrift f. fil. n. r. 8, 288 anm. habe ich die ausnahmen von
dieser regel: Uößer (neben Haßer), liömber (neben liamber) etc.
angeführt Noreen, der die soeben referierte ansieht nicht
billigt (vgl. Aschw. gramm. § 163 anm. 3), vermutet ib. § 82,
dass diese aschw. Wörter mit iö (liömber etc.) aus solchen
dialekten stammen, wo eu in allen Stellungen zu iö geworden,
oder dass iö vielleicht einem urnord. eo entspricht, das durch
a-umlaut von eu entstanden.
Schon längst ist es bekannt, dass das isl. iö vor 'dentalen'
und interdentalen (biöpa, siön etc.) verwendet. In Pauls Grundr.
I2 § 110 formuliert Noreen die regel dahin, dass ia nur vor
% f, S» h P URd im auslaut erhalten worden, vor r zu g (dyr
etc.), sonst aber zu iö, z. b. siön, liomi geworden sei. In seiner
Aisl. gramm.2 § 98 wird pl. hiü als beispiel für ia im auslaut
angeführt, und er meint dort, dass a-umlaut in (h)liömr, piöfr
(selten piufr), miökr (gewöhnlich miükr) vorliege.
Ich fasse die sache dagegen in folgender weise auf.
Bei der behandlung dieser frage muss man diejenigen
Wörter, wo der diphthong ia (iö) durch das zusammenstossen
des wurzelvocals mit dem vocal der endung (z. b. J>ria < *J>riu)
entstanden ist, von denen mit dem germ. diphthong eu (isl.
biößa etc.) scharf scheiden.
Dass im isl. der germ. und urnord. diphthong eu nicht nur
vor 'dentalen' und interdentalen, sondern auch vor m laut-
gesetzlich zu iö wurde, geht aus isl. hliömr, hliöma, liomi, liöma
hervor. Aber auch im aschw. (oder wenigstens in den meisten
aschw. dialekten) ist der germ. und urnord. diphthong eu
vor w lautgesetzlich in iö übergegangen. Es finden
534
KOCK
sich nämlich aschw. liömin 'lau', liömhet 'lauheit', liömaßer
,lau gemacht, lau', liömber 'lau' (dies ist die aschw. normal-
form). Noch das Neue testament von 1526 hat lyöm, die bibel
von 1541 und die von 1703 Horn. Das ält. nschw. verwendet
liom(m) ' dumpfer laut', liomma ' dumpf lauten' (mehrere bei-
spiele in dem handschriftlichen Wörterbuch des ält. nschw. von
F. A. Dahlgren), liomhörd 'harthörig'. Noch Westes Wörterbuch
(1807) verzeichnet Ijomhörd, Mit dieser entwickelung eu > iö
vor m ist die behandlung des endvocals u im jüngeren aschw.
zu vergleichen. In kurzsilbigen Wörtern ist der alte endvocal w
in der regel erhalten (gätu etc.); vor m ist er aber zu o ge-
worden: vtnum > vXnom etc. (Kock, Fsv. ljudlära 1, 211 ft).
Nur seltener sind im aschw. beispiele des adj. liömber
mit iu (liumber) belegt; nschw. aber ljum. Ausserdem hat das
aschw. einmal liutnske (neben dem gewöhnlicheren li&ske),
nschw. ljumske. Das ält. nschw. verwendet adj. Uumsk 'falsch',
bisweilen Uum, liumma statt liom(m) 'dumpfer laut', liomma
'dumpf lauten' und auch ljumhörd statt Ijomhörd. Aus dem
angeführten geht hervor, dass das jetzige nschw. ausschliess-
lich ju verwendet, während das aschw. öfter iö als iu hatte.
Dies ist jedenfalls so zu erklären, dass im jüngeren aschw.
und ält. nschw. eine lautgesetzliche entwickelung iö > tu
durchgeführt wurde, welche vielleicht in Zusammenhang mit
der Verkürzung des ö- lautes (liöm > liümm) steht Hiermit
kann man vergleichen sowol dass im ostnord. ö bei Verkürzung
zu u wurde (z. b. aschw. halgöme > h&gümme etc., Kock, Arkiv
4, 176 ff.), als auch dass im aschw. der diphthong tu in den
endungen langsilbiger Wörter erhalten bleibt, obgleich der end-
vocal u in anderen langsilbigen Wörtern in o übergeht, z. b.
kirkiu, aber (gingu >) gingo (Kock, Arkiv n. f. 7, 334 ff.).
Diese Wörter (liömber etc.) mit iö im isl. und mit iö (iu)
im aschw. sind aus dem adän. nicht belegt.
In den an. sprachen dürfte aber der germ. diphthong eu
auch in gewissen anderen steDungen sich lautgesetzlich zu iö
entwickelt haben, obgleich nur äusserst wenige Wörter in be-
tracht kommen.
Das isl. hat iö in p%6 n. 'the thigh' (vgl. ags. teoh\ tioa
'helfen' (praes. tiöar, tiör; praet. tioapi, tiopi); ausserdem findet
sich iö in aschw. *liö 'lau', das zweimal im neutr. liöt belegt
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 535
ist, und in aschw. liöe 'lau', einem cur. Xsy., das (wenn kein
Schreibfehler vorliegt) die bestimmte form von *liö 'lau' ist.
Aus dem ält. ndän. ist aber neutr. Hut 'lau' einmal belegt.
Möglicherweise würde isl. tioa daraus erklärt werden
können, dass iö im praes. tior, praet. tiöjn lautgesetzlich vor
r, p entstand. Da das verb aber auch tiöar, tiöapi flectiert,
so ist diese annähme sehr unsicher, und jedenfalls kann das
iö der anderen Wörter nicht in dieser weise erklärt werden.
Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass das eu in den an.
sprachen lautgesetzlich zu iö wurde 1) im auslaut, z.b. isL Jri6t
2) unmittelbar vor vocal (wenigstens vor a; kaum vor u), z. b.
isl. piöa, aschw. liöe, obl. casus *liöa. Im adj. liö 'lau' ent-
stand dann iö in mehreren casus, z.b. nom. sg. fem., nom.
acc. pl. neutr. liö, acc. sg. masc liöan, fem. liöa etc. Das
ält. ndän. Hut ist die lautgesetzliche form in nom. acc. sg.
neutr., während aschw. liöt sein iö aus anderen formen be-
kommen hat. m
Mit der entwickelung eu > iö vor vocal (wenigstens vor a)
darf zusammengestellt werden, dass ü vor vocal (wenigstens
vor a) im ostnord. lautgesetzlich zu ö wurde (Kock, IF. 2, 332 ff.).
Nach dieser Veränderung der regeln für die behandlung
des germ. diphthongs eu brauchen nur noch folgende Wörter
besprochen zu werden.
Gemeinnord, ist a in der semifortissilbe zu ö geworden,
z.b. isl. füss, aschw. füsf aber aschw. öfös, isl. Olföss (Kock,
Arkiv n. f. 1, 57 ff.; vgl. oben s. 516 anm. 2). Nach diesem laut-
gesetz sind auch zu erklären:
die im aschw. recht gewöhnlichen personennamen auf
•niöt(e)r, z. b. run. sikniot (d. i. Sighniot), ouniot, aschw. Gwde-
niot. Das aschw. verb niüta hat dagegen immer t«;
aschw. icernbiögher, aber z. b. biüghhwtta; vgl. isl. bittga;
aschw. öliöwer (mit iö an den zwei stellen geschrieben,
wo das wort sich findet), aber liüwer, seltener liöwer mit iö
aus öliöwer übertragen. Auch das adän. verwendet Höf neben
dem gewöhnlicheren Huf.
Neben miakr findet sich im isl. selten miökr; ich vermute,
dass es iö aus dem compositum ümiökr bekommen hat. Das
wort 4dieb' wird als zweites compositionsglied einer menge
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536
KOCK
Zusammensetzungen verwendet. So verzeichnet Rydqvist, Sv.
spräkets lagar 6 aus dem aschw. fiska-, gor-, humbla-, hwinsku-,
kirkiu-, ncetia-, run-, skafl-, vipertaku-piuwer, ufiiuica, urpiuwa ;
vgl. noch z. b. isl. hrossapiöfr, saupapiöfr, rummung sßiö fr. In
solchen compositis wurde -piafr lautgesetzlich zu -piöfr, und
aus ihnen wurde das iö auf das simplex is\. piafr Übertragren,
so dass piöfr auch als simplex die normale form ist. Zur be-
festigung von piöfr hat auch der umstand mitgewirkt, dass
das isl. eine menge personennamen auf -piöfr: Vaipiöfr, Geir-
piöfr, Hünpiöfr, Gunnpiöfr etc. verwendet, welche, wie Bugge,
Arkiv 2, 225 ff. dargelegt hat, Umbildungen von ags. namen auf
-peow (mit peow 'servant, slave' zusammengesetzt) sind. Spater
fasste man aber solche namen als mit piöfr 'dieb' zusammen-
gesetzt auf.
Das aschw. hat bisweilen shiöter statt skiüter 'schnell',
nicht selten icemsket neben icemskyt (adv.) und auch fulsket
neben fulskyt (adv.). *Mmskiütt, *fülskiütt mit fortis auf dem
ersten compositionsglied giengen lautgesetzlich in *i<6tnskiött,
*fullskiött (vgl. isl. iafnskiött, fullskiötf) etc. über, welche spater
lautgesetzlich zu iatmsfött, fullskett etc. wurden, ebenso wie
skiütt, *icemskiütt zu skytt, icemskytt (skyt, icemskyt geschrieben;
Kock, Arkiv n. f. 7, 324«)). Aus den compositis auf -skiöter ist
das iö bisweilen auf das simplex skiüter (shiöter) übertragen
*) Das aschw. adverb sket 'schnell' kann nicht (wie Karsten, Studier
öfver de nord. Sprakens primära nominalbildning 1, 110 und Noreen, Aschw.
gramm. § 99 anm. meinen) aus einem älteren *skeytt entstanden sein. Ein
simplex *skeytr, *skeytr gibt es nämlich nirgends; es findet sich nur ein
compositum isl. an. Xty. beinskeytr 'wer fähig ist das siel mit dem schlisse
zu treffen', vgl. auch isl. bräpskeyttr 'schnell'. Dass das aschw. skett (sket
geschrieben) sich aus skiött, skiött entwickelt hat, geht daraus hervor, dass
0 sich fast ausschliesslich im neutr. bez. im adv. sket findet (sonst skiüter,
skioter mit iß, iö), d.h. nur in der form, wo ein langer consonant dem iö
nachfolgt«, und wo das iö deshalb zu t#>(t)& verkürzt wurde. Hiermit
stimmt vollständig überein, dass das isl. als adverb skiött 'schneU' (nie aber
*skeytt) verwendet. Gleichzeitig mit der entwickelung skiött > skiött> skett
(8ket in dem s. g. Westgötagesetz IV, hs. um 1325) ist die entsprechende ent-
wickelung skiütt > skiütt >> skyt (skyt im Södermannagesetz cod. B um 1335)
eingetreten. Ans dem sehr gewöhnlichen skett ist e ausnahmsweise auf die
sehr seltenen sketare (compar. statt skiütare, skiötare), sketast (superl. statt
skiütast, skiötast) übertragen worden. Noreens bemerkung, Aschw. gramm.
§ 99 anm., ist also ganz unberechtigt.
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DBB ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. 8PBACHEN. 537
worden. Das subst. skiat n. 'pferd, stute' und das verb skiüta
'schiessen' haben aber immer iü.
Aschw. liaghnelder wurde durch die gewöhnliche ent-
wickelung ghn > gn> ngn zu liungnelder, wobei in wenig-
stens dialektisch verkürzt wurde: liüngnelder. Ebenso wie
der brechungsdiphthong iü vor ng dialektisch in io übergieng
(siunga > sionga etc.), so entwickelte sich auch iü in liüngn-
elder vor ng dialektisch zu iö: liongnelder. Hiermit ist zu-
sammenzustellen, dass das lehnwort iunkhcerra (mnd. junker)
dialektisch zu ionkare, ionker wurde; vgl. den dialektischen
Übergang siünka > siönka etc.')
Statt der normalen aschw. tiüper 'tüder', tiüpra 'tüdern'
finden sich im Westmannagesetze das compositum tiöpasr stakt
und das verb tiöpra mit iö. Da dieses gesetz mehrere dialek-
tischen züge enthält, welche mit dem jetzigen dialekte in
Dalarna übereinstimmen (Kock, Fsv. ljudl. 2, 519 ff.), und da
germ. eu im dalekarlischen überall zu iö geworden ist (Noreen,
Aschw. gramm. § 82 anm. 1), so sind piöpmr-, piöpra im West-
mannagesetze eine dialektische (dalekarlische) form.
Als eine westgötländische dialektform kann das einmal
im älteren Westgötagesetze belegte stiornfast (aus *stiurn =
isl. stiorn 'rüder' und faster 'fest' zusammengesetzt) aufgefasst
werden. Die alte spräche Westgötlands steht nämlich in
mehreren beziehungen dem anorw. sehr nahe (Kock, Fsv. ljudl.
2, 502 ff.), und im anorw. geht eu bekanntlich vor r in iö
über (stiorn). Möglicherweise rührt jedoch das iö in stiornfast
aus der accentuierung (*stiürnfdster >) stiörnfdster her.
Wenn das isl. neben dem gewöhnlicheren iöl auch iül
verwendet, so vermute ich, dass das wort, welches pl. tantum
ist, etwas früher nom. acc. iöl, gen. iöla, aber dat. iülum flec-
tierte, d.h. dass iü (iu) vor dem u der ultima erhalten blieb.
Der dativ findet sich oft in den ausdrücken at iölum, i iölum,
möt iölum. Hiermit ist zusammenzustellen, dass (vgl. Brate,
>) In den aschw. lehnwörtern diost : diust, diostera : diiisttra (vgl.
mnd. dtost, diosteren, diwrteren), io : iu (vgl. mnd. jo, ju), iudhe : iodte
(vgl. mhd.jittfc : mnd. jode) rührt der Wechsel io : iu von den fremden spra-
chen her, aus welchen sie entlehnt worden sind. Aschw. hiook (d. i. hiok),
adän. hiogh 'scherz' enthält kein germ. eu; vgl. jäk mit jä in nschw. dia-
lekten.
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538
KOCK
Aldre Vestmannalagens ljudlära s. 41. Kock in Tidskr. LfiL ilt.
8, 284 ff. Noreen, Aisl. gr.1 § 90 anm.) der brechungsdiphthong tu
vor einem u der folgenden silbe erhalten bleibt (z. b. fiughur,
fiugurra trotz iorp etc. mit io); vgL auch dass u vor einem
assimilierten nasal bleibt (und nicht zu o wird), wenn die
nächste silbe u enthält, z. b. nom. sg. f. *unkur > aschw. ukkur,
aber nom. sg. m*unkarr > aschw. okkar (Kock, Arkiv n. f. 7, 3 1 5 fl).
