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y ' Bayer. Staatsbibliothek
<36613968730010
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Bayer. Staatsbibliothek
. Vorrede.
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D - ' •
ein Herausgeber eines Werkes, welches, wenn auch
nicht unter seiner gegenwärtigen Form, die Bestim-
mung hat, eine Umgestaltung der Heilkunde anzuregen,
mag es wohl geziemen, im ernsten Bewufstsein dieser
grofsen Aufgabe sich mit den Lesern darüber zu ver-
ständigen, in wiefern dieselbe von unserm Stahl geltt-
set worden ist. Wenn ich auch nicht gesonnen bin,
ihrem Urtheil vorzugreifen, so glaube ich es mir doch
selbst schuldig zu sein, das meinige, welches sich bei'
der Bearbeitung der Urschrift immer lebendiger und
überzeugender herausstellte, im Allgemeinen auszuspre-
chen, damit ich wenigstens nicht in den Verdacht komme,
in leichtsinniger Uebereilung ihn einen Reformator der
Heilkunde genannt zu haben. Denn indem ich mit
diesem Ausspruch allen übrigen Meistern derselben
gegenübertrete, darf ich nicht die wohlverdiente Büge
auf mich laden, dafs ich ihre anerkannten grofsen Ver-
dienste in den Schatten zu stellen beabsichtigte.
Indefs ertönt seit Jahrhunderten von allen Seiten
die laute Klage, dafs das Gebiet des ärztlichen Wis-
sens in demselben Maafse, als es an Ausdehnung und
innerem Beichthum gewinne, auch mehr und mehr ein
Kampfplatz widerstreitender Meinungen, Theorieen und
Principien werde; ja dafs der wissenschaftliche Bepu-
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Di
IV
blikanismus der Aerztc die Quelle der Anarchie er-
öffne, aus welcher für die Leidenden nur Unheil und
Verderben entspringe; dafs also das ewige und un-
wandelbare Naturgesetz im Allgemeinen von denen
nicht verstanden worden sei, welche ihren Lehrsätzen gar
keine innere Haltung und Dauer zu verschaffen ge-
wufst, und daher höchstens die Herrschaft der Mode
und des Zeitgeistes errungen hätten, deren Götzen,
nachdem sie alle Phasen schnell durchlaufen sind, bald
in Vergessenheit begraben werden. Ueberall äufsert
sich die Sehnsucht nach einem Vermittler, der die
streitenden Partheien zur Eintracht versöhne, und sie
auf dem kürzesten Wege zu dem Einen, was noth
Um!, nämlich zur richtigsten Metbode führe.
Dafs letztere aus dem Sehoofse der Erfahrung her-
vorgehen müsse, darüber ist man wohl einverstanden,
seitdem die hohlen Phrasen der Naturphilosophen ver-
klungen sind; dennoch ist die Stimme der Natur in
der Erfahrung ein Orakel geblieben, dem jeder ihrer
Priester eine andere Deutung unterlegt. Werfen wir
nur einen flüchtigen Blick auf die Geschichte der Me-
dian seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts; in wie
raschem Wechsel sind die Schulen des Gastricismus,
der Solidarpathologie, des Brownianismus, der Erre-
gungs- nnd Ehtzündungstheorie auf einander gefolgt!
Wenn wir auch die Stifter derselben keinesweges für
den Unfug verantwortlich machen wollen, den ihre
Nacheiferer anrichteten, vielmehr ersteren das Verdienst
zuerkennen müssen, eine bis dahin zu wenig beachtete
Seite des Lebensprozesses in ein helleres Licht ge-
stellt zu haben; so können sie doch schwerlich dem
Vorwurf ganz entgehen, eben dadurch einseitig gewor-
den zu sein, und die Begünstigung des herrschenden
Krankheitsgenius, der sie zu ihren neuen Ansichten
veranlafste, durch lieber treibung gemi fsbraucht zu ha-
ben. Wenn sie das Naturwirken in seinem ganzen,
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Umfange aufgefafst, und zur lebendigen Anschauung
gebracht hätten: wie wären wohl die grofscn Lücken
ihrer Systeme so zeitig offenbar geworden, dafs ihre
"Widersacher ihnen auf die Fersen treten; und ihre
schwachen Seiten so siegreich angreifen konnten? Ja
was soll man über den jetzigen Kulturzustand der Heil-
kunde urtheile», wenn Broussais und Hahne mann,
anderer nicht zu gedenken, noch im gegenwärtigen Au-
genblicke sich als Reformatoren derselben ankündigen,
und weniger durch die Schaaren ihrer Anhänger als
durch die Verlegenheit ihrer Gegner es beweisen, dafs das
Glück der verwegene» Kühnheit, oft selbst der Dumm-
dreistigkeit zur Seite geht. Nicht darüber haben wir
uns zu beklagen, dafs es an hochherzigen und einsichts-
vollen Männern gefehlt hätte, um dem Unwesen der
Homöopathie und der sogenannten physiologischen Me-
dian entgegenzutreten; wohl aber ist es ein übles Zei-
chen der Zeit, dafs das neunzehnte Jahrhundert, trotz
• • ...
seiner vielgepriesenen Aufklärung, Thorheiten zur Reife
bringen konnte, deren sich das achtzehnte in einem
solchen Grade nicht schuldig gemacht hat.
Selbst wenn wir den gröfsten Vortbeil des jetzi-
gen Zeitalters hervorheben, dafs es, belehrt über die
Mängel der früheren Schulen, die bewährten Lehrsätze
derselben, im Geiste eines unbefangenen Eklekticismus
sammeln, und somit eine erfahrungsgemäfse Anleitung
zum Heilgeschäft geben könne; so gewinnen wir' da-
mit doch nur Bruchstücke, welche von einer wissen-
schaftlichen Einheit noch weit entfernt sind, ja den
Glauben an eine solche in der Medicin gar nicht auf-
kommen lassen. Wir gelangen auf diesem "Wege höch-
stens so weit, dafs wir in der Pathologie allgemeine
Krankheitszustände, Entzündungen, Fieber, Neurosen»
Profluvien, Kachexieen u. dgl. auf einander folgen las-
sen, um ihnen in der Therapie entsprechende Indika-
tionen entgegenzustellen, welche eben so neben eihän-
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vi
der stehen, wie die Büchsen in einer Apotheke, daher
wir cjanu nach Belieben antiphlogistische, antigastrische,
antiseptische,, antispasmodische Heilmittel und Heilme-
thoden, einzeln oder vermischt, je nachdem die Zu-
stände uns einfach oder komplicirt scheinen, in Anwen-
dung bringen können. Es sei dies, ruft man uns zu,
recht eigentlich ein schulgerechtes und naturgemäßes
Verfahren zugleich, da alles medicinische Wissen aus
4em empirischen Verstandesgebrauch hervorgehe, wel-
cher einzelne Erscheinungen und Thatsachen durch In-
duktion auf höhere Begriffe bringe, deren Analogie
zwar mnthmaise, aber ihren inneren Zusammenhang un-
ter einer höheren Einheit, welche hinter dem Schleier
der Isis- verborgen liege, nicht verbürgen könne. Ja
um jedes hierdurch nicht befriedigte Verlangen ein für
allemal abzuweisen, hat man sich nicht sparsam gezeigt
in der Anführung von Beweisstellen aus den Schriften
der beiden Heroen der kritischen Philosophie, Baco
und Kant, welche mit so grofsem Nachdruck gegen
jeden Metaphysicismus eifern.
Nach dieser Weise wurde dann eine breite Heer-
gtrafse eröffnet und geebnet, auf welcher die grofse
Innung der beobachtenden Aerzte zwar nicht bis in
das innere Hei Ii gthum der Natur gelangte (denn dafe
las dahin kein erschaffener Geist vordringe, hatte ihnen,
Haller nachdrüklich genug eingeschärft), aber doch
weit genug in den Vorhafen desselben herum kam: und
wie grofse Räume ihnen auch die Kolumnen der zahl-
losen ^Zeitschriften und eigene praktische Sammlungen
aufthaten, sie fanden doch nicht Platz genug für den
Schatz ihrer Erfahrungen. Denn beobachten konnte
ja nun ein jeder, weil dazu im Sinne der eben ge-
schilderten empirischen Methode eben nicht mehr er-
forderlich ist, als an Krankenbetten und auf anatomi-
schen Theatern fleifsig nach allem möglichen sich um-
zusehen und zu fragen, und davon ein Resume zu ma-
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chen. Die Kunst des Beobachtens ist demnach, streng
genommen, nichts weiter als ein einfaches Rechen exem-
pel, indem man die zu summirenden Gegenstände erst -
auf gleiche Benennung bringt, Plus und Minus mit ein-
ander ausgleicht, und dann den Best als bestimmte
Gröfse ansetzt. Wäre die Historie von dem Tburm-
bau zu Babel nicht gar zu abgenutzt, so könnte sie
uns auf eine ergötzliche Weise dies endlose Treiben
der Aerzte und ihre durch grenzentose Sprachverwir-
rung verrathene Zwietracht versinnbildlichen. Was nun
auch durch das Genie höher begabter Männer der Na-
tur abgelauscht, oder durch besonnenen Forschern* eifs
gewonnen sein mogte; es konnte sich auf dem lauten
Markte kaum vernehmlich machen, denn jeder safs mit
seiner Erfahrung zu Gericht, welches oft ziemlich leb-
haft an den Ostracismus in Athen erinnerte;
Es kann meine Absicht nicht sein, in dieser Vor-
rede ein Werk über Erfahrung in der Heilkunde zu
schreiben, welches sich überhaupt wohl nur für den-
jenigen schicken mögte, der in ihr ergraut ist, und sich
nicht scheut, die Klippen zu bezeichnen, an denen er
oft genug gescheitert ist Gleichwie die Schiffer auf
ihren Seecharten alle Untiefen, Strömungen und andere
Hindernisse ihrer Fahrten anmerken; eben so müssen
wir Aerzte auch einmal Hand an ein Werk legen,
welches die durch die Organisation unsres Wahrneh*
raungs- und Denkvermögens fast noth wendig bedingten
Täuschungen aufdeckt, und uns dadurch erst in ein
richtiges Verhältnifs zur Natur stellt. Eine solche prag-
matische Methodologie kann uns allein vor dem her-
ben Loose schützen, mehr durch die traurigen Folgen
unsrer Irrthümer, als durch fremden Unterricht belehrt
zu werden. Hier will ich nur »einige Punkte näher
zu beleuchten suchen, welche bei einer Würdigung
der Verdienste Stahls vorzüglich ins Auge zu fassen
sein dürften. ; " >
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Nicht wiederholen mag ich, was oft genug vorge-
tragen worden ist über Wahrheitssinn, unbefangene
Naturanschauung, hinreichende Vorbereitung zum Beob-
achten durch regelmässige Kultur aller Erkenntnifs-
kräfte, über Fleifs, Ausdauer, Selbstverleugnung, PÜicht-
gefühl u. dgL als notwendige Bedingungen des ärzt-
lichen Berufe» Nicht als ob es überflüssig wäre, daran
zu erinnern, denn wirklich scheint Manches davon vie-
len Schriftstellern in Vergessenheit gekommen zu sein.
Auch mufs es mit grofeem Nachdruck hervorgehoben
werden, dafs in diesen Beziehungen Stahl ein muster-
haftes Vorbild aufstellte. Doch theilt er dies Verdienst
mit allen grofsen Meistern unsrer Kunst, deren sitt-
liche Würde die beste Gewährleistung für den Werth
ihres seegensreichen Wirkens giebt. Aber was ihn
vor allen auszeichnet, ist der Schwung seines Genie?,
mit welchem er sich allen herrschenden Begriffen vor-
weg auf jenen erhabenen Standpunkt versetzte, von
welchem aus er das Naturwirken im völligen Einklänge
erblickte.
- Nichts liegt nämlich der gemeinen Beobachtungs-
weise näher, als die kranke Natur zugleich für eine
leidende, hilfsbedürftige zu halten; denn der Kranke
würde seinen Arzt bald verabschieden, wenn er ahnte,
dafs diesem es zunächst nur um Beobachtung des Na-
turwirkens zu thun sei, da ersieh doch als Herr über die
Krankheit, als Schiedsrichter über Leben und Tod gel-
tend machen soll. Hieraus folgt ganz von selbst, dafs
der Arzt zunächst seine Aufmerksamkeit auf die Krank-
heit richten werde, in wiefern sie ihm einen günstigen
Angriffspunkt darbietet, um diesen geschickt zu be-
nutzen; und warum wollen wir es nicht gern und freu-
dig anerkennen, dafs es dem vereinten Fleifs der bes-
seren Aerzte gelungen ist, eine Menge von deutlichen
Indikationen* festzustellen, deren Ausführung oft von
dem besten Erfolge gekrönt wird, ohne dafs man da-
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IX
bei sonderlich an die Heilkraft der Natur gedacht hat?
Ja wir wollen uns nicht das schöne Bewufstsein ver-
kümmern, dafs zahllose Heilungen gelungeu sind, wo
die Natur nichts für sich auszurichten vermögt hätte,
und die Täuschung daher einen Augenblick verzeihlich
finden, wenn der glückliche Arzt der Natur Gesetze
vorschreiben zu können glaubt, ungeachtet er doch
nur den ihrigen gemäfs gehandelt hat. Brauche ich
erst an die grofsartigen Leistungen der neueren Chi-
rurgie, an alles das zu erinnern, was die Aerzte bei Fie-
bern, Entzündungen, Vergiftungen, Blutflüssen, Krank-
heiten, weiche von Störungen der Sekretionen ausge-
hen, bei Neurosen u. s. w. ja sogar beim Scheintode
ausgerichtet haben? Nur der scheelsüchtige Neid wird
mit gehässiger Verkleinerungssucht das wahre Verdienst
herabzusetzen über sich gewinnen können, jeder ehr-
liche Arzt aber dankbar den Unterricht zu rühmen
wissen, durch den auch er ein nützliches Mitglied des
Menschengeschlechts geworden ist.
Aber damit ist die Frage, ob das eben bezeich-
nete thätige Verfahren das allein richtige sei, ob man
also in zweifelhaften Fällen nach dem alten Spruch:
aiiceps remedium melius quam nullum sogleich an das
Experiment gehen müsse, um nur zur Erfahrung zu ge-
langen, noch nicht erledigt. Denn hätte es hiermit
seine volle Richtigkeit, so würde am Ende die Patho-
logie ganz in die Materia medica übergehen, weil es
uns dann nur um eine Kenntnifs der Krankheiten, in
wiefern sie auf gewisse Arzneien reagiren, zu thun
wäre. Wirklich giebt es medicinischc Schriften in
Menge, in denen diese Endabsicht deutlich genug durch-
blickt, da sie den pathologisch- nosologischen Theil
nur eben so weit behandeln, als zum Verständnifs der
Indikationen nöthig ist. Auch hat man es oft genug
getadelt, dafs in neueren Handbüchern die specieile
Nosologie von der Therapie' getrennt worden ist, als
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wenn erstere gar nicht ohne diese gedacht, und die
Krankheiten nur in sofern dargestellt werden könnten,
als sie ein bestimmtes Heilobjekt darbieten. Wie mifs-
lich es unter diesen Umständen mit dem unbefangenen
Beobachten des reinen, ununterbrochenen Krankheits-
verlaufs bestellt sei, darf ich wohl nicht erst erörtern,
da hierüber schon oft genug gesprochen ist; und dafs
sonach der Heilkraft der Natur immer mehr ihr Wir-
kungskreis verengt wird, da man ihr fast nichts zur
alleinigen Entscheidung überläfst, sondern sie immer,
in die spanischen Stiefeln des Systems zwängt, ver-
steht sich wohl von selbst. Oft ist zwar von ihr die
Rede, gewöhnlich aber erst dann, wenn der Arzt sei-
nen schulgerechten Heilanzeigeu Genüge geleistet hat,
und die gröfstentheils verwischten Krankheitserschei-
nungen ihm keinen bestimmten Angriffspunkt mehr dar-
bieten. Nun erst soll die Natur alles thqn, die Kri-
sen eintreten lassen, das Verlorengegangene ersetzen,
das Gleichgewicht der Funktionen und die Kräfte wie-
derherstellen, mit einem Worte heilen, jedoch immer
unter dem Vorbehalte, dafs der Arzt sie wieder mei-
stere, wenn sie sich etwa einfallen läfst, in ihrem und
nicht in seinem Sinne zu verfahren. Also Aderlassen,
so oft das Blut wallt, Brechen und Purgiren, so lange
noch Sordes wahrzunehmen sind, Antispasmodica, wenn
wieder ein Krampf die Glieder durchzuckt; immer aber
die Lehre, dafs alle Krankheitserscheinungen den Arzt
herausfordern. Daher die grofse Verlegenheit, wie man
die kritischen Perlurbationen von den eigentlichen
Krankheitssjmptomen unterscheiden soll, da beide ein-
ander täuschend ähnlich, ja erstere oft eine Steigerung
der letzteren sind. Wie und wann soll man diesel-
ben Erscheinungen als Werk der Natur oder der
Krankheit, als heilbringend oder verderblich sich den-
ken, und sie demnach gewähren lassen oder bekäm-
pfen? Es fehlt zwar nicht an einer Menge von Regeln,
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nach denen man jene Erscheinungen näher charakteri-
sirle, und in ihren Nuancen, ihrem Zeitverbältnifs, ihrer,
gegenseitigen Beziehung, ihren unmittelbaren Wirkun-I
gen die unterscheidenden Merkmale aufsuchte; aber
abgesehen davon, dafs das Gedächtnifs mit einer Menge
von Notizen beschwert wird, welche jedes Wissenschaft-»
liehen Zusammenhanges ermangeln, bleibt immer noch
das unaufgelösete Problem zurück, wie analoge, nur;
durch geringe Andeutungen zu unterscheidende Zustände
eine wesentlich entgegengesetzte Bedeutung haben kön-
nen, welche sie entweder als Erscheinung der Krank-
heit, oder als Ausdruck der reagirenden Naturthätig-
keit annehmen. Mit andern Worten, es ist als ob im
kranken Körper ein böses und ein gutes Princip hin-
ter einander zum Auftritt gelangten, welche durch die
nämlichen Zustände ihr Wirken offenbarten.
f * Dafs ich in dieser Darstellung etwas Übertriebeft
habe, fürchte ich nicht, denn sie ist eine einfache Fol-
gerung aus der Ansicht, dafs die Krankheit ein leiden-
der Zustand der Natur sei, als wenn sie, die nach
ewigen Gesetzen waltende, jemals denselben untreu
werden, und ihre grofse Aufgabe, das Leben unter al-
len Hindernissen zu erhalten, aus seinen Mifsverhält-
nissen wiederherzustellen, auch nur einen Augenblick
vernachlässigen könnte. Wie soll man sich es denn
vorstellen, dafs ihre Heilkraft während des Krankheits-
yerlaufs gelähmt darniederliege, und sich erst zu fri-
schem Wirken wieder erhebe, wenn der Arzt die sie
überwältigenden Hindernisse hinweggeräumt hat? Wo-
her soll Hülfe kommen ohne und gegen den Arzt,
wenn die Natur sie nicht aus unversieglicher Quelle
spendet? Und sie die unerschöpfliche hätte dem Arzte
so wenig zu bieten, dafs er ihren Beistand verschmä-
hen dürfte; ihr Gesetz hätte so wenig zu bedeuten,
daüs er sich demselben nicht unbedingt unterwerfen
mtifete? Oder besitzen die Arzneien etwa gleich einem
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wtmderthätigen Talisman eine absolute Heilkraft, ohne
dafs diese durch die Reaktion der heilenden Natur-
kraft bedingt wäre? Dann hätte es ja wohl mit jenen
gepriesenen Arkanen seine Richtigkeit, welche eine Le-
bensverlängerung durch substanziellen Ersatz der ver-
brauchten Lebenskraft bewirken sollten!
Stahl also war es, der dieser trüben Verworren-
heit in den obersten Heilprincipien sich entrifs, und
unerschütterlich vertrauend auf die schöpferische Kraft
der Natur, den grofsen Gedanken fafste und durch-
führte, dafs die Krankheit mit allen ihren Erscheinun-
gen das Werk und die Verkündigung des Kampfes
der Natur gegen eingedrungene Schädlichkeiten sei;
dafs letztere aus Irrthum oft vom richtigen Wege ab-
weiche und dann allerdings der Hülfe des Arztes be-
dürfe, ohne dessen Beistand sie überhaupt manche Hin-
dernisse nicht besiegen könne; dafs sie aber immer,
und selbst in den zerstörendsten Vorgängen auf das
Eine grofse Ziel hinstrebe, und erst dann von ihrem
Beginnen abstehe, wenn es ganz vergeblich geworden
sei. Man kann ihn daher wohl den Kopernikus der
Medicin nennen, denn beide bewährten die Meister-
schaft ihres Genies dadurch, dafs sie die höhere Ord-
nung der Dinge in denselben Erscheinungen anerkann-
ten, welche dem gewöhnlichen Blick überall einen wi-
derstreitenden Gegensatz darbieten. Was ist natürli-
cher, als aus der scheinbaren Bewegung der Weltkör»
per den Schlufs auf ihre wirkliche zu ziehen, und wel-
che Kraft des Geistes gehört dazu, die Ge^ammtan^
schauung der ganzen Welt, welche die Erde als den
unerschütterlich ruhenden Mittelpunkt in dem sie um-
kreisenden Himmelsgewölbe vorstellig macht, als Sin-
nentrug darzustellen, blos weil sie sich mit den astro-
nomischen Beobachtungen des Planetenlaufs nicht in
Einklang bringen läfst. Was liegt dem Lebensgefühl
näher, ja was dringt sich dem Bcwufstsein in der Vor-
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Stellung des, allen Kraftgebrauch hemmenden, das Le-
ben so oft zerstörenden Krankheitsverlaufs mächtiger
auf, als der gewöhnliche pathologische Begriff, dafs
Krankheiten leidende Zustände der Natur sind; und
welch ein durchdringender Scharfblick ist erforderlich,
nicht etwa einzelne kritische Erscheinungen, wie die
tägliche Beobachtung sie in ihren Erfolgen deutlich be-
zeichnet, von den übrigen Symptomen abzusondern,
vielmehr letztere fast insgesammt als offenkundige Be-
weise, wenigstens als leise Andeutungen des Heilbe-
strebens geltend zu machen. Ist daher jemals in ir-
gend einer Wissenschaft neue Bahn gebrochen wor-
den durch verjährte Vorurtheile und durch die ein-
stimmige , auf unvermeidliche Sinnentäuschung gegrün-
dete Ansicht aller Vorgänger, so geschah dies in der
Heilkunde durch unsern Stahl, dessen starker, jeden
blinden Autoritätsglauben besiegender Geist sich wohl
am deutlichsten in seiner, von Choulantin dessen vor-
trefflicher Originalausgabe der theoria medica vera mit-
getb eilten kräftigen Maxime ausspricht: E rebus quan-
tumeumque dubiis quiequid minima sentientium turba
defendit error est.
Dafs es aber dieser in das innerste Triebwerk
der Natur schauenden Kunst, weiche sich nicht durch
die beliebten Maximen der Oberflächlichkeit irre ma-
chen läfst, dringend bedarf, wenn wir aus der sinn-
verwirrenden Mannigfaltigkeit der häufig sich wider-
sprechenden Erscheinungen herauskommen, und zq einer
dauerhaften Reform der Heilkunde gelangen wollen,
damit diese nicht eben so oft von neuen Systemen,
als Frankreich von Constitutionen heimgesucht werde
— dies läfst sich aus der Entstehungs weise jener Sy-
steme leicht darthun. Denn eben jenes Triebwerk des
menschlichen Organismus ist aus so vielen Federn und
Rädern zusammengesetzt, dafs es fast ans Unmögliche
grenzt, ihr gesammtes Ineinandergreifen bei jeder Er-
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XIV
scheinung im Auge zu behalten, wenn es auf eine Er-
klärung derselben ankommt. Man macht es sich be-
quemer, und wählt beliebig ein Rad aus, als wenn dies
den Mittelpunkt des Lebens umkreisete, und alle übri-
gen in Bewegung setzte; man merkt daher auf dessen
beschleunigten und stockenden Gang, und glaubt nun
im Typus seiner Umläufe den Schlüssel zur Erklärung
aller pathologischen Vorgänge gefunden zu haben. Dem
einen sind es die Nerven, dem andern das Blut, jenem
die Schleimhäute, einem vierten die Irritabilität, wo er
den Ausgangspunkt aller Krankheiten aufsucht, und
wie ernstlich es mit dieser Deutungsweise gemeint sei,
ist besonders daraus ersichtlich, dafs man sie rückwärts
in die Physiologie fortsetzt, und das Leben bald im
Herzen, bald im Gehirn, oder entweder nur in den
festen oder in den flüssigen Theilen einheimisch glaubt,
Ja wohl selbst äufsere Dinge, den Sauerstoff in der
Luft als Lebensprincip anspricht. Nun bedarf es nur
einiger Dialektik, um in alle Erscheinungen Schlingen
zu legen, und den verstrickenden Knoten festzuziehen.
Denn eben weil alle Systeme bei Krankheiten mitwir-
ken und mitleiden, läfst sich jedes einzelne als ein lei-
tender Faden, an den alles andere geknüpft wird, durch
die ganze Pathologie verfolgen. Dafs aber in der
Auslegungskunst, welche überall Entzündungen, oder,
gastrische Unreinigkeiten, oder Asthenieen, Krämpfe und
andere solidarpathologische Zustände wittert, auf Ko-
sten der Wahrheit eine grofse Meisterschaft erworben,
und damit für jede noch so einseitige Therapeutik ein
prunkend ei Beweis erschlichen werden könne, dies haben
wir bis zum Ueberdrufs erfahren. Von der Natur ist
im Schulgezänk niemals die Rede, sondern jeder Sek-
tenmann bürdet ihr einen Kardinalfehler, aufj von wel-
chem er allein sie befreien zu können vorgiebt; .
Das sind die Früchte einer Empirie, welche nur
Erscheinungen und immer wieder Erscheinungen kennt
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XV
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an ihnen sieb gar nicht ersättigen kann, und sich mit
der Hoffnung schmeichelt, wenn wir nur erst im Be-
sitz einer vollkommnen anatomischen Kunst, einer wis-
senschaftlichen Zoochemie und eines Schatzes tausend-
jähriger Erfahrung wären, so würden wir schon ans
Ziel kommen! Dafs hier auch ein geistiges Auge aufge-
than werden müsse, welches die Erscheinungen durch-
schaut, wo das leibliche nur anschaut, dafs aller
Materialismus des Lebens geistigen Hauch niemals er-
fassen werde, darüber darf man kaum reden, wenn
man nicht öffentlich des Mysticismus, wenigstens des
Metapbysicismus bezüchtigt sein will. Stahl hat dies
ein volles Jahrhundert hindurch erfahren, denn Halter
nannte ihn vor der ganzen Welt einen homo meto-
physicus, und die ganze Welt hat es, wahrlich nicht
zu ihrem Heil, ihm auf sein Wort geglaubt. Auch
dem Vorwurf des Mjsticismus ist er nicht entgangen,
wie wohl jedem aus einem bekannten Werke erinner-
bch sein wird, welches viel von seinem finstern Pie-
tismus zu reden weifs, mit welchem er die gewöhnli-
chen Unarten aller Frömmler, Hochmuth, Streitsucht,
feindselige, fast misanthropische Gesinnung und dün-
kelvolle Verachtung aller Gelehrsamkeit reichlich ge-
paart haben soll. Dergleichen unerwiesene Verunglim-
pfungen fallen natürlich auf den zurück, der sie sich
erlauben konnte. Vielleicht ist indefs niemand im An-
griff auf die Grundlehren der Stahl'schen Theorie wei-
ter gegangen, als CuJ_len ? _dessen Aeufserungen über
ihn um so mehr hier eine Stelle verdienen, als sie die
vollständigste Erläuterung dessen geben, was ich bis-
her über die Empirie der gewöhnlichen praktischen
Aerzte gesagt habe. Seine Worte lauten also 1 ):
„Stahl hat sein System ganz offenbar auf der
Hypothese erbauet, dafs die Kraft der Natur, von
»
1) William Collen Anfangsgründe der praktischen Arzuei-
kunst Dritte Ausgabe, Leipzig J800. I. Bd. S. 9.
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XVI
der so viel geredet worden ist, gänzlich in der ver-
nünftigen Seele ihren Sitz habe. Er setzt voraus, dafs
die Seele oft unabhängig von dem Zustande des Kör-
pers wirke: und dafs dieselbe, ohne irgend eine von
diesem Zustande abhängige physische Notwendigkeit,
blos zu Folge ihres Verstandes, indem sie die Annä-
herung der zerstörenden Kräfte, die dem Körper dro-
hen, oder andere in demselben auf irgend eine Art
entstehende Unordnungen wahrnimmt, solche Bewegun-
gen im Körper erreget, welche den schädlichen oder
gefährlichen Folgen, welche sonst statt finden könn-
ten, entgegen zu wirken geschickt sind. Es werden
vieh; meiner Leser glauben, es wäre kaum nöthig ge-
wesen, eines Systems hier näher zu erwähnen, das auf
einer solchen auf blofse Einbildung gegründeten Hy-
pothese beruhet; allein man bemerkt oft so viel schein-
bares Ansehen von Verstand und Absicht in den Wir-
kungen der thierischen Oekonomie, dafs viele berühmte
Männer, als z. B. Perrault in Frankreich, Nichols
und Mead in England, Porterfield und Simson in
Schottland, und Gaubius in Holland die erwähnte Mei-
nung sehr lebhaft behauptet haben, und es verdient da-
her dieselbe allerdings einige Aufmerksamkeit. Es ist je-
doch nicht nöthig, mich hier in eine Widerlegung dersel-
ben einzulassen — und ich will nur noch das einzige
hinzusetzen — dafs wir bei der Annahme einer solchen
eigensinnigen Beherrschung der thierischen Oekonomie,
als die erwähnten Schriftsteller in einigen Fällen vor-
aussetzen, auf einmal alle physischen und mechanischen
Schlüsse, die sich zur Erklärung der im menschlichen
Körper vorgehenden Verrichtungen anwenden lassen,
zu verwerfen uns genöthiget sehen — diesem zu Folge
hätte ich die St ah Tsche Lehre auf einmal verwerfen
können; allein es ist schon gefährlich, irgend einen
solchen Grundsatz anzunehmen. Denn ich sehe, —
dafs sowohl Stahl als alle seine Anhänger in ihrer
«
i
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I
1
XVII
I
ganzen Praxis sich von ihrem allgemeinen Grundsätze
vorzüglich haben leiten lassen. Voll von Zutrauen auf
die beständige Aufmerksamkeit und Weisheit der Na-
tur, trugen sie die Kunst vor, Krankheiten durch die
Erwartung zu heilen; sie haben daher gröfstentheils
blos sehr unwirksame und unnütze Arzneien empfoh-
len, sich dem Gebrauch einiger der wirksamsten Arz-
neien, dergleichen das Opium und die Fieberrinde sind,
eifrig widersetzt, und die allgemeinen Mittel, als z. B.
das Blutlassen (?), Erbrechen u. s. w. mit der äufser-
sten Behutsamkeit angewandt. — Wir mögen dasjenige,
was man die Wirkungen der Natur zu nennen pflegt,
erklären wie wir wollen, so kommt es mir doch vor,
als ob die allgemeine Lehre von der die Krankheiten
heilenden Natur, die so sehr gerühmte Heilmethode
des Hippokrates öfters einen höchst verderblichen Ein-
flufs auf die ausübende Arzneikunst gehabt habe; in-
dem dieselbe die Aerzte zu einer unthätigen oder
schwachen Behandlung verleitet, oder macht, dafs sie
darinnen verharren, und zugleich alle Hülfsquellen der
Kunst vernachlässigen oder an dem guten Erfolge der-
selben verzweifeln. Huxham hat sehr richtig bemerkt,
dafs diese Methode sogar inSydenham's Händen die
nämlichen Folgen gehabt. Obgleich eine solche ge-
linde Heilmethode zuweilen das Unglück verhüthen
kann, welches verwegene und unwissende Empiriker
anrichten können; so ist es doch auch gewifs, dafs sie
der Ursprung von jener übertriebenen Vorsicht und
Furchtsamkeit ist, welche jederzeit dergleichen Aerzte
bewogen hat, sich der Einführung neuer und wirksa-
mer Mittel zu widersetzen. Die Schwierigkeiten, welche
der Einführung der chemischen Arzneimittel in dem
16ten und 17ten Jahrhundert entgegengesetzt worden
sind, und das bekannte Verbot der medicinischen Fa-
kultät zu Paris in Ansehung des Gebrauchs des Spiefs-
glases, müssen hauptsächlich diesen Vorurtheilen bei-
Suhl's Theorie d.Heilk.ffl. b
1
XVIII
I
gemessen werden, welche die französischen Acrztc nur
erst ungefähr hundert Jahre nachher aus dem Wege
geräumt haben u. s. w."
Nun das mufs wahr sein, Cullcn hat in seinem
Vaterlande Gehör gefunden, wenn man anders anneh-
men kann, da Ts er, wenn gleich ein Mami von geinä-
fsigten Ansichten, durch vorstehende Lehren zu der oft
an Tollkühnheit grenzenden Verwegenheit der engli-
schen Aerzte zum Theil Anlafs gegeben hat, welche
man vergebens durch Klima und Lebensweise in Eng-
land zu entschuldigen sucht. Wie kann es auch an-
ders kommen, wenn man alle Ehrfurcht vor dem Na-
turgesetz bei Seite setzt, und Heilungen, welche, trotz ,
der furchtbarsten Angriffe der Aerzte auf das Leben,
gelangen, zu ihrer Rechtfertigung, ja zu ihrem Lobe
anführt? Es heifst dies indefs nichts gesagt; denn wenn
das Leben seine ärgsten Feinde, Pest, gelbes Fieber
und Cholera oft überwindet, warum soll es nicht auch
die Blutverschwendung der Aerzte, ihre ungeheuren Do-
sen von Opium und Calomel ertragen können, zumal
in den Fällen, wo deren verständiger Gebrauch drin-
gend angezeigt war? *
Aber wenden wir uns von diesen beklagenswer-
then Verirrungen einer blinden Empirie zu der Be-
hauptung Cullen's, dafs die Hippokratischen Aerzte
(und unter ihnen Stahl, der die griechischen Aerzte
seine ersten Lehrer nannte, und häufig genug sich auf
die Aussprüche desHippokrates berief) allen Berei-
cherungen der Heilkunde durch glückliche Erfahrungen
über die Wirkung neuer Arzneien sich widersetzt hät-
ten. Kaum brauche ich wohl zu bemerken, dafs ich
nicht die Vertheidigung pedantischer Alterthümler zu
Übernehmen gesonnen sein kann, welche durch philo-
logischen Schulzwang den lebendigen Geist der grie-
chischen Mediän erstickten, und anstatt durch ihn zum
einigen Naturfoi sehen angeregt zu werden , sich scla-
■
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XIX
visch in die Fesseln der Galenischen Dogmatik schlu-
gen. Erinnern wir uns nur, von welcher Zeit die •
Rede- ist, wenn die Hippokratiker als Feinde jeder
Neuerung in der Mediän bezeichnet werden. Unstrei-
tig von keiner anderen als der, wo die chemischen
Aerzte, Paracelsus an der Spitze, ihre . Triumphe
feierten, die wohl niemand besser als unser G-öthe im
Faust geschildert hat, dessen Worte, obgleich jedem be-
kannt, herzusetzen ich mich nicht enthalten kann.
Mein Vater war eiti dnnller Ehrenmann,
Der über die Natur und ihre heil'gen Kreise,
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe sann.
Der in Gesellschaft von Adepten,
Sich in die schwarze Küche schlofs,
Und nach unendlichen Recepten,
Das Widrige zusammengofs.
Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
Im lauen Bad der Lilie vermählt
Und beide dann mit offnem Flammenfener,
Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
Erschien darauf mit bunten Farben
Die junge Königin im Glas,
Hier war die Arzenei, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
So haben wir, mit höllischen Latwergen,
In diesen Thälern, diesen Bergen,
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
Sie welkten hin, ich mufs erleben,
Dafs man die frechen Mörder lobt
Und einem solchen Unfuge gegenüber will man
die Pariser Fakultät tadeln, dafs sie demselben auf das
nachdrücklichste zu steuern suchte? Man will es S y-
denham und Stahl als ein Vergehen anrechnen, wenn
Bie von Schauder gegen die Mifsbräuche mit den alexu
pharmacis, alterantibus und ähnlichen Erfindungen der
Alchemistcn ergriffen, der reinen Naturbeobachtung im
Sinne des klassischen Alterthums sich weihten? "Wie
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XX
kann man es ihnen verargen, wenn sie auf die Erfah-
rungen ihres Zeitalters gar keinen Werth legten, son-
dern einzig darauf bedacht waren, erst eine Methode
zu begründen, wonach die weiteren Entdeckungen sich
von selbst ergeben mufsten. Wenn Sydenham wegen
der unmittelbar praktischen Richtung seines Genies
sich eng an die Alten anschlofs, und gleich ihnen we-
niger auf Theoreine als auf Thatsachen einer frischen
und hellen Anschauung gab; so erwachte dagegen in
Stahl ein mächtiger systematischer Geist, der nicht eher
ruhte, als bis er die Forderung der Vernunft nach
Einheit der Erkenntnifs mit dem Naturwirken in Ein-
klang gebracht hatte.
Dafs auch er sich hierin oft überejlt, und eben
um dem Bedürfnifs nach folgerechter Erkenntnifs zu
genügen, den Kreis der pathologischen Vorgänge viel
zu eng umgrenzt hat, begehre ich nicht zu bestreiten.
Denn wirklich sind seine Erklärungen, welche die ver-
schiedenartigsten Krankheiten, Gicht, Wassersucht, Ka-
chexie, in die Lehre von den Blutflüssen hineinzwän-
gen, äufserst dürftig, und begnügen sich damit, einzelne
verwandtschaftliche Verhältnisse zwischen ihnen einsei-
tig hervorzuheben, ohne der vielfältigen andern patho-
logischen Bedingungen des erkrankten Vegetationspro-
zesses fast nur zu gedenken. Es mufs dies um so
auffallender erscheinen, da seine Lehre vom Leben ihm
für die weitesten pathologischen Ausführungen eine
hinreichende Basis darbot. Denn da er das Leben
als die thätige Erhaltung des zur fauligen Zersetzung
im höchsten' Grade geneigten Stoffs in der Unverletzt-
heit seines Mischungscharakters bezeichnete, und des-
halb die Sekretionen und Exkretionen, durch welche
die 'verdorbenen Mischungstheile ausgeschieden werden,
als eine Grundbedingung desselben anerkannte; so lag
ihm nichts näher, als qualitative Entartungen des Ve-
getationsprozesses nicht blos im Allgemeinen anzunch-
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XXI
men, worauf er auch an verschiedenen Stellen hindeu-
tet, sondern dieselben als einen Grundbegriff in seine
Pathologie aufzunehmen, und die kritischen Exkretio-
nen zu Ende glücklich verlaufender Krankheiten als
neue Beweise der Autokratie der heilenden Natur gel-
tend zu machen. Deshalb würde er sich nicht schon
den von ihm so nachdrüklich bekämpften [atrochemi-
kern zugesellt haben, denn er brauchte ja nicht ihre
Wilikühr in der leeren hypothetischen Voraussetzung
bestimmter alkalischer, saurer, schweflicher und ande-
rer Schärfen bei einzelnen Krankheiten nachzuahmen,
sondern konnte den Begriff qualitativer Entartung in
allgemeiner Beziehung stehen lassen, um ihn durch Hin-
weisung auf die gedachten kritischen Erscheinungen sehr
fruchtbar zu machen. Denn nicht in jeder Beziehung
sind die Humoralpathologen zu tadeln, vielmehr ver-
dienen sie für ihre sorgfältige Aufmerksamkeit auf die
qualitativ fehlerhaften Verhältnisse der Mischung in
Krankheiten, durch deren Nichtanerkennung die Dyna-
mik er und Solidarpathologen beträchtliche Löcken in ,
ihrem System offen gelassen haben, ein grofses Lob,
welches sie nur dadurch wieder verscherzten, dafs sie
die heilsame Reaktion der Lebensthätigkeit gegen jene
Entartungen übersahen, und daher eben so sehr wie
ihre Gegner sich aufser Stand setzten, die kritischen
Vorgänge richtig zu würdigen. Hätten die nicht die
Abhängigkeit der thierischen Mischung, von 'der Lebens-
thätigkeit, welche Stahl in ein so heiles 1 Licht stellte,
gänzlich verkannt; so würden sie nicht in *lic Absur-
dität verfallen sein, die erdichteten Krankheitsschärfen
durch entsprechende Reagenzien neulralishen zu wol-
len, und den kranken Körper wie ein chemisches La-
boratorium zu behandeln. ^'
Am unbegreiflichsten ist es mir jedodfc vorgekom-
men, dafs Stahl von der Hippokratisc^en 'Lehre fast
nur das entlehnte, was sich auf die Entscheidung der
»
XXII
Krankheiten durch Blutflüsse bezieht, den reichen Schatz
der übrigen semiotischen und prognostischen Sätze aber
beinahe gänzlich verschmähte, daher seine specielle
Krankheitslehre, wenn man die Blutflüsse und die vor
allem meisterhafte Darstellung der krankhaften Bewe-
gungen und des Irreredens abrechnet, im Ganzen ge-
nommen höchst dürftig ausgefallen ist. Nur die ein-
zige Entschuldigung wüfste ich dafür aufzufinden, dafs
er ein für allemal ein System gründen wollte, in wel-
ches er nichts aufnehmen konnte, als was sich seine*
Ansicht nach vollständig in einen sich gegenseitig er-
klärenden Zusammenhang bringen liefs. Zu diesem
Zweck konnte er freilich die goldenen Aphorismen des
Hippokrates grofseniheils nicht brauchen, weil sie die
Wahfheit mehr anschaulich und historisch, als wissen-
schaftlich begründet und verknüpft enthalten. Wel-
chen Werth Stahl auf das Methodische seiner Lehre
legte, spricht er an vielen Orten, namentlich in seiner
Selbstvertheidigung, welche ich der Vorrede zum er-
sten Theile einverleibte, sehr bestimmt aus, und er ist
freimüthig genug, einzugestehen, dafs eine grofse An-
zahl pathologischer Vorgänge nicht erklärt, sondern in
ihren Erscheinungen nur empirisch erfafst werden kön-
nen, eben deshalb aber auch keine rationelle Heilung
zulassen, sondern nur zu Heilversuchen Gelegenheit
geben. Hiermit wollte er sich aber nichts, zu schaffen
machen, um 4 en Charakter seines Werkes als einer
Theorie der} Heilkunde nicht zu trüben, wie dies be-
sonders aus .seinen Aeufserungen am Schlufs derselben
deutlich genug hervorgeht.
Wenn .diese Bemerkungen nicht jeden Tadel aus-
schliefsen,,„(ler auf sein Verfahren fallen dürfte, und
er also nicht von dem Vorwurf freigesprochen werden
kann, nur ejne Seite der Lebensthätigkeit mit Vernach-
lässigung der übrigen ins Auge gefafst zu haben; so
wird doch, sein grofses Verdienst dadurch im gering-
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XXIII
sten nicht verkürzt, und der dauernde Werth seiner
Theorie durchaus nicht verringert Denn mit ihren all-
gemeinsten Sätzen ruht sie auf der unerschütterlichen
Grundlage des heilenden Naturgesetzes, und eben weil
er dasselbe in seiner ganzen Bedeutung erkannte, und
mit unwiderlegbaren Beweisen durch Thatsachen in das
hellste Licht stellte, durfte er sein Werk eine theoria
medica vera nennen, die als solche allen Wechsel
der Zeiten und Systeme überleben wird. Seine spe-
ciellere Krankheitslehre mögen wir nur als einen Ver-
such betrachten, jene ewig gültigen Wahrheiten auf
einzelne Thatsachen in Anwendung zu bringen, und
es ihm Dank wissen, dafs er sich dabei auf einen en-
gen Kreis beschränkte, um nicht zu Deutungen genö-
thigt zu sein, welche in Ermanglung hinreichender Er-
fahrungssätze sich bald in vage Hypothesen verlaufen
haben würden. Dafs er bei der Auswahl des Stoffs für
die Lehre von den Blutflüssen mit der gröfsten Be-
sonnenheit zu Werke ging, und einige gewagte Vor-
aussetzungen abgerechnet, die wir hier nicht näher zer-
gliedern wollen, Bestimmungen feststellte, ,die für im-
mer gültig sein werden, darf ich wohl nicht näher er-
weisen, da sich dies bei aufmerksamer Lektüre von
selbst ecgiebt. Wie ich mich denn überhaupt jedes
Kommentars über seine Grundlehren enthalte, da diese
nun jedem so offen vor Augen liegen, dafs ihre Er-
läuterung als eine Anmaafsung erscheinen würde. Hin-
fort wird es wohl keinem mehr einfallen, über ihn die
Beschuldigung auszusprechen, seine Lehre sei unver-
ständlich, abstruse, durch die Dornen einer scholasti-
schen Dialektik ganz unzugänglich gemacht, arm an
praktischer Ausbeute. Sie ist nichts weniger, als alles
dies, und wenn man nur bei Lesung des Originals die
Mühe nicht gescheut hat, die Schwierigkeiten einer ver-
alteten und schwerfälligen Sprache zu überwinden; so
wird man überall durch die heiterste Klarheit der Bc-
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-
griffe erfreut, von der überzeugenden Kraft der lei-
tenden Principien ergriffen, durch den Adel der wis-
senschaftlichen Begeisterung und die Würde eines rei-
nen Eifers für Wahrheit und fortschreitende Vervoll-
kommnung des Menschengeschlechts zur Bewunderung
fortgerissen. Wenn wir seitdem einen Schatz von
neuen Erfahrungssätzen, und eine ungleich gründlichere
Kennt n i fs der einzelnen Systeme und ihrer gegensei-
tigen Beziehungen im gesunden und kranken Zustande
gewonnen haben; so wartet dieser Reichthum auf einen
zweiten Stahl, der die Riesenarbeit übernehme, ihn zu
sichten, den reinen Ertrag in ein erweitertes System
von der schaffenden, erhaltenden und heilenden Natur-
kraft aufzunehmen, und eine solche Restauration der
Mediän als das schönste Vermächtnifs eines wissen-
schaftlichen Geistes den kommenden Geschlechtern zu
überliefern.
Oder sollte ich mich wirklich irren in der Ueberzeu-
gung, dafs allein Stahl's oft genug bezeichnete Grund-
sätze allen einseitigen Systemen auf immer vorbeugen
können, dafs also die Erfahrung nur dann eine ächte
ist, wenn sie in seinem Geiste das Natur wirken als *
ein stetes Heiibestreben in allen Krank hei tszuständen
auffafst? Vorausgesetzt, dafs das ganze Gewebe seiner
Theorie aus Trugschlüssen zusammengefügt wäre,* und
wir uns daher genöthigt sähen, zu der herrschenden
Vorstellung von einer leidenden und hülfsbedürftigen
Natur zurückzukehren; so mufs ich die Frage aufwer-
fen, welchen Maafsstab wir an jedes neue medicinische
System legen sollen, welcher Prüfstein uns den Ge-
halt der zahlreichen praktischen Sammlungen zu erken-
nen geben wird? Denn dafs es eine allgemeine Regel
für die praktischen Urtheile geben müsse, wenn wir
uns nicht ewig in einem zerstörenden Wirbel von Heil-
methoden drehen wollen, wie dies bisher der Fall war,
wo das Alte mehr durch das Neue verdrängt, als ver-
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XXV
. bessert und bereichert wurde; dies wird wohl niemand
bestreiten mögen. Wo aber sollen wir diese Regel
finden? In der Erfahrung. Wohl! aber bei wem sol-
len wir diese suchen? Denn das Wort Erfahrung fÜh-
Ten alle im Munde, und wie wollen wir dem, der sich
auf die glücklichen Erfolge seines Handelns beruft, be-
weisen, wo er sich getäuscht hat? Die gröbsten hr-
thümer und Lügen lassen sich zwar leicht aufdecken,
weil sie gewöhnlich allen Regeln des gesunden Men-
schenverstandes schnurstracks zuwiderlaufen, wovon die
Homöopathie einen schlagenden Beweis giebt. Aber
die Täuschung ist oft feiner gesponnen, und hüllt sich
dann in ein so natürliches Gewand , stützt sich auf so
anschauliche, oft anatomisch demotistrirte Thatsachen,
dafs die Kritik mit ihren gewöhnlichen Regeln nicht
ins Reine kommen kann. Was dem einen wesentlich
scheint, gilt dem anderen als Nebensache, und det
müfste ein schlechter Dialektiker sein, welcher nicht
geschickt über manche Lücken in seinen Darstellungen
hinwegschlüpfen könnte. Ja er braucht sie nur ehr-
lich einzugestehen, da an niemand die Forderung ge-
macht werden kann, dafs er volle Befriedigimg gebe,
alles erkläre, für alles Rath wisse. Allen einzelnen
Erfahrungen klebt nothwendig viel Individuelles der
Person, der Zeit, des Ortes an, und wer mag hier
immer entscheiden, wo die feine Grenze zwischen Wahr-
heit und Irrthum gezogen werden müsse?
Die Lehre von der Heilkraft der Natur schliefst
nothwendig den Begriff teleologischer Verhältnisse ih
sich, und hat deshalb bei allen denen so grofsen An-
stois gefunden, welche sich in den Vorstellungen voii
einem, dem blinden Fatum ähnlichen Naturwirken ge-
fallen, und jede Erklärung desselben als eines Stre^
bens nach bestimmten Zwecken für einen argen Ari-
thropomorphismus halten. Denn, sagen sie, die Ver-
knüpfung von Mittel und Zweck*, als Glieder eines
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XXVI
wechselseitigen ursächlichen Verhältnisses, könne nur
vermittelst eines vernünftigen Bewufstseins statt linden,
' welches durch die Vorstellung des Zwecks sich zur Er-
greifung der ihm förderlichen Mittel bestimmen läfst,
um letztere als ursachliche Bedingungen in Kraft tre-
ten zu lassen, aus denen jener als Wirkung hervor-
geht. Diese Reciprocität der ursachlichen Verhältnisse,
insofern die Idee des Zwecks Ursache zur Herbei-
schaffung der Mittel werde, die Jenen verwirklichen,
»ei aber dem Naturwirken eben so fremd, als jedes
Bewufstsein davon, und man habe die teleologischen
Erklärungen nur ersonnen, um sich der mühsamen Un-
tersuchung über die Bedingungen der Erscheinungen
zu überheben. Es sei dies der gerade Weg zu den
bei allen Mystikern beliebten phjsico-theologischen An-
sichten, welche die Naturforschung in Andachtsübun-
gen verwandeln Wollen; und welche schiefe Lehren hier-
aus hervorgegangen seien, werde man bald inne, wenn
man in irgend einer älteren Physiologie die willkür-
lichen Träumereien über den Nutzen der Theile lese.
Erst seitdem man diese unfruchtbaren Grübeleien ver-
lassen, und sich zur unbefangenen Beobachtung und
zum Experimentiren bequemt habe, sei man zu that-
sächlichen Kenntnissen von den natürlichen Vorgän-
gen gekommen.
. „ Hieran ist allerdings so viel Wahres, dafs jeder
Mifsbrauch der teleologischen Erklärungen zu den lä-
cherlichsten Ungereimtheiten führt. Dahin gehört z. B.
die Meinung, dafs der Mensch deshalb so grofse Hin-
terbacken vor den Thieren voraus habe, um auf ihnen
beim kontemplativen Nachdenken wie auf einem ge-
polsterten Sessel bequem sitzen zu können. Nicht min-
' der drollig ist die Fabel von dem Organ der Sphex
cribraria mit welchem sie den Blumenstaub durchsie-
ben solle; schade nur, dafs ihr nicht ein solches Sieb
aus Bein gewachsen ist. ' .
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XXVII
•
Aber eben das gänzliche Verzichtleisten auf die
teleologische Denkweise hat uns in das Gebiet * der
physikalisch -chemischen Theoreme in der Physiologie
zurückgeführt, in, denen alles andere, nur kein Begriff
vom Leben enthalten ist. Man spricht zwar viel von
einem Gleichgewicht der Kräfte, von einem Ineinander^
wirken dynamischer und materieller Elemente, urjd
macht die Erklärung recht breit, damit über ihre Man-
nigfaltigkeit die Untersuchung ihreij Angemessenheit zji
der Einheit des organischen Lebens vergessen werde.
Kommt noch dazu, dafs die Naturphilosophie so viel
von einem allgemeinen Naturleben auch in den Stei-
nen und Wässern, welches sich im Mikrokosmus nur
koncentrire, gesprochen hat, dafs man den Begriff eines
eigenthümlichen organischen Lebens, für überflüssig und
mit den allgemeinen Ansichten unvereinbar hielt. Dafs
letzteres sich aus einem Keim entfalte, und dergleichen
von neuem hervorbringe, dafs es nach einer wirklichen
prästabilirten Harmonie einen in sich abgeschlossenen
Kreis von periodischen Umläufen vollende, und alle
seine Erscheinungen um einen Mittelpunkt sammele,
der nicht zufällig das Ganze hält, wie das Hypomoch-
lion einen' mehrarmigen Hebel, so lange an diesem die
Kräfte gleichmäfsig vertheilt sind, sondern dafs, wenn
ja ein physikalisches Bild gebraucht werden soll, die
Idee des Sonnensystems allein die Vorstellung eines
Organismus im Grofsen darbietet; alles dies hielt man
für unwesentlich, und forschte danach, welches die Arme
des Hebels seien, die sich im Gleichgewicht erhalten
sollten.
Letztere Frage war durch Hall er s grofse Ent-
deckung des durchgreifenden Unterschiedes zwischen
dem Nerven- und Muskelsystem bald entschieden;
schade nur, dafs eine der fruchtbarsten Wahrheiten^
womit die Physiologie jemals bereichert wurde, durch
Uebertreibung so sehr geinifebraucht worden ist Dpnu
*
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* , . Digitized by Google
XXVIII
tlüh glaubte man die Elemente des Lebens in der Sen-
sibilität und Irritabilität aufgefunden zu haben, aus de-
ren Vereinigung unter mannigfachen quantitativen Ver-
hältnissen alle untergeordneten Funktionen hervorgin-
gen, deren Einklang den Begriff der Gesundheit aus-
mache. Also Erhaltung und Wiederherstellung dieses
Gleichgewichts war das Princip der Heilkunde, aus
welchem die meisten neueren medicinischen Systeme
sich mit einem Griff hervorziehen liefsen. Denn wenn
die Antiphlogistiker überall eine tibermäfsig gesteigerte
Irritabilität in zahllosen Entzündungen nachzuweisen
suchten; so mufste das Blut in Strömen iliefsen, um
jenen Eicefs zum natürlichen Gleichgewicht in der
vita minima, die nach solchen Kuren auch nicht aus-
zubleiben pflegte, herabzustimmen. Wenn umgekehrt
die Nervenpathologen und die ihnen nahe verwand-
ten Erregungstheoretiker überall ein erkranktes Ner-
venleben als Grundlage der Krankheiten auffanden, da
das wunderliche Spiel der Erregungszustände doch nur
durch Modifikationen der Sensibilität verständlich wurde;
so kam es nur darauf an, ob man mehr den Krampf-
theorieen oder den Begriffen von Asthenie huldigen
wollte, um entweder Antispasmodica oder Excitantia
für Universalarzneien zu halten. Also überall eine
reine Willkühr im Beobachten anstatt einer Methode,
nach welcher eine Erkenntnifs von Naturgesetzen ge-
wonnen werden sollte.
Warum hatten doch Hallers Nachfolger sich nicht
seinen besonnenen Beobachtungsgeist angeeignet, der
nie die Bedeutung von Erscheinungen überschätzte, und
dem es daher so wenig einfiel mit seinen Bestimmun-
gen der Irritabilität und Sensibilität alles erklären zu
wollen, dafs er gerade die wichtigen Funktionen vie-
ler Eingeweide, namentlich den Kreislauf von ihneu
äusschlofs. Vielleicht ging er hierin zu weit, indem
er die Bewegkraft der Arterienfasern eine todte Elasti-
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XXIX
cität nannte , weil sie sich durch die bekannten Reize
nicht in Oscillationen versetzen liefs; denn vergebens
sucht man die Fortleitung der Säfte in den Saugadem,
Drüsen und Absonderungskanälen aus der Theorie der
Haarröhrchen zu erklären, so wie auch die örtliche
Beschleunigung des Kreislaufs bei Kongestionen der
Annahme von blos elastischen Arterienfasern durchaus
entgegensteht. Wenn daher alle propulsiven Kräfte
in den Organen wahrscheinlich der Irritabilität in einem
höheren Sinne untergeordnet sind, und Ha Ii er aus
zu weit getriebenem Scepticismus es sich versagte, aus
seinen schönen Entdeckungen alle Folgerungen zu zie-
hen, die sich fast nothwendig aus ihnen ergeben; so
hat er sich doch eben durch diesen nüchternen Geist
empirischer Forschung ein unsterbliches Verdienst er-
worben, und für immer die Bahn erfolgreicher Expe-
rimente vorgezeichnet.
Wäre indefs auch jedem Arzte Ha Hers vortreff-
licher Geist angeboren, der so ganz dazu geschaffen
war, das Naturwirken mit den reinsten und lebendig-,
sten Anschauungen aufzufassen, die sich ganz von selbst
in Begriffe zusammenfügen, ohne dafs sie dazu absicht-
lich zugestutzt und verstümmelt werden dürfen; so,
würde dadurch doch die Aufgabe der Heilkunde noch
nicht vollständig gelöset. Es handelt sich nämlich nicht
blos darum, die einzelnen und untergeordneten Bczie-,
hungen der Erscheinungen zu betrachten, sondern sie
müssen stets in ein grofses organisches Ganze zusam-
mengefafst werden, weil das Einzelne nur durch seine
Stellung in demselben seine eigentümliche Bedeutung
erlangt. Daher haben die diagnostischen Subtili täten,
an denen die neuere Pathologie so reich ist, in der
Kenntnifs der Krankheiten uns weiter zurück als vor-
wärts gebracht, weil sie die umfassende Anschauung
der Krankheitszustände und des durch sie ausgespro-
chenen Naturwirkens durch die Beschränkung der Auf-
XXX
merksamkeit auf abgerissene, oft sehr untergeordnete
Momente aus dem Bewufstsein des Arztes verdrängen.
Man ahmte hierin die künstlichen naturhistorischen Sy-
steme nach, welche eben so verfahren, indem sie z. B.
alle Pflanzen blos nach den Staubfaden klassificiren,
vergafs aber dabei, dafs Krankheiten nicht unveränder-
bche Species bilden, welche an einzelnen Merkmalen
erkannt werden können, sondern als mannigfache Zu-
stände dergestalt in einander verschmelzen, dafs jede
Kaarscharfe Trennung nur durch optische Täuschung
eine Klarheit der Begriffe vorspiegelt, dagegen den en-
gen ursachlichen Zusammenhang der Krankheiten, wor-
auf es dem Arzte am meisten ankommt, völlig aus den *
Augen rückt.
Schon Stahl eiferte dagegen mit grofsem Nach-
druck, da jene mikrologische Pathologie zu einer eben
so minutiösen Therapeutik führen mufs. Denn wozu
hätte man so zahllose Krankheits formen ersonnen, wenn
man ihnen nicht eben so spitzfindig ausgeklügelte Re-
cepte entgegenstellen wollte, die man nicht schreiben
kann, ohne ein endloses Detail von Indikationen und
Kontraindikationen der einzelnen Specifica ä la Hah-
nernann vor Augen zu haben? Jene gFofse Lehre
Boerhaave's: Simplex sigülum veri, kann man aber
nur dann in Anwendung bringen, wenn man das Natur-
wirken in grofsartigen Zügen erfafst, den wesentlichen
organischen Zusammenhang desselben mit freiem Bb'ck
überschaut, um seine Intentionen zu errathen, und ihm
auf alle Weise hülfreich zu sein, ohne dafs* man sich
in den Kopf setzt, für jedes Symptom ein Mittelchen
zu gebrauchen, als wenn der Natur an allen Orten
etwas fehle, das man ihr ersetzen müsse.
Was heilst dies aber anders, als sich zur teleo-
logischen Ansicht bekennen, nämlich nach jener Wech-
selbeziehung sich richten, in welcher die Theile des
lebenden Organismus zu einander stehen, insofern jeder
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XXXI
durch die anderen nothwendig bedingt ist, und da6 Ganze
nur durch ihren gemeinschaftlichen Bund fortdauern
kann? Denn gesetzt auch, dafs Imtabilität und Sen-
sibilität unter mannigfachen Modifikationen die Fakto-i
ren des Lebens bilden, welches ich selbst anzunehmen
geneigt bin, da beide sich wie Empfänglichkeit und
Gegenwirkung zu einander verhalten, und daher die
Beziehung des Organismus und seiner Theile unter sich
und zur Aufsenwelt ausdrücken; so wird dadurch das
Leben als Einklang der verschiedenen Kräfte noch
nicht erklärt. Dafs dieser Einklang nicht von Aufsen-?
bedingungen unmittelbar abhängig sein könne, sondern!
einen innern Grund haben müsse, wird wohl jeder ein>
räumen, der überhaupt zwischen organischen und un-
organischen Körpern den Unterschied gelten läfst, dafs
jene eigenmächtig eine Reihe von Erscheinungen an-*
fangen und vollenden, welche sich nicht vollständig aus
ihrem Konflikt mit den Aufsendingen erklären lassen,
sondern von einer selbstthätigen Ursache ausgehen müs-
sen, während die Erscheinungen an unorganischen Kör-
pern in geradem Verhältnifs zu den die letzteren tref-
fenden Impulsen nach Newton's mechanischem Gesetz
der Gleichheit zwischen Wirkung und Gegenwirkung
stehen. Jene selbstthätige Ursache als innerer Grund
des Lebens kann aber nicht in einem einzelnen System
enthalten sein, weil diese Voraussetzung uns zu jenem
praktischen Irrthum zurückführen würde, welcher die
gesammte Krankheitslehre blos auf das irritable oder
sensible System gründen wollte.
Wir sind daher zur Annahme eines die Grund-
kräfte des Lebens (gleichviel welchen Namen wir ihnen
beilegen, an welche Systeme wir sie geknüpft uns den-
ken mögen) vermittelnden Princips, um so mehr genö-
thigt, als dasselbe schon vor aller Organisation wirk-
sam sein mufs, um diese erst durch den Bildungsakf
hervorzubringen, zur fortschreitenden Entwickelung fort-
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XXXII
zuführen, und in der vorgeschriebenen Lebensdauer zu
erhalten. Es hat zwar nicht an Versuchen gefehlt, die
Bildungsthätigkeit der unorganischen Stoffe, weiche sich
in der Krystallisation zu erkennen giebt, zur Erklä-
rung der organischen Bildungen als einer veredelten
Stufe von jener zu benutzen, um auch auf dieser Seite
die Grenzen zwischen dem organischen und unorga-
nischen Reiche aufzuheben, und die Physiologie recht
eigentlich mit der Physik zu verschmelzen. Dafs aber
das Streben der Materie nach Gestaltung in den or- •
ganischen Körpern einem höheren Bildungsprincip un-
tergeordnet ist, welches ihre Elemente in ganz neuen
Verbindungen vereinigt, und diesen Formen aufprägt,
die aufserdem jenen eben so fremd als der organische
Mischungscharakter geblieben wären; dafs jenes Prin-
eip einen ununterbrochenen Wechsel von Bildung und
Auflösung unterhält, um immerfort neue Mischungs-
theile an die Stelle der früheren zu setzen, und durch
dies stetige Fortschreiten des organisch-chemischen Pro-
zesses den Flufs des Lebens zu erhalten, welches an
ruhenden Elementen seine höheren Erscheinungen nicht
continuirlich hervortreten lassen könnte; endlich dafs
die genannten Bedingungen nur verwirklicht werden
können, wenn das bildende Princip seine Apparate und
Werkstätte selbst zubereitet: alles dies wird durch un-
mittelbare Anschauung so überzeugend klar, dafs nur
absichtliche Selbsttäuschung dagegen die Augen ver-
schliefsen, und sich auf das Leugnen legen kann.
Sehr zur Unzeit hat man sich daher auf Kaufs
Kritik berufen, welche angeblich alles Deuten des Na-
turwirkens nach vorgefafsten Vorstellungen von Absich-
ten und Zwecken als irrthümlicher wiesen habe. Kant
war unter allen am wenigsten der Mann dazu, die
Uebereinstimmung der Principien des Denkens mit den
Naturgesetzen, ohne welche es gar keine Naturwissen-
schaft geben würde, zu bestreiten; seine Kritik sollte
das
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XXXIII
das Gebiet derselben nicht verwüsten, nur aufräumen,
damit hinfort gesunde Begriffe nicht durch das wu-
chernde Unkraut metaphysischer Grübeleien über Dinge,
welche dem menschlichen Verstände ewig unerreichbar
bleiben müssen, erstickt würden. Seine unübertreff-
liche Definition organischer Körper als solcher, in de-
nen alle Theile als Mittel und Zweck sich zu einan-
der verhalten, ist der reinste Ausdruck der teleologi-
schen Ansicht, der sich nur auffinden läfst. Ihr mufs
auch jeder, ohne sich durch K an t's Autorität blenden
zu lassen, unbedingt huldigen, wenn er nicht etwa be-
streiten will, dafs das Auge für das Sehen, der Ma-
gen für die Verdauung bestimmt und vorgebildet ist,
der also nicht behaupten mag, dafs das Sehvermögen
ein blofses Accidens der Organisation des Auges, die
Verdauung ein zufälliges Ereignifs ist, wenn gelegent-
lich Speisen im Magen vorhanden sind. Stahl hat
sich in seiner Abhandlung über den Unterschied zwi-
schen Mechanismus und Organismus so vollständig im
Sinne Kant's über die Grenzen teleologischer Erklä-
rungen ausgesprochen, dafs die Uebereinstimmung bei-
der grofsen Denker recht eigentlich den tiefen Geist
deutscher Philosophie bezeichnet, welcher den Wissen-
schaften eine dauernde Grundlage bereiten solL
Die teleologische Methode führt beinahe unwill-
kührlich zu der Ansicht, dafs die Seele, zu deren Ge-
brauch der Körper eingerichtet ist, eben so gut das
bildende, erhaltende und bewegende Princip des or-
ganischen Lebens ausmacht, als sie die ursachliche Ein-
heit der Erscheinungen des Bewufstseins ist. Stahl
war daher gewissermafsen durch seine Denkweise ge-
nöthigt, diesen Gedanken zu fassen, der ihm die mei-
sten Widersacher gegenübergestellt hat, ungeachtet er
denselben weder zuerst ausgesprochen, noch ihn mit
einer so eisernen Konsequenz durchgeführt hat, dafs
er dadurch zu den widersinnigen Behauptungen verlei-
Stahl's Theorie d. Heilk. III. c
XXXIV
I
let worden wäre, welche man ihm fast allgemein auf-
gebürdet hat. Die Wichtigkeit dieses Gegenstandes
macht eine nähere Erörterung nöthig, welche ich mit
der Bemerkung beginne, dafs ich mich dabei streng an
den Text der Theoria medica vera halten werde, in
der seine Lehre zur völligen Reife gediehen ist, wäh-
rend seine früher erschienenen zahlreichen Dissertatio-
nen, die ich hier unmöglich einer Prüfung unterwer-
fen kann, wohl manchen Satz aufstellen mögen, von
dessen Unhaltbarkcit er sich späterhin überzeugte. Dafs
alle ungereimten Einfälle seiner Schüler, welche Hal-
ler in der Kritik über ihn zusammenstellt, hier noch •
weniger in Betracht kommen können, versteht sich
wohl von selbst
Wahr ist es, dafs Stahl die Grundlehren seiner
Physiologie zu einem grofsen Theile auf die Identität
der Seele und des Lebensprincips stützt, obgleich er
schon im Anhange zu derselben mit der von mir in der
Vorrede zum ersten Theile (S. IX.) mitgetheilten merk-
würdigen Aeufserung von dieser Ansicht Abschied nimmt,
um nie wieder auf sie zurückzukommen. Hieraus geht
unwiderlegbar hervor, dafs er nur in dem streng theo-
retischen Theile eine Ahnung aussprach, mit welcher
er die Lebenserscheiuungen in eine tiefere Verknüpfung
bringen wollte, welche niemals unter vereinzelten Kräf-
ten gedacht werden kann, dafs er ihr aber in dem
praktischen Theile durchaus keinen Ein flu fs gestattete.
Vergebens wird man in seiner Pathologie und Noso-
logie eine Spur von seinen angeblichen Behauptungen
suchen, die man einander so gläubig nachgebetet hat,
dafs die Krankheiten nichts anderes seien, als von der
Seele angeordnete Bewegungen, um irgend eine nach-
theilige Materie aus dem Körper zu entfernen, und so
das gestörte Gleichgewicht in den Funktionen wieder
herzustellen; dafs die Seele den Körper heile, da die
Arzneien ganz unter ihrem Einflufs ständen, ohne den
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>
XXXV
sie gar keine Veränderung hervorbrächten; dafs das
Geschäft des heilenden Arztes blos darin bestehe, die
zu thätigen Bewegungen der Seele zu mäfsigen, die
zu trägen anzuspornen; dafs die nächste Ursache des
Todes nicht in dem Körper liege, sondern dafs es
nach dem Willen des Schöpfers von der Seele abhänge,
ihn zu verlassen. Statt aller Widerlegung, welche
diese völlig aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen
nicht verdienen, begnüge ich mich, nur folgende Stel-
len (TheÜ H. S. 20 — 24., S. 215 — 216. Tb. HL
S. 212.) zu citiren, welche zu diesem Behuf völlig hin-
reichen. Was Stahl über das Wirken ' der Seele in
Krankheiten aus tiefster Erkenntnifs des wahren Sach-
verhältnisses ausgesprochen hat, und mit obigen Sätzen
in gar keiner Verbindung steht, werde ich weiterhin
näher bezeichnen.
Kehren wir jetzt zu Stahl's Physiologie zurück,
fum zu ermitteln, ob der Satz von der Identität der
W~ - ' t,n_ . . j -nr ■ - Ml
Seele und des Lebens princips von ihm zuerst ausge-
sprochen sei. Ohne mich in eine hier zu weitläuftige hi-
storische Forschung einzulassen, welche keinen Zweifel
darüber aufkommen läfst, dafs diese Lehre sich in das
früheste Alterthum verliert und von den gröfsten Philo-
sophen desselben vertheidigt worden ist, will ich mich
auf Harvey's unsterbliches Werk: Exercitationes de
generatio ne animalium beschränk en, in welchem ne im
grolsartigsten Sinne aufgefafst worden ist. Harvey
sie (exercitatio 47.) geradezu auf Aristoteles
zurück, und sagt bei dieser GelegenTieiF:~C^r/B^i~
lest, quicquid dcmum fuerit, quod pullum ex ovo pro-
creat (in cujus fabrica tarda arte, tarn divino in-
tellectu, ac Providentia opus est; nempe dum oculos
visioni, rostrum sumendo cibo, pedes ambulationi,
alas volatui, et reliqua similiter in finem aliquem in-
stituit), esse id, vel animam vel aliquid prius et prae-
stantius anima, cum intellectu et Providentia operans.
c2
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XXXVI
Ex gener atione quoque pulli manifestum est, quod-
cunque Uli faerit principium vitae, seu prima causa
vegetativa, harte ipsarn prius in cor de fuisse. Quare
si ea sit ani/na pulli, ipsarn prius in puncto saliente,
et sanguine fuisse pariter constat; utpoie in quo mo-
tum sensumque deprehendimus ; movetur enim et so-
llt, ut animaL Quod si in puncto saliente existat
anirna , quae reliquum corporis sibi fabricet, nutriat,
et augeat, e cor de certe, ceu fönte, in Universum cor-
pus promanaU Similiter, si ovum ideo prolificurn
est, quia ei anima inest, sive {ut Aristoteles voluit)
pars animae vegetativa, clare constat, punctum Sa-
ilens , partemve genitalem animatam, ab ovi anima
proßeisci.
Ferner in dem Kapitel über die Empfängnifs:
Quidni merito suspicari liceat, utriusque {cerebri et
uteri) etiam funetionem esse similem; et quod Phan-
tasma sive appetiius est in cerebro, istuc idem, vel
sattem ejus analogum, a coitu in utero excitari; unde
gener atio sive proer eatio ovi coniingat? Functiones
enim utriusque coneeptiones dicuntur, suntque ambae
immaieriales ; licet prineipia sint omnium totius cor-
poris actionum; haec nempe naturalium, illa anirna-
lium: haec omnium, quae ad animalis gener ationem
attinent, illa vero omnium, quae ad conservationem
ejus peraguntur, caussa prima, et principium primurn.
Et quemadrnodum appetitus a cerebri coneeptione
orlum ducit, atque haec ab appetibili externo: ita
etiam a mare {utpote animali perfeeiiore) tanquarn
appetibili maxime naturali, coneeptus naturalis in utero
foeminae oritur, sicut in cerebro fit coneeptus anima-
Iis. Ab hoc appetitu sive coneeptu evenit, ut foemina
prolern genitori similem producat. Nam quemadrno-
dum nos, coneeptione formae, sive ideae in cerebro,
similem ei in operibus nostris effieimus: ita pariter
idea, aut species genitoris in utero existens , forma-
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XXXVII
tricis facultatis ope, similem foetum gener at; dum
speciem nernpe, quam habet immaterialem, operi suo
imponit. Non aliter sane, quam ars, quae in cere-
bro est eldog sive species operis futuri, similem in
agendo prqfert, et in materia gignit. — Adeo ut, quod
disciplina in cerebro efficit, nempe artem; analogum
ejus coitus maris in utero pracstet , nimirum artem
plasticam, unde foetus complures similcs aut dissimi-
les ab eodem coitu procreantur. Si enirn generatio-
nes, primique conceptus artificiales (qui naturalium
duntaxat imitamenta sunt), hoc pacto a cerebro
fiunt; quanto magis ipsius animalis gener ationis et
conceptionis exemplaria simititer ab utero procedere
verisimile est? — Quicunque secum animo pensitaverit,
quomodo cerebrum ariificis, aut artifex virtute cere-
bri, res absenies, quas jam non intuetur, sed quas
olim viderit, ad amussim tarnen dcpingat: et quo
pacto aviculae in caveis enutritae, cantiUnas, quas
aestate didicerant, sequeivti vere in mentem revocent,
et exacte canant, licet interea temporis earum pro-
xin numquam exercuerint: et quod rnajus est, quo-
modo avicula nidum suurn (cujus exemplar numquam
viderit) artificiose componat, idque non ex memoria,
vel habiiu aliquo: sed sola phantasia, quomodo ara-
neola, sine vel exemplari, vel cerebro, solius phanta-
siae opera suas telas texat: qui haec, inquam, dili-
genter perpenderit; haud, opinor, absurdum valde,
aut monstrosum judicabit f foeminam ex conceptu ideae
generalis sine materia impraegnatam, gener ationis
opificem evadere. Ridebunt, scio, haec nasuti qui-
dam, qui, nisi quod ipsi sentiunt, nihil rectum pu-
iant. Hic tarnen philosophorum mos est, cum rem
ipsam, ut se habeat, clarc percipere nequeunt; fingunt
sattem modum ejus aliquem naturae operibus conso-
num, et veritati proximum.
Unstreitig hatten die älteren Physiologen eine un-
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<
'XXXVIII
gleich tiefere Einsicht in die inneren Lebensbedingun-
gen, indem sie die strenge Analogie derselben mit dem
geistigen Wirken und den gemeinsamen organischen
Charakter beider im Gegensatze zu den unorganischen
Erscheinungen richtig erkannten. Dafs man eine solche
geistige Anschauungsweise des Lebens, welche nicht an
den materiellen Verhältnissen desselben klebt, in neue-
rer Zeit als Mysticismus von der Wissenschaft abge-
wiesen hat, ist der letzteren wahrlich nicht förderlich
gewesen, da man darüber das Walten der Seele im
Körper gröfstentheils aus dem Auge verloren hat. Denn
das geistige Band, welches sich durch die Lebenser-
scheinungen schlingt, und sie von einer Seite wenig-
stens verknüpft, fallt nicht in die Sinne; der Anatom
kann keine Spur davon auffinden; der experimenti-
rende Physiolog weifs eben so wenig etwas damit an-
zufangen, weil die geistigen Incitamente auf den Kör-
per sich nicht wie die elektrischen und pharmaceuti-
schen messen lassen; und der Praktiker glaubt genug
gethan zu haben, wenn er in dem ätiologischen Theile
der Pathologie den Leidenschaften, deren stürmische
Wirkung sich nicht verkennen läfst, einen Platz an-
weiset, ohne sich um deren Erklärung zu bemühen.
Ja alle protestiren mit gleichem Eifer gegen die
Lehre, dafs die Seele eine Haupttriebfeder des Lebens,
wenn nicht gar dessen Quelle sei. Denn, sagen sie,
da das organische Leben in den Pflanzen ganz seelen-
los ist, und die Seele der Thiere nur metaphorisch
mit der menschlichen verdienen werden kann ; so mufs
das Leben überhaupt einen eigenmächtigen Bestand in
sich haben, welcher vom geistigen Princip unabhängig
ist. Letzteres können wir nur als ein Aeufseres zu
ihm hinzudenken, gleichwie der Körper für die Seele
auch nur ein Aeufseres, ja wesentlich Fremdartiges
ist. Nur eine mystische Ansicht hebt die Scheidewand
zwischen beiden auf, durch welche sie ewig geschie-
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I
XXXIX
den, obgleich nachbarlich in enge Wechselwirkung ge-
setzt sind. Also die Vorgänge in dem einen Theile
stehen mit denen im andern in keinem unmittelbaren
Zusammenhange; sie wirken nur per distans auf und
in einander.
Aber mit jener gerühmten Selbstständigkeit des
organischen Menschenlebens hat man sich einen leeren
Schein vorgespiegelt. Inmitten des stets veränderlichen
Wechsels der äufseren Einflüsse macht das Leben seine
Unabhängigkeit zwar in einem hohen Grade geltend,
da es nach innerem Gesetz, nicht nach äufserem Zu-
fall seine Entwickelung vollbringt, das Nützliche an-
zieht, das Schädliche ausstöfst, und nur allzufeindlichen
Angriffen unterliegt. Aber der Seele zugewandt giebt
es diese Abgeschlossenheit auf, und wird von ihr in
einem hohen Grade abhängig. Denn die Sittlichkeit
ist zugleich die beste Pflegerin der körperlichen Ge-
sundheit, und vorherrschende Sinnlichkeit trägt allemal
als ein Krankheitszustand den Keim früherer oder spä-
terer Selbstzerstörung in sich. Also der Begriff der
vollkommenen Gesundheit schliefst schon als notwen-
dige Bedingung die Reinheit und Energie des Gemü-
thes in sich, welches im Einklänge mit einem richtigen
Verstandesgebrauch sich der Kräfte des Körpers be-
meistert, um sie zur Erreichung sittlicher Zwecke zu
gebrauchen. Tägliche Erfahrungen bezeugen es, dafs
der Seelenfrieden das Element alles körperlichen Ge-
deihens ist, da derjenige, welcher Ordnung, Maafs und
Gleichgewicht der geistigen Kräfte ini Gebrauch der-
selben zu erhalten weifs, auch sein physisches Leben
im geregelten Gange erhält. Schon 1 dieser Vortheil
mufs sehr hoch angeschlagen werden ; weil das unge-
störte Leben eine grofse Kraft der Selbsterhaltung zum
Schutz gegen andringende Schädlichkeiten in sich tragt,
während umgekehrt sein frühzeitiger Verfall nur zu
häufig von Unsittlichkeit herrührt, welche unablässig
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ff
mit feindseligen Angriffen auf dasselbe einstürmt. Will
man sich aber die wohlthätige Herrschaft des Geistes
über das organische Leben in ihrer ganzen Ausdeh-
nung denken; so stelle man sich einen rüstigen, tat-
kräftigen Mann vor, der vom regsten Eifer für die Er-
füllung seiner Pflicht und für die Kultur seines Geistes
beseelt, immerfort einen beträchtlichen Aufwand von
Kräften macht. Zum Ersatz derselben wird der Ve-
getationsprozefs in allen seinen Richtungen zum exten-
sivsten und intensivsten Wirken angetrieben; und so
lange nur ein richtiges Verhältnifs zwischen Verbrauch
und Wiedererzeugung der Kräfte, erhalten wird, ver-
vollkommnen sich sämmtliche Lebensbedingungen im
höchsten Grade. Es ist eins der schädlichsten Vorur-
theile in der Heilkunde, dafs jeder Kraftverbrauch, be-
sonders aber in der geistigen Sphäre, eine wahre Kon-
sumtion des Lebens sei, dessen Quelle um so länger
fliefse, je weniger aus derselben geschöpft werde; und
man liefe sich zu diesem Irrthum durch das gemifs-
brauchte Gleichnife, welches das Leben einen Verbren-
nungsprozeß* nannte, verleiten. Das Leben sollte also
ein Kapital sein, welches der Geist durch Thätigkeit
nicht vermehren könne, dessen Zinsen er also nur ver-
zehren dürfe, wenn er nicht als Verschwender sein Ei-
genthum vergeuden wolle, Man mufs diese Ansicht
als eine systematische Verteidigung der geistigen Träg-
heit bezeichnen, welche die Anstrengung scheut, um
das Leben zu .schonen, damit aber nur eine im Ur-
theile der Vernunft herabgewürdigte Existenz pflegt.
Noch dazu ist diese Lehre, physiologisch betrachtet, ge-
radezu falsch, denn es unterliegt keinem Zweifel, dafs
die reproduktive Thätigkeit sich nach der Summe der
freien Kraftäufserungen richtet, also mit dieser in glei-
chem Zu- und Abnehmen begriffen ist, daher Träg-
heit eine Lähmung des Vegetationsprozesses zur gewis-
sen Folge hat. »
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XLI
Der Körper wird so durchaus zum Organ des Ge-
müthes, dafs dessen mannigfachen Zustände einen cha-
rakteristischen Ausdruck in entsprechenden Verhältnis-
sen der Lebenskräfte finden. Wepn der Dichter und
der plastische Künstler nur die Gebärde und Haltung,
mit einem Worte fast nur die sinnliche Aeufserung der
verschiedenen Gemtithszustände auf der Oberfläche des
Körpers bildlich aufzufassen vermag; so wird es die
Aufgabe des Arztes, das äufserlich Angedeutete nach
allen Richtungen der bildenden und bewegenden Kräfte
durch den Organismus zu verfolgen. Es bedarf hier
nur der allgemeinen Erinnerung an die Wirkungen der
Leidenschaften auf Kreislauf, Athmen, Ernährungs- und
Absonderungsthätigkeit, so wie auf die wilikührliche
Bewegung und Sinnesthätigkeit, d. h. auf den Inbegriff
des vegetativen und animalen Lebens, um zu bewei-
sen, dafs während solcher Zustände im ganzen Orga-
nismus, sowohl im Geistigen als Physischen, die ge^-
naueste Uebereinstimmung der Kraftäufserungen herrscht,
dafs also die Seelenkräfte und die verschiedenen or-
ganischen Systeme gleichzeitig und ganz auf die näm-
liche Weise in Anspannung oder Erschlaffung versetzt
werden, ihr Wirken mit Ordnung oder Regelwidrig-
keit, mit Hast oder Trägheit vollziehen, bis zum Ueber-
maafs steigern, oder in's Stocken gerathen lassen, je
nachdem Freude oder Traurigkeit, Zorn oder Schaain,
Begeisterung oder Verzweiflung den ursprünglichen Ty-
pus zu allen diesen geistig -sinnlichen Regungen gege-
ben haben.
Wollen wir nun nicht geradezu dem Materialismus
huldigen, der sich allenfalls im vorigen Jahrhunderte
noch die Behauptung erlauben durfte, alles Denken
und Handeln, Selbst in sittlicher Beziehung, sei die
Aeufserung eines Ineinanderwirkcns von Gehirnspan-
nungen, Blutwellen und anderen körperlichen Regun-
gen; sondern ist in uns die Ueberzeugung begründet,
I
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dafs das sittliche Princip zugleich auch ein geistiges
sein müsse, weil es sonst nicht mit dem Zweck der
körperlichen Selbsterhaltung in Widerspruch treten,
nicht das Leben opfern könnte, um einem Vernunft-
gebot zu gehorchen: so haben wir auch in der Seele
den Ursprung und ersten Wirkungskreis der Leiden-
sclwiften aufzusuchen, also von hier aus die Forschung
anzufangen, wenn deren Einflufs auf den Körper zur
Erkenntnifs erhoben werden soll.
Es ist daher eine überaus dürftige und leere Aus-
flucht der Physiologen, wenn sie sagen: dafs die Le-
bensverrichtungen im engeren Sinne, nämlich der Kreis-
lauf und Ernährungsprozefs, ihre Unabhängigkeit von
der Seele durch ihr bewufstloses Wirken beweisen,
dafs nur die Sinnesthätigkeit und Muskelbewegung der
Willkühr unterworfen seien, welche auf Herz, Magen,
Drüsen und Eingeweide gar keinen unmittelbaren Ein-
flufs habe. Auch die Seele gelangt nur über den klein-
sten Theil ihrer Thätigkeit zum Seibstbewufstsein, dem
sich das innere Triebwerk der Gedanken, Gefühle und
Handlungen völlig entzieht, ohne dafs dasselbe darum
weniger ihr ausschliefsliches Eigen thum wäre 1 ). Also
vermag sie mit ihrer Willkühr nicht einmal sich selbst
so geradehin zu bestimmen, wie jeder unbefangene
Selbstbeobachter weifs, dem sich nur zu häufig wider-
wärtige Erscheinungen aus dem Gemüth in's Bewufst-
1) Stahl hebt diesen Umstand an vielen Orten deutlich ge-
nug hervor, und es ist daher unbegreiflich, wie man ihm die Ab-
sicht unterlegen konnte, alle Vorgänge des Lebens von einem deut-
lichen Bewufstsein der Seele abhängig zu machen. Was er bei
Gelegenheit des Unterschiedes, den er zwischen Xoyoq und Xoyio-
ftoq aufstellt, hierüber sagt, ist kaum mehr als die Andeutung der
Empfindungen, welche die neueren Physiologen unter dem Be-
griff des Gemeingefuhls zusammenfassen. Alles dies steht aber
kraft der Natur, die er stets in Erscheinungen nachweiset, nie iu
Grübeleien verhüllt vorträgt.
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zun
sein drängen, welche zu bekämpfen er Mühe genug
hat Wenn es ihm aber gelingt, seine Leidenschaften
zu dämpfen, und dadurch die unruhigen Bewegungen
in seinen Eingeweiden zu zügeln; so hat er mit der
Herrschaft über sein Geraüth auch die über sein phy-
sisches Leben errungen, denn beide sind wesentlich
zur Einheit verknüpft, welches nur dadurch möglich
wurde, dafs letzteres sich nach den Regungen der Seele
gestaltet, und seine Erscheinungen an deren Gesetz
bindet. Die stets thätige Seele greift also immerfort in
das organische Leben ein, und bestimmt dasselbe nach
sich zu gleicher Summe der Kraftäufiserung.
Aber es giebt noch eine Reihe von Thatsachen,
welche uns die Leitung der Lebenskräfte durch die
Seele noch deutlicher vor Augen stellen, und überdies
auf die Gleichheit der erster en, die man mit Unrecht
nach den einzelnen organischen Systemen unterschieden
hat, ein helles Licht werfen. Gehen wir von dem ali-
gemeinen Erfahrungssatze aus, dafs alle Lebensthätig-
keit einen Aufwand von Kräften nöthig macht, welche
durch nachfolgende Ruhe ersetzt werden müssen, und
dafs das richtige Verhältnifs zwischen Verbrauch und
Wiedererzeugung derselben die wesentliche Bedingung
der fortdauernden Gesundheit und des Gedeihens der
körperlichen Entwicklung ist; so erklären sich hieraus
die physischen Erscheinungen, welche eine angestrengte
Geistesthätigkeit begleiten und ihr nachfolgen. Jedes
anhaltende und mit Nachdruck fortgesetzte Denken näm-
lich nimmt die physischen Kräfte dergestalt in Anspruch,
dafs während desselben die meisten körperlichen Be-
dürfnisse schweigen, und fast alle Funktionen, nur mit
Ausnahme des Kreislaufs und Athmens auf einen ge-
ringeren Grad des Wirkens herabgesetzt werden. Der
leere Magen fordert nicht durch Hunger zum Essen
auf, und genossene Speisen bleiben unverdaut. Die
im Darmkanal und in der Urinblase angehäuften Aus-
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XLIV
wurfsstoffe üben einen schwachen, leicht zu unterdrük- "
k enden Reiz zu ihrer Entleerung aus, daher die häu-
figen Stuhlverstopfangen und Urinverhaltungen bei den
Gelehrten. Der Geschlechtstrieb wird gänzlich zum
Schweigen gebracht, und die Muskelthätigkeit geht in
einen Zustand von Trägheit über, welche jede kräftige
willkührliche Bewegung nur , mit Beschwerde zuläfst.
Ja nach einer zur höchsten Energie gesteigerten und
lange Zeit durchgesetzten Geistesthätigkeit stellt sich
eine so allgemeine Ermattung, selbst Erschöpfung ein,
dafs jedes andere Bedürfnifs dem Verlangen nach Ruhe
weichen mufs, und sich erst nach hinreichender Erquik-
kung durch dieselbe anmeldet.
Umgekehrt unterbricht die Verdauung das rege
Wirken- der Seele, deren Vorstellungen, Gefühle und
Triebe dann bedeutend an Stärke und Lebhaftigkeit
verlieren, oder diese nur mit Mühe, und jederzeit auf
Kosten der Verdauung wiedererlangen. Ein ungezü-
gelter Geschlechtstrieb ist die stärkste Fessel aller freien
. Geistesthätigkeit, so dafs er die Seele durchaus nicht
zur Besonnenheit gelangen läfst. Eben saVmacht eine
starke Anstrengung der willkührlichen Muskeln zum
tieferen Nachdenken während derselben unfähig. Die-
ser Antagonismus zwischen der Geistesthätigkeit und
den genannten körperlichen Funktionen läfst sich nicht
anders erklären, als dafs das Gehirn als Seelenorgan
mit allen übrigen körperlichen Systemen durch eine
. gemeinschaftliche und gleichartige Lebensthätigkeit in
Wirksamkeit gesetzt wird. Da nun diese Lebensthä-
tigkeit wie alle physischen Kräfte nur in einem bestimm-
ten Maafse oder Gröfsenverhältniis vorhanden ist, wel-
ches wir als ihre Summe bezeichnen; so folgt hieraus,
dafs diese Summe nicht zur gleichzeitigen und gleich-
mäfsigen Verrichtung aller jener Funktionen ausreicht,
welche daher nur der Reihe nach vollzogen werden
können.
»
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XLV
Da ferner die Seele eben durch ihre gesteigerte
Wirksamkeit auf eine so entschiedene Weise die Rich-
tung der Lebensthäligkeit bestimmt, und sie dergestalt
sich unterwürfig macht, dafs sie nach jenem physischen
Gesetz des Antagonismus die tbierischen Begierden und
Bedürfnisse zügelt und beschränkt ; so mufs eine ächte
Geisteskultur, indem sie eine edlere Richtung des phy-
sischen Lebens dauernd erhält, demselben in seinem
inneren Verhältnifs bleibend einen ganz anderen Cha-
rakter verleihen, als wenn die sinnlichen Triebe unge-
hemmt walten können. Denn darin unterscheidet der
Mensch sich wesentlich von den Thieren, dafs das Ver-
hältnifs seiner physischen Kräfte auf die verschieden-
artigste Weise gestaltet werden kann; während bei
letzteren die Lebensäufserungen einen durchaus gleich-
förmigen Charakter in jeder Species an sich tragen,
so dafs ein Individuum sich nicht vor den andern durch
eine gröfsere Entwicklung der Muskelkräfte, oder der
Verdauung, oder des Geschlechtstriebes merklich aus-
zeichnet. Und die Seele des Menschen, welche dem
körperlichen Leben sein eigentliches Gepräge unter
zahllosen individuellen Verschiedenheiten aufdrückt, sie
sollte nicht ein bildendes Princip desselben sein, weil
die Schule es für gut befunden hat, sie zu einein Ens
metaphysicum zu machen, dem jede Wirkung ins Phy-
sische abgesprochen werden müfste?
Wenn diese Thatsachen das Grundverhäilnifs der
Lebensthätigkeit enthüllen, welche dem geistigen Prin-
cip ab Substrat oder Vehikel untergeordnet ist; so
wird hieraus zugleich im Allgemeinen verständlich, auf
welche Weise überhaupt die Seele den Körper zu be-
herrschen vermag. Denn es läfst sich leicht darthun,
dafs ihr jene Lebens- oder Nerventhätigkeit bei der
Bildung der Vorstellungen dienstbar ist, deren Form
immer, und selbst bei den Sinnesanschauungen durch
die Denkgesetze bestimmt wird, folglich der Entstehung
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XLVI
»
nach von ihnen abhängig ist. Also indem das Denk-
vermögen die einzelnen Vorstellungen hervorbringt,
mufs es auch die dazu mitwirkende Nerventhätigkeit
völlig beherrschen, und sich aneignen, daher denn auch
letztere, wenn sie durch irgend einen starken physi-
schen Reiz, z. B. durch übermäfsigen Weingenufs, all-
zusehr aufgeregt wird, sich der Leitung durch den Ver-
stand entreifst, ihn gleichsam unterjocht, und ein Ge-
wirr ungeregelter Vorstellungen erzeugt. Diese kurz
angegebenen Thatsachen beweisen es auf das Bestimm-
teste , dafs allen Vorstellungen zwei Faktoren, ein gei-
stiger und ein physischer, zum Grunde liegen, dafs es
also durchaus einseitig ist, wenn man bei ihrer Erklä-
rung nur den einen oder andern in's Auge fafst, weil
keiner ohne den andern etwas auszurichten vermag.
Diesen Fehler haben sich eben sowohl die Philosophen
zu Schulden kommen lassen, wenn sie das Denkge-
schäft blos auf die Logik zurückführen wollten, als
die Physiologen, wenn sie bei demselben mit der dürf-
tigen Lehre von der Sensibilität auszureichen glaubten,
welche wohl das Bild einer organischen Regsamkeit
in den Nerven, keinesweges aber die Erklärung von
der Entstehung zahlloser, durch eigenthümliche Merk-
male unterschiedener, und nach diesen in den mannig-
fachsten Ordnungen und Reihefolgen verknüpfter Vor-
stellungen verschaffen konnte. Denn diese zu bestim-
men und zu sondern ist allein ein Werk des Verstan-
des. Einstimmiger waren die Physiologen darin, dafs
sie die Kraft, Dauer, Richtung, Gruppirung, kurz alle
wesentlichen Bedingungen der Muskelthätigkeit von
der Willensbestimmung ableiteten, oder aus dunkeln
Bewegungsvorstellungen erklärten, deren Fertigkeit ei-
nem, dem Gedächtnifs analogen Vermögen zugeschrie-
ben werden mufste.
Stellt man alles bisher Gesagte unter einem um-
fassenden Gesichtspunkt zusammen; so mufs es nicht
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XLVII
I
•
wenig befremden, dafs die meisten neueren Aerzte dar-
auf ausgingen, die Physiologie zu entseelen, und sie
dadurch eines ganz unentbehrlichen Erklärungsprincips
zu berauben. Es giebt nichts Schwankenderes und
Dürftigeres als der in den gewöhnlichen Kompendien
vorgetragene Begriff der Sensibilität, aus welchem man
so wenig etwas zu machen wufste, dafs man sich dar-«
über stritt, ob dieselbe von einem Imponderabile ab-
hängig, ob sie eine Wirkung der blofsen Struktur und
Mischung der Nerven, eines feinen Fluidums, ein Produkt
mechanischer Impulse, ob sie eine Modifikation der
allgemeinen Lebensthätigkeit, ob sie identisch mit der
Irritabilität oder von ihr verschieden, oder was sie sonst
sein möge. Uebrigens erscheint die Seele immer als
ein blofser Parasit des* Körpers, welcher von dessen
besten Kräften zehre: und wenn von ihrem Einflute
auf denselben die Rede ist, so hebt man geflissentlich
die zerstörenden Wirkungen der Leidenschaften her-
vor; man gefällt sich darin, die schwache Gesundheit
der meisten Gelehrten als einen Beweis der ausmer-
gelnden Kraft des Geistes geltend zu machen; kurz
man hat nichts verabsäumt, um das Verhältnifs der
Seele zum Körper als ein recht feindseliges und irra-
tionales darzustellen.
Die nachtheiligen Folgen, welche aus einer sol-
chen Betrachtungsweise für die praktische Medicin sich
ergeben mufsten, sind auch nicht ausgeblieben, da man
sich vergebe ns nach einer gründlic hen Anl eitung zu der
psych ischen Heilme thod e umsehen wir d. Denn so lange
lIie~Physiologie ihre höchste Aufgabe nicht begriffen*
hat, das geistige und körperliche Leben im Einklänge*
darzustellen; so lange man im Gegentheil die Seele
in eine so entfernte Beziehung zum Körper stellt, als
wenn sie sich gerade auf dieselbe Weise wie die At-
mosphäre, die Nahrungsmittel, Arzneien und Gifte zu
demselben verhielte: kann man nicht zu einem deutli-
Digitized by Gdögle
XLVIXI
chcn Vcrständnifs der psychischen Heilaufgabe gelan-
gen, welche der Arzt dadurch lösen soll, dafs er sich
eine besonnene sittliche Herrschaft über das Gemüth
des Kranken erwirbt, um dasselbe in eine, der Gene-
sung förderliche Stimmung zu versetzen. Kaum hat
die Leidenschaft einen Krampf, ein Fieber erzeugt, als
man auch letztere schon als selbstständige Vorgänge
betrachtet, an deren fernerem Verlauf jene keinen An-
theil mehr habe. Sie soII, N wie man sich sinnreich auszu-
drücken glaubt, in ihrer physischen Wirkung erloschen
sein , deren Charakter nicht von ihrer dauernden Theil-
nahme zeuge ; und wenn man auch nicht ableugnet, dafs
neu erwachte Leidenschaften manche Störungen herbei-
führen können: so hält man doch die ernste moralische
Disciplin in Krankheiten für unausführbar, weil dann
das Gemüth durch jene zu sehr angegriffen werde. Der
Kranke hat daher das Privilegium, mit Eigensinn, Lau-
nen, Ungehorsam, mit Wankelmuth, der zwischen Trotz
und Verzagtheit, zwischen übertriebenen Hoffnungen
und Verzweiflung hin und wieder schwankt, sich und
anderen das Leben schwer zu machen, die wohlbe-
rechnetsten Heilpläne zu durchkreuzen, und durch jähe
Uebergänge von einem Extrem des Gemüthszustandes
zum andern die innerste Verfassung der Lebenskräfte
dergestalt zu zerrütten, dafs alle Heilvorgänge, welche
in ruhiger Entwicklung fortschreiten sollten, unter-
brochen werden. Der bessere Arzt mufs sich in sol-
chen Fällen erst die Befugnifs nehmen, dem Kranken
ernst die Wahrheit zu sagen, und verliert dadurch mit
dem Vertrauen des Verzärtelten leicht die Gelegen-
heit, ihm nützlich zu werden. Nun wird von Basen
und Klatschweibern, von Zungendrescbern und Ohren-
bläsern eine Berathung gehalten, und der Arzt mufs '
sich mit Muth waffnen, um der heimlichen und offenen
Verleumdung die freie Stirn zu bieten. Dies ist aber
nicht jedes Arztes Sache, denn mancher zieht es vor,
sich
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XLIX
sich in alle Prätensionen des Kranken zu fügen. Glück- / /
lieh, wenn es ihm noch gelingt, sich denselben als
einen Plagegeist dadurch vom Halse zu schaffen, dafis
er ihn ins Bad schickt; aber da dieser alle seine Un- *
arten wieder mit nach Hause bringt, so geht die alte
Noth wieder von vorn an. Endlich wenn das ganze
Arsenal einer reich ausgestatteten Apotheke erschöpft,
alle Kriegslisten abgenutzt sind, tritt der Arzt seine
unrühmliche Rolle an einen Nachfolger ab, der dann
aufser der eingewurzelten Krankheit noch alle Nach-
wirkungen zwecklosen Kurirens zu bekämpfen, und einen
ganz irre geleiteten Murrkopf zu ertragen hat.
Soll ich erst die Opprobria medicorum , Hypo-
chondrie, Hysterie, Epilepsie, kurz alle Nervenkrank-
heiten nennen, um daran zu erinnern, dafs dieser T heil
der Heilk unde z um Erbarmen übel berathen ist? Was
bleibt dem materialistischen Arzte, wenn er Stockun-
gen im Pfortadersystem gelöset, zurückgetretene Hä-
morrhoiden, unterdrückte Menstruation wieder herge-
stellt, gichtische und exanthematische Metastasen nach
ihrem ursprünglichen Sitze zurückgeführt, und alle mög-
lichen Antispasmodica und Narcotica unter allen For-
meln, welche die beliebten Recepttaschenjmcher ihm
vorschreiben, gebraucht hat; was bleibt ihm nach end-
losem Bemühen übrig, wenn die hartnäckige Krank-
heit doch nicht weicht? Nun erst werden Klagen über
das Dunkel, in welches der Homo internus mit seinen
Gebrechen sich hüllt, angestimmt; und da man sich
einmal in das Mysteriöse verirrt hat, so kommt die
Reihe wohl auch an den Magnetismus, damit der durch-
leuchtete Clairvoyant mit Orakelsprüchen den staunen-
den Arzt in die Wunder eines prophetischen Magens
und eines räsonnirenden Sonnengeflechts einweihe.
Wie kann es aber - auch anders kommen, wenn
man nur grobe Stoffe und deren Mifsverhältnisse kennt,
aber von dem geistigen Walten und Weben des Lc-
Suhl's Theorie d. Heilk. ffl. d
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L
bens so wenig einen Begriff hat, dafs man dasselbe
geradezu ableugnet, oder es für ein unerklärliches, an
kein erkennbares Naturgesetz gebundenes Wirken hält?
Denn wo es keine richtige Erkenntnifs, d. h. kein Ver-
ständnifs der Erscheinungen nach ihren, vom Geiste
deutlich aufgefafsten, ursachlichen Bedingungen giebt;
da ist natürlich auch an kein planmäfsiges Handeln zu
denken. Dafs der an tieferer Bedeutung so arme Be-
griff der Sensibilität zur Erklärung der krankhaften
Erscheinungen, die wir zunächst auf das Nervensy-
stem beziehen müssen, nichts leiste, wird man bei Be-
trachtung der mageren Wortdefinitionen deslrreredens,
der krankhaften Empfindungen und Krämpfe bald inne,
und viele Schriftsteller von gemäfsigten Ansichten ha-
ben dies auch so Wohl begriffen, dafs sie sich auf eine
nähere Bestimmung der genannten Krankheitszustände
gar nicht einliefsen, sondern nur ihre entfernten Ursa-
chen, und die, allgemeinen konstitutionellen Bedingun-
gen angaben, unter denen jene auftreten. Hieraus ging
die besonnene Regel hervor, dafs erst die erweislichen
Ursachen entfernt, vorhandene Komplikationen besei-
tigt, und die auf empirischem Wege nützlich befunde-
nen Antispasmodica nach sorgfältiger Berücksichtigung
der Konstitution und anderer Lebensverhältnisse ausge-
wählt werden müssen, insofern nämlich die narkoti-
schen Mittel bei Kindern überhaupt, und die reizen-
den und erhitzenden JServina bei vollblütigen, irrila-
beln, zu Kongestionen nach dem Kopfe geneigten Per-
sonen höchst schädlich sind. Diese Methode hat we-
nigstens den negativen Vortheil, dafs sie der sinnlosen
Pfuscherei mit heftig wirkenden Arzneien steuert, und
dem Naturwirken durch Entfernung aller Hindernisse
einen freien Spielraum verschafft; aber ihr positiver
Nutzen ist gering, da man fast niemals die Wirkung
der Nervenmittel vorherbestimmen, und bei ihrem Ge-
• • •
■
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s
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brauch sich nur durch die Indicatio ex juvanlibus et
nocentibus leiten lassen kann,
"Wäre hier nur die Rede von einigen, zum Theil
seltenen Krampfformen, und von dem fieberhaften und
sympathischen Irrereden, welches allerdings nur eine
untergeordnete Rolle in den Gruppirungen von Krank-
* heitserscheinungen ß.w spielen scheint, denen es sich zu-
zugesellen, und mit denen es zu verschwinden pflegt;
so könnten wir uns allenfalls mit dem Wenigen be- j
gnügen , was wir davon wissen. Aber in diesen dun- /
kein Winkel der Heilkunde hat man gerade ihre wich-
tigste Aufgabe geworfen, durch deren glückliche Lö-j
sung sie einen würdigen Antheii an der heiligsten An-\
gelegenbeit der Menschen, an der Pflege ihrer sittli-
chen Anlage, erworben hätte. Dafs hiermit die Seelen- ,
heilkunde gemeint sei, brauche ich wohl kaum auszu-
brechen. EeTJer^Gsscn wir aber bekennen, dafs die
Aerzte diese schöne Gelegenheit nur dazu benutzt ha-
ben, ein Labyrinth der widersprechendsten Hypothe-
sen anzulegen, in den Irrgängen desselben den Wahr-
heitssinn durch die gewagtesten und ungegründetsten .1
Behauptungen zu blenden, und die ethischen Begriffe, /
welche sich in ihren Materialismus nicht fügen wollten, ^
auf mannigfache Weise zu verfälschen.
Denn da man sich das Wort gegeben hatte, wirk-
liche Seelenkrankheiten, *j. h. ursprüngliche Mifsver-
hältnisse der geistigen Kräfte zu leugnen, um sich nicht,
wie man sich ausdrückte, aus der Arzneiwissenschaft
in das Gebiet der Metaphysik, Theologie und Moral /
zu verirren; da man also den Wahnsinn nur als ein
idio pathisches oder k onsensue lles Leiden des Seelen-
org ans auffassen w ollte, mirdessen üntternung der
richtige Verstandesgebrauch eben so gut, wie nach ei-
nem überstandenen Nervenüeber wiederkehren müsse:
so waren die Begriffe Wahnsinn und Irrereden im we-
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LH
sentlicben Sinne identisch, folglich jener eben so un-
begreiflich, wie letzteres. Nun verstand es sich von
selbst, dafs der Geisteskranke sich alle Kuren gegen
Körperleiden gefallen lassen mufste, die nicht in ihm,
sonder n nur in^ der Phantasie des Arztes^vörhänden
waren, und dafs er häufig" seine physische Gesundheit
verlor, die er, allen Hypothesen zum Trotz, wirklich
j besafs, ohne die geistige wieder zu erlangen. Nun wa-
ren alle jene empirischen Gewaltmittel gerechtfertigt,
deren Kritik ich mich hier gern tiberhebe, und zu de-
ren Ergreifung nur das Verzweifeln an jeder anderen
Hülfe den Antrieb geben konnte. Da man sich ferner
gegen eine Grundlage der Seelenheilkunde von ethi-
schen Begriffen sträubte, und diese Weigerung auf eine
recht einleuchtende Beweisführung stützen wollte; so
mufste man Fälle ausfindig machen, wo die unbeschol-
tensten Menschen durch die Gewalt körperlicher, wenn
gleich verborgener Zustände der Besinnung beraubt
worden waren. Diese Entdeckung blieb nicht aus,
da man allemal finden kann, was man sucht; und so
wurden wir mit Krankheitsformen bekannt, deren eine
1 immer unbegreiflicher, wie die andere ist, ich meine
die Amentia occulia und die Mama sine delirio.
• — — - * — .
Was hier in den grellsten Zügen ausgesprochen
war, nämlich ein unerkennbares, gewaltsames Leiden
des Seelenorgans, welches den Geist ganz unwidersteh-
lich mit sich fortreifse, und ihn völlig seiner Selbst-
ständigkeit beraube; das sollte in gleicher Bedeutung
von allen Seelenkrankheiten gelten, die zwar häufig
von Leidenschaften venmJafetjwiiH^
. ^eja_Fortwj rken derselbe n erklärt werden Ttölmterr; da
der Wahnsinn den früheren sittlichen Charakter des
Kranken und seine gesammte Gefühls- und Denkweise
y öllig^umgest alte. Hätte man nicht ein- für allemal jede
psychologischer Deutung der Geistesstörungen von der
Hand gewiesen; so würde man bald zu der Ucber-
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zeugung gelangt sein, dafs letztere Behauptung geradezu
falsch ist, da eine unbefangene Beobachtung Wahnsinni-
ger die Uebereinstionnung der wesentlichen Züge ihrer
dermaligen Gemüthsverfassung mit ihren früheren leiden-
schaftlichen Zuständen bald 'wahrnimmt.
Vergebens suchte ma n die in die Au gen spri ngend e
Thatsache zu umgehen, dafs die Tobsucht als der höch-
ste Grad _dej*j!£kränkten Ehrgeizes, der unbefriedigten
Bachsucht, in ihrer Aeufserungsweise diesen früheren
Gemüthszus tänden völ lig analog ist: dafs die Me lanch o-
lie alle Züge des Grams, der Beue, der getäuschten
Hoffnungen entlehnt, aus denen sie ents pringt; dafs
der eitle Narr, der unkluge Projektenmacher, der fah-
rende Glücksritter im Wahnsinn nur die früheren Thor
Leiten zur Beife bringt, und sie öffentlich zur Schau
stellt, nachdem er bisher heimlich über ihnen gebrütet
hatte. Eben um das Geschäft eines ernsten Sittenrich-
ters los zu werden, welches freilich auf dem Markte
des Lebens keinen glänzenden Beifall erwirbt, scheute
man sich den Schleier zu lüften, den die Angehörigen
des Geisteskranken so gern über sein vergangenes Le-
ben werfen, und wetteiferte mit ihnen in der Entschul-
digung seiner früheren Unarten und sittlichen Gebre-
chen, die man höflich einem zu hitzigen oder zu schwer-
müthigen Temperamente, einem zu warmen Pflicht- oder
Ehrgefühl, einem herben Geschick aufbürdete.
Heifst es aber nicht geradezu den Begriff der sitt-
lichen Kraft entstellen, wenn man die Selbstbeherr-
schung, mit welcher der Mensch seine Besonnenheit
in allen Lebensverhältnissen behaupten kann, ein Ideal
nennt, welchem sich zu nähern nur hochbegabten Men-
schen möglich sei, während die anderen dem guten
oder bösen Zufall preis gegeben seien, ohne sich durch
ernstes Streben nach unabhängiger Gesinnung dagegen
waffnen zu können? Liegen etwa in der Weltge-
schichte die verderblichen Folgen der Leidensc haften
LIV
i
hoch nicht offen genug vor Augen, um darüber in Zwei-
fel bleiben zu können, ob man sie im Sinne der St oi-
ke r wirklich Krankheiten fler Seele nennen müsse, die
sich nur dem Grade nach vom Wahnsinn entfernen?
Oder will man sTe7 weTcTTe~~äTIe natürlichen guten An-
lagen des Gemüths zerstören, immer noch mit den Stür-
men vergleichen, durch die ein stockender Luftkreis in
heilsame Bewegung versetzt wird ? Ist die Aufgabe, den
Verirrten zur richügenjel bsterkenntnifs zu führen , da-
mit er den Ursprung des Wahnsinns in leidenschaft-
lichen Trieben vertilge, und sich zur Mäfsigung in al-
lem entschliefse , defshalb unauflösbar, weil die ver-
letzte Eigenliebe des Kranken sich dagegen sträubt, frü-
here Fehler anzuerkennen?
Doch es ist hier nicht der Ort, an die Reform einer
Wissenschaft zu gehen, welche, wenn sie sich erst von
den Fesseln verjährter Vorurtheile befreit haben wird,
die gesammte Heilkunde mit einem neuen Geiste be-
seelen, und zugleich zu der vornehmsten unter allen
Erkenntnissen, welche dem Menschen sein verhülltes
Innere offenbaren soll, die wichtigsten Beiträge liefern
wird. Jetzt kann es nur meine Absic ht sein, darauf
hinzudeuten, daf s^tahTs Lehr e in ihrer Entwickel ung
polh w endig zur wahre n Seelenhcilkunde führen mufs.
Fast jeder Satz in dem Kapitel von de n Deliri en enthält
neue und fruchtbare Wahrheiten, die er mit dem Griff
des Genies aus ~3em JJunkel hervorzog, welches die
geheimni fsvollsten Vorgänge des Lebens umhüllt. Er
selbst ahnte ihre grofse Bedeutung nicht, und verfhu-
, thete nicht, dafs sie dereinst die Grundlage einer wis-
senschaftlichen Seelenheilkunde bilden würden, an de-
ren Möglichkeit er i n seinem Widerwillen gegen die
metaphysisch- oder materialistisch-psychologischen Grü-
beleielPdCT~damaligen Zeit nicIiTeu^ Viei-
raehr stellt er sie mit der Unbefangenheit eines absichts-
losen Gemüths nur als nothwendige Folgerungen sei-
I
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XV
ner Theorie hin, und legt ihnen weiter keinen Werth
bei, als dafs sie dem Irrereden eine verständliche Seile
abgewinnen sollen, ohne dafs diese Erklärung einen
besondern praktischen Nutzen hätte, wefshalb er sich
auch mit einigen allgemeinen Winken begnügt, um sich
nicht zu weit in ein völlig unbekanntes Gebiet zu
wagen.
Eben aber des nothwendigen Zusammenhanges we-
gen, in welchem diese Fundamentalsätze der Psychia-
trie mit seiner allgemeTneri medicinischen Theorie ste>
Ben, mufs man letztere als Jen Standpunkt bezeichnen,
auf welchem allein der Irrenarzt sich in seinem laby-
rinthischen Gebiete orientiren kann. Dejin_jiejieJ^
durch welche die ineigtm. Physiologen Geist und Kör-
per von jesder^nim^ und inner-
lichen Wechselwirkung geschieden haben, ist gerade
der bodenlose Abgrund, in welchen die gangbaren Er-
klärungen des Wahnsinns versinken. Man kann es mit
Suhl völlig dahin gestellt sein lassen, ob die Seele
un d da s Lebensprincip wirklich identisch sind, oder
nicht, ohne im Geringsten an jenef~engstef Gemein-
schaft beider zu zweifeln, vermöge welcher sie sich in
der ganzen Ausdehnung ihres Wirkens gegenseitig und
im geraden Verhällnifs ihrer Kraftäufserungen bedin-
gen. Bestreitet man aber diesen innigen und unauf-
löslichen Zusammenhang ihres Wirkens, gewöhnt man
sich, die Erscheinungen, welche aus demselben als ge-
meinsame Produkte beider eng verbundenen Faktoren
hervorgehen , in zwei abgesonderte Reihen zu stellen,
dergestalt, dafs man die Thatsachen des Bewufstseins
in einer abstrakten Psychologie gänzlich von der phy-
siologischen Lehre der Lebensthätigkeit trennt, wie dies
noch in ganz neuer Zeit mit der gröfsten Strenge ver-
sucht worden ist; so mufs man nothwendig die wahr-
nehmbaren Störungen der Lebensthätigkeit im Wahn-
sinn als selbstständige Vorgänge auffassen, dergleichen,
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LVI
wo sie sich nicht sinnlich nachweisen lassen, erdichten,
und das Irrereden, weil in den gewöhnlichen psycho*
logischen Kompendien keine Erklärung dafür aufgefun-
den werden kann, für einen blofsen Reflex des angeb-
lichen Körperlcidens halten.
Wenn man aber das irre BewuLstsein als Aus-
druck eines leidende n Seelenorga ns zu einem blofs en
Spiegel krankhafter Vorgänge im Körper machen wiQ,
wie auch der'Traum mannigfache physische Zustände
durch chaotische Dichtungen gleichsam symbolisirt, so
dafs z. B. Beengung in den Präkordien von einem
trägen Blutumlauf oder von verzögerter Verdauung im
Schlafe das Alpdrücken mit seinen wunderlichen Täu-
schungen hervorbringt; woher kommt es denn, dafs der
Geisteskranke seine Wahnvorstellungen nicht nur oft
mit grofser Folgerichtigkeit zu einem System ausbildet,
an welchem also das an. logische Gesetze gebundene
Denken den unverkennbarsten Antheil nimmt, sondern
dafs auch die fixe Idee sich der ganzen früheren Denk-
und Handlungsweise, in so weit sie mit derselben
nicht im geraden Widerspruch steht, einverleibt? Es ist
also grundfalsch, das^ irre Bewufstsein in Bezug auf
di e Seele ein passives zu nennen, da diese durch ihr
angeblich krankes Organ nicht in ihrer Thätigkeit ge-
hemmt wird ; und mufs man dies einräumen, so ist man
auch genöthigt, die Behauptung aufzugeben, dafs die
Wahnvorstellungen blofse Reflexe eines körperlichen
Leidens seien.
Wohin eine solche Verwirrung der Begriffe, eine
so unnatürliche Trennung des eng Verbundenen, ein
absichtliches Verzichtleisten auf psychologische Erklä-
rung der Wahnvorstellungen aus fortherrschenden Lei-
denschaften führen müsse, liegt in den meisten Kom-
pendien der Seelenheilkunde am Tage, die sogar ihren
Namen mit Unrecht trägt, so lange sie den Geist für
eine untheilbare Monade ausgiebt, welche krankhaften
Zu,
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LVII
Zuständen aus dem Mifsverhiiltnifs mannigfacher Kräfte
nicht ausgesetzt sein kann. Wenn umgekehrt cliejiiehr.-
erwähnte innige Verbindung zwischen Seele und Leib
und die aus ihrer vollständigen Wechselwirkung her-
vorgehende Uebereinstimmung ihrer Kraftäufserungen
dq n Schlüssel z u den p athologischen Erscheinungen
Wahnsinns giebt, in sofern irömlichl Ter Körper in sci-
nen Erregungszuständen sich nac h der jedesmalige n Ge-
mütbsverfassung richtet, so wie umgekehrt diese in
einem gewissen Grad e durch jene bestimmt wir d; so
müssen wir Stahl afs den wahren Begründer dieser
allumfassenden Lebensdarstellung verehren. Denn wes-
sen Scharfsinn ist tiefer in das innerste Gewebe gedrun-
gen, in welchem die geistigen und körperlichen Kräfte
sich mit einander verflechten? Wer hat nachdrückli-
cher den hohlen Metaphysicismus zurückgewiesen, wel-
cher jede Erkenntnifs auf diesem Gebiete mit der Be-
hauptung der Unvereinbarkeit von Geist und Körper
wegen absoluter Verschiedenheit ihrer immateriellen und
materiellen Natur unmöglich machte? Wer hat es bes-
ser verstanden, die innersten Lebenszuslände und Vor-
gänge von allen materiellen Hüllen zu entkleiden, um
sie als Analogieen des geistigen Wirkens zu bezeich-
nen? Wer hat diese Analogieen in unverkennbaren
Erscheinungen zu einer helleren und ' schärferen An-
schauung gebracht, um zu zeigen, wie das im geistigen
Leben so m^clUigc Gesetz der Gewohrme it im k.örpcr-
lichcn eine eben so ausgedehnte Anwendung lind e ; wie
«las Streben nach Zwecken, nach Vereinigung von Mit-
teln zu ihrer Erreichung eben so wohl in diesem als
in jenem hervortrete ; wie das Leben, gleichviel ob gei-
stiges oder^ körperliches, in wohlgeregelter Ordnung
fortschreiten müsse, uncT wfeZsej n Entwickelung sgang^
durch leidenschaftliche Zustände sei nes Princips, deren
Modifn\ationen^3er inne nTSinn im Gcmüthe so deutlich
wahrnimmt, auf vielfältige Weise gehemmt, unterbro-
Stahl'aTbeorie ä. Heilk. III.
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LVIII
chen, irre geleitet, auf immer zerstört werde? Alles
dies erläutert Stahl auf eine anschaulich thatsachliche
Weise, die jeden Zweifel ausschliefst; und wenn die
materialistischen Aerzte ihn so gänzlich mifsv erstanden,
dafs sie diese, das tiefste Geheimnifs der Physiologie
beleuchtenden Analogieen ihm als eine Mystifikation
vorwarfen, durch die er jede gesunde Erkonntnifs ver-
drängen wolle; so haben sie damit deutlich dargethan,
dafs sie gar nicht wufsten, wovon die Rede sei. Mö-
gen wir uns einen gleichen Irrthum nicht mehr zu Schul-
den kommen, sondern die Fackel des Reformators uns
in einer Wissenschaft vorleuchtcn lassen, die nur darum
in Dunkel verhüllt blieb, weil man jene auslöschte.
Mit diesem frommen Wunsche schliefse ich die
Vorrede, deren Länge die Wichtigkeit der grofsen An-
gelegenheit entschuldigen möge.
Berlin, im May 1832.
Ideler.
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Inhalt.
Theorie der Heilkunde. Dritter Theil. Nosologie.
Seite
Erster Abschnitt. Von den einzelnen Arten der
Blutilüsse und den mit ihnen zunächst in Ver-
bindung stehenden Krankheiten 5
Erstes Kapitel. Von dem krankhaften Nasenbluten . 6
Von dem Schleimflufs aus der Nase 13
Zweites Kapitel. Von der Lungenblatung . . . . 16
§.1. Vom Husten * . . . 22
§. 2. Von der Schwindsucht 29
Drittes Kapitel. Vom Blutbrechen ....... 36
)( §. 1. Von der Hypochondrie . 38
§. 2. Von dem schwarzen Erbrechen 55
Viertes Kapitel. Von den Hämorrhoiden 57
§. h Vom Hüftweh 70
Fünftes Kapitel. Von den Fehlern der monatlichen
Reinigung « 76
§.1. Von der Hysterie J9§xs
Sechstes Kapitel. Vom Blutharnen 104
§. 1. Von der Nephritis 106
§. 2. Von dem Nieren- und Blasenstein .... 118
Siebentes Kapitel. Von den durch äulsere Verletzun-
gen entstandenen Blutflüssen 136
Achtes Kapitel. Von der Unterdrückung der Blutflüsse 142
§. 1. Von der Wassersucht 143
§. 2. Von der Kachexie 150
§. 3. Von dem Oedem . . . . • 157
Neuntes Kapitel. Von den unregelmäfsigen Blutflüssen 163
Seite
Zweiter Abschnitt. Von den speciellen konge-
stiven Krankheitszustäudcn 176
Erstes Kapitel. Von den kongestiven Schinerzen . . 178
§. 1. Von dem kongestiven Kopfschmerz . . . . 179
§. 2. Von der Cephaläe 182
§. 3. Von den katarrhalischen Kopfschmerzen . . 191
Zweites Kapitel. Von dem Rhenraalismns .... 195
Drittes Kapitel. Von den entzündlichen Zuständen . 199
§. L Von der eiterhildenden Entzündung .... 200
§. 2. Von der Gangrän 207
§. 3. Vom kalten Brande . 208
§. 4. Von dem Geschwür 216
. §.5. Von dem Furunkel und Karbunkel .... 221
^Viertes Kapitel »)• Von den Krämpfen 225
§. 1. Von dem einfachen, dem cynischen Krampf und
dem krampfhaften Asthma 226
§. 2. Von derJEpilepsie . 233
^Fünftes Kapitel. Voii den 'krampfhaften , gichtischen
Schmerzen . ; . . . 248
Sechstes Kapitel. Von dem Mangel der Bewegung . 373
Siebentes Kapitel. Von den Fehlern der festen Theile 284
V Achtes Kapitel. Von den Delirien ....... 289
Neuntes KapiteL Von den Giften TT 296
1 ) Aus Versehen sind im Texte falsche Nummern der Kapitel angegeben,
welche man nach dem Register zu berichtigen bittet.
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Theorie der Heilkunde.
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Dritter Theil.
Nosologie.
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Stahl's Theorie d. Hellk. III. s 1
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Im vorigen Theile habe, ich darzulegen mich bemüht, in
wdchem Zusammenhange die«, widernatürlichen Zustande
des Körpers sieh gegenseitig bedinge»; in weicher, der
naturgemäßen Verfassung entsprechenden Ordnung sie sich
entwickeln; und wie mannigfach sie aus den einfachsten
Veränderungen und Störungen, zu denen alle, besonders
aber die vornehmsten Organe des Körpers vermöge ihrer
materiellen Beschaffenheit sieh- hinneigen, sich ganz ein-
fach ergeben können und wirklich entstehen. Bei diesen
Erörterungen habe ich vorzüglich den medicinischen Zweck
ins Auge gefafst, in wiefern nämlich die Erkcnntnifs der
innigen Verbindung, in welcher die einzelnen Krankheits-
arten mit ihren Ursachen und Quellen stehen, dazu Anlei-
tung geben mufs, durch Aufsuchung und Entfernung der
letzteren eine gründliche und dauerhafte Heilung jener zu
bewirken, ja selbst ihnen kräftig vorzubeugen, wodurch
das eigentliche Heilverfahren sich wesentlich von einer ver-
gänglichen Milderung und palliativen Unterdrückung der
Krankheiten unterscheidet.
Jetzt liegt es mir ob, nachzuweisen, durch welche
Eigentümlichkeiten die einzelnen Krankheitsarten sich aus-
zeichnen, aber auch in welchen gemeinschaftlichen Bedin-
gungen sie übereinstimmen, theils mit jenen allgemeinen
Krankheit8zuständcn, und zwar in Bezug auf Ordnung,
Zeit, Bedeutsamkeit, theils mit anderen Kraukheitsarten,
V
i
zu denen sie in einem Wechsel- oder Kollateral- VerhSlt-
nifs stehen , mit denen sie also entweder gleichzeitig vor.
kommen, oder in welche sie durch Metaschematisnius über-
gehen.
Diese Betrachtungen bezeichnen die Richtung, welche
die ärztliche Praxis einschlagen mufs, und bewahren sie
vur dem herrschenden Irrthum, die Wirkungen der Krank-
heit abgesondert zu beträchten, und als solche unterdrucken
zu wollen, wodurch oft andere und gefährlichere Krank-
heitsformen hervorgebracht werden, also die Kunst dem
Leidenden wahren Schaden zufugt. Ist aber letzteres ge-
schehen, so wird der Arzt aus jener gründlichen Einsieht
■richtig darüber urt heilen und zu einem Wahren Heilver-
fahren Überhaupt gefeageb können; ■« » • -
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Erster Abschnitt.
Von den einzelnen Arten der Blut-
flüsse und den mit ihnen zu-
nächst in Verbindung stehenden
Krankheiten. • •
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• <»• •• » ■ » n i. ,
• _.••»!• , • . . . , m
Es wurde im vorigen Thcile dargethan, dafs den Bluf-
flussen zwei Gattungen von Ursachen zum Grunde liegen,
welche theils in materiellen Bedingungen, theils in Ano-
malieen der Bewegungen enthalten sind. Zu den ersteren
gehört sowohl ein bedeutender Uebcrfiufs von Blut, wei-
cUes an sich eine sehr floride BesehaiTenheit hat, als a^ich
eiue daraus entstehende Verdickung desselben. Durch diese
Bedingungen werden mannigfache ungewohnte Bewegun-
gen hervorgerufen, um das Blut auszuleeren, oder um das-
selbe aus einem Organ in das, andere zu treiben, wenn
«eine Verdickung der Fortbewegung ein Hindernifs entge-
genstellt.
Es liegt mir nun ob r zu zeigen, wie diese allgemei-
nen Bedingungen auch bei den einzelneu Arten angetroffen
werden.
Erstes Kapitel
t
Von dem krankhaften Nasenbluten,
Dafs diese Blutung, so lange sie gemfifsigt ist, und
im richtigen Verhältnis zu ihren Ursachen steht, welche
nur nicht zu fremdartig und gewaltsam sein dürfen, eben
nicht von dem Zweck der Lebenserhaltung abweicht, und
daher nicht für einen krankhaften oder passiven Ergufs,
sondern für eine aktive und wohltbätige Entleerung zu hal-
ten sei, wurde bereits erwiesen.
Wir haben es aber hier mit den Abweichungen zu
thun, durch welche gedachtes Bestreben von seinem Wege
sich verirrt, und daher eine richtige Beurtheilung und Lei-
tung nothwendig macht.
Es wurde schon bemerkt, dafs das wohlthätige Nasen-
bluten vorzuglich nur dem Knaben- und Jünglingsalter
eigentümlich ist Wenn daher dasselbe in anderen Le-
bensaltern, besonders in dem vorgerückten, zumal nach
deutlichen und Üufseren Gelegenheitsursachcn, z. B. nach
angestrengter Bewegung, ungewohntem Weingenufs, Son-
nenhitze, sich einstellt, und häufiger wiederkehrt, so er-
eiguen sich darauf vielfältige Beschwerden, welche offen-
bar dafür zeugen, dafs nicht mehr ein einfacher Blutflufs
vorhanden ist. Oder es entstehen auch zur Unzeit Nasen-
blutungen, bei denen sich ungezügelte Bewegungen unter
verschiedenen Graden von Heftigkeit, und ünter der Form
von Anstrengungen und Krämpfen offenbaren. Es geht die-
sen nicht nur aller Nutzen ab, sondern sie verlieren sich
auch in herumschweifeude Aufregungen, wobei denn auch
die Blutung sich weder an eine Regel und Zweck bindet,
■
noch angemessene Erfolge herbeiführt (
Ich stehe daher nicht an, den allgemeinen Satz auf-
zustellen, dafs das Nasenbluten, welches bei mehr als 30
Jahre alten Personen zu wiederholten Malen sich einstellt,
kaum jemals ohne eine Komplikation, sondern gewöhnlich
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t
7
in Verbindung mit bedenklicheren Zufallen, nämlich mit
rheumatischen oder wirklich gichtischen, krampfhaften oder
kongestiven Anstrengungen vergesellschaftet vorkommt.
Die hier zu betrachtenden Erscheinungen lassen sich
in 3 verschiedene Gruppen bringen.
1) Die der Blutung zum Grunde liegende Aufregung
hat einen höheren Grad erreicht, als wenn dieselbe eine
heimliche und eigenmächtige ist, und wird durch äuGsere
Reizungen bedingt. Durch häufige Wiederkehr nimmt sie
den Charakter der Gewöhnung an, und es geht dann nicht
nur zu viel Blut verloren, sondern jene Gewöhnung ver-
anlagst auch, dafs späterhin bei geringfügigen Einwirkun-
gen die Blutung zu leicht entsteht und zu unmäfsig wird.
Wenu sie dann von selbst aufhört, oder unvorsichtig vom
Arzte unterdruckt wird, so zieht sie mannigfache und ge-
fährlichere Zufalle nach sich.
2) Es giebt übermäfsige Nasenblutungen, welche von
einer erblichen Anlage abhängen, und daher jene übel be-
rüchtigte Aehnlichkeit des Kindes mit den Aeltern begrün-
den, daher man von jenem zu sagen pflegt: er sei recht
seiues Vaters Art, ein schwindsüchtiger Knabe, der sein
Alter auch nicht hoch bringen werde.
3) In anderen Fällen entstehen Antriebe zu Blutungen
bei mannigfachen Krankheitszuständen, welche von einer
in Aufwallung begriffenen, aber nicht zur Ausleerung ge-
langten Vollblütigkeit ausgehen, und welche, wenn sie
stürmisch geworden sind, endlich ein Nasenbluten zur Folge
haben. Letzteres pflegt eben so unmäfsig zu sein, als es
sich schwer heilen läfst, weil es sich leicht nach einer
noth wendig scheinenden Stopfung verschlimmert, wenig-
stens dann eine Steigerung der übrigen Kraukheitszufalle
bewirkt. Ein solches Nasenbluten beobachtet man vor-
zuglich bei gichtkranken Personen, wenn ihr heftiges Lei-
den einen hen misch weifenden Charakter hat, desgleichen
bei solchen Personen, welche vielmehr mit Tabes und Hek-
tik, als mit wirklicher Phthisis behaftet sind. Hierher
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gehört der Aasspruch der Alten, nach welchem nicht nur
die Gutta rosacea einer zu grofscn Erhitzung (incalescm-
iia) der Leber, sondern auch das heftigere Nasenbluten be-
jahrter Personen einer Leberverstopfung zugeschrieben wird.
Eben so gesellt sich ein solches krankhaftes Nasenbluten
zu anderen Krankheiten Erwachsener, welche von unge-
stümen Blutwallungen abhängen. Besonders zeigt es sich
so bei Weibern, welche über die Jahre der Jugend hin-
aus sind, und welche, wenn eine Blutung nicht zn Stande
kommt, von einem heftigen Kopfweh geplagt werden.
Wie schon bemerkt, bringt das Nasenbluten nach dem
30sten Lebensjahre keinen wesentlichen, höchstens einen
vorübergehenden Nutzen, ja, es mufs einen lästigen und
selbst gefährlichen Charakter annehmen, wenn es die Stelle
anderer nothwendigen Ausleerungen vertritt, wenn also die
ihnen zum Grunde liegenden tonischen Zusammenziehun-
gen von ihrer ursprünglichen Richtung abweichen.
Es giebt mannigfaltige Ursachen dieses abirrenden Blut-
flusses; doch sind sie meistentheils zufallig. Zwar hat das
melancholisch -cholerische Temperament, welches seine leb-
hafte Ungeduld in sich verschliefst, eine Neigung zu reich-
licheren Ausleerungen, als die Nothwendigkeit gebietet;
doch reicht eine solche Anlage für sich schwerlich aus,
ohne Mitwirkung starker Ursachen einen solchen Erfolg
herbeizuführen, oder gar die Gewöhnung daran zu begrün-
den. Zu diesen Ursachen (wobei man noch als allgemeine
innere Bedingungen eine hervorstechende Vollblütigkeit und
den Trieb zur Entleerung derselben voraussetzen mufs) ge-
hören besonders zufällige äufsere Veranlassungen, welche
den Kreislauf beschleunigen, und dadurch das Blut erhitzen
und zu stärkerem Orgasmus bringen. Vorzüglich gilt dies
daher von den nicht natürlichen Dingen, also von einer
sehr heifsen Luft, besonders wenn die Hitze mehr den
Kopf, als die unteren Theile trifft, z. B* in niedrigen ge-
heizten Stuben, bei Einwirkung der Sonnenstrahlen auf
den entblößten Kopf, Desgleichen heftige Bewegung, zu-
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»
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■ t
mal bei sitzender Lebensweise; eben so ein zu langer Schlaf,
noch mehr aber ein zu anhaltendes Wachen. Was die Ex-
kretionen betrifft, so tragen sie dazu bei, indem die dabei
obwaltende Thätigkeit sich zu sehr steigert, oder wenn
die ihnen verwandtet; blutigen Ausleerungen nicht gehörig "
von Statten gehen, und ihre Bestrebungen nach dem Kopfe
verpflanzen. Bei Weibern beobachtet man zuweilen eine
*
hartnackige Leibesverstopfung; man mufs jedoch dabei sorg-
fältig unterscheiden, ob letztere als eine vorangehende Ur-
sache, oder als eine Folge anzusehen ist; ob nämlich eine
Zusammenschnürung im Pfartadersystem obwaltet, welche
einen freien Blutumlauf in demselben verhindert, und den
Trieb desselben dem Kopfe zudrängt. Meistenteils spre-
chen alle Umstände dafür, dafs nicht sowohl die Vcrsto-
pfung von irgend einer materiellen Schädlichkeit herrührt,
sondern die Wirkung einer die ersten Wege betreffenden,
zusammenschnürenden Bewegung ist, welche man daher
nicht mit einer passiven Verstopfung verwechseln mufs.
Unter den Leidenschaften nenne ich vornämlich die
Gewohnheit, welche den gröfsten Einflufs auf solche un-
mäßige Blulflfisse hat. Denn nicht nur geht das Nasen-
bluten nach den Epochen des Alters in andere Arten von
Blutungen über, sondern letztere kehren auch nach dem
ersten Orte zurück, wenn Fehler der anderen Ausleerungs-
wege ihnen dort Hindernisse entgegenstellen, oder stark in
die Sinne fallende Reizungen die Kongestionen von dort
vertreiben, und auf die ursprüngliche Richtung übertragen.
Ueberdies suche ich die ursachlichen Bedingungen des an-
geerbten, unmäfsigen Nasenblutens, so wie aller übrigen
Krankheiten aus erblicher Anlage, in einer Bestimmung
des organischen Bestrebens (impressio inieniionalis), welche
nicht nur eine Fertigkeit, sondern auch eine eigenthümlich
fehlerhafte Richtung desselben in sich begreift. Also auch
dieser Fall gehört in das Gebiet der Gewohnheit.
Die Wirkungen des unregelmäfsigen Nasenblutens sind
keinesweges nützlich, wie dies von dem gomäfsigten und
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zur rechten Zeit erfolgeoden gilt; vielmehr bildet sich eine
regelwidrige Gewöhnung an sie aus, welche dann durch
unverhältnilsmälsig geringe Gelegenheitsursachen zu wie-
derholten, heftigen Ausbrüchen veranlafst wird. Dadurch
nimmt dieser Zustand einen immer hartnäckigeren Charak-
ter an, welcher unheilbar wird, weil, wenn man den er-
schöpfenden Blutungen durch ein dreistes Verfahren Ein-
halt thun will, sogleich drohendere Gefahren hervortre-
ten, welche durch innere Kongestionen, Entzündungen und
Verstopfungen bedingt werden. In äufseren Theilen ent r
stehen dagegen häufige und heilige krampfhaft -gichtische
Beschwerden. Läfst man indefs diesen ungezügelten Blu-
tungen freien Lauf, ohne sie auf eine gelinde und vor-
sichtige Weise zu mSfsigen, so haben sie gewöhnlich eine
Schwächung des Kranken zur Folge. Ja, es ereignet sich
nicht selten, dafs nach unmäfsigen Blutcrgiefsuogen Ohn-
mächten entstehen. Bei jüngeren Personen, wenn dies
Uebel ihnen zur Gewohnheit geworden war, bilden sich
Atrophieen aus, wenigstens eine Verzögerung des Wachs-
thums, so dafs ihr Körper zur gehörigen Zeit nicht die
erforderliche Ausbildung erreicht. Jedoch kann man nicht
behaupten, dafs diese Beschränkung der körperlichen Ent-
wickelung geradezu und immer von den Blutergiefsungen
selbst ausgeht, da vielmehr der Grund in dem steten Vor-
handensein der Ursache euthalten ist, welche die Anstren-
gungen zu jenen Blutungen hervorruft. Denn da durch
die Gewöhnung an letztere die Natur iu steter Besorgnils
erhalten wird, so mufs sie sich ihren übrigen Angelegen-
heiten immer mehr entfremden.
Es ist diese Lehre für die Therapie von großer Wich-
tigkeit, da sie Anleitung geben mufs, auf welche Weise
eine künstliche Mäfsigung der Blutungen zu Stande zu brin-
gen ist, damit man nicht aus Vernachlässigung der Nator-
bestrebungen darauf bedacht ist, dieselben geradezu zu sto-
pfen, und sonach die Gefahr verderblicher Folgen zu be-
gründen. Denn bei jüngeren Personen würde man da-
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durch Veranlassung geben, dafs die Blutungen, von der
Nase nach der Brust getrieben, daselbst die Entstehung
der Schwindsucht bedingen, Oder es werden die Hypo-
chondrien, also die Leber, Milz, mit einem Worte, das
Pfortadersystem in Mitleidenschaft gezogen, und dadurch
der 4 Keim zur Hektik, Tabes gelegt; wenigstens kommen
dann frühzeitige und stürmische hypochondrische Anfalle
zum Ausbruch. Man mufs diese Vorsicht bei erblicher An-
lage verdoppeln, weil hier sogar ein anscheinend übermä-
fsiger Blutflufs nicht sogleich den gröfsten Schaden stiftet,
vielmehr jedes ihm entgegen tretende Hindernifs alsbald
sehr übel empfunden wird, daher auch jede unvorsichtige
Behandlung gewisse und drohende Gefahr mit sich führt.
Das nämliche gilt von den Blutllüssen, welche von hefti-
gen, krampfhaften, den Ort vertauschenden, kongestiven
Zusammenziehungen ausgehen. Je schwieriger bei bereits
eingewurzelter Gewohnheit ein gründliches Heilverfahren
ist. und je verderblicher blofse Stopfung der Blutungen
wird; um so mehr ist der Arzt darauf beschränkt, durch
zweckmäfsige stellvertretende Bluteutzichungcn zu Hülfe zu
kommen, welche nach Maafsgabe des Alters an passenden
Orten vorgenommen werden müssen, wodurch eben sowohl
die Gewohnheit zu jenen Bluttrieben abgeschnitten, als sie
selbst bei ihrem Entstehen gemäßigt werden.
Auch mufs man nicht vergessen, da s Personen, denen
in der Jugend dergleichen übermäßige Blutungen zur Ge-
wohnheit geworden waren, wenn sie auch in ihrem mitt-
leren Lebensalter von einer entsprechenden Forlsetzung sol-
cher Anfälle befreit blieben, doch bei zunehmenden Jahren,
besonders zu Anfang und Ende des stehenden Alters, von
neuem zu solchen Zufallen sich hinneigen, welche über-
haupt '.als Aufregungen und Bestrebungen zu Blulflüssen
sich zu erkennen geben, theils auch Ucbertragnngen der-
selben nach den oberen Theilen veranlassen, wo dann be-
drohlichere Gefahren nicht ausbleiben können, .
Als entferntere Folgen des krankhaften Nasenblutens
raufe man noch den Nasenpolypen und jene häfsliehe
Schwurbildung, welche man mit dem Namen Ozaena be-
legt, anfuhren. Doch entwickeln beide sich nicht unmit-
telbar aus jenem Krankheitszustande, sondern sie pflegen
nur dann zu entstehen, wenn man zur Stopfung des Na-
senblutens einen unvorsichtigen, äufseren Gebrauch von Vi-
triol und Grünspan gemacht hatte.
Wenn ein zur Gewohnheit gewordenes reichliches Na-
senbluten, ungeachtet der hartnäckigen Bestrebungen dazu
doch nicht gehörig zum Ausbruch kommt; so treten die
Folgen einer im Kopfe zurückgehaltenen Kongestion des
Blutes auf. Dergleichen sind Schmerzen des Kopfes, de»
Zähne und Ohren, Augen- und Halsentzündungen.
Man will zwar die Bemerkung, gemacht haben, dafs
nach häufigem und unmSfsigem Nasenbluten nicht sowohl
der Kopf, als vielmehr die Augen eine Schwächung erlei-
den; indefs wird dies durch zahlreiche Erfahrungen nicht
bestätigt, und man raufe jene Meinung dahin berichtigen,
dafs die unvorsichtige Anstrengung der Augen beim Lam-
penschein, oder bei starkem Sonnenlichte, unmittelbar nach
starkem Blutverlust, eine Schwächung der Sehkraft nach
sich ziehen kann, welche daher nicht eine unmittelbare
Folge jener Blutung ist. Eben so verhält es sich mit der
Schwächung des Kopfes, und es ist über beide noch so
viel zu sagen, dafs sie auf eine wirksamere, wenn auch
langsamere Weise nicht sowohl ihren Ursprung in der Blu-
tung, als vielmehr in den lange dauernden Anstrengungen
dazu, also in einer Verhaltung des Blutes im Kopfe finden.
Denn die sie begleitenden Kopfschmerzen müssen nothwen-
dig die Ruhe stören, so wie auch die Augenentzündungen
die Sehkraft verletzen, und die Ohrenschmerzen dem Hö-
ren Abbruch thun werden. Ueberhaupt mu£s der Blutan-
drang nach dem Kopfe die Ausdauer* und das richtige Wir-
ken des inneren Sinnes beeinträchtigen, dadurch «SohwiiK
dei und andere Störung herbeiführen, welche jtogertf'Refc
•
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sonen zum angestrengten Denken unfähig machen, und be-
jahrtere mit einem herannahenden Scklagflufs bedrohen.
Von dem Schleimflufs aus der Nase.
Zwar kommt derselbe als ein anhaltender Ausfluls un-
ter den bisher angegebenen Bedingungen nur selten vor,
wie Salmuth (Cent. 1. Obs. 37) einen solchen Fall be-
schreibt; doch ereignen sich häufig weniger ausgezeichnete
Beispiele der Art, welche allerdings hierher gehören. Zur
Erläuterung möge die von Salmuth angeführte Krankheits-
^eschichte dienen. Ein junges, übrigens gesundes Mädchen
hatte zwei Tage und Nächte mit Tanzen zugebracht, und
versank nach so langem Wachen und aus grofser Ermü-
dung in einen tiefen Schlaf, der bis zum vierten Tage an-
dauerte. Beim Erwachen stellte sich ein Ausfluls von se-
röser Flüssigkeit aus der Nase ein, welcher einige Tage
hindurch andauerte, und endlich nach dem Gebrauch der
Püulae cephalicae aufhörte. Zwar ist diese Erzählung, wie
die meisten übrigen jenes Schriftstellers sehr mangelhaft,
da nicht einmal des Temperaments und der übrigen indi-
viduellen Eigentümlichkeiten der Kranken gedacht wird;,
doch kann man derselben nicht die Glaubwürdigkeit ab-
«prechen. Denn «,r Bestätigung dient des nieht selten
vorkommende Auströpfeln von wässriger Flüssigkeit, wel-
ches anfangs häufig für Nasenbluten gehalten wird.
. Allgemein bekannt ist ein solcher anhaltender Ausfluls,
welcher beim gewöhnlichen Schnupfen eine dicklichere,
beim Stockschnupfen dagegen eine dünne und scharfe Be-
schaffenheit hat. Der oft sehr reichliche Ausflufs beim
Stockschnupfen würde kaum vom Nasenbluten verschieden
sein , wenn die Kranken den Kopf, wie sie es beim letz-
teren zu thun pflegen, vorüberbeugten, und dadurch einen
Blutflufs zu befördern trachteten. Diese Verwandtschaft
verdient die gröfste Aufmerksamkeit, damit man auf die
Entstehungsart des Schnupfens und auf die dabei wirksa-
men Bewegungen achte. Denn niemand wird wohl be- v
haupten wollen, dafs die serös -schleimige Materie, welche
sich oft mehrere Tage hindurch aus der Nase ergiefst, schon
vorher im Kopfe angesammelt' gewesen sei, und allmählig
ausgeleert werde. Vielmehr steht der successive Ausflufs
mit dem Andrang der Säfte im Verhältnifs, so dafs beide
im gleichen Maafse reichlich erfolgen. Dies setzt also vor-
aus, dafs das Blut selbst in gröfserer Menge zugeführt wird,
welches wiederum nur durch verstärkte tonische Zusam-
menziehungen geschehen kann, welche das Blut aus dem
ganzen Umfange des Körpers aach jenem Ausgangsorte hin-
treiben. Es liegt also diesem ganzen Vorgange dieselbe
ursprüngliche Bedingung, welche bei den Blutflüssen wirk-
sam ist, zum Grunde, und der Katarrh unterscheidet sich
von letzteren nur darin a posteriori, dafs die Konsistenz
des Blutes bei ihm verändert ist. Wenn letzteres nämlich
wegen Verdickung nicht mit dem reichlichen Serum ge-
hörig durchmischt ist, so mufs dies jene besondere Kon-
sistenz der ausfliefsenden Materie zur Folge haben. Denn
wenn der rothe Theil des Blutes nicht austreten kann, so
bleibt dies blos dem dünneren gestattet.
Man könnte es zwar als einen Unterschied des Nasen-
blutens vom Schnupfen geltend machen, dafs jenes gewöhn-
lich in kurzer Zeit zu Ende kommt, letzterer dagegen meh-
rere Tage anzuhalten pflegt; erwägt man jedoch den ge-
meinschaftlich beiden zum Grunde liegenden Trieb zür Aus-
leerung und den Umstand, dafs auch das Nasenbluten sich
häufig mehrere Tage hinter einander wiederholt, so über-
zeugt man sich, dals beide nicht wesentlich, sondern nur
in zufälligen Nebenbedingungen sich unterscheiden.
In Bezug auf den Ursprung des Schnupfens und sein
häufigeres Vorkommen lassen sich besonders drei Fälle aus-
zeichnen :
1) er befällt jüngere Personen von ihrem Knabenalter
an, zumal wenn sie mit einer phlegmatischen Konstitution
begabt sind , und ein träges und schläfriges Leben fuhren.
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15
2) Er kommt im Greiscnalter vor, und
• 3) bei denen, welchen er zur Gewohnheit geworden
ist. Es liegt ihm dann eine innere Disposition zum Grunde,
welche mehr Aufmerksamkeit verdient, als die äufeeren
■
Gelegenheitsursachen, namentlich eine nafskalte Luft.
Rechnet man von diesen Umstanden die Gewöhnung
und die Gelcgenheitsursachen ab, so liegt in den anderen
kein Jlindernifs, dafs die auf die Entstehung eines Schnu-
pfens hinwirkenden Kongestionen und Restagnationen, so
wie der Antrieb , welcher ihnen eine Richtung auf Aus-
leerung giebt, nicht vielmehr einen Blutflufs, als eine blofse
seröse Ergiefsung zuwege bringen sollten. In gleicher Be-
ziehung verdient noch eine Wirkung des Schnupfens er-
wähnt zu werden y welche ich sowohl bei mir, als ande-
ren bejahrten Personen, zu beobachten Gelegenheit hatte.
Wenn nämlich dabei plötzlich ein Reiz zum Niesen ent-
steht, welches dann in einer Viertelstunde sich wohl zwan-
zigmal mit Heftigkeit wiederholt, wobei eine ziemliche
Menge von Schleim ausgeleert wird; so hört danach das
drückende Gefühl auf, gerade wie es sich beim Nasenblu-
ten verhält. Man erinnere sich überdies an die im Vorigen
mitgctheilte Bemerkung, dafs der Antrieb zum Nasenbluten
im Greisenalter keinesweges selten ist, obgleich dasselbe
eine krankhafte Bedeutung hat, da es der Regel nach kei-
nen Nutzen bringt, und überdies Ausgänge nimmt, welche
von Hindernissen zeugen. Zu letzteren gehört denn auch
der Katarrh, bei welchem es nicht zu einer Blutung kommt.
Es ist diese Betrachtung in praktischer Hinsicht wich-
tig, weil zumal bei Bejahrten die Frage entsteht, ob nicht
die vorangehende Ursache und Gelegenheit zu dergleichen
katarrhalischen Kongestionen und Ausflüssen aus der Nase
in einem Bestreben zum Blutflufs enthalten sei? Denn in
diesem Falle sind Blutentziehungen, besonders wenn sie frü-
her schon angewendet wurden, so wie Ableitungen des
Blutes nach anderen Theilen auf eine passende Weise in-
Gebrauch zu ziehen, zu welchem Zweck z. B. warme Fufs-
bäder dienen. Also auch bei den Greisen haben derglei-
chen Bestrebungen, welche man gemeinhin für blos ka-
tarrhalische hält, den Charakter aktiver und angestrengter
Bewegungen, eben weil sie vom Antriebe und von Ver-
haltens des Blutes gegen und um gedachte Theile abhän-
gen; nicht aber waltet dabei ein entsprechender, qualitati-
ver Fehler der Materie bei passiver Verringerung der Be-
wegung ob. Man wird daher, um die wahre Quelle die-
ses üebels zu stopfen und ihm vorzubeugen, zu Blutentzie-
hungen seine Zuflucht nehmen müssen, nicht aber darauf
bedacht sein, durch seröse Ausleerungen und Ableitun-
gen einen blos palliativen Nutzen während der Anfälle zu
stiften.
, Wenn bei »ehr jnngen Personen eine gleiche Verlas-
sung auch nicht so unmittelbar zu Blutentleerungen auf-
fordert; so «uifs man doch das diätetische Verhalten, be-
sonders in Bezug auf Körperbewegung, so einrichten, dafe
. man dadurch die reichlichere Verzehrung und Verdünnung
des Blutes befördert, und somit der Natur bei der Hervor-
bringung von wirklichen Blutungen zu Hülfe kommt, oder
durch die Verzehrung des Blutes geradezu die Gelegenheit
zu Kongestionen abschneidet.
Zweites Kapitel.
% * * * ...
Von der Lungenblutung.
m * I * * t *
Der wahre Bluthusten, nämlich die Ausleerung reinen
Blutes, welches sich in der Tiefe der Lungen reichlich und
mit Heftigkeit ergossen hat, unterscheidet sich wesentlich
von dem blutigen Sputum, dessen beigemischtes Blut ans
dem Munde, Zahnfleisch und Rachen hervorquillt. Wäh-
rend daher bei ersterem das Gefühl des Kranken jedesmal
es bezeugt, dafs das ergossene Blut aus der Tiefe der Brust,
bei dem durch dasselbe veranlafsten Räuspern und Husten,
em-
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I
17
emporsteigt, fehlt beim blutigen Sputum jedes Zeichen eines
Leidens, einer Anstrengung und Theilnahme. der Brust, da-
her das Räuspern nur mit einem Schnauben, wobei die
Luft aus dem. Rachen durch den Gaumen getrieben wird?
verbunden ist, oder das Blut beim Schneuzen ans der Nase
hervorkommt, welche gewöhnlich schon wiederholt an Bin- .
tungen litt , .i J., . * ' ♦
Der wahre Bluthusten, welcher so leicht die Gefahr
einer Eiterschwindsucht herbeifuhrt, verdient deshalb eine
sehr sorgfaltige Betrachtung, besonders in Hinsicht auf sei-
nen Ursprung, nämlich nm in ursächlicher Beziehung; zu
bestimmen, ob dabei ein blos passives Ausfliefscn des Blu-
tes, oder eine eigentümliche, aktive Kongestion nach den
Lungen und eine Anstrengung zur Austreibung desselben
obwaltet. Es müssen dabei besonders zwei Umstände er-
wähnt werben; einmal, dafs die Lüngenblntung häufig ohne
allen, wenigstens ohne einen bedeutenden Husten erfolgt;
zweitens, dafs sie sich oft an bestimmte Zeiten bindet, und
zwar nicht blos tan die kürzeren Zeitepochen von Wochen
und Monaten, sondern selbst von Jahren. Rechnet man
uun noch dazu, dafs Blutentziehungen aus anderen Thei-
len, auch wenn, sie nur mäfsig sind, Hülfe bringen, so ist
nicht abzusehen, wie diese Momente sich mit einer Blu-
tung von Zerreißung der Geföfse in Einklang bringen las*,
sen. Lungenblutflüssc der letzten Art sind daher sorgfaltig
von jenen aktiven zu unterscheiden.
Diese aktiven Lungenblutungen ereignen sich, wie schon
Hippokrates bemerkt, vorzüglich in dem jugendlichen, blü-
henden Alter vom ISten bis zum 30stcn, selbst 35sten Jahre.
Gewöhnlich erfolgen sie gleichsam von selbst, oder nach
allgemein wirkenden Ursachen, welche das Blut in Wal-
lung setzen. Seltener kommen sie im kindlichen Alter vor,
wenn nicht Unterdrückung starker Nasenblutungen voran-
ging, oder äufscre, gewaltsame Erschütterungen einwirk-
ten. Nicht selten treffen letztere mit jenen inneren, mehr
spontanen Ursachen zusammen, so dais eine Blutung, welche
S tahl's Theorie d. Heilkunde. DI 2
> i
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zuerst nach Einwirkung einer Gewalt entstand, späterhin
eine Geneigtheit zurückläfst, welche eine Blutentleerung in
gleicher Richtung erleichtert.
i Die Lungcnblutung igt wegen des leidenden Organs,
also wegen der gefährlichen Folgen jederzeit unpassend,
unerträglich; denn der Nutzen, welchen- sie stiften kann,
hält keinen Vergleich mit der durch sie bedingten Gefahr
aus. Uwe Folgen sind jederzeit schwer, sowohl in Bezug
auf die Zttrustongen dazu, als auf deren Wirkungen. Jene,
welche in Kongestionen nach den Lungen bestehen, ver-
anlassen mancherlei Beschwerden in der Luftröhre, den
Lungen, also beim Atfaemholen und in dem dazu mitwir-
kenden Zwergfell, welche alle zu einer ausstofsenden An-
strengung genöthigt werden. Daher ein heftiges und häu-
figes trockenes Husten, trockenes Asthma, welches zuwei-
len selbst krampfhaft wird, ja sogar Anftlle von Bräune,
Peripneuraonie und Pleuritis. In den äufseren Theilen tre-
ten krampfhafte, rheumatische, gichtische, druckende Be-
schwerden auf. Zuweilen bilden sich Aposteme der Achsel-
drüsen und bei den Weibern der Brüste aus. Ja es kann
sogar von jenen hartnackigen Anstrengungen und konge-
stiven Res tag nation en eine Stockung entstehen , welche sich
anfänglich als scirrhöse Knoten darstellt, wie man sie in
den Leichen von Personen findet, welche während ihres
Lebens kaum eine Spur von Lungenleiden zu erkennen ga-
ben. Allmählig gehen diese Knoten in geschwürige Ver-
derbnils über, und erzeugen dadurch Schwindsucht. Un-
ter fielen Beispielen will ich nur den Fall zweier vorneh-
men Jünglinge herausheben, welche nach dem unmäfsigen
Genufs der feurigen Ungarischen und Italienischen Weine
unmittelbar von einem trockenen Husten befallen wurden,
welcher, schnell an Heftigkeit zunehmend, in eine tödt-
liche Schwindsucht überging. Der eine von. ihnen starb
an derselben erst nach' einem halben Jahre, und es war
eine Lungenblutung vorangegangen, die man nach gewohn-
ter Sitte mit adstringirenden Mitteln unterdrückt hatte.
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Niemand wird den Wein beschuldigen wollen, dafs de*
selbe unmittelbar Lungengeschwüre .hervorgebracht habe*
wohl mufs man aber anuchmen; dafs er heftige Wallungen
des Blutes veranlasse, aus denen auch Blutungen der Nase
und durch Hämorrhoiden bei solchen r die dazu disponirt
sind, entstehen können. Es findet also hier die Stufen*,
folge statt, nach weleher Kongestion, Stockung, Versto-
pfung und Verderbnifs hinter einander auftreten. . h
Es bleibt mir noch davon zu reden übrig, dals der
Trieb zur Lungenblutung häufig in Verbindung oder in Ge-
folge von Antrieben zu anderen Blutungen vorkommt. Der
einfachste und unmittelbarste Fall dieser Art ereignet sich
bei Jünglingen, welche früher an häufiges und reichliches
Nasenbluten gewöhnt, dasselbe verlieren, ungeachtet die
Ursachen zu Blutausleerungcn fortdauern. In einer umge-
kehrt eu Richtung stellt sich die Lungenblutung nach Blut»
Aussen aus den unteren Theilen ein, welche nicht gehörig
von Statten gingen. Daher die häufige Erscheinung bei
jüngeren Weibern, dals nach Unterdrückung der Menstrua-
tion Beengung, Oppression, Reizung in der Brust, Schwind-
sucht und Bluthusten entstehen. Viel Licht wirft auf die-f
sen Gegenstand die bekannte Erfahrung, dafs jeder Orgas-
mus des Blutes, wie er sich z. B. bei starker Körperbe-
wegung einfindet, eine grofse Beengung auf der Brust her-
vorbringt. Gewifs kommt es hier nicht auf eine überwie-
gende Blutmenge allein an, deren Turgescenz eine Span-
nung nach allen Richtungen hin hervorbringt; denn nach
dieser Vorstellung lnülste bei jenen Weibern mit jedem
Monate eine gröfsere Masse von Blut sich anhäufen, und
dadurch eine zunehmende Beengung und Oppression zu-
wege bringen. Weit wahrscheinlicher ist es daher, dals
in jenen Fällen ein Zusammendrängen (reslrictio) des Blu-
tes nach den Lungen statt findet, wenn eine beträchtliche
Aufwallung desselben eine Gelegenheitsursache zu seiner
Ausleerung wird.
Bei bejahrtereu Personen, zumal männlichen Geschlechts,
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ereignet sich sehr häufig eine Zurückstauung des Blutes,
wenn Hämorrhoidalllüsse oder auch nur Antriebe dazu
Vorangegangen waren. Es kommt dann entweder zum
wirklichen Ausbruch einer Lungenblutung, wenigstens zu
einem deutlichen, heftigen und hartnäckigen Blutandrang
nach der Brust, wodurch nicht allein asthmatische Be-
schwerden nnd heftige Hustenanfälle veranlagst, sondern
auch die Gefahr einer Schwindsucht herbeigeführt werden.
Es ist hierauf um so mehr ein grofses Gewicht zu legen,
da nach gewöhnlicher Vorstellungsweise bei diesen Krauk-
heitszustäuden das Serum die vornehmste Rolle spielen soll.
Aber die expektorirende Methode, welche man dagegen in
Gebrauch zieht, bewirkt eine Zuleitung und Antrieb der
Säfte nach der Brust, und veranlafst dadurch noch ernst-
haftere Beschwerden und Gefahren.
Zur Erläuterung entlehne ich einen Fall, den Job.
Rhodius wenn gleich nur unvollständig beschrieben hat,
wo die Gefahr der Schwindsucht durch einen ausbrechen-
den Hämorrboidalflufs beseitigt wurde. Er macht es wahr-
scheinlich, dafs sein Kranker mit iiieisenden Hämorrhoiden
behaftet gewesen sei, nach deren Unterdrückung jene Ge-
fahr zum Ausbruch kam, aber nach der abermaligen Ent-
stehung eines reichlichen Häniorrhoidalflusses, welcher zwei
Jahre hindurch anhielt, wenigstens häufig wiederkehrte,
•
mit allen bedenklichen Symptomen völlig verschwand. Er
erwähnt dabei einen salzigen katarrhalischen Auswurf, wel-
cher eine so drohende Gestalt annahm; ich habe aber auch
asthmatische Oppressionen beobachtet, welche unter glei-
chen Bedingungen entstanden. Ein vornehmer Staatsbeam-
ter litt in seinem 67sten Lebensjahre an Oppression der
Lungen, von welcher er schon seit längerer Zeit zuwei-
len befallen gewesen war, und die zuletzt in so heftigen
Krampfanfallen auftrat, dafs die Aerzte alle Hoffnung auf-
gaben, bis sie in ein Aderlafs willigten, welches auf hö-
heren Befehl unternommen wurde. Der Kranke gab mir
die ausdrückliche Versicherung, dals er in dem Augenblick,
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wo das Blut aus der Ader zu fließen anfing, ein deutli-
ches Gefühl von Erleichterung empfand, und nachher von
allen Beschwerden sich befreit sah. In den nächsten zwölf
' Jahren wurde er wiederholt von ähnlichen , jedoch gelin-
deren Anfällen gequält, und da er seit vielen Jahren mit
einem, wenn gleich selten eintretenden Hämorrhoidalfluis
behaftet war, so nahm er zu Aderlässen seine Zuflucht,
welche, wenn gleich nicht zu bestimmten Zeiten, doch
auch eben nicht selten unternommen wurden. Als er schon
das 79ste Jahr zurückgelegt hatte, erlitt er wieder einen
Anfall, welcher bis zur Orthopnoe stieg, aber ohne Blut-
entziehuug glücklich beseitigt wurde. Man vermied alle
flüchtigen Arzneien, welche dergleichen Symptome nur zu
verschlimmern pflegen.'
Dieser Blntflufs hat es mit allen übrigen gemein, dafs
er, einmal zum Ausbruch gekommen, leicht wiederkehrt
Dieser Umstand ist darum so wichtig, weil Blutflüsse, wel-
che einen günstigeren Ausweg machen könnten und soll-
ten, dann um so leichter jene verderbliche Richtung ein-
zuschlagen geneigt bleiben. Wie sehr dies von der ver-
haltenen Menstruation gilt, wenn sie einmal in Lungen-
blutung übergegangen ist, wissen alle umsichtigen Aerzte.
Auch kenne ich einige andere Beispiele, wo eine gleiche
Abhängigkeit der Ausleerungen von einander statt findet
Wenn nämlich bei Frauen während der Milchabsonderung,
und auch aufser derselben tiefe Vereiterungen der Brüste
entstehen und nicht schnell geheilt werden, so pflegt die
Menstruation sich bei ihnen nicht eher wieder einzustel-
len, als bis der Eitcrausflufs aufgehört hat. Letzlerer ver-
schlimmert sich vielmehr mit allen seinen Symptomen zu
der Zeit der Menstruation, oder es kommt wohl gar mit
ihm etwas Blut zum Vorschein. Es tritt dabei eine wech-
selseitige Schwierigkeit ein, sowohl in Bezug auf die Hei-
lung des Geschwürs, ehe die Menstruation wieder einen
freien Fortgang gewonnen hat, als in Betreff der Wieder-
herstellung dieser, bevor das Geschwür geheilt oder wenig-
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stens beträchtlich verringert ist. Die Erfahrung bestätigt
es, dafs in einer Hinsicht eben so viel gewonnen wird,
als es sich auf der anderen zum Guten hinneigt; eben so,
dafs eine gleiche Schwierigkeit bei Hervorbringung einer
unterdrückten Menstruation obwaltet, wenn eine ohne ge-
waltsame Ursachen von selbst entstandene Lungenblutung
^Ur Gewohnheit geworden ist Denn wenn unter diesen
Umständen das Blut in Aufwallung geräth, so tritt damit
sogleich ein Antrieb zur Blutung hervor, welche weit leich-
ter durch die Lungen, als auf irgend einem anderen Wege,
erfolgt.
§. 1-
Vom Husten.
Bei dem Husten kommt besonders die Verschiedenheit
seiner Ursachen in Betracht, in wiefern dieselben entwe-
der äufeere oder innere sind. Zu den ersteren gehört zu-
vörderst das Eina Hirnen einer kalten und feuchten Luft,
vorzüglich wenn die Säfte des Körpers zugleich in Wal-
lung, und ein Schweife im Ausbruch begriffen ist. Auf
eine gröbere Weise wirken Dünste, welche die Säfte zum
Gerinnen bringen, oder durch veranlafstc Zusammenschnü-
rungen ihren Fortgang hemmen, oder ein Gefühl von Rei-
zung hervorbringen, wenn sie, mit der Luft vermischt, in
die Lungen eindringen; desgleichen Stoffe, welche mit dem
Rachen in Berührung gebracht, vermöge eines scharfen Rei-
zes auf denselben zum Räuspern und Husten nöthigen.
Weit bestimmter und eigentümlicher ist die Wirkung
gewisser innerer Zustände, welche den Körper zur Ent-
stehung des Hustens vorbereiten. Jedoch mufs ich hier-
bei, wie bei jeder Gelegenheit zur Verhüthung falscher
Ansichten , daranf zurückkommen , dafs im Vergleich mit
den gedachten Bedingungen der Husten nur eine seltene
Erscheinung ist. Denn wenn z. B. bei kalter Witterung
tausend Menschen beisammen sind, so werden zwar viele
unter ihnen wegen eines vorübergehenden leichten Reizes
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und Kitzels hosten 4 doch wird die Zahl derer, welche Ton
einem wirklichen Husten befallen werden, kaum den zwan-
zigsten Theil betragen. Oder um noch bestimmter durch
Vergleichung die, Seltenheit des Hüstens auszumitteln, wenn
ein 70 jähriger Mensch zusammenrechnet, wie oft und wie
lange jedesmal er vom Husten befallen gewesen ist, a}so
wie sich die Dauer desselben zusammengenommen zu sei-
nem übrigen Leben verhält; wenn er; ferner, dabei die den-
selben begünstigenden Jahreszeiten des Herbstes und Win-
ters in Anschlag bringt, wie viel er während derselben an
Husten gelitten hat, oder nicht: so ergiebt sich daraus au-
genscheinlich, dafs er ungeachtet der häufig und lange, ja
selbst anhaltend einwirkenden Ursachen doch nur sehr sel-
ten von demselben heimgesucht worden ist. Dazn kommt,
dafs sehr viele eigentlich niemals mit ihm behaftet sind,
obgleich sie sich seinen Ursachen bloßstellen, und dafs sie,
wenn sie von letzteren übermäfsig betroffen werden, in
gar keinem entsprechenden Verhältnils daran leiden ,. viel-
mehr sehr bald wieder davon befreit werden. Wenn also
selbst die Kälte, ungeachtet sie eine allgemeine und sejir
wirksame Ursache, zu sein scheint, den Husten nur in ein-
zelnen Fällen hervorbringt; so ist noch das Hinzutreten
eigentümlicher Bedingungen nothwendig, welche mit ihr
vereint eine Wirkung hervorbringen, die sie für sich aHein
zu erzeugen nicht im Stande gewesen wäre.
Ungeachtet unter den inneren Ursachen das Alter den
Vorrang zu behaupten scheint, da das zarte Kindes- und
Knabenalter mehr als die übrigen dem Husten ausgesetzt
ist; so ergiebt sich doch bei genauerer Prüfung, dafs die
gedachte Anlage weniger zur unmittelbaren Hervorbringung
des Hustens geeignet ist, als es eine Empfänglichkeit für
denselben bedingt* so dafs jene äufseren Ursachen mit grö-
fserer Kraft auf die Lungen einzuwirken vermögen. Und
zwar werden sie bei Greisen mehr durch Gerinnung der
Säfte, bei jüngeren, mit zarteren Organen begabten Per-
sonen mehr durch Reizung einen Einflufs ausüben. Die
24
Gewöhnung wird aber selbst bei Kindern ungeachtet ihrer
Reizbarkeit die Wirksamkeit jener Ursachen in enge Gren-
zen einschließen, so dafs also letztere nicht vermöge ihrer
materiellen Beschaffenheit an sich die Entstehung des Ha-
stens bedingen , sondern dazu noch die Reizbarkeit erfor-
dert wird, welche sich durch Gewöhnung abstumpft.
Wenn daher der Körper vermöge der Empfänglichkeit
in einem mehr passiven Verhältnis zu den äußeren Ur-
sachen steht; so mufs man dagegen das reifere Junglings-
alter mehr als eine aktive Ursache zur Erzeugung des Hu-
stens ansehen. Denn es kommt dieser während desselben
sehr häußg vor, aber er steht dann in durchaus keinem
materiellen Verhältnifs zu jenen äufseretf Ursachen, da sie
ihn weder durch einen entsprechenden Stoff, noch durch
eine angemessene Reizung veranlassen. Es ist hier näm-
lich vom trockenen Husten die Rede, bei welchem es un-
gereimt wäre, eine reizende Materie als alleinige Ursache
vorauszusetzen, da es jetzt allgemein bekannt ist, dafs eine
knotig -scirrhöse Beschaffenheit der Lungen ihn unterhält,
so wie plötzliche Aufwallungen ihn verschlimmern. Die
eigentliche Ursache des in diesem Alter häufigen trockenen
Hustens ist daher eine Kongestion, welche das Blut in den
Lungen zusammendrängt, durch Ueberfüllung derselben Be-
eogung hervorbringt, und vermöge ihrer häufigen Wieder-
kehr und Hartnäckigkeit zu scirrhösen Verstopfungen Ver-
anlassung giebt. Am häufigsten geschieht dies bei Perso-
nen von trockener und straffer Textur. Eine andere innere
Ursache bietet ein hoher Grad von Vollblütigkeit dar, ins-
besondere der lymphatische Thcil des Blutes, welcher als
der eigentliche Ernäbrungsstoff, wenn er im Uebcrmaals
vorhanden ist, sich als Fett ablagert. Dafs Vollsaftige und
Fette vorzüglich Beengungen auf der Brust und dem Hu-
sten ausgesetzt sind, ist so allgemein bekannt, dafs selbst
das Vo'k sowohl bei Erwachsenen, als bei Kindern in ei-
ner solchen Konstitution die Ursache ihrer Hustenanfälle
sucht.
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25
mm
Wiewohl eine solche Konstitution im Allgemeinen die
Bedingung zur leichteren Einwirkung der äußeren Ursachen
wird; so läfst sich doch nicht leugnen, dafs die Vollblütig,
keit den eigentlichen Grund enthält, weshalb der Husten
bei solchen Personen so häufig vorkommt, in sofern näm-
lich das Blut vorzugsweise nach der Brust zu dringen ge-
neigt ist. Der idiopatbische Husten, welcher vornämlich
aus inneren Ursachen entspringt, trifft daher fast allein das
jugendliche Alter; dagegen der zufallige, aus äufseren Ur-
sachen entstehende jedes Alter befällt. Jener ist unter al-
len der hartnäckigste und gefährlichste, und nach ihm der,
welcher bei Männern und Greisen aus einer zur Gewohn-
heit gewordenen Disposition entsteht.
Die nächste Ursache, welche die Disposition in Wirk-
samkeit treten läfst, ist eine Kongestion des zu reichlichen
Blutes, welche in eine Lungenblutung auszubrechen strebt,
aber keinen freien Ausgang findet, und auch nicht mit ei-
nem sehr starken Antriebe darauf hinwirkt So entsteht
daher- eine Blutüberfiillung in den Lungen , welche den
Husten zuwege bringt, oder auch jene noch bedeutende-
ren Infarkten der Lungenzellchen veranlafst , welche , in-
dem sie eine anhaltende Beschwerde bringen, zu jenen
austreibenden Bewegungen Anregung geben. Es hängt da-
her der Husten junger vollblütiger Personen, wenn er
feucht ist, seinen physischen Ursachen nach von einer se-
rös-schleimigen Feuchtigkeit ab, auf deren Ausleerung er
in moralischer Beziehung abzweckt; der trockene dagegen
steht in Verbindung mit deutlichen Zeichen von Infarkten,
und er tritt in wirklichen Anfallen unter der Form eines
krampfhaften Asthma's an.
Es erwächst dem Arzte aus dieser Betrachtung ein
grofser Nutzen, da er in positiver Hinsicht durch sie in
der Wahl der Mittel geleitet wird, welche er bei dein
trockenen Husten der Jünglinge zu ergreifen hat, und in
negativer Beziehung durch sie von Methoden zurückgehal-
ten wird, welche eine Ausleerung des Serums durch die
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zu bringen
trachten, oder in der Voraussetzung einer verletzten Lun-
gensubstanz Myrrhe anzuwenden vorschreiben. Dadareh
kann nor Orgasmus des Blutes, ein verstärkter Antrieb des-
selben zur Ausleerung, und somit eine gröfsere Gefahr her-
beigeführt werden.
Zur Bestätigung dafür mögen die folgenden beiden merk-
würdigen Fälle dienen. Eine vornehme Frau, welche in
tlen Jahren ihrer Jugend an mannigfachen Beschwerden
einer nicht gehörig erfolgenden Menstruation litt, pflegte
deshalb einige Jahre hindurch wiederholt und reichlich sich
Blut entziehen zu lassen. In der Ehe unterlieft sie dies;
da sie indefs in mehreren Wochenbetten einen starken Lo-
chialflufs hatte, so befand sie sich ganz wohl. Als sie
«her im 30sten Jahre zu gebaren aufhörte, stellten sich
bei ihr weit schwerere Beengungen anf der Brust als frü-
her ein, und sie verspurte nach den Verordnungen eines
Arztes nur noch eine Verschlimmerung. Es kam so weit,
dafis sie allmählig mit dem heftigsten Asthma behaftet
wurde, und besonders nach Ablauf des dritten Jahres
während des ganzen Winters nach ei
rauhen Herbste von den größten At
gefoltert wurde. Zugleich entwickelte sich ein anhalten-
der Husten, welcher sich namentlich zu dieser Zeit im
höchsten Grade verschlimmerte. Den herrschenden Begrif-
fen gcmäfs dachte niemand an ein Aderlafs, um so weni-
ger, da die Kranke einen zarten und schlanken Körperbau
hatte, und bei ihren Leiden dergestalt abmagerte, dafs man
sie ohne allen Zweifel für Schwindsucht ig halten mufste.
Endlich wurde ein Arzt zu Rathe gezogen, welcher ge-
wohnt - war, auf die Beschaffenheit und Bewegung des
Blutes seine ganze Aufmerksamkeit zu richten. Da bei
der Kranken die Venen im Verhältnis zu ihrem abgema-
gerten Körper sehr angeschwollen waren, und ihr Asthma
aufser den Verschlimmerungen zur Zeit der Nachtgleichen
auch noch in häufigen krampfhaften Anfallen, zumal nach
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»
Gemütsbewegungen auftrat; so wurden auf seinen Vor-
schlag 3 — 4 Unzen BInt entzogen. Es wurden außerdem
einige zertheilende^ und gelinde diuretische Arzneien ver-
ordnet, zur Zeit der Nachtgleichen das Aderlafs wieder-
holt, und so lebte die Frau in einem ungleich erträgliche-
ren Zustande bis gegen das Ende des dritten nachfolgen-
den Jahres. Hiermit aber nicht zufrieden, und eine voll-
ständige Genesung begehrend, berief sie einen anderen
Arzt, welcher ihr dieselbe verhiefs, nach dem üblichen
Schlendrian das bisherige Heilverfahren verwarf, und be-
sonders das Aderlassen tadelte. Er gab vor, in den Lun-
gen der Kranken stecke ein zäher Schleim, welcher durch
expektorirende Mittel ausgeleert werden müsse, und ver-
schrieb daher ein Electuarium e jujubis, sehest en* melle,
cum ghjeirrhiza, pineis, aniso etc. Er bewirkte durch den
langen Fortgebraoch dieses Mittels allerdings eine reich-
liche Expektoration, wegen welcher er, da sie seine Aus-
sage bestätigte, der Kranken Glück wünschte. Aber die
asthmatische Beengung, anstatt sich zu vermindern, nahm
mit jedem Tage zu, die Kranke war in der nächsten Woche
genöthigt, das Bett zu büthen, und während unter reich-
licher Expektoration und zunehmenden Athmungsbeschwer-
den sich zu gewissen Stunden die heftigsten Anfalle ein-
stellten, bildete sich ein lebhaftes hektisches Fieber aus,
zu welchem sich in der dritten Woche ein reichlicher Aus-
wurf eiterartiger Materie gesellte. Der Arzt änderte seine
Ansicht, behauptete, dafs ein Lungengeschwür zugegen sei,
und verkündete den Tod. Die Kranke blieb aber den Win-
ter hindurch am Leben, und litt beim Fortgebrauch der
Arznei fortwährend an Auswurf, Brustbeklemmung und
Husten, welche Beschwerden jeden Morgen zwischen 4
und 5 Uhr, und des Abends zu gleicher Zeit bis zum hef-
tigsten Paroxysmus sich steigerten. Dabei dauerte ein star-
„ kes hektisches Fieber fort, und der Auswurf betrug täglich
gegen 3 Pfuud. So verlebte sie wider Erwartung aller
26 Wochen. Im Frühlinge, zur Zeit wo sie gewohnt ge-
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wesen war, zur Ader zu lassen, stellte sich ein freiwilli-
ger Bluthusten ein, welchem 3 Stunden vorher ein plötz-
lich entstandenes Herzklopfen, wobei auch die Temporal-
arterien heftig pnlsirten, vorausgegangen war. Der frühere
Arzt wurde nun wieder herbeigerufen , und da auf seinen
Rath der Gebrauch jener Latwerge unterblieb, verringerte
sich der Husten, und besonders der Auswurf dergestalt,
dafs er sich auf den achten Theil von seiner vorigen Menge
beschränkte. Auch das Aderlafs wurde wiederholt, um so
mehr, da die Menstruation schon einigemal ausgeblieben
war. Es erfolgte hierauf eine so schnelle Rückkehr der
Kranken zu einem leidlichen Befinden, dafe sie schon in
der dritten Woche nachher wieder ausgehen, den ganzen
Sommer hindurch ihren häuslichen Geschäften vorstehen
konnte, und die Men?truation sich wieder regelmäfsig ein-
stellte. Im nächsten Herbste wurde das Aderlais wieder-
holt, und auch den nächsten harten Winter vom Jahre 1694
überstand sie in sehr erträglichem Zustande. Als im näch-
sten Frühlinge das Aderlafs uuterblieb, weil ein neuer Arzt
dasselbe nicht billigte, wurde sie wieder bettlägrig, und
starb bald nachher. Einen so üblen Erfolg hatte die un-
begründete Aunahme einer hypothetischen Ursache, welche
dem Asthma und Husten zum Grunde liegen sollte.
Ein Jüngling von blühender Konstitution und gutem
Körperbau, dem Ansehen nach völlig gesund, welcher eine
reichliche Diät führte, und wenn auch nicht anhaltend,
doch häufig und viel starken Wein trank, wurde mit In-
farkten der Lungen behaftet, welche Oppression und einen
mehr trockenen als feuchten Husten hervorbrachten. Durcji
die Fortdauer dieser Beschwerden, welche eine beginnende
Schwindsucht anzukündigen schienen, in Furcht und Angst
gesetzt, nahm er eine Mischung von Myrrhen -Essenz, pe-
ruvianischem Balsam und ähnlichen Dingen. Aber zu der
Beengung auf der, Brust und dem verstärkten Husten trat
noch Angst und Niedergeschlagenheit des Gemüths, und
eine deutliche Abmagerung des Körpers. Dieser Zustand
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29
verschlimmerte sich einige Wochen hindurch, bis er auf
den Rath einiger jene Arznei bei Seite setzte, zur Auer
liefe, und kühlende Arzneien gebrauchte. Jene Beschwer-
den liefsen nicht nur plötzlich nach, sondern er blieb auch
in der Folge von ihnen verschont.
Wie viel selbst in der Schwindsucht ein zeitgemäfses
Aderlafs zu leisten vermag, eben so wie es zur Unzeit,
oder übermäfsig angewandt schadet, lehrt die nüchterne
Erfahrung. Man kehre sich nur nicht an den Einwurf der
Wirrköpfe, dak das Aderlais die Schwindsucht nicht hei-
len könne, und bedenke, dafs schon ein'e wesentliche Er-
leichterung der Leidenden grofsen W 7 erth hat, wenn man
ihnen auch nicht vollständige Hülfe gewähren kann. Auch
bin ich überzeugt, dals man auf diese Weise weit eher
mit seinem Gewissen in Frieden leben kann, als wenn
man einem sehr schwachen Krankeu mit Opium für die
erste Nacht Schlaf verschafft, für die zweite ihm den Tod
giebt, und ein solches Verfahren mit dem prunkenden Na-
men Euthanasie entschuldigt. Der Arzt mufs sich nicht
nur den Unterschied zwischen Vcrhüthung und Heilung der
Krankheiten einprägen, sondern er mufs auch wohl über-
legen, ob in einem gegebenen Falle die Unterdrückung
schwerer Anfälle Nutzen bringen könne, oder nicht. In
wiefern ein Aderlafs diesem Zweck entsprechen kann, ver-
mag nur die Erfahrung zu entscheiden.
§. 2.
Von der Schwindsucht.
Wer die Entstehung der Lungenblutung und des Hu-
stens aus Kongestionen wohl begriffen hat, dem kann es
nicht schwer fallen, sich den Ursprung der Schwindsucht
zu erklären, wenn dieselbe durch innere Ursachen bedingt,
in einem bestimmten Lebensalter nach vorangegangener Dis-
position bei gewissen Menschen zum Ausbruch kommt. Vor
allem mufs man die wahre Phthisis von der Tabes hectica
unterscheiden. Wir wollen uns dieser Worte in dem ge-
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bräuchlicheu Sinne bedienen, wonach unter Phthisis jedes,
mal eine Vereiterung oder Scirrhosität der Lungen ver-
standen wird; dagegen bei einer blofsen febris hectica, ta-
bida die Lungen, so wie die anderen Organe, unverletzt
sein können, obgleich sie immer eine Begleiterin der Phthi-
sis ist Hier haben wir es nur mit der letzteren zu thun,
in wiefern sie die Abzehrung des Körpers in Gefolge einer
mit hektischem Fieber verbundenen Lungenvereiterung be-
zeichnet.
» Zunächst stofsen wir in ihrer Geschichte auf den Er-
fahrungssatz, dafs sie überhaupt nur bei gewissen Menschen
vorkommt, wenn sie nicht von äufseren, auf eine gewalt-
same Weise einwirkenden Gelegenheitsursachen abstammt.
Sie entwickelt sich vorzüglich nur im reiferen jugendli-
chen Alter, und Hippokrates bemerkte schon ausdrücklich,
dafs sie zwischen dem 18ten und 35steri Lebensjahre zum
Ausbruch komme. Bei jüngeren und bejahrteren Personen
entsteht sie nach dem Zeugnils der Erfahrung nur dann,
wenn äufsere Gelege nhcitsursachen auf sie einwirken. In-
defs eine ^aufmerksame Prüfung der Fälle, wo sie sich schon
vor dem 18ten Jahre entwickelt, leitet auf die ursachlichen
Bedingungen hin, welche ihr in dem ihr günstigen Lebens-
alter zum Grunde liegen. Denn in der früheren Zeit ent-
steht sie nur bei solchen, welche vorher an häufigem und
nbermäfsigem Nasenbluten litten, und hernach dasselbe ver-
loren. Nicht blos in pathologischer, sondern auch in the-
rapeutischer und prophylaktischer Beziehung ist die Be-
merkung wichtig, dafs die Schwindsucht auch in dem Alter,
dem sie vorzugsweise eigen ist, mehr das männliche, als
das weibliche Geschlecht befallt Denn ungeachtet bei
letzterem noch häufiger Blutüberfüllungen und Beengun-
gen auf der Brust entstehen, welche durch hinzutretenden
llusten und durch die zweideutigen Zeichen einer mangel-
haften Ernährung, selbst einer Abzehrung verdächtig wer-
den; so entgehen doch solche Jungfrauen häufig dem wirk-
lichen Ausbruch der Schwindsucht, oder letztere, wenn
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I
31
sie sich wirklich entwickelt, nimmt wenigstens einen ge-
linderen Verlauf. Wenn aber jene Erscheinungen bei Jung*
lingen eintreten, so ist für sie die Gefahr der Schwind«
sucht unvermeidlich, und der Verlauf derselben ist jeder-
zeit sturmischer.
Ganz vorzüglich tritt die Schwindsucht in Gefolge ei-
ner aktiven Lungenblutung auf, welche, wenn sie einmal
zu einem reichlichen und heftigen Ausbruch gelangte, an-
derweitige und offenbare Gefahren für die Brust nach sich
zieht, wohin ein anhaltender trockener Husten und eine
grofse Beengung gehören , welche je länger je mehr zu
deutlichen Zeichen der Schwindsucht werden.
s
Noch größer ist jedoch die Zahl derer, welche, ohne
dafs es bei ihnen zu einer wirklichen Lungenblutung kommt,
an blofsen Kongestionen nach der Brust leiden, welche zu-
letzt die Schwindsucht nach sich ziehen. Ungeachtet aber
die angegebenen Bedingungen in einem deutlichen Zusam-
menhange stehen, ist doch ihr ursächliches Verhält nifs zu '
einander in Dunkel gehüllt Denn man mufs dabei die
Frage aufwerfen, wie aus gedachten ursachlichen Bezie-
hungen ohne Mitwirkung äufserer Einflüsse die Schwind-
sucht ihren Ursprung nehmen könne. Dies eigentümliche
Verhältnils ist in dem prognostischen Satze angedeutet, mit
welchem man von gewissen Personen zu sagen pflegt, dafs
sie Ursache haben, sich in Acht zu nehmen, um der
Schwindsucht vorzubeugen, zu welcher in ihnen eine An-
lage gegeben sei. Man verwechselt dabei zwar häufig die
eigentliche Schwindsucht mit der Tabes, zu welcher die-
jenigen sich hinneigen, die vermöge ihres zarten Körper-
baues auf dem \ V ege der Abzehrung begriffen sind. Jedoch
ist allerdings eine solche Konstitution ganz besonders ge-
fährdet, wenn bei ihr ein Brustlciden hervortritt. Unter
diesen Umständen ist es daher ein Zeichen von übler Vor-
bedeutung, wenn nicht sowohl eine anhaltende Beengung
auf der Brust obwaltet, als vielmehr dieselbe in häufigen
Anfallen nach leichten Körperbewegungen, dem Geuuls des
-
*
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Weins und anderen erbitzenden Ursachen wiederkehrt. Die
Gefahr wird dringender, wenn sich ein trockener Husten
hinzugesellt, welcher entweder anhält, oder bei jeder leich-
ten Veranlassung sich eiustellt Eine solche Konstitution
wird aber vornämlich im jugendlichen Alter angetroffen.
Zu den die Krankheit offenbar begünstigenden Bedin-
gungen mufs man folgende rechnen: I) die vollblütige
Konstitution; 2) ein träges, geschäftsloses Leben ; 3) «ine
volle Diät, vorzüglich wenn sie zugleich durch Gewürz«,
Wein und andere geistige Getränke erhitzend wirkt , und
durch ausschweifende Genüsse unregelmäßig wird; 4) plötz-
liche und unmäfsige Körperbewegungen, welche das Blut
in Wallung versetzen; 5) die häufige Entstehung von Be-
engung auf der Brust, welche mit oder ohne einen trok-
kenen Husten den Kranken belästigt. Hierher mufe man
noch 6) den durch alltägliche Beobachtung bestätigten Um-
stand rechnen, wenn frühere zur Gewohnheit gewordene
Ausleerungen, das Nasenbluten, bei Weibern die Menstrua-
tion ins Stocken geriethen, wo sich dann bald Beschwer-
den auf der Brust fühlbar machen.
Der aufmerksamen Belrachtung kann der ursachliche
Zusammenhang nicht entschlupfen, in welchem die Schwind-
sucht von dem Antriebe und Bestreben zum Bluthusten
abhängig ist; denn indem die Kongestionen nach der Brust
eine Zurückstauung des Blutes in den Lungen bewirken,
bilden sich leicht örtliche Stockungen aus, welche den Stoff
zur eitrigen Verderbnifs eines Parenchyms hergeben, wel-
ches an sich eine blutleere, membranenartige Textur hat.
Zur Entstehung entzündlicher Stockungen kommt es nicht,
wenn eben diese Stasen sich nicht 6ehr weit ausbreiten.
Weun sich solchergestalt aus hartnäckigen Kongestionen
des Blutes nach den Lungen als aus einer inneren, dem
Körper eigenthümlichen Ursache der direkte Ursprung der
Schwindsucht leicht erklären läfst; so steht demselben die
Entwickelung der Phthisis nach einem wirklich zum Aus-
bruch gekommenen Bluthusten sehr nahe, in sofern der-
selbe
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selbe etwas ergossenes Blut in den Lungen zurfickläfst,
welches daon in Verderbnite ubergebt. Am häufigsten ge-
schieht dies, weun die Blutung plötzlich durch adstringi-
rende Mittel unterdrückt wurde, besonders wenn die Art
des kongestiven Antriebes in eine Zurücktreibung des Blu-
tes aus dem ganzen* übrigen Körper gegeben ist. Wenn
nun eine Steigerung dieser Zusammenziehungen erfolgt, so
werden sie der Rückkehr des Blutes aus den Lungen ein
Hindernifs entgegenstellen, seinen Eintritt in dieselben aber
in dem Maafse befördern, als sie sich gleichförmig ausge-'*
breitet haben. Indefs reicht schon das Zurückbleiben des
ergossenen Blutes in den Lungen hin, besonders wenn das
Bestreben, dasselbe durch Husten aus den Lungenbläschen
auszustofsen , durch Opium unterdrückt wird.
Von den äufscren und zufälligen Ursachen, welche
eine Eiterschwindsucht hervorbringen können, soll hier
nicht ausführlich die Rede seiu; doch ist es uicht über-
flüssig zu bemerken, dafs man aufser den offenbaren ge-
waltsamen Verletzungen durch Zerreifsungen, durch ätzende
und reizende Stoffe, auch noch die sogenannte Iwtemperies
caiarrhalis der Sältc, eine Schärfe derselben hierher zu
rechnen pflegt, welcher man indefs keinesweges so viel
Schuld geben darf, wie dies gewöhnlich geschieht, daher
denn auch die Anwendung vou Arzneien, welche dieselbe
bekämpfen sollen, nicht nur unnutz, sondern oft selbst
schädlich wird. Man mufs dagegen die eigentliche Krank-
heitsbedingung in einer fehlerhaften Bewegung eines serö-
seren oder, wie man sich ausdrückt, schleimigeren Bluics
suchen, welche durch eine vorangegangene Gclegenheits-
ursachc bestimmt wird, dasselbe nach den Lungen zur Aus-
scheidung aus denselben hinzutreiben.
Ueberhaupt mufs man den höchst hartnäckigen Cha-
rakter der Schwindsucht wohl beherzigen, welche, wenn
die Verschwäruug einmal entstanden ist und sich einge-
nistet hat, für unheilbar gehalten werden mufs, wie dies
durch alltägliche Erfahrung auf das vollständigste bewiesen
StaUt Tbeorie d. Heilk. \U. 3
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wird. Ich will mich hier nicht auf die gemeine Erfahrung
berufen, welche auch dem Volke die Ueberzeugung jener
Unheilbarkeit aufgedrungen hat, sondern die Ursache der-
selben in der Natur der Lungengeschwüre aufsuchen, wel-
che in einem blutleeren Parenchym ibren Sitz haben, durch
Erosion sich vergrößern, und von einer eigenmächtigen und
künstlichen Vernarbung gleich fern bleiben, wenn nicht die
Oberfläche der an ihren Endigungen gleichsam angenagten
Fasern gehörig gereinigt, und dann durch die unmittel-
bare Anwendung passender balsamischer Mittel Hülfe ge-
leistet wird. Zur Bestätigung dienen die durch Reibung
an dem vorderen scharfen Rande des Schienbeins entstan-
denen Geschwüre, welche sehr hartnäckig sind, und nnr
mit grolser Mühe geheilt werden, wie dies überhaupt von
allen schmutzigen, übel behandelten, vernachlässigten Ge-
schwüren gilt.
Auch Vernunftgründe sprechen für eine solche Pro-
gnose. Denn wenn selbst Geschwüre, auf welche man un-
mittelbar« passende ArzncistofTe anbringen kann, nur sehr
schwer sich verbessern lassen, zumal wenn die entartete
Oberfläche des Geschwürs nicht blos eine Abstersion der
zähen Jauche, sondern selbst eine Zerstörung des zerrisse-
nen Gewebes noth wendig macht; so kann man bei Lun-
gengeschwüren von den in den Körper eingeführten Arz-
neien eine solche Wirkung vernünftiger Weise nicht er-
warten, da sie durch den Kreislauf nur in unendlich klei-
nen Massen nach dem verletzten Theil gefuhrt werden,
und noch weniger eine Reinigung des Geschwürs durch
Aetzung zu bewirken im Stande sind. Auch lehrt die
Erfahrung, dafs die meisten Arzneien, welche gewöhnlich
bei Lungengeschwüren verordnet werden, an sich und al-
lein bei keinem einfachen Geschwür auf der Oberfläche
des Körpers etwas auszurichten vermögen. Wie kann man
überdies von ihrer inneren Anwendung etwas anderes, als
eine Verschlimmerung der Gefahr erwarten, da sie vermöge
ihrer styp tischen Kraft den Auswurf aus den Lungen hem-
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men? Hieraus läfst sich leicht beurtheilen, was von der Ah-
sicht , die Lungengeschwüre durch die allgemeinen Wund-
mittel (traumatica) heilen zu wollen, zu halten sei, da
die Verletzung eines so eigenthümlichen Organs, welche
an sich eine ganz besondere Beschaffenheit hat, um geheilt
za werdeo, eine »peeifische Wirksamkeit jener Wnndmittel
erfordern würde. Bis dahin, wo dergleichen aufgefunden
sein werden, niufs man. sieh aller adstringirenden Mittel
und aller erhitzenden Balsame enthalten. Erstere hemmen
nämlich den Auswurf, letztere erregen bis zu einer Ent-
zündung, und so verschlimmern beide das Uebel.
Diese Darstellung der Entstehungsweise der Schwind-
sucht aus inneren Ursachen findet eine besondere Bestäti-
gung in der Wirksamkeit der erblichen Anlage zu ihr.
Letztere kann nämlich weder ihren Grund in dem eigen-
thümlichen Bau der Lungen, noch im engeren Sinue in
einem angebornen Bildungsfchler derselben, noch in einer
ganz speciellen Dyskrasie der Säfte, welche eine speci-
fische Wirkung auf die Lungen auszuüben vermögte, ha-
ben; denn allen diesen Voraussetzungen widerspricht die
Thatsache, dafs diese erbliche Anlage erst in den Jahren
der reiferen Jugend zum Ausbruch kommt. Wäre den
Säften oder festen Thellen eine fehlerhafte Beschaffenheit
angeboren, so könnte niemand begreifen, warum deren
schädliche Wirkung so lange hinaus verschoben würde.
Ungleich wahrscheinlicher ist die Annahme einer angebor-
nen Idee oder eines Strebens zur Leitung der eigenthüm-
lichen Bewegungen Behufs der Hervorbringung gewisser
Exkretionen. Ja man darf diese Annahme für gewifs hal-
ten, da es bekannt ist, dafs die Antriebe zu Blutungen
vermöge eines angeerbten Eindrucks auf die Kinder fort-
gepflanzt werden können. Somit läfst sich erklären, wie
ein angeerbtes Bestreben zur Lungenblutung die Schwind-
sucht einleiten kaun. Auch läfst sich diese Richtung des
Bestrebens zur Hervorbringung gewisser Bewegungen durch
das Beispiel der Leidenschaften und Sitten beweisen, welche
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durch erbliche Uebertragung von den Eltern ihren Kindern
eingepflanzt werden können, wie dies schon früher erläu-
tert wurde.
*
Drittes Kapitel.
Vom Blutbrechen.
• ■ •
Da dasselbe unter allen Blutungen unstreitig die sel-
tenste ist, so kann man sich nicht darüber verwundern,
dafs die Theoretiker den bei demselben obwaltenden akti-
ven Bedingungen so wenig ihre Aufmerksamkeit geschenkt,
und daher nicht erkannt haben, wie diese ihrer Natur nach
zu einem solchen Ausgange hinstreben, und in welchem
Zusammenhange sie mit gleichzeitigen und verwandten
Krankheitserscheinungen stehen. Da ich aber über das
Blutbrechen schon ausfuhrlich gesprochen habe, so will
ich das Gesagte nicht wiederholen, und mich mit einigen
Bemerkungen begnügen. Da dasselbe so selten sich ereig-
net, so läfst sich daraus schliefsen, dafs seine Ursachen
nicht täglich vorkommen, sondern dafs eine eigentümliche
und individuelle Bedingung gegeben sein mufs, wenn das,
was nur so wenigen Menschen begegnet, geschehen soll.
Es wird dies um so einleuchtender, wenn man mit Hinten-
ansetzung jeder vorgefafsten Meinung den Umstand ins Auge
fafst, dafs dem Blutbrechen eine grofse Anstrengung (con»
tenfio) in den Präkordien, zumal auf der linken Seite, vor-
angeht. Es ist dieselbe aber nicht so anhaltend und gleich-
förmig, dafs man dabei nach den gewöhnlichen Begriffen
eine Verstopfung voraussetzen könnte; vielmehr tritt sie
in deutlichen Anfällen auf, während welcher die Anstren-
gung der Bewegungen einen höheren Grad erreicht, hinter-
drein aber nachläfst.
Dafs die Gemüthserschütterungen, namentlich der Zorn,
hierbei die gröfste Aufmerksamkeit verdienen, erhellt aus
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ihrer Macht, Anfalle des Blutbrechens hervorzurufen, und
die heftigsten, bis zu Konvulsionen gesteigerten Anstren-
gungen in den Präkordien, welche das Blutbrechen einlei-
ten, zu veranlassen, wie sich dies bei den hypochondrisch-
hystcrischen Frauen nur zu sehr bestätigt.
Dies Auftreten der Anstrengungen in deutlichen und
plötzlichen Anfällen liefert den Beweis, dals denselben
krampfhafte Bestrebungen zum Grunde liegen, durch welche
das Blut aus der gesammten Pfortader nach der Milz hin-
getrieben wird, so dafs es also nach der Milzvene zurück-
stauet, um durch dieselbe ergossen zu werden. Zur Erläu-
terung habe ich im vorigen Theile in dem Kapitel vom
Blutbrechen einen Fall angeführt, wo das Erbrechen sich
an monatliche Perioden band, wobei ihm regelmäfsige An-
triebe vorangingen, bis es nach Ablauf eines Jahres durch
Schafgarbe geheilt wurde. Obgleich späterhin nach einer
heftigen Gemütbserschütterung die stärksten krampfhaften
Anstrengungen in den leidenden Th eilen entstanden, so
kam es doch nicht wieder zum Ausbruch des Blutbrechens,
und die Kranke litt auch in der Folge nicht weiter daran,
ungeachtet sie noch einige Mal von einer Lungenblutung
befallen, und sogar durch eine unpassende Arznei zum
Brechen veranlafst wurde. Es liefs sich in diesem Fall
ganz besonders das Periodische der in Paroxysmen auftre-
tenden Bewegungen erkennen.