Wenn diese erklärung von iül : iöl die richtige ist, so ist eu
im isl. wenigstens vor l zu ia geworden, wenn die folgende
silbe ein u enthielt.1)
Die cardinalzahl isl. fiörir, aschw. fiüHr, agutn. dat fiaurum
enthält nicht den germ. diphthong eu, sondern den brechungs-
diphthong eu. Dieser hat aber bei der entwickelung *fedurai
> *feuöre* > *feuren dieselbe quantität wie jener bekommen
und ist deshalb in den verschiedenen dialekten in derselben
weise behandelt worden (s. Kock, Beitr. 20, 125 ff. Arkiv n. f.
10, 252 ff.; betreffs Ö in *fedurai vgl. Noreen, Svenska etymolo-
gier s. 39 ff.). Da sich fiöri (neben fiüre) im Dalagesetze und
im Westmannagesetze findet, so ist fiöri ebenso wie /iö^pt-,
tiöpra im Westmannagesetze zu erklären.
Im agutn. ist wie bekannt der germ. diphthong eu immer
zu iau geworden, z. b. biaupn (isl. biöpa), driaugr (isl. driügr).
Ich gehe zur behandlung der diphthonge eu, io (iu) Uber,
wenn sie durch das zusammenstossen des wurzelvocals mit dem
endvocal entstanden sind. Wir werden sehen, dass der Wechsel
ia : iö der an. literatursprachen (besonders des aschw.) einen
vorgeschichtlichen Wechsel « : ö, ö in den endungen
reflectiert.
Noch in der jüngst erschienenen Aschw. gramm. § 122, 1
findet Noreen es auffallend, dass agutn. pry ('drei' nom. acc. neutr.)
trotz isl. pH u verwendet, obgleich isl. iü (dHügr etc.) sonst dem
agutn. iau (driaugr etc.) entspricht: 'auffallender weise steht
ntr. pry 'drei', das also vielleicht nicht genau dem aisl. pHu
entspricht'.
Meiner ansieht nach entspricht dagegen agutn. aschw. pr$
') In Übereinstimmung hiermit fasse ich auch den von Noreen, Aisl.
gramm.« § 55 anm. 3 nicht erklärten Wechsel isl. föa : orknöisch füa anf :
man hat früher nom. *fufui > föa, aber gen. *fuhu > füu flectiert.
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DER ^-ÜMLAÜT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 539
vollständig dem isl. priü trotz agutn. driaugr = isl. driügr etc.
Der Widerspruch ist nur scheinbar und erklärt sich daraus,
dass agutn. driaugr, isl. driügr den germ. diphthong eu ent-
hält, während isl. priü, agutn. aschw. pry dem got. prija ent-
spricht.
Wie bekannt wird das 'umspringen des accents' bei dem
zusammenstossen eines palatalen wurzelvocals und eines guttu-
ralen endvocals in weit grösserer ausdehnung im westnord.
als im ostnord. durchgeführt. Wenn das umspringen des
accents auch im ostnord. eingetreten ist, so muss es als eine
relativ alte (gemeinnord.) entwickelung aufgefasst werden,
z. b. urnord. *sebun > *se(w)un > aschw. stä, isl. aschw. hiön,
isl. firiü (nom. acc. neutr.) aschw. *ßriü > pry.
Wenn das umspringen des accents aber nur im westnord.
und in gewissen gegenden des ostnord. Sprachgebietes durch-
geführt worden ist (vgl. Kock, Arkiv n. f. 1, 382 ff.), so ist diese
entwickelung in späterer (einzelsprachlicher) zeit eingetreten,
z. b. isl. treom > triöm. Ueber die bedingung für das um-
springen des accents s. Kock, Arkiv n.f. 10, 213 ff.
Die Wörter welche uns hier eigentlich interessieren, sind
solche, wo das umspringen des accents sich sowol im ostnord.
wie im westnord. vollzogen hat.
Für sie gilt folgende regel: 'wenn in vorgeschichtlicher
zeit ein palataler vocal (e, f ) mit dem endvocal u bez. ö, o
zusammenstiess, und wenn ein umspringen des accents dabei
eintrat, so haben die an. literatursprachen den diphthong ia
(oder einen daraus entwickelten laut) bez. itf.' Der vorgeschicht-
liche endvocal u wird also durch ein ia der literatursprache,
der vorgeschichtliche endvocal ö, o durch ein iö der literatur-
sprache reflectiert. Aus leicht ersichtlichen gründen sind die
beispiele sehr selten.
Der nom. sg. der fem. ö-stämme und der nom. acc. pl. der
neutr. a- stamme haben einmal die endung -ö gehabt, welche
aber in sehr früher urnord. zeit in -u übergegangen ist , z. b.
nom. sg. fem. Uubu, min« (Opedal, um 400 nach Bugge, Arkiv
n.f. 4, 32), nom. acc. pl. neutr. *glaÖu (> isl. glgp). Folglich hiess
der nom. acc. pl. neutr. von 'drei' um 400 *friu. Dies wurde
nach dem umspringen des accentes zu isl. priii, und daraus
entwickelte sich schon im älteren aschw. pry zufolge der
540
KOCK
von mir Arkiv n.f. 2, 42 ff. dargestellten regel 'iu > y nach con-
sonant + r\ Agutn./>ry lehrt, dass die regel auch für das aerutn.
gegolten hat, wenn der diphthong ia durch das zusammenstossen
des wurzelvocals i mit dem endvocal u entstanden ist.
Urnord. *sehun (vgl. got. sibun) wurde durch die entwicke-
lung d > w zu *se(w)un (vgl. Noreen, Arkiv 1, 163), das in aschw.
siü tibergieng. Die entsprechende Ordinalzahl ist aschw. stände;
auch im isl. findet sich bisweilen sitindi (belege bei Fritzner2).
Beitr. 15, 252 habe ich isl. siau besprochen. Durch anschluss
an *ahtou (got. ahtau) bekam *seun die nebenform *seau, welche
aber den diphthong au erhielt, weil fortis (ebenso wie in *seun
> siü) auf den zweiten vocal (sedu) versetzt worden war.
Agutn. siau ist in derselben weise zu erklären.1)
Wenn isl. hiü, augu, eyru, wie Noreen, Pauls Grundr. \ \
§ 195, 7 annimmt, urspr. die endung -un (vgl. ahd. pl. herzun)
haben, so ist isl. hiü aus einem älteren *hltcun mit u in der
ultima entstanden. Die Voraussetzung ist aber sehr unsicher
(s. Kock, Beitr. 15, 246 f.).
Dagegen findet sich iö im isl. aschw. pl. hiön. Das got.
verwendet -öna im nom. acc. pl. augöna etc., und dass dies
-ön- den ff-laut noch zu der zeit unverändert erhielt, wo -ö in
nom. sg. fem. und nom. acc. pl. zu -u (liubu auf dem norwegi-
schen Opedalstein) wurde, ergibt sich aus Igivon, gen. sg.
eines fem. n- Stammes, auf dem norwegischen Stenstadstein.
Der nom. acc. pl. *hlu ön wurde zu *hiÖn, und aus diesem ent-
stand durch umspringen des accentes isl. aschw. hiön.
Wahrscheinlich hatte isl. hiü (und auch augu, eyru) die-
selbe endung wie got. augöna, aschw. eghon, aschw. isl. hiön
etc. (Kock a.a.O.). Der Wechsel isl. hiü : isl. aschw. hiön ist
in diesem falle folgendermassen zu erklären. Im pl. *hitcön
(> *hiön > hiön) gieng das w vor o zwar lautgesetzlich ver-
') Die im id. ausnahmsweise verwendeten «ö 'sieben', siöndi 'siebente'
erkläre ich folgendermassen. Ebenso wie gen. sg. *sunauR zn *sunöji (später
sonar) wnrde, so gieng der diphthong au in *9tau mit fortis auf t in irgend
einer gegend in ö (**eö) über, ehe fortis auf den «weiten vocal versetzt
wurde. Erst später wurde *aeö zu st'ö. Möglicherweise könnten jedoch «ö,
siötuli auch so erklärt werden, dass der diphthong rü in siü, siündi dialek-
tisch im anslant und vor dental in iö übergieng; vgl. dass der genn.
diphthong eu in diesen Stellungen zu »ö (Jriö, siön etc.) wurde.
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DER 4-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 541
loren, aber durch beeinflussung vom sg. *hüca mit erhaltenem tv
blieb der w-laut im pl. *hiwön vorläufig facultativ erhalten.
In *hiwön ruhte fortis natürlich fortwährend auf der paen-
ultima, und die endung -<>n wurde deshalb in gewöhnlicher
weise (vgl. *augön > isl. augu) zu -u entwickelt (*hiwu). In
relativ später zeit gieng aber jetzt w vor u in *ht(tc)u ver-
loren, und hiu wurde nachher durch das umspringen des
accents zu isl. hin.1) Dass die an. sprachen während einer
periode, die nur kurz vor der literarischen zeit lag, den end-
vocal u (nicht 6) verwendeten, geht aus den in ags. Urkunden
vorkommenden an. namen (Sievers, Beitr.l2,482ff.) und aus der
(aschw.) vocalbalance (Kock, Fsv. ljudlära 2, 340 ff.) hervor.
Das isl. hiün ist eine contaminationsform aus hiön und hiü.
Ich füge eine bemerkung über die isl. Wörter hinzu, wo
das umspringen des accents relativ spät durchgeführt worden
ist (bez. hat durchgeführt werden können), also über Wörter,
die im ostnord. in der regel fortis auf dem ersten vocal haben.
Im isl. finden sich 1. pl. siöm (und sidm) zu sid (vgl. aschw.
sea, nschw. se), 1. pl. liöm (und lidm\ vgl. Wimmer, Fnord.form-
lära s. 142) zu lid (vgl. aschw. led), dat. pl. triöm (und triam) zu
tri (vgl. aschw. trce, gen. pl. trea), dat. pl. kniöm (und knidm)
zu Jene (aschw. knce\ obl. casus vißsiö zu vifsid (vgl. das aschw.
verb äsea, aber auch das dial. asiö, obl. casus eines fem. n-stam-
mes, Kock, Arkiv n.f. 1,383). Wie bekannt verwenden die äl-
testen isl. hss. den endvocal o (nicht u). Das umspringen des
accents kann in diesen Wörtern (*seom > siöm etc.) sehr wol
so spät vor sich gegangen sein, dass der o-laut in siöm etc.
eine unmittelbare fortsetzung des endvocals o in der ältesten
isl. Literatursprache ist. Wenn der nom. acc. pl. von tre, kne
bisweilen IWo, kniö heisst, so ist iö natürlich aus dat. pl. triöm,
kniöm entlehnt worden, und man darf nicht mit Noreen, Aisl.
gram m.- § 298 anm. 2 alternativ daran denken, dass das o in
triö, kniö das vorgeschichtliche u des nom. acc. pl. (*barnu >
bgrn) vertrete. Dies vorgeschichtliche -u findet sich nämlich
im literarischen isl. als ü (Priü), nicht als ö, wider. Umgekehrt
l) Es ist zweifelhaft, ob die von Noreen, Svenska etymologier s. 18 f.
vorgeschlagene etymologie vom nschw. fjun 'flauin' richtig ist. Wenn es
ans pL *ßwun entstanden ist, so ist der u-laut in derselben weise wie in
isl. hiü aufzufassen.
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542
KOCK
ist id analogisch in dat. pl. triam, knidm (aus gen. pl. tria,
knid, Noreen a.a.O.) und in 1. pl. sidm, Ii dm (aus 3.pL und inl
sid, lid) eingedrungen; vgl. dat. pl. klidm (zu kle), lidm (zu Je),
fidm (zu fe) mit analogischem id aus nom. pl. klidr, lidr etc^
gen. pl. fid etc.
Es dürfte in diesem Zusammenhang angemessen sein, auch
den diphthong iö der praett. ios, iök, hliöp (zu ausaf aukat hlaupa)
zu besprechen. Das praet. pl. dieser verben heisst bekanntlich
iösu, iusu\ iöku, iuku; hliöpu, hlupu; praet conj. ysa, esa; yha,
eka; hlypa, hlepa mit kurzem wurzelvocal (vgL Wimmer, Forn-
nord. formlära § 132).
Ljungstedt, Anmärkningar tili det starka preteritum i germ.
spräk s. 128 ff. Brugmann, IF. 6, 89 ff. und Noreen in Pauls
Grundr, 1 *, § 240 sind der ansieht, dass ios etc. einen aus indog.
eu entwickelten germ. diphthong eu enthalte. Nach Hoffory.
KZ. 27, 597 ist dagegen ios aus *eaus in der weise entstanden,
dass *eaus mit fortis auf c sich zu *eös mit langem ö ent-
wickelte (vgl. gen. sg. *sunaun > *sunöa\ wonach *eös durch
das umspringen des accents zu ios wurde, iök hat sich nach
ilim in derselben weise wie ios entwickelt, und aus iök, ios
wurde iö auf hliop übertragen.
Die praett. ios, iök, hliöp können gewis nicht ein indog.
eu, germ. eu enthalten, denn germ. eu gibt vor k, p isL im
(nicht iö ; vgl. siükr, driüpa etc.). Hierzu kommt aber noch
ein anderer umstand von nicht geringerer Wichtigkeit Der
2-umlaut des germ. eu wird im isl. von langem y (vgl. lysa :
liös etc.) vertreten; das praet. conj. hätte also *ysa, *yka, *hlypa
heissen müssen, heisst tatsächlich aber ysa, esa etc. mit kurzem
wurzelvocal.
Die von Hoffory vertretene auffassung befriedigt besser,
aber auch sie kann nicht richtig sein, denn falls *eaus zu *eos
mit langem ö geworden wäre, so hätte das praet, conj. *6sa
mit langem, nicht osa mit kurzem o heissen müssen.
Ich fasse die sache folgendermassen auf.
Tydning af gamla svenska ord (1881) 8. 1 ff. Svensk akeent
2,329 f. habe ich gelegenheit gehabt darzutun, dass der diphthong
au der semifortissilbe gemeinnord. inkurzeso übergieng, z. b.
bruphlaup > brupiop, windauga > aschw. vindogha. Das praet
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 543
von auka heisst got. aiauk und muss urnord. auch *eauk, pl.
*eaukun mit fortis auf der ersten, semifortis auf der zweiten
silbe, also mit der accentuierung eines compositums, geheissen
haben. Dies entwickelte sich nach der soeben erwähnten regel
zu *eokt pl. *eoku mit kurzem o. Schon ehe der diphthong
eo durch das umspringen des accents zu iö mit langem o ge-
worden, wurde das praet. conj. *eokiö (*eokia) zu *ieka > eka
mit kurzem e. Später giengen *eok, *eoku bei dem umspringen
des accents in iok, iöku mit langem o über; vgl. *leti$an >
liuga etc.