Ungeachtet dieser Krankheitszustand in Bezug auf sei-
nen Erfolg ungleich seltener beim männlichen Geschlechte
vorkommt, so treten doch die gleichsam aus der Ferne auf
ihn hinwirkenden Antriebe bei demselben nicht seltener,
als bei den Weibern ein, wenn gleich letzlere, was die
Heftigkeit des Anfalls und seine Dauer betrifft, es den
Männern zuvorthun. Man mufs daher bei diesem Krank-
heitszustand, den man gewöhnlich mit dem Namen Hypo-
chondrie belegt, vorzüglich seine Seltenheit in Erwägung
ziehen. Denn wenn derselbe an sich betrachtet, auch kei-
nesweges selten ist, vielmehr in einer ziemlich beträcht-
38
liehen Zahl vorkommt; so mofs man ihn doch, wenn man
die mit ihm behafteten Individuen mit der gesammten
Menschenmenge, und die Zeit seiner Dauer mit dem gan-
zen Lieben in Vergleich bringt, für selten genug halten.
In der erstgenannten Beziehung kann man annehmen, dafs
kaum der zwanzigste Theil des Menschengeschlechts an
wirklicher Hypochondrie leidet. Bei dieser Schätzung wol-
len wir, nicht einmal den bei weitem gröfsten Theil des
Menschengeschlechts in Anschlag bringen, welcher fern
von den zügellosen Begierden in den diätetischen und an-
deren Lebensverhältnissen (welche die Litteraten Kultur
und Sitten nennen) sich mit einfacher Nahrung begnügt,
an angestrengte Bewegungen gewöhnt, den Leidenschaf-
ten weniger unterworfen ist, und daher von Krankheiten
überhaupt, und der Hypochondrie insbesondere verschont
bleibt, wie dies vorzüglich von den Bewohnern Afrika's
und Amerika's gilt. Eben so wollen wir abstrahiren von
den zufälligen Blähungsbeschwerden und unruhigen Bewe-
gungen in den Gedärmen von Atonie derselben, welcne
nach unpassenden und ungewohnten Speisen entstehen, aber
nur mit Unrecht zur Hypochondrie gerechnet werden.
In Bezug auf die Dauer derselben ist es bekannt, dafs
sie auch bei den Personen, welche sie wirklich befallt,
eine seltene Erscheinung ist, da sie nicht zu jeder Zeit,
sondern nur in einem gewissen Lebensalter entsteht Auch
dann hält sie nicht ununterbrochen an, sondern sie bricht
nur nach Zwischenräumen und bei günstigen Gelegenhei-
ten in einzelnen Anfällen aus. Endlich mufs man sorgfal-
tig unterscheiden, welchen An theil daran die Krankheit
an sich hat, oder was man dagegen zu einfachen, aus
äufecren Ursachen entsprungenen, nur durch sie verschlim-
merten Unterleibsbeschwerden von Atonie und Flatulenz
rechnen muls. Um zu einer richtigen Erkenntnifs hier-
über zu gelangen, mufs man sich um eine naturgetreue
Geschichte dieser Krankheit bemühen.
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§. 1.
Von der Hypochondrie.
Es besteht dieselbe, wie schon ihr Name anzeigt, in
einem eigentümlichen Leiden, welches unter den Rippen,
zumal auf der linken Seite seinen Sitz hat. Sie offenbart
sich durchjSchmerzen, welche weniger stechend, reifsend
und heftig, als spannend, druckend, beengend und beäng-
stigend, sellener brennend sind. Häufig gesellt sich dazu
eine beträchtliche Aufircibung und Härte des linken Hypo-
chondriums. Man vermuthet daher nicht mit Unrecht, dafs
Hippokrates einen ausgezeichnet hohen Grad dieses Uebels
unter dem Namen einer vergrößerten Milz verstanden habe.
Denn die Stelle unter den kurzen Rippen auf der linken
Seite zeigt nicht nur eine beträchtliche Anschwellung und
Härte, sondern diese Erscheinungen dauern zuweilen hart-
näckig mehrere Tage hindurch fort, ja sie werden sogar
anhaltend. Häufig läfst sich selbst an dieser Anschwellung
die Gestalt der Milz äufserlich erkennen; auch wird ihr
Leiden zuweilen durch Leichenöffnungen bestätigt. Ge-
wöhnlich, jedoch^ nicht immer, ist die Hypochondrie mit
Leibesverstopfung verbunden , zumal während der heftige-
ren Anfälle, uud wenn diese bevorstehen, ganz besonders
aber beim weiblichen^Ges chle chte. Dabei mufs man je-
doch nicht vergessen, dafs eine aus anderen Ursachen ent-
standene und versäumte Leibesverstopfung umgekehrt jene -
Beschwerden hervorrufen, wenigstens sie beträchtlich ver- *
stärken kann.
Ganz besonders sind der Hypochondrie ausgesetzt:
1) Die Vollblütigen, und zwar sie vorzugsweise mehr
als alle übrigen.
2) Diejenigen, welche an einer mehr oder minder deut-
lichen Verdickung des Blutes leiden, welche sich bei
Aderlässen und freiwilligen BluÜlüsscn zu erkenneu
giebt«
3) Diejenigen, welche eine sitzende Lebensweise fuhren,
40
* und nur zuweilen sich plötzlichen und ungemäfsigtcn
Körperbewegungen hingeben, wodurch ihr Blut schnell
in Wallung geräth.
4) Alle starken Esser, zumal wenn sie viele trockene
Speisen und Brod geniefeen, und dabei wenig trinken.
5) Vor allen anderen sind Menschen in dem blühenden
Lebensalter der Hypochondrie unterworfen, nicht aber
Kinder und angehende Jünglinge. Greise leiden nur
daran, wenn das Uebel sich bis in ihr späteres Alter
fortsetzte. Ja es ereignet sich gewöhnlich, daß) beim
Ueb ergange des jugendlichen Alters in das reifere diese
Beschwerden gänzlich verschwinden, wenigstens be-
deutend nachlassen.
6) Sehr viele, welche an der Hypochondrie litten, wer-
den von ihr befreit, sobald wiederholte Hämorrhoi-
dalblutungen sich einstellen. Umgekehrt verhält es
sich mit Bejahrten, bei denen zur Gewohnheit ge-
wordene Hämorrhoiden unterdrückt wurden, wonach
sie denn alsbald mit Anfällen von Hypochondrie ge-
plagt werden. Sehr merkwürdig ist in dieser Be-
ziehung der von Hildanus angefübrte Fall, wo ein
von den heftigsten hypochondrischen Beschwerden
gefolterter Edelmann von denselben befreit wurde,
nachdem er sich jeden Monat Blutegel hatte anset-
zen lassen. Beim weiblichen Geschlecht fallt der Zu-
sammenhang der Hypochondrie mit der Menstruation
deutlich in die Augen, und sie ist bei* demselben so
häufig und heftig, dafs die Alten es für nöthig er-
achteten, sie in dieser Verbindung als eine eigen-
tümliche Krankheitsform aufzustellen. Es verbalt
sich überdies mit der Menstruation wie mit den Hä-
morrhoiden, dafs nach ihrem Aufhören im vorgerück-
ten Alter um so leichter hypochondrische Beschwer-
den auftreten, je deutlicher eine vollblütige Konsti-
tution ausgesprochen ist. Eine Bestätigung dafür giebt
die wesentliche und andauernde Erleichterung, welche
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Hypochondristcn nach zeitgemäßen und an entspre-
chenden Orten veranstalteten künstlichen Blutentzie-
• *
hungen verspüren. Jedes anderweitige Heilverfahren,
bei welchem ein zweckmäfsiges Regimen in Bezug
auf Getränk und Bewegung den Vorrang behauptet,
bringt dann weit gröfseren Nutzen; ja die passend-
sten Arzneien, nnd unter ihnen vorzüglich die to-
nisch -subadstringirenden verschlimmern nur die Zu-
fälle , wenn ihnen keine Blutentziehung vorange-
schickt wird.
7) Endlich gehört noch die Beobachtung hierher, dafe
die jetzt übliche voreilige Anwendung von Brech-
mitteln gegen jene Beängstigungen und Anstrengun-
gen in den Präkordien, zumal bei offenbar vollblüti-
gen Hypochondristen , nicht nur das örtliche Leiden
beträchtlich steigert, sondern ihm auch eine gröfsere
Hartnäckigkeit mittiieilt, und ein habituelles Gefühl
von Drücken und Aufblähung hervorbringt. Zwar
werden diejenigen Personen vorzugsweise eine solche
Verschlimmerung erfahren, welche schon vorher von
Blähungen geplagt waren ; doch mufs man nicht glau-
ben, dafs letztere hierbei die Hauptrolle spielen, da
es sogar nicht selten bis zum Blutbrechen kommt.
Aus allen diesen Umstanden mufs man den Schlüte
ziehen, dafs die Hypochondrie einen Verein von Erschei-
nungen bildet, welche auf den Antrieb , theils zum Blut-
brechen, theils zu einem inneren Hämorrhoidalflufs hindeu-
•
ten. Wenn daher jene aktiven Beschwerden mehr in den
Präkordien und besonders in der Milz ihren Sitz haben,
so- bezeichnet dies eine Hinneigung zum Blutbrechen, da-
her dieser Fall sich auch vorzüglich beim weiblichen Ge-
schlecht ereignet. Wenn sich aber die Zufälle mehr nach
unten oder nach \ der reehten Seite wenden, so liegt ihnen
ein Hämorrhoidalis zum Grunde. Davon rühren dann
die Hämorrhoidalkoliken her, und nach unterdrückten Hä.
morrhoiden bilden sich sogar Wassersuchten und lieber-
4
Verstopfungen ans. Beim männlichen Geschlecht gesellen
sich noch jene qualvollen Nierenkoliken und das sie be-
gleitende Erbrechen hinzu, welche vorzüglich in nachste-
hende Folgen übergehen: 1) in Blutbrechen; 2) in Tcnes-
mu8 mit schleimig -blutigen, oder im günstigeren Falle mit
reinen Blutausleerungen ; 3) in die sogenannten kachek-
tisch-scorbutischen Zustände, oder noch häufiger in Was-
sersucht.
Auch darin stimmen die hypochondrischen Beschwer-
den mit der Natur und den Bedingungen der Antriebe zu
Blutungen überein, dafs sie der durch das Alter bedingten
Richtung derselben folgen, dafs sie daher bei jüngeren Per-
sonen (vorzüglich Weibern, etwas später aber auch bei
Männern ) sich mehr nach den höher gelegenen Organen,
den Präkordien, der Milz wenden (es sei denn, dafs zu-
fällige äufsere Ursachen ihnen eine andere Richtung geben)
und daher auf Blutbrechen abzwecken, wenn dasselbe auch
seltener zum Ausbruch kommt. Bei bejahrteren Perso-
nen, zumal Männern ziehen sie sich dagegen tiefer hinab,
und treten als Koliken und Tenesmus auf. Ich kann
hierbei eine Beobachtung nicht verschweigen, welche ich
schon mehrmals bei robusten, und einige hypochondrische
Beschwerden abgerechnet, blühend gesunden Jünglingen
machte, wo auf ein sehr lästiges spannendes, drückendes
Gefühl in dem linken Hypochondrium ein Ausbruch von
Blutbrechen erfolgte. Wenn letzteres wiederkehrte, so
gingen ihm an demselben oder dem vorigen Tage die ge-
nannten Beschwerden voran.
Eine fernere Bestätigung dieser Ansicht, nach welcher
die gedachten Symptome auf einen Blutflufs hindeute»,
giebt uns das Zusammentreffen derselben mit Erscheinun-
gen, welche eine bevorstehende Lungenblutung anzeigen.
Eine solche Vereinigung finden wir z. B. bei Frauenzim-
mern, wo Beschwerden der Menstruation, der Hypochon-
drien und der Brust zuweilen gemeinschaftlich angetroffen
werden. Denn wenn bei vollblütiger Konstitution die
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Menstruation unterdrückt wirdj so dringen eben sowohl
Kongestionen nach der Brust, wo sie Bestrebungen zum
Blutergufs veranlassen, als auch sehr häufig nach den Prä-
kordien, wo sie auf die nämliche Weise, wenn gleich sel-
tener Blntbrechen hervorbringen.
Endlich kann ich den Zusammenhang der schwereren
hypochondrischen Zufalle mit den Bestrebungen zu Blut-
flüssen noch dadurch beweisen, dafs jene durch dieselben
Ursachen angeregt und verschlimmert werden, welche eine
gleiche Wirkung auf die Blutflüsse ausüben, und zwar un-
gleich mehr die Bewegungen und ihre Richtung angehen,
als sie eine Veränderung der Materien hervorzubringen
geeignet sind. Ich meine hier die Leidenschaften, deren
Macht , die Vorgänge der Menstruation abzuändern, hin-
reichend bekannt ist, gleichwie sie Anfälle von Hypochon-
drie zu erzeugen vermögen. Es wird dies um so einleuch-
tender, da ihre Wirkung auf die Menstruation sogleich
hypochondrische Beschwerden nach sich zu ziehen pflegt,
wenigstens eine Hinneigung dazu begründet. Es würde
daher thörigt sein, nach der Lehre der Alten einen Unter-
schied zwischen Hypochondrie und Hysterie aufzustellen,
und die zuletzt erwähnten nach Störung der Menstruation
auftretenden Beschwerden deshalb hysterische nennen zu
wollen. Wenn Highmor und Willisius es sich ange-
legen sein lassen, den wahren Zusammenhang der Blut-
flüsse mit den kongestiven Antrieben dazu aufzuklären,
wie er sich in täglicher Ei-fahrung bestätigt; so würden
. beide ihre lobenswerthen Untersuchungen zur Reife ge-
bracht haben, jener indem er zeigte, dafs die Hypochon-
drie der Männer und die Hysterie der Weiber ihrer Art
nach keinesweges verschieden sind, letzterer indem er be-
wies, dafs die dabei auftretenden Beschwerden krampfhaf-
ter, oder wie er sich auszudrücken beliebt, konvulsivischer
Natur sind, und sich daher auf die Bewegungen, nicht
aber auf Entartungen der Materien beziehen. Sie hätten
des vortrefflichen Ausspruchs der Alten gedenken sollen:
*
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Quod natura ad exoneraiiones vergat, tendat, immo elaboret.
Wie verderblich war dagegen der in ihrem Zeitalter ver-
breitete Irrthum, dafs bösartige, giftige Ausdünstungen aus
dem Menstrcalblute, welches 4 eine gleiche Beschaffenheit
haben sollte, wenn es zurückgehalten wird, sich entwic-
kelten, und weit umher sich verbreitend jene lästigen Zu-
fälle, namentlich die Konvulsionen hervorbrächten. Man
lief* dabei aufser Acht, dafs unter hundert Jungfrauen, de-
ren Menstruation unterdrückt wird, vielleicht kaum eine
«anzige dergleichen Beschwerden erleidet, dafs dagegen eine
heftige Gemüthserschütterung durch Zorn, Schreck und
ängstliches Verlangen mehr, häufiger und gewisser Scha-
den stiftet, als jene itvqut u)la Hippocratis, vel sexcenti
sapores, vapores, humores et uligines. Was man über den
Einflufs der süfsen und starkriechenden Dinge, sowohl der
angenehmen als widrigen (z. B. einer ausgelöschten Kerze)
gesagt hat, wird kein Umsichtiger auf eine unmittelbare
Wirksamkeit der Materien, sondern auf ein besonderes Ge-
schmacksurtheil beziehen, und mehr als die mittelbare Folge
einer deutlichen und einfachen Reizung, als eines verbor-
genen Gifts ansehen. Denn bei der Mehrzahl hysterischer
Frauen schaden jene Dinge nicht, wenn nicht die süfsen
durch einen blähend gährenden Reiz mittelbar jene Auf-
regungen hervorbringen. Gcwifs giebt es aber keine Hy-
sterischen, bei welchen nicht ein plötzlicher, besonders aber
heimlicher Zorn, Schreck und Sehnsucht bedeutende Men-
8truationsbesch werden und hysterische Anfälle hervorbrin-
gen sollte.
Die vornehmste und unmittelbar innere Ursache des
hypochondrischen und hysterischen Leidens ist also ein
Uebermaafs an Blut, und der Antrieb desselben zur Ent-
leerung. Letzterer betrifft die Pfortader, welche entwe-
der nach oberwärts durch Blutbrechen oder nach unten
zu durch Hämorrhoiden eine Blutung zu Stande zu brin-
gen strebt. Als eine hinzutretende, die Hypochondrie be-
fördernde Ursache mufs man eine zur Flatulenz geneigte
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\
Atome der Gedärme ansehen. Obgleich Blähungen das vor-
nehmste Symptom der hypochondrischen Bewegungen sind;
so können erst er c doch auch durch andere auf empfind-
liehe Konstitutionen einwirkende Ursachen hervorgebracht
werden. Die Blähungen müssen den regelmäfsigen und
freien Umlauf des Blutes in den zahllosen Verästelungen
seiner Gefaise, zumal derer, welche sich durch die iunica
nervea der Gedärme verbreiten, beeinträchtigen. Sie wer-
den also unstreitig eine wirksame Ursache abgeben, welche
bei einer zu spastisch -hypochondrischen Bewegungen ge-
neigten Konstitution dieselben zum Ausbruch bringt. Die
aus den angegebenen Bedingungen entstehende Ausdehnung
der zur Pfortader gehörenden Gekröse- und Milzveucn
muis dann ihrerseits zur Verschlimmerung der Zufälle bei-
tragen. Denn indem durch die ungleichen Zusammenzie-
hungen einige Geßifse verengert oder verschlossen werden,
wird das mit gleichem Impulse fortgetriebene Blut um so
mehr in jene eindringen, und diese ungleiche Vertheilung
und Anhäufung desselben in einigen Aesten kann sogar zu
Stockungen Anlafs geben.
Zur Verhüthung und Zertheilung derselben sind dann
tonische Bewegungen erforderlich, mit deren Hülfe das
thätige Princip der Lebensökonomie den gehörigen Fort-
trieb des Blutes bewerkstelligt. Es geschieht dies aller-
dings durch eine Irritation; doch ist letztere eine wahre
Behufs eines Zwecks, oder, wie die Schulen sich ausdrük-
ken, ein moralischer Impuls, nicht aber eine blofse kör-
perlich-physische, welche in einem mechanischen Akte
oder Erfolge bestände. Denn allerdings sind diese Thcile
iahig eine solche Ausdehnung zu erleiden, und in ihr zu
beharren, wie dies sich in wirklichen Stockungen zeigt,
welche theils vou Entzündungen, theils von blofscn Ueber*
fullungen herrühren, und einer chronischen Auftreibung,
selbst anhaltenden Verhärtung der Milz, Leber und des Ge-
kröses unter hektisch -wassersüchtigen Erscheinungen zum
Grunde liegen. In diesen Fällen sind offenbar physisch-
/
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I
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mechanische Anhäufungen (regurgHatio) und schwere Ver-
stopfungen vorhanden, und sie sollten verhältnikmälsig in
einem weit ausgezeichneteren Grade jene krampfhaften Be-
wegungen zum Erfolge haben, als diese in anderen Fällen
z. B. bei Frauen entstehen, welche nach einem blofsen hef-
tigen Zorn oder Schreck eine Verschlimmerung ihrer ge-
wöhnlichen hypochondrischen Zufälle erleiden. Gewöhn-
lich geschieht jedoch von allem dem nichts, indem meisten-
teils verhältnismäßige hypochondrische Anstrengungen bei
jenen Krankheiten fehlen. Iudeis können sie auch zufäl-
lig zu ihnen sich gesellen, wenn Leidenschaften die Ver-
anlassung geben, aber sie sind dann vergeblich, gleichwie
auch ungewöhnliche Gelegenheitsursachen solche nutzlose
Bewegungen erregen, welche außerdem nicht vorzukom-
men nflesen.
Aber im Gegentheil je näher solche hypochondrisoh-
krampfhafte Anstrengungen jene Organe betreffen, durch
welche dergleichen Entleerungen einen Ausgang finden
können, um so deutlicher treten die hypochondrischen An-
fälle in Wirklichen und schweren Paroxysmen auf. Und
zwar geschieht dies nicht blos nach einfachen inneren Ge-
legenheitsursachen , wo es zweifelhaft bleiben könnte, ob
diese Erscheinungen wirklich durch eine kongestive Be-
wegung und durch einen austreibenden Impuls veranlafst
wurden, sondern auch nach deutlichen leidenschaftlichen
Erregungen. Hieraus läfst sich mit Recht folgern, dafs alle
diese Wirkungen abhängig sind von einem aktiven An-
triebe nach solchen Orten, wo er eine Ausleerung zu be-
wirken strebt, wie diese vermöge der besonderen Taug-
lichkeit jener dazu geschehen kann. Doch gelangt dies
Bestreben nicht immer zur vollen Wirkung, sondern kehrt
zeitig in einen ruhigeren Zustand zurück.
Um dies gehörig zu verstehen, muls man die Struk-
tur und die Einmündung, sowohl der Pfortader überhaupt,
als der zu ihr gehörigen Milz - und Hämorrhoidalvenen
sorgfältig in Betrachtung ziehen. Im Allgemeinen hat man
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seine Aufmerksamkeit auf die nach allen Seiten über den
ganzen Verlauf des Darmkanals ausgebreiteten Verzweigun-
gen jener Vene zu richten. Die Milz (welche im Men-
schen einem das Blut reichlich einsaugenden und zurück-
haltenden Schwämme gleicht) ist dergestalt an die Pfcrt-
ader geheftet, dafe diese aus ihr das Blut in dünne, den
kurzen Gefäßen des Magens ähnliche Aeste der Milzvene
reichlich aufnimmt, nicht aber dasselbe aus der Milz selbst
mit zahlreichen in ihrer Textur verzweigten Aesten schöpft,
wie man sie mehr bei den Thieren findet. Es ist daher
nicht zu verwundern, dafs dieser üebertritt des Blutes,
gleichsam aus seiner reichlichen Anhäufung in dem geschil-
derten Gewebe der Milz unmittelbar in die wenigen und
engen Aeste der Milzvene schnell verhindert werden kann
durch eine heftige tonische Anspannung der Milz, oder in
einem noch höheren Grade durch eine eigenthümliche Ver-
engerung und Striktur der Milzvene bei ihrer Einmündung
in die Pfortader, wovon sogleich ein Mehrere«. Auch ha-
ben wir die Vertheilung eines ziemlich beträchtlichen Astes
der Pfortader zwischen dem Pankreas und Duodenum zu
bemerken; so wie vornämlich die Verzweigung des geräu-
migen Stammes der Pfortader in unzählige gröfsere und
kleinere Aeste, welche, schnell an Dicke abnehmend, als
die feinsten Reiser in der gesammten Substanz der Leber
sich verbreiten. Also ganz im Gegensatz mit dem übrigen
Venensystem geht das Blut aus weiteren Aesten in engere
und endlich in die engsten über.
Bei einer solchen Einrichtung der Pfortader, welche
aus einem so bedeutenden Umfange und aus so zahlreichen
Aesten eine beträchtliche Menge Blut aufnimmt, und in
ihrem, im Vergleich zu der Arteria coeliaca und mesen-
terica sehr ansehulichen Stamme fortleitet, dann aber in
zahlreiche und schnell bis zur geringsten Ausdehnung sich
verengende Aeste überführt — muJfe man sich wohl dar-
über verwundern, dafs daraus nicht bei weitem schneller
zahlreiche, anhaltende, ja immerwährende Störungen, Hin-
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dcrnisse, Beschwerden und Gefahren hervorgehen. Nor
eine richtige mechanische Vorstellung von der eigentüm-
lichen Anheftungsweise, durch welche die Leberäste der
Pfortader offen erhalten werden, und von dem immerwäh-
renden Impulse durch das Zwergfell und die Bauchmuskeln
kann diese Schwierigkeit zu einem grofeen Theile lösen.
Eine besondere Betrachtung haben wir noch theils der
Verbindung der Dämorrhoidal— mit der Milzvene, theils
jenem dem Menschen ganz eigentümlichen Bau der Pfort-
ader Zu widmen, welche überhaupt, besonders aber an
ihrem Stamme und dem ramus splenico-haemot-rhoidaliSj
von einem dicken, dicht verflochtenen Fasergewebe umge-
ben ist. Durch Zusammenziehung des letzteren kann da-
her sehr leicht die Stelle der Einmündung jenes Astes in
den Stamm zusammengeschnürt werden, woher denn der
freie und hinreichende Zurückflufs des Blutes verhindert,
und eine Stockung des letzteren in den Arsten erzeugt
und unterhalten werden kann. Was aber die Zusammen-
mündung der Venen betrifft, so erheilt daraus, wie die
hypochondrischen Bewegungen sich mittheilen, und wei-
ter bis zur Milz und abwärts bis zu den Hämorrhoidalge-
fafsen fortpflanzen, ja gegenseitig zwischen den genannten
Stellen hin und wieder schweifen können.
Denn da die Menge der umgebenden Fasern ein Werk-
zeug darbietet, mit Hülfe dessen theils die Pforiader an
ihrem Stamm, insbesondere die Milzvene an der Stelle,
wo sie sich in jene einmündet, theils aber ganz vorzüglich
die Hämorrhoidalveue, welche an derselben Stelle sich mit
der Milzvene verbindet, und zwar vermittelst einer Slrik-
tur jener Fasern sich zusammenziehen kann; so mufs das
in ihnen fliefsendc Blut, wenn es durch Zusammenschnü-
rung jener Mündungen zwischen ihnen und den feinsten
Venenreisern eiugesperrt wird, und durch Zurückstauung
sich immer mehr ansammelt, endlich sowohl die GefäTse
selbst als ihre feinsten Eudigungen dergestalt ausdehnen,
dafs diese sich auf eine ungewöhnliche Weise eröffnen, und
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dadurch einen wirklichen Ergufs des in ihnen enthaltenen
Blutes bewirken. Hierdurch wird zugleich die Schwierig-
keit beseitigt, dafs in den Venen das Blut nicht in der
Richtung von den gröfscren Aesten zu den kleineren und
kleinsten fliefst, da auf die angegebene Weise, sobald der
Fortgang durch die gröfseren versperrt ist, allmählig eine
Ansammlung und Ausdehnung nach den Gefäfsenden zu
statt findet. Also nicht von jenen zu diesen flieist das
Blut zurück, sondern auf gewohnte Weise drängt es sich
in den Gcfüfsen nach vorwärts, bis diese dermafsen ange-
füllt sind, dafs die feinsten Endigungen per anastomosin
eröffnet werden. Hierzu kommt noch bei der Pfortader
der Mangel an Klappen in allen ihren Zweigen, wodurch
das Vor- und Zurückfliegen des Blutes noch mehr begün-
stigt wird.
Ferner trägt zum Zurückstauen des durch Einschnürung
in seinem Laufe gehemmten Blutes die weichere, gleich-
sam schlaffe Konsistenz der Milz bei, welche daher immer
ein fast gerunzeltes Ansehen hat, ejne Einricbtung, welche
darauf berechnet zu sein scheint, damit dergleichen An-
strengungen leichter und ohne unmittelbare Gefahr von
statten gehen können, obgleich zuletzt die bedeutend aus-
gedehnte Milz mit einer tonischen Thätigkeit widerstreben
und das Blut zurücktreiben kann. Obgleich man nicht mit
Unrecht anfuhrt, dafs der Theil des Magens, an welchen
einige wenige Geföfse von der benachbarten Milz treten,
zarter in seiner Struktur ist, als sein übriger Umfang, so
dafs das Blut ans jenen Gcfüfsen daselbst schneller sich in
seine Höhle ergiefsen kann; so mufs man doch auf den gro-
fsen Unterschied achten zwischen der blofsen Einrichtung
der Organe und ihrem Gebrauch zu ihrer wirklichen Thätig-
keit. Wenn man daher nach organischen Gründen urtheilt,
dafs die Struktur des Magens so beschallen ist, um ein Durch-
brechen des Blutes sogar ohne Schwierigkeit zu gestatten;
so mufs man doch erwägen, dafs ungeachtet dieser gün-
stigen Bedingung jene Blutung überall selten eintritt Man
Stahl's Theorie d. Heilkunde. III. 4
50
hat daher gewifs auch jene eigen thumliche Wirkungsweise
zu berücksichtigen, auf welche jene Organisation in Tä-
tigkeit gesetzt wird, nach welcher also die mechanische
Einrichtung durch das organisirende Princip oder Energie
so in Gebrauch gezogen, geleitet und bethätigt wird, als
dermalen der Nutzen, die Notwendigkeit oder selbst eine
verkehrte Gewohnheit es erheischt. Indem ich wieder-
holt bemerke, dafs das erste Entstehen des Blutbrechens
eine seltene Erscheinung ist, mufs ich hinzufugen, dafs es
einmal entstanden nachher leicht und schnell wiederkehrt,
und zwar in genau bestimmten Zeitabschnitten. Die tha-
tigen Vorbereitungen dazu, welche gleffehsam von fern her
wirken, werden freilich schneller und häufiger angeregt;
indefs die Natur sammelt und verbessert sich, so dafs sie
von den schon begonnenen Antrieben wieder absteht, und
sich mit dem blofsen Forttreiben des Blutes begnügt, ohne
hartnäckig die Ausstofsung desselben durchzusetzen.
. So ist das eigentliche Triebwerk der hypochondrischen
Zufalle beschaffen, von denen jetzt die Rede ist. Wenn
man sie auf die thätigen Bestrebungen und Anstrengungen
sorgfaltig bezogen hat, so erwächst hieraus für den Arzt
der praktische Nutzen, dafs er seine Aufmerksamkeit ge-
hörig auf die Erkenntnifs und Abschätzung, und nach Be-
schaffenheit der Umstände, der günstigen Ortsverhältnisse,
der Art und des Maafses auf die Nachahmung solcher Aus-
leerungen richten kann, deren Hervorbringung den Zweck
jener Anstrengungen ausmacht. Letztere wird er ohne Be-
rücksichtigung jener Bedingungen nicht mit vielem Gluck
bekämpfen, ja nicht einmal auf eine vortheilhafte und dauer-
hafte Weise mildern können, und nur mit Gefahr gewalt-
sam unterdrücken. Denn durch ein solches Verfahren wird
nichts sicherer erreicht, als dafs es Verschlimmerungen,
hartnäckige Angewöhnungen, regelwidrige Abweichungen
in neue und fremde Symptome, und endlich Metasch ema-
tismen in Krankheitsformen hervorbringt, welche gewöhn-
lich ftir andere Gattungen gehalten werden, aber in Wahr-
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«
heit verwandte Leiden sind. Diese nehmen entweder in
einem geregelten Fortschreiten ihre Richtung nach innen;
oder sie werfen sich mit einer weniger gemäfsigten Auf-
regung auf die äußeren Theile als rheumatisch -gichtische
Anfalle, die sich bald festsetzen, bald umherschweifen.
Oder wenn durch einen plötzlichen und unbescheidenen
Eingriff die Zufalle eutweder hoch höher gesteigert und
aufgereizt, oder mitten in ihrer Aufwallung schnell unter-
druckt werden, dann kommt es zu offenbaren unmäfsigen
Ausbrüchen aus andern Organen, oder zu gefahrlichen Op-
pressionen, z. B. zum Bluthusten, konvulsivischen Asthma
uud dem sogenannten Cutarrhus stiffbcativus, oder bei Be-
jahrteren und selbst im mittleren Alter bei sehr zum Zorn
geneigten Personen zur Paralyse, Hemiplegie und Apo-
plexie.
Hieraus erhellt zugleich, welchen eigentümlichen Cha-
rakter jene äufseren nnd wirklich verlarvteu Formen der
Hypochondrie besitzen, welche zuweilen bei Greisen vor-
kommen , und nach der gewöhnlichen Meinung fälschlich
für eine einfache Hypochondrie erklart wurden, da sie un-
gleich richtiger bald für hamorrhoi da tische, bald für ne-
phritische Beschwerden, ja nicht seilen für dunkle, aber
deshalb nicht leichte und fluchtige podagrische Anfalle zu
hallen sind, welche sich nach innen geworfen und daselbst
festgesetzt haben. Was unter solchen Umständen von ei-
nem verwegenen Gebrauch von Eisenmitteln, welche wirk-
lich eine adstringirende, keinesweges aber eine ihnen falsch-
lich beigelegte eröffnende Kraft besitzen, für Nutzen oder
Schaden zu erwarten sei, wird jeder sorgfaltig beobach-
tende Arzt ermessen können.
Im Jahre 1694 theilte mir ein Mann, der damals in
einein Alter von 68 Jahren stand, eine Geschichte seiner
Zufalle mit, welche die Acrzte, worüber man sich nicht
wundern konnte, für Hypochondrie gehalten hatten« Seine
Körperkonstitutiou war eine solche, welche schliefsen liefs,
dafs er in der Jugend ein sanguinisches, zum Melancholi-
4*
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sehen sic|i ein wenig hinneigendes Temperament gehabt
haben müsse, wofür sein schlaffer, hinreichend fetter Ha-
bitus, sein Gemüthscharakter und seine Neigung zur Hei-
terkeit und zu einem müfsigen Leben, welches ihm aber
nicht gestattet war, endlich seine noch in diesem Alter
blühende Gesichtsfarbe sprach. Auf meine Frage bestätigte
er, früher an Aderlässe und Schröpfen gewöhnt gewesen
zu sein, nur erinnerte er sich, seit langer Zeit nicht zur
Ader gelassen, und sich auch des Schröpfens nur wenig
bedient zu haben. Hierauf erzählte er, dafs er im nächst-
yergangenen Jahre an einem so unmäfsigen Niesen gelitten
habe, dafs er seiner Sinne beraubt zu Boden gefallen, und
erst nach einigen Minuten zur Besinnung zurückgekehrt
sei. Jener Zufall habe zwar nachgelassen, doch sei ein
Schwindel danach zurückgeblieben, den er sehr häufig,
wiewohl in abwechselndem Grade empfinde. Unter die-
sen Umständen machte ich ihm bemerklich, dafs er mei-
ner Theorie gemäfs wohl thun würde, weun er die ge-
wohnten Aderlässe nicht vernachlässigte, und dafs seine
nngestümen hypochondrischen Beschwerden, welche beson-
ders unter den letzten kurzen Rippen auf der linken Seite
statt fanden, auf einen Hämorrhoidalflufs hindeuteten. Ich
trug kein Bedenken, ihm aus diesem eine Erleichterung
seiner gegenwärtigen Beschwerden vorherzuverkündigen,
ja ich verhehlte ihm nicht meinen Zweifel an der gründ-
lichen Heilung der letzteren in seinem Alter, wenn es
nicht zu einer Hämorrhoidalblutung komme. Er hörte mir
aufmerksam zu und bestätigte mein Urtheil durch die An-
gabe, dafs er in den Jahren seines männlichen Alters an
Hämorrhoidalblutungen gewöhnt gewesen sei, und dafs er
sich dabei wohl befunden habe; auch könne er sich leicht
erinnern, dafs er gleiche hypochondrische Beschwerden wie
jetzt auch damals vor und um die Zeit der Blutung erlit-
ten habe, aber nach dem Eintritt derselben nachgerade be-
freit worden sei. Dies bewog mich, ihm den Rath zu er-
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theilen, dafs er seine Lebensweise mit grofser Vorsicht an-
ordnen, und darauf halten sollte, dafs ein einzuleitendes
Heilverfahren sehr umsichtig ausgeführt werde; denn die
Folgen, welche aus seinem gegenwärtigen Zustande her-
vorgehen könnten, seien nicht geringfügig, und er solle
seine Aerzte hierauf aufmerksam machen. Was diese von
meinem Urtheil gehalten haben, mögen andere wissen. Der
weitere Verlauf der Krankheit war so, dafs der Kranke
niemals Erleichterung seiner Beschwerden spurte, vielmehr
im nächsten Jahre von einem Blutharnen befallen wurde, _
welches eben so reichlich als hartnäckig war. Ich wider-
rieth zwar die unmittelbare Unterdrückung desselben durch
zusammenziehende Mittel, aber man beliebte keine andere
Methode. Den Kranken ergriff hierauf ein heftiges hek-
tisches Fieber, welches die Alten ein hektisch fauliges zu
nennen pflegten. Indcfs auch diesen Angriff überstand er
mit seiner überaus kräftigen Konstitution, und ungeachtet
nachher noch öfter ein Blutharnen zum Vorschein kam,
so fielen doch die Anfälle desselben gelinder aus, da man
statt der adstringirenden Mittel temperirende in Anwen-
dung setzte. Inzwischen blieb der Kranke von seinen ge-
wohnten Beschwerden geplagt, ja sie nahmen an Zahl und
Häufigkeit zu, bis er im zweiten Jahre darauf in Folge
einer erschütternden Gemüthsbewegung nach einem Kran-
kenlager von wenigen Tagen an Zufällen starb, deren Cha-
rakter sich nicht deutlich angeben liefs.
Ich kann versichern, dafs mir noch kein mit hypo-
chondrischen Zufallen behafteter Greis vorgekommen ist,
der nicht deutlich schon seit dem jugendlichen Alter in
einer fast ununterbrochenen Reihefolge an solchen Anfal-
len, welche besonders nach Gelegenheitsursachen wieder-
kehrten, gelitten hätte. Vorzüglich wurden sie von hä-
morrhoidalischen und nephritischen Beschwerden geplagt,
zwischen welchen oder gleichzeitig hypochondrische An-
fälle auftraten, wo dann jene entweder zu wirklichen Blut-
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Aussen kamen, oder nur blinde Anschwellungen hervor,
brachten, oder wo unter Stuhlzwang eine bald reichliche,
bald sparsame Ausleerung von Schleim erfolgte.
Kurz, das hypochondrische Leiden, wenn es mit Recht
seinen Namen von seinem Sitz unter den Rippen, zumal
auf der linken Seite, fuhrt, entspringt aus entfernt wir-
kenden Vorbereitungen zum Blutbrechen. Wenn es sich
dagegen weiter nach der unteren Bauchgegend ausbreitet,
und sich unter blähenden, spannenden, krampfhaften, ko-
likartigen Zufallen aufcert, wobei die Präkordien und das
linke Hypochondrium frei werden, dann deutet es auf ei-
nen Hämorrhoidalflufs hin. Hieraus erhellt, weshalb _dtes&
Krankheit beim weiblichen Geschlechte häufiger vorkommt,
weshalb sie bei ihm unter heftigem Beschwerden auftritt,
und weshalb sie hier vorzuglich in den'Präkordien unTim
linken Hypochondrium ihre ganze Wuth äufsert. Daher
denn auch das Blutbrechen sich häufiger bei Weibern er-
eignet. Dafs aber dies geschieht, und dafs überha upt di e_
hypochondrisch -Ii yst ei Uehen Beschwerden bei We ibern vofr ^
züglich nach Gemüthscrschütterungen leicht und schnell
zum Ausbruch kommen pJaTöl^^ in
den so häufigen Störungen der Menstruajion jtu suchen .
Sie sind also ihrer ganzen Bestimmung und Wirkungsweise
nach abhängig von übertragenden und austreibenden Be-
wegungen des Blutes, wie sie denn auch durch Auslee-
rungen und künstliche Blutentziehungen wenigstens in ih-
rer Heftigkeit bedeutend gemildert werden. Solchergestalt
läfst sich weit leichter der Zusammenhang auflinden zwi-
schen den ursachlichen Bedingungen und den Wirkungen
und Ausgängen der Krankheit, als dafs man ihre Zufälle
ohne Berücksichtigung ihrer inneren Verbindung für blos
passive und zufällige halten sollte.
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§ 2.
Von dem schwarzen Erbrechen.
Schon mehrmals habe ich es angegeben, dafs man zur
Vermeidung falscher Begriffe über die eigentlichen Krank-
heitsursachen ganz vorzuglich seine Aufmerksamkeit auf die
Seltenheit der meisten Krankheitszustände beim Mcnschen-
geschlechte richten müsse. So ist daher auch das Blutbrechen,
wenn es nicht durch gewaltsame äufsere Gelcgcnhcitsur-
sachen, z. B. durch drastische Arzneien entsteht, welche das
Blut in heftige Wallung bringen, und Erbrechen erregen, an
sich durchaus eine seltene Erscheinung. Dies gilt noch
in einem höheren Grade vom schwarzen Erbrechen. Man
mufs sich indefs dabei vor dem Irrthum bewahren, wel-
cher in vielen kliuischen Geschichtserzählungcn obwaltet,
nach denen eine Ausleerung verschiedenartig gefärbter Stoffe
bald nach oben, bald nach unten vorkommen soll. Am
häutigsten wird angegeben, dafs dieselben die Farbe und
Konsistenz des Pechs oder Theers gezeigt hätten. Eben
so müfste man sich erst durch den Augenschein von der
Wahrheit der Angaben überzeugen, dafs die ausgeleerten
Stoffe in sehr seltenen Fällen eine grünspanartige Beschaf-
fenheit gehabt haben sollen. Denn sehr häufig bemerkt
man etwas, was kaum eine grauliche Farbe besitzt, und
als Ueberrest eines dicken Biers, eingemachter Früchte,
z. B. Nüsse und Kirschen, von Eisenpräparaten, einem
Pilaumenabsud den Exkrementen beigemischt war. Eben
so muis man die Benennung des schwarzen Erbrechens
nicht buchstäblich nehmen, da die ausgeworfenen Stoffe
höchstens nur die Farbe des Wachholder- oder Flieder-
muises haben.
Nur einmal hatte ich Gelegenheit dasselbe zu teob.
achten, wo sich mir geronnene, längliche, gleichsam kurz-
fasrige Massen darboten. Ueberdies waren dieselben nur
in geringer Menge, so dafs sie etwa nur einen Eislöffel
voll betrugen, vorhanden, and mit Schleim vermischt In-
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dessen mufs man den Fall von Blutbrechen ausnehmen,
wo unmittelbar nach der Anwendung styptischer Arzneien
wirklich schwarze Stoffe zum Vorschein kommen.
7
Das genannte Erbrechen entspringt entvVcder, wenn
gleich selten aus hartnäckigen und chronischen, hypochon-
drischen Anstrengungen, oder es tritt akut bei unregel-
mäisigen Fiebern auf, welche mit anhaltendem Wachen
und einer dem Kranken ungewohnten Schweigsamkeit,
Nachdenklichkeit, Verdrossenheit und Bekümmernifs ver-
bunden sind, bei welchen weniger deutliche Exacerbatio-
nen mit sturmischen Erscheinungen, sondern mehr eine
Ermattung und Schwäche des Pulses und des Tonus wahr-
genommen werden. Einem solchen Zustande pflegen die
Praktiker den Charakter der Bösartigkeit beizulegen und
er verdient auch diesen Namen, da 1 dieselbe ihm ursprung-
lich eigen ist. Denn es liegt dabei eine Milzentzündung
zum Grunde, ungeachtet sie weder in Eiterung, noch in
brandige Verderbnifs überzugehen geneigt ist. Denn da Ts
durch das Erbrechen wirklich brandig gewordene Theile
ausgeleert werden, ereignet sich, wie ich glaube, höchst
selten.
Das schwarze Erbrechen, welches aus vorangegange-
nen chronischen Leiden entspringt, ist nicht, wie einige
behaupten, an sich heilsam, jedoch auch nicht geradezu
t öd 1.1 ich. so dafs wenn nicht Fieberbewegungen hinzutre-
ten, die Gefahr verhältnifsmäfsig geringer ist. Bei auf-
merksamer Betrachtung wird man auch finden, dafs ein
solcher Zustand deutliche Bestrebungen zum Blutbrechen
in sich begreift, nicht aber als die Ausstofsung halbver-
dorbenen Blutes angesehen werden mufs. Wenn dagegen
eine solche Ausleerung sich zu akuten Krankheiten gesellt,
so erreicht die (refahr jedesmal den äufsersten Grad, und
sie ist besonders dann vorhanden, wenn das Erbrechen
auf der Höhe der Krankheit und zur kritischen Zeit sich
einstellt, wo man Hülfe von heilsamen austreibenden Be-
*
wegungen erwarten sollte. Das Erbrechen ist nicht an
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sich und geradezu unheilbringend; denn ungeachtet aufser
der ausgestofsenen verderbten Materie noch einige in dem
Organ, welches sie enthielt, zurückbleibt, zu deren Ent-
fernung die Aasleerung nicht hinreicht, so ist letztere doch
im Allgemeinen ihrem Zwecke nach nützlich, wenn sie
ihn auch nicht gänzlich erfüllt. Indefs da ungeachtet ihrer
die Gefahr fortdauert, so muls diese zuletzt die Lebens-
ökonomie zerstören.
Aus der Darstellung dieser Erscheinungen erhellt zu-
gleich ihr Zusammenhang mit denen, von welchen in den
beiden vorigen Artikeln die Rede war, und es ist daher
klar, dafs die dem schwarzen Erbrechen vorangehenden
Zufälle den heftigem hypochondrischen Beschwerden zuge-
zählt werden müssen. Es ist daher nicht nöthig, eine spe-
ciellere Aetiologie für dasselbe aufzustellen, da die für das
Blutbrechen und die hypochondrischen Anstrengungen an-
gegebenen auch hier Anwendung findet.
Viertes Kapitel.
Von "den Hämorrhoiden.
Die Geschichte der Hämorrhoidalentleerungen, so wie
ich sie in einigen besonderen Fällen aufzufassen Gelegen-
heit fand, gab mir die erste Veranlassung, von den ge-
wöhnlichen Darstellungen und ätiologischen Deutungen der
Aerzte abzuweichen, da ich mich überzeugte, dafs sie sich
in der gedachten Krankheit weit von der Wahrheit ent-
fernten. Denn die Erfahrung vergewisserte mich darüber,
dais die Hämorrhoiden eine ungleich häufigere Erscheinung
sind, als man gewöhnlich denkt, und dafs ihre inneren
Bedingungen und ihre Erfolge von ganz anderer Art sind,
als alle Aerzte glauben. Seit vielen Jahren liefs ich es
mir daher vorzugsweise angelegen sein, meinen Fleifs auf
die richtige Erklärung derselben zu verwenden^ »daher ich
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mir auch zutrauen darf, durch meine Bemühungen das wahre
Sachverhältnifs dargelegt zu haben. Da die» bereits im
vorigen Thcile geschehen ist, so bleibt mir nur noch von
den krankhaften Ausartungen dieser Entleerung und von
den anderweitigen Krankheitszuständen zu reden übrig,
welche jene begleiten nnd mit ihnen im Wechselverhäit-
nifs stehen.
Unter allen übrigen naturwidrigen Körperzuständen in
Bezug auf ihre gröfsere oder geringere Häufigkeit behaup-
ten die Blutflüsse, ihre Vorbereitungen, begleitenden Um-
stände und Folgen unstreitig den vornehmsten Rang. Das
Volk weifs es sogar, dafs das Nasenbluten unter allen am
häufigsten vorkommt; weniger allgemein, wenn gleich nicht
in einem viel geringeren Vcrhältnifs ist die Ausleerung durch
Hämorrhoiden. Gleichwie nun bei jedem Blutilufs in den
meisten Fällen ein Antrieb wirksam ist, den man sich als
eine Kongestion des Blutes aus dem übrigen Körper nach
dem blutenden Organe und als eine Anstrengung in dem-
selben denken mufs, woraus mancherlei Schwierigkeiten
sowohl während als nach der Blutung erwachsen; ebenso
kommen auch bei den Hämorrhoiden diese Bedingungen in
Betracht. Gleichwie ferner die meisten derselben in einer
mehr oder weniger entfernten Beziehung zu dem Akte der
Blutung stehen, und nur jene Anstrengung ihm unmittel-
bar vorausgeht; so wollen wir diese Verschiedenheit auch
bei den Hämorrhoiden beachten, und vorzüglich nur das
nächste Bestreben zu ihnen berücksichtigen.
Wenn der Hämorrhoidalflufs bei Personen, welche eine
eigenthümliche Disposition zu ihm haben, auf eine leichte,
gemäßigte und geregelte Weise von Stalten geht; so nennen
die Praktiker ihn eine Wohllhat der Natur, im Vergleich
xu den Nachtheilen, welche sie aus Erfahrung von seinem
mangelhaften Erfolge bei obwaltender innerer Disposition
dazu besorgen. Letztere ist in der Vollblütigkeit und in
den durch sie bei häufigen Gelegenheiten bedingten Wal-
lungen gegeben, zumal wenn das Alter günstig ist, oder
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ans früheren Altern die Gewöhnung an Blutflüsse her.
stammt. Den grölst cn Einflute hierauf zeigt indefs die
erbliche Anlage, welche ich in einer sehr grofsen Zahl
Ton Fällen zu beobachten Gelegenheit hatte, wo dann die
Anstrengungen zur Blutung und diese selbst gewifs, im
verstärkten Grade, frühzeitig hervortraten. Der Hämor*
rhoidalilufs kommt bei beiden Geschlechtern, jedoch häu-
figer beim männlichen vor. Indefs kann ich doch dem
Hippokratcs nicht beipflichten, welcher ihn den Weibern
abspricht, denn in unserm Klima bilden sich nicht nur
bei ihnen während der Schwangerschaft oft Hämorrhoidal-
knoten am After aus, sondern sie leiden auch an wirkli-
chen fließenden Hämorrhoiden, besonders wenn die Men-
struation ausgeblieben ist. Doch binden sie sich nicht so
häufig bei ihnen an eine regelmäßige Wiederkehr wie bei
Männern, so wie sie auch bei jenen seltener und sparsa-
mer sind. Aber auch bei Männern stellen sie sich nicht
in jedem, sondern nur in einem bestimmten Alter ein, aus-
genommen, wenn äufsere zufällige Ursachen einwirken, z. B.
wenn sehr verhärteter Koth ausgeleert wird, nach einem
mehre're Tage hintereinander fortgesetzten, mit Erschütte-
rung verbundenen Reiten, wenn die Witterung und die
Diät erhitzend einwirken, zumal bei ausgezeichneter erb-
licher Anlage. Das eigentlich günstige Alter ist das männ-
liche, und zwar entweder das beginnende oder weiter vor-
gerückte. Wenn der Blutflufs bei sehr jungen Personen
entsteht, fortwährend anhält, und wie es dann gewöhn-
lich zu geschehen pflegt, unmäßig ist; so erreichen jene
selten ein hohes Alter. Diejenigen dagegen, bei denen er
erst im vorgerückten Alter mäfsig und geregelt eintritt,
dürfen sich ein langes Leben versprechen. Bei jüngeren
ist er gewöhnlich nicht anhaltend, und wenn er aufhört,
so zieht er andere verwandte Zufälle nach sich. Zu einer
günstigen Zeit bricht er dann wieder aus, jedoch nicht
ohne während seiner Antriebe, Ausgänge und Folgen von
Beschwerden begleitet zu sein.
60
Hier, wo wir es mehr mit den speciellen krankhaften
Ausartungen der Hämorrhoiden zu thun haben, müssen
wir besonders die Ataxieen in Bezug auf Zeit und Maafs
ins Auge fassen. In ersterer Hinsicht entsteht er entwe-
der zu früh, oder zu oft, oder er hält zu lange an. Häufig
treffen diese Fehler zusammen, und zwar in der angege-
benen Ordnung, so dafs ein zu frühzeitiger Blulflufs sich
nicht an eine gehörige Regel und au ein erträgliches Maafs
bindet. Wenn er aufhört, oder gar durch die Kunst un-
terdrückt wird ; so stellen sich andere grofse Beschwerden
ein, welche nicht nur lästiger, sondern auch gefährlicher,
als die Blutung selbst sind. Wenigstens kehrt er bei zu-
nehmendem £lier um so gewisser wieder. Oder wenn
dies nicht geschieht, so bilden sich andere Leiden aus,
welche, wenn man sie nicht mit seinem Zweck in Zu-
sammenhang bringt, vergeblich von anderen Ursachen ab-
geleitet werden.
Ungeachtet die gewissere Ursache dieser unregelmäfsi-
gen Hämorrhoiden in der erblichen Anlage gegeben ist, so
tragen doch die schon genannten äufseren Einflüsse, be-
sonders die heftigeren auf eine wirksame Weise dazu bei.
Denn wiewohl sie nicht gleich anfangs uud mit unmittel-
barer Energie auf die wesentlichste Bedingung der Hämor-
rhoiden, nämlich auf die zu ihnen antreibenden Bewegun-
gen hinwirken; so geschieht es doch sehr gewöhnlich,
wenn der Blutung schon ein Ausweg 'eröfFnet ist, dafs
nach solchen zufalligen und anfangs gewaltsamen Ausbrü-
chen sich in der Folge eine vorwaltende Neigung, dazu
ausbildet, wodurch die Fortdauer der Blutung und ihre
Wiederkehr zur Gewohnheit wird. Insbesondere gilt dies
von denen, welche durch ein ungewohntes starkes Reiten
erschüttert wurden. Wenn sie aber auch in dem reiferen
Alter enstanden, und zur gehörigen Zeit aufhören, so bleibt
doch zuweilen eine Ataxie zurück, so dafs sie der Menge,
der Wiederkehr und der hartnäckigen Andauer nach aus-
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schweifend werden, wozu besonders Fehler in der Diät
und unpassende Arzneien Veranlassung geben.
Em anderer Fehler der Hämorrhoiden bezieht sich be-
sonders auf ihren Ausgang, wenn sich Verstopfungen der
Gefäfse ausbilden, oder die zur Blutung führenden Bewe-
gungen sich zu Anstrengungen steigern. Jene Verstopfun-
gen erzeugen die blinden Hämorrhoiden, indem die Gefäfse
entweder turgesciren oder anschwellen. Wenn sie tur-
gesciren, so stellen sie Blasen dar, welche nicht nur beim
Druck etwas nachgeben, sondern auch durchscheinend sind.
Offenbar ist in ihnen Blut enthalten, welches bei einem
Einschnitt ausfliefst, wonach sie gerunzelt zusammenfallen.
Bei einer Geschwulst sind die Gefäfse ihrer Länge nach
von einem stockenden und selbst geronnenen Blute erfüllt,
daher die umliegenden Theile in Entzündung übergehen,
und einen wahren Furunkel bilden. Es gesellt sich dann
ein sehr lebhafter Entzündungsschmerz dazu, woher die
Benennung der schmerzhaften, blinden Hämorrhoiden. Wird
die Geschwulst nicht zeitig zertheilt, so bildet sich in ihr
eine Eiterung aus, welche sehr gewöhnlich eine Mastdarm-
fistel zurückläfst. Dies geschieht um so leichter, wenn
vor der Reifung des Abscesses ein Einschnitt gemacht wird,
wo es dann nicht blos zur Eiterung, sondern selbst zur
brandigen Verdcrhnifs kommt. Oder es ereignet sich dies
auch, wenn der Eitersack zu lange verschlossen bleibt,
ehe er ausgeleert, gereinigt und zur Verheilung gebracht
wird. Denn bei dieser entzündlichen Stockung wie bei
jedem Furunkel beschränkt sich der eigentliche Sitz der
Stockung- und daher der Eiterung auf ein Blutgefäfs, nach
dessen Zerrcifsung sich eine sehr enge, aber tiefe Höhlung
bildet, welche sich wegen ihrer ausgezeichneten Empfind-
lichkeit sehr schwer heilen läfst. Hierzu kommt noch die
unbequeme Lage des Orts, so wie die zu Anfange gewöhn-
liche Nachlässigkeit des Kranken, welche dazu beitragen,
dafs die Eiterung leicht in Verjauchung übergeht, und sich
in Fistelbildung endigt.
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Wenn die Hämorrhoidaltriebe fehlerhaft von statten
gehen, so fuhren sie leicht einen Stuhlzwang herbei, wei-
ther entweder anhält, oder in einzelnen Anfallen wieder-
kehrt, und häufig von keinem deutlichen Zeichen der Hä-
morrhoiden begleitet wird, dann aber mit der Ausleerung
eines dicken, dem Traganth ähnlichen Schleimes verbun-
den ist. Doch zeigen sich gewöhnlich an demselben eine
röthliche Farbe, selbst feine Blutstreifen. Es unterliegt
keinem Zweifei, dafs eine Verdickung des rothen Theils
im Blute dazu Veranlassung giebt, welche den Durchgang
und Austritt desselben aus den zarten Häuten um den Af-
ter verhindert, so dafs Verstopfungen und selbst Stockun-
gen entstehen müssen, und während des Drückens beim
Stuhlzwange die Absonderung des Schleims erfolgt. Uebri-
gens gestattet die Verschiedenheit des letzteren von dem
gewöhnlichen Darmschleim keiue Verwechselung mit dem-
selben, weil dieser zäher, durchsichtiger und farbloser ist,
wenn ihn nicht der Koth verunreinigt Auch kommt da-
bei ein flechtenartiges, hartnäckiges und unbezwingliches
Jucken vor, welches entweder anhaltend ist, oder nach
einigem Nachlafs bald wiederkehrt. Die Franzosen ge-
brauchen dafür den Namen, weifse Hämorrhoiden, wie-
wohl die Benennung der schleimigen schicklicher ist. Wenn
dieses Uebe), welches man nach Li st er sorgfaltig von den
venerischen kammartigen Auswüchsen und Geschwüren an
dieser Stelle unterscheiden mufs, lange angehalten hat, so
hinterläfst seine plötzliche Unterdrückung üble Folgen.
Mir ist ein ausgezeichneter Fall der Art von einem
50jährigen Manne bekannt, welcher von einem heftigen
rheumatischen Fieber befallen, am siebenten Tage plötzlich
eine starke Apostase am Unterschenkel erlitt, dessen schnelle
und beträchtliche Anschwellung mit einer gleichförmigen
Rothe überzogen war, und einen spannenden, jedoch kei-
nen stechenden entzündlichen Schmerz hervorbrachte. Das
Fieber hatte mit einem heftigen Gliederschmerz iu der
Schulter, dem Arm, der Hüfte, dem Ober- und Unter-
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schenke! der einen Seite angefangen, war aber beim Nach-
lafs desselben zu einem so hohen Grade gestiegen, dafs es
die Erscheinungen einer inneren Entzündung darbot. Nach
Entstehung der Apostase kehrte es zu seiner früheren Ge-
lindigkeit zurück, indem zugleich jener Schmerz sich wie-
der einstellte, welcher juit jedem Tage eine mehr gich-
tische Natur annahm, so dafs der Kranke bei seinem
Nachlafs eine krampfhafte Erstarrung der leidenden Theile
erlitt, welche ihm nicht gestattete, den Vorderarm bis
zum Ohre zu erheben. Am stärksten war das Gefühl der
Krankheit in der Hüfte, und wurde daselbst zu einer be-
deutenden Höhe nach jedem Zorn, Schreck und Angst ge-
steigert, zu denen der Kranke durch häufige Veranlassun-
gen getrieben wurde, gleichwie sein Leiden mit einer gro-
fsen Niedergeschlagenheit den Anfang gemacht hatte. Nach
meiner Theorie fafste ich besonders Hümorrhoidalbewegun-
gen als Ursache auf, welche, wenn auch nicht der Zeit,
doch der Wichtigkeit nach, in einer nahen Beziehung zu
dem Uebel standen. Als ich hierüber mich mit dem Kran-
ken besprach, theilte er mir mit, dafs er 1) nicht selten
an einem lästigen Stuhlzwange gelitten habe, welcher zu-
weilen drei Tage hindurch andauerte. 2) Während eines
längeren Aufenthalts in Frankreich vor vielen Jahren hatte
er sich dagegen einigemale der Blutegel bedient. 3) Lange
Zeit nachher war er mit einer juckendeu Flechte behaftet
gewesen, welche sich häufig verschlimmerte, bis seine Gat-
tin vor wenigen Jahren das Uebel mit dem Oleum Hype-
rki gänzlich vertrieben hatte. Hieraus läfst sich leicht der
Zusammenhang erkennen, welcher zwischen jenen frühe-
ren künstlichen Ausleerungen an dem Orte der Hämor-
rhoiden und dem dadurch bewirkten Säftezuflufs, und Ge-
schwürsbildung einerseits und den zuletzt nachfolgenden
rheumatisch - gichtischen Zufallen, zu denen sich zuletzt
die Apostase am Unterschenkel gesellte, andrerseits statt-
gefunden hatte, um so mehr, da sich der Kranke erin-
nerte, dais er nicht lange nach der gänzlichen Verheil ung
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i
der Verschwärung um den After angefangen habe, sich
unwohl zu befinden, indem er theils an hypochondrischen
Koliken, theils an rheumatisch- gichtischen Beschwerden
gelitten hatte. Doch waren letztere anfangs nur dunkel-
gewesen , wie man dies mit den Worten zu bezeichnen
pflegt: es liege einem in den Gliedern, als wenn sie zer-
schlagen wären, es ziehen Flüsse in den Schultern, Rük-
ken, Lenden, Hüften, Kreuz umher, dafs man sich nicht
davor umsehen, frei regen oder wenden könne.
Es werden zwar Einige dergleichen hartnäckige flech-
tenartige Verscbwärungen an den genannten Stellen nicht
der Erwähnung für werth halten, und ihnen keine Wirk-
samkeit zur Hervorbringung weiterer Folgen beilegen. Er-
wägt man aber, wie viel die Skarifikationen zur Vcrbu-
thung und Heilung rheumatischer Beschwerden an anderen
Orten vermögen, und wie ihre Vernachlässigung späterhin
zur Wiederkehr der letzteren Veranlassung giebt, und hat
man Gelegenheit gehabt, die nicht seltenen Fälle zu beob-
achten, wie nach dem erstgenannten Uebel wirklich der-
gleichen Folgen eintreten, so wird man nicht länger daran
zweifeln.
Endlich entstehen als Folgen solcher nicht gehörig be-
handelten äufsereu Hämorrhoidalknoten noch Feigwarzen,
nämlich runzliche Hautlappen, welche zur abermaligen An-
schwellung geneigt sind, und dann selbst zerreifsen und
Blut ergiefsen. Zuweilen nehmen aber auch die Knoten
eine warzenartige Beschaffenheit an, theils wenn sie durch
Bestreichen mit Schweinefett ausarten, theils wenn jene
flechtenartigen Verschwärungen durch Reizung oder fehler-
hafte Behandlung mit fetten Dingen eine üble Form an-
nehmen. Aehnliche Entartungen entstehen zuweilen nach
venerischer Ansteckung, und müssen dann wohl von den
einfachen Folgen der Hämorrhoiden unterschieden werden.
Zuletzt mufs ich noch auf den in der allgemeinen Ab-
handlung erwähnten Konsensus zwischen den inneren und
äufseren Hämorrhoidalbewegungen zurückkommen. Weit
sei-
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seltener and mit angleich geringerer Neigung gehen die
inneren ia die äufscreo, als umgekehrt diese in jene über.
Hierbei sind indefe die eigenmächtigen gemeint, da umge-
kehrt durch unpassende Anwendung von Arzneien die Hä-
morrfaoidalbewegungen nach aufsen getrieben werden kön-
nen, wobei man sich im gemeinen Leben uicht mit Un-
recht des Ausdrucks bedient, es sei einem in die Glieder
geschlagen.
Eine beinahe 40 jahrige Frau, welche unter sehr gün-
stigen Verhältnissen lebte, und sich den Genufs eines kräf-
tigen Weins erlaubte, wurde nach dem Jerlust mehrerer
Kinder, von denen ihr nur ein Sohn übrig geblieben war,
von der Sehnsucht nach Kindern beherrscht, ungeachtet
die Hoffnung auf fernere Fruchtbarkeit schwinden mufste,
da sie mehrere Jahre frei geblieben war. Auf Rath eines
Arztes, -welcher ihr sehr annehmliche Versprechungen
machte, gebrauchte sie lange Zeit hindurch auf den Ute-
rus und die Nerven wirkende Mittel, und zwar solche,
welche mehr eine stärkende als eine reizende Kraft be-
sitzen. Sie bekam davon hypochondrische Beschwerden,
welche sie nicht nur mit krampfhaften Anstrengungen be-
lästigten, sondern auch nachgerade eine starke Auftreibung
des Unterleibes zuwege brachten. Dadurch wurde in ihr
die eitle Hoffnung einer Empfängnis um so mehr ange-
regt, als die Menstruation seit einiger Zeit zu iiieisen auf-
gehört hatte. Späterhin kehrte sie jedoch, wenu auch
selten uud uoregelmafsig wieder. Die Kranke fing an den
oberen Theilen bedeutend abzumagern an, während all-
mählig jene Auftreibung, zumal im linken Hypochondrium
immer beträchtlicher wurde und am letzteren Orte unmit-
telbar unter den falschen Rippen als eine sehr grofce und
andauernde Hervorragung auftrat. Diese ertrug uicht eine
Berührung und die festere Anlegung von Kleidern, ohne
eine höchst lästige Empfindung zu erregen, so dafs die
Kranke sich davor sorg faltig huthen mufste. Als zur Zeit
der Wintersonnenwende ihr Gatte uud ihr erwachseuer
Stahls Theorie d. Heilk. III. 5
Sohn einer Hochzeit in einem gegenüberliegenden Hanse
beiwohnten, von welcher die Frau ihrer Krankheit wegen
zurückbleiben mufstc, ungeachtet sie zu Hause keines we-
ges gefastet hatte, ereignete sich ein durch die Petulanz
mehrerer Studenten veranlagter Aufruhr, wobei man von
der einen Seite mit Degen, von der anderen Seite mit
Prügeln und Steinen unter fürchterlichem Geschrei hand-
gemein wurde. Es geschah dies unter den Augen der Frau,
welche vermuthete, dafs ihr Mann in die Schlägerei ver- *
wickelt sei, und die Stimme ihres Sohnes in dem Lärm
deutlich unterschied. Hierdurch heftig erschreckt und ge-
ängstigt, verspurte sie bald ein gro&es Unwohlsein. Sie
hatte ihrem eigenen Geständnifs nach bei dem Abendessen,
welches der Schlägerei vorhergegangen war, eine halbe
Flasche Wein getrunken. Darauf schickte sie in die Apo-
theke, um sich für 2 Groschen Tinctur. Bexoardica Mi-
chaelis holen zu lassen, wovon sie etwa die Hälfte ein-
nahm, und sich dann zu Bette begab. Da aber die Be-
ängstigung den höchsten Grad erreichte, so verzehrte sie
noch den Rest, und hüllte sich tief in die Betten ein, am
den Schweifs hervorzutreiben. Sie wurde danach sehr
heifs, ohne jedoch in Schweifs zn gerathen, und ihre Be-
ängstigung nahm nur noch zu. Am frühen Morgen wurde
sie in beiden Vorderarmen von dem Ellenbogen bis zn den
Fingerspitzen von so argen zuckenden Schmerzen geplagt,
dafs sie sich nicht enthalten konnte, unaufhörlich zu schreien
und zu wehklagen; die Verzerrung ihres Gesichts und der
wilde Ausdruck ihrer Augen liefsen ein herannahendes De-
lirium befürchten. Während ihrer Schmerzen schrie sie
nicht nun es sei alles darin lebendig, sondern die Weiber,
welche ihr bald mit erwärmten Tüchern, bald mit geistigen
Wässern die Arme und Hände rieben, versicherten, darin
Bewegungen wie von Regenwürmern zu fühlen. Durch
die gesteigerten Krämpfe *wurden die Vorderarme nach
der Schulter aufwärts gebeugt, sie konnten durchaus nicht
mehr ausgestreckt, unri auch nach den Achselhöhlen nicht
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ohne die empfindlichste Vermehrung der Schmerzen ge-
bengt werden. Die Arme, welche von den Krämpfen ein
schlankeres Ansehen bekommen hatten, offenbarten deut-
lich wellenförmige Bewegungen, welche an den zusammen-
gezogenen Muskeln und ihren Sehnen, nnd zwar sowohl
an den Flexoren als Extensoren hervortraten. Endlich
wurde das Ceratum de Galbano am Vorderarm eingerie-
ben, und in demselben Augenblicke verschwanden die
Schmerzen, als weaa sie hinweggezaubert worden wären;
jedoch hurten die wellenförmigen Bewegungen nicht auf,
sondern verminderten sich nnr im Laufe einer halben Stunde,
indem sie eine freiere Ausdehnung des Armes zuliefsen.
Die unverhofft wiederhergestellte Ruhe währte indeis nicht
lange, denn nachdem sie bis gegen Mittag angehalten hatte,
stellte sich eine Stunde später im linken Hypochondrium
ein so grimmiger Schmerz ein, dafs die Kranke wieder zn
lautem Wehklagen gezwungen wurde. Zu einem Ader-
lafs konnte weder sie selbst bewogen werden, noch woll-
ten einige sie umgebende Weiber von ihrer Verwandt-
schaft sich dazu verstehen, weil sie nach der Ermattung
ton den vorangegangenen Schmerzen die gröfcte Entkräf-
tang fürchteten, wenn noch obenein Blut entzogen würde.
Was nun noch folgte, läfst sich mit wenigen Worten sa-
gen. Der heftige Schmerz, welcher in dieser Stunde mit
einem starken Froste angefangen hatte, dauerte gleich ei-
nem Fieberanfalle, mit dem Typus eines solchen, ohne ei-
nen merklichen Nachlafs den übrigen Tag, die ganze Nacht
bis zum folgenden Mittage an. Dann hörte er auf, und
blieb bis nach der nächsten Mitternacht ans, stellte eich
aber hierauf wieder ein. Um 8 Uhr Morgens erbrach sich
die Kranke, und leerte dadurch eine grofse Menge schwar-
zer, dicker Materie aus. Das Ausgebrochene hatte keinen
merklichen Geruch, wohl aber die Ausleerung durch den
Stuhl von dem beigemischten harten Kotk. Das durch Er-
brechen Ausgestofsene betrug etwa ein halbes Maafs, und
enthielt aufoer einem flüssigen Theil noch einen dicken,
5*
schwarzen, dem FlicdermuJs ähnlichen Niederschlag, wel-
cher etwa zwei Drittheile des Ganzen ausmachte. Die
Sache wurde dadurch zweifelhaft, dafe die Kranke früh
am Morgen, da am vorigen Tage keine Leibesöffnung er-
folgt war, eine Abkochung von Pflaumen mit Senna etwa
zu einem Viertelquart gekommen hatte, und mau behaup-
tet, dafs die Senna schwarze Ausleerungen hervorbringt.
Indefs hielt der Paroxysmus von Angst den ganzen Tag
und die nächste Nacht hindurch bis cur dritten Stunde an.
Dann liefe er nach, und der übrige Tag ging, eine große
Schwäche abgerechnet, ruhig vorüber. Mit der Nacht kehrte
der Anfall wieder, dauerte während derselben, den Tag dar-
auf (an welchem gegen Mittag viel reines Blut ausgebro-
chen wurde) und die nächste Nacht hindurch fort. Nun
kam ein ruhiger Tag, an dem nur eine grofse Ermattung
empfunden wurde. Doch leerte sie während desselben ein
Stuck aus, welches einen Finger lang, von einer dicken
gerunzelten Rinde umgeben und mit geronnenem Blute an-
gefüllt war. Währeud der folgenden Paroxysmen gingen
ihr ähnliche Stücke ab, und so dauerte 3 Wochen hindurch
ein Wechsel heftiger Zufälle mit Nachlässen fort, dergestalt,
dafs sie am Mittwoch dem Tode nahe zu sein schien, am
Sonnabende sich aber so wobl und kräftig befand, dafs sie
in der nächsten Woche ausgehen zu können zuversichtlich
hoffte- Gegen Ende der dritten Woche wurde im Rathe
der Weiber, welche an den ausgeworfenen Stücken eine
Aehnlichkeit mit Mäusen, Korallenschnüren u. dgl. wahr-
zunehmen glaubten, und daher eine Behexung voraussetz-
ten, beschlossen, einen in der Nachbarschaft berühmten
Ochsenknecht um >Hülfe anzusprechen. Dieser beschaute
den Urin, versicherte, /dafs es mit der Bezauberung seine
Richtigkeit habe, und verkündete, dafs aufser den abge-
gangenen Dingen noch andere in der Kranken enthalten
seien, dergleichen auch wirklich nach einem durch Radix
Asari hervorgebrachten Erbrechen zum Vorschein kamen,
wozu denn laut gesprochene Zauberformeln, an die Feusier
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•
geschriebene Zeichen, Räuchcrungen u. dgl. das Hinge bei-
getragen haben sollten. Am 14tcn Tage nachher starb die
Frau.
Ohne dem Urtheil anderer vorzugreifen, halte ich da-
für, dafs die ausgeleerten Konkremente Auswüchse der in-
neren Hämorrhoidalgefafse gewesen sind. Zwar ereignet
sich eine solche Entartung an dieser Stelle sehr selten;
jedoch habe ich ganz gleiche Konkremente nach mehreren
Monaten aus dem Uterus von Weibern abgehen gesehen,
wenn nach einem sehr frühzeitigen Abortus derselbe nicht
gehörig gereinigt, oder der Lochialflufs durch styptische
Mittel sehr schnell gestopft worden war, wo dann jene
Konkremente nichts anderes, als allmählig ausgedehnte Aus-
wüchse der Gebärmuttergcfafse sein konnten. Für unseren
Fall genügt es aber, auf jene schnelle und gewaltsame
Uebertragung der krampfhaften Bewegungen bei einer mit
schweren hypochondrischen Leiden behafteten Frau hinzu-
deuten. Der Gebrauch von reizenden Arzneien und ein
ihnen entsprechendes Regimen hatte die innere und die
fortschreitende Bewegung des Blutes sehr gesteigert, wo-
durch spastisch -konvulsivische Bewegungen in den äufsc-
ren Gliedern verursacht wurden. Als jeue sich plötzlich
auf die inneren Organe versetzten, brachten sie daselbst
Kongestionen und Anstrengungen hervor, welche ihrer-
seits jene höchste Beängstigung, Opplctionen, blutiges
und schwarzes Erbrechen, zuckende Schmerzen nach sich
zogen, und mit deutlichen Anfallen und Nachlässen ab-
wechselten. Sie waren daher keinesweges Wirkungen ei-
ner entzündlichen, in Brand übergehenden Stockung, son-
dern wirkliche Bewegungen, welche angeregt, fortgesetzt
werden, und nach Remissionen wiederkehren konnten.
Ein ausgezeichnetes Beispiel dieser Art bieten uns die
Fälle des h mim irrenden Podagra's dar, welches bald in
den Gliedern seinen gewöhnlichen Sitz aufschlägt, bald da-
selbst verschwindet, und dann eine plötzliche Niederge-
schlagenheit der Kräfte, gänzlichen Mangel, des Appetite,
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t
Ekel, fruchtloses Erbrechen, Beengung und Angst in den
Präkordien hervorbringt. Dazu gesellt sich ein Fieber,
welches entweder schleichend, wenn gleich deutlich aus-
geprägt, oder heftig und geradezu entzündlich ist, und
dann ein inneres starkes Brennen und Rcifsen erzeugt.
Dergleichen Folgen werden durch die jetzt üblichen Arz-
neien und durch die Dienstfertigkeit der Aerzte, poda-
grisehe Schmerzen schnell zu stillen, zu zertheilen und
zurückzutreiben, nur zu häufig veranlafst Mehr hierüber
im Kapitel vom Podagra,
Nur so viel mag noch bemerkt werden, dafs die äu-
ßeren, in Blasenform hervorgetriebenen blinden Hämor-
rhoiden endlich in mannigfache Formen von Auswüchsen
übergehen, welche die Alten mit Feigen und Maulbeeren
verglichen, und daher auch von den Neueren sowohl ih-
rer äufseren Gestalt, als ihrer inneren Textur wegen Feig-
warzen genannt werden.
§•1.
Vom Hüftweh.
Da ich in der allgemeinen Krankheitslehre die An-
ordnung getroffen habe, zuerst von den Blut Hussen, dann
von den Kongestionen und hierauf erst von den Anstren-
gungen der Bewegungen zu handeln; so könnte es als eine
Abweichung von derselben erscheinen, wenn ich hier von
einem Krankheitszustande rede, welcher zum größten Theil
in angestrengten Bewegungen besteht. Da aber sein Zu-
sammenhang mit den Hämorrhoiden bei gehuriger Aufmerk-
samkeit sich nicht verkennen läfst; so kann ich mich nicht
enthalten, hier mehr dem ursachlich - pathologischen Ver-
hältnisse zu folgen, als mich an die Form des Uebels zu
binden, und ihm demgemäfs seinen Platz anzuweisen. Ich
thue dies um so mehr, da gerade diese Krankheit
mich bewog, die Pathologie aus einer anderen
Quelle abzuleiten, und sie auf andere theoreti-
sche und praktischer Principien zu begründen;
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n
nämlich dabei von dem einfachen Habitus zur
Hervorbringung von Blutflüssen auszugehen, die
dazu noth wendigen . vorbereitenden Antriebe
nachzuweisen, und die mannigfachen £rfolge zu
bezeichnen, welche in den Säften, festen Thei-
len und Bewegungen hervortreten, wenn dem
Fortgange jener Entleerungen sich Hindernisse
entgegenstellen. Auch hier werde ich mein gewöhn-
liche« Verfahren beibehalten, nämlich das Geschichtliche
*
Toranschicken, dann eine Vergleichung der sich darbieten-
den Erscheinungen ansteilen, und sie als Wirkungen auf
ihre Ursachen- beziehen. Ich will daher mit der geschicht-
lichen Darstellung des Falles beginnen, welcher mich ver-
anlafste, der Pathologie eine neue Gestalt zu geben. Die-
ser Fall, dessen ich schon mehrmals in der Abhandlung
von den Hämorrhoiden und den krampfhaften Bewegun-
gen gedacht habe, betrifft einen Mann, der in der nächsten
Blutsverwandtschaft zu mir stand. Es wurde derselbe um
sein 44stes Jahr, nachdem er sich den Genufs des Ungar-
weins mehrere Jahre hindurch versagt hatte, darauf aber
zum reichlichen Gebrauch desselben zurückgekehrt war,
von einem heftigen Hüftweh hefallen. Zwar verbreitete
sich dasselbe sehr bald durch den Oberschenkel bis zum
Knie, und selbst bis zu den Füfsen, und erstreckte sich in
einzelnen Anfallen selbst bis in die Hände; jedoch behielt
es seinen ursprünglichen Sitz bei, wo es sich bei jedem
neuen Paroxysmus, wenigstens zu Anfang desselben . mit
einer grofsen Heftigkeit und Hartnäckigkeit der Schmerzen
offenbarte. Dergleichen Paroxysmen erlitt er 4 Jahre hin-
durch jährlich 2- bis 3mal, bis ihn ein gelehrter, erfahre-
ner und fleifsiger Arzt gänzlich davon befreite, so dafs er
bis zu seinem 79sten Jahre, damit verschont blieb* Da ich
nun in meiner Jugend, und besonders' bei Gelegenheit die-
ses Falls gehört hatte, das Podagra sei ein opprobrium me-
dicorum und ein unheilbares üebel, und -da «hnUclie Bei-
spiele in meinem Va terla ude, ja in meiner Familie dies zu
73
bestätigen schienen, so regte dies mich an, den Grand da-
von zu erspähen. Damals konnte ich freilich die Schwie-
rigkeiten noch nicht einsehen, durch welche mir die Er-
kenntnifs der ursachlichen Bedingungen, selbst nur die hi-
storische Auffassung derselben erschwert wurde; weit leich-
ter konnte ich dies jedoch begreifen, als ich in der Folge
zufällig erfuhr, dafs jener Mann mit einem regelmäfsigcn
Hämorrhoidalflufs von der Zeit an behaftet gewesen sei,
wo jene pathemata Uchiadico - podagrico - chiragrien ihn
verlassen hatten. Denn da die Kranken sich gewöhnlich
der Hämorrhoiden schämen, und da dem meinigen der Zu-
sammenhang derselben mit seinen früheren Leiden nicht
bekannt war ; so ist es nicht zu verwundern, dafs ich nur
durch Zufall dahinter kam. Sobald dies aber geschehen war,
stieg bei mir sogleich der Verdacht auf, dafs eine ursach-
liche Verbindung zwischen jenen Uebeln stattfinden könne.
Aller Zweifel wurde jedoch gehoben, als sich mir eine
zweifache Gelegenheit darbot, ähnliche Betrachtungen an-
zustellen.
Auf die Beobachtungen des Thonerus, obgleich sie ih-
rer Kürze wegen dunkel sind (so wie mich auch die Er-
fahrung lehrte, dafs man ihm nicht überall Glauben schen-
ken könne) hatte mich Eitmüller besonders aufmerksam
gemacht. Bei ihm fand ich zwei vorzüglich beachtungs-
werthe Fälle. In dem einen halte ein Mann, der selbst
ein Arzt war, an einem heftigen Hüftweh gelitten, wel-
ches andere Aerzte vergebens bekämpften, bis es ihnen
einfiel, dafs früher bei demselben zur Gewohnheit gewor-
dene Hämorrhoiden zu fliefsen aufgehört hatten. Nachdem
diese wieder hervorgerufen waren, hörte jener Schmers
sogleich auf.
Die andere Beobachtung betrifft ein Weib, welches
von einem unerträglichen Schmerze im Unterschenkel bis
zur Spitze des Fufses gefoltert wurde. Nachdem vieles
vergebens dagegen versucht 'war,* schritt der Autor in der
Voraussetzung, dafs der Schmer» vom Blute herrühre, zu
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73 .
einem Aderlafs am Fafse. Da dasselbe nicht half, so hielt
er dafür, dais noch nicht Blut genug entzogen sei, wes-
halb er es am folgenden Tage wiederholte- Hiernach ver-
schwand -der Schmerz, als wenn er hinweggezaubert wor-
den wäre. — Ähnliches kommt noch in der darauf foU
genden Beobachtung vor. , .<»
Als ich diese Thatsachen mit »den Erscheinungen bei
anderen Blut Aussen sowohl der Männer , als bei der Men-
struation sorgfaltig verglich; so klärte sich mir der Zu-
sammenhang in dem Geschichtlichen und die Konstitution
des gröfsten Theils der übrigen Krankheiten auf. Nach-
dem ich mich durch lange Zeit hindurch fortgesetztes Nach-
denken überzeugt hatte, dafs die damals herrschenden pa-
thologischen Begriffe sich keinesweges mit der Seltenheit
der Krankheiten in Einklang bringen lassen; nachdem ich
sorgfaltig die Verschiedenheit derselben erwogen hatte, in
wiefern sie sich rücksicktlich ihrer Häufigkeit und Selten-
heit vornämlich nach den Stufen des Alters richten, und
überdies mich beim Hippokrates aus dem 24stcn und den
folgenden Aphorismen des dritten Buchs, so wie aus ein-
zelnen Angaben der Praktiker über die Verschiedenheit der
Blutflüsse nach dem Alter unterrichtet halte: so konnte es
mir nicht fehlen, dafs ich tiefer in das Wesen der Krank-
heilen eindrang. w
Als ich im vierten Jahre nach erlangter Doktorwürde
meine neue Lehre in Vorträgen entwickelte, welche ich
vor einer Versammlung junger Aerzte hielt, befand unter
ihnen sich ein hoffnungsvoller, durch Geist und Eifer gleich
ausgezeichneter Jüngling, Namens Bachmann, aus Ulm, wel-
cher einige Jahre später als Arzt den Herzog von Würten-
berg auf seinen Feldzügen begleitete, aber durch einen Ka-
nonensch uls, welcher ihm einen Unterschenkel fortrifs, in
der Blüthe seines Lebens hinweggeraflt wurde. Sein Va-
ter hatte ihm damals geschrieben, dais er von sehr argen
Hoftsehmerzen heimgesucht sei. Als der Sohn ihn auf den
von Thonerus, ebenfalls einem Arzte zu Ulm, bereits an-
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74
geführten Fall aufmerksam machte, und den Verdacht aus-
sprach, ob nicht zurückgehaltene Hämorrhoiden zum Grunde
liegen mögten: bestätigte sich nicht nur Letzteres, sondern
nachdem auf ihre Beförderung kräftig hingewirkt worden
war, verschwand das Leiden mit grofser Schnelligkeit
In meiner späteren Praxis suchte ich diesem Zusam-
menhange immer mehr auf die Spur zu kommen, und so
gelangte ich durch eigenes Nachdenken auf folgende Sätze:
1) Die Hämorrhoiden sind bei den Männern eine un-
gleich häufigere Erscheinung, als gewöhnlich geglaubt
und gelehrt wird; wenigstens gilt dies in unseren
Gegenden. . .
2) Die Hämorrhoiden, das Hüftweh, die Nephritis und
die Steinbeschwerden stehen unter sich und mit dem
Podagra, wenn auch nicht immer, doch gewöhnlich
im Zusammenhange und Wechselwirkung.
3) Zugleich lernte ich den Unterschied zwischen den
Hämorrhoidalbeweguugen und jenen Flössen kennen.
Diese Betrachtungen führten mich nothwendig dahin,
den Schulbegriffen meine Zustimmung zu versagen, nach
denen ein wesentlicher und durchgreifender Unterschied
«wischen dem Rheumatismus und der Gicht stattGnden
soll. Denn das Höftweh hängt offenbar von den Antrie-
ben und Bestrebungen zu Blutflüssen ab, ungeachtet man
dasselbe einstimmig von der. Gicht trennt, um es zum Rheu-
matismus zu rechnen. Das heftigere Hüftweh geht aber
nicht nur gewifs, sondern selbst zeitig in das Gonagra und
Podagra über, und letztere sowohl als das Hüftweh ste-
hen mit Gichtschmerzen im übrigen Körper in Verbindung,
und wechseln mit denselben ab. Ich kann daher nicht
umhin, die ursachlichen Bedingungen des Hüftwehs in
krampfhaften Anstrengungen zur Hervorbringung von Hä-
morrhoidalblutungen aufzusuchen, welche indefs nicht aus-
drücklich und in einer geregelten Weise auf ihr Ziel hin-
gerichtet sind, und dahin auch nicht immer, und beson-
ders nicht ohne äufsere Hülfe gelangen. , - *r. »if < - um *
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75
Es wurde zwar dem ärztlichen Zwecke fern liegen,
über die nähere Entstebungsweise weitläufige Untersuchun-
gen anstellen zu wollen; doch ist die allgemeine Angabe
dieses ursächlichen Verhältnisses beim Hüftweh Ton gro-
. fsem Nutzen. Denn nicht nur wird dasselbe dadurch der
Wahrheit gemafs dargestellt; sondern es leitet auch auf ein
richtiges Heilverfahren, mit welchem es gelingt, gedachtes
Uebel in seiner Quelle zu vertilgen, so wie man andrer-
seits von allen irrthümlichen Heilversuchen abgehalten wird.
Denn nichts kann naturwidriger sein, als die übliche Ab-
leitung des Hüftwehs von einem zähen und kalten Schleim,
der sich in den leidenden Theiien festgesetzt haben soll,
und sich durch diese Hypothese zu der inneren und äufse- *
ren Anwendung scharfer und erhitzender Arzneien verlei-
ten zu lassen, durch welche, wenn sie von milderer Art
bind . gar keine, wenigstens keine dauerhafte Erleichterung
bewirkt, und wenn sie eine gröfsere Kraft besitzen, un-
fehlbar eine Verschlimmerung des Leidens zuwege gebracht
wird, wie dies die tägliche Erfahrung lehrt.
Hierin werden die Einsichtsvollen einen Schlüssel zur
Beantwortung der schwierigen Frage finden, woher es
komme, d als die gebräuchlichen, anf die Voraussetzung so
mannigfacher Ursachen begründeten Heilmethoden bei sol-
chen Krankheiten die Erwartung eines sicheren, und in
allen Fällen entsprechenden Erfolges täuschen, und wenn
auch nicht gerade eine Verschlimmerung derselben bewir-
ken, wenigstens keine wahre und andauernde Hülfe ge-
währen, wenn nicht die Länge der Zeit selbst einige Er-
leichterung verschallt, oder wenn nicht nach dem Fehlschla-
gen aller Verordnungen die letzte Zuflucht zum Opium ge-
nommen werden soll.
Es möge noch ein Beispiel von dem Nutzen der Blut-
entziehungen an den äufse ren Orten, wo die Hämorrhoi-
den sich ausbilden, folgen. Ein beinahe 40jährigcr, in ei-
nem kalten Klima geborner und erzogener Mann hatte sich
während seines mittleren Lebensalters in -den wärmeren
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76
Gegenden Frankreichs, Italiens nnd Spaniens aufgehalten,
und sich daselbst an den Cenufs der feurigen Weine ge-
wöhnt. Nach Deutschland zurückgekehrt, vertauschte er
denselben mit dem Genufs des Bieres, bis er nach Wien
gekommen, daselbst wieder Ungarwein trank. Er wurde
darauf von so heftigem Hüftweh befallen, dafs er ohne
die empfindlichsten Schmerzen den Körper weder vorüber-
beugen, noch aus der gebückten Stellung aufrichten konnte,
sobald das Uebel durch äufsere Veranlassungen, besonders
Witterungseinflüsse verschlimmert wurde. In diesem Zu-
stande reisete er nach Italien, war aber genöthigt, nach
Wien zurückzukehren, und schleppte sein Uebel mit sich
herum, welches immer unleidlicher und hartnäckiger wurde,
und ihn endlich bewog, auf den Rath einiger sich Blut-
egel anlegen zu lassen. Nach ihrer Anwendung erlangte
er nicht nur unmittelbar eine Befreiung von seinen Lei-
den, sondern dieselbe dauerte auch mehrere Jahre hin-
durch an. Er erzählte mir dies mit dem Bemerken, dafs
der Pater eines Mönchsordens ihm die Versicherung gege-
ben habe, der Gebrauch der Blutegel sei in seinem Kloster
ein Universalmittel zur Verhüthung und Heilung hypochon-
drischer Beschwerden und gichtischer Hüftschmerzen.
;
I & 4* *. « • » *
Fünftes Kapitel.
Von den Fehlern der monatlichen Reinigung.
Das Geschäft der Menstruation im gesunden und krank-
haften Zustande ist ganz vorzüglich geeignet, die gangba-
ren Meinungen und Spekulatiouen über die Blutflüsse und
ihre Erfolge auf richtige und naturgemäfee Begriffe zurück-
zufuhren, da die bei ersterem auftretenden Antriebe, Um-
stände nnd Erfolge ganz auf gleiche Weise bei den tibri- »
gen Blutflüssen sich wiederholen. Je gröfsere und häufi-
gere Beschwerden und Gefahren dem weiblichen Geschlechte
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aus einer ernsthaften Störung der Menstruation erwachsen,
um so mehr mufs man sich darüber verwundern, dafs auf
das Verhültnifs derselben zu dem ihr dienenden Mechanis-
mus und organischen Einrichtung noch nicht die erforder-
liehe Aufmerksamkeit verwandt worden ist, da man nur
physisch -chemische Bedingungen dabei vorausgesetzt hat.
Eben so wenig achtet man darauf, dafs ganz gleiche Er-
folge auch bei den Männern eintreten. Denn jene irrthüm-
liche Theorie, welche sich mehr auf die Mischung des Blu-
tes als auf seine Bewegung bezieht, und vomamlich Nalz-
theile in. demselben voraussetzt, widerspricht 'den wirkli-
chen Umständen, und sie kann in ätiologischer Hinsicht
nur ganz eutfernt wirkende Ursachen angeben, oder die
Wirkongen und Produkte bezeichne». •* •••*•• >• '
Ehe ich mieh aber über die' von Störungen der Men-
struation abhängigen Erfolge verbreitet!- kann y mufs ich
der Ordnung wegen mit ersteren den Anfang machen. Un-
ter den Fehlern derselben behaupten der Excefs und der
Mangel der Bewegungen und der Blutergiefsung selbst den
Vorrang. In Bezug auf den Excefs mufs man von dem-
selben, wenn- er im engeren Sinne genommen wird, einen
blos zu reichlichen Blutflufs unterscheiden. Eben so bie-
tet der Mangel mehrere Grade dar von einer hlofsen Ver-
ringerung bis zur gänzlichen Unterdrückung. Hierbei mufs
man bemerken, dafs die Menstruation sehr reichlich erfol-
gen kann, ohne dafs daraus eine krankhafte Disposition
oder Wirkung hervorgeht; dagegen eine bemerkbare Ver-
minderung weit gewissere und mehrföltigere Beschwerden
nach sich zieht, als eine verhältnifsmöfeigo Vermehrung der 4 -
selben. •*» '•' H " " • * .»*"»*♦
Auch mufs man eine reichliche Menstruation von ei-
ner zu starken unterscheiden; denn erstere hält sich in den
Schranken, wo sie leicht ertragen wird, und setzt eine
deutliche Völlblütigkeit voraus.' Ueberdies mufs man sorg-
fältig darauf achten, ob mit einer reichlichen Menstruation
behaftete 1 Weiber eine mit dem Fortgange desbfiltttflüsse*
zunehmende Schwächung erleiden, oder oh sie blos ein
Gefühl von Schwere und Ermattung empfinden, welches
von den Anstrengungen zur Blutergielsung herrührt, mit
derselben verschwindet, und während derselben vielmehr
nachläßt als gesteigert wird. Wenn dagegen eine reich-
liche Menstruation nicht Mos von einer wirklichen Schwä-
che begleitet wird, sondern auch eine /solche zurücklä&t,
zumal Wenn eine üble Farbe der Kranken stärker her-
vortritt; dann unterliegt es keinem Zweifel, dafs dieselbe
übermfifsig geworden ist. Doch ereignet sich dieser Fall
viel seltener als der entgegengesetzte Fehler der vermin-
derten Menstruation, welcher weit unmittelbarer Gefahren
herbeiführt* ■■ i» •<•• • ji . ■ *••»• ■
Desgleichen mufe man von einer zu reichlichen Men-
struation den. wirklichen Gebärmutterblutflula trennen, wel-
cher sich nicht :anf . jene gründet, sondern von anderweiti-
gen Krankheitszuständen des Uterus ausgeht. Wenn in
diesem Fall die Meostrualbewegungen die Wiederkehr des
Gcbärrnuttcrblutflusscs zu befördern scheinen, so mufs man
nicht ihnen, sondern einer anderen krankhaften Disposi-
tion die vornehmste Schuld davon beimessen. Damit man
aber nicht glauben möge, dafs diese Unterscheidung eine
müfsige Spekulation sei, Welche keinen praktischen Nutzen
habe; so berufe ich mich auf die Erfahrung, dafs die
eigentlichen Gebärmutterblutfl&sse bei Nichtverheiratheten,
überhaupt bei denen, welche noch keine Gemeinschaft mit '
Männern gehabt haben, gar nicht vorkommt, wohl aber
bei solchen, deren Uterus im Wochenbette, nach einem
Abortus oder der Austreibung einer Mola noch nicht ge-
hörig gereinigt worden ist. Nur den Fall nehme ich aus,
wo bei Nichtverheiraiheten gegen den Mangel der Men-
struation heftig treibende Arzneien in Anwendung gesetzt .
werden, auf deren gewaltsame Wirkung dergleichen Blut-
sen bezeugen, dafs mir in meiner Praxis dergleichen Fälle
nicht, sondern um iu reichliche monatliche Reinigungen
m
♦ N
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vorgekommen sind. Wohl aber sind mir Beispiele begeg-
net, wo auf den Gebrauch treibender Mittel, welche an-
geblich als JZmmenagoga angewandt sein sollten, so pro-
fuse Blutungen sich, einstellten , dafs mein Verdacht auf
Abortus ein- und das anderemal von .Weibern nicht ge r ,
radezu widerlegt wurde, welche mich um Rath zu fragen
abgeschickt worden waren. Um ipdefs dem Argwohn nicht
Raum zu geben, wo er sich nicht rechtfertigen läüst, mufs
ich noch des Umstandes gedenken, dafs bei unverdächtigen
Personen während eines reichlichen Blutflusses zuweilen
geronnene Stucken Blut abgehen. Es kann dies leicht ge-
schehen, wenn das blutende Organ während einer sitzen-
den oder liegenden Stellung in Ruhe begriffen ist, ja selbst
ein Hindernils seiner Entleerung stattfindet % \*umtl wenn
die Blutung an sich nicht ungestüm ist.
Die einfache und unmittelbare innere Ursache der zu
reichlichen Menstruation ist die Vollblütigkeit, zumal wenn
sie mit einer gröfseren Kapacität der Blutgefässe und mit
einem nur nicht zu schlaffen und weichen Korperbau zu-
sammentrifft. Denn die sanguinischen Weiber, welche mit
einer schlaffen Textur sehr enge Gefafse verbinden, sind
ungeachtet ihrer grofsen Erregbarkeit mehr zu Hindernis-
sen der Menstruation geneigt, wenn nicht andere Ursachen
auf sie einwirken. Zu letzteren gehören mancherlei hef-
tige Bewegungen des Körpers und Gemüths bei bevorste-
hendem Flusse, eine gewürzte, weinigte Kost, vorzüglich
aber die Gewohnheit, welche in Hervorbringung übermä-
fsiger Bewegungen und Ausleerungen sich so wirksam be-
weiset. Zuweilen trägt auch dazu bei, weun früher kunst-
liche (Blut-) Ausleerungen in Anwendung gezogen und
späterhin zu einer ihnen günstigen Zeit unterlassen wur-
den, zumal wenn Volblütigkeit zugegen ist.
Die andere Art von Gebärmntterblutflüssen entspringt
aus fehlerhaften Bedingungen des Lochialflusses nach der
Geburt sowohl als nach einem Abortus, zumal wenn der
Embryo sehr frühzeitig ausgestofsen wurde. Eine ganz spe-
KJxr
ciellc Ursache geben Konkremente ab, welche ans* Ucber-
bleibscln der Nachgeburt bestehen. Hierher gehören fer-
ner die Molen, welche, wenn auch nicht immer, so doch
häufig sieh bilden,- wenn der Uterus nach der Gebnrt, be-
sonders nach einem Abortus- nicht vollständig gereinigt war.
Zur Erläuterung des Gesagten mögen zwei Beispiele
dienen. Eine Vornehme, 30 jährige Frau von einem voll-
blütigen uud blühenden, zugleich aber sehr zarten und
empfindlichen Habitus litt seit einem Abortus von weni-
gen 'Monaten an einer solchen Ataxie der Blntbewegnng,
dafs- sie mit einem immerwährenden Fieber behaftet zu sein
schien, ' besonders »wenn sie sich der sitzenden Lebensart
Hingab. Ihr*- Appetit war ganz gut; indefe eine oder die
andere Stunde nach der Mahlzeit wurde sie von Beengung
in den Präkordien und einem Frostschauder im ganzen
Umfange des Körpers befallen, wobei sie eine üble Farbe
bekam. Dabei ging ein dumpfer Kopfschmerz bald in ei.
nen stechenden über. Wenn, sie sich dann auf das Bett
legte, um der Ruhe zu pflegen, so trat an die Stelle des
Frostes eine merkliche Hitze, mit Rothe und Anschwel-
lung des Gesichts, wobei der Kopfschmerz allmählig zu-
nahm. Sie schlief nicht, suchte selbst dem Schlafe am
Tage zu widerstehen, und begab sich erst um die zehnte
oder eilfte Stunde des Abends nach einer sehr mäfsigen
Mahlzeit zur Ruhe. Sobald sie sich während der Zwischen*
zeit in eine aufrechte Lage brachte, trat wieder Kälte und
Blässe ein. Während des ganzen Nachmittages bis zur
Nacht, ja selbst während des Frostes nnd der Blässe, noch
mehr aber bei der Hitze waren die Blutgeföfse der Schlä-
fen sehr ausgedehnt. Vor Mitternacht erlangte sie keinen
ruhigen Schlaf, welcher sich erst gegen Morgen einstellte,
und dem sie sich dann bis zur achten Stunde überlieft;
Beim Aufstehen trank sie statt des Thee's einen Aufgufs
von Rosmarienblüten, den einige Aerzte ihr gerathen hat*
ten. Die Menstruation kehrte in regelmäfsigen Perioden
wieder, und llok überaus reichlich. Es verhielt sich da-
mit
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mit so, dafs sie mit grofsem Ungestüm ausbrach, dann
reichlich, jedoch gemäfsigter sieb fortsetzte, und so bis
zum achten Tage anhielt, wo sie, wie zu Anfang sehr pro-
fus wurde, und dann endigte. Einige nicht unbedeutende
Aerzte fürchteten einen schlimmeren Ausgang und ver-
kündeten, dafs binnen kurzer Zeit die phthisische oder
hektische Kranke in Abzehrung verfallen Wörde: ' Als ich
zur Berathung hinzugezogen wurde, schienen mir die ple-
thorische Konstitution und die fieberhaften Wallungen des
Blutes aufser allem Zweifel zu sein; die ungestüme Men-
struation liefs mich aber auf einen ganz eigen thumlichen
Fehler des Uterus schliefsen. Mein Verdacht wurde gleich--
sam durch das Experiment, nämlich durch" den Gebrauch
eines Medikaments bestätigt, welches eine untrügliche
Kraft besitzt, die Menstruation zu ihrer Regel zurückzu-
führen. Als die Kranke dasselbe vorschriftsmäßig um er-
sten Tage der ausbrechenden Menstruation gebraucht hatte,
wurde die Heftigkeit derselben schnell gemäfsigt; am an-
dern Tage wiederholt, beschränkte es dieselbe so sehr, dafs
sie aufzuhören -schien , und dadurch' die Kranke besorgt
machte. Sie liefs sich indefs zum Weitergebrauch desseU
ben bewegen, und so war denn auch an den folgenden
Tagen der Blutflufs sehr sparsam gewesen; nur am achten,
während die Arznei noch genommen wurde, trät er Wwas
stärker, wenn gleich nicht so profus wie sonst hervor.
Nachdem ich * zwei Wochen später' ein Aderjafs Äut* Ver-
minderung der'Vollblütigkeit hatie ^öHziehen; und noch
andere Verordnungen in Ausführutag bringen lassen, 1 ver-
schwanden allmählig die bisher fortbestehenden Beschwer-
den, so dafs die Kranke je länger je mehr zu einer dauer-
haften, gleichförmigen und kräftigen ^Gesundheit Zurück*«
kehrte. Doch zeigte sich immer noch flie Ataxie der Men-
struation, welche mit demselben Ungestüm sich einstellte,
wenn jene Arznei nicht gebraucht Wurde? sobald dies aber
geschah, wurde sie gemässigt, wenn auch nicht so beschränkt,
wie das erstemal. J>ieser erfreuliche Zustand dauerte vier
Stahl'0 Theorie d. Heilkunde. III. 6
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■^MMiMs-in fünften Monate bracli dagegen die
JfrlensjtruaUon.mjt einem grpfseren Ungestüm, wie je, aus,
und, es wurde dabei ein kleines Konkrement ausgeleert.
Da ipdefs die erwähnte Arznei fleifsig gebraucht wurde,
so kam .es zu keinen ernsthaften Folgen. Nachdem jenes
Jlipdcrnife entfernt w ar, , kehrte nicht nur .die Gesundheit
}nj Allgemeinen zur Festjgkeit s Gleichförmigkeit und Dauer-
haftigkeit zurück, sondern, die Menstruation nf&m, auch
wieder einen; ruhigen und genjäfsigten Gang,, .,
... Auf ähnliche Weise .erjitt eine 23jährige Frau, Muf-
ter zweier Kinder, als sie zum dritteumale schwanger ge-
worden war, einen sefyr frühzeitigen Abortus, Ein Jahr
später befragte sje : mich um Rath wegen einer, sehr gror
Isen «Beengung beim Ajhmen, AngaJ in den Präkordieo,
zu 4er sich bedeutende Ermattung und Mangel an Appe-
tit gesellten. Die Farbe ihres Gesichts war sehr bleich,
ungeachtet dasselbe mehr geschwollen als abgezehrt war.
Da *r Leih so aufgetrieben war, als wenn eine Geburt
nahe, bevorstände, so richtete ich zuerst hierauf meine
frage. Sie antwortete, dafs sie zwar nicht sicher sei;
doch habe ihr Leib sejl einem Jahre von der Zeit des
Abortus an stets dieselbe Ausdehnung gehabt. Darauf sei
eine unregelmäßige, sehneU wiederkehrende, sehr lange
andauernde, bei den leichtesten Bewegungen des Körpers
und Gemüths sich verschlimmernde und übermässige Men-
struation eingetreten, welche auch an dem Tage ihres Be-
suchs auf eine lästige Weise vorhanden, war. Obgleich
unter den angegebenen. Verhältnissen die Voraussetzung
einer Schwangerschaft nicht statt finden konnte; so hat sie
doch' die Arzneien so einzurichten, dafs uioht dadurch viel-
leicht eine Hoflnung vereitelt werde. Sic nahm daher vort
der erwähnten Arznei 4 Dosen, nach deren ersterer der
Blutflufs-staud, so wie nach den übrigen dreien. der Leib
«ehr schnell und bedeutend, zusammensank und seine Ge-
schwulst nach zwei abermaligen; Dosen völlig verschwun-
den w^Jndefs. blieb > ex.hart, und. obgleifjfc, die Beengung
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und Angst aufgehört hatte, so trat doch noch keim; gleich-
formige und dauerhafte Ruhe ein. lin der vierten Wdche
darauf stellte sie Ii ein gemäfsigter Muüeiblutfluk ein, und
als zur gehörigen Beschränkung desselben die Arznei wie*
der in Auwenduog gezogen würde, traten am dritten Tage
nachher förmliche Geburtswehen^ ein. Durch diese wurde
nach Verlauf von zwei Stunden ein Konkrement von der
Gestalt und dem Umfange einer Maus ausgestoßen. Das-
selbe war innen faserig, hautartig, mit dickem Brate ange-
füllt, von aufsen mit einer zusammenhängenden festen Haut
umgeben. An dem eineu Ende verlor es sich in einen
fingerlangen dünnen Anhang, an Welchem es abgerissen zii
sein schien. Nach der Entfernung dieses Konkrements tra-
ten Lochien ein, welche mehrere Tage hindurch anhielten;
Nicht lauge darauf empfing die Frau, blieb während fder
Schwangerschaft gesund, gebar glücklich ein wohlgebilde-
tes Kind , und befand sich danach vollkommen wohl.
Gewifs sind solche Störungen der Menstruation, wel-
che nach übel verlaufenden Lochien ihren Anfang nehmen,
wesentlich von einfachen Abweichungen der Reinigung ver-
schieden. J . I f .. r V '
pie Verringerung und der völlige Mangel der Men-
struation verdienen wegen ihrer gröfseren Häufigkeit und
wegen ihrer gewisseren, zahlreichen und weifer sich aus-
breitenden üblen Folgen eine grofse Aufmerksamkeit. Diese
Fehler lassen sieh uuter 3 Arten bringen: 1) die Reini-
guug wird dem MaaJse nach verringert; 2) sie verzögert
sich über die bestimmte Zeit Linaus; 3) sie bleibt völlig
aus, :„
Was den ersten Fehler betrifft, so lassen sich davon
allerdings keine guten Folgen erwarten; die daraus ent-
stehenden Beschwerden beschränken sich aber fast auf die
Zeit des Flusses, und wenn £s. .-nicht, wegen heftig ' einwir-
kender Ursachen achnelL. bis. zu .einer ganzlichen Stockung
kommt, so sind jene gelinder als in. den übrigen Fällen:
^.pic/Verzöge^uiigrdbr/Menstrnatioü ist nicfatisrarJeinc
84
Abweichung derselben von ihrer Periode, sondern smj steht
aiich einem völligen Aufhören ungleich näher. Ucberdies
giebt sie zu ungestümeren und häufigeren Aufwallungen
Veranlassung, welche unter mannigfachen Formen auftre-
ten, indels mehr sich als Ataxieen der Bewegungen dar-
stellen, weniger Stockungen, Infarkten und Stascn hervor-
bringen. Je mehr diese Verzögerung von der richtigen
Zeitbestimmung und der gehörigen Ordnung abweicht, um
so geneigter ist sie, in ernsthaftere Ataxieen überzugehen.
Die gänzliche Unterdrückung bietet zwei bemerke ns-
werthe Verschiedenheiten dar, da sie entweder ganz allmäfe-
lig und gleichsam nur ' bei Gelegenheiten verschwindet, bis
sie gänzlich aufhört, oder mit einem Male und plötzlich un-
terdrückt wird, während zugleich eine bedeutende Voll-
blütigkeit obwaltet. Obgleich auch die Verschiedenheit des
Altera, in welchem die Unterdrückung sich ereignet, nicht
unwichtig ist. da sie bei jüngeren' Personen weit heftigere
und. stürmischere Folgen nach sich zu ziehen pflegt; so
wird dock jede Lebeusepoche dadurch von Gefahren be-
droht, welche nicht nur für die Gegenwart eintreten, son-
dern selbst das ganze noch übrige Leben betreifen.
•
. Die Ursachen der mangelnden Menstruation sind der
Art, Rangordnung und Bedeutung uach verschieden; sie
lassen sich jedoch bequem m solche abtheilen, welche ent-
weder 1) mehr die Materie oder die Bewegungen ange-
hen; 2) sind sie entweder innere oder zufällige äufsere;
3) ihre Wirkung ist entweder eine gegenwärtige und nach-
drückliche, oder bezieht sich als eine gelindere mehr auf
die Zukunft. Die inneren Ursachen kommen weit allge-
meiner vor, und beweisen sich ungleich stärker Sn-Vermin-
derung, Störung und Aufhebung der Menstruation, als fft»
äufeeren. Unter ersteren zeichnen sich besonders einige
aus, welche wegen ihrer ungestümen Wirksamkeit' weit
schneller und häufigen fernere verderbliche 'Wirkungen* her-
vorzubringen vermögen. - •"' _ < • '( » r^XO?' ?
. Unter ihneü behauptet dieVöllblütigkett den Vottang,
«
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83
•
indem sie entweder eine sieb allmähJig" einnistende Ver-
dickung der Säfte erzeugt, oder durch diese zu Umiultua-
Fischen Aufwallungen Veranlassung giöbt y Welche so lange
als noch kein Grund zu einer Entleerung vorhanden ist,
als überflüssig gar nicht vorzukommen pflegen. Die Ver--
dickung wird durch die herrschende Gewohnheit sehr be-
fördert,, bei dem reichlichen Genuis fester Speiseft Wenig
zutrinken, und eine sitzende Lebensweise zu fahret. Diese
beiden Ursachen reichen hin , eine einfache Verminderung'
der Menstruation hervorzubringen. <«..-. h
Unter den Nahrungsmitteln beschuldigt man nach den-
groben Begriffen neuerer Zeit besonders solche, welche mit
Salztheilen die Mischung der Säfte verändern sollen, noch?
mehr aber diejenigen,, welche eine deutliche Säure enthal-
ten, oder in eine solche überzugehen geneigt sind*. Wenn
ich diesen Stoffen aber auch nicht* alle Wirksamkeit ab-
sprechen will, eine Verdickung und Gerinnung hervorzu-
bringen und dadurch der Bewegung und Ergiefsung des
Blutes ein Hindernifs entgegen zu stellen; so müssen wir
uns doch an das halten, was wirklich geschieht, nicht
aber nach leeren Voraussetzungen wegen der Beschaffen-
heit der Materien geschehen kann, 'woraus sich dann er-
giebt, dafs jene vorgeschützte Geneigtheit zu solchen ma-
teriellen Fehlern von der thatsächlichen Wahrheit sehr weit
entfernt ist. Denn fast alle Weiber von niederem Stande, •
und unter den Vornehmeren *die unmäfsigeren und an Lek-
kereien gewöhnten wissen es aus unzähligen Erfahrungen,
dafs mancherlei dergleichen Nahrungsmittel, auch wenn sie
reichlich und selbst in Ucbermaafs genossen werden, kei-
nesweges auf eine unmittelbar materielle Weise Schaden
anrichten, sondern nur dann, wenn die Art ihres Genus-
ses unpassend war, wenn sie z. B. mit grofser Gier ver-
schlungen wurden und dadurch die ersten Wege sehr be-
schwerten. Es lafst sich aber nicht voraussetzen, dafs sie
etwas Materielles in die Säfte übertreten lassen, und da-
durch weit üblere Folgen, welche auf den Fortgang der
86
t
Menstruation 'zurückwirkten, bedingen. Wenn sie dies
*Sfefft.«*pf eine entfernte, zögernde und mittelbare Weise
zu bewirken yerinögen ; .so schaden sie noch mehr unmit-
telbar und schnell,. Wenn sie zu, der Zeit, wo die Men-
slrualbcwcgungcn eintreten, und in der gehörigen Richtung
angeordnet werden sollen, nnmäfsig genossen werden.
Jei\e. Vpr«rtheile iasseu sich noch besonders mit der
Tha^sache beseitigen, dafs unter den Nahrungsmitteln sol-
che, den .gröfsten Schaden anrichten, deren Einflufs sich
wahrscheinlich auf die ersten Wege und auf die erste Stufe
dpr Assimilation bezieht, wie denn z. B. der Kuchen, ja
seihst gewöhnliches Roggen- oder Waizenbrodt, welches
vpn der besten Desclioiienheit sein kann, und selbst in
gröfster Menge genossen nicht schädlich wirkt, die gedach-
ten üblen Wirkungen .hervorzubringen vermag, wenn es
heifs aus dein Ofeu kommend, wo es noch dicht und zäh
ist, genossen wird. ]}a die Wirkung dieser Schädlichkeit
auf den Magen gerichtet ist, so fallt sie aufser der Zeit
der Menstruation nicht schwächer aus, als während der-
selben, wo sie noch deren Unterdrückung zur Folge hat.
Eben so gehören hierher alle Dinge, welche im Magen in
eine lüften t wickelnde Gährung übergehen, z. B. die Bier-
hefen, welche theils in einem trüben Bier enthalten sind,
theils manchen Backwerken zugesetzt werden.
..... Mit einem Worte, alle StolTe, welche die Menstrua-
tion zu verringern und selbst schnell zu unterdrücken ver-
mögen, wirken offenbar weit unmittelbarer auf die Bewe-
gungen ein, als dafs sie die Mischung der Säfte verändern,
oder dieselben gar zum Gerinnen bringen. Wenn ich da-
her auch nicht bestreite, dafs die Verdickung des Blutes
die mehrgedachte Wirkung hervorzubringen im Stande ist,
60 suche ich doch die Entstehung der ersteren in folgen-
den 3 Bedingungen auf: 1) in dem Mangel an einer hin-
reichenden Verdünnung; 2) in einer unvollständigen Durch-
mischung des dünneren Theils im Blute mit dem dickeren.
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4) ih einer' M -zähen Beschaffenlieit des toöaaymf&att-
schen Theils. ' io! »" : J ? r
'" , " ' Unter den vornehmsten Ursachen , weicht die Men-
struation ins Stocken bringen, verdienen die Leidehsöhaf-
ten, vorzüglich de** Schreck, eine besondere Erwähnung
Dafs letz! crer sie, Weun sie mitten im Flosse Begriffen ist,
durch heftige Einwirkung- plötzlich hemmen 'kann, J ist* all-
gemein bekannt; auch wurde beim Blutbrechen ein solcher
Fall angeführt. 1 Vielreicht «kann auch ein -starker Ekel et-
was dazu beitrage«; jedoch wohl -nicht für sich allein.
-i " Als* eine Snfsere Ursache, welche dem Blutlauf eine
andere Richtung giebt, kann mau noch schnelle Blutent-
ziehuugen nenoeti, wenn sie an entgegengesetzten Stellen
vorgenommen Werden. Forestus fuhrt ein Beispiel an, wo
ein Aderlafs am Arm die im Flusse ' begriffene Menstrua-
tion zum Stillstaüde brachte.
Wollen wir die aufgezählten Ursachen nach der 'Häu-
figkeit ihrer Wirkung in eine Rangordnung* bringen, so
behaupten diejenigen, welche die Bewegungen unmittelbar
umstimmen, den ersten' Platz, und zwar um so mehr, je
gewisser und stärker ihr Einflufs ist. Obenan stellen da-
her die Leidenschaften, unter denen der Schreck eine plötz-
liche, die ängstliche Sehnsucht und der Kummer eine all-
mahlige Unterdrückung hervorbringen. Dann folgen die
Schädlichkeiten, welche die Verdauung stören; hierauf die-
jenigen äufsereri Einflüsse, welche durch einen Eindruck
auf die Empfindungen in den Bewegungen Veränderungen
hervorbringen, oder die Beweglichkeit der Säfte verrin-
gern, indem sie deren Verdickung befördern. Am selten-
sten nnd langsamsten wirken die Dinge, welche die Mi-
schung der Säfte abändern. Ja, letztere vermögen dies
kaum unmittelbar mit einer ihnen eigentümlichen Kraft,
sondern fast nur auf mittelbare und entfernte Weise, in-
dem sie mit jenen, die Bewegungen umstimmenden, oder
auf die ersten Wege einwirkenden Ursachen zusammen-
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treffen. Diese Betrachtung ist für den Arzjt sehr wichtig,
da das Urtheil über die Wirksamkeit der Ursachen sehr
verschieden ; ausfallen muis, je nachdem ./sie nur mittelbar,
und im Gefolge anderer (Ursachen, oder geradezu und durch
ihre eigene Kraft jenen Erfolg herbeiführen. { v i
-
• ,In .Betreff der , Aetiologie vertut noch bemerkt zu
weisen , dafs überaus viele Frauen von einzelnen der ge-
nannten Ursachen betroffen werden, ohne eine Störung ih-
rer (Menstruation zu erleiden; welches nur dann zu ge-
schehen pflegt, wenn mehrere derselben, zusammenwirken.
Halt man diesen : Umstand mit der größeren Wirksamkeit
der Ursachen zur Zeit „ wo die Menstrualbewegungen ein-
treten, und leichter .durch dieselben behindert werden kön-
nen , zusammen ; so, ergiebt sich daxaus d/e Warnung für
den ^rzt, sich nicht zu viel von den treibenden Heilmit-
teln, welche jene Bewegungen anregen sollen, zu verspre-
chen, da sie durch Zjusammcuschnürung der Blutgefässe
vielmehr den freien Fortgang der Regeln zu behindern
fähig sind, zumal zw Zeit, wo letztere eintreten sollen.
Denn da die Menstrualbewegangen ihrer Natur nach ruhig
und heimlich von Starten gehen sollen, so erfordern, ja
ertragen sie nicht einmal dergleichen Reizmittel, wenn diese
nicht mit der gröfsten Vorsicht angewendet werden.
Wir haben noch besonders die Abweichungen der Men-
struation, zu betrachten, denen sie zur Zeit ihres Entste-
hens und Aufhörens ausgesetzt ist. Ihrep Anlang nimmt
sie bekanntlich gegen das Ende des zweiten, so wie ihr
Verschwinden mit dem Ablauf des siebenten siebenjähri-
gen Cyklüs zusammentrifft Durch Uebermaafs wird sie
bei ihrem Entstehen nicht leicht krankhaft, ausgenommen,
wenn sie zu frühzeitig, nämlich schon im 13ten Jahre zum
Ausbruch kommt. Doch legt man hierauf gemeiniglich so
wenig Gewicht, dafs selbst Aerzte diesen Zeitpunkt als
den naturgemäßen ansehen. Auch pflegt dieser Umstand
für sieh, und ohne das Hinzutreten anderer Bedingungen,
keine Störungen und Gefahren herbeizuführen, und etwa
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jiur die Folge nach sich za He^%-^d^.:frQImiti S .aii^
brechenden Regeln eben so frühzert Ig sich wieder verlie-
ren. Ueberhaupt gilt hier die allgemeine Bemerkung, daCs
Blutflüssc weit seltener durch Ucbermaafs als durch Man-
gel schädlich werden. Denn während, das Eintreten der
Menstruation vor dem 14ten Jahre beinahe gleichgültig ist,
wird das Ausbleiben derselben über diesen Zeitpunkt hin-
aus fast gewifs von Besch werden begleitet, um so mehr,
da hierdurch in der .Folge desto leichter ein Mangel,- we-
nigstens ein behinderter und unregelmäßiger Fortgang der-
selben, bedingt wird. • . . i» «, ->. ;.,«!
Das Ausbleiben; der Menstruation hat mit den Fallen,
wo sie verringert, oder ins Stocken geratheo, ist, die näm-
lichen Ursachen gemein, mit dem Unterschiede, dafs bei
erst crem die einfacheren Fehler der Koosistenz des Blutes,
und einer nach anderen Richtungen abweichenden Bewe-
gung, für sich hinreichend sind, weniger aber diejenigen
Ursachen wirksam sind, welche die Menstruation in ihrem
Flusse aufzuhalten vermögen, abgerechnet wenn sie zufal-
lig zu der Zeit ihren Ei n II u Ts geltend machen, wenn jene
sieh durch ihre Bestrebungen ankündigt, "Viel vermag als-
dann der Kummer, besonders wenn er mit Sehnsucht ge-
paart ist. Die vornehmsten Ursachen des längeren Aus-
bleibens sind: 1) eine beträchtliche Verdickung des Blu-
tes; 2) Traurigkeit und in körperlicher Hinsicht Dyskra-
sieen und Ataxieen; 3) Vollblütigkeit bei sitzender Lebens-
weise, bei welcher es indefs nicht an Gelegenheiten zu
plötzlichen Aufwallungen fehlt. Auch können diese Ur-
sachen, wenn die Menstruation schon im Gange ist, sie
abermals in Unordnung und ins Stocken bringen. Eine
richtige Würdigung dieser Momente verbreitet auch Licht
über den Fall, wo verwegene Weiber und unvorsichtige
Aerzte durch unzeitigen Gebrauch treibender Mittel eine
vollblütige Konstitution in zu grofse Aufregung versetzen,
und anstatt die Menstruation hervorzurufen, ihren Zweck
verfehlen, und schlimmere Folgen herbeiführen. Unter an-
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deren' wird die Verzögerung dadurch noch hartnäckiger
gemacht, ja es kommt Selbst tu eine* aktiven Untcrdrök-
kung* Jene fehlerhafte Absicht wird noch durch die ab-
genommene Meinung von einer notwendigen Verbesserung
des Blutes 1 fögtinstigt, indem man die Säuerung und Oer
rinnung desselberi' theils durch scharfe Saite, theiteÄüt
Beförderung dca trägeren Blutiaufs durch feinere -Treibe-
rnittei entfernen will, somit aber 'einen neuen Aufruhr ein-
leitet. Fälschlich hat man den Eisenpräparaten eine er*,
öffnende Kraft beigelegt, da sie vkknehr Strikturen ver-
anlassen, und weder zu der übermäfsigen Menge des Blu-
tes, noch zu seiner zu geringflüssigen Beschaffenheit passen.
Wenn die durch neue Beschwerden aufgereizte Natur nicht
von selbst durchdringt, wie dies wohl bei robusten Wer-
bern aus der niederen Volksklasse geschehen kann; so er-
geben sich daraus völlige Unterdrückungen, wenigstens re-
gelt sich die Menstruation nicht gehörig, noch kehrt sie
aus eigenem Antriebe wieder, sondern verliert sich in ano-
male und unstäte Bewegungen, die weder dem naturlichen
Grade, noch der Zeit angemessen sind. '*•
So kommt es dehn, dafs nach dergleichen thörigtfcn
Versuchen, die zögernde Menstruation hervorzutreiben, Be-
engung, Angst, hektische und schleichende Fieber, Schwind-
süchten, Kopfweh, Krämpfe und Konvulsionen entstehen,
oder dafs bei schwammigem Körperbau Kachexieen, Chlo-
rose, das Gefühl von Ueberfullung und Schwere, und end-
lich Oedeme sich ausbilden. Wenigstens wird es durch
solche Störungen gewöhnlich dahin gebracht, dafs die Men-
struation in der Folge keinen geregelten, gemäfsigten, gleich-
förmigen und ausdauernden Charakter annimmt, und dafs
die nolhwendig scheinende Wiederholung derselben Heil-
mittel neue Verwirrung anstiftet, bis endlich auf besseren
Rath ein Aderlafs (wenn es nur noch zeitig genug unter-
nommen wird) und das Aussetzen jener Arzneien, oder
die Vertauschung der trägen Lebensweise mit einer thäti-
gcren eine bessere Ordnung der Dinge einleitet Auch ist
i , *
• »
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M
noch in Betreff der alterirenden Hellmittel zu bemerken",
dafs man ihrem Gebrauch die Anwendung von Blutentzie-
hungen und eine mäßige Aufregung de* Kreislaufs durch
eine thätige Lebensweise voranschicken mufs. Denn nur
su häufig ereignet es sich, dafs erstere , welche unter der
angegebenen Bedingung nützlich geworden sein wurden,
obne dieselben unwirksam bleiben, ja selbst zu Schädlich!
keiten Werden, wenn man sie nicht mit gehöriger Um*
sieht anwendet, wenigstens dafs durch sie keine ächte und
dauerhafte Heilung erzielt wird, daher sie denn wohl dazu
verleiten, einen zu lange fortgesetzten, und daher nachthei-
ligen Gebrauch von ihnen zu machen.
So viel ist gewifs, dafs das angegebene Heilverfahren
die gröfste Wirksamkeit zur Erreichung des verlangten
Zwecks beweiset , und dafs es von den übrigen gleichzei-
tig angewandten Arzneien zweifelhaft bleibt, ob sie übert
haupt Etwas, oder gar das Vornehmste dazu beitragen^
oder ob nicht die Blutentziehungen und eine hinreichende
Verdünnung des Blutes alles gethan haben. Ja, nie kann
man es wohl von jenen behaupten, da sie allein in Ge-
brauch gezogen vielmehr Schaden anrichten, folglich nur
auf sehr mittelbare Weise nützen, indem sie die Natur
mit mannigfachen Beschwerden und Verwickelungen um-
geben, und sie, wenn ihr eine regere Kraft eigen ist, zum
Kampf dagegen herausfordern, wo sie dann ihr Geschäft
aus eigenem Antriebe vollbringt. Eben so bin ich über-
zeugt, dafs zur Hervorbriugung der noch nicht eingetrete-
nen Menstruation, wenn deren Zeit gekommen ist, gelinde,
der Natur entsprechende Anregungen der Bewegung un-
gleich mehr zu leisten vermögen, als die kunstgemäfsen
materiellen Arzneien, welche ohne jene nichts ausrichten
können. 'ß^v
In Betreff des Aufhörens der Menstruation gegen das
Ende des siebenten siebenjährigen Cyklus, und der krank-
haften Ataxieen, denen sie dann leicht ausgesetzt ist, kommt
es sehr häufig vor, dafs dieselbe zwei bis drei Monate hin-
*
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durch ausbleibt, und dann, oft auch nach kürzerer Zeit)
mit ungewöhnlicher Stärke eintritt, oder gar big zu einem
solchen Grade übermäfsig wkd, dafs sie zu schlimmen Fol-
gen nothwendig Veranlassung geben muJs. zumal wenn man
sie durch adstringirende Mittel unterdrückt, oder durch
Opium eine palliative Hälfe leistet, und stellvertretende
Blutentziehungen nnterläfst. Nichts ist dann gewöhnlicher,
als dafs hypochondrisch -hysterische Beschwerden, .neue er-
schöpfende Blutflusse, und nach wiederholten plötzlichen
Unterdrückungen derselben Oedeme nn4 Wassersüchten ent-
stehen; am häufigsten bildet sich jedoch ein allgemeiner,
das ganze übrige Leben hindurch andauernder Krankheits-
zustand aus, welcher zwischen jenen Leiden hin und wie-
der schwankt. Hält man sich an die Erfahrung , um die
Ursachen dieser Abweichungen von dem naturgcraäfsen En
folge zu ergründen; so bieten sich, wenn man die zufalli-
gen abrechnet, folgende als die wichtigsten dar: 1) ein
hoher Grad von Vollblütigkeit; 2) die frühere Gewöhnung
an sehr reichliche Ausleerungen; 3) grofse Leidenschaften,
welche die Bewegungen in Unordnung zu bringen vermö-
gen; 4) die frühere Gewohnheit, künstliche Ausleerungen
^u veranstalten, welche zu der in Rede stehenden Zeit
nicht gehörig angewandt, oder selbst gänzlich vcrnaehläs-
sigt werden. Wenn nun noch zu diesen Bedingungen eine
fehlerhafte Behandlung hinzutritt; so ist nichts gewisser,
als dafs die an sich üblen Erfolge noch mehr verschlim-
mert werden. Entweder kehren dann unmäfsige Auslee-
rungen wieder, oder zu den krampfhaften Anstrengungen
gesellen sich nun noch weit stürmischere. Auch stellt
sich aufser den gedachten Beschwerden ein weifser Fluis
ein, welcher bis in das späteste Alter, anhält.
Zuletzt wollen wir noch des Lochia Iflusses gedenken,
der eben sowohl durch Mangel als durch Uebermaafs krank-
haft ausarten kann, und nur selten in der Konsistenz des
Ausgesonderten etwa6 Fehlerhaftes zeigt. Auch bei ihm
. bestätigt es sich, dafs der Mangel häuüger vorkommt, als
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das Ucbermaafs, und schwerere Folgen hinterlafst, als letz-
teres, wenn es nicht den höchsten Grad erreicht. ' ' l "
Unter den vornehmsten Ursachen dieser Abweichun-
gen zeichnen sich besonders bedeutende Vollblütigkeit, Ver-
dickung und orgastische Aufwallung des Blutes aus. Vor-
zuglich ist die zuletztgenannte von der gröfsten Wichtig-
keit, so dafe ohne sie die übrigen Ursachen nicht viel aus^
Zurichten vermögen, besonders in Betreff der nachfolgenden
Beschwerden und Gefahren. Denn obgleich ein bedeuten-
der Ueberflufs und Verdickung des Blutes an sich den Lo-
chiaiflufs behindern und verringern können, 'so l h im sie dies
doch nicht so sicher, schnell, unmittelbar, und mit so tief
eingreifender und hartnäckiger Wirkung. An den Orten,
wo der Wein nicht inv täglichen Gebrauch ist, vermag da-
her der Genufs desselben die Lochien, welche bis dahin
... *
regelmäfsig im Gange waren, schnell zu unterdrücken. Dag
Gleiche gilt von der Anwendung 'der erhitzertderi Atefii-
pharmaca, der Myrrhe^ des Safrans und : der flüchtigen Salze
gegen Verminderung der 'Lochie'n, Welühe dadurch völlig
unterdrückt werden- Dies geschieht üni so gewisser, werfn
der zu beseitigende Krankheitszustand Vdtt einer durch zu-
fällige Ursachen veranlafsten Blutwallung herrührte, z. B.
von unmüfsigen und übereilten Anstrehghngen' der Krei-
senden zur Geburt, von einem zu staifc 'geheizten Zimmer,
von der Anwendung der treibenden Mittel, der Myrrhej
des Safrans, der Salze zur Beförderung der Geburt. Sehr
grofs ist auch- die tinmittelbare' und lieftigö Wirkung dir
Leidenschaften; ztimal des Schrecks. ' " M < : * , it;
Die Lochien haben ; zwar mit allen übrigen Blutflus^
sen "dieselben Hindernisse und Gefahren gemeiri* jeffoelf
unterscheiden sie sich von 'ihnen darin, dafs ihr Mangel
weit ' schneller^ nnd Engest ümer beschwerliche nnd'Ve^de'rÄ-
liche Folget* Antreten ISfet. Von gelfntferer : Art sind Be-
engung iti'^PräkordlKr, Mangel kl Appetit, "Ürirnhen,
Ko^ctittttirz&tf. ■ Schliriimer sind hitzige, eritztifidlfthe, her-
tige Fieber^ vx denen 'mcV vergebliche Atistrtfnguri'gen zu
J
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Blutflussen gesellen, tob denen man Irrereden* Bräune,
Aphthen mit tödtliehem Aussauge ableiten mufs. Nur
wenn die Lochien nicht durch Wallungen, sondern durch
zu grofee Menge und Verdickung des Blutes unterdrückt
wurden, treten jene milderen Erfolge auf. < t
Wir haben nun noch des zu reichlichen Lochialflusses
zu gedenken, welcher zuweilen mit einein plötzlichen und
heftigen Anfall die , Wöchnerin erschöpft, zuweilen aber
auch eine sehr chronische und hartnackige Form annimmt*
In diesem Faible ist gewöhnlich die Nachgeburt nicht voll T
ständig ausgestoßen worden, wie dies sich besonders leicht
nach einem Abortus ereignet, zumal wenn dieser früh zei-
tig erfolgte. Die Ueberreste der Nachgeburt veranlassen
ejne solche hartnäckige Blutung,, theils durch die in sie
Übergehenden Gebärmuttergefäfee, theils durch die austrei*
be nde n Bewegungen, welche sie hervorbringen. Es ist
dieser Umstand so. wichtig-, da alle übrigen Hülfemittel
fruchtlos sind, wenn man nicht jene Ueberreste herausbe«
fördern kann. Die adstringirende Heilmethode würde so-
gar schädlich sein. Zur Erläuterung theile ich einen merk-
würdigen Fall mit.
• t > M • itt i .... . '
Eine vornehme Frau, welche früher einmal unzeitige
Wochen gehalten, danach aber zweimal ein Kind glucklich
ausgetragen und gehören hatte, wurde abermals schwanger,;
wobei sie mannigfachen Gemütsbewegungen ausgesetzt war.
In der zwölften Woche stellte sich eine gelinde und sehr,
gemässigte Reinigung ein, welche einige Tage gleichförmig
anhielt^ und sie über ihren Zustand zweifelhaft in achte.
Der Leib hatte sich 'inzwischen in . einem der Schwanger-
schaftszeit entsprechenden Grade aussedehiit, und liefe wäh-
rend jenes Flusses keine Verminderung seines Umfanges
wahrnehmen. Am siebenten Tage brach die Blutung in
einem solchen Uebermaafs aus, dafs die.se^r geschwächte
Kranke in grofser /Gefahr zu schweben schien. Keine,
Schmerzen stellten steh, ein, sondern nur Anjpt.unrf Been*
gang in den Präkordicn nebst einer listen Empfindung
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von Bcifgen im Hypogastrium. Von den Aerzten wurden
analcptischc, leicht adstringirende Mittel, denen man eine
ausgezeichnete Stärke beilegte, verschrieben, z.B. die Con-
feciio de hyaeitäho, corollata, zuletzt während des Ablaufs
von 3 Stunden auch stärkere, .Endlieh wurde ein Ei von
der Gröfse und Gestalt eines Hühnereies ausgetrieben; das-
selbe war zerrissen, und enthielt, in seinem Inneren Nichts,
während die äufsere Substanz in ihrer Textur uud Form
mit den gewöhnlichen Eihüüen übereinkam. Sobald als
die Austreibung erfolgt war, hörten der heftige Blutilufs,
die Beengung, Unruhe, Angst und Ermattung auf; die
Kranke kam schnell zu eich, und ihre Gesundheit besserte
sich so sehr, dafs sie nach 14 Tagen nicht mehr am Aus-
gehen verhindert werden konnte. Nach abermals 14. Ta*
gen trat die Menstruation ein, welche regelmäfsig verlief,
Wld wobei die Frau sich ganz wohl befand. Jene blieb
indefs die beiden nächsten Male aus, während der Leih
wie zur gehörigen Zeit aufschwoll. Ihre Dienerinnen wa-
ren aber darüber besorgt , dafs sich bei ,ihr die gewöhnli*
chen Zeichen der Schwangerschaft, Ekel ; vor Fleischspeisen
und Erbrechen nicht einstellten; vielmehr hatte sie einen
lebhaften Appetit, und befand sich so wohl, dafs sie selbst
stärker beleibt wurde. Mit der zwölften Woche trat wie-«
der jener Blutflufs mit deuseiben Umstünden, wie das erste-
mal, gleich einer Menstruation ein. Am 7ten Tage aber-
mals eine reichliehe Blutung, welche nieht eher stand, als
bis die Kranke unter grofsem Verlust von Kräften wieder
eine häutige Substanz ausgetrieben hatte, wonach alle Zu-
fälle nachliefsen, die Kranke sich all mahlig erholte und zu
einer leidlichen Gesundheit zurückkehrte. Inzwischen wie-
derholte sich diese Scene auf gleiche Weise zutn dritten
upd vierten Male, wobei indefs die Kranke merklich schwfi*
eher wurde,, und es während der . freien Zwischenzeiten
blieb. Der vierte Anfall besonders ergriff die Kranke mit
einer solchen Heiligkeit und Hartnäckigkeit, dafs sie drei-
mal in schwere Ohnmacht Joel, und bei der vierten den*
96
-
Tode nahe zu sein schien. Endlich als wieder ein solclhes
Konkrement ausgestofsen war, verminderte sich sogleich
die Blutung, die Angst nahm ab, die Ohnmächten kehrten
nicht wieder, obgleich die höchst erschöpfte Kranke an
grofser Schwäche des Kopfes, Ohrenklingen, Schwerhörig-
keit, Nasenkatarrh leidend, eine sehr 1 bleiche, üble Farbe
bekam, und da zugleich der Körper gednnsen zu werden
anfing, die Besorgnifs der übelsten Folgen erweckte. Doch
kam sie so weit, dafs sie in einem leidlichen Zustande
aufser dem Bette sich erhalten konnte; ja, sie erlangte selbst
ihre frühere Lebhaftigkeit und den Schein einer festen Ge-
sundheit wieder, bis sie zum fünften Mal in die nämliche
Gefahr gerieth. Bei den früheren Anfällen stand mir ein
Kollege zur Seite, Welcher indefs diesmal seit einigen Wo-
chen von LShmurig befallen, und an seinem Gedäohtnils
geschwächt, nicht 'füglich zur Hülfe gerufen werden konnte*
Zwar hatte die ersten 3 Monate hindurch alles »ich auf
die gleiche Weise», wie die früheren Male verhalten; da
aber die Schwäche der Kranken befürchten liefs, dafs der
N nächste Abortus den unglücklichen Ausgang vollends her-
beifuhren würde, 'mit welchem der vorige schon bedroht
hatte; so war ich genöthigt, um meinen Ruf zu retten,
und- mich in meinem Gewissen zu Sichern , mit den die
Kranke timgebenden Personen Rath zu pflegen, welche
gleichfalls ein trauriges Ende mit Gowifsheit erwarteten.
Der grofse Widerwille der Kranken gegen alle Pulver und
Pillen hatte bisher alle meine Bemühungen vereitelt, denn
wenn sie sich auch einmal zum Gebrauch derselben ent-
schloß so leerte tüe dieselben doch bald wieder durch Er-
brechen aus. Inzwischen traf ich sie wenige Tage vor
dem Ende der zwölften Woche, als sie eine Messerspitze
voll von einem Pulver nahm, und welches ihrer Versiche-
rung nach aus Kreide, Krebssteinen , < Muskatenblüthe umi
Zucker für das Sodbrennen bestand. Durch Ueberredurig
wulste ich die Umstehenden zu gewinnen, dafs sie der
Kränken etwas von' einem Pulver, auf welches ich unter
,..■.-••«•*• so
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. » » t »■ .. w i \ : • «
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97
so bedrängten Umstanden allein noch, einige Hoffnung setzte,
angeblich als wenn es jenes wäre, darreichten. Mit der
zwölften Woche kehrte die Blutung wieder, und dauerte
mit gewohnter Mäfsigung 6 Tage fort. Am siebenten Tage
stellte sich ganz auf die frühere Weise ein profuser Blut-
flufs mit allen jenen drohenden Erscheinungen ein. Als
diese schon zwei Stunden angehalten hatten, und die Kranke
bereits zweimal in Ohnmacbt gefallen war, vermischte ich
1 Skrupel Aallebcr (Hepar anguillae) mit etwas Mixtttra
analeptica, und reichte es ihr, als sie eben wieder zu ath-
men anfing, dar. Unmittelbar darauf ging ein Konkrement
von der Gröfse einer Birne von ihr ab, welches aus feinen
Häuten bestand, und in vielen Zellen ein dickes, schwar-
zes Blut enthielt. Nach der Austreibung desselben ver-
minderten die Zufälle sich bald, doch fuhr die Kranke so
lange mit dem Gebrauch der Arznei fort, als noch eine
Spur von Blutung sich zeigte, welche diesmal weit länger
anhielt. Allmählig erlangte die Frau wieder eine feste Ge-
sundheit, und eriipfing von neuem, wonach sich die ge-
wohnten Zeichen der Schwangerschaft, Ekel vor Fleisch-
speisen und Erbrechen einstellten. Alles ging erwünscht
von Statten, da man, zumal um die zwölfte Woche, jene
Arzneien wieder in Anwendung gesetzt hatte, und so er-
folgte denn die glückliche Entbindung von einer Tochter,
mit welcher sie noch nach 16 Jahren am Leben war. Die
ganze Schuld dieser wiederholten Fehlgeburten mufs ich
auf Rechnung einer unvollständigen Reinigung der Gebär-
mutter bringen. Es ist aus diesem, wie aus vielen ahn-
liehen Fällen klar, dafs dergleichen profuse und unbezwing-
liche, zum Abortus führende Blutllüsse nicht eher aufhören,
als bis der im Uterus verborgen liegende Ueberrest einer
früheren Nachgeburt ausgestofsen ist.
Es ist bisher mehr von den Blutflüssen die Rede ge-
wesen, welche sich vor und während der Geburt ereig-
nen; wenn aber der Antrieb dazu gehemmt wird, und ad-
stringirende oder abstumpfende (sopiiianesj Mittel selbst die
Stahlt Theorie d. Heilkunde. III stäF^^'*^
L'Ü
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Ausleerung und Reinigung des Uterus verhindern, so ent-
steht eine lange dauernde, hartnäckige, häufig wiederkeh-
rende und ungeraäfsigte Blutung.
Wenn die Störungen des Lochialflusses an sich einen
ernsthafteren Charakter annehmen, oder mit unzweckmä-
fsigen Kurmethoden übel behandelt werden; so gehen dar-
aus mannigfache Krankheitszustände des Uterus hervor,
welche besonders der Fruchtbarkeit Eintrag thun, und die
Menstruation in Unordnung bringen. Oder es stellen sich
auch mancherlei hysterische Beschwerden im Unterleibe
ein^ welcher nicht selten auf eine besondere Weise an-
schwillt, zumal wenn von der Nachgeburt (vorzüglich von
der zarteren beim Abortus) Reste im Uterus zurückbleiben.
Man mufs auf diesen Umstand eine sorgfältige Aufmerk-
samkeit richten, Um sich über ihn nicht zu täuschen, und
nicht zu zwecklosen Kurversuchen verleitet zu werden,
welche selbst die wirksamsten Arzneien in Verdacht brin-
gen können
Eine Jüdin, welche schon achtmal glücklich geboren
hatte, wurde abermals eutbunden; obgleich aber die Heb-
amme versicherte, dafs alles nach Wunsch gegangen sei,
befand die Frau sich doch sehr unwohl, und erlitt einen
bis zur Erschöpfung der Kräfte unmäfsigen Blutflufs, wei-
cher bis zum vierten Tage anhielt, und in abwechselnden
Anfallen stärker hervortrat. Zugleich empfand sie eine
grofse Unruhe im Unterleibe, welche sich zwar nicht wie
gewöhnliche Geburtswehen artete, doch von sehr heftigen,
zwischendurch eintretenden Schmerzen begleitet war. Zu
Anfang des vierten Tages wurde die Kranke von einem
starken Frostschauder und einer erstickenden Beklemmung
ergriffen, welche in eine vollständige Ohnmacht überging.
Nach der Anwendung einer passenden Arznei leerte sie
unter mancherlei beängstigenden Zufällen gegen Ende des-
selben Tages ein handbreites Stück von, der Nachgeburt
aus, wonach sie unter dem Gebrauch der nämlichen Arznei
bald ihre Kräfte und Gesundheit wieder erlangte.
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99
Werden aber die austreibenden Bewegungen durch ad-
stringirende Mittel unterdrückt, so tritt nur zu häufig der
Fall ein, dafs die Frauen ihre Gesundheit nach dem Wo-
chenbette nicht wieder erlangen. Der Leib treibt ihnen
auf, die Menstruation geräth ins Stocken, und so ist allen
möglichen Beschwerden Thor und Thür geöffnet. Kommt
es zu einer neuen Schwangerschaft; so erleiden sie ent-
weder einen Abortus, oder sie haben während jener mit
mannigfachen Uebclständen zu kämpfen, sind während und 1
nach der Geburt vielen Gefahren ausgesetzt, und bringen
schwache, kränkliche Kinder zur Welt.
Es bleibt uns noch davon zu reden übrig, wie die
auf Blutflüsse abzweckenden Bewegungen im Uterus zu
Beschwerden im unteren Theile des Bauches Veranlassung
geben können, die in dieser Beziehung wenigstens den
Weibern eigenthümlich sind, und als solche seit den älte-
sten Zeiten unterschieden wurden.
• • •
• §. .1.
Von der Hysterie.
Es ist bekannt, dafs die Alten den Ursprung der Hy-
sterie allein vom Uterus ableiteten, und diese Ansicht er-
hielt sich bis auf unsere Zeit, wo Highmor dieselbe mit ,
den hypochondrischen Beschwerden in eine Klasse brachte»
und den Beweis aufstellte, dafs letztere beiden Geschlech-
ter uj^nein^cl^ und dafs man daher jene nicht
anfei n etgenth ümliches Organ ansschliefslich beziehen könne.
Er fand zwar dabei bald Zustimmung; doch die gedanken-
lose Annahme seiner Ansicht liefs es übersehen, dafs er
zwei Punkte unerörtert gelassen hatte, einmal den beiden
Krankheiten gemeinschaftlichen Sitz, also ihre Üeberein-
stimmung in gleicher Beschaffenheit, aber zweitens auch
ihre bedeutende Verschiedenheit, wenn diese auch nur eine
gradweise ist, und die Bedingungen, auf welche diese sich
stützt. '
Außerdem haben sich auch noch bis auf unsere Zeiten
V
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100
die pathologischen Begriffe üelmonfs fortgepflanzt, nach
welchem die hypochondrischen Beschwerden als ein Prä-
kordialleiden im Magen ihren Sitz haben sollen. Ja selbst
die Träumereien des Sylvins sind nicht in Vergessenheit
gerathen, welcher aus einem unter zahllos verschiedenen
Verhältnissen fehlerhaften Zusammentreffen der Calle und
des pankreatischen Saftes im Zwölffingerdarm fast alle
Krankheiten, nicht blos die des Unterleibes ableitete. Da-
bei fibersah man aber ganz den eigentümlichen Bau und
Nutzen der Pfortader und die Bedingungen des in ihr und
den dazu gehörenden Organen von Statten gehenden Kreis-
laufs. Man konnte sich daher über den grofsen Unterschied
f zwischen den hysterischen Beschwerden der Weiber und
I den hypochondrischen der Männer, so wie über die Ur-
sachen derselben keine Rechenschaft geben.
Diese Verschiedenheit ist aber darin enthalten, dafs
nicht blos in Bezug auf das Geschichtliche der Krankheit
die Weiber an derselben weit häufiger als die Männer lei-
den, dafs also von jenen mehr Iudividuen weit öfter und
von zahlreicheren Anfällen betroffen werden, welche weit
schneller und leichter nach geringfügigen Veranlassungen,
weit zeitiger in Bezug auf das Lebensalter, und weit spä-
ter im ferneren. Verlauf desselben ausbrechen; sondern dals
auch die Krankheitserscheinungen einen weit ungestümeren
Charakter und eine gröfsere Mannigfaltigkeit verschiedener
Formen annehmen. In Bezug auf die ursächlichen Bedin-
gungen giebt sich ein s-peeifischer Unterschied darin zu er-
kennen, dafs bei Weibern die Anfälle am sichersten, lief-
tigsten und augenblicklichsten nach. Ataxieen der Menstrua-
tion und bei fehlerhaften Vorgängen bei der Geburt und
im Wochenbette ausbrechen. Da nun diese Bedingungen
bei Männern wegfallen; so liegt unstreitig eine grofse
Schwierigkeit darin, zu erklären, wie aus so verschieden-
artigen Ursachen sich dennoch so gleichartige Erfolge er-
geben können.
Zu den Erscheinungen der Hysterie gehören vornäni-
i
<
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101
lieh folgende: Es entstehen plötzliche und ungestüme Zu-
falle in den Präkordien, mitten im Unferleibe, in den Ge-
därmen, in den Organen des Athemholcns und Schlingens,
im Kopf, wobei selbst der innere Sinn leidet, und über-
haupt die ungewöhnlichsten und mannigfachsten Symptome
sich zeigen. So werden z. B. in den Präkordien die hef-
tigste Beengung, Angst, Oppression, Erstickung, Aufblä-
hung, die qualvollsten und hartnäckigsten Anstrengungen
zum Erbrechen empfunden, welche entweder vergeblich
sind, oder zuletzt Blut heraustreiben. Dazu gesellen sich
eine beständige Appetitlosigkeit, selbst Ekel, oder auch ein
abwechselnder, auf ungereimte und unpassende Dinge ge-
richteter Appetit, welcher oft sehr eigensinnig in seiner
Wahl ist. Im Untcrlcibe entsteht zuweilen das Gefühl
eines starken Drucks, als wenn derselbe mit beiden Hän-
den zusammengeprefst würde, so dafs die Kranken deshalb
mit zusammengekrümmtem Leibe zu sitzen oder liegen ge-
nöthigt sind; es werden in den Gedärmen gewaltsame Stöfse
empfunden, die das Volk Herzstöfse zu nennen pflegt. Oder
es ziehen Blähungen hin und wieder, welche sich auch
wohl an einer kleinen Stelle festsetzen, und indem sie sich
weiter bewegen, das Gefühl, als wenn sich eine Kugel im
Leibe wälze, hervorbringen, und mit starkem Bauchgrim-
men verbunden sind. Die Leibesöffnung ist nicht Mos trok-
ken, sondern selbst krampfhaft verstopft.
Das Äthemholen wird durch Beschwerden, welche vom
Zwergfell und von der Brust ausgehen, wozu aber auch
die lästigen Zufalle in den Hypochondrien und dem Unter-
leibe bedeutend beitragen, ungemein behindert; es entsteht
eine starke Beengung auf der Brust mit heftigem Herz-
klopfen.
Im Halse wird das Gefühl der Strangulation empfun-
den, das Schlucken erschwert, ohne dafs die Mandeln an-
schwellen, wo also blos der Schlund und die Speiseröhre
leiden. Im Kopfe entstehen Schmcrzanfällc, welche durch
ihre Heftigkeit und Hartnäckigkeit völlig unerträglich wer-
102
den. Dazu gesellen 6ich Schwindel, Trübung und Verwir-
rung des Bewufstseins.
Alle diese Zufalle kommen bei den Weibern ungleich
Läufiger, als bei Männern vor, und einige unter ihnen blei-
ben letzteren völlig fremd.
Um zu einer auf Thatsachen beruhenden, und dem the-
rapeutischen Zweck entsprechenden Aetiologie zu gelangen,
mufs man zuvörderst die Uebereinstimmung der Erschei-
nungen im Allgemeinen bei beiden Geschlechtern ins Auge
fassen. Willisius versuchte dies zuerst, indem er die hy-
sterischen Beschwerden der Weiber und die hypochondri-
schen der Männer für verschwisterte konvulsivische Erschei-
nungen hielt. Da jene aber nicht Mos dem Grade, sondern
auch den ursachlichen Bedingungen nach sich unterschei-
den; so scheint es, dafs man in Betreff derselben auf die
Mitwirkung des Uterus Rücksicht nehmen müsse. Denn
wenn auch nicht immer ein unmittelbarer Zusammenhang
zwischen den hysterischen Beschwerden und den Fehlern
der Ausleerungen aus dem Uterus statt findet; so läfst sich
wenigstens ein mittelbarer nachweisen, welcher die Grund-
lage des Uebels abgiebt, dergestalt, dafs wenn jene krank-
haften Absonderungen sich nicht zu ihrer Regel zurück-
führen lassen, auch die Hoffnung einer glücklichen Heilung
oder auch nur Verminderung und Linderung der hysteri-
schen Zufälle vereitelt wird; ja, dafs die Vernachlässigung
jener, besonders aber die Bestimmung des Heilplans nach,
anderen Rücksichten so gefahrbringend werden mufs.
Es kommt also vorn am lieh darauf an, auszumitteln,
auf welche Weise die hysterischen Beschw erden die jly-
pochondrien, die Eingeweide des Unterleibes, -di e Brust,
denTCopf befallen, und in wiefern der Uterus und die von
ihm ausgehenden Exkretioncn dazu Veranlassung geben kön-
nen. Wenn letztere mit Hindernissen zu kämpfen haben,
so werden entweder die dabei hervortretenden Anstren-
gungen in den benachbarten Organen hysterische Beschwer-
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103
/
* " • 0 9
den hervorbringen oder gedachte Antriebe werden auf ent-
legnere Organe übertragen, welche im Allgemeinen gleich-
falls zu Ausleerungen geeignet sind, und für die unterdruckte
Absonderungsthätigkeit des Uterus vikariiren können.
Nach dieser Darstellung lüfst sich einsehen, wie eine
Uebercinstimmung und ein Unterschied zwischen den hy-
pochondrischen und hysterischen Beschwerden statt findet
Sie kommen in Hinsicht ihres Sitzes überein, da' beide
die Hypochondrien und Präkordicn, die Gedärme jind daT
Gekröse be fallen^ eben so in Betreff ihrer allgemeinen Ür^
Sachen, welche in der Anstrengung und dem JJeslreben zu
BmlenTiejinmgen a sind. Sie un-
terscheiden sich aber nach ihrem Ursprünge, und nach der .
Eigentümlichkeit ihres Modus, da sie bei Männern sich
zu Ausleerungen durch die Hämorrhoiden, bei Weibern
durch die Menstruation hinneigen. 'Dies ist so wahr, dafs
wenn jenem Bestreben nicht wenigstens auf mittelbare
Weise Genüge geleistet wird, alle übrigen Heilversuche
fruchtlos ablaufen, ja um so schädlicher wirken müssen,
je mehr sie sich von ihrem eigentlichen Zweck entfernen.
In dieser Beziehung ist es daher allerdings wahr, dafs
vom Uterus die vornehmste Ursache der hysterischen Be-
schwerdeu ausgeht, und dafs der Arzt aus diesem Gesichts-
punkte seinen Hcilplan entwerfen mufs. Es findet zwar
darin ein Unterschied statt, dafs die Krankheitserscheinun-
gen bei einigen Weibern deutlich von Störungen der Men-
struation abhängen, bei anderen dagegen gröfstentheils iu
Blähungsbeschwerden der ersten Wege ihren Grund haben:
indefs wenn auch die hysterischen Symptome vorzüglich
in den Hypochondrien hervortreten; so würde man doch
mit Arzneien, deren Wirkung auf letztere gerichtet ist, j
nichts ausrichten , und sich nur dann von ihnen Nutzen
versprecheu können, wenn sie sich auf das Organ bezie-
hen, durch welches die Anstrengungen ihren Ausgang neh-
men müssen; ja, sie würden bei eiuer fehlerhaften Rieh-
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I
104
tung sogar Zurückstauungen und Stockungen in entfernte-
ren Theilen veranlassen, mithin anomale Erscheinungen her-
vorbringen.
"Wenn aus dieser Darstellung der mächtige Einflufs er-
hellt, den die Ataxieen der Absonderungen fies Uterus zu-
nächst auf das gesammte Pfortadersystem und die zu dem-
selben gehörigen Orgaue ausüben, bei weiterer Ausbreitung
und Uebertragung sogar auf Brust und Kopf erstrecken;
so wird hierdurch auch Licht über den Umstand verbrei-
tet, dafs das weibliche Geschlecht diesem Leiden unter so
mannigfachen Formen unterworfen ist, und daf3 die An-
falle desselben so schnell, häufig und stürmisch im Verein
der vielfältigsten und heftigsten Beschwerden antreten. Ge-
wifs rührt dies nicht von einer gröfseren Schwäche des
weiblichen Geschlechts, . besonders von einem schwachen
Nervensystem her, welches man demselben gewöhnlich zu-
zuschreiben pflegt; sondern von der Einrichtung des weib-
lichen Körpers, zufolge welcher häufige, reichliche, und
durch bestimmte Antriebe bedingte Entleerungen aus dem
Uterus erfolgen sollen. Wenn die Antriebe zu Ausleerun-
gen nicht gehörig von Stalten gehen, sondern nach ande-
ren Wegen sich verirren, so werden sie wenigstens ihren
allgemeinen Charakter beibehalten, und häufigere so wie
schneller eintretende Anfalle, ja selbst einen abspringen-
den Wechsel derselben veranlassen.
Sechstes Kapitel
• i • ... » * • • •
Vom Blutharnen.
«
Auch hier will ich nur dasjenige nachtragen, wodurch
das Blut harnen besonders lästig, gefahrlich, ja selbst ver-
derblich wird, und daher einen hervorstechend krankhaf-
ten Charakter annimmt. Letzteres ist dann der Fall, wenn
das Blutharnen, welches im Allgemeinen ruhig von Stat-
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105
Jen zu gehen pflegt, sowohl in Betreff der Menge des er-
gosseneu Blutes, als des Ungestüms der begleitenden Er-
scheinungen und der langwierigen Dauer ausschweifend
wird; desgleichen wenn es symptomatisch von anderen
Krankheitszuständcn ausgeht, oder wenn es seit langer
Zeit zur Gewohnheit und ' dadurch anhaltend geworden,
plötzlich gehemmt und unterdrückt wird.
Da von den übrigen Umständen schon im vorigen
Theil gehandelt worden ist; so soll hier nur von der sym-
ptomatischen Blutung die Rede sein. Es tritt dieselbe zu
heftigen Verletzungen und Reizungen vornämlich der Nie-
ren, seltener der Urinblase hinzu. Die Verletzung wird
zuweilen durch einen Stein veraulafst; jedoch ist zu be-
merken, dafs Steine keinesweges immer Blutungen zur
Folge haben, ja dafs sie bei ihrem Fortrücken in den Urin-
wegen oft die heftigsten Schmerzen erregen, ohne die Wan-
dungen derselben zu verletzen, und dadurch Blutungen
hervorzubringen. Heftige Reizungen werden aber auch
durch zu starke urintreibende Mittel herbeigeführt, welche
eine Blutung zur Folge haben können. Unter anderen
scharfen Arzneien zeichnen sich in dieser Beziehung be-
sonders die Kanthariden aus, und die Wirkung dieser Mit-
tel tritt vorzüglich bei denen hervor, welche nicht an sie
gewöhnt sind, und an Vollbliitigkeit leiden. Durch Ge-
wöhnung bringen einige es dahin, dafs sie 2 bis 3 spani-
nische Fliegen verzehren können, ohne einen Nachtheil da-
Yon zu verspüren.
Wenn nun auch dergleichen Verletzungen an sich gana
zufällig sind, so kann doch das durch sie herbeigeführte
Blutharnen eine Neigung zu seiner Wiederkehr begründen,
obgleich die Untanglichkeit des Organs zu Blutentleerun-
gen zu mannigfachen Beschwerden und Gefahren Veran-
lassung giebt. Ungeachtet, aber die Entstehung des Blut-
harnens von Steinen keiner weiteren Erklärung bedarf, so
ist es doch nöthig,; folgende therapeutische Bemerkungen
darüber einzuschalten: . . ..
106
-
1) Zuweilen mag das Blutharnen weniger durch einen
i, als durch treibende Arzneien erzeugt werden, wel-
che die Kranken oft durch eigene Verwegenheit und durch
den unverständigen Rath anderer bestimmt, ohne einen Arzt
darüber zu befragen , einnehmen.
2) Dagegen läfst sich bei solchen Kranken von allge-
meinen Aderlässen, wenn sie gehörig, zeitgemäfs, und
mehr als Präservativmittel angewendet werden, viel Nuz-.
zen hoffen.
Da indels das Blutharnen eine hartnäckige Krankheit
ist, wenn es nach langwierigen Vorbereitungen zum Aus-
bruch kommt, und überdies dem Greisenalter vorzüglich
eigen ist, welches seine Hartnäckigkeit noch begünstigen
mufs; so ist es ein Glück, dafs es so sehr selten sich er-
eignet. Aus diesem Umstände lassen sich überdies die ur-
sachlichen Bedingungen bestimmen, welche diesem eigen-
tümlichen Krankheitszustande zum Grunde liegen. Denu
obgleich in den früheren Lebensaltern eine weit gröfsere
Regsamkeit bei Hervorbringung von Blutausleerungen ob-
waltet, und die Harnwerkzeuge häufigen nephritischen Be-
schwerden unterworfen sind; so bleiben sie doch von Blu-
tungen aus denselben verschont. Ja selbst wenn Steine
eine Verletzung hervorbringen, so wird das jugendliche
Alter nicht so sehr dadurch gefährdet, sondern jene läfst
sich weit sicherer, einfacher und unmittelbarer heilen, als
im Greisenalter. Wo aber schon eine Gewöhnung an der-
gleichen Beschwerden eingetreten ist, müfs die schnelle
und völlige Unterdrückung derselben unmittelbare Gefahr
nach sich ziehen.-
1. * *
Von der Nephritis. . -
- Wenn irgend etwas eine einsichtsvolle und erfahrungs-
gemäfsc theoretische Begründung nothwendig macht, so ist
es die Existenz und tfic Energie der auf Blutausleerungen ab-^
zweckenden Bewegungen, also jener Anstrengungen, welche
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107
unter so mannigfaltigen Formen auftreten, oft von entle-
genen Orten entspringen, eben so langwierig, hartnäckig
und rebellisch sind, als sie häufig wiederkehren, und nicht
eher zu einem sicheren Nachlafs gelangen, ja nicht einmal
gemälsigt werden können, als bis sie den Ausweg erreicht
haben, nach welchem sie streben. Wohl mufs man die Un-
achtsamkeit der Neueren rügen, welche die Zeit mit Grü-
beleien über einen atomistischen Mechanismus verschwen-
den, aber das mechanische Verhältnifs eines organischen
Körpers zu seinen organischen Wirkungen so völlig über-
sehen, dafs sie auch nicht die dentlichsten Erscheinungen,
in welchen dasselbe sich offenbart, beachten, über letztere
also keine Rechenschaft geben können, mithin sogar das
Historische der Krankheiten verkehrt auffassen müssen.
Daher versperren sie sich den Weg zu einer ätiologischen
Einsicht, ja selbst zu einer historischen Kenntnifs der Exi-
stenz und des inneren Zusammenhanges, in welchem die
Krankheiten der verschiedenen Lebensalter stehen.
Jene auf Blutflüsse berechneten Bewegungen sind es
also, deren richtige Würdigung es lehren mufs, wie sie
unter gemäfsigter krampfhafter Form auftreten, unter wel-
chen Bedingungen des Alters, Temperaments, mitwirken-
der Ursachen* sie sich ereignen, welche Erscheinungen sie
hervorbringen, welche Wirkungen sie nach sich ziehen,
auf welche Weise sie vorschrciten, wiederkehren, zu Ende
gelangen, was sie Gutes oder Schlimmes verursachen, und
von welchen Bedingungen dieser verschiedene Ausgang ab-
hängt. Eben so mufs sie Aufschlufs darüber geben, wie
aus jenen Bewegungen mannigfache Stockungen und Ueber-
fullungen, Rheumatismen genannt, ferner besondere Wal-
lungen, Entzündungen, zumal aus blos inneren Ursachen
entspringen, und wie jene wiederkehren, und aus einem
Theile des Körpers sich nach einem anderen fortpflanzen
können.
Gleichwie nun die Zurüstung immer früher ist, als
der Akt selbst und die volle Wirkung, eben so kommt
108
bei den Bewegungen auf Blutflüsse zuerst die Vorbereitung
i zu ihnen gleichsam aus der Ferne in Betracht. Denn letz-
tere wird eben auf diese Weise, durch eine allgemein ver-
breitete Mitwirkung eingeleitet, und zwar treten die Be-
wegungen um so später ein, ja sie gelangen um so schwe-
rer zu ihrem Ziel, je mehr sie im ganzen Umfange begin-
nen müssen, je weiter sie also noch von letzterem ent-
fernt sind. Daher denn auch die weit gröfsere Zahl der
mannigfachen Zustände, welche zwar von Auslcerungsbe-
wegungen abhängen, indefs ihr Ziel nicht erreichen.
Dies alles hätte durch eine geläuterte Theorie in ein
helles Licht gesetzt werden sollen; indefs geschah, wie
überhaupt bei den menschlichen Angelegenheiten, das Ge-
gentheil, da alles, was nicht, grob in die Sinne fallt, dem
fahrlässigen Verstände entschlüpft. Und doch lag der Schlüs-
sel zu diesen Erscheinungen ganz nahe, wenn man sich
nur erinnern wollte, dafs die nämlichen Symptome, wel-
che den Ausleerungen vorangehen, auch wieder eintreten,
wenn letztere unterdrückt werden. Ja es ist hierin der
Schlüssel zu der gesammten Pathologie enthalten.
Nicht ohne Grund habe ich diese gedrängte Wieder-
holung früher vorgetragener Begriffe der Darstellung der Ne-
phritis vorangeschickt, weil diese in mehrfachen Beziehun-
gen ein Beispiel solcher von fernher entstehenden, krampf-
haften, kongestiven Zurüstungen zu Blutflüssen abgeben.
Ehe wir eine Theorie hierüber aufstellen können, müssen
wir das Geschichtliche voranstellen. .
Die Kranken, welche mit diesem Leiden behaftet sind,
beklagen sich über Schmerzen, welche anfangs spannend
und drückend, bei freieren Körperbewegungen sich als ein
lästiges Gefühl von Kontusion in der Lendengegend zu er-
kennen geben. Allmählig werden diese Schmerzen akuter,
sie gehen in ein Brennen, ja in wirklichen Entzündungs-
schmerz, in ein durchdringendes Gefühl von Reifsen über,
und steigern sich bis zu einer angstvollen Unruhe. Dabei
• » * *
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109
mangelnder Appetit, Verlast der Kräfte, Schlaflosigkeit,
Durst, dumpfer Kopfschmerz, Verwirrung, Schwindel und
Schwäche im Kopf. Zuweilen leiden auch die ersten Wege
mit, wo es dann zum Erbrechen und Bauchgrimmen kommt.
Ja, bei anfangenden Exacerbationen nephritiscbcr Zufälle
sind diese gastrischen Erscheinungen- oft die auffallendsten,
während in den Lenden noch keine Schmerzen empfun-
den werden. Dazu kommt, dafs gedachte Paroxysmen sehr
häufig aus Ueberfüllung der ersten Wege und Störung der
Verdauung entspringen. Daher pflegt der Genufs blähen-
der Speisen, der Hülsenfrüchte, und der schwerverdauli-
chen, z. B. magerer Käse, hartes geräuchertes Fleisch und
Fische, die Nephritis zu verschlimmern.
Zu diesem Schmerze gesellen sich häufig Fieberbewe-
gungen, nämlich ein Schüttelfrost, auf welchen eine sehr
lästige Hitze folgt. Oder wenn es auch nicht zu einem
wirklichen Schüttelfrost kommt, so stellt sich doch ein
überlaufendes Frösteln ein, zumal beim Anwehen einer kal-
ten Luft. Merkwürdig ist es ferner, dafs der Schmer*
sich nicht sowohl auf beiden Seiten, sondern mehr nur auf
der einen, besonders der linken zeigt.
Die ächte Nephritis ist eine- seltene Krankheit, denn
sie befällt nicht ohne Unterschied jedes Temperament, son-
dern hauptsächlich nur das sanguinische, eben so wenig
jedes Alter, sondern vorzüglich nnr die spätere Jugend
und das männliche Alter, ausgenommen, wo eine erbliche
Anlage zum Grunde liegt, welche selbst bei Kindern zum
Ausbruch kommen kann. Eben so spricht sich auch darin
die Seltenheit -aus, dafs sie nicht mit einem ununterbro-
chenen Anfall die Kranken behaftet, sondern ihnen, Wenn
sie nur vorsichtig leben, selbst lange freie Zwischenzeiten
gestattet. Doch trägt zu ihrer häufigeren Entstehung die
Gewohnheit bei, so wie ein zweckwidriges Verhalten in
Betreff der äufseren Gelcgenheitsursachen , welche häufig
Rückfälle veranlassen. Im Allgemeinen gilt dies von den
110
nicht natürlichen Dingen, im Besonderen aber von den
Ursachen, welche vorzüglich sich dazu eignen, Blutflüsse
zu erregen und zu verschlimmern.
Vor allem sind noch zwei merkwürdige Umstände an-
zuführen:
1) Die Verschiedenheit der einfachen Nephritis von
der mit Steinbeschwerden verbundenen. Denn erstere er-
reicht oft einen bedeutenden Grad, macht häufige Anfalle,
und dauert eine geraume Zeit hindurch an, ohne dafs ein
Stein vorhanden ist. Umgekehrt kann ein Stein da sein
und sich in Bewegung setzen, ohne dafs eine Nephritis
sich hinzugeselite.
2) Wenn man bei einer einfachen Nephritis zeitig und
auf die rechte Weise zu Hülfe kommt, so kann sie gründ-
lich geheilt werden; die mit einem Stein verbundene aber
fast niemals. Man mufs dabei nur eine Verwechselung der
Erscheinungen im Urin, welche bei gichtisch -rheumatischen,
ja selbst bei einfachen nephritischen Zufällen vorkommen,
mit denen bei Steinkranken vermeiden. Denn was man
im ersten Fall häufig für Sand hält, ist nichts weiter als
ein Niederschlag von Salzen, welcher sich beim Erkalten
des Urins zusammenballt, und an die Wände des Gefafses
anhängt, nachdem der Urin bei der Entleerung ganz klar
war. Wirklicher Sand, oder gar feste Steine, welche sich
im Körper gebildet haben, fallen dagegen in dem Urin so-
gleich, nachdem er klar gelassen worden, zu Boden.
Ferner mufs man noch den innigen Zusammenhang er-
wähnen, in welchem die Nephritis mit dem Hüftweh, den
Hämorrhoiden und selbst der Gicht steht Denn man trifft
nicht selten Hämorrhoidal- und Gichtkranke, welche nicht
nur im Allgemeinen an unbestimmten Schmerzen in den
Lenden leiden, so dafs es zweifelhaft bleibt, ob ihr Zu-
stand mehr zum rheumatischen Hüftweh oder zur Nephri-
tis sich hinneigt; sondern letztere bildet sich auch oft so
deutlich bei ihnen aus, dafs sie durch Steinerzeugung ihre
Natur an den Tag legt Eine neue Bestätigung dafür giebt
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111
der Umstand, dafs wahrend eines drückenden, spannenden
und mit Erstarrung verbundenen Lendenschmerzes zugleich,
auch der Ober- und Unterschenkel nicht Mos mit einem
dumpfen Gefühl erstarrt, sondern selbst von Schmerzen,
welche bis dahin dringen, ergriffen wird.
Ich schliefse diese geschichtliche Darstellung mit der
Bemerkung, dafs die Nephritis vera und die JV. calculosa
weit seltener bei Weibern als bei Männern vorkommt .
Wir wollen jetzt diese thalsächlichen Erscheinungen
auf ihre Ursachen zurückfuhren , wobei uns die Uebcrein-
stimmung derselben mit den bei den verschiedenen An-
trieben zu Blutungen hervortretenden Ursachen und Wir-
kungen leiten mufs. Vorzüglich haben wir unser Augen-
merk auf die B^uttricbc, welche den äufseren Hämorrhoi-
den vorangehen, zu richten, weil die Zusammenzichung
der Vena cava und iliaca interna leicht in die Vena re-
nalis übergeht, woraus sich denn ohne Mühe der Zusam-
menhang jener Antriebe, also der Ursprung der Nephritis
aus Hämorrhoidalbestrebungen erklären Jäfst. Ueberdies
kann man sich durch den Augenschein leicht davon über-
zeugen, dafs ein dichtes, wenn auch zartes Fasergewebe
sowohl die Hohlader vom Zwergfcll abwärts als die am
Rücken verlaufende, zur Pfortader gehörige Hämorrhoidal-
vene umgiebt, welches Fasergewebe durch seine Zusam-
menziehung einen bedeutenden Einflufs auf die Vertheilung
des Blutes in dieser Gegend haben mufs, daher auch zur
Verhaltung und Zurückstauung desselben beitragen kann.
Zur Erläuterung des Gesagten will ich einen merk-
würdigen, von mir beobachteten Fall mittheilen. Paul
ßarbette empfiehlt gegen die beginnende Gicht ein aus
Bleiweifs, Mennige, Olivenöl und venedischer Seife beste-
hendes Pflaster. Da dasselbe nicht unwirksam ist, berei-
tete ich es vor 16 Jahren selbst, übertrug aber dessen An-
fertigung späterhin dem Apotheker, von welchem ich es
unter dem Namen Empl. saponat. Barbette verschrieb. Es
meldete sich bei mir ein Gärtnerknecht, welcher mir er-
I
112
zählte, dafs er mit einem heftigen Lendenweh besonders
auf der linken Seite behaftet, gedachtes Pflaster auf die
leidende Stelle gelegt, und dadurch jenes vertrieben habe.
Darauf sei sein linker Hodc aufgeschwollen, entzündet und
sehr schmerzhaft geworden; die Geschwulst übertraf wirk-
lich die Grenze eines Truthenneneies. Zugleich theilte er
mir mit, dafs ihm zwei Fälle bekannt geworden seien, wo
nach dem zu langen Gebrauch jenes Pflasters gleichfalls
Anschwellungen der Hoden entstanden. Ich rieth ihm nun
mit dem nämlichen Pflaster, welches zuvor reichlich mit
Kampher bestreut war, den ganzen linken Hoden zu um-
geben, und wirklich wurde dadurch dessen Geschwulst
glücklich zerthcilt. So grofs war also die zusammenzie- *
hende Kraft, dafs sie sich von der Haut am Rückgrath
durch die dicken darunter gelegenen Muskeln bis in die
Nieren- und Saamenvene erstreckte, dafs sie durch eine
Striktur dieser Gefafse eine Zurückstauung des Blutes nach
dem Hoden, dessen Anschwellung und Entzündung be-
wirkte. Wie viel wird daher eine in der Nachbarschaft
der Nicrenvcnen entstandene Striktur auszurichten vermö-
gen*. Nun rechne man noch dazu, dafs nicht weit von
denselben längs der Wirbelsäule zu beiden Seiten nach den
■ • * * *
Lenden Venen verlaufen, und dafs besonders starke Aeste
zu den zahlreichen und dicken Muskeln des Oberschenkels,
zu den Hinterbacken sich erstrecken, welche alle den Nic-
renvenen nahe liegen. Wenn an ihnen eine Striktur von
aufsen nach innen eindringt, so kann sich dieselbe leicht
auf die Nierenvene und die Nieren selbst fortpflanzen, wo-
durch in ihnen der Blutlauf erschwert, und zu Stockun-
gen, Anschwellungen, zum Gefühl von Brennen und Rei-
fsen, ja selbst zu wirklichen Entzündungen Veranlassung
gegeben wird.
Die nephritischen Schmerzen pflegen vorzüglich in dem
Alter aufzutreten, in welchem sich gewöhnlich die ersten
Hämorrhoi dal triebe zeigen, so wie sie auch in der Folge
mit Hüftweh und fließenden Hämorrhoiden in Verbindung
sie-
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stehen. Schob Hippokrates bemerkte im 9ten Aphorismus
des vierten. Bachs, dafs die Hämorrhoiden mit gutem Er-
folge zur Nephritis hinzutreten; gleichsam als hätte er da-
mit sagen wollen, wenn die Hämorrhoiden einen Ausweg
finden, so hört die Anstrengung in der Nierengegend auf.
Eben so kommt die Nephritis in gleichem Verhältnifs sel-
tener bei Weibern vor, als sie weniger an Hämorrhoiden
leiden« Wenn nach der Bemerkung des Hippokrates durch
einen gehörigen Hamorrhoidalflufs die nephritischeK Schmer-
zen bald erleichtert werden; so brechen umgekehrt letz-
tere später und stärker ans, wenn die Hämorrhoiden spar-
sam flössen. Daher zählt Hippokrates die Nephritis be-
sonders zu den Krankheiten der Greise. (III. Aph. 30.)
Aus allen diesen Thatsachen geht wohl unbezweifelt
hervor, dafs die bei der Nejmritis vorkommenden Stok-
kungen, Infarkten und Anschwellungen am gewissesten ver-
anlagst werden durch kongestive. Bewegungen, welche die'
Bestimmung hatten, das Blut dujach die Hämorrhoidalve-
nen, besonders die äufseren austreiben, aber daran ver-
hindert, Zurückstauungen nach ..den Nieren veranlassen,
welche, wenn sie einmal zu Staude gekommen sind, in
der Folge um so leichter eintreten.
Zur Bestätigung dieser Ansicht mögen nachfolgende
Bemerkungen dienen: , ,
1 ) Gleichwie Menschen von einem schwammigen, wei-
chen, also sanguinischen Habitus (derselbe mag nun rein
ausgeprägt sein* oder blos am stärksten hervorstechen) am
meisten mit Antrieben zu äufseren Hämorrhoiden behaftet
sind, welche, wenn sie nicht zum Ausbruch kommen», in
Hüftweh und Podagra übergehen; eben so neigen sie sich
vorzugsweise zu nephritischen Leiden hin, welche leicht
bei ihnen einen ernsthaften, ja heftig entzündlichen Cha-
rakter annehmen können.
2) Die Erfahrung bestätigt es, da Is zeitgemäfse Blut-
ausleerungen, sowohl wenn sie im Allgemeinen, zumal ans
den unteren Extremitäten* als örtlich durch Ansetzen von .
Stahl's Theorie d. Heilk. III. 8
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Blutegeln an die Stellen, wo die äufseren Hämorrhoiden
hervortreten, veranstaltet werden, nicht nur sehr grofsen
Vortheil und Erleichterung selbst bei Steinkrauken brin-
gen; sondern da& sie auch der heilsamen Wirkung ande-
rer Arzneien den Weg bahnen.
Eine besondere Erwähnung verdient die Neigung, wel-
che das Blut hat, dem leidenden Orte reichlicher zuzuströ-
men, wenn es ein- oder das andere mal daselbst ins Stok-
ken gerathen war. Die Natur schlügt dann nicht nur
gleichsam aus eigenem Antriebe denselben Weg wieder
ein; sondern auch wenn schon Kongestionen auf demsel-
ben im Gange sind, kann die unzeitige Anwendung von
harntreibenden Mitteln eine um so gröfsere Anstrengung
nach dieser Richtung zuwege bringen. Auf die leichteste
Weise und sehr gewöhnlich wird die Stockung in den
Nieren bis zur wirklichen' Entzündung gesteigert, deren
Verlauf dann leicht bis zm ; Geschwürsbildung durchge-
führt wird, welche eine spätere Steinerzeugung begün-
stigt. Aufmerksamen Beobachtern begegnen nicht selten
dergleichen Fälle, wo die 1 »reichliche Anwendung von schär-
feren Arzneien, z. B. Terpcnthin, Bernstein, Salpetergeist,
überhaupt von schärferen urintreibenden Mitteln, wenn sie
gleich beim Entstehen von Lendenschmerzen in Gebrauch
gezogen werden, die Kranken bald dahin bringt, dafs sie
Steinbeschwerden empfinden, von denen früher keine Spur
bei ihnen vorhanden war, wenn man sich nur nicht durch
die schon angegebene Erscheinung eines Niederschlages in
dem anfangs klaren Urin täuschen läfst.
Die Nephritis hat das Eigentümliche , dafs sie nicht
viele Tage hinter einander ununterbrochen anhält, ohne
sich wieder zu zertheilen, indem die Kongestion nach den
Nieren allmählig nachläfst. ,
Die ursachlichen Verhältnisse, ans denen die Nephritis
hervorgeht, werden besonders dadurch erläutert, dafs sie
- durch alle Gelegenheitsursachen verschlimmert wird, wel-
che überhaupt die einfachsten Blutilüsse zu erregen und
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zu verstärken vermögen. Insbesondere gilt dies von den
Leidenschaften, deren Macht, materielle und andauernde
Störungen in den Nieren und Urinwegen hervorzurufen,
noch niemand bisher eingesehen hat, wenn man nicht etwa
hierher rechnen will, was von Geistern, besonders in neue-
rer Zeit von dem Gorgonico spiritu gefabelt worden ist.
Jede andere Vorstellungsweise über die Nephritis und
die Steinkrankheit läfst sich mit dem vornehmsten Um-
stände derselben, nämlich mit ihrer Seltenheit, nicht in
Einklang bringen. Wenn letztere sich nicht ableugnen
läfst, so mufs die Annahme eines Spiritus Gorgonicus oder
eines materiellen Seminiums, welche viele Jahre hindurch
schlummern sollen, bis sie gleich der Amerikanischen Aloe
erst in einer späten Periode zur Entwickelung kommen,
so wie die Vergleichung der in verschiedenen Paroxysmen
■
auftretenden Krankheitserscheinungen mit der Gährung des
Bieres völlig ungereimt erscheinen. '
Da ich die Nephritis der Nierenblutung untergeordnet
habe, so kann man von mir mit Recht verlangen, dafs ich
den Zusammenhang beider darlege. Nach den Aussprüchen
des Hippokrates liefse sich hierüber leicht Aufschluß ge-
ben, da er auf die zu seiner Zoit und in seinem Klima
gültigen Erfahrungen gestützt, eben sowohl die Nephritis
als die ohne äu&ere Verletzungen entstehende Nierenblu-
tung für eine dem Greisenalter eigenthümliche Krankheit
erklärt. Indefs in unseren Gegenden und bei unserer Le-
bensweise fällt die Nephritis besonders in die Jahre, wel-
che sich dem stehenden Alter nähern, und es könnte da-
her die Verbindung, in welcher die Antriebe zur Nieren-
blutung mit der Nephritis als einem eigen thüm liehen Aus*
gange derselben stehen, zweifelhaft erscheinen. Nicht ohne
gewichtige Gründe habe ich indefs auf den Unterschied
aufmerksam gemacht, welcher zwischen den Bewegungen
und den Blutungen, nach welchen jene als auf ihren Aus-
gang hinstreben, obwaltet. Einen deutlichen Beweis hier-
über liefern uns nicht blos die Hypochondrie, sondern auch
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die Anstrengungen, welche bei der Gicht und dem Hüft-
weh auftreten. Denn bei letzterem geben sich offenbar
aus de.r Ferne wirkende, langwierige und hartnäckige Be-
strebungen, welche auf Hämorrhoidalausleerungen gerichtet
sind, zu erkennen, ungeachtet diese bei vielen Krankea
nicht zum Ausbruch kommen. Noch gröfser ist die Ana-
logie der Hypochondrie mit der Nephritis, weil jene be-
sonders dem Alter eigent-hümlich ist-, welches zu Hämor-
rhoidalblutungen noch keine so hervorstechende Anlage be-
gründet, ungeachtet ein Streben dazu vorhanden ist Eben
so verhält es sich mit der Nephritis in unsern Gegenden,
da bei Personen , wiewohl in ihnen noch kein unmittelbarer
und einfacher Antrieb zur aktiven Nierenblutung obwaltet,
doch entfernte Bestrebungen dazu sich einstellen, welch«
dann eine Zurückstauung nach den Nieren, und somit jene
nephritischen Beschwerden erzeugen. Ehe es also bis zu
einem beharrlichen Drange, eine Nierenblutung durchzu-
führen, gekommen ist, wird gleichsam mit Vorübungen der
Versuch gemacht, derselben einen Ausweg zu bahnen.
Wenn sich dies auch leicht einsehen läfst, so wird
doch dadurch noch nicht der Widerspruch beseitigt, in
welchem die Erfahrung neuerer Zeit, nach welcher die
Geneigtheit zur Nephritis früher eintritt, mit der Angabe
des.Ilippokrates steht, dafs dieselbe erst später, und zwar
in die Zeit fallen soll, wo das Blutharnen häufiger einzu-
treten pflegt. Ich könnte zwar ohne Bedenken die Be-
hauptung aufstellen, dafs Hippokrates nicht alle Bedingun-
gen der Krankheüsanlagen mit gleicher Sorgfalt aufgefaßt
hat, da er z. B. der Hypochondrie kaum Erwähnung ge-
t hau hat; doch bedarf es hier einer solchen Rüge nicht,
da die Verschiedenheit des heifsen Klimas von dem unsri-
gen hierüber einen genügenden Aufschlufs giebt. Es bie-,
tet sich in dieser Beziehung eine zwiefache Ursache dar,
deren eine wesentlich, die andere zufällig ist. Jene be-
iriili . die Geneigtheit des Blutes, unter einem,, kalten Him-
melsstrich und bei bedeutenderem Wechsel der Witterung
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sich zu verdicken, wozu auch die gröbere Kost und das
Getränk beitragen; dagegen das warme Griechenland und
der Genufs feuriger Weine aktive Blutflusse und ausge-
dehntere Antriebe dazu begünstigten. — Die zufälligen
Bedingungen liegen in der jetzt herrschenden Sitte, die
auf Gicht und Hüftweh ausgehenden Anstrengungen mit
denen zu verwechseln, welche zur Nephritis führen, und
letztere mit zweckwidrigen Heilmethoden zu bekämpfen.
Denn man bedient sich dazu nicht blos einfacher Mittel,
x. B. der Judenkirsche, der Petersilie, des Mcerrcttigs, son-
dern wendet zu diesem Behuf auch die dcstillirlen Ocie
von Terpenthin, Bernstein, Wachholderbeeren, das Oleum
Tartari empyreumaticum und den Spiritus nitri an, deren
häufiger Mifsbrauch sehr wesentlich dazu beitragen rnufs^
einen Blutandrang nach dem Rücken, also den Nieren her-
vorzurufen.
Ueberhaupt mufs man die Ansicht festhatten) dafs das
Blutharnen keinesweges als eine ursprüngliche und direkte
Blutung angesehen werden kann, welche die Natur auf
geradem Wege hervorzubringen beabsichtigt; sondern dafs
dasselbe eine abirrende Ausleerung darstellt, welche aus
Öämorrhoidalbewegungen hervorgeht. Man mufs daher im
eigentlichen Sinne das Blutharnen für einen Ausgang ne-
phritischer Stockungen und Anstrengungen, nieht aber für
eine direkte und beabsichtigte Wirkung halten; so wie
ihrerseits die nephritischen Kongestionen nicht als Vorbe-
reitungen, welche geradezu auf Blutharnen abzwecken, son-
dern mehr nur als ein Ausgang weit verbreiteter arthri-
tisch - hämorrhoidalischer Anstrengungen gedacht werden
müssen. Mit anderen Worten, die nephritischen Zufalle
entstehen zwar gelegentlich aus Hämorrhoidaltrieben, aber
es waltet dabei kein unmittelbarer Zweck ob; eben so
geht das Blutharnen nur unter zufälligen Bedingungen aus
der Nephritis hervor, in welcher kein absichtliches Stre-
ben, ersteres zu bewirken, enthalten ist. Wenn dies in-
defe doch geschieht, so müssen zufällige Umstände, weiche
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durch Alter, llämorrhoi dal triebe, Gewohnheit begründet
werden, eintreten. Ja es pflegen, wenn es zur wirklichen
Nierenblutung kommt, selten heftige nephritische Beschwer-
den voranzugehen; vielmehr erfolgt gewöhnlich ein gemä-
fsigterer Hergang, daher auch Greise demselben vornämlich
ausgesetzt sind,
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»••••»■ *
§•2.
, Von dem Nieren- und Blasenstein.
Nach den herrschenden Begriffen mufs es sehr unstatt-
haft erscheinen, in der Lehre von den Blutflüssen und den
mit ihnen in nächster Verbindung stehenden Krankheiten
zugleich die Steinbeschwerden abzuhandeln. Eben so aber,
Wie die Schwindsucht mit den zum Bluthusten führenden
Koogestionen in Verbindung steht, können auch Kongestio-
nen Zurückstauungen und entzündliche Stockungen in den
Nieren zu Eiterungen und Verjauchungen in denselben Ver-
anlassung geben. Nun wird man mir dies zwar leicht ein-
räumen, damit aber vielleicht noch nicht die Entstehung
von Steinen bei gedachten Eiterungen einsehen. Es ist
daher vor allen Dingen nöthig, eine geschichtliche Dar-
stellung der Steinbildung voranzuschicken.
Untersucht man den Nierenstein rücksichtlich seiner
Form und Mischung; so findet man, dafs er keines weges
von bios erdiger Beschaffenheit ist, da er sich in salzigen
Auflösungsmitteln, welche die einfachen Erden schnell in
sich aufzunehmen vermögen, nicht völlig und nur langsam
auflöset. Ueberdies ist es von den Nierensteinen bekannt,
dafs sie, nachdem sie einige Stunden an der Luft gelegen
haben, an Umfang abnehmen, und gleichsam durch Aus-
trocknung einschrumpfen. Letzterer Umstand wird auch
noch dadurch bestätigt, dafs eben ausgestofsene Steine leicht
zerbrechlich sind, nicht aber die durch Austrocknung ver-
dichteten. Werden sie gebrannt, so nehmen sie eine
schwarze Farbe an, und lassen eine beträchtliche Menge
Feuchtigkeit, empyreumatisches Fett und flüchtiges Salz
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fahren, wodurch sie einen bedeutenden Theil ihres Ge-
wichts verlieren.
Rücksichtlich der Form haben wir anf die Gröfse,
Festigkeit and die bei jedem Individuum eigen thumliche
Gestalt zu achten. Gewöhnlich haben die Nierensteine
keine bedeutende Gröfse, indem sie einer Erbse, oft aber
einem Hanf-, Hirsekorn, oder dem Sande gleichen. Selten
erreichen sie die Gröfse von Pflaumen- oder Aprikosen-
steinen; auch veranlassen sie dann nicht so häufig gestei-
gerte Anstrengungen zu ihrer Ausstofsung. Bei den Schrift-
stellern kommen einige Beispiele vor, wo sie eine enorme
Gröfse erreichten, und eine ganz ungewöhnliche Gestalt
hatten.
Die Steine sind gemeiniglich sehr zerbrechlich und zer-
reiblich, besonders ehe sie austrocknen. Nur selten haben
sie eine bedeutende Härte und Schwere, und gleichen in
der Textur einem Kiesel; wenigstens habe ich dergleichen,
welche zuweilen bei den grasfressenden Säugethieren vor-
kommen, beim Menschen noch nicht beobachtet. Die Farbe
ist fast immer ein schmutzjges Blafsgelb, welches ins Röth-
liche übergeht. Auf der Oberfläche sind die Steine ge-
wöhnlich rauh, und im Innern bestehen sie aus kleinen
zusammenhängenden Körnern; zuweilen sind diese aber
nicht mit einander verbunden, und dann gehen sie als
Sand ab. Steine von mittlerer Gröfse zeigen auf ihrer
Oberfläche mannigmal ein krystallinisches Gefüge.
Gehen wir auf die Gescbichte der Steinerzeugung ein;
so ergiebt sich, dafs sie in den häufigsten Fällen eine Folge
von nephritischen, entzündlichen Schmerzen ist, welche
wenigstens den Verdacht einer Eiterung nnd Verschwärung
erwecken, zumal wenn die Schmerzen mit Heftigkeit an-
treten und fortwüthen. Wenn dies indefs ungeachtet einer
Steinerzeugung nicht der Fall ist ; so gehen wenigstens um
so langwierigere und anhaltendere Beschwerden voraus,
ehe der Stein ausgestofsen wird. Auch dies mufs den Ver-
dacht einer Eiterung in der Niere unterhalten, wie sie sich
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in den Leichen von Steinkranken oft genug zeigt, und zwar
in einem so beträchtlichen Umfange, dafs nicht selten der
grüfste Theil der Niere zerstört ist, und nur ein Uebcrrest
von schlaffen Harnröhrchen zurückbleibt.
Es mögen noch einige Falle von Steinkranken folgen,
bei denen die Steinerzeugung aufhörte, nachdem ein reich-
licher Ausflufs verjauchten Eiters eingetreten war.
Ein beinahe 60 jähriger Mann, welcher früher schon
Spuren von Steinen empfunden hatte, wurde von heftigen
nephritischen Anfallen ergrifTen, so dafs man zwar glauben
mufste, seine Ungeduld und Angst habe einen bedeutenden
Antheil an seinen Klagen, indefs doch der spätere Abgang
eines rauhen Steines von der Gröfse einer Erbse deutlich
für seine Leiden zeugte; auch sprach der schlaffe Körper-
ban und das sanguinische Temperament dafür, dafs mit
einer grofsen Empfänglichkeit für den Schmerz zugleich
eine bedeutende Geneigtheit zu Reizzuständen und zu ent-
zündlichen Kongestionen vorhanden war. Seine Gattiu war
nicht viel jünger, und hatte in ihrem Körperbau so wie
in ihrer GcmüthsbeschafTenheit grofse Aehnlichkeit mit ihm;
auch sie war demselben Leiden zweimal unterworfen ge-
wesen. Sie brauchten aufser anderen Heilmitteln auf Rath
eines Arztes die üblichen Arzneien aus Terpenthin, Bern-
stein, flüchtigen und festen Salzen. Die Frau nahm weni-
ger und seltener Arznei; auch waren ihre Leiden geringer,
doch liefs sich nicht bestimmen, ob von Anfang an oder
in Gefolge ihres sparsameren Arzneigebrauchs. Zu gleicher
Zeit hatte eine andere vornehme Frau gegen Anfälle von
nephritischen Steinbeschwerden Hülfe von mir verlangt,
und war nach dem Gebrauch einiger einfachen Arzneien
auf lange Zeit von dem Abgange von Gries und Steinen,
woran sie sehr gewöhnt war, befreit worden. Dies gab
Veranlassung, dafs der Arzt jenes Ehepaars mich über die
Krankheit und Heilung meiner Patientin befragte. Ich ver-
hehlte ihm nicht, dafs ich dieselbe, ungeachtet ihr schon
seit länger als einem Jahre kein Gries mehr abgegangen
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war, dennoch nicht für geheilt halten könne, weil sich
statt dessen ein anderes, und nach meinem Dafürhalten
eben so schlimmes Uebel eingestellt habe. Die Kranke
dagegen achtete letzteres gering (im Vergleich mit den qual-
vollen Steinbeschwerden, von denen sie früher so sehr ge-
foltert worden war. Der Arzt, welcher meinen patholo-
gischen Begriffen von der Steinkrankheit noch nicht bei-
pflichtete, obgleich er sie späterhin, durch Erfahrung be-
lehrt, annahm, trat der Meinung der Kranken bei, und
hielt es für einen überflussigen Gewinn, wenn sein Kran-
ker, ein Kanzler, auf welchem eine Last der wichtigsten
öffentlichen Geschäfte ruhte, von seinen Schmerzen, die
ihn oft so sehr peinigten, befreit, und gleich jener Kran-
ken so weit erleichtert werden könnte, dafs er im Stande
wäre, aus dem Bette zu sein, und seine Geschäfte zu ver-
richten. Ich theilte ihm daher meine Methode und Arz-
neien mit, und wenn ich gleich nicht weifs, ob er von
derselben den vorgeschriebenen Gebrauch gemacht hat, so
trat doch bei beiden Ehegatten derselbe günstige Erfolg
ein. Bei beiden hörte nämlich der Abgang von Gries gänz-
lich auf; statt dessen ging aber ein zäher Schleim, und
bei der Frau fast ununterbrochen, mit dem Urin ab. Sei-
ten war derselbe unvermischt, häufig blutig und selbst mit
einer starken Beimischung von Blut. Zuweilen war die
Menge desselben geringer, so dafs sie binnen 24 Stunden
nur eine halbe Unze betrug, zuweilen wurde aber auch
mit einem Male eine Unze mit etwa 6 Unzen Urin aus-
geleert, zumal wenn während einer Reise zu Wagen der
Rücken und die Lenden sehr erschüttert worden waren.
Meine Kranke bemerkte dabei, dafs je weniger Schleim im
Verhältnifs zu den Gclegenheitsursachen ausgeleert wurde,
um so gröfsere Beschwerden im Rücken und in den Len-
den, zumal auf der linken Seite sich einstellten. Doch
waren letztere im Vergleich zu den Steinschmerzen nur
gering, und setzten sie selten einen Tag hindurch aufser
Stand, umherzugehen, und Besuche abzustatten. Indefe
122
nahm dieser Krankheitszustand sowohl bei meiner Patientin
als bei jenem Ehepaar ailmählig zu; besonders trat bei der
ersteren ein gelindes hektisches Fieber, durch welches sie
bereits seit 12 Jahren bedeutend abgemagert worden war,
jährlich ein- bis zweimal in stärkeren Exacerbationen auf.
Dessenungeachtet blieb der Mann noch über 5, seine Gat-
tin über 7, und meine Kranke länger als 10 Jahre am
Leben. Dabei kann ich mich nicht des Verdachts erweh-
ren, dafs die beiden Ehegatten den tödtlichen Ausgang
(furch Unterdrückung jener Ausleerung beschleunigten, wie
ich denn bei der Frau, deren Krankheitsgeschichte ich
schon im vorigen The i i ausführlich gegeben habe, dies zu
beobachten Gelegenheit hatte. Meine Kranke dagegen be-
folgte noch mehrere Jahre nach meinem Abgänge den ihr
gegebenen Rath, zur rechten Zeit Blutentziehungen anzu-
wenden, und sich aller überflussigen Arzneien zu enthal-
ten, wobei sie sich denn lange Zeit hindurch erträglich
befand.
Aus diesen Geschichten ziehe ich den Schlufs, dafo
bei den Kranken, so lange die Erzeugung von Gries und
Steinen andauerte, ein geschwüriger Ausflufs stattfand, des-
sen reichlicheres Vonstattcngehen nicht länger die Bildung
von jenen dichten Konkrementen, welche sich nur lang-
sam ausbilden, zuliefs.
Um aber meiner Aufgabe, die Entstehung der Nieren-
steine zu erklären, näher zu rücken, spreche ich meine
Uebcrzeugung aus, dafs eine ausschwitzende schleimig se-
röse Materie die Grundlage derselben bildet, wie sie in
Geschwüren auf der Oberfläche des Körpers, wo die wäss-
rigen Theile verdunsten können, Schorfe bildet. Mit die-
ser Materie, welche aus einem kleinen Geschwür der Niere
sich ergiefst, und am Rande desselben festsetzt, vermischt
sich, wie ich glaube, jene salzig - schlammige Substanz,
welche im Urin so reichlich vorhanden ist, und mit der
erstgenannten Materie immer mehr in ein Konkrement
übergehen kann. Letzteres vergrößert sich dann, bis es
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auf irgend eine Weise losgerissen, ans dem Nierenbecken
von den Ureteren vermöge ihrer zusammenziehenden Kraft
in die Harnblase hinabgetrieben wird. Eine Bestätigung
meiner Meinung finde ich in der weichen und gleichsam
aufgeschwollenen Konsistenz des Steins, so lange er noch
feucht ist, theils in dem Unvermögen der Säuren, ihn auf-
zulösen, da es bekannt ist, dafs sie den Thierschleim viel-
mehr verdicken, anstatt ihn aufzulösen. Einen Beweis da-
für giebt uns der Versuch, wenn man einen großen Krebs-
stein in verdünntes Scheidewasser wirft. Letzteres nimmt
den erdigen Bestandlheil desselben in sich auf, und den-
noch bleibt seine Gestalt unverändert, obgleich er halb
durchsichtig geworden ist, und spült man ihn mit Wasser
ab, so bleibt er als ein zarter, ans Gluten bestehender
Schwamm zurück.
Diese Entstehungsweise der Nierensteine wird ferner
durch die Unebenheit ihrer Oberfläche bewiesen, so wie
dadurch, dafs sie aus sehr kleinen Körnern bestehen, wel-
che theils zusammengeballt, theils als Gries abgehen. Ge-
wifs ist diese einfache Erklärung ungleich annehmlicher,
als wenn man zu einem Spiritus Gorgonici, oder zu einer
unmittelbaren steinerzeugenden Kraft seine Zuflucht nimmt.
Denn da die Wiedererzeugung der Steine sehr langsam
fortschreitet, wenn sie nicht durch besondere Reize be-
schleunigt wird; so läfst sich dies nicht wohl mit der An-
nahme eines steinerzeugenden Princips reimen, dessen Wir-
ken durch den sparsamen Zuflufs einer dazu tauglichen Ma-
terie verzögert würde.
Indefs bestreite ich es keinesweges, vielmehr weise
ich ausdrücklich darauf hin, dafs bei wahren Steinkran-
ken sehr gewöhnlich ein, wenn auch nicht anhaltender,
doch bei günstigen Gelegenheiten, zumal nach dem Ge-
nnfs gewisser Nahrungsmittel sich ereignender Zuflufs von
einer salzig -schleimigen oder salzig -weinsteinartigen Ma-
terie statt findet, welche sich auch, besonders nach gewis-
sen Nahrungsmitteln, bei Personen zeigt, die von Nephritis
124
und Steinbeschwerden frei, jedoch den arthritisch-ischia-
dischen oder rheumatischen Anfällen ausgesetzt sind. Mir
sind einige ausgezeichnete Fälle der Art begegnet, wo
durchaus keine Spur von Nephritis vorhanden war, und
wo während der zuletztgenannten Anfälle, welche oft so
gelinde waren, dafs sie sogar eine Reise zuliefeen, ein kla-
rer Urin gelassen wurde, in welchem nach dem Erkalten
und längerer Ruhe sich rhomboidische Krystalle nieder-
schlugen, welche sich nicht nur an die Seiten des Glases
festsetzten, sondern auch in großer Menge zu Boden fielen.