Nach den zahlreichen mustern des praet. sg. strauk : pL
struku, braut : brutu etc. wurde zu praet. sg. *eauk der pl.
*euku neugebildet, welcher durch den einfluss der erwähnten
pluralformen struku, brutu etc., bei dem umspringen des accents
den «-laut kurz erhielt: isl. mihi. Vom praet. pl. *eukuf iuku
wurde ganz regelmässig praet. conj. *eukiö, yka mit kurzem
wurzel vocal gebildet; vgl. praet. pl. struku : praet. conj. stryka etc.
Praet. sg. iös, pl. iusu, praet. conj. esa, ysa sind in derselben
weise zu erklären. Praet. hliöp ( : hlaupa) ist eine neuschöpf ung
nach iok ( : auka), iös ( : ausa).
Dagegen finden sich im ostnord. praet.-formen von hlaupa
(lepa), welche lautgesetzlich entwickelt worden sind, nämlich
aschw. löp, Up.x) Urnord. *hehlaup wurde lautgesetzlich zu
*hchlöp ebenso wie *eauk zu *eök. Nachdem fortis auf die
Wurzelsilbe versetzt worden war (*tiehl6p), gieng die redupli-
cations8ilbe lautgesetzlich verloren: *hlop, aschw. lop. Up
(= isl. *hlaup, ngutn. laup) ist aber die lautgesetzliche ent-
wickelung aus urnord. *hehlaup mit fortis auf der ultima. Zu
dem sg. *hlaup wurde der pl. isl. hlupu nach dem muster sg.
strauk : pl. struku etc. neu geschaffen.
Resultat.
Die regeln für die behandlung des germ. diphthongs eu
in den an. sprachen sind folgendermassen zu formulieren.
Im isl. wird eu zu iö vor m sowie vor dentalen, supra-
dentalen und interdentalen (wenn u in der nächsten silbe nach-
folgt, wird eu zu iü wenigstens vor l), ausserdem wahrscheinlich
») Noreen, Pauls Grnndr. 1» § 240 fasst Up wie ich auf, findet aber lop
'unklar'.
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544
KOCK
im aiislaut und unmittelbar vor vocal (wenigstens a; kaum
vor m); sonst geht eu in iü über.
Im aschw. (wenigstens in den meisten dialekten) entwickelt
sich eu zu iö vor m sowie wahrscheinlich auch im auslaut und
vor vocal (wenigstens o; kaum vor u); sonst wird es zu iü.
Durch palatalumlaut wird eu zu //.
Unabhängig von den obigen regeln ist ein iü der semi-
fortissilbe sowol im isl. wie im aschw. zu iö geworden.
Die vorgeschichtlichen endvocale u, ö werden in den an.
literatursprachen bez. von dem diphthong iü (z. b. *setun >
aschw. siü, *priu > isl. priu, aschw. agutn. pry) und von dem
diphthong iö (z. b. *hi(w)ön > isl. aschw. hiön) reflectiert.
Die praett. des typus iök sind aus *eauk durch die laut-
entwickelung au > ö in der semifortissilbe entstanden.
III. Zur frage nach dem a-umlaut von i in den
altnord. sprachen.
Die ansichten über den a-umlant von t in den germ.
sprachen gehen weit auseinander, obgleich nach dem aufsatz
Pauls, Beitr. 6, 82 ff., nunmehr alle darin einig sind, dass es
einen solchen umlaut gibt.
Nach Noreen, Urgerm. lautl. s. 20 und Streitberg, Urgerm.
gramm. § 68 ist i urgerm. vor ä, ö, ce zu e geworden, wenn
es nicht durch i oder nasal + consonanten davon getrennt war.
Brugmann, Grundr. 1 99 äussert sich vorsichtiger; doch ist
auch er geneigt, diese ansieht zu aeeeptieren. Vgl. auch Ost-
hoff, Beitr. 13, 417 f. In der jüngst erschienenen Laut- und
formenlehre der altgerm. dialekte, hg. von Dieter, ist Bethge
der meinung, dass der a-umlaut von t (ebenso wie der von u)
in allen Stellungen durchgeführt, dass er aber einzelsprachlich
und nicht im got. eingetreten sei. Nach Kluge in Pauls Grundr.
1>, 410 f. ist der wandel von indog. f zu germ. B sehr selten
und die genaue regel für das urgerm. noch nicht gefunden.
Braune, Ahd. gramm.1 § 31 anm. 1 scheint auch etwa dieser
ansieht zu huldigen.
Die eigentliche Ursache dafür, dass mehrere forscher die-
selbe regel für den o- umlaut von t wie für den von u auf-
gestellt haben, ist wol die, dass man meint, der a-umlaut müsse
notwendig in derselben ausdehnung auf i und u wirken, obgleich
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DER .4 -UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOED. 8PRACHEN. 545
man aus gewissen germ. dialekten (besonders dem ags.), wo der
a- umlaut von u reichlich vertreten ist, nur äusserst wenige
beispiele für a-umlaut von i hat anführen können.
A priori darf man jedoch gar nicht als ausgemacht an-
nehmen, dass der a-umlaut in derselben ausdehnung auf i und
auf u habe wirken müssen. Ich erinnere z. b. daran, dass im
isl. die regel für den w- umlaut von a und diejenige für den
tt-umlaut von i ganz verschieden sind. Der jüngere tt-umlaut
ist nämlich bei a ohne beschränkung durchgeführt worden,
z.b. talum > tylum etc., bei dem f-laut aber nur, wenn ein
labialer consonant dem i vorhergeht, z. b. swistur > s(w)ystur
etc., aber dagegen rifum (nicht *ryfum) etc. Im aschw. werden
die endvocale w, i zwar wesentlich, aber doch nicht ganz
nach denselben regeln behandelt; so bleibt z. b. in der aschw.
reichssprache das i in der geschlossenen silbe langsilbiger
Wörter erhalten, z. b. part. bundin (nicht bunden\ während das
u in dieser Stellung in o übergeht, z. b. bundun > bundon.
Unter diesen umständen ist der verdacht vollberechtigt,
dass der a-umlaut von i nicht in derselben ausdehnung wie
der a-umlaut von u durchgeführt worden ist, oder dass wenig-
stens z. t. andere tendenzen sich bei dem umlaut von i geltend
gemacht haben.
Ich will zu erörtern versuchen, nach welchen regeln (oder
tendenzen) der a-umlaut von * in den an. sprachen ein-
getreten ist.
Es findet sich i z.b. in isl. aschw. skip (ahd. aber skef
neben skif), shin n. (vgl. skina), aschw. *ahina in dem compo-
situm skinuben (vgl. ahd. shena neben shina 'Schienbein'), isl.
gil n. 'kluft' (vgl. geil f. «kluff), gin n. (vgl. gina); zu beachten
sind auch isl. aschw. skipa, isl. skim n. 'Schimmer'. Ueberhaupt
ist aus den an. sprachen der a-umlaut von i in keinem worte
mit Je, g vor dem wurzelvocal constatiert worden. Ich ziehe
hieraus die Schlussfolgerung, dass der a-umlaut von t in dieser
Stellung lautgesetzlich nicht durchgeführt worden ist, oder
wenigstens dass bei freier wähl zwischen i und umgelau-
tetem e dieser laut in jener Stellung begünstigt wurde. Der
lautphysiologische grund dafür ist selbstverständlich.
Folgendes ist von grösserer Wichtigkeit.
Wie oben s. 523 hervorgehoben worden ist, findet sich in
Beiträge zur geschieht« der deuUchan spräche. XX. III. 35
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546
KOCK
gewissen aschw. Schriften ein regelmässiger Wechsel o : u in
der Wurzelsilbe kurzsilbiger Wörter (kona : kunu etc.), aber
nicht in der langsilbiger Wörter. In mehreren modernen nor-
dischen dialekten findet eine sog. 'tilljämning' (angleichung) in
kurzsilbigen (nicht aber in langsilbigen) Wörtern statt
Unter 'tilljämning' versteht man in diesem falle, dass die
qualität des wurzelvocals sich derjenigen des endvocals nähert,
bez. dass jene dieser gleichgemacht wird. So sind in einigen
dialekten z. b. isL anorw. Ufa zu läfa, isl. anorw. Usa zn läsa
geworden. In gewissen nnorw. dialekten ist ein *-laut kurz-
silbiger Wörter vor a in ob tibergegangen, z. b. isL anorw. vtta
> nnorw. v&ta (A. B. Larsen, Overeigt over de norske bygde-
mal s. 41).
Ich stelle folgende regel auf: 'in den an. sprachen ist der
a-umlaut von i nur in kurzen (nicht aber in langen) silben
mit fortis eingetreten'. Alternativ ist möglicherweise die regel
folgendermassen zu formulieren: bei freier wähl zwischen *
und einem durch a-umlaut entwickelten e (welche laute laut-
gesetzlich in verschiedenen formen wechselten) wurde das um-
gelautete e fast nur in kurzsilbigen Wörtern gewählt. Ich sehe
jedoch kein hindernis dafür, der regel die erste formulierung
zu geben. Ob der a-umlaut von i auch in einer langen silbe
mit semifortis eintrat, hängt von der beurteilung des Wortes
Urcpt ab (s. unten s. 550 f.).
Es findet sich kein a-umlaut z. b. in den langsilbigen isL
aschw. fisk(e)r (a-stamm; vgl. lat. piscis), nschw. visp (a-stamm;
vgl. lat. virga), isl. adj. bitr, aschw. biter, acc. bitran (vgl. bita\
isl. vitr, aschw. viter, acc. vitran (vgl. vita : veit), isl. vitra 1 ver-
stand', isl. aschw. vissa f. 'gewisse Kenntnis', isl. vissa (praet zu
vita; vgl. ahd. fränk. wessa, westa neben oberd. wissa, tcista nach
Braune, Ahd. gramm.1 § 31 anm. 2), adj. isl. digr, aschw. digher,
acc. dig(h)ran (vgl. deigr).
Während das kurzsilbige isl. hepan, aschw. hcepan um-
gelautet ist, ist der umlaut in dem langsilbigen kipra 'hier'
(vgl. got. hidre), im ältesten1) isl. nicht durchgeführt; erst später
findet sich hepra mit e, das aus hepan übertragen ist
») Ueber hipra (nicht hepra) im ältesten isländischen s. SieTers, Beitr.
16, 241.
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DER ^-UMLAUT ETC. Bf DEN ALTNORD. SPRACHEN. 547
Die kurzsilbigen isl. nefian, aschw. nce])an, isl. neparr, nepari,
neparla, neparliga, pl. taut im 1 nepar 'abnehmender mond' (neben
nipar) f aschw. ncepar (neben nipar) haben umlaut; nicht aber
die langsilbigen isl. aschw. nipra (praet -of -), isl. nipran f.
Das isl. verwendet nipri nnd nepri, das aschw. nipre und ncepre;
der umgelautete vocal ist aus nepan etc. übertragen worden.
Umgekehrt hat isl. aschw. nipar 'abnehmender mond' (neben
nepar, naspar) i von nip n. mit derselben bedeutung, nipri etc.
bekommen. — Doch können nipri etc. mit i in der Wurzelsilbe
auch aus vorgeschichtlichen formen mit t in der paenultima
*nüfira etc. (vgl. ahd. nidiri neben nidari) entstanden sein.
Das aschw. hat umlaut in dem kurzsilbigen leepi, obl. casus
laspa 'lippe', nicht aber in den langsilbigen lippe m., obl. casus
lippa; lippa f. 'lippe'.
Zu beachten ist noch das nschw. kurzsilbige häpen 'ver-
dutzt' im gegensatz zu dem dialektischen langsilbigen kippen.
In seiner Urgerm. lautl. s. 20 ff. und Aschw. gramm. s. 151 f.
hat Noreen in verdienstlicher weise Wörter mit a-umlaut von i,
besonders aus den nord. sprachen, gesammelt. Mehrere der
nord. beispiele sind jedoch äusserst zweifelhaft; andere gehören
ohne zweifei nicht hierher. Ich werde die von ihm aus den
nord. sprachen angeführten beispiele prüfen und noch andere
hinzufügen.
Folgende kurzsilbigen Wörter haben umlaut, oder wenig-
stens findet sich in ihnen wahrscheinlich a-umlaut: isl. vega
(vgl. vig), isl. herap, aschw. hcerap < *Mtca- (vgl got heitca-,
Brate, Arkiv n. f. 5, 130 ff.), isL verr 'mann', ält. nschw. verbroder
'bruder des ehemannes', versyster 'Schwester des ehemannes'
(vgl. lat. rir), isl. hegri (< *hegara\ heri (< *hehara, vgl. ahd.
heliara, a.gs.hi£ora, gr. xlaoa, Osthoff, Beitr. 13, 416 ff.), isl. slepi,
aschw. slcepi : isl. aschw. sUJri (urspr. nom. slidt : obl. casus sleöa),
isl. stegi : isl. aschw. stig(h)i, isL seit : isl. aschw. sili, aschw.
Ptccena (vgl. nisl. nschw. tvlna), nschw. näpen (vgl. nisl. nipr
'nett', nnorw. nipper 'nett'), isl. glepa 'weih' (vgl. ags. glida,
Hellquist, Etymologische bemerkungen s.in1)). Hierher können
auch gehören die kurzsilbigen ndän. flcebe (vgl. nnorw. flipa
*) Das aschw. glapa mit derselben bedeutung bleibt jedoch dunkel;
die von Hellquist vorgeschlagene erklärung befriedigt meiner meinung
nach nicht.
35*
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548
KOCK
'weinen'), adän. trcejfwen, aschw. ojtrcewin (otratwin; vgl. aschw.
priwin), isl. gen. HaUfrepar etc. (vgl. Bugge, Arkiv 2,251; s.
jedoch auch unten s.551).
Auch in folgenden von Noreen nicht erwähnten Wörtern
durfte a- umlaut vorliegen: isLHepinn (vgl. Sievers, Bei tr. 16,242),
agutn. sen (< sepan, Kock, Sv. landsm. 15, no. 4, s. 27), ält nschw.
sädhan (vgl. isl. sipan, aus sidan verkürzt), isL svena (neben
svina 'stumpf werden'; vgl. ahd. stvinan 'schwinden'), aschw.
Proewa (vgl. is\. prifa, preifa 'nehmen, greifen'), isl. sef, aschw.
scef (vgl. dän. $iv), isl. skref, dän. shrcev 'schritt', isl. skrefa, dän.
skrceve 'schreiten' ( : isl. dat. sg. skrifi zu skref, nnorw. skriv,
aschw. bicerghskriwa 'felsenkluft').