Meist hatten dieselben nur die GröTse eines halben Hirse-
korns 5 zuweilen erreichten sie jedoch die Länge eines Ger-
stenkorns. '
Mehr Aufsehlufs, als jene Hypothesen von einer stein-
erzeugenden Kraft geben, wurden wir erlangen, wenn wir
die Entstehung jenes eigen thümlichen Schleims und seine
gröfsere oder geringere Auflöslichkeit kennten, die er an
und für sich, und wenn er mit den erdigen, salzigen Thei-
len verbunden ist, zeigt. Zwar betrifft dieser Gegenstand
mehr die Bildung der Blasen- als der Nierensteine; doch
möge hier einiges darüber bemerkt werden. Ich mufs an
den vorhin erwähnten Versuch mit den Krebsaugen erin-
nern, so wie an einen anderen, wonach ungelöschter Kalk
mit Eiweifs, und noch mehr mit dem Käsestoff der Milch
sich zu einer überaus harten Masse verbindet. Eben so
erhärtet gebrannter Gyps mit Gluten so sehr, dafs er dem
Marmor gleichkommt. Ein besonders merkwürdiges Bei-
spiel giebt uns indefs die Bildung der Eierschalen, wei-
che innerhalb weniger Stunden zu Stande kommt. Die in
ihnen enthaltene Erde ist mit vielem Gluten verbunden,
welcher sich beim Brennen derselben durch die Schwär-
zung, so wie durch die Entwickelung empyreumatischer
Dämpfe zu erkennen giebt Indefs läfst sich die Entste-
hung der Steine, besonders in den Nieren hieraus nicht
unmittelbar erklären, weil bei den eierlegenden Thieren
jene kalkartigc Materie zur Bildung der Eierschalen zwar
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in den Nieren ans der Säftemasse abgesondert wird, ohne
dafs es jedoch bei ihnen jemals zur Bildung von Nieren-
steinen kommt.
Wir gehen jetzt zn dem Blasenstein über, welcher
sich von den Nierensteinen in den wesentlichsten Bezie-
hungen unterscheidet. Hierher gehört zuvörderst das Le-
bensalter, in welchem ersterer am häufigsten vorkommt,
dann die Zahl, welche sich bei den Blasensteinen auf we-
nige, ja gewöhnlich auf einen einzigen beschränkt, wäh-
rend in v den Nieren sich sehr viele erzeugen. Letztere ge-
hen gemeiniglich einzeln, doch in kurzer Zeit unter wie-
derholten Bewegungen ab; ein einzelner Blasenstcin bleibt
dagegen lange, oft das ganze Leben hindurch zurück. Die
Nierensteine erreichen gewöhnlich keine bedeutende Gröfse,
sondern werden meistenteils früher ausgestoßen; letzterer
dagegen wächst, so lange er liegen bleibt, zu einer größe-
ren Masse an, so dafs er zuweilen selbst einem Entenei
gleichkommt. Auch in der Konsistenz und Textur unter-
scheiden sich beide von einander; die der Nierensteine
wurde früher schon angegeben, der Blasenstein ist gewöhn-
lich härter und schwerer, dagegen pflegt er eine feinere
und gleichförmigere Struktur und eine, glättere Oberfläche,
als wenn er abgeschliffen wäre, zu haben. Die Nieren-
steine gehen meistenteils als Sand feinzert heilt ab; der
Blasenstein verharrt ruhig in seiner Lage, wenn er nicht
durch eine gewaltsame Erschütterung aus derselben ver-
rückt wird. . 1 ;
. Folgender Fall : verdient hier eine besondere Erwäh-
nung. Ein vornehmer Jüngling, dessen beide Eltern sehr
mit nephritischen Steinbesch werden behaftet waren, hatte
einen älteren Bruder, der in seinem 7t«n Jahre unter deut-
lichen Zeichen eines BJiaaensteins gestorben war, den man
auch von der Gestalt eines halb durchschnittenen Hühner-
eies in der Leiche fand. Jener War bis zu seinem löten
Jahre frei von eigentlichen Steinbeschwerden, .und über-
haupt gesund geblieben. Als die b c m t er^ \Y^^
126
t
sein Körper in jeder anderen Beziehung eben nicht schwach
geblieben war, eine Reitschule besuchte, fing er an, deut-
liche Beschwerden in der Schaamgegend und im Perinäum
zu empfinden, wodurch der Verdacht eines Blasensteins
rege gemacht wurde. Obgleich er sich noch nicht so un-
wohl befand, dafs man ihn hätte für krank halten können,
so war doch sein Vater seiner als des künftigen Erben
wegen sehr besorgt : und da diesem das Gerücht von einem
Ochsenhirten in der Gegend zu Ohren kam, welcher sich
als Uroscop, der an dem Urin nicht nur die meisten Krank-
heiten, sondern auch den Zustand gesunder Menschen er-
kennen könne , einen großen Ruhm erworben, hatte; so
wurde halb aus Ernst, halb aus Scherz der Versuch ge-
macht, was er aus dem Urin deuten werde. Dieser wurde
ihm durch einen Menschen von zuverlässiger Verschwie-
genheit zugeschickt, und kaum hatte er denselben erblickt,
als er äufserte, es sei ein an Leckerbissen gewöhuter Kran-
ker. Zugleich gab er nicht nur genau die Klagen dessel-
ben an, sondern versicherte auch, dafs er mit einem
senstein behaftet sei. Die Angehörigen versicherten, dafs
der übersandte Urin klar gewesen sei* wie es denn auch
häufig geschieht, dafs sowohl am Nieren- als am Blasen-
stein Leidende, selbst während der Paroxysmen ihres Ue-
bels, einen durchaus gesunden, und nur etwas dünnen Urin
lassen. Hiermit wäre es nun genug gewesen, damit aber
die Neugierde seiner Verwegenheit nicht entschlüpfen möge,
pries der Ochsenhirte seine Kunststücke an, da er sich
nicht als Theoretiker mit der IIa rnschau begnügte, sondern
auch mit Kuren sich abgab. Er verordnete daher vier ver--
schiedene destillirte Wässer, die zwar im mediciuiseben
Gebrauch sind, von denen man aber nicht glauben konnte,'
da& sie irgend eine Wirkung darauf haben, noch weniger
dafs sie schaden würden. Kaum hatte jedoch der Kranke
davon genommen, als ziemlich rasch Anfälle von Strang-'
urie eintraten, und nicht nur mit unerträglichen Schmer-
zen folterten, sondern auch unbezwinglich waren. Endlich
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wurde ein glatter Stein von der Gröfse und Gestalt einer
Mandel ausgetrieben, welcher beim Fall auf den Fufsboden
in mehrere Stücke zersprang. Danach hörten jedoch die
Blasenkrämpfe nicht auf, vielmehr gingen sie in so heftige
Konvulsionen und Schmerzen über, dafs der Kranke dem
Tode nahe zu sein schien. Zwar legte sich der Aufruhr,
auch kam es nicht wieder zu enormen Anfällen; indefs
milderte sich das Uebel nur allmählig. Nach 8 Wochen
schien ein leidliches Wohlsein wiedergekehrt zu sein; da*
indefs der durch so grofse Leiden angegriffene Kranke sich
unvorsichtig der herrschenden nebligen Witterung aussetzte,
trat sein Uebel von neuem hervor. Es wurde nun ein iu
groisem Rufe der Geschicklichkeit stehender Steinschneider
zu Hülfe gerufen, welcher die gewöhnlichen Untersuchun-
gen anstellte. Letztere veranlafsten unmittelbar die hef-
tigsten spastisch - konvulsivischen Zufälle, an denen der
Kranke in wenigen Tagen starb. In der Leiche fand man-
einen etwas abgeplatteten Stein beinahe von der Gröfse
eines Enteneies.
In dieser Geschichte verdient besonders das unbe-
zwingliche Bestreben, den Stein auszutreiben, bemerkt zu
werden, während oft die gröfsten Steine ohne grofse Be-
schwerde, wenigstens ohne eine so unleidliche Heftigkeit
von den Krauken lange Zeit hindurch ertragen werden.
So sind mir in den letzten Jahren zwei Fälle von Män-
nern bekannt geworden, von denen der eine nicht ganz 50,
der andere betnahe 60 Jahre alt war, beide seit vielen
Jahren mit dem Stein behaftet, welcher ihnen nur wenige
Beschwerde veranlafste, ungeachtet sie : viele und lange
Beisen unternahmen, namentlich der ältere von Deutsch-
land nach England, darauf nach Rufsland, Konstantinopel
und endlich nach Belgien gereiset war. ■ Beide wurden in
Belgien von geschickten Steinschneidern glücklich operirt*
Der Stein des älteren Kranken hatte die Gröfse eines Hüh-
nereies, Beide Kranken waren zur Operation nicht durch
ein dringendes Bedürfnifs gezwungen worden, sondern der
Ruf der Geschicklichkeit, in welchem die Operateure stan-
den, hatte ihnen den Entschlufs dazu eingeflö&t»
Gewöhnlich bildet sich nur ein Stein in der Blase, der
bei zunehmendem Wachsthum eine platte und gleichförmige
Oberfläche behält, nnd eine rundlich eiförmige Gestalt an-
nimmt Wenn der Stein ausgestofsen , oder durch den
Schnitt entfernt worden ist, erzeugt sich zuweilen ein
neuer. Es verdient hier der von Tulpius erzählte Fall
eines Schmidts erwähnt zu werden, welcher sich eigen-
händig mit seinem Brodtmesser einen Stein aus der Blase
schnitt. Danach enstand ein zweiter, den er auf gleiche
Weise herausschaffte. Ja, er schritt zur Operation eines
dritten, der sich später erzeugte, bezahlte aber diesmal
seine Verwegenheit mit dem Leben.
Ein bemerkenswerther Umstand ist es ferner, dafs fast
immer der Blasenstein in seiner Mitte einen Kern von ei-
ner anderen Substanz hat, um welchen wahrscheinlich die
übrige Masse sich angehäuft hat. Ein besonderes Beispiel
der Art beobachtete ich vor einiger Zeit bei einem etwas
über 60 Jahre alten Manne, welcher seit vielen Jahren
häufig an schweren Zufällen des Blasensteins zu leiden
hatte. Ich sah ihn, als er 7 Tage hindurch unter grofsen
Schmerzen und Drängen an einer gänzlichen Unterdrük-
kung des Urins gelitten hatte, und durch die übermäßigen
Anstrengungen und Schmerzen, besonders aber durch die
höchste Beengung in den Präkordien, welche gleichsam in
Paroxysmen von Krämpfen und Angst auftrat, an Kräften
überaus erschöpft war. Zugleich war, wie dies unter sol-
chen Umständen zu geschehen pflegt, ein anhaltend schlei-
chendes, mit grofser Hitze verbundenes Fieber hinzugetre-
ten. Noch hatte man keinen Katheter eingebracht, spp-
dern sich auf den Gebrauch innerer Mittel beschränkt Auf
mein Verlangen machte man mit ersterem einen frucht-
losen Versuch, da kein Tropfen Urin ausllofs. , Am ande-
ren Tage starb der Kranke unter zunehmender Erschöpfung.
In der Blase £and man keinen Urin 3 aber .mehr als zehn
Steine
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129
Steine von der Größe einer Haselnuß, deren Gestalt nnd
Textur es verriethen, dals sie aus den Nieren abstamm-
ten, ungeachtet sie mit einer glatten Rinde überzogen
waren.
Das Anwachsen des Steins geschieht deutlich auf eine
solche Weise, dafs sich mehrere Rinden wie die Häute
einer Zwiebel über einander anlegen. Ueberdies schreitet
die Zunahme nicht mit Gleichförmigkeit fort, sondern die
verschiedene Dicke der einzelnen Ablagerungen beweiset es,
dafs sie sich in bestimmten und abgesonderten Zeiträumen
gebildet haben. Dies lafst sich um so leichter begreifen,
da der Absatz jener Maieria tartareo-limosa, welche den
vornehmsten Bestandtheil der Steine ausmacht, nicht un-
unterbrochen aus dem Blute in den Urin erfolgt, wie man
dies aufser den Steinkranken auch noch bei denen beob-
achten kann, welche mit arthri tisch- isch indischen Leiden
behaftet sind. Die Zunahme des Steins kann daher nicht
als eine unmerkliche und anhaltende Apposition, sondern
sie mufs absatzweise, zur Zeit wenn jene Absonderung ein-
tritt, von Statten gehen.
Der Blasenstein zeichnet sich dadurch von den Nie-
rensteinen aus, dafs er sich selbst in dem früheren Lebens-
alter häufig erzeugt. In diesem Falle beobachtet man eine
erbliche Anlage zur Steinbildung, jedoch ist es nicht er-
forderlich, dafs die Eltern selbst am Blasenstein gelitten
haben, sondern es reicht hin, wenn sie mit der Nephritis
und mit Nierensteinen behaftet waren. Bei den Kindern
giebt dann ein Nierenstein den Kern her, um welchen sich
späterhin eine neue Ablagerung bildet; wenigstens sind sie
bei mannigfachen Gelegenheiten heftigen Reizzuständen der
Nieren unterworfen, wie denn unter dieser Bedingung sehr
gesalzene Speisen eine solche Zntemperies ulceroso-sabulosa
veranlassen können, welche den Stoff zu einer in der Blase
weiter fortschreitenden Steinbildung giebt
Nach dieser geschichtlichen Darstellung scheint es nicht
nöthig zu sein, eine weitläuftige Erörterung der ursach-
Stahl's Theorie d. Heilkunde. III. 9
130
liehen Bedingungen, der Art ihres Wirkens nnd ihrer Ver-
knüpfung mit einander hinzuzufügen. Denn es ergiebt sich
von selbst, dafs 1) ein ungewöhnlicher Blutandrang nach
den Nieren statt finden mnfs, durchweichen 2) nicht nur
eine entzündliche Stockung erzeugt, sondern auch 3) die
Entstehung eines Apostem's und durch dieses einer ge-
schwürig-jauchigen Absonderung vorbereitet wird. Es
bildet sich daher 4) aus dieser geschwürig -klebrigen Ma-
terie und jener salzig - schlammart igen-, welche sich aus
dem durchfliefsenden Urin bei Gelegenheit zufalliger äufse-
rer Ursachen reichlicher niederschlägt, jene erdige, vom
Gluten gebundene Masse, welche auf ihrer Oberfläche eine
unebene, gleichsam runzliche Gestalt annimmt, weil sich
aus der Geschwürsoberfläche stets neue Theile ansetzen.
Nicht wesentlich verschieden davon ist die Bildung
des Blasensteins, aufser in sofern, als die innere Oberfläche
der Blase stets mit einem zähen Schleime überzogen ist,
durch welchen sie im natürlichen Zustande gegen die
Schärfe des Urins geschützt werden soll.
Da überdies aufser dem Vorhandensein eines fremden
Körpers in den Nieren noch eine Trennung des organi-
schen Zusammenhanges 6tatt findet, wodurch deren Sen-
sibilität noch mehr biosgestellt wird; so müssen diese ab-
normen Bedingungen eine grofee Reizkraft ausüben, wel-
che nicht nur zu reichlicherer Ergiefsung der gedachten
Materien, sondern auch zu Anfällen von krampfhaften aus-
treibenden Anstrengungen Gelegenheit giebt.
Es bleibt uns noch einiges über die Heilbarkeit der
Sleinkrankheit zu sagen übrig, in welcher Beziehung eine
grofse Verschiedenheit obwaltet, je nachdem schon wirk-
lich ein Stein erzeugt worden, oder nur die Quelle dazu
vorhanden ist. Den Nierenstein treibt zuweilen die Natur
selbst aus; zuweilen wirken günstige Aufsenbedingungen
dazu mit, z. B. eine Erschütterung der Lenden beim Rei-
ten, Fahren und Springen, beim Fall auf die Lendenge-
gend. Zur Erläuterung diene folgende Erzählung, welche
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131
auch in anderer Hinsicht merkwürdig ist. Ein Mann von
etwas mehr als 40 Jahren litt seit 4 Jahren an einem Nie-
renstein, welcher ihm diese ganze Zeit hindurch die größ-
ten Leiden verursachte, in Folge deren er bedeutend ab-
magerte. Seine Frau brachte mir den Urin zur Beschau-
ung, welcher eine ganz gesunde Beschaffenheit zeigte ,
nur zu blafs und zu dünn war. Da ich alle Betrügerei
und also auch die marktschreierische Harnbeschauung ver-
abscheue, so sagte ich der Frau, dafs idh daraus nichts
entnehmen könne, aufser dafs der Kranke, wenn er wirk-
lich sehr leide, entweder von einer bösartigen, hitzigen,
oder von einer chronischen, anhaltenden Krankheit befal-
len sei. Im letzteren Falle pflege der Urin seine Beschaf-
fenheit oft und bedeutend zu verändern, so dafs er oft
völlig gesund und dann wieder sehr davon abweichend er-
scheine. Die Frau bestätigte sowohl die Langwierigkeit
der Krankheit ihres Mannes, als die Veränderlichkeit sei-
nes Urins, der zuweilen so trübe würde, als wenn Thon
darunter gerührt wäre. Ueber seine Beschwerden weiter
befragt, gab sie an, dafs er an Steinschmerzen litte, wel-
che zwar dermalen nicht besonders heftig seien, aber ihm
nur .selten und auf kurze Zeit Ruhe gönnten. Nach mei-
ner Gewohnheit widerrieth ich den häufigen Gebrauch vie-
ler Arzneien, und verlangte von neuem Bescheid von ihr,
sobald sich abermals ein Anfall ereigne. Nach wenigen
Tagendes war zu Anfang des März, kam sie wieder, und
erhielt von mir einige Salzpulver aus Salpeter und Zinnober.
Am anderen Morgen berichtete sie mir die günstige Wir-
kung derselben und bat mich, ihren Mann selbst zu besu-
chen. Bei seinem Anblick entschwand mir jede Hoffnung,
denn er sah einer wandelnden Leiche gleich, und konnte
nur an den Wänden herumschleichcn. Er erzählte mir,
dafs er seit 4 Jahren leide, vorher aber vollkommen ge-
sund und stark gewesen sei; zugleich verneinte er meine
Fragen, ob er an natürliche oder künstliche Blutungen, zu-
mal Hämorrhoiden gewöhnt gewesen sei, ob eine erbliche
9*
132
Anlage zum Grande liege, ob er sich einen Mifsbranch
der nicht natürlichen Dinge habe zu Schulden kommen
lassen. Er fuhr im Gebrauch der Arznei fort, und befand
sich danach so, dafs er gegen das Osterfest, wo das Wet-
ter angenehm geworden war, nicht nur die Kirche besu-
chen, sondern auch an den militärischen Uebungen der
Bürgermiliz Theil nehmen konnte. Als er letztere am fol-
genden Tage wiederholt hatte, fühlte er sich danach sehr
ermattet. Am. anderen Morgen sandte er das mit einer
übel aussehenden Flüssigkeit angefüllte Uringlas, und liefs
mir sagen, dafs er sich in der vergangenen Nacht sehr
schlecht befunden habe. Eben so erging es ihm in der
darauf folgenden , und als ich ihn am Morgen darauf be-
suchte, erzählte er mir, dafs er am Tage zuvor 3 Löffel
voll Braunkohl gegessen habe. In der Nacht seien darauf
die heftigsten Schmerzen in der Harnröhre entstanden, weil
sich dem stärksten Drange zum Urinlassen ein Hindernifs
in derselben entgegen gesetzt habe, bis es mit der größten
Anstrengung erfolgt sei. Die Versicherung des Kranken,
dafs die verstopfende Materie aus dem genossenen Braun-
kohl bestanden habe, bestätigte sich, als er in meiner Ge-
genwart unter grofsem Wehklagen eine ziemliche Menge
von Urin liefs, in welchem gegen einen Löffel voll von
jenem, nicht einmal gehörig gekauten Kohl enthalten war.
Bei sorgfältiger Nachforschung ergab sich nun, dafs er vor
dem Ausbruch der Krankheit im schnellen Lauf eine stei-
nerne Wendeltreppe hinab auf die scharfe Kante einer Stufe '
derselben gefallen war, und seine linke Lendengegend so
sehr gequetscht hatte, dafs er in seine Wohnung getragen
werden mufste. Viele Tage hindurch hatte er an den un-
erträglichsten Schmerzen leiden müssen, und war von einem
Bader mit Pflastern und Salben behandelt worden. Da-
•
mals hatte seine Steinkrankheit ihren Anfang genommen,
und bis jetzt ununterbrochen fortgedauert. Jetzt war alles
klar. Nach der Erschütterung war eine heftige Entzün-
dung der Niere entstanden, in Folge deren eine Verwach-
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I
133
snog derselben mit dem Theil des Kolons, welcher bei der
Einmündung in den Mastdarm der Niere vorbeigeht, sich
ausgebildet hatte. In der Niere hatte sich ein Geschwür
erzeugt, welches anfangs geringer war, und zur Entste-
hung eines Steins Veranlassung gegeben hatte. AHmählig
war die Niere durch die um sich greifende Eiterung ver-
zehrt worden, und es konnte unter diesen Umständen ein
hektisches Fieber mit Abzehrung des Körpers nicht aus-
bleiben. Endlich war ein Gang des Geschwürs in den
Darm gedrungen, und hatte so jene merkwürdige Erschei-
nung möglich gemacht. Ich schrieb nun dem Kranken vor,
dafs er sich aller festen Speisen enthalten, und sich blos
mit Suppen und dünnen Breien, welche durch einen Zu-
satz von Mandeln und Pinienkörnern erweichender zu ma-
chen wären, begnügen solle, zumal da die Kräfte des Kör-
pers und die Blutmasse durch die hektische Hitze und die
stete Unruhe sehr aufgezehrt waren. Es wurden nun zwar
keine Beschwerden mehr durch das Eindringen dicker Stoffe
in die Harnröhre verursacht; dennoch erfolgte am anderen
Tage keine Urinausleerung, ja es war nicht einmal ein Trieb
dazu vorhanden. An die Stelle derselben trat dagegen eine
häufigere und dünnere Stuhlausleerung; dann erfolgte ein
Drängen, und endlich eine sehr scharfe Reizung, durch
welche binnen 24 Stunden die Oeffnung des Mastdarms ex-
koriirt wurde, da aller Urin seinen Ausgang durch den-
selben nahm. Zugleich beklagte sich der Kranke über ein
Gefühl, als wenn vermittelst einer Spritze etwas in den
Mastdarm getrieben würde, und unmittelbar darauf war er
genöthigt, einen unvermischten Urin durch den After aus-
zuleeren. Ich konnte mir dies nicht anders erklären, als
dafs der Urin aus der gesunden Niere durch die Blase und
aus dieser vermittelst einer rückgängigen Bewegung durch
den linken Harnleiter in das mit demselben zusammen-
mündende Geschwür gelange. Denn jener Harnleiter war
durch den lange fortgesetzten Abflufs der eiterigen Materie
an seiner Mündung, welche außerdem jede rückgängige
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134
Bewegung unmöglich macht, so entartet, dafs letztere er-
folgen konnte. So hielt die Urioausleerung durch den
Mastdarm 4 Tage hindurch an, während die Reizung des-
selben sich steigerte, wogegen ölige und erweichende Kly-
stiore nichts auszurichten vermogten. Da die Kräfte im-
mer mehr sanken, so nahm der Kranke zweimal eine Mes-
serspitze voll von der Confectio de Hyacinfho, wodurch
die Leibesöffnung verstopft wurde. Bald darauf entstand
eine gewaltige Beengung und Angst in den Präkordien mit
spannenden Kolikschmerzen, wobei der Leib sichtbar auf-
trieb, und der Kranke klagte, dafs die Därme aufplatzen
roufsten, wenn ihm nicht wieder OeÜnung geschallt würde.
Dies wurde zwar durch ein öliges Klystier bewerkstelligt,
indefs unter zunehmender Erschöpfung starb der Kranke
am folgenden Tage.
Zu den seltneren Krankheitsfallen gehört auch noch
folgender: Eine etwa 30jährige Frau wurde im Wochen-
bette von mannigfachen, sehr ernsthaften Zufallen heim-
gesucht, die man vergebens mit Arzneien zu bekämpfen
suchte; ja, ihre Leiden dauerten länger als ein Jahr, so
dafs sie zuletzt lies ferneren Gebrauchs der Arzneien über-
drüssig wurde. Unter den Krankheitserscheinungen zeich-
nete sich besonders eine enorme Anschwellung des Unter-
leibes aus, welche indefs keine rundliche Gestalt hatte,
und nicht herabhing, sondern in Form eines sehr grofsCn
Brodtes hervorragte, sich eine Spanne breit zu beiden Sei-
ten des Nabels erstreckte; zugleich waren auch die Füfse,
Unter- und Oberschenkel angeschwollen. Uebcrdies litt
die Kranke bei den geringfügigsten Veranlassungen an Be-
engung und Angst; die LeibesöfTnung war verstopft, und
erfolgte nur nach mehreren Tagen ; auch gesellten sich ne-
phritische Beschwerden hinzu. So verlebte sie 12 Jahre,
und da sie weder ausgehen, noch zu Hause ein Geschäft
vornehmen konnte, überdies in ihren Vermögensumständen
zurückkam; so nahm sie eine mürrische und anerträgliche
Gemüthsstiramung an. An einem Morgen sagte sie ihren
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135
Angehörigen, dafe ihr der Urin mit nicht zu hemmender
Gewalt im Bette abgeflossen, und dafs zugleich Steine ab-
gegangen seien. Man sammelte deren mehr als 60, und ,
brachte sie mir; sie hatten völlig die Gestalt des Erbsen-
steins, und die GröTse gewöhnlicher Erbsen. Späterhin
wurden noch mehrere ausgeleert, die aber nicht wie die
ersten vollkommen rund und glatt, und auch nicht so grofs
waren. /
Die Entstehung der Steine aus einem eitcrartigen oder
jauchigen Schleim wird im Allgemeinen noch dadurch be-
stätigt, dafs aueh in den Lungengeschwüren sich zuweilen
Steine bilden, welche zwar gewöhnlich nur die GriVfee ei-
nes Hanfkorns, zuweilen aber selbst die einer kleinen Erbse
erreichen.
Es ist eine leere und betrügerische Behauptung der
Aerzte, mit Arzneien, denen sie eine steinzcrbrcchendc
Kraft beilegen, gegen Steine etwas ausrichten zu können.
Denn in den Fällen, wo ein solcher vorhanden ist, leisten
sie entweder gar nichts, oder sie bewirken Aufregungen,
wodurch die stürmischen, austreibenden Bestrebungen zu
einem noch höheren Grade gesteigert werden, mithin eine
Verschlimmerung des Krankheitszustandes eintritt. Statt
eines so unverständigen Verfahrens mufs man sich viel-
mehr darauf beschränken, die Zufalle zu besänftigen.
Vorzüglich mufs man seine Aufmerksamkeit auf die
Gelegenheitsursachen richten, welche die Anfalle von Stein-
beschwerden hervorzurufen und zu verschlimmern pflegen,
und die nämlichen sind, welche, zumal beim weiblichen
Geschlecht, stürmische Aufwallungen des Blutes zuwege
bringen, thcils auch krampfhafte Anfalle, wie sie bei den
Blutflüssen vorkommen, veranlassen. Ganz besonders wich-
tig ist daher auch die Macht der Gewohnheit, welche im
Stande ist, sowohl die einfachen nephritischen, als die
Steinbeschwerden wiederholt hervorzurufen.
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136
Siebentes Kapitel.
Von den durch äufsere Verletzungen entstan-
denen Blutflüssen.
r t
Nach dem, was im vorigen Theil hierüber schon ge-
sagt worden ist, mufs noch die Rede von den speciellen
Verschiedenheiten dieser Blutflüsse sein. Diese Unterschiede
hängen theils von der Oertlichkeit derselben, thjeils von
ihrem Impulse ab. In ersterer Beziehung betrifft die Ver-
letzung entweder die Gänge der schwammigen Theile (die
Kapillargeföfse?) oder die Arterien und Venen. Die Blut-
bewegung wird entweder durch Weingenufs und körper-
liche Anstrengungen, oder durch Leidenschaften, heftigen
Zorn, erotische Wallungen beschleunigt. Umgekehrt kann
aber der Blutflufs aus Verletzungen der feineren Gefälsc
durch einen heftigen Schreck gehemmt werden, ungeach-
tet derselbe späterhin um so schlimmer wiederkehrt. Die
Blutungen aus Wunden der schwammigen Theile können
zwar sehr reichlich erfolgen, zumal bei Personen von schlaf-
fem Körperbau; jedoch kommen sie denen aus verletzten
Gefafsen nicht gleich. Aber auch bei diesen wird ein gro-
fser Unterschied darin statt finden, ob blofse Zweige oder
Gefafsstämme, ob Arterien oder Venen verwundet sind.
In Bezug auf die Arterienwundeu ist es bekannt, dafs
eine Blutung aus ihnen weit schwerer gestillt werden kann,
wenn das Gefäfs nur etwa zur Hälfte, als wenn es ganz
durchschnitten ist, weil dasselbe durch keine Lage des
Gliedes zu einem Nachlafs der ihm eigentümlichen Span-
nung gebracht werden kann, deren Fortdauer die Wunde
offen erhalten mufs, aus welcher das Blut durch die Puls-
schläge mit Heftigkeit her vorgetrieben wird. Auch hat die
Anwendung des Glüheiseris bei Arterienwunden eine ver-
derbliche Wirkung, wofür folgendes Beispiel zeugen mag.
Ein robuster und blühender Jüngling war durch ein spit-
ziges Instrument verwundet worden, welches eine Arterie
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137
nur auf der einen Seite verletzt hatte. Die Wunde an
sich war nicht bedeutend, die Blutung aber desto mehr.
Zwei zur Hülfe gerufene Wundärzte konnten 4—5 Tage
hindurch nicht die Blutung unterdrücken, denn so oft die
Wunde aufgebunden, die Kompression nachgelassen, oder
der Gebrauch styptischer Mittel unterlassen wurde, strömte
das Blut mit der gröfsten Heftigkeit aus. Es wurden noch
zwei Chirurgen zur Bcrathung, gezogen, von denen der
eine die Gelafswunde zu brennen vorschlug, was auch ins
Werk gesetzt wurde. Zwar hemmte der erzeugte Brand-
schorf die Blutung, jedoch trat diese sogleich wieder mit
der früheren Heftigkeit ein, als jener abgestofsen wurde.
Man wiederholte den Gebrauch des Glüheisens mit dem-'
selben Erfolge, nur stieg die Gefahr, da die tiefer eindrin-
gende Brandwunde auch die sehnigen Theile (es war in
der Nähe der Wade) zu zerstören drohte. Gepeinigt durch
anhaltende Schmerzen, und erschöpft durch den täglich
wiederkehrenden starken Blutverlust, hülste der Kranke
seine Kräfte völlig ein. Ais man auch meinen Rath ver-
langte, verordnete ich, wenn es geschehen könne, die Ar-
terie zu unterbinden, und sie dann zu durchschneiden, oder
wenigstens durch einen in der Nähe angebrachten schick-
lichen Druck unwegsam zu machen. Was weiter gesche-
hen ist, weifs ick nicht, wohl aber, dafe dasselbe gleich
zu Anfang hätte gethan werden sollen.
Wie uwweckmäfsig die Anwendung des Glüheisens
auf Arterienwunden sei, erhellt daraus, da(s dieselben nur
schwer, selbst gar nicht zur Heilung gebracht werden kön-
nen, wenn man nicht einen beträchtlichen Druck auf sie
anoringt, wodurch aber in Wunden weicher Theile die
Gefahr des Brandes entsteht. Eine geschwürige Arterie
kann aber noch weniger heilen , da kein Geschwür sich
zur Veruarbung bringen läist, wenn nicht die Ränder des-
selben eine frische Beschaffenheit angenommen haben; letz^
teres ist aber bei dem in gegenwärtigen Falle anzuwen-
denden Druck nicht möglich, und ohne einen solchen läfst
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.138
die Blutung sich nicht stillen. Wenn nun gar mit dem
Brandschorf ein Theil der Arterienwandung abgestoßen
wird, wie soll wohl die dadurch entstandene Oefihung
wieder geschlossen werden, da selbst frische Arterienwun-
den nur langsam und schwierig zur unmittelbaren Verkei-
lung gebracht werden? Wenn daher Arterien durch Brand-
wunden verletzt, oder durch Schufs wunden zerrissen sind;
so bleibt ihre völlige Durchschncidung noch das sicherste
Mittel. Doch kann man bei Arlerienwunden , auch wenn
sie frisch sind, mit dem besten Erfolge vom rektificirten
Weingeist zur Stillung der Blutung Gebrauch machen.
Wir haben noch des Umstandes näher zu gedenken,
wenn bei solchen Blutungen ein beschleunigter Kreislauf
statt findet. Schon Paracelsus gab den Rath, dafs man
bei Verwundungen, welche während einer Schmauserei,
während des Beischlafs, bei starker Körperbewegung und
während heftigen Zorns beigebracht werden, die Blutung
nicht sogleich stillen, sondern reichlich erfolgen lassen solle;
und wenn man den Sinn dieser Vorschrift richtig auffällst
und gehörig einschränkt, so verdient sie allerdings Beifall.
Es können aber die gedachten Veranlassungen nicht blos
eine Blutung bis zum Uebermaafs steigern, sondern sie
sind selbst im Stande, an und für sich eine solche hervor-
zubringen. Vom heftigen Zorn ist dies bekannt, desglei-
chen dafs Thiere, wenn sie die Begattung mit grofsem Un-
gestüm vollziehen, zuweilen selbst Blut statt des Saamens
entleeren. Ein Gleiches gilt von unmä&igen Körperbewe-
gungen, wie dies auch durch folgenden Fall erläutert, wird.
Eine Frau, welche sich in der Jugend weder in ihrer
Lebensweise, noch in ihren Sitten zu mäfsigen gewußt
hatte, indefs sich einer blühenden Körperkonstitution er-
freute, war ihrer Entbindung nahe, als sie bei einem Hock-
zeitsfeste sich allen Vergnügungen der Tafel und des Tanzes
bis nach Mitternacht überliefs. Hierdurch, wie durch den
Genufs des Weins erhitzte sie ihr Blut dergestalt, dafc sie
unwohl nach Hause gebracht werden mufste, woselbst sich
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sogleich Geburtswehen einstellten. Unmittelbar nach der
Entbindung trat ein so starker Blutsturz ein, dafs die Frau
in Ohnmacht fiel. Bestürzt eilen die Hebamme und die
Umstehenden ihr zur Hülfe, und versäumen das Kind,
dessen Nabelschnur noch nicht unterbunden, und welches
bereits gestorben war, als man sich wieder nach ihm um-
sah. Aber auch die Wöchnerin kam durch den kaum zu
hemmenden Bluts! urz io die gröfste Lebensgefahr. Es wirk-
ten hier mehrfache Bedingungen zusammen, unter denen
Vollblütigkeit als eine entferntere, die Aufregung, welche
die Entbindung veranlagte, als die nähere angesehen wer-
den mufs.
Es sind hier noch die Fälle anzuführen, wo eine nicht
durch äufsere Ursachen veranlagte Blutung unmäfsig, oder
einer künstlichen Blutentziehung nicht zur rechten Zeit
Einhalt gethan wird. Ersteres bezieht sich auf die kri-
tischen Blutflüsse, welche durch heftige Fieberbewegungen
bis zum Uebermaafs gesteigert werden können. Umgekehrt
wenn die Blutungen früher gehemmt werden, ehe sie in
einer reichlicheren Menge erfolgten, so verlieren sie ihre
heilsamen Wirkungen gänzlich, oder wenigstens zum größ-
ten Theil. Wenn die Leidenden anch ihr Leben ans der
Krankheit retten, so werden sie doch von langwieriger
Ermattung, Unruhe, schleichenden Fiebern, Rheumatismen,
Apostasen an gewissen Gliedern befallen, ja ihr Zustand
wird immer schwankender, bildet schlimmere und hart-
näckigere Krankheitsformen aus, und verwirklicht somit
die drohende Gefahr. Bei Beurtheilung dieser Vorgänge
ist eine grofse Umsicht nöthig.
Besonders wichtig in Bezug auf die den Blutungen vor-r
angehenden und auf sie abzweckenden Anstrengungen ist
der Umstand, dafs, wenn es schon so weit gekommen ist,
ein gemüßigter Blutflufs wenig nützt, ja selbst die Zufalle
verschlimmert Denn die zur Hervorbringung dieses Er-
folges aufgeregte Natur . welche beharrlich durchzusetzen
strebt, was sie schon seit längerer Zeit im Stillen (mus-
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sitandoj vorbereitete, kann sich dann nicht auf eine ge-
ringfügige Wirkung beschranken, und pflegt auch jene kon-
gestiven Anstrengungen, welche vermittelst tonischer Zu-
sammenziehungen das Blut aus dem ganzen Körper nach
einer einzigen Stelle hintreiben, nicht auf einmal einzu-
stellen. So lange aber ein solcher Antrieb nach einem
Orte fortdauert, mufs auch auf dem eröffneten Wege ein
Ausflufs statt finden. In Verbindung hiermit stehen einige
merkwürdige, im Leben oder nach dem Tode sich dar-
bietende Erscheinungen in den hitzigen Fiebern, welche
dergleichen kritische Ausleerungen herbeizuführen pflegen.
Denn um die Zeit der letzteren beobachtet man Anschwel-
lungen der Schläfenarterien, Vermehrung der Kopischmerzen,
Schwindelanfalle, Verwirrung der Vorstellungen, Stumpfsinn,
Phrenitis. Wenn diese Anstrengungen sehr heftig sind, und
bis zum Tode anhalten, so erfolgt das Absterben der Kran-
ken von den unteren Theilen ihres Körpers an aufwärts.
Das Blut wird dann mit einer so heftigen und hartnäk-
kigen Anstrengung nach dem Kopf als dem Orte der Blu-
tung hin aufgedrängt, dafs die unteren Gliedmafsen erkal-
ten, an Umfang abnehmen, und des Gefühls verlustig ge-
hen. Bei Personen, welche auf diese Weise gestorben sind,
pflegt an ihrem Todestage oder dem nächstfolgenden ein
bedeutender Blutflufs aus der Nase und dem Munde sich
zu ereignen. Denn da schon vor dem Tode eine grofse
Anhäufung von Blut im Kopfe zu Stande kam, und die
nach demselben eintretende Körpererstarrung noch den
Druck auf das Blut verstärkt, so mufs dadurch dasselbe
noch mehr nach dem Kopfe gedrängt und daselbst ausge-
trieben werden. ■
h Auch müssen wir auf den Umstand zurückkommen,
dafs heftige, durch eine äufsere Gewalt veranlagte Blutun-
gen, zumal bei plethorischer Konstitution, entweder in un-
beslimmten, oder von dem Wechsel der Jahreszeiten ab-
hängigen Anfallen häufig mit neuen Anlegungen auftreten,
welche sich entweder auf den vormalt verletzten Thcil bc-
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i ■
schränken, oder sich über den ganzen Körper ausbreiten,
zuweilen gleichsam aus der Ferne in langwierigen Vorbe-
reitungen wirken, thcils auch als aktive Fieberbewegungen
sich zu erkennen geben. , *
Eine sorgfaltige Aufmerksamkeit mufs man auf die vor-
hergehenden und gleichzeitig wirkenden Ursachen auch in
den seltenen und merkwürdigen Fällen von ungewöhnli-
chen Blutungen richten, welche besonders bei Gelegenheit
der Menstruation von den Schriftstellern hin und wieder
angeführt werden, als solche nämlich, welche statt jener
an den entferntesten Orten sich ereignen. Es lassen sich
hier vornämlich drei Bedingungen nachweisen: 1) die
Kranke hatte schon früher einen Andrang des Blutes nach
jenen Stellen, dem ein allgemeines Bestreben zum Blut-
flufs zum Grunde lag, erfahren, z. B. nach dem Kopfe, wo
dann anstatt der Menstruation eine Blutung aus der Wange,
dem Auge und Ohre erfolgt. 2) Die Kranke hatte durch
Kratzen eiues Theils eine Verletzung der Haut sich zuge-
zogen, welche auch durch Quetschung, einen Schnitt u. dgl.
verwundet sein konnte. Selbst Finnen auf der Haut, wenn
sie eine dunkle Farbe und weiche Beschaffenheit haben,
können, wenn sie aufgekratzt werden, eine verhält nifs-
mäfsig sehr reichliche Blutergiefsung zur Folge haben.
3) Die nächste Veranlassung wird aber durch die an-
geführten Ursachen gegeben, wenn sie zur Zeit einwirken,
wo die Menstruation erfolgen sollte, deren Wege entwe-
der gänzlich verschlossen, oder wenigstens durch Hinder-
nisse erschwert sind, ungeachtet der Antrieb dazu in vol-
ler Kraft besteht. Tritt zu diesen Bedingungen noch eine
vorwaltende Sensibilität der Kranken hinzu; so wird man
darin leicht den Schlüssel zu jenen ungewöhnlichen Er-
scheinungen finden können.
•r
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■
Achtes Kapitel.
Von der Unterdrückung der Blutflüsse.
«
Wenn gleich von diesem Krankheitszustandc im Ver-
hältnifs zn seinen Folgen schon mehrmals die Rede war,
so ist es doch nm so notwendiger, seiner nochmals nnd
besonders zu gedenken, nnd seinen Zusammenhang mit den
übrigen von mir aufgestellten Lehren in den Ergebnissen
der Erfahrung nachzuweisen, je weniger dieser Gegenstand
von den bisherigen Pathologen gehörig gewürdigt worden
ist.
Wenn das Blut in einem vollblutigen Körper bei einem
thfitigen und wachsamen Charakter der Lebensthätigkeit,
besonders während des blühenden regsamen Alters nnd
während seiner Entwickelungsstufen , in eine starke orga-
stische und plötzliche Aufwallung geräth; oder wenn der
Kreislauf eines reichlich vorhandenen Blutes durch eine
zweckwidrige Lebensweise sehr behindert wird; oder wenn
gleichsam ein angeborener Instinkt zu solchen Anstrengun-
gen Gelegenheit giebt, so entspringen hieraus nicht nur
die verschiedenen Arten von Blutflüssen, sondern auch die
allgemeineren, in einem weiteren Umfange sich ausbreiten-
den Antriebe dazu. Werden nun letztere auf eine ver-
wegene Weise unterdrückt, oder stofsen die Bestrebungen
zu Blutfliissen in den einzelnen Organen, besonders in den
äufseren Theilen des Körpers auf Hindernisse; so gehen
daraus anderweitige Krankheitszustände hervor. Bei nähe-
rer Betrachtung derselben überzeugt man sich, dafs sie in
ihren wesentlichen Bedingungen (geniusj mit den Blutflüs-
sen, nnd besonders den Antrieben dazu überernslimmen,
und daher 1) als krampfhafte Zustände, 2) als austreibende
und kongestive Bewegungen, 3) als unregelmäfsige, wech-
selnde und umherschweifende Anfalle sich zu erkennen ge-
ben. Aufser den unter diesen Beziehungen bereits darge-
stellten Krankheitsformen will ich hier nur noch auf solche
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eingehen, welche nach den herrschenden Schulbcgriflen
eine ganz andere Bedeutung haben.
§• 1-
Von der Wassersucht.
Auch von dieser Krankheit gilt die schon mehrmals
ausgesprochene Bemerkung, dafs sie in Bezug auf die Le-
bensalter, das Geschlecht und die Ursachen eine seltene
Erscheinung ist. Man kann bei ihr daher keine allgemeinen
und gewöhnlich herrschenden Bedingungen voraussetzen,
sondern es müssen diese ganz c ig enth Cimlich und selten wirk-
sam sein. Die Erfahrung der Neueren stimmt mit den Beob-
achtungen der Alten darin überein, dafs vorzüglich solche
Personen der Wassersucht unterliegen, welche früher mit
übermäfsigen Blutflüssen behaftet waren. Damit dieser Satz
aber nicht zu viel ausdrücke, mufs er nur auf diejenigen
Kranken bezogen werden, welche einen Arzt zu Hülfe ru-
fen, und daher Gelegenheit zur Beobachtung geben. Denn
im Allgemeinen bestätigt sich jene Behauptung durchaus
nicht, da unzählige Fälle übermäfsiger Blutflüsse vorkom-
men, z. B. im Kriege nach Verwundungen, eben so bei
Frauen im Wochenbette und nach lange dauernder über-
reichlicher Menstruation, desgleichen bei Männern, welche
immerfort mit einem starken Hämorrhoidalflufs behaftet sind,
wo dennoch keine Wassersucht, am wenigsten ein Ascites
entsteht
Umgekehrt, wenn enorme Blutflüsse durch innere Arz-
neien, besonders adstringirende unterdrückt werden, so folgt
die Wassersucht darauf so gewöhnlich, dafs nur wenige
unter dieser Bedingung ihr entgehen. Ja, selbst wenn in
inneren Organen eine örtliche Steigerung des Kreislaufes
seinen ungehinderten Durchgang durch ihre Geföfse not-
wendig macht, letztere aber durch kräftig zusammenzie-
hende Mittel plötzlich verschlossen werden; so stellt eine
wassersüchtige Anschwellung des Körpers sich häufig da-
nach ein.
Vi!«!.
Aufser der zuletzt genannten Entstehung der Wasser-
sucht giebt es aber noch zwei andere Fälle von hartnäc-
kigen Verstopfungen zur Gewohnheit gewordener Blutflüsse,
welche eine gleiche Wirkung hervorbringen, von denen
der eine sogar dem Volke bekannt, der andere aber selbst
den unaufmerksamen Aerzten entgangen ist. Der erste Fall
betrifft die Unterdrückung der monatlichen Reinigung; je-
doch ereignet sich derselbe nicht bei Weibern jeder Art,
sondern vornämlich nur bei vollblütigen, welche an reich-
liche BlutentleeruUgen gewöhnt, durch irgend eine Ursache
dieselbe plötzlich verloren, während der innere Antrieb
dazu noch fortdauert, besonders wenn dazu Reizungen mit-
wirken, durch welche die Weiber ihre Reinigung wieder
in Gang zu bringen pflegen. Weit geringere Aufmerksam-
keit hat man dagegen den Hämorrhoiden, sowohl ihren
Antrieben und Ausgängen, als den auf ihre unzeitige und
verwegene Hemmung erfolgenden Wassersuchten geschenkt.
Und dennoch entsteht letztere so häufig nicht blos nach
der plötzlichen Stopfung eines zur Gewohnheit geworde-
nen reichlichen Hämorrhoidalflusses, sondern auch nach dem
Podagra, wenn die dasselbe bedingendeu Bewegungen auf
eine unverständige Weise nach inuen zurückgetrieben wor-
den sind.
Ich trage daher kein Bedenken, die Entstehung der
Wassersucht, wenn sie ihren gewöhnlichen Charakter an
sich trägt (abgesehen von den sehr seltenen Fällen, wei-
che sich auf eine andere Weise verhalten) von der eigen-
mächtigen, oder zufälligen, oder auch unzeitigen künstli-
chen Unterdrückung der Blutilüsse, zumal wenn diese eine
plötzliche und hartnäckige ist, abzuleiten. Dies gilt nicht
nur von der Menstruation und den Lochien der Weiber,
dem Hämorrhoidalflufs der Männer, sondern auch von den
Fieberbewegungen, wenn dabei die Gefäfse durch unzeitige
und zweckwidrige Zusammenziehungen verstopft wurden.
Ehe ich jedoch zu der eigentlichen Entsteh ungs weise
der Wassersucht aus unterdrückten Blutflüssen übergehe,
mufs
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145
mufs ich noch die wesentliche Verschiedenheit der wasser-
süchtigen Anschwellungen näher angeben. Die Wasser-
sucht ist entweder allgemein oder örtlich; im ersten Falle
verbreitet sie sich entweder über den ganzen Körper, und
heifst dann Anasarca, oder sie nimmt nur den unteren
Theil desselben nebst dem Unterleibe ein, und fuhrt dann
den Namen Ascites. (Wenn ich hierbei die Tympanites
übergehe, welche man einstimmig zu den Wassersuchten
rechnet, so will ich mich keines weges auf einen Wort-
streit einlassen, denn beide unterscheiden sich wesentlich
sowohl nach ihren Ursachen und materiellem Bestände, als
nach der bei ihnen anzuwendenden Heilmethode.) Von
jenen Formen der Wassersucht ist der Ascites ungleich
häufiger, als die Anasarca; umgekehrt läfst letztere sich
weit leichter heilen, als jener. Auch entsteht die Ana-
sarca gewöhnlich nicht von den angegebenen Ursachen,
welche den Ascites veranlassen. v
Unter den Ursachen der Wassersucht verdient noch
eine eigentümliche Prädisposition ausgezeichnet zu wer-
den, welche in dem phlegmatisch -sanguinischen Tempe-
ramente, also in einer besonderen Textur , des Körpers
und einer eigenen Beschaffenheit der Säfte begründet ist.
Auch nicht jedes Alter begünstigt die Entstehung der Was-
sersucht, denn das kindliche und das Knabenalter scheint
ganz verschont vom wahren Ascites zu bleiben. Auch die
eigentliche Anasarca kommt in demselben selten vor; je-
doch habe ich einige ihr ähnliche Anschwellungen beob-
achtet, welche nach der Vertreibung von Krätze, Geschwü-
ren u. dgl. durch äufsere Mittel entstanden. Nicht min-
der ist die Wassersucht im Jünglingsalter eine seltene Er-
scheinung, dagegen sie im reiferen und stehenden Alter
um so häufiger vorkommt, besonders beim weiblichen Ge-
schlecht. Bei Männern indefs ist mehr das stehende und
das Greisenalter derselben unterworfen. Bei beiden Ge-
schlechtern und in den früheren sowohl wie den späteren
Lebensaltern tritt besonders die Verstopfung der Eingeweide
Stahl's Theorie J. Heilkunde. HL 10
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146
als nähere Ursache auf; dagegen als eine entferntere Ge-
legenheitsursache der Mifsbrauch geistiger Getränke nam-
haft gemacht werden mufs. Jedoch steht die grofse Häu-
figkeit dieser verderblichen Sitte in keinem Verhältnis zu
der Seltenheit der danach erfolgenden Wassersucht.
Geht man nun näher auf die Wirkungsart dieser ur-
sächlichen Bedingungen, und auf ihren Zusammenhang mit
der durch sie hervorgebrachten Krankheit ein, so läfst sich
das Verhältnife der unterdrückten Blutflusse zu der nach-
folgenden Wassersucht dahin feststellen, dafs dasselbe mei-
stentheils durch die bestimmte Art des Blutflusses bedingt
wird. Denn nicht die Unterdrückung eines jeden Blut-
flusses bringt positiv die Wassersucht hervor, sondern es
gilt dies gleichsam speeißsch nur von denjenigen, welche
vom Pfortadersystem abhängen, daher von der Menstrua-
tion bei Weibern, den Hämorrhoiden bei Männern und
dem Blutbrechen. Nur indirekt und im Allgemeinen ge-
hört auch die Blutung aus der Nase und den Lungen hier-
her, welche durch den unpassenden Gebrauch innerer zu-
sammenziehender Mittel gestopft wurde.
Jene positive Wirkung der unterdruckten Blutflösse
bedingt eine Kongestion nach den zum Pfortadersystem ge-
»
hörigen Organen, welche durch Blutüberfüllung verstopft,
zu Stockungen und hydropischen Ansammlungen (infar-
ctus hydropicij Veranlassung geben. Daher der Nachtheil,
den nicht blos die Unterdrückung der Blutflüsse, sondern
auch eine verwegene Behandlung der Fieberbewegungen
anrichtet. 1 )
. Ich kann mich nicht enthalten, eine Bemerkung des
Martin Lister aus seinen Exerc. pract. cap. de Hydrope
mitzutheilen, wo er anfuhrt, dafs die Wassersucht in Eng-
land seit einigen Jahrzehenden weit häufiger geworden,
—
1) Stahl hat an dieser Stelle eine Menge spitzfindiger Un-
terscheidungen so verworren und mit offenbarer Wiederholung der
wesentlichen Begriffe vorgetragen, dafs ich nuch auf die letaleren
allein beschränken mufste.
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147
als sie früher gewesen sei. Der Autor konnte hierüber
durch die vortreffliche Einrichtung der Todtenbeschauung
zu London, durch welche nicht nur die Zahl der Verstor-
benen, sondern auch deren Krankheiten zur öffentlichen
Kenntnifs kommen, unterrichtet sein. Hieran reiht sich
noch eine andere von ihm gemachte wichtige Beobach-
tung, dafs noch weit mehr Menschen in London an der
Schwindsucht und Hektik, als an der Wassersucht, ja an
irgend einer andern Krankheit sterben. Die Ursache da-
von sucht der Autor in dem übermäfsigen Genufs geisti-
ger Getränke, welcher etwa seit eben so langer Zeit Ue-
berhaml genommen habe. Indels dieser Mifsbrauch kommt
bei anderen Nationen, besonders den Russen und Polen,
in einem weit höheren Grade vor, ohne dafs jene Krank-
heiten in eben dem Maafse sich häufiger ereigneten, wie
dies der Fall sein müfste, wenn sie direkt und einfach aus
jener Quelle abstammten.
Wir müssen uns daher nach einer anderen Ursache
dieser ungewöhnlichen Erscheinung umsehen, welche, wie
die Erfahrung lehrt, besonders dem in England häufigen
Mifsbrauch der Chinarinde beizumessen ist. Denn auch in
unseren Gegenden, so wie gewifs überall, vermag ihre un-
zeitige und unmäfsige Anwendung bei noch fortdauernden
heftigen Fieberwallungen diesen Erfolg herbeizufuhren. Und
zwar gilt dies nicht blos von dieser, sondern überhaupt
von allen Arzneien, welche vermöge ihrer zusammenzie-
henden Kraft im Stande siud, dem Fieber Einhalt zu thun,
z. B. vou dem Eisen, Alaun, der Eichenrinde u. dgL Dafs
aber die Engländer die China auf eine unmäfsige Weise in
Gebrauch ziehen, geht aus ihren öffentlichen Anpreisungen
derselben hervor. Ihre zusammenziehende Kraft verräth
sich besonders durch die hartnäckige und oft lange Zeit
andauernde Leibesverstopfung, welche sie erregt. Dazu ge-
sellen sich dann Verstopfungen in anderen Eingeweiden,
hypochondrische und Leberbeschwerden, wefshalb die Kran-
ken Beengung und Angst in den Präkordien, zumal nach
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148
dem Genuß der Speisen, Brennen, Schmerz und Druck im
rechten Hypochondrium, Entzündungen, Rothe des Gesichts,
Schwindel u. dgl. erleiden.
Gleichwie diese Arznei, wenn sie vollblütigen Per-
sonen, so lange die Fieberbewegungen in ungeschwächter
Kraft bestehen, besonders zu Anfang der Paroxysmen dar-
gereicht wird, wassersüchtige Anschwellungen aufser jenen
anderen Krankheitszuständen zur Folge hat; eben so er-
eignet sich ein Gleiches nach dem plötzlichen, reichlichen
und anhaltenden Gebrauch anderer zusammenziehender Arz-
neien bei Blutflussen au» inneren Theilen, dem Uterus, den
Lungen, den Hamorrhoidalgefafsen. Am gewissesten tritt
jener Erfolg ein, wenn diese Blutflüsse, durch ein aktives
Bestreben bedingt, mitten in ihrem Laufe gehemmt werden.
Wollen wir noch näher auf die Entstehungsweise der
Wassersucht aus den angegebenen Bedingungen eingehen,
so müssen wir die Erscheinungen, welche sich bei den an
derselben Verstorbenen darbieten, zu Rathe ziehen; vor-
her jedoch noch des Umstandes gedenken, dafs die Urin-
absonderung bei Wassersüchtigen sehr sparsam erfolgt. Zu
Anfang pflegt der Urin sehr dünn und wässerig zu sein,
späterhin aber sich zu röthen und zu verdicken. Nach
• dem Tode findet man organische Fehler der Leber, des
Pankreas, der Gekrösedrüsen. Die Leber erscheint durch-
weg verdichtet, hart, gleichsam ausgetrocknet; in anderen
Fällen ist sie aber ungeheuer angeschwollen, und zwar
nicht vermöge einer wässerigen und weichen Aufgedun-
senheit, sondern vermöge einer wirklich entarteten Textur.
Denn die im natürlich en Zustande unsichtbaren drüsigen
Theile der Leber schwellen in der Wassersucht bis zur
Gröfse der Linsen an; eben so erlangen die faserigen Theile,
(die Gallengeföfsc duetus biliar iit) welche gewöhnlich eben-
falls unsichtbar sind, eine ungemeine Festigkeit, so dafs
also die Struktur im Ganzen bei weitem härter wird, und
niemand eine Wiederherstellung des naturgemäfsen Baues
erwarten kann. Auch die Ge^rösedrüsen nehmen meisten-
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theils eine bedeufende Harte an, wiewohl ihre Gröfse nicht
immer im gleichen Maafse wächst.
Auf die genannte Weise pflegen diese Eingeweide bei
denen beschallen zu sein, welche sich die Wassersucht
durch den reichlichen Gcnufs starker Getränke (potus ge-
nerosuä) zugezogen haben; wenn dieselbe aber nach dem
Mifsb rauch des Branntweins entstand, so ist die Leber ver-
trocknet und zusammengeschrumpft, eben so, wenn zusam-
menziehende Arzneien die Ursache abgaben. Da nun diese
organischen Fehler keine Heilung zulassen, so liegt hierin
der Grund, dafs eine veraltete Bauchwassersucht mit un-
bezwinglicher Hartnäckigkeit fortbesteht.
Es sind mir theils aus eigener, theils aus fremder Er-
fahrung Fälle bekannt geworden, wo die sichtbaren Er-
scheinungen der Wassersucht gänzlich und schnell, selbst
binnen weniger Tage, und was besonders merkwürdig ist,
ohne eiue auffallende Ausleerung der Materie, welche so
viele Beschwerden vecanlafst hatte, verschwand. Da aber
die Quelle des Uebeis, welche in Fehlern der Eingeweide
enthalten war, nicht verstopft werden konnte, so war die
Heilung blos eine palliative.
Wenn überhaupt die Grundursache der Wassersucht
-
in der durch zunehmende Ueberfüilung oder Zusammen-
ziehung bedingten Verstopfung der Leber und der Gekröse-
drüsen gegeben ist; so kann man noch näherund bestimm-
ter die Entstehungsweisc derselben darin aufsuchen, dafs
durch diese Verstopfung des drüsigen Baues der Leber die
vornehmste Funktion derselben, nämlich die Trennung der
wahren Lymphe, nicht sowohl vom Blute, als von dessen
auswurfsstofflgem Serum verhindert wird. Denn es sollte
der gallige, ölig -scharfe Theil desselben in die Gallenblase
abgesetzt werden, damit das von ihm befreite Serum in
die Hohlvenc gelangen könne. Wird nun aber diese Ab-
sonderung durch die Strukturveränderung der Leber un-
möglich gemacht, also die Lymphe nicht von dem salzig-
galligen Serum getrennt; so gehen beide zusammen in eine
150
schleimige, gleichsam seifenartige Verdickung üher, und es
können die dünneren, auswurfsstoffigen Theile des Serums
nicjit auf den Absonderungswegen ausgestoßen werden. Es
giebt zwar Arzneien, welche diese Verdickung der Säfte
auflösen, und dadurch die Absonderung derselben befördern;
da sie aber die wesentliche Bedinguug der Krankheit nicht
aufbeben können, so heilen sie dieselbe nicht, sondern
schaffen nur ihr Erzeugnifs bei Seite. .
Liegt der Verstopfung der Eingeweide nur eine Ue-
berfüllung derselben, nicht aber eine aktive Zusammen-
schnürung, welche leicht in andauernde Erstarrung über-
geht, zum Grunde; so kann man sie bei zeitiger Hülfe
noch auflösen. Man sieht indefs leicht, dafs eine grofse
Vorsicht nöthig ist, um diese Heilidee nicht mit leeren
Hypothesen zu verwechseln. Wenn man z. B. in der eit-
len Absicht, unmittelbar auf die Säfte einzuwirken, eine
Arznei anwendet, welche eine zusammenziehende Kraft
auf die festen Theile ausübt; so wird man, gleichviel ob
die Krankheit blos von einer Verstopfung oder von einer
Striktur herrührt, durch ein so unvorsichtiges Verfahren
grofisen Schaden anrichten. Um so sorgfältiger mufs man
daher auf die Erfolge der Blutflüsse, und auf die Gelegen-
heiten achten, wo sie unterdrückt werden können, damit
man sich nicht zu einem verderblichen Wagestück verlei-
§. 2.
Von der Kachexie.
•
Da ich der Wassersucht in der Krankheitslehre eine
Stelle angewiesen habe, wohin sie nach den herrschenden
Schulbegriflen keinesweges gehört; so könnte man mich
um so mehr einer Umkehrung der Ordnung beschuldigen,
wenn ich auf jene die Kachexie folgen lasse, welche von
den meisten einstimmig für den Anfang und das erste Ru-
diment der Wassersucht gehalten wird. Indefs messe ich
mein Urtheil nur nach den Ergebnissen einer umsichtigen
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and auf das wahre Vcrhältnifs der Dinge aufmerksamen
Erfahrung, nicht nach beliebten Meinungen ab, und nehme
daher nicht Anstand, der Kachexie einen abgesonderten
Platz einzuräumen, wobei sie jedoch unter die krankhaf-
ten Abweichungen der Blutausleerungcn gehört. Denn ge-
wöhnlich und am leichtesten, wenn gleich nicht immer,
entspringt sie aus dem Mangel derselben; jedoch läfst sich
keinesweges behaupten, dafs die Wassersucht geradezu die
höchste Entwickelungsstufe der Kachexie sei. Denn in
zahlreichen Fällen entsteht die Wassersucht, ohne dafs die
Erscheinungen der Kachexie ihr vorangehen, oder sie be-
gleiten; eben so ist letztere oft in einem ausgezeichneten
Grade vorhanden, ohne dafs Wassersucht darauf erfolgt.
Endlich weichen beide auch rücksichtlich der Heilmethode
von einander ab.
Der Name Kachexie bezeichnet ein krankhaftes Aus-
sehen (habiius Aejnravatus) des Körpers, dergestalt dafs sein
blühendes Kolorit in ein bleiches sich verwandelt, und sein
fester, straffer Habitus in einen schlaffen, gedunsenen über-
geht. Dieser Körperzustand kommt nicht selten vor, we-
niger jedoch bei Männern, als bei Frauen. Nicht jedes
Alter ist ihm unterworfen, sondern hauptsächlich nur die
Jugend. Die Erkenntnifs desselben ist mit keinen Schwie-
rigkeiten verknüpft, da seine Zeichen deutlich in die Au-
gen fallen. Indefs gesellen sich noch innere Leiden dazu,
als: Beengung in den Hypochondrien und Präkordien, wo-
durch ein erschwertes, keuchendes Athmcn bewirkt wird,
welches bei Bewegungen des Körpers, besonders seiner un-
tern Gliedmafsen, beim Treppensteigen noch mehr Hinder-
nifs findet. Damit verbindet sich ciu Gefubl von Härte,
Schwere, Druck, Zusammenschnürung im rechten oder lin-
ken Hypochondrium, auch hinter dem Nabel. Eine harte
Auftreibung des Unterleibes ist weder jedesmal, noch an-
haltend uud im gleichen Grade vorhanden; zuweilen las-
sen sich durch das Tasten Unebenheiten unterscheiden.
Meist ist der Appetit träge und wechselnd; nach dem Ge-
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nufs stellen sich spannende, drückende, auch Blähungsbe-
schwerden ein; die Verdauung ist mangelhaft, die Leibes-
öffnung bald flüssig, bald verstopft. Des ganzen Körpers,
der Seele und der Sinne bemächtigt sich ein Gefühl von
Ermattung, Trägheit, Torpor, Widerwillen und Schläfrig-
keit. Oedematöse Anschwellungen sind zwar nicht we-
sentliche und unzertrennliche Begleiter, doch auch nicht
selten vorhanden, zumal an den äufseren Gliedmafsen.
Die. Dauer der Kachexie kann sich auf 2- — 3 Jahre
erstrecken; doch geht sie häufig in völlige Genesung über,
wenn nicht ein zweckwidriges Heilverfahren, oder ein feh-
lerhaftes diätetisches Verhalten des Kranken als zufallige
Schädlichkeiten wirken. Im schlimmeren Falle folgt auf
die eingewurzelte Kachexie entweder Wassersucht oder
Hektik; oder es entsteht ein metastatischer SteckfluJs.
Unter den bekannten Ursachen behauptet der Mangel
der monatlichen Reinigung den vornehmsten Rang, es mag
nun jener von selbst eingetreten sein, ohne dafs sich eine
deutliche Gelegenheitsursache nachweisen liefse, oder eine
.von aufsen hinzutretende Schädlichkeit dazu Veranlassung
gegeben haben. Vorzüglich gehört hierher die Unterdrük-
kung der Menstruation durch eine fehlerhafte Diät, beson-
ders nach dem Genufs unpassender Nahrungsmittel; selle-
ner hat die plötzliche Hemmung derselben durch andere
stark wirkende Gelegcnhcitsursachcn diesen Erfolg. Selten
wird man ein kachektisches Frauenzimmer antreffen, dessen
Menstruation keine Störung erlitten hätte; wenigstens wird
ihre Krankheit in diesem Falle nur einen geringen Grad
erreichen, oder sie rührt dann von bedeutenden Diätfeh-
lern in Speise und Trank, von Kälte und Feuchtigkeit der
umgebenden Luft und der Wohnung her. Letztere Bedin-
gungen sind fast die einzigen, welche beim männlichen
Geschlecht, zumal bei Jünglingen, sich wirksam beweisen.
Bei Bejahrten verhält es sich dagegen anders, denn hier
liegt häufig eine nahe Disposition zu Hämorrhoiden, ja
selbst ein nicht undeutlicher Antrieb dazu zum Grunde;
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vorzüglich gilt dies von dem Ausbleiben der zur Gewohn-
heit gewordenen Hämorrhoiden und von ibren Ataxieen.
Bei der Wassersucht bemerkte ich, dafs sie weniger
nach erschöpfenden Blutverlusten, als nach plötzlichen Un-
terdrückungen der Blut flüsse entstehe: letztere Ursache giebt
zwar auch zum Ursprung der Kachexie Veranlassung; doch
mufs man einräumen, dafs auch unmäfsige Blutungen nicht
wenig dazu beitragen, dafs der Körper einen. kachektischen
Habitus annimmt. Denn bei solchen erschöpften Kranken
ist auffallende Blässe und Kälte des Körpers in seinem gan-
zen Umfange eine gewöhnliche, ja wesentliche Erscheinung;
auch geht bei ihnen die Blutbereitung fehlerhaft von Stat-
ten, dergestalt, dafs das Blut nicht nur eine wässerige Be-
schaffenheit annimmt, sondern auch die nöthigen Ab- und
Aussonderungen nicht gehörig erfolgen, welches dann zn
einer wässerig -schleimigen Entartung des ersteren Veran-
lassung giebt.
Indefs mufs man dabei nicht den Erfahrungssatz über-
sehen, dafs plötzliche und starke Blutverluste nicht so leicht
und häufig Kachexie nach sich ziehen, als wenn sie eine
längere Zeit hindurch anhalten. Hieraus wird es sehr
wahrscheinlich, dafs gedachte Entartung des Blutes vor-
n am lieh dadurch entsteht, dafs lange Zeit hindurch der
neu hinzukommende Nahruugssaft, welcher die Stelle des
verlornen Blutes ersetzen soll, mit dem vorhandenen nicht
gehörig durchmischt wird, nicht aber dadurch, dafe eine
organische Verletzung störend in die Funktion der Blut-
bereitung eingreift Gleichwie nun ein großer Unterschied
statt findet zwischen der von den Alten auf uns gekom-
menen Meinung, dals die auf unmäfsige Blutungen erfol-
gende Wassersucht von einer positiven Störung der Blut-
bereitung herrühre, und jener Behauptung, nach welcher
blos aus Mangel einer hinreichenden Ab- und Aussonde«
rung sich auswurfsstoffige Theile in den Säften anhäufen;
eben so verschieden ist die frühere Hypothese, welche der
Leber eine blutbereitende Kraft beilegt, von dem richti«
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geren Begriffe, nach welchem ihr nur eine absondernde
Thätigkeit zukommt. Denn dafs in ihr vorzüglich die
Lymphe abgeschieden werde, erhellt aus den zahlreichen
und ansehnlichen Lymphgefafsen, welche von ihr nach dem
Gekröse gehen. Man mufs auf die Unterscheidung jener
falschen und wahren Vorstellungen von dem Nutzen der
Leber ein grofses Gewicht legen, um von dem Nachtheil,
welcher aus ihren organischen Fehlern entspringt, die sich
in den Leichen Wassersüchtiger vorfinden, einen richtigen
Begriff zu bekommen.
Wir müssen hier auch der Streitfrage gedenken, ob
man die Entartungen der Leber und der Gekrösedrüsen für
die Ursache der Säftcentmischungen zu halten habe, oder
ob umgekehrt letztere, wenn sie anderweitig entstanden
sind, den Bau jener Organe verletzen. Es unterliegt aller-
dings keinem Zweifel, dafs eine den Säften auf anderem
Wege mit gel heilte schleimig -zähe Entartung eine versto-
pfende Wirkung auf jene organischen Kolatorien ausüben
könne, wodurch sie zu ihrem Gebrauch untauglich gewor-
den, zur Vermehrung jenes Mischungsfehlers beitragen müs-
sen; ja, es geschieht sicher zuweilen so etwas. Eben so
gewifs ist es aber auch, dafs dieser Fall nur selten ein-
tritt, und mcistentheils sich das Entgegengesetzte ereignet.
Denn die Beispiele sind nicht selten, wo zwar das Serum
sich verdickt und schleimig wird, ohne dafs es zur Ent-
stehung der Kachexie oder gar der Wassersucht kommt.
Oft bildet sich in einem Theile des Körpers eine Dyskra-
sie aus, welche fähig ist, eine ödematöse Stockung zu er-
zeugen, z. B. in den Füfsen nach äufseren Ursachen, nach
langwieriger Einwirkung einer feuchten Kälte, nach lan-
gem und ungewohntem Stehen; aber sie kann mehrere
Jahre hindurch anhalten, ohne den inneren Organen nach-
theilig zu werden, wenigstens tritt ein solcher Erfolg so
spät ein, dafs man den Säftcentmischungen im Allgemeinen
diese Wirkung nicht zuschreiben kann. Umgekehrt läfst
sich nicht bezweifeln, dafs künstlich hervorgebrachte plötz-
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liehe Striktaren durch zusammenziehende Arzneien jene
Eingeweide dergestalt ergreifen, dafs die zur Leibesöffoung
mitwirkenden Absonderungen nicht blos augenblicklich, son-
dern auch hartnäckig behindert werden, und dafs jene Wir-
kung auf die Leber und die Drüsen einen kachektisch- was-
sersüchtigen Zustand zur Folge haben mufs, welcher in dem
Maafse unbezwinglich sein wird, als jene wichtigen Or-
gane auf eine eindringliche Weise verletzt sind.
Wir kommen auf den Unterschied der Kachexie von
der Wassersucht zurück, dafs jene, durch den ganzen Kör-
per verbreitet, Jahre hindurch fortdauern und selbst öde*
matöse Anschwellungen der Gliedmafsen hervorbringen kann,
ohne in Wassersucht überzugehen^ es sei denn, dafs durch ,
den unzweckmäfsigen Gebrauch des Eisens und der trei-
benden Arzneien der gesammte Zustand verschlimmert, und
künstlich eine Krankheit verursacht wird, welche von selbst
nicht entstanden wäre. Zwar giebt die Unterdrückung ge-
wohnter und naturgemäfser Blutüüsse eben so zur Entste-
hung der Kachexie, wie zu der der Wassersucht Veran-
lassung, doch geschieht dies in beiden Fällen nicht auf die
gleiche Weise und unter den nämlichen Bedingungen. Denn
die Kachexie entsteht nur aus leichteren und gelinderen
Zurückstauungen und Ueberfullungen, besonders in der Pfort-
ader nach der Leber hin; die Wassersucht dagegen setzt
voraus, dafs ein durch Heftigkeit und langwierige Dauer
ausgezeichneter Angriff auf jene Organe eine völlige Ver-
stopfung in ihnen zuwege bringt- In solchen Fällen beob-
achtete ich eine starke Verhärtung der Gekrösedrüsen, de-
ren schwärzliche, dem geronnenen Blute ähnliche Farbe
es bewies, dafs in. denselben nicht sowohl serös-schlei-
mige, als wirklich blutige Infarkten vorhanden waren.
Auch den Ursachen und dem Ursprünge nach unter-
scheidet sich die Wassersucht von der Kachexie, da letz-
tere wirklich nach zu reichlichen und besonders zu lange
dauernden Blutungen entsteht; während die wahre Was-
sersucht unter diesen Umständen nicht beobachtet wird,
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wenn nicht wirksame äußere Ursachen, besonders der un-
geschickte Gebrauch stopfender Arzneien dazu Gelegenheit
giebt Es ist daher ein Vorurtbeil, beide Krankheitszu-
stände in einem genauen Zusammenhange sich zu denken,
und beide stets von den nämlichen Ursachen abzuleiten.'
Denn es verhält sich nicht nur mit der Wassersucht rück-
8 ich Ü ich des häufigeren Vorkommens, also der angemesse-
nen und bestimmten Ursachen ganz anders; sondern man
mufs auch fast jede Hoffnung zu ihrer Heilung aufgeben.
Denn die Geschichten von angeblich geheilter Wassersucht
mufs man wohl auf die Verwechselung derselben mit der
Kachexie beziehen.
Eine Bedingung, welche vor allen die Kachexie be-
günstigt, und zur Entstehung derselben beiträgt, ist der
sehr schlaffe und schwammige Habitus des Körpers, des-
gleichen eine Beschaffenheit des Blutes, in welchem Lym-
phe und Serum in einem überreichlichen Maafse vorhan-
den sind, wie man dies besonders bei den phlegmatischen
und den phlegmatisch -sanguinischen Personen findet. Denn
unter diesen Umständen findet leicht eine reichliche Er-
zeugung jener Materie statt, welche, häufige Infarkten bil-
dend, durch diese sowohl in den Eingeweiden, als der
Haut, dem Absonderungsorgan für das Serum, eine nach-
theilige Verstopfung hervorbringen kann. Daher denn auch
kachektische und hydropische Kranke gewöhnlich nicht
schwitzen, und wenig Urin lassen. Je mehr dergestalt
eine gehörige Ab- und Aussonderung behindert ist, um so
reichlicher mufs jene schleimige Materie sich anhäufen und
in den Eingeweiden stocken.
Die obengedachte Entstehung der Hau t Wassersucht aus
unvorsichtig unterdrückter Krätze verdient hier noch nä-
her beleuchtet zu werden. Ich hatte einigemal bei Kin-
dern von 4 bis 10 Jahren zu beobachten Gelegenheit, dals
nach dem Gebrauch der Schwefelsalben, wobei zugleich
ein sehr warmes Verhalten in Anwendung gezogen wurde
(bei einem 16 jährigen Jünglinge trieb man sogar den
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Schweifs durch innere Arzneien ) eine wirklich wassersüch-
tige Anschwellung des ganzen Körpers erfolgte, wobei zu-
gleich das Athemholen, der Appetit, Schlaf, die Kräfte
sehr gestört waren. So entstand bei einem 24jährigen,
robusten Jünglinge, dessen Haut mit einem sehr starken
und feuchten Krät zausschlage bedeckt war, und der sich
in einem im Erdgeschofs belegenen, und gegen die Win-
terkälte nicht gehörig geheizten Zimmer aufhielt, nach der
Anwendung einer solchen Salbe schnell ein bedeutendes
Oedem am Unterschenkel. Da das Uebel sich nur auf die
Haut beschränkte, so wurde jenes Heilmittel ausgesetzt,
und solche in Anwendung gezogen, welche die scabiöse
Unreinigkeit, ohne eine Wallung der Säfte zu veranlassen,
herauszutreiben vermogten, wonach denn ohne Schwierig-
keit die Anschwellung in kurzer Zeit verschwand.
Von dem Oedem.
Das Oedem unterscheidet sich sowohl von der Wasser-
sucht als von der Kachexie, obgleich es mehr nur eine
Folge oder auch ein Symptom der ersteren, als eine selbst-
ständige Krankheit ist. Ebenso kann es nicht als der höchste
Grad der Kachexie, sondern es mufs vielmehr als eine be- *
sondere Art derselben angesehen werden. Auch seinen ur-
sachlichen Beziehungen nach ist es verschieden, sowohl
was seine Entstehungsweise, als sein örtliches Vorkommen
betrifft.
Das Oedem ist nämlich dem Sprachgebrauche nach die
Anschwellung irgend eines Theils, welche durch eine be-
deutende Verstopfung gebildet, sich durch Blässe, Kälte,
Schmerzlosigkeit auszeichnet, sich weich anfühlen läfst,
dem Drucke, welcher eine bleibende Grube zurückläfst,
nachgiebt, an den äufseren Gliedmafsen, besonders den Ka-
isen vorkommt; sehr langwierig und hartnäckig ist, leicht
zunimmt, und sich weiter ausbreitet.
Ungeachtet aber die materielle Ursache der Wasser-
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sucht und der Kachexie zur Hervorbringung eines Oedems
ganz geeignet ist, daher letzteres fast unzertrennlich mit
der Wassersucht sich verbindet, und nicht seilen den hö-
heren Graden der Kachexie sich hinzugcsellt; ja ungeach-
tet ein rasch und stark sich ausbreitendes Oedem, welches
anfangs einfach und beschränkt war, endlich in wirkliche
Wassersucht übergeht : so mufs man doch daraus nicht fol-
gern, dafs es mit dieser auch die nähere oder formale Ur-
sache gemein hat. Zwar liegt der Entstehung desselben
gleichfalls eine serös -lymphatische Feuchtigkeit zum Grunde,
deren Verdickung ihrer freien Fortbewegung hinderlich ist;
doch beschränkt sich deren Entartung auf den leidenden
Theil, und so häuft sie sich im Verlauf der Zeit mehr oder
weniger an. Das Oedem wird daher fast nur von äuße-
ren Ursachen hervorgebracht, wogegen die Wassersucht und
die Kachexie blos von inneren Ursachen abstammen, welche
die edleren Eingeweide betreffen, und daher die schlimm-
sten Folgen, die dringendste Gefahr und die gröfste Hart-
näckigkeit veranlassen.
Die vorzüglichsten Ursachen eines einfachen und ört-
lichen Oedems sind:
1) Eine durchdringende, besonders anhaltende Erkäl-
tung der Glieder, zumal der Füfse, vornämlich wenn die
Kälte mit Feuchtigkeit verbunden ist
2) Die theil weise Zertheilung der heifsen, ausgebrei-
teten Geschwülste (also der Phlegmone der Alten, und der
nicht zu sehr entzündeten Rose), weun nämlich nach Ent-
fernung der feineren Theile des Blutes die serös -lympha-
tischen zurückbleiben, also die Stockung nicht aufgehoben
wird. Ich habe auch einige Fälle beobachtet, wo eine zu
lange fortgesetzte Zusammcnschnürung des Schenkels, wel-
che den freien Zut ückflufs des Blutes aus den untern Thei-
len verhinderte, zur Entstehung des Oedems Veranlassung
gab. Eben so sah ich dasselbe nach einem zu lange fort-
gesetzten und anhaltenden Reiten, zumal auf einem Pferde
mit sehr breitem Rücken, weshalb die Beine sehr ausge-
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I
159
*
spreitzt werden mufsten, entstehen. Bei reiflicher ücber-
legung sieht man indefs leicht, dafs letztere Ursache an
sich keine unmittelbare und grofse Wirkung haben könne,
sondern dafs sie die Mitwirkung der erstgenannten Ursa-
chen nothwendig macht, wenn nicht eine allgemeine Prä-
disposition, nämlich ein bedeutender phlegmatischer Habi-
tus vorhanden ist.
Die Entstehung des Oedems nach Erkältung beobach- •
tet man häufig bei Wäscherinnen, welche lange Zeit im
Wasser stehen ; Fälle der zweiten Art habe ich bei denen
wahrgenommen, wo eine neu entstandene phlegmonöse Ge-
schwulst mit starkem Kampherspiritus behandelt worden
war. Zwar verschwand die Rothe darauf schnell, jedoch
blieb ein sehr hartnäckiges Oedem danach zurück. Lehrte
doch schon Paracelsus, dafs eine zu starke Anwendung
einer künstlichen Kälte auf Wuuden eine ödematöse An-
schwellung derselben hervorbringt, welche, wenn sie sich
auch nicht sogleich einstellt, wenigstens späterhin erfolgt.
Nur mufs man sie nicht mit den Eitergeschwülsten ver«
wechseln, welche sich oft in der Nähe der Wunden er-
zeugen, wenn der freie Zuilufs der Säfte zu ihnen behin-
dert wird. Kommt es aber unter diesen Umständen nicht
zur Eiterung, dann kann allerdings ein Oedem entstehen.
Im Allgemeinen pflegt indefs letzteres sich nicht geradezu
um die Wunden her auszubilden, wohl aber nach phleg-
monösen Geschwülsten, zu denen Wunden Veranlassung
geben.
Eine besondere Erwähnung verdient noch die phleg« -
roonöse und ödematöse Kongestion, welche sich als eine
fieberhafte Apostasie auf einen oder auf beide Füfse wirft.
Zuweilen geschieht dies schnell um die Zeit der kritischen
Tage, zuweilen später als eine verzögerte Wirkung. In-
defs gilt doch vom phlegmonösen Oedem die Bemerkung,
dafs dasselbe gewöhnlich sehr hartnäckig ist, und meisten-
theils aus einer tiefer liegenden Quelle, wodurch es sich
dem Wesen der Wassersucht näher anschließt, abstammt.
I
I
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160
Unter den nicht seltenen Fällen der Art will ich folgende
zwei herausheben.
Ein etwa 50jähriger Mann litt an einem hitzigen Fie-
ber, zu welchem theils ein heftiger Schreck und grofse
Angst, theils ein vor 3 — 4 Wochen nach dem dritten Par-
oxysmus unterdrücktes Wechselfieber, welches bei der sehr
blutreichen Konstitution des Kranken mit grofser Hitze auf-
getreten war, Veranlassung gegeben hatte. Er war mit
einer sehr grofsen Unruhe behaftet, welche theils aus sei-
nem sanguinischen Temperamente und seiner Ungewohn-
heit, krank zu sein, theils aus gleichzeitig einwirkenden
Leidenschaften abstammte; nur war die Niedergeschlagen-
heit seiner Kräfte grofser, als dafs man sie für blofse
Schwäche hätte halten können. Indefs schritt doch der
Krankheitsverlauf unter gemässigten Erscheinungen und in
einer leidlichen Ordnung vorwärts, so dafs keine Gefahr
eines unglücklichen Ausganges zu drohen schien. Die Lei-
besöffnung gegen und am siebenten Tage war träge, selbst
verstopft, und der Kranke wurde dadurch bewogen, an
dem gedachten Tage eine Abführung zu nehmen, welche
nur gelinde wirkte, nur dreimal Ausleerung hervorbrachte.
Innerhalb zweier Stunden bildete sich eine ansehnliche An-
schwellung des einen Unterschenkels aus, welche die na-
türliche Dicke desselben etwa um das Doppelte übertraf,
und in der Folge sich durchaus unheilbar zeigte.
Zwar unterscheiden sich dergleichen Anschwellungen,
welche sich bei hitzigen Fiebern schnell entwickeln, von
einem einfachen Oedem durch Rothe und Hitze, welche
entweder anhält, oder während der Exacerbationen ein-
tritt; doch nehmen sie zuweilen bald nach ihrer Entste-
hung eine ödematöse Weichheit an, so dafs ein Finger-
druck eine Grube zurückläfst; auch lassen sich durch zer-
theilende Mittel die rothen Theile des Blutes leicht aus
ihnen vertreiben, so dafs sie dann förmlich die Gestalt
eines Oedems annehmen.
Eine 30jährige Frau wurde während des Wochenbettes
wie-
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wiederholt von Zorn , Schreck unä Angst bestürmt, an
welche Gemütsbewegungen sie indefs gewöhnt war. Als
sie diesen in der sechsten Wuehe besonders ausgesetzt ge-
wesen war, verfiel sie in ein sehr hitziges und heftiges
erysipelatöses Fieber, dessen Erscheinungen indefe am sie-
beuten Tage vöHig naehliefsen, daher die Kranke sich der
voreiligen Hoffnung hingab, alles überstanden ' zd haben.
Am achten Tage' nahm sie den Besuch mehrerer Freun-
dinnen an, indem sie angekleidet auf dem Bette safe, und
ihre Knickehlen, so wie die in denselben verlaufenden ,\
grofsen Geföfse durch den scharfen Rand des Gesteltes ge-
drückt »wurden. Nach zweistündiger* Unterredung entfernte
sich der Besuch, und als die Kranke, ermüdet durch den-
selben, sich in eine ruhende Lage bringen wollte, bemerkte
sie, dafs ihr linker Unterschenkel enorm angeschwollen
war. Da ihr Hausarzt an diesem Tage ausgeblieben war,
liefe sie einen anderen rufen, welcher vorsichtig sich aller
zurücktreibenden Arzneien enthielt, und äufserlich blos
Kampher anzuwenden rieth. Nach dem Gebrauch dessel-
ben verschwand zwar die Rothe, doch blieb die Geschwulst
als ein Oedem in gleicher Ausdehnung zurück. Inzwischen
verschwand dieselbe, da sie noch neu war, unter der An-
wendung passender innerer Arzneien, binnen 14 Tagen,
ausgenommen eine Stelle an dem Hacken, wo sie längere
Zeit hindurch anhielt, weil die ungeduldige Kranke den
ganzen Tag umherging.
Ich habe einen Arzt gekannt, welcher die hitzigen
Fieber allein mit dem Spiritus Comu Cervi behandelte, und
dadurch sehr häufig Oedem der Füfse veranlagte. Daher
pflegte er den Kranken zu sagen, die Krankheit ziehe zu
den Füfsen hinaus, und gab dabei die richtige Erklärung,
dafs die schädliche Materie aus den 1 edleren Organen auf
die unedleren ausgetrieben, und daselbst fixirt werde. ! "
Die Oedeme, welche aus inneren Ursachen entstehen,
sind in vieler Hinsicht schlifritner, als die aus äufscren Ver-
anlassungen entsprungen, sich auf einen Theil beschränken.
Stahl's Theorie d.Heilk. ffl. 11
»
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162
I a
\
J#e ursächlichen Bedingungen des Oedems sinn* in Feh.
lern der Säfte- und der festen Tbeile enthalten*. jene lei-
den an einer schleunigen Verdickung, letztere an. einer Er-
schaffung des Tonus» Der Fehler der Säfte rührt unmit-
telbar von der direkten >Virkung spiner Ursachen a*, denn
4ie, If kältnng treibt die rotheu Theile de« 31 ute* zurück,
welche d<m schleimig «serösen Flüssigkeit und Lebens wärme
inittheilen solllcn. Daher entsteht denn auch Erschlaf-
fung djer festen Theile, welche besonders, zur Bildung der.
Geschwulst beitragt, weil jene erweichenden, wässcejg-
schleim^gen Säfte sich anhäufen können, während ein hin-
reichender Zutritt des Blutes verhindert wird, welches die
gehörige Lebenswärme, eine Austrocknung der Fasern, und
die; mit dem Gefühl der Wärme verbundene tonische Span-
nung ^hervorbringen sollte. ,.. {. •« «
Zwar erregt das Gefiihl von Kalte in einem gesunden
Körper noch stärkere tonische Zusammenziehungen, als die
Empfindung einer mäfsigen Wärme, aber da eine durch
zn grofse Anfeuchtung bewirkte Erschlaffung und Weich-
heit der Fasern das Gefühl bedeuteud abstumpft, so neh-
men Kranke die Kälte in ihren ödematösen Geschwülsten,
welche andere darin leicht bemerken können, nicht wahr.
Wenn es auch keine Schwierigkeit macht, nach den
herrschenden Vorstellungen sich einen Begriff von dem We-
sen, dieser Krankheit zu bilden, und die für sie passenden
Arzneien aufzufinden; so verdient es doch bemerkt zu wer-
den, dafs letztere bei ihrem Gebrauche keinesweges eine
schnell wirkende Kraft beweisen, die man ihnen nach ih-
rer sonst bekannten Wirksamkeit hätte zutrauen sollen. Um-
gekehrt sind zuweilen sehr grofse öde ma löse Geschwülste
geneigt sich zu zert heilen, und den Theil, den sie behaf-
teten, zu verlassen. Ja, es geschieht dies selbst plötzlich,
und während der geschwollene Theil zusammensinkt, er-
folgt eine Versetzung nach inneren Organen, woraus das
Gefühl einer grofse n Beengung, Auftreibung des ganzen
Unterleibes, wenigstens der Hypochondrien und Prä*kordien\
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hervorgehen. Nicht selten entsteht dann unter diesen Um-
ständen eine wirkliche Wassersuch*. Wieviel eine Lei-
tung der Säfte nach anderen, und ' zwar den unedlen Thei-
len , wie die' Alten sich auszudrücken pflegten , auszurich-
ten vermöge, sehen solche Aerzte wohl ein, welche von
der Unwirksamkeit ausleerender und aketfrender Arzneien
gegen die ntfeh innen zurückgetriebenen Geschwülste über-
zeugt, ihre Hoffnung auf die Rückkehr derselben nach den
früher von tonen' eingenommenen Sufseren Theilen setzen.
5 Bei einen* langwierigen, zur Gewohnheit gewordenen
Oedem mafs man auch viel auf Rechnung einer hartnäk-
kigen Kongestion nach' dem 0#te desselben bringen. Am
bedenklichsteh sind aber Oedeme, welche nach Fiebern
metastatisch in einem Gliede, z^B. in einem Unterschen-
kel entstanden sind und daselbst festsitzen. Wenn ' man
besonders durch äufserc Mittel sie wiederum zertbeilen
will, so ist dies um so gefährlicher, da sie oft von selbst,
gleichsam heimlich, und ohne deutliche Ursachen verschwin-
den, und dadurch früher oder später andere
erzeugen.
r •
•l
'V
I ♦
Neuntes Kapitel
Von den uiiregelmäfsi'gen (IncongruisJ Blut-
flüssen.
Regelmäfsige Krankheiten (morbi congrui) werden von
den Aerzten diejenigen genannt, welche dem körperlichen
Habitus, dem Temperamente, dem Geschlechte und vor
allem, dem Alter des Kranken angemessen sind, sie mögen
aus äufseren Ursachen, aus vorangehenden Krankheiten,
oder aus dem Mifsbranch der nicht naturlichen Dinge ent-
sprungen sein. Da ich nun bei der Abhandlung der Blut-
flüsse die Reihefolge, in welcher sie nach den Verhältnis-
sen des Alters einzutreten pflegen, berücksichtigt habe; so
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i 164
ist es nothwendig, die denselben nicht entsprechenden und
häufig vorkommenden Fälle, welche ihre Anomalie durch
einen erschwerten Verlauf und Ausgang offenbaren, beson-
dere hervorzuheben, und ihre deutlichen /Ursachen anzu-
geben. r . r f . . • rv
Es entstehen zuweilen bei jüngeren Personen Blut fiüsse,
welche gewöhnlich nur den bejahrteren eigen zu sein pfle-
gen; zuweilen gescheht auch, das Gegenteil. &> beob-
achtet man z, B. bei Kindern weiblichen Geschlechts einen
Blutflufs aus den Genitalien, welcher in monatlichen Pe-
rioden ein- und das anderemal wiederkehrt. Bei Knaben
kommt mitunter eine Blutung , aus dem After vor, die man
■
keiuesw eges für sypjptoiiid tisch liültui kann } uocli häufiger
ereignet sich dies bei Jünglingen. Umgekehrt leiden be-
jahrte Männer und selbst Greise am Nasenbluten, seltener
an Lungcnblutung. Bei bejahrten Weibern erfolgt ein Blut-
flufs aus dem Uterus, welcher zuweilen an eine monat-
liche Periode sich bindet« in anderen Fällen aber ohne alle
Ordnung eintritt. , j-» \
So viel ich zu beobachten Gelegenheit hatte, starben
jene weiblichen Kinder frühzeitig; weniger galt dies von
den Knaben. Bei Jünglingen, welche zwischen dem 20sten
und dem 24sten Jahre, besonders aus erblicher Anlage mit
Hämorrhoiden behaftet waren, liefs sich kein gemäfsigter
und geregelter Krankheitsvcrlauf bemerken ; sie litten zum
Theil am Hüftweh, Podagra und anderen übleren Folgen.
Einige solche, deren Podagra mit stürmischen Erscheinun-
gen auftrafc, (wozu auch zweckwidrige Heilmethoden bei-
getragen haben mogten) sah ich ihr Leben auf ein höhe-
res Alter bringen; andere dagegen überlebten nicht das
40ste oder höchstens das 50ste Jahr. Fast bei allen war
die Gesundheit zerrüttet, und ihr Vermögen zur Verrich-
tung von Geschäften auf mannigfache Weise geschwächt.
Greise, welche an Blutflüssen aus den oberen Thcilen,
besonders aus der Nase litten, liefen nicht so häufig Ge-
fahr durch heftigere Zufälle, wenn eine Gewöhnung an
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165
jene Blutflüsse aus der Jugend, wo diese häufiger einge-
treten waren, sich in das höhere Alter fortgepflanzt hatte.
Inzwischen blieben sie auch in diesen Fällen nicht von
manchen Beschwerden verschont, und dies um so weniger,
wenn keine solche Gewöhnung statt fand, vielmehr Gele-
genheitsursachen zur Unterdrückung anderer Blutflüsse, de-
ren Stelle dann das Nasenbluten vertrat, Veranlassung ge-
geben hatten, und letzteres wurde dann in einigen Fällen
unmäfsig. . • . • • .
Alle Weiber, bei denen sich noch Blutungen aus dem
Uterus einstellen, pflegen nur noch kurze Zeit zu leben,
und es trägt diese Prognose selten, wenn nicht ein ge-
schicktes und gelindes Heilverfahren frühzeitig vorbeugt,
dagegen die Anwendung zusammenziehender Arzneien den
üblen Ausgang nur beschleunigt.
Mit einem Worte, alle Krankheiten, nnd besonders
die Blutflüsse werden von desto zahlreicheren und ernst-
hafteren Beschwerden begleitet, je mehr sie von der Re-
gel abweichen, indem sie theils eine unmä&ige Stärke er-
reichen, theils ungewöhnliche Wirkungen hervorbringen-
i In Betreif der Ursachen macht sich im jugendlichen
Alter, besonders in dem frühesten,- die erbliche Anlage als
eine solche höchst wirksame geltend. Nach den herrschen-
den ätiologischen Begriffen sollen zwar auch zufallig ein-
wirkende Dinge, z. B. gewisse Arzneien, dergleichen dem
Lebensalter unangemessene Blutflüsse erregen können. 1 Da
aber die speeifische Wirkung jener Arzneien, z. B. der
Emmenagoga, noch sehr ungewiß ist; so fehlt es uns an
bestimmten ' Erfahrungen hierüber. Nie habe ich gehört,
oder zu beobachten Gelegenheit gehabt , dafs die Myrrhe,
von welcher man bei jüngeren Personen einen so häufigen
Gebrauch macht, bei ihnen jemals Blutungen aus dem Ute-
rus: hervorgebracht hätte. Dasselbe gilt von den Hämor-
rhoiden, welche: mir bei obwaltender Disposition durch
die Myrrhe, oder , durch .einen übermäßigen Gebrauch der-
selben erteugt xu werden pflegen. Mir ist ein merkwür-
r
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digcs Beispiel der Art von einem 23 jährigen Jüngling be-
kannt geworden, welcher erzählen hörte, dafs ein damals
berühmter chemiatrischer Arzt einmal des Jahres ISO Tro*
pfen von dem Elixir propriefaiis Paracelsi als ein Pro-
phylaktikutn gegen alle Krankiieiten zu nehmen pflegte.
Jener, weicher ein sanguinisch- phlegmatisches Tempera-
ment hatte, übrigens aber eine blühende Gesundheit ge-
nofc, machte diesen Versuch nach, erlitt aber darauf eine
mit Angst und Hitze verbundene Wallung des Blutes in
den Hypochondrien und Präkord ien sowohl, als im gan-
zen übrigen Körper. Am folgenden Tage traten grofse Hä-
morrhoidalknoten mit heftigen und hartnäckigen Schmer-
zen hervor; und in seinem ganzen übrigen Leben kehrten
diese Beschwerden mehrmals wieder. Bei dieser Gelegen-
heit verdient noch bemerkt zu werden, dals der häufige
Gebrauch jenes Elixirs bei Bejahrten beinahe gewifs die
Hämorrhoiden zum Ausbruch bringt.
Der Erfolg solcher unzeitigen Blutflüsse ist jederzeit
anomal und unmäfsig; aber auch bei Bejahrteren kommen
dergleichen unregelmäfsige Blutflüsse vor, welche sowohl
an sich, als durch mannigfache bedeutende Beschwerden
bei ihrem behinderten Erfolge anomal und ausschweifend
werden. r, .tu ,1.
Vor kurzem beobachtete ich solche Fälle an zwei Män-
nern, welche über 50 Jahre alt, mit einer blühenden Kon-
stitution und einer ungestörten Gesundheit ausgestattet, bei
einem wenig bewegten Loben sich den reichlichen Gcnufs
geistiger Getränke erlaubten. Es herrschte damals eine
Witterung, deren epidemischer Einflufs Kongestionen nach
dem Kopfe, anginöse Anschwellungen des HklsesfParotiden-
gesch wülste und heftigen Stockschnupfen erzeugte. Beide
Männer wurden von einem unmfifsigen Nasenbluten befall
len, welches mehrere Stunden atihielt und dadurch Er-
schöpfung brachte. Einer von ihnen litt schon seit eini-
gen Jahren an einem sehr beengten Athcm holen und Keu-
chen; zugleich aber 'auch an hypochondrischen Beschwer-
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167
den, solche nach Gemüthsbewegungen in so heftigen An-
fällen auftraten, dafs sein At Innen höchst belästigt . und
sein Gemüth mit einer Traurigkeit, welche ihn zürn Wei-
nen nöthigte, erfüllt wurde. Spaterhin hatte sich ein Hä-
morrhoidalflufs eingestellt, auch waren zur rechten Zeit
einige Aderlässe unternommen worden, und hierauf ver-
schwand das Asthma einige Monate nach jener profusen
Blutung völlig, so wie die hypochondrisch - melancholischen
Beschwerden bedeutend erleichtert wurden. Einige Jahre
später hatte er mit schweren Sorgen und Kummer zu käm-
pfen, und da er im Genufs hitziger Getränke kein Maafs
hielt, so setzte ein hektisches Fieber seinem Leben ein
Ziel, nachdem er den unglücklichen Versuch gemacht hatte,
mit scharfen harzig - aromatischen Elixircn und ähnlichen
fälschlich sogenannten Magen- und Herzstärkenden Mitteln
seine gesunkenen Kräfte wieder aufzurichten.
Bei dem zweiten Kranken war das Nasenbluten so
profus gewesen, dafs es von der 8tcn Morgenstunde bis
zur 6ten Abendstunde fast ununterbrochen angehalten und
eine Ohnmacht zuwege gebracht hatte. Seit vielen Jah-
ren war er an häuGge Hämorrhoidalblutungcn gewöhnt ge-
wesen, welche seit den letzten drei Jahren aufgehört halten.'
Es kann hierher auch der früher erwähnte Fall eines
Mannes gerechnet werden, bei welchem zur Gewohnheit
gewordene Hämorrhoidalblutungen sich späterhin vermin- -
derten, während er sich dem Genufs geistiger Getränke
ergab. Danach entstanden heftige' Anfälle von Schwindel,
welche indefs nach Blutentziehungen aufhörten. Eben sti
verdient eine Beobachtung Salmuth's nachgelesen zu wer-
den, wo ein nach langem Ausbleiben der Hämorrhoiden
entstandenes entsetzliches Kopfweh durch den Gebraücli
des Euphorbium in^Pillen, wonach die Hämorrhoiden wie-
derkehrten, gehoben wurde.
; Eine besondere Erwähnung verdienen noch die nnr£
gelmäfeigen Blirtfftissc; welche nicht von selbst entstehet!.
Man Rani» freflieh Von ihnen nicht a priori voraüshe%*nv
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168
men, ob sie schädlich 6ein werden; wenn sie aber erfolgt
6ind, wird es allerdings wichtig, auszumitteln, wie sie in
dem einen Falle nnd zu der einen Zeit mehr als in und
zq anderen entweder sogleich eine Gefahr, oder erst für
die Folge ernsthafte und vielfältige Beschwerden bedingen.
Insbesondere gehört hierher die unpassende Anwendung der
kunstlichen Blutentziehungen, welche anstatt zu nutzen,
dem Kranken nur Nac^theil bringen.
Das Unangemessene dieser Blutungen liegt sowohl in
der Zeit, als in der Stelle des Körpers, wann und wo sie
erfolgen. In ersterer Beziehung mufs zuvörderst das zarp
tere Alter genannt werden* denn obgleich die Natur im
Knaben- und selbst im anfangenden Jünglingsalter Blutun-
gen aus der Nase veranstaltet, so ist es doch wegen der
Folgen keinesweges sicher, reichlich Blut zu entziehen.
Auch darf man in diesem Alter von den fruchtlosen An-
trieben zu Blutungen durchaus nicht so grofsen Schaden
befürchten, dals es an ihrer Stelle eines kunstlichen Aus-
gleichungsmittels bedürfte, sondern man reicht mit einer
einfacheren Methode, welche sich auf eine passende Diät
und einige andere Hülfsmittel beschräukt, völlig aus. Die
Unsicherheit jener Blutentziehungen ist aber so zu verste-
hen % dafs die Natur, wenn sie irgend etwas mit Anstren-
gung durchsetzt, dies Wirken weit weniger leicht zur Ge-
wohnheit macht, als ein solches, welches ihren Bestrebun-
gen entspricht und Genüge leistet, und zugleich mit großer
Leichtigkeit von Statten geht Piese Betrachtung ist bei
( #er Anwendung künstlicher Hülfsmittel wohl zu beherzi-
gen, damit man nicht durch einen der Natur zu bereitr
willig geleisteten Beistand in Bezug auf die Lebensthätig-
m m demselben. Mifsgriff verleitet werde,, der jn sittli-
cher Bez^ehun^ oft so üble Folgen nach sich zieht, und
darin besteht, dafs die Natur durch eine unkluge Nack
giebigkeit zu empfindlich, in der Folge zu ungeduldig, und
in je,dcr Beziehung hartnäckig wird. Ja es kommt dann
sc£o fll zeitig dahin, dafs sie aus Widerwillen nachlässig in
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169
ihrem Wirken wird; oder sie nimmt dabei einen unge-
wohnten leichtfertigen^ Charakter an, der
ihr zur Gewohnheit geworden, späterhin bei Anstrengun-
gen in der grölst cn Heftigkeit aufbrauset, wenn man ihr
früher alles leicht gemacht hatte, und in der Folge ihr
nicht auf die thätigste Weise zu Hülfe 'kommt.
So viel ist gewifs, daJs in diesem Alter die Beschwer-
den und Gefahren, die man durch Blutentziehungen ver-
hüthen und entfernen könnte, keines weges einen so ho-
hen Grad erreichen,: dafs sie sich nicht durch ein anderes -
Heilverfahren wirksam bekämpfen Helsen. Bleibt letzteres
unzulänglich, so werden auch jene sich nicht hülfreich be-
weisen. « ••••• • •
Auf gleiche Weise wird die Anwendung der Blutent-
ziehungen in denjenigen Krankheiten unzeitig ausfallen, bei
denen zwar die Mitwirkung einer übermäfsigCn Blutmenge,
und das Bestreben der Natur zur Ausleerung derselben im
Spiel ist, wo aber der Zustand mehr als Wirkung jener
Ursachen gedacht werden muls, als dafs diese noch im fort-
währenden Wirken begriffen wären, wo man dann durch
Entfernung derselben Hülfe bringen könnte. Denn,
1) das Aderlais hebt eine solche Krankheit nur sel-
ten, und zwar aus dem Grunde, weil letztere besonders
in unserer Gegend und Klima selten einen einfachen und
ächten Charakter annimmt.
■ »■• Ä) Durch Aderlässe wird gewöhnlich nur eine geringe
Menge Blut entzogen, und sie können dann jene Krankhei-
ten nicht heilen, welches ein reichlicheres vermögt hätte*
3) Die Erscheinungen der Krankheit sind meisten-
theils eben so verworren, als letztere von einem einfachen
Charakter abweicht; in diesem Falle könnten ihnen aber
nur unzureichende ßiutentziehungen entsprechen, daher ihr
Nützen nicht nur verloren geht, sondern sie gewöhnlich
sogar zum Schaden gereichen. Hieraufhat man bei dem
Gebmach der Aderlässe in den Fiebern besonders zu achten.
4) Vorzüglich mufs man aber bedenken, dafs die Na-
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170
tur, wenn man ihr bei ihren Anstrengungen, und bei ih-
rem beharrlichen Bestreben, das Lästige mit gesteigerter
Kraft auszutreiben, einmal auf eine solche Weise zu Hülfe
gekommen ist, diese Willfährigkeit zu ihrem Nacht heil auf-
nimmt, denn bei späteren geringfügigen Gelegenheiten bricht
sie mit gleichem Ungestüm los, und sie läfst sich dann
nicht leicht auf andere Weise beschwichtigen, als mit eben
solcher Nachgiebigkeit. So werden dann nicht nur die näm-
lichen, sondern auch verwandte Krankheitszufälle schnel-
ler, heftiger und in wiederholten Rückfällen herbeigeführt,
wo es weit sicherer gewesen sein würde, au&er den An-
fallen der im rohigen Wirken begriffenen Natur zu Hülfe
zu kommen, und vorbeugend dasjenige zu entziehen, was
während ihres aufgeregten Zustandes mit zügelloser Hastig-
keit bewegt war. •, i >,
Ein dritter Fehler bei der Anwendung der Blutent-
ziehungen wird dadurch begangen, dafs man dazu gewisse
eigentümliche Zoitverhältnisse benutzt, zuweilen nur* aus
zufalliger Unbedachtsamkeit, zuweilen, aber auch aus wirk-
licher Unwissenheit. Eben so wenn man dabei die Ver-
schiedenheit der oberen und unteren Körpertbeile, und den
dadurch bedingten Nutzen und die Richtung der Blutent-
leerung aufser Acht läfst • So ist es z. B. eine Verwegen-
heit, eine ' reichliche Blutentziehung aus den oberen Kör-
perteilen zu veranstalten, wenn gerade die Menstruation,
oder ein wohlgeregelter, an bestimmte Zeiten gebundener
Hämorrhoidalilufs im Gange ist. Dies gilt besonders, wenn
jene Blutflüsse sehr reichlich zu erfolgen pflegten, oder
wenn sie an regelmäfsige Perioden gebunden, nur mit Be-
schwerde und Anstrengung zum Ausbruch kommen kön-
nen. Wird nun dem Blute an einer anderen Stelle oin
weiter und bequemer Ausgang eröffnet; so kehrt es in der
Folge leicht dahin zurück, da die Natur jene Nachgiebig-
keit nicht vergifct.* - ... ..^ tv ■• rmi.v
••■ Ein vierter Irrthum beim Aderlafs betrifft überhaupt
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die nachlässige Verwechselung der ehern und untern Kör-
perteile sowohl während der verschiedene» Altersstufen,
als besonders beim weiblichen Geschlechte. Wenn die Na-
tur nach den unteren Theilen hinwirkt, so wird eine an
denselben veranstaltete Blutentziehung ein weit gröfseres
Wohlbefinden verursachen, wenn man leine günstige Zeit
dazu ausgewählt hat. Das Nützliche oder Schädliche eines
(wohl oder übel) angestellten Aderlasses wird besonders
dann stark hervortreten, wenn unter gedachten Umstän-
den von selbst eine Kongestion des Blutes nach den obe-
ren Theilen dringt, und daselbst keinen Ausweg findet
Eine über 25 Jähre alte Frau litt bei «nrcgelmäfsiger
Menstruation vielfaltig, ja fast ununterbrochen am heftig-
sten Kopfweh. Nachdem sie ihre Blutscheu überwunden
und ein angerathenes Aderlafs am Fufoe gestattet hatte,
erlangte sie unter dem gleichzeitigen Gebrauche anderer
passenden Heilmittel, vorzüglich der Fufsbäder, dafs ihr
Kopfweh häufiger aussetzte, und bedeutend gelinder wurde.
So verstrichen oVei Jahre, während welcher sie zur Zeit
des Frühlings und Herbstes dieselben Hülfsmittel gebrauchte,
und sich dabei recht wohl befand, ohde einen der frühe-
ren lieft igen Anfälle zu erleiden. In einem Herbste kehr-
ten die Menstrualbeschwerden sowohl als das Köpfweh
stärker wieder, daher sie denn wieder zum Aderlafs ihrti
Zuflucht nehmen wollte. Der Barbier hatte dasselbe zwei-
mal vergeblich am Fofse versucht, und da die Kranke auf
die Ausführung 'desselben drang, um nicht von neuem mit
ihrem Widerwillen dagegeu kämpfen tu müssen, so liefe
sie sich von ihm überreden, es sei- einerlei, ob da* Bin«
aus dem Arme oder Fufse entzogen werde. Sie willigte*
daher ein, sich aus erstcrem 4 Unzen Blut entziehen zu
lassen,' 4 drei Stunden später wurde sie aber vou einem so 1
gewaltigen und hartnäckigen Kopfschmerze befallen, wie
sie Ihn iir ihrem Lehen noch nicht erlitten hatte. Dabei
schwoften die Adern am Kopfe beträchtlich auf, und die
* ■
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Augen wurden so stark hervorgetrieben, dafc sie ein gani
entstelltes Ansehen bekam, ja bei stark erweiterten Pu-
pillen gleichsam amaurotisch wurde. Doch befreite sie ein
Arzt drei Wochen später von diesem Uebel.
Zwar bat man absichtlich Aderlässe an den oberen
Theilen vorgenommen, wenn die Blutflösse aus den nach
unten gelegenen Organen nicht regelmäßig erfolgten, um
dies Geschäft vermöge einer Revulsion nach oben abzu-
machen; es wurde aber schon bemerkt, da fs die Bluttriebe,
wenn sie bei ihrer Wiederkehr eine Richtung nach oben
nehmen, sich nicht in den Schranken der Mäfcignng haL
ten, soudern zu beschwerlichen, selbst gefährlichen Folgen
Veranlassung geben, da diese Richtung des Blutlaufe dem
in Rede stehenden Alter nicht angemessen ist. Ueberdies
ist eine solche Unterbrechung der Blutflüsse, welche aus
den abwärts gelegenen Organen erfolgen sollen, in Bezug
auf die Zukunft stets gefährlich. Denn wenn ein dem Le-
bensalter nicht angemessener Blutandrang nach den oberen
Theilen statt findet; so können daraus nur üble und ge-
fährliche Folgen hervorgehen, z. B. Beschwerden in den
Hypochondrien, auf der Brust, Katarrhe, Stickflüsse, Schwin-
del, Apoplexie, Lahmung, anomale Gichtanfalle.
Noch ein Fehler, welcher bei dem Gebrauch der Ader-
lässe begangen wird, .bezieht sich auf die Menge des ent-
zogenen Blutes. Theils ist letztere zu gering, und da«
Ausströmen des Blutes durch eine kleine Aderotfnung be-
hindert; theils wird zu viel Blut ausgeleert, entweder mit
einem male oder in zu häufigen Wiederholungen. : Oder man
hat auch dazu nicht die rechte Zeit ausgewählt Am häu-
figsten versieht man es darin, dafe man ein Aderlafc, wel-
ches einen wirklichen Heilzweck erfüllen sollte, zu gering
anstellt, wodurch der Nutzen desselben, wenn der Kranke
nicht zu empfindlich ist, vereitelt, ja selbst zu stärkeren
Biutwailungen Gelegenheit gegeben wird. Zu stark <wefr
den die Aderlässe, wenn überhaupt mehr Blut duuek sie
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173
»
entleert wird, als oothwendig war, und wenn auf die
Gröfse, Kraft und Vollblütigkeit, wie sie den Individuen
nach verschieden ausfallen, gar keine Rücksicht genommen,
sondern überall die gleiche Menge entzogen wird. Auch
ist es sehr zu tadelny wenn Kranke aus eigenein Wagnifs
oder auf den Rath unverstandiger Menschen das Adferlafs
wiederholen, und wenn bei Anordnung desselben die gün-
stige Zeit nicht beachtet wirdt : Pie* Jmtnfft besonders die
Blutentziehungen im Sommer während der größten Hitze.
, \ Es bleibt uns noch von.den Skariükationen und» ihrer
mehr oder .weniger angemessenen, Anwendung zu reden
übrig. Sic passen überhaupt nur für Personen von sehr
schwammigem Körperbau, und dienen weniger zur Aus-
leerung, als zur Ableitung, zumai bei angestrengten und
hartnäckigen Kongestionen nach dem Kopfe und rheuma-
tischen Zufällen. Zwar bezeigen sich die Skariükationen
nur bei wiederholter Anwendung wirksam; doch bleibt
ihr zu freigebiger Gebrauch, jeden Monat und gegen die
mannigfachsten Krankheitszußffle zu Jeder Zeit und bei je-
der Richtuug derselben fehlerhaft. Man mufs sie nämlich
in ein gehöriges Verhältnifs zu den Jahreszeiten, der Wit-
terung und den übrigen zufällig einwirkenden Ursachen
bringen. Der gröiste üebelstand bei einem solchen Schlen-
drian ist aber, dafs dadurch eine Gewöhnung begründet
wird, deren nachtheiliger Erfolg ein doppelter ist. Theils
nutzen diese Blutentziehungen, wenn sie sich auch anfangs
wirksam bewiesen, zuletzt um so weniger, je gröfeeren
Musbrauch man von ihnen gemacht hatte; theils ist es ge-
radezu schädlich, sie späterhin zu unterlassen, wenn sie
auch keinen deutlichen Nutzen mehr gewähren.
; Von den Skariükationen gilt ferner die schon bei den
Aderlässen ausgesprochene Warnung, dafs man dabei nicht
die dem Alter angemessene Richtung der Blutflüsse auiser
Acht lassen müsse. Man darf daher bei Bejahrten, so wie
auch bei manchen jüngeren Personen nicht häufiger Schröpf-
174
köpfe an die oberen als an die unteren Thefle des Kör-
pers setzen, denn es wird dadurch zu anomalen gichtischen
und rheumatischen Anfallen Gelegenheit gegeben.
Endlich ist noch etwas über die Unterlassung ange-
wöhnter künstlicher Blutentzirhumswi zu sagen. Es kann
in dieser Beziehung auf mehrfache 'Weiser ein Fehler be-
gangen werden. Hierher gehört* zuvörderst der' Fall, wo
sehr h8ußg > wiederhoHe i AdeH«l8se das nicht mehr alles und
allein leisten kötfnen* was man unverständiger Weise von
ihnen erwartet, oder wo man das Gote, was sie noch be-
wirken konnten* dnrch ein zweckwidriges Verfahren ver-
nichtet. Man glaubi dann die Blutentziehung unterlassen
zu dürfen, welche, wenn sie auch an sich keinen Nuhen
mehr --bringt» doch nicht ohne Naehtheil versäumt werden
darf. " ' r '"
Ferner herrscht in Bezng auf bejahrte Personen, -ja
selbst auf junge Schwindsüchtige, und solche, welche we-
gen Störungen im Kreislauf an Tabes zu leiden scheinen,
das thörigte Vorürtheil, dafs es für solche Kranke heilsa-
mer sein würde, wenn sie sich das Blut in den Leib kau-
fen könnten, als wenn sie es aus Verwegenheit verschwen-
deten. So lange der Kranke noch einen leidlichen Appe-
tit zum Essen nnd Trinken hat, ist jene Redensart, was
die Bttttmenge betrifft, albern, auch- in Bezug auf die Be-
schaffenheit des Blutes ist dieser Rath unstatthaft; so wie
überhaupt eine zweckmässige Entziehung desselben niemals
zu viel wegnimmt, vielmehr Hülfe Schafft.
So viel ist gewifs, dafs die bei dazu geeigneten Sub-
jekten auf die rechte Weise veranstalteten Blutentziehun-
gen eine solche Wirkung hervorbringen können, daß nicht
nur der Verlauf, und die Erfolge der entsprechenden Krank-
heiten mächtig beschränkt, sondern -dafe auch der besseren
Wirkung der angemessenen Arzneien der Weg gebahnt
Wird. Nicht nur*- gewinnen die Krabken bedeutend dabei,
dafs sie von vielen unnützen Arzneien und Vorschriften
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I
175
» * * •
verschont bleiben; sondern der redliche Arzt sichert am
besten seinen guten Ruf und sein Gewissen, wenn er, was
auf andere Weise sich nicht erreichen läfst, durch eine
vorsichtige und kluge Anwendung der Aderlässe bewirkt
Die speciellen Mifsgriffe, welche bei dem Gebrauche
der letzteren vorkommen, gehören nicht in die Theorie,
werden sich aber einem aufmerksamen Praktiker leicht ver-
1
•
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Zweiter Abschnitt.
Von den speciellen kongestiven
Krankheitszustan den.
Es war früher schon von der nächsten Bedingung der An-
triebe zu Blutflüssen, nämlich von den Kongestionen des
Blutes nach den Organen die Rede, welche zu einer Aus-
leerung desselben besonders geeignet sind. Wenn letztere
in ihrem freien Fortgange behindert wird, so dauert das
Bestreben, dieselbe durchzusetzen, hartnäckig fort; die zu-
rückstauende Blutmenge lagert sich gleichsam auf das lei-
dende Organ ab, häuft sich in ihm an, woher denn man-
nigfache Beschwerden entstehen , welche sich als weiter
verbreitete Anhäufung und Zurückstauung des Blutes, zu-
weilen selbst als eine völlige Stockung und endliche Ver-
derbnifs desselben zu erkennen geben. Wenn das Blut
durch eine langwierige und bedeutende Stockung in einem
Organ, ja in einer ganzen Gegend zurückgehalten wird,
so kann eben wegen dieser Bedingung und wegen des
Drucks, den das Blut von den festen Th eilen erleidet,
überhaupt eine Abscheidung einiger seiner Bestandthcile
von der ganzen Masse, und ein tieferes Eindringen der-
selben (in das Parenchym) zu Stande kommen, wo dann
die Krankheitsformen nicht allein mehr durch das Blnt be-
dingt werden.
Wäh-
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177
/
Während daher die Wirkung der Kongestionen als sol-
cher fast ausschliefst ich, wenn man einige einfache Arten
von Schmerzen abrechnet, auf die Erzeugung von Entzün-
dungen gerichtet ist; bringt dagegen die weitere Zersez-
zung des Blutes, nämlich die Absehcidung eines Theils von
seiner ganzen Masse, je nachdem von dem verdünnten Blute
noch mehr oder weniger beigemischt bleibt, entweder Pbleg-
moucn, Bosen, Bheumatismen, oder einfachere Krankheits-
formen, schleimig- seröse Katarrhe oder lymphatischen Spei-
chelfluis hervor.
Bei der Abhandlung dieser Krankheiten werde ich 'die
Ordnung befolgen, dafs ich zuerst diejenigen betrachte, wel-
che von einer blofsen Zurückstauung und einer einfachen
ausdehnenden Verstopfung entstehen. Hierauf soll von den
Symptomen der aktiven Verstopfungen , und zuletzt von
den verschiedenen Arten der Verderbnifs, welche daraus
entspringen, die Bede sein. Im Besonderen werde ich noch
die Anordnung treffen, dafs ich die krankhaften Erfolge,
welche vornämlich von dem vorherrschenden Blute abhän-
gen, voranstelle, hierauf diejenigen folgen lasse, denen eine
blutig -lymphatisch -seröse Materie zum Grunde Hegt, und
zuletzt von solchen rede, bei denen eine Stockung unblu-
tiger oder lymphatisch -seröser Materie statt findet.
Ehe ich mich jedoch auf das Einzelne einlasse, mnfs
ich vorher noch mit einigen Worten der allgemeinen Be
dingungen gedenken, welche den pathologischen Grundbe-
griff dieser Krankheiten ausmachen, nämlich den Charak-
ter ihrer Anfälle betreffen, welche sich an zufällige oder
feststehende Perioden binden. Diese Bedingungen sind fol-
gende:
„, 1) Jene mannigfachen Kongestionen stehen meisten-
theiU in so enger Beziehung zu den Antrieben zu Blut-
flüssen, dafs sie dieselben begleiten, ihnen nachfolgen, ihre
Stelle vertreten.
2) Vorzüglich treten sie in unbestimmten Anfällen bei
Gelegenheit einer gesteigerten Sensibilität des Körpers und
Stahl'f Theorie d.HeÜk. III. 12
178
der Seele au£. Häufig binden sie sich auch an bestimmte
Perioden, besonders wenn sie sich zu eben so feststehen-
den Blutflüssen gesellen, oder wenn sie znr Gewohnheit
geworden sind.
3) Aach darin stimmen die Kongestionen dem Wesen
und Charakter nach mit den Blutflüssen uberein, dafs sie
gleich diesen einen stellvertretenden Wechsel in Bezug auf
Bewegung und Organ zulassen, nämlich bald nach einem
Thcil, der früher ihnen schon unterworfen war, bald nach
einem entgegengesetzten dringen, welcher mit jenem nur,
in entfernter Verbindung steht. So wenden sie sich denn
nicht blos nach dem Kopfe, der Brust, den Hypochondrien,
den Gedärmen, Nieren, dem Uterus, also nach innen, son-
dern sie gehen auch nach dem Nacken, der Schulter, dem
vorderen Theil der Brust, dem Rücken, den Lenden, dem
Kreuzbein, den Hüften, Oberschenkeln, Knieen, Unterschen-
keln, Füisen, indem sie sich häufig zu deutlichen Antrie-
ben zu Blutilüssen gesellen. Dies gilt besonders in den
Fällen, wo gewohnte Blutflüsse bei Fortdauer der erregen-
den Ursachen ausbleiben, weil dann kongestive Erscheinun-
gen am gewissesten eintreten.
• «
#
Erstes Kapitel.
Von den kongestiven Schmerzen.
In der speciellen Pathologie wies ich den Schmerzen
den letzten Platz unter den allgemeinen Wirkungen der
Kongestionen an, und zwar deshalb, weil sie nicht sowohl
unmittelbar aus denselben entstehen, als sie vielmehr häu-
figer durch die krampfhaften Bewegungen und Anstrengun-
gen erregt werden. Unstreitig wenn eine Kongestion im
Spiel ist, hat in formeller Hinsicht jene Anstrengung den
gröfsten Theil an der Entstehung der Schmerzen. Für die
medieuusche Betrachtungsweise hat aber diejenige Bezie-
t •
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179
hung den gröfsten Werth, welche den Weg zur Aufsu-
chung der Heilanzeigen bahnt; und in sofern findet ein gro-
fser Unterschied statt zwischen den Schmerzen, welche mehr
von Kongestionen abhängen, und denen, welche mehr, ja
ausschließlich durch krampfhafte Anstrengungen bedingt
sind. Bei dieser speciellen Abhandlung will ich daher die-
jenigen Zufälle voranstellen, bei denen die Kongestionen
das Meiste leisten, und ich folge hierin dar Naturordnung,
indem ich auf solche einfache Kongestionen die Schmerzen
zurückführe.
§.1. , l ■
Von dem kongestiven Kopfschmerz.
Die einfachste Art des Kopfschmerzes, welche auch
beim einfachsten Verlauf zu einem glucklichen Ausgange
gelangt, ist diejenige, welche bei übrigens gesunden, ja
selbst mit einem blühenden Habitus begabten Personen,
entsteht, bei denen eine stete Völle der Gefafse von ihrem
Blutreichthum zeugt, und welche durch ein kräftiges Alter
und Naturell sich auszeichnen. Zuweilen verbreitet sich
dieser Schmerz durch den ganzen Kopf, in anderen Fällen
befallt er vornämlich den Scheitel, die Stirn, die Schläfen.
Ja, er beschränkt sich selbst sehr häufig auf die Nasen-
wurzel, wo dann die Kranken nach innen zu ein Brennen,
und im Siebbern einen starken Druck empfinden. Fast
immer klagen sie aber zugleich über ein stark drückendes
oder stechendes Gefühl im Innern des Augapfels.
Gewöhnlich verbindet sich damit eine durch Berüh-
rung deutlich wahrzunehmende Hitze der Stirn und der
Schläfen-, dabei röthet sich gemeiniglich das Gesicht, wenn
nicht etwas Krampfhaftes zugleich Antheil an dem hefti-
gen Schmerz hat, in welchem Fall Blässe, oder eine un-
gleichförmig vertheilte Röthe wahrgenommen werden. Hat
der Kranke einen schwammigen Habitus, so ist die Röthe
meistentheils mit einer Anschwellung und Gedunsenheit
des Gesichts verbunden; oder wenn sie sich auch im Ge-
12*
180
siebt nicht deutlich wahrnehmen läfst, so findet man sie
wenigstens an den Gefäfsen der Schläfen und des Halses.
Eben so wenn auch die Augen nicht durchweg geröthet
sind, so erscheinen doch ihre Gefafsc merklich aufgetrie-
ben; zugleich leiden sie an vielen Beschwerden, da ihre
Sehkraft vermindert ist, und sie unfähig werden, ein hel-
les Licht zu ertragen.
Die Schmerzen hören auf zwiefache Weise auf, ent-
weder sie lassen allmählich nach, oder sie haben irgend
eine Ausleerung zur Folge. Jenes Aufhören tritt entwe-
der zeitig nnd schnell ein, oder es erfolgt erst sehr spät
nach langer Anstrengung. Jenes geschieht mehr bei jün-
geren und männlichen Personen; letzteres besonders bei
Bejahrten, vorzüglich aber bei Weibern; am spätesten bei
denen, welche schon daran gewöhnt sind, und wo die
Schmerzen in heftigen Anfällen auftreten. Letztere pfle-
gen dann eine bestimmte Zeit hindurch anzudauern, ehe
sie verschwinden.
*
Das Aufhören vermittelst Ausleerungen wird beson-
ders durch reine Blutungen bewirkt, welche vorzuglich
bei jungen Personen früher oder später entstehen, durch
Ausleerung die Verstopfung und mit ihr das Gefühl der
Ausdehnung hinwegnehmen. Unter alltäglichen Fällen der
Art beobachtete ich einen bei einem 20jährigen Jünglinge,
der, so oft er Wein trank, weder sich mäfsigen, noch ein
leichtes Uebermaafs davon ertragen konnte. Seit länger
als 3 Jahren hatte er sich zu wiederholten Malen schrö-
pfen lassen, vernachlässigte dies aber, und da er zugleich
eine sanguinisch -phlegmatische Konstitution hatte, so wurde
er, zumal um die Zeit der Nachtgleichen, von heftigeren
Kopfschmerzen befallen, welche auch außerdem gewöhn-
lich nicht leicht waren. In der früheren Jugend hatte er
sich durch viele Körperbewegungen und häufiges Wein-
trinken sehr oft Nasenbluten zugezogen, welches aber auch
damals nicht gehörig erfolgte, daher es zu Augenentzün-
dungen kam, gegen welche die Skarifikationen in Anwen-
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dang gesetzt wurden. In seinem späteren Alter trat das
Nasenbluten weit seltener ein. Zweimal geschah es in-
dels zur Frühlings- und Herbstzeit, dafs nach einem drei
Tage hindurch anhaltenden heftigen Kopfschmerz eine Na-
senblutung erfolgte, bei deren Beginnen jener sogleich ver-
schwand.
Bei anderen erscheinen diese Ausleerungen als ein
Schleimflufs aus der Nase, oder als ein Thränenergufs; ja,
wenn die Schmerzen eine entzündliche Natur haben, so
erfolgt ein Eiterausflnfs aus der Nase und den Ohren. Diese
Fälle gehören jedoch mehr in die Klasse der Katarrhe und
Entzündungen, und verdienen hier um so weniger eine aus-
führliche Erwähnung, als sie in ihrer allgemeinen Entste-'
hungsweise, in sofern nämlich die Ursache der Schmerzen
gleichfalls durch eine Kongestion des Blutes bedingt wird,
mit den jetzt betrachteten Zufallen übereinstimmen.
Da diese Ausleerungen ihre heilsame Wirkung durch
Entfernung, Verringerung und Verhüthung der Schmerzen
deutlich bezeugen ; so liegt hierin auch der historische Be-
weis, dals gedachte Ursachen das Vermögen besitzen, der-
gleichen Krankheitszufalle hervorzubringen. Selbst dem
Volke ist es nicht unbekannt, dafs das Ausbleiben gewohn-
ter und erforderlicher Blutungen dergleichen Kopfschmer-
zen zur Folge hat, z. B. bei Weibern eine gänzliche Un-
terdrückung, und selbst nur eine Verringerung der Men-'
struation. Auch bei Männern, sogar den jüngeren köm- -
men sehr häufige Beispiele vor, dafs sie so lange von
Schmerzen verschont bleiben, als sich gewohnte Blutflüsse
einstellen , deren Aufhören dann zu jenen Veranlassung
giebt; Desgleichen verräth sich bei Bejahrteren dieser Zu-
stand, welcher sich bei ihnen sonst durch Blutungen zu
entscheiden pflegte, wenn diese ausbleiben, durch ander-
weitige Zufalle, Schwindel , Stumpfheit und Trägheit des .
inneren Sinnes, durch Schwäche des Sehens und Hörens,
und durch Fehler des Geschmacks und Geruchs, besonders
aber «auch dan&iSokaleictotfJl < ' » ^ *vnih+h3$ ia&h
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Die Kenntnifs dieser ursächlichen Bedingungen molk
daher dem Arzte den Weg zu einem ihnen entsprechen-
den Heilverfahren bahnen, indem er allein durch Ableitung,
Verringerung, Entziehung derselben vorzüglich aber durch
Wiederherstellung der unterdrückten Ausleerungen Hülfe
schatten kann. Auf entferntere Weise kann er der Krank-
heit vorbeugen, wenn er eine passende Lebensordnung in
Bezug auf Speisen, Getränke und Bewegung vorschreibt,
und die erforderlichen Exkretiooen im Gange erhalt. Er
wird dann von dem tbörigten Beginnen abstehen, eine rei-
zende, nagende, stechende Schärfe der Säfte verbessern zu
wollen, und sich des höchst unpassenden Gebrauchs der
narkotischen Mittel enthalten. Denn alle solche Kurver-
suche sind nicht nur vergeblich, sondern bringen Unord-
nung in den Gang der Krankheit, und schaden dem allge-
meinen Gesundheitszustande.
6. 2.
Von der Cephaläe. ,
Unter diesem Namen verstehen die Aerzte einen sehr
hartnäckigen, beinahe anhaltenden Kopfschmerz. Der wirk-
lich andauernde Schmerz mufs besonders von demjenigen
unterschieden werden, welcher durch geringfügige Veran-
lassungen leicht hervorgerufen wird, daher nicht blos den
Schein der fortwährenden Dauer annimmt, sondern auch
zur Gewohnheit wird. Im letzteren Fall gehört der Kopf-
schmerz mehr zu der im vorigen §. beschriebenen Art, von
weither er sich nur durch seine Gewohnheit, von leichten
Ursachen erregt zu werden, unterscheidet; wenn derselbe
aber anhält, ohne durch deutliche Mitwirkung des Blutes
bedingt zu seht, auch ohne von. einer* speeifischen Ursache
herzurühren, so hat er meistenteils einen rheumatischen
Ursprung. Da indefs Idas Blut den Stoff zu den rheuma-
tischen Kongestionen hergiebt, und häufig auch die wirk-
liche und ursprüngliche Ureacbfe derselben kt, so mufste
dem gedachten Schmerze der PJate hier angewiesen, wer-
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1S3
den. Wenn derselbe aber an einer Stelle festsitzt, nnd
den Kranken ununterbrochen belästigt, ohne deutliche An-
zeigen einer blutigen Kongestion, wenigstens ohne eine sol-
che, welche im Verhältnils zur Gröfse des Schmerzes steht,
so liegt ihm eine Entzündung (i constUutio ulcerosa) oder ein
wirklich ausgebildetes Geschwur zum Grunde. Dasselbe hat
entweder eine einfache Beschaffenheit, oder es entsteht von
der Krätze, von Vereiteningen der Parotis, oder von äufcc-
rer Gewalt, Kontusionen, Verwundungen und übel behan-
delten Geschwüren. Oder es ist Syphilis als eine specüischc
Ursache vorhanden, welche Karies der Knochen und unter
der Haut liegende Geschwüre verursacht; eben dasselbe gilt
von den psorischen und leprösen Materien (inquinamentis).
Die ausgebildete Lepra ist mit Stupor verbunden.
Ich habe mehrere Fälle eines sehr hartnäckigen Kopf-
schmerzes beobachtet, welcher niemals gänzlich aufhörte,
bei begünstigenden Gelegenheiten sich verschlimmerte, mit
mannigfachen Kurversuchen vergeblich behandelt wurde.
Nur wenn man Blutkongestionen nachweisen, nnd dem-
gemäß» das Heilverfahren anordnen konnte, wurde eine
günstige Veränderung bewirkt, und- selbst völlige Heilung
herbeigeführt. Folgende drei Fälle mögen zur Erlänterang
dienen. t •
Eine Edelfrau, etwas über 30 Jahre alt, von guter
Natur und blühendem Habitus, im grofsen Wohlstande le-
bend, doch verwittwet, dabei unfähig, ihr Gemfith in be-
herrschen, und den schädlichen Wirkungen unterdrückter
Leidenschaften sich zu entziehen, zugleich an eine volle
Diät gewöhnt, litt schon seit mehreren Jahren aufs er an«
deren Zufallen an so häufigem Kopfweh, dafs sie fast nie- ■
mals von demselben befreit blieb. Jener Schmerz war
drückend und spannend, zugleich aber auch stechend, nnd
nahm bedeutend zu, wenn sie den Kopf oder 'den Körper
lebhaft bewegte, besonders wenn »das Blut durch Leiden-
schaften, bei Gelegenheit der monatlichen Reinigung,- -nach
dem Genufs schwerverdaulicher Speisen, beim Wechsel der
184
Witterung (ohne der häufig gebrauchten Arzneien zu ge-
denken) in Wallung geriet h. Bei solchen Verschlimme-
rungen wurde der Kopf heifs, es entstand ein Klopfen in
den Schläfen, in den Augen und Ohren wurde Drücken
und Zittern empfunden. Dazu gesellte sich schnell ein
häufiges und nicht gelindes Herzklopfen, und ein eigen-
thütnliches und sehr lästiges Brennen den Rücken entlang,
welches die Kranke tief nach innen fühlte. Häufig ver-
spürte sie Beengung in den Präkordien und Hypochon-
drien, welches sie oft so beängstigte, dafs sie in tiefe
Sehwermuth versank. Die Leibesöflhung war unregel-
mäßig, die Menstruation kehrte zwar zur gehörigen Zeit
wieder* und flofs auch nicht sparsam, doch brachte sie,
bis sie zum Ausbruch kam, eine 'Verschlimmerung des Zu-
stande* hervor. Sie gebrauchte mancherlei Arzneien, Jn-
tkeorbuKca, Martialia, Cephaiica volatilia, selbst Nephri- i
Hc* wegen der brennenden Sehmerzen im Rücken und da-
zwischen Ftna, medictda und verschiedene Abführungen.
Doch dauerte das Leiden fort, stieg sogar. Zuletzt trat
noch Schwindel und eine bedeutende Aufblähung des Ma-
gens hinzu» welche diel Beengung in den Präkordien nicht |
wenig vermehrte. Unter ! diesen Umständen verlangte die
Kranke meinen Beistand. Ich rieth ihr vor allen Dingen,
die früheren Arzneien bei Seite zu setzen* und statt deren
ein Aderlaß* am Fufee vorzunehmen, welches zur Zeit der
Nachtgleiche wiederholt werden sollte. Zugleich verschrieb
ich eine die Menstruation beordernde Arznei y damit die-
selbe, wenn auch nicht reichlicher, doch leichter erfolgen
sollte, und zugleich eine andere die Blutwallungen besänf-
tigende Arznei* Dabei .schärfte ich ihr ein, dafs sie diese
Vorschriften nicht durch einander in Anwendung setzen
sollte^ und versprach ihr, dafs sie bei gehöriger Vorsicht
nicht viele Arzneien uüthig haben werde. Besonders rieth
ich ihr noch den Gebrauch der Fulsbäder. Hierdurch be»
w«kteich r dato die : $rau man-: Jahre hindurch gesund blieb,-
Wi da& ihr.^^lMiltatende.-KfMlnvftr Aen^uad
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185
Arzneien erspart wurden, welche nur ihrer Gesundheit
Abbruch gethan hatten.
Eine vierunddreifsigjährigc Frau, von zartem Körper-
bau und cholerisch -sanguinischem Temperamente, hatte in
ihrer Jugend an unmäfsigem Nasenbluten gelitten, war aber
in ihrer Ehe nach mehrmals überstandenen Wochenbetten
davon frei geblieben. Seit sechs Jahren hatte eie nicht
mehr geboren, und da sie mannigfachen Gern üthsbewegun-
gen ausgesetzt war, erlitt sie starke Kopfschmerzen, wel-
che je länger um so peinlicher und anhaltender wurden,
bei leichten Veranlassungen sich verschlimmerten, und dann
mit einem heftigen Krampf in den Nackenmuskeln verbun-
den waren. Ein zur Hülfe gerufener Arzt verordnete ihr
zur Zeit des Wintersolstitiums die Koloquinthen, wodurch
zwar der Schmerz aus dem Kopf vertrieben, dagegen aber
auf das Kreuzbein versetzt wurde, von wo aus er sich
weiter ausbreitete und in ein schweres Hüftweh überging
u. s. w.
Das dritte Beispiel betrifft eine 25 jährige Frau, wel-
che seit 3 Jahren an einem sehr lästigen, kaum jemals be-
deutenden Kopfschmerz und an Unregelmäßigkeit der Men-
struation, die einmal nach einem unvorsichtigen Arznei ge-
brauch überm als ig erfolgt war, litt. Obgleich sie nicht
sehr vollblütig zu sein schien, und nur in den Antrieben
zur Menstruation eine Anomalie vorherrschte -, so wurden
ihr doch ein Aderlafs am Fuis, nebst Ableitungen vom
Kopfe und Besänftigungsmittel gegen die Wallungen ver-
ordnet, wodurch dann die Menstruation in Ordnung ge-
bracht, und der Kopfschmerz gänzlich vertilgt wurde.
Es läfst sich zwar nicht bezweifeln, dafs diese hart-
näckigen Kopfschmerzen, welche nicht sowohl eine beson-
dere Art ausmachen, als sie sich durch eine stets zuneh-
mende Häufigkeit auszeichnen, durch Kongestionen nach
dem Kopfe unterhalten werden* jedoch mufe man die Mit-
wirkung einer rheumatischen oder katarrhalischen Ursache,
bei ihnen nicht übersehen. Es rauft hier daran erinnert
186
werden, dafs den rheumatischen Kongestionen ursprünglich
wirkliches Blut, nicht aber irgend ein anderer Stoff zum
Grande liegt. Denn überhaupt können Satte nach einem
Theil nur, wenn sie mit der Blutmasse verbunden sind,
hingelangen ; ferner würde eine specifiache Materie zu einer
Ablagerung daselbst untauglich sein, gleichwie jeder Theil
sich nicht zur Absonderung derselben eignet Es gescher
hen also die rheumatischen Ablagerungen nur unter Mit-
wirkung des Blutes, dessen Andrang nach dem leidenden
Theile sich durch die Farbe, Hitze und durch das Gefühl
von Zerschlagenheit in demselben, besonders aber durch
den Umstand verräth, dafs der Rheumatismus mit Blutflöa-
sen in Wechselwirkung steht Es ist daher leicht einzu-
sehen, dafs man bei rheumatischen Kongestionen nach dem
Kopfe auch auf die Beschaffenheit des Blutes Rücksicht
nehmen mnfs, dafs dem Andränge desselben gleichfalls der
Zweck einer Blutergicfsung zum Grunde liegt, und dafs
seine Stockung leicht seine Zersetzung zur Folge hat
Dieser Schmerz, welcher besonders beim weiblichen
Geschlechte häuGg vorkommt, beginnt mit einer Blutan-
h 5 u fang im Kopfe, welche sich durch eine beträchtliche
Auftreibung desselben zu erkennen giebt, und entweder
mit einer starken Rothe verbunden ist, oder nicht. Der
Schmerz erreicht den höchsten Grad von Heftigkeit, und
ist stechend, oder zuckend. In einigen Fällen tritt ein
starkes Gefühl von Brennen, in anderen eine eben so deut-
liche Empfindung von Kalte hinzu. Letztere wird beson-
ders auf dem Scheitel und im Umfange der Scitenwand-
beine empfunden. Gewöhnlich nennt man diesen Zustand
die Rose, welche die Benennung der wciüen fuhrt, wenn
die Röthe fehlt. < „ » . .. . .
Nicht immer tritt die Kongestion so stark hervor, dafs
sie als eine Auftreibung erscheint; desto beständiger ist da-
gegen der hartnackige Sehmerz, welcher, wenn er nicht
richtig behandelt wird, selten oder nie aufzuhören pflegt.
• Unter vielen Bolchen von mir beobachteten Fällen*
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I
187
welche besonders mit der Erscheinung von Kälte verban-
den waren, zeichne ich folgende beiden ans. Eine Frau
von 36 Jahren, welche ungeachtet ihres robusten Anse-
hens keinesweges mit entsprechenden Kräften ausgerüstet
war, und als Hofdame ein müfsiges Leben bei voller Diät
führte, dabei häufig sich erzürnte, und wegen unbefriedig-
ter Anmafsungen in Unmuth versank, überdies von san-^
guinisch- phlegmatischem Temperamente und sehr vollblü-- 1
tig war, wurde, als sie Kummer zu erleiden hatte, und
eine Veränderung ihrer gemächlichen Lebensweise erfahren
mufste, von Kopfschmerzen befallen, welche all mä hl ig an
Stärke und Dauer zunahmen, und bald so anhaltend wur-
den, dafs sie -kaum jemals von sehr lästigen Empfindungen i
frei blieb, vorzüglich wenn sie den Körper, oder auch nur
den Kopf rasch bewegte, z. B. sich schnell aus einer ge-
bückten Stellung aufrichtete, wo dann zu dem heftigen
Schmerze noch ein plötzlicher Schwindel hinzutrat. Die
Menstruation erfolgte indefs regelmässig, auch hatte sie
aufserdem keine besondere Klagen, aufser einer starken
Beengung in den Präkordien, zumal nacb dem reichlichen
Genuls schwerer Speisen. Wenn der Schmerz bei Aufre-
gungen einen bedeutend hohen Grad erreicht hatte, em-
pfand die Kranke ein besonders lästigeis Gefühl von Kälte
auf dem ganzen Scheitel, wobei das Gesicht ungewöhnlich
aufschwoll. Sie wurde durch ein Aderlafs am Fufse, Fufs-
bäder, Salpeter, Unterhaltung der LeibesöfTnung und den
äufseren Gebrauch des Kamphers geheilt.
Eine mehr als 30 jährige Edelfrau hatte länger als zwei
Jahre an einem viertägigen und hierauf an einem gleich-
falls hartnäckigen dreitägigen Wechselfieber gelitten, wel-
ches nach dem häufigen Gebrauch der Chinarinde eben so
eine unregelmäfsige Form annahm, als auch die Menstrua-
tion dadurch gestört wurde, indem sie zwar regelmäfsig
wiederkehrte, jedesmal aber nur einige Stunderi anhielt.
Danach verspürte sie eine kurze Zeit ein sehr empfindli^
ches, den Rücketi hinauf sich verbreitendes Gefühl von
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Brennen, gleich als würde ihr, wie sie sich ausdrückte,
ein glühender Drath in die Höhe durchgezogen. Zugleich
wurde sie von sehr akuten Schmerzen in den Schläfen be-
fallen, als wären daselbst Nägel eingeschlagen, und indem
sie sich über den ganzen Kopf verbreiteten, veranlagten
sie eine sehr starke Empfindung von Kälte. Dabei stellte
sich eine leicht geröthete Anschwellung des Gesichts und
des ganzen Kopfes ein, welche ohne Nachlais bis zum vier-
ten Tage anhielt, und sich dann schnell verlor. Gleich-
zeitig hielt ein Gefühl von Ermattung und Schwäche, Man-
gel an Appetit und Unruhe diese Tage hindurch an, wor-
auf endlich ein vollständiges Wohlbefinden eintrat, wel-
ches indefs durch geringe Veranlassungen leicht gestört
wurde. Erst nach drei Wochen, wenn die Menstruation
abermals bevorstand, stellten sich dieselben Zufälle wieder
ein, und so wiederholte es sich länger als zehn Monate.
Diese Anfälle verschwanden, nachdem die Kongestionen
durch den Gebrauch des Salpeters beseitigt, und die Men-
struation durch ein Aderlafs am Fufse und durch Fufsbäder
wieder in Flufs gebracht worden war. Im nachfolgenden
Frühling stellten sich indefc abermals unregelmäfsige Fieber-
bewegungen ein, bei denen ein dreitägiger Typus durch-
blickte, und hiernach traten mannigfache rheumatisch -gich-
tische Beschwerden auf, bis sie endlich nach Ablauf des
fünften Jahres von einer sehr heftigen Hemikranie befal-.
len wurde, welche unter tiefem Gemüthsleiden und be-
sonders unter stetem Kummer in den nächsten sechs Jah-
ren häufig wiederkehrte, und aufser anderen Plagen auch
die Kranke ihres Gesichts beraubte. Doch die früheren
Kopischmerzen und das sie begleitende Gefühl von Kälte
kehrten nicht wieder.;:
Diese bei den Weibern vorkommenden Krankeitszu-
fälle entfernen sich nur dem Grade nach von der Rose,
mit welcher sie es gemein haben, dafs beide zuweilen
binnen wenigen Tagen ein tödtliches Ende nehmen.' j
f Noch mui* ich daran erinnern, dais die Cephaläe in-
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189
einigen Fällen zwar von katarrhalischen Ursachen abzu-
hängen scheint, dafs man aber die dabei vorkommenden
blutigen Kongestionen nicht aufser Acht lassen muls. Ebenso
empfehle ich, auf die Fälle von Cephaläe, bei denen sich
vorübergehende Exacerbationen erkennen lassen, alles das-
jenige anzuwenden, was ich über die Natur des Rheuma-
tismus gesagt habe. Doch lälst sich nicht bestreiten, dafs
die Kongestionen häufig und leicht in ,seröse Exkretionen
übergehen. Denn wenn es auch auf diese allein nicht ab-
gesehen war, vielmehr ein allgemeines Bestreben zur Blut-
entleerung zum Grunde lag; so kann diesem dadurch, wenn
gleich nicht vollständig, doch wenigstens zum Theil Ge-
nüge geleistet werden.
Anders verhält es sich mit den Anhäufungen von Ei-
ter und Jauche, gleichviel ob sie von einer äufseren Ge-
walt, oder von einem Mischungsfehler der Säfte, oder von
einer fehlerhaften Bewegung derselben entsprungen sind,
Indefe auch an der Entstehung derselben haben Blutkon-
gestionen einen unmittelbaren und wesentlichen, nicht blos
einen gelegentlichen Antheil. .Bei der Frau, von welcher
in der letzten Krankheitsgeschichte die Rede war, stellte
sich während der Hemikranie, welche auf die früheren
monatlich eintretenden kongestiven Kopfschmerzen folgte,
ein häufiger, beinahe immerwährender Ausflufs aus dem
Augenwinkel ein, welcher besonders bei den Paroxysmen
derselben so bösartig wurde, dafs er die Augen und die
Haut der Wangen erodirte. — Auch gebort noch folgen-
des Beispiel hierher.
Eine verheirathete, im Wohlstande lebende Frau, wel-
che Schwangerschaften und Geburten glücklich überstan-
den hatte, und ungeachtet ihrer deutlichen Vollblütigkeit
einer uogeschwächten Gesundheit sich erfreute, war seit
einigen Jahren gewohnt gewesen, sich schröpfen, oder
zur Ader zu lassen, ohne sich jedoch dabei an eine be-
stimmte Zeit zu binden. Da sie dies aber gänzlich unter-
licfs, zugleich häufigen Gcmüthsbewegungen ausgesetzt war,
190
und einen übermäfsigen Gebrauch von erhitzenden Elixiren
machte; so wurde sie von kongestiven Kopfschmerzen be-
fallen, welche besonders auf der rechten Seite das Hinter-
haupt, die Lambdanath entlang bis zum Zitzenfortsatz, ein-
nahmen, und drei bis vier Tage hindurch die gröfste Pein
verursachten. Nachdem solche Anfälle einigemal wieder-
gekehrt waren, bildete sich eine bedeutende Geschwulst
aus, welche in ein Geschwür fiberging, und auf diese Weise
sich noch einmal wiederholte. Dabei dauerte ein starker
Schmerz hartnäckig fort, welcher als solcher mehrere Tage
anhielt, danach zwar sich verminderte, jedoch noch immer
den Kopf auf eine empfindliche Weise einnahm, ja er stieg
wieder zu einer unerträglichen Höhe. Auf meinen Rath
wurde ein Aderlals am Fufse vorgenommen, desgleichen
das Schröpfen, der Gebrauch von Abführungsmitteln , und
solcheu Arzneien, welche die Blutwallungen besänftigten,
nebst Fufsbädern angewandt, und dadurch die Frau von
allen bedeutenderen Zufallen befreit. Im dritten Jahre dar-
auf wurde sie wieder schwanger, und da der Tod ihres
Mannes sie in Unruhe und Gemüthserschütterung versetzte,
wurde sie von den heftigsten Gichtschmerzen befallen, wel-
che sich vom Rücken nach den Hüften erstreckten. Die
Aerzte ihres verstorbenen Mannes verordneten ihr dagegen
die gebräuchlichen nervenstärkenden, balsamischen, anti-
skorbutischen und schmerzstillenden Arzneien, welche sie
aber bei Seite setzte, nachdem sie dieselben einige Tage
hindurch erfolglos gebraucht hatte. Nun wurde ich wie-
der um Rath gefragt, und nachdem ich den Gebrauch
flüchtiger, erhitzender und scharfer Arzneien streng unter-
sagt hatte, verschrieb ich vor allem wider die Blutwallun-
gen ein temperirendes Mittel. Nachdem sie zwei Dosen
desselben den Tag über genommen hatte, brachte sie die
Nacht sehr ruhig zu, und da sie zugleich an Trockenheit
des Stuhlgangs litt, mufste sie am andern Morgen ein ge-
lindes Abführungsmittel und hierauf wieder jenes Tempe-
rans (NitrumJ, zur Nacht aber ein Diapnoicwn nehmen.
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191
9
Hierauf verschwanden die Schmerzen, und es stellte sich
ein ruhiger Schlaf ein. Es war nur noch ein Gefühl von
Spannung und von Zucken zurückgeblieben, da aber die
nämlichen Arzneien angewandt wurden, worauf sich auch
m der Nacht Schweifs einfand, wurde sie binnen wenigen
Tagen von allen Schmerzen befreit, und erlangte selbst ihre
Munterkeit wieder. Einige Tage später (sie war einige
Tage über die Mitte der Schwangerschaft hinaus) wurde
noch ein Aderlafs veranstaltet, worauf denn Schwanger-
schaft, Entbindung und das Wochenbette glücklich von
Statten gingen. Zur Zeit der Nachtgleiche wurde aber-
mals inälsig zur Ader gelassen, und danach blieb sie vou
allen Schmerzen verschont, und erlangte eine blühende Ge-
sundheit wieder. • ' : •
Die Gefahr beim Knochenfrafs des Schädels ist sehr
grofs, und die Krankheit hartnäckig und unheilbar, wenn
die eigentliche Ursache sich nicht entfernen läfst. Doch
gehört dieser Fall eigentlich nicht hierher.
Es bleibt mir noch übrig, den Unterschied dieses Kopf-
schmerzes von den übrigen anzugeben: Er charakterisirt
sich nicht sowohl durch ein Gefühl von Hitze, als viel-
mehr durch ein scharfes, brennendes Nagen; er ist weni-
ger spannend, als drückend, nicht reifsend, sondern bti-
fsend und bohrend. Auch bringt das Klopfen ein erschüt-
terndes Gefühl, als wenn mit einem Hammer auf den Kopf
geschlagen wurde, hervor. Doch giebt es besonders zwei
pathognomonische Zeichen, einmal die anhaltende Dan er
der Schmerzen, welehe niemals völlig aufhören, und zwei-
tens die bestandige Verschlimmerung derselben zur Nacht,
um so mehr, wenn der Körper in Federbetten heifs wird.
• Eine seltnere Art des heftigen Kopfschmerzes hat eine
konvulsivisch - spastische Natur. Er tritt dann mehr als
Hemikranie auf, und ergreift nur selten den ganzen Kopf,
wiewohl auch letzteres zuweilen vorkömmt. Ein Beispiel
wird dies deutlich machen. ' : *
Eine an Geist und Körper zarte, jedoch lebhafte Frau
192
unternahm im Sommer bei trübem Wetter eine Reise zu
Wagen, den sie indefs wegen der bergigen Beschaffenheit
des Weges verlassen, und zu Fufse gehen mufste. Hier-
durch sehr erhitzt, war sie nicht nur einem starken Winde,
sondern auch dem Ungestüm eines plötzlich ausbrechenden
Ungewitters ausgesetzt, welches sich mit einem kalten Platz-
regen und Hagel entlud. Auf offenem Wagen kehrte die
Frau bei feuchter und kalter Luft nach Hause zurück, wo-
bei sie bald einen Druck und mäfsig starken Schmerz im
Kopfe empfand. Als das Gewitter am Abend wiederkehrte,
sah sie am Fenster stehend, einen Blitz vor sich nieder*
fahren, wodurch sie um so mehr erschreckt wurde, da
sie das Haus von demselben getroffen glaubte. Sogleich
vermehrte sich der Schmerz beträchtlich. Am folgenden
Tage war Sie einer grofsen Gemüthsbewegung ausgesetzt,
so dafs sie am ganzen Leibe zitterte, und kaum war sie
wieder etwas zur Besinnung gekommen, als sie unter ge-
waltiger Vermehrung der Kopfschmerzen in epileptische
Konvulsionen verfiel Der Schmerz nahm mit jeder Stunde
zu; die dagegen angewandten Arzneien blieben wirkungs-
los, vielmehr stieg der Schmerz zu* einer unerträglichen
Höhe. Da die Kranke zugleich an Schwindel, und nach
einigen begangenen Diätfehlern an Ekel und Neigung zum
Erbrechen litt, so rieth der Arzt zu einem Brechmittel
Da sie dies verabscheute, so gab man es ihr auf eine un-
bemerkliche Weise, und als es zu wirken anfing, wurde
sie durch den darüber empfundenen Unwillen und durch
die unmäßigen Kopfschmerzen so aufser Fassung gebracht,
dafis sie kaum ihres Verstandes mächtig blieb, und von ste-
ter Unruhe gefoltert wurde. Zugleich traten die Augen
aus ihren Höhlen hervor, und so entstand noch gegen
Abend eine vollständige Amaurose bei sehr erweiterten
Pupillen. Dabei hielt der Schmerz mit einer, wie sie mit
Worten und Gebärden äufserte, unerträglichen Heftigkeit
an. Letzterer wurde zwar durch temperirende Mittel ge-
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191
mäfsigt, ja selbst allmählig zum völligen Verschwinden ge-
bracht; aber die Blindheit dauerte ununterbrochen fort.
Es liefsen sich noch mehrere ähnliche Fälle anführen,
welche diesem nichts nachgeben, wo der gewöhnliche Aus-
druck Anwendung findet: es wolle ihnen die Augen aus
dem Kopfe reifsen, es habe ihnen den Kopf ganz zu Schan-
den gerissen - — wodurch eben die begleitenden offenbaren
spastisch -konvulsivischen Bewegungen bezeichnet werden.
Doch gehören diese Erscheinungen zur Klasse der Krämpfe.
Von den katarrhalischen Kopfschmerzen.
Bei Gelegenheit des katarrhalischen Flusses aus der
Nase habe ich ein selteneres Beispiel angeführt; häufig, ja
selbst tSglich kommen indefs Falle vor, welche die Grie-
chen Coryza, die Römer Gravedo nannten. Der Zustand,
auf welchen der letzte Name eigentlich palst, kommt in-
defs nicht bei jedem Schnupfen vor, denn er bezeichnet
nicht sowohl den Schlei mfluis selbst, als vielmehr ein dem-
selben sich entgegenstellendes Hindernifs. Die Deutschen
gebrauchen dafür das Wort Stockschnupfen, wo nämlich
die Absonderung zögert, wenn auch der Drang dazu vor-
handen ist.
In diesem Falle wird am unteren Theil der Stirn, in
der Gegend des Siebbeins eine merkliche Spannung, ein
lästiger Druck empfunden , welches Gefühl sich selbst bis
in die Augen und Schläfen erstreckt, so dafs die Kranken
sich äufsern: es drucke sie in der SÜrn als ob ein Stein
darin läge> sie könnten kaum die Augen aufthun und ins
Locht sehen, es drücke sie in den Augen wie Saud. Die-
ser Schmerz vermehrt sich so, dafs nicht biös ein zittern-
des, stechendes Gefühl in Stirn und Schläfen empfanden
wird; sondern die Kranken sich auch noch über ein he-
sonderes vibrirend es Gefühl im Kopfe mit den Worten be-
klagen: es summe und dröhne ihnen im Kopfe, reifse und:'
fahre ihnen durch die Schläfen. Hierzu gesellt sich ein«
Stahl s Tbeorie d. Heilk. m. , 13
*
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eigene Trägheit des inneren Sinnes, eine Unanfgelegtheit
zum Denken, Unlust und eine schläfrige Stumpfheit. Zu-
weilen nimmt dies lästige Gefühl den obersten Theil des
Kopfes ein, und erstreckt sich von da nach dem Hinter-
haupte und den Zitzenfortsätzen. Dann pflegt sich auch
Schwindel einzustellen , weleher jedoch meist nur auf Be-
wegungen des Kopfes folgt und zugleich von reilsenden
Empfindungen begleitet wird.
Im gelinderen Grade des Uebefe wird der lästige
Schmerz durch das Eintreten eines katarrhalischen Aus-
flusses aus der Nase beseitigt; dauert es aber länger, so
zieht es auch Beschwerden beim Hören, Mangel an Appe-
tit, Abstumpfung des Geruchs nnd Geschmacks nach sich.
Wenn die Kongestion aber nicht blos seröser Art ist,
so werden die Schmerzen akut, siechend, brennend, wo-
bei zugleich ein Gefühl von drückender Spannung und von
Zittern fortdauert, und die Schläfrigkeit beinahe in Betäu-
bung übergeht. Dabei entwickelt sich aber zugleich ein
nach Maafsgabe der Menge und Beschaffenheit jener rheu-
matischen Schärfe mehr oder minder lebhaftes Fieber. Eben
so dringt eine solche Kongestion nicht selten nach dem in-
neren und äufseren Ohr, wobei denn sowohl ein starker
Ohrenschmerz, als eine harte Anschwellung der Parotiden
sich einstellen. Wenn es so weit gekommen ist, so wird
der hartnäckige Schmerz durch eine entzündliche Stockung
bedingt, und gehört dann eigentlich nicht hierher; indefs
ist doch, wenn er auch sehr heftig wird, noch eine zeitige
Zertheilung möglich, wenn gleich nur bei, solchen Perso-
nen, deren körperlicher Habitus eine Disposition zu ■ Ka-
tarrh und Rheumatismus in sich schliefst, daher auch hier
davon die Bede sein mufste.
: Ee verdient indefs bemerkt zu werden, daft der rheu-
matische Ohrenschmerz an sich sehr selten ist, so dafs wohl
unter einigen tausend, welche sowohl an blutigem, als an
katarrhalisch -rheumatischem Kopfschmerz leiden, kaum ein
einziger angetroffen wird, der an wirklicher Otalgie leidet.
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I
195
Nur mufs man die Fälle, wo der Schmerz von zufälligen
Gclegenheitsursachen entsteht, von denen unterscheiden, wo
eine eigenmächtige Ablagerung und eine habituelle Neigung
dazu nach dieser Stelle statt findet. Dafs übrigens hier
vornämlich eine serös -speichelartige Absonderung statt fin-
det, wird durch die Anschwellung der Speicheldrusen er-
wiesen, in welche nicht sowohl eine blutige, als eine spei-
chelartigc Feuchtigkeit eindringt.
Indefs gesellt sich zur Otalgic wie zu den Zahnschmer-
zen auch etwas Krampfhaftes, woraus sich die Heftigkeit
beider erklären Iii Ist ; ja, den eingewurzelten Ohrenschmerz
pflegt eine Entzündung zu begleiten, welche seine schwere
Heilbarkeit besonders bedingt. Ein Gleiches gilt auch von
den Schmerzen anderer Theile, wenn sie von Blutkongestio-
nen herrühren, wo dann auch krampfhafte Zusammenzie-
hnngen mitwirken, durch welche ein Antrieb nach jenen
Stellen verursacht wird. Dies spricht sich vornämlich bei
den vielfaltigen rheumalisch -gichtischen Schmerzen ans, be-
sonders wenn sie mit Anschwellung und Oedem des lei-
denden Theils verbunden sind.
Zweites Kapitel.
Von dem Rheumatismus.
Da über denselben schon in der speciellen Pathologie
ausführlich gesprochen worden ist, so haben wir hier nur
noch eine Nachlese zu halten. Man mufs dabei einen Un-
, terschied machen zwischen der vorangehenden oder Gele-
ge n hei tsursache und der formalen oder nächsten (causa con-
Hnens). Ebenso mufs man das materielle Substrat, als die
Ursache, wegen welcher die rheumatische Kongestion zu
Stande kommt, ja selbst den Akt und die Wirkung der-
selben, unterscheiden von dem Modus der Bewegung, durch
welche jene bewirkt wird. Nach diesen Beziehungen läfst
13*
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196
sieb dann beurtheilen, woher die rheumatischen Kongestio-
nen entspringen, warum sie nach gewissen Stellen zu be-
stimmten Zeiten hindringen, welche Erfolge sie nach sich
ziehen, und worin ihr eigenthümliches, von den aktiven
Entzündungen verschiedenes Wesen besteht.
In dieser Hinsicht muis man vor allem wissen, dafs
zur schnellen Entstehung des Rheumatismus niemand mehr
geeignet und geneigt ist, als die Menschen von einem san-
guinisch-phlegmatischen Habitus. Der Akt der rheuma-
tischen Kongestion selbst wir J zunächst durch einen Ueber-
fluis an Blut bedingt, zumal wenn dabei aktive uud über-
mäfsige Aufregungen gleichzeitig statt finden, dieselben mö-
gen nun körperlicher Art sein, z. B. von der Konstitution
der Atmosphäre, von Nahrungsmitteln, Bewegung und Ruhe 9
welche das naturliche Maafs weit überschreiten, herrühren,
oder sich auf den Willen beziehen, also von Leidenschaf-
ten abhängig sein. In äufseren Theilen des Körpers kann
eine Prädisposition dazu erzeugt werden durch zufällige
Dinge, z. B. durch eine erlittene Gewalt, Verwundungen,
offene Geschwüre, schwere Quetschungen, Verbrennungen,
Erfrierungen. Noch mehr vermag die Gewohnheit, welche
nach den genannten Gclegcnhcitsursachcn, besonders aber
nach Vollblütigkeit eintritt, daher denn auch die erbliche
. Anlage einen nicht geringen Grad von Wirksamkeit hat.
Schon früher ist des Unterschiedes zwischen Rheuma-
tismus und Gicht gedacht worden, welcher besonders darin
besteht, dafs beim erste reu wirklich ein materieller An-
drang nach dem leidenden Theile, und daher eine aktive
Zurückstauung in demselben obwaltet, während die gich-
tischen Anfidle mehr in krampfhaften, durch den leiden-
den Theil verbreiteten Anstrengungen bestehen, wo dann
die Kongestionen nicht sowohl durch einen einfachen und
direkten Widerstand gleichsam zurückgetrieben werden (re-
niiendo repelfoniur), sondern wo sich mehr ein Bestreben
zu Ausleerungen in benachbarten Theilen bemerklich macht.
• . • f '..».. »
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Aufser diesem speeifischen Unterschiede stimmen beide
Krankheiten, besonders rucksichtlich ihres Ursprungs über-
ein, daher sie auch im Zusammenhange mit den ßlutflüs-
sen stehen, aufser in den Fällen, wo sie durch eine äufsere
Gewalt verursacht waren.
Der Rheumatismus als solcher ist verschieden nach der
Beschaffenheit ( temperies ) des in den leidenden Theil ge-
triebenen und denselben innig durchdringenden Blutes, je
nachdem dasselbe mehr oder weniger verdünnt, also mit
Serum vermischt, durch seine Stockung eine empfindlichere
Hitze in dem Theile hervorbringt; oder je nachdem es in
einem verdickteren Zustande das Serum von sich ausschei-
det, und dasselbe in die feinsten Poren des Theils über-
treten und daselbst stocken läfst, was dann die Alten den
galligen Rheumatismus nannten. Im ungünstigsten Falle,
wo die Stockungen den übelsten Charakter annehmen, hat
das mit dem rothen Blute innig vermischte Serum eine
schleimige Beschaffenheit.
Je deutlicher die rheumatischen Stockungen auftreten,
einen um so höheren Grad erreichen die Beschwerden,
nämlich die Hitze, die Küthe und die krampfhaften An-
slrengungen. An die Stelle der dem Rheumatismus eigen-
thümlichen Erhitzung (Exaestuaiio) tritt dann eine wirk-
liche Entzündung, welche sich als Phlegmone oder Rose
darstellt; wenigstens kommt der Zustand diesen dann am
nächsten. Vorzüglich geschieht dies durch äufsere erhiz-
zende Mittel, welche das Blut noch mehr in Aufwallung
bringen, oder durch Erkältungen, welche die Lymphe und
das Serum verdicken, oder auch wenn durch die anfeuch-
tende Methode der Tonus der . Gcfäfse zu sehr erschlafft
wird. Ebenso durch innere Mittel, welche zur Unzeit to-
nische Zusammenziehungen der Theile bewirken. Der ge-
ringste Schaden davon ist, dais die Kranken sich dann um
nichts besser belinden, als wenn sie ohne Arznei der Na-
tur und der Krankheit freien Lauf lassen. Werden dage-
198
gen Mifsgriffe begangen, so stellen sich während des Ver-
laufs uml Ausganges der Krankheit mannigfachere, bedeu-
tendere und schlimmere Symptome ein.
Im Gegensatz zu jenen schädlichen Kurmethoden zeugt
die Wirksamkeit der nützlichen für das Wesen der Krank-
heit. Es geboren zu ihnen präservative Aderlässe, Ablei-
tungen der Kongestionen, welche ohne stürmische Aufre-
gungen bewirkt werden, Abkühlung des erhitzlcn und ver-
dünnten Blutes, und nachdem sie zu Stande gebracht ist,
Ausleerung der zufalligen oder erzeugten Schärfe auf diu-
re tischem Wege nebst gelinder Beförderung der Hautaus-
dünstung und dem äufseren Gebrauch feiner zerthcilender
Mittel. Ist es ja doch bekannt, dafs die Vernachlässigung
gewohnter Aderlässe und besonders der Skarifikationen sehr
häufig rheumatische Symptome nach sich zieht; dafs das
weibliche Geschlecht wegen Störungen des ihm natürlichen
Blutflusses öfter an denselben leidet; dafs die Hemmung der
zur Gewohnheit gewordenen Hämorrhoiden schnell rheu-
matische Zurückstauungen, vorzuglich unter der Form des
Hüftweh's zur Folge hat
Wiederholt mufs ich den Unterschied zwischen rheu-
matischen Stockungen, welche sich mehr durch eiue bei-
fsende als durch eine brennende Hitze zu erkennen geben,
von den entzündlichen Stockungen, denen die letztere ei-
gentümlich ist., hervorheben. Denn der Rheumatismus
kann in den äufseren Gliedmafscn mehrere Tage hindurch
fortdauern, ohne dafs es zu einer Abscefsbtldung kommt,
welche auch nicht einzutreten pflegt, ja nicht einmal soll.
Man mufs daher von jedem Beginnen abstehen, welches
jene befördern könnte, da dasselbe dem Krankheitsgenius
durchaus nicht angemessen ist • •
• * •»•• • t i
• •§ • • ■ |
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Drittes Kapitel
Von den entzündlichen Zuständen.
Die Entzündungen, welche sich auf wirkliche Stok-
kungen des Blutes selbst gründen, erheischen eine thätige
Zertheilung, oder gehen in eine solche Ycrderbnifs über,
welche ein gemüßigtes Eingreifen der Lcbcnsthätigkeit er-
fordert. Wir müssen sie sowohl nach ihren Erfolgen, ih-
rem Verlauf und dessen Dauer, als die üblen und gefahr-
lichen Ausgänge derselben kennen lernen.
Wenn die Entzündung ihrem Wesen nach in einer
einfachen Blutstockung besteht; so muls eine Abweichung
von der rechten Mischung des Blutes auch den Genius der
Krankheit verändern, welches sich dann im Verlauf und
Ausgange derselben durch veränderte und fremdartige Er-
scheinungen zu erkennen giebt. Gleichwie eine reine Blut-
stockung die Bildung eines löblichen Eiters von guter Kon-
sistenz bedingt; ebenso gehen aus einer serösen oder lym-
phatisch-speichelartigen Intemperies des Blutes, aus zufäl-
ligen Dyskrasieen des Serums, verschiedenartige und mehr
oder weniger schlimme geschwürige, kolliquative und kor-
rosive Verderbnisse hervor. Ja, es kann selbst eine jede
Art von Entzündung bei üblem Verlauf auf eine verderb-
liche Weise in Brand übergehen.
In Bezug auf das Subjekt, welches von einfachen Ent-
zündungen befallen wird, kommen diese am häufigsten in
Theilen vor, zu denen das Blut in reichlichster Menge strömt
Diejenigen Theile hingegen, welche wegen ihres Baues nicht
sowohl das Blut selbst in Menge eindringen lassen, als sie
den serös -lymphatischen Säften einen freien Zutritt gestat-
ten, und unter zufälligen Bedingungen eine Stockung der-
selben erleiden, setzen nicht nur der Zertheilung mehr
Schwierigkeit entgegen, sondern begünstigen auch die Ent-
stehung von Geschwüren, welche einen reichlichen schar-
fen Ausflufs unterhalten, und schwerer zur Vernarbung ge-
bracht werden können.
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§. 1.
Von der eiterbildenden Entzündung.
Diese Form der Entzündung, in engerer Wortbedeu-
tung genommen v ist eine solche, welche von einer ein-
fachen Blutstockung in blutreichen Theilen herrührt, wo-
bei weder eine enorme Anhäufung, noch eine zu heftige
Anstrengung statt findet. Diese Verstopfung bildet eine
Anschwellung des leidenden Theiles, welche sich durch
Rothe, Härte und Spannung auszeichnet, bei der Berüh-
rung heifser als gewöhnlich erscheint, und den Kranken
mit dem Gefühl einer unerträglichen Hitze belästigt.
Wird diese Stockung sich selbst überlassen, so mufc
siejn Verderbnifs übergehen, welche, wie innig und un-
mittelbar sie auch ist, doch einen einfachen Charakter hat.
Da aber ein solcher Zustand der thicrischen Natur durch-
aus entgegen ist, so duldet die Bestimmung derselben ihn
nicht, sondern sie kämpft mit aller Kraft dagegen an, in-
dem sie die Energie der gewohnten Lebensbewegungen,
nämlich der Sc- und Exkretionen dawider in Anwendung
setzt. Da aber an der beschränkten Stelle, welche eine
solche Stockung nur einnimmt, eine allgemeine Aufregung
nicht statt findet, wenn nicht die Gröfse der Gefahr die
Gegenwirkung stärkerer Hülfsmittel möglich macht; so
wird wenigstens in dem leidenden Theilc die Bewegung
in einem höheren Grade angestrengt, woraus sich denn
die bekannten Erfolge ergeben, nämlich die harte Ge-
schwulst, die ungewöhnliche Röthe, die bedeutende, dem
Kranken unerträgliche Hitze und die r eilsenden und ste-
chenden Schmerzen. Je mehr der Kranke daran zu lei-
den hat, ausgenommen wenn die Erscheinungen mit einem
enormen Ungestüm plötzlich auftreten, um so gewisser hat
man einen Abscefs zu erwarten. Letzterer enthält, wenn
die Entzündung einfach- und ächt war, wirklichen Eiter,
welcher um so reiner ist, Je mehr alles in gutem Verhält-
nifs steht. Dies bezieht sich sowohl auf die rein blutige
Beschaffenheit der die Entzündung bedingenden Materie,
\
• »
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t
als auf die Gröfce der Stockung in den leidenden Theilen
und auf das gemässigte und gleichförmige, zugleich aber
auch mit gehöriger Regsamkeit von Statten gehende Wir*
ken der Lebensbewegungen. Zu diesen Bedingungen molk
man aber auch noch den freien Ausweg (des Eiters) rech-
nen, damit nicht durch zu langes Zurückhalten desselben
die im richtigen Grade beschränkte Verderbnifs zu einer
höheren Ausbildung gelange.
Bei dieser auf eine löbliche Eiterbildung hinwirken-
den Entzündung mufs auch noch das Zeitverhältnils, an
welches sie sich bindet, beachtet werden, in sofern sie in-
nerhalb vier und höchstens acht Tagen ihren Verlauf ma-
chen mufs; es sei denn, dafs eine eigentümliche blutleere
Beschaffenheit des leidenden Theiles eine längere Dauer be-
dingt und zuläfst Wobei jedoch immer die Gefahr einer
von der gutartigen Eiterung sich entfernenden Verderbnils
obwaltet.
Die letzte Wirkung der abscefsbildenden Entzündung
besteht in einer so innigen Auflösung des stockenden Blu-
tes zugleich mit dem dasselbe enthaltenden Theile, dafs der
ganze die Stockung in sich begreifende Komplex in eine
weiise, dickliche Flüssigkeit übergeht, welche gar keinen,
oder doch nur einen geringen und keinesweges fauligen
Geruch besitzt, zu einer weiteren fauligen Verderbnils nicht
geneigt ist, sondern höchstens eine salzige Schärfe annimmt.
Der Eiterungsprocefs zeichnet sich auf eine sehr merk-
würdige Weise noch durch das Vermögen aus, den Sub-
stanz v eil ust, welchen die festen Theile erlitten haben, zu
ersetzen, wenn nicht ein drüsigt- röhrenförmiger Bau der-
selben den Eiterausflufs sehr hartnäckig macht. Wenn er-
ster er dagegen einen üblen Fortgang nimmt, so geht der
Absceis in ein zerstörendes Geschwür über.
Eine gehörige und regehnäfsig erfolgende Eiterung wird
während ihres ganzen Verlaufs von einem anhaltenden und
vermehrten entzündungsartigen Sa fteum trieb begleitet,, da-
her sich ein rother Umkreis bildet, und eine erhöhte Em-
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pfindung übcrhanpt und der Wirme insbesondere zurück-
bleibt. Je mehr aber die, Rothe fehlt, am so weniger er-
folgt ein Ersatz des Verlorengegangenen, welcher durch
eineu geschwungen Ausflufs verhindert wird.
Dies ist die Natur der eiternden Entzündung, welche
man im strengeren Sinne ein Apostem, und wie die La-
teiner sich richtig ausdrucken, einen Abscefs nennen mufs,
weil durch den Akt jener wirklich etwas abgeschieden
wird; und zwar geschieht dies auf eine ebenso schnelle
nnd kräftige als heilsame Weise, um einen baldigen Wie-
derersatz, wenigstens eine Vernarbung zu bewirken- Die
geschwürigen Abscesse haben nicht nur einen ungleich trä-
geren Verlauf, sondern ihr Erfolg ist auch weit zweifel-
hafter, schwankend, und von Anfang an zU Anomalieen
geneigt. Auf welche Weise sie ursprunglich aus dem Eiter-
abscefs entstehen, soll weiterhin angegeben werden. Hier
wollen wir nur eine kurze Erläuterung der Ausbildung des
Apostems in den verschiedenen Theilen des Körpers ohne
vorangegangene aufsere Gelegenheitsursachen geben. Es ge-
hören dahin die Ophthalmieen, der Zahnschmerz, die Pa-
rotitis aeuia , die einfache entzündliche Bräuue, die Lun-
genvomika, die von selbst entstehenden Aposteme an äufse-
ren Theilen, z. B. in den Brüsten. Seltener und von min-
der glücklichem, ja selbst höchst zweifelhaftem Ausgange
sind die Aposteme der Leber, des Pankreas, der Darmdrü-
sen, am schwersten heilbar in den Nieren nnd Hoden.
Gleichwie überhaupt jede Entzündung, und vorzuglich
auch dann, wenn sie zum Uebergange in Eiterung sehr
geeignet ist, im Anfange sich zur Zrertheilung hinneigt,
ebenso gilt dies anch besonders von den Entzündungen in
gewissen Theilen, welche eigentlich nicht in Eiterung über-
gehen sollen, es auch nicht zu thun pflegen. Jedoch ha-
ben letztere eine Disposition dazu, wenn sie nicht zeitig
uud auf gehörige Weise zertheilt werden. So entsteht z. B.
im Auge das Hypopyon ; ebenso bildet sich im Zahnfleisch
nach vorangegangene!! Schmerzen Eiter, welches durch einen
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203
Einschnitt entfernt werden muls, wenn es sich nicht selbst
einen Ausweg bahnt. Nicht weniger ist es von der ein-
fach entzündlichen Bräune bekannt, dafs sie in einem voll-
blütigen Körper bei erhitzender Diät, zumal bei Persouen,
welcbe wegen bereits öfter in dem entzündeten Tbeile ent-
standener Eiterung dazu prädisponift sind, in letztere über-
zugehen. Die Lungenvomika , welche niemals durch an-
dere unzweideutige Erscheinungen sich offenbart, läfst sich
nur, wenn die Eiterung zu Stande gekommen ist, erken-
nen. Die Entzündungen der Baucheingeweidc brechen ge-
wöhnlich schneller und heftiger aus, und sind leichter und
bestimmter auszumitteln. Man mufs ihre gleichzeitige Zer-
theilung mit aller möglichen Sorgfalt zu bewirken trach-
ten, ehe sie noch zur Eiterung gelangen konnten.
Denn in allen übrigen Theilen des Körpers, wo der
unmittelbaren Entleerung des Eiters und dem Ersatz des
Verlorengegangenen, wenigstens der Vernarbung kein Hin-
dernifs entgegensteht, hat die Eiterung eben nicht viel zu
bedeuten. Die Eingeweide haben aber eine solche Beschaf-
fenheit und Textur, dafs der Ersatz des durch die schnell
um sich greifende Verderbnils Zerstörten kaum geschehen
kann, wenigstens nicht dergestalt, dafs ihnen die ursprüng-
liche Bildung, welche sie nur im mütterlichen Schoofse er-
langen konnten, wiedergegeben wird, so wie auch ihre
Vernarbung nur höchst schwierig und langsam erfolgt.
Ueberdies darf ihre Funktion nicht unterbrochen werden,
und da der für letztere erforderliche Säfteantrieb stetig
fortdauert, so mufs dieser bei dem aufgehobenen Zusam-
menhang des leidenden Theiles um so nachtheiliger wirken,
indem er einen steten Ausflufs verarlafst, welcher die Ver-
heilung geradezu verhindert. Kine deutliche Bestätigung
des Gesagten finden wir bei den tiefer eindringenden Abs-
cessen der äuiseren drüsigen Tbeile, welche ohne Hülfe der
Kunst fast niemals zur Heilung kommen, ja selbst dieser
hartnäckig widerstreben, wenn nicht ein zweckmäfsiges Ver-
fahren in Anwendung gesetzt wird. Wie viel weniger wird
man daher in inneren Theilen aniser unter sehr schwieri-
gen Verhältnissen und in sehr seltenen Fällen einen gün-
stigen Erfolg hoffen können.
Die ganze Theorie aller dieser Entzündungen beruht
auf der Betrachtung des wahren Verhältnisses und des Vor-
ganges ihrer Zertheilung. Diese mufs nämlich successiv,
uud auf eine geinäfsigte und geregelte Weise erfolgen, wenn
sie glücklich von Statten gehen soll. Sie mufs daher mit
der Gröfse der Stockung nothwendig im Verhältnifs ste-
hen ; wenn man letztere aber nicht deutlich erkennen kann,
so mufs man wenigstens auf die Natnrbewegungen und die
Kapacität der Wege achten, um die Bestrebungen znr Zer-
theilung vorsichtig zu leiten.
Bei der Ophthalmie z. B. erscheint das Weifse im Auge
von einer sichtbaren Verstopfung und Ausdehnung der Ge-
föfse deutlich geröthet; im Auge wird das Gefühl von Hitze
und ein stechender Schmerz empfunden. Dieser Zustand
dauert häufig mehrere Tage an, zum deutlichen Beweise,
dafs die Ze.theilung der entzündlichen Stockung keine Eile
zuläfst, sondern gleich allen Thätigkeiten im thierischen
Haushalt an eine gewisse Zeitfolge gebunden ist.
Bei allen Entzündungen (selbst nicht mit Ausnahme
derer, welche zwar durch äufsere Ursachen veranlagst, aber
durch innere unterhalten werden) dient zum Zweck der
Zertheilung ein kongestiver Antrieb nach dem leidenden
Theile. lndefs welches gleichsam mechanische Hindernifs
die Gerinnung des verdickten Blutes auch der schnellen
Zertheilung entgegensetzen mag; so gilt dies doch noch
mehr von einer zu starken Anstrengung, bei deren Nach-
lais erst die Aullösung der Stockung gehofft werden kann.
Jenes Uebcrmaafs von Anstrengung rührt im Allgemeinen
von der Aufwallung einer zu beträchtlichen Blutmenge her,
im Besonderen von der Richtung und Bestimmung des Aus-
zuleerenden nach gewissen Organen hin, oder auch von
einer ungestümen Reizung des Empfindungsvermögens. Das
Zusammentreffen dieser Bedingungen mufs die Hartnäckrg-
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t
205
kcit der Anstrengung befördern, und die Stockung (deten-
Ho) durch einen ununterbrochenen Säfteantrieb nach dem
leidenden Theile unterhalten. t • •««
Die Alten nahmen hierauf bei der Heilmethode, welche »
sie den entzündlichen Stockungen entgegensetzten, Rück»
sieht, indem sie sich dazu der ßlutentziehuogen bedienten.
Letztere äufsern, wenn sie zur rechten Zeit angewandt
werden, allerdings eine ausgezeichnete Wirkung; ja, ohne
sie treten überall die gröfsten Schwierigkeiten ein. Doch
mufs man es wohl beherzigen, dafe die Aderlässe nicht
überhaupt in allen Entzündungen und bei allen Graden der-
selben einen bedeutenden Nutzen stiften , viel weniger noth-
wendig sind. Ja, sie haben selbst, wie sich dies aus der
Beobachtung aufmerksamer Praktiker ergiebt, den nach-
theiligen Erfolg, dafs sich nach ihnen die Eiterung weit
sicherer, als die Zertheilung erwarten läfst, wenn letztere
sich nicht schnell nach ihnen einstellt.
Auch bei der Auflösung der entzündlichen Stockungen
richtet die Natur sich nach einem gewissen Zeitmaafs. So
ist es keine seltene Erscheinung, da Ts die Peripneumonie
sieh genau am kritischen Tage, und unter kritischen Aus-
leerungen entscheidet; wiewohl man nicht glauben mufs,
dafs die Auflösung aller (stockenden) Materie geradezu* auf
einmal und blos zu der genannten Zeit erfolge, da die
einige Tage hindurch im Urin wahrzunehmenden Zeichen
der Kochung das Gegentheil beweisen. Es ist damit nur
gemeint, dais die auf die Stockung bis dahin gerichtete
Anstrengung dann aufhört, und dafs den Exkretionen die
gehörige Richtung gegeben ist, daher das, welches noch
als Residuum den Säften beigemischt ist, und vielmehr als
Produkt, nicht aber als direkte Ursache der Krankheit an-,
gesehen werden mufs,. auf gedachte Weise Völlig ausge-
stoßen werden, kann. Es ist daher keine Wahrscheinlich
kcit vorhanden, dal* dieser thätige Vorgang mit vereinter ,
Anstrengung auf einmal zu Ende gebrächt werden, könne,
wie dies etwa der Ausgang kongestiver Anstrengungen ist;
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denn wo eine wirkliche Stockung, ein andauernder Infork-
tus gegenwärtig ist, kann innerhalb so kurzer Zeit eine
Zertheilung, und die ihr noth wendig vorangehende Auf-
lösung desselben nicht zu Stande kommen. Diese Bemer-
kung ist für den Arzt wichtig, damit er sich erinnere,
dafs die Zertheilung jeder Entzündung nur auf eine all-
mählige und beharrliche Weise geschehen kann, und dafs
jeder plötzliche Antrieb die Hoffnung der Zertheilung ver-
eitelt, gleichviel, ob man letztere gleich anfangs oder erst
in einem späteren Zeitraum erwartet, daher mit ungestü-
men Heilversuchen nichts gewagt werden darf* Man mufs
sich auf alle Weise in Acht nehmen, dafs man nicht durch
eine unvorsichtige Aufregung zu den bereits angeführten
unmäßigen Kongestionen Veranlassung ^iebt.
Dagegen muk man die gröfste Aufmerksamkeit auf ein »
nützliches vorbauendes und verhüthendes Verfahren rich-
ten, durch welches den die- Kongestionen und Stockungen
veranlassenden Ursachen vorgebeugt wird. Hat sich schon
eine Stockung ausgebildet, so mufs die zertheilende Me-
thode mit ihr im richtigen Verhältnifs stehen, und mehr
durch ein beharrliches Wirken, als durch ungestümes Ein-
greifen ausrichten. Schwindet die Hoffnung der Zerthei-
lung; so mufs die Eiterbildung begünstigt werden, indem
man verhüthet, dafs die Stockung durch eine übermässige
Erregung (commotio nimiaj noch mehr vermehrt wird, und
dafs durch eine angestrengtere Richtung der letzteren auf
den leidenden Theil nicht nur erstere hartnäckig unterhal-
ten, sondern selbst der freie Zutritt und Durchgang des
Blutes, welcher noch die einzige Heiibedingung bleibt, ge-
hemmt werde. Ist die Eiterung zur Reife gekommen, so
mufs man vor allem an eine zeitige Ausleerung denken,
nnd wenn diese nicht von selbst erfolgt, auf künstliche
Weise ihr zu Hülfe kommen. Der entleerte Abscefs muls
hierauf gereinigt werden, wozu die* Kunst gleichfalls bei-
tragen kann, ja wobei es ihrer am meisten bedarf. End-
lich wenn sowohl der vielleicht zu starke Eiterausflufs,
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207
als der Zuflufs gehörig beschränkt ist, kann die völlige Ver. '
keilung erfolgen.
Hierin besieht das Heilverfahren einer zur völligen
Entwickelung gelangten eiterbildenden Entzündung; wenn
aber eine der angegebenen Bedingungen nicht eintritt, so
kommt es nicht zu einem heilsamen Ausgange, ja es ste*
hen dann grössere oder geringere Gefahren bevor. Denn
in den Fällen, wo der Eiter nicht von selbst zu einer leich-
ten Entleerung gelangen, noch wo die Kunst zweckmäfsig
helfen kann, findet weder eine Reinigung, noch eine ge-
hörige Beschränkung des Aus- und Zuflusses statt, und
wenn nicht wegen ausgezeichnet guter natürlicher Kon-
stitution die Verheüung dennoch zu Stande kommt, so
wird nicht selten ein unglücklicher Ausgang, wenigstens
eine unheilbare Krankheit erfolgen.
Endlich, wenn eine Neigung zu Rückfällen obwaltet,
kann man nur durch Abwendung der Ursachen, welche
Kongestionen bewirken, zur rechten Zeit etwas ausrichten.
Von der Gangrän.
Die Gangrän, deutsch: der heifsc Brand, tritt ein,
wenn irgend eine bedeutende Entzündung in allen ihren
gewöhnlichen Erscheinungen einen so hohen Grad erreicht,
dafs die grofse, und besonders beträchtlich harte Geschwulst,
die gesättigte und dunkle, selbst in Schwärze übergehende
Rothe, das heftige Brennen, welches wirklich dem Gefühl
der Verbrennung gleich kommt, verbunden mit krampfhaf-
ten Schmerzen der angrenzenden Theile und mit* einer
eigenthümlichen Angst des Kranken die Gefahr, ja selbst
den gewöhnlichen Eintritt des kalten Brandes (sphacelus)
ankündigt*. Die Gangrän folgt besonders auf entzündliche
Stockungen^ welche entweder durch einen sehr grofsen
und- schnellen Säftezuflufs verursacht sind, oder zugleich
einen bedeutenden Reizzustaod bedingen. •>> l «.:»■
. Der Ausgang der Gangrän erfolgt ebenso rasch, als
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■ %
I
er verderblich ist, denn sie geht gewifs in den kalten Brand
über, den man umschreibend ein Geschwür von böser Be-
schaffenheit nennc/f kann, der aber der wirklichen Bedeu-
tung nach eine fahlige Verderbnifs ist.
Die Gangrän ist eine Entzündung, welche wegen einer
unauflöslichen Stockung oder wegen zu heftigen Impulses
des Säfteantriebes von der heilsamen Wirksamkeit des na-
turgemäßen Verlaufs abweicht, durch den die Entzündung
heilbringend werden sollte. Durch jene Anstrengung wird
nämlich die Verstopfung vielmehr befestigt, als dafc sie
verringert und aufgelöset werden sollte. Unter diesen Um-
ständen mufs aber geradezu Zersetzung eintreten, da die
alleinige Heilbedingung aufgehoben ist, nämlich die Aus-
stoßung der zersetzbaren Materie, und der auf Verderbnifs
sehr thütig hinwirkenden Theilchen. Mit anderen Worten,
die Gangrän ist nichts anderes, als eine Entzündung, wel-
che durch ein Uebermaafs der beschleunigten Kongestionen
und der Anstrengungen oder durch einen Fehler (labefa-
ctatio ) des leidenden Organs oder durch den höchsten Grad
der Stockung dahin gebracht wird, dafs zwar die auf eine
heilsame Zert hei hing, wenigstens auf eine die Zufälle mil-
dernde Eiterung abzweckende Bewegung verursacht wird,
aber aus den angegebenen excessiven Bedingungen ihr Ziel
nicht erreichen kann. Denn ebenso wie der zu übermässige
Antrieb keine Zeith ei hing bewirken kann, vielmehr zur
Vergröfseruug der Verstopfung beitragen mufs , auf gleiche
Weise widerstrebt er auch der Eiterung.
>, !»••• "'I V ' • *.f *
Vom kalten Brande.
Mit dem Namen des kalten Brandes ( spTiacehu ) be-
legen wir die faulige Verderbnifs, welche irgend einen
Th.il des übrigen lebenden Körpers befällt. Die Entste-
hung desselben kündigt sich durch folgende Erscheinungen
an: die Lebenswärme des leidenden Theiles verschwindet
völlig, und seht in Kälte über, derselbe nimmt eine Ii vide.
schwärz-
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schwärzliche Farbe an, welche in seiner Umgebung bleich
wird. In dem Theile selbst verliert der Kranke alle Em-
pfindung, so dafs er einen Einschnitt in denselben nicht
fühlt. Das ganze Glied treibt um den abgestorbenen Theil
auf, und bietet eine bleiche, kalte, ödematöse Geschwulst
dar. Schneidet man einige Stunden später in diese mit
einem Messer ein, so wird dies nicht empfunden, und es
flicist aus der Wunde kein Blut, sondern blos blutige Jauche,
und in derselben erscheint ein schwarzes, dickes Blut. Der
ursprünglich leidende Theil geht in kürzester Zeit deutlich
in eine stinkende Fäulnils über, und nimmt daher nicht blos
eine weiche, sondern selbst halbflüssigc Beschaffenheit an.
Es machen sich dabei folgende Umstände bemerklich:
1) der schnelle Forlgang der Verdcrbnifs von einem zuerst
kleinen Theile aus nach dessen Umgebung; 2) der Verlust
der Empfindung und des lebendigen Tonus im Umfange
desselben, welcher sich schon einstellt, ehe noch die Ver-
derbnifs so weit fortgeschritten ist, wobei jedoch dieser
Theil in einer solchen Verfassung bleibt, dafs Gefühl und
Bewegung in ihn zurückkehren, wenn die Kur glücklich
von Statten geht. Was aber schon durch den kalten Brand
zerstört ist, kann nicht wiederhergestellt, sondern mufs
hinweggenommen werden, oder trennt sich von selbst von
dem noch lebenden Theile, von welchem es durch eine
gewöhnliche Eiterung abgestofsen wird.
Unter den Ursachen behauptet die Hemmung des freien
Blutlaufs durch den leidenden Theil, und eine Einsperrung
des Blutes in demselben den Vorrang. Hierzu geben be-
sonders folgende Bedingungen Veranlassung: eine Gerin-
nung des Blutes in dem leidenden Theile, eine bedeutende
Schwächung des Tonus der Gefäfse, Verletzung ihres Zu-
sammenhanges durch Zerreifsung, ohne dafs dem Blute ein
Abüufs gestattet ist, ferner ein plötzlicher und angestreng-
ter Blutandrang, Unterbrechung des Kreislaufs durch Un-
terbindung und Druck. Hierher gehört z. B. die Gerin-
nung des Blutes durch Einwirkung einer grofsen Kälte oder
StahTs Theorie d. Heilk. DL 14 .
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» »
210
der Verbrennung, so wie wenn bei schon bestehender gro-
fser Stockung ein übermäßiger Kältegrad angewandt wird.
Eine Vernichtung des lebendigen Tonus durch Lähmung
bewirkt gleichfalls durch plötzliche Verstopfung, weil bei
fortdauerndem Zufluß der Säfte kein Rückilufs statt findet,
den erwähnten Erfolg; desgleichen gewaltsame Erschütte-
rungen, durch welche die Fasern zerrissen werden, so wie
auch heftige Ausdehnungen, welche eine Wiederherstellung
des Tonus nicht zulassen. Ferner wenn ein sehr starker
Schmerz zu einer Entzündung erregenden Verletzung sich
hinzugesellt, und dadurch einen bedeutenden Säfteantrieb
bedingt, welcher, wenn er plötzlich entsteht, und den
Rückflufs des Blutes überwiegt, zu einer Einsperrung und
Gerinnung desselben Gelegenheit geben muß. In Betreff
der Unterbrechung des Blutlaofs durch zu eng angelegte
Binden verdient besonders ein ungeschickter Verband bei
schweren Quetschungen, Knochenbrücben und erschöpfen-
den Blutungen erwähnt zu werden. Wird ein solcher Ver-
band, wenn er lange gelegen hat, gelöset; so bieten sich
oft die Erscheinungen des eingetretenen Brandes dar.
Es bedarf zur Erläuterung dieser ursachlichen Momente
keiner ausführlichen Theorie, da die allgemeinen Bedin-
gungen der Vitalität und ihres Verhältnisses zu den Orga-
nen hinlänglich Aufschlufs geben. Denn alle Theile des
Körpers, besonders die weichen, und yor allen das Blut
sind vermöge ihrer eigentümlichen Beschaffenheit im höch-
sten Grade zur fauligen Verderbnifs geneigt. Ihre Erhal-
tung ist durch den ununterbrochenen Blutlauf, und durch
die von ihm abhängigen Sekretionen und Exkretionen be-
dingt. Denn während seines steten Umlaufs spült es von
den festen Theilen alle nicht gehörig mit ihnen verbunde-
nen Partikeln ab, und nimmt sie mit sich hinweg; letz-
tere aber, wie alles andere Fremdartige, stölst es auf sei-
nem steten Umlauf durch die Kolatorien aus, und erhält
dadurch die Reinheit und Integrität des übrigen Körpers
und seiner selbst. Wird nun diese erhaltende Thätigkeit
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211
ganzlich aufgehoben, so dafs die Theile der ihnen eigen-
thümlichen und innigen Zersetzbarkeit überlassen bleiben,
während diese Bedingung, so wie die Wärme der umge-
benden Theile die Fäulnifs mächtig befördern müssen ; so
kann die wirkliche Entstehung der letzteren unter dem
Zusammentreffen aller dieser Ursachen nicht ausbleiben.
Von tieferer Bedeutung scheint der Umstand zu sein,
dafs der lebendige Tonus bald in einem so weiten Umfange
schwindet, dergestalt dafs sowohl Empfindung als die (be-
sonders zum Kreislaufe nothwendige) Bewegung aufhören,
ehe es zur wirklichen brandigen Verderbnifs kommt. Ver-
geblich würde man einen physischen Grund dafür aufsu-
chen, da der unbestimmte Ausdruck, dafs faulige Dünste
sich in den benachbarten Theilen ausbreiten, und daselbst
die eingeborne Wärme oder die in wohnenden Geister er-
sticken, nichts erklärt. Nur so viel ist gewifs, dafs der
Akt oder die Wirkung der fauligen Verderbnifs diametral
der Lebcnsthätigkeit entgegengesetzt ist, deren ununterbro-
chenes und stilles Fortwirken die verdorbenen Theilchen
ausstöfst. Wenn nun jene Verderbnifs reichlich zum Aus-
bruch kommt, und in den Theilen, welche sie befallt, zu-
► - gleich die Textur dergestalt verletzt, dafs die nöthigen
Lebensbewegungen in ihnen nicht fortdauern können, und
wenn jene Verderbnifs eine solche Wirksamkeit zeigt, dafs
sie die benachbarten Theile mächtig ergreift, und sie schnell
in gleiche Zersetzung überführt; so wird niemand leugnen,
dafs ein solcher Zustand sehr perplex und zweideutig ist,
und die gewöhnlichen Heilbeschlüsse (consilia) mit gerech-
ter Furcht lähmen wird, da sich diese auf eine successive,
langsame und milde Art des Wirkens gründen sollen, wel-
che dem raschen Umsichgreifen der Verderbnifs weder ent-
sprechen, noch Genüge leisten. Es scheint mir daher kei-
neswegs widersinnig, dafs dies Entweichen der Lebens-
thätigkeit aus den so schwer verletzten Theilen, dafs un-
mittelbar keine Rettung derselben mehr möglich ist, wäh-
rend den umliegenden Theilen die drohende Gefahr einer
14*
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/
212
gleichen Verderbnifs bevorsteht, dafs, sage ich, jenes Ent-
weichen aus einem Verzweifeln an dem Gesammtzweck,
also aus einer Vernachlässigung der zur Erreichung des-
selben dienenden, jetzt aber fruchtlosen Mittel herrührt,
und dafs dieser wirkliebe Abscheu vor jener in Wirksam-
keit getretenen ertödtenden Gewalt, dem leitenden Prih-
eip der Lebensbewegungen in der thierischen Oe-
konomie, mit welchem Namen man dasselbe auch
belegen mag, zuzuschreiben sei, welches nicht einmal
in unmittelbare Berührung mit jener. Verderbnils treten,
und auf sie seine bewegende Lebenskraft vergeblich in An-
wendung bringen will. Eine Bestätigung für diese Ansicht
giebt die Beobachtung, dafs die kräftigsten analeptischen
Mittel, namentlich das Zimmtöl, am meisten dazu beitra-
gen, die Energie der Lebensthätigkeit zu erhalten und zu-
rückzurufen, zum deutlichen Beweise, dafs es hier vielmehr
darauf ankommt, die Lebensenergie festzuhalten und zu be-
tätigen, als auf materielle Weise geradezu der Verderb-
nifs entgegen zu treten.
. Auf entgegengesetzte Art wird diese Theorie durch
die ausgezeichnete Wirksamkeit des Bisses giftiger Thiere
zur Hervorbringung des Brandes bestätigt. Denn wenn
man die Erfolge eines solchen Bisses gehörig in Erwäh-
nung zieht, so erhellt hieraus, dafs derselbe eine Verlez-
zung darstellt, welche von der Natur ohne äufsere Hülfe
schlechthin nicht überwunden und geheilt werden kann.
Ja, es mufs letztere alles Nöthige ausrichten, und die Na-
tur vermag nichts dazu beizutragen. Denn sie wird so-
gleich von einer völligen Niedergeschlagenheit betroffen,
welche sich durch Angst, Ohnmächten und durch einen
aller Lebensbewegungen sich bemächtigenden Todesschauer
ankündigt, und insbesondere in dem unmittelbar verletzten
Theile den Brand entstehen läfst, welcher eben wegen der
aufhörenden Lebensthätigkeit rasch um sich greift. Jedoch
will ich es nicht gänzlich in Abrede stellen, dafs bei den
Bus wunden von giftigen Thieren auch eine materielle Ener-
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213
/
gie, gleichsam durch die Wirksamkeit einer Gährung wir
Beschleunigung der fauligen Verderbnifs beitragen könne,
was sich auch von einer anderen Seite her dawider erin-
nern liefse.