Die folgenden sind sehr unsicher.
Wenn isl. flekkr ' fleck, Stückchen' mit fttk 'zipfel' zusammen-
zustellen ist, so ist, wie Tamm, Etym. ordbok bemerkt, (das
urspr. kurzsilbige) *flikan- zu *flekan- geworden, während in
anderen casus *flikk- entstand; durch contamination bekam
man dann flekk-. Diese etymologie ist aber sehr zweifelhaft.
Das wort kann auch mit isl. skipfluk 'wreck', isl. aschw. flaki
etc. zusammengebracht werden; vgl. Tamm a. a. o.
Es ist auch sehr unsicher, ob isL kvekva 'anzünden' n-um-
laut enthält; da aber das dem wurzelvocal nachfolgende k in
kvikr, kvekva etc. secundär ist (Bugge, Beitr. 13, 515), so haben
auch diese Wörter in einem älteren Stadium kurze Wurzelsilbe
gehabt. Aber die folgende auffassung dürfte vorzuziehen sein.
Neben kveikia findet sich kveykva, aber nur selten kvekva (z. b.
imp. qvecpti, inf. qvekva in AM. 645, Larsson, Ordförrädet) und
kvekva (quecqua, quequä). Ebenso wie *eittki zu etki, ekki, *ne-
weit-ek-hverr zu nekkverr etc. wurden, so haben sich part. kveikt,
imp. kveikpu etc. zu Jcvekt, kvekjm etc. entwickelt Nachdem
das in dieser weise entstandene e auf den inf. kvekva über-
tragen worden war, wurde dies durch w- umlaut zu kvekva;
vgl. nekkverr > nekkverr etc. Vielleicht kann e in dem seltenen
kvekva auch dadurch entstanden sein, dass das part. kveykt
(zu kveykva) zu kvekt wurde, wesentlich in derselben weise
wie *eitki zu etki etc. Durch diese auffassung wird gewonnen,
dass die verben kveikia, kveykva, kvekva, kvekva nicht von
einander getrennt werden, sondern identisch bleiben.
Ueber isl. part bepinn s. s.498.
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DER yl-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 549
Obgleich folgende von Noreen erwähnte Wörter kurzsilbig
sind, gehören sie nicht hierher. Aschw. bcewa, bewa (vgl. mnd.
beven), sUepa (mnd. slepen), bloek in bUekskwlla (mnd. bleck), spcek
(mnd.ftpek1)) sind deutsche lehn Wörter. Nach Noreen soll nschw.
lämna (im gegensatz zu nschw. lemna, isl. lifna) a-umlaut ent-
halten und aus *let>anön entstanden sein. Dies soll auch mit
nschw. rämna (im gegensatz zu nschw. remna, isl. rifna) der
fall sein, und wahrscheinlich denkt er sich *rebanön als grund-
form. Wenn dies richtig wäre, so wären auch diese Wörter
beispiele für das eintreten des a-umlauts in kurzen Wurzel-
silben. Die nschw. lämna, rämna sind aber ganz anders zu
erklären; s. Kock, Sv. landsm. 15, no. 8, s. 15 f.
Die drei Wörter isl. keppr, tvennir, prennir, welche allein
nach Noreen a-umlaut in langer Wurzelsilbe mit fortis ent-
halten sollen, sind in ganz anderer weise aufzufassen.
Aschw. kcepper, nschw. kapp ist als appellativum nur zwei-
mal im isl. (keppr) belegt. Schon längst hat man (z. b. Dalin,
Svensk handordbok) das wort als ein lehnwort aufgefasst und
es mit dem franz. cep, lat. cippus zusammengestellt. Liden
spricht in den Uppsalastudier s. 89 zweifelnd die Vermutung aus,
dass isl. keppr, aschw. kcepper durch a-umlaut aus *kippa- ent-
standen sei, das eine andere ablautsstufe als isl. keipr reprä-
sentiere. Wegen der ziemlich weit auseinander gehenden
bedeutungen der Wörter spricht diese etymologie nicht an.
Fritzner2 übersetzt nämlich keipr 'krummholz, in dessen winkel
das rüder sich während des ruderns bewegt'. Das nnorw. keip
wird von Aasen übersetzt 'klotz in form eines winkeis zu-
geschnitten, worin das rüder ruht, während man rudert'. Die
von Liden gegebene Übersetzung 'ruderdulle' ist also kaum
correct. Mit recht opponiert also Wadstein, Beitr. 22, 245 ff.
gegen Lidens, von Noreen angenommene etymologie. Wadstein
schliesst sich der alten etymologie von keppr = franz. cep,
mlat. cepus 'truncus, stipes', lat, cippus an. Auch im as. etc.
*) Auch Noreen, Aschw. graram. s. 152 meint nunmehr, dass sprek wahr-
scheinlich ein deutsches lehen ist. Dies ist auch mit aschw. an. Ity.
frmker (vgl. nnd. fress) der fall, sofern es nicht nur Schreibfehler für
fctrsker ist. Betreffs aschw. raformber, isl. reformr s. Kock, Zs. fda. 40, 206.
Das nur einmal (Westmannagesetz JE. 18,4) aus dem aschw. belegte fraüo
barn ist Schreibfehler für friüo bam; vgl. isl. aschw. fripla, fritta.
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550
KOCK
findet sich kip 'stipes'. Isl. keppr, aschw. kcepper 'ein (ab-
geschnittener) zweig, stock' kann übrigens anch der (von
Kluge, Et. wb. unter kappen aufgestellten) germ. wurzel kep,
kapp angehören; vgl. z. b. fries. käpen, kepen 'kerben, schneiden'
(Doornkaat-Koolman, Wb. der ostfries. spräche).
Im isl. finden sich tuifir (tvinnan, tvinn) und tue}»-, pL
tuennir; Pripr und prepr, pl. prennir (vgl. L. Larsson, Ordför-
rädet). Neben twcenne, Prcenne verwendet das aschw. (awest-
göt.) twanne, pranne mit a in der Wurzelsilbe. Es mag etwas
zweifelhaft sein, wie alle diese wechselformen zu erklären sind;
es ist aber sicher, dass tvennir, prennir nicht a-umlaut ent-
halten. Der wurzelvocal von tvennir kann aus älterem -ih-
(vgl. got. tweihnai) durch den gewöhnlichen Übergang 4h- > e
entstanden sein, wonach e verkürzt worden ist, und der wurzel-
vocal von prennir kann einen ähnlichen Ursprung haben oder
analogisch aus tvennir übertragen sein. Uebrigens hat Noreen
selbst, Aisl. gramm.2 § 56 (vgl. auch Aschw. gramm. § 83, 3, a)
versucht, isl. tvenn, prmn in dieser weise zu erklären.
Wie schon oben bemerkt wurde, ist isl. lerept, aschw. Iterept
vielleicht ein beispiel dafür, dass der a-umlaut von t in einer
langen silbe mit semifortis eingetreten ist; vgl. dass in
gewissen anorw. dialekten der jüngere einfache u-umlaut nur
in der semifortis-, nicht aber in der fortissilbe durchgeführt
wurde (piöÖgQtu : gatur etc.), und dass in der Rökinschrift der
jüngere t-umlaut sich nur in der semifortissilbe findet (mog-
rnenni : uarin etc., s. s. 525 f.). Schon längst hat man (s. z. b.
IED. s.v.) isl. lerept mit ript f. 'a kind of cloth or linen jerkin'
zusammengestellt, und nach Liden, Uppsalastudier s. 81 soll
der e-laut der ultima durch a-umlaut von t in gen. sg. ripta*
> reptar entstanden sein. Da das simplex nur den wurzel-
vocal i verwendet: isl. ript, nnorw. riß 'riss. stück', ndän. riß
'spalte', sich aber in dem compositum isl. lerept, aschw. Ueript,
leerept, selten lawasß der vocal e (a?) neben i findet, so ist dies
mit der accentuierung in causalzusammenhang zu bringen. Gen.
riftaR hatte natürlich fortis, gen. -rißan als zweites composi-
tionsglied aber semifortis: deshalb blieb rifla* erhalten, wäh-
rend -riftaM in -reptar (lerept) umgelautet wurde. Der a-umlaut
wurde aus dem gen. auf die anderen casus übertragen, weil
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 551
der gen. in solchen ausdrücken wie dtta alnar Ureptar (später
lerepts) sehr oft vorkam.
Der Wechsel ript : lerept kann wol aber auch folgender-
massen aufgefasst werden. Bugge bemerkt Arkiv 2, 243, dass
i in einer silbe ohne hauptton im an. zu e werden kann, und
er leitet deshalb öfreskr 1 wer geister sehen kann' aus *ufridskr
her. Isl. namen auf -frepr : Hallfrepr etc. haben in ähnlicher
weise aus -fripr entwickelt werden können (anders Bugge,
Arkiv 2, 251). Jedenfalls ist ein älteres i des zweiten com-
positionsgliedes in e übergegangen in personennamen auf -nkr
> -rekr, z. b. isl. Eirikr, Eirekr, aschw. Eriker, Ereker, isL Ha-
rekr (vgl. ahd. Uöhrih etc.), Älrekr etc., sowie in adj. auf aschw.
-liker > aschw. dial. -leker, isl. -legr, z. b. aschw. gupttker : guß- .
leker, isl. goplegr etc. Im anorw. findet sich oft auch -leegr,
z.b. gudkegr (s. Kock, Arkiv n. f. 8, 245 ff .). Es ist möglich,
dass die entwickelung f > e in öfreskr, Eirekr, Hallfrepr etc.
z. t von dem vorhergehenden r-laut abhängt. In Übereinstim-
mung hiermit gieng leript mit fortis auf der paenultima, semi-
fortis bez. infortis auf der ultima in isl. lerept, aschw. Icerept
über. Das sehr seltene aschw. Icercept mit ce in der ultima
ist mit dem anorw. gudlcegr etc. zu vergleichen; übrigens findet
sich im aschw. bisweilen ob statt e in der infortissilbe beson-
ders nach 'dentalen' consonanten, z. b. ncercer statt nwrer, kcercer
statt kcerer (Kock, Arkiv n. f. 8, 248).
Da der a-umlaut von u vor m, n vorläufig nicht durch-
geführt wurde (s. 514 ff.), und da der a-umlaut von i überhaupt
eine kleinere Verbreitung als der von u hat, so kann man die
frage aufwerten, ob der a-umlaut von i vor tn, n überhaupt
eintrat. So viel ich sehe, gibt es in den an. sprachen kein
beispiel für a-umlaut von * vor m. Wenn dagegen die oben
erwähnten isl. svena, aschw. pwama a-umlaut enthalten, so
wurde er vor n durchgeführt. Unter diesen umständen kann
das fehlen von beispielen für a-umlaut von t vor m zufällig
sein. Auf jeden fall ist es sehr leicht möglich, dass der a-um-
laut von % vor n und (wenn er in dieser Stellung überhaupt
eintrat) auch vor m später als vor anderen consonanten durch-
geführt wurde.
Ebenso wie im an. nur der tf-laut a-umlaut von u be-
wirkte, so hat wahrscheinlich nur ein d-laut (nicht ein ö- oder
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552
KOCK
«-laut) a-umlaut von i bewirkt. Da der pL und die obl. casus
des sg. von den fem. n- Stämmen urnord. ö (nicht a) in der
ultima hatten (s. s. 523 f.), so sind z. b. folgende Wörter für diese
frage von belang: isl. aschw. vika (vgl. ags. wlce 1 wechseldienst *),
aschw. bicerghskriwa, hcellaskriwa (vgl. oben s. 548), isl. aschw.
svipa (vgl. isl. sveipa 'mit einer schwingenden bewegung werfen"),
isl. bißa Erwartung*, fita 'fett', rifa, skripa, slita etc. Bei einer
flexion von *wikö, obl. casus *wikön(n), pl. nom. acc. *wikön(n)
etc. hätte der a-umlaut in allen casus durchgeführt werden
müssen, wenn 5 a-umlaut bewirkt hätte. Wenn aber a- um-
laut nur von ä bewirkt wurde, so ist alles in Ordnung. Erst
nachdem *wikö : *wikön{n) zu wika : wiku geworden, sollte der
. a-umlaut in wika eintreten; nom. sg. vika hat aber i von den
obl. casus des sg. und vom pl. bekommen.
Wie bekannt findet sich im got. kein a-umlaut von i
Aus dem ags. haben, so viel ich weiss, nur äusserst wenige
beispiele für diesen umlaut (wer, nesf) angeführt werden
können. Durch die soeben erörterten Verhältnisse der an.
sprachen dürfte bestätigt worden sein, dass in urgerm. zeit
wenigstens keine generelle regel H wird zu e vor einem ä, ö,
(3b der folgenden silbe' gegolten hat.
Da die ags. Wörter mit a-umlaut von i so wenige sind, so
ist man berechtigt einen besonderen grund für ihren umlaut
zu suchen.
Durch den concurrierenden einfluss eines vorhergehenden
w- lautes und eines nachfolgenden r- lautes sind in den an.
sprachen € zu ce, <£ geworden. So ist z. b. im anorw. germ. e
nach w in geschlossener silbe und besonders vor r in cb über-
gegangen: verk > vmrk etc. (Sievers, Tübinger bruchstücke der
ält. Frostuthingslög s. 9).
Im isl. ist e zwischen w (v) und r dialektisch zu m ge-
worden, z. b. ver > vcer (Kock, Arkiv n.f. 7, 140 ff.). Hiermit
ist zu vergleichen, dass im aschw. die lautverbindung -v&r-
in einer silbe mit semifortis sich zu -var- entwickelt hat, z. b.
natvcerper > natvarper (Kock, Svensk sprikhist s. 88 ff.). Also
haben die vocale zwischen w(v) und r eine offenere aus-
spräche bekommen. Ein ähnliches Verhältnis kann auch aus
anderen sprachen dargelegt werden.
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DEB ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 553
Die Ursache dafür, dass germ. *mraz zu ags. wer geworden,
ist nicht nur, dass a dem i nachfolgte, sondern auch dass der
t-laut zwischen w und r stand, vielleicht auch dass die Wurzel-
silbe kurz war. Auch im ahd. und as. findet sich wer mit
a-umlaut.
Das wort nest (vgl. lat. nidus) ist in dieser form dem ags.,
ahd. und ndl. gemeinsam. Mhd. findet sich auch nist. Ebenso
wie die umlaute im an. zu gewissen Zeiten nur in einer silbe
mit semifortis durchgeführt worden sind (s.525 f.), so erklärt
sich der a-umlaut im ags. nest daraus, dass dieses wort beson-
ders oft als zweites compositionsglied benutzt wurde. Unter
nest versteht man (um die definition des Grimmschen wb/s an-
zuführen) eine jede von tieren zum hecken der jungen und zur
lagerung gebaute wohnstatte, besonders das Vogelnest. Wegen
dieser bedeutung kann das wort mit einer grossen menge
tiernamen zusammengesetzt werden. Ich erinnere z. b. nur an
nhd. adler-, etilen-, finken-, lerchen-, schwalben; rohen-, kühner -
nest etc. und besonders an mhd. nhd. vogelnest (vgl. auch neu-
engl. birds-nest, bird-nest); ferner an nhd. bienen-, drachen-,
mause-, ratten-, raupen-, spinnen-, wespen-, wurm-nest etc., auch
hatzennest (vgl. Grimms wb.). Es ist selbstverständlich, dass
*-nistaz auch in urwestgerm. zeit besonders oft im zweiten com-
positionsglied mit semifortis vorkam. In dieser Stellung wurde
es zu *-nestaz, obgleich zu dieser zeit in der regel der a-umlaut
von i nicht in der fortissilbe durchgeführt wurde.')
Ich fasse also den a-umlaut von i in folgender weise auf.
In urgerm. zeit ist er nicht eingetreten, und im got. wurde
er nicht durchgeführt. Dagegen findet er sich im westgerm.
und im norcl
Urwestgerm. wurde er in einer silbe mit semifortis (-nest)
durchgeführt, sowie in einer (wenigstens kurzen) fortissilbe,
wenn dem • ein w vorhergieng und ein r nachfolgte (wer).
») Nach Osthoff, Beitr. 18, 417 und Noreen, Urgerm. lautl. s. 21 soll auch
mengl. neÖer, nengl. näher a-umlaut enthalten. Da aber das ags. ntperra,
neofoerra 'lower', nip(e)re 4 below ', nt'per 'down waräV hat, so ist das e des
mengl. neöer ohne zweifei eine späte entwickelung. Das ags. (mengl.) wort
konnte sehr leicht von adKn. na>prot, anorw. neÖre, ncÖan etc. beeinflusst
werden.
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554 KOCK, DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. BPBA
Nachdem das westgerm. sich in verschiedene sprachen gespalten,
trat der a-umlaut von i im ahd.-as. anch in anderen Stel-
lungen ein.
In urnord. (bez. gemeinnord.) zeit wurde der a-nmlant
von t durch ä bewirkt. Eine bedingung für das eintreten
des a-umlauts wenigstens in der fortissilbe ist, dass die Wurzel-
silbe kurz war (alternativ ist die regel vielleicht in folgender
weise zu formulieren: bei freier wähl zwischen % und einem
durch a-umlaut entwickelten e wurde dieses fast nur in kurz-
silbigen Wörtern gewählt). A -umlaut von t findet sich nicht
in Wörtern mit k, g vor dem wurzelvocal.
LUND, im frühjahr 1898. AXEL KOCK.
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DIE CHRONOLOGIE DES UEBERGANGS VON
GERMANISCH E ZU / VOR » + K, G, X.
Als eine der frühesten Wandlungen im germanischen voca-
lismus wird der Übergang von e > i vor w angesehen. In
seinem aufsatz über relative sprachchronologie, IF. 4 setzt ihn
Bremer 8. 18 fürs erste, s. 30 (in der tabelle) fürs zweite jh.
vor Chr. als gemeingermanisch an.
Ich glaube dass wir zu einem so frühen ansatz nicht be-
rechtigt sind. Der wandel von evh > ih zwingt, wie Bremer
s. 16 f. zugiebt, nicht dazu, da die entwicklung statt evh > ivh
> f h ebensogut auch evh > ?h > ih gewesen sein kann. Wenn
er sich dagegen s. 14 auf die von ihm schon Zs. fdph. 22, 251
zusammengestellten ältesten germanischen eigennamen als die
stützen seiner ansieht beruft, so ist dagegen einzuwenden, dass
diese alle aus nachchristlicher zeit stammen: aus Plin., Tac,
IM olein., I nl. Cap. und Dio Cassius. Man kann deshalb aus
ihnen nur den schluss ziehen, dass vor v gegen ende des
ersten nachchristlichen jh/s i bereits regel war, während vor
sonstigem gedeckten nasal e noch überwog (vgl. Tacitus: Mallo-
vendus Ann. 2, 25, Semnoties Ann. 2, 45, Fenni Germ. 46; aber
einmal Brinno Hist, 4, 15); in letzterem fall ist der Übergang
also jünger. In dieser form ist der schluss ja allgemein an-
erkannt, und man kann wol dabei bleiben, wenn auch nicht
vergessen werden darf, dass immerhin die möglichkeit eines
Zufalls bestellt.
Der einzige name der aus vorchristlicher zeit für den
Übergang ev > im geltend gemacht werden könnte, ist Tulingi
bei Caesar, Bell. gall. 4, 15. Derselbe gibt aber zu mehrfachen
bedenken anlass. Erstens handelt es sich bei ihm nicht um
haupttoniges, sondern um suffixales -ivg, und ich glaube dass
diese beiden fälle von einander streng zu trennen sind. Wie
wir wissen, wurde e in unbetonter silbe überhaupt zu i, und
zwar noch etwas früher als vor n -f cons. Es folgt dies
daraus, dass bei Plinius und Tacitus zwar vor n + cons. noch
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556
HELM
regelmässig e steht, in unbetonter silbe dagegen t das immer-
hin noch häufige c bereits überwiegt (vgl. Zs. fdph. 22, 251).
Wir sind danach wol berechtigt zu schliessen, dass in un-
betonter silbe vor v -f gutt. der wandel auch früher eintrat
als in betonter, da hier zwei factoren der palatalisierung zu-
sammenwirkten.
Sodann ist es aber auch fraglich, ob wir in Tulingi wirk-
lich die echte germanische form vor uns haben. Da das lat.
seinerseits sowol vor gedecktem nasal als in unbetonter silbe
ebenfalls e zu i wandelt, so Hesse es sich leicht denken, dass
ein geschlossenes e, wie es in diesen fällen als Vorstufe von i
im germanischen zu Caesars zeit gewis anzusetzen ist, im
munde des Romers bereits völlig als i gefärbt erscheint und
dann so auch in die schrift eindringt.
Aber selbst wenn man Tulingi als vollgültigen beleg für
eng > ivg anerkennen wollte, müsste man sich darauf be-
schränken daraus den schluss zu ziehen, dass zur zeit Caesars
ein teil (vielleicht nur ein sehr kleiner) der Germanen bereits
i sprach. Dies widerspräche freilich der theorie Bremers, dass
der tibergang von e > i von norden nach Süden vorgeschritten
sei; danach müssten die Tulinger als einer der südlichsten
Stämme auch als einer der letzten den wandel vollzogen haben.
Da Bremers theorie aber ausserordentlich viel Wahrscheinlich-
keit hat und wir andererseits bestimmte belege dafür haben,
dass damals andere Germanen noch e sprachen, so erhebt sich
von dieser seite aus ebenfalls begründeter zweifei an der
beweiskraft der form Tulingi.
Der eine beleg für e vor »g ist das bekannte finnische
rengas, welches zeigt, dass die den Finnen benachbarten Ost-
oder Nordgermanen noch e hatten, als bereits der Übergang
von o > a in unbetonter silbe eingetreten war. Damit wird
dieses mit bestimmtheit für nachchristliche zeit gesichert (vgl.
Noreen, Utkast § 6 anm. 2); denn es ist bei dem conservativen
Charakter der finnisch -lappischen spräche ganz unstatthaft
anzunehmen, dass sie entlehntes ing zu eng zurück- oder ent-
lehntes o zu a weitergebildet hätte.
Der zweite beleg, dem westen angehörend, ist der name
der Tencterer, als Tenxterer anzusetzen. Diesen, wie Bremer
(Zs. fdph. 22, 251) tut, als keltisch von vornherein auszuschliessen
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GERM. E > I VOR V + GUTTURAL.
557
geht durchaus nicht an. Allerdings ist seine germanische her-
kunft trotz Muchs deutungsversuch (Beitr. 17, 144 ff.) keines-
wegs gesichert (vgl. Hirt, Beitr. 21, 148 ff.); auch der lautcomplex
%t (durch Caesars Schreibweise -chth- gesichert) ist kein beweis
für seinen germanischen Charakter, denn auch das keltische
wandelt U (und pt) zu %t (vgl. Brugmann, Grundr. 1, § 515. 517).
Aber andererseits ist der keltische Ursprung des namens
auch durch nichts erwiesen. Ich glaube nun, dass wir wol
berechtigt sind, den namen eines germanischen Volkes als
germanisch anzusehen, wenn uns auch seine etymologie nicht
klar ist — so lange das gegenteil nicht bewiesen ist. Die
last des beweises liegt auf dem, der das wahrscheinliche und
naturgemasse negiert.
Dass die Tencterer aber ein germanisches und kein kel-
tisches volk sind, daran ist kein zweifei. Dies bestätigt uns
ausdrücklich Caesars zeugnis, der ja in die allernächste be-
rührung mit ihnen gekommen ist. Bell. gall. 4, 1 sagt er Usi-
petes Germani et item Tencteri, und so spricht er auch in
seinem ganzen bericht stets von Germanen und geht mit den
Worten Germanico hello confecto (4, 16) zur weiteren erzählung
über. Als er dann von den Sugambrern die auslieferung der
zu ihnen geflohenen reste der T. fordert, bezeichnen auch diese
dieselben in ihrer antwort wenigstens indirect als Germanen
mit den Worten si se invito Gertnanos in Galliam transire non
aequum aestimaret ... (4, 16). Dazu vgl. man noch die stellen
Tac. Ann. 13, 56. Hist. 4, 21. 64. Germ. 32. 38.
Nehmen wir nun einmal als gewis an, der name der T.
sei germanisch, so sichert er bestimmt e vor *x f&r das jähr 55
v. Chr. Das e bei Tacitus ist weniger beweiskräftig, da er eine
ältere form die nicht mehr lebte aufgenommen haben mag, weil
sie durch Caesar nun einmal dem Römer geläufig geworden
war. Umsomehr grund zu diesem verfahren konnte vorliegen,
je weiter sich der name damals schon von der ursprünglichen
form entfernt hatte. Es ist sehr leicht möglich, dass die Römer
zur zeit des Tacitus den alten namen in der neuen form (er
hiess wol *Tihtrös) gar nicht widererkannten.
Dasselbe gilt für die formen bei späteren autoren. Auf
Tivxeooi bei Ptolemäus ist nach den Untersuchungen von Holz
über die germanische Völkertafel des Ptolemäus (Beiträge zur
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558 HELM, GERM. E > I VOR » -f GUTTURAL.
deutschen altertumskunde heft 1) gar kein gewicht zu legen
(vgl. auch Hirt, Beitr. 21, 129 ff.). Te-pettjool bei Dio Cassius
beruht naturlich nur auf dessen schriftlichen quellen.
Setzen wir nun aber auch den andern fall, es gelänge
den namen der Tencterer als keltisch zu erweisen. Ich glaube
nicht, dass die Sachlage dadurch wesentlich geändert wäre;
denn es ist klar, dass der name von dem moment an, in wel-
chem er von einem germanischen volke übernommen wurde,
den germanischen lautgesetzen unterworfen ist wie jedes be-
liebige lehnwort Nun wird niemand behaupten wollen, diese
Übertragung sei so jungen datums, dass der Übergang ev% >
Mg bereits vollzogen gewesen sei Ist sie aber älter, so muss
der name den lautwandel mitmachen. Mithin ist die form
Tenxteri auch wenn sie ursprünglich keltischer herkunft wäre,
doch ein ebenso sicheres Zeugnis für germanisch e*x zu Caesars
zeit, als wenn sie rein germanisch ist.
Gegen Bremers datierung spricht meines erachtens endlich
ein nicht zu verachtender innerer grund. Setzt man nämlich
mit ihm den Übergang ev > t» im 2. jh. v. Chr. als gemein-
germanisch an, so liegen zwischen diesem lautwandel und
dem von e > i vor sonstigem gedeckten nasal rund 250 jähre.
Nun sind aber gewis diese beiden fälle des Übergangs e > i
ihrem wesen nach nicht so verschieden, dass sie durch so
grosse Zeiträume getrennt werden dürften. Auch diese Schwierig-
keit fällt nun mit unserer datierung hinweg. Darnach herschte
also in der letzten vorchristlichen zeit jedenfalls e vor v noch
in einem grossen gebiete. Vielleicht begann der Übergang da-
mals in unbetonter silbe. Vollendet war er zur zeit des Plinius
und Tacitus, also in der zweiten hälfte des ersten jh.'s nach Chr.,
während zu derselben zeit vor sonstigem gedeckten nasal noch e
überwiegt, das in der ersten hälfte des zweiten jh.'s nach Chr.
dann dem i weichen musste.
Es fragt sich, ob nach dieser datierung nun nicht das ver-
klingen des v vor x und die nasalierung des vocals für älter
zu gelten hat als der Übergang in t. Ich sehe jedoch keine
möglichkeit dies zu entscheiden.
HEIDELBERG, november 1897. KARL HBLM.
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MEERRETTICH.
Ueber den Ursprung und die bedeutung dieses scheinbar
so durchsichtigen namens sind seit länger als einem jahrhundert
die allerverschiedensten Vermutungen ausgesprochen worden,
und doch gelten noch heute die worte, die der alte Nemnich
vor über hundert jähren schrieb: 'von den namen meerrettig
etc. lässt sich kein sicherer Ursprung angeben; wenn man
einen entdeckt zu haben glaubt, so wird man in einer anderen
spräche wieder anstoss finden.' *)
Mögen zunächst die wichtigsten dieser erklärungsversuche
hier zusammengestellt werden.
Die auffassung, dass meerrettich 'mährenrettich, pferde-
rettich' bedeute, ist heute wol die verbreitetste. Man begegnet
ihr vielfach auch in laienkreisen. Sie stützt sich teils auf die
anscheinende Sinnlosigkeit des Wortes meer-, teils auf eine ver-
gleichung besonders der nd. namensform marredüc mit dem engl,
namen der pflanze harse-radish. Diese erklärung ist übrigens
schon ziemlich alt. Sie stammt, so viel ich sehe, von dem be-
kannten Hamburger musikschriftsteller und componisten Jon.
Mattheson (1681 — 1764), der neben seiner Stellung als musik-
director und capellmeister lange jähre das amt eines gross-
britannischen legationsrats bekleidete und sich auch bey mehr
als einer gelegenheit über die teutsche sprach -künde aus-
gebreitet' hat. Seine erklärung des Wortes meerrettich wurde
zuerst 1755 in der zweiten aufläge von Michael Richeys Idio-
ticon Hamburgense veröffentlicht, zu der Mattheson zahlreiche
beitrage lieferte. Hier lesen wir s. 159 unter mähre-. lmahr-
reddick: die einfalt saget mar-etick und vermeinet es hoch-
teutsch gar fein zu nennen meer-essig. Selbst die Ober-Sachsen
schreiben unrecht meer-rettich, als wüchse er am meere.