Die Natur des Brandes wird noch deutlicher gemacht,
wenn man ihn mit der Eiterung vergleicht, die ihnen bei-
den gemeinsamen und verschiedenen Bedingungen namhaft
macht, und zeigt, wie eine heilsame Beschränkung des
ersteren, auch wenn man mit einer chirurgischen Entfer-
nung des Brandigen au Hülfe kommt, nur auf eine einzige
Weise zu Stande kommen kann. Mit der heilsamen Eite-
rung gemein hat der Brand dieselbe Materie, nämlich das
in den blutleitenden Theilen stockende Blut, welches von
den erweiterten Poren derselben aufgenommen wird. Die
Verschiedenheit beider bezieht sich aber darauf, dafs die
Verderbnifs unvermeidlich ist, wenn die Gröfse der Stok-
kung und die Anstrengung des Impulses enorm ist, und
letzterer daher von dem Charakter der zertheilenden Le-
beusthätigkeit abweicht, welche einen 'gelinden Fortgang
nehmen soll. Denn Behufs der Wiederherstellung durch
Eiterung mufs sowohl der Antrieb als die Stockung einen
gemässigten Grad behaupten.
Eine gemeinschaftliche Bedingung des Brandes und der
Eiterung ist ferner ihr Vorkommen in denselben Theilen,
nämlich vorzugsweise in den blutführenden muskulösen Ge-
bilden. Der Brand ergreift jedoch allmählig auch die blut-
leeren Theile, nicht blos, wenn das in ihnen widernatür-
lich angehäufte Blut in Verderbnifs geräth, sondern auch
wenn letztere aus der Nachbarschaft sich auf sie fortpflanzt.
Eiterung kann dagegen in blutleeren Theilen schlechthin
nicht statt finden. i : , :
Die vornehmste und durchgreifendste Verschiedenheit
der Eiterung von dem Brande besteht aber darin, dafs er-
sterc dem Blutlaufe einen ununterbrochenen Zutritt und
Durchgang gestattet, daher durch Fort spülen der feineren
The Heben, während nur die gröberen zurückbleiben, ein
214
beilsamer Erfolg erlangt wird. Beim Brande ist dagegen
der Durchgang des Blutlaufs unterbrochen, das sich selbst
überlassen e stockende Blut mufs daher in Vcrderbnifs über-
gehen, und diese den angrenzenden Gebilden mittheilen.
Wenn dagegen im Umfange des Theiles, welcher der Zer-
störung nicht entrissen werden kann, die Lebensthfitigkeit
kräftiger angeregt wird, so geschieht dadurch der weite-
ren Verbreitung des Brandes Einhalt; mit andern Worten,
der Brand hört mit dem Eintritte der Eiterung sogleich
auf. Es wird daher nicht nur bei den Pestbeulen empfoh-
len, sie in Eiternng zu setzen, sondern man lobt auch mit
Recht sowohl bei ihnen, als auch beim Anfange anderer
Arten von Brand die Anwendung des Glüheisens, worauf
man die Eiterung zu befördern trachten soll. Ebenso wer-
den auch die Aetzmittel gerühmt, welche nicht sowohl
die abgestorbenen Theile zerstören, als vielmehr die noch
lebenden corrodiren, und auf diese Weise eine Trennung
beider von einander bewerkstelligen sollen. Wenn iudefs
die Corrosion auch diesen Zweck erreicht hat, so kann
doch die Heilung nur unter Mitwirkung einer regelmäfsi-
gen und ungehinderten Eiterung zu Stande kommen.
Die gegebene Erörterung macht die Annahme speci-
soTj g i li i s <\ cli 1 1 c Ii c i* 13 o d i n ^ u n ^ c n de i crdcrljÄiifis bei dä ^5 rs dcJ €»
über Aussig, da die Neigung der thierischen Mischung zur
fauligen Zersetzung, besonders im Blute, hinreichenden Auf-
schiufs giebt. Denn letztere mufs in Wirksamkeit treten,
wenn ihr von der erhaltenden Lcbensthätigkeit nicht Wi-
derstand geleistet wird. Ueberdies giebt sich die brandige
Verderbnifs nach allen sinnlichen Erscheinungen geradezu
als eine faulige zu erkennen. Da ferner die gährende Wirk-
samkeit der Fäulnils, verglichen mit der Energie der Lc-
bensthätigkeit, als eine sehr schwer zu heilende erscheint,
ja mit dem Zweck der letzteren im geraden Widerspruch
steht; so läfst sich h ieraus leicht begreifen, dafs das Heil-
bestreben durchaus vereitelt werden mute, wenn die Ver-
>
4
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*
dcrbniis rascher um sich greift, als ihr von den naturge-
mäßen Lebensbewegungen Widerstand geleistet wird» Ja,
es läfst sich nach der gegebenen Darstellung leicht begrei-
fen, dafs unter solchen Verhältnissen die Anordnung der
Lebensthätigkeit, ihr Ziel verlassend, aus mangelndem Ver-
trauen, Verzagtheit und Fluchtigkeit vielmehr unterbleibt,
als dafs sie in Kraft treten sollte. Dieses Schwanken und
fahrlässige Entweichen der Lebensthätigkeit mnfs aber um
so gewisser Verderben bringen, da anstatt einer wirksa-
men Eiterung die Blutstockung aus Mangel an Tonus wei-
ter um sich greift, und somit der fauligen, gährenden Zer-
setzung ein freierer Spielraum eröffnet wird, während im
gleichen Grade die Hoffnung eines heilsamen Erfolges der
Lebensthätigkeit immer mehr schwindet, welche daher auch
ihr reges Widerstreben aufglebt.
In dieser Beziehung ist es höchst wichtig, dafs eine
eigenmächtige, durch die nachdrücklichste Hülfe der Kunst
nicht unterstützte Bekämpfung des Brandes nur in den sel-
tensten Fällen sich ereignet. Daher verdient der von Bar-
tholin (Hurt. unat. Cent. 1. KM. 69) angeführte Fall die
größte Beachtung, wo bei einem armen Mädchen der Brand,
nachdem er einen Fufs zur Hälfte ergriffen hatte, von selbst
stille stand. Als der verdorbene Theil abgestoßen war,
erfolgte die Heilung ohne Mitwirkung irgend einer Kunst-
hülfe.
Hierher gehört auch die beachtungswerthe Thatsache,
dafs der Brand sowohl bei den Thicren überhaupt, als beim
Menschen insbesondere eine seltene Erscheinung ist Ja,
er kommt bei den ersteren nicht nur weit sparsamer vor,
sondern es ereiguet sich auch unendlich seltener, dals der-
selbe mit der nämlichen Heftigkeit, wie beim Menschen
Fortschritte macht. So entsteht z. B. bei Pferden von
Druck und Quetschung zuweilen eine weder eiterartige,
noch jauchige, sondern wirklich faulige Verderbnils des
verletzten Theiles, welcher entweder ausgeschnitten wer-
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216
den mufs, oder durch Eiterung von selbst abgestoben wird.
Unerhört ist es aber, dafs die Absterbung sich weiter aus-
breitet, wie dies beim Menschen immer geschieht
..... • • • i * » ,
M
Von dem Geschwür.
Der Name Geschwür wird von den Alten im Allge-
meinen für jede Verderbnifs gebraucht, welche die Säfte
mit den festen Theilcn gemein haben. Im engeren und
richtigen Sinne unterscheidet man diese Verderbnifs von
der Eiterung und allen mit ihrem Wesen in Verbindung
stehenden Erscheinungen. Es ist daher ein «ehr irrthüm-
licher Ausdruck im gemeinen Leben: wo Eiter, da ist auch
ein Geschwür; denn jener kann nur in einem Absccfs vor-
kommen. Unter dem Namen Apostem (von welchem man
noch in allgemeinerer Bedeutung den Vorgang bei einer
Apostase unterscheiden mufs) kann man deswegen nicht
jedes Geschwür schlechthin verstehen, obgleich man um-
gekehrt zu dem Begriff des letzteren den Eiterabscefs so-
wohl, als die jauchenden, mit scharfen, salzigen und se-
rösen Ausflüssen verbundenen Schäden rechnen kann. Da-
mit aber jene Verderbnisse, welche weder der Materie,
noch der Form nach mit der Eiterung übereinkommen,
durch eine eigene Benennung ausgezeichnet werden; so
kann man sie zu dieser Unterscheidung Geschwüre nen-
nen, in welchem Sinne auch die Alten dies Wort gebraucht
haben.
In engerer Bedeutung ist daher das Geschwür die Ver-
derbnifs eines vom Zutritt des reinen Blutes ausgeschlosse-
nen Theilcs, wodurch die Substanz desselben, so wie die
daselbst befindliche Feuchtigkeit zersetzt werden. Eine
solche Entartung kann in denjenigen Theilen nicht statt
finden, zu denen eine reichliche Blutmenge noch Zutritt
findet, daher sie nur die blutleeren Organe, welche serös-
lymphatische Säfte in sich aufnehmen, oder Theile betrifft,
weiche zufällig eine solche Veränderung erfahren haben,
•
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dafs sie dermalen, und so weit sie in Verschwärung Über-
gegangen sind, dem innigen Durchdringen des reinen Blu-
tes unzugänglich wurden.
Vor allen übrigen Theilen eignen sich also zur Ge-
schwürsbildung besonders die Haut, die Membranen, die
Flechsen, Ligamente, und die Drüsen. Auf eine zufallige
Weise gehen auch die einen üblen Verlauf nehmenden Ei-
terabscesse in Geschwüre über, desgleichen Wunden, wel-
che in der Vernarbung und in der dieselbe vermittelnden
Eiterung gestört wurden. Hieraus läfst sich leicht bestim-
men, welche Theile vorzugsweise von Geschwüren befal-
len werden; es entsteht z. B. der Grind am Kopfe, der
Milchschorf und Geschwüre hinter den Ohren bei Kindern,
ferner die Krätze und andere Hautausschläge, so wie man-
nigfache Verschwärungen vom Kratzen, Stofsen, zumal an
die Schienbeine, von Verbrennungen, nach Fontanellen und
dergleichen.
Da das einfache Geschwür vornämlich in Theilen, wel-
che reich an serös -lymphatischen Säften sind, vorkommt,
so wird seine Eigenthtimlichkeit durch den Zutritt und die
Mitwirkung des Blutes umgeändert. Wenn der dünnere
und gelbliche Theil desselben zugemischt wird, so nimmt
der seröse Ausflufs eine scharfe und brennende Beschaffen-
heit an. Durch einen vermehrten Zutritt des rothen Blu-
tes erhält die Verderbnüs einen hitzigen, ja selbst koili-
quativen und fressenden Charakter. Wenn sogar das dik-
kere Blut reichlich eindringt, wird die Verderbnifs unter
heftigen Schmerzen, oder unter Verlust der Empßndung
eine faulige, welche schnell in grofsen Substanzverlust über-
geht. :
Alles dies erfolgt auf einfache Weise, ohne Mitwir-
kung eines specirischen Ferments, dessen Zutritt ganz eigen-
thümliche Verderbnisse nach sich zieht, wie wir dies bei
der Lustseuche, dem Aussatz und einigen phagedanischen
Geschwüren beobachten.
Die formale Beschaffenheit des Geschwürs wird vor-
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218 t
zuglich durch die serös -lymphatische Mischung seiner Ma-
terie bestimmt, welche um so mehr salziger Art ist, je
mehr Serum sie enthält, dagegen sie durch vorwaltenden
Gehalt an Lymphe scharf, und durch Beimischung spei-
chelartiger Materie stark gährend wird. Die gröfste Schürfe
erlangt sie durch reichlichere Zumischung von Blut, wel-
ches die saltige Verdcrbnifs am meisten befördert
Aufeer diesem Mischungscharakter der Materie bestimmt
auch die Verschiedenheit der leidenden Thcile die formale
Beschaffenheit des Geschwürs; denn die röhrenförmigen und
sehr porösen Organe begünstigen besonders einen reichli-
chen Ausfluß». Die Porosität kann sowohl ursprünglich,
als zufallig entstanden sein, in welcher letzteren Beziehung
sie noch näher betrachtet zu werden verdient. Wenn näm-
lich ein fli eisend es Geschwür ein drüsiges, schwammig -röh-
renförmiges Organ befällt, und die vielen Gänge desselben
zernagt, so ergiefst sich aus deren Oeflhungen der in dem-
selben reichlich abgesonderte Saft, welcher auf den gewöhn-
lichen Wegen ausgeschieden werden sollte.
Die Entstehung eines Geschwürs ans einem Abscesse
verdient noch besonders erörtert zu werden. Mit jedem
Abscefs ist eine Blutstockung und ein vermehrter Zuflufs
und Durchgang des Blutes unzertrennlich verbunden, wo-
her Rothe, Geschwulst, eine entsprechende Härte und fühl-
bare Hitze entstehen. Wischt man von der eiternden Fläche
den Eiter ab, so erscheint jene von einer frischen rothen
Farbe, wie eine noch ein wenig blutende neue Wunde.
Wenn daher der lebhafte Zuflufs des frischen Blutes, wel-
cher allein die Vernarbung befördert, aufhört, während der
Durchgang durch die Poren des Thciles frei bleibt, welcher
eine so dichte Struktur hat, dafs er nur das Serum und
eine verdünnte Lymphe in sich aufnehmen und durchlas-
sen kann; so tritt bei aufgehobener Kontinuität des Theiles
uud so lange diese dauert, der Erfolg ein, dafs die reich-
lich ergossene serös- lymphatische Feuchtigkeit, je nachdem
sie durch die Wandungen des Geschwürs eine größere oder
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I
geringere Verzögerung erleidet, in eine zunehmende, an-
fangs* schleimige, zuletzt salzige Verderbnifs übergeht. Wenn
dagegen Theile, welche einem reichlichen Zufluis des Blu-
tes offen stehend, zu einer löblichen Eiterung gelangt wa-
ren, und zur Vernarbung sich anschickten, in der letzteren
entweder durch die Vernachlässigung der gehörigen Rei-
nigung oder durch unpassende Anwendung fetter Salben
gestört wurden; so werden die von der Abscefsöfihung ge-
trennten Fasern durch eine entstandene salzige Schärfe an-
genagt, ohne bis auf das Gesunde zerstört zu werden, da-
her sie dann die Bildung einer neuen Granulation verhin-
dern. Zugleich- vermindert sich der lebhafte Zuflufs des
Blutes, welcher bei jeder rasch fortschreitenden Vernar-
bnng statt zu finden pflegt, bis zu dem gewöhnlichen ge-
linden Grade, daher der Theil in seinem ganzen Umfange
blafs wird, während eine seröse Jauche ausschwitzt, wel-
che dem Kranken, wie dem Arzte, sehr lästig wird, da
siey wenn keine gründliche Hülfe geleistet wird, eine Ver-
heilung nicht zu) Stande kommen läfst 1
Dergleichen durch Vernachlässigung oder zweckwidrige
Behandlung in Geschwöre verwandelte Abscesse zeigen eine
bleiche, livide Oberfläche, erregen ein sehr lästiges Zuk-
keu und Brennen, ergiefsen eine weifsfarbige, dünne Jauche,
und werden durch längere Dauer sehr hartnäckig. Sie kön-
nen nicht zur Vernarbung gebracht werden, wenn nicht
zuvor die übel beschaffene Oberfläche entfernt ist; man mufs
daher durch abstergirende, selbst gelinde septische Mittel
es bewirken, dafc der Schaden wieder einen frischen Grund
bekommt, ohne welches alle übrigen Bemühungen frucht-
los bleiben, ja selbst schädlich wirken. Dies gilt beson-
ders von der bei den neueren Aerzten und Chirurgen üb-
lichen Sitte, unter der leeren Voraussetzung von speeifi-
schen Ursachen des hartnäckigen Charakters der Geschwüre,
speeifische Heilmittel anzuwenden, z. B. Merkurialien bei
noch nicht gereinigten Schäden, oder wenn die Reinigung
noch nicht gleichförmig erfolgt ist, balsamische, erhitzende,
V
I
220
selbst die schärferen septischen, welche eine neue and tie-
fere Erosion bewirken, obgleich die Beschaffenheit des Thci-
les es nicht zuliilst. » «»♦ <
.. ' Eine ganz besondere Berücksichtigung verdient noch
die; eigenthümliche Art der zunehmenden Verschlimmerung,
welche ein Geschwür bei längerer Dauer vorzüglich dann
erleidet, wenn die Säfte in reichlichem Maafsc zuströmen
und ausfliefsen. Der leidende Theil bleibt dann für die
Folge immer mehr einem solchen stärkeren Säfteandrang
ausgesetzt, daher denn jede allgemeine Aufregung (des Kreis-
laufs) dorthin besonders ihre Richtung nimmt. Selbst wenn
durch Vernarbung des Geschwüres der Ausflufs gestopft
wurde; so bleibt doch die Neigung zurück, alle schädli-
chen und zur Ausleerung bestimmten Säfte dorthin zu trei- ,
ben , und daselbst abzulagern, woher denn mannigfache
beschwerliche Kongestionen, Stagnationen, Anschwellun-
gen, gewöhnlich Rheumatismen genannt, entstehen. Durch
diese wird leicht eine Wiedereröffnung des Geschwürs be-
wirkt. Daher ist es nothwendig, schon bei der anföngli-
chen Behandlung eines einfachen Geschwürs den zu star-
ken und besonders den regelwidrigen Andrang der Säfte
abzuhalten. Doch mufs man sich sehr sorgfältig hüten,
nicht den naturgemäßen lebhaften Zuflufs eines gesunden
Blutes, der zur Vernarbung erforderlich isi* zu unterdrük-
ken. Jenes notwendige reichliche Zuströmen erkennt man
leicht an der lebhaften Rothe.
Ueberhaupt mufij die innere Oberfläche von der un-
reinen Jauche und von den Ueberresten der zerstörten Fa-
sern durch die schon genannten absterbenden und ge-
inäfsigten septischen Mittel befreit werden, worauf dann
erst die Anwendung der balsamischen folgen kann. Doch
sind sie nicht durchaus nothwendig, da die Natur sich
seihst zu helfen im Stande ist, nachdem man dem vorge-
nannten Zweck Genüge geleistet hat. Nützlich wird je-
doch in dieser Beziehung die Myrrhe, wenn der Theil ein
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221
fleischiger ist, so .wie bei blutleeren die schärferen harzig-
öligen Arzneien, wobei man jedoch immer das richtige
Maafs halten mufs, um nicht einen bis zur Entzündung
gesteigerten Zuflufs und Brennen zu erzeugen.
Vorzuglich kommt es darauf an, da Ts die Reinigung
der Geschwürsfläche gleichförmig erfolge, denn wenn man
auf ein znm Theil gereinigtes, zum Tb eil aber unreines
and zur Granulation untaugliches Geschwür balsamische
Mittel legt, so bilden sich an den gereinigten Stellen un-
reife Fleischwärzchen, die eine venöse und schlaffe Textur
haben, und wildes Fleisch genannt werden, an fleischigen
Theilen eine spongiöse, an blutleeren aber eine fungöse
Beschaffenheit annehmen. » *• *
Zuletzt wenn alles glücklich von Statten ging, ist es
nöthig, dem Theile seine gehörige Stärke wiederzugeben,
damit er dem Andränge der Säfte Widerstand zu leisten
vermag. Dies ist besonders bei lange dauernden Geschwü-
ren, welche sich an einen reichlichen Ausflufs gewöhnt
haben, wohl zu beachten.
• »«»»*• • •♦
§•5.
Von dem Furunkel und dem Karbunkel.
.»«»•».* * , »
Der Furunkel ist eine begrenzte Entzündung, welche
viel Schmerz und Brennen verursacht, sehr gcröthet, selbst
bis zur Purpurfarbe, erscheint, und schwer in Eiterung über*
geht. Wenn indels letztere eintritt, der Furunkel aber
klein ist, und zeitig geöffnet wird ; so zeigt sich ein Loch,
welches selten gröfser als eine mittelmäßige Nadel ist, und
beim Druck einen oder den anderen Tropfen Eiter aus-
fliefsen läfst, worauf bei stärkerem Druck ein blutiger
Tenor nachfolgt. Wenn der Furunkel einen gröfseren Um*
fang einnimmt, mit unpassenden Pflastern und Salben feh-
lerhaft bebandelt wird, und daher spät zur Eröffnung ge-
langt; so geht er nachgerade in Eiterung über, und läfst
ein großes Loch zurück. Gewöhnlich bildet er einen sehr
» i ♦ /
»
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222
üicKea unu ungieicinoimigen r^iter, weicner an einigen
Stellen dicker, an anderen flüssiger und zugleich mifefar-
big, ichorös ist.
Nach Maafsgabe seiner Gröfse und im Verhältnifs zu
den anderen Entzündungen erregt der Furunkel, zumal
wenn er gröfser ist, einen sehr heftigen und stark bren-
nenden Schmerz, der sich zugleich unter dem Gefühl eines
krampfhaften Zittern» durch das ganze Glied erstreckt, und
nicht Mos Unruhe und Schlaflosigkeit, sondern auch wirk-
liche Angst und allgemeine Fieberhitze veranlagt.
Der Furunkel ist, wenn die Eiterung nicht glucklich
erfolgt, sehr in Brand überzugehen geneigt, wie denn
auch deshalb der Eiter leicht einen üblen Geruch und eine
schlechte Beschaffenheit annimmt Nachdem die Eiterung
zum Aufbruch gekommen ist, bleibt der Rand nicht nur
in einer weit gröfse reu Breite, wie bei anderen Entzün-
dungen sehr hart, sondern schmerzt und brennt auch noch
auf eine ungewöhnliche Weise.
Der Furunkel ist nichts anderes, als eine Blutstok-
kung, welche sich nicht sowohl in den Poren eines mus-
kulösen Theils ausbreitet, als vielmehr sich auf ein Blut-
gefäss beschränkt. Da aber das im Stocken begriffene Blut
(es sei denn, dafs die nahe Hautoberfläche eine freie Tran-
spiration der flüssigeren Theiie begünstigt, so dafs die übri-
gen als ein Scirrhus zurückbleiben) mit absoluter Notwen-
digkeit in Fäulnifs oder Brand übergeht, wenn 'nicht ein
entzündlicher Antrieb und Durchdringen des Blutes den-
selben durch Entfernung der sich abscheidenden feineren
ihn befördernden Theilchen verhindert; da ferner dies Ein-
dringen des Blutes in jenes verstopfte Geföfs nicht gesche-
hen kann , folglich die Fäulnils fast unvermeidlich wird,
welcher die Natur »indels mit ängstlichem Bemühen und
rastloser Anstrengung widerstrebt: so gehen hieraus jene
intensiven entzündlichen Bewegungen hervor, welche mit
Angst und Wachsamkeit vergesellschaftet, sich in einem so
weiten Umfange um den an sich kleinen leidenden Theil
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»
ausbreiten, auf keiner wirküchen Stockung beruhen, und
daher auch keine eigentliche Eiterung gerade nach sich
ziehen, vielmehr, wenn jenes von der Stockung betroffene
Theilchen durch Eiterung ausgestofsen ist, ohne in eine
solche oder in eine andere Verderbnils überzugehen, sich
zeiuieiien.
Wenn aber die Stockung beträchtlicher, der Blutan-
drang heftiger und hartnäckiger ist, oder wenn im Blute
aufser seiner allgemeinen Neigung zur Zersetzung noch eine
ganz besondere zur gährend- fauligen Entmischung vorwal-
tet; so entsteht ein höchst gefahrlicher Furunkel, welcher
leicht in Brand übergeht. Bei einem solchen erreichen
nicht nur während der heftigsten entzündlichen Thätigkeit
die Schmerzen und Hitze den höchsten Grad, sondern auch
die Farbe geht aus dem Purpurroth ins Schwärzliche über.
Mann nennt ihn dann Anthrax, gewöhnlicher Karbunkel
(nach dem Worte carbo, Kohle), weil er ein sehr starkes
Brennen verursacht, und anfangs mit einer glühenden Rothe
erscheint, zuletzt aber schwarz wird, und indem er in
Brand endet, gleichsam einen verbrannten Theil darstellt.
Um es also mit wenigen Worten zu sagen: der Karbun-
kel ist eine zur Herbeiführung der Eiterung und zur Ver-
hinderung des Brandes mit notwendiger, wenn gleich be-
schwerlicher Anstrengung verbundene, also höchst inten-
sive und zur Gangrän geneigte Entzündung, welche indefs
nur dann wirklich in Brand übergeht, wenn jene Anstren-
gung vergeblich war. :
Insofern theilt man den Karbunkel in den gutartigen
und den pestartigen, obwohl man ihm den Charakter der
Gutartigkeit« nur im Vergleich mit dem pestartigen beile-
gen kann. Denn aufserdem kann nur der Furunkel gut-
artig heifsen; auch aufser der Pest ist der Karbunkel böse,
bei derselben aber höchst gefährlich. Indefs auoh der Pest-
karbunkel, wenn er nicht gebrannt oder ausgeschnitten,
sondern mit gelinderen Mitteln behandelt wird, geht nur
m seinem Innern in Fäulnifs, in seinem Umfange aber in
# ... , .
i
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224
4
Eiterung über, durch welche er Dei günstigem üLranKneits-
verlauf ausgestoßen wird. Aber auch der aufser der Pest
vorkommende, von einem starken Brennen begleitete Kar-
bunkel geht niemals mit seiner ganzen Masse in eine löb-
liche Eiterung über, sondern das Innere derselben nimmt
jederzeit einen fauligen Geruch an, und wird, nachdem
Farbe und Substanz völlig entartet waren, abgestofsen.
Die ganze Gefahr des Karbunkels beruht auf seinem
Ausgange in faulige Verderbnifs, welche, wenn sie vom
Pcstkontagium mit den heftigsten Gährungsbewegungen ein-
geleitet wird, mit um so zerstörender Gewalt den ganzen
Körper ergreift. Ich lasse mich hierin nicht durch die
Angabe irre machen, dafs der Pestkarbunkel in einigen
Fällen als eine oberflächliche Pustel auf dem leidenden
Theile entstehen, und hierauf erst mit einer schnellen und
in die Tiefe dringenden Zerstörung um sich greifen soll.
Denn ein solcher Verlauf ist dem Karbunkel überhaupt
keinesweges eigen, und vom Pestkarbunkel ist es oft ge-
nug beobachtet worden, dafs er zur grofeen Gefahr der
Kranken latent blieb oder zurücktrat Ueberhaupt bezeu-
gen es die meisten Schriftsteller, welche das Geschicht-
liche hiervon mit Sorgfalt bearbeiteten, dafs die Kranken
nicht nur häufig, ehe noch der Karbunkel nach aiusen
hervortrat, an grimmigen, brennenden und krampfhaften
Schmerzen in jenen Gliedern litten, sondern dafs auch der
Karbunkel, wenn er gleich mit einer Pustel sich zuspitzte,
doch tief nach innen in den Theil eindrang, und sich wie
eine Pyramide daselbst mit einer harten und breiten Basis
endigte. Hieraus erhellt deutlich, dafs der Ursprung des
Uebels ein innerer ist, nicht von einer äufseren, nach in-
nen eindringenden Pustel herrührt
i Es scheint daher zweck maisig. insofern einen Unter-
schied zwischen dem Furunkel und Karbunkel aufzustellen,
dafs ersterer seinen Sitz nur in der Oberfläche des Kör-
pers hat, der Karbunkel dagegen tiefer nach innen dringt,
und eben deshalb, weil er einen beträchtlicheren Gefäfsast
von
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225
von festerer Struktur in sich schliefet, einen weit schwie-
rigeren Verlauf macht. Denn der einfache und Sehte Fu-
runkel ragt bedeutend nach au Isen hervor; nicht so der
Karbunkel, dessen Härte sich mehr nach innen wendet,
und daher bei der nachfolgenden Zerstörung, auch wenn
der Ausgang glücklich ist, mit einer weiten Oeflnung platzt,
um das Verdorbene auszustofsen.
Aus den angegebenen Bedingungen läTst sich nicht nur
die Eigentümlichkeit dieser Geschwülste erklären, son-
dern auch ein richtiges Heilverfahren ableiten, und begreif-
lich machen, in wie weit und weshalb dasselbe schwierig
und vergeblich sein mufs. Ebenso erhellt hieraus der Un-
terschied derselben von dem Eitergeschwür und dem Brande,
und zwar nach mechanisch -organischen Begriffen von dem
das Leben erhaltenden Kreislauf, mit Ausschluß aller er-
dichteten materialistischen Hypothesen. 1 )
Drittes Kapitel.
Von den Krämpfen.
Unter dem Namen Krampf begreife ich sowohl die-
jenigen Erscheinungen, welche sich deutlich als mannig-
fache Formen uuregclmäfsiger Bewegungen zu erkennen
geben, als auch solche, welche man nur dem Begriffe nach
dafür halten kann. Zur ersteren Art gehören die wirk-
lichen Krämpfe, konvulsivischen Bewegungen, zur letzteren
die mannigfachen Schmerzen, welche unter dem Namen
* »
i -
1) Im Original folgt eine Abhandlung über den Krebs und
den Scirrhus. Stahl hat beide durch die in seiner Zeit vorherr-
schenden humoralpathologischen Begriffe, die er indefs zum Theil
bestreitet, zu erläutern gesucht. Da seine Theorie für ans nur
durch die stete Hinweisung auf die Heilkraft der Natur wichtig
wird; so dürfen jene veralteten Lehren, die nur den Geschichts-
forscher interessiren , hier überschlagen werden.
Stahls Theorie d. Heilk. III. 15
226
der katarrhalischen, rheumatischen und gichtischen be-
kannt sind. Von den Krämpfen, welche schon im vori-
gen Tb eile abgehandelt wurden, will ich nur einige ganz
besondere Umstände nachholen, den krampfhaften Schmer-
zen dagegen eine ausführlichere Betrachtung widmen.
§• i.
Von dem einfachen, dem c mischen Krampf und dem
krampfhaften Asthma.
Im gewöhnlichen Sinne^ist der Krampfeine ziehende
und spannende Bewegung, wodurch die Musiceln mit au-
genbiicklicher Heftigkeit in einer bestimmten Richtung zu-
sammengezogen werden, und in diesem Zustande einige
Zeit verharren, bis ihre straffe Spannung allmählig nach-
läßt, und in Erschlaffung übergeht. Zuweilen ergreift der
Krampf einen einzigen Muskel, ohne von besonderen Ge-
fühlen begleitet zu werden; zuweilen breitet er sich aber
über eine ganze Ordnung zu einander gehöriger Muskeln
aus, welche dann ihr gewohntes gemeinschaftliches Wir-
ken einbüfsen, und in starre Anspannung übergehen, wo-
durch nicht nur das Glied, an welches sie sich heften, in
einer gekrümmten Lage erhalten, sondern auch ein ange-
zeichnetes Schmerzgefühl hervorgebracht wird, als wenn
eine Zerreifsung bevorstände. Ein solcher Krampf ergreift
zuweilen die Hand, oder auch den Ober- und Unterschen-
kel, den Fufs, vornämlich die Zehen.
Die Krämpfe kommen am häufigsten bei schwammigem
Körperbau und plethorischer Konstitution vor, wo sie bei
den leichtesten Veranlassungen ausbrechen. Außerdem er-
eignen sie sich auch bei zartgebauten Personen, doch an
sich nicht so gewifs und schnell, als wenn diese aufserdem
vollblütig sind und früher an Blutausleerungen durch Blut-
flüsse und Aderlässe gewöhnt waren, solche aber in der
Folge verloren oder unterliefscn. Diejenigen, welche zu
Krämpfen geneigt sind, erleiden häufigere und heftigere
Anfälle derselben nach Ursachen, welche theils das Blut
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in Wallung setzen, theils die Bewegungen geradezu be-
schleunigen. Hierher gehören ein schwelgerischer, nicht
gewohnter Weingcnufs, der unzeitige und unmäfsige Ge-
brauch gewürzhafter, flüchtiger und erhitzender Arzneien,
ja selbst unmäfsige und plötzliche angestrengte Bewegung
gen des Körpers, desgleichen Leidenschaften überhaupt und
Ausschweifungen in der Wollust. Selbst die falsche Lage
nnd Beugung eines Theils, und die Anstrengung über das
Maafs und Vermögen der Kräfte kann zur Erregung voq
Krämpfen beitragen, wie sich dies besonders in den Hän*
den ereignet, wenn man mit ihnen mehr, als sie fassen
können, und dies allzusehr festhalten will. Noch häufiger
aber sind die Krämpfe in dem entsprechenden Alter die
Vorboten arthritisch- rheumatischer Zufälle. In einem frü-
heren Alter verkündigen sie zwar keine schwere Gefahr;
wenn sie aber in demselben häufig wiederkehren, so sind
dergleicheu Subjekte in den reiferen Jahren und bei zu-
nehmender Gelegenheit um so gewisser gichtisch -krampf-
haften Beschwerden unterworfen. .
Zwischen den einfachen Krämpfen und den Konvul-
sionen im enteren Sinne findet kein näherer Zusammen-
hang und Uebergang statt; aufser wenn erstere, ohne eine
gewohnte Erscheinung zu sein, in gefährlichen Krankhei-
ten hervortreten, wo sie die Besorgnifs einflöfsen, dafs sie
in wirkliche Konvulsionen ausbrechen werden. Der cy-
nische Krampf dagegen, bei welchem die Mundwinkel wie
bei einem vom Laufen keuchenden Hunde zurückgezogen,
und entweder geöffnet oder hartnäckig verschlossen sind,
steht den Konvulsionen weit näher, und zeigt durch sei-
nen Uebergang in dieselben einen tödtlichen Ausgang an,
den er auch an und für sich verkündigt.
Ueberhaupt verdient es sorgfaltig bemerkt zn werden,
dafs der Krampf eine höchst seltene Erscheinung ist, da-
her man über seine eigenthümlichen und direkten Ursachen
mit der gröfsten Vorsicht ein Urtheil fällen mufs, und in
seinen zufälligen Veranlassungen nicht alltäglich vorkom-
15*
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mende Bedingungen aufsuchen darf, wenn man nicht die
ätiologischen Verhältnisse falsch auffassen will. Um davor
zu warnen, wollen wir nur des Mifsbrauchs gedenken, den
man zur Erklärung der Krämpfe von den Schärfen, wel-
che die Nerven reizen sollten, und von den Verstopfungen
machte, durch welche letztere gedrückt und gezerrt wür-
den. Ueberhaupt erscheinen die Krämpfe rein symptoma-
tisch, und sie haben keine deutlichen und unmittelbaren
Ursachen, welche sich durch ein Heilverfahren geradezu
entfernen liefsen, daher wir keine spitzfindigen Untersu-
chungen hierüber anstellen, sondern ihre physische oder
medicinische Aetiologie anderen überlassen wollen. Indcfs
wird es nicht unstatthaft sein, einen schon anderswo er-
zählten Fall anzuführen, in welchem einfache Krämpfe of-
fenbar aus der Vernachlässigung gewohnter Blutentziehun-
gen entsprangen.
Ein 45 jahriger Gelehrter, von cholerisch -melancholi-
scher Konstitution, der seine eigenen und fremde Angele-
genheiten mit Eifer betrieb, als ein Ungar gleich seinen
Landsleuten zu heftigen Gemüthsaffckten geneigt war, und
in seinem Amte als Inspektor im geistlichen und im Schul-
fach mannigfachen Anlafs dazu fand, wurde an einem Mor-
gen bei herannahendem Frühlingsäquinoktium von einem
so heftigen Druck in den Schulterblättern befallen, dafs
das Gefühl von Angst und Znsammenschnürung ihm kaum
gestattete, die Brust beim Athemholen zur Hälfte auszu-
dehnen. Zugleich empfand er so qualvolle, zuckende und
brennende Schmerzten in den Schulterblättern, dafs er sich
drei Tage und Nächte hindurch in dem peinlichsten Zu-
stande befand. Arzneien wurden äufserlich und innerlich
ohne allen Erfolg angewandt, aufser dafs auf den Schulter-
blättern brennende und juckende Pusteln ausbrachen, bis
nach Abiauf des dritten Tages die eigentlichen Beschwer-
den nachli eisen; nur behielt der Kranke eine von den Aerz-
ten unterhaltene Furcht vor gänzlicher Erstickung. Als
nach Ablauf dreier Monate der Anfall im verstärkten Grade
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229
wiederkehrte, befragte der geängstigte Kranke wohl 20 an-
gesehene Aerzte um ihre Meinung. Alle waren darin ein-
stimmig, dafs sie den Ursprung des Uebels in scorbutiseber
Schärfe suchten, weshalb sie Mittel gegen den Scorbut,
Katarrh und Rheumatismus verordneten, welche den Blut-
lauf beschleunigen, und von den Stockungen, welche man
annahm, befreien sollten. Die meisten empfahlen zugleich
Sauren, welche nur ein einziger geradezu widerrieth. Bei
Gelegenheit verlangte der Kranke auch mein Urtheil, in-
dem er mir einen weitläufigen Bericht über seine Krank-
heit und über die Ansichten der Aerzte mittheiilc. In
einer mündlichen Unterredung fugte er noch hinzu, dafs
er mehrere Jahre an der Hypochondrie gelitten habe, aber
seit zwölf Jahren gänzlich davon befreit sei. Von Scor-
but liefs sich dagegen keine Spur auffinden, so wie er
überhaupt aufser jener Beschwerde und der dadurch ver-
ursachten Furcht über nichts zu klagen hatte. Dagegen
hatte er lange Zeit hindurch monatlich sich schröpfen las-
sen, jedoch in den letzten Jahren diese Gewohnheit ein-
gestellt, weil er von einem angesehenen Arzte erfahren
hatte, dafs dieselbe zur Auszehrung führe, welcher er we-
gen seiner zarten und trockenen Konstitution besonders
ausgesetzt zu sein glaubte. Diese Furcht benahm ich ihm
jedoch und stellte ihm vielmehr vor, dafs das Unterlassen
jener zur Gewohnheit gewordenen Ausleerung dergleichen
schlimme Folgen nach sich ziehen könne; insbesondere lei-
tete ich seine Zufalle von einer bedeutenden krampfhaften
Anstrengung ab, womit die Natur hartnäckig, wiewohl
vergeblich dem Blute einen Ausweg zu verschallen suchte.
Daher rieth ich vom Gebrauch der antiscorbutischeu Mit-
tel ab, welche nur durch eine zu grofse Aufregung der
Blutgefässe schädlich wirken konnten, ebenso von dem des
Eisens, weil es ganz besonders Strikteren hervorbringen
.und dadurch die Kongestionen befördern werde. Vorzüg-
lich verwarf ich die Anwendung von Säuren, welche an
sich unnütz, der gesammten Kongestion des Krankem *u-
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»
»
<
I
230
wider seien. Statt dessen empfahl ich allein (äie gewohn-
ten Skarißkationen wieder vorzunehmen. Auf sein Ver-
langen wiederholte ich das Gesagte schriftlich, wobei ich
den Nacht heil der Säuren, welche zur Hektik oder Was-
sersucht fuhren mfifsten, besonders hervorhob. Da aber
der Kranke es vorzog, sich nach der Mehrheit der Stim-
men zu richten, so kehrte er im folgenden Jahre zum Ge-
brauch des Eger Sauerbrunnens zurück, von welchem er
damals, als er mich um Rath fragte, schon grofse Be-
schwerden empfunden, und wonach er eine bedeutende
Ätonie zurückbehalten hatte. Nun wurde er bald von
einer wassersüchtigen Anschwellung befallen, an welcher
er innerhalb 6 Wochen starb.
Von ähnlichen, nur noch viel heftigeren Zufallen wurde
ein Greis von einigen und sechszig Jahren heimgesucht,
welcher sich seit vielen Jahren an den häufigen Gebrauch
von Skarifikationcn gewöhnt, diese aber seit einem Jahre
unterlassen hatte, bei dem, wenn auch nicht täglichen,
doch wenn sich die Gelegenheit dazu darbot, überreich-
lichen Genufs geistiger Getränke sich durch eine blühende
Gesichtsfarbe und robuste Körpergestalt auszeichnete, als
Musikus ein ziemlich müfsiges Lebeu führte, aufserdem
aber in den letzten Jahren wegen häuslicher Ursachen
häufigen Gemütsbewegungen unterworfen gewesen war.
Plötzlich wurde er von einer überaus heftigen Beklem-
mung beim Athmen befallen, welche von einer starren
Zusammenziehung des Brustkastens, zumal auf der hinte-
ren Seite um die Schulterblätter ausging und von einer
höchst peinlichen Empfindung, als wenn eine Zerreifsung
bevorstände«, begleitet wurde. Nur in den kürzesten Ab-
sätzen konnte er Luft schöpfen, da ein tieferes Einathmen
durch eine beträchtliche Steigerung der Schmerzen in den
Schulterblättern, und durch das Gefühl, als wenn daselbst
ein Keil eingeschlagen wäre, verhindert wurde. Eine Blut-
entziehung verweigerte er; der Gebrauch von Arzneien
schaffte ihm kaum nach Ablauf Vöfi vier Tagen Erleich-
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231
terung, auch blieb eine sehr grofse Ealkräftuug zurück.
Er erholte sich zwar etwas mehr; da er aber sich gegen
ein Aderlafs sträubte, weil man ihm eingeredet hatte, dals
sein Zufall ein Schlagflufs sei, welcher von einem man-
gelnden Zuflufs der Lebensgeister entstehe, die durch eine
Blutentziehung noch mehr erschöpft würden, so kehrte ein
neuer, wenn auch schwächerer Aufall wieder. Hierauf
verfiel er in Abzehrung, an welcher er etwa im dritten
Monate nachher starb.
Schon früher habe ich meine Meinung über gewisse
Zufalle ausgesprochen, welche, indem sie die Brust betref-
fen, das Athmen schnell und mit einem Male hemmen,
wodurch die Energie aller übrigen Bewegungen im Kör-
per zugleich gelahmt und erschöpft wird. Bei dieser Ge- .
legenheit kann ich nicht unbemerkt lassen, wie zweifel-
haft die ursächlichen Bedingungen des gewöhnlich soge-
nannten Schlagflusscs sind. Denn die Rothe der Wangen
und die Anschwellung der Blutgefässe an den Schläfen
stimmen mit den Wirkungen des willkührlich angehalte-
nen Athmens überein, woraus sich muthmafsen lafst, dafs
eine Hemmung der Präkordialbewegungen die unmittelbare
Ursache gedachten Uebels sei, während man umgekehrt
sagen kann, dafs zur Entstehung des Stickflusses eine läh-
mungsartige Schwache der Athmungswerkzeuge bedeutend
beitrage. UebrigeDs verdanken die schwereren und leich-
teren Fälle des konvulsivischen Asthma's gewöhnlich ihren
Ursprung im Allgemeinen eiuem Hindernils des Kreislaufs
überhaupt, im Besonderen einer Kongestion des Blutes nach
den leidenden Organen, und im engsten Sinne einer auf
die Entleerung desselben gerichteten Anstrengung. In er-
sterer Beziehung neigen sich zu dergleichen Zufällen alle
Personen, welche an einer bedeutenden Vollblütigkeit lei-
den, besonders wenn sie in Wallung gerat heu, in zweiter
Beziehung alle Personen im jugendlichen Alter, und in der
letzleren solche, welche an Blutflüsse . (aus den Lungen)
schon gewöhut sind. Indefs ist das ausgebildete konyul-
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232
I
sivische Asthma kcinesweges eine alltägliche, vielmehr eine
gar seltene Erscheinung. Da es überdies auch ohne be-
deutende fiufsere Veranlassungen seine Anfälle macht, wel-
che nicht so leicht vorübergehen, wie die einfacheren
Krämpfe, vielmehr eine bedeutende Heftigkeit und Dauer
erreichen; so zeugt alles dies von dem lebhaften, wenn
gleich wankenden Bestreben der Natur, die Bewegungen
rascher zu fördern. Bewegungen von einer solchen Be-
schaffenheit entstehen nicht ohne wichtige Ursache, und
wenn dergleichen, sowohl der Heftigkeit, als Hartnäckig-
keit nach, ungewöhnlich zitternde und ängstliche Anstren-
gungen zu Stande gekommen sind, so können sie weder
schnell, noch sicher, so dafs sie nicht bei nächster Gele-
genheit wieder ausbrechen, beseitigt werden.
Vor allem sind die krampfhaften Athmuugsbeschwer-
den verdächtig, wenn sie zu hitzigen Krankheiten hinzu-
treten, so wie überhaupt alle krampfhaften, und vielmehr
noch konvulsivischen Abweichungen der Bewegungen in
jenen eine schlimme Bedeutung haben. Wichtig sind auch
die Stellen beim Hippokrates, wo er von einer das Fieber
lösenden Erstarrung (rigor) redet, wobei man indefs der
Erfahrung gern als unterscheiden mufs, was er hier unter
dem Namen Lösung verstanden, ob er dieselbe auf das Fie-
ber überhaupt, oder nur auf die Paroxysmcn bezogen habe,,
und inwiefern dies in der Praxis seine Bestätigung finde.
Denn zuweilen beobachtet man tonisch - spastische , heil-
same Zufälle, während bei anderen Gelegenheiten die hef-
tigen Anstrengungen einen konvulsivischen Charakter an-
nehmen, von welchem sich nur Schlimmes befurchten läfst.
Ebenso kündigen dergleichen Erscheinungen zuweilen eine
Lösung, und namentlich eine heilsame an, während sie
ein andermal Vorboten neuer Exacerbationen, und selbst
eines nahen tödtlichen Ausganges sind. Im Allgemeinen
zeigen sich die einfachen Krämpfe sowohl den Ursachen,
als den Erfolgen nach, gutartiger als die Konvulsionen, wel-
che in jeder Beziehung heftiger und gefahrdrohender sind.'
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§•2.
Von der Epilepsie.
Wenn irgend eine Krankheit das Nachdenken der Theo-
retiker beschäftigt hat, so ist es die Epilepsie. Meinem
Vorsatze getreu, die Dinge selbst, wie sie wirklich sind,
nicht wie sie in den Meinungen erscheinen, darzustellen,
werde ich mich nicht mit dem Glauben der Alten befas-
sen, welche der Epilepsie eine religiöse Bedeutung beileg-
ten, und deren Anfälle für Wirkungen der unmittelbaren
Gegenwart einer Gottheit hielten, welche* dadurch ihr Mifs-
fallen an den zu vollziehenden religiösen Feierlichkeiten zu
erkennen gebe. Ebenso übergehe ich die Stellen des Neuen
Testaments, wo es an der einen von einer Frau, welche
anderswo deutlich als am Blutgange leidend bezeichnet wird,
heilst, dafs sie den Geist der Krankheit in sich getragen
habe; nnd wo an einem anderen Orte bestimmt von einem
Knaben die Rede ist, welcher durch die Gewalt des bösen
Geistes bald ins Feuer, bald ins Wasser gefallen sei. Doch
verdient die fast bei allen Völkern durch Tradition fort-
gepflanzte Furcht vor dieser Krankheit erwähnt zu wer-
den, weil IsicTTdäTaus erklärt7 wie die Alten sTe~fiir eine
heilige halten konnten. Auch läfst sich ihr geistiger Ur- j <//
sprung nicht läugnen, wenn man die vielen Beispiele in
Erwägung zieht, wo ihre Anfalle durch Aberglauben, Hexe-
rei, magische^ Künste nnd Verwünschu ngen her beigeführt
wurden.
Ebensowenig kann man es jedoch bestreiten, dafs die ^ i
Epilepsie von einer gewissen Art und Beziehung auch aus /
rein materiellen, nnmittelbar die körperliche Oekonomie
betreffenden Ursachen hervorgeht, welche letztere indefs
nicht blos^ zufällige äufsere, sondern auch innere, gleich-
sam Irrthümer der Bewegungen sind, woh in die von Ifag st-
lichen und erschreckenden Vorstellungen herrührenden Lei-
denschaften gehören. OFf^sind es aber auch' offenbare kör-
perliche Fehleii^weTche den Bewegungen ein Hindernifs
entgegenstellen. Dahin sind zu rechnen Störungen des
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234
Mcnstrualgeschäfts, Würmer in den Eingeweiden, außer-
dem ganz widernatürliche Dinge, z. B. Fehler der Bildung,
Verletzungen. Am häufigsten siud es jedoch die Leiden- 1
Schäften, welche die gröfste Macht in Hervorrufung und
Verschlimmerung der epileptischen Anfalle beweisen, denn
es giebt nur wenigere Beispiele, wo sie nicht von Angst
und Schreck, mögen sie nun zum Entfliehen oder zum
Widerstände antreiben, von einem gewaltsamen Aufruhr
durch Zorn, von langwieriger mit Zittern und Zagen ver-
bundenen Traurigkeit, endlich auch von erblicher Anlage
entständen.
<
Ehe wir uns aber weiter hiermit beschäftigen, müs-
sen wir das Geschichtliche der Krankheit schildern. Der
an Epilepsie leidende Kranke wird von mehr oder minder
plötzlichen konvulsivischen Bewegungen heimgesucht, wel-
che oft einen hohen Grad von Heftigkeit erreichen. So
erzählen die Acta Naturae Curiosorum einen Fall, wo bei
einem Knaben die Knochen der grofsen Glieder zerbrochen
wurden. Selbst bei einer geringeren Heftigkeit des Uebcls
kann man oft doch mit grofser Anstrengung die Bewegun-
gen nicht hemmen. Indefs sind die Anfalle auch häufig
so gelinde, dafs die Bewegungen mit geringer Stärke auf-
treten; nur täuscht der blofse Anblick leicht, da es beim
Mangel schlagender Krämpfe oft den Anschein hat, als ob
mehr ein Zustand von Ruhe eingetreten sei. Wenn man
aber mit den Händen eine Untersuchung anstellt, so findet
man oft eine hartnäckige und überaus heftige Anstrengung
der Muskeln, durch welche der Körper in Erstarrung ge-
halten wird, nicht aber eine Erschlaffung derselben.
Für ein der Epilepsie eigentümliches Zeichen wird
es gehalten, dafs der Daum in die zur Faust geballte
Hand mit so grofser Kraft eingeschlagen wird, dafs er sich
mit aller Anstrengung nicht gerade strecken läfst. Wenn
dies dennoch durchgesetzt wird, soll der Aufall aufhören,
nur nicht zu Anfang. Während die Kranken zu Boden
fallen und in jeder Lage in Verzückungen gerathen, stehen
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die Augen offen, und sowohl hierdurch unterscheidet sich
die Epilepsie von der Ohnmacht, als durch die starren
oder wechselweise zuckenden Muskeln von der Apoplexie.
Uebrigens fehlt den Kranken jeder Sinn und jede Erinne-
rung dessen, was in ihren Anfallen vorgegangen ist.
Vorzüglich heftig werden die Glieder von Zuckungen
ergriffen, welche sich aber auch auf die Brust werfen, und
eben solche angestrengte Athmungsbewegungen hervorbrin-
gen, wie man sie bei denen wahrnimmt, welche alle ihre
Kräfte bei schweren Arbeiten zusammennehmen. Auch
lehrt die Beobachtung , dafs bei sehr jungen Personen die
Krämpfe vorzugsweise den Kopf hin- und herwerfen, die
Augen auf die mannigfachste Weise verdrehen, und durch
Aneinanderreihen der Kinnladen ein Zähneknirschen her-
vorbringen. Das Hervorstrecken der Zunge bemerkt man
indefs sowohl bei ihnen, als im reiferen Aller, und es ge-
schieht dabei leicht, dafs erstere durch die Bewegungen
der Kiefer schwer verletzt wird. Ebenso lassen die Ver-
drehungen der Augen nicht selten ein anhaltendes Schielen
zurück. Wenn die Epilepsie vorzugsweise den Kopf hef-
tig befallt, so stumpft sie häufig den inneren Sinn ab, und
lähmt dadurch das Denkvermögen. Ja, wenn sie im zar-
ten Alter mit grofser Gewalt auftritt, läfst sie leicht eine
dauernde paralytische Schwäche in dem einen oder ande-
ren Gliede zurück. 1 Endlich gehört noch zu den Erschei-
nungen des epileptischen Anfalles die Absonderung eines
reichlichen Speichels aus den Speicheldrüsen, welcher in
Gestalt von Schaum aus dem Munde hervorgetrieben wird.
Nach beendigtem Paroxysmus haben die zur Besinnung
zurückgekehrten Kranken keine Erinnerung dessen, was mit
ihnen vorgegangen ist, nur empfinden sie Schmerzen vop
den Verletzungen, welche durch die gewaltsamen Bewe-
gungen hervorgebracht wurden. Gewöhnlich behalten sie
noch ein angemessenes- Gefühl von Ermüdung, wie nach
jeder körperlichen Anstrengung, zurück. Zuwei len hat die
Epilepsie das Eigene, dafs sie sich nach den vornehmsten
....
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f
Mondsveränderungen, besonders nach dem Neu- und Voll-
monde richtet. Aber auch um die Zeit der Mondviertel
pflegen zufällige Gelegenheitsursachen leichter epileptische
Anfälle hervorzubringen.
- Wir müssen freilich die Hoffnung aufgeben, eine deut-
liche, dem medizinischen Zweck genügende Einsicht in die
Ätiologischen Verhältnisse der Epilepsie zu gewinnen ;^wcnn
j man aber die Ursachen, von denen sie am häufigsten zu
entstehen pflegt, so wie den Habitus der Bewegungen,
welche sie hervorruft, in Betracht zieht, so wird es aus
der Vergleichung dieser Umstände wahrscheinlich, dajsjlie-^
sen Bewegungen gleichsam eine Idee, oder irgend ein Ei n-
^4fuck zu Grunde liegt, welcher von jeiner Regung des
• von jei
Zorns odeT~ enternder Angst herrührtjj Auf etwas Aebn-
1 ich es deuten die Meinungen, nach welchen die Ursache
der Epilepsie in der Reizung der Nerven durch gewisse
sie ' berührende Materien , und in einem Aufruhr der ani-
xnalcn Geister enthalten sei, welche ohne auf die Errei-
chung eines bestimmten Zwecks hingerichtet zu sein, ihre
Wirkungen nur in ganz zufalligen Erscheinungen hervor-
treten liefsen.
v So viel ist gewifs, dafs diese in der That nicht sel-
tenen Wirkungen eines mit Angst verbundenen Tumults
;^er_L§bensbewegungen, derselbe mag nun von_Wderw&
,len, von einem von der Mutter ererbten Eindruck oder
von zaghaften Gemüthshewegungen herrühren, auf keine
wahrscheinliche Weise ihren Grund in materiellen Verhält-
msseETtles kranken Körpers haben können. Denn nicht
nur^ist der Ursprung des Ucbels in leeren Einbildungen
und irrt hü mlicheu Urtheilen enthalten, welche eine be-
bende Furcht, Ekel und Widerwillen zur Folge haben;
sondern auch der ganze Krankheitszustand nimmt durch-
aus nicht das Materielle, blos die Bewegun gen in An-
spruch. Letzteres gilt sowohl von den r ein vitalen , als
auch ton den gemischten, und selbst von den geistigen. ,^
Wenn in einigen Fallen der Ekel als ein heftiger Af-
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237
•
fckt aus der blofeen Erwähnung widerwärtiger Dinge, die
daher blos in der Einbildung vorhanden sind, entspringt,
in anderen dagegen durch die wirkliche körperliche Ge-
genwart derselben erzeugt wird, folglich in beiden Fällen
jener Affekt sich als ein Geschmacksurtheil ( actu* aesti-
matorius) wenigstens als eine demselben entsprechende
Wirkung darstellt; so läfst sich hieraus in Bezug auf die
epileptischen Konvulsionen mit Recht schliefsen, dafs sie,
ungeachtet während ihrer keine deutliche sinnliche Wahr-
nehmung statt findet, dennoch als Erfolge eines aus jenem
Geschmacksurtheil entstehenden Affektes ( effectus aestima-
torio-motoriiis) angesehen werden können. Ebenso ent-
springt der Ekel vor Katzen nicht aus der Gegenwart einer
solchen, oder weil irgend etwas Widerwärtiges materiell von
ihnen, wenn auch nur als eine sinnlich nicht wahrnehm-
bare Ausdünstung, ausgegangen wäre, welche in der Ma-
terie des Körpers eiue Veränderung, oder Verderbnils her-
vorbrächte. Dalier wird demselben auch keine Bewegung
aufgedrungen, sondern nur in ihm angeregt Diese Be-
wegungen sind daher auch der materiellen Konstitution des
Körpers und einer Veränderung derselben nicht angemes-
sen; wohl aber entsprechen sie im geraden Verhältnils dem
Ekel des Gemüths, welcher vom Geschmacksurtheil abhän-
gig, aus blofser Einbildung hervorgehen kann, und sie ha-
ben daher den Charakter eines Zwecks im organischen
Sinne.
»
Wenn man alles dies reiflich erwägt, und zugleich,
bedenkt, dafs die epileptischen Bewegungen, wenn sie nicht
von einem eingestandenen leidenschaftlichen, sondern erb-
lichen oder anderweitigen Eindruck, oder von materiellen
zu ihrer Austreibung auffordernden Ursachen entstehen, den
anderen von grofsem Ekel im Körper erzeugten Unruhen
an Seltenheit gleichkommen; so kann man in Betracht ihrer
beiderseitigen Aehnlichkeit ihnen auch gleiche ursachliche
Bedingungen beilegen. Die Reize wirken daher nicht auf
das Materielle und die Theile des Körpers, um in ihnen
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solche Bewegungen hervorzubringen, wie man sie ihnen
als eingeboren und eigentümlich andichtet; sondern sie
sind Incitamcnte der Bewegungen, welche nicht in die
Glieder eingebracht, sondern in ihnen erregt werden, und
sie auf gleiche Weise, wie dies aufserdem zur Erreichung
bestimmter Zwecke geschieht, in Thätigkeit setzen. Denn
wenn die epileptischen Zuckungen, zumal die heftigeren,
auch ohne Bewufstsein entstehen; so haben sie doch ganz
das Ansehen der Bewegungen, welche aufserdem zur Er-
klärung einer im Zorn oder im kampflustigen Unwillen ge-
fafsten Absicht unternommen werden. Dahin gehört das
Verdrehen der Augen, welche umherirrend gleichsam un-
geduldig umherschaucn, oder ein starrer, trotziger, wilder
Blick, ein Umherwälzen der Zunge, als wollte sie sich
zum Sprechen anschicken, ein übermäfsiges Ringen mit den
Gliedern, begleitet von einem Keuchen und Zurückhalten
des Athmens, wie bei absichtlichen Anstrengungen, ja so-
gar häufig ein Schreien gleich dem, welches die Zornigen
sowohl während eines thätigen, als eines leidenden Affekts
hören lassen. Ebenso entstand bei einigen der epileptische
Anfall vom nnmäfsigen Verschlingen^ zumal eines trocke-
nen Brodtcs, und hörte mit Erbrechen auf; bei anderen
nach heftigem Ringen, wobei das männliche Glied sich
aufrichtete, und der Anfall mit einer Saamenausleerung,
ehe noch das Bewufstsein wiederkehrte, nachliefs. Also
immer endete der Anfall entweder mit deutlichen Austrei-
bungen, oder wenigstens mit überaus* grofser Ermattung
nach fortgesetzter Anstrengung der Bewegungen, welche,
wenn sie eine Absicht vergeblich zu erreichen trachteten,
durch die Ermüdung zum Nachlafs bewogen wurden.
Aufscr diesen durch vielfältige Beobachtungen bestä-
tigten Arten der Epilepsie verdienen auch noch die Fälle
derselben sorgfältig berücksichtigt zu werden, wo sie ent-
steht, wenn auszustofsende Dinge nicht ausgetrieben wer-
den. Hierher gehören die epileptischen Krämpfe in den
Pocken, bei Würmern, beim Zahnen, und das Herzgespann
\ •
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239
(cardiogmus) der Kinder von Leibesvrrstopfung. Ebenso
bekannt ist es, dafs bei ganz zarten Kindern ein unter-
drückter, angestrengter Husten, welcher mit einer grofsen
Zähigkeit des Schleims verbunden ist, -zuletzt mit heftigen
Paroxysmen in Konvulsionen übergeht . Zur Erläuterung
des Gesagten verdient besonders eine von Hildanus (Cent. I.
Observ. IV.) erzählte Krankheitsgeschichte mitgctheilt zu
werden.
Einem zehnjährigen Mädchen war eine Glaskugel von
der Gröfse einer Erbse ins Ohr gefallen, und nicht nur
durch vergebliche Bemühungen der Chirurgen noch tiefer
hineingetrieben, sondern die Reizung von dem Gebrauche
der Instrumente und mannigfacher Arzneien hatte auch
Schmerzen hervorgebracht, welche den Kopf und hierauf
alle Glieder der nämlichen Seite befielen und mit Stupor
abwechselten. Vorzüglich litt das Kind bei nafskaltem,
regnigen Wetter im Frühling und Herbste. Nachdem diese
Beschwerden 4 — 5 Jahre angedauert hatten, gingen sie in
epileptische Anfälle über, wegen welcher die erschreckte
Mutter von neuem Aerzte um Rath befragte. Da die
Schmerzen im Ohre und Kopfe seit längerer Zeit aufge-
hört hatten, so kam niemaudem der Verdacht des wahren
Ursprungs und Zusammenhanges bei diesem Leiden in den
Sinn, und vergebens wurden Rath und Hülfe verschwen-
det. Endlich wurde der Autor herbeigerufen, welcher
durch sorgfältige Beachtung der angegebenen Umstände auf
die Quelle des Uebels geleitet, den fremden Körper ver-
mittelst sinnreich erfundener Instrumente auszog, worauf
späterhin auch die Epilepsie geheilt wurde. Da nun schon
dem gemeinen Manne die Unwirksamkeit der täglich an-
gepriesenen Heilmittel gegen die Epilepsie bekannt ist; so
läfst sich wohl mit gröfscrer Wahrscheinlichkeit schliefsen,
dafs dieselbe im gedachten Falle von selbst verschwunden
sei, nachdem die Ursache entfernt war, wegen welcher
jene Anstrengungen der Bewegungen zu Stande kamen, und
häuflg exaeerbirten (wie man eine ganz ähnliche Erschei-
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240
nung beim. Stein umd den durch ihn veranlafsten Anfallen
wahrnimmt.) als dalfs jene Konvalsionen nach dem Gebrauch
von Heilmitteln autfgehört hatten. Hieran Iii ist sich zu-
gleich die heilsame Erinnerung für die Aerzte knüpfen, dafs
sie es lernen mögen, ihre Aufmerksamkeit auf Ursachen zu
richten, welche zwar dem Ausbruche von Krämpfen lange
vorausgehen, dennoch aber ihren eigentlichen Ursprung ent-
halten. Ja selbst wenn diese Bewegungen in Bezug auf
ihre Ursachen nichts auszurichten vermögen; so müssen sie
doch in dem Sinne gedacht werden, als wenn sie mit un-
gestümem Bestreben gegen dieselbe zu Hülfe kommen soll-
ten, oder nach _Helmont*s richtiger Erklärung durch eine
Art von Unwillen hervorgerufen würden. Daher sie denn
auch nach Entfernung der Ursache nicht sogleich und plötz-
lich verschwinden, wie dies der Fall sein mutete, wenn
sie direkte Wirkungen derselben wären. Doch unterliegt
es keinem Zweifel, dafs sie durch direkte Gelegenheitsur-
sachen vorzüglich unterhalten werden, und nach deren Ent-
fernung sichern* weichen, als wenn man ihre Behandlung
ohne deren Berücksichtigung unternimmt. Zur Bestätigung
des Gesagten mögen folgende Beobachtungen dienen.
Ein 9 jähriges Mädchen hatte schon seit 5 Jahren an
immer häuflger werdenden epileptischen Krämpfen gelitten,
wegen welcher man von mir einige Dosen eines mir ge-
bräuchlichen Specifikums verlangte. Nachdem ich sie mit
einer Anweisung zu ihrem Gebrauch übersandt hatte, wurde
mir in einem Briefe gemeldet, dafs sie keine wesentliche
Erleichterung gebracht hätten. Obgleich dabei bemerkt
wurde, dafs eine von den angegebenen Vorschriften nicht
hätte in Erfüllung gebracht werden können ; so yermuthete
ich doch, dafs noch eine andere mitwirkende Ursache da-
bei im Spiele sei. Diesen Verdacht sprach ich bei Ucber-
sendung einiger neuen Dosen aus, erhielt aber in den nach- ,
sten Tagen zur Antwort, dafs sich nichts der Art auffin-
den lasse. Als aber die Anfälle weniger heftig und häufig
beim ferneren Gebrauch des Mittels wurden, welches aufser-
dem
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241
dem eine gründliche Heilung zu bewirken pflegte, bemerkte
die Mutter zufällig eine beginnende Anschwellung des Hal-
ses der Kranken. Zugleich erinnerte sie sich, dafs das Kind
in einem Alter von 3 — 4 Jahren an einer ähnlichen An-
schwellung gelitten habe, welche zwar durch den aufseren
Gebrauch von Arzneien zertheilt worden sei, aber bald
nachher den Eintritt der epileptischen Krämpfe -zur Folge
gehabt habe. Hieraus schöpfte sie die Hoffnung, dafs ' letz-
tere ihre Endschaft erreichen wurden, wenn jenes veran-
lassende Uebel zu seiner ersten Beschaffenheit zurückge-
kehrt wäre.
Von einem 6 jährigen Knaben wurde mir gemeldet,
dafs er schon seit länger als zwei Wochen des Abends um
die sechste Stunde täglich von einem epileptischen Par-
oxysmus heimgesucht werde. Zuerst verspüre er einen
nicht näher zu bezeichnenden Schmerz im Unterleibe, wo-
nach er sich sogleich übel befinde, verworren im Kopfe
sei, und Gefahr laufe, vor Schwindel umzufallen, wenn er
sich nicht sogleich niedersetze. Dann verschwinde unter
konvulsivischen Bewegungen, welche besonders ein keu-
chendes Athmen bewirkten, die Besinnung, die* vor einer
Viertelstunde nicht wiederkehre. Mir fiel sogleich ein,
dafs dem Uebel Spulwürmer zum Grunde liegen mögten,
und ich theilte diese Vcrmuthung der Mutter mit, welche
sie zu bestreiten suchte. Als ich aber nach dem 'übrigen
Zustande des Körpers und der Gesundheit fragte, erfuhr
ich, dafs eine anhaltende Kränklichkeit sich durch eine
bleiche Farbe und ein gedunsenes Gesicht verrathe. Hier-
durch in meiner Meinung bestärkt, wiederholte ich sie ge-
gen die Mutter, welche als Beweis für die ihrige anfahrte^
dafs sie niemals habe Würmer abgehen sehen, nicht ein-
mal nach einem vor 3 Wochen dargereichten Wurmmittel,
welches sie von einem Marktschreier erkauft hatte. Ver-
gebens machte ich .ihr bemerklieh, dafs wahrscheinlich
durch eine- unpassende' Arznei die' Würmer nnr in Auf-
ruhr gebracht, aber nicht ausgetrieben worden, und somit
Stahl's Theorie d. Heilt III. 16
242
die Krampfanf31Ie erzeugt hätten; sie bestand auf ihre Be-
hauptung und auf die Forderung meines Antiepilektikums,
dessen Wirkung man ihr gerühmt hatte. Ich erfüllte ihr
Begehren, jedoch mit der ausdrücklichen Vorhersage, dafs
ich an dem Nutzen der Arznei zweifle, wenn nicht zuvor
die von: mir bezeichnete Ursache gehoben sei. Nachdem
sie dem Knaben nach Vorschrift eine Dosis zur Zeit, wo
der Paroxysmus kommen sollte, gegeben hatte, blieb der-
selbe aus; jedoch am folgenden Abende trat ein heftigerer
* und längerer Anfall als jemals ein, obgleich abermals eine
Dosis vorschriftsmäßig gereicht worden war. Nun gab ich
ihr ein Wurmmittel, worauf sie ausblieb. Nach 4 Wochen
verlangte sie meinen Rath für eine 16jährige Tochter, wel-
che am Wechselfieber litt. Da sie ihres Knaben nicht er-
wähnte, fragte ich, wie es mit demselben geworden sei;
und sie gestand, dafs ihm eine beträchtliche Menge von
Askariden abgegangen seien , nach deren Ausleerung sich
weiter kein epileptischer Anfall gezeigt habe.
Noch ein Fall von Epilepsie, welche, wenn auch ge-
heilt, doch, schlimmere Folgen nach sich zog. Ein Jüng-
ling von einer angesehenen und kinderreichen Familie wurde
für den Kaufmannsstand bestimmt, und deshalb in eine be-
rühmte Handlungsstadt geschickt, woselbst eine grofse Red-
seligkeit Sitte war. Unser Jüngling, de* bei einem mehr
trägen und ernsten als lebhaften Verstände im elterlichen
Hause eine liberale und bequeme Erziehung genossen hatte,
sähe sich unter pöbelhaft geschwätzigen Gesellen in eine
gani fremdartige Lebensweise versetzt; und da er zugleich
die frühere Gemächlichkeit zu Hause mit einem kurzen,
oft unterbrochenen Schlaf und mit Arbeiten, die ihm nicht
anständig schienen, vertauschen mufste: so wurde sein Ge-
müth mit stillem Kummer und Unwillen erfüllt, welcher
zuteilen in heftigen Zorn ausbrechend, zuletzt Epilepsie
zur Folge hatte. -Nach fruchtlosen Bemühungen der Aerzte,
wurde er von den Eltern nach der Iieimaih • zurückgeholt
Sie wandten sich an einen Dorfschulmeister, der eine sichere
i
* *
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Heilung mit einem Arkanum versprach, in welchem eine
Silberauflösung (tinctura lunae) den wesentlichsten Bestand-
teil ausgemacht haben soll. Um kurz zu sein, die Epi-
lepsie Ii eis zwar allmahl ig nach, und hörte nach 3 Mona-
ten völlig auf; jedoch blieb der Kranke matt, träge und
stumpfsinnig. Nach 2 Monaten wurden die Anfälle von
Stupor häufiger, und verbanden sich mit Anwandlungen
von. Schwindel, ja sie gingen in völlige Geist eszerrütjung
über, welche in Tobsucht endigte. Kein Arzneimittel half
mehr, sondern der Kranke wurde durch eine Hektik auf-
gerieben; welche nach abermals 2 ÄJonaten mit dem Tode
endigte.
Ich erinnere mich mehrerer Fälle, wo die wirksamsten
Arzneien vergeblich in Anwendung gesetzt wurden, weil
die wesentliche, gleichsam materielle Ursache, welche die
Krankheit unterhielt, nicht gehörig beachtet wurde, oder
weil letztere eine veränderte Gestalt angenommen hatte,
und in andere Folgeübel übergegangen war, welche der
Hartnäckigkeit und Art nach, ja wegen, wirklicher Gefah-
ren um nichts geringer als jene waren.
Wir haben noch eines doppelten ümstandes zu geden-
ken, nämlich einmal, dafs einige Kranke es kurz vorher
empfinden, wenn ein Paroxysmus zum Ausbruch gelangt,
während andere plötzlich auf einmal von demselben befal-
len werden; zweitens, dals einige im Anfall von höchst an-
gestrengten Bewegungen ergriffen sind, während diese bei
anderen träger von Statten gehen, und mehr in einem teta-
nischen Strecken der Glieder bestehen, so dals sie wie ein
Stück Holz starren. Beide Umstände sind für die glückli-
che Anwendung eines mir gebräuchlichen Specifikums wich-
tig, weil, wenn es bei bevorstehendem Paroxysmus ge-
braucht wird, zumal bei dem aus Konvulsionen bestehen-
den, eine ausgezeichnete Wirkung sich erwarten läfst. Zum
deutüchen, Beweise, dajs man, vergebe«* $4 J^tjolche*
Arzneien in ihrem Wirken auf die Materie sucht Denn
es bedarf von jenem Mittel nur einer höchst geringen Gabe,
16* '
244
welche einen zunächst bevorstehenden Anfall unmittelbar
zu unterdrucken vermag. Wird dasselbe aber selbst in
einer gröfseren Menge aufscr jenem günstigen Zeitpunkte
gegeben, so verliert es seine ganze Wirksamkeit. Anch
ist zu jenem glücklichen Erfolge erforderlich, dafs alle Ge-
legenhcitsursachen vermieden werden, welche die Dispo-
sition um so leichter aufwecken können, je mehr sie im
Stande waren, mit einem stärkeren Wirken jenes Uebel
früher hervorzurufen.
Vorzüglich kommt bei der Epilepsie die Macht der
Gewohnheit in Betracht, welche mit der Folge der Zeit
eine solche Hartnäckigkeit annimmt, dafs man es z. B. für
gewife halten kann, dafs sie bei Erwachsenen niemals wie
der sich verliert. Umgekehrt pflegt die im Kindes- und
Knabenalter entstandene Epilepsie zur Zeit der Pubertät
aufzuhören, wie dies schon die Alten bemerkten; so wie
überhaupt zu dieser Zi-it gegen die früheren Angewöhnun-
gen ein Ekel entsteht.
t Gleichwie wir im Allgemeinen die ursachliche Bedin-
gung der Epilepsie in ein austreibendes Bestreben gesetzt
haben, welches sich in durchpresseuden, kongestiven und
tum Austreiben zusammenwirkenden Bewegungen verrätb,
daher auch die Leidenschaften so viel zur ersten Erzeu-
gung der Krankheit und zur Beschleunigung und Verschlim-
merung ihrer Anfalle vermögen; ebenso tragen dazu auch
solche materielle Ursachen hei, welche ejne gleiche formale
Beziehung haben, nämlich zu einer Austreibung aus dem
Körper auffordern. Hierher gehören daher das schwere
Zahnen, der Ausbruch der Pocken, das Menstrualgeschäft,
die Würmer, der reizende, nicht ausgeleerte Saamen, wel-
che alle zur Epilepsie Veranlassung geben können, und
zwar nicht durch ei ne einfache materielle Thätigkeit durch
Reiz oder SteTs, /sondern in einer Zweckbewehung, 1 inso-
fern sie '^f^^1M9^^^^-^ , »«»getrieben werden
sollen, 'dsus.emivfö ?i : > '•■ -xr-d
^ { th.; , j : r . j.^.. •„ . ; ..... - >• { i
vi
. 1
Ii
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»
» So sind überhaupt die Beispiele einer Epilepsie, welche \
mit Saamenergiefsung endigt , nicht selten, wie ich mich
denn eines solchen Falles bei einem 26jährigen Jünglinge
erinnere* welcher schon vorher an anderweitigen Beschwer-
den gelitten hatte. Er wurde nämlich plötzlich von einem
mehr tobsüchtjgen als melancholischen Delirium befallen.
Denn er zeigte sich weder traurig, noch tiefsinnig und
zaghaft, sondern ganz gegen seinen früheren, bescheidenen
und im Sprechen gemäfsigten Charakter jetzt kühn, ge-
schwätzig, schreilustig, ja drohend uud zum Entfliehen ge-
neigt, daher er auch stets festgebunden werden muiste,
weil seine Armuth es nicht gestattete , ihm fortwährend
Wächter zu halten. Nachdem auf diese Weise ein Monat
verflossen war, während dessen er sich mit vergeblichen
Versuchen, sich mit Gewalt zu befreien, abgequält hatte,
und hierüber einen grofsen Unwillen empfand, kam es zum
Ausbruche der Epilepsie, welche mit starken und lange,
selbst eine ganze Stunde dauernden Anfallen auftrat. Diese
wurden überdies so häufig, dafe sie taglich 2-, 3-, ja 4 mal
•
wiederkehrten. Endlich geschah es, dafs während eines
sehr hedigen Paroxysmus das männliche Glied sich auf-
richtete, allmählig starrer wurde, und endlich eine Saamen-
ergiefsung erfolgte. Unmittelbar darauf liefs nicht nur der
Paroxysmus nach; sondern von dieser Zeit an kehrten die
Anfälle auch seltener und gelinder wieder, diejenigen ab-
gerechnet, welche sich abermals mit einer Saauienauslee-
rung endigten, denn diese waren länger und ungestümer.
Allmählig nahmen die Leiden der Seele und des Körpers
ab, bis nach Ablauf des vierten Monats, und 6 Monate«
nach dem Anfange des Deliriums der Kranke zur völligen
Gesundheit zurückkehrte.
Aufserdcm darf man den durch Vejpgiftnngen hervor- v
gebrachten mächtigen Eindruck keinesweges geringschätzen,
wie es denn nicht an Beispielen fehlt, wo Personen nach*
dem Genuß von Speisen und Leckerbissen, welche ihnen ;
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von veriiacntigen iiienscnen aargereicnt wurden, tneiis un-
mittelbar darauf, theila auch später von dieser Krankheit
befallen wurden.
Die Konvulsionen, welche zu anderen Krankheiten hin-
zutreten, lassen gleichfalls ihre Bcziehnng zu einem durch
sie zu erreichenden Zweck durchblicken, nämlich zu einer
Ausleerung, welche, wenn sie nicht gehörig von Statten
gebt, gleichsam durch ein erzürntes oder ängstliches Be-
streben bewirkt werden soll. Hiermit stimmt der Umstand
überein, dafs zu Konvulsionen besonders solche Individuen
geneigt sind, welche leicht in Jähzorn oder in ängstliches
Erschrecken gerathen, während das Gegentheil von denen
gilt, welche einen unbefangenen und gleichmüthigen Cha-
rakter besitzen. Hieraus erhellt zuglejch, wie unbegrün-
det die Ansicht ist, nach welcher eine scharfe Krankheits-
materie als solche durch einen reizenden Angriff auf die
Nerven Konvulsionen hervorbringen soll. Ks steht damit
nicht nur das Zeitverhältnifs in Widerspruch (wenn nicht
die Anhänger jener Meinung für sie geltend machen wol-
len, dafs sich Konvulsionen besonders an den anzeigenden
oder übel verlaufenden kritischen Tagen einstellen), son-
dern auch der wichtige Umstand, dafs die Konvulsionen
eine höchst seltene, zufällige Erscheinung sind. Zum Be-
weise dafür braucht man nur die Tausende von Kindern
in den unteren Volksklassen anzuführen, welche die Pok-
ken und Masern in einem durchaus regelmäfsigen Verlauf
überstehen, ohne irgend an Konvulsionen, oder auch nur
an heftigen Zufallen in Bezug auf die Ab- nnd Aussonde-
rungen zu leiden; während die Kinder in den Städten in
Folge unzeitig störender Kunsthülfe in Ataxien von unge-
stümen und ängstlichen Bewegungen verfallen. Ebenso er-
innere man sich der zahllosen Fieber jeder Gattung, wel-
che entweder glücklich verlaufen, oder im entgegengesetz-
ten Falle erst im Augenblick des Todes von Konvulsionen
begleitet werden.
Ein 'anderer Einwurf läfst sich von dem Umstände her-
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nehmen , dafs alle mit lebhafteren Anstrengungen der Le-
bensbewegungea vergesellschafteten Krankheiten beim un-
glücklichen Ausgange unter Konvulsionen zu endigen pfle-
gen, welche indcfs häufig so gelinde und kurzdauernd sind,
dafs sie lieh mit jenen fabelhaften, die Nerven reizenden
Schürfen nicht iu Einklang bringen lassen, als wenn nur
zu die5er Zeit eine Reizung auf das Nervensystem einwir-
ken, oder überhaupt irgendwelche Bewegungen auf rein
mechanische Weise ohne Beziehung auf einen bestimmten
Zweck hervorgebracht werden könnten. Umgekehrt er-
klärt sich jene Erscheinung leicht aus der Betrachtung,
dafs selbst nach dem Fehlschlagen wohlgeregelter Bestre-
bungen die Natur gleichsam den letzten Versuch macht,
mit Anstrengung irgend eine Austreibung durchzusetzen,
und dafs sie noch ihro letr.ten Kräfte aufbietet, bis sie von
einem durchaus vergeblichen Unternehmen absteht.
Uebrigens ist die Unterscheidung des Emprotthotonus,
Opisthotonus und Tetanus nach der Richtung, in welcher
der Körper zusammengezogen wird, ganz müfsig, da sie
weder über die Ursachen, noch über die Wirkungen einen
besseren Begriff aufstellt, um so mehr, da es noch nicht
einmal aus Erfahrung feststeht, dafs die Krämpfe in dem
Maafse, als sie heftiger und ungestümer, ebenso um desto
gefährlicher sind. Denn einige sterben, ungeachtet sie nur
mit höchst gelinden Konvulsionen behaftet waren, dagegen
andere trotz der heftigsten Krämpfe nicht sterben. Un-
gleich wichtiger ftir den Arzt in pathologischer, prognosti-
scher und therapeutischer Beziehung sind folgende Bestim-
mungen:
1 ) Die Konvulsionen während des Nachlasses der Krank-
heiten sind gefährlicher, als während ihrer Zunahme.
2) Sie sind ungleich gefährlicher, wenn sie im Jüng
lingsalter während hitziger Krankheiten, als wenn sie in
den kindlichen oder gar den frühesten Lebensjahren vor-
kommen. ,
3) Starke Krämpfe sind den Jünglingen gefährlicher?
248
als den Kindern, ungeachtet man glauben sollte, dafs die
zartere Textur im früheren Alter heftigere Anstrengungen
auszuhalten aufser Stande sei.
4) Sie bringen in akuten Krankheiten denen weniger
Gefahr, welche auch aufserdem an Epilepsie leiden, als
denen, bei welchen dies nicht der Fall ist
üeberhaupt ist bis jetzt die Theorie der Krämpfe noch
.so unfruchtbar, dafs es nicht der Muhe lohnt, länger dabei
(zu verweilen. Nur soviel ist gewifs, dafs die symptoma-
tischen Krämpfe, so wie überhaupt alle Symptome, als
solche nicht sicher, schnell und gründlich geheilt werden
können, ehe nicht das Grundleiden im Allgemeinen zu ei-
nem glücklichen Ausgange gebracht worden ist, oder ehe
es nicht in der Beziehung, in welcher die Krämpfe hinzu-
traten, eine günstige Veränderung erfahren hat. In jener
Beziehung sind nämlieh die Konvulsionen entweder jähe
Anstrengungen der Ausleerungsbewe gungen , oder Bestre-
bungen dazu, wenn ihre Erfolge mangelhaft und unter Hin-
dernissen von Statten gehen. Das erstere ursachliche Ver-
hältnils findet besonders während der Zunahme der Krank-
heiten, das letztere dagegen in ihrem späteren Verlaufe
Drittes Kapitel.
Von den krampfhaften, gichtischen Schmer-
zen.
Da ich das Allgemeine über diesen Gegenstand schon
früher ausführlich vorgetragen habe; so brauche ich hier
nur noch einige specielle Sätze nachzutragen.
Gicht nennt man überhaupt einen Sehmerz, welcher
die Glieder oder Gelenke in irgend einer Gegend des Kör-
pers mit Heftigkeit und Hartnäckigkeit befällt Jedoch
machen diese Schmerzen nicht allein den Verlauf der Gicht
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I
249
ans, sondern letztere fangt oft mit einem stumpfen und
tauben Gefühl an, welches erst bei zunehmender Versoh Ii Hi-
mer ung in jene übergeht. Wir müssen uns dabei vor der
Verwirrung hüthen, welche unter dem Anschein einer ge->
naueren Unterscheidung in diesen Gegenstand gebracht wor-.
den ist, indem man sehr mühsam Rheumatismus und Gicht
als zwei sehr verschiedene Dinge von einander trennte
ungeachtet sie einander untergeordnet sind. Ueberdies sind
Chiragra, Gonogra, Podagra nichts weiter, als eine Gicht,
welche sich auf gewisse Theile des Körpers geworfen bat*
durch welchen Umstand indefs solche, die mit ihrem We-
sen nicht bekannt sind, leicht irre geleitet werden kön-
nen, da die Gicht im engeren Sinne bei jüngeren, das Po-
dagra dagegen bei bejahrteren Personen häufiger vorkommt. .
Schon früher wurde bemerkt, dals sowohl Gicht, als
Rheumatismus vorzüglich Subjekte von einem schwammi-
gen, saftreichen Körperbau befällt, die nicht blos an Voll-
blütigkeit, sondern auch an Wallungen leiden, woher denn?
das Sprichwort kommt, dafs die, welche sich dem Wein,i
dem Zorn und der Liebe ergeben, ganz besonders der Gicht
unterworfen sind, weshalb sie auch weniger die Armen,
als die Reichen heimsucht. Ebenso wurde schon angege-
ben, von welchem Gewicht die erbliche Anlage ist, wie-
viel aber auch zufällige und zur Gewohnheit gewordene
starke Aufregungen ( commotiones) und die durch sie be-
wirkten Wallungen, Uebertragungen und Ausleerungen ( des
Blutes) zu bewirken vermögen.
Die Gicht im strengeren Sinne kommt vornämlich bei
jüngeren Personen zwischen dem 20sten und 40sten Jahre
vor, und befällt besonders die oberen Körpertheile , näm- .
lieh nach der gewöhnlichen Meinung die Schulterblätter, • .
Achseln, Ober- und Vorderarme; ich rechne aber dahin
noch die Hälfte des Kopfes, Genicks und Nackens, des
Rückens oder die hintere Seite der Brust, so wie die eine
Hälfte derselben nach vorn, daher denn die Krankheit als
Hemikranie, falsche Pleuritis, rheumatischer Nacken-, Rük-
•
/
/
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250
keii- and Lendenschmerz, welchen letzteren man einer Ne~
phritis anzuschreiben pflegt, auftritt Wenn die Schmer-
zen in dem Knie, dem Fufs, den Zehen, Händen und Hüf-
ten toben, und gleichzeitig die genannten oberen Körper*
theile befallen, so wird sie von den raemrinischen Schulen,
Arthritis vaga genannt. Da die Gicht der oberen Theile,
in den übrigen Umständen mit dem Podagra übereinstimmt,
so will ich jetzt den Verlauf des letzteren schildern. . ,
Das Podagra entsteht gleichfalls am häufigsten bei Sab*
jekten von einem schwammigen Körperbau und beim san-
guinischen, sanguinisch -cholerischen, selbst beim phlegma-
tischen Temperamente. Desgleichen bei plethorischer Kon-
stitution, wenn der Körper bei übrigens müfsiger Lebens-
weise durch Wein oder Leidenschaften in Aufregung ge-
rfith, welche das Bestreben zu Ausleerungen weckt. Das
Podagra kommt im männlichen und selbst schon vorge-
rückten Alter vor, zumal nach einer feurigen, kräftigen
und gesunden Jugend, in welcher jedoch Antriebe zn Blu-
tungen, oder diese selbst, wenigstens Kongestionen, und
die ihnen zum Grunde liegenden krampfhaften Anstrengun-
gen statt fanden. Auch wirken dahin willkührliche Blut-
en tzichungen , besonders wenn sie wegen vorhandener Voll-
hlütigkeit mit Recht unternommen, späterhin aber unvor-
sichtig unterlassen wurden, ungeachtet die Vollblütigkeit
fortdauerte, und die genannten Incitamente zumal durch
Leidenschaften stets einwirkten, selbst zunahmen. Zwar
wechselt das Podagra der Entstehungsart und dem Orte
nach, indem es bei einigen von oben hinabsteigt, von der
Hüfte, dem Kopfe des Schenkelbeins und diesem selbst
nach dem Knie bis zum Fufs hinabgeht, bei anderen da-
gegen am untersten Ende des Fufses, den Zehen nnd Bal-
len anßngt; doch ergreift es immer das Glied, welches
vom Schenkel bis zu den Zehen Bein genannt wird. Das
Leiden der Bewegung stellt sich zwar immer als eine lä-
stige Empfindung, selbst als ein Schmerz dar, doch ist der-
selbe bei
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251
zwar zuweilen in einem solchen Grade, dafs er dem Kran
ken alle Ruhe raubt, nnd ihn zum Schreien und Wehkla-
gen zwingt; bei anderen, zumal phlegmatischen Personen
ist* er dagegen stumpf, und bringt eben keine bedeutenden
Beschwerden hervor, aufeer Taubheit, Schwere und Unver-
mögen zum Stehen. Doch wenn .letzteres versacht wird,
empfindet der Kranke einen stechenden, die Fufssohle durch-
dringenden Schmerz. Je heftiger letzterer überhaupt ist,
um so weniger erscheint eine äufserlich wahrnehmbare Ver-
änderung des leidenden Theiles in seiner Farbe, Gestalt und
Wärme. So habe ich Kranke gesehen, welche von den
ärgsten Schmerzen im Knie gefoltert wurden, und doch
einen Druck auf letzteres ohne Vermehrung derselben er-
trugen.
Vorzuglich merkwürdig ist der Umstand, den Syden-
ham an seinem eigenen Körper beobachtete, und der sich
auch bei allen denen bestätigt, welche mit weiten Blut-
gefässen versehen sind, nämlich dafs als Vorbote oder zu
Anfang eines Anfalls von Podagra die Blutgefässe am Un-
terschenkel aufgetrieben erscheinen, wozu sich eine Schwere
oder richtiger eine empfindliche Spannung durch den Ober-
schenkel nach abwärts gesellt. Dabei sind die fleischigen
Theile zusammengedrückt, gleichsam verdichtet, von blei-
cher Farbe und zeigen eine verringerte Wärme. Bei Kran-
ken von einem sehr schlaffen, phlegmatisch- sanguinischen
Habitus pflegt unter mehr stumpfen und drückenden Em-
pfindungen eine gröisere, gedunsene Anschwellung aufzu-
treten, welche das ganze leidende Glied einnimmt, und
nicht selten wirklich ödematös ist. Gewöhnlich entsteht
die Geschwulst erst, nachdem die empfindlicheren Schmer-
zen etwas nachgelassen haben, ja letztere weichen dabei
gänzlich. Eine solche Geschwulst ist gemeiniglich röth-
lich, ja so stark geröthet, dafs sie das Ansehen einer Rose
hat. Hieraus ist bei einigen die Meinung entstanden, dafs
Gicht und Podagra entzündliche Zustände seien.
Die wiederkehrenden Anfalle des Podagras werden
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■
meist von Erscheinungen begleitet, die man für Fieber-
Symptome zu halten pflegt. Dafs die gestörten und zurück,
getriebenen Aufalle wahre Fiebererscheinungen zur Folge
haben, wird niemanden befremden, der den werkzeugli-
chen Apparat der Fieber begriffen hat, nämlich die Leitung
der Ab- und Aussonderungsbewegungen durch krampfhafte
Strikturen, woraus sich als mechanische Wirkung der Wech-
sei von Kälte und Hitze ergiebt. Wenn man aber einen
richtigen Unterschied zwischen diesen aufgeregten Zustän-
den fcommotiones) macht, je nachdem sie dem Podagra
vorangehen oder nachfolgen, also entweder unmittelbar oder
mittelbar auftreten, so wird man hierüber leicht ein Ur-
theil fallen können. Nämlich jene ungleichen tonischen
Strikturen, durch welche lange Zeit in ganzen Gliedern
Spannungen (tractiones) unterhallen werden, stellen sich
als höchst feine vibrirende Bewegungen dar, welche sich
mit ihrem Wechsel auch auf innere Theile fortpflanzen
müssen, und daher Hitze erzeugen. Dazn kommt noch,
dafs die gröiste Unruhe und Ungeduld diesen Zustand ver- •
schlimmem, und zu ängstlichem Herzkloufen und zur Be-
schlennigung des Kreislaufs Veranlassung geben.. Deshalb
kann man noch nicht annehmen, dafs an den Vorgängen
beim Podagra innere Fieberbewegungen Theil nehmen, wel-
che nur als ein Folgeübel erscheinen, wobei man sich an
die Eigenthümlichkcit des Podacra's erinnern mufs, dafs es
in seiner Ausbildung in den äufscren Theilen gestört, die
gröfsten Ataxieen in inneren Organen hervorbringt
Zwar leugne ich nicht, dafs die Praktiker dieses Um-
stand es erwähnt haben; doch haben sie, unbekannt mit
den Bedingungen desselben, es übersehen, dafe Personen,
wenn sie in früher Jugend vom Podagra befallen werden,
dasselbe nicht lange überleben, und fast nie das Greisen-
alter erreichen. Der Grund davon liegt in folgenden Mo-
menten. ,
1) Bei solchen Kranken steht das Podagra in einem
* ■ •
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deutlichen Zusammenhange mit sehr heftigen hypochondri-
schen Beschwerden.
2) Die Gicht tritt bei ihnen leicht von den äußeren
Gliedern auf die inneren Organe zurück.
3) Wenigstens tobt sie mit grofser Heftigkeit unter
krampfhaften und konvulsivischen Erscheinungen in den
äufseren Theilen.
4) Ihr Zurückweichen nach innen bringt vornämlich
Entzündungen der Eingeweide hervor;
5) seltener dagegen, und nur bei phlegmatischer Dis-
position, wassersüchtige Zufälle;
6) überhaupt aber Verstopfungen der Eingeweide, wel-
che aus plötzlichen und hartnäckigen Kongestionen nach
innen entstehen.
Aus diesen Bedingungen läfst sich die Aetiologie die-
ser Krankheit mit gröfserer Wahrscheinlichkeit entwickeln.
Auch den Laien ist es bekannt, dafs Personen, welche an
der Gicht litten oder noch leiden, mannigfachen Beschwer-
den in den Hypochondrien, Lenden und Hüften oder auch
solchen, welche von Hämorrhoiden, Nephritis und Stein
herrühren, unterworfen sind. Weniger bekannt ist es da-
gegen, dafs deutliche Hämorrhoidalbcstrebungen, oder zur
Gewohnheit gewordene Ausleerungen gewöhnlich in Ischias,
Gonagra oder Podagra übergehen, wenn sie unterdrückt
wurden, und dennoch ein kräftiger Gesundheitszustand er-
halten blieb, weil dann statt jener die Kongestionen und
Verstopfungen in einer anderen Richtung zu Stande kom-
men. Folgende zwei Beispiele, von denen kein ähnliches
bei .den medicinischen Schriftstellern vorkommt, mögen zur
Erläuterung dienen. Das eine wird von Mouffet in seinem
Thealr. Insector. Hl. IL c. 41. erzählt, wo das Podagra
durch ein monatlich wiederholtes Anlegen von Blutegeln
an den After (die Hämorrhöidatgefäfse) geheilt wurde. Ein
anderer, von mir selbst beobachteter Fall ist mir um so
wichtiger, da er es vornämlich war, dessen sorgfältige Be-
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trachtnng mich von dem Wege der alltäglichen Pathologie ab-
brachte, und mir znerst ein helleres Licht auf die Vorgänge
der Natur und auf die in ihnen herrschende Ordnung und
Uebereinstimmung warf. Es ist derselbe, dessen ich schon
früher beim Ischias gedacht habe. An ihm ist es vorzüg-
lich merkwürdig, dafs eine allmählig eingetretene Gewöh-
nung an den Hämorrhoidalflufs nicht nur gedachtes Hüft-
weh, sondern ein mit Gonogra und Chiragra abwechseln-
des Podagra so gänzlich vertrieb, dafs keine Spur davon
zurückblieb; ja es stellte sich danach eine bis ins 79 sie
Jahr dauernde, feste Gesundheit ein, aufser dafs im 75sten
Jahre eine Steifheit in den Kniekehlen entstand , als ein
alljährlich ' zur Zeit der Nachtgleichen regelmässig vorge-
nommenes Aderlafs auf Rath eines Chirurgen unvorsichtig
unterlassen wurde. Hierdurch wurde ich bewogen, sowohl
das Ischias und Podagra, als auch die Hämorrhoidalbe-
strebungen aus einem anderen Gesichtspunkte anzusehen,
und eine seitdem länger als 24 Jahre fortgesetzte, zahl-
reiche und beständig bewährte Erfahrung hat mir den in
der Natur begründeten, innigen und wechselseitigen Zu-
sammenhang zwischen den gichtisch -podagrischen und den
hämorrhoidalischen Zufällen durchaus bewiesen. Und nicht
blos auf das Zusammentreffen und die Wechselwirkung der
hämorrhoidalischen, ischiadi sehen, nephritischen, podagri-
schen Beschwerden und des Blutharnens haben wir unsere
Aufmerksamkeit zu richten, sondern auch auf das wichtige,
wechselseitige Verhältnils der arthritisch - podagrischen Lei-
den mit heftigeren hypochondrischen Zufallen, wobei indefs
zu bemerken ist, dafs die Ordnung und Aufeinanderfolge
beider häufig gestört und unterbrochen wird, daher sie denn
sich nicht mehr an ein bestimmtes Zeitraaafs binden, son-
dern sich ungeregelt durcheinandermischen. Unter den hy-
pochondrischen Zufallen werden jedoch hier nicht sowohl
die einfacheren, krampfhaft spannenden, sondern solche ver-
standen, denen Kpngestionen des Blutes, und, selbst JEnt-
sündungen der Eingeweide zum Grunde liegen, und daher
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gefährlich, selbst verderblich werden. Hierin ist die Utv
sache enthalten, weshalb jüngere Personen, wenn sie von
einem für ihr Alter zu zeitigen Podagra heimgesucht wer-
den, nach der Wahrnehmung des Volkes sich so wenig
Hoffnung auf ein langes Leben raachen können, da bei ihnen
das Zurücktreten der Gicht nach innen so leicht plötzliche
Entzündungsfieber öder auch deutliche konvulsivische An-
falle veranlafst Bejahrtere verfallen aus gleicher Ursache
eher in schleichende Fieber und Atrophie. Wenn aber das
Zurücktreten der Gicht langsam ohne heftige Zufalle er-
folgt, dann bildet sich bei jüngeren, wie bei älteren Per-
sonen Hektik nnd Wassersucht aus. Einen solchen Erfolg
beobachtet man heutiges Tages besonders nach der üblichen
Anwendung betäubender und zurücktreibender Arzneien, so
wie des Eisens . und der flüchtigen Salze. Daher mögen
zukünftige Aerzte daran erinnert werden, dafs Podagristen,
wenn sie sich überlassen bleiben, und ihre Beschwerden
mit Geduld ertragen, gewöhnlich ein höheres Alter errei-
chen, und sich dabei rücksichtlich ihrer inneren Lebens-
verfassung einer hinreichend guten Gesundheit erfreuen.
Diejenigen dagegen, welche durch unpassende Blutentzie-
hungen dem Anschein nach von ihren podagrischen Anfäl-
len erleichtert und befreit werden, erleiden nicht nur an-
dere heftige, besonders innere Anfechtungen, sondern ihr
Leben wird auch bedeutend abgekürzt, indem es den ge-
nannten, in den Unterleibseingeweiden sich ausbildenden
Folgcübeln unterliegt. Hellersehende Aerzte werden in Zu-
kunft beurtheilen, was von den Hülfsmitteln, welche man
hier zu gebrauchen pflegt, zu halten sei, und welcher ün-
terschied statt finde zwischen den heilsamen Bestrebungen
der Natur und der sie richtig beobachtenden Kunst, wel-
che darauf eine denselben entsprechende Methode begrün-
det, einerseits und einem ihnen widerstrebenden Verfahren
andererseits, welches aber nichts Besseres und Angemes-
seneres zu leisten vermag.
<*«.. Ehe Wir der gewöhnlichen, allgemeinen und auch in-
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dividueli verschiedenen Ausgänge der podagrischen Anfälle
gedenken, haben wir noch zu erinnern, dafs diese den Lei-
denden in wirklichen Paroxysmen zustofsen , welche sich
besonders im Frühling und Herbst zur Zeit ereignen, wo
die Witterung einem grofsen Wechsel unterworfen ist, über-
haupt so oft ein solcher eintritt, zumal wenn eine nasse
Kälte dem Körper beschwerlich wird. Doch äufsern in
dieser Beziehung Fehler in der Diät, vor allem aber Lei-
denschaften einen großen Einflufs, theils indem sie die vor-
handenen Paroxysmen verschlimmern, theils indem sie die-
selben aufser der angegebenen Regel allmählig hervorrufen.
Wenn aber die Paroxysmen ihren gehörigen Verlauf
nehmen, so treten folgende Erscheinungen nach einander auf:
1 ) Zuerst entstehen spannende und druckende Beschwerr
den im leidenden Theile oder auch im ganzen Körper, welche,
2) wenn nicht der Paroxysmus durch eine Gemüths*
bewegung angeregt wurde, allmählig in einen empfindli-
cheren Schmerz in dem leidenden Theile übergehen.
3) Zugleich stellen sich ein: den ganzen Körper fluch*
tig überlaufende Gefühle von Kälte und Hitze, Verringe-
rung des Appetits, anhaltende Unruhe, gestörter Schlaf,
schreckende und ängstliche Traumbilder, eine unbehagliche
Ermattung, Durst bei Ekel vor den gewöhnlichen Geträn-
ken, Ungeduld des gegen alles empfindlichen Kranken.