Eigentlich heifft der nähme so viel als pferde-rettich (von
der mähre, wie Marschall, mar stall etc. also marrettich, und
») Allgem. polyglotten-lexikon d. natur-geach. 1 (1793), 1095.
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560
HOOPS
nicht vom meere. Angl, horsc-radish, weil diese wurtzel den
pf erden heilsam ist. M.1) Belg, maer-radys.'
Dieser hinweis auf den anscheinenden parallel ismus der
nd. und engl, benennungen hat ohne zweifei auf den ersten
blick etwas bestechendes,- und wir verstehen es vollkommen,
dass Richey die erklärung seines gelehrten freundes zu der
seinigen machte. Indessen hat er sie später wider aufgegeben
und eine eigene neue etymologie aufgestellt. Im nachtrag zu
seinem buche sagt er (s.367): lmaar- reddick (denn so ist es
auszusprechen, an stat des einfältigen maar-etick): meer-rettich.
Das nieder -sächsische kommt hier dem wahren Ursprünge
näher, weil dieser rettich nicht im meere, sondern im
maar- oder moor-lande wächset'. Letztere erklärung,
die, so dilettantisch sie ist, einen sehr beachtenswerten, rich-
tigen kern enthält, hat sich noch durch einige der folgenden
Wörterbücher weiter geschleppt, um dann in Vergessenheit zu
geraten. Die deutung 'mährenrettich' trug den sieg davon
und ist bis heute die herschende geblieben.
Schon die Verfasser des Bremisch-niedersächsischen Wörter-
buchs (1767 — 1771) entscheiden sich für Matthesons auslegung.
nehmen aber zugleich von Richeys ansieht notiz: 'mar-reddik,
meerrettig. Welches der gemeine mann hier in Bremen, eben
so, wie in Hamburg, mar-etik ausspricht Von dem alten mar.
pferd: weil diese wurzel den pf erden gesund seyn soll. Wes-
wegen sie auch bey den Engländern horse-radish, pferde-
rettig, genannt wird. Richey meint, tmr-reddik sey so viel,
als moor-reddik, weil er gern im moorlande wächset Holl.
mierik-worteV (3, 129).
Adelung in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der
hochdeutschen mundart (1777) führt beide ansichten an, er-
wähnt sogar noch eine dritte, ohne sich indes für eine der-
selben bestimmt zu entscheiden. 'Da dieses gewächs', sagt er
(3, 433 f.) 'in den Wassergräben und bächen einheimisch ist,
so scheint meer hier für moor, morast zu stehen, obgleich
andere es von dem Ist amarus ableiten, und dieses wort daher
') Dass damit Matthegon gemeint ist, ergibt sich ans der vorrede
(s. xxxviii f.), wo der Verfasser bemerkt, er habe alles was sein freund
Mattheson beigesteuert, 'mit dem nahmens-zeichen M. auf die Rechnung
desjenigen geschrieben, dem es zugehörte
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MEERRETTICH.
MUH
561
märrettig schreiben. Da indessen dieses gewächs im nieders.
marredik heisst, so wird in dem Bremisch -niedersächsischen
wörterbuche nicht unwahrscheinlich gemuthmasset, dass die
erste hälfte das alte mar, ein pferd sey, weil die wurzel den
pf erden sehr gesund ist, daher sie auch im engl, horseradish
heisst. Ihr holländ. name ist mierik-wortel Im oberdeutschen
wird der meerrettig grän, krän, grien, Jonen genannt, im
russischen ehren, ohne zweifei von dem noch bey den krai-
nerischen wenden üblichen grenak, bitter'.
Eine teilweise wörtliche widerholung dieser bemerkungen
Adelungs finden wir in Voigteis Hochdeutschem handwörter-
buch (Halle 1794). Auch er gedenkt neben der deutung
'mährenrettich' noch der ableitungen von nwor bez. amarus.
— Heyse (Handwb. d. deutsch, spr., 1849) erwähnt die letzteren
überhaupt nicht mehr; er schreibt einfach: 'wahrscheinlich
nicht von meer, sondern von mar, mähre, pferd; daher niederd.
marretHg, gem. merrettig; angl. horse-radish, weil die wurzel
den pf erden gesund ist'. — Auch 0. Schräder in seiner neu-
auSp«HA von Victor Hehns Culturpflanzen u. haustieren (s. 485)
meint: 'meerrettich ist, worauf engl, horse-radish weist, wohl so
viel wie pferderettich'.
Diese auslegung des meer- als mähre und die Zusammen-
stellung mit dem engl, horse-radish ist nun aber in neuerer
zeit von verschiedenen gelehrten zurückgewiesen worden. Sie
fassen das erste compositionsglied als 'meer, see\ Hinsicht-
lich des grundes freilich, warum die pflanze meer retlich ge-
nannt sein soll, herscht unter den Vertretern dieser ansieht
keine Übereinstimmung. Es stehen sich hier unbewusst Sprach-
forscher und botaniker gegenüber.
Die Philologen, soweit sie sich für die bedeutung 'meer-
rettich' gegenüber 'pferderettich' entscheiden, fassen das wort
als 'über das meer gekommener, überseeischer rettich'.
So sagt Weigand (Deutsch. wb.*): ' ahd. meriratich = übersee-
ischer, über das meer (ahd. meri) zu uns gekommener rettig. . . .
Unmöglich kann das wort mit mähre (ahd. meriha) = stute,
oder gar mit marah, march = pferd zusammengesetzt sein,
obgleich die Engländer horse-radish, d.i. ross-, pferderettig,
sagen. Es erscheint dies eben nur als eine andere benennung'.
— Ihm schliesst sich Heyne (in Grimms wb.) an: 'der ahd.
Beiträge iut gMchicht« dar deuUcheu spräche. XXIII. 36
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HOOPS
name meri-ratich, mer-ratich, mer-retich (Graft 2, 492) thnt dar,
dass das gewächs als ein fremdes, über meer gekommenes
aufgefasst worden ist . . . und dass demnach ein Zusammenhang
des Wortes mit mähre equa, ahd. meriha, später merhe, mere
nicht besteht, trotz der engl, bezeichnung horse-radish, die
demnach auf anderm boden wurzelt'. — Auch Kluge (Et. wb.*)
entscheidet sich für 'überseeischer rettich', nimmt aber in hin-
blick auf das engl, horseradish zugleich von der möglichkeit
der deutung 'pferderettich' notiz.
Eine andere erklärung versuchen zwei botaniker, ohne
auf diese philologischen auslegungen bezug zu nehmen. Der
bekannte Genfer gelehrte Alphonse de Candolle ') äussert sich
über den Ursprung des Wortes meer rettich folgendermassen:
4 wahrscheinlich entstand es daher, dass die art in der nähe
des meeres gedeiht, eine eigenschaft, welche sie mit vielen
cruciferen teilt, und welche sich gerade für sie darbieten mnss,
wo sie im östlichen Russland mit seinen vielen salzigen ter-
rains spontan vorkommt'. — Weniger bestimmt spricht sich
Fischer-Benzon in seiner Altdeutschen gartenflora (1894; s.115)
aus: 'die deutung mährrettich (pferderettich) ist sprachlich
unmöglich; sie stemmt auch erst aus diesem jahrhundert oder
frühestens aus dem ende des vorigen. Wie kommt die pflanze
zu dem namen meerrettich? Weil sie in der nähe des meeres
besonders gut gedeiht? Es wäre immerhin möglich, aber sie
könnte auch wohl ursprünglich eine küstenpflanze Italiens und
Griechenlands gewesen sein, wie sie denn jetzt noch die küsten
des Schwarzen meeres bewohnt'.
Zum schluss sei noch eine auffassung erwähnt, die Victor
Hehn in seinem bekannten buche Culturpflanzen u. haustiere
(6. aufl. 1894, s. 484) ausspricht: dass das wort meerrettich aus
dem lat. armoracia entstellt sei. Diese erklärung ist nach
Fischer -Benzons angaben (a.a.O.) neuerdings wider in der
Heimat bd. 3 (Kiel 1893), s. 44 vorgetragen worden, wo *die
plattdeutschen namen des meerrettichs: marrak, maref/ig,
maredig, marretig, als angleichungen [sie] an armoracia auf-
gefasst sind, die ihrerseits wieder als meerrettich verhoch-
deutscht worden seien'. Fischer-Benzon lehnt diese erklärung
>) Geographie botanique raisonnee, 1855, s. 654. Xeu abgedruckt in
seinem buche über den Ursprung der culturpflanzen, Leipzig 1884, s. 44.
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MEERRETTICH. 563
nicht direct ab, weist aber doch darauf hin, dass 'die namen
merradwh, merretich etc. schon vor dem 12. Jahrhundert' vor-
kommen, also älter als die nd. formen sein können.
Dieser einwurf ist richtig. Schon in ahd. glossaren aus
dem 9. und 10. jh. tritt der name in der form meri-ratich auf;
aus dem 11. jh. haben wir merratich, aus dem 12. merretich
(Graff 2, 492). Letzteres ist die gewöhnliche mhd. und friih-
nhd. form; die mnd. ist merredik (Schiller-Lübben 3,76. Lübben-
Walther, Mnd. handwb. s. 226).
Damit fallen die ableitungen aus amatus und armoracia1)
ohne weiteres in sich zusammen. Durch das ahd. meriratich
wird aber auch der erklärung von meerrettich als mährenrettich
der boden entzogen. Die ahd. form des wortes mähre ist
meriha, marhe, merha ; mhd. mcrhe. Dass mer{i)lw, als erstes
glied eines compositums schon im 9. und 10. jh. zu mm- con-
trahiert sein sollte, während sich das /* sonst durch die ganze
ahd. und mhd. zeit erhalten hat, ist durchaus unwahrschein-
lich (vgl. auch das ahd. merihün-sun). Dazu kommt, dass
mähre- als bestimmungswort zusammengesetzter pflanzennamen
in alter wie in neuer zeit überhaupt unerhört ist; nur ross-
oder pferd- kommen in dieser function vor.
Wie steht es aber mit dem engl, horse-radish? De Can-
dolle (Ursprung der culturpfl. s. 44) sagt: 'der englische name
horse radish (pferderadies) hat nichts ursprüngliches an sich,
was zu der annähme berechtigen könnte, dass die art vor
der angelsächsischen herrschaft im lande aufgetreten sei.
Man will eben nur die stärke des radies damit andeuten.
Der wallisische name rhuddygl maurth ist nur die Übersetzung
des englischen, woraus man schliessen kann, dass die Kelten
von Grossbritannien keinen besondern namen hatten und die
art nicht kannten'.
De Candolle hat mit dieser Vermutung das richtige getroffen.
l) Der lat. name armoracia, der übrigens ursprünglich nicht den meer-
rettich, sondern eine andere, pontische crucifere bezeichnete, hat auch sonst
Unheil in der nomenclatur des ineerrettichfl angerichtet. Man brachte den
namen fälschlich mit Amiorica zusammen und nennt infolgedessen in Frank-
reich den meerrettich zuweilen cran oder cranson de Bretagne, obwol die
cochlearia armoracia in der Bretagne sicher nicht wild wächst (vgl. hier-
über De Candolle, Ursprung der culturpfl. s.42).
36*
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564
HOOPS
Die alten Briten wie die Angelsachsen kannten den meerrettich
noch nicht. Selbst im 16. jh. war die pflanze in England
noch unbekannt, William Turner in seinem buche The
Names of Herbes vom jähre 1548 sagt1): 'Armoracia'1) is named
in greke Eaphanis; it groweth not in England that I wotte
of, but it groweth in Italy, and it is called Larmoratia*); it
myght be called in englishe if we had it, wyld Badish; it is
hote of complexion'. — In dem Teutsch- englischen lexikon
von Fritschen aus dem jähre 1716 ist horseradish bereits als
englischer name des meerrettichs aufgeführt. Frühere belege
habe ich nicht finden können. In Skinners Etymologicon lin-
guae anglicanae von 1671 fehlt das wort, was aber nicht zu
dem Schlüsse berechtigt, dass es damals noch nicht vorhanden
war. Vermutlich wurde die pflanze zwischen 1550 und
1650 nach England eingeführt. Heute ist sie auf den
Britischen inseln vollkommen heimisch. Sie kommt vielfach
verwildert vor und setzt sich, wo sie einmal boden gefasst
hat, leicht so fest, dass sie schwer wider auszurotten ist und
fast das aussehen einer wildwachsenden art hat. Doch verrät
ihr Standort stets den verwilderten fremdling.4) Ein volkstüm-
liches genussmittel in dem masse, wie z. b. in Süddeutschland,
ist der meerrettich in England bis heute nicht geworden.
Gleichzeitig mit dem auftreten der pflanze wird auch der
name horse-radish entstanden sein, zu dem wir einen ansatz
bereits in der Turnerschen benennung wyld radish haben.
Seine eigentliche bedeutung ist von De Candolle ziemlich
richtig erkannt, wenn er meint, man wolle damit nur die
stärke des radies andeuten. Wedgwood freilich (Dick of Engl.
>) Hg. v. Britten, Engl. dial. soc. 34, 8. 15.
*) Im mittelalter gilt raphanus ruslicus oder vulgaris als die gewöhn-
liche lat. benennung des meerrettichs. Vom 16. jh. an wird armoracia,
das im mittelalter verschiedene cmciferen bezeichnet hatte, immer all-
gemeiner in diesem sinne verwant. Camerarias (1580) sagt: 'raphanus
rusticus: vulgo armoraäa' (vgl. Fischer- Benzon, Altdeutsche gartenflora
8.115).
*) Noch heute heisst der meerrettich in Italien armoraccio oder ramo-
laccio ; daneben rafano, ravano grosso (vgl. Nemnich, Allgem. polyglotten-
lex. d. natur-gesch. 1, 1093.
') Watson, Cybele Britannica 1, 120. 3,381. Watson, Compendium of the
Cyb. Brit. s. 481. De Candolle, Ursprung der culturpfl. s. 43.
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MEERRETTICH.
565
etymol., 2<i ed., 1872, s. 349) sagt: ' horse -radish, plattd. mar-
reddik, from the ancient mar, a horse, from some notion of
the plant being wholesome for horses'. Aber diese auslegung
stammt augenscheinlich aus Adelung, mit dessen bemerkungen
sie fast wörtlich übereinstimmt. Auch Donald in Chambers' Ety-
mological dictionary ') und andere, die diese erklärung des engl.
horse-radish geben, widerholen nur, was frühere gesagt haben.
Dass pferde meerrettich fressen, ist mir nicht bekannt; dass er
ihnen gelegentlich als medicin beigebracht wird, ist möglich; auf
keinen fall aber ist in einer solchen medicinischen Verwendung
die Ursache der namengebung zu suchen: diese auffassung be-
ruht sicher auf einer jüngeren, gelehrten misdeutung des namens.
Pflanzennamen mit lwrse bez. ross, pferd als erstem
element dienen im engl, wie im deutschen mit Vorliebe zur
bezeichnung unechter, besonders gröberer, oft auch
wildwachsender und ungeniessbarer arten gegenüber
den echten, feineren, cultivierten. So schon ags. hors-
minte als bezeichnung der wilden minzen und minzenähnlichen
pflanzen gegenüber den zarteren garten -species; im gleichen
sinne nengl. horsemint; ebenso ahd. rosses-minza (schon im
9. jh.), mhd. rosseminz, -myntza, rosmintze, nhd. rossminz, pferde-
münze\ mnd. rosmynte, per dem inte, -mynte, nnd. pierdmünt,
pärmint. 2) Hierher gehören ferner nengl. horse cress, veronica
') 'So named from a notion of its being wholesome for horses 1 (s. 238).
Chambers' Etym. dict. erschien 1867 und hat nach seiner eignen angäbe
u. a. auch aus der ersten aufl. von Wedgwood geschöpft.
») Graff2, 819. Steinmeyer -Sievers, Ahd. glossen 3,475,41. 555,54.
Pritzel-Jessen, D. deutsch, volksnamen d. pflanzen s. 234 ff. Fischer-Benzon,
Altdeutsche gartenflora s. 188. 210. — Wenn Weigand (Deutsch. Wb. 2)
raeint: 'auch der mittellat. name die equimenia, welcher im 9., 11. u. 12. jh.
wörtlich durch rosses minza, rosseminza, rosmime d. i. rossminze ver-
deutscht wurde, scheint von einer Verwendung des krautes als pferdeheil-
mittel seinen Ursprung zu haben', — so ist er in mehrfacher hinsieht auf
dem holzwege. Erstens ist das ahd. rosses mitua ganz sicher keine Ver-
deutschung des mittellat. equitnenta, sondern dieses ist umgekehrt (wie
Steinmeyer richtig vermutet) eine Übersetzung des germ. namens, der ja
auch im ags. vorhanden ist; zweitens ist von einer Verwendung dieser
kräuter — denn 'rossminze' ist eine generelle benennung für verschiedene
wilde minzenarten und minzenähnliche pflanzen — als pferdeheilmittel
nichts bekannt; und endlich hat Weigand die bedeutung der volkstüm-
lichen namenbildungen mit ross- nicht verstanden.
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566
HOOPB
beccabunga L., gegenüber der gartenkresse; horse daisy*) für
Chrysanthemum leucanthemum L., die weisse Wucherblume,
anthemis cotula L., die hundskamille und ähnliche arten gegen-
über dem zarten gänseblümchen oder maasliebchen, bellis
perennis L., mit dem jene in ihrem habitus ähnlichkeit haben;
im gleichen sinne stehen in Schottland gotvan und horse goican
einander gegenüber. Das duftlose hundsveilchen, viola canina,
wird zum unterschied von viola odorata in Essex horse violet
genannt; in Augsburg nennt man es hundsvcigeln oder ross-
veigeln. — Auch sonst sind in Deutschland diese bildungen
nicht minder beliebt als in England: ross-eppich für heracleum
sphondylium L., bärenklau und ähnliche pflanzen im gegensatz
zum wirklichen eppich; ross-erbs, ein St. Galler name für pha-
seolus multiflorus Lamk., die türkische oder prunkerbohne, die
nur als ziergewächs wegen ihrer bunten blüten, nicht der
früchte wegen gezogen wird; rossfenchel für verschiedene
fenchelartige, rosskümmel für entsprechende kümmelähnliche
wilde umbelliferen; rosspappel für die wilde malve u. s. w.
(vgl. Pritzel-Jessen a. a. o. s. 620 f.). Auch der name ross- oder
Pferdebohne dürfte hierher gehören.
Ungleich häufiger noch als horse und ross wird engl, dog,
nhd. hunds- zur bezeichnung des unechten gebraucht. Z. b.
dogberry für verschiedene nicht essbare beeren; dogcherry, dog
daisy bez. dog gotvan (sj'nonym mit den oben erwähnten horse
daisy, horse gotvan), dog ellcr2), dog fennel (wie oben das nhd.
rossfenchel), dog nettle, dogrose, dog rotvans.*) — In Deutsch-
land sind solche bildungen ausserordentlich häufig: hundsbecre,
-dille, -kamille, -kirschen, -knoblauch, -kürbs, -lauch, -milch, -peter-
silie, -reben, -rose, -rüben, -veilchen, -tveizen, -ewiebel u. s. w.
(Pritzel-Jessen s. 550 f.), überall im sinne von 'unecht, pseudo-'.
— Auch andere tiernamen werden manchmal in der gleichen
function verwant.
') 'From its size and coaraeness', sagen Britten nnd Holland in ihrem
Dictionary of English plant -names mit recht (Engl. dial. soc. 22. 2ü. 45;
8. 141). Aus ihren belegen geht hervor, dass der name in dieser bedeutnng
über ganz England verbreitet ist.
Britten-Holland s. 154 bemerken unter diesem namen sehr richtig:
'dog is applied here, as in niany other cases, as meaning spurious, not the
right thing'.
») Ueber die botan. bedeutung dieser namen vgl. Britten-Holland s. 154fL
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MEERRETTICn.
567
Nach diesen zahlreichen parallelen kann wol kein zweifei
mehr darüber herschen, dass horse-radish weiter nichts als
'unechter, grober rettich' bedeutet — eine erklärung, auf
die übrigens schon das Turnersche wyld radish hinweist. Und
ähnlich wie in Turners Herbarium wird in dem ziemlich gleich-
zeitigen Kreutterbuch von Hieronymus Bock (f 1554) zwischen
dem meerrettich und dem zahmen rettich unterschieden: 'der
meerrhetich ist mit geschmack und geruch sterker dann der
zam' (s. 280). Der umstand, dass schon bei Turner 1548 der
in England damals noch unbekannte meerrettich als wilder
rettich aufgefasst wird, zeigt zugleich, dass der name horse-
radish jedenfalls völlig unabhängig von dem deutschen namen
meerrettich oder nd. marredik entstand, dass er eine ganz spon-
tane engl, bildung ist, die erst später unter verkennung der
ursprünglichen Verhältnisse mit meerrettich in beziehung ge-
setzt wurde.
Damit fällt auch die letzte stütze der deutung von meer-
rettich als 'mährenrettich'. Es kann demnach kein zweifei mehr
darüber sein, dass wir in dem ersten compositionsglied tatsäch-
sächlich unser wort meer, ahd. meri, zu erblicken haben. In
den dialektischen formen merrettich,*) merredch, merch etc.
hat sich die alte kürze vor dem doppelconsonanten bewahrt;
in den nd. marreddik, marreik, mark, marrettig ist das £ vor r
in geschlossener silbe, wie auf nd. und engl, gebiet so sehr
gewöhnlich, in a übergegangen (vgl. mnd. sterven : nnd. starven,
Hervest : harvst, herte : hart etc.; mengl. kerven : nengl. carve, fer :
far, sterre : star, bern : barn etc.).
Jedoch was bedeutet meerrettich? 'Ueber das meer
gekommener rettich'? So wird es, wie wir gesehen haben,
von verschiedenen philologen erklärt. Aber was haben die-
selben sich dabei gedacht? Der name war schon im 9. und
10. jh. vorhanden. Amerika war dazumal noch nicht entdeckt;
in England war der meerrettich überhaupt nicht bekannt;
*) In der Schriftsprache tritt schon im 16. jh. die form meerrettich
auf; der erste beleg, den Weigand anführt, stammt ans dem jähre 1538.
Andererseits haben sich die formen mit alter kürze in den Wörterbüchern
noch ziemlich lange erhalten. Weigand citiert hierfür Adam Lonicerua
(f 1586), aber noch in Stielers Tentschem Sprachschatz von 1691 (p. 1605)
lesen wir merrettich.
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568
HOOPS
eine entsprechende lat benennung, aus der das ahd. wort über-
setzt sein könnte, existiert nicht. Ueber welches meer soll
also damals die pflanze nach Deutschland gebracht sein? Ich
glaube, durch diese einfache historische erwägung wird jene
allzu philologische erklärung von selbst gerichtet
Die sache wird noch zweifelloser, sobald wir nach der
wirklichen heimat des meerrettichs forschen. De Candolles
gründliche Untersuchungen haben erwiesen, dass der meerrettich
von osten her zu uns gekommen, dass seine eigentliche
heimat das östliche Europa ist.1) 'Die cochlearia armo-
racia', sagt er, 'ist von Finland bis nach Astrachan und der
wüste am Kuma verbreitet. Grisebach führt sie auch für
mehrere localitäten der europäischen Türkei auf, z. b. in der
nähe von Enos, wo sie am meeresstrande häufig ist. Je mehr
man sich dem westen Europas nähert, um so weniger scheinen
die autoren von floren über die einheimische eigenschaft sicher
zu sein, um so zerstreuter und verdächtiger werden die Stand-
orte. In Norwegen ist die art seltener als in Schweden, auf
den Britischen inseln seltener als in Holland, wo man keinen
fremden Ursprung mutmasst. Die namen der art bestätigen
einen ursprünglichen wohnsitz eher im osten als im westen
Europas: so findet sich der russische name ehren in allen
slavischen sprachen wieder: krenai im litauischen, cliren im
illyrischen. Derselbe hat sich in einigen deutschen dialekten,
z. b. in der nähe von Wien, eingebürgert, oder ist auch, trotz
einführung der deutschen spräche, dort verblieben. Auch das
französische wort cran oder cranson wird davon abgeleitet*
Die Verbreitung dieses namens über das ganze
slav.-balt Sprachgebiet ergibt sich noch deutlicher aus
der Zusammenstellung der verschiedenen dialektformen bei Mi-
klosich (Et,wb.90): aslov./trt'WM, nslov.Ärew, bulg. hren, serb.Arm,
czech. ehren, poln. chrmn, klruss. chrin, russ. cJirenü oder chrenü;
lit. krenas. Der name ist etymologisch bislang nicht erklärt. Er
macht jedenfalls einen sehr altertümlichen eindruck; ob er aber
urslav. sprachgut oder vielleicht aus einer nichtindog. spräche
entlehnt ist, lässt sich vorläufig nicht entscheiden. Er drang
schon im 12. jh. ins deutsche, zunächst als chrene, krene, kren;
') De Candolle, Geographie botanique raisonnee, 1855, 8. 654f. Ursprung
der culturpfl. s. 43 f. Ferner Watson, Cybele Britannica 3, 381.
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MEERRETTICH.
daneben erscheint vom 15. jh. an krienJ) kren, krien, grän,
grien ist auch heute noch die gewöhnliche benennung für den
meerrettich in den südöstlichen provinzen des deutschen Sprach-
gebiets und nur in diesen. Sie erstreckt sich von Siebenbürgen
durch Oesterreich über Böhmen nach Schlesien; in Süddeutsch-
land ist sie durch Bayern bis nach Augsburg vorgedrungen.2)
Dies nebenbei. Von den oben angeführten deutungen des
deutschen namens meerrettich bleiben jetzt nur noch zwei be-
stehen: die De Candollesche und die von Richey. Beide gehen
übereinstimmend, im gegensatz zu den übrigen, von der an-
nähme aus, dass das bestimmungswort meerrettich den Standort
der pflanze angebe. Sie sind damit auf der richtigen bahn,
obschon im übrigen auch ihre auslegungen unzureichend sind.
Gegenüber der erklärung De Candolles, wonach die pflanze
so genannt wäre, weil 'die art in der nähe des meeres
gedeiht', erhebt sich sofort wider die frage: welches meer ist
denn damit gemeint? An irgend eine nichtdeutsche see, etwa
das Mittelländische oder Schwarze meer, zu denken, hat keinen
sinn: einen lat, gr. oder slav. namen, der 'meerrettich' be-
deutete, gibt es nicht. Die deutsche bezeichnung ist aus keiner
fremden spräche übersetzt, sondern specifisch deutschen Ur-
sprungs und ist sicher aus der unmittelbaren anschauung
geschöpft. Für Deutschland aber können von meeren offenbar
nur Nord- und Ostsee in betracht kommen, und dass der meer-
rettich an deren ufern besonders häufig wachse, wird niemand
behaupten wollen. Das ahd. meri-ratich kann somit nicht 'der
am meere wachsende rettich' bedeutet haben.
Nach Richeys ansieht endlich hätten wir in dem nd. maar-
reddick die ursprünglichere form zu erblicken, weil 'dieser
rettich nicht im meere, sondern im maar- oder moor- lande
wächset'. Hiergegen lässt sich botanisch nichts einwenden.
Man kann in jedem botanischen handbuch finden, und jeder
gärtner wird es bestätigen, dass der meerrettich an feuchten
stellen, an graben, teichen, sümpfen, flüssen u. dgl.
wächst. Aber die philologische seite von Richeys erklärung
l) Lexer 1, 1720. Mhd. wb. 1, 878. Konrad Megenberg in seinem Buch
der natnr (418, 25) sagt: diu würz, diu ctsusä merretich haizt und anderswä
kf tu.
») Pritzel-Jessen, D. deutsch, volksn. d. pfl. s. 244.
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570
HOOPS, MEERRETTICH.
ist unhaltbar; der dilettantismus steht ihr auf der stira ge-
schrieben, weshalb sie von den neueren forschern seit beginn
des jh. überhaupt nicht mehr beachtet ist. Die nd. form mit a,
wie wir gesehen haben, ist nicht die ursprünglichere; und selbst
wenn sie es wäre, würden maar und moor immer noch nicht
identisch sein.
Damit wären die bisher aufgestellten erklärungen wol
erschöpft, und es scheint nun wirklich fast, als ob Nemnich
recht behalte, dass sich kein sicherer Ursprung des namens
meerrettich angeben lasse, weil gegen jeden deutungs versuch
gleich wider schwere bedenken erstehen. Wie kommen wir
aus diesen Schwierigkeiten heraus?