Nachdem dies längere Zeit, wenigstens 2— -4 Wochen
angehalten hat, wobei die Schmerzen, wenn nicht im glei-
chen Grade forltoben, doch auch nie völlig aufhören, läfst
deren Heftigkeit allmählig nach, indem zugleich in dem
leidenden Theile die sichtbare krampfhafte Striktur oder
Zusammenziehung der Muskeln zunimmt, daher denn der-
selbe gleichsam abgemagert erscheint. Dabei erstarren die
demselben angefügten, beweglichen Glieder, die Finger und
Zehen dergestalt in ihrer Lage, als wenn sie von einem
gewöhnlichen Krämpfe befallen wären, so dafs sie sick
nicht beugen lassen. Wenn man zn Anfang eine Aasdeh-
nung mit Gewalt hervorbringen will, oder der Kranke aus
Un-
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» •
Unvorsichtigkeit den leidenden Fufs gegen das Bettgestelle
stemmt, so bricht der gemäfsigte Schmerz mit Heftigkeit
von neuem aus, und dauert mehrere Stunden, selbst einen
ganzen Tag. Nachgerade, nach Ablauf von 8 nnd mehre-
ren Tagen läfst indefs diese bedeutende Spannung (vigorj
nach, und gestattet einen mäfsigen und vorsichtigen Ge-
brauch des kranken Gliedes wieder, in welchem jedoch
noch lange eine Schwäche, wenigstens eine verminderte
Kraft zurückbleibt. ' ; • ■
Hierbei verdient die Bemerkung Sydenham's erwähnt
zu werden, dafs die willkührliche Bewegung, des Gliedes,
in welchem gerade ein Anfall auszubrechen beginnt, letz-
teren aus demselben vertreibt, wenigstens verzögert, wel-
ches aber gewöhnlich die Entstehung innerer Leiden, wie
nach einem zurückgetretenen Podagra- aur Folge zu haben
pflegt. Doch kommt, wie ich glaube, hierbei Sehr viel
auf das Maafs und die Wiederholung der Bewegung an,
weil hiervon überhaupt sehr viel abhängt, ob sie bei hy-
pochondrischen Kongestionen nnd spastischen Zusammen-
ziehungen unnütz, selbst unerträglich, oder vorteilhaft und
höchst zuträglich werden soll. ' »•
Ebenso pafst ganz hierher die von Hildanus bei meh-
reren Personen gemachte Beobachtung, welche früher mit
starken Anfüllen des Podagra's behaftet, von demselben ver-
schont blieben, nachdem sie bei Criminaluntersuchungen
auf die Folter gespannt worden waren; Auch bähe ich
den Versuch desselben Verfassers, Giehtbesch werden int
Arm durch willkührliche üebung desselben zn unterbre-
chen und zu vertreiben, in mehreren Fällen bewährt ge-
funden, wobei es denn doch einer grofsen Vorsicht und
der gleichseitigen Anwendung gründlich heilender Maafs-
regeln, zumal in privativer Hinsicht bedarf. Zugleich
wird diese Beobachtung dazu dienen, unsere sogleich auf-
zustellende Pathogenie m • Bezug auf das Zurücktreten' der
Gicht auf innere Otgane zu erläuteba. • •-spwn*« ^ mijs
Diese Aetiologie stützt sich, wie überhaupt meine* ganze
Stahl's Ueorie d. Heilk. IU. 17
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258
übrige Pathologie, auf den Zusammenhang, in welchem die
Bewegungen, Bestrebungen, Leitungen und Bestimmungen
zur Hervorbringung von Blutflüssen stehen. In Bezug auf
das gegenwärtige Krankheitsgeschlecht haben wir es also
im Allgemeinen mit den Zuröstungen (apparativ) zu Blut-
flüssen, dann aber im Besonderen noch mit den cigenthüm-
lichen Neigungen und Richtungen dieser Bestrebungen nach
verschiedenen Orten und Gegenden im Körper zu thun.
Nämlich bei der Gicht im engeren Sinne zum Unterschiede
vom Podagra geht diese Richtung nach den oberen Thei-
len des Körpers, weshalb ich auch mit Recht die Hemi-
kranie zu: den gichtischen Schmerzen rechne. Wobei ich
denn von der herkömmlichen Behauptung abweiche, dafe
die Gicht ihren Sitz schlechthin nur in den Gelenken habe.
Denn' wenn man nur genauer nachforscht, und die Aeufsc-
Tungea .der Kranken sorgfältig beachtet, so wird man sich
bald überzeugen s dafs mehr die Sehnen und Flechsen, als
d ie Gelenke selbst leiden. . \
,. Vor allem müssen wir des Zusammenhanges und selbst
untergeordneten Verhältnisses gedenken, in welchem Rheu-
matismus und Gicht zu einander stehen. %s giebt sich dies
a priori (Schon daraus zu erkennen, dak Personen, welche
früher mit einem deutlichen Rheumatismus behaftet waren,
später an der. Gicht leiden. Eine Bestätigung a posteriori
geben uns Personen, von einer saftreichen Konstitution, de-
ren Gifchtaufällc mit einer Anschwellung der leidenden Glie-,
der anfangen. Diese Geschwülste sind mit Zoflufi und Stok-
kung der Säfte verbunden, wodurch ihr -Umfang in einem
nicht geringen Grade zunimmt. Zwar ergreift diese Ge-
schwulst zunächst die Gelenke, während der Rheumatis-
mus mehr^diö Mitte der Glieder in. dem Muskelileiseh be-
fällt; doch kommC auch bei phlegmatisch -sanguinischen Per-
sonell häufig ei r. e ; allgemeine Anschwellung vor, welche
das Glied in allen seinen Theilen «innimmt , , „ . .„j*
Jenes untergeordnete, Verhältnils spricht sich vornäm-
lieb auf iblgendeuVerachiedene Weise aüs: .; . : u
N
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259
1) Durch den einfachen Rheumatismus werden, zumal
in poröseren Subjekten, die Säfte kräftiger, unverändert und
reichlicher in den leidenden Theil getrieben.
2) Wenn dagegen die kongestive Thäligkeit gemässig-
ter, häufiger, und ohne einen Ausweg zu finden, gleichsam
freier geworden ist, und mit Hartnäckigkeit andauert, so
wird nicht nur ein geringerer, sondern auch der dünnere
und schärfere seröse Theil der Säfte hineingetrieben, wo-
her denn ein empfindlicheres, juckendes und stechendes
Brennen entsteht, uud eben deshalb zu krampfhaften Ge-
genwirkungen Gelegenheit gegeben wird.
3) Dies krampfhafte Zusammenziehen und Erzittern
bringt endlich die Gichtschmerzen hervor, daher die Gicht
im materiellen Sinne, wie die Schulen sich ausdrucken, in
wahren krampfhaften Bewegungen besteht. Doch betreffen
diese nicht die Muskeln in ihrer Gesammtheit, sondern nur
die einzelnen Fasern derselben für sich. Dessenungeachtet
ist das Ziehen in den letzteren stärker, als wenn sich die
Brwegkraft auf alle Fasern der Muskeln gemeinschaftlich
eistreckte, daher jenes Ziehen sich durch den lebhaften
Schmerz verräth.
Eliie solche krampfhafte, ausgebreitetere Zusammen-
iichung an Stellen, welche sich zu Blutungen eignen \V4kl
üemorrhagicij öder wo Bluteritziehungcn, besonders durch
Schröpfen vorgenommen wurden, ünd zwar lange und hart-
näckig anhaltend, macht daher die allgemeine materielle
Bedingung des Podagra's aus. Eine speciellere Bedingung
ist es schon, dafs die Zusammenziehung in den einzelnen
Fasern, nicht in den ganzen Muskeln statt findet, wo-hei
das Bestreben vielmehr von seinem Zweck abirrt, als dafs
es" geradezu auf denselben gerichtet sein sollte. Die spe-
cicllste oder formale Bedingung ist aber in der Iritensioii
dieser" feinen und hartnäckigen Bewegungen bis zu einein
lebhaften Schmerze enthalten, und dieser Scnmerz in äufsc-
ren Theilen des Körpers ist der F^rm nach das'j" was wir
entweder Gicht überhaupt, oder Chiragra, Gonagra und
17*
260
Podagra besonders nennen, wohin wir auch da« Ischias
rechnen, gegen die Meinung anderer, welche dasselbe als
einen rheumatischen Zufall von der Gicht unterscheiden.
Ebenso gehören dahin die Hemikranic und der Zahnschmerz,
den einige figürlich Zahngicht genannt haben; wiewohl letz-
terer nicht blos von einem Streben zur Blutausleerung, son-
dern auch von gehindertem Zahndurchbruch entsteht, wie
dies besonders zur Zeit, wo die Weisheitszähne hervor-
kommen sollen, sich ereignet. Dennoch findet in beiden
Fällen insofern eine Gleichartigkeit statt, da Ts der Zahn-
schmerz, auch wenu er vom Durchbruch der Zähne ent-
steht, von krampfhafter Beschaffenheit ist.
Da die Heftigkeit der gichtischen Zufälle bei allen In-
dividuen nicht von gleicher Stürke ist, vielmehr bei eini-
gen blos in einer tauben und dumpfen Empfindung besteht;
so sehe ich keinen Grund ein, weshalb man nicht zur
Gicht eine Menge von Beschwerden rechnen soll, welche
den Nacken, die Schulterblätter, den Rücken, die LeLden
und Hüften befallen, und häufig auf lange Zeit sich darin
festsetzen. Mit Unrecht zählt man sie gewöhnlich zim
Rheumatismus, dessen Beschaffenheit sie gar nicht an sith
tragen, da sie mit keiner Geschwulst verbunden sind, folg-
lich keine Verstopfung verrathen, so wie auch der Mangel
an Ab- und Aussonderung irgend einer Materie nicht auf
eine humoralpathologische Ursache zurückschliefsen läfst.
Und gerade in einer solchen suchten bisher alle Patho-
logen die wesentliche Bedingung der Gicht, welche sie
von irgend einer unbekannten Reizung der Nervqn ablei-
teten; obgleich nur der Rheumatismus, nicht aber die Gicht,
9 * 1 * 1
auf einen solchen Ursprung hindeuten. Denn sowohl die
rheumatischen, als die katarrhalischen Beschwerden in au-
fscren Theilen entstehen, wenn gewisse Ausleerungen un-
terblieben, und lassen sich nur dann mildern, verhüthen
oder heilen, wenn an der Stelle der letzteren andere in
Gang gebracht werden. Daher kam es, dafe man die erst-
.. . , . • .
I . r . • tu» • . < • »
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261
genannten ähnlichen ZuRille einer materiellen Ursache zu-
schrieb, und sie deshalb für blofsc Rheumatismen, nicht
für Krämpfe, denen ein gegenwirkendes Bestreben eigen
ist, hielt. So verlor man nun den eigentlichen Ursprung
dieser Zufalle und den ursachlichen Zusammenhang zwi-
schen Gicht und Rheumatismus aus den Augen, und be-
hauptete irrig, dafs die Schmerzen und Bewegungen ge-
radezu durch die kranken Säfte hervorgebracht wurden,
da doch jene, vorzüglich die Bewegungen nur wegen der-
selben entstehen. Man vergafs daher den Nutzen, ja die
Notwendigkeit der tonischen Bewegungen zur Beorde-
rung des Umlaufs der Säfte, ihre ausgezeichnete Wirksam-
keit, denselben eine bestimmte Richtung zu geben, mit
einem Worte den Ursprung der krampfhaften Belegungen
aus den tonischen.
Die Gicht, im allgemeinen und besonderen Sinne ge-
nommen, ist also ein krampfhafter Zufall, welcher ents-eht,
wenn Behufs der ( mehr von einem weiten Umfange aus-
gegangenen, als bestimmt und genau gerichteten) Icitung
des Blutes nach den Absonderungsbewegungeu vcrnittelst
gemüfsigter tonischer Druckbewegungen, sobald sif zu kei-
nem Auswege fuhrt, dergleichen leichte und flüchtige krampf-
hafte Anstrengungen unternommen und hartnäotig fortge-
setzt werden, jedoch mehr einen indirekten ^ ersuch, als
ein direktes und wohlgeordnetes Bestreben darstellen. Sie
gelangen daher auch immer weniger in einem angemesse-
nen Verhältnils zu einem einfachen Erfolge oder Ausgange;
sondern nehmen allmählig den Charakter einer Angewöh-
nung an , indem sie bei günstigen Gelegenheiten leicht zum
Ausbruch kommen, und dann nach dem Gesetz der Ge-
wohnheit schnell wiederkehren und hartnäckig fortdauern.
Diese Eigentümlichkeit haben die Gichtanfälle mit allen
ähnlichen unmäfsigen Bewegungen geraein, dafs sie, wenn
sie zur Gewohnheit geworden sind, in keinem Verhältnisse
mehr zu den materiellen Bedingungen und zu ihrem Zwecke
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stellen. Man ii uifs hierauf sorg fälliger achten, damit nicht
die leere Vorstellung von der direkten Energie materieller
Ursachen falsche Begriffe erzeuge.
( ,\Va& nun die specialen Bedingungen der Gichtanfälle
betrifft, so. sind in dieser Beziehung folgende zu beachten:
1) die Verschiedenheiten nach dem Alter, 2) nach der
Heftigkeit und Hartnäckigkeit, 3) die Seltenheit derselben,
lieber den ersten Punkt ist schon gesprochen worden, näm-
lich dafs die Gicht im engeren Sinne, zum Unterschiede
von dem, Podagra, Gonogra und Chiragra, häufiger im jün-
gere^, als im vorgerückteren Alter vorkommt (doch kann
sie aich , im. letzteren, vorzüglich aus äufseren Ursachen
entstehen > nach SkarLGkatioucn und Aderlässen am Arm,
wenn lange unterhaltene Fontanellen oder Vesikatorien nicht
im Gange erhalten werden. Letzteres gilt besonders' vom
weiilichen Geschlecht, bei welchem in späteren Jahren
eine jurch den Gebrauch dieser Mittel beseitigte Hemikranie
nach deren Vernachlässigung leicht wieder ausbricht.) Die
einfachste Ursache davon ist in der diesem Alter eigen-
tümlichen Neigung der Blutentleerungen aus den oberen
Theilen, dem Kopfe, der Brust hervorzubrechen, enthalten.
Ebenso hf$t sich die Entstehung des Podagra's im späteren
Alter leicht aus der Geneigtheit desselben zu fliiinorrhoi-
dalblutungei. erklären.
In diese? Beziehung muis ich die schon früher ange.
zogene Stelle beim Hippokrates lobend erwähnen, wo er
(Hb. de Afftd, bei der Beschreibung des Hüflweh's) sagt,
dafs dieser Schmerz von der Ablagerung einer serös- biliö-
sen Flüssigkeit auf die durch den Unterschenkel verlaufende
Vena haemorrhoea herrühre. Ich hin freilich weit von einer
ailektirten Aislegungssucht entfernt, welche aus irgend ei-
nem Worte bei den Alten eine vollständige Erkenntnifc
ableitet; vielmehr hege ich die Ueberzeugung, dafs letztere
oft getadelt zu werden verdienen, weil sie ihre Kenntnisse
nicht immer gehörig benutzten, sondern das, was sie be-
stimmt auszuprechen schienen, durch eine andere Entwik-
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kelung ihrer Begriffe widerriefen. Dock läßt sich wohl
annehmen, dais die Alten, und II ippokrat es selbst die That-
sache, dais die BlutilQsse im Zusammenhange mit jenem von
der Hüfte nach dem Schenkel sich ausbreitenden Schmerze
erkannt haben. Nur scheint er diese Sache nicht gehörig
weiter verfolgt zu haben, wie es denn von ihm, wie von
seinem Vcrthcidiger Galen und ihren späteren Nachfolgern
gilt, dafs sie die Gegenstände historisch richtig darstellen,
wenn sie aber zur Erklärung kommen, denselben eine ent-
gegengesetzte Bedeutung beilegen.
In Betreff der Hartnäckigkeit und Heftigkeit der Gicht-
anfälle ist zu bemerken, dais sie in der Jugend, wo sie die
oberen Körper t heile, heimsuchen, weder so häufig wieder-
kehren, noch so hartnäckig und lange andauern, wie das
Podagra, obgleich sie demselben an Heftigkeit der Schmer-
zen gleichkommen. Ferner nimmt die Gicht in der Jugend
wegen ihrer geringeren Hartnäckigkeit nicht so leicht den
Charakter der Angewöhnung an, sondern hört mit zuneh-
menden Jahren leichter auf, oder gebt iu das Podagra über,
während letzteres gemeinhin so tief einwurzelt, dalk der
Kranke kaum jemals von ihm gründlich befreit wird. Wenn
es durch unpassende Arzneien unterdrückt wird, zieht es
gewöhnlich andere höchst bedeutende und hartnackige Lei-
den nach sich, welche den Kranken nicht mehr zu einer
beträchtlichen Lebensdauer gelangen lassen. Hierbei mufs
man nicht übersehen, dafs dem stehenden und dem Grei-
senalter im allgemeinen eine gröfsere Beharrlichkeit in den
einmal gefafsten Vorsätzen, als der Jugend eigen ist.
Jüngere Personen werden nicht selten durch einen hin-
zukommenden und zur Gewohnheit gewordeneu Hämorrhoi-
dalflufs befreit. Zur Erläuterung folgender Fall. Ein vor-
nehmer, etwa 25 Jahre alter Jüngling, von sau^uinisek-
phlegmatischer Konstitution, welcher sich mit ausgezeich-
netem Fleifse und Ausdauer dem Sind nun der Rechtswis-
senschaft ergab, verfiel in die heftigsteu Gicht schmerzen,
welche innerhalb zweier Jahre einigemale wiederkehrten.
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264
Um diese Zeit kam er nach Leipzig, wo er «ich der Hülfe
eines im gro&en Ansehen stehenden Arztes bediente ; doch
Ii eisen die Anfälle kaum vor Ablauf der dritten Woche
nach, zuweilen dauerten sie jedoch noch länger, und zwar
mit einer solchen Heftigkeit, dafs der Kranke keine Be-
rührung ertrug, und mit dem Laaken fortgetragen werden
mufste, wenn man das Lager neu bereiten wollte. Der
Schmerz erstreckte sich von den Schulterblättern und Ar-
men den ganzen Rucken entlang bis zu den Hüften, und
wüthete mit dem ärgsten Reifsen. Endlich brach eine Hä-
morrboidalblutung aus, wodurch er von der Gicht befreit
wurde, und es mehrere Jahre hindurch blieb, während
der Hämorrhoidalflufs fast ununterbrochen und nicht spar*
sam fortdauerte. Um diese Zeit wurde er an den Hof eines
Herzogs berufen, woselbst er ein üppigeres Leben führte,
und sich besonders im Weingenufs nicht gehörig mäfsigte.
Als aus einer mir nicht bekannten Ursache seine Hämor-
rhoiden zu fließen aufhörten, wurde er sogleich von einem
Leiden der Hüfte und des Schenkels bis zum Fufs hinab
befallen, in welchen er anfangs stumpfe, nachgerade aber
empfindlichere Schmerzen empfand. Welche Mittel sein
Arzt in Anwendung gezogen hatte, weifs ich nicht; nur
soviel erfuhr ich, dafs an die Stelle der Hämorrhoiden ein
reichliches Blutharnen getreten, und nach dessen Beseiti-
gung eine Anschwellung der Beine bis zum Bauche hinauf
entstanden war. Seine Geschäfte führten ihn nach Wien,
woselbst er theils nach dem Gebrauch von Arzneien, theils
nach dem Genufs von Uugarwcin einige Monate später sei-
nen Hämorrhoidalflufs wiedererlangte, wobei er sich woh-
ler befand. Einige Zeit darauf starb er an einem epide-
mischen Petechialfieber.
Ein vornehmer Jüngling von gleichem Alter und glei-
cher Konstitution, wie der vorige, wohnte in Begleitung
seines Fürsten einem Festmahle bei, welches demselben
von dem Magistrate der Stadt bei einer feierlichen Gele-
genheit gegeben wurde. Unser Jüngling, welcher zu Hause
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26d
■
mSfsig, wenn auch nicht karg zu leben gewohat war,
kehrte früh Morgens mit schwerem Haupte und Gliedern
in seine Wohnung zurück, woselbst er sich aufs Bette halb-
entkleidet warf, und sich dadurch während des Schlafes
, erkältete. Nach etwa 3 Stunden wurde er von seinem Be-
dienten ungestüm aufgeweckt, welcher gehört halte, dafe
der Fürst sich tu einem Spazierritte, auf welchem ihn die
Edelleute zu begleiten pflegten, rüste. Aufgeschreckt durch
diese Nachricht, und noch ganz schlaf- und weintrunken
raffte er sich auf, um seinem Dienste nachzukommen. Als
er aber die Stiefel, welche aus festem und gehärtetem Le-
der neu und zu eng gefertigt waren, anziehen wollte, und
den Fufs mehr, als über die Hälfte hineingezwängt hatte,
wurde er plötzlich von einem unerträglichen Schmerz be-
fallen. Während ein Schuster gerufen wurde, um den
Stiefel aufzuschneiden, breitete sich der Schmerz durch die
ganze Länge des Schienbeins und Oberschenkels bis zu den
Hüften, und nachdem jenes geschehen war, durch den gan-
zen Körper aus. Auf gleiche Weise litt der Kranke bis
in die dritte Woche, wo er nachgerade Erleichterung be-
kam. Er befolgte den Rath, zu gehöriger Zeit Aderlässe
anzuwenden, und wurde später von keinem Anfall mehr
heimgesucht
Hieraus erklärt sich zugleich die Verschiedenheit des
Podagra's von der Gicht im engeren Sinne rücksichtlich
der Hartnäckigkeit, da bei den jüngeren Gichtkranken die
Blutflüsse nicht beharrlich und unveränderlich ihre Rich-
tung nach einem bestimmten Organe nehmen, sondern sich
allmählig abwärts wenden. Ueberhaupt ist der Jugend der
Charakter der Hartnäckigkeit weit weniger eigen, als dem
höheren Alter, da sie durch geringe Veranlassungen leicht
in schnellen Bewegungen aufgeregt wird, in diesen aber
eben deshalb lange nicht so beharrlich sich zeigt, als das
Alter, welches eine Anstrengung erst nach reiflicher Ueber-
legung unternimmt, dann aber auch mit Standhaftigkeit zu
dem gewünschten Ziele fuhrt.
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OUR
Ga*z besonders beachtungswerth ist die Seltenheit der
GicW und vorzüglich des Podagra'* obgleich die Ursachen«,
welche man für die wichtigsten hält, auf die meisten Men-
schen einwirken, so wie auch bei wirklichen Gichtkranken
nicht immer einen verhältnifsmäfsigett Schaden anrichten.
Um so mehr ist daran gelegen, diesen, scheinbaren Wider-
spruch hinwegzuräumen, und es kann dies nicht sicherer
geschehen, als wenn man seine Aufmerksamkeit auf die
wahre Genealogie und die gegenseitige Verbindung' gleich-
sam Abhängigkeit mehrerer Krankkeitszustände richtet, wel-
che sich auf dieselbe Grundlage stutzen. Man kann den
philosophischen Ausspruch, dafs das nämliche Ding ver-
schiedene Zwecke haben kann, dahin ausdehnen, dafs das-
selbe verschiedene Ausgänge und Folgen haben könne. Wenn
man nun nach diesem Begriff die Seltenheit der Gicht und
des Podagra's gehörig berücksichtigt, und zugleich erwägt,
wie dergleichen, von den nämlichen materiellen oder Ge-
legenheitsursacheu entstehenden Zufälle bei ihrem Fortgange
in den verschiedenartigsten Weisen, Bewegungen und Or-
ganen zu Stande kommen, aber ungeachtet ihrer verschie-
denen Form, doch in Hinsicht der Gattung übereinstimmen,
wechselseitig sich bedingen und in einander übergehen, da-
her sie denn ungeachtet ihrer Seltenheit im Einzelnen, zu-
sammengenommen häufig genug vorkommen; so mufs man,
wenn alles dies richtig aufgefaßt wird, zu einer wahren
Aetiologie gelangen. Man wird dann die Ueberzeugung
gewinnen, dafs viele Menschen, wenn auch nicht eigent-
lich von Gicht und Podagra, doch von verwandten, auf
Blutflüsse abzweckenden Zufallen heimgesucht werden. So
wird es denn erklärlich, dafc diejenigen, welche jenen all-
gemeinen Ursachen ausgesetzt sind, zwar nicht immer eine
und eben dieselbe Krankheit als Wirkung derselben, doch
unter mehreren eine oder die andere wirklich erleiden.
Ebenso wird man hieraus die Uebereinstimmung, Verwandt-
schaft dieser Krankheiten, ja ihre gegenseitigen Umwand-
lungen und Uebergänge in einander begreifen. Zum Be-
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267
weise dessen wollen wir zwei Fälle hervorheben, welch«
ungeachtet ihrer unverkennbaren Bedeutung doch von allen
Aerzten übersehen wurden, nämlich das leichte Zurück- .
weichen der Gicht und des Podagra's von den äufseren
Theilen des Körpers nach den inneren, besonders aber nach
dem Pfortadersystem, und zweitens die konsensuelle Lö-
sung oder Uebertragung der tonisch -spastischen Zufälle in
inneren Organen auf die äufseren Glieder, worüber die
Krauken sich ganz richtig äußern, die Krankheit sei ihnen
in die Glieder geschlagen, ja in die Glieder getrieben. Wo
dann entweder chronische Apostasieen mit nachfolgenden
rheumatischen und endlich hartnäckigen Gichtschmerzen,
oder auch unmittelbar die heftigsten Konvulsionen zum
Ausbruch kommen.
Es bleibt mir noch Einiges über die erbliche Anlage
und die erworbene Gewohnheit und über den Zusammen-
hang der gichtischeu, insbesondere podagrischen Anfalle
mit den Blutcntleerungen zu sagen übrig, welche entwe-
der von selbst durch Hämorrhoiden zu Stande kommen,
oder durch die Kunst bewirkt werden. Wenn es einen
Kranken gäbe, welcher mit gehörig fließenden, in regel-
mäßiger Folge wiederkehrenden Hämorrhoiden und dessen-
ungeachtet mit dem Podagra behaftet wäre, so würde dar-
aus folgen, dais die Hämorrhoiden nicht schlechthin ein
Heilmittel des Podagra's sein könnten. Ich darf dies nicht
bestreiten, da mir viele Beispiele dieser Art bekannt sind,
unter anderen von einem angesehenen Manne, welcher seit
länger als 30 Jahren an Hämorrhoidalblutungen und zwar
keinesweges sparsam und beschwerlich fliefseuden gewöhnt,
dennoch durchaus nicht von allen Gichtanfällen verschont
blieb. Doch zeichnete sich dieser Fall durch zwei merk-
würdige Erscheinungen aus, einmal dafs der Kranke am
meisten an seinen podagrischen Beschwerden litt, wenn
die Hämorrhoidalbiutung nicht ganz ungehindert von Stat-
ten ging; zweitens, dafs der Charakter dieses Podagra's im
Allgemeinen sehr gelinde war, so wie es denn insbeson-
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268.
derc der Konstitution des Kranken angemessen, sich weni-
ger durch Schmerlen, als durch die Empfindung von Stu-
por, Drock und Zittern, welche die Deutschen das Ein-
schlafen der Glieder nennen, aussprach. Zugleich trat, wie
es bei diesem Charakter gewöhnlich vorkommt, eine be-
trächtliche Geschwulst auf, welche ihrer Natur nach ver-
kannt, und vergeblich mit Heilmitteln, deren niemand bei
der Gicht sich bedienen würde, behandelt wurde.
Ebenso war mir ein nicht längst verstorbener Buch-
drucker bekannt, welcher 30 Jahre hindurch an einer er-
erbten Gicht, ohne irgend einen vollständigen Nachlais der
selben, litt, und dabei mit einem gleichzeitig entstandenen
Hämorrhoidalflufs ebenso lange behaftet blieb.
Daher habe ich auch, so oft ich über diesen Gegen-
stand sprach, ausdrücklich bemerkt, dafs Hämorrhoiden sich
nicht selten zum Podagra gesellen. Es würde von un-
schätzbarem Werthe sein, wenn überhaupt die gesunde
Vernunft und ebenso die Einsicht in die Art und Weise
der arzneilichen Wirkungen käuflich zu haben wäre. Ge- v
wils ziemt es sich nur für den Bauer, nicht aber für den
Arzt, entweder gar nicht an Arzneien zu glauben, oder
sich von ihnen eine solche Vorstellung zu machen, dafs
sie, wie man mit dem Pinsei oder Schwamm eine Linie
auslöscht, auf gleiche Weise die Krankheit verwischten
und vertilgten- Dagegen ist eine grofse Klugheit, Erfah-
rung, Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit nöthig, solche
Hulfsmiltel zu kennen, aufzufinden und vorzubereiten, wel-
che der Ordnung, der Zeit, dem Verhältnifs, den Erfolgen
und allen Beziehungen angemessen sind. Nur auf diese
Weise läfst sich lernen und gründlich lehren, was nützt
und Hülfe bringt; dagegen sich ungleich leichter angeben
läfst, was nicht hilft, noch nützt, denn hierzu bedarf es
nur der Anzeige, wenn weder das Wissen, noch das Thun
an Regel und Ordnung gebunden ist, überhaupt dafs nichts
recht geschieht. Uebrigens ist hier nicht der Ort, auch
gebricht es mir an Mufse und Lust, wiederholt cinzuschär-
Digitized by Google
fen, was bei einem klag gemäßigten Verfahren nützlich
werden, und bei einer verworrenen Nachlässigkeit frucht-
los bleiben wird; welchen Vortheil der llämorrhoidalflufs
bringt, wenn er zu einem nicht ausgearteten, nicht zur
Gewohnheit gewordenen, in Unordnung gebrachten, von
Aerzten noch nicht raifebehandelten Podagra hinzutritt, und
was sich umgekehrt von letzterem erwarten läfst, vre im
es nach störenden Kunstgriffen den Hämorrhoiden sich kin-
zugesellt, oder aus erblicher Anlage entsprungen, durch
eine Geist und Körper zerrüttende Unmäfsigkeit im höch-
sten Grade verschlimmert ist; was also unter diesen Um-
standen nützlich oder schädlich wird. Genug habe ich ge-
sagt, um die gegenseitige Beziehung dieser Dinge in ein
helles Licht zu stellen, daher es denjenigen, welche sich
eine geübte- Denkkraft zu eigen gemacht haben, gar nicht
schwer fallen wird, zumal wenn sie die bisher vorgetra-
genen pathologischen Sätze gehörig begriffen haben, durch
Vergleichuugen zu einer wahren Einsicht in den fraglichen
Gegenstand zu gelangen. Sie werden sich dann aus einer
gehörig angestellten Betrachtung dieser Krankheiten nicht
nur einen richtigen Begriff von ihrer einfachen Natur ma-
chen, sondern auch verstehen, was von deren scheinbaren
Anomalieen zu halten sei, welche dessenungeachtet von
einer mannigfachen Komplikation, Störung oder längeren:
Angewöhnung jener wesentlichen Grundbedingung abhän-
gig sind. (t , j
Es bleibt uns noch von einigen Erscheinungen beim
Podagra zu reden übrig, welche als blos individuelle Zu*,
ßlligkeiteu nur seltener, beobachtet werden. Hierher ge-
hören vornämlich die Gichtknoten an den Gelenken und
die Kontrakturen der Glieder. Jene Knoten entstehen zwar
an den Gelenken; aber sie treten häufig so schnell auf^
und zertheilen sich ebenso rasch wieder, dafs man ihre
Entstehung nicht aus einem Zuflufs der Säfte erklären, 80%
dern mit größerer Wahrscheinlichkeit von einer einfachen
Verdichtung und Kijispatur der sehnig Vüechsichten Tbmfe :
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i270
ableiten kann. Höchstens mag späterbin eine Ansammlung
der klebrigen Theile der Lymphe, welche sich verdicken,
hinzutreten, gleichwie diese bei Verwundungen der Sehnen,
also vrenn diese sich in einem schmerzhaften und gereiz-
ten Zustande befinden, sich ergiefscri, wo sie dann den
Namen Synovia fuhren. Mögen nun diejenigen, welche
das' Vermögen zu überlegen und richtig zu unterscheiden
besitzen, hieraus abnehmen, ob der gesammte Krankheits-
zastand, nämlich Podagra, Gonogra und Gicht Oberhaupt,
von der Synovia abhängen, weil letztere sich bei einigen
zuweilen bemerklich macht, oder ob man diese hur als
etwas Zufalliges und Nachfolgendes betrachten mufs. Denn
man bedenke es wohl, dafs wenn das Podagra an sich
schon eine seltene Erscheinung ist, die Bildung von Kno-
ten, welche zuweilen eine tuffsteinartige Härte annehmen,
bei derselben noch weit seltener vorkommt, so dafs unter
zehn Podagristen kaum einer daran zu' leiden hat, und un-
ter zwanzig kaum jemand eher damit behaftet wird, als
bis heftige spastische Strikturen vorangegangen sind, und
längere Zeit hindurch angedauert haben. Wenn derglei-
chen Knoten entstehen, so sind sie gewöhnlich von einer
solchen Kleinheit, dafs sie in keinem Verhältnifs zu den
Erscheinungen stehen, insofern diese durch Bie hervorge-
bracht werden sollten. Was sollte man ferner von deriv
jenigen Podagristen halten, bei welchen sich eine gleich-
formige Geschwulst während des ganzen Gichtanfalls aus-
breitet, ohne dafs es zur Bildung von Knoten kommt?
Mehr dazu sind solche geneigt, welche an heftigen Schmer-
zen leiden, obgleich auch unter diesen nur wehige von
jenem beschwerlichen Zufall heimgesucht werden, daher
denn die Knotenbildung nicht einmal mit heftigen Schmerz-*
anfiilen in einem eigentlichen Verhältnifs steht, sondern
steh als etwas rein Zugiges damit verbindet. Am md±
sten tragen noch dazu )>eir 1) das Einwirken: stürmischer
Leidenschaften, * des Zorns, Schrecks; 2) der un zeitige, an-
gestrengte Gebrauch der ( kranke»? Glieder. Ueberdied
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271
wird zu einer richtigeren Würdigung dieses Gegenstandes
der Umstand führen, dafs nicht sowohl der Schmerz erst
dem Ergufs der Synovia nachfolgt, sondern dafs umgekehrt
letzterer sich erst nach heiligen Schmerzen einstellt Und
zwar geschieht dies nicht einmal in allen Fällen. -
Was nun das Faktum selbst betrifft, so habe ich einen
solchen Knoten plötzlich, innerhalb einer Viertelstunde, cnt.
stehen sehen, welcher sich nicht eigentlich auf oder neben
dem Gelenke, sondern mitten auf dem Olekranon befand,
und die Gröfsc und Gestalt einer halben Wallnufs annahm,
jedoch nach wiederholten Waschungen mit Kamphergeist
binnen 6 Stunden verschwand, und weder bei seinem Ent-
stehen, noch während seiner Dauer von irgend einer Em-
pfindung begleitet war. Ebenso beobachtet man aber auch,
dafs dergleichen Knoten nicht selten viele Tage hindurch
bestehen, und dann allmählig von selbst verschwinden, wag
indefs nicht geschehen kann, wenn die Materie sich zu einer
tuifsteinartigen Härte verdichtet hat. Auch wird kaum je-
mand wahrgenommen haben, dafs solche Knoten ohne An-
wendung von Mitteln schnell und von selbst aufbrechen^
und ihren Inhalt ausleeren, da sie vielmehr Jahre lang, fast
ohne zuzunehmen, auch aufser den Gichtparoxysmen zurück-
bleiben und sich ganz ruhig verhalten. Aus allem diesem
erhellt, dafs weder die Materie, noch die Ausbildung der
Knoten wesentlich etwas zur Hervorbririgung der Gicht zu
wirken vermag.
Ebenso mufs man die Natur der gichtisch -podagrisohen
Kontrakturen von ihrem Zusammenhange mit dem Wesen
der Gicht wohl unterscheiden. Zwar ist es eine häufige
Erscheinung, dafs Kranke von jeder Textur, besonders aber
. die .zartgeballten und gallsüchtigen, nicht nur während der'
Schmerzen ein Unvermögen empfinden, die Theile zu be-
wegen, wenn sie durch eine gewisse Erstarrung verhindert'
werden, sondern auch an letzterer und an einem heftigen
Ziehen- zu Ende der Schmerzen besonders zu Jeiden haben,
weiches einige Tage hindurch fortdauert, big sie wieder »«.
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272
einiger Beweglichkeit gelangen. Auch sind einige Poda-
gristen, zumai wenn ihre Anfalle häufiger wiederkehren,
zu schnell ausbrechenden, wenn auch bald vorübergehen-
den krampfhaft starren Spannungen in den leidenden und
den angrenzenden Theilcn besonders geneigt. Doch habe
ich wirkliche, andauernde und bedeutende Kontrakturen
niemals bei Podagristen wahrgenommen, welche sich be-
ständig vor plötzlichen und erschütternden Leidenschaften,
vor übermässigem Genufs des Weins in Acht genommen,
eine sitzende Lebeosweise, und den unzweckmäßigen Ge-
brauch von Arzneien, vorzüglich von schädlichen, künst-
lich bereiteten Bädern, vermieden hatten. Wenn sich übri-
gens die Kontraktoren mit harten oder auch einfacheren,
andauernden Gichtknoten kompliciren, so ist ihre Actio-
logie deutlich genug. Denn in diesem Falle läfst sich eine
Verkürzung der Flechsen durch eine Krispation ihrer Fa-
sern, oder die Verstopfung durch irgend eine Materie, wel-
che zu jener Verkürzung beiträgt, nicht verkennen. Da&
aber jene Kontraktur häufig von blofsen krampfhaft star-
ren Spannungen der Flechsen herrührt, ist mir besonders
. durch den Fall bei einem Greise bestätigt worden, welcher
seit vielen Jahren von dem ärgsten Podagra geplagt, end-
lich eine Kontraktur erlitt. Nachdem er diese einige Jahre
lang ertragen hatte, wurde er von derselben, vornämlich
durch den Gebrauch des Spiritus formicarum, so weit her-
gestellt, da Ts er, schon über die sieben zig hinaus, noch das
Vermögen sieh zu bewegen, indem er sich auf Stühle und
gegen die Wände stützte, wiedererlangte.
Zum Schlufs dieser Abhandlung und zur Bestätigung
des in ihr Vorgetragenen will ich noch einer Mittheilung
des berühmten Astronomen Gottfried Kirch gedenken,
welche er , damit sie zur allgemeinen- Kenntnifs gelangte,
wiederholt in den Kalendern der Jahre 1691, 92, 93, als
die Erfahrung, welche ein wackerer Mann an seinem* Kör-
per erprobt hatte, niederlegte. Sie besteht in dem Rath*
daß ein Podagrist sich :«or Zeit des Neumondes an dem
Fufse
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273
Fufsc skarificiren lassen, und das Blut so lange, wie dies
* ohne Anwendung von Schröpfköpfen im warmen Wasser,
blos unter dem Druck eines hölzernen Spatels geschehen
könne, fliefsen lassen solle. Der Verfasser dieser Anzeige
versichert, davon die grofste Erleichterung verspürt zu ha-
ben, und ich hielt ihre Mittheilung, da sie mit meiner An-
sicht übereinstimmt, nicht für unnutz.
Viertes Kapitel.
Von dem Verlust der Bewegungen.
■
Ueber diesen Gegenstand will ich mich kurz fassen,
meiner Ueberzengung getreu, dafs jede Aetiologie der im
Körper vorgehenden Bewegungen inhaltsleer ist, wenn sie
sich nicht auf den organischen, gewissen Zwecken entspre-
chenden Nutzen derselben und auf ihr Verhältnifs dazu be-
zieht. Alles, was man gewöhnlich über die ungeregelten
Bewegungen der Geister vorträgt, ist nicht nur geradezu
unbegreiflich, sondern auch um so unfruchtbarer, da es
nicht mit der Seltenheit dieser Erscheinungen, auch nicht
mit ihrem Verhältnifs zu ihren übrigen Bedingungen in Ein-
klang gebracht werden kann. Es eröffnete sich hier zwar
ein weites Feld, um durch Antithesen zu beweisen, wie
weit alle jene üblichen Erdichtungen sich von den That-
sachen entfernen; doch kommt es mir nicht in den Sinn,
an die Lösnng dieser Rathsei sowohl Zeit, als Papier zu
verschwenden.
Vor allen Dingen müssen wir der Seltenheit der Läh-
mungen gedenken, da sie unter zehn-, oder richtiger ge-
sprochen, unter hunderttausend Menschen kaum einen bc-
. fallen, üeberdies entstehen sie fast niemals nach Ursachen,
welche nach der Meinung der Aerzte eine Verstopfung der
Nerven und eine Hemmung der Geister hervorbringen soll-
ten. Denn wie wenige Gelähmte datiren den Anfang ihres
StahVa Theorie d. Heilk. m. 18
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274
Uebels von ehier starken Winterkälte, während alle übri-
gen Menschen so .viele Winter in ihrem Leben und zwar
unter dem lästigsten Wechsel der Kälte und bei höheren
Graden derselben gesund überstehen. Dasselbe gilt von
den übrigen Voraussetzungen in Bezug auf die Entstehung
dieser Krankheit, weil man nicht behaupten kann, dafs
dem einen im höchsten Grade schädlich geworden sein
solle , was allen übrigen keinen Nachtheil gebracht hatte.
Es palst hierauf der Scherz des Gideon Ilarvey, wenn er
(in ihe conclave of associated Medicins) die gewöhnliche
Pathologie der Aerzte mit einer Kriminaluntersuchung ver-
gleicht, weil alle möglichen vorangegangenen Ursachen
(obgleich sie Millionen anderer Menschen keinen Schaden
zufügten) von dem! Kranken, wenn er sich einmal da-
nach übel befand, als Vergehungen anerkanut werden sol-
len, durch welche er sich als eine wohlverdiente Strafe
schwere Krankheit und selbst den Tod zugezogen habe.
So wirft man den Gelähmten bald ihre mannigfache Un-
mäfsigkeit, Verweichlichung, Trägheit, silzende Lebens-
weise, bald ihre Schwäche, die Abgestumpftheit und Re-
gungslosigkeit ihres Naturells vor, ungeachtet in unzähli-
gen Beispielen alle diese Bedingungen, selbst eine aus ir-
gendwelchen Ursachen entstandene Entkräftung, ohne einen
so schlimmen Erfolg, vorhanden sind.
< Wir wollen dagegen unsere Aufmerksamkeit auf den
Habitus und die gegenseitigen Beziehungen der krankhaf-
ten Zustände der Bewegungen richten, zumal wenn diese
durch ihr Uebermaafs fehlerhaft sind, wie dies bald in
i
den krampfhaften (rheumatischen) Kongestionen der Säfte,
bald in Aufreizungen der Fasern und Gichtschmerzen, bald
in anhaltenden Spannungen statt findet, welche Torpor,
Schwere, Unvermögen zur Bewegung, Stupor hervorbrin-
gen. Ferner wollen wir darauf achten, wie diese Be-
schwerden in Kontrakturen, anhaltende Erstarrungen, in
Stupor, Atrophie, Vertrocknung, ja selbst in wirkliche
Lähmung übergehen, deren Natur alle jene Bedingungen
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275
näher verwandt sind. Aus solchen Betrachtungen läfst sieb
nicht nur eine der Wahrheit gemäße Aetiologie ableiten,
sondern sie bahnen auch den Weg zur Therapie, wenig-
stens in präservativer Hinsicht, da die Ausbeute für ein
eigentliches Heilverfahren ungemein dürftig ausfallt.
So erinnere ich mich eines Falles, Wo die Vernachlässig
gung einer präservativen Ausleerung offenbar unsere Krank-
heit zur Folge hatte. Ein phlegmatisch -Sanguinischer Mann
von etwa 46 Jahren war, wenn auch nicht einer völligen
Trunksucht, doch einem übermäfsigen Weingenufs ergeben,
wodurch seine Sinne gewöhnlich umnebelt waren. Dazu
litt er schon seit 4 Jahren und länger, zur Zeit der Nacht-
gleichen und Sonnenwenden, an Anfällen von Torpor und
Schwere, von denen er aber jedesmal durch Aderlässe auf
den Rath eines Arztes befreit wurde. Endlich nach einem
*
heifsen Sommer, zur Zeit des Herbstäquinoktiums, und nach-
dem er seiner Unart stark gefröhnt hatte, stellte sich jene
Schwere stärker ein-, dennoch achtete er nicht auf die ihm
gemachten Erinnerungen, und Mangel an Zeit vorschützend,
verschob er das Aderlassen zu lange. So geschah es, dafs
beim Gehen auf der Strafse der linke Fufs ihm den Dienst
versagte, so dafs er sich kaum vor dem Fallen hüthen und
nnr auf seinen Diener gestützt, langsam nach Hause zurück-
kehren konnte, woselbst angelangt er bemerkte, dafs der
Torpor im Fufse 'zunahm. Bestürzt nahm er zu anderen
Arzneien seine Zuflucht und untcrliefs die Blutentziehurig,
welche jedoch auf den Rath eines anderen hinzugerufenen
Arztes am gesunden Fufse vorgenommen wurde, wie er
denn früher bald am Arm, bald am Fufse zur Ader gelas-
sen worden war. Jedoch hoch in derselben Nacht stellte
sich eine vollständige Lähmung des Armes anf der kran-
ken Seite ein, wobei zugleich die Zunge zu stammeln an-
fing. Dieser Zustand dauerte hartnäckig fort, nur gestat-
tete ihm doch die Schwäche des Fufscs, welche bald zu-,
bald abnahm, auf einen Stock gestützt umherzugehen. Nach
Ablauf von drei Vierteljahren schwand sein Gcdächtnifs und
18 •
276 ,
sein Urtheilsvermögen allmählig; am Ausgehen verhindert,
versank er bei sitzender Lebensweise in bedeutendere Grade
von Torpor, endlich wurde er bettlägrig und von einem
schleichenden Fieber befallen, welches durch Abzehrung
seinem Leben ein Ende machte.
Ich will noch ein Beispiel von Lähmung anführen,
welche zugleich die Zunge und das Gedächtnifs betraf, wie
ich denn noch immer beobachtet habe, dafs alle, deren
Zunge gelähmt war, zugleich an Schwächung des Gedächt-
nisses litten, so dafs sie kaum das Bewufstsein ihrer selbst
behielten, und ihres Verstandes beraubt, in kindische Fa-
selei geriethen. Jüngere Personen erhielten sich in die-
sem Znstande lange, führten aber ein klägliches Leben ; bei
älteren dagegen erlosch bald alle Lebensenergie, daher sie
denn innerhalb eines Jahres in einem stärkeren Anfall von
Lähmung, oder richtiger von Paraplexie starben. — Ein
junger Mann, über 30 Jahre, welcher bei großer Vollblü-
tigkeit doch eine nicht schwache Gesundheit hatte, und
von sanguinisch -melancholischem Temperamente war, er-
gab sich lange Zeit dem Müfsiggange und einem übermäfsi-
gen Weingenufs, so dafs er selten ganz nüchtern zu Bette
ging. Als er eines Morgens beim Erwachen den Bedien-
ten etwas befahl, wurde er von ihnen nicht, und wieder-
holt befragt, kaum verstanden. Sie schrieben dies einem
nicht ausgeschlafenen Rausch zu; aber der Zufall hielt an,
und noch andere Zeichen einer Verstandesverwirrung tra-
ten hinzu und währten mehrere Tage hintereinander fort
Vieles und Mancherlei wurde angewandt, da man die Krank-
heit für eine hypochondrische Melancholie hielt, um so
mehr, da der Kranke immer stumpfsinniger, schweigsamer
und unruhiger wurde, und dabei seufzte. Man befragte
mich auch um mein Urtheil, und nachdem ich den Kran-
ken wiederholt gesehen hatte, der sich durch eine lebhafte
Gesichtsfarbe und durch einen guten Habitus bei kurzer
Statur auszeichnete, übrigens nichts Verkehrtes sagte, noch
that, aufscr dafs er erst durch wiederholte Fragen
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Sprechen, wobei er bedeutend stammelte, aufgeregt wer-
den konnte, und desselben bald überdrussig wurde; so er-
klärte ich, dais hier nicht ein hypochondrisches Delirium,
sondern eine Lähmung des Gedächtnisses und des Urtheils-
vermögens zugegen sei. Daher konnte ich auch zu dfen
aus besonderen Erfahrungen belobten Arzneien kein Ver-
trauen haben. Der Erfolg bestätigte meinen Ausspruch, da
der Kranke das Stammeln und den Blödsinn behielt.
Ich wiederhole es aus voller Ueberzeugung , dais sich
über diesen Gegenstand nichts weiter sagen läßt, was der
Rede werth sei.
Was über die Lähmung in Bezug auf ihre Seltenheit
und auf andere Umstände gesagt wurde, gilt auch vom
Schlagflufs, den man als eine plötzliche Verhinderung oder
selbst Vernichtung aller Bewegungen betrachten mufs, im
ersten Falle mit unmittelbarer und gewisser Gefahr des To-
des, welcher im zweiten selbst eintritt Der Schlagflufs,
welcher nicht auf der Stelle tödteV ist vorzüglich von fol-
genden Erscheinungen begleitet: 1} von einer Anschwel-
lung der Blutgefäfse in den Schläfen und einer Wangen-
rötbe; 2) von einem Röcheln oder Pfeifen auf der Brust,
welches gleichsam von einer Verstopfung, wenigstens von
Schleim, welcher sich dem freien Athmen als Hindernils
entgegenstellt, herrührt. Bei einem höheren Grade des Ue-
bels erlischt sogleich alle Bewegungsenergie; bei geringe-
rem Grade bleibt ein mäfsiger Ueberrest derselben zurück,
welcher jedoch auch bald völlig verschwindet
Ein 4(rjähriger Mann, welcher eine üppige Diät führte,
und seit den letzten Monaten reichlich Wem getrunken
hatte, häufig den Affekten des Zorns und der Furcht aus-
gesetzt, und bei einem cholerisch • melancholischen Tempe-
rament an häuGge Blut entzieh an gen gewöhnt war, die er
aber nicht regelmäßig und nicht zur schicklichen Zeit ver-
anstaltete, befand sich bei der Rechnungsablegung über seine
Finanzverwaltung in einer verwickelten Lage, welche nebst
Mißverhältnissen in seinem Familienkreise ihn mit Sorgen
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erfüllte. Endlich zur Sommerszeit war er beim Frühstück
durch einen Zwist mit seiner Gattin in heftigen Zorn ge-
rathen, wobei er, ohne etwas gegessen zu haben, rasch
ein halbes Maafs Wein austrank. Darauf stand er schnell
voin Tische auf, und lief mit einer solchen Hast in sei neu
über dreihundert Schritte von der Sladt entlegenen Gar-
ten, dafs er dadurch in eine noch gröfsere Aufwallung ge-
rn then mufste. Dafs er daselbst angelangt, sich noch übler
befunden habe, wurde daraus wahrscheinlich, dafs er an
der Gartenthür umgekehrt, und mit gleicher Schnelligkeit
nach Hause zurückgeeilt war. Als er das Zimmer, worin
er seine Galtin verlassen hatte, von innen verschlossen fand,
gab er durch Gebärden und Worte seine Furcht, dafs ihr
eine grofse Gefahr zugestofsen sein mögte, zu erkennen, und
da sie auf sein inständiges Bitten nicht hörte, so strengte
er unter den Zeichen der höchsten Bestürzung alle seine
Kräfte an, um die Thür zu erbrechen, bis nach Verlauf
einer Viertelstunde die Frau das Zimmer selbst öffnete.
Kaum seiner bewufst trat er ein, und einige fast unver-
ständliche Worte sprechend warf er sich auf einen Stuhl,
worauf er bald den Gebrauch der artikulirten Sprache ver-
lor. Ein Arzt nach dqm anderen wurde gerufen, von de-
nen der erste sogleich ein Brechmittel verschrieb, wonach
ein reichliches Aderlafs veranstaltet wurde.' Doch bemerkte
man deutlich, dals der Kranke auf der linken Seite völlig
gelähmt war, und dafs er mit offenen Augen sehen wollte,
aber nicht konnte. Anfangs vermogte er zwar noch Hand
und Fufs auf der linken Seite zu bewegen; als aber beide
im Verlauf einer Slunde völlig gelähmt wurden, legte man
ihn auf ein Bett, und es hörte nun alle freiwillige Bewe-
gung im Körper auf, nur die Augen und der Unterkiefer
wurden von heftigen Konvulsionen ergriffen. Nach dem
in der dritten Stunde erfolgten Tode traten die Augen her-
vor, und das ganze Gesicht schien angeschwollen. Gegen
Abend quoll aus der Nase und . durch den Rachen aus dem
31unde reichlich Blut hervor, welches die Nacht und den
»
»
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»
folgenden Tag bis zum Begräbnifs, wenn auch im geringe-
ren Maafse fortdauerte.
Man unterscheidet zwar nicht mit Unrecht die Hemi-
plegie von der Apoplexie, da erstere sich oft auf eine an-
haltende Lähmung der leidenden Seite beschränkt, und bei
ihr die Lebensgefahr auf Monate und selbst auf ein und
das andere Jahr hinausgeschoben bleibt; doch geschieht es
häufig genug, dafs die wahre Hemiplegie, welche die eine
Körperhälfte so gänzlich ergreift, dafs sie die eine Seite
des Kopfes lähmt, nicht in blofse Lähmung, sondern in Toll-
ständigen Schlagflufs übergeht.
Gewöhnlich macht man einen Unterschied zwischen
dem blutigen und dem serösen (bei den Alten pitui tosen)
Schlagflufs. Hiergegen will ich zwar nichts einwenden;
jedoch beziehe ich mich auf das, was ich oben über den
Caiarrhu8 suffocativus, über die Krampfanfalle und ihre
kongestiven Wirkungen gesagt habe. Ebenso gehört hier-
her, was über den von blutigen Kongestionen herrühren-
den Rheumatismus und über die Beschaffenheit der serö-
sen Abscheidungen eben daselbt bemerkt wurde. Soviel ist
gewifs, dafs die vornehmsten Vorboten des Schlagflusses
solche sind . wie sie auch bei anderen als Zeichen von
Blutkongestionen nach dem Kopfe vorkommen. Unter ih-
nen ist der Schwindel am häufigsten, zu welchem sich
plötzlich Klingen und Sausen in den Ohren, und entweder
schnell verschwindende glänzende Erscheinungen vor den
Augen, oder auch plötzliche Trübung und Verdunkelung
des Gesichts gesellen.
Beide Arten von Schlagflufs haben überdies das Eigen-
tümliche', dafs sie keinesweges in jedem, sondern nur in
einem gewissen Alter vorkommen. Denn das Kindes- und
Jünglingsaller, ja wenn man es genau nehmen will, auch
das Mühe. nie fjmmtm) bleiben davon verschobt, und nur
das' stehende männliche Alter bis zum wirklichen Greisen-
thum ist ihm ausgesetzt« "Der eigentliche blutige Schlag-
flufs befallt fast nur Männer zwischen dem d5— 50 Jahre,
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selten früher oder später. Ebenso wenig trifft der soge-
nannte seröse Schlagfluls Personen aller Art, selbst nicht,
wenn sie in dem entsprechenden Alter sich befinden, und
eine seröse, oder wie man es nennt, katarrhalische Dispo-
sition besitzen, es sei denn, dafs man den wirklichen Ca-
iarrhus suffocativu* hierher rechnen wollte. Doch scheint
letzteres mir nicht schicklich zu sein, wenn auch aus bei-
den Krankheiten endlich dieselben Erfolge hervorgehen, wie
ich dies schon früher bemerkt habe, daher denn auch die
Symptome complicirt erscheinen.
Abgesehen davon ist doch der Schlagfluls selten genug,
und zwar so sehr, dafe noch nicht der tausendste Mensch
daran stirbt, während viele Personen in jedem, besonders
im vorgerückten Alter an Fieber und Unterleibsentzündun-
gen, an Hektik, Atrophie und Wassersucht sterben. Ja,
selbst diejenigen, welche mit den Vorboten der Apoplexie
behaftet sind, sterben am häufigsten an ganz anderen Krank-
heiten, welche weder ein rasches Ende nehmen, noch über-
haupt eine andere Aehnlichkeit damit haben, da sie viel-
mehr in thätigen, tonischen Fieberanstrengungen, als im
Mangel derselben bestehen.
Obgleich sich aus der geschichtlichen Angabe der vor-
angehenden Ursachen einige Uebereinstimmung und Hin-
deutung auf den Begriff der Krankheit herleiten läfst, so
liegt doch hierin noch viel Dunkles. Zu jenen gehören:
1) das Ausbleiben früher zur Gewohnheit gewordener
erleichternder Ausleerungen, z. B. der Hämorrhoiden, Un-
terdrückung freiwilliger Schweifse, zumal der Füfse. Oder
2) das Aufhöre* zufälliger und selbst künstlicher Aus-
leerungen, welche dem Körper auf irgend eine Weise Er-
leichterung brachten* z. B. der Fontanellen, langwieriger
Geschwüre an den Unterschenkeln und Füfsen, das .Unter-
lassen der Blotentziehungen und Skarifikationen, das Aus-
bleiben der Schweifee, wenn eine thätiget Lebensweise mit
einer entgegengesetzten vertauscht wird, ,,
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3) Plötzliche Unterdrückung der gehörigen Ausdun-
stung durch eine schnelle Erkältung des Kopfes.
4) Zurücktreibung katarrhalischer, kongestiver Stok-
kungen nach dem Inneren des Kopfes, aus der nämlichen
Ursache.
Auf gleiche Weise, wie in dem angegebenen Falle von
Zorn und ängstlicher Furcht ein apoplektischer Anfall ent-
stand, wirken auch plötzliche, mehr materielle Aufregun-
gen des Blusystems überhaupt, und Kongestionen nach dem
Kopfe, zumal wenn Gelegenheitsursachen hinzutreten, wel-
che den Lauf des Blutes hemmen, und es im Inneren ein-
sperren. Daher nehmen die Fälle von Apoplexie einen nicht
geringen Rang ein, wo sie nebst Stimmlosigkeit aus einer
starken Berauschung entspringt Ich erinnere mich eines
solchen Falles bei einem .Gelehrten, den sein Amt in das
Hofleben einführte, dem er sich mit ganzer Seele ergab.
Einstmals hatte er einigen Zechern unmäfsig Bescheid ge-
il) an, und fuhr darauf in Gesellschaft auf einem offenen
Wagen, bei kalter Luft, leicht gekleidet, aus. In letzterer
fühlte er, ein Mann zwischen 50 und 60 Jahren, seinen
Verstand umnebelt, wie dies in freier Luft nach dem Wein-
geoufs zu geschehen pflegt, und wurde von seinem Beglei-
ter anfangs für betrunken gehalten. Bald darauf schien er
aber erstarrt, sank dann zusammen, und als jener ihn fest-
v halten und aufrütteln wollte, fand er ihn schon völlig vom
Schlagflufs getroffen. Er konnte nicht wieder zu sich ge-
bracht werden, und starb kurz darauf. Es giebt sowohl
Fälle, wo Betrunkene plötzlich schlagflüssig gestorben sind,
als wo Trunkenbolde zuletzt an Hemiplegie und Apoplexie
endeten.
Wir wollen hierbei nicht länger verweilen, da über-
haupt keine Aussicht vorhanden ist, hierüber zu einer gründ-
licheren Erkenntnifs zu gelangen. Am meisten springt je-
doch die Thatsache in die Augen, dafe alle vorbereitenden
und Gelegenheitsursachen der Apoplexie zugleich solche
282
sind, welche gewöhnlich auch die Veranlassung zu stärke-
ren Katarrhen, zu kardialgisch-yertiginösen, spastisch - asth-
matischen und Erstickungszufällen geben, und zwar bei
Personen von derselben Gattung, nämlich im Greisenalter.
Daher möge man wohl darauf achten, wieviel überhaupt
und insbesondere dazu kongestive Anstrengungen (nach dem
gewöhnlichen Sprachgebrauche decubitus, defluxiones , re-
giirgitationes , restagiiationes genannt) und die zu solchen
Gelegenheitsursachen führenden Angewöhnungen beitragen.
Eine weitere, der Erfahrung gemäfse Erläuterung hierüber
giebt uns bei der serösen Apoplexie der Schaum vor dem
Munde, und beim blutigen Schlagflufs das Hervorquellen
des Blutes nach dem Tode aus der Nase und dem Rachen,
so wie auch das Anschwellen der Jugularvenen eine Re-
striktion des Blutes nach oben anzudeuten scheint
i Will man daher , die Aetiologie der Apoplexie auf rich-
tige Begriffe zurückfuhren, so mufs man die allgemeinere
materielle Ursache derselben in einer Regurgitation oder
Kongestion der Säfte von den übrigen Theilen nach dem
Kopfe suchen, wodurch eine Restagnation in demselben un-
ter Begünstigung äußerer Gelegenheitsursachen, eines plötz-
lichen Wechsels von Kälte und Hitze, der Berauschung,
heftiger Erschütterungen u. dgl. entsteht. Die formale, spe-
eifische oder nächste Ursache setze ich dagegen in eine un-
mittelbare Hervorbringung solcher Kongestionen, mag die-
selbe nun eine heimlich wirkende (iacita) äufsere, meteo-
rische, oder eine innere sein, welche periodisch eine Aus-
leerung der Säfte zu bewirken strebt.. Auf die entgegen-
gesetzte Weise tritt dieselbe mit Ungestüm, als eine plötz-
liche, heftige und leidenschaftliche Anstrengung auf, beson-
ders wenn gleichzeitig die angegebenen hnmoralpathologi-
scheri Bedingungen statt finden. Auf diese verschiedene
speciclle Weise wird nämlich die allgemeine Prädisposition
geradezu plötzlich in Wirksamkeit gesetzt, weshalb denn
auch jene Prädisposition sich lange vorher in leisen An-»
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deutungcn des ücbels bemerklich macht, und mit dem Aus-
bruche desselben bedroht, ehe dieser zu Stande kommt.
Wenn daher die übrigen Umstände einem solchen Aasgange
günstig sind, 60 müssen folgende Erscheinungen Verdacht
erregen: plötzliche Anfälle von Schwindel, zumal wenn sie
4P bedeutend sind, dafs sie das Gesicht, Gehör und den
inneren Sinn verdunkeln, daher Geräusch und helles Klin-
gen vor den Ohren , wenn es auch mit dem Schwindel
schnell vorübergeht, ferner häutige katarrhalische Stockun-
gen, welche den Kopf sehr beschweren, und mehr von
einer schlafsücbtigen, Abspannung, als von blofser Trägheit
begleitet werden, wie denn auch Schwindelanfälle im Traum
von einer nicht geringen Bedeutung sind. Doch müssen
die angegebenen Bedingungen in Uebereinstimmung sein,
und nicht vereinzelt dastehen, wobei vornämlich das Alter
das entsprechende sein mufe.
Zum richtigen Verständnifs des Wesens, welches die
Apoplexie theils mit verwandten Zufällen überhaupt ge-
mein, theils eigentümlich hat, dient nicht wenig der Um-
stand, dafs der einmal entstandene Schlagflufs, auch wenn
er gelinde war, gemeiniglich wiederkehrt, und bei erneu-
ten Anfällen einen höheren Grad erreicht. Hieraus erhellt
zugleich, weshalb der wahre Schlagflufs sich so schwer
heilen und verhüthen läfst. Denn es läfst sich danach
einsehen, mit welchem nachdrücklichen Bestreben und
welcher unmittelbaren Anstrengung solche Kongestionen zu
Stande kommen, und wie sie, wenn sie, zumal in jenem
Alter, einmal eingetreten sind, kaum jemals von ihrer Hart-
näckigkeit zurückgebracht werden können. Dies halte ich
zugleich für eine besondere Eigentümlichkeit vieler von
Bestrebungen zu Blutüüssen abhängigen Zufötle, auf wel-
che, wenn sie ein, oder das andere Mal direkt auf diesen
^^USVV©^^ HU eil ollßC lllll 2&U ClcliGÜ^ geleitet SlUtl^ ZiLl die*
ser Zeit ein Heilverfahren keinen günstigen Einfluß hat,
so wie denn auch ein prfiservatives Verjähren dabei mit
284
weit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hat, als wenn
man lange vorher Vorkehrungen trifft, ehe die Natur in
ihren Bestrebungen jene Richtung genommen hat.
Daher empfehle ich den besseren Köpfen, sich vor je-
nen rohen automatischen und mechanischen Begriffen zu
hüthen, nach denen die geschilderten Vorgänge Folgen
b loker körperlich. materieller Flutung, zufälliger Zurück-
haltung und Einsperrung sein sollten, und sich daher auf
ebenso einfache mechanische Weise durch Hebel oder Stofs-
kraft entfernen Helsen. Fafst man dieselben aber in ihrem
ganzen Umfange auf, so werden sie dem Arzte eine nütz-
liche Anleitung zu präservati ven Erleichterungen und Ab-
leitungen in der Praxis geben, so wie sie ihm eine Theo-
rie der Verbindung, des wechselseitigen Zusammenwirkens
und der Folgen dieser mannigfachen verwandten Zufälle
aufstellen werden. Auf beide Weise läfst sich sowohl die
wahre Methode der Natur erkennen, als auch ein ihr ent-
sprechendes Heilverfahren verordnen. Oder was dasselbe
ist, wir gelangen zur Grundlage der medicinischen Theorie,
welche als solche auf einen methodischen oder dogmati-
schen, nicht blos empirischen Heilweg fuhrt, welcher letz-
tere zwar nicht zu verachten , doch sehr schwer aufzuüu-
den ist.
Fünftes Kapitel.
Von den Fehlern der festen Theile.
Die Verletzungen der festen Theile gestatten kaum eine
ausführliche Theorie, welche zu einer wirksamen Kunst-
hülfe fuhren könnte. Denn da die Natur die alleinige Wie-
derhers tellerin der festen Theile ist, und die Kunst auch
nicht eine einzige Faser im Körper hervorbringen kann;
so ergiebt sich von selbst, welchen Nutzen Betrachtun-
gen solcher Art haben können. Ich meine hier nämlich
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eioe methodische Kunsthülfe. Dagegen die Empirie über-
all, wo sie den gewünschten Endzweck erreicht, weit mehr
einer Theorie von der Wirksamkeit jenes inneren thfitigen
Princips verdankt, welches von den Alten unter dem Na-
men Natur in der Oekonomie des lebenden Körpers, be-
sonders des Menschen gepriesen wurde. — Wohl kann man
aber einen ruhigen und richtigen Bildungsprozefs verhin-
dern oder vom rechten Wege ableiten, wiewohl auch dies
nur auf grobe, plumpe Art, nicht aber auf eine innigere
und feinere Weise.
Es genüge daher, nur so viel über diesen Gegenstand
zu sagen, als zu meinem Zweck pafst. Zuvörderst mufs
der Arzt die eigentliche Zahl der Theile kennen, nicht um
zu wissen, wenn einer fehlt, weil ein solcher sich nicht
ersetzen läfst, sondern wenn ein überflüssiger vorhanden
ist, der entfernt werden mufs, wenn er Verunstaltungen,
Beschwerden und selbst Gefahren hervorbringt.
Zweitens mufs man jene zu einer soliden Textur aus-
gebildeten Konkremente, welche das Bildungsprincip mit
besonderer Sorgfalt hervorgebracht zu haben seheint, wohl
beachten. Dahin gehören besonders die Muttermähler, wel-
che nach der Gestalt eines äufseren Gegenstandes gebildet
sind. Bei ihnen hat man vornämlich zu bemerken: 1) Sol-
che ungewöhnliche Auswüchse werden von der Natur reich-
lich mit NahrungsstofT durch grofcc und zahlreiche Gcfäfse
versehen. 2) Sind sie ebenso reichlich mit deu vornehm-
sten Werkzeugen der tonischen Bewegung, mit starken Ner-
ven ausgestattet. 3) Die Natur scheint diese ungewöhn-
lichen Gebilde so zu lieben und erhalten zu wollen, dafs
sie die unvorsichtige Verletzung derselben sehr übel erträgt,
und bald den Brand als ein plötzliches und zaghaftes Ver-
lassen der Bewegung, bald Konvulsionen als ein Zeichen
ihres stärksten Erzitterns und ängstlicher Bestrebungen ein-
treten läfst. In beiden Fällen unterliegt sie so grofsen Stö-
rungen, dafs nicht selten der Tod die Folge davon ist.
Aus den Betrachtunsen der Struktur und der Wieder-
286
herstellong der festen Theile erwächst für den Arzt, *der
das Verhältnifs ihrer Verletzungen zur künstlichen Heilme-
thode erwägt, der Nutzen, dafs er ein vorsichtig mäfsigen-
des Verfahren vorherschicken kann, wenn er es unternimmt,
dergleichen Afterbildungen anzugreifen \ ferner dafs er es ge-
hörig würdigen kann, wo ein rasch einwirkendes oder ge-
gentheils ein zögerndes Heilverfahren anwendbar ist, ebenso
wo Unterbindungen ihren Platz finden.
Drittens mufs man seine Aufmerksamkeit auf die bil-
dende und wiederherstellende Thätigkeit richten, welche
in dem einen Individuum stärker, als in dem anderen an-
getroffen wird. In dieser Beziehung sind folgende Bemer-
kungen gültig:
1) üeberall trägt ein mäßiges Zuströmen von Blut das
Meiste zur Verheilung der weichen Theile bei. Dagegen
2) ein zu reichlicher Zuflufs desselben eher ein Hin-
dernifs abgiebt. Daher ist es eine gewöhnliche Erschei-
nung bei gesunden, aber blutreichen Personen, dafs die ge-
ringfügigsten Verletzungen, z. Bi von einem Nadelstich, ei-
nem eingestofsenen Splitter nicht ohne Entzündung und Ei-
terung heilen, welches bei zartgebauten melancholisch -cho-
lerischen Personen schnell und ohne Zufalle geschieht.
3) Vorzüglich theilt ein kachektischcr Zustand den
Verletzungen eine üble Beschaffenheit mit, und erschwert
die Heilung auf mannigfache Weise.
4) Zu der nämlichen Wirkung tragen andere, die Le-
bensenergie schwächende Ursachen nicht wenig bei, z. B.
Leidenschaften, insbesondere ein sehnsüchtiges Verlangen;
von welchen es bekannt ist, dafs sie häufig das Wachs-
thum des ganzen Körpers lange aufhalten. Ebenso wird
der Natur bei der Ausbildung desselben durch das Vorhan-
densein von Fehlern in den Eingeweiden, wie bei der Lun^
genschwindsucht und Darrsucht grofses Hindernils in den
Weg gelegt. ' '
Viertens mufs die eigentümliche Beschaffenheit des
verletzten Theües in Betracht gezogen werden, wenn näm-
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lieh die bildende Thätigkeit an sich kräftig, oder durch ana-
leptische Mittel aufgeregt ist, und doch in dem zu heilenden
Theile ungleichförmig zu Werke geht, so dafs auf der einen
Stelle Hindernisse vorhanden, auf der anderen aber besei-
tigt sind, daher denn ein gleichmäfsiges Fortschreiten der
Verheilung vereitelt wird. Aus diesen Bedingungen gehen
die bedeutend ungleichförmigen Bildungen hervor, die in
weichen Theilen überhaupt den Namen des wilden Flei-
sches fuhren, in den Membranen, Zähnen, Drüsen und Seh-
nen als schwammige Auswüchse erscheinen, und an den
Knochen einen unförmlichen Kallus erzeugen.
Fünftens mufs man den Umstand nicht übersehen , dafs
bei schwangeren Weibern dergleichen Verhcilungen, z. B.
gebrochener Knochen, weit mühsamer von Statten gehen.
Sechstens mufs man auch auf das Vcrhäitnifs und Maafs
der Zeit sehen, innerhalb welcher gewisse feste Theile, be-
sonders die derberen und dichteren, die Knochenfisteln so
langsam zur völligen Verheilung gelangen, wie dies seit
Hippokrates die Chirurgen sorgfältig angemerkt haben.
Siebentens hat man ganz besonders auf die Verschie-
denheit der Energie der bildenden Kraft nach dem Alter
zu achten. Denn in der Jugend, wo noch das Streben
der Natur auf die gröfsere Entwickelung des gesammten
Körpers gerichtet ist, geschieht die Wiederherstellung der
verletzten Theile unendlich schneller, ruhiger nnd sicherer,
als bei Bejahrtcren, bei solchen nämlich, Welche das fünf-
zigste Jahr als die Zeit überschritten haben, bis zu wel-
cher der Körper im Zunehmen begriffen ist. Doch mufe
man nicht aufser Acht lassen, dafs maochen bejahrteren
Personen eine individuelle gröfsere Thätigkeit und robuste
Konstitution eigen ist, wodurch sie beim Heilgeschäfte ei-
nes Vorzugs theilhaflig werden, wenn auch nicht in dem
Grade, wie blühende und lebenskräftige Jünglinge, son-
dern nur in allgemeiner Beziehung zu jugendlichen Perso-
nen überhaupt. i
Uebrigens machen auch hier die angezeigten zufälligen
4
Hindernisse ihren störenden und verzögernden Einflufs anf
das Heilgeschäft geltend, weiches umgekehrt durch Eot-
fernung derselben befördert wird, wie ich denn auch kei-
neswegs der Kunst die Versuche streitig machen will, die
Heilkraft durch eine aualeptische Methode zu höherer Thä-
iigkeit anzuregen. Indefs wenn auch die dahin abzwek-
kenden Heilmittel mit gröfserem Rechte gelobt zu werden
verdienten, als ihnen jetzt zukommt, wo sie mehr der
Leichtgläubigkeit, als einer einleuchtenden Gewifsheit ver-
dank™; so wurden sie doch auf eine grundliche Theorie
der wahren Heilmethode kein helleres Licht werfen, und
mehr nur zu einer historischen, als zu einer ätiologischen
Betrachtung sich eignen, daher wir uns hier nicht weiter
damit befassen wollen.
Endlich wird sich aus den bisherigen Erörterungen eine
richtige Ansicht der unheilbaren Verletzungen entwickeln
lassen. Man mufs hier sorgfaltig untersuchen, inwiefern
sich noch ein Wiederersatz hoffen läfst, wenn ein Theil
gänzlich verloren gegangen ist, oder durch irgend ein Hin-
dernifs in seiner Heilung aufgehalten, oder auf eine un-
schickliche Weise in seine Lage zurückgebracht worden
ist. Auf das Einzelnste, besonders über die Narbenbildnng
einzugehen, verbietet mir die Zeit; nur soviel will ich,
was ich neulich in der Das. de motu locedi zur Sprache
gebracht habe, hier anmerken, dafs verschiedene, nicht tief
eindringende Narben an Theilen, welche unmittelbar durch
örtliche, zumal reibende Bewegungen in Thätigkeit gesetzt
Werden, allmählig wieder verschwinden, und der ursprung-
lichen Textur Platz machen, wie man dies täglich nach
Wunden, Geschwüren, Verbrennungen an der Spitze des
Daumens und der inneren Handfläche beobachten kann.
Auch bin ich nicht gesonnen, mich weitläuftig über
die gegenseitige Beziehung der festen Theile zu den flüs-
sigen in Betreff ihrer wechselseitigen Verderbnifs auszulas-
sen, obgleich dieser Gegenstand allerdings wichtig, und von
mir
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mir bei Gelegenheit der Entzündung, Eiterung und Ge-
schwüre zur Sprache gebracht worden ist.
Nur auf den einen Umstand bei Verletzungen fester
Theile weise ich noch hin, nämlich auf das Verhältnis des
Tonus der weichen Theile zur Befestigung der härteren Ge-
bilde, welche in ihre Lage zurückgebracht worden sind.
Hiervon hängt auch jene Zusammenziehnng und Verkür-
zung ab, wenn groise Knochen aus ihrer Lage gerückt wor-
den sind, wo es dann zu ihrer Zurückbringung der Ausdeh-
nung bedarf. Ebenso ist dieser Umstand daran Schuld, dafs
wegen Verdichtung der Fasern die durchgehenden Gefafse
und Kanäle ihre Kapacilät verlieren, und so zur Entste-
hung von Geschwülsten Gelegenheit geben.
Achtes Kapitel.
Von den Delirien.
Je weiter die Betrachtung sich von körperlichen Ver-
hältnissen entfernt, um so mehr verliert sie sich in leere
Spekulation und verworrene Begriffe. Einen einleuchten-
den Beweis davon geben uns die verschiedenen Seelenstö-
rungen, über welche man zwar weitläuft ig vernünfteln
kann, aber von den en jeinen gründl ichen Begriff aulzustel-
len man slcTTvergeblich bemühen wird. Alles, was sich
darüber sagen, und mit den ThatsacEen in Einklang bringen
läfst, beschränkt sich darauf, dafs einige Delirien einfach-
leidensciial'ilich c Zustände, andere sympathisch' sind (guod
deliria (üia^sint^ simplicius pathe tica; (dia sympaihetica).
Jene treffen unmittelbar, und gleichsam auf einfache Weise
den Verstand,~7cTztere treten mitt elba r zu gewaltsamen Stö-
rungen der Lebe nsökonomie in_ ihren vornehmsten Bestim-
mungen und Bestrebungen hinzu. ^Häufig findet ein Zu-
sammentreffen beider Bedingungen statt, dergestalt näm-
lich, dafs zu angestrengt beschwerlichen Störungen und
Stahl's Theorie d. Heilk. III. 19
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nahe bevorstehenden Gefahren des Körpers, wodurch die
Natur in Angst und Sorge versetzt wird, auch noch mora-
lische Angst, Furcht und Schreck als Begleiter sich hin-
zugesellen, wo dann die vereinte Kraft beider das Leiden
auf einen höheren Grad steigert. ^Gegenseitig finden die
mehr unmittelbaren Störungen des Verstandes neue Nah-
rung, und sie gelangen zu häufigeren Ausbrüchen, wenn
Hindernisse und Verwirrung der körperlichen Funktionen
hinzutreten.
Das Irrereden der ersten Art entspringt aus Mifsbrauch
jler Verstandeskräfte und leidenschaftlichen JEtechütie rnn-
gen, z. B. aus einer zu grofsen Aufregung der Phantasie
und des Gedächtnisses, und aus einer Anstrengung, der sie \
nicht gewachsen sind. So giebt es viele Fälle, wo aus
einem zu eifrigen Bestreben im Lernen, Denken und Dich"
ten allmählig Irrereden entstand. Am meisten trägt dazu
bei, wenn der hartnäckige Fleifs im Forschen und Nach-
denken bis zur Vcrsäumnifs des nöthigen Schlafs getrieben,
oder wenn er mit einer solchen Lebhaftigkeit und Unge-
stüm fortgesetzt wurde, dafs nicht einmal im Schlafe die
Phantasie rastete, sondern in die lebhaftesten, alle Ruhe
verscheuchenden Träume ausschweifte.-
Pathetische Ursachen des Irreredens werden dagegen die
mannigfachen Leid enschaft en, vornämlich wenn sie sich mit
starken Eindrücken der Phantasie vergesellschaften. Allge-
mein bekannt ist es, was in dieser Beziehung jeder sehr
plötzliche und angstvolle Schreck überhaupt, und ein sol-
cher insbesondere vermag, welcher durch den Findruck
einer Verderben drohenden Gespenstererscheinung erregt
wird; ebenso giebt es manche Beispiele, wo die auf eine
Person gerichtete Erotomanie (E^rsonalU) durch inhalts-
leere, aber anhaltende Bilder der Phantasie und des Ge-
dächtnisses Störungen des Verstandes hervorbrachte. Nicht
seltener sind die Fälle, wo hochmüthigerStolz die Menschen
zuletzt so weit von der gesunden Vermm^entfernte, dafs
sie sich mit der Phantasie überredeten und fest einbildeten,
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das zu sein, was sie wünschten, und davon sich nicht los-
reifsen konnten. Schon längst bemerkte ein Dichter sehr
treffend: ira furor hrevis est, und es ist erstaunlich, wie
viel eine zum Zorn geneigte Gemüthsstimmung wenigstens
dazu beiträgt, das Delirium zu unterhalten, und vorzüglich
ihm eine bestimmte Richtung zu geben, so dafs es dann
ein wüthendes, verwegenes, gewaltthätiges wird, welchen
Ursprung es auch aufserdem zuerst gehabt haben mag.
Das Irrereden der zweiten Art läfst sich bequem auf
drei Klassen zurückführen, je nachdem es eine wollüstige,
melancholische oder fieberhafte Aüenation des Verstandes
ist
Das wollüstige, im allgemeinen Sinne, nicht in Bezie- •
hung auf eine bestimmte Person, wie die Erotomanie, heifst
beiden Weibern Mutterwuth, und pflegt vom Reiz (com-
motio) des Saamens und von wollüstigen Bildern und Be-
gierden zu entstehen, welche keine Befriedigung finden.
Ein merkwürdiges Beispiel der Art trifft man in Blegny's
Zodiacus gallicus, wo bei einer Nonne, welche an Tob-
sucht gelitten hatte, und darauf gestorben war, die Lei-
chenöffnung ergab, dafs ein Ovarium bis zur Gröfse einer
Faust angeschwollen war, und viele durchsichtige Bläschen
gleich den Beeren einer Weintraube enthielt, welche aus
ausgedehnten Eiern bestanden. Ebenso habe ich oben bei
der Epilepsie eines Falles gedacht, wo die Paroxysmen mit
Saamenausleerung endeten, und mit tobsüchtigen Delirien
verbunden waren. Unstreitig kommen dergleichen Fälle in
Mönchs- und Nonnenklöstern nicht sehr selten vor.
Die Aetiologie der wahren Melancholie und nament- t )
lieh der hypochondrischen insbesondere liegt unseren Be-
griffen näher, weil die Wahnvorstellungen, mit denen der
Verstand solcher Kranken sich beschäftigt, im Allgemeinen
sehr genau mit dem Cha rakterjlhrer Le bensbewej amfrgfl».^
vorzü glich des ^ Kreislau fs, wie er unter diesen Bedingun-
gen von Statten gehl, üHeTeTnstimmt. Denn das Blut pflegt
in solchen Fällen dick und zu einer freien Fortbewegung
19*
292
nicht tauglich zu sein, daher es von grofsen Hindernissen
seines Umlaufes bedroht wird, theils schon be trollen ist,
woraus denn St äsen hervorgehen. Die Gefahren, welche die
Stockungen herbeiführen, sind aber sehr beträchtlich. Mit
diesen wirklichen Gefahren für den Körper, obgleich sie
gröfstentheils erst bevorstehen, stimmen ö^c^krankhaften
Vorstellungen überein. Denn gleichwie hier die 'Gefahr
obwaltet, dafs wirklich eine vollständige Verhärtung und
Incarceration leicht eintreten könne*, ebenso prägt sich dem
Gemüthe mehr und mehr eine ähnliche VoreteUmigjnnjron
einer än gstlic hen Einengung, von einer hinterlistig bewirlc-"
ten Gefangennehmüng, ja~Selbst von einer bestimmten Ein^~
kerkerung^ Gleichwie anhaltende Einsperrungen des Blu-
tes einen unglücklichen Ausgang fast mit Gewifsheit vor-
herverkündigen; ebenso kommt hiermit d ie Ei nbildun g ei-
ner ähnlichen Idee aus moralischer Furchtsamkeit überein,
dafs die Kranken nicht nur Einkerkerung und dahin füh-
rende Nachstellungen, sondern auch Todesstrafen stets vor
* Augen haben, v/
y Wohl erwogen zu werden verdient bei diesem Krank-
heitsgeschlecht das schon angezeigte wechselseitige Zusam-
menwirken moralischer Ursachen und Vorstellungen mit
physischen Verhältnissen und mit dem Gefu hLjlfiiselben,
gleichsam einer wirklichen und wesentlichen Befürchtung.
Wenn daher in einigen Kranken zu einer wirklichen kör-
perlichen Beengung sich eine moralische Angst und Furcht
gesellt, so tritt unter diesen Umständen der bemerkte Er-
folg um so leichter ein, ja um so'gröfser wird der Auf-
ruhr des GemüthsV Auf diese Bedingung gründet es sich,
dafs viele, welche an offenbaren Verstopfungen, z. B. der
Milz, leiden, doch mit einer ausgebildeten Melancholie, we-
nigstens nicht in einem entsprechenden Vcrhältnifs behaftet
sind, wenn sie sich nämlich von Geistesanstrengungen fern
halten^ Inzwischen ist soviel gewifs, dafs alle, deren ver-
dicktes Blut sich zu einer wirklichen Verstopfung hinneigt,
wenn sie auch nicht an einer anhaltenden und unaufhör-
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liehen, daher auch nicht einmal starken und ungestümen
Melancholie leiden, dennoch keinesweges frei sind von häu-
figen, wenn auch schnell vorübergehenden ähnlichen Ge-
müthsregungen, welche sich durch Tiefsinn, Widerwillen,
Traurigkeit und Angst, durch Seufzen, Beklommenheit und
Weinen über die Kürze des Lebens zu erkennen geben.
Wie denn auch solchen Personen verwickelte bürgerliche
Verhältnisse zu Sorgen, Angst, Traurigkeit und Furcht vor
einem schlimmen Ausgange Gelegenheit geben. ^
Da die fieberhaften Seelenstörungen sich unter wirk-
lich gefahrdrohenden Verhältnissen der thierischen Oeko-
nomie ereignen; so müssen sie um so mehr als solche an-
erkannt werden, wenn man in Erwägung zieht, dals die
Gemüthsverfassung unter solchen Bedingungen keine andere
sein kann. Zwar bekenne ich, dals ich von dem Antheil
und den Vorgängen des Physischen dabei ebenso wenig
begreife, als von der schwarzen Farbe der Schwäne und
der weifsen der Krähen; indefs läfst sich im Allgemeinen
die Ursache einer solchen Verstandesverwirrung aus der
vorhandenen Lebensgefahr wohl erklären. Aufser dem Um-
stände, dafs die Fieberdelirien vornämlich nur uuter sehr
gefahrlichen Verhältnissen auftreten, ungeachtet eine Nei-
gung mancher Individuen zum Hinbrüten eine besondere
Begünstigung dazu giebt, findet die aufgestellte Ansicht
noch darin eine Bestätigung, dafs die Delirien eine zwie-
fache Aehnlichkcit mit dem vorhandenen oder nahe be-
vorstehenden Zustande der Lcbcnsokonomic haben.
1) Beziehen sie sich auf die^Vertreibung lästiger Dinge,
z. B. umringender feindlich gesinnter und drohender Män-
ner oder Gespenster, oder auf das Entfliehen aus grofser
Hitze, aus beängstigenden Zuständen, aus einer ungerech-
ten Einkerkerung,
2) Bei nahe bevorstehendem Tode pflegt sich das De-
lirium so zu gestalten, dafs der Kranke sich in einem frem-
den Hause, Zimmer, Bette zu befinden glaubt, und mit
ganzem Gemüth in sein Haus und zu den Seinigen zurück-
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begehrt. ^Was bedeutet die« andere, als das leise
Anerkenntnis des Bewußtseins, dafs der Körper schon ent-
artet und fremd, folglich zum ferneren Besitz, Bewohnen
und Gebrauch untauglich geworden ist, den die Seele nicht
blos verlassen, sondern dem sie entfliehen- muls. Ja es ist
wahrscheinlich, dafs sie, wenn sie an ihrer zerstörten Woh-
nung kein Gefallen mehr finden kann, sich deutlich einer
anderen, ihrer Natur angemesseneren Statte erinnert, nach
welcher als ihrer wahren Heimath sie sich umschaut. ^
Doch mufs ich wiederholt den wohl zu beherzigenden
Umstand in Erinnerung bringen, dafs alle Gemüther, wel-
che vorzugsweise zu lebhaften Einbildungen, zur Furcht,
zur Gewissensangst und zum Erzittern vor dem Tode ge-
neigt sind, besonders wenn mehrere dieser Affekte zusam-
■
mentreffen, um so leichter in solche Störungen versetzt
j^'.V werden können, wenn eine wirkliche Ursache zum Erbe-
j / ben in einer drohenden oder vorhandenen Lebensgefahr ge-
geben ist Beim chronischen Irrereden mufs man überdies
auf das Gesetz der Gewohnheit Rücksicht nehmen, nach
welchem das Gedächtnifs auch falsche Vorstellungen fest-
hält, so dafs dieselben, wenn sie einmal vom Verstände
während langer Zeit durcharbeitet worden, und sich in
die Phantasie eingedrängt haben, festwurzeln, und nicht
wieder aus dem Gedächtnils vertilgt werden können. Die
/Beharrlichkeit der letzteren ist dann die Ursache der fort-
dauernden Delirien.
Ueberdics halte ich die Bemerkung keinesweges für
unstatthaft, welche Valleriola in seinen Observaiionibtu
mehrmals macht, nämlich, dafs kaum irgend jemand sich in
einem absoluten Delirium befindet, d. h. in demselben durch-
aus vernunftwidrig denkt und handelt, sondern dafs der
Kranke ursprünglich von einer falschen Vorst ellunj
jge^t, und daräu8^ndere_F olgerungen zieht, welche, wenn
auch nicht scharfsinnig und durchdacht, doch ganz bequem
jener untergeordnet und mit ihr in Verbindung gebracht
werden können. Er fehlt und irrt vornämlich nur darin,
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da& er bei keiner Sache gehörig verweilt, und den ein-
zelnen Folgerungen darans keine Aufmerksamkeit schenkt.
Einzelner, aus dem Zusammenhange gerissener Gegenstände,
denen er nur eine kurze und flüchtige Betrachtung widmet,
kann er dagegen auf eine der Wahrheit ziemlich entspre-
chende Weise sich bewufst werden. Diejeni gen Delirien ,
welche sich auf eine grolse Lebensgefahr beziehen, mufs
man daher als solche anerkennen, welche einen bestimm-
ten Grund und Zweck haben ; solchejla£ßgen, welche aus
einem grüblerischen Mifsbrauch der Phantasie und des Ge-
dächtnisses entspringen, lassen sich, wie die Erfahrung be-
zeugt, durch Zurückfuhrung (des Gemüths) von jenen miifsi-
gen Träumen über fremde Dinge auf die nothwendigen Le-
bensbedingungen, zuweilen berichtigen. Nach dem, was I ^/-w
über das Verhältnils der melancholischen Delirien zu einem .' ^^u^
mehr oder weniger behinderten Umlauf des Blutes gesagt i
worden ist, läfst sich leicht begreifen, dafs sie sich ver-
schlimmern müssen, wenn das Blut zu einem gröfsercn Vo-
lumen stark und schnell ausgedehnt wird. Dies geschieht
nach unmäfsigem Genufs geistiger Getränke, theils nach dem
langen Einwirken der Sonnenhitze auf die Atmosphäre, in
welcher Beziehung die Sommermonate (die Hundstagc) übel
berüchtigt sind.
Mehr zur physischen, als zur medicinisch -pathologi-
schen Aetiologie mufs man den Umstand rechnen, dafs sehr
wilde Tobsüchtige nicht nur die Winterkälte .wenig em-
pfinden, sondern auch während derselben einen hohen Wär-
megrad, ihres Körpers behalten. Denn das Gemüth ist der
leisen Empfänglichkeit, gleichsam des leicht erzitternden
leisen Gefühlsurtheils (aestimatio) verlustig gegangen, wäh-
rend eine anhaltend gereizte und energische Blutbewegung
das Gefühl von Kälte geradezu verbannt. Da nun das vor-
nehmste Bestreben der Tobsüchtigen im Allgemeinen da-
hin gerichtet ist, sich gegen jeden Widerstand mit Kühn-
heit, Ungestüm und Kraft zu sträuben, und bei ihnen aufser
dem anhaltend beschleunigten und verstärkten Pulse beob-
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achtet wird, dafs sie fast ununterbrochen sich zu Anstren-
gungen der willkuhrlichen Bewegung gedrungen fühlen; so
ist es nicht zu verwundern, dafs aus dem Zusammentreffen
der sich gegenseitig erregeoden Bewegungen des Blutes uud
der Muskeln eine so starke Erhitzung des Blutes und eine
gleichmäßige Vertheilung dieser Hitze im Körper hervor-
geht.
Ungleich schwerer zu begreifen ist die Wirksamkeit
des Wuthglftes und der Wasserscheue, zu deren Erkennt-
nifs als einer speeifischen Form des Wahnsinns es nichts
beiträgt, dafs sie mit einem Fieber verbunden ist, und einen
akuten und tödtlichen Charakter hat. Ich hege die Ueber-
zeugung, dafs weder die Natur, noch die Kunst auf eine
methodische Weise etwas dagegen ausrichten, und dafs die
Kunst nur durch Versuche Hülfsmittel entdecken kann. Die-
ser Gegenstand gehört daher durchaus nicht in die medi-
cinische Theorie, sondern blos zum empirischen Wissen.
Neuntes Kapitel.
Von den Giftein
Wie schwankend und verworren die Spekulationen an-
derer, insbesondere der neueren Aerzte, über den richtigen
Begriff der Gifte sind; dies ist so bekannt, dafs ich mich
dabei nicht aufzuhalten brauche. Fasseu wir denselben im
medicinisch- pathologischen Sinne auf, so müssen wir unter
Gift einen Stoff (materiatum) verstehen, welcher zur Ver-
nichtung der Lebensökonomie mit einer so schnellen, ge-
waltsamen und durchdringenden, doch nicht mit verhält-
nilsmäfsiger Heftigkeit in die Sinne fallenden Wirksamkeit
begabt ist, dafs, wenn nicht schnelle Hülfe geleistet wird,
eine kaum heilbare Verletzung, ja der Tod selbst mit be-
schleunigtem Erfolge eintritt.
Diese
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*
Diese höchst verderbliche, anmittelbarste und eingrei-
fendste Wirksamkeit sieht in keinem Verhältnifs weder zu
der Masse des Gifts, noch zu sinnlich wahrnehmbaren Ei-
genschaften desselben, noch zu direkten und offenbaren Wir-
kungen im Körper. Doch muls man insofern eine Verschie-
denheit anerkennen, dafs einige Arten von Giften ihre zer-
störende Kraft ohne eine sinnlich materielle und unmittel-
bar schädliche Wirksamkeit auf den menschlichen Körper
äufsern, während andere irgend eine Verletzung desselben
hervorbringen, obgleich auch die Heftigkeit und Schnellig-
keit ihrer tödtlichen Kraft in keinem Verhältnifs zu den
sinnlichen Erscheinungen steht.
Zur ersten Art gehören die Bisse und Stiche giftiger
Thiere, ferner die starken vegetabilischen Gifte, Eisenhut,
Bilsenkraut, Tollkirsche, der ächte Schierling, der Stech-
apfel und einige exotische Gifte, auch einige schädliche
Schwämme; zur zweiten Art sind einige Mineralien zu
rechnen, vor allen der Kobalt und Arsenik, dann der Subli-
mat, ferner das Quecksilbcrpräcipitat, das Kupfer, beson-
ders der Grünspan, Spiefsglanzglas. Diese äufsern nämlich
theils eine schnell septische, feine korrosive und kolliqua-
tive Energie auf den Magen; theils, wie besonders Kobalt
und Arsenik, bringen sie eine starke faulig -gährende Wir-
kung im Blute hervor, wie man denn auch bei gefahrli-
chen Verletzungen durch giftige Thiere beobachtet, dafs
nach dem schnell erfolgenden Tode eine rasche, faulige Gäh-
rung eintritt.
J}afs aber die angegebenen Verletzungen und selbst die '
Korrosion des Magens zur Erklärung des schnell tödtlichen
Verlaufs nicht genügen, dafs also die eigentliche Wirksam-
keit der Gifte keinesweges in einer einfachen und unmit-
telbaren Verderbnils der Organe und Säfte begründet ist;
dies will ich an den Beispielen des Arseniks und Subli-
mats erläutern, welchen man gewöhnlich eine korrosive
Eigenschaft beilegt. Denn andere korrosive Gifte, z. B. die
concentrirte Schwefel-, Salpeter- und Salzsäure, bringen
Stahl'« Theorie d. HeÜk. 11L 20
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.» ■
durchaus nicht ebenso schnelle Erfolge hervor. Auch wird
im Sublimat der eigentliche korrosive Bestandthcil , näm-
lich die Säure, an Menge von dem Quecksilber weit über-
troffen, daher von jener nur sehr wenig in 3 bis 4 Granen
Sublimat enthalten ist, welche schon eine so gewaltige Wir-
kung im Körper hervorbringen* können. Mau müfste also
annehmen, dafs die korrosive Kraft der Säure durch das
Hinzutreten des Quecksilbers bedeutend gesteigert würde.
Da aber letzteres im metallischen Zustande, selbst in be-
deutender Menge genommen, keine heftigen Zufälle im Kör-
per erregt; so kann in seiner Verbindung mit einer korro-
siven Säure um so weniger ein Grund der zerstörenden
Wirkung liegen, da eine gleiche T.Iischung im versüfsten
Quecksilber vorhanden ist. Es bleibt also zur Erklärung
nach den herrschenden Schulbegriffen nichts übrig, als eine
veränderte Textur der kleinsten Theilchen anzunehmen, wo-
durch eine durch Quecksilber völlig gesättigte Säure un-
schädlich wird, dagegen sie im halbgesättiglen Zustaude
so verderblich wirkt. Warum bringt sie aber unvermischt
nicht so üble Folgen hervor, als wenn sie mit dem Queck-
silber verbunden ist, da beide weder für sich wegen ihrer
besonderen Eigenschaften, noch wegen ihrer Vermischung
(wie das Calomel beweiset) so schädlich sind? Also kann
man sich allein an das besondere Mischungsverhältnifs hal-
ten, und die Erklärung dreht sich dergestalt im Kreise
herum, dafs man sagen mufs: es ist so, weil es so ist, es
wirkt so und nicht anders, weil es so wirkt, nämlich weil
die Figur der kleinsten Theilchen dergestalt verändert ist,
dafs eine solche Wirkung daraus hervorgehen kann. Ge-
nug davon!
Nicht weiter kommt man mit der scheinbar treffen-
deren Erklärung vorwärts, dafs Sublimat und Arsenik durch
Korrosion des Magens so verderblich wirken. Denn eine
wirkliche Wunde, welche den organischen Zusammenhang
des Magens trennt, ist weder geradezu, noch insbesondere
unter so raschen und ängslliche'n Zufällen tödüich. Man
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erinnere sich nur an die Messerschlucker, welche durch,
einen Einschnitt in den Magen geheilt wurden. Auch nicht
die Erosion vermag als solche und unmittelbar dergleichen
Wirkungen hervorzubringen, besonders nicht so schnell und
heftig zerstörende, wie sie einem Gifte zukommen. Unter
den Beobachtungen des Saltzmann kommt die an einem
Chirurgen vor, welcher lange Zeit nach einem starken Ge-
brauch des Quecksilbers starb, und dessen Magen beim An-
fassen in Stücke zerrifs. In den Act» Nai. Cur. wird von
einem Menschen erzählt, der, beim Stehlen ertappt, einen
Stich mit einem Spiefse in den Magen erhielt, und viele
Jahre lang ganz leidlich mit einer Magenfistel lebte.
Man mag also diesen Gegenstand betrachten, wie man
will, so wird er stets viel Unerklärliches darbieten: es
läfst sich daher über d.'e Gifte nicht einmal eine phy-
sische, viel weniger noch eine medicinischc Theorie auf-
stellen, welche zu einer Heilmethode führte; sondern wir
müssen uns mit einer auf historische Thatsachen gestütz-
ten Empirie begnügen. Die Natur vermag bei den Giften
nichts auszurichten, aufscr dafs sie mit eilfertigem Bestre-
ben und heftiger Anstrengung der Bewegung das Gift aus-
zuwerfen strebt; und die Vorsehung liefs nur durch Ver-
suche Mittel auffinden, welche vorhandene Gifte zu zer-
stören vermögen, ohne dafs sich eine wissenschaftliche Me-
thode darüber aufstellen liefse. Umgekehrt verhält es sich
mit den Krankheiten, welche die Natur durch ein eigen-
mächtiges Verfahren auf dem Wege der Sekretionen und
Exkretionen entfernen, und bei welchem Geschäft sie durch
wahre Hülfsmittel der Kunst erleichtert und unterstützt
werden kann.
Daher komme ich zum Schlufs meiner medicinisch-
pathologischcn Abhandlung nochmals zurück auf den Un-
terschied, welcher zwischen einer blofsen Geschichte oder
physischen Aetiologie und einer wahren medicjnischcn Pa-
thologie statt findet. Denn nur die letztercThat eine Be-
ziehung auf die medicinische Praxis, welche rationell nach
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dem gegenseitigen Verhältnis der Dinge zu einander aus-
geübt, also auf eine Methode gestutzt werden soll, zum
Unterschiede von der blofsen Empirie, welche, wenn auch
an sich richtig und wirksam, doch die Kenotnifs der ur-
sachlichen Bedingungen ausschliefet, und daher nicht in
eine medicinische Aetiologie gehört
»
Gedruckt bei A. W. Schade.
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Buchbinderei
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85376 Massenhausen
Tel.: 08165 ■ 80123
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