Nur eine vernünftige Vereinigung botanischer und philo-
logischer forschung kann uns hier, wie bei allen Untersuchungen
über pflanzennamen, zum ziele führen. Der fehler aller früheren
erklärer war, dass sie von der heutigen hd. oder nd. form des
namens ausgiengen, während sie sich zunächst an die älteste
bezeugte form, das ahd. meri-ratich, hätten halten sollen. Ahd.
mcn, wie as. meri und ags. mere bedeuten aber in erster linie
nicht 'meer', sondern 'stehendes binnengewässer, weiher,
tümpel, sumpf. Vgl. afries. mar 'graben, teich'; anl. tnaere,
maer, mer 'sumpf, see', ags. mer(i)sc = nengl. marsh, nd. marsch
'sumpfige niederung'; ferner gr. dfiuoa 'graben, kloake'. Nur
auf hochdeutschem gebiet hat das wort die bedeutung 'meer*
angenommen, im nl. und engl, bedeutet es noch heute 'land-
see, sumpf. Erinnern wir uns jetzt daran, dass der meer-
rettich feuchte Standorte an gräben, teichen, sümpfen u. dgL
liebt, so wird uns der ursprüngliche sinn des ahd. meri-ratich
sofort klar werden: es bedeutet weiter nichts als 'sumpf-
rettich'. Das ist des rätsels sehr einfache lösung. Der alte
Richey mit seiner dilettantischen auffassung des Wortes als
moor-rettich ist also 'in seinem dunkeln dränge' tatsächlich von
allen der Wahrheit am nächsten gekommen.
HEIDELBERG, 18. märz 1898. JOHANNES HOOPS.
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WERWOLF
An der bekannten stelle in den gesetzen Cnuts (Schmid,
Gesetze der Angelsachsen 2 s. 270) bieten die hss. die form were-
wulf statt des zn erwartenden werwulf. Dieser umstand hat
nun Kögel veranlasst, die landläufige deutung des wortes als
'niannwolf anzuzweifeln und eine neue erklärung zu ver-
suchen.1) Indem er den ersten teil des compositums mit got.
wasjan 'kleiden' zusammenbrachte, deutete er das wort als
'wolfskleid', und diese erklärung ist unter anderen auch von
Kluge in der letzten aufläge seines Etymologischen Wörter-
buchs angenommen worden. In den Beitr. 21, 574 ist Mogk
indessen wider für die alte ansieht und, wie ich glaube, mit
recht eingetreten. Er macht geltend, dass das in den Gesetzen
vielfach belegte wort icergüd, dessen erster teil unzweifelhaft
'mann' bedeutet, in Cnuts dömas zweimal in der form were-
güd vorkommt,1) und zieht daraus den schluss, dass das nur
einmal begegnende werewulf*) in ähnlicher weise für werwulf
verschrieben sei
Es lässt sich aber noch anderes zur stütze von Mogks
ansieht beibringen: aus den folgenden belegen geht nämlich
hervor, dass seit dem anfang des 11. jh.'s die Schreibung teere
für wer nicht nur in den Zusammensetzungen, sondern auch
als simplex vorkommt.
*) Vgl. Beitr. 21, 574 und Pauls Grundr. 1, 1017 anm.
*) Dies sind aber nicht die einzigen belege: vgl. Ine 13 (Liebermann,
Die gesetze der Angelsachsen, 1898, s. 96), wo die hss. Bu (11. jh.) und H
(12. jh.) weregild bieten; und Alfred 7, 1 (I.e. b. 54), wo die hs. E (ca. 950)
weregilde hat. Alfred 4, 1 (1. c. s. 50) haben die aengl. hss. wer-, und in den
Quadripartitus ist das wort als weregildum aufgenommen worden.
*) In meinem Wulfstan s. 191, 16 wird ebenfalls weretculf geschrieben:
die betreffende stelle ist aber nur ein auszug aus diesem gesetz Cnuts.
572
NAPIER
Die angeführten belege sind sämmtlich nom. bez. acc. sg.
Die westsächsischen Evangelien (ca. 1000) bieten zweimal den
acc. sg. teere (Marc. 10,12. Luc. 1,34): nur eine hs. hat an
beiden stellen wer.
In Eadwines Canterbury psalter (ed. Harsley), der nach
Wanley 'circa tempora Stephani' (1135 — 1154) geschrieben
wurde, steht die form were zweimal (Ps. 1, 1. 5, 7) neben häu-
figerem wer. Belege aus der um die mitte des 12. jh/s ge-
schriebenen Cottonschen hs. Vespasian D 14 finden sich in der
Anglia 3, 106, 27. 108,73. 109,91 ßes (se) hal^e were. Anglia 11.
370, 46 stva p se were ne $ret his wif, ne p irif hire trerc
390,2 Eadi* biß se were. Kluge, Ags. leseb.2 s. 88,37. Die
31. zeile des Poema morale, ed. Lewin (ca. 1170) lautet: Ne
hopie wif to hire were, ne were to his wife, während das Or-
mulum (ca. 1200) stets die form were, nie werr bietet,')
Weitere belege für were aus der ersten hälfte des 13. jh/s
sind: Juliana, ed. Cockayne s. 14, 13. Hali meidenhad, ed. Co-
ckayne s. 31, 18. Owl and Nightingale, ed. Stratmaiin 1341
(were reimt mit copenere). 1522. Genesis and Exodus, ed.
Morris 3977. Man kann sogar behaupten, dass seit dem an-
fang des 13. jh.'s were die allein herschende form sei; mir ist
seit dem j. 1200 kein sicherer fall von wer bekannt.
Mogk überlässt es den anglisten zu entscheiden, wie dieses
unorganische e zu erklären sei: ich meine, es liegt nahe, an be-
einflussung durch die zweisilbigen nomina here, mere, spere,
bere, pere zu denken.2) Freilich stehen diesen fünf zwei-
silbigen Wörtern vier einsilbige auf er gegenüber: ausser wer
noch hwer, (ge)ncr, $eter\ doch sind diese abgesehen von wer
verhältnismässig selten, während here,5) mere, spere, bere in
täglichem gebrauch waren.
Namentlich aber bei den sehr zahlreichen und häufig ge-
brauchten mit here-, mere-, spere- gebildeten compositis würde
sich ein solcher einfluss geltend machen können: diese konnten
>) Vgl. Ormulum 2558. 4604. 4614. 7615. 9129. 13890, auch Sachse, Das
anorganische < im Ormulum, 1881, s. 7.
8) Auch einfluss seitens der nomina agentis auf -ere (setawere, prowere
u.s.w.) ist nicht ausgeschlossen; doch scheint mir einfluss von hert u.s.w.
wahrscheinlicher.
•) Vgl. auch die mit Here- «usammengesetzten eigennamen.
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WERWOLF.
573
die fast isoliert dastehenden «rer-composita leicht nach sich
ziehen, denn von den übrigen er- Wörtern wurden so gut wie
keine Zusammensetzungen gebildet.
Dadurch wird das vorkommen von wercgild bereits im
10. jh. leicht verständlich;1) etwas später hängt man auch dem
simplex das e an, und diese neue form wird im laufe der zeit
die vorhersehende.
') In ganz ähnlicher weise ist aus icermöd 'wermut' ein weremöd ge-
worden: Wright-Wülker 296, 24 (1 1. jh.). Cockayne, Leechdoms 1,216,19
MS. 0 (12. jh.). 3, 124, 26. 134, 13 (12. jh.). Dieses schwanken zwischen icer-
und teere- wurde wol nunmehr der grund, weshalh in späterer zeit formen
wie herpaö u.s.w. neben herepaö auftreten; vgl. Crawford charters, ed.
Napier and Stevenson, s. 42.
OXFORD, januar 1898. A. S. NAPIER.
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ZUM OPUS IMPERFECTUM.
Fr. Kauffmann befasst sich Zs. fdph. 30, 431 mit einem
passus meines Dresdener Vortrags über das Opus imperfectum
(vgl. Verb. d. 44. vers. deutsch, philol. u. schulm. s. 121 f.) und nimmt
veranlassung, mir bei dieser gelegenheit den Vorwurf mangelnder
Sorgfalt zu machen.
Ich hätte wol erwarten dürfen, dass Kauffmann mit seiner
beschuldigung gewartet hätte, bis die von mir versprochene
Untersuchung erschienen wäre, anstatt gegen mich zu polemi-
sieren, ohne mein beweismaterial zu kennen. Auch hätte ich
alle Ursache die frage aufzuwerfen, warum Kauffmann in seinem
aufsatz über das Opus imperfectum (Beilage zur Allg. ztg. vom
24. febr. 1897) zwar der von mir als nicht beweiskräftig ab-
gelehnten stelle über den gladius separationis (sp. 767 f.) ganze
22 zeilen einräumt, dagegen jene stelle auf sp. 896, die heute
sein hauptbeweisstück bildet, mit absolutem stillschweigen über-
gangen hat. Der herkömmlichen art der beweisführung ent-
spricht ein solches verfahren jedenfalls nicht, selbst dann nicht,
wenn Kauffmann nur auf leser rechnen sollte, die das ganze
Opus imperfectum ad hoc durchzuarbeiten willens wärem
Wie dem auch sein mag, mir genügt es festzustellen, dass
die behauptung, mir sei die stelle auf sp. 896 entgangen, un-
richtig ist. Ich habe sie vielmehr in meinem Vortrag ausführ-
lich erörtert, wie ich durch mein manuscript jederzeit zu be-
weisen im stände bin. Ich sollte denken, mit demselben rechte
mit dem Kauffmann fordert, dass man ihm eine nicht citierte
stelle gutschreibe, hätte auch ich beanspruchen können, dass
man voraussetze, nicht alle von mir in dem auf ein minin» um
reducierten referat übergangenen stellen seien mir unbekannt.
Was die sache selbst anlangt, so kann ich in der von
Kauffmann nachträglich beigebrachten stelle ebensowenig eine
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ZUM OPUS IMPERFECTUM.
575
anspielung auf die auswanderung der wulfilanischen Goten
erblicken wie in der vom gladius separationis. Dem wider-
spricht vollständig der Zusammenhang. Der ganze passus lautet
nämlich: Ut autetn et haereticis haec eadem coapte-
mus, Ierusalem hic Semper Ecclesiam intellige, quae dicitur
civitas pacis, cuius fundamenta posita sunt super montes Scrip-
turarum. Sicut ergo Uli Iudaei, qui fuerant Ierusalem spiri-
tualis, ingressi crediderunt in Christum, Uli autem, qui erant
Ierusalem corporalis, manentes in corporali Iudaismo, perse-
quebantur spirituales Iudaeos, i. e. apostolos caeterosque ex
circumcisione credentes: sie et de ista nova Ierusalem i. e. de
Ecclesia, qui spirituales Christiani fuerunt, relicta corporali
Ecclesia , quam perfidi occupav erant violentia, exierunt ab
Ulis. Magis autem iüi exierunt a nobis, sicut Ioannes exponit
(1. Joan. 2, 19).
Exire de Ecclesia quis dicatur. — Non enim ille de
Ecclesia exire videtur, qui corporaliter exit, sed qui
spiritualiter veritatis ecclesiasticae fundamenta rclin-
quit. Nos enim ab Ulis exivimus corpore, Uli autem a nobis
animo. Nos ab Ulis exivimus loco, Uli a nobis fide. Nos apud
illos reliquimus fundamenta parietum, Uli apud nos reliquerunt
fundamenta Scripturarum. Nos ab Ulis egressi sumus secun-
dum aspectum hominum, illi autem a nobis secundum iudicium
Dei. Ideo et illi corporales Christiani persequuntur
nostros spirituales, sjiecie colorata, varietate fundata. Prop-
terea quae supetius Dominus commemoraverat, ad illam Ieru-
salem corporalem dicta esse videntur: Ierusalem, Ierusalem,
quae occidis prophetas et lapidas eos qui ad te mittuntur. Non
dixit: quae occidisti et lapidasti, sed: quae occidis et lapidas,
i. e. quae hoc proprium et quasi naturalem consuetudinetn habes,
ut occidas et lapides sanetos. Non enim occidit aut lapidavit
sanetos ante Christum et cessavit facere post Christum quae
fecit aliquando prophetis, sed eadem ipsa facit apostoUs, quae
fecit aliquando prophetis. Sic et haereticorum Ecclesia
non solum persecuta est patres nostros, et persequi
cessavit: sed eadem filii eorum faciunt nobis, quae
patribus nostris fecerunt patres eorum.1)
Man vergleiche hiermit folgende sätee auf sp. 898: Haereticorum
Ecclesia derelicia a J)eo et omttibus sunetis. — Relicta est autem et deserta,
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576
8TREITBEBG, ZÜM OPUS IMPERFECTUM.
Man sieht , Ka uff mann hätte besser getan sich nicht auf
diese, angeblich 'einer hervorhebung überhaupt nicht bedür-
fende' stelle zu berufen. Denn sie handelt von der occupation
der arrianischen kirchen durch die übermächtigen ortho-
doxen, von der Verfolgung der Arrianer durch ihre ortho-
doxen gegner. Sie stimmt also, wie für jeden aufmerksamen
leser von vornherein klar war, aufs beste zu jener stelle auf
sp. 767 f., wo von infideles und nicht von gentiles die rede ist
So wenig wie diese kann sie daher auf die Verfolgung und
Vertreibung der wulfilanischen Goten durch ihre 'heidnischen
Volksgenossen' bezogen werden. Vielmehr enthält sie nichts
anders als den alten lieblingsgedanken des Verfassers, der in
immer neuen Varianten widerkehrt: dass die starke orthodoxe
partei dem äussern anschein nach, die schwache und bedrängte
arrianische dagegen in Wahrheit die kirche Christi repräsentiere.
ex quo de iüa corporali Ecclesia spiritualis exivit i. e. de populo suo, qui
videbatur Christianus ei non erat, populus iste exivit, qui non videbatw
et erat: et magis autem, secundum quod diximus, Uli a nobis exierunt quam
nos ab iüis.
WIESBADEN, 2. april 1898.
WILHELM STREITBERG.
Halle a. 8., Druck Ton
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I
i
Max Niemeyer, Verlagsbuchhandlung, Halle a. S.
Abhandlungen
zur
germanischen Philologie.
Festgabe für Richard Heinzel.
1898. gr. 8. M. 14,00.
■ *»
•«-•»-
Daraus sind in Sonderabzug erschienen:
Detter. F., Die Lausavisur der Egilssaga. Beiträge zu ihrer Erklärung
.Tellinek, M. H., Ein Kapitel aus der Geschichte der deutschen Grammatik
M. 2,oo
Kraus, C, Das sog. 2. Büchlein und die Werke Hartmanns von Aue. M. 2.2t»
M er in g er, K.. Etymologien zum geflochtenen Haus. >f. i"*iki
Much, R., Der germanische Himmelsgott. % .»'40
Seein Uli er, J.? Studie zu den Ursprüngen der altdeutschen Historiographie
o « , .M 2.oo
Mnger. S., Bemerkungen zu Wolframs Parzival. g 2 24
W«)lframsK'' Beo,)achtnnSen zu,n Rrinigehranch Hartmanns und
Die Sage vom heiligen Gral
in ihrer Entwicklung bis auf Richard Wagners Parsifal
von
Ed. Wechssler.
1898. kl. 8. X. u. 212 S. M. 3,00.
Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. 8.
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